| Zeitschrift
Naturwissenschaften.
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh. Rath Prof. Dr. Freih. von Fritsch, Prof. Dr. tarcke,
Geh. Rath Prof. Dr. Knoblauch, Geh. Rath Prof. Dr. Leuckart,
Geh. Rath Prof. Dr. E, Schmidt und Prof. Dr. Zopf
herausgegeben von
Dr. G. Brandes,
Privatdocent der Zoologie an der Universität Halle.
67. Band.
(Fünfte Folge Fünfter Band.)
Mit 7 Tafeln und 16 Textfiguren.
Leipzig.
C. E. M. Pfeffer.
1894,
Inhalt des 67. Bandes.
—
I. Original- Abhandlungen.
Compter, G., Dr. Die fossile Flora des unteren Keupers von
Ostthüringen, - Taf. I—IV . . ne
Dathe, A., Theorie des Färbeprozes: i
nö. Max v., Dr. Hilfsmittel der Schling- und Renken-
pflanze
Donath, Fa, "Prof. Ueber die hydrolytischen Spaltungen orga-
nischer Substanzen +
Förtsch, Dr., Major a. D. "Vergeschichtiieke "Töpfereigeräthe
aus der Umgebung von Halle. fel
Fritsch, K.v., Prof. Dr. Das Gefüge dilnvisler ER
gebilde am Goldberge bei Halle a.S. Taf. V-VII
Gross, Premierlieut. Der Luftballon im Dienste der Wissen-
schaft .
Kobert, R,, Prof. Dr. Ueber die Wirkmgen des Septentzionalias
Lampe, Dr. Ueber neue Fundorte der subhercinischen Kreide-
BE ee ae en ee
Marshall, W,, Prof. Vertheilung der Farben bei einheimischen
Schmeitterlingen .
— — Ueber thästgnögehphlsihe Desishangin äss südwentiicheh
Theils der palaearktischen Region zu deren —_— Hälfte
Müller, Kurt, Dr. Ueber Immunität und Immunisirung
Schmeil, O., Dr. Einige neue Harpaticden-Formen des. Süss-
wassers. 6 Figuren im Text . . u
Schmidt, K.E.F,, Dr. ee Angust Kundt, "Nachruf i
— — Zur ‚Erinnerung an Hermann v. Helmholtz . .
— — Die Elektrochemie und ihre Bedeutung für die Terkuik .
Sehulze, Erwin, Dr. Ueber das System der Pflanzen. . . -
— — Faunae mammalium saxonicae supplementum .
Simroth, Heinr., Dr. a über die Mörhologie der
Smalian, C, Dr. Altes u. Neues aus dem vr der Ameinen
Veckenstedt, Edm., Dr. Zur Bestimmung der 12 Edelsteine
am Amtsschild des Hohenpriesters . . . as ee
Seite
s AnaneE | a8
8
IV Inhalts-Verzeichniss.
Wiener, H,Dr. Die re Construction zweier Sinus-
ER ERTE (10 Figuren im Text.
at W., Dr. Prof. Der sent Schotendotter als Gift-
pflanze . .
II. Kleinere Mittheilungen.
Mathematik und Astronomie,
Die Monde des Jupiter. . Dre Bee,
Das grüsste Fernrohr der Welt. een
Ein neuer Komet Ve ee
ern der Mllchsteasse ,
Kom
Ein us rt EN ra
ie Bihenstaionen ee er
Neue Riesenferur
Die Helligkeit des erinnere Ai Die e Strahlung der Some
Der Encke’sche Kom ; ei ee .
Die Weltstellung u a LEN re sn
Auuos von Saturn und Uranus 3 0, oc ee
; Chemie und Physik,
Ucher dm Ei an IE
ee ek a a el
n Zeiss : Re En
as were der Glssindnstrio N
Optisches Verhalten der Alaune . re .
ea er ; : j
Boraluminiumbron
Telegraphiren ra Drahiverbinfung.
Schmelzpunkte anorganischer Salze .
Direkte Verwandlung zn Energie i in Licht. Ein Usi-
versal- Elektrodynamome
Ein neues ee ; Die älreeis Umwandlung de
chemischen Energie der Kohle in elektrische
Sulfide des Phosphors u. a.
Frick sches Holspleiinbiih u... ©... 2... en
Ein neuer Bestandtheil der Luft . . . . 2.2 2.0. .
Das Alpenglühen ; t
mo -; ..cu
Mineralogie und Geologie.
Quecksilberbergwerke von Avalaberg
Kopal aus Ostafrika
Die Iberger Gletschert rtüpfe
Zwei neue Fundorte von Ölrieshssbubseiiuiien re
. ” . ” . . ”
* “ ”
Seite
Inhalts-Verzeichnise,
Seite
Trinidad- er En ET DET NER
Schlier in Mähre ER ar
Gangspalten des Wochmeäkhiasse ee 269
Dür grösste Dismant . - u. nein
Neuer Fnndort für Diamanten . . : 2. 2 2 02 200.269
Südindische Kreideformation i ; res 270
Neues Vorkommen von E b g dä. Minerale 367
Musnss Oypakıyslalls . . es ar ren u 368
Botanik, Zoologie und Palaeontologie.
Kröten durch Fliegenmaden getödtet. . . » » » 2.2... 19
Zur Amphibienfauns Schlesins. . -. . . ».. .». 2... .319
Ein brütender Tintenfisch 5 122
Ein neuer Acranier . 271
Dr. P. Knuth’s blihenbiologische, Beobachtungen 271
Enchytraeiden als Rübenschädig - ‚ne 008
Essbare Flechten . . : N ee 277
Die Bacterien als Pflanzenfeinde Su SE u a ee a er
Einfluss der Nahrung auf er ee ne: BE TEE |
Ueber Alca impennis . Et 284
Die Einführung. des Seidenbauen in n Deutschländ ei. 287
Kleine Wohlthäter der Menschheit . EI RUHTN 288
Die Abstammung unserer er 289
Kreuzung eines eg Wildebers mit einem Büindener
Schwein . A . 369
Ueber die Wa liche 371
Ueber einen dtzenthlimlichen. Aufenthältiort ür Afterskorpione 373
Anpassung der Pflanzen an die Ni SOCENUEREER 375
BR Tmre 2, 0. A ee ee
Chilaspis Löwei. . a}
Unilateraler Melseisans- bei Haden striii. 458
: Insekten der Steinkohlenzeit . . 4 458
Die eierlegenden Säugethiere . 459
Mediein.
Die Geburt von Sechslingen 123
Die Fresse zur Diphtheriebehandlung des Menschen . 292
Zur Akromegali 293
Neuer pe En Photographie dos Netehantbildes 294
Veränderungen der nn bei Tabes dorsalis . 378
Die scheintodt Begrabenen s ee 378
Aus verschiedenen Gebieten.
RR
Dis Chemie den Orsams.. . sn ae
VI ° Inhalts-Verzeichniss.
DEREN 2, 2 ee er
Ueber Lawinen . A N en
Meteorologische. kant RE waren
Der in Wien am 7. Jen 1894 . 2
Litteratur- Besprechungen.
TEEN Physikalische Chemie der en 5
Barth, ‚Zur Theorie des Weltgeschehens .
Bechhold’s Handlexicon der nie siheften :
Behla, Die Abstammungslehre ete. .
Behrens, Das mikroskopische Gefüge der Metalle
Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg
Bertram, Exceursionsflora. . 5
Bücking, Sulfoborit, ein neues Borat 3 von | Westerogeln n
Dammer, Anleitung für Pflanzensammler . -
Drude, Physik des Aethers
Föppl, Einführung in die Karwellsche Theorie a. Elektrieität
Garcke, Illustrirte Flora von Deutschland . .
Haacke, Gestaltung und Vererbung. . se
Harbordt u. Fischer, Mach,s Grundriss der Physik EI
Hayeck, Lehrbuch der Zoologie . . - in
Heyne, Die exotischen Käfer in Wort und Bi te
Hofmann, Die Schmetterlinge Europas (11—18
nstructionen für Beobachter netsorolgche Bealonn
Karsch, Vademecum botanicum
Keller, Das Leben des Meeres (Lief. = 2 ü
Kerville, H. G. de, Die leuchtenden Thiere und Piiiises :
Kolibach, Naturwissenschaft und Schule, 2. Aufl.
Klimpert, Hydrodynamik .
Klingraeff, H. von, Die Leber- ni bias; u.W
Koch, Rob., Fortschritte in der Lehre von d. Gährungsorganismen
Krebs, Erhaltung der Mansfelder Seen
Krieger, Zur Kenntniss der üysenopierenlinns dos Königreichs
Ben.
Lenz, Nützliche, schädliche im Verdächtige Pilze KC Auf)
Nalepa, Zur Kenntniss der Phyllocoptiden
Ostwald’s Klassiker Nr. 43, 4851. .
Prantl-Pax, Lehrbuch der Botanik
Rohweder Blüthendiagramme .
Schreiber, Klimatographie des Könier. Bacheen..
Sievers, Amerika .
Sorge, Religion und Naturwissonschaft kalls Gegensätze
Sprockhoff, Praktische Naturkun
Stenzel, Weltschöpfung, Sintfluth 4 Gott. Basen
Sterne, Carus, Nordische Herkunft der ee
Tarnuzzer, Falb und die Erdbeben
Seite
Inhalts-Verzeichniss. Vvil
Seite
Voigt, Excursionsbuch zum Studium der ee en.
Wacker, Onze Zaadplanten 18%. . ine
Westermaier, Compendium der allgemeinen Botanik . 0. 888
Wiedemann, Elektriecität, 2. Bd.. . 142
Wiesengrund, Die Elektrieität etc. für Totaiäkın verständl. 301
Wildermann, Jahrbuch der Naturwissenschaften 93/9 . 151
Zimmer, Ueber das Wesen der Naturgesetze
Neun erschienene Werke . . . . 2» 2.2... 4,156, 815, 470
Statuten
Naturwissenschaftlichen Vereins
für Sachsen und Thüringen
Halle a. S.
a
AORFN
©: E:
Der naturwissenschaftliche Verein wurde gegründet
am 21. Juni 1848 und führt seit dem 7. Dezember 1852
den Namen Naturwissenschaftlicher Verein für Sachsen
und Thüringen in Halle a. S.
2.
Zweck des Vereins ist Pflege der Naturwissen-
schaften zur Belehrung, Anregung und Unterhaltung mit
besonderer Rücksicht auf die natürlichen Verhältnisse der
Provinz Sachsen und Thüringens.
(Zur Provinz Sachsen werden auch die natürlich dazu ge-
hörigen Ländergebiete gerechnet, nämlich ganz Anhalt sowie die
Braunschweigischen und Hannöverschen Anteile des Harzgebirges.
Thüringen umfafst die sämtlichen sächsischen Herzogtümer und die
fürstlich Schwarzburgischen und Reussischen Landesgebiete,)
83.
Dieser Zweck wird erreicht durch Vorträge und
Mitteilungen sowohl eigener als fremder Untersuchungen,
jurch Besichtigung naturwi haftlich int Orte,
Fabriken und sonstiger Einrichtungen, durch Herausgabe
der Zeitschrift für Naturwissenschaften und durch Füh-
rung einer Bibliothek (vgl. die Bibliothekordnung).
Zweck des
Vereins.
Von den
Sitzungen,
Von den
Mitgliedern.
N
54.
Die Versammlungen des Vereins sind regelmässige,
und zwar wöchentliche, am Sitz des Vereins in Halle,
und jährliche, allgemeine.
55.
Nach besonderem Ermessen werden die wöchent-
lichen Sitzungen zu öffentlichen ausgedehnt, in welchen
nur allgemein belehrende und unterhaltende Vorträge
gehalten werden.
S 6.
Es finden jährlich zweimal allgemeine Versamm-
lungen statt und zwar eine zweitägige und eine ein-
tägige.
54,
Der Ort der allgemeinen Versammlungen wird auf
der jedesmaligen zweitägigen Versammlung für die beiden
nächsten festgestellt.
Als Ort für die eintägige soll in der Regel Halie
gewählt werden.
Ss 8.
Der Verein besteht aus wirklichen Mitgliedern (ein-
heimischen, d. h. in Halle wohnenden, und auswärtigen),
correspondirenden und Ehren-Mitgliedern.
Hallische Studenten können als Teilnehmer die
Sitzungen des Vereins besuchen.
s9.
Wirkliches Mitglied kann Jeder werden, der die
Ziele des Vereins in irgend einer Weise zu fördern be-
fähigt ist.
8-10:
Die Anmeldung geschieht durch Vorschlag von
Seiten dreier Mitglieder, die Ernennung in der nächsten
Sitzung durch den Vorsitzenden.
Die Teilnehmer haben sich nur beim Vorsitzenden
anzumelden.
ran
SH.
Zu correspondirenden und Ehrenmitgliedern können
um den Verein oder um die Wissenschaft verdiente
Naturforscher ernannt werden, und zwar geschieht dies in
einer Sitzung durch Abstimmung mit zwei Drittel
Majorität der Anwesenden.
8.412;
Naturwissenschaftliche Vereine der Provinz können
als Zweigvereine unter besonders festzustellenden Be-
dingungen aufgenommen werden.
$ 13.
Die Geschäfte des Vereins leitet der Vorstand, der Vom
sich zusammensetzt aus dem Vorsitzenden, dessen Stell- Vorstande,
vertreter, drei Schriftführern, dem Kassirer und dem
Bibliothekar.
Die Wahl des Vorstandes erfolgt für ein Jahr in
der letzten Novembersitzung durch die wirklichen Mit-
glieder. (vgl. die Geschäftsordnung.)
8 14.
Jedes wirkliche Mitglied zahlt einen jährlichen Bei- Von den
trag von 9 Mark (im Laufe des 1. Vierteljahres zu Beiträgen.
zahlen) und bei der Aufnahme 3 Mk. Eintrittsgeld. Die
auswärtigen Mitglieder haben ausserdem noch 0,30 Mk.
für Franko-Zusendung der Publicationen beizufügen. —
Die Teilnehmer bezahlen für das Semester 1 Mark
Beitrag.
a 19.
Etwaige Austrittserklärungen müssen im Laufe
des 1. Vierteljahrs erfolgen, widrigenfalls der Jahresbei-
trag zu entrichten ist.
$ 16. Ss
Der Verein giebt ausser der „Zeitschrift für Natur- yonden
wissenschaften“ noch einen Bericht über die na Publicationen. nn
und den Stand des Vereins heraus. >
= A m
8:17.
Sämtliche Mitglieder erhalten die Zeitschrift und
den Bericht,- während die Teilnehmer nur den Bericht zu
beanspruchen haben.
S 18.
Von der Auf. Bei etwaiger Auflösung des Vereins geht die
lösung des Bibliothek in den Besitz der Naturforschenden Gesell-
Vereins. schaft, oder falls diese nicht mehr besteht, in den Besitz
der hiesigen Universitätsbibliothek über. Ueber den Ver-
bleib des sonstigen Vermögens entscheidet die letzte
Generalversammlung.
8 19.
Von den Aenderungen der vorstehenden Bestimmungen
Statuten- können nur nach Kenntnisnahme aller wirklichen Mit-
änderungen. ojieder auf einer Generalversammlung mit zwei Drittel
'Majorität der Anwesenden beschlossen werden.
Quedlinburg, Allg. Vers. am 16./17. Juni 1894.
Gebauer-Schwetschke’sche Buchdruckerei, Halle 2.35
Zeitschrift
Naturwissenschaften.
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh. Bergrath Dunker, Geh. Rath Prof. Dr. Freih. von Fritsch,
Prof. Dr. Garcke, Geh. Rath Prof. Dr. Knoblauch,
Geh. Rath Prof. Dr. Leuekart, Geh. Rath Prof. Dr. E, Schmidt
und Prof. Dr. Zopf.
herausgegeben von
Dr. G. Brandes,
Privatdocent der Zoologie an der Universität$Halle.
67. Band.
(Fünfte Folge. Fünfter Band.
Erstes und Zweites Heft.
Mit 1 Tafel.
Ausgabe für Vereinsmitglieder.
Iochält.
I. Original-
Dathe an des Färbeproz
‚Derschau, Max v., Dr., Hilfsmittel ie Sehling- und Ranken-
Forreie Di, "Maj or a. D, „Vorgeschichtliche "Töpfereigeräthe
aus der Feier von "Halle.
Gross, Premierlieut., Der Tathalie “ Dienste der "Wissen-
schaft,
ee ke W, ‚Prof, Vertheilung der Farben bei einheimischen
chm ;
Schmidt, K. E. F, ‚Dr. Pr ivatdoe,, August Kundt, Nachruf
-Smalian, 'C, Ir, Ältes und Neues aus dem Leben der Ameisen
Zopf, W., Dr. Prof., De erepisblittrige Sehotendotter als Gift-
pflanze : i
en Kleinere Mittheilungen.
Mathematikund Astronomie: neue ee Be en
Das grösste Kara der Weit 9. 111. — Ein neuer Komet
Chemie und Physik: Ueber Alaune 8. 113. — Platinmetalle
Mine ralogie undGeologie: Queeksilberbergwerke von Avala-
‘berg S, 117. — Kopal aus Ostafrika S. 118. — Die Iberger
un serie Ss. 118. —
Botanik, Zoologie und Pa alaeontologie: Kröten durelı
-Fü eptnmaden getöderS. 119.— Zur AmphibienfaunaSchlesiens
119, — Ein brütender Tintenfisch S. 122.
Weitere: Die Geburt von Sechslingen S, 123.
Aus verschiedenen Gebieten: Pielgifte 8 . 126.
Litteratur-Bespreehungen .. ee Ne
5 Neu era,
ARHETKUNE
ins. — Rede pe
‚von ke er Mi
d Zu r Grundm
erke. ” - wu ” “ - » * . - * ” Sr he
/wei hervorragende Erscheinungen
für den
botanischen und mathematischen Unterricht
an den höheren Lehranstalten
aus dem
Verlag von E. F. Thienemann in Gotha.
Vor kurzem erschuen:
a» lütendiag ramme nebst Längsschnittbildern von aus-
gewählten einheimischen Blütenpflanzen, als Vertreter der
Hauptabteilungen des natürlichen und des Linneschen Pflan-
zensystems, zur Einführung in das Verständnis des Blüten-
baues und als Muster für das Diagramm-Zeichnen. Von
J. Rohweder. 24 Tafeln mit 96 Abbildungen in Farben-
druck und 16 Seiten Text. Gr.-40, in eleg. Mappe. Preis 6 #.
Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder gegen Einsendung des Be-
trages direkt franko durch die Verlagsbuchhandlung.
Zu näherer Orientierung verweise ich auf die unten abgedruckten Be-
sprechungen und erbiete mich überdies, denjenigen Herren Fachlehrern, welche
am Orte keine Buchhandlung haben, gegen Einsendung von 20 Pf. das Text-
heft (mit Inhaltsverzeichnis) und eine Probetafel franko zu übersenden.
Auszüge aus den bis jetzt erschienenen Besprechungen:
Der Unterric ir in der Botanik hat in nenerer Zeit wesentliche rg itte
gemacht, seitdem « nn eingeschränkt worden ist und an r Stelle.
das Selbstsehen nn ei as Zeichnen des Angeschauten een Sana: onnen |
hat. Als ein Hilfsmittel für sole Ei Unterricht hat der längst in pers Krelcle
als ein tüchtiger Beobachter und Methodiker bokansike Nee J. Boh-
weder in Husum die hier vorliegenden ‚;, Blütendiagramme“ Ha
arten werden in 96 farbigen Figuren nach Grundrifs und anche der Blüten
dargestellt. Die einzelnen EDER. n haben bei 6—7 em Durc
si hen en erfung der Di Anler nme hehe re üchige Winke 7:
, des Lehre er EB wird vielseitig are geheifsen werden. — Das ganze Werk
ist für die Hand des Lehrers einzelner Baer Schüler bestimmt,
Die A ee ist N eine er er tbere. + , 3
i reman!?n 2 ai BUCHENKUs
(Ze FIFR f- SBASIN ou nal 1898, Heft 3. ME
. Dieses Buch verfolgt den Zweck, das Studium der Botanik durch he.
führen iängster Fühlung zwischen i Theorie und rag er Anschauung zu för
che he
es. is a wen Tina „. wele eim. Unterricht in der a
omie auch m je unterschätzt worden = dafs durch das Zeichnen de
Objekte 2) Schärte, den Beonachmung g: ethö ht‘ Wird, Bei. dem..Stucdium; ‚der Mor
ph hat ‘dieses Prinzip ‚bisher Ya Eingang 'geftnden, und es ist daher
Er er u ee dafs der Verfasser des en Werkes dieser An
A : x Kan 2
un
seine ihn ed
und zu nn: Bethätigung seiner Beobachtungsgabe anne n. Über den
des Studiums der Blütendiagramme zum Zwecke des Erlernens der botanische
Systematik Mas kaum jemand Zweifel hözen, und. es sollte daher niemand ve
'sä n, dem in jeder Beziehung Anerkennung verdienenden Eehrmitte
wir in Rohw een „Blütendiagrammen“ besitzen, zu Be weiter Verbreitung un
unseren jüngsten Fachgenossen zu celhe en. „Eharmasgut Ak Nr. 26
Das vorliegende Werk hat sch die Auge ge stellt, ‚ine systema
teilung der phanerogamen u ar a . Blü < wer ap nen
lieher Weise zu bearbeiten; die n Ma
ee ect. Die Einlei eitung, Ze 1 Abhandlung aa Bi, Gt einfach ech
en ‚und ‚deutlich, dafs dies für führung in Diagra voll-
8 ee eichend Er "Eine isch " Übersieht über ee I
vollatandigi ER De Text. Als ganz vorzüglich müssen die Zeie
. gramime hingestellt werden, /deren elegante 'Ausführu ER
' läßt. Das ganze Werk- liegt handlich in ge Mappe;
sich leicht in enache, =. trenn nen, wa m Zw ecke * n
schieden geeignet er Preis ist in anbetracht der FOTSBEBPRRG: Ausmiapns
a“ Tafeln als ein ee re zeichnen.
ererhe Centralhalle 1893, ir. 12
.... Wenn inan jedoch von diesen re in: bezug auf die r it
bsii n wohl , dafs die "Taicin v
arb
er stellen Dia agramme und Blütenlängss schnitte v -
die zum gröfsten Tei . ent ausgewählt sind, Saba uch einige von geri ingere
deutung ... . enthalte % z |. aber- müssen Auswahl and 1 Darstellun
ganz geschickt seh werd :
mar lan Kon Text giebt einen sehr kurz gehaltenen, beinahe
Nomenkla 2 menklato! ce; brifs‘ der! Mor ologie “
Einteilung de Brit Fine) ee Bao Sander RE ist, eine Anleitu
gramms und eine kurze Übersicht über
: een und er Et ee ia sich, trotz. er Gogenreden noch
ganz aus der Behuie e entfernen 3 ist. . ADERHO!
Be Een Zeitung 1208; Nri
Be „Bei. va Auswahl der. Bilder ne auf das bei dein: Unt
in. erster Linie Rücksicht genommen; . ‚die
und s ” ee Ö u
W hs Verse ielnrt serinde: ‚die MER Me u ars: Zeilen Age
der,s \ icrit, weil
er hat a aher auch stefs als Kelten Mittel zur Erkläfung eg seinem
Adern uhgeietnägt: die ‘vorliegenden Diagramine aber übertreffen an’ 'Deutlich-
keit. und Schönheit der Ausführung alles, was. ihm .in,der, Beziehung bisher zu
Gesi cht ea a8,
och einmal sei das kit) auch äußerlich ER nei besonders
ee empfohlen Nana,
Luckenwalde,
Höck.
3 eraz air Centrajblatt, 14. Jahrgang, Nr. 5/6.)
Der Versuch and Vertawers, den Unterrieht in der Botanik sgrate Fe
yon Blütendiagran beleben, kann: nur mit Freude begrüfst
- Wir nbichlen.: däher Röhweders Biitendiapratbme allen Tehrern der "Botanik
ae: Wärmste und ig aegreg dem Bäbkanger wen bald eine-ne ® Aut flag
. Fiscner-Besz
(Die Heimat, 3. Ars gang, Aprinept. ji
= in Betanischen Unterricht stellt sich. ‚bei Aneignung‘ der wichtigsten 'B a
r Morphologie ‘bei Behandlung der Sy steme ‚leicht red ea der
üler »ein,,odie | er a ‚Hier‘
tische Anw
isgrstinch Inzigigr a sung! inber in der Praxis noch wenig geübt wurde, zur
Geltung ring ngen.... r halten das Werk er = ee
mnasi Beainckükten Semin he ne ei ö
erwertung Die r. Diagramme wird reichlich Beth: dimich * re Einsicht ;
wunderbare Gesetzmäsigket = Aegenginusen und durch leichte er Kazur ne &
“bei Vergleichungen u = Ein n Systeme. ‘Es eignet sich ebenso trefflich für
Selbstunterricht wie zu angen Korea er er Austüllung von Mufsestunden; die zeichnerische
= Serkeengee ar der einzelnen Blütenformen in Verbindun ng eatt aufmerksamer, sinnige
der: unendlichen Formen- und Farbentlle, > in dor r Blütenwelt
sich OMenbart, arg reichen nn inn für Geist md Gem
2 zeiger f. d. Eee en Tieratur 1093, Nr. r
Mit & Vergnügen haben. wir diese Blüten-Diagramme empfangen; .da ®
emung, sind, dafs: damit. vielen ein angenehm es Geschenk ‚bereitet: wird. ‚Denn,
n ei in. bota ba Ken aus Abbildungen = E:
r jemals Viberazise h Gelegen heit ‚empfing, wi
er
es &!
re kin Panne: eraehan
‚Formen . "mil, zur. ne eig 2 &
gr .
zeichneten Dure rt Biumen ich x*
nn ng, eine auseichende Ds he des Sinmschlagenden Weges gegeben, u
yon Realschulen, Seminaren ‚Präparanden-Anstalten
Iandwirtschaftl Se Bchulka das Interesse an dem en -Zeichn
2 Es handelt air damit, wie wir fest glauben, um eine
; Me en eye botanischen Unterrichts, und wir gra i
Ve rfasser aus vollem Ka zu seinem Vorgange.
Vierstellige logarithmisch-trigonometrische Tafeln
nebst einigen physikalischen und astronomischen Tafeln, für
den Gebrauch an höheren Schulen zusammengestellt
von ©, Rohrbach, Dr. phil. Ye nd am Gymnasium
Ernestinum zu Gotha. Preis 60 P
Aus dem Vorwort:
em vo Jahresfrist der Übergang von den ‚bisher am sms
eschlosse
Logari
übernah Verfasser die Bearbeitung dieser neuen ee auf
nd : icht au
n hte
Die Einrichtung der Tafel ist dem seit Bremikers sechsteliger Tafel (1852)
allgemein eingebürgerten Muster nachgebildet mit nur einigen leicht erkennbaren
Abweichungen, unter denen die Änfügung einer Spalte mit der Überschrift ,, 19%
= hauptsächlichste ist; sie erleichtert durch Erhöhung der Symmetrie die Über-
‚vor ‚allem die Interpolation, 2. man nicht genötigt ist, zur Bildung der
f£ Ra m gelassen och w
Für Mitteilung von Wünschen in dieser Richtung für eine zweite Auflage würde
r Verfasser dankbar sein. Für die Genasigkelt,. ERRERREN der astronomischen
die
eln, galt als Prinzip eine Anpassung an nauigkeit, die mit den instru
mentellen Hilfsmitteln der Schule (Sextant, ee etwa zu erreic i
ügung einer graphischen aeg des Verlaufes der eh
Zur Einsichtnahme und Prüfung der |
Tafeln von C. Rohrbach, welche trotz ihres kurzen Bestehens bereits in einer
gröfseren Anzahl höherer Schulen eingeführt sind, stelle ich den Fachlehrern
je ein Exemplar, wenn unter Beifügung des Direktoratsstempels ahrer An-
stalt verlangt, gern gratis und franko zur Verfügung und bitte
gegebenenfalls direkt zu verlangen.
Hochachtungsvoll
E. F. Thienemann,
Verlagsbuchhandlung. 2
(rotha. |
Druck der Engelhard-Reyherschen Hofbuchdruckerei in Gotha.
Se
Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
Oeffentlicher Vortrag, gehalten am 18. Januar 1894
im naturwissenschaftlichen Verein für Sachsen - Thüringen.
Von
Dr. C. Smalian,
Halle a. S
Wenn der Frühling auf die Berge steigt, dann ziehen
die Schaaren der Sammler, Naturfreunde und der Forscher
hinaus, um dem Gethier der eben erstandenen Natur nach-
zustellen. Mischen wir uns unter diesen Schwarm, nicht
um Thierleichen einzuheimsen und sie in Schubladen und
Kästen mumifieirt zu bewahren, sondern um als Bio-
logen zu versuchen, in das Problem des Lebens etwas ein-
zudringen.
Fern den Küsten des weiten Meeres mit seiner über-
wältigenden Fülle des Lebens lassen wir uns genügen mit
dem, was die feste Scholle bietet. Mitten hinein in das
Territorium derer, welche sich als Insektenkundige, als
Entomologen bezeichnen, geht unsere Wanderung. Wir
überlassen ihnen heute gerne die farbenprächtigen Segler
‚der Lüfte, die Falter, und die gleissenden Panzerleiber der
Käfer. Nach einem engen Winkel der Kerfthierwelt, un-
scheinbar nach aussen, aber voll von interessantestem Leben,
steht unser Sinn. Ein Haufen flanzen-
reste, wimmelnd und kribbelnd von Ameisen, ein Höhlenbau
solcher Wesen unter Steinen oder Baumrinde wird uns
fesseln.
: Jahrhundert seit Perer Huser haben ag diesen a -
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 67. 1994 SE ee
Der sprichwörtliche Fleiss der „Emsen“ und irre
mannigfaltig ausgebildeten Instinkte zogen bereits das
Interesse der Alten auf sich. Allein erst in dem letzten
2 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
eine Anzahl geistvoller Specialisten zugewendet, die von
der Betrachtung der biologischen Eigenthümlichkeiten der
Ameisen geleitet, in ihre psychischen Eigenheiten einzu-
dringen versuchten; in künstlichen Ameisennestern zogen
sie nach dem Vorgange von ForEeL und Lussock das Ex-
periment in die Untersuchungen hinein und machten die
errungenen Resultate zu Bausteinen einer vergleichenden
Psychologie, ja setzten dieselben mit den metaphysischen
Fragen nach der Herkunft und Ausbildung der organischen
Welt überhaupt in Beziehung. Es mag sich daher immer
wieder lohnen, dem merkwürdigen Wesen und Treiben des
Ameisenvolkes an der Hand neuerer Forschungen nachzu-
gehen, die Resultate der Forschung zusammen zu stellen,
Probleme anzudeuten, ohne in Einzelheiten aufzugehen
und dem Specialforscher vorzugreifen, eine Sünde, die
man in einem allgemein orientirenden Vortrage nicht be-
gehen soll.
Dem unbefangenen Beobachter tritt in der Ameise das
Bild regster Lebensenergie und hervorragender psychischer
Bethätigung entgegen, und es nimmt daher nicht Wunder,
in dem leicht beweglichen Mechanismus des Leibes und
der Sinnesapparate, des Sensoriums, die causal geforderte
organologische Grundlage zu finden. Vor allem hat der
vordere Abschnitt des Centralnervensystems eine ausser-
ordentliche Ausbildung erfahren.
Bekanntlich wird das Centralnervensystem der Insekten
dargestellt durch das Bauchmark, jenen nervösen Strang,
dessen Anschwellungen, die Ganglienknoten, dort am stärk-
sten ausgebildet sind, wo es gilt, besondere Werkzeuge,
wie etwa die Muskeln des Bewegungsapparates, zu in-
nerviren. Der vordere Abschnitt des Bauchmarks besteht
aus drei Stücken, einem Unterschlundganglion, einem Ober-
schlundganglion und dem nervösen Bindestück beider, der
Kommissur, welche den Schlund umgürtet. Diese Stücke,
welche bei manchen Insekten oft weit jenen Ganglien an
Masse nachstehen, welche den kräftig entwickelten Be-
wegungsapparat innerviren, sind bei den Ameisen stark
Von Dr. ©. SMALIAN. 3
ausgebildet. Dies gilt insbesondere vom Oberschlundganglion
und erklärt sich zum Theil daraus, dass mit ihm die Sinnes-
werkzeuge, vor allem die Augen nervös verbunden sind.
Wenn man das Oberschlundganglion als das Hirn der In-
sekten bezeichnet, so ist dabei nie zu vergessen, dass diese
Gleichstellung mit dem Gehirn der Wirbelthiere, also auch
des Menschen, nur in physiologischem Sinne, also gemäss
den Funktionen dieses Körpertheils, berechtigt ist; ob sie
auch morphologisch begründet ist, muss trotz der ein-
gehendsten Arbeiten noch als ein Problem angesehen wer-
den. Sehen wir ab von der Frage, ob das Hirn der In-
sekten nur für den Kopfeomplex eine Rolle spielt, oder ob ihm
wie dem Hirn der Wirbelthiere die Controle über die
anderen nervösen Centren zukommt, so dürfte so viel fest-
stehen, dass an das Hirn der Insekten vorwiegend die
seelischen und wichtige Sinnesvorgänge geknüpft sind.
nd wenn man aus den so verschiedengradigen seeli-
schen Ausdrücken im Leben der Insekten Schlüsse ziehen
darf auf den Bau des Hirns in Analogie zu den Verhält-
nissen der Wirbelthiere, so wird man einen complieirten
Bau des Hirnes dort erwarten, wo höhere Seelenthätigkeiten
in die Erscheinung treten. Das beweisen in der That die
seelisch höher stehenden Insekten, in Sonderheit diejenigen
der Hautflügler. Und unter ihnen weist das Ameisenhirn
nach den Ausführungen des grossen Histologen Levpıa
den verwickeltsten Bau auf, entsprechend den mannigfal-
tigen seelischen Bethätigungen dieser Thiere. Es kann
hier nicht der feinere Bau dieses Hirnes betrachtet werden.
Auf eines ist aber aufmerksam zu machen: Während die
Hirne seelisch tiefer stehender Insekten, so derjenigen,
welche keine persönliche und andauernde Brutpflege treiben,
eine relativ sehr einfache Hirnmasse besitzen, so zeichnet
das Hautflüglerhirn eine Zuthat zu den primären Hirnlappen
aus, indem rückwärts gewendet zu beiden Seiten der Mittel-
linie stielförmige Auswüchse, die corpora pedunculata aut-
treten. Diese complieiren sich in ihrem Aufbau und ihrer
Form bei denjenigen Hautflüglern, bei welchen man eine
ausgezeichnete Brutpflege und damit ausgeprägte sociale
Instinkte beobachtet. Sie sind am meisten bei den Ameisen
u
4 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
differenzirt, merkwürdiger Weise auch bei den Männchen,
welche bekanstlich an der Brutpflege nicht betheiligt sind;
letzterer Umstand darf allerdings nicht weiter befremden,
wenn man bedenkt, wie bei höheren Thieren, z. B. den
Säugern, für die Brutpflege so typisch angepasste Organe
wie die Milchdrüsen und Brustwarzen ebenfalls dem männ-
lichen Geschlechte, wenn auch rudimentär, zukommen. —
Die physiologische Bedeutung einer solchen Oberflächen-
vergrösserung des Ameisengehirnes wird im Allgemeinen
klar werden durch die Vergleichung analoger Verhältnisse
bei den höheren Thieren, wenn wir auch zur Zeit davon
Abstand nehmen müssen, eine Lokalisirung der seelischen
Thätigkeiten, wie sie an einzelne Hirntheile der Ameisen
geknüpft sein können, aufzufinden. Im Uebrigen wird auch
die relative Hirnmasse, wie bei den höheren Thieren, so
bei den Insekten und im Speciellen bei den Ameisen einen
gewissen Maassstab für die höhere oder mindere Begabung
abgeben.')
Mit dem Hirne sind ausserordentlich wichtige Theile
des Sinnesapparates, die zusammengesetzten und die ein-
fachen Augen, sowie die Fühler verbunden. Wenn man
den Ausführungen Wasmanw’s?) zustimmen darf, die psychi-
schen Thätigkeiten der Ameisen seien vorwiegend die Pro-
dukte des sinnlichen Empfindungs- und Vorstellungs-Ver-
mögens, so würde der Bau des Ameisenhirnes eine dazu
passende organologische Illustration sein, da in ihm die
engste Verbindung stark ausgebildeter und verwickelt ge-
bauter Sinnesapparate vorliegt und zu einem Theil wenig-
stens die stärkere Hirnausbildung veranlasst zu haben
scheint.
Für den Gesichtssinn werden die seitlich stehenden,
zusammengesetzten und die in der Mitte des Kopfes stehen-
den einfachen, die Nebenaugen in Anspruch genommen.
Uebergehen wir den Bau dieser Apparate, der so typisch
auch andern Insekten eigen ist, so dürfen wir über die
pbysiologische Bedeutung derselben Folgendes als Resultat
el a Die Insekten. I. Theil, p. 251—256.
ASMANN, Die zusammengesetzten Nester und gemischten
a der Ameisen,
rien a hd EEE ren neh ae NET
Von Dr. C. SmaLIan. 5
der Versuche ansehen, deren eine grössere Anzahl gerade
an den Sehwerkzeugen der Ameisen gemacht sind.
Ueber die Bedeutung der einfachen Augen der Insek-
ten, also auch der Ameisen, wissen wir absolut nichts
Sicheres. Fliegen und Ameisen, deren Nebenaugen von
ForeL mit Lack überzogen wurden, liessen in ihren Be-
wegungen nichts Aussergewöhnliches erkennen. Trotzdem
wird man nicht mit PrAreAu die so verwickelt gebauten
Nebenaugen als rudimentäre Organe auffassen dürfen, da
die Spinnen bekanntlich nur diese einfachen Augen be-
sitzen. Nach PrAreau sind die Spinnen sehr kurzsichtig.
Die Summe der einschläglichen Thatsachen scheint die
Meinung am annehmbarsten zu machen, dass die „Neben-
augen dem Sehen im Dunkeln und aus der Nähe dienen“. ')
Ganz anders stehen dem die zusammengesetz-
ten Augen der Ameisen gegenüber. Lackirte Foreı.
dieselben, so benahmen sich die Versuchsthiere wie im
Dunkeln. Wenn Ameisen mit lackirten Augen ihre Nest-
genossen erkannten, so ist das ein Beweis, dass das
Wiedererkennen seinen Sitz in einem andern Sinnesgebiete
als in den Augen hat. Wie die Ameisen und die Insekten
überhaupt sehen, darüber gehen die Ansichten auseinander,
und es ist hier nicht der Ort, auf die bezüglichen Theorien
einzugehen. Was die Ameisen mit den zusammengesetzten
Augen zu erkennen vermögen, wissen wir ebenfalls nicht.
ScHinper’s Versuche mit versehiedenfarbigen Papierstück-
chen, von denen etliche mit Zuckerlösung benetzt waren,
zeigten, dass die Ameisen auf alle von der Umgebung
farbig abstechenden Schnitzel zuliefen, auch auf solche,
welche nicht etwas Geniessbares darboten. Danach wären
die Thiere nicht vom Geruch, sondern von den Farben
geleitet. Das stimmt zu der Thatsache, dass überhaupt
ein grosser Theil von Insekten von Farben angelockt wird;
denn xur hierin ist ja die Farbenpracht der Blumen in all’
ihrer Eigenart begründet im Dienste der Bestäubung. Dass
die Farben als solche erkannt werden und auf das Auge
1) Näheres über die Bedeutung der Nebenaugen siehe bei LuBBocKk
Die Siune und das geistige Leben der Thiere. p. 179—185.
6 | Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
der Ameisen verschiedenartig einwirken, scheinen Lussock's
Versuche!) zu beweisen. FOrREL schliesst sich der Lussock-
schen Ansicht an, dass die Ameisen Licht verschiedener
Wellenlänge empfinden könnten und auf Violett und Ultra-
violett sehr energisch reagirten. Demgegenüber hat GrABER 2)
diese Empfindlichkeit auf ein Allgemeinbefinden der Haut
zurückführen wollen, allein man wird Luzsock beipflichten
können, der den Chitinpanzer der Insekten für Licht nicht
durchlässig betrachtet. Lussock’s 3) zahlreiche Experimente
ergaben weiterhin, dass von verschieden gefärbten Gläsern,
welche mit Honig benetzt waren, die blauen am meisten
von Ameisen besucht wurden, die übrigen in der Reihen-
folge: Weiss, Gelb, Sekarlachroih, Grün, Orange; unge-
färbte Gläser wurden, wie bei dem Scummrzr’ schen Ver-
suchen, weniger besucht, als gefärbte. Das stimmt zu den
Beobachtungen Kerxer’st) an der Honigbiene: Gleichzeitig
neben einander blühende Blüthen des blauen Ysops /Hys-
sopus offieinalis), der blass-violetten Monarda fistulosa wur-
den von Honigbienen stark besucht, die dicht daneben
blühende scharlachrothe Monurda didyma dagegen ver-
mieden. KER"ER ist in seinem Urtheil vorsichtiger als
Luspock; er spricht bei den Bienen nicht von einer Vor-
liebe für Blau und von dem Verabscheutwerden von Roth,
während Lussock von einer Vorliebe der Ameisen für Blau
redet. Denn Kerxer hält es nicht für ausgemacht, dass
dasScharlachroth überhaupt übersehen werde. Und Lussock’s
Versuche können allerdings höchstens zeigen, dass Blau
leichter gesehen wird, als andere Farben, daher auch
häufiger aufgesucht wird. Das ist das Wenige, was wir
von dem Sehen der Ameisen thatsächlich wissen.
Die Thatsache, dass Bienen, Wespen und Ameisen
sich mit grosser Sicherheit in ihre Behausungen zurück-
finden, hatte Lussock einen vielleicht vorhandenen Rich-
tungssiun vermuthen lassen; seine darauf bezüglichen Ver-
1) LuBBock 1. c. p. 205—213.
2, ibid. p. 207.
3) ibid. p
4) Ka, Ds ssnichen. Bd. I. p. 191.
nn Sun a a 3 hy ler, 0 Ahr rt
a nn u ann
Von Dr. C. SmALIaAn. 7
suche ergaben aber bisher keinerlei Anhalt zu solcher
Annahme.
Dass Ameisen hören können, scheint heute zweifel-
los zu sein, da sie gleich anderen Insekten Töne (dies auch
meist nur durch sehr leise Geräusche) hervorbringen können;
denn man wird wohl nicht annehmen dürfen, dass Geräusche
hervorgebracht werden, damit sie nicht gehört würden.
Bei den Bienen ist das Töten der Königin als Alarmsignal
längst bekannt, ebenso kennt man lange die Tonerzeugung
der Mutillen. Dort wie bei manchen Ameisen wird das
Geräusch von einem sogenannten Stridulationsapparat her-
vorgebracht. LAxno1ıs?2) beobachtete, wie die Mutillen den
ihnen eigenen Ton durch Aneinanderreiben der Hinterleibs-
ringe hervorbrachten. Und wer einmal zirpende Bockkäfer
beobachtet hat, weiss, wie hier die Geräusche durch Reiben
des Kopfes gegen die Brust erzeugt werden. LAxpoıs und
Luzsock 3) wiesen alsdann den Schrillapparat an echten
Ameisen nach /Lasius fuliginosus und Lasius flavus). Neuer-
dings hat Ros, Wrousc#ton®) an indischen Ameisen (/Orema-
togaster Rogenhoferi) einen „deutlich zischenden Laut“ dann
vernommen, wenn er die Thiere in ihrer „braunen Papier-
nestern“ beunruhigte. Er deutet den Ton als Alarmsignal,
und er hörte einen „äbnlichen, obgleich leiseren Ton“, wenn
er ein Nest von Camponotus oder Polyrhachis spinigera er-
schütterte. A. FoREL5) hat schon vor 20 Jahren über Ge-
räusche bei Camponotus berichtet, die er als Alarmsignale
deutet, und welche dadurch entstehen, dass die Thiere
„nicht nur einander lebhaft schlagen, sordern zugleich den
Boden zwei- oder dreimal nach einander wit ihrem Hinter-
leibe“. Wasmann6) tritt der Deutung als Alarmsignal bei,
stellt aber zur Frage, ob die Wahrnehmung des Signals
für die Ameisen eine Gefühls- oder eine Gehörswahrnehmnng
sei, ob nicht etwa die leise Erschütterung der Unterlage
1) LUBBOCK, 1. c. p. 274,
2) a : n
Si
4) e EN IX. p. 26 und 27,
5) Forer, Fourmis de la Suisse p. 354.
6) one Stimmen aus Maria-Laach 40. Bd. AN: p. 214.
8 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
vermittelt wird. Wasmann beobachtete übrigens Myrmica
ruginodis, welche ein „leise zirpendes Geräusch“ hervor-
brachten, indem „die aufgeregten Thiere heftig ihren Hinter-
leib auf und ab bewegten“. — An derselben Art hat
A. H. Swıntonx!) bereits viel früher die gleiche Beobachtung
wie Wasmann gemacht; er hat auch die Schrillorgane,
hervorspringende Leistchen, an der Basis des Hinterleibes
und am zweiten Stielchenglied nachgewiesen. Emery2)
wies an amerikanischen Ameisen (Paraponera und Pachy-
condyla) den Schrillapparat nach; die breite Gelenkfläche
des zweiten, dem Stielchen folgenden Hinterleibssegmentes,
zeigt dort, wo es in das erste eingestülpt ist, eine feine
Querstreifung, und es gelang ihm durch Reibung der Flächen
an einander am todten Thier das Zirpen künstlich zu er-
zeugen. Dasselbe konnte EmErvY an Pachycondyla flavicornis,
die ihm aus Parä geschickt wurden, nachweisen; die ver-
nommenen Töne ähnelten denen der Mutillen.
Es fragt sich nun, ob auch Gehörapparate bei den
Ameisen bekannt sind, welche jene zweifellos erzeugten
Lautäusserungen zu verlähinet im Stande sin
In Analogie zu den Gehörapparaten der ar Ren
welche GRABER in dem Schienbein dieser Thiere beschrieb
und eingehend studirte, entdeckte im Jahre 1877 Lussock ®)
bei Ameisen in dem nämlichen Körpertheil einen ähnlichen
Apparat (bei Lasius flavus, Myrmica ruginodis, Pheidole
megacephala),. Bei den beiden letztgenannten Formen,
welche durchsichtig sind, kann der Apparat durch die
Haut hindurch gesehen werden, so auch die glänzenden
Hörstifte. Andere durchsichtige Arten zeigten’ den Apparat
nicht, und so ist es möglich, dass er nur manchen Arten
zukommt. In seinem Bau aber ist er dem sogenannten
Gehörapparate der Heuschrecken sehr ähnlich.
') A.H.Swıntos, Note on the stridulation of Myrmica ruginodis
and other Hymenoptera. Entom. Monthl. Mag. XIV. 1878— 1879.
p. 137,
MERY, ., und springende Ameisen. Biol. Centraibl.
Bd. XIII, 1893 No.
3) LUBBOCK ie c. p. 108 und 109.
a &
N NER NEE
Von Dr. C. SmaALIan. 9
Sinnesapparate, welche im Dienste des Geschmacks-
sinnes stehen, stellen sehr wahrscheinlich eigenthümlich
modifieirte Haare im Munde oder auf benachbarten Organen
dar, wie Lussock!) an Lasius nachwies. WASMARN?) gelıt
auf die Ausbildung der Nebenapparate der Fresswerkzeuge
näher ein und zeigt höchst beachtenswerthe Beziehungen
derselben zur Ernährungsfähigkeit dieser Thiere auf. Er
führt aus, dass Insekten, welche sich füttern lassen, rück-
gebildete Taster (Palpen) besitzen. Ja es lässt sich aus
dem Grade der Rückbildung dieser Organe fast ablesen,
ob die Thiere mehr oder weniger abhängig von andern
sind. Das beweisen Käferchen (Pselaphus, Claviger, Ate-
meles, Lomechusa), welche von Ameisen gefüttert werden,
das beweisen jene Ameisen, welche sich von andern füttern
lassen; so hat Anergates atratulus, welche am abhängigsten
von ihren sogenannten Scelaven ist und ohne diese ver-
hungert, nur noch zweigliedrige Kiefertaster und einglie-
drige Lippentaster. Die Taster aber dienen vermuthlich
der „Rekognoseirung und Prüfung geeigneter Nahrung“.?)
Besonders hoch ausgebildet scheint der Geruchssinn
der Ameisen zu sein. FOrREL und Luseock sprechen diesen
Sinn den Ameisen in hohem Grade zu. ForEL bemerkte,
wie die grosse Rossameise (Camponotus herculeunus) den
Honig aufstöberte, den ein aus Gips für Strongylognathus
testaceus hergerichteter Zwinger enthielt. Es war unmög-
lich, dass Camponotus den Honig sehen konnte, sie konnte
ihn nur gerochen haben. Mit Luzsock#) hat man die Fühler
als Sitz des Geruchssinnes anzusehen, der hier mit dem
Tastsinn seine Stätte gefunden hat. Lussoor’s Versuche
scheinen in der That zu beweisen, dass die Sinnesapparate
der Fühler Geruchsorgane sind. GRrABEr’s5) Amputationen
von Insektenfühlern, deren Träger dennoch Geruchssinn
behielten, beweisen nicht das Gegentheil, denn die Versuche
1) LUBBOcCK 1. c. p. 31.
2) WaAsmann, Die zusammenges. Nester etc. p. 69, 70, 71.
3) ibid. p. 71.
4) LUBBOCK 1.c. p. du. 4
5) GRABER, Grundversuche ai die Wirkung und die Aufnahme-
stellen chem. Reize bei den Thieren, Biol. Centralblatt 1885.
10 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
GRABER'S und LUBBOCK'S weisen noch auf einen zweiten
Sitz des Geruches hin, nämlich auf die Taster des Mundes,
auf die Palpen. Die Erscheinung, dass die Ameisenindi-
viduen einer noch so grossen Colonie stets einander er-
kennen, nachdem sie sich gegenseitig mit den Fühlern be-
rührt haben, dass sie aber jedem Individuum auch der
eigenen Art feindlich begegnen, sobald dasselbe einem
fremden Neste entstammt, hat die Ameisenkundigen ver-
anlasst anzunehmen, der Sitz des Wiedererkennungsver-
mögens seien die Fühler und es beruhe auf dem Erkennen
eines jedem Neste und seinen Insassen anhaftenden speeci-
fischen Geruches, dem Nestgeruch fodorat au contact, FOREL),
Lussock’s Ameisen erkannten sich noch nach einem Jahr
und neun Monaten wieder; auch dieser Forscher sucht den
Sitz des Wiedererkennungsvermögens in den Füblern, wenn
er gleich nicht sich für den odorat au contact Forer's aus-
spricht. Dagegen steht WAsmann diesbezüglich auf der
Seite Forer’s, Nach ihm haftet der Nestgeruch aber nur
den ausgefärbten, völlig fertigen Ameisen an, während die
eben der Puppenhiülle ledigen, jungen Thiere, ferner die
Puppen und Larven der Ameisen, mögen sie aus dem
Neste der Art stammen oder aus fremden Nestern geraubt
und eingetragen sein, des Nestgeruches noch entbehren
und von ihm als „international“ bezeichnet werden, während
die erwachsenen Thiere eben im Nestgeruche ihr „Na-
tionale‘“ an sich tragen. International sind nach ihm eben-
falls die Larven und Puppen jener Käferchen, die man als
Gäste der Ameisen bezeichnet. Der odorat au contact spielt
bei der Erklärung des häuslichen Lebens der Ameisen eine
bedeutsame Rolle.
Nach dieser Uebersicht über das nervöse Element und
über die wichtigsten Daten des Sinnesgebietes der Ameisen
treten wir ein in die Betrachtung der Lebensverhältnisse
dieser merkwürdigen Thiere. — Beobachtungen in künst-
lichen Nestern veranlassen Lussock, den Ameisen ein Alter
von 5 bis 8 Jahren zuzusprechen, während Wasmann die
Maximalgrenze auf 13 bis 20 Jahre angiebt.
In der Geschichte der Erde und der sie bevölkernden
Thierwelt stossen wir in den alten Schichten, im Palaeo-
Von Dr. ©. SmaLıan. 11
zoicum noch nicht auf die staatenbildenden Insekten. Aus
dem Mesozoicum, dem Mittelalter der festen Erdrinde, soll
angeblich eine Ameise bekannt sein, und zwar aus dem
Lias, also dem unteren Jura. Innerhalb des Kaenozoicums
tritt im Tertiär, jenem Zeitalter, das auch in unseren geo-
graphischen Breiten tropisches und subtropisches Klima
zeitigte, die Ameisenwelt in erstaunlicher Fülle auf, ja viel-
leicht erreichte sie in dieser Epoche der Braunkohlenbil-
dungen ihre höchste Blüthe. Ameisenreste aus dieser Zeit
sind vor allem aus Süsswasserabsätzen und als Bernstein-
einschlüsse bekannt; es ist klar, dass ihre Leiber leicht,
etwa vom Winde oder durch kleine Gewässer, in welche
die Thiere fielen, in den Schlamm der Süsswasser ge-
langten; und es ist einleuchtend, dass Meeresabsätze an so
kleinen Resten typischer Landthiere arm sein oder der-
selben entbehren müssen. Bemerkenswerth ist, dass die
tertiären Ameisen bereits neben den beiden Geschlechtern,
Männchen und Weibchen, die Kaste der Arbeiter aufweisen;
es liegt nahe, aus solchen bis heute constant erhaltenen
polymorphen Formen einen Schluss auf die Constanz der
socialen Instinkte zu ziehen, wie Wasmann!) das thut.
In ihrem Einfluss auf die Pflanzenwelt und theilweise
auch auf die Thierwelt bilden die Ameisen, wenn auch nur
in gewissen Gegenden der Erde, einen bedeutungsvollen
Faktor im Haushalte der Natur.
Wahrhaft furchtbar sind die RE REEEG welche die
Blattschneiderameisen der Gattung A’fa im tropischen und
subtropischen Amerika unter der Vegetation anrichten. Aus
der zerstreuten Literatur hat W. MarssarL2) eine Reihe
hervortretender Berichte gegeben über diesen Gegenstand.
Und neuerdings hat ALrrep MöLter3) eine, wenn auch noch
unvollständige Aufzählung derjenigen brasilianischen Pflanzen
gegeben, welche von den Blattschneider- oder Schlepp-
ameisen geschnitten werden. Es ist ferner bekannt, dass
1) WASMAnN I. c. p. 249 u. 250.
2) W. MARSHALL, Zool, Vortiäge, Leben u. Treiben der Ameisen.
er 1889. p. 132—139.
ALFRED MÖLLER, Die Pilzgärten einiger südamerikan. Ameisen.
wi G. Fischer. 1893.
12 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
andere Ameisen in eine eigenthümliche Wechselwirkung zu
gewissen Pflanzen treten, zum Vortheil der Ameisen sowohl
wie der Pflanzen, indem ein trächtiges Weibchen der be-
treffenden Ameisen an einer Stelle geringsten Widerstandes
in gewisse Stammtheile der Pflanzen eindringt, sich eine
Kammer einrichtet, in welcher es jedenfalls durch die
Pflanzensäfte ernährt wird, und hier für Nachkommenschaft
sorgt. Letztere findet hier Unterschlupf, verändert dabei
die Pflanze oft in charakteristischer Weise und bricht aus
dem Hinterhalt bervor, sobald der Wohnort irgendwie er-
schüttert wird.
Da die Thiere höchst schmerzhafte Verwundungen den
Angreifern beibringen, so ist hier ein indirekter aber wirk-
samer Schutz der Wohnpflanze bewirkt. Die Tropen der
alten wie der neuen Welt liefern treffende Beispiele, und
vor allem haben ForzEs und Treu für Indien, Fr1rz
MüÜLrLer für Südamerika eingehende Berichte über dieses
Genossenschaftswesen, über dieses symbiotische Verhält-
niss zwischen Ameisen und Pflanzen gegeben. Die ecla-
tantesten Beispiele hat MArsnarr !) übersichtlich für den
Interessenten zusammengestellt und für dieses originelle
Miethsverhältniss den passenden Namen der Enoekie?)
vorgeschlagen. Ohne uns auf Einzelheiten hier einzulassen,
möchten wir doch auf eine bemerkenswerthe Angabe ALFR.
Mörter’s eingehen. In Brasilien ist eine Hauptzerstörerin
der Pflanzenwelt die von den Eingeborenen Suuba genannte
Atta hystrixz und discigera. Neben den dort heimischen Ge-
wächsen, welehe durch mancherlei Anpassungen den Ver-
bedraägen jener Thiere noch am meisten gewachsen sind,
sieht diese Blattschneiderin es besonders auf die von
anderen Continenten eingeführten Kulturpflanzen ab. In
einer Nacht sind oft grosse Theile der Plantagen ver-
nichtet; in mächtigen Zügen marschiert die Sauda, die ab-
geschnittenen Blatttheile hoch aufgerichtet zwischen den
Kiefern tragend, und in eine auf dem Kopfe befindliche
Rinne legend und damit stützend. Der bewegliche Wald
1) l. ce. p. 117—131.
Y,p 2.
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Von Dr, C. SMmALIAN. 13
von Dunsinam aus Macbeth erfährt hier eine Verwirkli-
chung en miniature. Diese scheussliche Ameise hat einen
Todfeind in der heftig stechenden und daher sehr ge-
fürchteten Aziteca instabilis gefunden, welcher der Imbauba-
baum, Ceeropia adenopus, Wohnsitz gewährt, ein Gewächs
aus der Familie der Nesselgewächse /Urticaceen). Es galt
bisher für ausgemacht, dass die Imbauba von den Blatt-
schneidern verschont werde. Diesen Baum, und ebenso
andere Pflanzen, welche scheinbar von der Schlepperameise
verschont wurden, sah A. MöLter gelegentlich doch auch
von letzterer angegriffen. Und das geht so zu:
Die Blattschneider werden nicht etwa von überhängenden
Zweigen affieirter Pflanzen auf die Imbauba übertragen; das
würde ihnen bald schlecht genug bekommen. Vielmehr er-
folgte der Angriff dann, wenn bei sinkender Temperatur '
die Schutzameisen starr und unthätig in ihren Nestern ver-
harrten, während die Blattschneider bei dieser Temperatur
thätig und wohlauf sind.
Die symbiotischen Verhältnisse zwischen Pflanzen und
Ameisen sind interessant, zahlreich und mannigfaltig genug,
um für sich allein eingehender behandelt zu werden oder
einer Unterhaltung über Genossenschaftswesen, Symbiose,
in der Natur reiche Nahrung zu geben. Aber hier wollen
wir uns mit den wenigen Andeutungen genügen lassen.
Abgesehen von den eclatantesten Fällen, wo Pflanzen
den Ameisen als ausschliessliche Nahrung dienten, liegen
etliche höchst merkwürdige Beispiele vor, wo Ameisen nicht
nur ernten, was auch für sie gesäet ist, sondern wo sie
einen gewissen Einfluss auf die Kultur der Gewächse aus-
üben, welche ihnen Nahrung geben. Liscecum und Mac
Cook haben uns mit jenen merkwürdigen Ameisen der
neuen Welt bekannt gemacht, welche in gewissem Sinne
ackerbautreibende Ameisen genannt werden dürfen,
Pogonomyrmer barbata und oceidentalis. Besonders die Be-
obachtungen MAc Coox’s an Pogonomyrmex barbata in Texas
werden allezeit das höchste Interesse beanspruchen dürfen.
Dieses Thier legt ein etwa kreisförmiges Nest von 3—4 m
Durchmesser an; innerhalb des Umfanges bleibt kein Kraut
und Gras stehen, alles wird mit den Kiefern sorgsamst
14 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
abgejätet; nur der Rand bleibt mit Stoppeln besetzt, die
also eine Art Zaun bilden. Auf der für einen Ameisenbau
erheblichen Kulturfläche gedeiht aber eine einzige Grasart,
Artstida stricta, von weitem her gelb leuchtend. Die Körner
dieses Grases werden von den Bewohnern der kegelförmi-
gen Nester, die aus dem Kulturplateau hervorragen, that-
sächlich gesammelt und eingetragen, also geerntet. Man
kann sich lebhaft vorstellen, welchen überraschenden Ein-
druck solche Anlagen auf den unbefangenen Beobachter
machen. Und wen eine lebhafte Phantasie beseelt, wie
Lincecum, dem steigen die Bilder menschlicher Kulturarbeit
hier auf, und er sieht die Ameisen ackern, säen und ernten.
Wer nüchterner veranlagt ist, wie Mac Cooc, der glaubt
wohl an das Ackern und Jäten, das er sieht, aber noch
nicht an das Säen, und vermuthet, dass die aufgehende
Saat von verloren gegangenen Körnern herrühre. Die
Körner werden übrigens nicht von den Pflanzen herabge-
holt, sondern nur die abfallenden werden gesammelt und
eingetragen, im Bau geschält und von den unreifen abge-
sondert, welche sammt den Schalen vor dem Baue abge-
lagert werden gleich den „Kjökkenmöddings“, den Küchen-
abfällen des Urdänen, um mit W. Mars#ALL zu sprechen.
Die Nesthügel im Kulturkreis sind übrigens mit kleinen
Kieseln an ihrer Basis gepflastert, eine Art Fundament
gegenüber den Einflüssen des tropischen Regens. Staunen
muss allerdings den Beobachter erfüllen beim Anblick dieser
Dinge. Und es ist natürlich, wenn er hier sein eigenes
Ich en miniature vor sich zu haben glaubt, menschenähn-
liche Intelligenz im Ameisenhirn sich ihm aufdrängt. Aber
da kommt gleich der Skeptiker und Kritikus und redet
von Instinkten, die allerdings einmal durch sinnliche Er-
fahrung erworben, dann stetig vererbt sind. Allein wir
wollen nicht vorgreifen. — Ein anderes höchst anziebendes _
Bild, das dem eben geschilderten mindestens an Wertl
gleichkommt, hat uns jüngst Aurr. Mörrer !) entrollt. Der
Vorwurf dieses Gemäldes entstammt den Gefilden der
1) Aure. MÖLLER, Die Pilzgärten einiger südamerkan. Ameisen. 4
)
Jena, G. Fischer 1893,
a un). ..
an 2 a Aa ie ih se a
REED 7
Von Dr. C. SmaLsan. 15
Kolonie Blumenau in Brasilien. Der Forscher, welcher in
jenem Eldorado der Biologen den Vorzug genoss, aus dem
Borne der vielseitigen Erfahrungen seines Onkels, des für
die biologische Wissenschaft so hochverdienten und einst
unsterblichen Frırz Mürter, tausendfältige Anregungen zu
erhalten, ist seines Zeichens Pilzforscher. Und gerade
mykologische Studien, die er mit Erfolg dort trieb, liessen
dabei ein hochinteressantes Nebenprodukt für die Ameisen-
biologie abdestilliren. Wir folgen dem sorgsamen und ge-
wissenhaften Forscher bei seinen Beobachtungen eines
wandelnden Waldes jener Schlepperameisen, von denen
besonders drei Arten: Atta hystriz, discigera und coronata
bei Blumenau ihr Unwesen treiben. Was wird aus den
heimgetragenen Blattstücken in den Nestern der Schlepper?
So fragte einst schon Betr beim Anblick der schleppenden
Blattschneiderameisen. Er fand bei der Untersuchung der
Nester, die unregelmässig auf dem Erdboden, aber mit Laub
oder Holzstücken belegt sind oder unter dem Schutze decken-
der Baumrinde liegen, selten einmal ganze Blattstücke und
kam zu dem Schluss, dass die Thiere kein Blattwerk frässen.
Statt dessen wird der Hohlraum der Nester von einer
„lockeren, weichen, grauflockigen, nach Art eines grob-
porigen Badeschwammes mit grösseren und kleineren Höhl-
ungen durchsetzten Masse“ erfüllt, „in der auch die Eier,
Larven und Puppen in unregelmässiger Anordnung umher-
liegen“. Eine ähnliche Masse fand sich auch in den
Nestern der Haar- und Höckerameisen /Apterostigma und
Cyphomyrmez) jener Gegeud. Die mikroskopische Unter-
suchung, welche MÖLLER ausführte, ergab, dass die ein-
getragenen Blattstücke so zerkleinert waren, dass „fast
keine Zelle unverletzt blieb“. Genauere Beobachtung in
künstlichen Nestern zeigte Folgendes: Eine Ameise schnitt
ein dargebotenes Blatt mitten durch; nur das Stück, das
sie zwischen den Kipnbacken trug, verarbeitete sie weiter,
indem sie es weiter zerschnitt; die abfallenden Stücke
wurden von anderen Individuen ergriffen und zerkleinert.
Sobald das Stück etwa die Grösse des Ameisenkopfes er-
halten hat, so wird es mit den Vorderfüssen gehalten, so
dass „die scharfe Kante dem Munde zugewendet ist“. Nun
16 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen,
wird es, wie dieLupe zeigt, ringsum mit „radialen Riefen*
bedeckt, sodann wird die ganze Oberfläche zerkratzt,
„gleichsam wund gemacht“, dann mit den Füssen und
Kinnbacken gründlich „zusammengeknüllt“ und „geknetet“,
So wird das weiche Kügelehen in eine Lücke des Nestes
eingefügt. Während die Schlepparbeit der Atta discigera
von grossen Arbeiterinnen ausgeführt wird, liegt dieses
sorgsame Verkleinerungsgeschäft mittelgrossen Arbeiterinnen
ob. Doch wozu nun das alles? Schon nach wenig Stunden
durchzieht dieses merkwürdige Ameisenpräparat ein wirres
Geflecht von weissen Fädchen, der vegetative Theil eines
Pilzes. Sollten diese Ameisen Pilze fressen und eine Pilz-
kultur anlegen? Berr vermuthete es einst; sein ant-food
entpuppte sich vor MöLter in der That als „Pilzgarten“
entsprechend dem „muschroom-garden“ (Erdpilzgarten), von
dem Mac Cook!) bereits friiher bei Atta fervens und Atta
septentrionalis berichtete. Deutlich sind an dem Pilzgarten
zu unterscheiden ein oberer, blauschwärzlicher, für die
Ameisen werthvollerer Theil, den sie bei der Zerstörung
des Nestes zuerst sorgsam wieder sammeln, und ein älterer,
nieht mehr recht brauchbarer, gelblicher Theil. Während
die von den mittelgrossen Arbeiterinnen zerkäuten Kügel-
chen von weissem Pilzmycel umsponnen und mit einander
verbunden sind, finden sich durch die ganze Masse zer-
streut, aber stets nur den obersten, jüngsten Schichten des
Pilzgartens angehörig '/,—'/;mm dicke, weisse Pünktchen,
welchen MöLtLer den Namen „Kohlrabihäufehen“ giebt. Sie
stellen die hauptsächlichste Nahrung der Ameisen dar, wie
die Beobachtungen im künstlichen Nest ergaben. Und sie
sind ein Züchtungsprodukt ganz kleiner Arbeiterinnen,
welchen das Geschäft des Jätens im Pilzgarten obliegt.
Diese winzigen Thierchen dringen in die feinsten Spalten
Kohlrabihäufeben wirkliche Reineulturen des Pilzes ziehen |
konnte, ein Resultat, das derjenige zu würdigen weiss, der
die Gefahren kennt, die den Culturen des Pilzzüchters von
1) Mac Cook, Proceed. of Nat. Se. Philadephia 1879 u. 1880.
3
4
Bi
er
KL
Von Dr. €. Smansan. 17
Seiten der allgegenwärtigen Sporen von Bakterien und
Schimmelpilzen drohen und ach, zu oft jäh hereinbrechen.
Diese Arbeit muss in noch grellerem Lichte erscheinen,
wenn man all’ der Unreinheiten gedenkt, welche den von
den Schleppern eingebrachten Blattstücken anbaften. —
Es kann nicht unsere Absicht sein, hier auf die mykolo-
gischen Resultate Mörzer’s einzugehen, uns interessirt die
Arbeit der Ameisen, und so müssen wir ‚noch ein wenig
bei MöLLer’s zahlreichen Versuchen bleiben. Entfernte
dieser Forscher alle Arbeiterinnen aus dem Pilzgarten, so
„schoss er binnen kurzer Zeit in’s Kraut“, d.h. er bildete
ein Luftmycel, welches verschiedenartige, auf vegetativem
Wege erzeugte Vermehrungsorgane hervorbrachte, die der
Pilzforscher Conidien nennt, und die vor allem einen inte-
grirenden Bestandtheil jener gelben, tieferen Lage des
Gartens ausmachte. Setzte Mörter etliche kleine Arbeiter-
innen wieder in den Garten, so schwand jenes Luftmycel
in dem Maasse, wie die Grösse der Ameisenarbeit wuchs.
Bald entstanden auch wieder die „Kohlrabihäufchen*, die
aus kugelförmigen, plasmareichen Anschwellungen des vege-
tativen Mycels bestehen. MÖLLER war so glücklich, grosse
Hutpilze auf den Nestern der Atta discigera zu finden;
durch Aussaat der sogenannten Basidiensporen, welche an
den Lamellen des Hutes entstehen, konnte er das Pilzmycel
seiner Pilzgärten erziehen, konnte daran die in letzterem
beobachteten beiden Conidienformen, Stranganschwellungen
und Perlfäden beobachten, konnte mit dem Fleische des
Hutes und der Hutlamellen seine Ameisen füttern, mit Hülfe
der kleinen Arbeiterinnen die „Kohlrabihäufehen“ erziehen
und die Ameisen auch sich von letzteren ernähren sehen.
Er kommt sonach zu dem äusserst merkwürdigen, in zwei-
facher Weise wissenschaftlich bedeutungsvollem Resultate :
Das Mycel des Pilzgartens erzeugt zweierlei Conidien-
formen und als höhere Fruchtform einen Hutpilz, Rozites
gongylophora, während die Kohlrabihäufchen ein von den
Ameisen künstlich gezüchtetes Product ist, das ihnen als
Hauptnahrung dient.
Zeigten sich die Blattschneiderameisen als directe
Schädlinge der Pflanzenwelt, so können Ameisen auch
Zeitschrift f. Naturwiss, Bd, 67, 1894. 2
16 - Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
indirect der Vegetation sehr nachtheilig werden. Da ihnen
Süssigkeit über Alles geht, so ist ihnen der Blüthenhonig
natürlich eine willkommene Speise. Allein es ist bekannt, dass
der Nektar der Blumen den Insecten nur deshalb ange-
boten wird, damit sie mittelst geeigneter Vorrichtungen
ihres Leibes den Blüthenstaub von einer Blume zur Narbe
einer anderen Blume nämlicher Art bringen und so die
Samenbildung sichern. Der dünne, glatte Ameisenleib ver-
mag für die Mehrzahl der Blumen den Gegendienst der
Bestäubung nicht zu leisten. Und darum werden die
Ameisen auf Blumen, welche den Honig offen darbieten,
ihn nehmen und denjenigen Insekten vorenthalten, welche
mit ihren Leibesvorrichtungen im Stande sind, Bestäubung
zu vermitteln. Wäre daher den Ameisen überall der Weg
offen zu den Nektarien, den Honigbehältern der Blumen,
so würden diese Thiere der Vermehrung der Pflanzenarten
ausserordentlich hinderlich werden. Allein die Blumenwelt
ist geschützt gegen unberufene Gäste. Ueber die Mittel,
welche in der Natur zu diesem Zwecke angewendet werden,
hat uns vor allem Krrxer von MARILAUN !) unterrichtet: Da
führt die Masse rtickwärts geschlagener Hüllblätter des
Kelches die Honigräuber in die Irre und ab von dem Pfade
zur Saftdrüse, oder ein Gewirr von Stacheln stellt sich in
den Weg. Dort liegt der süsse Saft an unzugänglichem
Ort, in der Tiefe einer Lippenblume, deren Lippen von den
Ameisen nicht geöffnet werden können, oder im Grunde
eines langen Spornes, zu dem nur lange Insectenrüssel vor-
zudringen vermögen. Hier bietet eine Nebenblumenkrone
oder ein Reusenapparat von Haaren, welche sich über den
zum Honig leitenden Schacht legen, nutzlosen Eindring-
lingen gebieterisch halt, und bei einer Anzahl von Pflanzen
ist der Blüthenstiel mit Praeventivmaassregeln ausgerüstet,
als welche die Kleberinge der Pechnelke ete. anzusehen sind.
Ja Krrser deutet eigenthümliche, ausserhalb der Blüthe
an vielen Pflanzen vorkommende Honigdrüsen, die extra-
nuptialen Nectarien in diesem Sinne. Die Ameisen finden
A. KERNER von MarILAUN, „Die Schutzmittel der Blüthen
gegen ee Gäste“.
Von Dr. C. Smausan. 19
ausserhalb der Blüthe Honig genug und werden durch
dieses von der Pflanze gebrachte Opfer von der Bltüthe ab-
gehalten. Man wird solche Deutung wohl als etwas künst-
lich ansehen müssen, und die extranuptialen Nectarien sind
entschieden noch controvers. Natur ist hinsichtlich des
Blüthenschutzes ausserordentlich erfinderisch. Eine genauere
Behandlung des Gegenstandes ist indessen hier natürlich
nicht angängig.
Gegenüber dem Schaden, welchen Ameisen der Vege-
tation zufügen, steht vor allem auch in der Heimath ein
nicht unbeträchtlicher Nutzen. Die mit Giftdrüse und
Stachel oder mit verderbenbringenden Kiefern versehenen
Ameisen sind die geschworenen Feinde vieler schädlicher
Inseeten, besonders der Raupen. Durch die Vernichtung
dieser Thiere werden die Ameisen zu einer bedeutsamen
Schutztruppe der Pflanzenwelt, und in der Mehrzahl der
Fälle wird es sich empfehlen, in unseren Gärten diese
Garde zu schonen.
Viele Ameisen sind Allesfresser, und in ihrer uner-
hörten Fresslust, welche sich paart mit angeborenem, in-
stinktivem Muth und wilder Angriffsweise, können sie zu
einer fast unüberwindbaren Naturmacht werden. Denken
wir nur an jene kleinen Plagegeister, die gelegentlich wahr-
haft epidemisch in unseren Gebäuden auftreten und den
Nahrungsmitteln nachstellen. Bei Bäckern und in den an
Bäckereien angrenzenden Gehöften kann die winzige Pharao-
ameise zu einem chronischen Uebel werden. Aber was ist
das gegen den Ansturm der sogenanten Treiberameisen der
Gattung Anomma. Es sind Bilder des Grausens, welche
die Berichte der Reisenden uns von den Treibern entrollen,
Dörfer werden von den Eingeborenen verlassen, sobald die
Treiber einziehen; die kleineren Hausthiere, vor allem das
Geflügel, wird überfallen und vernichtet; der Neger sieht
sich seines Viehstandes beraubt, vom nächtlichen Schlummer
durch solche Peiniger aufgescheucht, muss er von dannen
ziehen.
Es ist demnach einleuchtend, dass die Ameisen einen
bedeutsamen Einfluss auf die geographische Verbreitung
20 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
der Thierwelt haben. W. MarsHarı!) stellt die bezüglichen
Thatsachen zusammen und hebt besonders hervor, dass in
den Tropen die bodenbrütenden Vögel von den Eeiton-
Arten zu leiden haben. Es ist daher verständlich, dass
z. B. Bodenbrüter in verhältnissmässig geringer Ausahl
dort gefunden werden, wo jene Ameisen massenhaft vor-
kommen; und die Thatsache, dass die grossen Hühnervögel
des tropischen Amerikas „ganz gegen die Gewohnheit ihrer
Sippe auf Bäumen nisten“, ist sicherlich den Eeiton-Arten
jener Gegenden zuzuschreiben.
Treten wir damit ein in die Darstellung der Beziehungen
der Ameisen zur Thierwelt!
Zu unseren Gärten mit frisch grünendem Laube trägt
uns der Blick. Ein Idyll, ein Ameisenidyll zieht ihn auf
sich. Das sonst so streitbare Ameisengesindel hier bei
einem höchst friedlichen Geschäft, beim Melken der Ameisen-
kühe, der Blattläuse, der „Neffen“. Der süsse Saft, den
die Blattläuse als Abfallprodukt des Stoffwechsels aus dem
Ende ihres Verdauungsapparates absondern und den sie,
auf Blättern oder Zweigen sitzend, mit den Hinterfüssen
„fortschleudern“ und so die Erscheinung des Honigthaues
auf umgebenden Pflanzentheilen erzeugen, wie die Beob-
achtungen von BRanDeEs 2) ergeben, bildet das Lockmittel
für die Ameisen. Mit den Fühlern streicheln die Ameisen
den Hinterleib jener Thiere, bis das ersehnte Tröpfehen
erscheint, das, an der Luft consistenter und klebrig wer-
dend, seinen Erzeugern vermuthlich lästig werden würde.‘)
Und so hat Linx&®’s Bezeichnung „Aphis formicarum vacca“,
die Blattlaus ist die Milchkuh der Ameisen, sich bewährt.
„Die verschiedenen Ameisenarten benutzen auch verschiedene
Arten von Aphis“.1) Manche betreiben das Geschäft unter
irdisch, indem sie, wie Lasius flavus, Wurzelläuse melken;
auch Schildläuse werden als Melkvieh benutzt. Die Ver-
1) W. MARSHALL 1, c. p. 67 u
2) G. Branpes, Die Blattläuse und der Honigthau. Zeitschr. für
Naturwissenschaften. Leipzig, Pfeffer. 66. Bd. 1893, p. 9.
UBBOCK, Bienen, Wespen und Ameisen. p. 57.
4) ibid. p. 56,
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Von Dr. C. SmALIan. 21
suche von Lussock !) haben den unwiderleglichen Beweis
geliefert, dass auch die Eier der Blattläuse, welche durch
braune, dunklere Färbung von den Eiern der Ameisen
unterschieden werden können, von den Ameisen im Herbst
in ihre Nester getragen wurden, hier vor Kälte und
sonstigen Einflüssen des Winters geschützt bleiben und
im Frühjahr Blattlausbrut lieferten, die auf gewissen,
auf und neben den Ameisennestern wachsenden Pflanzen
prächtig gediehen und natürlich fleissig gemolken wurden.
Es ist natürlich, dass eine solche Thatsache leicht zu
Gunsten der Annahme einer Ameisenintelligenz gedeutet
werden konnte, da hier eine bewusste Absicht vorzuliegen
scheint. Es ist klar, dass aus diesem Freundschaftsverhält-
niss, welches besser als Symbiose nach dem egoistischen
Prineip „do ut des“ bezeichnet werden muss, für die Vege-
tation ein mehr oder minder grosser, indireet hervorgeru-
fener Nachtheil entspringt. Aber nicht nur mit den Blatt-
läusen sind die Ameisen ein symbiotisches Verhältniss
eingegangen, sondern auch mit anderen Thieren. Die Nester
der Ameisen sind ein Unterschlupf für mancherlei Gethier.
Luseock 2) zählt Schmarotzer auf aus der Gruppe der Milben
und kleine schwarze Fliegen, Phora und Platyphora, die
ihre Eier an die Ameisen legen, Einwohner, Inquilinen, aus
der Verwandtschaft der Springschwänze /Poduriden) der
Gattung Beckia°), eine weisse Holzlaus /Plathyarthrus Hof-
mannseggt), welch’ letztere beiden Thiere Lureock als blind
anspricht. Märker4) zählt aus den Nestern der rothen
Waldameise (F. rufa) etwa 1000 Gäste auf, Anprk: giebt
diejenigen von Lasius flavus auf fast 600 Arten an. Von
diesen gehört der bei weitem grösste Theil zu den Käfern,
und unter diesen lieferten wiederum die Halbflügler oder
RKaubkäfer (Staphyliniden), ferner die verwandten Psela-
phiden und Clavigeriden das grösste Contingent der Ameisen-
einwohner. Dass unsere Kenntnisse über diese Verhält-
nisse äusserst lückenhaft sind, wird bei der Schwierigkeit
1) LuBBOock |. c. p. 58.
du.
4) GERMAR’S Ztschr. f. Entomologie. 1841, p. 210.
22 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen,
der Untersuchung nicht Wunder nehmen. Eine grosse
Menge Formen sind sicher zufällige Einwohner der Ameisen-
nester, welche der Wärmesehutz anlockt oder die Begierde
nach den Eiern und Larven der Ameisen. So darf man
mit Wasmann Dinarda dentata und Notothecta flavipus als
„indifferent geduldete Gäste“ bezeichnen; und es ist er-
klärlich, dass Raubkäfer wie Myrmedonia funesta und cog-
nata sowie Quedius brevis, welche der Ameisenbrut nach-
stellen, „feindlich verfolgte Einmiether“ darstellen. Allzu
wunderbar mag auch das Auftreten eines grossen Gold-
käfers (Cetonia floricola) in den Nestern der Waldameisen
nicht erscheinen, da dessen Larven in den unteren, mul-
migen, von den Ameisen verlassenen Theilen des Baues
Wohnung und Nahrung finden, wo auch die lange bekannten
Puppenwiegen dieses Käfers sich finden. Dass aber die
fetten Larven, wenn sie unter die sonst so gierigen Ameisen
gerathen, nicht angegriffen, vielmehr nur beleckt werden,
dürfte nach WAsmanN eine, wenn auch nur zum Theil ge-
nügende Erklärung darin Sn, dass mit dem Belecken
gewisse gastronomische Genüsse verbunden sein können. —
Allein die Ameisen gehen auch wirkliche Symbiose mit
Käfern ein, welche als „ächte Gäste“ bezeichnet werden und
den Gattungen Pselaphus („Tastkäfer“), Claviger („Keulen-
käfer“), ferner aus der Gruppe der Kurzflügler den Gat-
tungen Atemeles und Lomechusa angehören. In neuerer
Zeit hat vor allem WAsmann) 2) über die Wechselbeziehungen
dieser Käferchen zu den Ameisen berichtet, und wir dürfen
demnächst auf weitere Nachrichten von Seiten dieses aus-
gezeichneten Forschers über die Gattung Atemeles hoffen.
Alle diese Käferchen werden von den Ameisen, bei welchen
sie leben, gefüttert, während die Käfer, durch das Streicheln
und „Liebkosen“, das die Ameisen ihren Leibern mittelst
der Fühler anugedeihen lassen, veranlasst werden, an den
zum Theil behaarten Hinterleibern einen Flüssigkeitstropfen
austreten lassen, der von den Ameisen verzehrt wird. Ate-
1) WasmAanNn, Beiträge zur Lebensweise der Gattung Atemeles
und Lomechusa
2) Winsen, Vergleichende Studien über Ameisengäste und
Termitengäste. Haag 1890. Tijdschr. v. Entomol. Bd. XXI
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Von Dr. C. Smausan. 23
meles und. Lomechusa vermögen übrigens selbst zu fressen
und vergreifen sich gelegentlich an der Ameisenbrut; Pse-
laphus und Claviger können aber nicht selbständig fressen.
Wasmann!) hat auf ein interessantes Kriterium hinge-
wiesen, welches gleichsam gestattet, solehen Insekten, die
von anderen gefüttert werden, wie die in Rede stehenden
Käferchen, Termitengäste und jene Ameisen, die von
anderen Ameisen geatzt werden, „vom Munde abzulesen“,
wie hoch oder niedrig der Grad der Abhängigkeit von
ihren Ernährern ist. T'hiere, die gar nicht mehr selbst-
ständig fressen können, besitzen sehr verkümmerte Taster;
solche aber, die zwar für gewöhnlich sich füttern lassen,
jedoch auch selbständig sich noch zu ernähren vermögen,
zeigen ein normales Verhalten in der Ausbildung der
Taster. Dem entsprechen die Tasterverhältnisse von Ate-
meles, Lomechusa, Claviger und Pselaphus; bei den beiden
letztgenannten Thieren sind die Kiefertaster nur noch ein-
gliedrig, also fast verkümmert. Die blutrothe Raubameise
(Formica sanguinea) lässt sich zwar gewöhnlich von ihren
Selaven füttern, kann sich aber auch selbständig ernähren;
sie besitzt wohl ausgebildete sechsgliedrige Kiefertaster
und viergliedrige Lippentaster. Die Amazone, Polyergus,
verhungert inmitten der besten Nahrung, wenn sie nicht
von den Selaven gefüttert wird und hat sehr rüickgebildete
Taster. Das Extrem stellt Anergates atratulus dar, die
entsprechend ihrer völligen Abhängigkeit von den Sclaven
nur noch zweigliedrige Kiefertaster und eingliedrige Lippen-
taster aufweist. Noch bleibt zu erwähnen, dass die Gast-
freundschaft der Ameisen sich auch auf die Pflege und
Erziehung der Brut jener Käferchen erstreckt, ein Geschäft,
das eben so sorgsam ausgeübt wird, wie die Pflege der
eigenen Ameisenbrut.
Wir gelangen zu dem Treiben der Ameisen im Heimaths-
nest und zu den Beziehungen dieser Thiere zu Individuen
der eigenen und fremden Arten. Das gewaltige Beobach-
tungsmaterial über diesen Gegenstand hat jüngst WAsmann, 2)
1) WAsMmann, 8. J., Die zusammengesetzten Nester und ge-
mischten Kolonien der Ameisen. Münster, 1891, p. 69,
2) ibid.
24 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
einer der sorgsamsten und nüchternsten Forscher und gründ-
lichsten Ameisenkenner, von allgemeinen Gesichtspunkten
aus zusammengefasst und dargestellt. Wir lassen uns in
Folgendem vielfach von ihm leiten,
Auch dem oberflächlichsten Beobachter muss die psy-
chische Regsamkeit der Ameisen auffallen, und man wird
im allgemeinen diesen Thieren ein sanguinisches Tempe-
rament zuschreiben; allein eine vergleichende Uebersicht
zeigt auch das phlegmatische in etlichen ausgezeichneten
Beispielen. Die Emsigkeit unserer Thiere ist schon seit
alten Tagen sprichwörtlich, und all ihr Fleiss dreht sich
um den Aufbau und die Erhaltung ihrer angestammten
Burg und vor allem um die Brutpflege. Die Brutpflege ist
das leitende Motiv für die wichtigsten Thätigkeiten der
Ameisen. Im Gegensatz zum monarchischen Bienenstaat,
in welchem eine Königin, welche allein die Fortpflanzung
besorgt, tonangebend und bedingend für den ganzen Be-
"stand des Staates ist, ist der Ameisenstaat demokratisch.
Mehreren Weibchen liegt das Geschäft der Eiablage ob,
nachdem die Paarung ebenso wie bei der Biene auf dem
sogenannten Hochzeitsfluge in der Luft erfüllt ist. Nach
diesem einmaligen Ausfluge ins Luftmeer werden die Weib-
chen meist von den anderen Insassen des’ Nestes ergriffen,
man beisst ihnen die Flügel ab und zwingt sie so zur Sess-
haftigkeit. Da, wo ein Weibchen die Urheberin eines neuen
Nestes wird, besorgt es das Geschäft des Flügelabbeissens
selbst, jener Organe, die ihre Schuldigkeit gethan haben,
im engen Neste aber nur hinderlich sein können. Neben
den beiden fortpflanzungsfähigen Gechlechtern treten sodann
meist in ungebeurer Anzahl die Arbeiterinnen auf, gleich-
sam verktimmerte Weibchen, deren Keimanlage rückgebildet
erscheint, und die nur in Ausnahmefällen unbefruchtete
Eier ablegen, aus denen nach Lussock’s eingehenden Prüf-
ungen nur Männchen entstehen analog den parthenogonetisch
erzeugten Arbeiterinneneiern der Bienen. Die Arbeiter
weisen in unseren Breiten kaum erkennbare Unterschiede
in Form und Grösse auf; aber in den Tropen liegen alle
mögliehen Uebergänge von kleinsten bis grössten Arbeiter-
innen vor. Und wir erinnern uns dieser Verhältnisse,
bla er a BET rs
Von Dr. ©, SmALIANn. 25
welche bedeutungsvoll wurden für den Aufbau und die
Pflege der Pilzgärten der brasilianischen Blattschneider.
Es ist einleuchtend, dass diese Verschiedengestaltigkeit sich
oftmals auf die Form der Kiefer erstrecken wird, und so
erklären sich z.B. die gewaltigen Sägekiefer der Blatt-
schneider. Ja die Tropen führen in der Kaste der Arbeiter-
innen oft eine diekköpfige Unterkaste vor, die mit gewal-
tigen Sägekiefern Angriffe auf ihr Nest erfolgreich und
energisch abwehren. Das sind die Soldaten, deren Kopf-
hohlraum weniger dazu dient, ein grösseres Ameisenhirn
aufzunehmen und so zum Sitze eines höheren Intellects zu
werden, als vielmehr Raum für die gewaltigen Kiefermus-
keln zu bieten und dem entsprechend die „rohe Gewalt“
(MArsHALL) zu verkörpern. Neber dem Nestbau liegt den
Arbeiterinnen die Pflege der Eier, Larven und Puppen ob,
die im Gegensatz zu den Bienen und Wespen, wirr herum
in den Kammern und Gängen liegen. Ihre Entwicklung
ist von einer mittleren Temperatur abhängig, die zu er-
halten Aufgabe des oft gewaltigen Baues ist. Die schnellen
Temperaturschwankungen des Herbstes bringen es daher
bei uns mit sich, dass das Arbeitervolk die Brut bald an
die frische Luft trägt, wenn es im Bau zu heiss ist, bald
in die wärmeren Tiefen hinabschleppt, wenn draussen die
Kühle dazu auffordert. Der eintretende Winter lässt das
sonst so rührige Volk in Letargie fallen, aus welcher der
wärmende Strahl es erst wieder erweckt. Die Larven
werden gefüttert, und wenn das entwickelte Insect aus der
Puppenhülle heraus will, so fassen hilfreiche Kiefer zu und
schälen die jungen Ameisen heraus. Leichen und Unge-
höriges werden ebenfalls herausgeschafft und vor das Nest
geworfen.
Eine ganz eigenartige Rolle spielen Arbeiterinnen bei
den sogenannten Honigameisen. Diese Thiere sind in Mexico
als beliebtes Dessert der Eingeborenen seit langen bekannt.
Mac CooX beobachtete die Honigameise von Neu-Mexico
bei Santa F& genauer. Vor allem fand er solche Thiere
in einer durch rothe Sandsteinketteu, welche Götzenbildern
ähneln, ausgezeichneten Gegend bei Manitou (Colorado),
die deshalb den Namen „Garten der Götter“ führt. So
26 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
stellte er neben der Myrmecoeystus mexicanus WESTMAEL die
Myrmecoeystus hortus deorum Mac C00x auf. Aehnliche Ver-
hältnisse wie bei diesen Formen sind übrigens auch bei
einer australischen Ameise festgestellt worden, welche
GERALD WALLER 1880 an Sir Jomn Lussock sandte, und die
von letzterem als Camponotus inflatus bezeichnet ist. Die
amerikanischen Honigameisen bauen niedrige Kegel aus
Sandgeröll, deren trichterförmiger Eingang stets von einer
stattlichen Schaar Schildwachen besetzt ist. In den glatt
gelaufenen Labyrinthgängen und Kammern leben drei, nur
durch ihrs Grösse von einander verschiedene Arbeiterinnen-
formen, deren 10 bis 20 sich wie eine Art Leibwache um
eine Königin schaaren. Eine vierte Form von Arbeiter-
innen sind ganz abnorm ausgebildet und hängen als so-
genannte Honigtöpfe in besondern Kammern, deren Boden
glatt, deren Decke aber rauh ist, um ein Anklammern der
unbeholfenen Wesen zu ermöglichen. Arbeiterinnen holen
von den kleinen Gallen einer in jenen Gegenden wachsenden
Buscheiche, Quereus undulata, während der Nacht den Honig,
der stecknadelknopfgrosse Ausschwitzungen der Gallen dar-
stellt. Mit dem Safte werden grosse Arbeiterinnen geradezu
vollgestopft. Der Kropf oder Vormagen dieser Wesen er-
scheint alsdann derartig mit Honig angefüllt, dass die übrigen
Eingeweide zu einem Klümpchen zusammengedrängt werden.
Der Körper erscheint prall und aufgetrieben, sodass die
chitinösen Rückenbrustplatten, welche sonst dicht an ein-
ander schliessen, weit von einander getrieben sind, während
die düinne Zwischenhaut straff gespannt ist. Die grösste
Menge dieser lebendigen Honigtöpfe, welche Mac 000& in
einem Neste fand, belief sich auf 600 Stück. Nicht be-
kannt ist, ob diese Wesen von Anfang an von Arbeitern
gefüttert werden, oder ob sie in früberem, noch „marsch-
fähigem“ Alter selbst Honig einsammeln. Ferner ist nieht
festgestellt, ob die Thiere ihre hängende Stellung allein
oder mit Hülfe von Arbeitern erlangen. Bei geringem Druc
auf den Leib eines solchen Honigtopfes lässt der Mund
einen Tropfen austreten. Wurden die Bewohner eines
Nestes vier Monate lang von jeglicher Nahrung mit Aus-
nahme frischen Wassers fern gehalten, so zeigten sie sich
ia Ham
SE RE Tea gg ur ner el naar a A a
br En nung ah
aa 2 le N BE he 1 fr
Von Dr. C. SmaLıan. 27
alle wohl und munter; die Honigträger waren dabei merk-
lich ihres Inhalts beraubt. Im allgemeinen sind die Arbeiter
um die Honigtöpfe besorgt; doch blieben herabgefallene
Honigbehälter monatelang in unbehülflicher Lage. War
einer derselben verwundet, so fielen die Arbeiter über ihn
gierig her. Dagen wurden natürlichen Todes gestorbene
Honigtöpfe seeirt, Vorderkörper und Hinterleib gesondert
entfernt. Wahrscheinlich wirkt der Honig solcher gestorbener
Individuen ebenso apathisch, wie mit Carmin gefärbter.
Der Ameisenhonig besitzt säuerliches Aroma, ist dünner
als Bienenhonig und stellt nach Wersersır's Analyse eine
Lösung von reinem, unkrystallisirtem Traubenzucker in
Wasser dar. Noch einmal mag darauf verwiesen sein, dass
ein Vertreter einer von Myrmecocystus ganz verschiedenen
Gattung, die Camponotus inflatus von Adelaide ebenfalls
Honigtöpfe besitzt. Es handelt sich also hier um eine
parallele Entwicklung des Instinktes, gewisse Arbeiter so
eigenthümlich zu modifieiren. Die Grundlage zu einer Er-
klärung solcher Verhältnisse können wir etwa dort finden,
wo auch bei einheimischen Ameisen Arbeiter, vom Melk-
geschäft der Aphiden heimkehrend, ihren Kropf oft strotzend
haben von Honig, der grösstentheils allerdings daheim zur
Atzung der Brut verwendet wird.
Die mannigfachen Bauten der Ameisen, welche von
den Autoren eingehend behandelt wurden, mögen hier über-
gangen werden. Nur mag darauf verwiesen werden, dass
die grösseren unter ihnen — man denke nur an die oft
gewaltigen Nadelhaufen unserer heimischen rothen Wald-
ameisen — im Stande sind, der Landschaft eine gewisse
Physiognomie aufzuprägen.
Der Verkehr im Neste unter den Genossen einer
Colonie ist ein durchaus friedlicher, abgesehen von ge-
legentlich beobachteten Raufereien, welehe man wohl mit
wenig Recht als Spielerei, ja als Vorübung zum Kampfe
gedeutet hat. Die Genossen einer Colonie erkennen sich
stets wieder, ja nach langer Zeit; und es ist bereits darauf
verwiesen, dass die bedeutendsten Autoren dies auf den
Nestgeruch zurückführen wollen. — Ganz anders wird das
Bild, wenn Ameisen verschiedener Herkunft, verschiedenen
28 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
Nestern entstammend oder solche verschiedener Arten auf
einander treffen. Meist entbrennt heftiger Kampf; die Kiefer
lassen bald Köpfe des Feindes rollen, der Stachel erdolcht
die Fremdlinge, die Giftdrüsen spritzen ihren Inhalt ver-
heerend aus. Der Ausgang ist ein ungleicher, entweder
völlige Vernichtung einer Partei oder Rückzug in wilder
Flucht. Allein eine wenig zahlreiche Partei wagt eine
grosse Colonie kaum anzugreifen, geht ihr aus dem Wege
oder sucht, wenn angegriffen, ihr Heil in der Flucht. Das
hängt in manchen Fällen auch von dem Naturel der Art
ab. Die Beobachtungen führen uns ferner Raubzüge vor,
deren Zweck in dem Puppenraub besteht. Solche Brut
wird entweder gefressen oder heimgeschleppt und zu Sclaven
oder Helferinnen erzogen. Dabei wird oft eine Auswahl
getroffen, indem nur Arbeiterinnenpuppen heimgebracht
werden, die Puppen der Geschlechtsthiere aber aufgefressen
werden oder liegen bleiben. Letztere können freilich oft
aus mechanischen Gründen nicht transportirt werden, da
die Form und Stärke der Kiefer es den Räubern verbietet.
Der Angriff geschieht bei den einzelnen Arten der Räuber ;
in einer ihnen eigenen, stets genau befolgten Taktik; die
einen greifen in kleinen Trupps an, deren viele gleichzeitig
in das Nest der Gegenpartei einbrechen, diese überrumpeln
und das Innere nach Brut durchstöbern. Andere dagegen
kämpfen in geschlossenen Reihen. Manche Ameisen küm-
mern sich ferner fast gar nicht um andere Arten, die in
ihrem Heim sich niedergelassen haben, und es herrscht hier
ein indifferentes Gleichgewicht. Endlich kann es auch zu
freundschaftlichen Verbindungen mehrerer Arten kommen,
es entstehen Bundescolonien. Das ganze Gebahren erinnert
so vielfach an menschliche Verhältnisse, an alle die vielen
Wechselbeziehungen unseres Lebens, dass der aristotelische
Ausdruck des z00n politicon mit allen seinen Consequenzen
sowohl auf den Menschen wie auf die Ameisen eine be
rechtigte Anwendung verlangen könnte. Es ist ein Ver
dienst Wasmanw’s, den anthropinen Uebertragungen, welche
selbst verdienstvolle, aber zugleich phantasiereiche Forscher
in die Lehensverhältnisse der Ameisen gebracht haben,
den Boden entzogen zu haben. Wasmanw’s Kritik spitzt
en Shan a Ta Eee SEE a 5 Pental aragp el 213 as En EBENE ne ne un Einen Se a
2, ie ee en a Fi
Von Dr. G. SmALIan. 29
sich auf die Frage zu: Ist den Ameisen Instinkt oder
Intelligenz eigen? Sind ihre so interessanten Lebens-
äusserungen Ausdrücke des einen oder des andern psy-
chischen Moments? Es ist zu einer Orientirung über diesen
Punkt durebaus erforderlich, auf die wichtigsten conereten
Fälle einzugehen, welche der Kritik dieses Forschers die
empirische Grundlage geben. Und da bedarf es noch eines
kurzen Ueberblickes über einige wichtige Formen des Zu-
sammenfindens zweier verschiedener Ameisenarten in dem-
selben Nest. Dieses Zusammenfinden kann ein rein zu-
fälliges sein; so wohnt die kleine Rasenameise ( Teeframorium
caespitum) oft dicht bei dem Nest der blutrothen Raub-
ameise (Formica sanguinea); ebenso hat sich im Nestbezirk
der uns bereits bekannten körnersammelnden Ameise (Po-
gonomyrmez) Amerikas sich die kleine Spiessameise (Dory-
myrmez pyramica) eingestellt. Wenn das Beisammenwohnen
keine Störungen der Parteien veranlasst, so mag eine ge-
wisse Indifferenz das Verhältniss derselben beherrschen.
Bei der Rasenameise und der blutrothen Raubameise da-
gegen ist dies Verhältniss kein ideales; ewiger „unter-
irdischer Guerillakrieg“ ist an der Tagesordnung. Den
Entstehungsgrund solcher zufälliger „zusammengesetzter
Nester“ darf man mit WAsmann!) wohl vorwiegend in der
Häufigkeit des Vorkommens der bei einander wohnenden
Arten suchen. Der Friede unter den Nachbarn ist am
besten gesichert, wenn die „Körpergrösse der Thiere recht
verschieden ist im Verhältniss zur Beschaffenheit des Nest-
bezirkes“.2) Es giebt aber auch „gesetzmässige Formen zu-
sammengesetzter Nester“. So hat sich die winzige Sole-
nopsis fugar bei grösseren Verwandten (Formica sanguinea,
rufibarbis, fusca, pratensis, Polyergus rufescens, Myrmica
scabrinodis und lobieornis) eingenistet. Neben dem gelegent-
lich zu beobachtenden Geschäft der Pflege von Wurzel-
läusen hat Solenopsis sich dem unsauberen Diebeshandwerk
zugewendet. Von ihren weiteren Hauptgängen mit den
Bruträumen, in welchen sich die grösseren Männchen und
1) WAasMmAnN Il. c. p. 8
2) ibid. p. 10 u. 11
30 Altes nnd Neues aus dem Leben der Ameisen,
Weibehen tummeln können, treibt dieser Zwerg winzige
Minen nach den Gängen seines Wirthes, um hier Eier und
kleine Larven zu stehlen. Die geringe Angriffsfläche dieser
kleinen Arbeiter lässt sie den Kiefern der Wirthe entgleiten
oder sichert bis zu gewissem Grade gegen das Gift der-
selben; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass solche Zwerg-
diebe tiberhaupt übersehen werden, und bei der Flucht in
ihre engen Gänge können die erbosten Verfolger nicht
nachsetzen. Dazu kommt die grosse Masse der Diebe und
ihr geradezu scheussliches Gift, dass die grossen Verfolger
oft nach kurzer Frist vernichtet. Eine Erklärung der Ent-
stehung solcher zusammengesetzter Nester dürfte kaum
Schwierigkeiten bereiten.
Eine andere kleine Ameise, Formicoxenus nitidulus, ver-
dient die Bezeichnung einer Gastameise. Sie logirt sich
als ein regelmässiger Gast bei der rothen Waldameise For-
mica rufa, ein und geniesst bier den Wärmeschutz des
grossen Nestes, der sie wohl hierher zog. Zuweilen wird
ihr kleines Nest im Puppengehäuse des Goldkäfers, Cetonia
floricola, gefunden. Sie ist harmlos und besitzt „eine un-
erschütterliche Geduld;* mit geringem Gesichtssinn begabt,
erträgt sie die Püffe und Fusstritte ihrer Wirthe mit stoischer
Ruhe, die sie ihrer Kleinheit wegen wohl übersehen mögen.
Zu viel beunruhigt, stellt sie sich todt, und verlegt ihr
Nest aus zu belebten Theilen des rothen Waldameisen-
nestes in ruhigere Stadtviertel. Wenn die Waldameisen
ibr Nest verlassen, folgt sie ihnen, jedenfalls um dem
Wärmeschutz wiederum nachzustreben. Sie wird von den
Wirthen geduldet, weil jedenfalls meist übersehen. Ein
echter Gast, den die Wirthe füttern, ist sie aber nicht.
Wie man sich ein so harmloses Gastverhältniss entstehen
denken will, dürfte ebenfalls keinerlei Schwierigkeiten
bereiten.
Von diesen zufälligen und gesetzmässigen zusammen-
gesetzten Nestern scheidet WAsvmanw nun scharf die „zu-
sammengesetzten Colonien“. Diese kommen dadurch zu
Stande, dass zu bestimmten Zeiten räuberisch veranlagte
Ameisen regelmässige Raubztige ausführen, um die Puppen
fremder Ameisen zu erbeuten, heimzutragen und zu Selaven
i
5
;
3
Von Dr. C. Smauısan. 31
oder Hilfsameisen zu erziehen. Daraus kann ein dreifaches
Wechselverhältniss von Herren und Sclaven resultiren:
1. Die Herren bleiben gänzlich unabhängig von den
Hilfsameisen, was an dem gekerbten Kaurand der
Kiefer der Herrenarbeiter zum Ausdruck gelangt.
Das Prototyp dieser Sorte ist die blutrothe Raubameise,
Formica sanguinea, welche F. fusca und rufibarbis zu Sclaven
macht, erstere deshalb häufiger, weil sie gemeiner ist.
Gerade wenig zahlreiche Colonien von sanguinea haben die
meisten Sclaven, weil sie naturgemäss von den einge-
schleppten Puppen relativ wenige zur Nahrung brauchen,
und weil sie die meisten Arbeiter nöthig haben.
Die beim tollkühnen Angriff befolgte Taktik wurde
schon erwähnt. Während sanguinea vorwiegend jagt, müssen
ihre Hilfsameisen Erdarbeiten verrichten, die Brut erziehen
und Blattläuse züchten. Sanguinea ist zwar nicht völlig
abhängig von ihren Helfern, aber sie sind ihr zum Vortheil
geworden.
2. Die Herren sind abhängig von den Selaven, was
die Kiefer ihrer Arbeiterinnen durch den Mangel
des Kaurandes verrathen.
Das typische Beispiel bilden die Amazonen, Polyergus,
deren Kiefer ausschliesslich als furchtbare Waffen im
Streite dienen. Die europäische Polyergus rufescens raubt
F. fusca und rufibarbis, die nordamerikanische P. /ueidus
zieht F. Schaufussi zu Selaven auf. Es ist interessant,
dass die Selaven entgegen ihrem oft feigen Naturel bei
den Herren deren Kampfesmuth übernehmen und sich bei
Nestüberfällen muthig benebmen. Die Amazone ist die
gefürchtetste Selavenjägerin, aber auch nur nach dieser
ienen Richtung hat sich ihr Talent ausgebildet. Zu Hause
ist sie das täppischste, unbeholfenste Wesen, das die häus-
lichen Arbeiten ihren Selaven überlassen muss, weil ihre
einseitig zum Kampfe ausgebildeten Kiefer es ihr gar nicht
gestatten. Ja sie lässt sich normaler Weise von den Selaven
füttern, die sie anbettelt, obwohl ihre Fresswerkzeuge es
ihr zulassen dürften, denn sie besitzt keine rückgebildeten
Taster. Abgesehen von wenigen Fällen, wo sich ?
32 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
gleichsam zufällig an Nahrung vergriff, verhungert sie
mitten in der Nahrung, wenn sie nicht gefüttert wird.
Eine Untergruppe der zweiten Classe, wo die Herren
von den Helfern zwar abhängig sind, es aber ihrer Fress-
werkzeuge wegen nicht zu sein brauchten, bilden Strongy-
lognathus testaceus und die noch lange nicht völlig erforschte
nordische Tomognathus sublaevis.
Strongylognathus testaceus ist mit der kleinen Rasen-
ameise, Teframorium caespitum vergesellschaftet und schwer
zu finden, da beide Formen sich sehr ähneln. Strongylo-
gnathus vermag ihre völlig zahnlosen Kiefer aber kaum noch
zum Angriff zu gebrauchen, ebenso wenig aber zur Brut-
pflege; sie wird von Teframorium gefüttert, kann sich aber,
der Hilfsameisen beraubt, selbst ernähren und vermag auch
kleine Gänge zu graben. Wie kommen diese gemischten
Colonien zu Stande? Nach der Ansicht WAsmann’s auf
friedliche Weise, da von einem Sclavenraube nichts zu
beobachten ist. Man kann hier also nur von „Bundes-
colonien“ sprechen, deren Glieder weder Herren noch
Scelaven sind, sondern wohl passend als „Gesellschafts-
ameisen*“ bezeichnet werden müssen. Beobachtet ist das
Zustandekommen einer solchen Colonie nicht. Allein am
wahrscheinlichsten ist, dass sich ein befruchtetes Weibchen
von S’rongylognathus friedlich alliirt mit einem der sehr
häufigen isolirten Weibehen von Tetramorium; es könnte
auch ein Weibehen von Strongylognathus von einer T'etra-
morium-Colonie aufgenommen werden oder zwei Colonien
der in Rede stehenden Thierchen verbänden sich. Letztere
beiden Annahmen dürften jedoch wenig Wahrscheinliches
haben. Es bleiben aber in dieser Bundescolonie Räthsel.
Da in der Bundescolonie Strongylognathus — Tetramorium
Weibchen beider Parteien vorhanden sind, so ist die wich-
tigste ungelöste Frage: Wo bleiben die von Tetramorium
erzeugten Männchen und Weibchen, die nie gefunden
werden?
3. Die Herren sind gänzlich abhängig von den Sclaven
und besitzen überhaupt keine Arbeiterform.
Dieses Extrem findet sich in den Colonien Anergates
atratulus — Tetramorium. Neben den geflügelten Weibchen
ee 2:
ni: . ann ae a a ran a ee BE aa a el Zac TERRIEHT
r 992
Von Dr. C. SmALlan. 39
hat Anergates atratulus ungeflügelte, unentwickelte und
larvenähnliche Männchen. Neben ihnen bevölkern nur
Arbeiter von Tetramorium die Colonie. Anergates ist völlig
abhängig von Tetramorium und besitzt in beiden Geschlechtern
äusserst reduzirte Kiefer. — Im Uebrigen ist nichts über
die Entstehung solcher Colonien bekannt.
Den von Wasmann charakterisirten drei Gruppen ge-
setzmässig gebildeter gemischter Colonien können solche
gemischten Colonien gegenüber gestellt werden, in welchen
zwei verschiedene Ameisenarten, die für gewöhnlich nicht
vergesellschaftet sind, nesslinineise sich zusammen ge-
funden haben. Solche „zufällige Formen gemischter Colo-
nien“ können künstlich hervorgebracht werden, um den
Forscher auf die Fährte zu bringen nach den Urmaches der
Wechselwirkung der Ameisen in den gemischten Colonien,
sie können andererseits gelegentlich auch in der Natur
vorkommen. Die ausnahmsweise gebildeten gemischten
Ameisencolonien haben also eine wichtige theoretische
Bedeutung, und ein kurzes Referat über die einschläglichen
Beobachtungen und Ansichten WAsmann’s muss deshalb hier
seinen Platz finden.
„Künstliceh anormal gemischte Dupdessolonie? kann
man leicht hervorrufen zwischen ganz jungen, der Puppe
eben entschlüpften jungen Ameisen, wie schon Forer's Ver-
suche dargethan haben. Die noch nicht ausgefärbten Thiere
vergesellschaften sich ohne Schwierigkeit, bauen ein ge-
meinsames Nest. Der Bestand einer solchen Bundescolonie
hängt natürlich von der Art ihrer Zusammensetzung ab.
Die Erklärung dieser friedlichen Vereinigung beliebig vieler,
ganz verschiedener Arten, deren Individuen aus ganz ver-
schiedenen Nestern stammen, findet Foreı darin, dass den
unausgefärbten Ameisen noch kein typischer Nestgeruch
anhafte, dass sie noch nicht ihr Nationale an sich tragen,
daher „untereinander noch auf einem internationalen Stand-
punkt“ stehen. Wer sich der Annahme Forer’s von der
Bedeutung des odorat au contact anschliesst, wird darin
auch leicht die Erklärung dafür finden, dass solche jungen,
nicht ausgefärbten Ameisen mit noch weichem Chitinpanzer
von erwachsenen alten a leichter aufgenommen werden
Zeitschrift für Naturwiss. Bd. 67. 3
34 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
als alte. — Versuche haben weiter die wichtige Thatsache
festgestellt, dass Ameisen verschiedener Arten und Colo-
nien, welche, in Masse vereinigt, sich wüthend bekämpfen,
sich ganz anders verhalten, sobald sie in geringer Zahl in
einem Gefässe mit Erde gehalten werden: Anfänglich
weichen sie möglichst einander aus, oft „siegt das Gesellig-
keitsbedürfniss über die gegenseitige Abneigung“, Ja es
kann selbst zu Bündnissen kommen, was besonders dann
der Fall ist, wenn die zusammengebrachten Arten unter
einander näher verwandt sind, und wenn der Unterschied
in der Grösse nicht zu bedeutend ist. Unter diesen Be-
dingungen wird eine vollkommene Bundescolonie erzielt, in
welcher alle Individuen sich am Nestbau, an gegenseitiger
Fütterung und an der Brutpflege betheiligen. Das gegen-
seitige Verhältniss der künstlich gemischten Individuen
bleibt ein um so indifferenteres, je bedeutender der Unter-
schied in der Grösse und in der systematischen Herkunft
ist. — Diese Thatsachen sind von grosser Wichtigkeit für
die Erklärung der Entstehung der Bundescolonien, z. B.
der früher erwähnten Colonie Strongylognathus testaceus —
Tetramorium, sofern damit ein möglicher Weg gezeigt wird,
den die Natur zur Erzielung von Bundescolonien beschreiten
kann. — Es ist ferner bemerkenswerth, dass die Neigung
zur Allianz gewissen Ameisenarten und Gattungen in höherem
Grade eigen ist, als anderen. So sind die Formiciden durch
diese Neigung besonders ausgezeichnet ; unterihnen schliessen
Formica sanguwinea und rufa am leichtesten wieder Bünd-
nisse mit Colonien derselben Art. Polyergus dagegen ver-
gesellschaftet sich nie mit einer Colonie ihresgleichen,
während eine Vereinigung von Polyergus und Formica um
so leichter statt hat, weil ja Polyergus der Formica be-
darf. — Zwei Colonien derselben Ameisenart alliiren sich
um so leichter, je plötzlicher die Annäherung stattfindet,
während eine langsame Vereinigung eine längere Reihe
von Feindseligkeit nach sich zieht. Werden fremde Colo-
nien in einem Sacke durcheinander geschüttelt, so scheint
die Noth schnell gegenseitige Freundschaft zu schmieden
(ForzL). — Es ist einleuchtend, dass gelegentlich durch 4
*
A
A
=
Von Dr. €. SmaLsan. 35
Ameisensammler unbewusst künstlich anormale Bundes-
eolonien herbeigeführt werden.
Gegenüber den „künstlich anormal gemischten Bundes-
colonien® stehen „künstlich anormal gemischte Raubcolo-
nien“, welche For£L mehrfach hervorbrachte, so besonders
von Formica sanguinea und pratensis. Ihre Dauer war keine
lange (2—3 Jahre); bald herrschte die eine, bald die
andere Art vor. Die Allianz war übrigens eine innige und
bewährte sich im Kampfe gegen fremde Colonien; dabei
zeigte sich das eigenthimliche Naturel der einzelnen Art;
pratensis floh bei Beunruhigung zunächst in die Tiefe und
die Wahlstatt bedeckte sich mit der kriegerischen sanguinea;
doch nahm auch pratensis, welche sonst hauptsächlich fried-
licher Beschäftigung nachging, am Kampfe Theil und zwar
mit der ihr eigenthümlichen Taktik des Fechtens in ge-
schlossener Reihe. Wasmann erzeugte künstlich gemischte
Raubcolonien von Formica sanguinea, fusca, rufa, pratensis,
und es ist interessant, wie in diesen Colonien das Naturel
jeder einzelnen Art in schärfster Weise zum Ausdruck ge-
langte. Wurden Hornissen in das Nest der Colonie ge-
worfen, so stürzte sich vor allem die kampflustige sanguinea
giftspritzend auf die Fremdlinge, ihr schlossen sich an die
kleinen fusca. Dagegen zeigten sich unsere Waldameisen,
rufa und pratensis, entsprechend ihrem harmloseren Naturel,
viel unbeholfener.
Bei den künstlich erzeugten anormal gemischten Colo-
nien weiss man genau, ob man eine Bundes- oder eine
Raubeolonie vor sich hat, und vor allem, wie sie entstanden
sind. Aber es giebt auch „natürliche anormale gemischte
Colonien“, welehe durch Beobachtung erwiesen sind. Allein
ihr Wesen ist schwer zu ergründen, da sich meist nicht
leicht entscheiden lässt, ob man wirklich anormal gemischte
Colonien oder Raubcolonien oder gemischte Nester vor sich
hat; indessen vermag der Scharfbliek des geübten Forschers
aus dem Naturel der vergesellschafteten Arten durch Ana-
logieschluss die Natur der Vereinigung mit grosser Wahr-
scheinlichkeit festzustellen. So sah Wasmann einst Formica
sanguinea mit rufa und fusca associirt, und Foren hatte
früher bereits Colonien sanguinea-pratensis und sanguinea- 2
36 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
rufa beobachtet. Forer’s Beobachtungen haben auch natür-
lich anormal gemischte Bundescolonien wahrscheinlich ge-
macht (Fourmiliöres miztes naturelles anormales in Ameisen
der Schweiz).
Nach einer Uebersicht über die feststehenden That-
sachen des Verhaltens der Ameisen untereinander ergiebt
sich für uns zur Schlussbetrachtung eine Reihe Fragen und
theoretischer Erörterungen: Wie entstanden die gemischten
Raub- und Bundescolonien? Haben sie sich entwickelt im
Sinne der Descendenztheorie? Mit dieser Frage ist die-
jenige nach der Entstehung der socialen Instinete aufs
Engste verknüpft, ebenso das Problem: Tritt uns in den
Handlungen der Ameisen eine höhere psychische Bethätigung
entgegen, vergleichbar unserer Vernunft? Die hierzu ge-
hörige Argumentation ist im allgemeinen eine einbeitliche
und sei als hypothetisches Moment hier am Ende kurz an-
gedeutet.
Die Beobachtungen über das Treiben der Ameisen
lehren, wie mehrfach erwäbnt wurde, dass die Thätig-
keiten dieser Thiere stark an menschliche Verhältnisse an-
klingen; und die Gefahr liegt nahe, menschliche Anschau-
ungen auf das Volk der Ameisen zu übertragen, eine
Erscheinung, welche nicht nur Laien, sondern verdiente
Forscher hervorgebracht haben. Wenn man, entschieden
in gewisser Voreingenommenbeit befangen, den Menschen
in der.Ameise en miniature wiedererkennen will, so legt
man vor allen Dingen den Handlungen dieser Thiere eine
bewusste Absicht zu Grunde. Es ist nicht zu leugnen,
dass man nur zu leicht zu dieser Ansicht kommen kann,
Beispiele aus dem Beobachtungskreise sind genug zur
Hand; wir wollen uns aber niebt mehr in’s Einzelne ver-
lieren. Da wir uns nicht in die Psyche der Ameisen ver-
setzen können, so werden die Beobachtungsresultate Je
nach dem Standpunkte des Beurtheilenden stets schwanken.
Allein ich glaube doch, dass die anthropine Uebertragung
über’s Ziel hinausschiesst, wenn sie bewusste Absicht der
Ameisenhandlungsweise unterschiebt. Man wird nicht leug-
nen können, dass unsere Thiere Erfahrungen machen, dass
sie durch bestimmte sinnliche Empfindungen veranlasst, ZU
Von Dr. C. SmALıan. 37
bestimmten Thaten veranlasst werden, dass sie Erinnerungs-
bilder besitzen, welche auftauchen, sobald der Reiz, welcher
jene hervorrief, wieder sich geltend macht. Es sind das
schon verwickelte psychische Thätigkeiten, welche WAsmann
sammt und sonders als Instinete bezeichnet, weil sie con-
stant bei den einzelnen Arten sich äussern und vor allen
zum Theil wenigstens den eben aus der Puppenhülle ge-
nommenen Jungen anhaften. Man mag in manchen dieser
Erscheinungen selbst die Anfänge einer Abstraction er-
blicken, sofern Vorstellungen ceoncereter Dinge wie der
Puppen, die geraubt werden, vorliegen. Ja manche Thätig-
keiten scheinen Anzeichen fast einer Art Ueberlegung an-
zudeuten. Daher Forer’s Meinung vom „kurzen Funken
einer überlegenden, zweifelnden Vernunft“ und Hesrı FABRES
„Schimmer von Intelligenz“. Es kommt eben darauf an,
ob man die Vorstellungen conereter Dinge gleichsam als
Anfang der Abstraction und damit der Intelligenz ansehen
will, wie Every!) das thut, oder ob man das mit WASmann
Instinet nennen will. Darin hat Wasmann aber gewiss
Recht, dass von einer Vernunft wie beim Menschen hier
füglich nicht geredet werden kann. Von einer sinnlich er-
zeugten Vorstellung bis zur geistigen Erzeugung einer be-
wussten Absicht, das ist noch ein weiter Weg. Dass die
Räuber wissen, zu welchem Zweck sie die Puppen der
Fremden eintragen, das Ziel der Selaverei, das kann
Niemand beweisen; aber auch der Gegenbeweis muss aus-
stehen. Es ist sehr wohl denkbar, dass den Ameisen ein-
fache, sinnliche Vorstellungen eigen sind wie dem mensch-
lichen Säugling, dass die daraus folgenden Strebungen das
Resultat eines zuerst gelegentlichen Erfolges sind von zu-
fälligen Bewegungen, dass diese Bewegungen alsdann aus
dem Gebiete des Reflexes herausgehoben und zu gewollten
Handlungen werden. Die Abstraetionen höheren Grades
sind aber erst möglich durch den Besitz einer Sprache,
wie Em£rY treffend ausführt, welche gestattet, Reihen von
Vorstellungen zu Begriffen und danach zu Schlüssen zu
verbinden. In diesem höhern Grade wird man den Ameisen
9) Emerr, Intelligenz und Instinet der Thiere, biolog. Central-
latt 1893. Bd. XILL, No. 5, p. 151—
38 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
allerdings eine Intelligenz absprechen müssen. Allein etwas
ganz anderes ist es, ob alle Thätigkeiten der Ameisen ihren
Grund in Instineten haben, oder ob sie nicht zum Theil
ein Ausfluss einer, wenn auch sehr niedrigen Intelligenz
sind, genau wie die menschlichen Handlungen zum Theil
instinetiv, zum Theil rationell sind. ZiEsLer!) sieht als
Instinet nur vererbte geistige Eigenschaften an und be-
schreibt mit HersBerr Spencer denselben als einen „com-
plieirten Reflex“. Dabei sind Reflex und Instinkt schwer
von einander zu scheiden, beide sind entstanden auf Grund
der für die Species charakteristischen Keimesanlage, „sie
sind durch Vererbung überlieferte Eigenthümlichkeiten“,
Erkennt man diese Fassung des Instinetes als richtig an,
so muss man auch der Unterscheidung beipflichten, welche
ZIEGLER zwischen Instinet und Verstand aufstellt: „Die-
jenigen Assoeiationen, welche im individuellen Leben auf
Grund der Einprägung von Sinneseindrücken gebildet wer-
den, diese beruhen auf dem Verstand, diejenigen, welche
unabhängig von der äusseren Erfahrung zur Entwicklung
kommen, diese sind instiretiv“. Was ergiebt sich, wenn
wir diesen Maassstab an die Ameisenthätigkeiten anlegen?
Die grosse Masse der auf Nestbau, Brutpflege, Sclaven-
raub gerichteten Handlungen der Arbeiter beruht auf In-
stinet. Dafür spricht die Constanz der Ausführung dieser
Thätigkeiten; die Thiere folgen dem angeborenen Triebe,
so zu handeln, und die Arbeiter jeder folgenden Generation
machen cs ebenso wie diejenigen der vorhergehenden.
Darin liegt ein scharfer Gegensatz zu den Thaten des
Menschen, den Darwin?) längst hervorhob: „Die Ameisen
arbeiten nach ihren Instineten und mit angeborenen Organen
als Werkzeugen, während der Mensch nach erworbenen
Kenntnissen und mit künstlich gefertigtem Geräth arbeitet“.
Dieser Unterschied kann nicht genug hervorgehoben werden:
Die auf die Erhaltung des Ameisenstaates zugeschnittenen
!) H. E. ZIEGLER, über den Instinet, Anhang zu „die Natur-
wissenschaft und die socialdemokratische Theorie“ p. 246.
2) Darwıs, Entstehung der Arten, übers. von Carus, 4. Aufl.
p. 313.
eg 5%. 4 Vak tal Zu
Von Dr. C. SmaLıan. 39
Thätigkeiten beruhen auf dem Muss, diejenigen des Men-
schen auf dem freien Willen. ZieeLer!) gagt daher mit
Reeht: „Man würde einen groben Irrthum begehen, wenn
man von den Verhältnissen der Inseeten einen Schluss auf
die soeialen Einrichtungen des Menschen machen wollte,
besonders wenn man etwa die communistischen „Staaten“
der Inseeten als Vorbild eines Communismus der Menschen
betrachten möchte“. Und dieser Autor weist treffend darauf
hin, dass die Inseeten und die Wirbelthiere mit dem Men-
schen schon um deshalben einen Vergleich nicht aushalten,
weil sie so sehr differente am Stamme des Thier-
reiches darstellen.
Wenngleich die Richtung er Ameisenthätigkeiten in-
stinetiv begründet erscheint, so kann daneben dennoch die
Art der Ausführung unter dem Einfluss der Erfahrung
stehen. Wenn aber im individuellen Leben einer Arbeiterin
die Erfahrung auf die Handlungsweise des Thieres ein-
wirken und diese verändern kann, so heisst das, das Thier
vermag zu lernen. Ob Ameisen etwas lernen können, ob
der Antrieb zu einer veränderten Handlungsweise also in
einer, wenn auch geringen Ueberlegung zu suchen sei, das
ist die Frage. Es scheint nicht angängig, die Frage all-
gemein zu bejahen oder zu verneinen, da offenbar Unter-
schiede einer verschiedenen Begabung der Gattungen,
Arten, ja auch der Individuen derselben Species vorliegen
können genau wie bei den höheren Thieren. Wider-
sprechende Beobachtungen liegen in Menge vor; so führt
Wasmans 2) Beispiele an, welche gegen jede Ameisen-
intelligenz sprechen, Luprock 3) golche, welche für dieselbe
eintreten sollen. Einige besonders typische Beispiele mögen
hier ihren Ort finden:
WASMAnN®) hing ein Schälchen mit Honig wenige Milli-
meter über Formica sanguinea auf, unter dem ein Erd-
häufchen lag. Die sanguinea, welche manche Autoren als
1) ZIEGLER, |. c. p. 186,
2) ]. c. p. 203 und 204. ;
3) LuBBOcK, Ameisen, Bienen und Wespen. Kap. IX, p. 198
bis 231.
#%) WASMAnn, 1. c. p. 208.
40 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
die „intelligenteste* heimische Art ansprechen, „reekten
stundenlang sehnsüchtig ihre Fühler nach dem hohen Ideale
aus, ohne auf die Idee zu kommen, eine kleine Schicht
unter denselben zusammen zu tragen und dadurch ihren
Standpunkt zu erhöhen“. Das geschah auch nach Tagen
nicht. WaAsmann fährt fort: „Der schwächste Schimmer
einer tiberlegenden Vernunft hätte dazu ausgereicht — aber
er war eben nicht vorhanden. Meiner Meinung nach wäre der
Versuch in wenig veränderter Form noch instructiver und
beweisender: Wenn man nämlich zunächst eine Verbindung
zwischen dem Honigschälchen und dem Erdhäufchen her-
stellte, sodass die Thiere erst zum ersehnten Ziel gelangen
könnten und so durch Erfahrung den Weg kennen zu lernen
vermöchten. Was würden sie thun, wenn alsdann später
die Brücke abgebrochen würde?
In dieser Form würde sich der Versuch mehr dem-
jenigen nähern, über welchen Luseock!) nach dem Bericht
Kerners referirt, und über den Dr. GrevLer aus Bozen im
„Zoologischen Garten XV p. 434“ zuerst berichtet hat. Ein
College des Dr. GrepLer hatte Ameisen auf seinem Fenster-
sims mit Zucker geködert (welche Art vorlag, wird leider
nicht angegeben). Der Zucker wurde später in ein Gefäss
gethan und dann mit einem Faden am Querbalken des
Fensterkreuzes befestigt, „und damit die bisher gehegten
Pfleglinge auch vom höher gehängten Brotkorbe Kunde
nähmen, wurde eine Anzahl Individuen desselben Ameisen-
zuges hineingegeben“. Bald sah man die Thiere mit
Zuckerkrümehen am Faden über das Fensterkreuz hinab-
turnen. In den folgenden Tagen ging der Zug von der
im Garten befindlichen Colonie über das Gesims, das
Fensterkreuz zum Zuekerbehälter und zurück. EinesMorgens
jedoch stand die Masse der Thiere wieder auf dem Gesims;
im Zuckergefässe „arbeiteten aber ein Dutzend Kerle
rüstig und unverdrossen, trugen die Krümchen nunmehr
blos an den Rand desselben und warfen sie ihren Kame-
raden hinab auf das Fenstergesimse, das ihr kurzsichtiges
Auge doch gar nieht wahrnehmen konnte“. — Dieser Ver-
1) LupBock, Ameisen, Bienen und Wespen, p. 199.
Von Dr. C. Smausan. 41
such ist zweifelsohne in seiner Ausführung lückenloser als
der Wasmanw’sche, und er verlangt vorn herein weniger von
der ratio der Thiere, indem er Schritt für Schritt Er-
fahrungen bietet. — Von LEUCKART und andern werden
mehrfache Beobachtungen über Ameisen angeführt, welche
über in den Weg gelegte Hindernisse (Theerringe, Tabaks-
Jauche) Erdklümpcehen, Blattläuse zu einer Brücke formirten,
über welche sie hernach marschirten. —
Es ist jedenfalls sehr erwünscht, Experimente und
Beobachtungen nach solcher Richtung hin noch möglichst
viele anzustellen zur Klärung der Frage, ob Intelligenz
oder Instinet den Ameisen zuzuschreiben sei. Darf ich hier
eine eigene kleine Beobachtung darstellen: Ich sah im
Juli 1893 zwei rothe Waldameisen sich mit dem Hinter-
leibe eines erbeuteten Wespenleichnams abquälen; sie
wollten das Stück in eine der Oeffnungen des Nestes hin-
einbugsiren, und da es bei der ersten Oeffnung nicht an-
ging, so versuchten sie es an drei oder vier andern, aber
überall umsonst; sie zogen nämlich das breitere Ende voran;
endlich aber drehten sie die Last herum, und nun zog eine
am spitzen Ende vorn, die zweite schob nach, sodass die
Beute schnell meinen Blicken entschwand. Ich wage nicht,
derartige Handlungen, bei welchen gleichsam probirt wird,
und welche man tausendmal beim Transport von Bau-
material durch Ameisen beobachten kann, ohne weiteres
einer Intelligenz zuzuschreiben, da hier das Gefihl mannig-
fach eine Rolle spielen kann. Allein ich bin durch die
schönen Beobachtungen Wasmann’s doch durchaus nicht
überzeugt davon, dass man den Ameisen auch die leiseste
Spur von Intelligenz absprechen müsse. Wasmans denkt
meiner Meinung nach beim Gebrauche des Wortes Intelli-
genz immer an eine zu hohe Bethätigung derselben bei
Wesen, welche so weit verschieden sind in ihrer Orga-
nisation von den höchsten Wirbelthieren. Er verlangt
meiner Meinung nach viel zu viel von einer Ameisen-
intelligenz.
Als völlig verfehlt wird man aber Wasuansw’s!) Forde-
1) 1. e. p. 208.
42 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
rung ansehen müssen, dass sanguinea, welche stets in
kleinen Trupps angreift und deshalb von grossen Trupps
fusca oder rufibarbis leicht überwunden werden kann, ihre
Taktik verändern solle. Die Taktik ist ebenso gut ange-
boren, also instinetiv wie der Trieb zu rauben. Ebenso
hinfällig ist seine Argumentation bezüglich des Verhaltens
von der Amazone, Polyergus, wenn er sagt: „Ein Wesen,
das selbst fressen kann, und trotzdem das Fressen „ver-
lernt hat“, das ist die grösste Ironie auf die Tbierintelli-
genz“ (l. e. p. 204). Woher weiss er denn, dass Polyergus
fressen kann? seine Stütze ist ein Analogieschluss von der
Beschaffenheit der Fresswerkzeuge auf das Fressenkönnen.
Und er berichtet, dass er einmal Polyergus habe selbst-
ständig sich ernähren sehen; allein die Sache ist doch
nieht zweifelsohne, da man in diesem Falle, wo die Thiere
sonst nie fressen, sondern stets gefüttert werden, nicht
wissen kann, ob die berührte Nahrung auch wirklich auf-
genommen wurde.
lles in allem: Wir sind auch nach den ausgezeich-
neten Beobachtungen WaAswann’s nicht im Reinen darüber,
ob den Ameisen nur Instinet zukommt und nicht auch die
ersten Anfänge der Abstraction, also Elemente einer In-
telligenz. Denn den Beobachtungen dieses Autors stehen
ebenso schwerwiegende anderer bedeutender Forscher wie
1. B. Lussock’s gegenüber. Zudem wird man sich über
das, was man als Intelligenz definiren will, erst einigen
müssen. Bis dahin ist jeder Streit müssig.
Und nun noch etwas über die Meinungen nach der
Entstehung der soeialen Instinkte der Ameisen und also
damit derjenigen der gemischten Colonien: Wen die mäch-
tigen Erfolge der morphologischen Forschung, also der ver-
gleichenden Anatomie, Entwieklungsgeschichte und der
Palaeontologie auf den Boden der Entwicklungslehre ge
stellt haben, der muss eonsequenter Weise auch eine Ent-
wicklung der thierischen Psyche annehmen.
Die Forderung ist leicht, der Beweis psychologischer-
seits zur Zeit unmöglich. Das ist, was sicher steht. Mit
grossem Interesse folgt man den ebenso scharfsinnigen wie
objeetiven Ausführungen WAsmanw’s, in welchen er das Pro
ne REES EL ne Ni
Von Dr, C. Smausan. 43
und das Contra bezüglich einer seelischen Entwicklung ab-
wägt. Er giebt die Möglichkeit einer solchen zu, aber er
macht sich doch nicht frei aus seinem sonstigen Anschau-
ungsbereich; er will am Ende zum persönlichen Schöpfer-
begriff gelangen, wie der Monist zum Monismus. Er be-
kennt sich wenigstens als einen gemässigten Anhänger der
Entwicklungslehre; aber seinem Fühlen nach würde er es
gern sehen, wenn sich diese Lebre auf die Dauer als un-
haltbar erwiese. Dieses Eindrucks kann man sich nicht
erwehren bei der Lectüre der philosophischen Kapitel seines
herrlichen Buches. Zwei schwerwiegende Einwände gegen
die Lehre von der Entwicklung der socialen Instinete der
Ameisen wird man anerkennen müssen: Erstens, seit dem
Tertiär sind die Kasten der Ameisen dieselben geblieben;
also müssen auch die ihnen anhaftenden Instinete damals
bereits gegeben sein. — Allein, wie sie waren, das wissen
wir nicht, und wie es vor dem Tertiäralter war, in welchem
die Thiere vielleicht ihre höchste Blüthe erreichten, darüber
wissen wir abermals nichts. Zweitens der Einwurf, den
Darwın sich selbst schon erhob: Will man annehmen, die
Instinete seien von den Urameisen durch Erfahrung er-
worben und vererbt, so entstehen die grössten Schwierig-
keiten für eine Erklärung.
Da heute die Arbeiter, die eigentlichen Träger der
soeialen Instinete, normaler Weise sich nicht fortpflanzen,
so müsste man zu zweierlei Dingen seine Zuflucht nehmen:
Erstens könnten die gelegentlich von Arbeitern erzeugten
Männchen, falls die Arbeitereier nicht von ihren Producenten
gefressen werden, was oft geschieht, die Träger einer
„latenten Vererbung“ sein. Oder man muss annehmen, bei
den Urameisen sei der Unterschied zwischen normalen, ver-
erbungsfähigen Weibehen und Arbeiterinnen noch ein ge-
ringer gewesen; aber dann, so folgert Wasmann weiter,
waren ja die Instinete noch niederer Art. Zu der letzteren
Folgerung braucht man aber, meine ich, durchaus nicht zu
kommen. Es kann ja doch möglich sein, dass längere Zeit
hindurch Weibchen sowohl Eier legten, als es auch in den
Instineten zu allerhand Arbeit weiter und weiter brachten.
Erst spät, als die Instinete schon hoch, ja am höchsten
44 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
unter dem Einfluss der natürlichen Zuchtwahl entwickelt
waren, trat eine scharfe Trennung von nur eierlegenden
Weibehen und nur arbeitenden Kümmerweibchen ein, und
von jetzt an mag es nicht Wunder nehmen, die Instinete
als constant bleiben zu sehen. — Wir sind indessen hier
überall rein im Gebiet der Hypothese, und es ist besser,
mit WAsmann ein ehrliches Ignoramus zu bekennen. Daraus
kann aber nimmermehr folgen, dass diese Lücken unseres
Wissens im Stande seien, die Entwicklungslehre über den
Haufen zu werfen. Man mag noch so viele werthvolle Bau-
steine zu einer vergleichenden Psychologie zusammentragen
und diese zu Prüfsteinen der Entwicklungslehre machen,
ein wirkliches zusammenhängendes Gebäude wird sich nie-
mals fügen lassen. Die Paläontologie hat bei aller Lücken-
haftigkeit uns mit einer Menge alter Formen bekannt ge-
macht, die wir nach ihrem Bau als Colleetivtypen, also als
Ahnen heute lebender Wesen ansehen dürfen, die Entwick-
lungsgeschichte der Einzelwesen hat uns das biogenetische
Grundgesetz gebracht, das uns weithin rückwärts leitet und
ein Verständniss für heutige Einrichtungen der Lebewesen
liefert, die physiologisch unverständlich erscheinen; die
vergleichende Anatomie ist ein stolzer Bau, der mit seinen
eben genannten Schwesterwissenschaften uns unaufhörlich
vorwärts bringt in der Erkenntniss des Wesens und der
Entstehung der Lebewelt. Alle diese morphologischen Dis-
eiplinen predigen uns den Entwicklungsgedanken. — Aber
es fehlt uns eine vergleichende Physiologie und Psycho-
logie mit dem annähernd gleichwertbigen Inhalt wie die
vergleichende Morphologie. Allein die Hoffnung auf eine
vergleichende Psychologie in diesem Sinne ist eine zu
schwache. Denn es kann keine auf empirischer Grundlage
aufgebaute Entstehungsgeschichte der geistigen Thätig-
keiten geben, keine Psychogenie; die vergleichende Psycho-
logie ist daher ein Bau ohne Fundament, sie mag ein mehr
oder minder werthvolles Mosaik darstellen, aber leider
werden die meisten Plätze ihres Gebietes immer frei bleiben,
da es uns unmöglich ist, uns in die Thierseele zu ver-
setzen; wir können nur immer mit menschlichem Maasse
messen und werden damit per Analogiam so und so oft
x
i
a a an a a
Von Dr. C. SmaLıan, 45
falsch messen. Und wenn es uns gelänge, die Dinge vom
psychischen Standpunkte des Thieres aus anzusehen, so
fehlte uns das Urtheil, die ratio, die jedenfalls nur uns
unter den Lebewesen eigen ist. So drängt es uns also
doch zur Entwicklungslehre. Unter den mannigfachen Dar-
stellungen, welche das Leben des interessanten Ameisen-
volkes erfahren hat, nimmt Wasmann’s Werk — das muss
man hervorheben — eine vorzügliche Stellung ein. Es ist
ein Muster strenger Wissenschaftlichkeit, die der Phantasie
straffe Fesseln anlegt, damit sie nicht mit uns bei der Be-
urtheilung der natürlichen Dinge durchgehe. Und ein
Anderes beweisen so gediegene biologische Arbeiten, näm-
lich dass die morphologische Methode, die so gewaltig
heute die Forschung beeinflusst, nicht die alleinselig-
machende für den Naturforscher ist, und dass man den
äusseren biologischen Verhältnissen der Lebewelt mehr
Rechnung tragen soll, als das zuweilen geschieht.
Nachtrag.
Nach Drucklegung dieser Ausführungen kommen mir zwei
Arbeiten in die Hände, welche sich auf die Enstehung der Instinkte
und der Arbeiter bei den Ameisen beziehen, und die hier nicht
unerwähnt bleiben dürfen'))! WeısMmAnN hebt hervor, das die
Eigenthümlichkeiten der Arbeiter nur „durch Selektion der
Ameiseneltern“ gezüchtet wurden insofern, als „immer diejenigen
tern am meisten Aussicht auf Erhaltung ihrer Kolonie tten,
welche die besten Arbeiterinnen hervorbrachten“. Die Arbeiter
weisen in Bezug auf die Eigenthümlichkeiten der beiderlei Eltern
Unterschiede auf, welche als „regressive® und „progressive“
Umbildungen anzusehen sind. Die ersteren, Rückbildung des
Geschlechtsapparates (Fehlen des receptaculum seminis), Abnahme
der Ocellen der Augen, Verkümmerung der Flügel und des ge-
sammten Flugmechanismus, Rückbildung der auf die Fortpflanzung
gerichteten Instinkte, erklärt WEIsMANN durch seine Theorie
„Panmixie“ oder durch „negative Selektion“, d.h. ein „überflüssiges
Organ sinkt von der Höhe seiner Ausbildung durch Niehtunter-
1) WEISMANN, die Allmacht der Naturzüchtung, Jena G. Fischer, 189.
2) Biologisches Centralblatt Bd. XIV p. 535—59.
46 Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.
gang ze... Individuen herab, welche es in weniger voll-
kommener Ausführung besitzen,“ Danach wäre die Verkümmerung
des er der Amazone, Polyergus rufescens etwa
folgendermaassen zu denken: Bei den gänzlich auf Krieg und
sondern durch den der Sklavin ausgelöst.“ In der Zeit, als die
Arbeiter der Amazone zwar sich schon von Sklaven füttern liessen,
aber selbst sich noch ernähren konnten, waren „Individuen mit
schlechter entwickeltem Nahrungssuchttrieb ceteris parıibus ebenso
gut als andere, und Kolonieen mit solchen blieben deshalb ebenso-
wohl erhalten als andere. So musste langsam dieser Trieb von
seiner ursprünglichen Vollkommenheit einbüssen und ist nach
gewiss ungeheuer langen Generationsfolgen schliesslich ganz ge-
schwunden. Die progressiven Umbildungen der Arbeiter, die
höheren Instinkte knüpfen an die. höhere Ausbildung des Hirnes
an und sind nach WEISMANN durch „positive Selektion“ der
Arbeitereltern hervorgebracht zu denken. Mit der Rückbildung
des Fortpflanzungstriebes wird das sonst hierauf verwendete
Material für die psychische eine verwendet. EMERY, der
auf WEISMANN’s Seite steht, setzt hier ein. Indem er!) eingehend
die muthmassliche Entstehung des Arbeiterstandes skizzirt und
besonders darauf hinweist, dass die noch wenig untersuchten
tropischen Poneriden vermuthlich Primitivformen darstellen, deren
Arbeiter von den Weibchen noch wenig verschieden sind, meint
er, dass analog den Verhältnissen bei der Honigbiene die Arbeiter -
lediglich durch eine besondere Nahrung gezüchtet wurden. Bei
dieser Annahme ist die Arbeiterbildung zurückzuführen auf eine
„besondere Reaktionsfähigkeit des Keimplasmas, welches auf die
h
in rmg oder auf ‚den Mangel ‚gewisser Nährstoffe dureh
here A
in ihrer kieer antwortet. " Arbeiternahrung muss die Kr
und Gehirnentwieklung gegen die der Flügel und der
organe bevorzugen, Königinnennahrung umgekehrt.“
summirt seine Ansichten i in der Bemerkung: „Bei der er
der einzelnen Ameisenarten wurden nicht die Eigenschaften
der Abeiterinnen vererbt, sondern die allen befruchteten Eiern
von
zukommende Fähigkeit, zu einer oder mehreren Sorten
Arbeitern gezüchtet zu werden. Es wurde auch der besondere
Instinkt der ner vererbt, welchen auch die frucht-
baren Weibchen als Begründerinnen neuer Gesellschaften be- i
sitzen müssen.
1, L. C. P- 55—bb.
NR sr BR
I
REN RR
Ueber die Vertheilung der Farben bei einheimischen
Schmetterlingen.
Briefliche Mittheilung des Professor W. Marshall
an den Herausgeber.
Sehr geehrter Herr College und Freund!
Als ich vor Kurzem in Ihrer geschätzten Zeitschrift
(66. Bd. pag. 403) Ihre Mittheilung über die Vertheilung
der Farben beim Kohlweissling las, fiel mir ein, dass ich
mich vor etwa einem Dutzend Jahren gleichfalls mit der
Färbung der Schmetterlinge beschäftigt hatte. Ich liess
damals aus Mangel an Zeit die Sache ruhen, aber viel-
leicht dürfte Ihnen eine Mittheilung meiner damaligen Be-
funde nicht uninteressant sein, so wenig die Untersuchungen
auch abgeschlossen sind. Zugleich muss ich auch betonen,
dass ich zu jener Zeit nach dem, was über diesen Gegen-
stand in der Litteratur vorhanden war, keine Umsehau
bielt, und dass sich diese Unterlassungssünde gesteigert
hat in dem Maasse, wie seitdem diese Litteratur gewachsen
ist. Doch zur Sache!
Nach den Gesetzen der Korrelation sollte man an-
nehmen, dass die beiden Flügelpaare der Inseeten als ho-
motype Theile (obere, metamerale Anhänge) vollständig
gleichartig entwickelt sein müssten. Bei manchen alter-
thümlichen Formen, z. B. bei den Planipennien im Sinne
Burmeister’s ist ja das in der That auch der Fall oder
doch nahezu der Fall. Wenn nun eine ungleichartige Ent-
wieklung dieser ursprünglich homotypen Theile eintritt, so
kann das auf sehr verschiedenen Ursachen beruhen: zu-
nächst und hauptsächlich wirken statische Momente; An-
passung der Flügel als Bewegungsorgane an Belastungs
48 Vertheilung der Farben bei einheimischen Schmetterlingen.
verbältnisse des Körpers, dann kann sich das vordere Flügel-
paar zum Schutzorgan entwickeln, geschlechtliche und nach-
ahmende Zuchtwahl können umbildend auf die Flügel
einwirken u. s. w. Auch auf die Färbung der Schmetter-
lingsflügel haben diese Momente z. Th. eingewirkt, haupt-
sächlich aber die nachahmende und geschlechtliche Zucht-
wahl, die auf dem Gebiet der Farbenvertheilung bei den
Lepidopteren in einem merkwürdigen Kampf mit einander
getreten sind und die verschiedenen Kombinationen
der Farben auf diesen als Resultate gezeitig haben.
Wenn wir einen Schmetterling mit grauen Vorder- und
rothen Hinterflügeln sehn, so wundern wir uns gar nicht,
wir würden uns aber sehr wundern, wenn er etwa rechts
graue und links rothe Flügel hätte. Nicht besonders auf-
fällig ist es uns ferner, dass bei den einen Schmetterlingen
Ober- und Unterseite nahezu gleich, bei andern aber sehr
verschiedenartig gefärbt sind. Aus dem täglichen Anblick
kennen wir alle die Gesetze der Korrelation und bemerken
Abweichungen von denselben sofort.
Nach diesen Gesetzen wäre aber, bei strikter Be-
folgung derselben zu erwarten gewesen, dass beide Flügel-
paare unter sich und auch ihre beiden Seiten gleich
gefärbt seien. In der That ist das bei vielen Spannern
(Geometridae) der Fall, höchstens dass die Unterseite bei
gleicher Zeichnung und gleicher Farbe eine oder einige
Nüancen heller ist, was wohl auf direkte Einflüsse des
Lichtes zurückzuführen sein dürfte. Weiter ist es der Fall
bei den Männchen der seltsamen Psychiden, bei denen e8
allerdings in Folge der Art der Begattung und der Be-
schaffenheit des Weibehens dieser Schmetterlinge nicht
möglich war, dass die geschlechtliche Zuchtwahl sich an
der Entwieklung und an der Vertheilung der Farben be
theiligen konnte. Auch wenn es sich um Ekel- und Warn-
farben (in der deutschen Fauna z. B. bei Spilosoma men-
thastri, lubrieipeda und Stilpnotia salicis) handelt, hat die
korrelative Entwicklung der Farben freies Spiel und natür-
lich auch bei solchen Schmetterlingen, die ungeniessbare
kopiren. Diese letzteren Fälle sind in unserer Fauna nieht
zahlreich aber um so interessanter. Spilosoma menthastr!
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4
Von Prof. W. MARSHALL. 49
wird nachgeahmt von Diaphora mendica, aber nach einem
bekannten Gesetze nur vom Weibe und die Verschiedenheit
der beiden Geschlechter beweist, dass Mimiery bei dieser
Art nicht sehr alt sein kann, da ibr Resultat sich noch
nicht auf das Männchen durch Vererbung übertragen hat.
Bei Porthesia auriflua und chrysorrhoea, die Stilpnotia salieis
nachäffen, ist die Uebertragung durch Vererbung weiter
fortgeschritten; bei auriflua ist das Weib auf beiden Seiten
rein weiss wie S/. salieis, der Mann ist auf der Oberseite
der Vorderflügel nur noch am Innenwinkel braungrau ge-
fleckt, aber die Unterseite hat noch eine breite schwärz-
lichbraun verwaschene Binde am Vorderrande, Bei chry-
sorrhoea ist die Uebertragung noch weiter vorgeschritten,
da beim Manne die Vorderflügel auf der Oberseite in der
Regel reinweiss sind und nur gelegentlich (als Rück-
schlag) hier schwarze Punkte zeigen. Diese Beispiele be-
weisen, dass, wie bekannt, nachahmende Zuchtwahl beim
männlichen Geschlecht erst bemerkbar wird, wenn sie bei
den an der Sache mehr interessirten Weibchen schon völlig
durchgeführt ist. Die Fälle der beiden Porthesia-Arten
beweisen aber auch zugleich, dass die am verstecktesten
gelegenen Theile (Unterseite der Oberflügel) zuletzt der
Wirkung der durch die Mimiery neu eingetretenen Korre-
lation unterliegen. Die versteckten Theile, an deren Färbung
die Resultate der geschlechtlichen Zuchtwahl sichtbar werden,
können bei den verschiedener Schmetterlingsgruppen ver-
schieden sein, je nachdem diese Thiere in der Ruhe zu
sitzen pflegen: an den unter diesen Verhältnissen sicht-
baren Theilen tritt Schutzfärbung in korrelativer Entwick-
lung auf, an den versteckten aber die durch geschlechtliche
Zuchtwahl bedingten Farben. Die meisten Tagfalter sitzen
bekanntlich in der Ruhe mit aufgeklappten Flügeln, wobei
der Vorderrand der Hinterfligel mehr oder weniger weit
die Unterseite der Vorderflügel bedeckt und die Hinter-
fligel zeigen auf der Unterseite durchaus Schutzfärbung,
die Unterseite der Vorderfligel aber nur soweit, wie sie
von den Hinterflügeln nicht bedeckt sind, auf dem be-
deckten Theil macht sich aber, kraft den Gesetzen der
Korrelation, die auf geschlechtlicher Zuchtwahl ee
Zeitschrift für Naturwiss. Bd. 67. 1894.
50 Vertheilung der Farben bei einheimischen Schmetterlingen.
Färbung geltend. Mit der Oberseite beider Flügel verhält
es sich oft gerade umgekehrt: die der Vorderflügel zeigt
den Einfluss von serual selection durchaus, die der Hinter-
flügel häufig nur soweit, wie sie von den Vorderflügeln
nicht bedeckt sind.
Die Färbung der Unterseite bei dem ruhenden Senf-
weissling /Pieris napi) und beim Aurorafalter (Anthocharis
cardamines) ist noch protectiver als beim Kohlweissling.
Sie ist genau so vertheilt bei jenen wie bei diesen, aber
sie ist nicht mehr einfach grünlichgelb, sondern beim Senf-
weissling sind an den Hinterflügeln die Adern grün be-
stäubt und das geht noch weiter beim Aurorafalter. Beim
Männchen ist der orangerothe Fleck oben und unten gleich
stark entwickelt, er wird aber in der Ruhe nicht sichtbar,
ebensowenig wie das Weiss der Oberseite, denn die Vorder-
ftigel sind an der Spitze unten grünstreifig, die ganze
Unterseite der Hinterflügel ist aber grün, breit genetzt oder
gewolkt. Die ruhenden Aurorafalter sehen der Unterseite
der Umbelliferendolden, die sich bei manchen Arten bei
kühler Witterung oder Abends zusammenziehen, ausser-
ordentlich ähnlich, und sie setzen sich auch mit Vorliebe
an dieselben.
Aehnlich entwickelt, aber noch interessanter, ist die
Farbenvertheilung bei einer Anzahl einheimischer Sphin-
giden. Der Todtenkopf (Acherontia atropos) hat die Ober-
seite der Vorderflügel schützend, die der Hinterflügel
schmückend, gelb mit schwarzen Binden, gefärbt. Auf der
Unterseite sind beide Flügelpaare so gefärbt, wie das hintere
auf der Oberseite. Merkwürdiger noch wird die Sache
bei zwei einheimischen Arten der Gattung Smerinthus, beim
Pappelschwärmer /S. populi) und beim Abendpfauenauge
(S. ocellatus). Die Smerinthen sind Thiere, die sowohl
durch den Schnitt ihrer Vorderflügel, wie durch ihre Färbung
ausgezeichnet geschützt sind. Hierzu kommt noch die
Stellung, die sie beim Ruhen einnehmen. Der alte Röseı
hat auf einer seiner vorzüglichen Tafeln, — ich weiss nicht
welcher, und die „Inseetenbelustigungen“ sind mir eben
nicht zur Hand, — ein Abendpfauenauge abgebildet, ser
mit dachförmig angezogenen Flügeln wie eine Noktuide
NT ride Sta han" N Smanan 272068 ycaeken >."
Von Prof. W. MARSHALL. 51
dasitzt. Diese Stellung ist für Smerinthen ungewöhnlich.
In der Regel sitzen diese Thiere ähnlich wie die Hesperien:
Die Ebene der gehobenen Flügel bilden zur Körperlängs-
axe ungefähr einen halben und mit einander einen ganzen
rechten Winkel, dabei sind die Vorderflügel etwas nach
hinten gerichtet, die hinteren aber nicht, sodass ihr Vorder-
rand etwas über den Vorderrand der Vorderflügel sichtbar
wird, und ein ruhender Smerinthus sieht, wenn er an einem
Baume . einigen dürren Blättern trefllich ähnlich.
ie eben beschriebene Art des Sitzens ist nun die
Vertheilung der Farbe beim Pappelschwärmer und Abend-
pfauenauge wundervoll eingerichtet, die des Linden- und
Eichenschwärmers (Smerinthus tiliae und quereus) weniger.
Beim Pappelschwärmer sind die Vorderflügel auf der Ober-
und die Hinterflügel auf der Unterseite durchaus schützend
gefärbt, aber diese sind auf der Ober- und jene auf der
Unterseite zum Theil schön braun, beim Abendpfauenauge
sind die entsprechenden Stellen rosenroth, wozu noch auf
der Oberseite der Hinterflügel der schöne Augenfleek kommt,
der Smerinthus ocellatus zu einem unserer schönsten ein-
heimischen Schmetterlinge macht. Man betrachte nun ein-
mal die Oberseite der Hinterflügel dieses Schwärmers
genau, und man wird finden, dass sie am Vorderrand auf
der Oberseite genau so weit schützend, d. h. bräunlich grau
gefärbt sind, wie sie bei der ruhenden Stellung über den
Vorderrand der Vorderflügel hervor sehen.)
Es sei mir gestattet, hier eine Stelle aus Seitz, Be-
trachtungen über die Schutzvorrichtungen der Thiere (Spengel’s Zool.
Jahrb. Systematik etc. III. anzuführen, da sie ebenfalls die besprochene
Form betrifft. $. ocellatus, das Abendpfauenauge, pflegt den Tag an
der Rinde der Stämme in der Art zu verbringen, dass es mit bei-
gezogenen Fühlern und aufwärts gerichteten Hinterleibe still dasitzt,
während die braunen, rindenartig gezeichneten Vorderflügel das Auge
der Hinterflügel völlig decken. In dieser Stellung ist es gut an-
gepasst und wird leicht übersehen. Sobald es nun beunruhigt wird,
ändert es die Stellung und zwar in eigenthümlicher Weise. Die
Vorderfligel werden hoch gehoben, und zwar über die Höhe hinaus,
welche sie beim Fluge einnehmen müssen.
Zugleich wird der Hinterleib ausgestreckt, und nun leuchten
mit einem Male die tiefblauen in röthlichem Grunde stehenden Augen
zu beiden Seiten des einem Nasenrücken gleichenden Abdomens
4* =
52 Vertheilung der Farben bei einheimischen Schmetterlingen.
Einer sehr interessanten und für die uns hier be-
schäftigenden Fragen sehr wichtigen Varietät des Pappel-
schwärmers gedenkt TreıtscHke (B, X. pg. 141) mit folgen-
den Worten: „Herr KorLar fing einen solchen Schmetter-
ling, der auf einem Vorderflügel, wie auf den beiden
hintern, den rostrothen Wurzelfleck führte.“ Das ist also
ein Fall, in dem die mächtige Wirkung der Korrelation
eine durchaus abnorme aber doch sehr verständliche und
erklärliche Erscheinung veranlasst hat. Es giebt übrigens
auch Exemplare des Abendpfauenauges, bei dem die Ober-
seite der Vorderflügel einen auffallend rosigen Anflug hat.
Ich will hier noch einer exotischen Sphyngide, des in die
Chaerocampa-Deilephila-Gruppe gehörigen Ambulyz ganascus
gedenken. Bei ihm sind die Vorderflügel auf der Ober-
seite aschgrau mit einer kohlschwarzen Wurzelbinde und
mit einer Auzahl verwaschenen, dunkler grauen Querbinden,
sie sind mithin durchaus schützend gefärbt, die Hinterflügel
sind rosenroth mit 3 schwarzen Querbinden. Betrachtet
man den Schmetterling von unten, so sieht man folgendes:
die Hinterflügel sind lehmgelb mit drei dunklern Quer-
binden und die Vorderflügel sind auf der vordern Hälfte
gleichfalls ockergelb, auf der hintern Hälfte aber rosen-
roth mit zwei gunz schwarzen Querbinden und den An-
deutungen einer dritten. Dieser Fall ist daher noch inter-
essanter als der von Smerinthus ocellatus, weil nicht blos
die Grundfarbe, sondern auch die Zeichnung der Oberseite
der Hinterflügel sich auf der Unterseite der Vorderflügel
wiederfindet.
Auch bei den einheimischen Deilephila-Arten sind die
Farbenvertheilungen ähnlich wie beim Totenkopf, und es
giebt Varietäten, besonders südländische Wolfsmilch-
hervor, und durch sie ist das Säugethier so genau nachgeahmt, dass
selbst der Einstrich am inneren Augenwinkel nicht fehlt. Darüber
erheben sich dann wie zwei gespitzte Ohren die braunen Vorder-
flügel und so starrt plötzlich aus dem Dunkel des Unterholzes, das
den Fuss des Baumes umgiebt, das Augenpaar wie das eines Marders
oder einer Katze dem Angreifer entgegen; wohl geeignet, einem
Vogel derart Schrecken einzujagen, dass ihm der Appetit für einige
Zeit vergeht.“
Anm, des Herausgebers.
Von Prof. W. MARSHALL. 53
schwärmer, bei denen die Vorderflügel auf der Oberseite
die schützende Färbung sehr stark einbüssen, dafür aber
die schmückende der Hinterfligel annehmen. Darauf sei
hier nur hingewiesen, aber einer merkwürdigen Varietät
von Chaerocampa elpenor, die TREITSCHKE (Bd. X, S. 129) be-
schreibt, muss ich doch gedenken. Dieser Klassiker auf
lepidopterologischem Gebiete sagt von einem grossen männ-
lichen Individuum des mittleren Weinschwärmers in seiner
Sammlung, es habe auf den Hinterflügeln, hinter dem
schwarzen Wurzelfleck, starke grüne Bestäubung und dann
mitten durch das Roth eine eben solche, mit dem Grunde
der Vorderflügel gleichfarbige, grüne Linie. Das ist also
ein Fall, in dem einmal die Korrelation die schmückende
Farbe der Hinterflügel durch die schützende der Vorder-
flügel verdrängt hat.
Was einheimische Spinner angeht, so sind die lang-
weiligen Lithosien und die von insektenfressenden Thieren
verschmähten Zygänen häufig auf der Oberseite und Unter-
seite und unter einander gleich gefärbt, selbstverständlich
geht die gleiche Färbung der Vorder- und Hinterfligel nur
soweit, wie es der Umfang der letzteren zulässt. Es giebt
aber unter unsern Lithosien einige Ausnahmen: so ist
Lithosia deplana auf der Oberseite gleichmässig gelb, aber
auf der Unterseite sind die Vorderflügel grau, bei Lithosia
eborea sind auf der Oberseite die Vorderflügel gelb, die
Hinterflügel aber grösstentheils grau, die Unterseite ist
aber gerade umgekehrt gefärbt. Das scheint darauf hin-
zudeuten, dass die grauschwarze Färbung die ursprüngliche
der Lithosien gewesen (und bei griseola zum Theil, bei
rubricollis, abgesehen vom Halskragen, ganz geblieben) ist,
die durch die gelbe in sehr verschiedenem Grade und in
sehr verschiedenem Umfange verdrängt wurde.
Bei unsern beiden Nachtpfauenaugen /Saturnia spini
und carpini) sind die Vorder- und Hinterflügel oben und
unten und unter einander ziemlich gleich gefärbt und
gezeichnet. Die Thiere sitzen mit angezogenen Flügeln
und es kann sein, dass sie wie Frasz EıLuarn SCHULZE
vom grossen Nachtpfauenauge (S. pyri) vermuthet, sitzend
mit den Augenflecken dem Kopfe eines kleinen Säugethieres
54 Vertheilung der Farben bei einheimischen Schmetterlingen,
ähnlich sind und daher von Vögeln ignorirt werden.
Anders verhält sich die Sache beim Nagelfleck (Aglia tau).
Vorder- und Hinterfligel haben oben, die erstern auch
unten, auf lehmgelben Grund den bekannten blauen, weiss-
gekernten Fleck auf der Unterseite und die verschwindende
schräge Randbinde. Ganz anders und sehr eigenartig ist
aber die Unterseite der Hinterflügel gezeichnet. Diese sind,
wie das vordere Drittel der Unterseite der Vorderflügel, in
einer schwer zu beschreibenden Weise heller und dunkler
gebändert und gefleckt und das ganze ist schwärzlich über-
stäubt, der Augenfleck der Oberseite markirt sich als ein
helles Dreieck mit eingedrückten Seiten. Diese Färbung
ist bei der Art, wie diese Thiere, besonders die fast ganz
fiugunfähigen, helleren Weibchen (das wie wild in den
Laubwäldern herumsausende Männchen bekommt man nur,
wenn man es aus der Raupe gezogen hat, sitzend zu sehen)
zu sitzen pflegen, wundervoll schützend. Die Thiere sitzen
im Frühling nämlich ganz in der Stellung, wie ich sie oben
vom Abendpfauenauge beschrieben habe, mit halb in die
Höhe geklappten Flügeln, wobei die hintern unter den
vordern vorgezogen sind, auf und zwischen den vorjährigen,
dürren Blättern der Buchen. Denen gleichen sie aufs Haar,
auch die schwarze, von parasitischen Pilzen herrührende
Bestäubung ist kopirt, und die an ihnen so häufigen Frass-
stellen, an denen im Sommer vorher die Raupe irgend
eine Schabe genagt hat, fehlen nicht im Abbild, — das ist
der veränderte Augenfleck der Oberseite.
Bei einem von Cramer (Tafel CH, Fig. E u. F.) ab-
gebildeten und Phaluena Bomby« Molina genannten Spinner
aus Surinam wiederholt sich die Farbenvertheilung des
Pappelschwärmers, wenn auch die Farben anders sind,
oben sind die Oberflüigel zimmetbraun, die Unterfüügel in
grossem Umfang schön violett, die Unterseite verhält sich
umgekehrt. . Es lässt sich mit ziemlicher Gewissheit sagen,
dass dieser Schmetterling in der Ruhe die Stellung der
Smerinthus und des Nagelflecks annehmen wird. Ebenso
eine andere, von ÜrAMEr abgebildete Saturnie (Janus), die
auf der Oberseite einen Augenfleck im Hinter-, auf der Unter-
seite aber im Vorderflügel hat.
a Be
Von Prof. W. MARSHALL: 55
Eine merkwürdige Ausnahme bilden verschiedene
Euprepienformen, die von insektenfressenden Thieren ver-
schmäht werden. Ihre Vorder- und Hinterflügel sind beide
so lebhaft und auffallend gefärbt, dass von Schutzfärbung
keine Rede sein kann und die Unterseite beider Flügel-
paare stimmen unter sich und mit der Farbe der Oberseite
der Hinterflügel (z. B. bei Calkimorpha hera) ziemlich gut
überein, aber die Oberseite der Vorderflügel ist ganz anders
gefärbt. Man hätte aus den früher entwickelten Gründen
vermuthen sollen, dass die Farbenähnlichkeit beider Flügel-
paare oben und unten eine grössere wäre.
Wir kommen jetzt zu den Noktuiden und wollen be-
sonders die Gattungen Brephos, Tryphaena und Catocalla
in das Auge fassen. Bei allen Angehörigen dieser drei
Genera weichen bekanntlich die beiden Flügelpaare auf
der Oberseite erheblich ab, das vordere zeigt Schutz-, das
hintere Prachtfärbung. Die im Sonnenschein fliegenden
Brephos-Arten haben oben graulich oder bräunlich mellirte
und gescheckte Vorder- und gelbe, mit schwarz gezeichnete
Hinterflügel, auf der Unterseite verhalten sich beide Flügel-
paare wie die Hinterflügel auf der Oberseite. Tryphaena
pronuba und fimdria haben die Oberseite der Vorderflügel
mit stark ausgeprägter Schutzfärbung, die der Hinterflügel
ist (besonders bei mdria) lebhaft gelb mit breiter schwarzer
Binde. Betrachten wir die Schmetterlinge von unten, so
sehen wir die Hinterflügel wie oben gefärbt, aber die Vorder-
flügel weichen in Kolorit und Zeichnung hier sehr von
ihrer Oberseite ab, indem sie gelb mit einem grossen,
bindenähnlichen Fleck sind, der bei pronuba heller, grau-
lich, bei Amdria aber nahezu schwarz ist. Es ist bekannt,
dass auch die Tryphaenen viel bei Tage fliegen. Der
Variationskreis in der Zeichnung, aber auch in der Färbung
der Oberseite der Vorderflügel, ist bei ihnen ein so grosser,
dass kaum ein Individuum dem andern gleicht, und viele
Exemplare von pronuba haben hier eine mehr oder weniger
starke Beimischung von gelb, ja es kommen welche vor,
die fast ganz gelb sind. Das ist auch bei einer andern,
kleineren und seltneren Art (bei Tryphaena comes) der Fall,
und man hat aus dieser Abänderung eine eigne Art machen
56 Vertheilung der Farben bei einheimischen Schmetterlingen.
wollen und sie adsegua benannt. TrEırscakz erwähnt (Bd. V,
1. Abth. S. 268) ein Exemplar von Amdria, das auf der
Oberseite der Vorderflügel ganz purpurfarbig war, also
bier jedenfalls eine sehr starke Beimischung rothgelber
Schuppen hatte.
Von besonderem Interesse sind nun die präch-
tigen Ordensbänder (Catocalla) und wir können bei
ihnen, was die Vertheilung der Farbe betrifft, einen doppelten
Typus unterscheiden. Den Typus der rothen (incl. des
blauen — C. fraxin! —) und den der gelben. Bei allen Arten
zeigt die Oberseite der Vorderflügel Schutz-, der Hinter-
flügel Prachtfärbung. Bei den rothen Ordensbändern gleicht
die Unterseite der Hinterflügel sehr der Oberseite. Die
Unterseite der Vorderflügel weicht von der Oberseite der-
selben, aber auch von der Unterseite der Hinterflügel be-
trächtlich ab. Sie ist allerdings auch gebändert, aber nicht
schwarz und roth, sondern schwarz und weiss. Von einer
Art der rothen Ordensbänder (C. electa) giebt es Individuen,
bei denen die graue Oberseite der Vorderflügel stark rosig
angehaucht ist. Sehr merkwürdig ist die Farbenvertheilung
bei C. fraxini. Die Oberseite der Vorderflügel zeigt die
bekannte Schutzfärbung, auf der der Unterflügel ist die
schwarze Randbinde gleich, wie bei den rothen Ordens
bändern, aber die zweite, innere Binde dieser hat sich bis
zur Wurzel ausgebreitet, so dass nur eine Binde übrig
geblieben ist, die, graublau bestäubt, der äussern rothen
Binde der rothen Ordensbänder entspricht. Höchst über-
raschend ist nun die Färbung der Unterseite bei frazint:
Beide Flügelpaare eind hier sehr hellgrau, fast weiss mit
braunschwarzer Binde. Die Unterseite hat also den alten
Typus besser bewahrt als die Oberseite.
Den andern Typus bilden die gelben Ordensbänder,
bei denen bekanntlieh das, was auf der Oberseite der
rothen, roth erscheint, durch gelb vertreten ist. Die Unter-
seite zeigt aber eine viel strengere, als wie bei den rothen
Ordensbändern durchgeführte Korrelationserscheinung, in
dem sie in der Farbe bei beiden Flügelpaaren derjenigen
der Oberseite der Hinterflügel entspricht. Es ist nun nicht
ohne Interesse, dass es Arten rother Ordensbänder giebt,
Von Prof. W. MARSHALL. 57
ich kenne allerdings nur eine, die ihren persönlichen
‘Typus verlassen und sich dem der gelben angeschlossen
haben. Das ist Catocalla ilia von Jamaica. ÜrAuer bildet
die Art auf Tafel XXXII unter B und C ab, und schon
ihm fiel die abweichend gefärbte Unterseite auf, denn er
sagt: gelykt naar het gemeene Europische roode Wees-
kind (das ist Catocalla nupta) maar vanonder heeft zy alle
de dwarsbanden over die wieken rood, in plaats dat
de gemelde inlandsche deselven wit van kleur heeft.‘“
Unter den gelben Ordensbändern bildet übrigens die seltene
C. conversa in sofern eine Ausnahme, als auf der Unter-
seite der Vorderflügel kein gelb vorhanden ist, sie ist viel-
mehr dunkelbraun mit einer weissen Binde.
Die Färbung der einheimischen Spanner bieten für
die uns hier beschäftigenden Fragen wenig Bedeutungs-
volles, da dieselbe fast immer eine schützende, selten eine
warnende (z. B. bei Zerene grossulariata) ist. Eine auf ge-
schlechtliche Zuchtwahl deutende kenne ich nicht. Inter-
essant ist vielleicht nur die Beziehung der Vertheilung
der Farben zu der Art, wie die Thiere zu sitzen pflegen.
Das geschieht bekanntlich auf zweierlei Art: die einen
strecken ihre Flügel gerade von sich ab, und sehen aus
wie die gespannten Schmetterlinge in der Sammlung,!) die
andern sitzen mehr nach der gewöhnlichen Weise der
Bombyeiden oder mancher Noktuiden, mit nach rückwärts
gerichteten, die Hinterflügel mehr oder weniger bedeckenden
Vorderflügeln.. Danach regulirt sich die Vertheilung der
Schutzfärbung: Bei den Erstern zeigt sie sich gleich-
mässig auf der Oberseite beider Flügelpaare, bei den letzteren
blos auf dem vorderen.
Auf Mikrolepidopteren habe ich meine überhaupt sehr
fragmentarischen Beobachtungen nicht ausgedehnt. Auch
zu einer mikroskopischen Untersuchung, — namentlich ob
1) Aus diesen interessanten Mittheilungen erhellt die Unzu-
länglichkeit der Aufspannungs-Methode der Sammler: man sollte in
einer ordentlichen Sammlung die Schmetterlinge nicht nur so auf-
stellen, dass möglichst die ganzen Flügelflächen sichtbar werden,
sondern sollte auch die Thiere in ihrer Ruhestellung vor Augen führen.
nm. d. Herausgebers.
58 Vertheilung der Farben bei einheimischen Schmetterlingen.
und wie viel Schuppen der Prachtfärbung zwischen denen
der Schutzfärbung vorkommen, wie sich verschiedene Indi-
viduen derselben Art diesbezüglich verhalten — bin ich
noch nicht gekommen.
Von einigem Interesse an dieser meiner Mittheilung
ist vielleicht der Nachweis, wie zwei grosse Naturgesetze,
das der geschlechtlichen und das der gleichfärbenden Zucht-
wahl mit einander auf den Schmetterlingsflügeln zufolge
der Gesetze der Korrelation kämpfen, wie aber im All-
gemeinen die geschlechtliche Zuchtwahl siegreicher ist,
was sich darin ausspricht, dass Varietäten mit den Spuren
von Uebergriffen der geschlechtlichen Zuchtwahl auf das
Gebiet der nachahmenden ziemlich häufig vorkommen, um-
gekehrt aber ausserordentlich selten sind. Auch wäre noch
zu erwähnen, dass die auf geschlechtliche Zuchtwahl zurück-
führbaren Zeichnungen weit weniger variabel, als die auf
nachahmende zurückführbaren sind.
Mit kollegialem Gruss
Ihr ganz ergebener
W. Marshall.
Leipzig, 28. April 1894.
Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe
aus der Umgebung von Halle,
Von
Dr. Förtsch,
Major a. D., Halle a. S.
Mit Tafel I.
Der Thon ist das für die plastische Kunst zuerst be-
nutzte Material. Es ist biegsam, zähe, schneidbar, ja sogar,
wie indische Töpfer uns lehren, hämmerbar; es musste den
noch rohen Menschen zu Versuchen einladen.
Durch Zusatz von Sand, zerklopftem Granit, gekörntem
Quarz, Glimmerschüppchen und ähnlichen Materialien kann
man „langen“ Thon „kurz“ machen; er reisst dann
weniger leicht beim Trocknen an der Luft und wird beim
Brennen nicht flüssig. Den Leuten der Steinzeit war dies
schon bekannt und noch heute fertigt man in Lithauen
Töpfe aus diesem kurz gemachten Thon. Auf dem Topf-
markt in Saalfeld werden ebensolche Töpfe feilgehalten,
die aus der Gegend von Schweinfurt stammen sollen.
Gewisse Formen thönerner Gefässe, besonders solcher
zum Aufbewahren von Lebensmitteln, zum Kochen und
Schöpfen, finden wir gleich bei den verschiedensten Völkern
und bei ganz ungleichem Stande der Kultur; sie haben,
wie es oft bezeichnet worden ist, „etwas ganz Naturnoth-
wendiges an sich.“ Anders liegt die Sache bezüglich
edlerer Formen, wohin ich die Vase und den Krug mit ver-
a ala a5 ARE FE an Fe
engtem Halse rechnen darf. Diese setzen schon eine
grössere Fertigkeit und edleren Geschmack voraus. Wenn
wir letztere bereits an den Gefässen unserer jüngeren Stein-
60 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe.
zeit bewundern dürfen, so ist dies nur ein Beweis dafür,
dass unsere Voreltern, obgleich unkundig der Metalle, es
doch verstanden, das Wohlgefallen Erregende zu würdigen.
Noch giebt es Völkerschaften, die in mit frischer Thier-
haut ausgelegten Erdlöchern oder in Holzkisten und ge-
flochtenen Körben durch Einlegen glühender Steine ihre
Speisen kochen; die meisten aber kennen die Töpferei, über
deren Ursprung bereits unendlich viel geforscht und ge-
schrieben worden ist. Zu einem anderen Resultat ist man
freilich nicht gekommen, als zu dem, dass diese Tecbnik
an den verschiedensten Punkten der Erde sich völlig selb-
ständig entwickelt haben muss.
Cook sah auf Unalaska (36° n. Br.), wie die Einge-
borenen auf einen flachen und platten Stein einen erhabenen
Rand aus zähem Thon in Kreisform aufsetzten, um in dem
so gebildeten Hafen mit heissen Steinen zu kochen.')
Die Andamanesen machen noch heute ein Loch in die
Erde in der Form unserer Kochtöpfe, glätten es im Innern
und lassen es austroeknen. Ist dies geschehen, so streichen
sie die Form gleichmässig mit einer dünnen Schicht feuch-
ten Thons aus und füllen nach einiger Zeit heisse Asche
hinein, um nach dem Erkalten einen leidlich gebrannten
und haltbaren Kochtopf dem Erdboden zu entnehmen.
SCHAAFFHAUSEN?) war der Ansicht, die älteste Art der
Töpferei sei die gewesen, dass man einen aus Binsen oder
Gras geflochtenen Korb von Innen oder Aussen mit feuchtem
Thon gut bestrichen und ihn dann lufttrocken dem Feuer
zum Brennen ausgesetzt habe. Die vegetabilischen Stoffe
vergingen im Feuer und der Topf blieb übrig. Und in der
That, — man hat nicht selten Reste vorgeschichtlicher
Thongefässe gefunden, welche unzweifelhaft das feine
Flechtwerk erkennen liessen, (Pottenstein in Franken,
Madgyarad in Ungarn) so deutlich, dass sogar die Spezies
der Pflanzen noch festzustellen waren.
Unsere Voreltern haben also genau so verfahren, wie
die Weiber der Eingebornen im westlichen Kansas, welehe
1) Jac. Cooxs Reisen ed. FORSTER II,
13,
) SCHAAFFHAUSEN im Correspondenzblatt der deutschen Gesell-
schaft für Anthropol. 1878. 159.
aa FREE
2
Von Dr. FörTscH. 61
Rau!) bei der Arbeit zu beobachten Gelegenheit hatte.
Sie bekleideten das Innere von Weidenkörben mit Thon
und brannten das rohe Gefäss, indem sie es in die Mitte
eines Kohlenhaufens setzten. Solche Gefässe dienten zur
Aufbewahrung von Oel und Körnern in Mengen bis zu
40 Pinten.
Wenn Deumin?) dieser Annahme seine Zuplimäung
versagt, weil „das Holz oder Flechtwerk hätte verkohlen
müssen‘, so beweist er durch seine eignen Worte, dass er
den Betrachtungen SCHAAFFHAUSENS nur oberflächlich ge-
folgt ist.
Die alten Aegypter und die Israeliten kannten bereits
die Töpferscheibe, die fast ebenso ausgesehen haben muss,
wie die heutiger Töpfer. Der Bedarf an Geschirren war
ein grosser und der Preis der Waare ein niedriger. Zur
Zeit des Jeremras befand sich die Werkstatt eines Töpfers
in der Nähe des „Scherbenthors.“?)
Bei den Griechen, denen das Handwerk sonst nicht
eben viel galt, stand die Töpferei in hohem Ansehen, —
dem Spinnen, dem Ackerbau und der Gärtnerei mindestens
ebenbürtig. Die Etrusker bedienten sich wie die Griechen
der „Formstecken“ und der Drehscheibe und zwar mit
gleichem Erfolg, was man von den Römern nicht behaupten
könnte.
Aus unserer eignen Vorgeschichte wissen wir, dass die
Töpferei eine grosse Rolle gespielt hat, die Gefässe der
Steinzeit sind meistentheils zierlich ornamentirt und von
edler Form, obgleich aus freier Hand gefertigt. Sie haben
Henkel als Handhaben und Oesen, durch welche ein Riemen
oder eine Schnur gezogen werden konnte. Um die Orna-
mente eindrücken zu können, hat man das fertige Gefäss
mit einem besonders bereiteten feinen Schlick nach dem
Trocknen an der Luft überzogen.
Der Hauptkünstler für das Haus war der Töpfer, der
ausser Kochtöpfen Alles fertigte, was ein Haushalt gebrauchte,
1) c. Rarv, die Thongefässe der nordamerikanischen Indianer, im
Archiv für Anthropol. etc. II. 1868. 19ff.
2) Demmm, Keramik-Studien III. 2.
3) JEREM. 18,1 und 19,1.
62 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe.
Kannen, Siebe, Deckel, Webegewichte, Wirteln, Netzsenker,
Feuerkieken und Graburnen, also Alles, was aus Stein,
Holz, Knochen oder Horn entweder gar nicht oder nur
unter Aufwendung grosser Mühe und Zeit anzufertigen war.
Die Drehscheibe findet erst in der vorrömischen Eisen-
zeit (La Tene-Zeit) in Mitteleuropa Eingang, mit ihr tritt
aber auch ein Rücksehritt in der Kunsttöpferei ein.
Die altnordischen Gefässe sind sämmtlich aus freier
Hand gemacht, selbst noch zu Zeiten, wo fremdländische
Gefässe aus Thon, Metall und Glas durch den Seeverkehr
dort Eingang gefunden hatten.
Noch vor ganz Kurzem blühte in Jütland die Töpferei
als Hausindustrie, was den braven Jüten den Spitznamen
der „Sortpotter“ eingebracht hatte. Sitzend brachte der
Töpfer oder die Töpferin auf eineın angefeuchteten Brett,
das über den Knieen lag, einen Thoneylinder in rotirende
Bewegung und höhlte ihn mit den Fingern der linken Hand
zum Topfe aus; dieser wurde an der Luft und über schwach
glimmendem Torf getrocknet und dann über stärkerem
Feuer in einer mit Heideboden überdeckten Grube grau-
schwarz, — doch ohne Glasur, — gebrannt.
Ganz ähnlich verfuhr man in der Tucheler Haide bis
vor wenigen Jahrzehnten. Ich selbst habe noch in Graudenz
solehe schwarze Töpfe gesehen, deren Qualität Nichts zu
wünschen übrig liess, obgleich sie, weil unglasirt, den An-
schein hatten, dass sie durehlässig seien. In geringem
Grade waren sie das auch wirklich, doch wusste die Köchin
diesen Uebelstand leicht zu beseitigen und zwar durch 30-
genanntes „Einbuttern“, was darin bestand, dass in dem
Topf Fett oder Butter zerlassen wurde, ehe sie Wasser
oder Milch zum Kochen einfüllte.
Es ist dies eine nicht zu unterschätzende Erfahrung,
weil durch sie die Meinung mancher Forscher, man habe
in unglasirten Töpfen überhaupt nicht kochen können, ent-
kräftigt wird.
Beim Brennen pflegten die Töpfer die in einer mässig
tiefen Grube auf Ziegelsteinen aufgestapelten lufttrockenen
Geschirre zunächst mit Scherben von gebrannten Thon-
waaren 3 bis 5 Zoll hoch zu belegen, um den Durehzug
Von Dr. FörtscnH. 63
der heissen Luft zu ermöglichen, ebenso wurden die Zwischen-
räume zwischen den Ziegelsteinen und zwischen den ein-
zelnen Stücken mit alten Scherben locker ausgefüllt, um
den Luftzug nicht zu stark werden zu lassen. Glühte der
Ofen vollständig und entstiegen demselben weisse Aschen-
theilchen, so wurde er mit Rasenstücken belegt, die Zug-
löcher wurden mit fettem Kienholz gefüllt und dann dicht
zugesetzt. Dieses letztere Verfahren bewirkte, dass der
Koblenstoff sich in den feinen Poren des Thons nieder-
schlug und eiue vollkommen schwarze Färbung herbeiführte.
Da diese Töpfe, „Testen“, Schüsseln und das „Flachzeug“
vor dem Brande mit einem Flaschenboden oder glatten
Stein polirt wurden, zeigten sie nach dem Brande einen
„speckigen Glanz.“!
Durch Senesten?) sind auf Fühnen Töpferwerkstätten
und Oefen aus vorgeschichtlicher Zeit aufgegraben wor-
den, die nicht nur das gesammte Werkzeug der Urtöpfer
lieferten, sondern auch erkennen liessen, dass das Ver-
fahren in jenen Zeiten genau dem entsprach, welches bis
vor wenigen Jahren in Jütland üblich war, und dass sich
das Werkzeug unseres Jahrhunderts nur ganz unwesentlich
von dem der Steinzeit unterschied.
Auf seiner ägyptischen Reise hat erst vor wenigen
Jahren ScHLIEMANN beobachtet, wie die Weiber in Kalabsche
ihre einfach aus Alluriälboden und mit freier Hand gefer-
tigten Thongeschirre in flachen Gruben zwischen schwelen-
dem Büffel- und Kameelmist brannten. Ein solches Brennen
dauerte einige Tage.
Obige Betrachtungen habe ich geglaubt vorausschieken
zu müssen, nicht blos, um flüchtig zu zeigen, welche Be-
deutung in der Vergangenheit und da, wo metallene Werk-
zeuge und Geschirre Eingang noch nicht gefunden, die
Thonbildnerei gehabt, beziehungsweise noch heute hat, und
1) Vergl. ScharLock, Ueber das ehemals in Preussen üblige Drehen
des Töpfergeschirrs etc. in „Berichte über die in den Sitzungen der
physik. ökonom. Gesellsch. zu Königsberg i/Pr. gehaltenen Vorträge“
1855.
2) F. Senestev, Fortidsminder og Oldsager ete. 245ff.
64 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe.
mit welchen einfachen Hülfsmitteln eine Produktion selbst
in grösserem Massstabe ausführbar war, sondern auch, um
auf den erwähnten Thatsachen fussend, Vergleiche mit Er-
folg ziehen zu können.
Unsere Gegend ist reich an Thonlagern, die ihren Ur-
sprung entweder der Verwitterung der Feldspathgemeng-
theile des Porphyrs (Kaolin) oder der Tuffe der Schiefer-
thone des Rothliegenden zu verdanken haben. Es finden
sich aber auch Thone, welche dem Buntsandstein, tertiären
und quartären Bildungen angehören, und daneben Lehme,
welche sich brennen lassen. Diese Thonlager treten viel-
fach zu Tage. In früheren Jahrhunderten, ehe umfangreiche
Aufbesserungen und Ebnungen des Geländes stattgefunden
hatten, ist dies gewiss noch mehr der Fall gewesen.
Uebrigens ist es nach in England und Belgien gemachten
Erfahrungen auch durchaus nicht ausgeschlossen, dass man
in der Urzeit bereits in die Tiefe gegangen ist, um besseres
Material zu erhalten.
Mir war es vergönnt, zwischen Böllberg und Wörmlitz
gelegentlich einer umfangreichen Ausschachtung ein Thon-
lager blossgelegt zu sehen, das ohne Zweifel vor langen
Zeiten abgebaut worden war. Die Stellen, denen der Thon
entnommen, waren mit Wacken bunten Sandsteins, die viel-
leicht den Ackerboden der Nachbarschaft bedeckt hatten,
und mit unreinem Thon wieder zugesetzt. In der über-
lagernden Humusschicht fanden sich zahlreiche Scherben aus
frühen Perioden und ein leidlich erhaltener Schlittknochen.
Dass die Thonbildnerei in der Vorgeschichte bei uns eine
ganz besondere Heimstätte gehabt hat, das beweisen nicht
allein die überall zu findenden Gefässscherben aus den ver-
schiedensten Perioden, sondern auch das oft geradezu
massenhafte Vorkommen der Thongebilde, von denen
in dem folgenden die Rede sein soll.
Ueber die Fundplätze derselben soll später im Beson-
deren die Rede sein, hier will ich nur im Allgemeinen be-
merken, dass sie meist als Trümmer, scheinbar durch Hitze
geborsten oder absichtlich zerschlagen, in alten Cultur-
schichten und Müllgruben vorkommen, zuweilen einzeln, in
der Regel jedoch in grüsserer, ja grösster Zahl. Bei vielen
Von Dr. Förtsch. 65
ist das Gefüge ein äusserst lockeres, während andere Härte
und Festigkeit behalten haben.
Wer in Sammlungen oder Museen solche Stücke be-
trachtet, kann sich kaum ein vollständiges Bild von einem
Fundplatz machen, da dort nur einzelne, möglichst gut er-
haltene, ausgewählte Exemplare auszuliegen pflegen, unter
Umständen in Gemeinschaft mit andern Erzeugnissen glei-
chen Materials, die deshalb jedoch nicht in direktem Zu-
sammenhang mit ersteren zu stehen brauchen.
Die Mehrzahl ist aus ganz rohem Material geformt,
aus ungeschlämmtem Thon, der oft mit Brocken nicht ver-
witterten Ursprungsgesteins, mit grobem Sand oder Quarz-
körnern durchsetzt ist, ja nicht selten einfach aus Lehm
oder Alluvialboden.
Doch finden sich auch solche, zu deren Herstellung
reinere und feinere Thone benutzt worden sind. Diese
zeigen dann auch eine wohlgeglättete Aussenseite und eine
gefällige Form, — aber auch, da ein solcher Thon bei
stärkerem Feuer leicht flüssig wird, — zuweilen Verbie-
gungen. Ein Theil der Thonkörper ist etwa folgender-
maassen gebildet worden: Der Arbeiter rollte einen Thon-
klumpen auf einem flachen Stein zu einem Cylinder von
rund 10 Centimeter Länge und 3—4 Centimeter Dicke; an
jedes Ende fügte er ein dickeres Stück Thon an und
formte diese durch Drücken mit den Fingern und durch
Stauchen gegen den Stein zu tellerartigen Verbreiterungen,
zu Füssen. Wahrscheinlich hat dieses Aufstauchen, beson-
ders, wenn die Thonmasse lang und übermässig feucht
war, ebenfalls zu leichten Krümmungen des eylindrischen
Theils geführt, die man so oft beobachten kann. (Fig. 1.)
E Bei dieser Arbeit bildeten sich naturgemäss dann Näpf-
chen, wenn zur Bildung der Verbreiterungen kein neues
Rohmaterial angeklebt wurde, sondern man es vorzog, aus
dem Cylinder selbst durch Drücken mit dem Daumen Thon
herauszupressen. Da diese Näpfchen bei der praktischen
Verwendung der „Thonstützen“, wie ich sie, etwas vor-
greifend, hier schon nennen will, noch einen besonderen
Vortheil boten, gab man ihnen scheinbar den Vorzug.
(Fig. 2a und b.)
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 67, 189. 5
66 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe.
Anderen sieht man es an, dass sie durch Rollen zwischen
den flachen Händen entstanden sind; dabei blieben unter
und über den Händen Verdiekungen bestehen, die durch
Stauchen oder Abschneiden leicht zu einem flachen Fuss
umzuformen waren. Die Fingereindrücke sind in der Regel
deutlich zu erkennen, während Füsse und Ränder der
Näpfchen derartig geglättet sind, dass der Thonkörper auf
ebenem Boden, ohne zu kippen, stehen konnte. In dem
Provinzialmuseum zu Halle befinden sich aus Göhlitsch bei
Merseburg stammende Stücke von auffallender Stärke, bei
ihnen ist der volle Fuss 7—8 em im Durchmesser.
Zuweilen hat der Former mit Hülfe eines scharfen
Steins oder Messers in je einem der beiden Füsse einen
fingerhutgrossen Ausschnitt erzeugt, dessen Zweck später
ersichtlich werden soll. (Fig. 3.)
Neben den geschilderten finden sich konische Stücke
von ganz roher Arbeit. An den tiefen Fingereindrücken
und dem Mangel jeder Glättung erkennt man, dass sie in
Eile und wohl als Massenprodukt gefertigt wurden, und es
hat fast den Anschein, als ob der Arbeiter gleichzeitig m
jeder Hand eine Thonwulst zu kneten verstanden hätte.
Das Letztere bezieht sich besonders auf diejenigen, welche
oben abgeflacht sind, weniger auf diejenigen, wo dure
Eindrücken eines konischen oder halbkugelförmigen Werk
zeugs eine becherartige Vertiefung erzeugt worden ist.
(Fig. 4.) Der Hauptzweck dieser Manipulation war, den
Konus mit möglichst wenig Material herzustellen, ibn
an der Basis leicht zu halten.
Diesen Thonkörpern konnte man dadurch eine feste
und aufrechte Stellung geben, dass man sie mit dem spitzen
Ende in ein vorbereitetes Loch des Erdbodens steckte, doc
kommen auch Formen vor, bei denen am dünnen Ende |
eine fussartige Verbreiterung gebildet ist. (Fig. 5.)
Prismatische, 4kantige Stücke mit und ohne Näpf- ; |
chen, finden sich ebenfalls; bei manchen ist an wobler |
haltenen Pressrändern erkennbar, dass sie durch Pressen 7
in Formen gebildet wurden. Fig. 6a und b.
Ich will hier bemerken, dass ein älterer Arbeiter aus
Stedten bei Schraplau diese Stücke „Roststäbe‘‘ nannte, ET
:
1
F.
Von Dr. FörtscH. 67
wusste jedoch nicht anzugeben, wie man sich die Ver-
wendung dieser kurzen Thongebilde zur Herstellung eines
Rostes zu denken hätte. Vielleicht hatte er, da meist nur
Bruchstücke gefunden werden, diese „Stäbe“ in ihrer
vollkommenen Erhaltung sich von grösserer Länge ausge-
malt oder von Sammlern diese willkürliche Bezeichnung
übernommen.
Gefunden wurden bisher diese Thongebilde in der Um-
gebung von Eisleben, Halle, Merseburg, Hohenmölsen,
Weissenfels, wie ich gehört habe, auch in der Gegend von
Osterfeld. Am ‚hohen Ufer‘ bei Goseck habe ich einzelne
Trümmer davon aufgelesen, bei Aufgrabungen dagegen
dort keine gefunden. Bei Erdeborn hat man auf der
„Ebene“ in der unmittelbaren Nähe vorgeschichtlicher
Wohnplätze grosse Mengen dieser den Ackerboden
verunreinigenden und ganz wesentlich schädigenden
Trümmer aufgesammelt, um tiefe Wasserrisse damit auszu-
füllen.) Ich kenne bei Stedten einen Acker, unter dessen
Humusdecke, bei °?/, Fuss Tiefe, man stets auf dieselben
stösst.
Sie finden sich ferner, wie schon angedeutet, als un-
terste und mittlere Lage alter Culturschichten; man erkennt,
dass sie dorthin gleichzeitig mit Asche und Abfällen des
täglichen Lebens als lästiger Abraum hingeschüttet wur-
den. Hierher gehört z. B. die Fundstelle am Advokaten-
weg in Halle resp. Giebichenstein. War bereits ein Schutt-
kegel vorhanden, so rollten sie naturgemäss in Folge der
Walzenform an dem Mantel ab und lagen dann dichter
gruppirt im Kreise um den Schuttkegel herum. Heute sind
jene Schuttkegel zusammengesunken, oft von Ackerboden
überlagert, und man wundert sich über die kreisrunde An-
ordnung der Thongebilde. Nun konnten Abfall und Asche
auch sehr wohl in eine Grube, die besonders dazu ausge-
hoben wurde, wie Beispiele lehren, — geschüttet werden,
dann rollten die Stücke an die Ränder der Grube, und er-
scheint es begreiflich, dass Entdecker solcher Gruben ver-
mutheten, diese unerklärbaren Gegenstände seien absicht-
1) Heme, Zur Geschichte des Dorfes Erdeborn 2. = Tee
68 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe.
lich, vielleicht „zu Cultuszwecken‘“, in dieser peripherischen
Weise angeordnet worden.
Man hat sie auch in Gräbern gefunden, und, wenn sie
Näpfcehenform oder becherartige Aushöhlungen zeigten, für
Opferlampen oder -Becher angesprochen. Beides konnten
sie nicht sein, zur Aufnahme von Fett oder Oel war das
Näpfchen nicht gross genug, auch zum Halten von anregen-
dem Getränk, und wäre es auch noch so konzentrirt ge-
wesen, erscheint in den meisten Fällen der Becher zu klein,
zu dem hätte das lockere mürbe Material den kleinen
Schluck Meths oder Ahornweins gar schnell aufgesogen
oder durchsickern lassen. Wenn wir solche Stücke bin
und wieder in Gräbern finden, so darf uns das nicht Wun-
der nehmen, denn einem geschickten Töpfer gab man das
mit in’s Grab, womit er alltäglich im Leben hantirt hatte,
— sein Geräth zum Formen und Brennen. Und ledig-
lich dem letzterem Zweck haben diese Dinge gedient, sie
waren nichts weiter, als unverbrennliche Stützen
und Untersätze für zu brennende Thonwaaren.
Ganz zurückzuweisen ist die Annahme, es seien „Netz-
beschwerer, Spindeln oder Garnwickel“ gewesen: Netzsenker
aus Thon geformt, zeigen stets die Durchlochung für die
Schnur, und als Garnwickel oder Spindeln wären doch
höchstens die verwendbar gewesen, welche, eylindrisch ge-
formt, auf beiden Seiten Aufkröpfungen zeigen; aber auch
diese besassen bei ihrer Länge von 10 bis 17 cm nicht
Widerstandsfähigkeit genug für einen solehen Zweck. 2
Die Verwendung der geschilderten Thonstützen haben
wir uns etwa folgendermaassen zu denken: Eine mässig
tiefe Brenngrube wurde ausgehoben und zur Aufnahme der
Stützen hergerichtet, d. h. für konische wurden mit einem
spitzen Werkzeug Löcher in den Boden gestossen, für die
mit Näpfehen versehenen wurde derselbe einfach gut 8%
ebnet und dann der Fuss etwas in die Sohle eingedreht,
für die flachen Füsse der anderen wurden mässig grosse
Löcher ausgestochen, welche man mit Klumpen feuchten
Thons ausfüllte. In diese nachgiebige Masse presste man
die lufttrockene Thonstütze so tief ein, dass sie fest und ;
aufrecht stand. (Fig. 5 und 7.) i
Von Dr. FörtscH. 69
Bei Stedten habe ich viele derartige Thonklumpen aus
der Sohle einer mit feiner Asche und Trümmern von Thon-
stützen gefüllten Grube herausgehoben, und es passen die
Füsse der Stützen vollständig in die wohlerhaltenen Ein-
drücke hinein. Während nun alle Thonstützen roth ge-
brannt waren, liessen die in ihrer ursprünglichen Lage be-
findlicehen Thonklumpen ersehen, dass die Gluth nur auf
ihren obersten Theil hatte wirken können. Diese Thon-
klumpen sind auch an anderen Orten gefunden worden und
befinden sich im Provinzialmuseum zu Halle mehrere der-
gleichen. Bei einigen ist in der Mitte der Eindrücke ein
kleiner Konus wohl erhalten geblieben, der den früher be-
sprochenen fingerhutartigen Ausschnitten in den Thonstützen
entspricht und also nur bewirken sollte, dass die sichere
Stellung noch mehr gewährleistet wurde. (Fig. 8.)
Dass diese Stützen mehrfach gebraucht worden sind,
das beweisen gleichfalls die Eindrücke in den Thonklumpen,
da sie die Beschädigungen, welche die Füsse durch früheren
Gebrauch erlitten, deutlich wiedergeben.
Bei den aufgefundenen konischen Stützen fehlt fast
immer der spitze Theil, was dadurch zu erklären ist, dass
dieser, in dem feuchten Boden steckend, nicht 39 fest ge-
brannt wurde, wie der obere in der Asche stehende Theil,
und sich leicht ablöste. Man findet zwischen der Asche
und dem schwarzen Boden Thonstützen führender Kultur-
schichten nicht selten Brocken und haselnussgrosse Klümp-
chen kurz gemachten und mässig gebrannten Thons, die
meiner Ansieht nach von den abgelösten Spitzen der koni-
schen Stützen herrühren. Wir dürfen annehmen, dass
letztere nur einmal gebraucht werden konnten, daher auch
die rohe Herrichtung.
Auf diese Stützen wurden die Gefässe zum Brennen
gestellt; für kleine genügte eine, für grössere wurden
mehrere Stützen verwendet. Die Näpfehen- und Becher-
form bot dabei gleichzeitig den Vortheil, dass Stütze und
Topf nicht leicht zusammenbacken konnten, erstere auch
im Feuer weniger leicht sprangen. Genügte die Höhe einer
Thonstütze nicht vollständig, so wurde die Unterlage durch
; neue Zuthaten von Thon entspreehend erhöht, oder man
70 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe.
legte wohl auch einen Thonklumpen obenauf, was man
daran erkennt, dass Eindrücke von der Thonstütze und
dem zu brennenden Gegenstand vorhanden sind. (Fig. 11.)
Zuweilen haben auch Stützen schräg gestanden, wie
die Abdrücke im Thon zeigen, wahrscheinlich, um umfang-
reichere Gefässe und Schüsseln vor einem Umkippen zu
sichern. (Fig. 9.)
Demselben Zweck haben konische Stützen gedient,
welche an der Basis schräg abgeschnitten sind. Am
Advokatenweg habe ich derartige gefunden. (Fig. 10.)
Die feine Asche, welche die Trümmer der Stützen an
dem Fundort bei Stedten umgab, lässt darauf schliessen,
dass man zum Brennen nur schwelende, das Feuer mässig
nährende Stoffe, wie faules Holz, Moos, Kuhdünger und
dergl., nicht aber Aeste und stärkere Zweige, benutzt hat.
Grössere Kohlenstücke fehlten gänzlich. Die schwarze
Färbung der Innenseite vieler Gefässscherben deutet darauf
hin, dass man die Gefässe selbst mit Fichtennadeln, Harz,
Horn- oder Knochenstücken angefüllt hat und während des
Brandes das, was vergangen war, durch Zuschütten von
glühender Asche ergänzte.
Bei vielen Thonstützen ist ein Theil, zuweilen die Hälfte,
schwarz gebrannt, wohl ein Beweis dafür, dass sie mit
diesem Theil längere Zeit in glühendem Brennmaterial ge-
standen haben, während der nur roth gebrannte darüber
hinausgeragt hat.
Zu beantworten wäre noch die Frage nach dem Alter
dieser Ueberreste.
Die ehemaligen Wohnstätten auf „der Ebene“ bei Erde-
born, von denen vorher die Rede gewesen, gehören, soviel
ich habe ermitteln können, der jüngeren Steinzeit an, eben-
so sind bei Stedten von dem Ackerbesitzer und mir in der
Nähe der bereits besprochenen Fundplätze Steinkistengräber
aufgedeckt und zahlreiche Scherben aus der Steinzeit ge
sammelt worden.
Auf „Lehmanns Berg“ in Giebichenstein fand ich neben
wohlgeformten Thonstützen mit Näpfchen Scherben aus der
Steinzeit und ein Steinbeil, dagegen zeigt die Mehrzahl der
am Advokatenweg in Gemeinschaft mit rohen konischen
Von Dr. FörTscH. 1ı
Thonstützen gefundenen Gefässscherben den Charakter der
„Rauhtöpfe‘‘ aus der Latenezeit. Nur ein gereifelter Scherben
dürfte dem Lausitzer Typus zuzurechnen sein.
Im Osten des Galgenberges fand ich auf einem frisch
gepflügten Acker einen rohen napfförmigen Fuss und ein
eylindrisches Stück, beide von auffallend gutem Material
(Kaolin) gefertigt und von heller Farbe. Der Napf ist mit
einem Messer flüchtig ausgeschnitten und zeigt da, wo der
eylindrische Theil angesessen, Spuren schwarzer Glasur,
die vielleicht von dem zu brennenden Gefäss abgetropft
ist. Das ceylindrische Stück ist durehlocht; scheinbar ist
der Thon, um einen Dorn, den man später herauszog, ge-
legt worden. (Fig. 12.
Diese Stücke dürften dem späteren Mittelalter ange-
hören. Wir dürfen nach der bisherigen Erfahrung also ver-
muthen, dass der Brauch, Thonwaaren auf besonders her-
gerichteten, stabilen, durch Feuer nicht leicht zerstörbaren
Untersätzen und Stützen zu brennen, hier zu Lande bereits
in der Urzeit üblich war und sich viele Jahrhunderte hin-
durch gehalten hat.
Dem wohlerfahrnen Töpfermeister und Fabrikbesitzer
Herrn Bönme in Halle habe ich meine Funde und einige
dem Provinzialmuseum gehörige Stücke vorgelegt und ihn
um seine Ansicht gebeten. Derselbe erklärte nach Besich-
tigung aller Stücke auf das Bestimmteste, dass es Unter-
sätze für zu brennende Thonwaaren gewesen seien. Erst
als er mir mitgetheilt, dass man in seiner eignen Töpferei
bis in die 40er Jahre unseres Jahrhunderts nicht unähnlich
geformte Untersätze beim Beschicken des Ofens in Ge-
brauch gehabt, welche, um ein Bersten zu verhindern, seit-
lich mehrfach durchlocht gewesen wären, las ich ihm vor,
was ich über diese Thongebilde niedergeschrieben hatte.
Er stimmte mir in allen Stücken bei.
Zum Schluss möchte ich diejenigen der Herren Leser,
welche für die Vorgeschichte unserer Provinz einiges
Interesse haben, bitten, falls ihnen ähnliche Funde, beson-
ders solche, welche zur weiteren Aufklärung beitragen
können, vorkommen oder bekannt werden, mich davon
gütigst zu benachrichtigen.
72 Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe,
Nachtrag.
Gelegentlich eines Besuchs der Industrieausstellung
in Erfurt kamen mir „Muffeln nebst Zubehör“, ausgestellt
von der Thon- und Chamottewaarenfabrik von J. R. Geith
in Coburg, zu Gesicht. Das Zubehör bestand aus Untersätzen
von feuerfestem Thon, die zum grossen Theil den vorher be-
sprochenen Thonstützen nicht unähnlich waren: Ein Theil
war walzenförmig, während der andere durch Doppelkegel
gebildet wurde. Die Länge dieser wohlgebrannten Hohbl-
körper schwankte zwischen 0,06 und 0,30 m. Aus den
Mänteln der walzenförmigen Untersätze war je ein läng-
licher Schlitz ausgeschnitten, jedenfalls zu dem Zweck,
einem Springen beim Brennen der Porzellan- oder Steingut-
waaren vorzubeugen.
Uebrigens sei hier bemerkt, dass ein gutes Auge bei
älteren Steingutwaaren am Boden stets drei Stellen be:
merken wird, welche anzeigen, wie das Sttick beim Brennen
gestützt gewesen ist.
Die Hilfsmittel der Schling- und Rankenpflanzen,
Von
Dr. Max v. Derschau,
Auerbach a. d. Bergstr.
Bei der grossen Gruppe der Schling- und Ranken-
pflanzen sind bekanntlich die Hauptaxen in zu geringem
Maasse tragfähig, um ein selbstständiges aufrechtes Wachs-
thum zu gestatten, da der Durchmesser des Stammes zur
Länge des letzteren in einem ungünstigen Verhältnisse
steht. Diese Pflanzen können nur dann zur Blüthe- und
Fruchtentwicklung gelangen, wenn Stützen, welche der in-
dividuellen Wachsthumsbewegung in geeigneter Weise ent-
sprechen, vorhanden sind.
Schon daraus, dass Gegenstände, welche sowohl die
verschiedenartigsten Lagen zum Horizonte einnehmen als
auch in ihrer äusseren Form und Beschaffenheit sehr von
einander abweichen, als Stützen benutzt werden, geht her-
vor, dass die Art und Weise der Wachsthumsbewegung
grosse Differenzen und Uebergänge darbiete. Es werden
daher nur solche Schlingpflanzen an dieser Stelle Berück-
sichtigung finden, die eine vertikale Wachsthumsbewegung
besitzen, während diejenigen ausser Acht gelassen werden
sollen, welche sich auf schrägen Flächen ausbreiten.
Aber auch bei den kletternden Schlingpflanzen giebt es
verschiedene Modifikationen der Kletterbewegung, es mag
an dicser Stelle genügen, die typischen Klimmer und
die echten Rankengewächse einer näheren Besprechung
zu unterziehen.
Die echten Klimmer erzielen die spiralige Aufrollung
dureh die rotirende Nutation des weiter wachsenden Spross-
: endes um eine excentrische Axe, indem bei jeder Nutations-
74 Die Hilfsmittel der Schling- und Rankenpflanzen.
tour das nutirende Ende eine Hemmung seitens der Stütze
erfährt.
Wenn man von rechts- oder linkswindenden
Pflanzen spricht, so rührt dies von der anfänglichen Nuta-
tionsriehtung des Sprossgipfels der Keimpflanze her. Nutirt
dieser vom Standpunkte des Beobachters aus zuerst nach
rechts um die Stütze, so ist die Pflanze linkswindend,
das Gegentheil ist der Fall bei den rechtswindenden
Pflanzen. Von Zeit zu Zeit wird nun der windende Stamm
durch Längsstreckung, besonders in den Zonen des stärkeren
Längenwachsthums, dem stützenden Baumstamme fest an-
gepresst, wodurch ein besserer Halt erzielt wird. Hiermit
sind jedoch noch keineswegs alle Bedingungen eines auf-
rechten Wachsthums erfüllt, denn der windende Stamm
würde um die Stütze zusammensinken, wenn
nieht GewebeveränderungenindenälterenStamm-
zonen Hand in Hand mit der Kletterbeweguung
gingen. Durch Verholzung bestimmter Gewebepartieen er-
halten die älteren Stammzonen auch oft sehr beträchtliche
Starrheit, wodurch die aufrechte Haltung ganz bedeutend
unterstützt wird. Diese Kletterbewegung erreicht schliesslich
mit der Blüthen- und Fruchtentwicklung ihr Ziel. Mehr
oder weniger scheint auch die Entfaltung der Blüthen von
Licht und Wärme beeinflusst zu werden. Denn die Lianen
der Urwälder Brasiliens entfalten meist erst in den Kronen
der Bäume ihre Blüthen, wo denselben eine grössere Licht-
menge zur Disposition steht.
Den echten Rankenpflanzen, wozu auch die Blatt-
kletterer gehören, geht ein Klettervermögen des Stammes
ab. Als Ersatz dafür sind reizbare Klammerorgane voT-
gesehen, welche geeignete Stützen nach kürzeren oder län-
gerem Kontakte zu erfassen vermögen und dieselben auch
infolge der Circumnutation leicht erreichen. Mit Aufhören
des Längenwachsthums im rankenden Organe erlischt auch
die nutirende Bewegung und zugleich auch die Reizempfind-
lichkeit. Jedoch will Darwın!) bei den rankenden Blatt-
1) Darwın, Bewegungen und Lebensweise der Kletterpflanzen
1876, pag. 56.
Von Dr. Max v, DERScHAU. 75
stielen von Solanum „jasminoides in ausgewachsenem Zu-
stande noch Reaktion auf Kontaktreiz gefunden haben. Die
Reizempfindlichkeit kann nun unter den rankenden Organen
während des Längenwachsthums derselben sehr verschieden
entwickelt sein. Namentlich zeichnen sich die Ranken ge-
wisser Passifloren in dieser Hinsicht aus. Weniger sensibel
sind die rankenden Blattstiele im allgemeinen. Jedoch hat
Darwın'!) für die reizbaren Blätter der Gloriosa superba
einer Monocotyledone, eine hohe Reizbarkeit durch Kontakt
nachgewiesen. Es genügte hier eine Belastung mit einer
4,05 mgr wiegenden Fadenschlinge, um eine deutliche Reiz-
krümmung zu erzielen. Wie aber schon vorher gesagt
wurde, sind im Allgemeinen die rankenden Blattstiele weniger
sensibel als die Ranken und bei den Blattkletteren findet
man gewöhnlich nur wenige Blattstiele, denen es gelungen
ist, eine Stütze zu erfassen. Aber auch auf die Beschaffen-
heit der Stütze kommt es an. Am besten werden Gegen-
stände mit rauber Oberfläche umschlungen, auch muss der
Durchmesser der Stütze zu dem des rankenden Organes in
einem gewissen Verhältnisse stehen. Glatte Glasstäbe wur-
den nach lange einwirkendem Kontakte nicht erfasst, und
zu dicke Stützen erzielten ebenfalls kein Resultat. Hieraus
geht hervor, dass Kontakt mit Reibung verbunden, den
gewünschten Effekt auslöst. Die Haken der Haken-
kletterer, welche erst durch Treus 2) des näheren bekannt
wurden, dienen ebenfalls wie die Ranken und rankenden
Blattstiele der Fixation an die Stütze.
Bei allen diesen Organen wird durch Kontaktreiz eine
Krümmungsbewegung ausgelöst, indem an der Kontakt-
stelle eine relative Wachsthumsverlangsamung erfolgt,
während die nach aussen gelegene Flanke in normaler
Weise fortwächst. Da infolge der Krümmung der Stütze
zu stets neue Punkte direkt durch Kontakt gereizt werden,
so tritt schliesslich eine völlige Umschlingung des erfassten
ee ein. Hiernach können wir 2 Stadien in der
1) Darwın, 1. c. pag. 63.
2) Treue, Ann. de Buitenzorg, „Sur une nouvelle re a
plantes grimpantes,“ Vol. = 1882, :
76 Die Hilfsmittel der Schling- und Rankenpflanzen.
physiologischen Inanspruchnahme rankender Organe unter-
scheiden. Nämlich die Funktionen vor und nach dem
Erfassen einer Stütze. Im ungereizten Zustande werden
Ranken und rankende Blattstiele nur auf Biegungsfestig-
keit in Anspruch genommen, d. h. sie müssen dem Ein-
wirken äusserer Kräfte, wie z. B. dem Winde, Regen ete.
entsprechenden Widerstand entgegensetzen können. Bei
den rankenden Blattstielen wird diese äussere Einwirkung
noch durch die hinzukommende Last der Blattspreite ver-
mehrt. Infolge dieser Belastung wird auf der konvex ge-
krümmten Flanke des Organs eine Zugspannung, auf der
konkav gekrümmten dagegen eine Druckspannung zur
Geltung kommen. Die Spannung wird in den peripherischen
Schichten am stärksten sein. Dagegen nehmen die ent-
gegengesetzten Spannungen je mehr dem Mittelpunkte der
Axe des Organes genähert allmählich ab, bis sie sich in
der Mitte aufheben. Diesen Verhältnissen wird durch eine
sehr zweckmässige Baumechanik Genüge gethan. Möglichste
Festigung der Zellmembranen bieten das geeignete Mittel.
Es kommen vorzüglich Gewebearten zur Verwendung, welche
sich durch starke Membranentwicklung auszeichnen. So
tritt als besonders biegungs- und druckfest Collenchym
und Hartbast stets in den peripherischen Schichten auf,
weiter nach innen zu dann die weniger leistungsfähigen
Gefässbündel und schliesslich in der neutralen Zone das
Mark, welches wegen seiner geringen mechanischen Lei-
stungsfähigkeit gewissermassen die ‚„‚Füllung‘ ausmacht. Mit
gewissen Modifikationen wiederholt sich diese Gewebeorien-
tirıng bei allen rankenden Organen nicht nur, sondern auch
bei allen anderen auf Biegungsfestigkeit in Anspruch ge-
nommenen Pflanzentheilen. Stets aber gewinnt man den
Eindruck, dass die Natur bei Anwendung dieser Mittel und
der zweckmässigen Vertheilung derselben sehr ökonomisch
zu Werke geht.
Zu biegungsfesten Konstruktionen eignen sich vorzugs-
weise die prosenehymatischen Gewebearten, welche meistens
auch zur Verwendung kommen, wie das vorher schon an-
gedeutete Collenchym und der Hartbast. Das Parenchym
besitzt, ausgenommen im turgeseenten Zustande, eine sehr
Br ee u
Sage Fe
BON
Von Dr. Max v. DERSCHAU. 17
geringe Biegungsfestigkeit. Unter den von mir untersuchten
rankenden Blattstielen hat in dieser Hinsicht der rankende
Blattstiel von Lophospermum scandens eine Ausnahme von
der üblichen Gewebeordnung. Hier fehlten gerade Collen-
chym und Hartbast und es wurde der ganze Zwischenraum
zwischen Gefässbündeln und Epidermis durch turgescentes
Parenchym ausgefüllt. Diese Gewebeanordnung genügte
auch in vollkommenster Weise der physiologischen Inan-
spruchnahme.
Haben nun die rankenden Organe die Umschlingung
vollzogen, so treten entsprechend der neuen Arbeitsleistung
gewisse anatomische Veränderungen = Dieselben dienen
einer solideren Festigung an die Stütz
Diese Vorgänge sind von WorGITzkI 9 und Orro MÜLLER?)
des Näheren für die Ranken untersucht worden.
Nach diesen Autoren vermehren sich die mechanisch
wirksamen Elemente auf der konkav gekrümmten Flanke,
während der Charakter der Konvexen ein turgescenter
bleibt. Die konkavwärts eintretende Verdiekung und Ver-
holzung des Hartbastringes und dessen Verholzung vollzieht
sich nach und nach auf dem ganzen Querschnitt. Auch
treten collenchymatische Verdickungen des Rindenparen-
chyms auf. Ohne Zweifel ist die konkave Seite nach der
Umschlingung einer erhöhten Druckspannung ausgesetzt,
und die dort stattfindende Gewebeverstärkung bietet der
ersteren ein entsprechendes Aequivalent. Nach Worsıtzkı
soll der verholzte konzentrische Gewebering ein Abwinden
von der erfassten Stütze verhindern. Zu ähnlichen Resul-
taten gelangte Orro Mürzer. In der That erfolgt durch
Verholzung der Zellmembranen und durch Verdickung der-
selben ein Starrwerden der um die Stütze geschlungenen
Kontaktzone. Wie schon früher angedeutet, geht diese
anatomische Gewebeveränderung durch den Einfluss des
Kontaktreizes vor sich. Orro MürLtLer beobachtete jedoch
auch eine Veränderung der Epidermiszellen bei Cueurbita-
ceen-Ranken auf der mit der Stütze in Berührung befind-
1) Worgıtzkı, „Vergl. Anatomie der Ranken“ Flora 1887.
To MÜLLER, „Unters. über die Ranken der Cucurbitaceen,‘“
Biologie der Pflanzen IV 1887.
Ba
78 Die Hilfsmittel der Schling- und Rankenpflanzen,
jichen Seite. Dieselben wachsen stark in radialer Richtung
und nehmen den Charakter von Saugzellen an, welche an
der Berührungsstelle mit der Stütze sogar einen klebrigen
Saft absondern. Da ausserdem diese Zellen in die Vertie-
fungen der Oberfläche der Stütze hineinwachsen, so zeigen
Querschnitte aus der Kontaktzone stets ein mehr oder
weniger ausgebuchtetes Aussehen. — Analoge sekundäre
Gewebeveränderungen boten nach Einwirkung von Kontakt
die von mir untersuchten rankenden Blattstiele. Jedoch
war für die Art und Weise der vor sich gehenden anato-
mischen Gewebeveränderungen die individuelle Veranlagung
und die Qualität der Gewebe maassgebend. Zum Theil
wurde durch Kontaktreiz sekundäres Diekenwachsthum aus-
gelöst, oder es wurden schon vorhandene Gewebe nur noch
durch Verdiekung und Verholzung der Zellmembranen ver-
stärkt. Infolge dieser Vorgänge konnte nach Eintritt des
Reizes bald eine Volumzunahme desjerigen Blattstieles, der
die Stlitzen umschlungen hatte, konstatirt werden. Je nach
der Dauer des Kontaktes war die Verdiekung recht be-
deutend, und es sind zu diesem Zwecke von mir Messungen
an verschiedenen rankenden Blattstielen angestellt worden.
Die Zahlen geben den mittleren Durchmesser der Objekte
vor und nach der Reizung in Millimetern an.
Solanum jasminoides: |
No. I. No. I. No. MI.
normal: 0,24 mm, 0,52 mm, 0,25 mm
gereizt: 0,34 „, B;12,;, 2,00 „
N —
nach 9—10 Tagen nach 40 Tagen.
Lophospermum scandens:
No. I. No. ID. No. II.
normal: 1,00 mm, 0,64 mm, 0,96 mm
gereizt: 1,50 „, 2,94 „ 2,30,
nach 9—10 Tagen nach 40 Tagen.
Clematis vitalba:
No. 1 No. IH. No. II.
normal: 0,78 mm, 3,00 mm, 2,88 mm
gereizt: 1,14 „ 30 8.56. „
———
nach 9—10 Tagen nach 40 Tagen.
a Un 1-8 A ET ne re Turin Ta tiie in ae luecn abe a ln a Ace a aueh nd an Ze Du ze tn LAS aha ine
Von Dr. Max v. DERSCHAU. 19
Die Tabelle lässt namentlich bei Solanum und Lopho-
spermum beträchtliche Querschnittsvergrösserung erkennen,
während bei Clematis dieselbe geringer war. Wie schon
vorher angedeutet, rührt letztere Erscheinung davon her,
dass kein sekundäres Diekenwachsthum bei den Ülematıs-
Blattstielen durch Reiz ausgelöst wird. Bei den beiden
ersteren Blattstielen tritt jedoch ausgiebiges Diekenwachs-
thum nach der Reizung ein. In beiden Fällen erfolgt aus-
giebige Verholzung der mechanisch wirksamen Gewebe-
komplexe und es wird an der Kontaktzone wie bei den
Ranken ein massiver konzentrischer Holzeylinder erzielt,
der durch seine Starre ein Abwinden von der Stütze zur
Unmöglichkeit macht. In kurzer Zusammenfassung der
Resultate ergiebt sich, dass den. Schling- und Ranken-
pflanzen Mittel und Wege der verschiedensten Art zu Ge-
bote stehen, um je nach der Individualität eine vollkom-
mene Entwicklung zu erreichen. Ferner ist gezeigt worden.
dass der jeweiligen physiologischen Inanspruchnahme der
rankenden Organe ihr anatomischer Bau auf das zweck-
mässigste entspricht.
Bisher ist gezeigt worden, dass Kontakt mit Reibung
verbunden eine relative Wachsthumsverlangsamung an
rankenden Organen auf der Berührungsflanke hervorruft. Bei
gewissen chlorophyllosen phanerogamischen Schmarotzern,
2. B. Cuscuta, löst der Kontaktreiz verbunden mit Reibung
dagegen eine deutliche Beschleunigung des Wachsthums
aus, was aus der Entwiekelung der Haustorien hervorgeht.
Es scheint jedoch die Entstehung derselben an gewisse
Bedingungen geknüpft zu sein, wie aus den interessanten
Beobachtungen von G. J. Pzircz?!) hervorgeht. Nach diesem
Autor werden niemals Haustorien entwickelt, wenn zwei oder
Auch beobachtete dieser Forscher, dass die Haustorien
wieder in den Mutterstamm zurücktreiben, falls keine Ge-
legenheit da ist, mit der Wirthspflanze in dauerndem Kontakte
bleiben zu können. Wächst ferner die Ouscutas über ihre
1) @. J. Prircz, „on the structure of the Haustoria of some
Phanerogamic Parasites, 1893,
80 Die Hilfsmittel der Schling- und Rankenpflanzen.
Nährpflanze hinaus, so bleiben die entstehenden Haustorien
nur abortiv und stellen grössere oder kleinere Anschwellungen
auf dem Mutterstamme dar,
Möglicherweise beruht das Nichtzustandekommen
der Haustorien bei einander als Stütze umschlingenden
gleichaltrigen Cuscutastämmen darauf, dasseine Wachsthums-
differenz derselben entweder gar nicht oder doch nur sehr
minimal vorhanden ist, sodass der Faktor „Reibung“ kaum
in Betracht kommen dürfte. Reibung tritt jedoch stets ein,
sobald Wirth und Parasit Wachsthumsdifferenzen darbieten.
Je nach der anatomischen Struktur des Wirthes ist
auch die der Haustorien verschieden. Stets jedoch ist
zwischen beiden eine innige Verwachsung sowohl der Gefässe
als auch der physiologisch ernährend wirksamen Gewebe,
des Phioems, zu erkennen. Unter diesen Verhältnissen
dienen die Haustorien sowohl der Festigkeit der Mutter-
pflanze als auch der Ernährung der letzteren. — Ob nun
das Zudringen dieser Saug- und Haftorgane in die Wirths-
pflanze lediglich auf mechanischem Wege erfolgt oder ob
Sekretionen seitens der Haustorialzellen lösend auf die
Zellmembranen des Trägers einwirken, oder beide Faktoren
zusammen wirken, ist noch nicht sicher gestellt.
Die Theorie des Färbeprozesses.
Von
A. Dathe,
Halle a. .S.
Trotz des grossen Aufschwunges, den die Färberei in
den letzten 5 Dezennien unter der Herrschaft der Chemie
genommen hat, ist man bis heute noch zu keiner einheitlichen
Ansicht über das Wesen des Färbens gelangt.
Dieeinenhalten denFärl hanisct
die Farbstoffmolekule lagern ‚sich in Folge einer als Ober-
flächenanziehung oder Attraktion (Ausdrücke, die nicht viel
sagen) bezeichneten Kraft zwischen die Molekeln der Faser,
ohne sich chemisch damit zu verbinden. Gegen diese
Theorie spricht sowohl der Umstand, dass nicht alleFarbstoffe
substantiv (d. h. ohne Beizen) färben, als auch die eigen-
thümliche Erscheinung, dass die gefärbten Fasern eine
andere Farbe zeigen, als den Färbstoffen eigen ist.
Andere und zwar die Mehrzahl halten den Färbeprozess
für einen chemischen: die Farbstoffe verbinden sich mit
der Faser in Folge chemischer Kräfte. Gegen diese Ansicht
spricht freilich der. Umstand, dass man in den weitaus
meisten Fällen das Gesetz der multiplen Proportionen auf
die entstandnen Verbindungen nicht anwenden kann.
O0. N. Wırr sprach nun im Jahre 1890 die Anschauung
aus, der Färbeprozess sei ein Lösungsprozess: und
versteht unter einer Lösung eine Molekularverbindung nach
unbestimmten Verhältnissen. Er sagt:' die Faser ist ein
Lösungsmittel für die Farbstoffe so gut wie Wasser oder
Alkohol. Das Färben ist nun allein von dem Grade der
Löslichkeit des Farbstoffs in dem rn ——
Zeitschrift für Naturw. 67. Bd. 1894
32 Die Theorie des Färbeprozesses.
mittel einerseits und in der Faser andrerseits abhängig,
z. B. Fuchsin ist in Seide leichter löslich als in Wasser,
folglich wird in einer wässrigen Fuchsinlösung Seide gefärbt;
dagegen löst sich Fuchsin leichter in Alkohol als in Seide,
folglich wird ineiner alkoholischen Fuchsinlösung Seide nicht
gefärbt, vielmehr giebt mit Fuchsin gefärbte Seide deu
Farbstoff an Alkohol wieder ab.')
Im Jahre 1893 veröffentlichte E. KnecHt, ein bekannter
Theoretiker auf dem Gebiete der Färberei, eine Arbeit, die
vielleicht geeignet ist, Klarheit in den Färbeprozess zu
bringen.
Es ist bekannt, dass, wenn man eine wässrige Lösung
eines Farbstoffes auf Cellulose (Filtrirpapier) bringt, sich
um den gefärbten Tupfen ein farbloser Ring bildet. Diese
Erscheinung hat man bisher als Capillarerscheinung erklärt,
indem man sagte, das Wasser besitzt eine grössere Capillar-
geschwindigkeit als die Farbstoffe. Diese Erscheinung ist
von GOPPELSROEDER und Parerson benutzt worden, um nach-
zuweisen, ob ein Farbstoff eine einheitliche Substanz oder
ein Gemenge ist,
E. Knecur richtete nun zum ersten Male seine Auf
merksamkeit auf den farblosen Ring. Er liess eine Fuchsin-
lösung von Filtrirpapier aufsaugen, trennte dann die
ungefärbten Stellen von den gefärbten, extrahirte die ersteren
mit Wasser und fand darin Salzsäure.
Nun ist Fuchsin eine Verbindung von Salzsäure mit
einer Base, dem Pararosanilin resp. Rosanilin. Die Cellulose
muss also eine Zerlegung des Fuchsins, eine Dissoeiation,
verursacht haben. Eine quantitative Bestimmung hat ergeben,
dass etwa die Hälfte der Salzsäure aus dem Fuchsin abge
schieden wordenist. Von mir neuerdings angestellte Versuche
mit Capillarröhren ergaben, dass in diesen eine Trennung
des Farbstoffs vom Lösungsmittel nicht stattfindet. Die
bei Verwendung neutraler Lösungen basischer Farbstoffe
1)Dr. E. Erpmans, der es für zweifellos hält, dass die substantiven
Färbungen aufchemischen Vorgängen beruhen,macht daraufaufmerksam,
dass der Wırr’sche Ausdruck „Lösung von Farbstoff in einer Faser“
zum wenigsten sehr unglücklich gewählt wurde, da er gegen jeden
Sprachgebrauch ist.
Von A. DartaeE 83
(Fuchsin und Methylviolett) beobachtete Trennung ist
nicht ein mechanischer Vorgang, sondern beruht
auf einem chemischen Prozess, der sich zwischen
dem Alkali des Glases und dem Farbstoff abspielt, indem
die in Wasser unlösliche Farbbase ausgefällt wird.
Es gelingt nicht eine Trennung herbeizuführen in
angesäuerten Lösungen basischer Farbstoffe sowie in der
Lösung solcher Farbstoffe, die sich in Alkalien lösen.
Für einen chemischen Vorgang beim Färben spricht
ausserdem ein von mir angestellter Versuch mit Methylviolett.
Die Lösung dieses Farbstoffes in Salzsäure sieht grün aus,
die sich auch beim Aufsteigen in Capillarröhren nicht
ändert. Taucht man dagegen Cellulose in diese Lösung,
so wird sie in der intensiv grünen Lösung violett gefärbt,
eine Erscheinung, die sich kaum anders erklären lässt, als
dass die Baumwolle mit Methylviolett eine violett gefärbte
Verbindung eingeht, die auch gegen Salzsäure beständig ist. !)
1) Dasschemische Vorgänge bei derAufnahme von Farbstoffen in
Betracht kommen, beweisen auch die von mir ausgeführten Färbungen
lebender Thiere mittels Methylenblau. Bei Trematoden, auf deren
Untersuchung es mir ankam und die ich unter ihren natürlichen
Existenzbedingungen mit der Farbe in Berührng brachte, färbt sich
scheinbar der Gesammtkörper gar nicht, sondern nur wenige Zellen
und einige Gruppen von Fasern nehmen die dunkelblaue Farbe an.
Sobald nunaber das so gefärbte Thier in ein sauerstoffreiches Reagens
(z. B. Wasserstoffisuperoxyd) gelegt wurde, zeigte der ganze Körper
eine blaue Färbung, Es wurde also das Methylenblau von allen Zellen
aufgenommen, aber in den meisten durch Reduction in die Leuko-
verbindung übergeführt.
(Anm. des Herausgebers.)
August Kundt.
Nachruf,
gehalten am 21. Juni 1894 im naturwissenschaftlichen Verein
für Sachsen und Thüringen.
Von
Dr. K. E. F. Schmidt,
Privatdocent für Physik zu Halle a. S.
Wieder ist die Reihe hervorragender Forscher auf
dem Gebiete der Physik um eine treffliche Kraft ärmer
geworden, TyspaLL und Hertz ist Ausust Kunpr gefolgt.
Ein rastloses, auch äusserlich viel bewegtes Leben
liegt hinter dem Entschlafenen. Es scheint mir der Be
deutung des Namens würdig zu sein, einen Rückblick auf
sein Leben und Forschen zu werfen.
Kunpr wurde 1838 zu Schwerin in Mecklenburg ge-
boren. Nach Absolvirung des Gymnasiums Friderieianum
seiner Vaterstadt bezog er 1860 die Universität Leipzig.
Im dritten Semester wandte er sich nach Berlin, wo er den
Rest seiner Studienjahre verlebte. 1867 habilitirte sich KunDT
als Privatdocent für Physik zu Berlin. Schon 1863 siedelte
er, einem Rufe folgend, als ordentlicher Professor nach
dem Polytechnikum Zürich über, das er dann nach zwei
Jahren wieder verliess, um die Professur für Experi-
mentalphysik an der Universität Würzburg anzutreten.
Nach zweijähriger Thätigkeit ging er dann 1872 an
die neugegründete Landesuniversität Strassburg. Hier
wirkte er 16 Jahre. Unter seiner Leitung entstand das
neue physikalische Institut, das seiner Anlage und Ein-
richtung nach zu den ersten der deutschen Laboratorien
zu zählen ist.
Ausust KUNDT, Nachruf von Dr. K. E. F, Schuipr. 85
Im Jahre 1888 folgte er einem ehrenvollen Rufe nach
Berlin, um die durch den Abgang des Prof. v. HELMHOLTZ
freigewordene Professur für Experimentalphysik - zu über-
nehmen.
In dieser Stellung hat er noch 6 Jahre gewirkt, bis
ein schweres Herzleiden dem noch nicht 56 jährigen ein
zu frühes Ende setzte. —
Seine wissenschaftliche Ausbildung genoss Kunpr hhapt-
sächlich in Berlin, wo damals Gustav MAcnus als Lehrer
der Physik wiidite: Gleichzeitig hatte er Gelegenheit,
Dowes berühmte Vorlesungen zu hören, sowie das Glück,
auch Gustav KırcHhHorr, den berühmten Entdecker der
Spectralanalyse, den hochverdienten Forscher auf dem
Gebiete der mathematischen Physik zu seinen Lehrern zu
zählen.
Der Eigenart seines Intelleetes entsprechend schloss
sich Kuspr am meisten an Masnus an, welcher ihn in die
von ihm selbst an neuen Forschungsmethoden so sehr be-
reicherte Disciplin einführte.
Masnus selbst war ausgebildet in der Zeit, wo die
rationelle Methode der neueren Naturforschung, die den
Schwerpunkt auf die Verfolgung und Beobachtung des
Experimentes legt, harte Kämpfe gegen die speculative
Methode der Philosophie auszuhalten hatte, die gar zu
geneigt, aus der Gedankenwelt die Eigenschaften der
Körper und den Verlauf der Erscheinungen zu construiren,
vergessen zu haben schien, dass die grossen Resultate der
astronomischen Forschung, die allen anderen Diseiplinen
der Naturwissenschaft mit Erstaunen erregenden Erfolgen
weit vorausgeeilt war, nur durch die peinlichste und sorg-
fältigste Beobachtung der Erscheinungen möglich geworden
war. Man schien sich im Lager der Speeulation nicht mehr
zu erinnern, wie ängstlich Newrox vermieden hatte, der
Phantasie in der Bildung von Hypothesen freien Spielraum
zu geben, wie sorgsam NewTox jeden Schritt in den grund-
legenden Ansätzen der Rechnung, die ihn zu der grossen
Entdeckung des Gravitationsgesetzes leitete, an der Hand
der Erfahrung prüfte und controlirte. Der mühsame und
oft auf grosse Zahlenreihen basirte Weg der exacten
86 Avucust Kunpt, Nachruf.
Forschung schien dem hohen Schwunge der „philosophisch-
dichterischen Anschauungsform“ gegenüber begrenzt und
kleinlich.
Allerdivgs kannte man in der physikalischen Forschung
zu Zeiten Masnus’ noch nicht die grosse Mannigfaltigkeit
der Methoden, mit Hülfe deren man physikalische Wahr-
heiten zu finden vermag; noch ahnte man damals nicht,
bis zu welcher Feinheit und Exactheit man mit verbesserten
Apparaten vordringen kann.
Darin Grosses geleistet zu haben, ist das anerkannte
Verdienst von Masnus und damit gleichzeitig das Ansehen
der experimentirenden Forschung der speculativen Richtung
gegenüber gehoben und ihre Stellung befestigt zu haben,
der grosse Fortschritt, den wir ihm verdanken.
Die mit Forschungsmitteln so reichlich ausgerüsteten
naturwissenschaftlichen Institute und Laboratorien der Neu-
zeit waren damals noch fromme Wünsche. Die Vorlesungen
über Physik konnte MAacnus nur mit Hülfe einer Privat-
sammlung von Apparaten so gestalten, wie es in seiner
Absicht Jag und die Arbeiten zur Erforschung der ihn be-
schäftigenden Fragen nur mit Instrumenten ausführen, die
er zum grössten Theil nach eigenen Angaben mit eigenen
Geldmitteln bauen liess. In den Zimmern seiner Privat-
wohnung hatte er die Instrumente untergebracht und hier
arbeitete er mit seinen Schülern an dem Weiterbau der
von ihm vertretenen Disciplin. Naturgemäss konnte ef
nur Wenige an diesen Uebungen und Arbeiten theilnehmen
lassen, aber um so eingehender konnte er den Einzelnen
in seine Methoden einweihen und ihm mit Rath und That
zur Hand sein,
So ist denn auch im Laufe einer langen fruchtbringeu-
den Thätigkeit eine grosse Reihe von bedeutenden Physikern
aus seiner Schule hervorgegangen
Einer der vorzüglichsten ist Avaver Kuxor, der, mit
hervorragendem experimentellen Geschicke begabt, gan2
in die Fusstapfen seines verdienten Lehrers trat. Seine
empfängliche impulsive Natur liess ihn jedes neue Problem
mit einer bewunderungswürdigen Energie angreifen. Die
Nacht wurde zum Tage gemacht, wenn es galt, eine neue
Von Dr. K.E.F, ScHımipr. 87
Idee auszuführen, und kein Mittel wurde unversucht ge-
lassen, die der Ausführung sich entgegenstellenden experi-
mentellen Schwierigkeiten zu heben und zu beseitigen, und
selten nur misslang es seiner Emsigkeit und Rastlosigkeit,
das angestrebte Ziel zu erreichen.
Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, den Vorzug ge-
habt, als Assistent ihm zur Seite zu sein, wird sich mit
Freude und Bewunderung der Wege erinnern, die er ein-
schlug, seine Zwecke zu erreichen, wie sein Geist rastlos
und unermüdlich bestrebt war, die durch reichliche und
vielfache Erfahrung gewonnenen Resultate anzuwenden, um
der Natur die Antwort auf eine bis dahin nicht gelöste
Frage abzuringen.
Dieser niemals ermüdenden Thätigkeit sind die grossen
Erfolge zuzuschreiben, die Kuspr im Laufe der Jahre er-
rungen hat. Neue Methoden zur Erforschung unbekannter
Gebiete zu finden, ist seine Hauptthätigkeit gewesen.
Darin gleicht er seinem grossen Lehrer Masnus. Das
Kunpr eigene experimentelle Geschick, das wir so.oft an
ihm bewundert haben, war ihm gleich Jenem ein trefflicher
Führer. Noch eine andere Aehnlichkeit besteht zwischen
den beiden Männern, eine gewisse Abneigung gegen die
theoretische oder mathematische Behandlung der Physik.
v. Hermnorrz spricht sich über die Stellung, welche
Masnus der theoretischen Physik gegenüber einnahm, sehr
eingehend in seiner in der Akademie der Wissenschaften
zu Berlin gehaltenen Gedächtnisrede aus, indem er zu-
nächst bemerkt, dass er mit seinen befreundeten Fach-
genossen der Ansicht gewesen sei, dass Macnus ein zu
grosses Misstrauen gegen die mathematische Behandlung
der Physik gehabt habe, ein Misstrauen, welches allerdings
durch die im Anfange dieses Jahrhunderts üblich gewesene
Methode der Rechnung mit verschuldet worden sei. MAsnus
habe streng darauf bestanden, dass das Geschäft der
mathematischen Physik ganz von dem der experimentellen
Forschung zu trennen sei, und ein junger Mann, der Physik
betreiben wolle, müsse sich zu den einen oder anderen
entscheiden.
88 Aucusrt Kunpr, Nachruf,
Diese Ansicht war auch Kuspr zur Richtschnur seiner
Forschung geworden, indem er sich gänzlich auf experi-
mentelle Physik warf. Trotzdem hat er aber niemals,
wie auch Macnus, Bedenken getragen, die wahren Erfolge
der theoretischen Leistungen und Arbeiten mit Bewunderung
und Freude anzuerkennen.
Werfen wir einen Blick auf die Resultate seiner zahl-
reichen Arbeiten, so sehen wir, dass er in fast allen Ge-
bieten der Physik thätig gewesen ist. Gleich im Anfang
seiner wissenschaftlichen Laufbahn veröffentlichte er eine
höchst originelle Methode, die Fortpflanzungsgeschwindig-
keit des Schalles in Gasen zu messen; eine Methode, die
jetzt eine gang und gebe Uebungsaufgabe für unsere jungen
Studenten bildet und in neuerer Zeit zu ausserordentlich
subtilen Untersuchungen auf dem Gebiete der mechanischen
Wärmetheorie verwendet wurde.
In der Folgezeit hat er eine ganze Reihe von aku-
stischen Problemen behandelt. Eine weitere Reihe von
Untersuchungen beschäftigt sich mit der anomalen Dis-
pansion von Farbstofflösungen, ein Phänomen, welches
darin besteht, dass nicht wie beim Durchgang der Sonnen-
strablen dureh ein Glasprisma die Strahlen kleinster Wel-
lenlänge am stärksten von ihrer Bahn abgelenkt werden,
sondern dass bei einem aus der Farbstofflösung gebildeten
Prisma diejenigen Strahlen, welche die betreffende Sub-
stanz verschluckt, die grösste Ablenkung erfahren; so.dass
z. B. die gelben Strahlen am stärksten und die blauen
weit weniger stark gebrochen werden.
Dieses Problem hat Kunpr lange Zeit beschäftigt und
die Resultate seiner Forschungen sind in einer grösseren
Reihe von Arbeiten niedergelegt. Auch für diese Unter-
suchungen arbeitete er eine neue und höchst einfache und
übersichtliche Methode für die Messungen durch. In gleicher
Weise förderte er die Arbeiten über die durch Wärme und
Druck in Krystallen erzeugten elektrischen Polarisations-
zustände, indem er eine Methode angab, die mit einem
Blieke die hierbei herrschenden elektrischen Verteilungen
übersehen liess.
Von Dr. K. E. F. Scmmipr. 89
Eine grössere Reihe von Untersuchungen hat Kuxpr
den Vorgängen in Gasen gewidmet, indem er hauptsächlich
die Erscheinungen der Reibung, der Diffusion, sowie endlich
‘der Drehung der Polorisationsebene des Lichtes, wenn die
Gase sich in einem magnetischen Felde befinden, zum
Gegenstand seiner ‘Messungen machte. Grosses Aufsehen
erregten seine Untersuchungen über die Drehung der Polar-
isationsebene in sehr dünnen Schichten von Eisen, Cobalt
und Nickel, wenn diese in ein starkes magnetisches Kraft-
feld gebracht werden. Er zeigte, dass hierbei die Drehung
in unendlich viel stärkerem Grade auftritt, als dies durch
Quarzplatten oder „active“ Flüssigkeiten, z. B. Zucker-
lösungen oder dergleichen erfolgt.
Seine letzten Untersuchungen beziehen sich auf die
Feststellung der Lichtgeschwindigkeit in Metallen. Die
Schwierigkeit, die Kunpr hier erst nach vielen unendlich
mühevollen Untersuchungen überwand, bestand darin, kleine
Prismen des betreffenden Metalles auf Glas niederzuschlagen,
die eine genügende Ablenkung und hinreichende Schärfe der
abgelenkten Bilder gaben. Wie zu erwarten war, fand er
Resultate von ausserordentlichem Interesse, die besonders
für die Erkenntniss der Vorgänge der Lichtbewegung in
Metallen von hervorragender Wichtigkeit sind.
Zeigt sich Kunpr so in seinen Arbeiten als ein Mann
von ausserordentlicher Vielseitigkeit und Umsicht, der ähn-
lich wie der grosse FarapayY von einem experimentellen
Instinet geleitet und vom glücklichsten Geschick und be-
deutender Erfahrung unterstützt war, so finden wir in ihm
bei seinen Vorlesungen und Anleitungen zu physikalischen
Arbeiten den tüchtigen, anregenden und fruchtbringenden
Lehrer. Sein Vortrag, unterstützt von instructiven, elegant
durchgeführten Experimenten, war fesselnd, klar und ver-
ständlich. Die Arbeiten, an die er seine Schüler setzte,
verfolgte er mit regem Interesse und war stets bereit, aus
dem reichen Schatze seiner Kenntnisse und Erfahrungen
Hülfe zu leisten. Mit unendlicher Sorgfalt suchte Kunor,
indem er sich selbst Stunden, ja Tage lang mit dem jungen
Commilitonen an den Apparat setzte, um die günstigsten
Versuchsbedingungen aufzufinden, Jedem, bei dem er Inter-
0) August Kunpr, Nachruf.
esse und Liebe zur Sache fand, die Wege zu ebenen, da-
mit der junge Fachgenosse eine mit schönen Resultaten ab-
schliessende Arbeit zu liefern im Stande war.
So hat Kunpr im Laufe seiner langjährigen Thätigkeit
eine grosse Menge tüchtiger Physiker herangebildet, die
teilweise jetzt als Lehrer an den Hochschulen die von ihm
angeregten Ideen weiter tragen.
Als Mensch war er gefällig, leutselig und entgegen-
kommend. Er liebte es, im Kreise fröhlicher Commilitonen
vergnügt und heiter sein zu können und oftmals hat er uns
zu fröhlichem, mit munteren Scherzen und heiteren Ge-
plauder gewürztem Male in sein gastfreies Haus geladen.
Wie er in der Wissenschaft anregend und fruchtbringend
durch seine lebhafte und impulsive Natur war, so war
er es auch im Gespräche. Mit Trauer und Wehmuth haben
wir den geliebten und hochverehrten Lehrer von uns sche'-
den sehen, und dankbar werden wir dessen gedeuken, was
er uns zu unserer Weiterförderung gern und bereitwilli:
geboten.
Der cerepisblättrige Schotendotter
(Erysimum crepidifolium Rchb.) als Giftpflanze.
Von
Prof. Dr. W. Zopf.
Halle a.S
Im vorigen Sommer hörte ich zufällig von einem
Landmann, dass eine in der Wettiner Gegend massenhaft
vorkommende, gelbblühende Crucifere (es war offenbar
Erysimum crepidifolium gemeint) auf junge Gänse stark
giftige Wirkungen äussern solle.
Als ich in diesem Frühjahr die Pflanze in genannter
Gegend in Blüthe sah, fiel mir jene Aeusserung wieder
ein, und ich nahm mir vor, dieselbe einmal auf ihre
Richtigkeit zu prüfen.
Zu diesem Zwecke sammelte ich mehrere Kilo des
frischen Krautes und kaufte mir am nächsten Tage drei
etwa 10 bis 14 Tage alte, sehr muntere und fresslustige
Gänschen.
Während zwei der Thierchen mit Rapsblättern gefüttert
wurden, gab ich dem dritten ein frisches Blättchen des
Erysimum, welches nur etwa 2 cm Länge und 2—3 mm
Breite hatte und vorher in kleine Fragmente zerpflückt
war. Das Thierchen nahm in seiner Fressgier diese Blatt-
theilchen sofort anf.
Es waren kaum 15 Minuten vergangen, als sich hef-
tiges Erbrechen einstellte: indem das Gänschen den Kopf
auf Heftigste nach rechts und links bewegte, schleuderte
es weithin eine helle Flüssigkeit aus dem Schnäbelehen,
mit der zugleich die gefressenen Blatttheilchen heraus-
flogen. Diese Brechanfälle wiederholten sich im Laufe
92 Der crepisblättrige Schotendotter als Giftpflanze.
einer Stunde öfter, Nach jedem derselben war das Thier-
chen sehr matt. Es konnte sich bald nicht mehr auf den
Beinen erhalten, die Flügelchen hingen vom Körper herab,
die Augen schlossen sich, das eine ganz, das andere halb.
Dabei liess es ununterbrochen ein klägliches Piepen hören.
Ab und zu wurde es sehr unruhig und suchte sich zu
erheben, musste sich aber alsbald wieder setzen. Sehr
bald konnte es das Köpfchen nicht mehr halten, und die
Augen schlossen sich vollständig. Dieser Zustand dauerte
etwa eine halbe Stunde, dann raffte es sich plötzlich auf,
bekam einen Krampfanfall, bei welchem es sich überschlug
und fiel todt nieder.
Von der Fütterung bis zum Tode waren nur 1?/, Stunden
verflossen.
Das Kraut von Erysimum erepidifolium scheint demnach
in der That auf junge Gänschen schon in kleinen Frag-
menten und binnen kurzer Zeit tödtlich zu wirken.
In Rücksicht auf die eigenthümlichen Krankheits-
symptome — starkes und häufiges Erbrechen, Lähmungs-
und Krampfzustände — und den schnellen Tod des Thieres
drängte sich nun die Vermuthung auf, dass die Gift-
wirkung der Pflanze auf einem Alkaloide beruhen
möchte.
Zur eventuellen Gewinnung desselben zog ich die zer-
schnittenen Pflanzen, etwa 1'/, Kilo, mit sehr schwach salz-
saurem Wasser aus, was bei gelinder Wärme während 15
bis 20 Minuten geschah. Der Auszug wurde schön himbeer-
roth, weil ein namentlich in den Stengeltheilen vorhandener
rother Farbstoff mit in Lösung geht. Zur Entfernung des-
selben empfahl es sich, den salzsauren Extraet auf ein ge-
ringes Volumen einzudampfen (was nicht auf offenem
Feuer, sondern auf dem Wasserbade geschah, um etwaige
Zersetzungen zu vermeiden) und nun mit einer Lösung
von Baryumoxyd auszufällen. Ist die Ausfällung voll-
ständig geworden, so filtrirt man die gelbe Barytverbindung
des Farbstoffs ab. Um aus dem Filtrat das Baryum zu
entfernen, wurde Kohlensäure eingeleitet, bis in einer
Probe durch Kohlensäure keine Fällung mehr eintrat.
Hierauf filtrirte ich das kohlensaure Baryum ab. Das
Von Prof, Dr. W. Zorr, 93
Filtrat, welches deutlich alkalisch reagirte, wurde genau
neutralisirt und hierauf zur Trockne eingedampft. Den
Rückstand zog ich mit Aleohol absolutus aus, dampfte die
Lösung ein und wiederholte dieses Verfahren. Schliesslich
nahm ich mit Wasser auf, wobei etwas Bräunliches unge-
löst blieb, und dampfte diese wässrige Lösung ein. Man
erhält hierbei eine diek-syrupöse Masse von brauner Färbung.
Nach dem ganzen eben beschriebenen Verfahren müsste
man, wenn tiberbaupt eine Basis in der Pflanze enthalten
ist, dieselbe als salzsaures Salz erhalten haben, wenn
auch jedenfalls in noch nicht ganz reiner Form.
Versuche an verschiedenen Thieren, zu denen eine
Lösung von 0,29 g der zuvor 24 Stunden in Sch wefelsäure-
Exsiccator gehaltenen, braunen dick-syrupösen Masse in
50 ccm Wasser verwandt wurde, lassen keinen Zweifel,
dass in der That ein, namentlich auf Gänse, sehr stark
giftig wirkender Körper in jenem braunen Produet vor-
handen ist.
Versuch 1. Einem etwa 14 Tage alten, sehr mun-
teren Gänschen wurden 2 cem jener Lösung, = 11 milligr.,
unter die Rückenhaut injicirt.
Schon nach 5 Minuten traten ausgesprochene Krampf-
erscheinungen und bald darauf Lähmungszustände auf,
die sich darin äusserten, dass das Thierchen. die Beine
nicht mehr gebrauchen, den Kopf nicht mehr halten und
nicht mehr senkrecht sitzen konnte, sondern auf die Seite.
fiel. Dabei trat. Athemnoth ein, die Herzthätigkeit wurde
bald sehr schwach, und bald darauf erfolgte der Tod.
Von der subeutanen Injection bis zum Tode waren
nur 15 Minuten verstrichen.
Versuch 2. Einem grossen, kräftigen Frosch wur-
den ebenfalls 2 cem, = 11 milligr., unter die Rückenhaut
eingespritzt.
Nach 25 Minuten ausgesprochene Lähmungserschein-
ungen. Das Thier, das vorber munter umherhüpfte, kann
nieht mehr springen und schleppt beim Sichfortbewegen
die hinteren Extremitäten nur mühsam nach, Nach wei-
teren 10 Minuten ist es nicht: mehr im Stande, sich wieder
auf den Bauch zu legen, wenn man es auf die Seite ge-
94 Der crepisblättrige Schotendotter als Giftpflanze.
legt hat. AufReize, wie Drücken, Zwicken, Ziehen reagiren
die hinteren Extremitäten gar nicht mehr, in den Schwimm-
füssen treten Krampferscheinungen auf. Schliesslich tritt
auf irgend welche Reize gar keine Reaction mehr ein, und
schon 2 Stunden 40 Minuten nach der Injection ist das
Thier todt.
Versuch 3. Einer ausgewachsenen weissen Ratte
wurden ebenfalls 2 cem, = 11 milligr., unter die Rücken-
haut injieirt.
Nach einer Stunde deutliche Krankheitserscheinungen.
Das Thier sitzt, im Gegensatz zu seiner Lebendigkeit vor
der Injection, träge und theilnahmlos da, mit gesenktem
Kopfe. Dieser Zustand währte bis in die Nachmittags-
stunden, wo es den Kopf zwischen die Vorderpfoten ge-
steckt bielt.e. Ab und zu schrak es zusammen. Nahrung
nahm es während 6 Stunden fast gar nicht. Nach acht
Stunden schien es wieder ganz munter zu sein, am näch-
sten Tage war es ganz gesund.
Versuch 4. Einem ganz jungen Hühnchen wurden
3/, eem jener Lösung (etwa 4 milligr. enthaltend) ebenfalls
unter die Rückenhaut gespritzt.
Das Thierchen blieb vollständig gesund.
Versuch 5. Einem jungen Gänschen, das genau
so gross und alt war, wie das zum ersten Versuche be-
nutzte, wurde 1 cem jener Lösung (etwa 5,5 milligr. der
rohen salzsauren Basis enthaltend) in den Magen ein-
geführt.
Es zeigten sich im Laufe des Tages nur Lähmungs-
erscheinungen an den Augenlidern, welche sich, auch beim
Gehen, zeitweilig schlossen. Am Abend war das Gäns-
chen wieder sehr munter und frass mit gutem Appetit,
auch an den folgenden Tagen war es durchaus gesund.
Aus diesen Versuchen ergiebt sich erstens, dass die
salzsaure Basis, subceutan injieirtt, sehon in sehr ge-
ringen Dosen (11 milligr.) auf junge Gänse sowie auf
Frösche tödtlich wirkt und zwar binnen kurzer Zeit (beim
Gänschen in einer Viertelstunde, beim Frosch innerhalb
3 Stunden); zweitens, dass die Wirkung des wie oben
Von Prof. Dr. W. Zopr. 95
angewandten Giftes bei diesen Thieren besonders in
ähmungserscheinungen der Extremitäten besteht,
mit denen aber beim Gänschen starke, beim Frosch
schwächer bervortretende Krampferscheinungen ver-
bunden sind; drittens, dass weisse Ratten und junge
Hühner gegen das subeutan injieirte Gift wenig empfänglich
resp. immun zu sein scheinen; viertens, dass vom Magen
aus die salzsaure Basis beim Gänschen in geringen Dosen
sehr wenig wirksam zu sein sebeint, während sie subcutan
injieirt schnell den Tod herbeiführt.
Ich machte ferner verschiedene Versuche, die Basis
im freien Zustande zu gewinnen; zunächst in der Weise,
dass ich ein paar Hände voll Erysimum-Kraut mit schwach
salzsaurem Wasser auszog, das Extract auf ein kleines
Volumen eindampfte (wobei zur Verhütung zu starker
Acidität ab und zu ein Tropfen Natronlauge zugesetzt
wurde) und dann mit Natronlauge in kleinem Ueberschuss
versetzte. Hierbei entstand eine rothbraune Fällung, die
abfiltrirt und nach schwachem Auswaschen mit warmem
Wasser ausgezogen wurde. Falls das Alkaloid in kaltem
Wasser schwer oder gar nicht löslich sein sollte, musste es
in der gewonnenen Flüssigkeit vorhanden sein.
Um dies zu prüfen, setzte ich diese Flüssigkeit einem.
8—10 Tage alten Gänschen vor. Es gelang, das sehr
lebhafte und störrische Thierchen zu bewegen, einige Tröpf-
chen der Flüssigkeit aufzunehmen.
Es traten auch bei diesen Versuchen wieder sehr hef-
tige und characteristische Giftwirkungen auf, unter denen
namentlich die krampfartigen hervortraten im Verein mit
Lähmungserscheinungen.
Schon nach etwa 10 Minuten fing das vorher sehr
muntere Thierchen an, die schon erwähnten Brechan-
anfälle zu zeigen, nach weiteren 5 Minuten konnte es sich
bereits nicht mehr auf den Beinen halten und wurde wie
schläfrig. Dann zeigte es grosse Unruhe und lief umher
wie ein Betrunkener, bald nach der einen, bald nach der
anderen Seite hin wankend. Es setzte sich dann nieder,
um sich niebt wieder zu erheben, ein Auge schloss sich
ganz, das andere halb, die Flügelchen standen vom Körper
96 Der crepisblättrige Schotendotter als Giftpflanze,
ab und wurden bewegt. Den ganzen Körper ergriff ferner
ein Zittern, das je länger, desto stärker wurde. Nach
etwa dreiviertel Stunden konnte das Thierchen den Kopf
nieht mehr senkrecht halten, auch nicht mehr sitzen; der
Körper legte sieh anf die rechte Seite, die Füsse zogen
sich krampfartig an den Rumpf zusammen. Während
dieser Erscheinungen ging häufig Koth ab, und wie auch
schon vorher, piepte das Thierchen kläglich. Die Augen
schlossen sich bald vollständig, das. Zittern des ganzen
Körpers wurde sehr heftig, der kleine Hals wie starr.
Schliesslich hörte das Vibriren des Körpers und der Krampf
auf, und das Thierchen war bald darauf todt. Vom Beginn
bis zum Ende des Experiments waren nur 23/, Stunden ver-
flossen.
Es scheint also, dass in der obigen Flüssigkeit wirklich
das freie Alkaloid enthalten war, wenn vielleicht auch nur
in geringer Menge
In den paar Tröpfehen, die das Thierchen aufnahm,
ist sicherlich nur eine minimale Quantität des Giftes vor-
handen gewesen, und doch wirkte dasselbe so auffällig
krankmachend und binnen wenigen Stunden tödtlich.
Es zeigte sich bei weiterer Prüfung, das die Basis
flüchtig ist. Sie lässt sich daher aus dem frischen zer-
schnittenen Kraut mit Wasser überdestilliren, nach vor-
herigem Zusatz von Natronlauge oder gebrannter Magnesia.
Das Destillat zeigt einen höchst widerlichen, eigenartigen
Geruch und stark alkalische Reaction, die freilicb zum
Theil von Ammoniak herrührt, da sich das Alkaloid beim
Ueberdestilliren theilweis zersetzt.
Bei dem ersten Destillationsversuche sprang mir der
Kolben und der übelriechende heisse Krautbrei fiel auf
den Experimentirtisch; obwohl ich nun die Masse möglichst
schnell zu entfernen suchte, konnte ich doch nicht hindern,
dass ich die Dämpfe einige Zeit einathmete. Die Folge‘
war, dass mir unwohl wurde. Es trat Zittern in den Händen
ein, die bleich wurden, Benommenheit des Kopfes und Be-
klemmung in der Herzgegend. Ich glaube nicht, dass dieser
Zustand auf Einbildung beruhte. Durch Einathmen frischer
Luft am Fenster besserte er sich nicht, aber nach dem
Von Prof. Dr. W. Zopr. 97
Genuss von 2 Gläsern Wasser und etwas Brod ging er
bald vorüber.
Das freie Alkaloid scheint demnach auch auf den
mensehlichen Körper zu wirken.
Nachdem jenes Destillat mit Schwefelsäure genau neu-
tralisirt war, wurde zur Trockne eingedampft und der Rück-
stand mit Alcohol absolutus in der Kälte aufgenommen.
Hierbei bleibt ein weisser Körper zurück, der sich als
schwefelsaures Ammoniak erwies. Leider sind die Mengen
desselben nicht unbeträchtlich, weil, wie schon früher an-
gedeutet, die Basis eine theilweise Zersetzung erfährt.
In der alkoholischen Lösung hat man das schwefelsaure
Salz des Alkaloides vor sich. Nach Verjagen des Alko-
hols bleibt es als eine diek-syrupöse bräunliche Substanz
zurüc
Ich löste dieselbe in Wasser und setzte diese Lösung
einem vierten, 14 bis 20 Tage alten Gänschen vor. Ob-
wohl es nur wenige Tröpfehen dieser Flüssigkeit aufnahm,
war die Wirkung doch auch in diesem Falle eine tödtliehe,
wenn auch der Tod erst in 9 Stunden eintrat.
Die Krankheitssymptome bestanden zunächst wiederum
in häufigem und heftigem Erbrechen, welches etwa nach
zwei Stunden eintrat, sodann in Lähmungserscheinungen
der Extremitäten und Halsmuskeln, welche sich etwa nach
5 Stunden einstellten. Zittern und Krampfzustände fehlten,
in den letzten Stunden trat Athemnoth ein.
Das schwefelsaure Salz wirkt demnach auf junge
Gänse ebenfalls giftig.
Das Alkaloid in zu weiterer Untersuchung ausreichender
Menge zu gewinnen, ist mir bisher nicht gelungen. Die
Schwierigkeiten liegen besonders darin, dass es äusserst
unbeständig ist und und dann auch in nur sehr geringer
Menge in der Pflanze vorkommt. Da es zu den flüch-
tigen Basen gehört, so lässt es sich wohl am bequemsten
in der Weise gewinnen, dass man die Pflanzentheile mit
Wasser und Magnesia usta destillirt, das Destillat mit Salz-
säure neutralisirt, dann zur Trockne eindampft und den
Rückstand mit Alcohol absolutus auszieht, der das 3a
Salz reichlich aufnimmt. Durch een dieses Lösungs
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 67. 1894.
98 Der crepisblättrige. Schotendotter als Giftpflanze.
mittels erhält man eine braune, dick-syrupartige Masse, aus
der die salzsaure Basis in farblosen Kryställchen aus-
krystallisirt, wenn man im Schwefelsäure-Exsiccator trock-
net. An der Luft zerfliessen aber die Krystalle allmählich
wieder. Die Basis kann man durch conc. Natronlauge
frei machen und durch häufiges Schütteln mit Aether auf-
nehmen, in welchem sie, wenn auch schwer, löslich ist.
Aus der wässrigen Lösung liess sich übrigens das freie
Alkaloid mit Aether nicht ausschütteln.
Mit Goldehlorid giebt die salzsaure Basis ein schön
krystallisirendes Doppelsalz (Prismen), das Platindoppelsalz
ist in der Krystallform dem des Ammoniumplatinchlorids
ähnlich. Leider sind beide Salze zerfliesslich, daher zur
Analyse nicht brauchbar, was auch von dem oxalsaurem
Salze gilt. Möglicherweise ist das Alkaloid des Erysimum
erepidifolium identisch mit dem Sinapin, das man aus
den Samen des weissen Senfs gewonnen hat (Litteratur in
Hvsemans und Hırcer, die Pflanzenstoffe p. 799). In
anderen Cruciferen scheinen Alkaloide bisher nicht gefunden
zu sein; indessen ist zu vermuthen, dass unter den übrigen
Erysimum-Arten sich ebenfalls Alkaloiderzeuger finden
werden. Eine Prüfung in dieser Richtung habe ich aus
Mangel an Material bisher nicht vornehmen können.
In der weiteren Flora von Halle und zwar auf den
Hügeln am süssen See bis in die Gegend von Eisleben
hin, dann an der Saale entlang auf den Bergen bei Wettin,
Dobis, Rothenburg, Cönnern bis in die Gegend von Alsleben
ist Erysimum crepidifolium ausserordentlich häufig und
scheint sich von Jahr zu Jahr weiter auszubreiten. Ueber-
all da, wo Verwitterungsproducte des Rothliegenden auf-
treten, hat sich die Pflanze geradezu massenhaft ange-
siedelt, oft ganze Hügel bedeckend, Wegeränder und Bahn-
dämme begleitend, auf Luzerne- und Kleeäckern sich aus-
breitend und in Wettin und anderen Ortschaften bis auf
die Gartenmauern gehend. Wo, wie bei Cönnern, Zechstein
und Rothliegendes aneinander grenzen, geht die Pflanze
auch auf Ersteren über, mit dem Porphyr aber scheint die
Grenze wie abgeschnitten zu sein, man findet sie daher
auch nicht im Hallischen Porphyrgebiet vor, ebenso wird sie
Von Prof. Dr. W. Zorr., ug
auf dem Buntsandstein des linken Saaleufers bei Salzmünde
vermisst.
Für die Landwirthschaft der genannten Distriete ist
nun dieses Gewächs zu einer wahren Calamität geworden,
insofern es als unfehlbares Gänsegift die Gänsezucht im
Freien erheblich beeinträchtigt resp. erschwert. Da, wie ich
zeigte, schon ein einziges Blättchen der Pflanze im Stande
ist, eine junge oder auch ältere Gans binnen Kurzem zu
tödten, so müssen die Thiere aufs Sorgfältigste gehütet
werden. Das ist nun um so schwieriger, als merkwürdiger
Weise gerade diese Crucifere von jungen und alten Thieren
so leidenschaftlich gern gefressen wird, dass sie in unbe-
wachten Augenblicken sofort über das Kraut herfallen.
Alt und Jung kennt daher, wie ich mich in diesem Jahre
durch Ausfragen der Leute in den verschiedensten Ort-
schaften überzeugt habe, das gefährliche Kraut und seine
schnell tödtende Wirkung ganz genau und bezeichnet es
mit dem treffenden Namen der „Gänsesterbe“ oder des
„Sterbekrautes“.
In einzelnen Ortschaften, wie z. B. in Rothenburg,
wo die Pflanze bis an die Ränder der Dorfstrasse geht,
werden die Gänse, in Rücksicht auf die grosse Gefahr der
Vergiftung, überhaupt nicht mehr aus den Höfen getrieben.
Gutsbesitzer und Kleinbauern lassen, wie man mir sagte,
die Gänsesterbe möglichst von den Ackerstücken entfernen,
was freilich insofern keinen Zweck hat, als man die
Pflanze an den Wegerändern ruhig weiterwuchern lässt.
Ich habe auch Fälle erzählen hören, wo ein Bauer
dem andern aus Feindschaft die Gänse heimlich mit Gänse-
sterbe vergiftete. Wer von den Lesern dieser Zeitschrift
Gelegenheit haben sollte, sich in den genannten Gegenden
nach der Gänsesterbe zu erkundigen, wird mit mir die
Ueberzeugung gewinnen, dass die Klagen über die Schäd-
lichkeit dieser Pflanze ebenso allgemein als berechtigt sind.
Zum Schluss möchte ich noch meinen besten Dank aus-
sprechen Herrn Prof. J. VoLuaeo, der die grosse Güte hatte,
mir die Benutzung der Apparate seines Institats zu gestatten,
sowie einige Rathschläge zu geben und Herrn Privatdocent Dr.
G. Braxoes, der mir freundlichst bei den Thierversuchen halt.
nn Y ie
Der Luftballon im Dienste der Wissenschaft.’
Gross,
Premierlieutenant der Luftschifferabtheilung in Berlin.
Nachdem der bei seiner Erfindung so begeistert be-
grüsste Luftballon, welcher dem Menschen neue Wege des
Verkehrs über die Länder und Meere zu eröffnen versprach,
all’ diese weitgehenden und theilweise phantastischen Hoff-
nungen und Erwartungen nicht erfüllt hatte, sank er sehr
bald zurück in seiner Werthschätzung und war schliesslich
fast lediglich dazu verdammt, die Schaulust einer neu-
gierigen Volksmenge zu befriedigen und hierdurch die
Taschen unternehmungslustiger Besitzer von Vergnügungs-
localen und sogenannter Berufs-Luftschiffer oder Akrobaten
mit klingender Münze zu füllen.
Zweifellos aber sind der Luftschifffahrt ernstere Ziele
gestellt, und zwar in doppelter Weise; einmal als ein jetzt
bereits von allen Militärstaaten eingeführtes und werthge-
schätztes Höhenobservatorium im Kriege, gewissermaassen
als das oberste Auge des die Schlacht leitenden Oberbe-
fehlsbabers, und zweitens als das einzige Mittel, dem Manne
der Wissenschaft die Möglichkeit zu geben, in das Element
siegreich vorzudringen, welches sich seinem erforschenden
Geiste am längsten entzogen hat.
Was die militärische Ausbeutung der Erfindung des
Luftballons anbelangt, so sind jetzt gerade hundert Jahre
verflossen, seit zum ersten Male ein Ballon auf dem Kriegs-
schauplatz erschien. Der Physiker Guyrox pe MoRrvEAU
trat zuerst im Juni des Jahres 1794 mit dem Vorschlage
hervor, den Luftballon bei den Heeren als fliegende Ob-
1) Mit Genehmigung abgedruckt aus der Memoiren - Correspon-
denz. Herausgeber PauL LINDENBERG, Berlin.
Der Luftballon i. Dienste d. Wissenschaft, v. Premierl, Gross. 101
servatorien zu benutzen. Sein Vorschlag fand Anklang,
man bildete in aller Eile eine Luftschiffer-Compagnie unter
dem Commando CovrELre’s und schickte dieselbe nach
dem von den Oesterreichern belagerten Maubeuge, wo sie
treffliche Dienste leistete. Die eigentliche Feuertaufe er-
hielt der erste Kriegsballon am 26. Juni in der Schlacht von
Fleurus in welcher derselbe eine wichtige Rolle zu spielen
Gelegenheit fand.
Doch die Kriegs- Aeronautik war nicht lange von Be-
stand. NAPOLEON BoNAPARTE löste bald die Luftschiffer-
Compagnien auf, und so kam es, dass trotz vereinzelter
Versuche und Verwendung des Ballons als Kriegsmittel in
den verschiedensten Staaten dieser in Vergessenheit gerieth,
bis derselbe im Feldzuge von 1870/71 bewies, welche wich-
tigen Dienste er als Communicationsmittel im Nothfalle zu
leisten im Stande ist. Seit jenem letzten Kriege hat denn
auch die Kriegs-Aeronautik gewaltige Fortschritte gemacht,
so dass gegenwärtig kein grösserer Staat mehr des Ballons
als eines wichtigen Kriegsgeräthes entbehren zu können
glaubt. Wir finden daher heute in allen civilisirten Staaten
wohlorganisirte Militär - Luftschiffer - Abtheilungen, deren
hoher Werth für die Heeresleitung i in einem nächsten grossen
Kriege sich zweifellos zeigen wir
Die Verwendung des Tafikallen im Dienste der
Wissenschaft datirt zurück bis zum Anfange dieses Jahr-
hunderts, sie hat dann lange Jahre geruht, bis in neuerer
Zeit die junge meteorologische Wissenschaft, sich schritt-
weise systematisch entwiekelnd, namentlich durch die Resul-
tate der meteorologischen Hochstationen angeregt, zu der
Erkenntniss gelangte, dass in der Wechselwirkung zwischen
der Erde und der Atmosphäre die meisten meteorologischen
Vorgänge bedingt seien, und man daher das Beobachtungs-
gebiet mehr und mehr vom Erdboden lösen und in die
freie Atmosphäre verlegen müsse.
Will man die Gesetze ergründen und studiren, nach
denen sich der ewige Wechsel des Zustandes unserer
Atmosphäre vollzieht, um hieraus wenigstens mit annähern-
der Sicherheit den in alle menschlichen Verhältnisse so
tief einschneidenden Witterungswechsel vorher zu bestimmen,
.
102 Der Luftballon im Dienste der Wissenschaft-
so darf man sich nicht wie bisher damit begnügen, die aus
den zahlreichen jetzt über die ganze civilisirte Welt ver-
breiteten meteorologischen Stationen täglich telegraphisch
einlaufenden Beobachtungen zu sogenannten Wetterkarten
zu combiniren, man muss vielmehr in das zu untersuchende
Element selbst, die freie Atmosphäre, wo jener ewige
Wechsel sich vollzieht, eindringen. Hier wird man nicht
nur, wie auf der Erde, die Wirkungen, sondern, was un-
gleich werthvoller ist, ihre Ursachen kennen lernen und
studiren können. Dem Menschen stehen zwei Mittel zu
Gebote, in jenes Element einzudringen: er kann die natür-
lichen Erhebungen der Erde, jene Bergriesen, deren eisge-
krönte Häupter hoch in die Atmosphäre hineinragen, er-
klimmen und hier seine Beobachtungen anstellen, oder aber
er muss sich und seine Instrumente einem leistungsfähigen
Luftballon anzuvertrauen sich nicht scheuen. Beide Arten,
sich in die Luft zu erheben, sind von einander grundver-
schieden, beide geben daher auch verschiedene Resultate
der dort angestellten Beobachtungen. Eine meteorologische
Hochstation, sie mag noch so isolirt auf der höchsten Klippe
eines Bergriesen aufgebaut sein, klebt doch schliesslich an
der Erde, deren Wärme- und Feuchtigkeits- Ausstrahlung,
deren elektrischer und sonstiger Zustand ganz wesentlich
die hier aufgestellten Instrumente beeinflusst.
Aber auch die in dem frei in der Atmosphäre schwe-
benden Ballon angestellten Beobachtungen geben nur dann
einwandfreie Resultate, wenn ganz besonders hierfür con-
struirte Instrumente vorhanden sind, und wenn dieselben
von geübten Beobachtern bedient werden.
Unter den Aufgaben, deren Lösung allein unter Zu-
hilfenahme des Luftballons gelingen kann, steht die Er-
mittelung der Temperatur- und Feuchtigkeits- Vertheilung
in der Atmosphäre obenan, weil diese Factoren in erster
Linie den Wechsel des Zustandes der Atmosphäre bedingen.
Wir wissen zwar im Allgemeinen, dass die Temperatur mit der
Erhebung über der Erdoberfläche abnimmt, da die Erwärmung
der Luft nicht etwa direet durch die Sonne, sondern erst
durch die Ausstrahlung der von dieser erwärmten Erdober-
fläche ausgeht, wir wissen ferner, dass im Allgemeinen der
Von Premierlieutenant Gross. 103
Wasserdampfgehalt hoher atmosphärischer Schichten ge-
ringer ist als solcher, welche der Erdoberfläche näher
liegen, aber tiber das Maass dieser Abnahme unter den ver-
schiedensten Wetterlagen, sowie über die Unregelmässig-
keiten unter gewissen Witterungs- Verhältnissen ist unsere
Kenntniss noch eine äusserst unvollkommene.
Aber mit dem Eindringen in höhere Luftschichten allein
ist für die Wissenschaft noch wenig erreicht; diese bedarf
exacter Messungen der Zahlenwerthe, und um diese zu ge-
winnen, bedarf man der zweckentsprechenden Methoden
und der Apparate. Lange Zeit hindurch glaubte man mit
der freien Aufhängung eines gewöhnlichen Thermometers
und der Beobachtung eines gebräuchlichen Hygrometers
Werthe wissenschaftlicher Bedeutung zu gewinnen. Wie
viel Mühen und Gefahren sind leider fruchtlos erlitten bei
den meisten bisherigen, sogenannten wissenschaftlichen
Ballonfahrten, da die gewonnenen Resultate in Folge der
Mangelhaftigkeit der Instrumente und der Beobachtungs-
methode höchstens geeignet sind, Unklarheit da hinein zu
bringen, wo man sich nach Klarheit sehnte. Erst später,
als man einsah, dass die Angaben dieser Instrumente von
wechselvollen äusseren Bedingungen, wie Besonnung, Be-
schattung und Benetzung, abhängig waren, sowie dass bei
schnellen Höhenänderungen des Ballons das Wärmegefühl
‚den Angaben des Thermometers nicht entsprach, ging man
an die Verfeinerung der Apparate, indem man dieselben
den Störungen zu entziehen und sie empfindlicher zu machen
versuchte.
Aber erst in den letzten Jahren ist es dem Scharfsinn
und der unermüdlichen Arbeit des Professors Dr. Assmann
vom königl. Meteorologischen Institut gelungen, die grossen
Schwierigkeiten zu überwinden, welche sich der präcisen
Ermittelung von Temperatur und Feuchtigkeit bei Luft-
fahrten und auch auf der Erde entgegengestellt hatten.
Es hat deshalb erst in allerneuester Zeit der Luftballon für
die meteorologische Wissenschaft die ihm gebührende Be-
deutung gewonnen.
Dem Fernstehenden dürfte kaum bekannt sein, dass
die einwandfreie Bestimmung der Lufttemperatur bis vor
104 Der Luftballon im Dienste der Wissenschaft.
wenigen Jahren noch ein ungelöstes Problem war, obwohl
man die Beobachtung der Temperatur von jeher als eine
der fundamentalsten Aufgaben der meteorologischen Stati-
onen hielt. Der Stand des Thermometers hängt nämlich
nicht allein von der Temperatur der umgebenden Luft ab,
die zu messen ist, sondern auch davon, in welchem Maasse
dasselbe durch Ein- und Ausstrahlung beeinflusst wird.
Die auf den meteorologischen Stationen gebräuchlichen
mannigfaltigen Schutzvorriehtungen in Form von Blech-
schirmen, Jalousiegehäusen, besonderen Hütten und der-
gleichen mehr sind nicht im Stande, die Instrumente gegen
diese störenden Einflüsse zu schützen und zwar um s0
weniger, als die Luft ruhiger ist. Nun herrscht aber im
Korbe eines frei fliegenden Ballons stets absolute Wind-
‚stille, er mag noch so schnell mit dem Winde vorwärts
eilen; es treten daher hier störende Strahlungseinflüsse
doppelt stark auf und machen daher die meisten bisherigen
Fahrten, die mit so grosser Kühnheit und theilweise mit
Menschenopfern unternommen wurden, für die Wissenschaft
minderwerthig.
sogen. Assmann’sche Aspirations- Psychrometer —
genannt, weil es durch Combination eines trockenen
mit zwei befeuchteten Thermometern gleichzeitig zur Be-
stimmung der Luftfeuchtigkeit dient — beruht auf dem
Prineipe, dass den äusserst feinfühligen, in einer spiegeln-
den Metallhülse eingeschlossenen Thermometern durch
einen von einem Uhrwerk getriebenen Exhaustor dauernd
grosse Mengen von immer wieder frischer Luft zuge-
führt werden, so dass die einzelnen Lufttheile nicht Zeit
behalten, sich an der höher temperirten Umhüllung zu er-
wärmen. Dieses Instrument giebt, ob in Sonne oder
Schatten aufgehängt, die wahre Lufttemperatur an. Wie
gross der Unterschied zwischen dieser und der Strahlungs-
wärme der Sonne sein kann, zeigen die Messungen schon
der ersten Fahrten mit dem Ballon „Humboldt“. Es be-
trug bei 6200 m Höhe die Lufttemperatur — 26° C., während
das Schwarzkugelthermometer, welches das Maass der Strah-
lungswärme der Sonne angiebt, + 13° zeigte. Es bestand
somit zwischen der wahren Lufttemperatur und der Ein
Von Premierlieutenant Gross. 105
strahlungswärme der Sonne ein Unterschied von 39%, Aus
diesem Beispiel geht ohne Weiteres der geringe Werth für
die exacte Wissenschaft von Messungen mit Instrumenten
hervor, bei denen der störende Einfluss der Sonnenstrahlung
nicht vermieden wird, auch sind nur hieraus die auffallend
hohen Temperaturen zu erklären, welche bei den bisherigen
Hochfahrten, namentlich in Frankreich und England, be-
obachtet wurden.
Nach dem Vorigen ist wohl einleuchtend, dass, wo
deutscher Scharfsinn die Mittel bot, nunmehr wahrhaft
richtige Werthe von Messungen mit Hilfe des Luftballons
zu erreichen, auch deutsche Energie berufen ist, diese Er-
findung auszunutzen, und so entstand der Keim zu dem
wissenschaftlichen Unternehmen der Erforschung der höheren
Atmosphäre mit Hilfe eines leistungsfähigen Luftballons, in
Berlin im Schoosse des deutschen Vereins für Luftschiff-
fahrt. Nachdem durch die grossherzige Unterstützung des
Kaisers dem Verein hierfür reichliche Geldmittel zur Ver-
fügung gestellt worden waren, begannen im Anfange des
verflossenen Jahres die Fahrten des Ballons „Humboldt“,
die sein Nachfolger, der „Phönix“, gegenwärtig noch fort-
setzt und hoffentlich zur Vollendung bringen wird zu Nutzen
und Frommen der Wissenschaft, sowie zur Ehre des deut-
schen Namens.
Ehe wir auf diese Fahrten eingehen, dürfte es inter-
essiren, zu erfahren, was bisher auf diesem Gebiet über-
haupt geleistet wurde, wenn auch, wie wir nachgewiesen
haben, die Resultate der früheren Fahrten, wenigstens was
Temperaturmessungen anbelangt, minderwerthige sind.
Die erste zu wissenschaftlichen Forschungen unter-
nommene Luftfahrt fällt bereits in das Jahr 1803; sie wurde
von dem belgischen Physiker Rosertson und dem Luft-
‚schiffer Luost zu Hamburg ausgeführt. Man erreichte an-
geblich eine Höhe von 7400 m, was bei der geringen Grösse
des Ballons — er besass nur 600 cbm Wasserstofigas —
— allerdings mehr als unwahrscheinlich ist, und stellte
Messungen der Temperatur und Luftelektrieität an. RoBERT-
son führte noch eine Reihe von Fahrten in Russland aus,
welche indessen wegen der nur errichteten geringen Höhen
106 Der Luftballon im Dienste der Wissenschaft.
weniger interessant sind. Indessen erregten die gewonnenen
Resultate grosses Interesse und Widerspruch bei der Aka-
demie der Wissenschaften zu Paris, so dass man hier schon
im folgenden Jahre, also 1804, zwei junge Gelehrte, Bıort
und Gay Lussac, mit der Ausführung gleicher Forschungen
betraute. Nachdem der zur Verfügnng gestellte Militair-
Ballon beide Männer nur auf 4000 m heben konnte, stieg
Gay Lussac allein auf und erreichte 7000 m Höhe. Die
gewonnenen Resultate stimmten mit denen RoBERTSoN’s
durchaus nicht tiberein, man war daher noch unklarer als
zuvor.
Das gute Beispiel der französischen Gelehrten wirkte
zündend auch auf einen Deutschen. Professor JuNnGIUs zu
Berlin stieg im Jahre 13805 zu wissenschaftlichen Beobach-
tungen auf, erreichte angeblich 6500 m Höhe, brachte in-
dessen gar keine Resultate mit zur Erde zurück, da ihn
sehr bald, wie er selbst angiebt, eine schlafartige Betäubung
überfiel. Erst im Jahre 1850 sind zwei weitere Fahrten
zu wissenschaftlichen Zwecken zu verzeichnen. BaArıAL
und Bıxıo, zwei französische Gelehrte, erreichten bei der
ersten Fahrt 5900 m, bei der zweiten sogar 700 m Höhe.
Die Resultate dieser beiden Fahrten sind nicht ohne Werth
für die Wissenschaft geblieben, da gute Beobachtungen von
Eisnadel-Wolken und interessanter optischer. Erscheinungen
in ihnen mit zur Erde gebracht wurden.
Mit den Forschungsreisen, welche fast zu derselben
Zeit in England ausgeführt wurden, beginnt auf diesem Ge-
biete eine neue bahnbrechende Periode, deren Ergebnisse,
wenn auch nunmehr nicht mehr einwandfrei, die Grundlage
für die Anschauung und Gesetze der höheren Atmosphäre
bis in die allerneueste Zeit bildeten. Die dreissig Luft-
‚reisen des englischen Meteorologen Mr. Graısuer sind auch
wohl die einzigen überhaupt, welche in Folge der Energie,
Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit dieses kühnen For-
schers wirklich brauchbare Resultate ergeben haben, 80-
weit dieselben nicht durch mangelhafte Instrumente und
deren Anbringung leider getrübt wurden. Mr. GLAISHER,
Chef des Meteorologischen Bureaus zu Greenwich, und der
bekannte Luftschiffer Coxweri übernahmen es mit echt
Von Premierlieutenant Gross. 107
britischer Energie, die oberen Luftschichten der Atmos-
phäre zu erforschen, die man bisher den Menschen für un-
zugänglich hielt. Sie unternahmen die kühnen Fahrten
meist von dem central im Lande gelegenen Wolverhampton
aus und geriethen trotzdem häufig in grosse Gefahr des
Meeres wegen, dessen Nähe sie mehrfach zu rapiden Lan-
dungen aus enormer Höhe zwang.
OXWELL besass für diese Fahrten einen Ballon von
2500 cebm Grösse, nach dessen Zerstörung ein neuer Ballon
von 2600 ebm Grösse erbaut wurde; die Füllung erfolgte
mit einem sehr leichten, eigens hierfür präparirten Leucht-
gase, dessen schwere Bestandtheile ausgeschieden wurden,
so dass diese Ballons eine vorzügliche Steigekraft besassen.
In den Jahren 1861 — 66 führten beide Männer dreissig
Fahrter aus und brachten von diesen eine Unsumme von
Beobachtungen der Lufttemperatur, Feuchtigkeit, Elektri-
eität, der Windrichtung und Stärke, der Wolkenbildung,
Zusammensetzung und Höhen der Wolken mit zur Erde,
auch stellten sie spektroskopische, sowie physiologische
Beobachtungen an und sammelten Luftproben der verschie-
densten Höhen zur chemischen Untersuchung.
Gleich bei der ersten Fahrt schlug GLA1sHErR seine Vor-
läufer an Höhe, indem er fast 8000 m erreichte. Am
interessantesten ist die dritte Fahrt am 5. September 1862,
bei welcher der Ballon wahrscheinlich 10000 m Höhe er-
reicht hat. In einer Höhe von 8883 m machte GLAISHER
seine letzte Beobachtung, dann verlor er die Besinnung,
bald darauf auch sein Begleiter Coxweır, welcher im Ringe
des Ballons sass. Letzterem gelang es indessen noch, mit
den Zähnen die Ventilleine zu erfassen und das Ventil zu
öffnen. Als GraAısuer von seiner Betäubung erwachte, be-
fand sich der Ballon noch in einer Höhe von 7200 m in
rapidem Falle. Aus den Angaben des Thermometers be-
rechnet Graısuer, dass der Ballon 10000 m Höhe tber-
sehritten baben müsse. Wie dem auch sein mag, sicher
hat Graısuer 9000 m Höhe erreicht, eine Leistung, die ihm
bisher Niemand nachgemacht hat. Nach GrA1sHerR sind in
England Ballonfahrten zu wissenschaftlichen Zwecken nicht
mehr unternommen worden. ”
108 Der Luftballon im Dienste der Wissenschaft.
In Frankreich aber, der Wiege des Luftballons, neidete
man die englischen Erfolge; man begann hier sehr bald
das begonnene Werk Gar Lussac’s fortzusetzen. Es bil-
deten sich im ganzen Lande Vereine, von denen zahlreiche
Ballonfahrten unternommen wurden, auch solehe zu angeb-
lich wissenschaftlichen Zwecken. Doch die Oberflächlieh-
keit und Unzuverlässigkeit der Franzosen, welche von
jeder Ballonfahrt ein Aufsehen machen, als wäre sie eine
cause c6elebre, macht diese Fahrten für die Wissenschaft
vollständig wertblos. Eine rühmliche Ausnahme hiervon
maehen die beiden wirklich rein zu wissenschaftlichen
Untersuchungen unternommenen Fahrten Tıssannıer’s in
Begleitung von SıveL und Crov& Spmerzı, welche leider
ihren Opfermuth mit dem Leben bezahlten. Die drei kühnen
Forscher unternahmen im Jahre 1874 eine bis 7000 m hin-
aufgehende Luftreise zur Erprobung der Wirkung der künst-
lichen Sauerstoffathmung auf den menschlichen Organismus,
auf Grund deren dieselben Männer im ‘Jahre 1875 eine
zweite Hochfahrt auf über 8000 m wagten, bei welcher jene
beklagenswerthe Katastrophe eintrat. Nach fünfstündiger
Fahrt landete Tissanpıer mit den Leichen seiner beiden
Begleiter, welche, wie er selbst angiebt, nicht genügend
Sauerstoff einathmeten. Seit jener verhängnissvollen Fahrt
ist auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Erforschung der
Atmosphäre mit Hilfe des Ballons nichts Beachtenswerthes
zu verzeichnen, bis vor wenigen Jahren der deutsche Ver-
ein zur Förderurg der Luftschifffahrt sich die Aufgabe
stellte, mit den nunmehr vollkommenen Instrumenten
systematisch und gründlich dieses Problem wieder aufzu-
nehmen.
Als der Ballon „Humboldt“ in den Dienst der Wissen-
schaft gestellt wurde, waren bereits fünf vorbereitende
ahrten mit einem kleineren 1200 ebm grossen Ballon aus-
geführt worden, wobei alle einschlägigen Versuche, be-
treffend die Wahl der Instrumente, sowie deren zweck-
mässigste Anbringung, erledigt waren, und ein hinreichendes
Personal wissenschaftlich gebildeter Beobachter, die sämmt-
lich dem königl. Meterologischen Institute angehörten, aus-
gebildet worden war.
Von Premierlieutenant Gross. 109
Der „Humbold“, ein prächtiger Ballon von 2500 cbm
Inhalt, trat am 1. März 1893 vor den Augen des Kaisers,
dessen regem Interesse er entstammte, seine erste Fahrt
an, bei der leider durch ein Missgeschick der Professor
AssMANnN, die Seele des ganzen Unternehmens, ein Bein
brach und hierdurch für weitere Fahrten dienstunbrauchbar
wurde. Doch das Unternehmen konnte nicht aufgehalten
werden, dessen Leitung in seiner energischen und geschickten
Hand verblieb. Sein Assistent, Herr Bersox trat als Be-
obachter für ihn ein und hielt getreulich alle bisherigen
21 Fahrten mit dem Führer des Ballons, dem Sehreiber
dieses, aus. Bei besonderen Aufgaben wird stets noch eine
dritte Persönlichkeit mitgenommen, auch von diesen Herren
stellt das Meteorologische Institut den weitaus grössten Teil.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, die Resultate
der bisherigen Fahrten, die für den Laien meist nnr in
trockenen Zahlenreihen und Kurven bestehen, aufzuzählen, !)
es sei nur bemerkt, dass diese Fahrten bereits eine reiche
werthvolle Ausbeute wissenschaftlich ungemein werthvollen
Materials ergeben haben. Die Instrumente haben sich tadel-
los bewährt, auch haben sie gezeigt, wie wenig richtig die
bisherigen Messungen gewesen sind. Der Ballon „Hum-
boldt“ hatte leider kein Glück. Von den sechs Fahrten,
die er überhaupt nur erlebt hat, waren die ersten beiden
mit Verletzungen der Luftschiffer verbunden, bei der dritten
Fahrt riss sich der Ballon selbst bei der Auffahrt an einem
Fabrikschornstein ein mächtiges Loch, bei der sechsten
explodirte nach der Landung in Folge elektrischer Funken-
bildung das noch im Ballon enthaltene Gas und zerstörte
Hülle und Netz. Der Nachfolger des „Humboldt“, der
„Phönix“, welcher grösser noch und vollkommener aus
seiner Asche entstand, hat unberufen bisher mehr Glück
gehabt, er hat bisher 15 Fahrten glatt ohne jedes Missge-
schick durchgemacht.
1) Die Ergebnisse dieser Ballonfahrten zur Erforschung der
Atmosphäre werden fortlaufend mitgetheilt in der „Zeitschrift für
Luftschiffahrt und Physik der Atmosphaere*, Verlag: Berlin, Mayer
und Müller; Redaction Dr. V. Kremser, Berlin, Meteorol. Institut.
110 Der Luftballoni. Dienste d. Wissenschaft, v. Premierl. Gross.
Die Zahl der Fahrten, die fünf vorbereitenden des
Ballons ‚M. W.“ nicht mitgerechnet, beträgt jetzt 50, hier-
von sind 5 bei Nacht ausgeführt, sieben Mal ist die
Höhe von 5000 m, 3 Mal die von 6000 m überschritten
worden. Die Fahrten haben bei den verschiedensten Wetter-
tagen im barometrischen Maximum und Minimum, bei
schwerem Regen, bei Schnee, bei diehtem Nebel und hei-
terem Himmel, bei Tage und bei Nacht stattgefunden.
Was die Erreichung noch grösserer Höhen anbetrifft,
so wird diese Aufgabe in diesem Frühjahre in Angriff ge-
nommen werden, da die Gewinnung des hierzu erforder-
lichen Wasserstoffes einige Zeit beanpruchte. Alle übrigen
Vorbereitungen für Hochfahrten sind beendet, die künst-
liche Atmung von Sauerstoff bei drei Fahrten bereits er-
probt. Inzwischen ist eine Hochfahrt auf 8000 m Höhe
gelungen, deren Ergebnisse ganz besonders interessante
waren, da eine bis 7000 m reichende schwere Schneewolken-
Masse hierbei durchnitten wurde.
In erster Linie ist es gelungen, mit einwandfreien In-
strumenten die Temperatur- und Feuchtigkeits-Verhältnisse
der freien Atmosphäre bis zu einer Höhe von 8000 m unter
den verschiedensten Wetterlagen, in den verschiedenen
Jahreszeiten bei Tage und bei Nacht soweit festzustellen,
dass deren Gesetzmässigkeit der Veränderung genau her-
geleitet und deren Ausnahmezustände erklärt werden können.
Es sind ferner höchst wichtige und interessante Aufschlüsse
gewonnen worden über diese Verhältnisse in den Wolken
selbst, sowie namentlich über den Einfluss der Wolken-
bildungen auf die umgebenden Luftmassen. Die luft-
elektrischen Messungen bis in grosse Höhen haben gleich”
falls bisher unbekannte und wichtige Resultate ergeben,
welche Aufklärung über bisher nicht gekannte Witterungs-
erscheinungen zu geben berufen sein werden. Miteinem Woite,
es sind die Bausteine gesammelt worden, aus denen das
solide Fundament für die wissenschaftliche Erforschung
der Atmosphäre in allernächster Zeit erbaut werden wird.
Mleinere MWittheilungen.
Mathematik und Astronomie.
Die Monde des Jupiter. Bis zum 9. September 1392
war man in dem Glauben, der Jupiter habe 4 Monde, am
genannten Tage aber entdeckte Barnard mit dem 36 zöll.
Fernrohre der Lick-Sternwarte einen 5. Satelliten des Pla-
neten. Während die bislang bekannten Monde eine Grösse
gleich dem unsrigen besitzen, d. h. also etwa einen Durch-
messer von der Längenausdehnung Europas haben, ist der
neuentdeckte, seinem Planeten bedeutend näher stehende
viel kleiner, indem seine Grösse etwa der einer grossen
Stadt gleiehkommt. Seine Umlaufszeit beträgt ca. 12 Stun-
den, während die der übrigen ca. 3,13,16 und 18 Stunden
ausmacht.
Das grösste Fernrohr der Welt ist nunmehr der
Yerkes-Refractor der Universität zu Chicago. Das Objectiv-
glas hat nämlich einen Durchmesser von 40 englischen Zoll,
also bedeutend mehr, als das bekannte Lick-Telescop. Das
Fernrohr selbst ist von Stahl und hat 62 Fuss Länge.
Seine Gestalt ist annähernd die einer Cigarre, und es wiegt
nicht weniger als 120 Centner. Die Höhe der Säule, auf
der das Fernrohr angebracht ist, beträgt 43 Fuss, und das
Objectivglas des Ferurohrs, wenn dasselbe senkrecht steht,
befindet sich 72 Fuss über dem Boden, das heisst fast dop-
pelt so hoch als ein dreistöckiges Haus. Wird das Instru-
ment geneigt, so wäre der Beobachter jedesmal genöthigt,
auf eine hausliohe Leiter zu klettern, um durch das Fern-
rohr zu sehen. Dieses wäre nicht blos beschwerlich, son-
dern auch gefährlich. Es ist daher die Einrichtung ge-
112 Kleinere Mittheilungen.
troffen, dass der ganze Fussboden auf hydraulischem Wege
gehoben und gesenkt werden kann, so dass der Beobachter
stets auf ebener Erde steht. Die Beleuchtung der Kreise
und Hilfsapparate geschieht am Ocularende des Fernrohrs
durch electrisches Licht und alle Ablesungen -und Be-
wegungen des Fernrohrs geschehen durch electrische Vor-
richtungen, so dass der Beobachter sich nieht vom Platze
zu rühren braucht. Die Leistungen dieses neuen Riesen-
telescops werden zweifellos gross sein, und man hofft auf
ähnliche Neuentdeckungen, wie sie sich einzig und allein
durch grosse Fernrohre ergeben können. So wurde durch
den 18zölligen Refractor zu Chicago der Begleiter des
Sirius, der bislang noch von keinem kleineren Fernrohre
gesehen werden konnte, entdeckt. Ihm folgte der 26zöllige
Refractor in Washington, der die beiden Marsmonde ent-
decken liess. Endlich liess das dreifüssige Fernrohr der
Lick-Sternwarte den fünften Jupitermond erblicken. Was
der neue 40-Zöller offenbaren wird, kann man noch nicht
wissen. Sicher ist es aber, dass nach Ansicht seines Ver-
fertigers Mr. Alvan G. Clark in Cambridge in Amerika wir
noch keineswegs an die Grenze der Leistungsfähigkeit eines
Riesenfernrohres gelangt sind.
Ein neuer Komet wurde am 26. März Abends vom
Astronom Denning in Bristol an der Grenze des grossen
und kleinen Löwen entdeckt. Zur Zeit der Entdeckung
(Abends 9 Uhr 30 Min. mittlerer Zeit von Bristol) war sein
Ort: Gerade Aufsteigung 148° 45°;
Nördliche Abweichung 32° 15".
Am 27. Abends und 28. März früh wurde derselbe
auch auf der Sternwarte zu Hamburg und München wie
folgt beobachtet:
27. März, Abends 11 Uhr 37,2 Min. mittlere Zeit von
Hamburg: Gerade Aufsteigung 149% 39° 8%;
Nördliche Abweichung 31° 38 52,
28. März, früh 12 Uhr 1,3 Min. mittlere Zeit von
München: Gerade Aufsteigung 149° 39° 46”;
Nördliche Abweichung 31° 38° 31“.
Kleinere Mittheilungen. 113
Chemie und Physik.
Ueber !Alaune und besonders über den Kali-KEisen-
alaun, einen höchst zersetzlichen Körper. Der allgemeine
Typus der Alaune lässt sich auffassen als
M'M'(SO,), + 12aq;
hierin könnte der Schwefel auch durch Selen oder Tellur
ersetzt sein, das würde Alaune der Selen- oder Tellursäure
ergeben vom Typus:
M'M'(SeO,), + 12 ag,
M'M“(TeO,) + 12 aq.
Interessant ist nun die Reihe der ee se:
Kaliumaluminium-Alaun.... KAI(SO,), + 12aq.... 921,
Rubidiumaluminium- Asun: RbAI(SO,) + 12aq ... 105°
Caesiumaluminium-Alaun..Cs AlSO,), + 12aq. .1201/,0
Diese Zahlen stellen eine Parallele zu den Atom - Ge-
wichten von K,Rb, Cs dar, da diese betragen für
133
Die Aehnlichkeit "ikaer beiden Zahlenreihen spricht
sich aufs Deutlichste in den Differenzen aus; für die Me-
talle erhalten wir die Zahlen 46 und 48 dad für die zu-
gehörigen Alaune 12'/, und 151/.. ze
Substituirt man das Aluminium durch Eisen, so ent-
stehen Kaliumeisen- und Rubidiumeisen-Alaun, die mit dem
Rubidiumaluminium - Alaune folgende, nach ihren Schmelz-
punkten geordnete, interessante Reihe ergeben:
Rubidiumaluminium-Alaun ...... RbAI(SO,), + 12 aq 105°
Rubidiumeisen-Alaun............ RbFe(SO,), + 12aq 60°
Kaliumeisen-Alaun .............- KFe(SO,)s + 12aq 33°
Sehr auffällig ist die Erscheinung, dass mit dem Ein-
tritt des Eisens trotz seines höheren Atomgewichtes (55,9)
gegenüber demjenigen des Aluminiums (27) die Schmelz-
punkte der Rubidiumeisen- und Kaliumeisen-Alaune fallen.
Bemerkenswerth ist jedenfalls die Thatsache, dass der Ka-
liumeisen-Alaun ein anorganisches Salz ist, das bereits unter
Blutwärme schmilzt. Daraus erklärt sich die an leichte
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 67. 1994.
114 Kleinere Mittheilungen.
Zersetzlichkeit dieses Körpers und die Schwierigkeit seiner
Darstellung, die nur bei + 2 bis + 5° gelingt. — Ueber-
raschend ist die weisse Farbe des Salzes, in welcher sich
also die Anwesenheit des Eisenoxyds (Fe,O,) nicht äussert.
— Die Schmelzpunkte der Alaune geben ein gutes Krite-
rium für ihre Erkennung ab.!)
Dr. H. Erdmann, Vereinssitzung am 11. Jan. 189.
Platinmetalle. Von einer hypothetischen Säure (HC]),
sind ableitbar die bekannten Salze:
Kaliumplatinchlorid .......... K,PtC],
Magnesiumplatinchlorid ..... MgPtC],
Ammoniumplatinchlorid ..... (NH,),PtC],
Rubidiumplatinchlorid ....... Rb, PtC],
Caesiumplatinchlorid.......... C3,PtC],
Bei allen herrscht die Combination Würfel - Octaeder
(© 0,0) in den Crystallen vor. Das Ammoniumsalz hat
insofern eine technische Bedeutung, als es zur Reinigung
und Regenerirung des Platins dient, indem man es glüht
und so den bekannten Platinschwamm erhält.
Abweichend von diesen Verbindungen verhalten sich
das Natrium und Lithiumsalz, welche mit 6 Molekülen
Crystallwasser nicht in der denoben genannten Salzen eigenen
Combination des, isometrischen Crystallsystems, sondern in
grossen Prismen erystallisiren.
Natriumplatinchlorid.... Na,PtCl,; + 6.aq.
Lithiumplatinchlorid .... Li, PtCl; + 6 aq.
Das Chlor dieser Verbindungen kann ersetzt werden
durch die anderen Halogene, durch Cyan und Rhodan.
In schönen rothen Crystallen stellt sich das
Kaliumplatinrhodanid ....K,Pt(CNS), dar.
Trat in diesen EREERNES das Platin 4wertbig auf,
so zeigt es sich in anderen Salzen 2werthig; bekannt ist
in neuerer Zeit das Platinchlorür PtCl, geworden, das zur
Herstellung der Kekauhınleen dient. Ebenso gibt es Cya-
nüre des Platins, z. B
') Vgl. H. Erdmann, die Salze der Rubidiums und ihre Be-
deutung für die Pharmaeie, Archiv d. Pharmacie 1894, 232, 3
Kleinere Mittheilungen. 115
Kaliumplatineyanür ....K,Pt(CN), + 3 aq
entsprechend einer hypothetischen Säure
H,Pt(CN), + 3aq.
Diese Cyanüre sind durch sehr lebhafte Färbungen der
Crystalle ausgezeichnet:
Kaliumplatineyanür ....... K,Pt(CN), + 3aq hellgelb
Magnesiumplatineyanür...MgPt(CN), +3aq roth (mit
grünem Oberflächenschimmer).
Bariumplatineyanür....... BaPt(CN), +3aq gelb mit
blauer Oberflächenfarbe.
In wässeriger Lösung sind alle diese Salze farblos. —
Das Magnesiumsalz hat die Streitfrage mit entschieden, ob
aus Salzlösungen das Wasser allein herausfriert oder auch
das gelöste Salz. Das Eis dieses Magnesiumsalzes war
völlig farblos, nicht eine Spur roth; also konnte nur Wasser
herausgefroren sein.
Diesämmtlichen Platinmetalle lassensichin zwei Gruppen
theilen, welche ihrer Natur nach sich den beiden Edel-
metallen Gold und Silber anschliessen:
Goldgruppe: Silbergruppe:
Atomgewicht Atomgewicht
a 196,7 Silber, Ag........ 107,66
Platin, Pi 2.2.58. 194,3 Palladium, Pd .. 106,35
Iridium, Ir... 192,5 Rhodium, Rh .... 102,7
ÖOsmium, Os....... 190,3 Ruthenium, Ru... 101,4
Diesen entsprechen die Chlorüre und Chloride
Au0dl.... Goldehlorür I es Silberchlorid
Au), Si. Goldcehlorid
a Platinchlorür PdC],..... Palladiumchlorür
a Platinchlorid Pq4Cl,.... Palladiumchlorid
ICh: Iridiumchlorür
HERNE Iridiumchlorid
Die Chlorverbindungen des Iridiums sind noch inten-
siver roth als diejenigen des Platins. Durch schwache Re-
duction kann man das Iridiumsesquioxyd IrCl, von grüner
Farbe erhalten, das also analog dem Goldchlorid Aulh
gebaut ist.
ge
116 Kleinere Mittheilungen.
Das Osmium liefert mit dem Sauerstoff das besonders
für die Augen gefährliche Ueberosmiumsäureanhydrid Os0,
oder Osmiumtetroxyd. Die Dämpfe dieses Körpers scheiden
auf organischen Gebilden metallisches Osmium ab. Be-
kannt ist dieser Stoff als Fixatif in der microscopischen
Technik. Das Kalisalz der Ueberosmiumsäure K,0s0, wird
subecutan injieirt bei Epilepsie. — In seinen Verbindungen
tritt die metalloidische Natur des Osmiums hervor.
Das Rhodium besitzt rothe Salze (Name von der Morgen-
röthe, wie Iridium, dessen Salze verschiedenfarbig sind,
nach der Iris benannt ist). Das Rhodium hat vor allem
eine hohe Residualaffinität, bildet daher leicht Doppelsalze:
Natriumrhodiumchlorid Na, Rh Cl, + 12aqg,
das in schönen, grossen Crystallen sich darstellt.
Gegen Lösungsmittel sind die Platinmetalle sehr in-
different. So löst sich Rhodium absolut nicht in Königs-
wasser. Erhitzt man es aber mit Chlornatrium zusammen
und leitet Chlor über die Mischung, so bildet sich das er-
wähnte Doppelsalz.
Das Ruthenium ist dem Osmium sehr ähnlich und ver-
hält sich ganz wie ein Metalloid. Es bildet wie das Os-
mium ein Tetroxyd, welches noch viel zersetzlicher ist als
Osmiumtetroxyd.
Nach bekannter Regel fallen bei ähnlichen Elementen mit
steigendem Atomgewicht die Schmelzpunkte. Diese Regel
wird auch hier bei den Platinmetallen, wo die Atomgewichte
so wenig differiren, bestätigt, wie die Schmelzpunktsbestim-
mungen ergeben:
AU 1098, Ann 954°
Eh csnsmeees 1775° Bir... 1500°
FRE 19509 BE na shsr 2000° ?
en 2500° ER Er
Bei den sehr hoch schmelzenden Edelmetallen, welche
hierin offenbar dem Kohlenstoff ete. ähneln, tritt der metal-
lische Charakter zurück; gleichzeitig sinkt das electrische
Leitvermögen, während die specifisehen Gewichte noch ZU-
nehmen.
t) Angabe unsicher, weil Os immer verdampft.
Kleinere Mittheilungen. 117
Leitfähigkeit:
Ar. 0. 44—46 3 57—64
BE en 6— 8 Fü. ...0r2. 7— 9
Spec. Gewichte:
ART, 19,3 Ab... 20
PruEE 21,5 0: 11,4
Ir 0, 22,4 KB, 12,1
IR 22,5, schwerstes Edelmetall. 2 12,9
Dr. H. Erdmann, Vereinssitzung vom 25. Jan. 9.
Mineralogie und Geologie.
Quecksilberwerke von Avalaberg. In Avala, 20 km
von Belgrad und von Schuplja-stena, sind die Quecksilber-
erze in Quarzmassen des Serpentins enthalten, welehe Gro-
deck mit Vorbehalt als Gangmassen bezeichnet; es fehlt
aber die charakteristische, plattige Gestalt dazu. Die zellig
porösen Quarze sind mit grünen Massen erfüllt, einem Ka-
lium, Aluminium, Chromsilicat, dem Avalit (Losawitz), In
grösserer Teufe wird der Quarz dichter und reicher an
Zinnober; in der Erbstollensohle finden sich durchschnitt-
lich 0,6 °/, Quecksilber. Der Quarz erhält in tieferen Lagen
mulmige Beschaffenheit, der Avalit tritt bandartig, der
Zinnober schichtförmig auf; die Erscheinung wird also in
etwas gangartig. Noch tiefer treten statt der Quarze Do-
lomite mit Avalit und Millerit (Nickelkies) auf; die Luft
ist heiss und sehr sauer, die Wände blühen mit Nickel-
sulfat aus. Das Vorkommen von Avala ist gleichsam das
Paradigma für viele andere serbische Vorkommen: Serpen-
tine mit Avalit und Zinnober. Auch in Bulgarien zeigt sich
die Erscheinung, die so ganz verschieden von den Funden
in Idria ist; in Idria ist das Quecksilber an Sedimentär-
gesteine gebunden; in Almaden in Spanien fand und findet
sich das Quecksilber im Sandstein. Dagegen erscheint in
New-Almaden der Avalit ebenso als eine Art „Leitfossil“ für
Quecksilber wie in Avala. — Die Entstehung der serbischen
118 Kleinere Mittheilungen.
Vorkommen erscheint zur Zeit völlig dunkel. Wie in Idria
dasSedimentärgestein und organische Beimengungen (Idrialit)
der Verhüttung hinderlich sind, so bieten sich auf Avala
andere Schwierigkeiten: Verhüttung in Muffeln ergiebt zu
grosse Verluste. Man hat versucht, die Verbrennungsgase
mit den Quecksilbergasen zu mischen. Wenn indessen die
Erze feucht sind, was natürlich meist der Fall ist, dann
lassen sich die Quecksilbergase nicht völlig eondensiren,
was einen Verlust an Quecksilber von 20%/,—40°/, bedeutet.
r. v. d. Borne, Vereinssitzung am 25. Jan. 1894.
Kopal aus Ostafrika. Das Kopalharz findet sich als
ein jungalluviales Gebilde, das unter 1 m Tiefe nicht vor-
kommt und zur Gewinnung des Kopallackes gesammelt
wird. Kein recentes Kopal vermag mit diesem jungallu-
vialen Harz zu concurriren. Das Vorkommen ist ein ganz
anderes als das des Bernsteines. Die Stücke liegen immer
im Umkreise von 5 bis 10 m; das entspricht also wohl
jedesmal einem Baume, der hier einst stand. Seitdem auf
Kopal in Deutsch-Ostafrika ein Ausfuhrzoll gelegt ist, wird
von den Eingeborenen sichtlich wenig Kopal eingeliefert;
dagegen hat sich in Sansibar das Kopalangebot seitdem
erheblich gehoben.
Dr. v.d. Borne, Vereinssitzung am 25. Jan. 189.
Die Iberger Gletschertöpfe. Auf dem Plateau des
Iberges bei Grund, etwa 560 m über dem Meeresspiegel,
liegen eine Anzahl ziemlich tiefer Löcher, die bisher für ver-
lassene Eisensteinfundstätten angesehen wurden. Neuer-
dings sind diese Löcher bis auf 6 resp. 9 m Tiefe ausge-
schachtet und zeigen nun fast kreisrunde und anscheinend
abgeschliffene Wandungsflächen mit spiraligen Vertiefungen,
sodass die Annahme, es möchten diese Löcher Gletscher-
töpfe vorstellen, einige Berechtigung zu haben scheint. Auf
dem Boden der Töpfe haben sich aber bisher keine Mahl-
steine finden lassen, und die Vermuthung, diese könnten in
die Spalten des Bodens hinabgeschwemmt sein, hat wohl
kaum eine Berechtigung; daher können diese Vertiefungen
nur als sogenannte Strudellöcher angesehen werden.
Dr. G. Brandes, Vereinssitzung am 24. Mai 189.
Kleinere Mittheilungen. 119
Botanik, Zoologie und Palaeontologie.
Kröten durch Fliegenmaden getödet. (ef. F.Leydig,
„Verbreitung der Thiere im Rhöngebirge und Mainthal“,
Verh. nat. Ver. d. Rheinl. und Westf., 1881, R. C. Mor-
tensen, „Zool. Anzeiger“, Leipzig, Mai 92, „Zool. Garten“,
Frankfurt a. M., 32, 2).
In der Zeit vom 7. bis 10. Juli vor. Jahres fand ich
wiederum hier am Zobten tiber ein Dutzend Kröten (Bufo
vulgaris) mit Fliegenmaden im Kopfe, diesmal aber nicht
an feuchten Stellen, — letztere waren ja in Folge der an-
haltenden Dürre sehr selten — sondern in Bächen und
Tümpeln im Wasser liegend. Von diesen wurden immer
je zwei, zusammen 10, in Glasgefässe gesetzt, deren Boden
mit einer stark augefeuchteten Bodenschicht bedeckt war,
während eine in Weingeist aufbewahrt an Herrn Professor
v. Leydig in Würzburg geschickt wurde. Fast alle von
den in den Behältnissen befindlichen Lurchen starben be-
reits am ersten oder zweiten Tage, zwei am dritten und
eine einzige am vierten, nachdem sie aus dem Wasser ge-
nommen worden waren, worauf die Maden, deren Anzahl
in den einzelnen Individuen zwischen 15 und 32 schwankte,
in den Körper der Kröten wanderten. Am 3., 4. oder 5.
Tage nach dem Verenden der Bufones verliessen jene den
Cadaver, um sich in der Erde zu verpuppen und zu über-
wintern. — Vom 14. bis 23. April kamen die Fliegen (Lu-
eilia sylorum) hervor, paarten sich aber leider nicht.
Es werden sich sicherlich heuer wieder Kröten mit
Maden im Kopfe in grösserer Anzahl hier vorfinden. Ich
bin nun gern erbötig, Vereinsmitgliedern, welche sich dafür
interessiren, lebende Exemplare gratis zuzuschicken, nur
bitte ich um rechtzeitige Bestellung per Postkarte.
Schlaupitz, Kr. Reichenbach a. d. Eule, Schl.
Karl Knauthe.
Zur Amphibienfauna Schlesiens.‘) Der Alpen-
molch (Triton alpestris Laur.), dessen Vorkommen in Schle-
sien von den älteren Autoren wie besonders Karvza („Syste-
1) Briefliche Mittheilungen an den Herausgeber.
120 Kleinere Mittheilungen.
matische Beschreibung der schlesischen Amphibien und
Fische“, 1855) nicht erwähnt oder bestritten wurde, ist be-
kanntlich 1890 von Hrrm. LAcHmann für die Umgegend von
Bunzlau, Goldberg, Jauer und anderen Städten des Reg.-
Bezirkes Liegnitz constatirt worden. („Die Reptilien und
Amphibien Deutschlands“, p. 174); aber auch in Mittel-
schlesien, wenigstens in meinem engeren Beobachtungs-
gebiete, ist diese prachtvolle Species sehr häufig anzu-
treffen am Zobten, der Eule und auf dem zwischen den
beiden Gebirgsstöücken liegenden Hochplateau sogar weit
gemeiner als der kleine Teich- resp. Kammmolch. Die
oben auf dem über 600 m hohen Geiersberge liegende 308g.
Entenpfütze, eine uralte Cysterne, bewohnt ausschliesslich
Triton alpestris. — Beiläufig habe ich von diesem Molche
schon recht oft Stücke gefunden, die in Larvenform ge-
schlechtsreif waren, seltner von Tr. cristatus Laur. und
taeniatus Schn.
Von anderen beachtenswerthen Amphibien sei zunächst
Rana arvalis Nils., der Feld- oder Moorfrosch erwähnt, der
den Zobtner Halt ziemlich zahlreich bevölkert. Sein Vor-
kommen in der Umgegend von Breslau wurde bereits durch
v. SIEBOLD, PrLüser und v. Beprraca (s. „Die Lurchfauna
Europas“, I. Anura, Moskau 1891, p. 111) gemeldet. Ueber
seine Lebensweise etc. schreibe ich später einmal ausführ-
licher, dann werde ich auch genaue Maasse von möglichst
vielen Sticken geben.
Endlich übersende ich Ihnen anbei einen Frosch, den
ich mit Fug und Recht für den agifis Thomas ansprechen
zu dürfen glaube und bemerke dabei Folgendes:
Kurz nach meiner Rückkehr aus Ostindien im Februar
vor. Js. lieh ich unserem damaligen Assistenten Herrn
Husco Krosg, jetzt in Lindenruh bei Liegnitz, einem grossen
Naturfreunde, den Jahrgang 92 vom „Zoologischen Garten‘,
Frankfurt a. M. Einige Tage später erzählte er mir nun
im Anschluss an die darin enthaltene Arbeit von F. Leyvis-
Würzburg tiber Rana agilis (L. eit. Nr. 11), dass er im vor-
hergehenden Hochsommer auf den nahen Seewiesen einen
braunen Frosch getroffen hätte, der sehr schlank gebaut
gewesen sei und erstaunlich weite Sprünge ausgeführt
ae Ba
Kleinere Mittheilungen. 121
hätte. — In früheren Jahren war mir trotz grosser Acht-
samkeit, besonders nachdem W. WOoLTERSTORFF den Spring-
frosch fürs nahe Böhmen nachgewiesen („Zoologischer An-
zeiger“, 1890) am Zobten nur immer Rana fusca Roes. und
arvalis Nils, begegnet, die Mittheilung interessirte mich
daher ungemein. Natürlich wurden unsere Leute sofort
auf den Neuling aufmerksam gemacht und ihnen für jedes
Stück eine hohe Prämie geboten, allein vergebens, ich er-
hielt nur Rana muta var. acutirostris und Stücke, die der
var. longipes F. Müller (Verhandl. naturf. Ges. Basel,
vii Th, 3 H., p. 6.70) sehr nahe stehen. Schon glaubte
ich, Herr Klose hätte sich geirrt, als wir beide zur Zeit
Ernte nach Eintritt der Dunkelheit auf einem Spaziergange
zu meinen Lettengruben plötzlich einen schlanken Frosch
in weiten Sprüngen vor uns weghüpfen sahen. Nach län-
gerer Zeit erst wurde er gefangen, getödet und untersucht
an der Hand des trefflichen Werkes von v. Bedriaga.
Das Thier passte genau zu der darin gegebenen Diagnose
von Rana agılis, dennoch beschloss ich, mir erst Vergleichs-
exemplare aus Böhmen (von Naturalienhändler v. Frick,
Prag) kommen zu lassen, ehe ich den Fund publieirte. Da
wurde ich im März er. durch einen gütigen Zufall mit Herrn
Prof. Dr. O. Boetteer in Frankfurt bekannt, durch seine
freundliche Vermittelung erlangte ich von Herrn @. A. Bov-
LENGER, Custos am British Museum, ein schönes Vergleichs-.
exemplar aus der Nähe von Wien, das mir allen Zweifel
benahm.
Zu meiner grössten Freude überbrachten mir nun
gestern unsere Ochsenjungen, die wahrscheinlich auf der
Kaninchenjagd gewesen waren, wiederum ein schönes Exem-
plar aus Jentschwitz, das ich Herrn Prof. Dr. BoeTTeErR de-
diciren werde.
Durch diesen zwiefachen Fund ist das Vorkommen
des Springfrosches, Rana agılis Thomas, in Mittel-
schlesien constatirt und er wird sich sicherlich wohl
noch an anderen Orten in meiner engeren Heimath auffinden
lassen. — Von diesen Exemplaren glaube ich nun bestimmt,
obwohl Leyvıs das bestreitet („Zool. Garten“, 1892, 11,
p. 323/324), dass sie erst neuesterdings aus Böhmen hier
122 Kleinere Mittheilungen.
eingewandert oder, was noch näher liegt, als befruchteter
Laich durch Zugvögel, besonders Wildenten, eingeschleppt
worden sind; freilich muss ich dabei offen bekennen, dass
ich erst durch W. WoLTERsTorFr’s schönen Fund auf den
Springfrosch aufmerksam wurde, vorher hatte ich mich nur
wenig um unsere Amphibien gekümmert.
Sehlaupitz, Kr. Reichenbach, Schl., 30. April 1894.
Karl Knauthe.
Ein brütender Tintenfisch (Octopus) ist kürzlich in
Kalifornien von dem wissenschaftlichen Reisenden des Pa-
riser Museums für Naturgeschichte, Herrn Diguet, entdeckt
und von den Zoologen Ed. Perrier und A. T. de Roche-
brune beschrieben worden. Durch diese Entdeckung wird
eine Angabe des Aristoteles bestätigt, die in neuerer Zeit
ganz in Vergessenheit gerathen ist. „Die Polypen (das ist
ja seit dem Alterthum der volksthümliche Name der Tinten-
fische) brüten“, sagt der Vater der Naturforschung, „und
sie magern ab, weil sie nichts während der Brutzeit fressen.
Sie brüten erst, nachdem sie sich ihrer Eier gänzlich ent-
ledigt haben, und sie bebrüten sie an demselben Orte, wo
sie die Eier abgelegt haben. Das Weibehen nimmt zu-
weilen auf den Eiern, zuweilen am Eingange des Loches,
in dem sie die Eier abgelegt hat, Platz und legt seine
Arme zusammen, um sie besser zu bedecken.“ Weiter be-
merkt Aristoteles, dass die Polypen sich einen geeigneten
Ort zum Ablegen ihrer Eier aufsuchen, beispielsweise das
Innere einer Muschel, den Boden eines Gefässes oder ir-
gend einen anderen hohlen Raum, an dessen Wänden sie
die Eier anhängen. Ebenso brütet auch der neuentdeckte
Tintenfisch, Octopus Digueti, aber er wählt sich immer den
gleichen Brüteplatz aus, nämlich Muschelschalen (Venus-
muscheln, Kammmuscheln). Das Thier kauert zwischen
beiden Schalen, und über und unter ihm sind seine Eier
an die Schalen geheftet. Es bleibt noch festzustellen, ob
die Muschel dauernd oder nur während der Brutzeit den
Aufenthaltsort des Thieres bildet. Jedenfalls erinnert dies
Verhalten lebhaft an die Gewohnheit der bekannten Ein-
siedlerkrebse, die in Schneckenschalen hausen. Wie bel
Kleinere Mittheilungen. 123
diesen Thieren, so steht auch der Instinkt, der den Tinten-
fisch veranlasst, in einer Schale Wohnung zu nehmen, nicht
ganz gesondert und unvermittelt da; er erscheint vielmehr
nur als weitere Ausbildung eines in der Verwandtschaft
dieser Thiere sehr verbreiteten, unbestimmteren Instinkts,
der sie treibt, sich in Höhlungen einen Unterschlupf zu
suchen, um dort die Eier abzulegen und wahrscheinlich
auch zu bebrüten.
Mediecin.
Die Geburt von Sechslingen. Nach den überein-
stimmenden Ansichten wohl sämmtlicher Geburtsbelfer lag
bis jetzt kein irgendwie sicher beglaubigter Fall einer
Sechslingsgeburt vor. Um so wichtiger und interessanter
erscheint die Vassalli’sche Beobachtung, zumal diese durch
mehrere Aerzte und andere Personen in ihrer Richtigkeit
bezeugt wird, auch das Präparat noch vorhanden zu sein
scheint. Zwar ist der Fall bereits im Jahre 1888 in der
Gazzetta Med. Ital. „Lombardia* 1888 veröffentlicht worden,
hat aber offenbar das Interesse in weiteren Kreisen nicht
zu erwecken vermocht. Vasalli sah sich desshalb genöthigt,
ihn wiederum in einer verbreiteteren Zeitschrift zu veröffent-
lichen. (Vassalli, Francesco: A rivendicazione del primo
caso di gravidanza seigemellare. Estratto dol. Boll. Med.
della Soizzera Italiana. N. 3 u. 4. 1894.
Die Geburt verlief wie folgt:
Zunächst ergaben Nachforschungen, dass in der Fa-
milie der 36-jährigen Zweitgebärenden, wohnhaft zu Castag-
nola bei Lugano, wie auch in der ihres Mannes, Zwillinge
öfters vorgekommen sind, unter andern auch bei ihrer eige-
nen Schwester. Die erste Geburt fand 15 Monate vor der
zweiten statt. Das Kind, ein kräftiger Knabe, wurde so
lange gestillt — 11 Monate — bis die Mutter sich wieder
schwanger fühlte. Sieben Monate nach der Geburt war die
Regel wieder eingetreten, zum letzten Male am 29. De-
cember 1887. Die Empfängniss selbst soll in der ersten
Hälfte Januar 1888 stattgefunden haben. Im Anfang litt
124 Kleinere Mittheilungen.
die Frau an den gewöhnlichen Schwangerschaftsbeschwerden,
wie Erbrechen u. s. w., fühlte sich aber im übrigen wohl
und hatte namentlich nicht über Varien und Oedeme zu
klagen. Erst in den späteren Monaten trat Hinfälligkeit,
Blutarmutb, und in der letzten Zeit vor der Geburt häufiges
Frösteln auf. Niemals will sie Kindesbewegungen gespürt
haben. Im 4. Monat hatte allmählich der Leib eine solche
Ausdehnung erreicht, wie am Ende der Schwangerschaft,
so dass die Schwangere darunter litt und jeden Augen-
blick die Geburt erwartete, gleichzeitig bemerkte sie jetzt
eine leichte Anschwellung an den Knöcheln.
Am 4. Mai 1888 — etwa am 115. Tage der Schwanger-
schaft — wollte sie nach einer leichten Feldarbeit zu
Stuhle gehen, als der Blasensprung erfolgte, mit dem aber
auch gleich ein Fuss vorfiel. Die herbeigerufene Hebamme
entwickelte durch leichten Zug daran die Frucht. Alsbald
langte auch Vassalli an.
Es ergab sich jetzt, dass die Frau fieberfrei und die
Gebärmutter noch enorm ausgedehnt war. Auch fühlte man
zahlreiche kleine Theile, aber Herztöne oder Kindesbewe-
gungen waren nicht nachzuweisen. Da die weichen Ge-
burtswege nur wenig vorbereitet waren, da in dem 3 em
grossen Muttermunde eine Blase ohne Kindestheile zu fühlen
war, so beschloss Vassalli zunächst abzuwarten.
Am andern Vormittag, 5. Mai, traten mit Einsetzen der
Wehenthätigkeit wiederholte Schüttelfröste ein — Temp.
3807 C. — die mit gleichzeitigem Blutabgange die Be-
schleunigung der Fehlgeburt wünschenswerth erscheinen
liessen. Es wurde demnach die Blase gesprengt und die
zweite Frucht in Fusslage entwickelt, worauf eine dritte
Blase sich stellte und die dritte Frucht in gleicher Weise
zu Tage gefördert wurde. Dies wiederholte sich noch zwei-
mal. Währenddem waren zwei Stunden verflossen. Vas-
salli glaubte nun, dass die Zahl der Früchte erschöpft
sei und versuchte nun nach einiger Wehenschwäche und
Blutabgang die Nachgeburt zu entfernen. Alsbald trat je’
doch, als Zug an den Nabelschnüren erfolglos blieb, bel
dem Versuche der Lösung des noch fest anhaftenden Mutter-
kuchens eine schwere Blutung ein. Vassalli, erschöpft
Kleinere Mittheilungen. 125
wie er war, führte seinen Arm in die Gebärmutter ein und
stopfte so die Blutung, bis anderweitige Hilfe zur Stelle
war. So musste er in dieser, eines komischen Beige-
schmackes nicht ganz entbehrenden Lage, vier tödtlich lange
Stunden aushalten, bis die Doctoren Bianchi, Reali und
Solari aus Lugano angelangt waren. Solari entfernte
dann nicht ohne Schwierigkeit die Nachgeburt, in der man
noch einen sechsten Eisack mit Frucht vorfand. Der ganze
Eingriff hatte 7 Stunden gedauert. Wochenbett glatt bis
auf eine geringe Steigerung — 38,2 C. — am 3. Tage.
Späterhin gebar im nächsten Jahre die Frau Zwillinge,
die am Leben blieben, desgleichen die Frau eines Vetters
ihres Mannes.
Was die Früchte anbelangt, so kamen sie alle lebend
zur Welt und bewegten sich lebhaft, blieben aber natürlich
nicht am Leben. Zusammen wogen sie 1730 gr, der best-
ausgebildete und zugleich erstgeborene wog 305 gr, der
kleinste 245 gr. Ihre Längen betrugen 22—26 cm. Köpfe
auffallend gross im Verhältniss zum übrigen Körper, Pupillar-
membran vorhanden, Mund und Nase offen. Die Fettent-
wickelung noch eine mässige; auch hatten die Früchte ein
greisenhaftes Aussehen. Nägel erreichten nicht die Finger-
spitzen, Geschlechtsorgane gut entwickelt — 4 Knaben,
Mädchen — die äussere Scham klaffend, Vorhaut bedeckte
noch nieht ganz die Eichel. Der umfangreiche, einzige,
allen sechs Eiern angehörige Mutterkuchen, war leider so
zerfetzt, dass man ihn nicht genau untersuchen konnte.
Aus der Mittheilung lässt sich leider nicht entnehmen,
wie viel eineiige oder mehreiige Früchte vorhanden waren.
Da das Präparat dem Maxo della R. Senola Ortetrica
di Milano überwiesen worden ist, so würde es wohl nicht
allzuschwer sein, dies nachzuholen.
Halle a.S. v. Herff.
126 Kleinere Mittheilungen.
Aus verschiedenen Gebieten.
Pfeilgifte. Diese lassen sich nach ihrer Wirkung in
vier Gruppen theilen. Am unschädlichsten sind diejenigen
Gifte, die nur Entzündungen erregen, welche allerdings
meist sehr schnell und unter grossen Schmerzempfindungen
auftreten. Hierher gehören die Ranuneulusarten mit ihren
Entzündung erregenden Oelen und vor Allem die Euphor-
bien mit ihren Milchsäften. Viel gefährlicher sind Gifte,
welche die Athmung zu lähmen im Stande sind. Im Ge-
biete des Himalaya, in Nepal, in den Nordthälern des
Brahmaputra, in Assam und Birma wird besonders der
Saft von Aconitum ferox als ungemein schnellwirkendes
Gift verwendet. Schon !/, Milligramm ist im Stande, lebens-
gefährliche Erscheinungen hervorzurufen. Die Ainos auf
Jassi verwenden mit ähnlichem Erfolg Aconitum japonicum.
In gleicher Weise wirkt der Drüsensackinhalt der Gift-
schlangen, z. B. der Puffotter in Afrika. Auch als Zusatz
zu dem gefürchteten amerikanischen Curare findet Schlangen-
gift Verwendung. Ungemein gefährlich sind weiter die
Herzgifte, die grösste Gruppe der Pfeilgifte. 50 gr Milch-
saft von Antiaris toxicaria genügen, um 100 Pfeile zu ver-
giften. Dabei enthält ein gr Milchsaft nur 5/jooo gr An-
tiarin. In Malacca wird der Antiaris noch der Saft einer
Strychnosart beigemischt Das Sirengift in Borneo und das
Macassagift sind nichts anderes als Antiaris. Das schlimmste
aller Herzgifte ist das in Afrika gebräuchliche Pfeilgift
aus der Acocanthera, von dem schon Bruchtheile eines
Milligramms von tödtlicher Wirkung sind. Endlich gibt
es Krampfgifte, die schwere Krampfanfälle hervorrufen.
Hierher gehört die bekannte Giftzwiebel von Südafrika,
Hemanthus, die Eiweiss - Gifte südafrikanischer Käfer und
die Gifte aus Leichentheilen. Vergiftete Pfeile dieser Art,
die vor 90 Jahren Lichtenstein nach Berlin gebracht hat,
besitzen noch jetzt ihre volle frische Wirkungsfähigkeit.
Litteratur-Besprechungen.
HH. Bücking, Sulfoborit, ein neues Borat von Westeregeln.
. Sitzungsber. d. kgl. Akad. d. Wissenschaft. Berlin
1893 No. 44.
In den Rückständen des aus Schacht III aufgearbeiteten
Carnallits von Westeregeln hat Herr Naupert Krystalle von
Kieserit (+ P der Ref.), von Coelestin und von Sulfoborit
aufgefunden. Der letztere besteht aus 3Mg SO,, 2 M9;B,O,,
12 H,0, die Analyse ergab: MgO = 32,91, SO, = 21,9,
H,O = 21,50. Der Sulfoborit schmilzt unter Aufwallen und
unter Grünfärbung der Flamme; Mineralsäuren lösen ihn
als Pulver leicht.
Das Mineral ist ringsum krystallisirt; die Kryställchen
sind 3—4 mm lang (das grösste 10 ><4><3 mm), sie sind
rhombisch und zwar a: b:c = 0,6196 : 1: 0,8100; beobachtete
Flächen m = (110), o= (111), 5=(010), e=(001) und
r = (101); Spaltbarkeit nach (110) und weniger vollkommen
nach (001); die Härte ist 4; das spec. Gewicht 2,38—2,45.
Die Ebene der optischen Axen ist das Brachypinakoid
(010), die erste negative Mittellinie ist die Verticalaxe ce;
der wahre Axenwinkel 29 ist 86042‘ Li, 86052' Na,
86°50° Th (? d. Ref.), die mittleren Brechungsexponenten
# = 1,5355 Li, 1,5396 Na, 1,5443 Th. Der kleinste
«& = 1,5272 Na und der grösste y = 1,5443 Na.
Luedecke.
Mrieger, Dr. Richard: Ein Beitrag zur Kenntniss
der Hymenopterenfauna des Königreichs Sachsen. Wissen-
schaftliche Beisabe des Nicolai-Gymnasiums zu Leipzig.
Programm, No. 542. 1894. (4. 50 $. Text.) Leipzig
1894. ;
128 I. Litteratur-Besprechungen.
Der vorliegende Beitrag ist ein reichhaltiges Verzeichniss
der Grabwespen und Bienen (die Falten- und Gold-
wespen werden in den Schriften der Leipziger Naturforsch.
Gesellschaft folgen), welches der Verfasser auf Grund eigener
Forschung und Bestimmung, unter Benutzung früherer Ar-
beiten anderer Autoren aufgestellt hat, wie er in den Ein-
gangsworten ausführlich mittheilt. Das Verzeichniss ist
systematisch angelegt, und bei jeder Gattung findet sich
die Angabe der Autoren, nach welchen die Arten bestimmt
sind. Für die einzelne Art ist nicht nur die Art und Weise
ihres Vorkommens und der Fundort angegeben, sondern
auch die Fangzeit nach Tag, Monat und Jahr, sowie die
Individuenanzahl nach den Geschlechtern unterschieden.
Auch bei gemeinen Arten sind die Angaben über das Vor-
kommen „so ausführlich wie nur möglich .... weil....
und weil Arten, die als ‚allgemein verbreitet und überall
häufig’ gelten, dies nach meinen (des Verf.) Erfahrungen
durchaus nicht immer sind.“ Hierin pflichtet der Ref. dem
Verf. vollkommen bei, denn dieser so „beliebte Ausdruck“
findet sich auch auf anderen Gebieten leider nur zu oft.
Nach den einleitenden Vorbemerkungen folgt das eigent-
liche Verzeichniss, welches von Sphegiden 136, von Pompi-
liden 38, von Scoliiden 5, von Mutilliden 5, von Trigona-
lyiden 1 und von den Apiden 226 Arten für das Königreich
Sachsen nachweist.
Zahlreiche Anmerkungen geben Nachricht von zweifel-
haften Arten, welche in dem Verzeichnisse nicht mit auf-
gezählt sind, oder weisen auf die Wahrschei nlichkeit hin,
dass Arten, ausserhalb der politischen Grenze beobachtet,
wohl auch im Faunengebiete vorkommen würden, oder sie
enthalten andere Notizen meist systematischer Art. Hin
und wieder sind auch biologische Beobachtungen dem Ver-
zeichniss einverleibt.
Es folgen dann noch Bemerkungen über die angeführten
Fundorte, unter denen natürlich Leipzigs Umgebung als
das am besten durchforschte Gebiet die ausführlichste Be-
rücksichtigung findet. Ein Litteratur-Verzeichniss beschliesst
den für faunistische Arbeiten stets werthvollen Beitrag.
D. v. Schleehtendal.
Litteratur- -Besprechungen. 129
Nalepa, Prof. Dr. Alfred: Beiträge zur Kinaloisi
der' Pytlocoptiden.” (36 Seiten Text mit 6 Täfeln Ab-
bildungen.) Eingegangen 9. Mai 1892. Nova Acta der
Kaiserl. Leop.- Carol. Akademie der Naturforscher. Band
LXI, No. 4, p. 291—324. Tab. IX-—-XIV. Hulle 1894.
Das unbestrittene Verdienst des Verf. ist die Aufstel-
lung und Ausbildung der Systematik der Phytopten (Gall-
milben), welcher er in rastloser opferfreudiger Thätigkeit
seit dem Jahre 1888 seine freie Zeit widmet. Die beständig
fortschreitende Artenkenntniss lässt aber eine Stabilisirung
der Gattungscharaktere augenblicklich noch nicht zu: Gat-
tungen, vor kurzem noch als wohlbegrenzte Artenreihen
bestehend, missen durch das Auffinden von Zwischenformen
vereinigt werden; bisher verschiedene Arten, werden als
Varietäten ein und derselben Stammform erkannt, sei es,
dass die Varietät aus unbekannter Ursache neben der
Stammform auf der gleichen Nährpflanze entstanden, nun
als solche morphologisch von denen der Stammform ver-
schiedene Gallformen erzeugt, oder dass sie durch ver-
änderte Lebensbedingungen, Uebersiedelung von der
ursprünglichen auf eine andere verwandte Nährpflanzenart
dazu geführt sei, und hier nun ähnliche Gallbildungen wie
die Stammform hervorruft.
In der vorliegenden Arbeit behandelt der Verf. die
Genera: Phyllocoptes Nal., Anthocoptes Nal., Tegonotüs
Nal., Oxypleuritis Nal., ER er zu der Subfamilie Phyllo-
coptida vereint.
Der Verf. sieht die Phyllocoptiden als phylogenetisch
jüngere Formenreihe an, welche von den Phytoptiden her
zu leiten ist. „Auffallend ist der Umstand, dass in der
Mehrzahl der bis jetzt untersuchten Gallen Phyliocoptiden
mit Phytopten angetroffen werden, mit welchen sie dann
manchmal in einigen Merkmalen übereinstimmen. Diese
Uebereinstimmung kann dann oft so frappant sein, dass
unwillkürlich der Verdacht rege wird, dass man es mit
dimorphen Formen zu thun haben könnte.“
Die nachbeschriebenen Arten sind meistens in dem
Anzeiger der Kaiserl. Akad. d. Wiss. in Wien bereits kürz
diagnostieirt, einige auch schon anderen Ortes veröffent-
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 67. 1894. 9
130 Lit teratur- Besprechungen.
licht, wenige Arten werden hier zuerst eingehends be-
schrieben. Auf den beigegebenen Tafeln sind alle Arten
mit gewobnter Meisterschaft dargestellt, sowie Abbildungen
der bisher noch nicht gegebenen Cecidien an Fragaria collına
und Robinia Pseudacacia auf Tafel XIV in Fig. 5 und 7
beigefügt. D. von Schlechtendal.
Mrebs, Wilhelm: Die Erhaltung der Mansfelder Seen.
er re eines Meteorologen zur Selbsthülfe. Leipzig,
@G. Uhl.
Der Task di vorliegenden Broschüre deckt sich nicht
ganz mit dem verheissungsvollen Titel. Der Verfasser giebt
nur die Mittel und Wege an, welche zu einer gründlicheren
Erforschung der meteorologischen Verhältnisse des Mans-
felder Seengebietes führen sollen. Vor allem will er den
Betrag der Verdunstung ermittelt wissen. Zu diesem Zwecke
hat er selbst einige Messungen an dem Sissen See vor-
genommen. Er hat sich dabei einer z. Th. ganz neuen,
aber noch wenig geprüften Methode bedient. Krebs will
aus der sogenannten Psychrometer-Differenz die Grösse der
Verdunstung berechnen, indem er auf experimentellem
Wege feststellt, wie viel verdunsteten Wassers auf 1° der
Psychrometerdifferenz kommt. Seine Messungen am See
selbst sind viel zu kurz, theilweise auch viel zu ungenau,
so dass dem Ergebniss derselben nur wenig Werth bei-
gelegt werden kann. Der schwache Punkt in seinem Ver-
fahren liegt jedoch vor allem darin, dass er die Grösse der
Verdunstung experimentell an einem wassergefüllten Fass
ermittelt. Er erhält dabei durchaus keine allgemein gül-
tigen Werthe. Das ist ein Fehler, der unseren sämmtlichen
Verdunstungsmessungen anhaftet.
Ausserdem enthält das Buch in dem ersten, zweiten
und letzten Kapitel noch eine Schilderung der landschaft-
lichen Verhältnisse in der Umgebung der Seen und der
Vorgänge, die sich dort innerhalb der letzten Jahre voll-
zogen haben. Der grösste Theil der Broschüre war bereits
in versiechdenen Zeitschriften veröffentlicht. Ule.
Litteratur-Besprechungen. 131
Schreiber, Paul, Prof. Dr.: Klimatographie des
Königreich Sachsen. |Forschungen zur Deutschen Landes-
und Volkskunde, Ba. VIII, Heft er ee Engelhorn,
1593, 8%, 97 S.u. 2 Taf. Pr.
Der Verfasser, Direktor der Br re Zentral-
station zu Chemnitz, veröffentlicht in dem vorliegenden Buch
die Ergebnisse Jahrzehnte langer Forschungen über die
klimatischen Verhältnisse von Sachsen. Das Buch gliedert
sich in 2 Abtheilungen, von denen die erste ‚Die tägliche
Periode im Witterungsverlauf in Sachsen nach den Beob-
achtungen im Schloss zu Chemnitz während der Jahre 1887
bis 1891 enthält. Nach einer einleitenden Schilderung der
Lage und Einrichtung des Observatoriums in Chemnitz wer-
den der Reihe nach die einzelnen klimatischen Faktoren,
Temperatur, Luftdruck, Richtung und Stärke des Windes,
Bewölkung, Luftfeuchtigkeit und Menge und Häufigkeit des
Niederschlages eingehend behandelt.
Die zweite Abtheilung bringt die Ergebnisse der Beob-
achtungen über Temperatur und Feuchtigkeit der Luft,
Bewölkung und Niederschläge in den Jahren 1864 bis 1890.
Zur Darstellung der jährlichen Periode der Tagesmittel der
Temperatur wurden hier sogar die 60jährigen Beobachtungen
von 1831 bis 1890 in Leipzig verwendet. Ueberhaupt zeichnet
sich die vorliegende Klimatographie durch den Umfang des
. benutzten Materials aus. Das Material ist auch in der viel-
seitigsten Weise verrechnet worden, ja wir möchten fast
glauben, dass zuviel gerechnet worden ist. Die Uebersicht-
lichkeit und Klarheit des klimatischen Bildes geht dabei
nur zu leicht verloren. Der Verfasser giebt zwar in der
Einleitung der zweiten Abtheilung eine ausführliche Er-
läuterung der Methode seiner klimatologischen Untersuch-
ungen; allein die neu eingeführten Begriffe sind noch zu
neu, um leicht von Jedermann verstanden zu werden.
Ausserdem halten wir derartige theoretische Betrachtungs-
weisen nieht immer für gut. Gerade in klimatologischen
Darstellungen, wo an und für sich schon die Menge der
Zahlen leicht verwirrt, sollte man mit möglichst einfachen
Mitteln Anschaulichkeit zu erreichen suchen. Schreiber
stellt eine Reihe von Gleichungen — von ihm Grund-
132 - Litteratur-Besprechungen.
gleichungen genannt — auf, welche »für jeden ‘Ort des
Landes'z. B. die seiner Höhe nach ihm ’zukommende mittlere
Jabrestemperatur'zu berechnen gestatten. Auf-Grund solcher
Rechnungsverfahren ‚hat. er Klimatafeln “für Sachsen auf-
gestellt, die dem. Buch als Anhang beigefügt sind. Es
steckt in diesen Tafeln eine gewaltige Arbeit. Ob ‚aber
der wissenschaftliche Werth dem Aufwand an Arbeit ent-
spricht, wagen wir zu bezweifeln. Man kann mit einfacheren
Mitteln wenigstens ‚annähernd gleichwerthige Resultate er-
zielen. Ule.
Sierers, Wilh., Prof. Dr.: Amerika. Eine dall-
gemeine Landeskunde, herausgegeben unter Mitwirkung von
Dr.. E. Deckert. und: Prof. Dr. W. Kükenthal. Leipzig
und Wien, Bibliographisches Institut, 1894.
Der Landeskunde von Afrika und Asien ist schnell die-
jenige von Amerika als dritter Theil der. vom bibliographi-
schen Institut geplanten „Allgemeinen Länderkunde“ ge-
folgt. Dieses Mal finden wir nicht wieder die bewährte
Feder des Giessener Geographen Sievers allein thätig,
sondern die gewaltige Arbeit ist getheilt. Sievers hat nur
Sitdamerika behandelt; Nordamerika und’Mexiko hat durch
E. Deckert eine vortreffliche Darstellung erhalten, und die
amerikanischen Polarländer sind von dem bekannten Zoologen
Kükenthal bearbeitet worden. Alle drei Autoren erscheinen
fürihre Aufgabe insofern besonders geeignet, als sie sämmtlich
ihnen z. Th. persönlich bekannte Gebiete tibernommen haben.
Die Gliederung des Werkes weicht naturgemäss von
derjenigen der beiden ersten Bände schon deshalb ab, weil
hier ja ein Doppelcontinent vorlag, welcher sich an und
für sich schon nicht so einheitlich behandeln lässt, wie
etwa Afrika oder Asien. Vorausgeschickt wird ein Ab-
schnitt über die Erforschungsgeschichte, sowie eine allge-
meine Uebersicht des gesammten Amerika. Dann folgen
als selbständige Theile des ganzen Werkes: Südamerika,
Nordamerika und Grönland und der Arktische Archipel.
Abschnitte der Landeskunde: Oberflächengestaltung und
Geologie, Klima, Pflanzenwelt, Thierwelt, Bevölkerung,
"Staaten, europäische Kolonien und Verkehr. Auf Einzel-
Litteratur-Besprechungen. 133
heiten’ des Inhalts können‘ wir: hier‘ nieht‘ eingehen. Nur
so viel sei bemerkt, dass überall mit. grossem: Fleisse die
vorhandene Litteratur' benutzt: worden ist. Dass ein so
umfangreiches: Werk nicht ganz. ohne: Fehler sein: kann,
ist für denjenigen, der auch nur eine Ahnung hat von der
Fülle des-Materials; das- hier bewältigt: ist, nur zu. begreif-
lieb. Fehler von’ wesentlicher Bedeutung sind uns: jedoch
nirgends aufgestossen. Manches: bedarf auch schon. auf
Grund neuer Messungen einer Korrektur. Der höchste
Berg: von Nordamerika ist z. B. nicht mehr der Mount Elias,
- sondern der Pie von: Orizaba, der mit 5582 m den Mount
Elias noch um 92 m überragt. Vom rein geographischen
Standpunkte aus hätten wir an der Art der Behandlung
des Stoffes nur insoweit etwas zu rügen, als uns die ein-
zelnen: Abschnitte zu wenig verbunden erscheinen. Aufgabe
einer Landeskunde ist es doch, in erster Linie die Be-
ziehungen der Erscheinungen eines Gebietes zu einander
festzustellen und zu ergründen. Die sehematische Gliede-
rung in diesem Werke zerreisst das Ganze, so dass der
ursächliche Zusammenhang oft verloren geht. Wir denken
dabei z.B. an die Abhängigkeit der Pflanzen- und Thier-
welt von Klima und Bodenbeschaffenheit und Aehnliches,
Im Einzelnen aber ist die Darstellung durchweg eine ge-
wandte, klare und verständliche, und es gilt das für Jeden
der Autoren. Volle Anerkennung müssen wir aber auch
der Verlagsanstalt zollen; die Ausstattung des Werkes ist
in der That eine vortreffliche. Möge das ganze Unter-
nehmen die rechte Würdigung auch bei dem Publikum
finden. Zur Zeit, wo Handel und Verkehr mehr und mehr
kosmopolitischen Charakter erhalten, sollte Jedermann
freudig die Gelegenheit benutzen, welche ibm durch die
Herausgabe der Allgemeinen Länderkunde des Bibliographi-
schen Instituts geboten wird, unter wissenschaftlicher Führ-
ung und an der Hand vortrefflicher Karten und Bilder die
Eigenart der einzelnen Kontinente der Erde kennen zu
lernen. Ule.
Tarnuzzer, Falb und die Erdbeben. Hamburg, Verlags-
Anstalt und Druckerei A. G. (vormals J. F. Richter) 1892
134 Litteratur-Besprechungen.
(Vortrag gehalten in der naturforschenden Gesellschaft
Graubündens 1890).
„Gas- und Lava-Emissionen in Spalten der Erdkruste
periodisch beeinflusst durch die Anziehung von Sonne und
Mond und nach Massgabe der nach innen und aussen
wachsenden Kruste tiefer rückend erschüttern durch Explo-
sionen und Durchbruch die tberlagernden Erdschichten
(Erdbeben) und werden, wo sich Wasser befindet, derart
verstärkt, dass sie bis an die Oberfläche gelangen!“ Dies
die Falb’sche Theorie. Es hat denselben bekanntlich
nicht beunruhigt, dass nach den neueren Ansichten der
Physik es wahrscheinlich ist, dass bei dem grossen Drucke
im Innern der Erdkern wahrscheinlich fest ist; auch hat
es seine Ueberzeugung nicht zn erschüttern vermocht, dass
man nachweist, dass seine Theorie der Vertheilung der
Erdbeben nicht mit den Thatsachen übereinstimmt.
Diejenigen, welche sich für den Gegenstand interessiren,
seien auf das interessante Schriftehen selbst verwiesen.
Luedecke.
Hayek. &. von: Handbuch der Zoologie. IV. Band.
2. Abtheilung. Wien 1893. Carl Gerold’s Sohn. 6,50 M.
Mit der vorliegenden Lieferung erreicht das reichhaltige
Werk seinen Abschluss. Die Abtheilung enthält den Rest
der Vögel und die Säuger, deren sechzehnte Ordnung, die
Primaten (mit den vier Familien der Aretopitheei, Platy-
rhini, Catarrbini und Erecti, Menschen mit dem Gebiss
eines Australnegers) endet. Wie schon die Ordnungszahl
angiebt, ist die Systematik originell genug, sowohl in der
Abgrenzung, wie in der Reihenfolge der Gruppen. Sie
sind Monotremata, Marsupialia, Bruta (mit den Familien
Bradypoda, Gravigrada, Riesenfaulthiere und Entomophaga),
Natantia (mit den Unterordnungen Cete, Zeuglodontia und
Sirenia), Perissodactyla, Artiodactyla (Ruminantia, Anoplo-
therioidea, Artiodaetyla non ruminantia), Proboseidea, Lam-
nunguia, Amblypoda, Pinnipedia, Carnivora, Prosimii, Ro-
dentia, Insectivora, Chiroptera, Primates. Die wichtigste
Eigenart liegt aber wiederum weniger im Text, der knapp
ist, als vielmehr in der Reichhaltigkeft der Abbildungen
Litteratur-Besprechungen. 135
von denen viele, selbst dem in der zoologischen Litteratur
Bewanderten, kaum geläufig sein werden. Wir finden
Gebisse, Schädel, Skelette, Hirne, Eihäute und die übrigen
inneren Organe, Füsse, Zitzen (vom Rhinoceros), Hautdrüsen
(Kehlsack des weiblichen Chiromeles torquatus), einzelne
Thiere, Gruppen, ober- und unterirdische Bauten (sehr
charakteristisch für Talpa und Ornithorhynchus) in viel-
seitiger Abwechselung. Es laufen ja, der Vollständigkeit
wegen, eine Anzahl allgemein bekannter Dinge mit unter,
aber sie werden doch bei weitem von den Raritäten tber-
wogen. Die Menge der Figuren war nur möglich unter
Verzicht gleichmässiger Durcharbeitung, so dass nicht von
jeder Gruppe alle Organe, sondern nur eben die gegeben
wurden, von denen sich interessante Darstellungen fanden.
Bei den Vögeln treten Pterylosen, Charakterköpfe, Füsse,
Schnäbel, Steuer- und Schwungfedern in den Vordergrund.
Das Gesammturtheil über das werthvolle Werk dürfte dahin
lauten, dass es den Anfänger nicht eben allzu sehr fördern
dürfte, dass es aber dem kritisch Fortgeschritteneren, der
das Alltägliche der Zoologie beherrscht, eine Fülle von An-
regungen bietet; denn er sieht, was es ausser der ge-
wohnten Grundlage noch für eine Menge von Sonderbild-
ungen giebt. Solcher Tendenz entspricht denn wohl auch
der nicht eben niedrige Preis.!) In diesem Sinne aber kann
das Werk dem Zoologen, der nicht auf der Oberfläche
bleiben und doch nicht allein in Spezialitäten sich verlieren
will, nur empfohlen werden. Simroth.
Heyne, Alexander: Die exotischen Käfer in Wort
und Bild. 1. Lieferung. Verlag von Ernst Heyne in
Leipzig. 1893. Folio.
Der Verfasser des vorliegenden schön ausgestatteten
Werkes, von dem die erste Lieferung vorliegt, will den
Freunden und Sammlern der Käfer ein weniger kostspieliges
Buch bieten, nach welchem sie exotische Käfer aller Art
bestimmen können, ohne zunächst der kostbaren, schwer
zugänglichen Litteratur zu bedürfen. Der Verf. sucht dieses
1) Wie aus dem Prospeet, der dem vorigen Hefte dieser Zeitschrift
beigelegt war, ersichtlich, hat die Verlagshandlung den Preis von
78 Mk. auf 20 Mk. heruntergesetzt. Anm. des Herausgebers.
136 Litteratur-Besprechungen.
dadurch zu.ermöglichen, dass er alle Familien, ohne Aus-
nahme, vorführen und ‚vieler, artenreicher Gattungen ge-
denken wird, auch wenn solche nur unscheinbare Vertreter
aufzuweisen haben. Kleine, und schwer zu bestimmende
Arten aber sollen nur flüchtig berührt werden. Dagegen
sollen die Familien, zu denen die grossen und prächtigen
Arten gehören, ausführlicher behandelt werden.
.. Dass bei der sehr grossen Zahl von exotischen Käfern
nur, ein verhältnissmässig kleiner Theil dargestellt werden
kann, ist selbstverständlich, doch glaubt der Verf. „auf alle
Fälle nicht nur dem Anfänger, sondern überhaupt, der Mehr-
zahl der Liebhaber vollständig genug, darzubieten, sowohl
in Bezug auf Reichhaltigkeit ‚der. berücksichtigten Arten,
als auch hinsichtlich der Ausführlichkeit der Beschreibungen,
Benennungen, Heimatangaben u. s., w.“
;. Hinsichtlich der Systematik ist der Katalog, von ı Gem-
minger und Harold zu Grunde gelegt. Die Bestimmung
ist durch Vergleich der ‚Originale für die Abbildungen mit
den Exemplaren der Sammlung des Königlichen Museums
für Naturkunde in Berlin gesichert und die Beschreibung
der Tbiere daselbst angefertigt. ‚Die in ‚Buntdruck , bei-
gegebenen zwei Tafeln: Tafel 1: Cieindelidae I mit 58 Ar-
ten, und Tafel 16; Dynastidae JH mit 7_ Figuren sind
sehr ‚sauber ausgeführt, und besonders die Wiedergabe der
Färbung und. Zeichnung ist von grosser .Naturtreue. _
Das ganze Werk soll — etwa 20 Lieferungen umfassen,
von denen alle 6 Wochen eine zum Preise von 4 Mark aus-
gegeben -wird.. Die Anschaffung des Sammlern und,Freun-
den exotischer Käfer zu. empfeblenden Werkes wird da-
durch wesentlich erleichtert. gi
D. von Schlechtendal.
Prantis Lehrbuch, der Botanik, herausgegeben uud, neu
bearbeitet von. Ferdinand Pax. Mit 555 Fi,uren in Hols-
wi Neunte vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig,
"erlag von Wilhelm, Engelmann. 1894. gr, 8°. X und 365 P-
Er der Bearbeitung der neunten Auflage von Prantis
Lehrbuche der Botanik, die er nach dem Tode des ursprüng-
lichen Verfassers übernommen, hat Pax die Darstellung der
Anatomie wesentlich verändert, indem er weit mehr eine
ns ai eig Ab ee ee
Litteratur-Besprechungen. 137
vermittelnde Stellung zwischen der älteren Schule der
Anatomie und der physiologischen Richtung einnimmt als
Prantl; in der Physiologie wurden die Erscheinungen der
Symbiose eingehender behandelt, die Wurzelknöllchen der
Leguminosen, die Mycorrhiza u. a. besprochen, Verhältnisse,
die in der achten Auflage noch nicht Erwähnung gefunden
hatten; in der Systematik haben bedeutende Kürzungen
stattgefunden, wo es sich um Aufzählung von Arten han-
delte, so dass jetzt nur solche Arten erwähnt werden,
welche Nutz- speciell Medieinalpflanzen sind oder hervor-
ragendes. morphologisches Interesse gewähren; auf die ge-
nauere Angabe der Vaterländer ward grösseres Gewicht
gelegt; die Einleitung zu den Ängiospermen ward durch
die Besprechung der Entwickelungsgeschichte der Anthere
und des Embryosackes erweitert; die Zahl der Holzschnitte
ist von 326 auf 355 vermehrt worden. Es genügt, die
wesentlichsten Verbesserungen, die das Prantlsche Buch bei
der Neubearbeitung durch Pax erfahren hat, anzugeben;
ein Wort zur Empfehlung des trefflichen Werke hinzuzu-
fügen, ist bei der allgemeinen und grossen Anerkennung,
die es in wissenschaftlich botanischen Kreisen bereits ge-
funden hat, überflüssig.
Es sei aber gestattet, einige Bemerkungen, namentlich
über Terminologie, Nomenklatur und Systematik, zu
machen, die vielleicht bei der folgenden Auflage Berlick-
sichtigung finden.
In der Darstellung der Morphologie erscheint der Satz
‚exempla illustrant’ nicht ‚gentigend gewürdigt. Unseres
Erachtens müssten die Verschiedenheiten des Blüten-
baues u. s. w. durch Anführung reichlicher Beispiele mit
vorzugsweiser Berücksichtigung der der deutschen Flora
angehörigen Pflanzen erläutert werden. P. 212 fehlt unter
den ‚Beispielen von nackten Blüten Fraxinus excelsior,
welche allgemein bekannt und dadurch lehrreich ist, dass
sie zeigt, dass die Nacktheit der Blüte bisweilen ahf ein-
zelne Arten einer Gattung beschränkt ist. Die anstatt des
einfachen und sachgemässen Ausdruckes ‚nackte Blüte, flos
nudus’ angewandte Bezeichnung ‚achlamydeische Blüte’ er-
scheint gesucht und unzweckmässig. P. 224 steht als Bei-
138 Litteratur-Besprechungen.
spiel von Blüten mit einem Staubblattkreise nur die Gattung
Viola, während doch eine grosse Anzahl von ganzen Pflanzen-
familien der deutschen Flora genannt werden könnte. Für
die sogenannte Diplostemonie und Obdiplostemonie sind
gar keine Beispiele genannt. Eine grössere Reichhaltigkeit
an Beispielen wird den Wert des Buches erhöhen, indem
dadurch einerseits der allgemeine Botanik Studirende
leiehter eine konkrete Anschauung von den dargestellten
Verhältnissen gewinnen kann, anderseits es dem Botaniker,
der sich nur mit specieller Pflanzenkunde nach Anleitung
der üblichen nicht auf wissenschaftlich morphologischer
Grundlage bearbeiteten Floren befasst hat, erleichtert wird,
seine Pflanzenkenntniss morphologisch zu vertiefen.
Die für ein aus einem Staubblattkreise bestehendes
Androeceum angewandte Bezeichnung ‚haplostemones An-
droeceum’ ist nicht glücklich gewählt, da sie dem Wort-
sinne nach viel mehr auf die (die Regel bildenden) An-
droeceen mit einfachen Staubblättern (im Gegensatze ZU
den aus verzweigten Staubblättern bestehenden Androeceen
von Rieinus, den Malvaceen, Hypericum u. a.) passt. Wie
p. 244 die Blüte eines Theiles der Monokotylen pentacy-
klisch und nicht ‚pentaplophyll’ genannt ist, so ist kon-
sequenter Weise auch das Androeceum der ceyklischen
Blüten als monocyklisch oder dieyklisch (anstatt haplostemon
oder diplostemon) zu bezeichnen.
n der systematischen Nomenklatur dürfte es an der
Zeit sein, die umständlichen Namen Monocotyledones und
Dicotyledonos durch die längst von Garcke eingeführten
Namen Monocotylae und Dicotylae zu ersetzen.
In der Klasse der Coniferae sind zwei Familien,
Taxaceae und Araucariaceae, unterschieden, welch letzterer
die ‚Abietineae’ als tribus untergeordnet sind. In dieser
tribus ist vom historischen Gesichtspunkte wie dem Um-
fange nach ohne Zweifel die Gattung Pinus als die Haupt-
gattung zu betrachten; manche Botaniker fassen noch heute
die ganze tribus, wie Linne, in einer Gattung Pinus ZU
sammen, indem sie die nach Linne aufgestellten Gattungen
(Abies, Picea, Larix ete.) als subgenera nehmen. Der
tribus kommt demnach der Name Pineae zu, wodurch der
Litteratur-Besprechungen. 139
Name Abietineae mit der unvorschriftsmässigen Endung
‚ineae’ beseitigt wird. Aus denselben Gründen und ausser-
dem der Kürze wegen dürfte der Familienname Arauca-
riaceae durch Pinaceae zu ersetzen sein. Aendert man
noch den Tribusnamen Cupressineae in Cupresseae ab, so
ergiebt sich folgende nomenklatorische Gliederung der
Coniferen:
l.f. Taxaceae. 1.g. Taxus; 2. g. Ginkgo; 3. g-
Phyllocladus. 2.f. Pinaceae. 1.tr. Araucarieae.
1.8. Araucaria; 2.g. Agathis. 2. tr. Pineae. 3. g. Abies;
4. 8. Pseudotsuga; 5.g. Picea; 6. g. Tsuga; 7.g. Larix;
8. g. Cedrus; 9. g. Pinus. 3. tr. Taxodieae. 10.g.
Taxodium; 11.g. Sequoia; 12. g. Sciadopitys. 4.tr. Cu-
presseae. 13. g. Juniperus; 14. g. Thyia; 15. g. Cu-
pressus; 16. g. Chamaecyparis; 17. g. Callitris.
Das System der Pflanzen enthält bei Prantl-Pax die
vier (Haupt: JAbtheilungen der Myxomyceten, Thallophyten,
Archegoniaten, Phanerogamen. Die dritte und vierte Ab-
theilung sind wie folgt gegliedert:
3. Abtheilung: Archegoniaten.
1. Klasse: Bryophyta.
1. Unterklasse: Hepaticae.
2. Unterklasse: Musei. -
2. Klasse: Pteridophyta.
1. Unterklasse: Filieinae.
2. Unterklasse: Equisetinae.
3. Unterklasse: Lycopodinae.
4. Abtheiluug: Phanerogamen.
1. Klasse: Gymnospermae.
1. Unterklasse: Cycadaceae.
2. Unterklasse: Coniferae.
3. Unterklasse: Gnetaceae.
2. Klasse: Angiospermae.
il. Unterklasse: Monocotyledones.
2. Unterklasse: Dieotyledones.
Zweckmässiger erscheint es, die Gymnospermen zu den
teridophyten zu stellen und diese als besondere ‚Abthei-
lung’ (phylum) von den übrigen Archegoniaten, den Bryo-
phyten zu trennen. Die Gründe zur Vereinigung der Gymno-
140 Litteratur-Besprechungen.
voll entwickelt, wo jedoch noch hinzuzufügen: wäre, dass
| bei’ Ceratozamia unter den’Cycadaceen und bei Salisburya
! unter den Coniferen der Embryo in den Samen’ sich’ erst
N nach der Aussaat bildet, so dass auch im dieser Hinsicht
' eine auffallende Aehnlichkeit mit den’ Verhältnissen der
Pteridophyten besteht.
Nach der Abtrennung der Gymnospermen bleiben von
der alten’ Gruppe der Phanerogamen noch als letztes phylum
die Angiospermen übrig, deren’ Namen man, um ihn denen
der anderen Phylen gleichförmig zu machen, zweckmässig
in den gleichbedeutenden Namen Carpophyta ändert.
Die Monokotylen' gehören als letzte Klasse an das
Ende des Systems. Die Verhältnisse der Kotyledonen und
der Wurzeln lassen nur die Reihenfolge Coniferae-Dico-
tylae-Monocotylae naturgemäss erscheinen. Auch die grössere
Coneinnität des Baues der Monokotylen gegenüber den
Dikotylen rechtfertigt es, die Mönokotylen an die Spitze
des Pflanzenreiches zu stellen.
Hiernach ergiebt sich die folgende Gliederung des
Systems:
1. ph. Myxophyta.
2. ph. Thallophyta.
3. ph. Bryophyta.
1. el. Hepaticae.
2: el. Musci.
4. ph. Pteridöphyta
cl. Goniopterides (Equisetinae).
el. Bryopterides (Lycopodinae).
el. Phyliopterides (Filieinae).
el. Cyeadaceae.
el. Coniferae.
. el. Gnetaceae.
5. ph. Carpophyta.
1. el. Dicotylae.
2. el. Monocotylae.
Die beiden Ordnungen (‚Reihengruppen’) der Dikotylen
sind im Prantl-Pax’schen Buche Archichlamydeae und Sym-
petaläe genannt. Däss in der ersten Ordnung auch Pflanzen
spermen mit den Pteridophyten sind im Buche selbst licht-
PmPpumwn
Litteratur-Besprechungen. 141
mit nackten oder apetalen Blüten ‚vorkommen, ‚ist ‚gewiss
kein:hinreichender Grund, den ‚guten .und bezeichnenden
Namen Choripetalae zu Gunsten des nichtssagenden-Namens
Archichlamydeae zu verwerfen und dadurch die, Gleich-
förmigkeit und Gegensätzlichkeit in der ‚Benennung , ‚der
‚beiden, Ordnungen ‚zu zerstören. Denn abgesehen davon,
dass, in, manchen Fällen, z. B. bei Fraxinus excelsior, durch
die. Vergleichung verwandter Arten, die Betrachtungsweise
gerechtfertigt wird, die Kronblätter seien vorhanden, haben
aber „die. Grösse Null, kann ‚man sich ‚bei ‚dem. Satze
‚a potiori fuit denominatio’ beruhigen.
Dies gilt auch hinsichtlich der p. 271 erwähnten Formen
mit. verwachsener Krone, die bei,,dem grossen, Interesse,
dass sie.als Ausnahmen von einer sehr beständigen Regel
darbieten, ‚namentlich. aufgeführt ‚werden, sollten. ;Wollte
man an die systematische Nomenklatur die Anforderung
stellen , ‚dass jeder Name auf jede einzelne der durch ihn
bezeichneten Formen passe, so würden wenige nomina
significantia_ von umfassenderen systematischen. Einheiten
bestehen können. „So würde der Name Dicotylae ‚hinfällig
durch Persoonia und Psittacanthus, welche mehr als zwei
(die bestimmte Zahl ist p. 233 nicht angegeben), Keim-
blätter besitzen; Labiatae durch Lycopus, Thymus u. a.,
Coniferae durch Taxus u. s. w. ;
Quedlinburg. Dr. Erwin Schulze.
'Mdlimpert: Lehrbuch der Bewegung ‚flüssiger Körper
(- erh. I Kleyer. Stuttgart,. Julius Maier.
1893. 228
Der ee muss einen merkwürdigen Begriff von
einem Lehrbuch haben, wenn er glaubt, durch: theilweise
recht naiv unverständliche Fragestellung und oft recht un-
verständliche Antworten einen Jünger der Wissenschaft in
die schwierige Disciplin der Hydrodynamik einzuführen.
Nach Ansicht des Referenten scheint diese Methode für
ein Lehrbuch völlig verfehlt. Für: den Praktiker mag
hin und wieder Brauchbares sich vorfinden, vermuthlich
findet er dasselbe aber besser in klarer geschriebenen
Werken. Schmidt.
142 Litteratur-Besprechungen.
F. Wiedemann: Die Lehre von der Elektrizität. 2. Bd.
mit 163 Holzstichen und 1 Tafel. 2. Auflage. Braun-
schweig, Vieweg & Sohn. 1894.
Wir nahmen schon im 66, Band p. 118 dieser Zeit-
schrift Gelegenheit, auf die Bedeutung und Vorzüge dieses
Werkes hinzuweisen. Es liegt jetzt der 2.Band desselben fertig
vor uns. Nachdem die im 1. Bande nicht mehr zum Ab-
schluss gekommene Darstellung der elektrischen Vorzüge
in Nichtleitern zu Ende geführt ist, werden die Beziehungen
zwischen Elektrizität und Wärme in 3 ausführlichen Kapiteln
behandelt. Der zweite und umfangreichere Theil des
Bandes beschäftigt sich dann mit dem besonders in dem letzten
Jahrzehnt so enorm entwickelten Gebiete der Elektrochemie.
Diese namentlich unter dem Einflusse van t’Hoffs, Ar-
rhenius, Ostwalds und Nernsts ausgebaute Diseiplin
hat sich zu einer selbständigen Wissenschaft erhoben. Die
zahllosen Arbeiten auf diesem Gebiete füllen nicht nur 13
stattliche Bände der Zeitschrift für physikalische Chemie
vollständig aus, sondern nehmen auch in anderen Zeit-
schriften (z. B. Wiedemann, Annalen für Chemie und
Physik) einen nicht unwesentlichen Raum ein. Es war
daher hier eine gewaltige, rein litterarisch sichtende und
ordnende Arbeit nothwendig. Es ist dem Verfasser ge-
lungen, unter Berücksichtigung der bis in die letzte Zeit
erschienenen Arbeiten ein übersichtliches Bild von dem
Stande der Diseiplin zu geben. Die vielfach von F. Kohl-
rausch zur Verfügung gestellten Originalmittheilungen über
seine fundamentalen Untersuchungen auf diesem Gebiete
verleihen einzelnen Abschnitten einen besonderen Werth.
Der letztgenannte Abschuitt des Werkes drängt zu
einem Vergleiche mit der Darstellung, welche Ostwald in
seinem Lehrbuche der allgemeinen Chemie über den gleichen
Gegenstand giebt. Hier finden wir die Sprache eines mit
voller Energie für neue Anschauungen eintretenden Mannes,
der selbst thätig mit Hand an den Ausbau dieser Ideen
gelegt hat; die lebendige Darstellung reisst den Leser mit,
und die Schwierigkeiten, die sich den neuen Theorien ent-
gegenstellen, kommen ihm oft nicht recht zum Bewusstsein.
Ganz anders Wiedemann. Er giebt uns eine ruhige Dar-
Litteratur-Besprech ungen. 143
stellung der Thatsachen; ohne sich der neuen Theorie zu
verschliessen und ihre Vorzüge und Leistungsfähigkeit zu
verkennen, weist er darauf hin, dass manche Beobachtungen
auch noch in anderer Weise erklärt werden können. Er
erkennt die grosse Fruchtbarkeit der neuen Ideen an, ohne
sich zum unbedingten Anhänger der noch vielfach um-
strittenen Richtung zu erklären. Schmidt.
Lenz: Nützliche, schädliche und verdächtige Pilze. 7. Aufl.
bearbeitet von Dr. O. Wünsche. Verlag von E. F. Thiene-
mann. Gotha.
Der Verleger hat das in 7. Auflage erscheinende Werk
im Preise auf 2,80 Mk. für geheftete und 3,50 Mk. für
in Leinwand gebundene Exemplare herabgesetzt. —
Durch die Preisherabsetzung tritt dieses älteste und voll-
ständigste immer noch beste aller Pilzbücher wieder erfolg-
reich in die Concurrenz mit den vielerlei in den letzten
Jahren erschienenen billigen, kleineren Pilzbüchern ein.
Wir werden in nächster Zeit eine ausführliche Besprechung
bringen, können aber heute schon „Lenz, Pilze“ auf Grund
unserer Kenntniss der frtiheren Auflagen allen Natur-
freunden warm empfehlen.
Karsch, Dr. A.: Vademecum botanieum. Handbuch zum
Bestimmen der in Deutschland wild wachsenden, sowie im
Feld und Garten, im Park, Zimmer und Gewächshaus
kultivirten Pflanzen. Mit 2437 Einzel-Ilustrationen. Leipzig
15894. Verlag von Otto Lenz. Preis 26 Mark.
Der Zweck des vorliegenden Vademecum botanicum
soll der sein, auch dem Nichtfachmann es zu ermöglichen,
nicht allein die in Deutschland wild wachsenden Pflanzen
sicher zu bestimmen, sondern auch solche, welche in Feld
und Garten, im Park, Zimmer und Gewächshaus kultivirt
werden. Es werden zunächst die Phanerogamen behandelt
und von den Gefässkryptogamen auch die Farne und andere
Gruppen berücksichtigt. Eine Erklärung der Kunstaus-
drücke, Abkürzungen der Autornamen und ein ausführ-
liches Inhaltsverzeichniss bilden den Schluss des 72 Druck-
144 Litteratur-Besprechungen.
bogen umfassenden Werkes. Die Bestimmung der Familien
geschieht in einem Schlüssel nach dem Linne’schen System,
welches dem speciellen Theil voransteht. Im speciellen
Theil folgen der kurzen Charakterisirung der Familien zu-
nächst Schlüssel zum Auffinden der ‚Gattung, und darauf
werden die einzelnen Gattungen mit ihren Arten vorgeführt.
Einfache, theils zwar nicht besonders gelungene, Ab-
bildungen sind zahlreich beigegeben und unterstützen
wesentlich das Auffinden der zu bestimmenden Pflanzen.
Auch sonst ist die Ausstattung des Buches eine gute zu
nennen. Der Verfasser, dem es nicht vergönnt war, sein
Werk im Druck vollendet zu sehen, da er bereits im Jähre
1892 verstarb, ist besonders durch seine Flora von West-
falen zur Genüge als Florist bekannt. Es ist zu wünschen,
dass wie die letztere, so auch das vorliegende, umfang-
reiche Werk eine gute Aufnahme finde und dass das Ziel
des Verfassers, ein brauchbares Buch für die Praxis zu
liefern, ohne die wissenschaftliche Seite ausser Acht zu
lassen, erreicht sei. Selten möchte dieses 9755 Arten ent-
haltende Vademecum für den ihm gezogenen Kreis die
Auskunft versagen. Dr. W. Krüger.
——
Woakker, Dr. .J. H.: Onze zaadplanten van het jaar
1893. Aus „Archief voor de Java- Sniherindustrie 1893.
Af. 13°, 13 pag.
Nachdem in Kürze die an die Zucht des Zuckerrohres
‚aus Saat vielfach in unberechtigter Weise gekntpften Hoff-
nungen zurückgewiesen und die wirklichen Aussichten der-
selben gewürdigt worden sind, geht Verf. auf den Bau der
Blüte, insbesondere auf den der Blüte der auf Java in aus-
‚gedehntem Maasse gebauten Varietät, des sog. Cheribonrohres
‚über. Er weist auf die seltene Fruchtbildung dieser Variefät
hin, die in der Unvollkommenheit der Zellen ihren Grund
"hat. Kreuzungsversuche dieser Varietät durch Bestäuben
der Narben mit Pollen solcher Varietäten, bei denen letzterer
vollständig ausgebildet wird, waren — obgleich nicht 8402
einwandsfrei — von Erfolg gekrönt. — Den Schluss der
Arbeit bildet eine Liste von 669 aus Saat erhaltenen
Litteratur-Besprechungen, 145
Pflanzen von etwa 30 Rohrvarietäten, incl. 3 Kreuzungen
von Cheribonrohr mit tebu itam Banjermassing, tebu Padang
und tebu kassor. Als bemerkenswerth sei noch hervorge-
hoben, dass die erhaltenen Saatpflanzen selbst von ein und
derselben Mutterpflanze ein sehr verschiedenes Aussehen
zeigen, dass jedoch fast allen eine starke Bestockung eigen
ist. Die Bestockung stieg z. B. bei einer Saatpflanze von
tebu lumar Borneo auf 56 Sprossen (sie wechselte von 14
bis 56); die Blattbreite variirte zwischen 0,4—6 em; die
Höhe von 0,45—1,50 m. Dr. W. Krüger.
Koch, Dr. Alfred: Jahresbericht über die Fortschritte
in der Lehre von den Gührungs- Organismen. Dritter
Jahrgang 1892. Braunschweig. Harald Bruhn 1893.
Preis 6,80 Mk. 18 Bogen.
In 6 Abschnitten (Lehrbücher, zusammenfassende Dar-
stellungen etc. — Arbeitsverfahren, Apparate ete. — Morpho-
logie der Bakterien und Hefen — Allgemeine Physiologie
der Bakterien und Hefen — Gährungen im Besonderen —
Fermente) werden 394 Arbeiten dieses Gebietes aufgeführt
und die wichtigsten Ergebnisse derselben kurz und klar
wiedergegeben, so dass es sehr leicht ist, an der Hand
dieses vorzüglichen Führers sich in Kürze über die vor-
liegenden neueren Untersuchungen zu orientiren. Diese
zusammenstellende Arbeit wird daher für Manchen von
Nutzen sein und deshalb von Vielen wie ihre Vorgänger
willkommen geheissen werden. Dr. W. Krüger.
Sprockhoff, A.: Praktische Naturkunde für mehrklassige
Knaben- und Müdchenschulen. Hannover, Karl Meyer,
1893. Preis 4 Mk.
Das für einfache Sehulverhältnisse berechnete Buch
besteht aus sechs einzelnen, reich illustrirten Heften, welche
das wichtigste aus den Gebieten der Chemie, Anthropologie,
Zoologie, Botanik, Mineralogie und Physik enthalten. Die
Hefte sind Auszüge aus des Verfassers naturwissenschaft-
lichen Lehrbüchern, welche zu den verbreitetsten und best-
empfohlenen der Jetztzeit gehören. Da bei der Auswahl
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 67. 189. 10
146 Litteratur-Besprechungen.
des Stoffes die Bedürfnisse des täglichen Lebens mass-
gebend sein mussten, so sind die das Wohl und Wehe des
Menschen in erster Linie bedingenden Naturobjekte, sowie
die bekanntesten und wichtigsten Erscheinungen und Vor-
gänge im Haushalte der Natur und des Menschen in den
Vordergrund gerückt. Die gesammte Darstellungsweise
lässt den erfahrenen Schulmann erkennen. Bezüglich der
Hefte über Zoologie und Botanik sei jedoch bemerkt, dass
eine stärkere Betonung des biologischen vor dem morpho-
logischen Momente mehr dem Standpunkte der heutigen
Methodik und Naturforschung entsprechen würde.
Sehmeil.
—
Wilhelm Haacke, Dr.: Gestaltung und Vererbung.
Eine Entwickelungsmechanik der Organismen. Mit 26 Ab-
bildungen im Text. Leipzig. T. O. Weigel Nachfolger
(Chr. Herm. Tauchnitz). 1893. Ladenpreis: Geh. 8 Mk,
gebd. 9,20 Mk. =
Haacke wendet sich in dem vorliegenden grossen
Opus in schärfster Weise gegen Weismann’s Theorie von
der Präformation der Organismen in den Keimzellen. Es
würde zu weit führen, wollten wir an dieser Stelle auf die
ganze Fülle des Gebotenen auch nur mit wenigen Worten
eingehen, es kann sich nur darum handeln, die Kernpunkte
kurz zu besprechen; im übrigen muss es dem interessirten
Leser überlassen bleiben, sich gründlich in das Werk zu
vertiefen.
Haacke steht insofern auf einem durchaus anderen
Boden wie Weismann, als er in dem Plasma und nicht in
der Kernsubstanz den Träger der Vererbung sieht.
Eigentlich ist dieser gegnerische Standpunkt Haacke’s erst
secundär, da er auf ihn gedrängt wird durch die Annahme
der Vererbung erworbener Eigenschaften. Für
diese Annahme bedarf es seiner Ansicht nach keines experl-
mentellen Beweises mehr, da die Natur das Experimen
gewissermaassen schon ausgeführt hat und uns das Ergebniss
desselben in der gesammten Organismenwelt mit ihren im
Laufe der Zeit erworbenen Eigenschaften vor Augen stellt.
Wir wollen nicht auf die Schwächen einer solchen Bewes
Litteratur-Besprechungen. 147
führung eingehen, sondern Haacke in seinem weiteren Ge-
dankengange folgen. — Wenn man die Möglichkeit, ja die
Nothwendigkeit der Vererbung von localen Abänderungen
an irgend welchen Körperstellen zugiebt, so müssen diese
Abänderungen auf die Keimzellen übertragen werden; an
eine Wanderung von kleinsten Theilchen aus allen Körper-
theilen nach den Keimzellen ist nicht zu denken, also bleibt
nur die Annahme einer dynamischen Uebertragung dieser
Abänderungen übrig. Wäre nun der Kern der Vererbungs-
träger, so könnte eine solche Uebertragung nicht statthaben
(warum nicht? steht doch Plasma und Kern in engsten
Wechselbeziehungen!), da sich die Kerne nicht berühren.
In innigem Contaet stehen nur die Zellleiber, also müssen
diese in erster Linie die Träger der Vererbung sein;
„der formgebende Stoff des Thierkörpers ist im Plasma
des Zellleibes, vor allem in dessen organischem Mittel-
punkte, dem Centrosoma, zu suchen.“ Abgesehen davon,
dass bisher noch kein Grund vorhanden ist, das Centro-
soma dem Plasma zuzurechnen (es spricht vielmehr sein
Verhalten gegen Farbstoffe und seine ursprüngliche Lage
für die Kernnatur), scheint mir das wenige, was wir über
das Verhalten des Centrosoma bei der Theilung wissen,
durchaus nicht in Parallele gestellt werden zu können mit
den minutiösen Vorgängen, die sich an der chromatischen
Substanz des Kerns bei der Theilung in grösster Regel-
mässigkeit abspielen. Wenn wir bei jeder Zellvermehrung
die Theilung des Chromatinbandes in Chromosomen, die
Anordnung derselben zu einer Sternfigur und vor allem die
Längstheilung dieser Elemente auftreten sehen, so muss
sich uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass der chroma-
tische Theil des Kerns bei den verwickelten und dunkeln
Vorgängen der Vererbung eine wichtige Rolle spielt.
Wenn andere Untersuchnngen in dem Kern ein Organ
des Stoffwechsels nachgewiesen haben, so kann der Sitz
dieser Thätigkeit auch in einem anderen Bestandtheile des
Kerns gesucht werden (man denke an die beiden Kerne
der Protozoen).. Haacke sieht in dem Centrosom haupt-
sächlich deshalb den Vererbungsträger, weil es seiner An-
sicht nach der organische Mittelpunkt der Zelle ist. Ich
10*
148 Litteratur-Besprechungen,
sehe aber nicht ein, warum gerade die Vererbungssubstanz
in dem organischen Mittelpunkt ihren Sitz haben muss,
kann mir vielmehr sehr wohl denken, dass hier etwas
anderes verborgen ist, vielleicht das, was das Plasma von
den Bütschli’schen Schäumen unterscheidet; das wich-
tigste für die Zelle ist ja doch das Leben an und für sich,
betrachten wir doch also dieses Centrum (wenn durchaus
betrachtet sein muss) als den Angriffspunkt der mystischen
Lebenskraft, von dem aus die Strahlenbündel als Kraft-
linien das gesammte Plasma beherrschen und die einzelnen
Theile des Kerns gesetzmässig ordnen.
In engstem Zusammenhang mit dieser Annahme, dass
das gesammte Plasma die Vererbung vermittelt, steht nun
auch die sogenannte Gemmarienlehre des Autors, die
er im Verlauf des Werkes in äusserst consequenter Weise
zur Erklärung der Entstehung der Grundformen, der Ent-
stehung der Faunen, der geschlecbtlichen und ungeschleebt-
lichen Fortpflanzung ete. heranzieht. Wie Weismann
seinen Iden als den Trägern der Vererbung einen be-
stimmten Bau zuschreibt, so auch Haacke dem Plasma.
Während aber der erstere als Evolutionist eine polymikte
Struetur voraussetzen muss, nimmt unser Autor als Epi-
genetiker ein monotones Plasma an, d. h. die Plasmaelemente
sind einander völlig gleich. Es ist nicht zu leugnen, dass
auf diese Weise die ganzen Vererbungserscheinungen leicht
versinnbildlicht werden können, aber auch nur als eine
Versinnbildlichung möchte ich die Ausführungen Haack e's
auffassen.
Das Plasmagefüge Haacke’s, von dessen höherer
oder geringerer Festigkeit das Wohl und Wehe der Orga
nismen abhängt, besteht aus sogenannten Gemmarien,
die bei den einzelnen Arten natürlich verschiedenen Bau
besitzen. Die Einheit der organischen Welt findet ihren
Ausdruck erst in kleinsten Bausteinen, sogen. Gemmen, für
die Haacke eine rhombische Säulenform annimmt. Diese
Gemmen können sich nun je nach den Berührungsflächen
zu geraden oder zu schiefen Gemmensäulen zusammen-
setzen, und diese letzteren lassen sich wiederum auf das
mannigfaltigste mit einander zu Gemmarien verbinden, de.
Litteratur-Besprechungen. 149
um das Centrosom in besonderer Weise angeordnet sind.
Alle Theile des Plasmas stehen mit einander in inniger
Correlation: wird durch irgend welche Einflüsse das Plasma-
gefüge an einer Stelle geändert, so erstreckt sich die da-
durch bedingte Umlagerung der Gemmen auf den ganzen
Organismus: die Gemmarien suchen das gestörte Gleich-
gewicht sofort wiederherzustellen. Dies mag zur Charakteri-
sirung der neuen Theorie gentigen. Es ist eine eigenthüm-
liche Sache mit solchen metaphysischen Speeulationen:
Weismann hatte doch wenigstens beim Aufbau seiner
Theorie die Längsspaltung der Chromosomen als Anhalts-
punkt, Haacke’s Vermuthung steht völlig in der Luft.
Einen Punkt möchte ich noch besonders erwähnen: wie
soll man sich die Monotonie des Plasmas denken können,
wenn man schon mit dem Mikroskop einen vom Plasma
abweichend gebauten und abweichend reagirenden Bestand-
theil dieses aus lauter gleichen Grundelementen bestehen-
den Plasmas nachzuweisen im Stande ist! Solche Bestand-
theile sind die Centrosomen und auch die sogen. Granula.
Der schwächste Punkt der Haacke’schen Anschauungen
liegt aber unstreitigin der durch keine neuen Beobachtungen
gestützten Annahme, dass das Centrosoma ein Plasmatheil,
und dass das Plasma der Vererbungsträger ist. Wäre Weis-
mann auf eine ähnliche Theorie gekommen, so würde er
sich sicherlich erst bemüht haben, durch sorgfältige und
mannigfaltige mikroskopische Untersuchungen irgend welche
Gründe für seine Ansichten zu finden. Und auch dann
verlässt ihn eine gewisse Bescheidenheit nie. „So möge
denn,“ schliesst er die Vorrede zu dem Werke, das Keim-
plasma, „diese Frucht langer Arbeit und vielen Zweifels
sich ans Licht wagen. Sollten auch nur wenige meiner
theoretischen Aufstellungen unveränderten Bestand behalten
gegenüber den Ergebnissen zukünftiger Forschung, so würde
ich doch nicht glauben, vergeblich gearbeitet zu haben;
denn auch der Irrthum, wofern er nur auf richtigen
Schlüssen beruht, muss zur Wahrheit führen.“ Haacke da-
Segen hat in seinem ganzen Werke „in unwiderleglicher
Weise dargethan“, „in bündiger Weise nachgewiesen“ etc.
und an die eben eitirte Vorwortstelle knüpft er auf Seite 111
150 Litteratur-Besprechungen.
die Bemerkung „Wie wir gesehen haben, wird Weismann
früher, als er es vielleicht zu hoffen gewagt hat, die Genug-
thuung zu Theil, dass er nicht umsonst gearbeitet hat und
dass sein Irrthum zur Wahrheit geführt hat.“ Findet man
überhaupt die Wahrheit? Ich dächte, des Menschen Auf-
gabe wäre es nur, sie ewig zu suchen.
Zum Schlusse möchte ich noch auf störende stilistische
Unarten hinweisen, es ist hauptsächlich der Gebrauch eines
negirten Wortes wie „unschwer“ statt „leicht“; dieses Wort
versteht natürlich Autor und Leser, abe ein gleich folgen-
des „nicht weniger schwer“ hat der Autor nicht verstanden,
er meint nämlich „nieht weniger unschwer“, d. h. ins
Deutsche übersetzt „ebenso leicht“ (vergl. Seite 120). Auf
derselben Seite findet sich im letzten Absatz folgende Satz-
eonstruction rn en unge aber ...., wenn sich dem-
nach ...., somuss ... .“— Der arme Ausländer, der sich
bemühen will, die Weisheit dieses Satzes zu ergründen!
G. Brandes.
Conrad Keller, Prof. Dr.: Das Leben des Meeres.
Mit botanischen Beiträgen von Prof. Carl Oramer und Prof.
Hans Schinz. Leipzig T. O. Weigel Nachf. (Chr. Herm.
Tauchnitz) 1894.
Das neue populäre naturwissenschaftliche Prachtwerk
aus dem rührigen Weigel’schen Verlage soll in etwa 15
Lieferungen & 1 Mk. im Laufe dieses Jahres erscheinen.
Die uns bis jetzt vorliegenden vier ersten Lieferungen halten
vollkommen, was in dem Prospeete versprochen wird: in
anziehender und in allgemein verständlicher, aber durchaus
wissenschaftlicher Sprache schildert Keller das Leben des
Meeres. Im ersten Theil behandelt Keller nach einer Ein-
leitung über die historische Entwiekelung der Erforschung
des Meerlebens und nach einer Schilderung des Wohn-
elementes die allgemeinen Lebenserscheinungen der marinen
Tbierwelt; bis jetzt sind folgende Kapitel erschienen: frei-
lebende und festsitzende Thiere, Arbeitstheilung und
Polymorphismus, Genossenschaftsleben oder Symbiose,
Schmarotzerleben oder Parasitismus, die Farben der
Meeresthiere, Meeresleuchten, Wanderungen der Meere%
Litteratur-Besprechungen. 151
bewohner, der Suezkanal als Wanderstrasse und die
Strandfauna. Wie man sieht, ausserordentlich interessante
Themata, die alle gewandt behandelt und von guten Holz-
schnitten und prächtigen Farbentafeln begleitet sind. Wir
wollen nach Fertigstellung des Werkes, das jedem Gebildeten
warm empfohlen werden kann, auf den reichen Inhalt näher
eingehen. G. Brandes.
Jahrbuch der Naturwissenschaften 1593— 1394.
IX. Jahrgang. Unter der Mitwirkung von Fachmännern
herausgegeben von Dr. Max Wildermann. Mit 24 in den
Text gedruckten Abbildungen und 2 Kärtchen. Freiburg
i. Br. 1894. Herdersche Verlagshandinng. gr. 8°. (XII
u. 536 S.) 6 Mk.; in eleg. Original-Einband: Leinwand
mit Deckenpressuny 7 Mk.
Bei der Besprechung dieses Werkes brauchen wir nur
auf die Empfehlungen hinzuweisen, die frühere Jahrgänge
dieser Jahrbücher in unserer Zeitschrift erfahren haben.
Es enthält wirklich alles, was der naturwissenschaftlich
Gebildete aus dem Gesammtgebiet wissen muss, und das
meiste von dem Gebotenen wird auch jedem Gebildeten
verständlich und interessant sein. Möchte sich Wilder-
mann’s Werk immer mehr Boden in der Familienbibliothek
des deutschen Volkes verschaffen! G. Brandes.
Henri Gadeau de Kerrille: Die leuchtenden Thiere
und Pflanzen. Aus dem Französischen übersetzt von W.
Marshall. Mi 27 in den Text gedruckten Abbildungen
und einem Titelbild. (VI u. 242 Seiten) In Original-
Leinenband 3 Mk. Leipzig, Verlagsbuchhandlung von J.
J. Weber, 1893.
Der 7. Band der bekannten Weber’schen naturwissen-
schaftlichen Bibliothek liegt uns in obigem Werkchen vor.
Wer Marshall’s gewandte Feder und reichen Wissensschatz
kennt, weiss, dass die Uebersetzung hinter dem Original
auch nicht im geringsten zurückbleibt. Das Werk selber
ist jedem Gebildeten als eine Fundquelle interessantester
Thatsachen aus dem Gebiete der Biologie warm zu empfehlen,
152 Litteratur-Besprechungen.
auch ist es für jeden Naturwissenschaftler, speciell den
Biologen, ein unentbehrliches Nachschlagebuch, da in ihm
alle Einzeldaten über das wunderbare Phänomen des Leuch-
tens organischer Substanzen auf das gewissenhafteste zu-
sammengetragen und ebenso übersichtlich als erschöpfend
verarbeitet sind. Unter den Pflanzen sind es hauptsächlich
Pilze und Algen, die normaler Weise Leuchtkraft besitzen,
während an Moosen, einigen Monocotylen und Dicotylen
nur gelegentlich Lichterscheinungen (vielleicht elektrischer
Natur, Ref.) wahrgenommen sind, bei den Thieren dagegen
finden wir fast in allen Klassen leuchtende Arten, nur bei
den Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugethieren ist eine
selbständige Production von Licht bisher nicht bekannt
geworden.
Kerville beschränkt sich aber nicht darauf, eine
Uebersicht über die leuchtenden Pflanzen- und Thierformen
zu geben, sondern behandelt in einem Kapitel auf das aus-
führlichste die Anatomie und Physiologie der leuchtenden
Organe, wobei auch das Wesen des Leuchtens und die
Eigenschaften des entwickelten Lichtes eine Besprechung
erfahren. Wenn ich in dem spannend geschriebenen Büch-
lein etwas vermisst habe, so sind es einige Abbildungen
über den Bau der eigentlichen Leuchtorgane bei Fischen,
die demjenigen, der die schwer zugänglichen Original-
abhandlungen nicht kennt, ausserordentlich erwünscht sein
würden. G. Brandes.
Te
Berichte der Naturforschenden Gesellschaft
zu Freiburg i. B., VIII. Bd. Zoologische Abhand-
lungen, August Weismann zu zeinem 60. Geburtstage,
17. Januar 1894, gewidmet von C. Apstein, H. Blanc, 0.
Bürger, F. Dahl, A. Fritze, A. Gruber, V. Hücker, H.
Henking, O. Jschikawa, E. Koneiöcht, O. vom Rath, H.E.
Ziegler und von der Weinehärsihuiien Gesellschaft zu Frei-
burg i.B. Mit 6 Tafeln u. 14 Abbildungen im Text. (Im
Abonnement 12 Mk.) Freiburg i. B. und Leipzig 1594.
Akad. Verlagsbuchh. von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
Der vorliegende Band enthält diesmal nur zoologisch®
Litteratur-Besprechungen 153
Abhandlungen, weil er als Festschrift zu Weismanns 60. Ge-
burtstage erschien.
E.Korschelt (Ueber eine besondere Form der Ei-
bildung und die Geschlechtsverhältnisse von Ophryotrocha
puerilis) hat einen kleinen marinen Anneliden studirt und
bei ihm eine eigenthümliche Eibildung gefunden. Die
Ovarialzellen sind dimorph, die einen werden Ei-, die an-
deren Nährzellen. Je eine Ei- und eine Nährzelle lösen
sich gemeinsam los und treiben frei in der Leibeshöhle,
wobei die Nährzelle allmählich resorbirt wird. Bei dieser
Art kommen neben Männchen und Weibchen auch Zwitter
vor, die entweder in dem einen Theil der Glieder männ-
liche, in dem anderen weibliche Geschlechtsdrüsen besitzen
oder auch wirkliche Zwitterdrüsen haben. — Dahl
(Die Copepodenfauna des unteren Amazonas) theilt die
Resultate seiner planktologischen Untersuchungen mit und
beschreibt ausser mehreren neuen Arten eine neue Gattung
Weismannella. — Gruber (Amoeben-Studien) veröffentlicht
Beobachtungen, die darauf hinweisen, dass auch bei nackten
Amoeben eine indirekte Kerntheilung vorkommt.
Häcker (Die Entwickelung der Wintereier der Daph-
niden) weist nach, dass bei den Wintereiern der Daphniden
die Oberflächengestaltung und die Entstehung der Dotter-
kerne in verhältnissmässig frühere Entwickelungsstadien
fällt als bei den Sommereiern. — Ischikawa (Ueber die
Kerntheilung bei Noctilula miliaris) beschreibt eine für
Flagellaten schon mehrfach nachgewiesene typische Mitose.
— Apstein (Vergleich der Planktonproduction in verschie-
denen holsteinischen Seen) kommt zu dem Resultate, dass
das Plankton benachbarter oder gar mit einander ver-
bundener Seen in mehrfacher Hinsicht Unterschiede auf-
weist. — Nach Henking (Beiträge zur Kenntniss von
Hydrobia ulvae und deren Brutpflege) legt das Weibchen
von Hydrobia ulvae die Eier in kleinen Häufchen auf die
Schalen seiner Artgenossen ab. — Bürger (Studien zu
einer Revision der Entwickelungsgeschichte der Nemertinen)
bringt Berichtigungen und neue Beobachtungen über die
Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. — Eine inter-
essante Beobachtung von allgemeinem Interesse theilt O.
154 Litteratur-Besprechungen.
vom Rath (Ueber abnorme Zustände im Bienenstock) mit.
In einem weisellosen Stocke fütterten die Arbeiter einige
Drohnen wie Königinnen. Diese zeichneten sich dann als
fertige Thiere durch ihre Grösse aus, ferner zeigten die
Geschlechtsorgane eine auffallende Hemmungsbildung: Ko-
pulationsapparat und Samenblasen fehlten, von den Aus-
fübrungswegen waren nur Spuren vorhanden, und die Samen-
entwickelung war zurückgeblieben. — Fritze’s Beobach-
tungen über Saison-Dimorphismus bei japanischen Schmetter-
lingen haben wir schon im vorigen Hefte bei Gelegenheit
unseres Aufsatzes über Saisondimorphismus erwähnt. —
Blane (Etude sur la f&condation de l’oeuf de la Truite)
behandelt die Polyspermie und die minutiösesten Vorgänge
bei der Befruchtung des Forelleneies. — Ziegler (über
das Verhalten der Kerne im Dotter der meroblastischen
Eier) kommt es darauf an, nachzuweisen, dass gewisse
Kerne, die sich amitotisch theilen, in keiner Weise bei dem
Aufbau des embryonalen Körpers betheiligt sind, sondern
nur der Assimilation des Dotters dienen.
G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Allgemeines, Mathematik und Astronomie,
de Freudenreich, Ed. Les Microbes et leur röle dans la laiterie.
Paris 1894. 8°, VI, 120 pp. Avee 2 fig.
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10 Kupfertaf., wovon 5 eolor
Vines, 8. H. A Students Text-Book of Botany. 1st Part, London,
1894, 80, 400 pp.
AR
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3.
2a Thonstütze mit Näpfchen.
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Tafel 1.
Förtsch, Ueber vorgeschichtliche Töpfereigeräthe,
Thonstütze mit flachem Fuss.
von grösserer Länge.
Thonstütze a Küserbütniigem Ausschnitt im Fuss
Thonstütze von konischer Form mit becherartiger Vertiefung,
ohne
Dieselbe mit Fuss, auf einem Thonklumpen.
Thonstütze von prismatischer Form.
Dieselbe mit Näpfchen.
Thonklumpen mit kleinem Conus in der Mitte des Eindrucks.
Thonklumpen, auf welchem die Stütze schräg gestanden hat.
Conische Thonstütze mit abgeschrägter Basis.
Thonstütze mit zwei aufgepackten Thonklumpen und Eindruck
in dem oberen Theil
Thonstütze mit Näpfehen, aus jüngerer Zeit, durchlocht.
Verwendung der Stützen beim Brennen,
leitschrift für Naturwissenschaften Bd, 67.
Tafel 1.
"werk H--
DER TEHÜG
EHLPERE,
7 LEER,
5 4
Serder’ide Berlagshandlung, Freiburg in Breisgau.
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und Botanik; Forjt- und Landwirtbichaft; Vlineralogie und rag” =
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Die Sinbanobese e
Sahrgang II—V fünnen zum Be yehrir von ER
geb. ui nacjbeiogen Berta Sahrgang VI, Vil und VIM für j 6,
geb. „#7. — Jeder Jahrgang mit Stnsnahın des ee üt einzeln zu
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=== Vegetation von Usambara
und der EEE (Gebiete. — (Aus d. Abhandlungen der
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sr Dr. Beiträge zur Kenntnis der Alkaloide aus den Wurz
on Sn Canadensis und Chelidonium majus, (Ze itschrift fir
in ee re en, d. 6. Heft. =
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für Naturwissenschaften „63. Bd. 1. He ft 2 M. 2—
Luzi, Dr. William, Beiträge z ie Kenntnis des Gra tkohlenstoffes. (Zeit-
_ ift für naigre ften, 64. Bd. 45. raphitk NM.4—
H., Ueber und Entwiekelung ee u Frosceh-
“iarven a Beischit ra rer Bd. 2/3. Heft) M.4.—
Rübsaaı eilungen über neue und bekas 2 ag re ken
ar Siten GeisehietN Kiss nschaften, 64. Ba. 3. Heft.) Ma
$chaumann r., Bestimmung von Glycerin im Wein, nebst Notizen.
über el hiring Weine, (Zeitschrift für een: =
Bd, 45
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Zeitschrift
für
Naturwissenschaften.
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh. Rath Prof. Dr. Freih. von Fritsch, Prof. Dr. Garcke,
Geh. Rath Prof. Dr. Knoblauch, Geh. Rath Prof. Dr. Leuekart,
Geh. Rath Prof. Dr. E, Schmidt und Prof. Dr. Zeopf.
herausgegeben von
Dr. G. Brandes,
Privatdocent der Zoologie an der Universität Haile.
67. Band
(Fünfte Folge Fünfter Band.
Drittes und Viertes Heft.
Mit 3 Tafeln und 10 Figuren im Text.
Ausgabe für Vereinsmitglieder.
=. ae
Leipzig.
ce. E =. Pfeffer. s
1894.
iohbalt
I. Original-Abhandlungen. Seite
Compter, 6. Dr. Die fossile Flora des unteren Keupers von
Ostthütingen Taf, I—
Donath, Ed., Prof. Ueber die hydrolytischen Spaltungen
organischer a zen -
Kobert, R., Prof. Dr. Ueber die Wirkungen des Septentrionalins 199
Lampe, Dr. Beher neue Fundorte der Rn Kreide-
3 ‚198
Müller, Kurt, „br Ueber Immunitit und Immunisi rung 161
Simroth, Heinr., Dr. Bemerkungen über die Marbholopie der
Scaphopo Be P
iener, H,Dr. Die geometrische "Construction "zweier Sinus-
schwingungen. (10 Figuren im Text.) 231
U. Kleinere Wittheilungen.
Mathematik . es onomie: ee er
S. 260. — Kometen S. 261. — Ein Bar RER: 262.
Asonsmisehe. ee S. 262
Chemie und | ıysik: Refraetometer von Zeiss S. 263. —
ee Verhalten der Alaune S, 64. _ Peine
don 8.264. — Boraluminiumbronze S. 264. — Telegraphiren
one Drahtverbindung S. 265. — Schmelzpunkte anorgant-
Mineralogie undGeologie: Zweinene Fundorte von Gletscher-
schrammen ete, 8.267. — Trinidad-Asphalt S. 268. — Schlier
> Mähren S, 269. — Gangspalten des Nurdwöatbarzen 8: 269.
' Der en m S. 269. Neuer Fundort für
n 8. 269. — Südindische Kreideformation 5.20.—
n
.271.— E
Essbare Flechten S. 277. — Die Bacterien als
_Pilauzenfeinde S. 280. — Einfluss der Nahrung auf Färbung
2832. — Ueber Alca impennis $. 284, Die Einführung
Be aa ser a Deutschland 3.387. — ' Kleine Wohlthäte er
— ehheit S. 288. e Abstammung unserer Haus-
Medicin: Die Blutserumtherapie zur Dipktherichehandiung des
Menschen S, 292 Zur Akromegalie S. 29. Neuer
Sen and Photographie des Netzhautbildes s$ Ei
Aus verschiedenen Gebieten: Ueber Lawinen $. 29.
Meteorologische Höhenstationen 8.295. — De ie in
ien am 7. 1894 S. 297.
Elessier Hoss techungen ee
Neun a ee re ee ; MRS en
Anmerkung.
Der Kunsiter des zes Dr. E. Erdmann, wohnt Anlatur
strasse 15, ai POBORHEEN, Tr. ©. Smalian,
Ueber Immunität und Immunisirung,
Von Dr. Kurt Müller,
Assistent a. d. Chirurg. Klinik zu Halle a. S,
Die Frage nach den Bedingungen der Immunität, d.h.
die Frage danach, aus welchem Grunde der eine oder der
andere Organismus gegen bestimmte Infeetionskrankheiten
unempfänglich ist, hat in der neusten Zeit nicht nur das
spezielle Interesse der ärztlichen Welt, sondern aller ge-
bildeten Stände wachgerufen, so dass es mir nicht unberech-
tigt erscheint, die Frage einmal in einer naturwissenschaft-
lichen Zeitschrift allgemeineren Inhalts zu beleuchten. Ganz
besonders aber scheint sie mir deshalb an Iuteresse zu ge-
winnen, als es bereits in breiteren Kreisen bekannt ist,
dass Versuche, die Immunität gegen bestimmte Krankheiten
auch beim Menschen künstlich hervorzurufen, unternommen,
die, soweit sich ein so verwickelter Vorgang beurtheilen
lässt, mit Erfolg gekrönt worden sind.
Es erübrigt nur noch vorauszuschicken, dass wir unter
einer Infeetionskrankheit eine solche verstehen, welche
durch das Hineingelangen von Infeetionserregern in den
thierischen Organismus von aussen her erzeugt wird. Unter
Infectionserregern haben wir kleinste und wenigst gegliederte
Individuen des Pflanzenreiches, vor allen Bakterien zu ver-
stehen und diesen vielleicht einige wenige Arten zuzuzählen,
welche man noch in’s Thierreich rechnen mtisste.
Der Begriff Immunität war noch bis vor kurzer Zeit
ein allgemeiner; man verstand einfach darunter, dass ein
gewisser Organismus für ein Thier nicht pathogen war,
d.h. es nicht krank machte. Die weiteren Fortschritte in
der Bacteriologie, mussten binnen Kurzen dazu führen,
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 67. 1894 11
162 Ueber Immunität und Immunisirung.
diesen zwar an sich ganz klaren, aber für den Bacteriologen
unzureichenden Begriff zu präeisiren.
Ein Infectionserreger kann ja auf zweierlei Art den
Organismus schädigen. Entweder der eingeimpfte, oder
zufällig in den Körper gelangte Keim beginnt an der Ino-
kulationsstelle auszukeimen und es gelangen die Sprossen
in die Lymph- oder Blutbahnen, sie überschwemmen den
ganzen Organismus, besiedeln alle inneren Organe und zer-
stören dieselben nun durch ihre giftigen Stoffwechsel-
producte, oder sie hindern durch Verstopfung der capillaren
Gefässe die Ernäherung. Eine solche Erkrankung ist zum
Beispiel der Milzbrand bei gewissen Thierarten; da finden
sich oft in den inneren Organen Ansiedelungen ganz UN-
geheurer Mengen von Pilzen, so dass von normalem Gewebe
oft kaum etwas zu sehen ist. Diese Art von Erkrankungen,
bei denen die Schädigung auf die angegebene Art er
folgt, bezeichnen wir als septicaemische. Oder aber, der
eingeimpfte oder an irgend einer Stelle angesiedelte Pilz
wächst an Ort und Stelle oft sehr üppig; untersucht man
jedoch nach dem Tode die inneren Organe und das Blut,
so findet man keine Baeillen, statt deren aber ausgedehnte
pathologische Veränderungen. Diese Art von Bacterien
wirken durch Intoxieation durch Vergiftung des
Organismus, sie bereiten durch ihr Wachsthum an der
Impfstelle Giftstoffe, welche durch Blut- und Lymphbabnen
in den Körper verbreitet werden und diesen bis zur Auf-
lösung schädigen können.
Zu diesen vorwiegend toxischen Erkrankungen zählt
die Hauptmenge der menschlichen Infeetionskrankheiten, die
Cholera, die Diphtherie, der Typhus, der Wundstarrkrampf
und andere. .
Es ist also nach dieser Auseinandersetzung ZU berück-
sichtigen, dass man zwei Gruppen der Wirkung eines In- .
fectionserregers unterscheiden muss, einmal eine infeo
tiöse und dann eine toxische, und damit ist e&8 ohne
weiteres klar, dass der Bacteriologe unter dem Ausdruck
immun, zwei ganz heterogene Dinge verstehen musste; den
einerseits bedeutet er, für die infectiös wirkende
Arten die Unmöglichkeit durch Weiterwucherung 1
LE =
EEE
Von Dr. K. MUELLER. 163
schädigen, andererseits für die toxisch wirkenden, die
eingetretene Unschädlichkeit der Giftstoffe, die vom Pilz
produeirt und in den Körper geschleudert werden.
Man hat sich deshalb dahin geeinigt, den Ausdruck
immun nur für die Arten der Wirkung zu reserviren, wo
es sich um Behinderung durch Wachsthum im Körper
handelt; für die toxisch wirkenden Pilze werden dagegen
die unempfänglichen Thiere als giftfest bezeichnet.
Ist also ein Thier unempfänglich gegen einen gewissen
Mikroorganismus, so kann dies dadurch bedingt sein, dass
es entweder in wahrem Sinne immun, oder dass es gift-
fest ist. 5
Daraus ergiebt sich die logische Folgerung, dass es
möglich sein kann, ein empfängliches Thier auf zweierlei
Arten unempfänglich zu machen; einmal können wir es
immunisiren; dann hindern wir jede weitere Verbreitung
des Pilzes im Körper; oder wir können uns darauf be-
schränken, es giftfest zu machen; dann geht unser Be-
streben darauf hin, dem Thier solche Substanzen einzu-
verleiben, dass die in den Körper übergegangenen Gift-
stoffe von ihnen vernichtet oder zu unschädlichen Ver-
bindungen herabgemindert werden.
ersuche zu immunisiren sind natürlich sofort begonnen
worden, als man die kleinen Lebewesen, die Bacterien,
kennen und ihre Vernichtung durch gewisse chemische
Stoffe herbeizuführen, gelernt hatte.
Besonders Sublimat nnd Carbolsäure hielt man bis
vor kurzer Zeit für so energische Desinfieientien, dass man
glaubte, dass sie sich gegen Pilze auch in starker Ver-
dinnung wirksam zeigten. Auf dieser Anschauung beruhen
die Versuche innerlicher Desinfieirung des Organismus
durch diese und ähnliche Mittel. Wir sind heute so weit,
88 wir wissen, dass von starken Verdünnungen überhaupt
eine pilztötende Wirkung zu hoffen ist. Sind doch selbst
!e in der Chirurgie gebräuchlichen Lösungen unseres ener-
Sischsten Desinficiens, des Sublimats, recht schwache und
absolut nicht von der Bedeutung, wie man früher glaubte;
“!e verhalten sich in ihrer Wirkung zum strömenden Wasser“. ;
dampf wie Tag und Nacht und hätten wir nicht Seife und e
Ben en
164 Ueber Immunität und Immunisirung.
Bürste, um den Boden für die Einwirkung des Quecksilbers
zu ebnen, so würden wir nicht viel erreichen.
Schon aus diesem Grunde, darf man von einer inneren
Desinfieirung durch solche Mittel nichts hoffen, ganz ab-
gesehen davon, dass unsere gebräuchlichen Mittel stark
zellvernichtende Eigenschaften besitzen und durch Ver-
bindung mit den Körpereiweissen zu relativ wirkungslosen
Körpern werden.
Es ist deshalb Aufgabe derer, welehe die Immunität
künstlich erzeugen wollen, Mittel zu finden, die in den
Organimus eingeführt, sich den Zellen gegenüber
indifferent erweisen, die Bacterien oder ihre
Produkte aber unschädlich machen.
Ehe wir aber über die künstlichen Immunisirungs-
methoden sprechen, ist es nöthig, uns zunächst einmal da-
rüber zu unterrichten, welche Sehutzmittel dem immunen
Organismus zu Gebote stehen, um Krankheitskeime abzu-
wehren. Wir gehen so analytisch vor und gewinnen da-
durch die Componenten. zur Construction unserer Aufgabe.
Die angeborene Immunität lässt sich nun nach der
treffliehen Eintheilung von Lusarscn auf dreierlei Art er-
lären:
1. kann sie eine zufällige, aus irgend welchen physio-
losischen Eigenschaften des Thieres sich herleitende sein.
So sind z. B. gewisse Thiere lediglich deshalb immun gegen
irgend welche Krankheitskeime, welche sie mit der Nahrung
aufnehmen, weil der starke saure Magensaft dieselben ver
nichtet.
2. Der Thierkörper kann für eine Baeterienart nicht
genügende oder nicht genügend assimilirbare Stoffe dar-
bieten, die sogenannte Assimilationstheorie von BAUMGARTEN
und PeErruschky.
Ich kann hier nicht darauf eingehen, die Mängel dieser
Theorie kritisch zu beleuchten, und muss nur zufügen,
sie zur Erklärung der Immunität nicht ausreicht.
Der Ansicht dieser Autoren nach gehen Pilze deshalb
im Körper immuner Thiere unter, weil sie keine zusagende
Nahrung vorfinden, wie eine Pflanze, die an Humus 5®
wöhnt
ist, auf Steinboden. Thatsächlich hat ja eine solebe
LJ 00 220 00 nn un un
ER
Von Dr. K. MUELLER. 165
Theorie viel bestechendes; es giebt Pilze, welche wir schon
sehr lange als pathogen für den Menschen kennen, und
welche zu züchten trotz tausender von Versuchen mit den
seltsamsten Nährböden, nicht gelingt. Es giebt ferner, um
nur noch ein Beispiel anzuführen, zwei Arten von Tuber-
kulose, von denen die eine die gewaltigsten Verheerungen
unter Menschen und sonstigen Säugethieren, die andere bei
Vögeln anrichtet, ohne dass man bis vor kurzer Zeit im
Stande gewesen wäre, beide Arten in einander überzuführen,
bis es endlich Fıscnt, gelang durch strenge und fortgesetzte
Züchtung auf verschiedenen Nährböden, beide auf eine
Grundform zurtckzuleiten. i
Trotzdem aber sprechen so viele Thatsachen gegen
eine solche Auffassung von der Immunität, dass wir sie
nicht als zutreffend ansehen können. Wenn Milzl dvaceins,
also abgeschwächte Milzbrandkeime, im Lymphsack der
Frösche rascher zu Grunde gehen, als virulente so kann
dies seinen Grund sicher nicht im Nahrungsmangel haben,
denn abgeschwächte Milzbrandpilze haben thatsächlich ein
geringeres Nahrungsbedürfniss als virulente.
Die dritte Möglichkeit ist endlich die, dass im
Thierkörper Schutzstoffe die Vermehrung der Bacterien ver-
hindern können.
Diese Schutzstoffe könnten einerseits im Körper prä-
formirt existiren, andererseits könnten sie erst durch die
Bacterieninvasion gebildet werden. Das letztere bedeutet
mit anderen Worten die Frage, ob ein Kampf des Körpers
segen die Infeetionserreger stattfindet.
Wie sie aber auch vorhanden sein mögen, sie müssen
in beiden Fällen entweder an die zelligen oder an die
flüssigen Elemente gebunden sein, d.h. sie sind entweder
een Körperflüssigkeit vorhanden oder Product der Körper-
zellen.
, Um mit der Kampftheorie zuerst zu beginnen, so fällt
hierher die geistvolle Hypothese Merscuxıkorrs von der
Fressthätigkeit der Zellen des mittleren Keimblatts, der
eUcocyten. Die Leucoeyten sollen nach ihm die Fähig-
keit besitzen, die eindringenden Bacterien zu ergreifen und “
“U vernichten. Wenn sich in der That auch mikroskopisch
166 Ueber Immunität und Immunisirung.
eine solche Fressthätigkeit der Leucocyten zeigen und
auch culturell beweisen lässt, dass dieselben im Stande sind,
virulente Bacterien aufzunehmen, so sind doch zahlreiche
Bedenken erhoben worden, ob die Phagocytose primärer
Natur, also die Ursache der Immunität, oder erst sekun-
därer ist.
Buchner ist letzterer Ansicht, indem er glaubt, dass
die im Körper präformirten Schutzstoffe erst eine Anzahl von
Bacterien töten; es werden dadurch Proteine frei, welche
nun erst die Hervorloekung der Leucocyten bewirken, ein
Vorgang, der als Chemotaxis oder Chemotropismus be-
zeichnet wird. ;
Eine vermittelnde Stellung nimmt LusasscH ein. Indem
er tote und lebende Frösche impfte und letztere verschie-
dene Zeit nach der Impfung tötete, konnte er konstatiren,
dass je längere Zeit nach der Impfung verstrichen war, desto
später Sporen auskeimten und zwar stets nur extracellulär
gelegene, während in toten Fröschen alle auswuchsen.
Er schliesst daraus mit Recht, dass die Schutzstoffe dee
Froschkörpers, die sehr labiler Natur sein müssen, erst
durch die Lebensthätigkeit der eingedrungenen Baeterien
in vollste Action treten, und dass diese Stoffe besonders
wirksam im Körper der Leucoeyten vorhanden sind.
Für die Anhänger der humoralen Theorie, d.h.
der Theorie wonach die schützenden Stoffe, in den Körper
flüssigkeiten enthalten sein sollen, war von ausserordent-
licher Wichtigkeit die Entdeckung von der bacterien
tötenden, der bacterieiden Kraft des Blutserum8.
Das aus der Ader gelassene Blut gewisser Thierarten
hat nämlich die merkwürdige Eigenschaft, ausserordentlich
rasch und energisch Bakterien abzutöten, und zwar wohnt
diese Kraft sowohl dem zellhaltigen als dem zellberaubten
Blut, also dem Serum inne.
Die Anhänger der humoralen Theorie verwenden
diese Thatsache derartig, dass sie behaupten, diese keim
tötende Eigenschaft des Blutserums komme nur den mehr
oder weniger immunen Thieren in besonders hohem Grade
zu, und sie sei deshalb der Grund der Immunität. we
sind heute soweit, dass wir ohne weiteres sagen können
Von Dr. K. MUELLER. 167
dass diese Annahme mit den Thatsachen nicht überein-
stimmt. Es giebt einerseits Thierarten mit ausserordentlich
stark keimtötender Kraft des extravasculären Blutserums,
welche trotzdem gegen dieselben Organismen ausserordent-
lich empfänglich sind und umgekehrt. Beurıse, der diese
Hypothese aufstellte, sieht vor allen Dingen im Milzbrand
der Ratten eine Stütze seiner Lehre, weil Ratten ein extra-
vasculär ausserordentlich stark Milzbrandkeime zerstörendes
Blutserum besitzen, sollen sie gegen Milzbrand fast ganz
unempfänglich sein.
Bereits von mehreren Autoren von LOEFLER, Strauss,
Lusarsch, METSCHNIKOFF u. a. ist diese hohe Resistenz der
Ratten gegen Milzbrand und damit die grundlegende Be-
deutung von der bacterieiden Kraft ihres Blutes bezweifelt
worden. Da bisher jedoch die Versuchsreihen stets zu
kleine waren, um ein Urtheil zu gestatten, so habe ich
seiner Zeit auf Veranlassung des Herrn Geheimrath EserrH
die Lösung dieser Frage versucht.
Gestützt auf ein Versuchsmaterial von 250 Thieren,
welche stets mit Brot gefüttert wurden, in den besten
hygienischen Verhältnissen sich befanden, sich ausserordent-
ich gut vermehrten und niemals eine Erkrankung in
Upjähriger Beobachtungszeit zeigten, konnte ich nach-
weisen, dass bei Infeetion mit gar nicht excessiven Dosen,
Ja einzelne bei Einbringung von nur ein Paar Keimen,
Dicht weniger als */, prompt der Impfung erlagen; das
übrige Fünftel starb zum grössten Theile nach wieder-
holter Impfung, in der Regel unter einem Bilde, welches
ich als „chronischen Rattenmilzbrand“ bezeichnet habe und
bei dem sich besonders in der Leber, aber auch in der
Milz eigenthümliche Nekrosen vorfinden. Erschüttern diese
Befunde schon einigermassen die humorale Theorie der
Immunitätslehre, so kommt noch ein zweiter Factor hinzu.
‚ Beurine und Nissex experimentirten, ebenso wie ich,
nicht nur an weissen, sondern auch an bunten Ratten, und
wenn sie auch in einzelnen Fällen weniger bacterieid
Wirkendes Serum vorfanden, so bleiben sie doch im All-
Semeinen dabei, dass das Rattenserum starke keimtötende
'irkung habe. ee
168 Ueber Immunität und Immunisirung.
Nun stellt sich aber bei meinen Versuchen dıe ganz
eigenthümliche Thatsache heraus, dass trotz gleicher Ver-
suchsbedingungen und gleicher hygienischer Verhältnisse,
gleicher Ernährung, die dunklen Racen, besonders die
schwarze Race eine bedeutend grössere und zwar bis fünf
Mal höhere Resistenz besitzt als die weisse.
Da nun sich derartige Verhältnisse aus dem Verhalten
der bacterieciden Kraft des Serums nicht erklären liessen,
so ist das ein zweites wichtiges Factum gegen die Bedeu-
tung des Blutserums als Grund der Immunität. Nun kommt
noch eins dazu. Schon früher hatte Feser darauf aufmerk-
sam gemacht, dass mit Fleisch gefütterte Ratten milzbrand-
immun wurden. Meine darauf gerichteten Versuche an
20 Thieren bestätigen diese Angaben insofern, als es that-
sächlich gelingt, Ratten dadurch widerstandsfähiger, keines-
wegs aber immun zu machen; es wird bei ihnen die ganze
Krankheitsdauer hinausgerückt, gewissermaassen die Er-
krankung chronischer gemacht; sie sterben alle erst nach
längerer Zeit, als Brotfesser.
Diese Thatsache lässt sich gleichfalls schlecht mit der
bacterieiden Kraft ihres Serums, welches durch die hohe
Alecalescenz desselben bedingt sein soll, in Uebereinstimmung
bringen; denn eher müsste man annehmen, dass die Thiere,
da bei ausschliesslicher Fleischnahrung die Säfte und das
Blut saurer werden, dadurch widerstandsloser würden.
Sprechen diese Ansichten bereits mit einer an Gewiss-
heit grenzenden Wahrscheinlichkeit gegen die humorale
Theorie, so kommt dazu noch folgende Beobachtung, welche
ich gleichfalls an Milzbrand infizirten Ratten machen
konnte. Jedes einzelne Organ dieser Thiere war nämlich
in ausserordentlich verschiedenem Grade Sitz von Infeetions-
erregern und zwar war dieses Verhalten ein so konstantes
dass ich nothwendig annehmen musste, dass in jedem
Organ ganz spezifische Kräfte die Ansiedelung der Bac-
terien begünstigen oder hindern mussten. "Zu dieser An-
schauung musste ich deshalb kommen, weil diese Vertel-
lung der Keime in den Organen nicht etwa auf die Blut-
gefä theilung zurückgeführt werden konnte; da ich ferner
annehmen musste, dass diese spezifischen Kräfte in den Rn
Von Dr. K. MUELLER. 169
Zellen enthalten oder von ihnen produeirt sein mussten, so
will ich mir die nähere Begründung dieser Ansicht bei Be-
sprechung der zelligen Theorie vorbehalten.
Wenn wir diese letztere Theorie, welche jetzt wohl
von der Mehrzahl der Bacteriologen als die allein gültige
angesehen wird, betrachten, so spalten sich die Ansichten
der Autoren in zwei Lager. Während die einen tiberhaupt
irgendwelche physiologisch - chemische Eigenschaften der
Körperzellen zu Trägern der Immunität machen, sind an-
dere Forscher geneigt, diese Eigenschaft einer besonderen
Art von Zellen des mittleren Keimblattes, den Leucoeyten
und ihnen verwandten Zellen zuzusprechen.
Merschnikorr, der Hauptvertreter dieser letzteren An-
schauung, stellt in seiner Phagocytentheorie ganz all-
gemein die Thatsache, dass Leucocyten im Stande sind,
Fremdkörper und auch virulente Baeterien aufzunehmen
als Grund der natürlichen und erworbenen Im-
Munität gegen Infeetionskrankheiten hin.
Es ist in der That kein Zweifel darein zu setzen, dass
die Phagocytose ausserordentlich rasch einsetzen kann, so
man sie wohl als Ursache der Immunität, als Haupt-
vernichtungswerkzeug des Körpers, betrachten könnte. Eben-
sowenig lässt sich bezweifeln, dass vollvirulente Bacterien
von den Fresszellen aufgenommen werden. METSCHNIKOFF
hat dies experimentell erwiesen.
Dass ferner in den Leueoeyten chemische Umsetzungen
statthaben, konnte er dadurch zeigen, dass er Larven von
Triton taeniatus den Schwanz abschnitt und den Stumpf mit
Lakmuspulver einrieb. Bald darauf erschien ein Theil der von
den ausgewanderten Leueocyten aufgenommenen Körnchen
hellroth.- Aehnliches beobachtete Lunarsch bei Aseidien
nd Torpedos, denen er Carminemulsion direet ins Blut
oder unter die Haut gespritzt hatte. Es zeigte sich dabei
wikroskopisch deutlich ein Auswahlvermögen der Leuco-
‘yten, indem sie kleinste und sehr grosse Carminkörper
" liessen und nur die mittelgrossen aufnahmen und
theilweise verdauten. Aehnlich ist es ja auch mit den auf-
genommenen Bacterien. Diese zeigen einmal mehr oder
weniger ausgesprochene Degenerationserscheinungen; a = e
170 Ueber Immunität und Immunisirung.
ander Mal aber bleiben sie unverändert. Trotz dieser
ausserordentlich bestechenden Gründe darf man aber ohne
weiteres die Phagoeytose nicht als hauptsächlichen Immu-
nisirungsfactor ansehen.
Je grösser die Eiterung, also je ausgesprochener die
Phagoeytose, um so acuter pflegt z. B. bei der Gonorrhoe
und der Diphtherie der Krankheitsprozess zu sein.
Iudem nun MErschsikorr von der Ansicht ausging,
dass es gelingen müsse, bei Thieren in deren Körper seiner
Meinung nach Sporen am Wachsthum durch die Phagocyten
verhindert werden, das Auskeimen dadurch zu ermöglichen,
dass man die Leucocytenansammlung hindert, führte er in
den Lymphsack des Frosches Milzbrandsporen ein, die er
in kleine Fliesspapierpackete gebracht hatte.
Während nun in den Controllfröschen, wo Leucoeyten
zu den Sporen freien Zutritt hatten, diese nicht auswuchsen
trat in den Packeten, wohin Leueocyten gar nicht oder
nur in sehr geringer Menge dringen konnten, Auskeimen
zu Bacillen ein.
Wenn dies auch für die Phagocytose als Immunisirungs-
factor sehr beweisend scheint, so ist doch die Beobachtung
von Bucuxer, dass durch den Durehtritt von Serum durch
diffundible Membranen dieses modifieirt wird, schwer ins
Gewicht fallend.
Es braucht also gar nicht die Abwesenheit der Leueo-
eyten zu sein, welche das Auskeimen ermöglichte, vielmehr
kann die Veränderung des Serums die Ursache sein.
Sollten aber vor allen Dingen thatsächlich die Fress-
zellen so bevorzugte Kampforgane des Körpers vorstellen,
wie METSchNIKorF dies will, so müsste man das Auftreten
der Phagoeytose ganz parallel dem Immunitätsgrade be-
obachten können. Dies wird jedoch von der grössten Ani,
zahl der Autoren, besonders den deutschen ganz entschieden
in Abrede gestellt. Ich selbst konnte bei meinen Studien
an Ratten niemals Phagveytose zu Gesicht bekommen.
Dann aber ist ein nicht unwichtiger Factor gegen die Pha-
goeyten-Theorie, jenes von mir schon erwähnte speeifische
Verhalten der einzelnen Organe dem Infectionserreget
gegenüber, welches ich in 50 Fällen beim Milzbrand der
Von Dr. K. MUELLER. 171
Ratten mikroskopisch nachweisen konnte. Der oft zu den
angerichteten pathologischen Veränderungen ganz asyme-
trische Gehalt an Bacterien, welcher, wie schon bemerkt, nicht
durch die Blutvertheilung sich erklären liess, sowie die
Beobachtung, dass sich in diesen Organen durch Unter-
suchung in verschiedenen Zeitabschnitten, die Verminde-
rung der Keime, nach einem bestimmten Zeitintervall,
numerisch nachweisen liess, legte mir die Vermuthung nahe,
dass es in jedem Organe besondere Kräfte sein müssten,
welche den Kampf gegen die Baecterien führten.
Niemals sah ich Phagoceytose und glaubte mich zur
Annahme berechtigt, dass nieht ein gleichmässig über den
ganzen Körper verbreitetes Prineip, wie die Leucoeyten,
die Immunität allein bedingen konnten, sondern neben
ihnen jede einzelne ÖOrganzelle. Fernerhin musste ich, da
ich auch in andern Zellen eingeschlossene Keime nie vor-
fand, zur Ansicht kommen, dass nicht eine Fressthätigkeit
der Zellen, sondern die Aussonderung chemischer Producte
durch diese die Immunität ermögliche. Merscuxorr hat
in allerneuester Zeit meine Auffassung dahin kritisirt, dass
8 gar nicht ausschliesslich die Leueocyten seien, welche
die Keime in den Organen durch Verdauung vernichteten,
sondern neben ihnen, sogen. Macrophagen, eine ausser-
ordentlich eigenthümliche Zellgruppe, welche er sich z. B.
in der Leber durch Zusammenfliessen der Endothelzellen
der Kapillaren mit Wanderzellen entstanden denkt, und die
merkwürdig bizarre Formen und eine enorme Grösse an-
nehmen können.
Er meint, indem ich nach Mierophagen, also einfachen
Leueocyten suchte, habe ich jene, wie er selbst sagt, oft
ausserordentlich bizarren und schwer zu deutenden Formen
übersehen. Es bedurfte nattirlich nur der Anregung von
80 hervorragender Seite für mich, um mich sofort meine
P Täparate, aber auch jetzt mit demselben Erfolg als früher
durchmustern zu lassen. ;
Auch heute noch muss ich METscHxIKorF gegenüber die-
selbe Behauptung aufrecht erhalten, dass ich nur extra
= cellulär gelegene Bacterien vorfinden konnte, und muss an a z
3
172 Ueber Immunität und Immunisirung.
meiner früheren Annahme, der specifischen Bedeu-
tung der einzelnen Körpergewebe, festhalten.
Uebrigens hat in der neusten Zeit, diese von mir be-
anspruchte specifische Bedeutung der Gewebe, ein Schüler
von METScHNIKOFF, WERIGO, am Milzbrand der Kaninchen
bestätigt. Ausserdem sind es aber vor allen Dingen eine
Reihe klinischer Beobachtungen, welche die Bedeutung der
einzelnen Körpergewebe für das Zustandekommen der In-
fection mit absoluter Sicherheit beweisen. Eins der präg-
nantesten Beispiele hierfür ist die durch Staphylokokken-
infeetion des Blutes bedingte acute infeetiöse Osteo-
myelitis, dieaeute Knochenmarkeiterung, der sog. Knochen-
frass. Erfahrungsgemäss erkrankt an dieser Krankheit
nur eine ganz bestimmte Classe von Individuen und zwar
nur solche, die noch nicht ausgewachsen sind. Während
der wachsende Knochen für die Erkrankung ganz ausser-
ordentlich empfänglich ist, ist der ausgewachsene gegen
sie so gut wie ganz immun.
Aber er kann empfänglich gemacht werden und zwar
dadurch, dass er früher einmal während der Wachsthum-
periode in gleicher, wenn auch vielleicht nur in leichter
Weise, erkrankt war; dann bleibt er geschwächt und er-
langt nieht den hohen Immunitätsgrad, wie ihn sonst aus-
gewachsener Knochen hat. Auch Knochen der einmal ge-
brochen war, kann die Disposition zur Erkrankung behalten.
Die Thierexperimente bestätigen diese klinischen Er-
fahrungen gleichfalls; nur bei jungen wachsenden Thieren
gelingt es durch Injeetion von Staphylokokken ins Blut
unter Umständen Osteomyelitis zu erzeugen, bei älteren
Jedoch nur dann, wenn durch eine vorher gemachte Fractur
der Boden für die Infection vorbereitet wird. ;
Ganz ähnlich liegen überhaupt die Verhältnisse bei
den sogen. pyogenen, den eitererregenden Kokken, den
Staphylokokken und Streptokokken. Man glaubte früher,
dass diese Pilze stets Eiterungen erzeugen müssten; ‚baue
wissen wir, dass sie zwar in der Mehrzahl der Fälle In Br
That Eiterungen hervorrufen, in vielen aber auch ig
geringere Grade der Entzündung. Die Ursache für diese 2
verschiedene Wirkung können wir nur in dem speeifiseben 2
Von Dr. K. MuELLer. 173
Verhalten der Gewebe erblicken, ganz besonders dann,
wenn es gelingt an demselben Individuum an der einen
Stelle einen eitrigen, an der andern nur ein serösen Er-
guss, beide erzeugt durch dieselben Mikroorganismen, zu
sehen : Beobachtungen, wie sie von SCHRANK und mir ge-
macht sind. Der von mir beobachtete Fall, bei dem es
sich um eine mächtige Eiteransammlung am Oberschenkel
bei einer Osteomyelitis und einem serösen Erguss im Knie,
beide Staphylokokken enthaltend, handelte, ist deshalb
ganz besonders beweisend für diese Auffassung von der
specifischen Bedeutung der Körpergewebe, als Thierver-
suche zeigten, dass sowohl die Staphylokokken des eitrigen
als die des serösen Ergusses denselben Virulenzgrad be-
sassen.
Nach dieser Beobachtung giebt es überhaupt keine
andere Erklärungsmöglichkeit, als den Grund der ver-
schiedenen Wirkung in dem verschiedenen Resistenzgrade
der Gewebe zu sehen.
Wenn wir das letzte nochmals zusammenfassen, so be-
ruht also das Wesen der Immunität weder in der Fress-
thätigkeit der Leucocyten, noch in der bacterieiden Kraft
der Körpersäfte, sondern in den jeder einzelnen
Körperzelle in verschiedenem Grade zukommen-
den bacterienfeindlichen Eigenschaften.
Nach diesen Auseinandersetzungen über die einzelnen
Theorien der Immunität, wollen wir zur Besprechung der
künstlichen Erzeugung derselben übergehen.
Nachdem wir gesehen haben, dass es im wesentlichen
die Zellen sind, welche durch ihren Kampf gegen die
Eindringlinge, die relative d. h. beschränkte oder absolute
Immunität (Lusarscn) bedingen, so ist es klar, dass es
durch Anregung dieser Gebilde gelingen muss, wenigstens
gewisse Grade der Immunität zu erzeugen. In der That
ist ein kräftiger, gut genährter Organismus gegen die
Mehrzahl aller Infeetionen, weit widerstandsfähiger als
ein schlecht genährter, durch frühere Erkrankungen her-
"ntergekommener, eine Beobachtung, wie sie auch das Ex-
Periment bestätigt hat. Hungernde oder erschöpfte Thiere
werden leichter infieirt als kräftige. In letzterer Hinsicht
174 Ueber Immunität und Immunisirung.
ist besonders lehrreich der Versuch von CHARRIN u. ROGER,
welche Ratten nur dann milzbrandempfänglich machen
konnten, wenn sie diese Thiere in einer Tretmühle
fortgesetzt laufen liessen.
Doch allein reichten natürlich diese Hilfsmittel niebt
aus, die Immunität zu erklären, aber die Beobachtung hat
uns andere in die Hand gegeben.
Untersuchen wir eine Cultur irgend eines Pilzes, so
fällt es auf, dass meist schon nach kurzer Zeit eine mehr
oder weniger grosse Zahl von Individuen degenerirt oder
abgestorben sind und zwar nicht, wie man zuerst annehmen
musste, in Folge Nahrungsmangels, denn die Cultur kann
sich dabei üppig weiter entwickeln, sondern unter dem
Einflusse der durch die Pilze selbst ausgeschiedenen Stof-
wechselproducte. Es müssen also in der Cultur Stoffe vor-
handen und zwar durch das Wachsthum der Pilze erzeugt
sein, welche wenigstens auf die älteren Individuen ent-
schieden schädlich einwirkten — dies der Punkt, bei dem
unsere Bestrebungen zur Erzeugung künstlicher Immunität
einsetzen müssen.
Wenn ein Organismus an irgend einer Infection er-
krankt, so kann man sich wohl vorstellen, dass auch hier
in derselben Weise unter den Einflüssen der ausgesonderten
Stoffwechselproduete, schliesslich die Keime untergehen
und dass auf diese Weise eine Selbstimmunisirung des
Organismus erfolgt.
Unter Umständen kann diese Selbstimmunisirung eine
ausserordentlich kräftige und lang dauernde sein. So z. B.
ist es bekannt, dass ein Mensch, nach einmaligem Ueber-
stehen der Pocken oder des Scharlachs, meist nicht wieder
daran erkrankt. Wenigstens ist der Schutz ein über Jahr-
zehnte ausgedehnter. Ebenso verhält es sich z. B- bei den
Masern und bei der Lues.
Diese Beobachtung führte den Menschen darauf, ähn- _
liches künstlich zu versuchen. Den ersten und noch ausser
ordentlich gefährlichen Versuch dieser Art unternahm
JEnxer, die Inoculation der Menschenblattern als
Schutz gegen die Erkrankung, bald aber lernte er dureh a
die segensreiche Erfindung der Kuhpockenimpfung dieses
Von Dr. K. MUELLER. 175
gefährliche Vorgehen ersetzen. Tausende von Menschen-
leben sind thatsächlich durch die zwangsweise Einführung
dieser Maassregel in der Mehrzahl der eivilisirten Länder
im Laufe der Jahre gerettet worden und die Pocken sind
dadurch in Deutschland zu einer der seltensten Erkrankungen
geworden.
Dies Verfahren beruht darauf, dass man durch abge-
schwächte Keime derselben Art eine meist sehr milde
verlaufende Erkrankung erzeugt, durch deren Ueberstehen
aber der Organismus selbst gegen vollvirulente Mikroorga-
nismen immun wird. Man muss sich das so erklären, dass
durch diesen Abschwächungsvorgang die krankmachenden
Substanzen oder die prädisponirenden, wie sie die Fran-
zosen nennen, ungleich stärker beeinflusst und zerstört
werden, als die vaceinirenden.
Ueber die einzelnen Metboden der Abschwächungs-
möglichkeit kann ich mich natürlich nicht weiter aus-
lassen, und will nur bemerken, dass auf einem ähn-
lichen Prinzip auch die von Pasrtzur erfundene und in
Frankreich vielfach mit nicht so schlechtem Erfolg geübte
Schutzimpfung der Schafe gegen Milzbrand gehört. Auch
noch gegen andere specifische Thiererkrankungen ist, wenn
auch in geringerer Ausdehnung derselbe Vernichtungsweg
eingeschlagen worden.
. Sind es nun aber die Stoffwechelproducte, durch
die Bacterien verderbend oder vaceinirend wirken, so
durfte man annehmen, dass sich auch mit den Stoffwechsel-
producten dieser allein, ohne lebende Bacterien, gleiches
würde erreichen lassen.
In der That sind auch die in dieser Hinsicht unter-
Nommenen Versuche von Erfolg gekrönt gewesen. Hier-
her gehört eine Methode Fraunker’s gegen Diphtherie bei
Thieren, ferner wohl auch die von Pasreur ausgeübte
Impfung gegen Hundswuth und endlich die allen bekannten
Versuche mit Tuberkulin gegen das Schreckgespeust
der Menschheit, die Tubereulose. Leider haben sich ja
die überschwänglichen Hoffnungen, welche besonders in
Laienkreisen auf dies Mittel gesetzt wurden, nicht bestätigt.
176 Ueber Immunität und Immunisirung.
Trotzdem ist aber sein Werth in keiner Hinsicht zu unter-
schätzen.
Nach diesen Beobachtungen und Bestrebungen hatte
man auch die Erklärung für die seltsame Naturerscheinung,
dass gewisse Individuen mit einer zunächst ganz räthsel-
haften individuellen Immunität ausgerüstet sind, gefunden.
Man konnte das so erklären, dass es wohl irgend welche
von immunen Vorfahren her, die vielleicht durch einmaliges
Ueberstehen gewisser Erkrankungen die Immunität gegen
diese erworben hatten, ererbte Fähigkeiten sein müssten,
welche die betreffende Nachkommenschaft immunisirt
hatten.
Auf der Nutzbarmachung dieser Idee beruhen die Ver-
suche durch Uebertragung von Säften oder Organbe-
standtheilen immuner und immun gemachter Thiere,
Immunität bei anderen künstlich zu erzeugen. In der That
gelingt dies und gerade diese Art der Immunisirung ist
es, welche heute besonders durch die Publikationen von
Benrisg, als die sogen. Serumtherapie, die Augen der
ganzen Welt auf sich gelenkt hat. Wie auch die hier zur
Immunisirung benutzten Körper beschaffen sein mögen, ob
sie Serum gewisser Thierarten, wie Bernurıne’s Heilserum
gegen Diphterie, oder das von ihm und Kırasaro gegen
Tetanus, oder Organbestandtheile meistens in Pulverform,
wie die Immunisirungsmethoden anderer, darstellen mögen,
alle haben das Uebereinstimmende, dass es sich um Ueber-
impfung der immunisirenden Substanz vermittelst fremd-
artiger Thierbestandtheile handelt.
Wenn ich den dornenvollen Weg, der zu dieser Mög-
lichkeit führt, schildern soll, so ist es der, dass zunächst
kleine, von diesen wieder grössere Thiere durch irgend-
welche Mittel,. auf einen genügend hohen Immunisirungs-
grad gebracht werden müssen, ein Vorgehen, welches, wen”
es für den Menschen brauchbares Material liefern soll
neben grosser Sorgfalt und Geduld, sehr lange Zeit in An
spruch nimmt. Ausserdem vereitelt frühzeitiger Tod der
Versuchstbiere, oder ein in die schliesslich gewonnene
Substanz hineingelangter Keim, in wenig Stunden ds m
zahlreichen Tagen mühsam abgerungene.
Von Dr. K. MUELLER. 177
Denn alle diese Körper und darin liegt die Schwierig-
keit ihrer Behandlung vertragen Hitzegrade, welche Ei-
weis koagulieren, nicht mehr, sie werden zerstört. Trotz-
dem ist man aber in den letzten Jahren ein gut Stück
weiter gekommen und besonders der Serumthera pie scheint
in der That eine Zukunft bevorzustehen. Den gauz beson-
deren Vorzug dieser Art von Immunisirung hat man aber
darin zu suchen, dass diese Substanzen nicht nur durch
vorheriges Einspritzen- den Organismus vor der Infeetion
schützen können, sondern dass sie im Stande sein sollen,
den bereits erkrankten zu retten. Wir haben also
in ihnen ein ganz specifisches Präparat vor uns, welches
gewissermaassen auf die bereits im Körper kreisenden Gift-
stoffe, ohne die Zellen zu verletzen, neutralisirend wirkt.
„Es ist deshalb“, sagt der Erfinder dieses Verfahrens,
Beuris«, „nicht mehr ein Schritt ins dunkle, wenn die
praktische Verwendung meines Heilverfahrens auch für den
Menschen durch Versuche in grösserem Maasstabe in An-
griff genommen wird.
Wir haben gegründete Ansicht, die in Frage kommen-
den Heilmittel aus dem Blut von den unwirksamen Körpern
desselben abzutrennen und dieselben in eine Form überzu-
führen, welche ebenso haltbar und bandlich ist, wie die,
in welcher andere Mittel aus den Apotheken abgegeben
werden.
Auch die Gefahren, welche in der Verwendung fremd-
artigen Thierblutserums auf den Menschen beruhen, glaubt
Beneisg ausschliessen zu können. Dass durch die Erfin-
dung von Koskr. wieder ein wesentlicher Schritt zur Ver-
Wirklichung der Idee geschehen ist, brauche ich nicht erst
zu erwähnen.
Hoffen wir zum Segen der Menschheit, dass also
Beuring’s Ansicht sich bestätigen möge. Sollte dies in der
That der Fall sein, so hätten wir das, was ich am Beginn
des Aufsatzes als Forderung aufstellte, ein Mittel, welches
im Körper die Krankheitserreger oder die von ihnen
erzeugten Giftstoffe vernichtet und den Zellen gegen-
über indifferent ist.
Zeitschrift für Naturwiss, Bd. 67. 1894. 12
178 Ueber Immunität und Immunisiruug von Dr. K. MvVELLER.
Falls sich diese Behauptungen in voller Grösse bewahr-
heiten sollten, dann bedeutet diese Therapie für die innere
Medizin etwa das, was die anti- und die aseptische Wund-
behandlung in der Chirurgie bedeutet, d. h. eine Erfindung
der allergrössten Tragweite und die erfolgreiche Erschliess-
ung von Gebieten, an die der Menschengeist sich bisher
nicht wagte.
Die letzte Frage, welche ich noch zu beantworten habe,
ist die nach der Dauer der künstlichen Immunität. Da
kann man im Allgemeinen den Satz aufstellen, dass die
Erzeugung der Immunität um so unsicherer und
kürzer dauernd ist, je mehr sich die immunisi-
renden Stoffe von den Produkten lebender Bak-
terien entfernen. (Lusarsch).
Wir sehen also, dass nach diesem Grundsatz, der
Beurine’schen Blutserumtherapie die niedrigste Stufe der
Dauer zukommt; sie erstreckt sich in der That nur auf
Wochen. Bedeutend höher steht die Immunisirungsdauer
bei Verwendung abgeschwächter Culturen; sie beträgt bei
Milzbrandimpfung z. B. 2—3 Jahre, bei den Menschen-
blattern sogar 5—10 Jahre.
Die Immunität endlich nach Ueberstehung von Infee-
tionserkrankungen erstreckt sich meist über Jahrzehnte.
Wenn wir nun berücksichtigen, dass trotz der Sehutz-
impfung des Körpers an einer Stelle nicht nur diese Stelle
immun ist, sondern der ganze Organismus, so lässt sich das
nur daraus erklären, dass die immunisirenden Substanzen
in den Körpersäften löslich sind. Darin nun, das einer-
seits die immunisirenden Stoffe in den Körpersäften löslich
sind, andererseits aber die erworbene Immunität eine auf
Jahre ausgedehnte sein kann, darin liegt das physiologische
Räthsel und Unmöglichkeit einer ausreichenden Erklärung
für den Vorgang der Immunität.
Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer
Substanzen.
Von
Prof. Ed. Donath
Brünn.
Die Prozesse, bei welchen eine grosse Anzahl der
verschiedensten organischen Substanzen durch die Ein-
wirkung von Säuren oder Alkalien oder sogenannten un-
geformten Fermenten (Enzyme) unter Aufnabme der Elemente
eines oder mebrerer Moleküle Wasser eine Spaltung, in
manchen Fällen einen successiven Abbau erfährt, sind nicht
nur in physiologischer Beziehung für die Biologie der
Pflanze und des Thieres von grösster Bedeutung, sondern
auch für die Technik bekanntlich von Wichtigkeit. Man
hat deshalb schon seit Langem für die Erklärung dieser
nahezu räthselhaften Prozesse die verschiedensten Theorien
aufgestellt!), (Siehe Dr. AnorLr Meyer, die Lehre von
den chemischen Fermenten oder Enzymologie, Heidelberg
U. 8. w.) Ich habe ebenfalls schon vor zwanzig Jahren,
als ich mich mit dem Studium des von mir „Invertin“ ge-
Nannten ungeformten Fermentes der Bierhefe beschäftigte,
in einem Vortrage im natnrforschenden Vereine zu Brünn
!) Wie weit die theoretischen Anschauungen über ähnliche
Prozesse früher in blosse Hypothesen übergingen, ergiebt sich aus
an spitzige Glassplitter durch die scharfen Kanten derselben in ihre
Atome zerfallen. ee
12*
180 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
eine Anschauung tiber dieselben ausgesprochen. Auf Grund
der inzwischen wesentlich geänderten theoretischen An-
schauungen, weiterer Beobachtungen Anderer und einiger
eigener Versuche möchte ich mir in Folgendem erlauben,
den genannten Prozessen eine allgemeine Deutung zu geben.
Ich bin zu derselben wesentlich durch folgende Be-
trachtungen gelangt.
Erstens werden die der hydrolytischen Spaltung fähigen,
verschiedenartigsten Substanzen von labilerem Molekül
wie: Kohlehbydrate, Fette, Proteinsubstanzen, Glyeoside
u. s. w. bei Aufnahme der Elemente eines oder mehrerer
Molektle Wassers stets in Substanzen von stabilerem Mole-
küle, von geringerer Atomzahl gespalten, wobei gleich-
zeitig die Spaltungsprodukte zusammen eine beträchtlich
geringere Verbrennungswärme besitzen, als die ursprüng-
liche Substanz, so dass es bekannten thermochemischen
Grundsätzen entsprechend zweifellos ist, dass bei diesen
Prozessen Wärme entwickelt, also potentielle Energie (che-
mische Spannkraft) in kinetische Energie (Wärme) umgesetzt
wird. Nach den Bereehnungen, welche über einige der be-
kanntesten Prozesse dieser Art in Naumanns Handbuch der
Thermochemie 1882 S. 417 angestellt sind, sind die eni-
sprechenden Umsetzungswärmen sogar ziemlich beträcht-
liche; doch ist meines Wissens noch keine derselben bisher
experimentell festgestellt worden.
Ein weiteres für die Betrachtung dieser Vorgänge mir
massgebendes Moment war der dritte thermochemische
Grundsatz BERTHELOTS?), das Prinzip der maximalen Arbeit,
nach welchem eine jede chemische Uebersetzung oder
1) Der Chemismus der chlorophylihaltigen Pflanze; zwei Vor-
träge im naturforschenden Verein in Brünn 1873. :
2) Ich kenne wohl die gewichtigen Gründe, welche gegen die
Allgemeingültigkeit dieses Satzes von verschiedener und berufenster
Seite vorgeführt wurden; aber selbst Prof. Dr. Nernst, der dieselben
in seinem vorzüglichen allgemeinen Theile von Dammers Handbuch
der unorganischen Chemie 1892 kritisch zusammenstellt, sagt, 8.31,
dass „trotz der energischen Abwehr der Allgemeingültigkeit dieses
Prinzipes keinesfalls gegen die vorsichtige Verwendung dieses Satzes
als einer erfahrungsgemäss häufig stimmenden Regel Einspruch er
hoben werden darf“.
Von Prof. Ep. DonATH. 181
Veränderung, welche sich ohne Dazwischenkunft einer frem-
den Energie vollzieht, die Erzeugung jener Körper anstrebt,
bei deren Bildung die grösste Wärmeentwickelung erfolgt.
Die dritte mich leitende Betrachtung war folgende.
In dem Molekül Wasser sind nicht beide Wasserstoffatome
gleichwerthig (siehe darüber Gaxswinpr: Constitution des
Wassermoleküls. Ch. Zeit. Rez. 1891. 161 und Andere).
Das eine in der Hydroxylgruppe enthaltene scheint in
festerer Bindung mit dem Sauerstoff zu sein als das zweite,
so dass man die Formel des Wassers gewissermassen als
H—OH und nicht H—0O—.H aufzufassen hat. Von der
grossen Molekularbildungswärme des Wassers ist eben der
weitaus grösste Theil auf Rechnung der Hydroxylbildung
zu setzen, so dass die Bindung des zweiten Wasserstof-
atomes bei der Wasserbildung mit weitaus geringerer
Energie erfolgt und deshalb eine weniger feste ist, als die
des ersteren. Weiter lässt sich auch aus den bisherigen
thermochemischen Resultaten folgern, dass die Wärme-
tönung, welche bei der Hydroxylbildung auftritt, beträcht-
licher ist als irgend eine, die der Bindung eines Sauer-
stoffatomes mit irgend einer Kohlenstoff und Wasserstoff
enthaltenden Atomgruppe oder einer anderen Atomgruppe
überhaupt entspricht. Wenn wir daher in einem Molekül
einer labileren organischen Verbindung ein Sauerstoffatom
mit zwei solchen Atomgruppen R’ und R in der durch
R
R:>0
ausgedrückten Formel in Bindung sehen, wie sie den
Aethern, Anhydriden !) entspricht, so wird das Molekül
dieser labileren Verbindung an dieser Stelle den schwäch-
sten Angriffspunkt besitzen, weil das Sauerstoffatom das
Bestreben haben wird, in eine mit grösserer Wärmetönung
—.
') TOLLENS nennt diese Art der Sauerstoffbindung die des
Aethylen- und Propylenoxydes. Maronuewskı, Berl. Ber. 183,
2929, nennt diese Bindung äthylenoxydartig. Die Ursachen, die mich
zur Bezeichnung dieser Bindungsart als ätherartige oder Anhydrid-
bindung veranlassen, bedürfen wohl keiner näheren Erörterung.
182 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
verbundene Bindung, in die Hydroxylgruppe einzutreten.
. Lassen wir nun auf diese labilere organische Substanz
Wasser im molekularen sfatus nascens einwirken, also ent-
sprechend
|
— H = D—H+
a ensahne I
Bon Ron
so wird durch das eine ohnehin lockerer gebundene Wasser-
stoffatım des Wassermoleküles das Sauerstoffatom zur Hydro-
xylbildung veranlasst. Es tritt an dieser Stelle eine Spaltung
des labileren Moleküls ein, und es entstehen zwei Spaltungs-
produkte, von denen jedes eine Hydroxylgruppe im Mole-
kül mehr enthält, wobei infolge der der Hydroxylbildung
entsprechenden grösseren Wärmetönung Wä twickelung
auftritt, also eine Art innerer Verbrennung erfolgt.
Es handelt sich nun darum, zu zeigen, ob diese, wie
ich glaube durchaus unseren gegenwärtigen Anschauungen
entsprechenden und nicht gezwungenen Argumentationen
bei den bydrolytischen Spaltungen, die z. B. durch Säuren
oder Alkalien bewirkt werden, zutreffen.
Soweit wir die Structur der solcher hydrolytiseber
Spaltungen durch Enzyme fähigen Körper, also der Kohle-
hydrate, Glycoside, Fette, Proteinsubstanzen kennen, können
wir allerdings nur bei einem Theile derselben mit einiger
Bestimmtheit annehmen, dass in ihrem Molekül mindestens
ein Sauerstoffatom in der oben bezeichneten anhydrid-
ähnlichen Bindung enthalten ist!). Bezüglich der von den
Kohlehydraten noch am wenigsten studirten Stärke- und
Stärke und Cellulose sind gewiss als hocheomplicirte, aber äther-
artige Verbindnng aufzufassen, wofür nebst anderen die von
RACONNOT, FFHLING, insbesondere aber von HönıG und SCHUBERT
(Monatsheft für Chemie 1885) untersuchten Schwefelsäureesi
sprechen; ihrer Struetur nach sind sie wahrscheinlich zugleich Aether
und zugleich Alkohol.
1) Veber die Constitution der Glycoside siehe die jüngste |
Mittheilung von L. MarcuLewskı (Berl. Ber, 1893. 2928)
Von Prof. En. Doxatn. 183
Cellulosegruppe, deren Spaltung und Abbau durch Säuren
und Enzyme nicht nur am interessantesten, sondern auch
technisch am wichtigsten ist, wird von mehreren Forschern,
die über ihre Constitution bestimmte Anschauungen aus-
gesprochen haben, das Vorhandensein mehrerer Sauerstoff-
atome in solcher Bindung angenommen‘). (Siehe Fırrıe:
Ueber die Constitution der sogenannten Kohlehydrate,
Tübingen 1871 und Torzens: Kurzes Handbuch der Kohle-
hydrate.) Bezüglich der Fette und einiger anderer dieser
Substanzen können wir das mit Bestimmtheit annehmen.
Betrachten wir nun speciell näher die Vorgänge, die
bei der Einwirkung verdünnter Schwefelsäure auf Stärke,
also bei unserem technischen Prozesse der Traubenzucker-
gewinnung sich abspielen. In der verdünnten Schwefel-
säure müssen wir den thermischen Verhältnissen beim
Mischen von Schwefelsäurehydrat und Wasser entsprechend
ein Hydrat der Schwefelsäure existierend annehmen, indem
auf ein Molekül SO,H, eine bestimmte grössere Anzahl
von Molekülen H,0, gewissermassen in Form einer Mole-
kularverbindung enthalten sind. (Siehe Tuomsen, PICKERING
und Andere.) Zwischen der Schwefelsäure, einem Körper
von so stark acidem Charakter und der Stärke darf wohl
selbst bei dieser Verdünnung der Schwefelsäure keine
völlige Indifferenz angenommen werden?), wenn es auch
nn
') C. SCHEIBLER und H. MiTTELMEYER haben allerdings 18%
(Berl. Ber. 3060) andere Anschauungen über die Constitution der
Granulose (dem charakteristischen Bestandtheile der Stärke) aus-
&eSprochen. Nach ihnen besteht das Molekül der Granulose aus
einer noch nicht bekannten Anzahl von Glycosegruppen, die mittelst
Monoearbonyl und auch mittelst einer Dicarbonylbindung verknüpft
in müssen, Lässt man diese Anschauung gelten, so wird dennoch
an den obigen Folgerungen nichts geändert, denn auch hier wird der
Sauerstoff aus mehrfachen Gründen, ja vielleicht noch in hüherem
Grade die Neigung besitzen, in die Hydroxylbindung überzugehen.
Im übrigen sind in der jüngst veröffentlichten Mittheilung der ge
nannten Forscher (Ber. 1893, 2930) über die Constitution des Rohr-
zuckers und der Stärke Formeln benutzt worden (für Rohrzucker
CO, . © . CyH410z und für Stärke OsHu05 . O +»... CoHuOn), die
mit den hier gemachten Annahmen wohl im Einklange stehen.
%) n nach Höxıc und Schugerr und Anderen a. a. 0.
Stärke und Cellulose mit eoncentrirter Schwefelsäure so leicht
184 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
zu keiner chemischen Action kommt. Diese gewisse
chemische Spannung aber bewirkt insbesondere, wenn Er-
wärmung der Flüssigkeit dazutritt, eine Spaltung des
höchsten Schwefelsäurebydrates, wobei ein Molekül Wasser
desselben abgespalten wird entsprechend der Formel
(S0,H,+XH3;0) = (SO,H,+X — 1.H,0)-+H30.
In diesem Zustande des molekularen status nascens
aber wirkt das eine Wasserstoffatom auf eines der in der
Stärke in der Bindungsform
R
p >20
|
vorhandenen Sanerstoffatome, die Hydroxylbindung an-
strebend, ein und es erfolgt eine Spaltung des hoch zu-
sammengesetzten labilen Stärkemoleküls unter Bildung
eines Zuckers und eines anderen Kohlehydrates von der
allgemeinen Formel Ce HjozO;,, welches in gleicher Weise
fortgesetzt wahrscheinlich solange Spaltungen erfährt, als
noch ein Sauerstoffatom in dieser erörterten Bindungsform
enthalten ist. Das durch Abspaltung eines Wassers ent-
standene niedrigere Hydrat der Schwefelsäure kann, nach-
dem Wasser im Ueberschusse vorhanden ist, sich wieder
unter Aufnahme desselben in das frühere, höhere Hydrat
verwandeln und dadurch wieder in derselben Weise wie
früher wirksam werden. Ist schliesslich durch den fort-
währenden Verbrauch an Wasser zur Hydrolisirung die
verdünnte Schwefelsäure gewissermaassen concentrirter ge
worden, so wird sie allerdings andere Wirkungen aus
zuüben vermögen. Auch in der verdünnten Salzsäure
dürfen wir wohl verschiedene Hydrate des Chlorwasser-
stoffes existirend und deshalb die gleiche Wirkung der-
selben annehmen. Aehnliche Betrachtungen dürfen aber
auch auf die meisten in wässeriger Lösung befindlichen
Schwefelsäureester bilden, so wird zwischen Stärke und der hoch-
hydratisirten Schwefelsäure, wie wir sie in der verdünnten Schwefel-
säure annehmen müssen, doch immerhin auch eine gewisse chemische
Spannung ein gewisses Bestreben nach chemischer Umsetzung AU
genommen werden dürfen.
Von Prof. Ep. DoNATH. 185
Säuren ausgedehnt werden. Noch berechtigter sind dieselben
bei den z. B. vielen Glycosiden gegenüber sich als Spal-
tungsmittel erweisenden Alkalien, welche in wässerigen
Lösungen ebenso hydratisirt angesehen werden können,
wie die sogenannten starken Mineralsäuren.
Man könnte einwenden, wenn Schwefelsäure und
Kaliumhydroxyd in ihren wässerigen Lösungen in gleicher
Weise hydratisirt sind, warum wirkt letzteres nicht ebenso
hydrolytisch auf Stärke ein wie erstere. Allein diesem
Falle fehlt eine wesentliche Vorbedingung, nämlich das
Bestreben chemischer Anziehung und Umsetzung zwischen
den beiden genannten Substanzen. Zwischen der Stärke,
welche in ihrer Structur zwischen der eines Aethers und
der eines Alkohols steht, also gewissermassen electro-
positiven basischeren Character besitzt, und der stark
aciden Schwefelsäure kann ein solches Umsetzungsvermögen
angenommen werden, nicht aber zwischen Stärke und
Kaliumhydroxyd, welche gewissermassen einen gleichen
electrochemischen Charakter besitzen. Dafür sprechen
auch die Erscheinungen bei der hydrolytischen Spaltung
der Glyeoside. Manche derselben sind vorzugsweise durch
Alkalien spaltbar; aber das eine der Spaltungsprodukte
hat dann zumeist den Character eines Aldehydes oder
Phenols, eines mehr aciden Körpers und diese Spaltung
ist dann eigentlich als eine Art Verseifung aufzufassen.
ü neuerer Zeit (siehe Nersst in Dammers Hand-
buch ete. S. 277) fasst man auch die Zuckerinversion
durch Säuren als eine specifische Wirkung der freien
Wasserstoff-Ionen auf, welche den gegenwärtigen Anschau-
üngen der physikalischen Chemie entsprechend, nur in
einer wässerigen Lösung von Säuren enthalten sein können.
Allein wie ist dann die Inversion des Zuckers durch In-
vertin zu erklären, die Umwandlung der Stärke und
anderer Substanzen durch Wasser allein ete.?')
.. Pass in vielen Fällen zur hydrolytischen Spaltung
Dicht einmal die Gegenwart solcher in hydratisirter Form
BE seien,
') Man sieht übrigens, dass die von mir entwickelte Theorie
yurchans nichts enthält, was mit der Annahme der Wirkung freier
asserstoff-Ionen so direet im Widerspruch stünde, denn auch ich
186 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
in Lösung vorhandener Säuren oder Alkalien nothwendig
ist, ist aus vielen Fällen bekannt. So wird Stärke schon
durch blosses Kochen mit viel Wasser thatsächlich ver-
ändert (C. J. Liwıser und 6. Dürr. Berl. Ber. 189.
2537) und der Stärkekleister enthält wahrscheinlich bereits
Amylodextrin neben anderen Substanzen.
Ganz besonders wichtig sind in dieser Richtung die
Untersuchungen Zurkowskys (Ber. der österr. Gesell. ete.
1888, S. 2) über den Abbau der Stärke durch Glycerin,
und es ist sehr bedauerlich, dass dieselben weder durch
ihn noch durch andere mit der Stärke sich beschäftigenden
Forscher fortgesetzt wurden. Er hat constatirt, dass durch
Einwirkung von erhitztem Glycerin auf Stärke eine weiter-
gehende Spaltung der Stärke erfolgt, wobei nicht nur die
Dextrine von niedrigstem Molekulargewicht, wie Erythro-
dextrin und Achrodextrin, sondern auch Substanzen ent-
stehen, welche in absolutem, ja sogar in Aetheralkohol
löslich sind und deshalb ein ganz anderes Verhalten als
die Dextrine im Allgemeinen zeigen.
Solange die Zusammensetzung der dabei erhaltenen
Produkte nicht bekannt ist, weiss man nicht, ob man e8 hier
bloss mit einem Abbau der Stärke durch Sprengung ihres
Moleküls in solche von geringerem Molekulargewichte aber
der gleichen procentischen Zusammensetzung oder gleieh-
zeitig mit einer Hydrolyse und Bildung hydroxylreicherer
Substanzen zu thun hat. Er erschien mir nun der We
danke sehr naheliegend, die viel leichtere hydrolytische
S;altung, die Inversion gewisser Zuckerarten durch Glycerin
zu untersuchen. i
In einem käuflich erbältlichem Glycerin von spec!
fischem Gewicht 1-2556 bei 17'500, also ungefähr 97°
Glycerin enthaltend, wurden 10°/, des Gewichtes an M#
nade aufgelöst und die Lösung in offener Schaale eine
halbe Stunde bei 130°C erhitzt. Die unverändert aus
sehende verdünnte Flüssigkeit gab nun mit Fenuine’scher
sehe als die Hauptursache der hydrolytischen Spaltungen die Wirkung |
der beim Abspalten von Wasser vorübergehend in einen status n
artigen Zustand ausser dem Hydroxyl befindlichen Wasserstoll _
atome an. nn
Von Prof. Ep. DONATH. 187
Lösung erhitzt starke Ausscheidung von Kupferoxydul und
ein quantitativer Versuch ergab, dass 420), des Zuckers
in Invertzucker umgewandelt war. Bei einem zweiten
Versuche wurden 9-3545 gr Raffinade in 100em? Glycerin
gelösst, welches vorher mit 10°/, seines Gewichtes mit
Wasser verdünnt wurde und nun in gleicher Weise wie
vorher verfahren; die Menge der invertirten Sacharrose
betrug jetzt 7-3 /,. Bei einem dritten Versuche mit Glycerin,
das mit 20°), Wasser vorher verdünnt wurde, betrug die
invertirte Rohrzuckermenge 15'3°%,, und als die Versuche
mit diesem wasserhaltigen Glycerin in einer Livrer’schen
Druckflasche bei 120—130°C wiederholt wurden, ergab
sich, dass über 60°/, des Rohrzuckers invertirt waren. —
Dementsprechend zeigten auch die Lösungen im Halb-
schattenapparate eine beträchtliche Abnahme der Rechts-
drehung. Als die Versuche mit wässerigem Glycerin in
der Lixtxer’schen Druckflasche durch mehrere Stunden
bei 150—190°C ausgeführt wurden, zeigten die Flüssig-
keiten bereits Linksdrehung, jedoch gleichzeitig eine ziem-
lieh beträchtliche Färbung, ein Beweis, dass eine theilweise
Zersetzung, wahrscheinlich der gegen höhere Temperaturen
besonders empfindlichen Lävulose eingetreten war').
In gleicher Weise wurden Versucbe mit Dextrin,
Maltose und Milchzucker mit Glycerin, dem 10°), Wasser
zugefügt wurden, angestellt. Eine Umwandlung des Dextrins
= Dextrose war hierbei nicht nachzuweisen, dagegen war
eine partielle Umwandlung der Maltosein Dextrose, nachweis-
bar durch die Zunahme des Reduetionsvermögens und die
Veränderung des Drehungsvermögens und in noch höhereın
Grade aber keineswegs vollständig war eine Inversion des
Milchzuckers erfolgt. Es ergiebt sich demnach, dass Rohr-
zucker, Milchzucker und Maltose durch Erhitzen mit
wässerigem Glycerin eine hydrolytische Spaltung in dem
Sinne, wie sie durch verdünnte Mineralsäuren bewirkt
Wird, erfahren und zwar am leichtesten die Sacharose
und am schwierigsten die Maltose. Es entspricht dies auch
. » Vielleieht ist durch das Glycerin bei dieser Temperatur schon
eine stärkere „Reversion“ der Lävulose herbeigeführt worden.
188 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
dem Verhalten der genannten Zuckerarten bei der Inversion
durch verdünute Mineralsäuren, wobei Sacharose am
leichtesten, Milchzucker weniger leicht und am schwierig-
sten Maltose (und Trehalose) invertirt werden.
Diese wenigen Thatsachen'!) sind für die Theorie der
hydrolytischen Spaltungen, wie ich glaube, doch schon
von einem gewissen Werthe. Während das wenig Wasser
enthaltende Glycerin verhältnissmässig nur geringe inver-
tirende Wirkung ausübte, stieg dieselbe nach der Ver- »
dünnung mit 10°), und noch mehr mit 20°), Wasser. Da
wir aus der bekanntlich sehr energischen Absorption von
Wasser durch wasserfreies Glycerin, aus der beim Mischen
desselben mit Wasser eintretenden Contraction und Tempe-
raturerhöhung (Lenz, STROHMER) wohl die Folgerung ziehen
können, dass das Glycerin in hydratisirtem Zustande vor-
handen ist, die vorhandenen Hydrate aber bei den höheren
Temperaturen in vorliegenden Versuchen sich in Glycerin
und Wasser wieder spalten, so liegt doch wenigstens in
vorliegenden Fällen der Gedanke äusserst nahe, dass das
abgespaltene gewissermaassen im molekularen status nascen®
sich befindliche Hydratwasser es ist, welches, unterstützt
durch die höhere Temperatur, die hydrolytische Spaltung
der genannten Zuckerarten bewirkt.
Zur weiteren Begründung dieser Anschauungen mög®
noch folgendes angeführt werden. Inulin kann bekanntlich
schon durch anhaltendes Kochen mit Wasser allein ver
zuckert, in Lävulose übergeführt werden, und die Fette
können durch Wasser bei höherem Druck gespalten wer
den. Auch die Wirkung des Pepsins auf Eiweissstoffe soll
dadurch ersetzt werden können, dass man die Letateret
mit Wasser in eine Röhre einschliesst und auf eine be-
stimmte Temperatur (170—180°) erhitzt; auch für mehrere
Glyeoside sind ähnliche Spaltungen durch Wasser allein
bekannt. Es gerügt also in manchen Fällen bloss die
durch Temperaturerhöhung (wie bei allen Körpern) 8%
steigerte Neigung des Zerfalles bei dem hochzusammeng®"
1) Ein ausführliches Studium des Verhaltens wässerigen aly-
cerins gegen Zuckerarten, Glycoside etc. möchte ich mir vorbehalten
Von Prof. Ev. DonarH. 189
setzten Molekül der organischen Substanz und die Beschleu-
nigung der Atombewegung im Wassermolekül, um eine
Spaltung mit gleichzeitiger Hydrolyse zu bewerkstelligen;
das zeigt wohl genügend, dass wir es auch in den anderen
Fällen nicht mit auf wesentlich anderen Ursachen beruhen-
den Vorgängen zu thun haben dürften.
Viel schwieriger gestaltet sich allerdings die Auffassung
der durch Enzyme bewirkten hydrolytischen Spaltungen.
Wir kennen bereits eine sehr grosse Anzahl derselben und
zweifellos spielen sich im Pflanzen- und Thierkörper noch
weitaus mehr ab, als uns bisher bekannt sind. Es ist
vielleicht nicht zu viel gesagt, wenn behauptet wird, dass
fast in jeder lebenden Zelle derartige Vorgänge sich ab-
spielen, und dass die durch die dabei erfolgende Hydroxyl-
bildung, innere Verbrennung entwickelte Wärme gewiss ein
Theil der den Lebensprozess begleitenden Wärmeentwick-
lung ist.
Die ungeformten Fermente zeigen nun im Allgemeinen
gegen die entsprechenden organischen Substanzen ein ähn-
liches Verhalten nur gewissermassen in schwächerem Sinne.
So wird z. B. Stärke von verdünnten Mineralsäuren zu
Dextrose verzuckert, von diastatischen Fermenten jedoch
ur bis zu Maltose. Wir können allerdings die früheren
Betrachtungen nicht ohne weiteres auch auf diese Wirkung
der ungeformten Fermente ausdehnen, da die Kenntniss
derselben noch eine äusserst mangelhafte ist und wir nicht
enmal ihre näheren Eigenschaften, geschweige denn ihre
Constitution kennen. Allein das wenige, was wir über die-
selben wissen, lässt es durchaus nicht als unwahrscheinlieb
erscheinen, dass auch sie in ihren wässerigen Lösungen
entweder in verschiedenen Zuständen der Hydratisirung
vorhanden sind oder wenigstens das Bestreben zur Hydra-
'Tung haben, also eine Anzahl von Wassermolekülen in eine
Art chemischer Spannung versetzen. Nach ZuLkowskY und.
ÖNIG!) Jassen sich mehrere Enzyme aus ihren wässerigen
Lösungen durch Aether im Zustande hoher Aufquellung als
RR
: = Sitzungsbericht der Kaiserl. Akademie d. Wissenschaften 1875,
190 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
frusehlaichartige Masse ausscheiden, wie ich dies auch beim
Invertin constatirt habe; nach den Versuchen von Dr. Anorr
MAYER (siehe dessen Enzymologie) wird trockenes Invertin
durch höhere Temperaturen nicht alterirt, wohl aber in
seiner Wirksamkeit durch Kochen wässeriger Lösungen
zerstört.
Nach Wurtz {compt. rend. 91 p. 787, auch Marsx's
eitirtes Werk) erfährt Papain durch anhaltende Erwärmung
seiner Lösung eine Aenderung seiner Elementarzusammen-
setzung im Sinne einer Zunahme des Wasserstoffgehaltes.
Das sind doch immerhin Momente,') welche es wenigstens
nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Enzyme
in ihren wässerigen Lösungen das Bestreben der Wasser-
addition, der Hydratisirung besitzen, wie wir es bei vielen
Säuren und den Alkalien mit allerdings viel grösserer
Bestimmtheit annehmen dürfen. Auch dafür, dass zwisch®n
dem spaltbaren Körper und dem Enzyme ein gewisses An-
ziehungsbestreben vorhanden ist (wie wir dies zwischen
Stärke und hydratisirter Schwefelsäure angenommen haben)
liegen schon einige Beobachtungen vor. Nach Wurtz wird
Papain aus seinen Lösungen unauswaschbar auf dem Fibrin
fixirt und erst nach stattgefundener Lösung (Verdauung)
desselben wieder zu weiterer Wirkung frei. Dasselbe Ver-
halten zeigt nach ihm das Pepsin.
Wir sehen also, dass gewisse Analogien zwischen dem
Verhalten der Enzyme und dem gewisser Säuren gegen
bestimmte organische Substanzen immerhin angenommen
werden können. Während jedoch die hydrolytische Wirkung 5
der Säuren und (wenn auch in geringerem Grade) die der
Alkalien viel allgemeiner ist, auf eine grössere Anzahl vn
organischen Verbindungen sich erstreckt, ist dies bei den
Enzymen jedoch nicht der Fall und fast jedes derselben
äussert seine Wirkung nur auf einen bestimmten Körpel
Die Enzyme haben eben keinen so ausgeprägten chemie
Charakter, wie die Mineralsäuren und Alkalien und desba
findet bei jedem derselben das Bestreben einer chemische
1) Als solche wäre noch das Verhalten der Enzyme gegen de 2 :
stoffsuperoxyd und einige andere Erscheinungen anznfihren.
Von Prot. Ev DoNATH. 191
Anziehung oder Anlagerung und Umsetzung nur gegenüber
einer bestimmten Substanz statt, die zu ihm ihrem chemi-
schen Charakter nach in einem wenn auch geringen chemi-
schen Gegensatze steht. !)
Dass die hydrolytischen Spaltungen durch Enzyme sich
allerdings nicht so leicht auf Grund der im Vorliegenden
Eingangs erörterten Prinzipien erklären lassen, wie der Ab-
bau der Stärke oder die Inversion des Zuckers durch
Säuren, die Zerlegung der Glycoside ete. bin ich mir wohl
bewusst; allein sie scheinen doch in vielen Beziehungen
analog zu sein, und vorläufig spricht wenigstens nichts da-
gegen, auch die hydrolytischen Fermentwirkungen vom
gleichen Standpunkte aus aufzufassen.
Wenn die vorher an speciellen Beispielen entwickelten
Anschauungen zu einer allgemeineren Theorie der hydro-
Iytischen Spaltung organischer Substanzen präeiser gestaltet
werden sollen, so gelangt man zu folgender Fassung der-
selben:
1) Alle soleher Spaltungen fähigen organischen Sub-
stanzen enthalten in ihrem Molekül mindestens ein Sauer-
stoffatom in der anhydrid- oder oxydartigen Bindung (bei
den Substanzen, die einen eigentlichen Abbau erfahren,
Stärke, Proteinsubstanzen sind mehrere solcher Sauerstoff-
atome vorhanden). Dieses hat das Bestreben, in die mit be-
deutend grösserer Wärmeentwickelung verbundene Hydro-
*ylbindung überzugehen.
Ä 2) Die die Spaltung veranlassenden Substanzen, Säuren,
Alkalien sowie Enzyme sind in ihren Lösungen entweder
in hochhydratisirtem Zustande enthalten (die ersteren) oder
haben das Bestreben sich zu hydratisiren.
3) Zwischen dem spaltbaren und dem spaltenden
Körper besteht eine wenn auch sehr geringe Affinität
(chemische Spannung), welche eventuell durch eine Er-
höhung der Temperatur a oe in
—
snaltan
i BEE rd
1) Wenn wir auch die dualistische Anschauungsweise lange aus
dem chemischen Lehrzebäude eliminirt haben, so sind manche der-
” n entsprungene Bezeichnungen zum Ausdrucke gewisser Be-
‚ Hehungen noch immer gut verwendbar,
192 Ueber die hydrolytischen Spaltungen organischer Substanzen.
den Körper veranlasst, ein Molekül Wasser in einer Art
von molekularen status nascens abzutrennen.
as lockerere, nicht als Hydroxyl gebundene
Wasserstoffatom desselben veranlasst den verkettenden
Sauerstoff der organischen Substanz zur Hydroxylbildung,
infolge deren die Spaltung und eine Art innerer Verbren-
nung (unter Wärmeentwickelung) erfolgt.
Ueber neue Fundorte der subhereynischen
Kreideflora.
Von
Dr. Lampe, Quedlinburg.
Eine Zusammenstellung der bis dahin bekannten Fund-
orte der subhereynischen Kreideflora giebt Dr. Erwın
SCHULZE in seiner Schrift über die Flora der subherey-
nischen Kreide, die im 60. Bande dieser Zeitschrift abge-
druckt ist.
Nach einer Darlegung der geschichtlichen Entwickelung
unserer Kenntniss von der subhereynischen Kreideflora
folgt eine Erörterung der geognostischen Stellung der die
Pflanzenreste einschliessenden Schichten und eine Be-
schreibung der Fundorte. Bei jeder der pflanzenführen-
den Stufen ist ein Verzeichniss der ihre Flora zusammen-
setzenden Arten gegeben.
Der Zweck meiner Mittheilung ist es, einige neue
Fundorte, die von mir bei meinen geologischen Streifereien
in der Umgebung Quedlinburgs aufgefunden sind, für weitere
Kreise bekanut zu machen.
Ich habe dieselben, soweit es mir möglich war, aus-
sebeutet; allerdings werden fortwährend noch neue Sachen
gefunden und ist die Ausbeutung keineswegs abgeschlossen.
Eine genauere Bestiminung der vielen, theilweise recht
gut erhaltenen Reste war mir aus verschiedenen Gründen
bis jetzt noch nicht vollständig möglich; ich habe mich
vorläufig auf die am häufigsten vorkommenden Blätter be-
schränkt. Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, dass
Sich unter den Funden viele, für die subhereynische
Kreideflora vollkommen neue befinden.
Zeitschrift f, Naturwiss, Bd, 67, 1894, 2
194 Ueber neue Fundorte der subhereynischen Kreideflora.
Für die untere Kreide sind neue Fundorte nicht bekann
geworden; auch war eine weitere Ausbeutung der bekannten,
am kleinen Helmsteine bei Westerhausen und der Langen-
berge, des schlechten Aufschlusses wegen, nicht möglich.
Während Pfianzenreste, mit Ausnahme von Algen,
aus dem Plänerkalke von Quedlinburg bis vor kurzem nicht
bekannt waren, sind in neuerer Zeit Coniferenreste mehr-
fach gefunden worden, so von Sequoia Reichenbachi und
Geinitzia formosa. Wenigstens stimmen die aufgefundenen
Stücke mit denen aus den Lettenschichten der Altenburg
ziemlich überein. Zapfen fehlen allerdings. Beide Coniferen
ziehen sich vermutlich durch alle Schichten der oberen
Kreide hindurch.
- Für die Flora des Salzberges giebt Dr. Scuuzze fol-
gende Pflanzen an: einen Farn sScleropteris callosa und
eine Sequoia; ferner führt er an, dass nach EwArnp sich
auch Geinitzia formosa fände. Als Fundort wird die oberste
feste Bank unter der Grenze des oberen Quadermergels
der Hasenköpfe am alten Warnstedter Fusswege bezeichnet.
Ich habe Pflanzenreste, wenn auch spärlich, in fast
allen Bänken des Salzberges gefunden, keineswegs an eine
bestimmte Schicht gebunden.
Als sicher bestimmbar liegen vor Seguoia Reichenbach,
Geinitzia formosa, Seleropteris callosa und die untere Hälfte
eines Dicotylenblattes.
Auch vom Löhofe, von dem bisher Pflanzenreste über-
haupt nicht bekannt waren, befindet sich in meiner Samm-
lung die Spitze eines Dicotylenblattes und zwar eines
Dryophyllum.
Nach Bespreehung der zahlreichen Reste der Letten-
schichten der Altenburg, zu denen sich übrigens in neuester
Zeit auch noch eine bis jetzt unbekannte Conifere gesellt, die
wahrscheinlich zur Gattung G?yptostrobus Endl. gehört,
theilt Dr. Scuurze mit, dass sich im mineralogischen In-
stitut der Universität Halle mehrere Stücke eines Pflanzen-
abdrücke enthaltenden, gelben bis rothbraunen, eisen-
schüssigen Sandsteines befinden, die als ehemalige Reste
der Stiehlerschen Sammlung höchst wahrscheinlich aus der |
Umgebung von Quedlinburg stammen, deren näherer Fund- ;
Von Dr. Lampe. 195
ort aber unbekannt ist und trotz vielfachen Suchens nicht
aufzufinden war.
Auch Heer führt in seiner Kreideflora von Quedlinburg
einige ähnliche Funde an und nennt als Fundstätte den
Langenberg. Nach den bisherigen Erfahrungen über das
Alter der Klasse der Dieotylen war es von vornherein un-
wahrscheinlich, dass diese Reste, bei denen Dicotylen über-
wiegen, den gaultinen Schichten der Langenberge ent-
stammen. Diese Vermuthung hat sich auch bestätigt. Es
ist mir nämlich gelungen, den Fundort wieder aufzufinden,
und zwar liegt er auf der Altenburg in der Nähe des
Sternbrunnens. Verlässt man bei der neuen Mühle die
nach Weddersleben führende Chaussee und steigt den nach
der Altenburg führenden Hohlweg hinauf, so gelangt man
in einen Steinbruch, in dem jetzt ein Thonlager ausgebeutet
wird.
In diesen Thonen sind zahlreiche Reste von Dicetylen
und Coniferen vorhanden, die darum von hohem Interesse
sind, weil die Blattsubstanz noch vollkommen erhalten ist.
Eine genaue mieroseopische Untersuchung dieser Blätter
wird jedenfalls für die Bestimmung der einzelnen Arten
einen viel sicheren Anhalt geben, als die blossen Ab-
drücke.
Während diese Fundstätte früher nur unvollkommen
und kurze Zeit aufgeschlossen war, so dass sie nicht aus-
gebeutet werden konnte, gelang es mir, namentlich im
Jahre 1891, eine Reihe von Blättern zu sammeln. Die
Fundstätte ist auch jetzt noch aufgeschlossen, es ist aber
nicht leicht, gute und vollständige Exemplare zu erhalten.
Zunächst ist trockenes Wetter nothwendig, da bei Regen
der Thon sofort aufweicht und die Blattsubstanz zerfällt.
Dann müssen die Funde auch möglichst an Ort und Stelle
sorgfältig präparirt werden; am besten überstreicht man
sie sofort mit einer Gummilösung und wiederholt dasselbe
Nachher noch mehrere Male. Auf diese Weise behandelt
halten sich die Blätter am besten und können später auch
Noch zu mieroscopischen Untersuchungen benutzt werden.
Am häufigsten findet sich hier Chondrophyllum %
2. sp., das allerdings in vollständigen a zu
13 :
196 Ueber neue Fundorte der subhereynischen Kreideflora.
gewinnen ist. Selten ist Credneria, die überhaupt im Alten-
bergzuge sich nur vereinzelt vorfindet. Von Farnkräutern
sind nur spärliche Reste vorhanden, so von Gleichenia
Zippei und acutiloba; zahlreicher sind Coniferen, namentlich
Geinitzia formosa und Euryeaecis sguamosa. Zapfen hiervon,
die in den Lettenschichten der Altenburg und überall sonst,
wo diese Coniferen sich finden, namentlich von Geinitzia
formosa sehr häufig sind, kommen nicht vor.
Ueber den Thonen lagert zunächst ein fester
gelblicher, dann ein mürber weisser Sandstein ohne irgend
welche tbierische und pflanzliche Reste, und über diesem
ein gelber oder rothbrauner, eisenschüssiger Sandstein mit
vielen Pflanzenresten. Von diesem Fundorte stammen die
oben erwähnten Stücke des mineralogischen Instituts der
Universität Halle.
Auch hier findet sich Chondrophyllum trieuspe, ebenso
Ch. hederaeforme, Hzer. Letzteres kommt auch in den
Lettenschiehten der Altenburg vor; in dem oben erwähnten
Thonlager ist es bis jetzt noch nieht aufgefunden. Es ist
das umsomehr zu bedauern, als gerade hier eine genauere
Untersuchung der Blattsubstanz einen Aufschluss über die
Stellung der betreffenden Pflanze geben könnte. Die Ner-
vatur ist auf dem Abdrucke nicht besonders gut erhalten.
Herr, der das Blatt bestimmte, waren nur Fragmente be-
kannt, auch sind die Abbildungen, die er in seiner „Kreide-
flora von Quedlinburg“ giebt, nicht genau. Nach den in
meiner Sammlung befindliehen vollständigen Abdrücken
erseheint es als sicher, dass das Blatt überhaupt nicht
zur Gattung Chondrophyllum zu zieben ist, dass es vielmehr
neu zu benennen ist.
Reste von Coniferen sind selten und schlecht erhalten,
ebenso ist nur ein kleines Wedelfragment eines Farnkrautes
vorhanden.
Der wichtigste und reichhaltigste Fundort, der alle
bisher bekannten durch die Menge der Formen und die
gute Erhaltung übertrifft, befindet sich am alten Wege
von Westerhausen nach Warnstedt,
Wenn man von Westerhausen kommend die Höhe er
schritten hat, so sieht man rechts am Wege und links In
Von Dr. Lampr. 197
einer daneben befindlichen Kiefernschonung einen weissen,
gelblichen, in einigen Bänken dunkleren Sandstein an-
stehen, der Pflanzenreste in ungemein grosser Anzahl, wie
sie bisher für die subhereynische Kreideflora nicht be-
kannt waren, einschliesst. Es ist allerdings auch hier
nieht immer möglich, den Fundort auszubeuten; sobald es
geregnet hat, spaltet der Sandstein schlecht und man er-
hält keine guten Abdrücke. Das beste Resultat hat man
jedenfalls, wenn man den Fundort, nachdem es längere
Zeit trocken gewesen ist, im Hochsommer besucht. Es
empfiehlt sich, da der Sandstein zu mürbe ist, sofort nach
dem Herauspräpariren der Blattabdrücke, das sehr leicht
geschieht, das Gestein mit einer Lösung von Mastix oder
Sandarak in Aether zu tränken und so zu härten.
Chondrophyllum hederaeforme tritt hier seltener auf,
als auf der Altenburg; sehr zahlreich und in sehr guten
Exemplaren ist Chondrophyllum tricuspe vorhanden mit
den mannigfachsten Abweichungen. Es scheint fast ebenso
zu variiren, wie die Oredneria-Arten.
Sehr häufig ist schliesslich noch ein Populus ähnliches
Blatt, das bisher für die subhereynische und die deutsche
Kreideflora unbekannt war. Es ähnelt der Populus litigiosa
Heer, zeigt aber wesentliche Unterschiede, namentlich in
der Zahl der Seceundärnerven.
Nach einer mündlichen Mittheilung des Herrn Rittmeister
von Harnteı ist ein ähnliches Blatt auch im Heimburg-
gestein aufgefunden und befindet sich in seiner Sammlung.
Zu meinem Bedauern habe ich dasselbe mit den vielen in
meinem Besitze befindlichen noch nicht vergleichen können.
Ich habe das Blatt vorläufig Aegirophyllum‘) genannt, denn
es erscheint mir immerhin bedenklich, Namen recenter
Pflanzen zu benutzen, sobald nur die Blätter, nicht etwa
auch Blüten und Früchte bekannt sind.
Von Coniferen sind nur schlecht erhaltene Reste vor-
handen, so von Geinitzia formosa Zweige und Zapfen, ebenso
der Zapfen einer Sequoia und von Eurycacis squamosa.
—
1) 7 alysıpos die Pappel.
198 Neue Fundorte der subhercynischen Kreideflora von Dr. Lampe.
Auch hier scheint COredneria zu fehlen; bis jetzt ist
noch kein auch noch so geringer Rest gefunden, der mit
Sicherheit zur Gattung Credneria zu rechnen wäre. Wäh-
rend Credneria also im Heidelbergzuge vorherrscht und
zwar in einem Maasse, dass es längere Zeit, fast ein volles
Jahrhundert, die einzige bekannte Pflanze des Heidelberges
und der ganzen subhereynischen Kreide war, ist es in dem
ganzen Altenbergzuge, mit Ausnahme der Lettenschichten,
in denen überhaupt Coniferen überwiegen, C’hondrophylium
triceuspe.
Andererseits ist gerade letzteres für den Heidelberg
sehr selten. Bisher ist mir nur ein Exemplar bekannt, das
sich in der Sammlung des Herrn Rittmeisters v. HAENLEIN
befindet und das von denen der Altenburg und Wester-
hausen erhebliche Abweichungen zeigt.
Unzweifelhaft ist unsere Kenntniss der subhereynischen
Kreideflora durch die neuen Fundorte erheblich erweitert.
Trotzdem ist noch viel zu thun, und die weitere Ausbeutung
wird hoffentlich noch viele und wichtige Abdrücke liefern.
Weitere Mittheilungen über die von mir gemachten
Funde werden in kürzester Zeit erfolgen.
Ueber die Wirkungen des Septentrionalins.
Von
Professor Dr, R. Kobert,
Dorpat.
Unter denjenigen Pflanzen , welche durch die Eigen-
artigkeit und Furchtbarkeit ihrer Wirkungen seit den er-
denklichsten Zeiten die Aufmerksamkeit der Menschen auf
sich gezogen haben, nimmt der Sturmhut /Aconitum) eine
der vorragendsten Stellungen ein. Die dem Alterthum und
dem Mittelalter entstammenden Schriften derInder, Griechen,
ömer, Perser, Araber ete. berichten tiber Aconitwirkung
die wunderbarsten, meist fabelhaft ausgeschmückten That-
sachen.
Die moderne Botanik hat uns eine ganze Anzahl von
Aconitarten unterscheiden gelehrt, welche als Aconıtum
Napellus, Ac. ferox, Ac. Fischeri, Ac. heterophyllum, Ac. Ly-
coctonum, Ac. Anthora, Ac. paniculata, Ac. variegatum, Ace.
Stoerkeanum, Ae. uncinatum ete. unterschieden werden und
welche sich ihrer Wirkung qualitativ und quantitativ sehr
erheblich unterscheiden. Die den Aerzten und den
Homoeopathie - treibenden Laien bekannteste Species ist
Aconitum N: apellys, deren Knollen das Aconitin der
Apotheken liefern, von welchem ein einziges Gramm mehr
als 250 Menschen zu tödten im Stande ist.
Eine andere, jetzt in Deutschland kaum ärztlich benutzte,
gelb blühende Species ist das Aconitum Lycoctonum WiLL-
DENOw, dessen Name „Wolfstödter“ bedeutet. Diese Pflanze
bildet in Russland seit den ältesten Zeiten ein vom Volke
sowohl für innere als äussere Krankheiten oft gebrauchtes
Heilmittel‘). Sie findet sich ausser in Russland auch
———
‘) Historische Studien aus dem pharmakolog. Institute zu Dor-
bat, herausgegeben von Prof. R. KoBERT, Bd. 1, 1889.
200 Ueber die Wirkungen des Septentrionalins.
z.B. in den Hochalpen bis zu einer Höhe von 6—7000 Fuss
hinauf. Nach Untersuchungen, welche namentlich in Dor-
pat unter DRAGENDORFF ausgeführt worden sind, enthält diese
Pflanze in ihren Knollen kein Aceonitin, sondern zwei eigen-
artige Alcaloide, das Lycaconitin und das Myoctonin,
welche eine sehr geringe Giftigkeit besitzen und therapen-
tisch unbrauchbar sind.
Zu Aconitum Lycoctonum ist von den Botanikern und
Pharmakognosten meist eine andere Species resp. eine
Varietät in sehr nahe Beziehungen gesetzt worden; ich
meine das Aconitum septentrionale Koelle, den Sturmhut
des Nordens, welcher im europ. Russland, in Sibirien und
in Lappland zu Hause ist. Es ist eine imponirende Pflanze,
welche in Lappland über 2 m hoch wird und prachtvolle
blaue Blüthen in reicher Fülle, aber selten Samen trägt.
Sie besitzt ein perennirendes Rhizom, welches knollige
Verdiekungen bildet. Gestützt auf die von den meisten
Botanikern behauptete Ansicht, dass Aconitum septentrionale
nur eine Varietät von Ac. Lycoctonum sei, möchte man
glauben, dass beide Species sich auch in chemischer und
pharmakologischer Beziehung fast identisch verhielten-
Dem ist aber keineswegs so. Nach Untersuchungen, welehe
Herr Dr. H. V. RosenpauL in Dorpat unter Professor
DRAGENDORFF (chemisch) und unter meiner Leitung (pbarma-
kologisch) angestellt hat, und zu denen er das Material
als Arzt der lappischen Eisenbahn in Lappland selbst ein-
gesammelt hat, enthält das Rhizom des nordischen Sturm-
hutes drei bisher gänzlich unbekannte Alealoide mit
eigenartiger Wirkung. Das eine aus Aetherlösung kry-
stallirende, Lappaeonitin genannt, "hat die Formel
C;,H,;N,0,; das andere, aus Chloroformlösung gewonnene,
in Aether aber unlösliche, hat die Formel C,,H,;N50% und
wird Septentrionalin genannt. Uber das dritte Alea-
loid siehe weiter unten. Auch die Zersetzungsproducte
der genannten 2 Alcaloide sind von denen des Aconitins,
Lyeaconitins und Myoctonins verschieden. u
Hinsichtlich der Wirkung interessirt uns namentlich
das Septentrionalin, welches bei Einspritzung unter d@
Haut oder noch besser ins Blut bei Kalt- und Warmblüten
rasch eine vollständige Aufhebung der Empfindung En
Von Professor Dr. R. KoBERrT. 201
und bald darauf auch eine vollständige Aufhebung
der Bewegung hervorruft, ohne dass — bei eingeleiteter
künstlicher Athmung — die Herzthätigkeit irgendwie ge-
stört würde. Die Aufhebung der Bewegung erfolgt gerade
so wie beim indianischen Pfeilgifte Curare durch Lähmung
der peripheren Enden der Bewegungsnerven. Wie beim
Curare so tritt auch beim Septentrionalin die lähmende
Wirkung bei innerlicher Eingabe nur sehr unvollkommen
ein, da beide Alealoide ebenso rasch ausgeschieden werden,
als sie zur Aufsaugung kommen. Bekanntlich wird das
Curare in allen physiologischen und pharmakologischen
Laboratorien täglich als unentbehrliches Hülfsmittel bei
Versuchen, welche ein Stillliegen der Thiere erfordern, ge-
braucht. Es hat aber verschiedene Nachtheile, indem es
i) in seiner Wirkung sehr schwankt;
2) oft schädliche Nebenalealoide enthält;
3) auch wenn es rein ist, oder wenn man das müh-
sam daraus rein dargestellte Curarin anwendet, bei
grösseren Dosen sehr unangenehme Nebenwirkungen
(Blutdruckserniedrigung ete.) hervorruft;
4) die Thiere zwar unbeweglich, aber nicht in gleich
hohem Grade, ja nach Ansicht der Antivivisectoren
überhaupt gar nicht empfindungslos macht.
Von allen diesen Nachtheilen ist nun das Septentrio-
nalin, Serge als salpetersaures Salz zu verwenden sein
würde, frei
y) es kei da es ein chemisch reiner Körper von
eonstanter Zusammensetzung ist, in seiner Wirkung
gar nicht. Die zur vollständigen Lähmung erforder-
liehen Dosen betragen
pro kg Frosch 0,2—0,5 mg Septentrionalin
»„ » Hund
„2. Katze } ee! mE ei
Kaninchen
2) Die aheneoniihie der wa können mit
Sicherheit abgetrennt werden, ehe das Mittel auf
den Markt kommt,
3) Herz und Blutdruck bleiben bei Katze undHund selbst
nach erheblichen Dosen ziemlich unbeeinflusst.
202 Ueber die Wirkungen des Septentrionalins.
4) Es besitzt eocainähnliche, so stark anaesthesirende
Wirkungen, dass es schon dieser allein wegen mit
Vortheil verwendet werden könnte.
Beide Wirkungen zusammen genommen aber,
die bewegunglähmende und die empfindung-
lähmende, sind bei keinem sonstigen Alcaloide
vorhanden und nehmen den mit Hülfe dieses Mittels ausge-
führten Viviseetionen den letzten Rest von Grausamkeit, wel-
chen sie eventuell bisher noch gehabt haben. Es muss daher
im Interesse der Vereine gegen Tbierquälerei liegen, dieses
Mittel überall bekannt zu machen und seiner Einführung
in Laboratorien das Wort zu reden.
Bekanntlich hat man das Curare auch zu ärztlicher
Verwendung bei Vergiftung mit krampfmachenden Giften,
wie Strychnin, und bei Krankheilen, wie Hundswuth und
Wundstarrkrampf, empfohlen, aber nur sehr selten bisher
angewandt, weil der Arzt sich auf die in der Apotheke vor-
handenen Präparate von Curare nie verlassen kann.
steht zu hoffen, dass das Septentrionalin auch in dieser
Beziehung dem Curare den Rang streitig machen wird.
Vorläufig liegen zwar noch keine Versuche an Menschen
vor, aber der Schreiber dieser Zeilen, sowie Dr. RosENDAHL
werden in grossen Krankenhäusern unter den nöthigen
Vorsichtsmassregeln solche anstellen lassen und beim
günstigen Ausfall derselben zu allgemeiner Verwendung
des neuen Mittels in medieinischen Fachzeitschriften auf-
fordern. Die bisher im Handel aufgetauchten sonstigen
Ersatzmitteul des Curare, zu denen auch Lycaconitin und
Myoctonin gehören, haben sich bei eingehenderer Prüfung
sämmtlich als nur wenig oder gar nicht brauchbar er-
wiesen.
Die Frage, ob das Septentrionalin in genüigender
Menge zu mässigen Preisen zu beschaffen sein wird, muss
in bejahendem Sinne beantwortet werden. Herr RosenDaHt
wird in Lappland, wo die Pflanze sehr häufig ist, die
selbe in grossem Massstabe einsammeln lassen und a2
E. Mercx nach Darmstadt schicken lassen. Dort wird ;
Alkaloid fabrikmässig gewonnen und nach eingehend
Von Professor Dr. R. KOBERT. 203
neuer Prüfung von unserer Seite auf den Weltmarkt ge-
bracht werden. Die Ausbeute beträgt 0,2 %/, der getrock-
neten Knolle (neben 0,5 °/, Lappaconitin).
Die synthetische Darstellung des Mittels wird, sobald
die Spaltungsproducte genügend genau studirt worden sind,
in Angriff genommen werden. Bis jetzt wurde festgestellt,
dass das Septentrionalin beim Erhitzen mit Natronlauge
im zugeschmolzenen Rohre auf 150°C. sich in 2 Alealoide
und eine stickstofffreie Säure spaltet. Letztere ist mit der
aus Lappaconitin bei gleichem Spaltungsverfahren erhaltenen
identisch.
Endlich ist in unserer Droge noch ein drittes Alealoid
enthalten, welches ebenfalls in Chloroform löslich ist wie
das Septentrionalin, während es in Aether im Gegensatz
zum Septentrionalin nur wenig löslich ist. RosENDAHL
nennt dasselbe Cynoctonin, indem er sich dabei an die
Worte von Dioskoripes anlehnt: est et alterum aconitum,
quod aligui eycoctonum, alii Iycoctonum appellant. Die Menge
desselben in der getrockneten Wurzel beträgt nur 0,175°],.
Es bildet ein amorphes graues Pulver von schwach bitterem
Geschmack. Mit concentrirter Schwefelsäure färbt es sich
Tothbraun. Beim Verdunsten mit rauchender Salpetersäure
zur Trockne und Zusatz von alcoholischer Kalilauge färbt
es sich tief bluthroth. Die Formel desselben dürfte
C4H,,N,0,; lauten, Die Wirkung ist eine stark krampf-
erregende, ist aber keineswegs mit der des Aconitins oder
Lappaeonitins identisch.
Um die schon seit Lisnt's Zeiten strittige Frage zu
entscheiden, inwieweit den oberirdischen Theilen und
Speciell den Blättern des nordischen Sturmhutes eine Gift-
Wirkung zukommt, machte Rosexvauı einige quantitative
stimmungen der Gesammtalcaloide in den Knollen einer-
seits und in den oberirdischen Theilen, speciell in den
Blättern, andererseits. Dabei ergab sich, dass der Ge-
‘ammtalcaloidgehalt der unterirdischen Theile
er Pflanze 15—17 Mal grösser ist als der der
f Oberirdischen.
|
204 Ueber die Wirkungen des Septentrionalins von Prof. KOBERT.
Ein ausführlicher Bericht über die Wirkung aller drei
Alecaloide des nordischen Sturmhutes wird von Dr. RosenpAuL
im elften Bändchen der von mir herausgegebenen Arbeiten
des pharmakologischen Institutes zu Dorpat gegeben
werden. Dieses Bändchen wird im Herbst dieses Jahres
zur Ausgabe gelangen. Es sei mir verstattet, auf dasselbe
alle Interessenten hiermit hinzuweisen.
|
i
|
Die fossile Flora des untern Keupers von
Ostthüringen,
Von
Dr. 6. Compter, Apolda.
Hierzu Tafel H—IV.
Die Mittheilungen über fossile Pflanzenreste aus dem
untern Keuper hiesiger Gegend, durch welehe ich (Act. Nat.
Cur. XXXVIT 3 und diese Zeitschr., Bd. 56 S. 1—28) die
Zusammenstellungen von Bornemann (Organ. Reste der
Lettenk. Thür. 1856) und E. E. Scmum (Abhandl. z. geol.
Speeialkarte v. Preuss. ete., Bd. I Heft 2 1874, 8. 44 ff.)
erweitert habe, bin ich jetzt wieder in der Lage, durch
neue Funde zu vermehren. Da ich aber nunmehr meine
Sammelthätigkeit einstellen muss, und ohnehin der heutige
etrieb der Ziegeleien und zugehörigen Thongruben weni
Raum für weiteres Sammeln bietet und die Sandsteinbrüche
schon längst eingegangen sind, und da einige meiner
früheren Aufstellungen einer Berichtigung bedürfen, so
hielt ich es für angezeigt, statt jene Beiträge zu ergänzen,
vielmehr unter Zuhüilfenahme dessen, was von anderen Herren
‚er gesammelt worden ist, alles zusammenzustellen,
sn die hiesige Gegend bisher geliefert hat.
Kan die andern sammelnden Herren mir mit grösster Bereit-
ss keit das von ihnen zusammengebrachte Material be-
== Bearbeitung zur Verfügung gestellt haben, wofür ich
2 mentlich Herrn Commerzienrath Wıepemann zu Dank
„pfichtet bin, so glaube ich, dass mit dem Folgenden
" &ewisser Abschluss erreicht ist, und hoffe, dass der-
ix ein Scherflein zur Verwirklichung dessen beiträgt,
° E. Scmum sagt: er finde in der grössern Armuth und
206 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
Einförmigkeit des ostthüringischen Keupers gegenüber dem
fränkischen und schwäbischen keine endgültige Entscheidung,
sondern hege die zuversichtliche Hoffnung, dass zahlreiche
Nachträge erhalten werden würden.
Die Fundstücke stammen alle aus der Nähe von
Apolda; die Lokalitäten sind höchstens 1!/, Wegstunden
von hier entfernt, andere Aufschlüsse in grösserer Ent-
‚ernung haben entweder gar nichts, oder wenigstens nichts
Nennenswerthes geliefert. Daher können die hiesigen
Vorkommnisse als Vertreter der Flora des ganzen östlichen
Thüringens gelten.
Die Bezeichnung „unterer Keuper“ behalte ich bei
im Sinne der geol. Specialkarte, den Kohlenletten, den
grauen Sandstein und die lichten Mergel umfassend, welche
letztere übrigens nie in Betracht kommen.
Von den kleinen Oberhautläppehen der von HarLiER
aufgestellten und von E. Schu (a. a. O. Nr. 6—22) auf-
geführten Cycadeenarten sehe ich auch jetzt ab, wie ich
es bereits früher gethan habe.
Die Aufstellung folgt im allgemeinen der systema-
tischen Anordnung in ZırreLr, Handbuch der Paläonto-
logie. II. Abth.
Algae incertae sedis.
Mesochondriteae.
Im grauen Sandstein von Apolda fand sich auf Spalt-
flächen eines ganz beschränkten Horizonts ein Gebilde,
das weissen Kreidestrichen zu vergleichen war: die Striebe
1 bis 2 mm breit kreuzweis übereinander liegend, ver
zweigt, zum Theil fiederförmig, ziemlich geradlinig, Anfang
und Ende spurlos verlaufend, aus Kalk bestehend, aber
ohne eine Structur erkennen zu lassen. I
so dünn auf, dass er unter mässiger Vergrösserung der
Lupe verschwimmt. Ich stelle das Vorkommniss zu den
nd Ver
Mesochondriteen, theils weil es in der Gestaltung ie %
zweigung dem Chondrites bollensis Ziet. (Handb.
S. 64 Fig. 48) nahe kommt — (die Zweige sind mehr 88°
radlinig und die Fiederungen regelmässiger)
beim letzteren auch „die Pflanzensubstanz häufig
Der Kalk liegt
—, theils weil
durch eine
feine weisse Erde ersetzt ist“. Eine Dicke von 12 mM i
Br
Von Dr. &. ComPTER, 207
scheinen unsere Aeste nicht besessen zu haben; Pseudo-
morphosen können es aber sehr wohl sein. Der Steinbruch
ist seit Jahren schon eingegangen, etwas Näheres daher
leider nicht mehr festzustellen.
Filicaceae,
Marattiaceae.
Danaeopsis Heer.
Danaeopsis marantacea Heer (Taeniopteris marantacea
Presl, Aspidites Scheibleri Göpp., Stangerites marantacea
Bornem).
Die grössten Exemplare (s. Act. Nat. Cur. XXXVIH 3)
sind aus dem grauen Sandstein von Apolda; der graue
Sandstein von Nauendorf hat nur kleine Bruchstücke ge-
liefert, und aus dem Letten von Pfiffelbach lassen sich
höchstens handgrosse Schollen gewinnen, aber sehr reich-
lich und mit sehr scharfen Abdrücken. Fruetificationen
sind nur an diesen Lettenvorkommnissen deutlich.
Die Vertheilung der Fruchthäufchen ist nicht die von
Heer (Urwelt d. Schweiz, Tafel II, Fig. 5b) und Scumper
(Trait6 de Pal. Pl. XXXVII, Fig. 2, 3), sondern die von
SCHENK (Beitr. z. Fl. d. Keup. u. d. rhät. Form. 8. 34 und
Die fossilen Pflanzenreste $. 34 Fig. 24) dargestellte. Die
ganze Unterfläche der Pinne ist gleichmässig mit Soren be-
deckt. Am deutlichsten sind dieselben im Abdruck, und
Jedes Häufchen ist durch einen Spalt parallel dem Haupt-
nery in zwei Theile geschieden. ScHmper (Paläont. S. 88)
spricht von rundlichen Sporangien, die sich durch einen
senkrechten Riss (?) öffnen sollen, Schenk von halbkugligen
Erhöhungen, auf deren Scheitel theilweis ein linearer Spalt
zu erkennen sei. Für Risse, die sich erst mit der Frucht-
reife gebildet hätten, kann ich diese Furchen nicht halten; ich
Muss sie vielmehr für Eindrücke oder Falten nehmen, die
schon vor der Zeit der Oeffnung vorhanden waren. Für
Risse sind sie viel zu regelmässig. Au den besterhaltenen
Stellen der Abdrücke zeigen sich nämlich diese Linien oder
eisten bei günstiger Beleuchtung in der Gestalt der Fig. 1
und 1a (Taf. II).
2. Danaeopsis angustifolia Schenk (Taeniopteris angusti-
Folia Schenk. olim).
TEN
.
208 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen,
SCHENK (ScHönLeEIn, Abbild. von foss. Pfl. a. d. Keuper
Frankens, S. 16) sagt: „Im Keuper Frankens kommt neben
Danaeopsis marantacea Heer noch ein mit Taeniopteris in
der Nervatur und im Habitus verwandter Farn vor, dessen
Fructificationen noch nicht bekannt sind, weshalb ich ihn
in meinen Beiträgen zu Taeniopteris gezogen und wegen
seiner schmalen Segmente Taeniopteris angustifolia genannt
habe.* Auf diesen Farn, wie er Taf. 1II Fig. 1 in einem
schönen Exemplare abgebildet ist, beziehe ich die hiesigen
Vorkommnisse, nicht auf den in den Beitr. z. foss. Fl. des
Keup. und d. rhät. Form. Taf. II Fig. 5 abgebildeten;
denn ob der letztere mit jenem identisch ist, bezweifle ich.
Von dieser Art liegen mir ausser dem (Act. Nat. Cur.
XXXVH 3) schon angeführten Exemplare aus dem grauen
Sandstein von Apolda, das nur etwas kleinere Abmessungen
besitzt als das Schönxtein’sche, grössere Bruchstücke noch
aus dem Sandstein von Nauendorf, kleinere aus mergeligen
Oeckerdolomitnestern von dort, sowie aus dem Letten von
Pfiffelbach vor. Unter den Nauendorfer Funden sind einige
Stücke mit ausserordentlich dieker Rachis und sehr ver-
schmälerter Blattspreite. . Es sind Bruchstücke aus der
Nähe der Basis der Segmente; eins davon findet sich in
Fig. 2 (Taf. II) abgebildet, die Rachis ist 3—4 mal s0
breit, als die verschmälerte Blattfläche jederseits.
Nun habe ich (Aet. Nat. Cur. Taf. I Fig. 1) ein Vor-
kommniss, ebenfalls aus dem Sandstein von Apolda, abge-
bildet, das ich damals nicht anders, als auf ein kurz
gefiedertes Pterophyllum deuten konnte, trotzdem mich das
Verhältniss der Fiederlänge und -Breite zur Rachisbreite,
die theilweis zusammenhängenden Aussenränder der ver
meintlichen Fiederchen und die Unregelmässigkeit der
letztern bedenklich machten. Eine Gefässbündelbahn der
Rachis bat sich abgelöst und in einem flachen Bogen seit-
lich über die Blattfläche gelegt. Die Rachis ist also stark
macerirt; und diese Maceration schien mir die grosse Breite
des untern Endes derselben zu erklären; ich nahm das-
selbe für gespalten oder breitgequetscht. Jetzt halte ieh
aber dafür, dass diese Breite eine natürliche ist, ähnlich e
wie an dem Stück der Fig. 2, und die Zwischenräume =
Von Dr. G. CoMPTER. 209
zwischen den scheinbaren Fiederchen sind durchgeriebene
oder beim Spalten der Platte in Druck und Abdruck am
letzteren, der leider nicht erhalten ist, hängengebliebene
Stellen. Ich bin mir also jetzt klar, dass das in jener
Fig. 1 der Act. Nat. Cur. abgebildete Stück Danaeopsis
angustifolia oder Taeniopteris angustifolia Schenk olim ist.
Der Verlauf der Nerven ist aber offenbar demjenigen von
Danaeopsis weniger verwandt, als demjenigen von Taensop-
teris, wie ihn T'aeniopteris vittata Brongn. (Ve&g. foss. S. 263,
Taf. 82 Fig. 1—4) oder Taeniopteris Münsteri Göpp. (Gatt.
foss. Pfl., 3. und 4. Lfrg., S. 15) aus der Lettenkohle von
Baireuth zeigen. Schexk hält nun (Die foss. Pflanzenreste,
$. 42) für derartige Farne, wenn die Fruetification fehlt
und nur der Leitbündelverlauf maassgebend ist, Taeniopteris
nur für die ältern Formationen aufrecht, während er für
die mesozoischen Bildungen ähnliche Farnkräuter als
Oleandridium bezeichnet, und in Betreff der fructifieirenden
Taeniopteris auct. = Stangerites M’Clell. = Angiopteridium
Schimp. (Handb. d. Pal., S. 134, Traite, Taf. 28 Fig. 1—6)
ist er (a.a. 0. 8. 30) der Ansicht am meisten zugeneigt,
dass dieser Farn dem Genus Angiopteris zuzutheilen sei.
An unserer fraglichen Gattung stimmt aber die sich so
auffällig verdiekende Rachis und die Verschmälerung der
Blattflügel, die, wie mir scheinen will, an der Basis nicht
mit einer Abrundung, sondern ganz herablaufend ausgeht,
nicht überein. Damit lässt sich auch die Annahme nicht
wohl vereinbaren, dass das Blatt gefiedert war. Der Farn
ist daher zu keiner der genannten Gattungen zu ziehen.
Auch die Länge seiner Blätter, sowie das Verhältniss ihrer
Länge zur Breite weicht von Angiopteridium Sehimp.
wesentlich” ab, wie ich mich durch Vergleichung des
schönen Exemplars in der Würzburger Universitätssammlung
selbst überzeugt habe. Ich halte deshalb dafür, dieses Vor-
kommniss vorläufig als Taeniopteris angustifolia bestehen zu
lassen. Gegenüber Taeniopteris auct. = Angiopteridium
Schimp. = Angiopteris Schenk ist es durch die 20—30 em
langen, einfachen Blätter mit nach unten sehr
Yerdiektem Hauptnerv undallmählich verjüngten
(herablaufenden) Blattflächen deutlich unterschieden.
Zeitschrift £. Naturwise. Bd. 67. 1994. 14
210 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
Da die Thongruben und Sandsteinbrüche, welche das
Material geliefert haben, jetzt alle eingegangen sind, und
in den neu eröffneten bis heute so gut wie nichts von
Pflanzenresten gefunden wurde, so ist die Hoffnung, zu
dem Laube auch noch Fructificationen zu erhalten und
dadurch von hier aus zur Entscheidung der Frage beitragen
zu können, ob auch dieser Farn zu den Angiopterideen zu
stellen sei, weit binausgeschoben.
ScHENK (Beitr. S. 53) giebt diese Art nur aus dem
Lettenkohlensandstein von Estenfeld und Erlach bei Würz-
burg und (Schöntem’s Abbild. v. foss. Pfl. S. 16) aus dem
Keuper Frankens an; sie scheint also in Franken aus den
Letten noch nicht bekannt zu sein.
Neuropterideae.
Neuropteridium Schimp.
3. Neuropteridium grandifohum Schimp.
Zwei Vorkommnisse aus dem grauen Sandstein von
Nauendorf und dessen Unterlager.
ScHimpER bezeichnet die Gattung als deın bunten Sand-
stein eigen. Die Uebereinstimmung der Nauendorfer Stücke
mit Handb. d. Pal. S. 117 Fig. 90 ist aber unzweifelhaft,
also das Vorkommen auch im Keupersandstein festgestellt.
(Vergl. diese Zeitschr. Bd. 57 S. 16.)
Alethopterideae.
Neuropecopterideae.
Anotopteris Schimp.
4. Anotopteris distans Schimp., (Neuropteris distans e
remota Prs
Aus dem grauen Sandstein von Apolda in mehreren
grossen Exemplaren, von Nauendorf und Pfiffelbach in Bruch-
stücken; im Letten hat sie sich nicht gefunden.
Ein Stück 30 cm lang und 34 cm breit, dem Haupf-
stiel nach durchgebrochen, mit 10 primären Segmenten
links und 6 rechts, sehr ähnlich Scnönzemw’s Taf. viu
Fig. 2—7. Es ist von der Unterseite sichtbar, da ‚der
Hauptstiel trotz des Bruchs erkennen lässt, dass er nieht
3—5flächig war, wie in Schöxzein’s Figg. 2b und 3b, und
da die Stiele der primären Segmente eine Furche De
sitzen,
Von Dr. G. ComPTER, 211
Ein zweites Stück, zwei primäre Segmente, giebt bei-
nahe die Fig. 1 Schuönteı’s auf Taf. IX wieder; nur sind
die Segmente etwas kürzer und haben einen gefurchten
Stiel, was bei ScHönLem nicht zu erkennen ist, obwohl
beide Exemplare, wie aus der gegenseitigen Deckung
der Fiederchen hervorgeht, dieselbe Seite nach oben kehren.
Im Besitz des Herrn Commerzienrath WIEDEMANN ist
eine Sandsteinplatte mit einem Exemplare, ähnlich dem
auf Taf. 33 Fig. 1 in Schimp. Traite abgebildeten.
Angiopecopteride#®.
Pecopteris Brongn.
5. Pecopteris Meriani Brongn. (Alethopteris Meriani Göpp.)
Aus dem Sandstein von Nauendorf liegt ein Stück mit
Fructification vor, das in Fig. 3 (Taf. ID) wiedergegeben
ist. Es ist zwar nur wenige Centimeter lang und lässt die
Grenze der secundären Segmente nicht erkennen, weil die
Ränder zum Theil noch vom Gestein bedeckt sind; es be-
Sitzt auch eine ziemlich dieke Rachis, dicker jedenfalls als
die unfruchtbaren Segmente der Pecopteris-Arten; aber die
Fructification stimmt mit derjenigen von Pecopteris Meriani
Brongn., wie Heer (Urwelt d. Schweiz Taf. II Fig. 3b) sie
giebt, gut überein. Die Soren stehen nämlich den Mittel-
nerven der seeundären Pinnen parallel und ihre Reihen
sind abwechselnd durch schmälere und breitere Bänder ge-
trennt; die schmäleren sind die Nerven, die breiteren sind
die äusseren Flügel der Pinnen. Sie waren ursprünglich
in der Weise sichtbar, wie es an der linken Hälfte oben,
an der rechten unten jetzt noch der Fall: als ganz seichte
mehrtheilige oder sternförmige Grübchen, mit einem dünnen
Häutehen überzogen, nämlich der Epidermis der Oberseite,
da diese nach oben gekehrt ist. Die andern Reihen habe
ich besser sichtbar gemacht, indem ich vorsichtig mit der
Nadel das Häutehen und den Inhalt der Grübchen, der in
feinem, ockerigem Mehl bestand, entfernte, ohne dabei die
Sandkörner der Wände und des Bodens zu verschieben
oder auszureissen. So haben sich die Gruben von ziem-
licher Tiefe ergeben, meist vier-, öfter auch dreitheilig
(Fig. 33).
14*
212 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen,
Auffällig ist allerdings, dass von Blättern, die auf
Pecopteris gedeutet werden könnten, in dem Horizont, der
den Fund geliefert hat, nichts zu finden gewesen ist, trotz-
dem ich den ganzen dort ausgebrochenen Sandstein sorg-
fältigst durchsucht habe; ich konnte nur Danaeopsis, Tae-
‚niopteris, Equisetites, Sphenozamites und Cordaites feststellen.
Immerhin ist die Uebereinstimmung mil Pecopteris Meriani
Brongn, bei Heer nicht zweifelhaft. Zur Klärung der Frage,
welcher Familie Pecopteris zuzuweisen sei, vermag der Fund
freilich kaum etwas beizutragen. Die Fruchtorgane könnten
auf Gleicheniaceen oder Angiopecopterideen gedeutet wer-
den; vielleicht mehr auf die ersteren. Schmper bemerkt
aber (Handb. S. 128), dass die schon vor längerer Zeit ge-
machten Versuche, die Arten von Pecopteris wenigstens
zum Theil in andere Gattungen — darunter auch Gleichenia
— unterzubringen, als misslungen zu bezeichnen seien, weil
diese Arten mit den lebenden Gattungen in Bezug auf
Fruchtorgane nichts gemein hätten. Darum habe ich auch
die Angiopecopterideen beibehalten.
6. Pecopteris sp.?
Zwei Exemplare aus dem grauen Sandstein von Apolda.
Das eine ein Zweig mit 1 und 3 primären Segmenten, das
andere ein Bruchstück eines Zweiges, daneben 2 primäre
Segmente. Dieselben stehen abwechselnd, entfernt,
sind lanzettlich bis länglich-lanzettlich, gefie-
dert, die Fiederchen eiförmig bis eiförmig-läng-
lich, sitzend, dicht aneinander stossend, zum
Theil sich deekend, mit durchgehendem Mittel-
nerv; dieSeitennervenamMittelnerv aufsteigend,
auswärtsgebogen, unregelmässig gegabelt (Fig. 4,
Taf. I). Es stimmt diese Gestalt und Nervatur zwar mit
Pecopteris Meriani Brongn. nach Hrer’s Abbildung (Urw.
d. Schw., Taf. II Fig. 93) leidlich gut überein; diese
bildung ist aber offenbar schematisch gehalten und darum
nicht unbedingt maassgebend; mit BroxeNIarT's Ab-
bildung stimmt sie nicht. Daher lasse ich die Artbestim
mung offen,
Von Dr. G. ComPTeEr. 213
Calamarieae.
Equiseteae.
Equisetites Sternberg.
1. Equisetites platyodon Schenk (Equisetum marcrocoleon
Schimp.).
Nur aus der Thongrube der Ziegelei Mattstedt bekannt,
stark verdrückt; meist Scheiden und Zähne.
8. Equisetites arenaceus Schenk (Equisetum arenaceum
Jäg.).
Im Keupersandstein von Apolda, Nauendorf, Herressen
und Pfiffelbach und im Kohlenletten von Pfiffelbach, Nauen-
dorf, der Ziegelei Mattstedt und des Neuen Werks.
Die Stücke zeigen verschiedenen Erhaltungszustand,
je nachdem sie aus dem Sandstein oder aus dem Letten
stammen, wie E. Scumiv (a. a. 0. 8.42) bereits bemerkt
bat. Die Vorkommnisse aus dem Sandstein sind in be-
trächtlichen Grössen erhalten und meist nur wenig ver-
rückt, aber von geringer Deutlichkeit; diejenigen des
Lettens bilden verworrene Haufen flachgedrückter Trümmer,
liefern aber scharfe Abdrücke der äussern, wie der innern
Oberfläche des Holzeylinders, meist von einer dünnen Schicht
krümeliger oder staubiger Kohle bedeckt, oder den Holz-
eylinder selbst.
Das grösste Exemplar dieses Erhaltungszustandes ist
ein flachgedrücktes Stammstück von 20 cm Breite, 17 em
Länge und 2 cm Dicke, 1'!/, Internodien umfassend.
Ein einziges Stück ist mir im Letten aufgestossen, das
ähnlich wie die aus dem Sande, die runde Form bewahrt
hat; es ist ein unteres, verjüngtes Stammende von 5 em
änge mit 4 Internodien. }
Obwohl im allgemeinen die Funde mit dem überein-
Stimmen, was andere Localitäten liefern, so scheinen mir
einzelne wegen besonderer Eigenthümlichkeiten doch der
bildlichen Darstellung werth, zu der ich nachfolgende Er-
läuterungen gebe.
. 5 (Taf. II) ist ein Aststück aus dem Letten von
Pfiffelbach, flachgedrückt, einerseits verbrochen ) anderer-
seits mit einem Zweige, in dessen Winkel sich Holz-
Tinden-Masse eingeklemmt hat. Es zeigt den Erhaltungs-
214 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
zustand und die Oberflächenbeschaffenheit der Vorkomm-
nisse aus dem Letten.
Fig. 6 (Taf. II), aus dem Sand von Nauendorf, besteht
äusserlich aus der Rillenschicht, die Scuenk (Beitr. S. 12,
Erläut. zu Scuöxtem’s Abbild. S. 10, Taf. II Fig. 2, 4, 5
und Die foss. Pflanzenreste S. 54) als Calamites arenaceus
auet. oder als Steinkern des Equisetites feststellt. Die
äussere Schicht schält sich ab und lässt erkennen, dass
noch drei glatte concentrische Cylinder darunter liegen.
Demnach müsste das Mark in Schichten an der Innenwand
des Holzeylinders angelegen haben. Fig. 7 (Taf. U), im
Besitz des Herrn Commerzienrath WıErpemann, offenbar ein
Bruchstück eines umfangreicheren, also älteren oder unteren
Stammtheiles, hat wohl um deswillen Interesse, weil es
zeigt, dass auch ältere Stämme an ihrem unteren Theile
Aeste getragen haben, und zwar ziemlich viele in einem
Quirl, entgegen der Ansicht Scnuenx’s (Beitr. S. 14), dass
der Stamm an seinem untern Theile keine Aeste gehabt
zu haben scheine, und ebenso ScHimpEr's (Handb.
S. 159), dass die Stammstücke nur selten Astspuren tragen,
und wo sie vorkommen, dann dem obern dünnen Theil
des Stammes angehört zu haben scheinen. Andere Stücke
können noch vorgeführt werden, bis zu Schenkelstärke,
die ebenfalls Quirle von 10 und mehr, zum Theil daumen-
dicken Astnarben, selbst an zwei bis drei aufeinander fol-
genden Internodien, besitzen. i
Fig. 8 (Taf. U) ist jedenfalls beachtenswerth, weil
sich unter den Astnarben der drei aufeinanderfolgenden
Internodien im Bogen, und den Narben mehr oder weniger
genau folgend, ein Kranz hinzieht, der wie aus Scheide-
zähnen zusammengesetzt erscheint. Die Grösse der Zähne
würde wesentlich geringer sein, als die der eigentlichen
Seheide, ungefähr nur die Hälfte derselben betragen. Aus
dem Sandstein von Apolda.
Ebendaher ist auch das in Fig. 9 (Taf. ID abgebildete
Stück. Ich gebe es wieder wegen des gänzlichen Mangels
einer Spur von Scheide und wegen der vertieften Punkte
unter den Internodiallinien, die nicht wohl Blattnarben
einer Schizoneura sein können, da solehe bei dem Umfang
Von Dr. 6. CoMPTER. 215
des Axenstlickes nach Schenk Kreise, d. h. Flächen dar-
stellen müssten, nicht bloss Punkte. Ob diese Punkte von
Glied zu Glied alternirend oder korrespondirend überein-
anderstehen, lässt sich nicht ermittein.
Fig. 1 (Taf. III) eine Fruchtähre von derselben Loca-
lität; übergeknickt und abgebrochen, neben dem Axen-
ende liegend. Das oberste deutliche Internodium hat auch
noch einen glatten Cylinder unter den Rillen; ein zweiter
ist nicht mehr ganz deutlich (vergl. Fig. 6 (Taf. I). Die
Schildehen sind nur zum Theil in ihrer Gestalt erhalten,
fünf- oder sechseckig, mit einem Buckel; die grössere Zahl
derselben ist verwischt.
Fig. 2 (Taf. III) ebendaher giebt auch eine von der
Spindel abgebrochene und daneben liegende Aehre. Die
Schildchen sind kleiner, als im vorigem Falle, weniger zer-
streut, aber auch weniger scharf begrenzt.
Ausserdem liegen noch mehrere Stücke von geringerer
Deutlichkeit vor, aus dem Sandstein von Apolda und von
Nauendorf, Platten bis zu 4><7 cm, bedeckt mit isolirten,
3—4 mm im Durchmesser haltenden rundlichen Schildehen,
zum Theil gemengt mit Blattresten, Nadeln, Schuppen ete.
9. Equisetites singularis n. sp.
Fig. 3 (Taf. III) stellt einen Steinkern aus dem grauen
Sandstein von Apolda dar, als vollständiger Cylinder aus
dem Gestein herausgeschält, auf dessen gerillter Oberfläche
noch einige Fetzen des Holz-Rinden-Cylinders aufliegen,
der breite runde Furchen und Rippen besitzt. Der obere
dieser Fetzen schwillt über der Nodallinie an. Furchung
und Schwellung sind an dem Bruchstück in Fig. 4 und dem-
Jenigen in Fig. 5 und 6 der Tafel II, von entgegengesetz-
ten Seiten dargestellt (beide von Nauendorf), noch deut-
licher zu sehen; die Schwellung lässt aber eine Inter-
nodiallinie nicht erkennen; die Stelle ist an diesem Exemplar
verrieben. Ich glaube indessen nicht fehl zu greifen, wenn
ich einige andere Stücke, die sich ebenfalls rund aus dem
Sandstein (von Apolda) herausgelöst haben oder heraus-
lösen liessen, und wovon ich eins in Fig. 7 (Taf. II) ab-
bilde, damit identifieire. Wenn daran vom Steinkern auch
Nichts zu erkennen ist, so gehören sie der Furchung nach
216 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
doch zweifellos derselben Art an. An ihnen ist nun die
Gliederung vollkommen deutlich. Die Wulst wird von
einer schmalen, aber scharfen Nodallinie getheilt, und ihre
untere Hälfte hat in der Verlängerung der Furchen kurze,
scharfe, kommaähnliche Einschnitte, während zwischen
diesen, also immer in der Verlängerung der Rippen des
untern Internodiums eine Gefässbündelspur. sichtbar ist.
Die breiten Furchen alterniren von Glied zu Glied. ScHENK
kennzeichnet nun Egwisetum durch eine an der Aussenfläche
entweder fein gerillte oder mit stärkeren, wenig zahlreichen
Rippen versehene Axe. Hiernach gehört das Vorkommniss
also dem Genus Equisetites an. Nun hat das in Fig. 3
auf Tafel III abgebildete Stück aber noch. eine Eigenthüm-
lichkeit. Die Narbe « oben links, sowie 5 nahe dem untern
Ende sind unzweifelhaft Astnarben; eine ebensoleche befindet
sich auch unter der obern Nodallinie auf der Rückseite;
Fig. 3a stellt sie dar. Diese Narben sind ungewöhnlicher
Weise vom Diaphragma um ein beträchtliches Stück ent-
fernt, ein Merkmal, das sich mit der sonst beobachteten
Weise des Astansatzes nicht vereinbaren lässt. Die Art
kann daher nicht wohl zu Equisetites arenaceus gezogen
werden und ich habe mir im Hinblick auf die eigenthüm-
liche Aststellung dafür Equisetites singularis vorzuschlagen
erlaubt: Furchen und Rippen der Oberfläche breit
und rund; Gelenke wulstig aufgetrieben; Wulst
durch die Nodallinie scharf getheilt; Fortsetzung
der Rippen auf der untern Wulsthälfte durch
kurze Einschnitte begrenzt, in der Mitte mit
einer Gefässbündelspur; Aeste vom Diaphragmä
mehr oder weniger abgerückt.
Schizoneureae.
Schizoneura Schimp.
10. Schizoneura Meriani Schimp. - we.
Diese Art habe ich (Act. Nat Cur. XXXVI3 8.5) auf
geführt auf Grund eines Fundstücks aus dem grauen Sand-
stein von Apolda, das mit Scuöxuzın’s Abbildung Taf. vI
Fig. 1 grosse Aehnlichkeit hat; nur sind die Blätter schmäler
und die Blattnarben wenig deutlich.
Von Dr. @. ComPTER. 217
Seitdem haben sich noch verschiedene Exemplare ge-
funden. Von denselben bilde ich noch folgende ab:
Fig. 8 (Taf. III) ausgezeichnet durch die langen schmal-
linealen Blätter; ebenfalls aus dem Sandstein von Apolda;
derselbe ist aber etwas lettig, daher die Blätter scharf er-
halten; trotzdem lassen sie von Verwachsensein keine Spur
erkennen. Die breiten Rippen des Markrohrs treten nur
wenig durch die Rindenrillen hervor.
Fig. 9 (Taf. IT) ein ganz junger Zweig ebendaher.
Er kann der Fig. 5 auf Taf. XVI von Schmeer’s Traits
verglichen werden; die Blätter sind indes noch nicht 1 mm
breit, aber bis zum Grunde frei.
Ein anderes Stück aus dem Sandstein von Nauendorf
lässt erkennen, dass die breiteren Rippen des Steinkerns
oder des Markrohrs nicht überall gleichmässig durch die
äussere Streifung hindurchscheinen, wie bei SCHÖNLEIN
Taf. V Fig. 4.
Das Stück in Fig. 10 (Taf. II), aus dem Letten von
Pfffelbach, bilde ich ab um der grossen Blattnarben willen
und weil es die Art der Erhaltung der Pflanzenreste im
Letten vielleicht noch deutlicher zur Erscheinung bringt,
als Fig. 5 der Tafel II.
Fig. 11 (Taf. IT), aus dem Nauendorfer Sandstein,
Zeigt, wie sich die Rippen des Markrohrs vom Zweige nach
dem Aste hin verbreitern. Wird für den Uebergang vom
Aste auf den Stamm dasselbe Verhältnis der Furchenbreite
festgehalten, so kommt man auf Stammfurchen von der
reite, wie an Schizoneura Meriani Schimp. im Traite
Taf. XvI Fig. 3, 4, oder Scuöxtzm’s Abbild. Tafel V
Fig. 3a.
An unserm Stück sind aber noch zwei Eigenthümlich-
keiten zu bemerken. Am Zweige korrespondiren nämlich
die Rillen des obern Internodiums nicht alle mit denen des
Untern; einige davon alterniren, weil die obern zahlreicher
sind. (In der Abbildung liess sich das nicht deutlich
wiedergeben.) Ausserdem zeigen die schwarzen Leisten
des Astes, also die Rippen, unten links, wo sie als Abdruck
auftreten, daein Stück des Astes weggebrochen ist, ein Anasto-
mosiren, das an die Gabelstränge der Calamarieen erinnert,
218 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
Eine Andeutung von früherem Verwachsensein der
Blätter findet sich also an den aufgeführten Exemplaren
nirgends. ScHimper (Handb. S. 161) schreibt zwar den
dünnern secundären Aesten der Schizoneura vollständig
freie Blätter zu und Schenk (Die foss. Pflanzenr. S. 55)
sagt: „sie waren wohl nie zu einer Scheide, wenn nicht
‚in den frühesten Entwiekelungsstufen vereinigt“ und 8. 56
„ob ursprünglich scheidige Blätter vorhanden waren, muss
spätern Untersuchungen überlassen bleiben.“ Aber — ab-
gesehen davon, dass sich’s schwer vurstellen lässt, wie
jüngere Aeste freie oder gespaltene Blätter, ältere Aeste
verwachsene Blätter haben sollen — sind die zwei Exem-
plare in Figg. 8 und 9 jedenfalls von so verschiedenem
Alter, dass die Abwesenheit eines Hinweises auf Verwachsen-
sein oder Spaltung der Blätter zweifelhaft machen muss,
ob die vorliegende Art mit dem Genus Schizoneura ver-
einigt werden dürfe; denn was hätte ein von einer voll-
ständig fehlenden Eigenschaft entlehnter Name für eine
Berechtigung?
Uebrigens kommen im Letten, losgelöst vom Zweige,
Blattreste vor, die durch ihre Gestalt und Nervatur denen
der Scuimrer’schen Abbildungen (Handb. Fig. 122) von
Schizoneura paradoxa gleichen; es kann also auch eine
echte Schizoneura, deren Name in der Beschaffenheit der
Blätter begründet ist, hier vorkommen; doch soll einst-
weilen, solange sich die Blätter nicht am Zweige gefunden
haben, kein Werth darauf gelegt werden.
Cyeadeaceae.
Cycadites Brongn.
Schuimper führt (Handb. d. Pal. S. 217) nur Arten aus
der Steinkohle, dem Rhät, Lias, Oolith und jngern
Schichten an.
11. Oyeadites Rumpfii Schenk.
Scnenk hat diese Art in seinen Beiträgen beschrieben
und (Taf. VI Fig. 1) abgebildet, später aber wieder. ein-
gezogen; an den aus den Hautresten der hiesigen Funde
gefertigten Präparaten hat er sich indess überzeugt, dass
es zweifellos eine Cycadee ist. Daher hielt ich bei meint —
Mittheilung (Act. Nat. Cur. XXXVH 3, Taf. U Fig. die
Von Dr. G. ComPTER, 219
Aufstellung einer neuen Art für überflüssig, trotzdem die
speeifischen Merkmale nicht ganz zutreffen; die Fiederchen
sind schlanker und die ganze Gestalt zarter, als bei Schenk.
In den süddeutschen Sammlungen ist die Art übrigens nur
selten anzutreffen; in Würzburg fand ich sie als Selenocar-
pidium gracillimum Sandbrgr.
Der graue Sandstein von Apolda hat seitdem noch
eine ganze Reihe von Exemplaren geliefert, darunter auch
solche, deren Endfieder und zwei bis drei obern Seiten-
fiedern breit herablaufend in einander überfliessen, so dass
die Rachis erst beim vierten Fiederpaare die runde Gestalt
annimmt. Eine Anzahl Exemplare befindet sich im Besitz
des Herrn Commerzienratli WIEDEMANN.
12. Cycadites apoldensis m.
(Act. Nat. Cur. XXXVII 3, 8.8, Taf. I Fig. 6.)
Grauer Sandstein von Apolda.
13 Cyeadites pinnatilobatus n. sp- (Fig. 1 Taf. IV.)
Ein Wedel, der bei flüchtiger Betrachtung für eine
Anotopteris gehalten werden kann. Es lassen sich aber
Hautschüppchen ablösen, die sich durch kurze Behandlung
mit chlorsaurem Kali und Salpetersäure in Ober- und
Unterhaut trennen und die Cycadeenstructur zeigen. Die
Zellen unterscheiden sich von Oycadites Rumpfii durch
dtunere Wandung mit Andeutungen von spiraligen Ver-
Öickungsleisten, durch Abwesenheit der Buckel, durch ziem-
lie regelmässige parallelogrammatische Gestalt. Die
Fiederchen sind lineal, alternirend, sitzend,
ünter ziemlich grossem Winkel ausgehend, her-
ablaufend und theils ungetheilt, theils fieder-
lappig ausgebuchtet; die Lappen wechseln eben-
falls meist ab und sind lanzettlich bis eiförmig,
Nach vorn gerichtet. Diese Lappen sind nicht etwa
zufällige Bildungen, die durch Ausbreehen oder Abreiben
der zwischenliegenden Flächentheile entstanden wären; sie
besitzen vielmehr natürliche Ränder.
Wenn Schexk (Die foss. Pflanzenr. S. 148) meint, vom
Culm bis zum Infralias fehle Cycas und was vorhanden,
seien Abdrücke ohne Nachweis der Structur, so bedarf das
nach den hiesigen Vorkommnissen der Erweiterung in dem
220 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen,
Sinne, dass sich die grosse Lücke vom Culm ab schon mit
dem Keuper schliesst.
« Dioonites Miquel.
14. Dioonites pennaeformis Schenk.
Im Letten von Pfiffelbach früher nicht selten, jetzt
nicht mehr zugänglich; aus dem Sandstein, und zwar von
Apolda, sind mir nur 2 Exemplare bekannt geworden.
Pterophyllum Brongn.
Auch die zweite der Arten, die ich früher (Act. Nat.
Cur. XXXVII. 3. 8. 6. Taf.I. Fig. 2. 3.) mitgetheilt habe
bedarf einer Verbesserung.
15. Pterophyllum robustum sp. em.
Grauer Sandstein von Apolda und Nauendorf, Bruch-
stücke auch im Letten von Pfiffelbach.
Die a. a. O. beschriebene und abgebildete Art ist als
Pterophyllum longifolium Brongn. nicht aufrecht zu erhalten,
wie ich mich durch Vergleichung der mir zugänglichen
Abbildungen und der Stücke in den süddeutschen Samm-
lungen überzeugt habe.
Wenn auch die Länge der Fiedern von Pterophyllum
longifolium Brongn. eine sehr verschiedene ist, so erreicht
sie doch niemals mehr als 10 cm; die hiesigen Pinnen
gehen aber über 20 em hinaus. Ich habe hier noch anderes
Material zu dem meinigen herzugezogen; die Fiedern sind
am Grunde niemals verschmälert, vielmehr meist etwas
verbreitert, unter einander ein wenig zusammenhängend und
stets um weniger als ihre eigne Breite von einander ent-
fernt. Am ehesten liesse sich die biesige Art noch mit
Pier, Brongniarti Morris identifieiren, wie es im Handb-
d. Pal. $. 224 Fig. 161 abgebildet ist, wenn dieses zarter®
Nerven hätte und nicht dem Wälderthon angehörte. Nun
danke ich Herrn C.-R. Wırpemann die freundliche -
theilung eines Bruchstücks, das ich in Fig. 2 auf Tafel I
wiedergebe, und das derselben Art angehört, ja, wie ieh
mit Grund annehmen darf, von demselben Exemplare
stammt, wie die a. a. O. Taf. I. Fig. 2 und 3 abgebildeten
Stücke. Dieses Stück besitzt eine ausserordentlich diek®
Rachis, dieselbe ist nicht in ganzer Breite erhalten, vier
ESTER TR
leicht kaum zu drei Vierteln; ergänzt würde sie auf 3 em s
Von Dr. G. CoMPTER. 221
kommen. Es muss also ein Fragment nahe vom Grunde
des Wedels sein; und dieser Grund hat Segmente gehabt
reichlich von derselben Breite, wie die Mitte und das Ende
des Wedels. Im Hinblick auf den mächtigen Stiel und
die ganze Erscheinung habe ich daher die Art in der
obigen Weise abgeändert: Pierophyllum robustum: Wedel
gross, bis 2m, gefiedert, Fiedern bis 30 cm lang,
und 8mm breit, lineal, am Grunde ein wenig ver-
breitert, mit schmalem Saum untereinander zu-
sammenhängend, um weniger als die eigne Breite
von einander entfernt.
Damit ist zugleich die Ansicht hinfällig geworden, dass
die ganz schmalen Segmente, die sich a. a. O. Tafel I
Figur 4 abgebildet finden, dem Grunde eines Wedels von
Pterophyllum longifolium zugehört hätten. Sie müssen
einer andern Art eigen sein, die ich aber auf sich be-
ruhen lasse.
16. Pterophyllum Bronnii Schenk (Macropterygium Bronnii
Schimp.)
(Act Nat. Cur. S. 6.)
Grauer Sandstein von Apolda.
1, Pterophyllum spectabile m.
(Diese Zeitschr., Bd. 57, S. 16, Taf. II Fig. 19).
Bruchstücke auch im Sandstein von Nauendorf.
Pterophyllum Jägeri Brongn. Form mit schmalen Seg-
menten.
(Diese Zeitschr. Bd. 57, S. 16, 3).
Nach Scurmper könnte es zweifelhaft ein, ob Pfero-
Phyllum spectabile und Pter. robustum zu dieser Gattung
gehören. Er sagt (Handb. d. Pal. S. 224), die seitliche
Einfügung der Segmente bilde einen Hauptcharacter der
Gattung, und er fordert sie für Pferophyllum auch Traite II
8.127... Nun sind an dem von mir abgebildeten Exemplare
von Pteroph. spectabile die mittleren und unteren Segmente
mit ihren untern Enden deutlich bis an eine mittlere Leiste
heran auf die Rachis aufgelagert, so dass sie seitlich an
einem Grat oder Kiel der Oberseite ansitzen; bei den obern
egmenten ist dieser Umstand nur undeutlich zu er-
nen.
fr
m
=
222 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
Dass und inwieweit ein ähnliches Verhältniss auch
bei Pier. robustum stattfindet, darüber habe ich Act. Nat.
Cur. ete. S. 6 Auskunft gegeben. Hiernach wären beide
Arten keine Pterophyllen. Ich halte aber mit ScHEsKk
daran fest, dass die Insertion auf der Ober- oder Vorder-
seite stattfindet und nur scheinbar an der Seite, nämlich
wenn der Wedel von unten sichtbar ist.
19. Pterophyllum longifolium Brongn.
Ganze Wedel vermag ich nicht nachzuweisen; es
kommen aber im Sandstein (Herressen und Nauendorf) und
im Letten (Pfiffelbach) Bruchstücke vor, deren Zugehörig-
keit ich nicht bezweifle.
Sphenozamites Brongn.
20. Sphenozamites tener m.
(Diese Zeitschrift Bd. 57, S. 3—12.)
Dazu ist zu bemerken, das sich nachträglich noch
mancherlei Material gefunden hat: einzelne Fiederchen von
13 em Länge und 9 em grösster Breite; auf einer Platte
eine Rachis von 20 em Länge mit 3 opponirten Fieder-
paaren von je 9 cm Länge und Breite; auf einer andern
Platte ein Zweig mit 3 Fiederpaaren, von denen nur die
Fiederchen der linken Seite zu einem Drittel bis zwei
Drittel erhalten sind (Fig. 3 Taf. IV); auf einer dritten
Platte endlich eine Rachis mit zwei Pinnen derselben Seite
und daneben, unter spitzem Winkel gegen sie gerichtet, eIn
fingerdicker Zweig oder Ast, an welchem jene Rachis augen-
scheinlich gesessen hat; die Platte ist zwar nicht bis zur
Ursprungsstelle der Rachis erhalten; trotzdem kann man
über die Zusammengehörigkeit beider Theile nicht iM
Zweifel sein. Damit ist Sphenozamites als eine grössere
holzige Pflanze nachgewiesen. ;
Demselben Horizont und fast derselben Stelle, wie die
schönsten Exemplare des Sphenozamites, sind einige eigen
thümliche Stücke entnommen, welche die Figg. 4—7 (Taf.
darstellen. Braune bis schwarze, von einer rissigen oder
staubigen Kohleschicht bedeckte Flächen auf dem Sand-
stein mit ausgesparten runden oder langgezogenen, von
Gestein ausgefüllten Löchern. Die kleinern Stücke (F igg. + =
bis 6) sind Bruchtheile aus der Mitte von Blättern; en. =
Von Dr. G. CoMPTER. 223
natürlicher Rand fehlt. Die Löcher dieser Stücke sind
ziemlich rund, mit dunklerem, etwas aufgeworfenem Ringe
umgeben. Fig. 4 hat 5 vollständig begrenzte Löcher, da-
von eins nicht offen, nur als dunkler Kreis angedeutet ist,
und ein am Rande durchgebrochenes, Fig. 5 hat 5 voll-
ständige und 2 durchgebrochene, Fig. 6 aber hat 12 voll-
ständige und 3 halberhaltene. Eine bestimmte Anordnung
derselben lässt sich nicht erkennen, nur bei 4 und 5 ist
eine Reihung angedeutet. Der dunklere Ring oder Rand
ist bei 4 abwärts oder einwärts, bei 5 und 6 etwas auf-
wärts gebogen. Das Stück Fig. 7 scheint aus der Mitte
eines Blattes, mehr nach der rechten Seite hin, ausgespalten
zu sein; die beiden seitlichen Ränder sind Brüche, der
Vorderrand zeigt natürliche Erhaltung; die beiden Aus-
randungen desselben sind Kerben, die in der Verlängerung
der beiden senkrechten Reihen von Löchern liegen, also
die Fortsetzung dieser Reihen bilden. Die vollständigen
Löcher sind länglich bis langgezogen und nach unten
zum Theil in eine erhabene Falte der Blattfläche aus-
laufend. Die Ränder dieser Löcher sind weniger scharf
und weniger zusammenhängend, als bei den drei ersten
Stücken. Das erste ist wohl als Unterseite oder als Ab-
druck der Oberseite, die übrigen sind als Oberseiten zu
deuten. Von Nervatur ist nichts zu erkennen.
Eine Erklärung dieser Reste gebe ich nicht, aber eine
Vermuthung gestatte ich mir auszusprechen. Im Hinblick
auf die Darlegungen, welche Srur (Verhandl. d. k. k. geol.
Reichsanst. in Wien, 1878) und Weiss (Zeitschr. d. d. geol.
Gesellsch. XXXI 1879) über Fructifieationen der Nöggerathia
Foliosa an Material von Radnitz und Trzemoschna gegeben
haben, zusammengehalten mit der Ansicht Sarorra’s, dass
die Nöggerathien vom Typus der foliosa als Repräsentanten
der wahren Cycadeen zur Zeit der mittleren Steinkohlen-
Periode zu betrachten seien, könnte man in diesen Resten
Fruchtblätter vermuthen. Wenn nämlich die Fructificationen
der Nöggerathia aus gefiederten Blättern bestehen, auf
eren querovalen, 1,5:2 cm messenden Fiedern Körper, die
als F rüchte bezeichnet werden, in grösserer Anzahl stehen,
theils geordnet, theils ungeordnet, und die Früchte, von
224 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
3:4 mm, rundliche bis elliptische Insertionsnarben hinter-
lassen, dann darf vielleicht die Annahme gewagt werden,
dass die Nauendorfer Blattreste Früchte getragen haben,
die sitzend befestigt waren, vielleicht auf kleinen Er-
höhungen, die sich nachher abgerieben und Löcher gegeben
haben; sie sassen bei den kleinen Stücken mehr senkrecht
zur Blattfläche, bei dem grössern schief, nach vorn oder
aussen geneigt. Diese Fruchtblätter würden einer Cycadee
zuzuschreiben sein.
Carpolithes Sternberg.
Carpolithes keuperianus Schenk.
(Beitr. zu foss. Fl. des Keup. u. d. rhät. Form. 8. 71,
Taf. V Fig. 6.)
Grauer Sandstein von Apolda.
. Carpolithes amygdalinus Schenk.
(Diese Zeitschrift, Bd. 57, S. 21.)
Ebendaher.
. Carpolithes sphaericus m.
(Diese Zeitschrift, Bd. 57, S. 24.)
Ebendaher.
Ich führe diese Früchte nur an; sie in Zusammenhang
mit Blättern oder Blüthen zu bringen, ist nicht möglich
gewesen, weil die Thongrube, die sie geliefert hat, bald
nachdem die Funde gemacht worden waren, einge
gangen ist.
Oycadorhachis.
SCHENK, Die foss, Pflanzenr., S. 151.
Fig. 8 und 8b (Taf. IV.), ein elliptischer Cylinder von der
schmalen und breiten Seite gesehen. Die Bogenlinien sind
Falten, durch Zusammenschieben in Folge schiefen Drucks
entstanden; die dunkeln Flecke sind Reste von Oberhaut,
21.
ar
189)
DD
IS)
=
welche Cycadeenstructur besitzt. Es lässt sich das Vor
kommniss wohl kaum anders erklären, denn als ein ZU-
sammengedrücktes Stück einer Rachis vom untersten }
eines Wedels, unterhalb der Pinnen. Die Dimensionen
sind für diese Erklärung allerdings auffällig gross und die
Rundung sehr regelmässig; die Grösse wird indessen vom
Blattstiel der Fig. 2 (Taf. IV) nahezu erreicht.
Von Dr. G. CoMPTER. 225
Auch Stammstücke von Cycadeen haben sich gefunden,
deren eines sich den Figg. 10 und 11 auf Taf. LXXI
von ScHimper’s Traite vergleichen lässt.
Cordaiteae Grand’ Eury.
Cordaites Ung.
24. Oordaites keuperianus n. sp.
In dieser Zeitschrift, Bd. 57, S. 13, Fig. 18, habe ich
ein Vorkommniss beschrieben und abgebildet, das als ein
Zamites gelten sollte. Das bedarf aber auch einer Be-
riehtigung. Es haben sich nachträglich eine ganze Anzahl
von Bruchstücken gefunden, aus deren gegenseitiger Er-
gänzung sich Blätter ergeben von 30—40 em Länge und
1,5—2 cm Breite, lineallanzettlich bis lineal, nach dem
Grunde hin allmählich bis auf 5 oder 6 mm verschmälert,
am Ende wahrscheinlich zugespitzt, da die vorhandenen
Endfragmente in sehr schlanke, spitze Kegel zusammen-
gerollt sind. Die Nerven scheinen nahezu parallel zu
laufen; sie sind aber an der Basis dicht zusammengedrtickt
und nach oben hin gegabelt, so dass sie sich vom Grunde
nach der Mitte für gleiche Breiten etwa im Verhältniss
4:7 oder 4:9 vermehren. Auf der Oberseite sind sie
platt, auf der untern etwas rundlich vorspringend. Die
Basis des Blattes ist quer abgeschnitten; es hat sich mit
einer gelinden horizontalen Biegung an die Axe gelegt.
Die Zeichnung (Fig.9 auf Taf. IV) habe ich etwas schema-
isiren müssen, weil das Blatt auf dem Gestein aufliegt,
seine Basis also von der Unterseite nicht sichtbar ist.
Ueber die Stellung dieser Reste im System bin ich
lange im Zweifel gewesen. Sie den Cycadeen zuzuweisen,
verbietet sich wegen der breiten, quer ansitzenden Basis;
den Gramineen widerspricht die Nervatur; mit PAoentcopsis
Heer ist zwar Aehnlichkeit vorhanden; jedoch ist die
Basis unserer Blätter wesentlich breiter, als bei PAoeni-
°opsis, und die gegenseitige Lage derselben, wo ihrer
mehrere beisammen vorkommen, deutet nicht auf eine so
diehte büschelige Stellung. Wohl aber lassen sich die-
selben ohne grosses Bedenken zum Genus Cordaites Unger
stellen. GRanv’ Every (Flore earbonifere du depart. de la
Loire) unterscheidet nach den Blättern drei Gruppen, deren
techrift £. Natyri . 1894. a
ss. Bd, 67. 1894
226 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
zweite, Dory-Cordaites, durch lanzettliche, spitze Blätter
gegenüber den beiden andern mit an der Spitze gerunde-
ten Blättern characterisirt ist. In diese Gruppe lassen
sich die hiesigen Blätter ohne Schwierigkeit stellen. Leder-
artig sind dieselben, nach der glänzend braunen Oberfläche
zu urtheilen, jedenfalls gewesen, wenn auch Fetzchen sich
nicht ablösen lassen, wie bei den meisten hier vorkommen-
den Cycadeen; die Basis ist von der Art, wie GrAnD’ EuryY
sie für Dory-Cordaites (Taf. XVII Fig. 5 und 6) darstellt;
die Nerven theilen sich unmerklich und sind auf der
untern Seite etwas vorspringend, nur auf der obern nicht
vertieft, sondern flach; auch ist nicht zu erkennen, dass
sie am Rande des Blattes feiner wären. Nach Herr wür-
den sie der Abtheilung B. mit gleichen Längsnerven (Foss.
Pfl. Spitzbergens, S. 23, Taf. H Fig.29 und 30) zuzuweisen
sein, wenn diese Abbildungen auch etwas feinere Nerven
zeigen. Die Eigenthümlichkeit der conisch zusammen-
gerollten Spitzen ist jedenfalls im Erhaltungszustand be-
gründet. Fast vollständig ist die Uebereinstimmung mit
Oordaites palmaeformis Göpp., nur ist die Gestalt schlanker,
da bei 30—40 em Länge die Breite 2 cm nicht über-
schreitet. Blätter lederig, 30-40 cm lang, 1,5—2 em
breit, lineallanzettlich bis lineal, nach dem
Grunde hin bis auf 5 oder 6 mm verschmälerft,
quer an der Axe sitzend, zugespitzt; Nerven
nahezu parallel, nur wenig diehotom, oben flach,
unten etwas erhaben. Da sich diese Blätter aber
wegen des grossen Abstandes der Lettenkohle oder des
Keupers von der Steinkohle mit Cord. palmaeformis niebt
identifieiren lassen, so erlaube ich mir, Cord. keuperian#
dafür vorzuschlagen: Eine Anzahl Exemplare sind an 12
bis 15 cm langen Bruchstücken genau lineal und höchstens
1 cm breit.
Das Vorkommniss ist auf den grauen Sandstein der
Thongrube Nauendorf beschränkt gewesen. Von Herressen
liegen zwar noch einige Stücke vor, 5—7 cm breit, vo 2
linearer Gestalt und an der Spitze zugerundet; sie
indessen so undeutlich, dass es bei dieser Erwähnung be en
wenden mag.
Von Dr. &. CoMPTER, 227
Coniferae.
Voltzia Brongn. (Glyptolepsis Schim., G/yptolepidium
Heer).
25. Voltzia coburgensis Schauroth.
Nicht’ selten im Letten von Pfiffelbach und im merge-
ligen Ockerdolomit von Nauendorf, selten im grauen Sand-
stein.
26. Voltzia heterophylla Brongn.
Aus dem Letten von Pfiffelbach liegen zwei Stücke
vor, welche schöne Uebereinstimmung mit Schimper, Traite
Taf. 74 Fig. 3 oder Görrerr, Foss. Conif. Taf. 23 Fig. 2
(oberes Kätzchen), bekunden.
Widdringtonites Endl.
27. Widdringtonites keuperianus Heer.
Im Letten von Pfiffelbach, selten.
Araucarites Göpp.
. Auracarites thuringicus Bornem, sp.
Häufig im Sandstein und Letten.
Was E. Schu tiber den Erhaltungszustand der Coni-
ferenhölzer sagt, ist durch zwei anderweitige Formen des
Vorkommens zu ergänzen. Beide stammen aus dem grauen
Sandstein.
Das erste ist eine Säule Stammholz von 11 cm Höhe,
? und 5 cm Breite und Dicke, röthlich-grau, aus einem
ehemaligen Steinbruch bei Stiebritz, am Wege nach Stobra.
Auf dem Querbruch, den ich an der Smirgelscheibe noth-
dürftig eben geschliffen habe, lassen sich Verwitterungs-
spalten, in concentrischen Linien, Jahresringen ähnlich ver-
laufend, und mit der Lupe auch Markstrahlen erkennen.
Die Krümmung jener Bogenlinien deutet auf einen Durch-
messer von 50 em; dabei ist aber von aussen her eine un-
bestimmbare Dicke abgewittert, auch Rinde nicht vor-
handen. Einen Querschliff oder -Schnitt herzustellen, er-
klärte der Mechaniker das Material für zu hart. Die
Untersuchung musste sich daher auf Splitter beschränken,
und diese liefern meist Radial-, selten Tangentialflächen.
Die Zellen sind gänzlich mit Kieselsäure erfüllt; die Wände
Splittern leicht ab, und wenn dann der Cylinder, den die |
Füllmasse bildet, so zu liegen kommt, dass die = seit-
DO
je 0)
228 Die fossile Flora des untern Keupers von Ostthüringen.
wärts gerichtet sind, so erscheinen sie im Abdruck als
kurze Doppelwarzen, deren kleinere über die grössere
etwas hervorragt. Sonst sind die Tüpfel schwer zu er-
kennen. Sie stehen meist zweireihig, aber vielfach auch
einreihig; ob auch dreireibig, ist zweifelhaft. Auf der
Tangentialseite habe ich keine Tüpfel finden können; auch
an der Radialwand fehlen sie auf ganze Strecken; Tüpfel des
Strahlenparenchyms einer auf die Tracheide. Die Zellen
sind theilweis mit einer feinkörnigen Masse erfüllt.
Schenk erklärt (Handb. d. Pal. S. 242—43 und Die
foss. Pflanzenr. $. 143) Araucarites Göpp., Araucariozylon
Kraus, Dadozylon Endlicher für Cordaitenholz (Fig. 173).
Da am vorliegenden Stück aber die Radialwände der
Tracheiden niemals 3, noch weniger 4 oder 5 Reihen
hexagonaler Doppeltüpfel zeigen und der innere Hof
nicht spaltenförmig schief ist, so habe ich das alte Genus
beibehalten und hier unter den Coniferen stehen lassen.
Das zweite Stück, das eine andere Erhaltungsform
aufweist, ist in derselben Formation, wie das erste,
zwischen Apolda und Stobra auf einem Felde ausgeackert
worden. Ein Block 20 em hoch, 15 em breit und dick.
Er bildet ungefähr eine abgestumpfte vierseitige Pyramide,
deren eine Seite senkrecht steht, während die 3 andern
verbrochen abgestuft sind. Er scheint seinem Gefüge nach
ziemlich genau mit denen übereinzustimmen, die BORNEMANN
(a. a. O. S. 62) aus der Horsmarschen Mark beschreibt;
er ist erst verkohlt und verwittert, dann verkieselt. Von
oben herein ist er concentrisch-schalig gespalten, nach den
Jahresringen. Die Schalen besitzen 1—4 mm Dicke. Die
Krümmung derselben deutet auf einen Stamm von mehr
als 50 em Durchmesser, wobei sich die Dieke des abge
brochenen äusseren Ringes nicht bestimmen lässt. Ein
Querschnitt war nicht herzustellen; das Material 2er
bröckelte; auch ein Radialschliff nicht, nur ein Tangential-
schliff; indessen auch der nur so dünn, dass eben die
Markstrahlen sichtbar wurden. Die Masse ist tiefbrauP-
Auch hier konnten deshalb nur Splitter zur Untersuchung Ss
verwendet werden, die durch Behandlung mit kohlensauren! =
Natron leidlich durchsiehtig, mit chlorsaurem Kali md
Von Dr. &, COMPTER. 229
Salpetersäure genügend klar wurden; das Natron färbte
sich merklich braun. Dieses Holz unterscheidet sich vom
vorigen durch die leeren Zellen; sie sind nicht mit Kiesel-
säure gefüllt; nur die Wand ist verkieselt; sodann sind
die Zellen, namentlich die Markstrahlen, von merklich ge-
ringerem Durchmesser und die Tüpfel stets einreihig; ganz
selten tritt eine zweite Zellenlage hinzu. In den Zellen
zerstreut finden sich rundliche oder eckige Körner einer
gelben bis braunen Masse, beträchtlich grösser, als beim
vorigen. Von der Aussenfläche einer Spaltschale sind die
Zellen weniger durchsichtig, also dickwandiger, als von
der Innenfläche. Auch spiralige Verdiekungsschichten
lassen sich erkennen.
Die Spalten und Risse sind dicht mit Quarzkryställchen
bekleidet, die meist vollständig ausgebildet sind und oft
nur mit einer Spitze ansitzen; sie schliessen häufig zer-
störte und zerfaserte Zellwandreste, namenlich von Mark-
strahlzellen, ein, um welche die Krystallisation stattgefunden
hat (Fig. 10, Taf. IV).
Es ist ein Coniferenstamm, aber schwerlich ein Arau-
carites Göpp., da von mehrreihigen Tüpfeln keine Spur
u finden ist. Bei der Unsicherheit einer näheren Be-
stimmung blossen Holzes ohne Blätter oder Früchte sehe
ich von allem Weiteren ab.
Unbestimmbares.
Einige Vorkommnisse, die ich nicht zu deuten weiss,
mögen hier noch in aller Kürze erwähnt werden, um darauf
hinzuweisen.
Aus dem grauen Sandstein von Apolda stammen zwei
oder vielleicht auch drei Bruchstücke von Blättern, mög-
licherweise auch Oberhautstreifen eines Axenorgans, kreuz-
weis übereinander liegend und sich theilweis deckend,
parallelnervig; Nerven ziemlich derb, paarweis einander
dicht genähert, die Paare durch breitere Zwischenräume
getrennt. .
Ferner lieferte der graue Sandstein von Apolda und
Letten von Pfiffelbach organische Reste, die, der
Mittelrippe nach zu urtheilen, ein Blatt darstellen; Nerven
230 Die fossile Flora des untern Keupers. Von G. COMPTER.
sind nicht zu erkennen. Die ganze Erscheinung müsste
durch wellenförmiges oder faltiges Zusammenschieben der
Blattspreite erklärt werden.
Endlich ist noch ein Blattfragment von zarter, aber
sehr scharfer Nervatur zu erwähnen, sowie mehrere Reste,
die zweifellos Blättern zugehören, aber von Nerven nichts
erkennen - lassen.
Die Vergleichung der vorstehenden Zusammenstellung
mit den aus Franken und Schwaben bekannten: Keuper-
und Lettenkohlenpflanzen ergiebt, dass dort der Reichthum
an Arten im Ganzen etwas grösser ist, als hier, dass dort
namentlich die Farne zahlreicher sind, dass dagegen Ost-
thüringen reicher an Cycadeen ist, und dass unter diesen
Cycadites Brongn. sich besonders hervorhebt.
Die geometrische Zusammensetzung zweier Sinus-
schwingungen,
Von Dr. H. Wiener.
(Nach einem in der Vereinssitzung vom 10.Mai 1894 gehaltenen Vortrag.)
1. Um die Zusammensetzung zweier Schwingungen
zu zeigen, bedient sich der Physiker des folgenden eleganten
Versuches: Durch einen kleinen Spiegel, der an einer
schwingenden Stimmgabel befestigt ist, wird ein auffallender
Lichtstrahl auf einen Schirm zurückgeworfen, und dadurch
die Bewegung der Stimmgabel in die eines auf dem Schirme
in gerader Linie hin und her schwingenden Lichtpunktes
übersetzt. Schiebt man nun in den Weg des Lichtstrahls
noch einen zweiten, ebenfalls an einer Stimmgabel be-
festigten kleinen Spiegel ein, und fängt den. zweimal ge-
spiegelten Lichtstrahl wieder durch einen Schirm auf, so
ann man auf diesem nach Belieben die Bewegung der
ersten oder der zweiten Gabel beobachten — man braucht
dazu ja nur jedesmal die andere festzuhalten. Man kann
aber auch beide Bewegungen gleichzeitig eintreten lassen,
und erhält so eine verwickeltere Bewegung des Licht-
Punktes, nämlich „die aus den beiden einfachen Schwing-
ungen zusammengesetzte Bewegung“. Diese durch das Auge
wahrnehmbare Bewegung kann als ein Bild des akustischen
Vorganges beim Zusammenklingen der beiden Töne be-
trachtet werden.
Die Kurven, die so vom Lichtpunkt bei der zusammen-
gesetzten Bewegung beschrieben werden, sind unter dem
amen „Lissasou’s Kurven“ bekannt. Die Gestalt dieser
Kurven hängt unter der Voraussetzung, dass man den
beiden Schwingungen senkrechte Richtung zu einander und
einen gleich grossen Ausschlag (gleiche Amplitude) ertheilt,
232 Die geometrische Zusammensetzung zweier Sinusschwingungen.
nur von zwei Faktoren ab, von dem Schwingungsver-
hältniss, d.h. dem Verhältniss der Dauer der einen Schwing-
ung zu der der andern, und von ihrem Phasenunterschiede,
d.h. von dem früheren oder späteren Hinzutreten der Be-
wegung der zweiten Gabel zu der der ersten. Bei ge-
gebenem Schwingungsverhältniss — also z. B. bei Benützung
derselben beiden Stimmgabeln — wird daher wegen der
möglichen Phasenunterschiede noch immer eine ganze Schaar
von solchen Kurven möglich sein.
Es dürfte vielleicht geeignet sein, hier auf diese Kurven
etwas einzugehen, da hierzu nur ganz einfache geometrische
Betrachtungen nöthig sind; ich will daher zuerst ihre Kon-
struktion angeben und dann zeigen, wie man sich über die
zu einem gegebenen Verhältnisse gehörigen Kurven leicht
eine Uebersicht verschaffen kann, indem man sie — was
auf zwei Arten möglich ist -- als Projektionen einer Raum:
kurve auffasst.
2. Die Schwingungen, deren Zusammensetzung wir
betrachten wollen, sind Sinusschwingungen, das sind
geradlinige Bewegungen eines Punktes, bei denen seine
Entfernung aus einer Mittellage dem Sinus der Zeit pro-
portional gesetzt ist. Eine solche erhält man am anschau-
liehsten, indem man einen Punkt P, der mit gleichförmiger
Geschwindigkeit einen Kreis durchläuft, auf eine Gerade
seiner Ebene, z. B. einen Kreisdurchmesser, senkrecht pro-
jieirt. Beginnt nämlich der hin und her schwingende Punkt
seine Bewegung im Kreismittelpunkt 0’ und gelangt nach
einer gewissen Zeit in die Lage P', so wird (vgl. die Figur):
0'P'=asing, ;
und man hat, da wegen der gleiehförmigen
Zeit proportional ist, eine Sinnsschwingung;
rs und dasselbe gilt bei der Projektion auf eine
Fig. 1. zum Kreisdurchmesser 0‘ P' parallele Gerade.
3. Neben dieser Konstruktion müssen wir zum späteren
Gebrauch noch die graphische Darstellung der Sinusschwing
ung durch die Sinuskurve erwähnen, die man dureh
Bewegung des Punktes P der Winkel p der
die Eigenschaft definirt, dass ihre Ordinate gleich dem a
Sinus der Abseisse ist, die also geometrisch erhalten wird, .
Von Dr. H. WıEner, 233
indem man in der vorigen Figur die Strecke a zur Ein-
heitsstrecke wählt und die Bogen O P als Abscissen, die
Längen O’ P‘ als Ordinaten aufträgt. Die Kurve zeigt un-
endlich viele Wellen, deren ganze Länge gleich dem Kreis-
umfang, also fir a=1 gleich 2 z ist. Da die Bewegung
des Punktes P gleichförmig ist, so ist die Zeit dem Bogen
proportional, kann also z. B. direkt durch den Bogen aus-
gedrückt werden, so dass die Abseisse die Zeit angiebt, in
der die Entfernung des schwingenden Punktes aus der
Mittellage gleich der Ordinate ist.
Da wir aber im Folgenden Schwingungen zu betrachte
haben, die einen Hin- und Herweg in verschiedenen Zeiten
vollenden — etwa in !/,, '/,,.. oder auch in dem 2-fachen,
3-fachen, .. einer gegebenen Zeit — so bezeichnen wir als
Sinuskurven auch solche, deren Wellen-
länge auf !/, (wie in der beistehenden
Figur), !/,,.. verkürzt, oder auf das
2-fache, 3-fache, . . verlängert, all-
gemein im Verhältniss - verändert
Fig. 2. erscheinen.
4. Die geometrische Definition der Sinusschwingung
(Nr. 2) soll jetzt angewandt werden, um zwei solche Schwing-
üngen zusammen zu setzen. Hierzu nehmen wir an, dass
nieht nur ein Punkt eine etwa horizontale Sinusbewegung
von der Schwingungsweite a ausführe, sondern dass mit
einem sich so bewegenden Punkt ein vertikal gestellter
Stab verbunden sei, und dass auf diesem während seiner
Bewegung ein zweiter Punkt eine Sinusschwingung von der-
selben Weite, aber vielleicht anderer Dauer, vollführe; es
beschreibt dann dieser zweite Punkt in der von dem Stabe
überstrichenen Ebene die gesuchte zusammengesetzte Be-
wegung. Wollen wir nun die Bahn des Punktes in dieser
Ebene verzeichnen, so können wir für beide Schwingungen
denselben in der Bahnebene gelegenen Hilfskreis ver-
wenden, indem wir den Punkt, der den Stab führt, als
ojektion eines auf dem Kreise wandernden Punktes P,
die Linie des Stabes selbst als den Projektionsstrahl dieses
Punktes betrachten, gleichzeitig aber den auf dem Stabe
. Auf und ab gehenden Punkt als Projektion eines zweiten
234 Die geometrische Zusammensetzung zweier Sinusschwingungen.
den Kreis gleichförmig umlaufenden Punktes P ansehen,
dessen horizontale Projektionsstrahlen den Stab — wo er
sich auch zur Zeit befinden mag — in einem Punkte der
gesuchten Bahnkurve schneidet.
Von den Geschwindigkeiten, mit denen hierbei die
beiden Punkte den Kreis gleichförmig beschreiben, kann
jede für sich beliebig angenommen werden, und nur dann,
wenn man verlangt, dass die Bahn in sich zurtckläuft,
müssen sie in rationalem Verhältniss stehen. Und auch die
Lage der beiden Punkte P auf dem Hilfskreis zur Anfangs-
zeit ist willkürlich, da eine Verschiebung des einen An-
fangspunktes einem früheren oder späteren Hinzutreten der
zweiten Schwingung zu der schon begonnenen ersten gleich
kommen würde und daher nur den Phasenunterschied der
beiden Schwingungen ändern könnte.
Schreitet nun die Zeit um 1, 2, 3,.. gleiche Zeittheileben
fort, so wird jeder der beiden Punkte P um ebenso viele
Einheiten der seiner Geschwindigkeit entsprechenden Bogen-
länge auf dem Kreise fort schreiten; zieht man daher dureh
jede solche Lage der Punkte ? eine horizontale bezw. Vet
tikale Linie, so gehört deren Schnittpunkt der gesuchten
Konstruktion für ein ratio-
nales Verhältnis m:n der
Fig. 3. .4. e
Durchläuft der eine Punkt P den Kreis In ”ı
der andere in » Zeiteinheiten, so theile man 2
- = Bahnkurve an. Besonders
FIN 553
MIN SR
Se
‘ Umlaufszeiten und bei spe
einfach gestaltet sich die
ig, 4 eiellen Phasendifferenzen:
wei
gegenüberliegende Quadranten desHilfskreisesin
m, die andern beiden inn gleiche Theile und ziehe
durch die Theilpunkte das eine Mal ver !
das andere Mal horizontale Linien, so dass man ein
Liniennetz erhält; gehtmandannvoni
Knotenpunkt dieses Netzes aus und sc
in den Diagonalen der Netzmaschen weiter,
erhält man die Knotenpunkte des Net
einer der zu dem Schwingungsverhä
gehörigen Bahnkurven liegen.
hreitet stet3
tikale,
rgend eine
|
zes, dein
Von Dr. H. WIENER, 235
Denn beim Verstreichen eines Zeittheilchens rückt eine
vertikale und eine horizontale Linie des Netzes bis zur
nächsten fort, also rückt der Knotenpunkt des Netzes,
in dem sich die beiden ersten Linien schneiden, bis zu
dem in der Diagonale einer Masche gegenüberliegenden
Knotenpunkte weiter.
Bleibt nach Vollendung dieser Kurve ein Knoten frei,
so kann man von ihm aus eine weitere Kurve beginnen.
Und da man statt m und n Theile auch ein belie-
biges Vielfaches dieser Zahlen nehmen, das Netz also be-
liebig verdichten kann, so erhält man nicht nur beliebig
nahe aneinanderliegende Zwischenpunkte einer solchen
Kurve, sondern auch eine beliebige Anzahl von Kurven,
die zu demselben Schwingungsverhältnisse
aber zu verschiedenen Phasenunterschieden
gehören. Figur 3 zeigt das Netz für das
Verhältniss 3:2 (Quinte und Grundton), in
Figur 4 sind daraus drei Kurven abgeleitet;
Fig, 5. Figur 5 stellt eine solche Kurve für das
Schwingungsverhältniss 9:8 (Sekunde und Grundton) dar.
Für die so gewonnenen Kurven giebt es noch eine
andere Erzeugung, welche bei gegebenem Schwingungsver-
hältnisse mit einem Schlag das ganze System der zu allen
Phasenunterschieden gehörigen Gestalten liefert. Statt näm-
lich die Kreisbahn des Punktes, dessen Projektion den Stab
führt, in die vom Stabe überstrichene Ebene zu legen, kann
man sie auch senkrecht dazu stellen, und den Stab dann
als die Projektion eines auf diesem Kreise geführten zweiten
Stabes betrachten, der also seinerseits mit gleichförmiger
Geschwindigkeit einen Kreiscylinder beschreibt — etwa 50,
dass während der Punkt auf dem Stabe = Schwingungen
vollendet, der Stab selbst einmal um den Cylinder herum-
geht [oder was dasselbe ist, dass der Stab » mal herumgeht,
während der Punkt auf ihm m Schwingungen vollführt].
Es kommt dann auf dasselbe hinaus, ob man die Schwingung,
die mit dieser zusammengesetzt werden soll, unmittelbar auf
em projieirten Stab vor sich gehen lässt, oder auf dem
Stabe des Cylinders und diese Bewegung dann zusammen mit
dem Stabe projicirt. Bei der letzteren Auffassung erhält
236 Die geometrische Zusammensetzung zweier Sinusschwingungen.
man die gesuchte Kurve als die Projektion einer auf dem
Cylinder liegenden Raumkurve.
Diese aber lässt sich sehr einfach konstruiren. Breitet
man nämlich die Fläche des Cylinders in eine Ebene aus,
so entspricht der Bewegung des Punktes auf der Raum-
kurve die eines anderen Punktes in der Ebene, dessen Ab-
weichung aus der Mittellage dem Sinus der Zeit und dessen
Projektion auf die Gerade, in die sich der Ort der Mittel-
lage abwickelt, der Zeit selbst proportional ist, d. h. man
erhält in der Ebene eine Sinuskurve. Und wenn um-
gekehrt eine solche Sinuskurve auf dem Kreiseylinder gerade
aufgewickelt wird, d.h. so, dass ihre Mittellinie in einen
Kreis des Cylinders übergeht, so wird eine Raumkurve ent-
stehen, deren senkrechte Projektion auf eine zur Cylinder-
axe parallele Ebene als die Bahn eines Punktes betrachtet
werden kann, dessen Bewegung sich aus zwei Sinus
schwingungen zusammensetzt. Nur hat man den Dureh-
messer des Cylinders gleich der Breite des Streifens zu
machen, in dem die Sinuskurve verläuft, falls man an der
Voraussetzung festhält, dass die Weiten (Amplituden) der
beiden Schwingungen gleich gross seien. Will man dabel
das Schwingungsverhältniss m: herstellen, so lässt man
m volle Wellen der Sinuskurve sich » mal um den Cylinder
herumwickeln. i
Vergleicht man mit einer so konstruirten Kurve n
andere, für welche der Punkt auf dem Stabe um einen
Zeittheil später wie vorher durch seine Mittellage hindureb-
geht, so hat sich der Stab inzwischen um das diesem Zeit-
theil entsprechende Stück auf dem Cylinder weiter bewegt:
Die dem neuen Phasenunterschiede entsprechende Raum
kurve ist daher der vorigen kongruent und gegen un
nur um ein Stück auf dem Cylinder gedreht.
Somit ergiebt sich der Satz: .
Durch Zusammensetzung zweier Sinusschwind
ungen erhält man eine Bewegung, deren Bahn-
kurve gefunden werden kann, indem man
Sinuskurve auf einen Kreiseylinder ger&
wickelt, und diesoerhaltene Raumkurv
eine .
deaur
eaufeine
derCylinderaxe parallele Ebene projieirt- De
nn a a aan lan rin u an nn
a
Von Dr. H. WıEner. 237
man dann unter Festhaltung der Projektionsebene
den Cylinder um seine Axe, so erhält man in
den sich hiermit ändernden Projektionen alle
zu demselben Schwingungsverhältnisse aber zu
verschiedenen Phasenunterschieden gehörigen
Gestalten dieser Bahnkurven.
a 6. Man kann die Schaar
i der Bahnkurven auch auf
eine zweite Weise erzeugen,
indem man die horizontale
/]-und die vertikale Richtung
ihre Rolle tauschen lässt,
Fig. 6b. d.h. indem man einen hori-
Ze, „ zontalen Stab mit einem
SW |) darauf schwingenden Punkt
{N |?) längs einesdazusenkrechten
5 z Kreises einen liegenden
*\ / Cylinder beschreiben lässt.
“
Pe J
„ N J
——" Man erhält dann dasselbe
Det. Fig: Tb. Schwingungsverhältniss wie
vorher, wenn man » Wellen einer Sinuskurve m mal um den
liegenden Cylinder so herumwickelt, dass die Kurve sich
schliesst. D.h.:
Das ganze System der zu einem gegebenen
Schwingungsv erhältniss, aber zu beliebigen
Phas enunterschieden gehörigen Kurven lässt
Sich aus zwei eylindrischen Raumkurven durch
Projektion herleiten.
Se 7. In denFig. 6a. u. 6b. u. 7a. u.7 b. sind
für die Schwingungsverhältnisse 2:1 (Oktave
u. Grundton) und 3:2 (Quinte u. Grundton)
die beiden Raumkurven in schiefer Pro-
jektion gezeichnet, so dass die Verschieden-
heit der Raumkurven in den Fig. hervortritt
und erst dann verschwinden würde, wenn
Fig. 8.
die Sehrichtung in die kurze Linie des Axenkreuzes fiele.
Beim Schwingungsverhältniss 1:1 (und nur bei diesem)
sind die beiden Raumkurven kongruent, und zwar Ellipsen,
Peren Ebene gegen die Cylinderaxe unter 45° geneigt ist. |
238 Zusammensetzung von Schwingungen. Von Dr. H. WıENER.
Denn in diesem Falle wird das Netz (vgl. Figur 3) zu den
Diagonalen symmetrisch, so dass die Diagonalen selbst zu
Bahnkurven werden. Die eylindrische Kurve projieirt sich
daher in eine Gerade, ist also der Schnitt der projieirenden
Ebene mit dem Kreiscylinder, d. h. eine Ellipse (Fig. 8).
Ihre Projektionen werden beim Weiterdrehen aus einer
solehen wieder Ellipsen, die sich stetig bis zum Kreise und
dann wieder bis zur zweiten Diagonale ändern.
Die 5 Raumkurven der Figuren 6 bis 8 habe ich aus
starkem Draht biegen lassen und so ein Hilfsmittel ge-
wonnen, um die Uebereinstimmung der Projektionen sehr
einfach durch die Schatten dieser Drähte in parallel auf-
fallendem Lichte vor Augen zu führen. Dreht man dann
zwei zusammengehörige Raumkurven (Fig. 6a. und 6b. oder
7a. und 7b.) um ihre Axen, von denen die eine horizontal,
die andere vertikal liegt, so ändern sich zwar, dem verän-
derten Phasenunterschied entsprechend, die beiden Schatten
stetig, aber sie bleiben bei gleich starker Drehung unter
einander stets kongruent.
Dabei bemerkt man Doppelpunkte der Schatten-
kurven, die sich bei der Drehung der Raumkurven zum
Theil in vertikaler, zum Theil in horizontaler Richtung
verschieben. Die einen sind die Schatten wirklicher, die
anderen scheinbarer Doppelpunkte der Raumkurven;
diese letzteren entstehen dadurch, dass sich die Schatten
eines vorderen und eines hinteren Theiles der Raumkurve
kreuzen, Hat dabei die eine Raumkurve an einer Stelle
einen wirklichen Doppelpunkt, so hat die andere an der
entsprechenden Stelle einen scheinbaren.
Diese und manche andere Eigenschaften der Kurven
Lissarou’s lassen sich ohne weiteres aus den gegebene!
Konstruktionen ableiten.
Bemerkungen über die Morphologie der
Scaphopoden,
Von
Dr. Heinrich Simroth.
Leipzig-Gohlis.
Die Durcharbeit gderScaphopoden für Broxn’s Klassen
und Ordnungen des Thierreichs hat mir eine ganze Reihe
von Fragen aufgeworfen und von Beziehungen aufgedeckt,
welche nur aus der Uebersicht des Gesammtmaterials sich -
ergeben konnten und, wie mir scheint, von den Vorgängern
übersehen sind. Eine vollkommen normale Methode würde
die Arbeit vom Schreibtisch auf den Experimentir-Tisch
und an den Strand des Meeres zu übertragen haben; sie
würde jedoch den Abschluss des malacologischen Theils
bei Lebzeiten unmöglich machen, ausserdem aber, wie es
die Vertiefung in das einzelne Objekt nothwendigerweise
mit sich bringt, von der allgemeinen Uebersicht wieder
abdrängen. Das führt zu einem fatalen Dilemma. Ent-
weder man schiebt den Broxx bei Seite und begiebt sich
m monographischer Arbeit an die Einzelheiten, womit aber
wieder die Quelle der reichen Fragestellung versiecht —
oder man setzt sich dem Vorwurf allzu üppiger Speculation
“us, die man nicht durch positive Leistungen genügend
begründet. Um das Allgemeine nicht zu verlieren, be-
Schränke ich mich auf Combinationen, wie sie am Schreib-
isch gewonnen werden.
„Pie Bemerkungen betreffen tbeils einzelne Theile,
theils die Auffassung und Eintheilung der ganzen Klasse»
240 Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden.
A. Morphologie.
1. Die Schalenstruktur.
Lacaze-Durnıers’!) ausführliche Schilderung, auf die
ich im Einzelnen nicht eingehe, setzt mich, glaube ich, in
den Stand, eine Erklärung des Baues auf mechanischer
Grundlage zu versuchen,
Von so zarten, durchsichtigen oder durchscheinenden
Röhren, wie sie etwa Dischides besitzt, sehe ich ab, denn
über ihre Struetur ist meines Wissens nichts weiter ver-
öffentlicht.
Die grossen, diekeren Dentalienschalen bestehen be-
kanntermassen aus drei Schichten. Man kann sie nach
moderner Terminologie als Ostracum, Peri- und Hyp-
ostracum bezeichnen. Das Periostracum, das die Sceulptur
trägt, ist so kalkig, wie die übrigen, aber gleichmässig,
strueturlos; höchstens könnte man an Calcosphaeriten
denken. Das Hypostracum, namentlich am oberen Theile
und zwar nachträglich entwickelt und besonders stark nach
dem Abwerfen der Schalenspitze, entspricht zwar der
Perlmutterschicht anderer Mollusken, ist aber, wie das
mittlere Ostracum, aus Prismen zusammengesetzt, die un
gefähr der Schalenaxe parallel gerichtet sind. Das Ostra-
cum besteht aus feineren Prismen, ganz wie das der
Gastropoden und Lamellichranchien, nur dass diese eine
viel grössere und darum durchsichtigere Regelmüssigkeit :
der Anordnung zeigen, als das bis zur Unverständlichkeit
verwebte Gewirre bei jenen. Sie kreuzen sich im A
versalschliff unter annähernd rechten Winkeln, deren ©.
n Radien
birende auf die Schalenaxe gerichtet sind, also de
des kreisförmigen Schliffs entsprechen. Allerdings entsteht
eine Complication dadurch, dass die Kalkstäbe nicht streng
oder überhaupt nicht in der Ebene des Transversalschl
liegen, sondern schräg nach unten und aussen stehen, © =
Anwachslinien der Schale entsprechend. Uebrigens scheitl .
1) H. de LacAzE-Durtuıers. Histoire de Vorganisation = a.
döveloppement du Dentale, — Ann. d. se. nat. zool. (#) VL ee
‘VL. 1857.
Von Dr. HEInRicH Sımrortn. „241
mir die dadurch hervorgerufene Ablenkung noch nicht ge-
nügend festgestellt.
Lassen wir diese Abweichung bei Seite, was für die
Auffassung nichts verschlägt, dann dürfte der mechanische
Aufbau leicht klar werden.
Die Prismen, vielleicht von je einer Zelle aus wachsend,
werden der Schalenzunahme gemäss, nach aussen und
unten gerichtet sein. Schon der Umstand, dass gelegentlich
neue eingeschaltet werden, bringt es mit sich, dass sie
nicht streng radial geordnet sind. Wenn sie aber nur etwas
von dieser Lage abweichen, dann muss jeder Druck von
unten sie in die tangentiale Richtung zu drängen bestrebt
sein. In der That erhält man das Schema auf's einfachste,
wenn man an den inneren Umkreis des Schalendurch-
Sehnitts in engen Abständen ringsum Tangenten zieht. Der
Druck aber ergiebt sich von selbst aus den Bewegungen
des Thieres. Namentlich muss jede stärkere Retraetion
des Mollusks, einschliesslich des Mantels, von innen nach
aussen drücken.
Mit dieser einfachen Ableitung verbindet sich aber,
wie so oft, zugleich ein teleologisches Prineip, indem die
höchste Schalenfestigkeit erreicht wird.
Die später am apicalen Pole darunter abgeschiedenen
Prismen des Hypostracums finden natürlich in dem schon
fertigen Ostracum eine Schranke und legen sich einfach
er Länge nach an dasselbe an. Man könnte in eben
dieser Prismenstructur ein Hinderniss gegen die Homolo-
gisirung mit der Perlmutter anderer Weichthiere er-
blicken,
Die Abweichungen vom Schema, welehe die Krümmung
der Schale in der Anordnung der Prismen des Ostracums
bedingt, sind erst noch zu prüfen durch neue Unter-
suchung.
‚ Uebrigens liegt die Parallele zwischen dem Gefüge
dieser Stäbe und den unter denselben Winkeln gekreuzten
Spieulis der Aplacophoren auf der Hand.
Zeitschrift £, Naturwiss, Bd. 67. 1894. 16
242. Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden.
2. Der Mantel.
Hier erheben sich mancherlei Fragezeichen, die na-
mentlich das Hinterende, den sogenannten Pavillon, be-
treffen. Nach LacazE-DUTmIEers ragt er kaum aus der
Schale heraus. Anders in den Zeichnungen, die SARS von
Siphonodentalium gegeben hat.!) Hier ist der vorge-
schobene Rand zackig, ungefähr wie die Schalenöffnung,
mit einem Einschnitt auf der unteren Seite. Die alte Ab-
bildung von ArsEnVILLE, die erste, welche das Thier bringt,
und die z.B. in die Cusıerzs’ übergegangen ist, zeigt einen
faltigen herausragenden Trichter, etwa von der Form einer
Kartoffelbüthe. Bei der geringen Anzahl der Formen, von
denen wir das Thier kennen, möchte ich Bedenken tragen,
diese Gestalt des oberen Mantelendes einfach, wie es ge-
wöhnlich geschieht, ad acta zu legen. Ebenso erwünscht
wäre es, den Umriss dieses Endes bei Dischides, Cadulus
u. a. zu kennen.
Viel wichtiger aber dürften Formen, bezw. Gattungen
sein, die einen langen Schalenschlitz an der eonvexen
Seite haben, wie Fissidentalium. Hat der Mantel hier
einen ebenso langen Spalt wie die Schale? Das würde
wohl mit Nothwendigkeit zu der Consequenz führen, dass
auch der obere Mantelwulst, der nach der Litteratur ganz
nahe am apicalen Pole liegt, weiter nach unten sich ver-
schöbe, oder vielleicht umgekehrt, dass das gauze Hinter-
ende, so weit der Spalt reicht, eine kaenogenetische Bil-
dung wäre, nachträglich herausgewachsen. Vermuthlieh
wirken beide Momente bei der Bildung zusammen.
3. Das Nervensystem.
TureL#?) und Prare?) haben gezeigt, dass die hintere
Verlängerung des Cerebralganglions in Wirklichkeit ein
»)M. Sars. Om Siphonodentalium vitreum ete. Christianla
1861. = a
TureLe. Ueber Sinnesorgane der Seitenlinie ete. Zei
f. wiss. Zool. II. 1890. ;
9) PLate. Ueber den Bau und die Verwandtschaftsbeziehunge" =
der Solenoconchen. Zool, Jahrb, V. 1891. I
Von Dr. HEINRICH Sımrorn. 243
durch ein kurzes Connectiv abgesetztes Pleuralganglion ist,
rechts und links symmetrisch. Leider haben sie sich nicht
darım gekümmert, ob der Mantelnerv, welchen LacaAze-
Durnıers aus diesem Hirnanhange entspringen lässt, aus
dem Cerebral- oder aus dem Pleuralganglion stammt. In
letzterem Falle läge die Vermuthung nahe, dass diesem
Nerven ein besonderes Osphradium am Mantel entspricht.
Sie mag künftig geprüft werden.')
4. Die Verdauungswerkzeuge.
a) JEFFREYS giebt an,2) dass die Radiolarien, welche
zur Nahrung dienen, unverdaut im Magen liegen. Hier
liegt wohl eine Verwechslung vor; denn nach allen übrigen
Angaben halten sie sich zwar in den Backentaschen, aber
von der Leber, d.h. vom Magen an, ist bloss ein heller
Speisebrei vorhanden.
b) Man kann sich kaum vorstellen, dass der Kiefer,
weit hinter der nicht einstülpbaren Schnauze im Inneren
gelegen, zur Zerkleinerung der Nahrung dient oder über-
haupt mit dem Beissen zu thun hat. Sollte er nicht anders
verwandt werden? Gerade unter ihm findet sich das Sub-
radular- oder Geschmacksorgan. Sollte er nicht dazu
dienen, den hintergeschluckten Bissen fester auf dieses
herabzudrücken? Freilich könnte eine solche Geschmacks-
——
!) Anm. Bei der Wichtigkeit des Lang’schen Lehrbuches der
vergleichenden Anatomie der Wirbellosen will ich nicht unterlassen,
auf ein Versehen darin hinzuweisen, Lane verlegt die Visceral-
‘ommissur der Scaphopoden hinter, bez. über den Enddarm, während
doch gerade die Lage darunter und davor einen so wichtigen Gegen-
satz zwischen den Amphineuren und allen übrigen Mollusken bedingt,
Vielleicht erklärt sich das Versehen aus der unglücklichen fran-
»ösischen Terminologie, welche vom Menschen ausgehend, das Vorder-
ende aller Thiere als superieur bezeichnet, ohne alle Rücksicht auf
diese selbst. So wird die weitere vordere Schalenöffnung von Den-
talium, die wir der natürlichen Haltung entsprechend die untere
Nennen, als superi enommen, woraus die vollständige Gegen-
Sätzlichkeit aller Lagebezeichnungen sich ergiebt.
2) Gwvn JErFREYS, On theMollusca of the Lightning and Por-
Cupine Expedition. Proc, Zool. Loc. London 1882.
aeg
244 Bemerkungen tiber die Morphologie der Scaphopoden.
empfindung wohl nicht mehr zur Verweigerung eines Fremd-
körpers bez. zum Ausspeien führen, wohl aber von der An-
wesenheit schmackhafter Beute Nachricht geben und
somit die Fresslust und das Gedeihen des Thieres an-
regen.
c) Ebenso oder noch mehr wie beim Kiefer, könnte
man sich bei der Radula fragen, wie sie in ihrer Abge-
schlossenheit noch wirken und sich erhalten haben könne,
da doch die Benutzung als Raspel, überhaupt die Berührung
mit der ausserhalb befindlichen Beute vollständig ausge-
schlossen ist. Auch hier liegt wohl die Erklärung in
einem abgeänderten Gebrauch. Wie die entsprechenden
Abbildungen Lacaze-DviHıers’ zeigen, werden die Zähne
viel weniger in der Richtung von vorn nach hinten, als
von links nach rechts bewegt, die Lateralzähne greifen bei
der'Retraetion der Zunge zangenartig in einander ein, kurz
die Reibplatte ist zu einem Quetschapparat geworden, der
die Radiolarien zwischen seine Arme nimmt und zerdrückt.
Der Name „Heteroglossa“, den Gray der Klasse gab, ist
in dieser Hinsicht recht zweckentsprechend.
d) Die sogenannte Rectaldrüse ist dasjenige Organ,
dessen bisherige Auffassung ich am allerwenigsten theilen
möchte. Pıarz hat gegen Fon!) gezeigt (1. e.), dass durch
einen einzigen Gang die zahlreichen Sehläuche in den End-
darm münden. Von diesem steht so gut wie fest, dass er
rbythmische Schluckbewegungen macht und zum Athmen
dient, neben der gegenüberliegenden Kiemengegend des
Mantels. In den Schläuchen haben alle Forscher überein-
stimmend Drüsenzellen vermisst, dagegen besonders lange
Geisseln gefunden, welche ein starkes Wimperspiel unter-
halten. Der Strom dringt in die Schläuche ein, wohl um
wieder heraus zu treten. Die erstere Stromriehtung wird
bezeugt durch gelegentliches Eindringen von Eiern. Es
liegt demnach wohl keine Veranlassung vor, die Bezeichnung
Rectaldrüse festzuhalten; ich möchte in der Einriehtung
vielmehr einen Spülapparat erblicken, welcher zum Gas-
1) H.For. Sur Y’anatomie mieroscopique de Dentale. A
rch. Zool. 2
exp. et gen. (2) VII. 1889,
Von Dr. HEINRICH SımRroTH. 245
wechsel mit der in dem lacunären Bindegewebe enthaltenen
Hämolymphe, also zur Athmung dient, kurz, ich halte das
Organ für eine Wasserlunge.
5. Der Blutlauf.
Die Bahnen, in denen die Hämolymphe fliesst, sind
durchweg lacunär, ohne eigne Wandungen. Lacaze-Dv-
THIERS, der zur Zeit einer geringeren Ausbildung der
Histologie arbeitete, nannte die röhrenförmigen Gefässe. Man
könnte vielleicht Gefässbahnen dafür setzen. Das obere
vordere Mantelgefäss, das in der Medianlinie nach vorn
zieht, giebt vorn nach rechts und links je zwei Zweige ab,
die parallel mit dem vorderen Mantelrande nach unten ziehen.
Sie verzweigen sich in feinere Lacunen, lassen aber das ring-
fürmige Mantelsttick zwischen sich frei. Der Verfasser der
klassischen Monographie giebt an, das hintere Ringgefäss
gehöre zum vorderen Mantelwulst, das vordere zu der da-
ran sitzenden Krause, die als freies Mantelende den aus-
gestreckten Fuss festonartig umgiebt. -
Möglicherweise hätte der französische Forscher ein
wenig anders gedeutet, wenn ihm der damalige Standpunkt
der Gewebelehre erlaubt hätte, jene ringförmige Mantel-
region zu erkennen, die Pratz (l.e.) als die gallertige be-
zeichnet. Sie folgt unmittelbar auf den vorderen Mantel-
wulst und hat etwa die Breite, welche dem Abstand jener
Gefässringe entspricht. Mir scheint daher die Annahme
nahe zu liegen, dass der vordere Ring allein dem Mantel-
wulst entspricht, der hiutere aber den Mantel hinter der
Sallertigen Region versorgt, welche ihrer gallertigen Grund-
ven entsprechend vermuthlich von Lacunen so ziemlich frei
eibt.
Die Entscheidung dieses Punktes kann natürlich nur
am frischen Material gefällt werden.
6. Die Wasserporen.
Jene feinen Oeffnungen, welche neben den Nierenporen
sach aussen münden, sollen nach Lacaze- DUTHIERS die
freie Communication zwischen Blut und Wasser vermitteln.
246 Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden.
Wer die allgemein verbreiteten Anschauungen der damaligen
Zeit über diesen Punkt kennt, wird eine derartige Auf-
fassung nicht verwunderlich finden, und wer den langen
Streit der neueren Zeit über die Wasseraufnahme bei
Schnecken und Muscheln verfolgt hat, dem wird es ganz
unmöglich erscheinen, dass mit den vor annähernd vierzig
Jahren zu Gebote stehenden Mitteln eine völlige Aufklärung
hätte erreicht werden sollen.
PıATE, der neueste Bearbeiter, ist der Auffassung
Lacaze-Durniers bedingungslos beigetreten (1. e.), trotz den
schweren Bedenken, welche die Untersuehung der anderen
Weichthiere ergeben hatte, und trotz den histologischen
Andeutungen von Seiten anderer Forscher.
Nassoxow!) erblickt in den Poren die Mündungen
zweier ovaler Drüsen; For findet in der Nachbarschaft
eine Art Endothel, woraus er die Deutung des Analsinus
als Prrıcarn herleitet (l. e.). Prare leugnet beide Be-
funde.
Liegt es nach alledem nicht näher, da eigentliche
Drüsenzellen kaum nachgewiesen sind, daran zu denken,
dass in der That jene zarten Membranen Wasserräume ab-
schliessen, welche durch die Poren nach aussen führen?
Es könnte Wasser aufgenommen und wieder abgegeben
werden, je nach der Verschiebung des Thieres bei seinen
Bewegungen, es könnte zur Noth auch eine Ausscheidung
von Blutflüssigkeit durch die Membrane angenommen werden,
wiewohl die erstere Hypothese sicherlich mehr Wahrschein-
lichkeit hat, nach dem, was Scnirmenz an Natica 8%
zeigt hat.
Jedenfalls liegt auch hier eine offene Frage vor.
B. Ontogenie.
Es muss selbstverständlich noch mehr gewagt
scheinen, auf diesem Gebiete Kritik zu üben als bei der
1) Nassoxow. Zur Morphologie der Scaphopoden. Biolog. Cen- r
tralblatt X 1890. 8. 254-255, ;
Von Dr. HEINRICH SIMmROTH. 247
Anatomie. Auch handelt sich’s bloss um ein paar unter-
geordnete Punkte, das Proktodaeum und die Fuss-
drüse.
Nach Kowarrvskr!) verklebt der Darm einfach mit
dem Epithel an der Stelle, wo künftig der After entsteht.
Der Autor vermuthet, dass ein einfacher Durchbruch erfolgt
ohne Einstülpung des Ectoderms. Bei der besonderen
physiologischen und morphologischen Ausbildung des Rek-
tums als Respirationsorgan liegt es doch wohl nahe, künf-
tig nach einem eingestülpten Proktodaeum zu suchen.
Als Fussdrüse fasst Kowarevsky eine kleine Ein-
stülpung an der Wurzel des Fusses, allerdings mit
einigem Zweifel. Sie soll wieder verschwinden und darin
an die Fussdrüse von Chiton erinnern. Nun bildet aber
derselbe Forscher an den ältesten von ihm beobachteten
Stadien einen viel grösseren Drüsenschlauch ab, der un-
mittelbar hinter dem Munde sich nach aussen öffnet. Er
wird einfach als Drüse bezeichnet, wenn auch fraglich. Der
Form, Ausdehnung, Enge der Mündung und vor allem der
Lage nach stimmt aber diese Drüise meiner Meinung nach
vollkommen mit der von Chiton überein, daher ich kein
Bedenken tragen möchte, beide zu homologisiren. Wie
freilich dann die viel unbedeutendere frühere und weiter
hinten gelegene Einstülpung zu deuten, ob etwa als Rest
einer Byssusdrüse, muss ich dahingestellt sein lassen. Dass
die vordere, echte Fussdrüse der Larve nachher wieder
schwindet, ergiebt sich aus den Verhältnissen des er-
wachsenen Thieres.
C. Phylogenie.
l. Die Stellung der Seaphopoden im System.
PeLsexzer meint,2) die Dentalien wären morphologisch
höher zu stellen als die Amphineuren, die Cephalopoden,
—_
') A. Kowauevsky, Etude sur l’embryogönie du Dentale, Ann.
du Musee d’hist. nat. Marseille. Zool. I. 1883.
®) P. PsLsenzer, La classification generale des Mollusques,
Paris 1892. Bull, seient. France Belg. XXIV.
248 Bemerkungen’ über die Morphologie der Scophopoden.
die ältesten Anisopleuren oder Schnecken und die ältesten
Muscheln wegen der unpaaren Geschlechtsdrtise mit nur einem
Ausführgange, wegen der Nähe von Mund und After, wegen
der unteren Mantelverwachsung und der weiten Entfernung
zwischen Pleural- und Pedalganglien.
Ich möchte noch einige Momente hinzufügen, die Re-
duction der Blutgefässe, die Ausbildung der Sep-
ten und die Zerstückelung des Coeloms.
Der Mangel besonderer Gefässwandungen kann doch
in keinem Falle als ursprünglicher Zustand gelten, zum
mindesten wird anfangs die Herzkammer in eine Aorta
sich fortgesetzt haben. Ebenso muss man der Vorstufe,
welche noch Kiemen hatte, auch die Existenz von Vor-
kammern zusprechen. Der Verlust dieser Organe deutet
auf eine lange Reihe schon sehr früh ausgestorbener
Zwischenformen.
Eine sehr charakteristische Bildung, die mit dem Blut-
lauf zusammenhängt und wohl bei keinem anderen Weich-
thier in ähnlicher Weise vorkommt, sind die vollkommenen
Septen, welche sich zwischen die Eingeweide schieben
und nur an ganz bestimmten Stellen Oeffnungen frei lassen
für die Cireulation der Hämolymphe. Sie schaffen besondere
Sinus im Fuss, um das Hirn, um den Pharynx, um den
Darmkanal.
Endlich weist auch der spärliche Rest und die Zer-
splitterung der secundären Leibeshöhle auf eine welt-
gehende Umbildung hin. Man würde das kümmerliche Herz
zur Noth für ein altes Erbtheil halten können, wenn das
Pericard noch mit den Nieren zusammenhinge ; aber die
Nierenspritzen werden vergeblich gesucht.
Ich schliesse mich also vollständig der Auffassung U)
welche die Dentalien weder zu den Schnecken noch ZU
den Muscheln in nähere Verwandtschaft bringt, sondern
einen völlig gleichberechtigten und von den übrigen ebene
weit abstehenden Zweig am Weichthierstamme in ihnen
erblickt. en
Von Dr. Heinrich Sımrorn. 249
2. Der Zusammenhang der Scaphopoden unter
einander und ihre Urform.
a. Musculatur und Fuss.
PrATE vertritt die Anschauung, als wenn die Siphono-
poden mit ihrer papillenbesetzten Endscheibe am Fusse
ursprünglicher wären als die Dentalien; er stützt sich
zumeist darauf, dass bei Siphonodentalium die Retraetoren
ungespalten sind, während sie sich bei Dentalium durch
einen Längsspalt verdoppeln, so dass jenes im Ganzen
ıwei, dieses aber vier Columellarbündel besitzt (]. e.).
Ich komme viel eher zu dem umgekehrten Resultat,
wenn ich auch gestehe, dass die phylogenetische Deduc-
tion, wie bei weitem in den meisten Fällen, zu keinem
völlig klaren und befriedigenden Ergebniss führt.
Was zunächst jene Muskeln anlangt, so hängt der
Grad ihrer Differenzirung mit der morphologischen Aus-
bildung des Fusses zusammen. Worauf die Spaltung bei
Dentalium beruht, wird mir allerdings nicht hinreichend
deutlich. Man hat wohl daran zu denken, dass der Ein.
tritt in ein complieirtes Muskelgewirre des Fusses eine
weitere Theilung verlangt. Desto klarer aber wird die Sache
bei den Siphonopoden. Hier fehlen dem Fusse die trans-
versalen Muskeln, er wird zu einem Rohre mit Rings- und
Längsfasern in seiner Wand und mit einstülpbarer Spitze.
Die Retraction wird durch die Columellares bewirkt; sie
fassen distal an der Endscheibe an und wirken somit als
einheitliche geschlossene Muskelbündel, ohne Veranlassung
u weiterer Spaltung.
Die Bildung des hohlen Rohres aber kann gegenüber
dem parenchymatösen Dentaliumfusse, in dem doch ein
weit weniger glattwandiger Hohlraum ausgespart wird, nur
als eine seeundäre Stufe gelten und die damit verbundene
Einstülpbarkeit erst recht.
Ebenso aber möchte ich die äussere Form des
Fusses beurtheilen. Man kann schwerlich die rings ge-
franste Endscheibe der Siphonopoden als etwas Ursprüng-
liches auffassen, um so weniger, als bei Pulsellum in der
250 Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden.
Mitte noch ein freier tasterartiger Zipfel hervorsteht. Viel-
mehr scheint mir’s, dass man vom entgegengesetzten Aus-
gangspunkte weit eher zum Ziele kommt.
Dentalium hat einen dreilappigen Fuss, eine Mittel-
spitze und zwei Seitenlappen, die als Anker dienen. Bei
der Larve erscheinen schon sehr früh die drei Lappen als
annähernd gleiche Bildungen zu einer Zeit, wo der Stiel,
um den Ausdruck zu gebrauchen, noch nicht entwickelt ist.
Weist nicht diese Gestalt darauf hin, dass man die Seiten-
iappen als Epipodien zu deuten habe? Doch hat diese
morphologische Frage hier weiter keine Bedeutung.
m bequem weiter zu gelangen, darf man wohl eine
litterarische Annahme machen. Desuavzs bildet!) den Fuss
so ab, als ob die Mittelspitze von einer trichterförmig
geschlossenen Manschette umfasst würde. Wieder hat diese
Darstellung durch das Gewicht der Lacaze-Durnters’schen
Arbeit ihren Credit eingebüsst. Könnte nicht DesmaYyss
doch eine Form mit solchem Fusse gefunden haben? Wie
dem aber auch sei, mag die Gestalt dieses Fussendes
existiren oder nicht, es liegt nahe anzunehmen, dass sie
zum mindesten früher existirt habe, indem die Lappen
möglichst ringsum in den Sand griffen zu besserer Ver-
ankerung. Von hier aus ist aber nur ein Schritt zur Scheibe
von Pulsellum. Der Rand des Trichters zackte sich m
Papillen aus zu immer wirksamerer Befestigung, die Mittel-
spitze schrumpfte zusammen zu einem nutzlosen Fortsatz.
Er verktimmerte zuletzt ganz, so dass wir die reine Form
von Siphonodentalium vor uns haben.
Mir scheint, die Ableitung ist einigermassen einleueh-
tend; und dennoch könnte man eins einwerfen, nämlich
den einfach stumpf zugespitzten Fuss von Gadila (Helonyx)
ohne Lappen und Endscheibe.2) Doch ist die einfache
Umrisszeichnung, welche Srımpsovn gab, so wenig über-
zeugend, dass man von einer Deutung (Verklimmerung
der Lappen oder dergl.) vor der Hand besser absehen wi
1) G. P. Desuaves, Anatomie et monographie du genre Dentale
Möm. soc. hist. nat. Paris. II. 1825
2) STIMPSON. On certain geners and families of zoophagou# .
Mollusca. Amer. Journ. of Conchology I. 1865.
Von Dr. HEInkıcH SıurorH. 251
b. Die Körperform (Kiemengegend. Leber. Gonade.
Urform).
Die verschiedenen Scaphopodenschalen differiren theils
nach der Umrandung der oberen Oeffnung, theils nach der
inneren Schalenfläche, theils nach dem Umrise.
Die obere Schalenöffnung erlaubt die verschie-
denste Zusammenstellung. Unter den Dentaliiden ist sie
einfach ganzrandig wie Dentalium s. s., sie hat einen kurzen
ventralen Ausschnitt bei Entalium, einen längeren ventralen
Spalt bei Fissidentalium und Fustiaria. Der Spalt kann
aber auch auf die dorsale Seite rücken, bei Dentalium sub-
terfissum und Leoninae Mevnıer, eine Lageveränderung, für
deren Deutung, ob durch die wirkliche Verschiebung der
Fissur oder durch Umschlag der Schalen-Krümmung, wir noch
keinen Anhalt haben. Unter den Siphonopoden haben
wir bei Pulsellum wieder den einfachen Oeffnungsrand,
bei Siphonodentalium und Dischides mancherlei Ein-
schnitte, bei dem kleinsten Cadulus endlich nochmals eine
ganzrandige Oeffnuung. Da jede Erklärung ohne vorlie-
genden andersartigen Zwang vom Einfachsten auszugehen
hat, sind Formen mit ganzrandiger Oeffnung an die Wurzel
zu stellen, ob aber Dentalium s. 8., Pulsellum oder Cadulus,
lässt sich von dieser Seite aus in keiner Weise ausmachen
. „Die innere Schalenfläche kommt am wenigsten
In Betracht, sie ist ja fast durehgehends glatt und fort-
laufend, und nur bei dem fossilen Lobentale Cossmans
wird sie durch zwei von den Seiten her einspringende
Längsleisten unterbrochen.
Am wichtigsten scheint mir der Schalenumriss,
für den wir, um nicht bloss beim Abscheidungsproduet zu
bleiben, ebensogut den Mantelumriss setzen können.
Bei den Dentaliiden haben wir durchweg die normale
Kegelform mit mehr oder weniger gekrümmter Axe, gerade-
80 bei Pulsellum unter den Siphonopoden, bei den anderen
Vertretern dieser Familie schnürt sich meist die vordere
Oeffnung ein, so dass sich die Schale nach beiden Enden
hin verjtingt. Einige Siphonodentalien, wie $. pentagonum,
252 Bemerkungen über die Morphologie der Seaphopoden.
folgen noch der einfacheren Form der Dentaliiden. Die
bauchige Schale mit beiderseitiger Verjüngung steht dem
Kegel um so näher, je weiter die Stelle der grössten Ver-
breiterung nach dem Vorderrande zu liegt; sie rückt schliess-
lich bei den meisten Cadulus in die Mitte der Längsaxe,
und wir haben einen fast kugligen Umriss von etwa Weizen-
kornform, dessen obere und untere Oeffnung an Gestalt
und Weite nur wenig differiren. Die Reihe liegt also mit
einiger Klarheit vor, an dem einen Pole stehen die konischen,
am anderen die nahezu kugligen oder weizenkornförmigen
Gestalten.
Soll man sich für eine als die ursprünglichere ent-
scheiden, so kann diese angesichts der Ableitung der
Scaphopodenschale aus der vom Rücken herabwachsenden
und dann unten sich zum Gürtel schliessenden Sattelform
nur der einfache Kegel sein. In der That haben auch
alle Morphologen, welche eine phylogenetische Construction
versucht haben, nur diese Form ihren Speculationen zu
Grunde gelegt (GRoBBEn, PLAtE, Lane).
Gleichwohl liegt die Sache nicht ganz so einfach, ja
es scheint aus der individuellen Entwickelung hervorzu-
gehen, dass die erste Schalenform eine andere war.
Von Siphonodentalium vitreum bildet Sars (l. e.) eine
Jugendform ab, deren oberes Schalenende ein wenig auf
getrieben ist mit einem kurzen ventralen Einschnitt von
hinten her.
Dieses Embryonalende entspricht aber recht wohl der
ersten Schalenbildung der Dentalienlarve, wie wir sie durch
Lacaze-Duruters und Kowarevskv kennen, auf dem Stadium,
wo die Mantellappen bez. die Scehalenränder unten eben
verschmolzen sind. Die Stelle der ersten Verschmelzung
liegt aber bei der Schale wenigstens mehr dem Vorder-
ende genähert, während sie nach hinten noch klaflt.
Ich glaube, man hat Grund zu der Annahme, dass
eine derartige Schalenform eine Stufe darstellt, welche Bo
Urform lange Zeit selbständig war, natürlich nieht n BU
sondern
Be
zug auf das Segel und die sonstigen Larvenorgane,
lediglich in Hinsicht auf Mantel und Schale, also &
allgemeine Körperform. Ich werde dazu geführt dure
a lan land nn nn nn
|
Von Dr, Hzınrich SIMmROTH. 253
Betrachtung der Respirationsorgane und der Wachs-
thumsverhältnisse der Dentaliumschale.
Als Kiemengegend dient nur die Mantelpartie unter-
halb des Afters (zugleich mit dem Enddarm). Durch be-
sondere Wimperringe ausgezeichnet, ist sie vom hinteren
Theile des Mantelrohres scharf abgesetzt, das Blut wird
durch eine untere ventrale Gefässbahn von hinten her herbei-
geschafft. Woher kommt die scharfe hintere Abgrenzung
dieser Athemgegend, die doch nach vorn, der Erwartung
entsprechend, allmählich in die übrige Haut sich verliert?
Den Schlüssel liefert zunächst die Art des Wachsthums
bei Dentalium, das von Zeit zu Zeit die obere Schalen-
spitze abwirft und nach Bedarf die erweiterte Oeffnung
dureh Hypostracum - Abscheidung verengert oder einen
seeundären Tubus aufsetzt. Dieses Abwerfen ist aber nur
dadurch möglich, dass die Haftstelle zwischen Mantel und
Sehale, d. h. der Retraetorenansatz allmählich sich nach
vorn verschiebt. Lag er aber ursprünglich weiter hinten,
dann geht wohl daraus hervor, dass das Mantelrohr nach
hinten auswächst. Auf diese Weise dürfte sich Fissiden-
talium erklären. Selbstverständlich kann bei diesem an-
fangs die Spalte nicht so lang sein wie nachher, wo sie
J@ die Embryonalschale um ein vielfaches an Länge über-
treffen kann. Die Haftstelle liegt vermuthlich, wie oben
schon angedeutet, über dem vorderen Ende der Spalte.
Sie rückt mit diesem nach vorn, und der Unterschied von
Dentalium 8. 8. liegt hauptsächlich in der Constanz des
hinteren Schalenendes, das nicht abgeworfen wird. Die
chale und mit ihr das Thier zieht sich also während der
Entwickelung nach hinten aus und erhält den hinteren
Manteltheil, Wäre dieser gleichmässig von Anfang an aus-
gebildet, so läge kein Grund vor für die scharfe Abgrenzung
er Kiemengegend. Diese aber wird sofort verständlich,
wenn man jener gedrungeneren Urform mit nur kurz ge-
schlosgenem, nach hinten gespaltenem Schalenringe eine selb-
Ständige Existenz zuschreibt. Der Schluss des Mantels
zum Ringe nahm den Raum weg für die Kiemen, deren
Funktion von der benachbarten Haut, dem Mantel (und
dem Rektum) übernommen wnrde. Erst nachdem diese
254 Bemerkungen tiber die Morphologie der Scaphopoden.
Region zu typischer Ausbildung sich gefestigt hatte, erfolgte
der Uebergang zur gestreckten Kegelform, indem das Thier
stärker nach vorn wuchs und auch hinten das Mantelrohr
weiter auszog. Die Kieme blieb beschränkt auf die alte
Stelle, die dazukommenden Manteltheile partieipirten trotz
der Continuität nicht mehr an der Athmung, als jeder be-
liebige Hautabschnitt.
Somit vereinigen sich verschiedene Momente, um einen
Schluss auf die Urform zu stützen. Fraglich bleibt beson-
ders, ob das kleine erste Schälchen, (vorn ringförmig, hinten
und unten gespalten, von relativer Kürze, so dass die Längs-
axe die Queraxe nur wenig übertraf), die vordere Oeffnung
etwas verengerte oder nicht. Das Endstück der jungen
Siphonodeutaliumschale scheint das erstere anzudeuten;
andererseits entspricht die obere Oeffnung der Entaliumschale
mit ihrem kurzen ventralen Ausschnitt ganz dem hinteren
Ende derselben Siphonodentaliumschale, während sich das
vordere Ende continuirlich zum gestreckten Conus verlängert,
also ohne Verengerung. Durch eine geringe Verengerung
aber würde man auch leicht von der ursprünglichen Schalen-
form zu der von Gadila und Cadulus gelangen. Zur Klar-
stellung dieser Beziehungen, ob Cadulus oder Pulsellum-
Entalium der Urform näher steht, ist auf den Situs vis-
cerum zurückzugreifen.
Vorher aber noch eine andere Bemerkung, die Schale
betreffend. Aus der Jugendform von Siphonodentalium ist
zu folgern, dass bei dieser Gattung, wie bei Dischides,
das embryonale Schalenende abbricht; und da liegt die
Annahme nahe genug, dass der Bruch unmittelbar hinter
der Insertion der Retractoren oder Spindelmuskeln statt
hat, sowie dass die mit den Muskelbiündeln wechselnde
Insertionslinie die charakteristischen Auszackungen der
Bruchlinie bestimmt, ein Punkt, der zu künftiger Unter-
suchung auffordert. u
Und damit zurück zur phylogenetischen Ableitung’
Sie knüpft am besten an die Gonade und die Leber at.
Beide Mitteldarmdrüsen liegen bei Dentalium syM
metrisch nach hinten, so dass von den zahlreichen Schläuchen
die vordersten seitwärts, die hintersten parallel nach hinten :
|
Von Dr. HEINRICH SımrortnH. 255
gerichtet sind. Bei den Siphonopoden werden die Lebern
ganz nach vorn gedrängt, so dass die Schläuche von der
Seite und vorn nach innen und hinten dem Magen zustreben;
nur zwei Schläuche, die beiden medialen, von PLarte als
Hinterlebern bezeichnet (l. c.), behalten die alte Richtung,
parallel zur Längsaxe, bei; die Vereinigung aber der beiden
Hauptgänge zu einem, der nur von einer Seite das Secret in
den Magen befördert, deutet ebenso wie die Verlagerung
der seitlichen Schläuche auf einen secundären Zustand,
gegenüber den Dentalien.
Die Ursache der Dislocation lässt sich leicht auffinden,
sie liegt in der Gonade. Auch diese zeigt bei Dentalium
die einfacheren Verhältnisse; denn als langgestrecktes
gleichschenkliges Dreieck nimmt sie hinter dem Magen
über der Leber den Rücken ein, so dass sie durch die
Medianebene in zwei symmetrische Hälften getheilt wird.
Bei den Siphonopodiden dagegen wird sie viel kürzer und
breiter, ihre Seitentheile riicken in den Mantel hinab, ver-
drängen die Leber und dringen bis zur gegenseitigen Be-
rührung in der unteren Medianlinie nach unten und vorn.
Und so gewinnt man nach allen Seiten den Eindruck, als
ob die Form von Dentalium ursprünglicher wäre als die
der Siphonopoden, die vielmehr als redueirte Gestalten er-
scheinen. Ich glaube, man kann selbst den Grund auffinden
davon, dass bei dieser Grössenreduetion gerade die Gonade
die Veränderungen im Situs viscerum bestimmt. Wie näm-
lich verschiedene Abbildungen von Lacaze - Durusers, M.
Sans, For. und Prare ergeben, sind die Eier der kleinen
Siphonodentalien relativ beträchtlich grösser als die von
Dentalium, wohl um ein mehr-, vielleicht vielfaches. Die
Reduktion der Eigrösse hat mit der des Körperumfanges
ei weitem nicht gleichen Schritt gehalten, daher die
Verlagerungen.
; Bei aller Ueberzeugungskraft der Thatsachen, wie sie
sich mir wenigstens darstellen, ist es doch nicht leicht, die
erste Form der Gonade in jenes frühe Stadium hinein zu
eonstruiren. Die Larve, die es uns einigermassen vorführt,
naturgemäss noch keine Geschlechtsdrüse. Auf jeden
256 Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden.
Fall musste sie kürzer sein als bei Dentalium und schmaler
als bei den Siphonopoden.
Uebrigens hängt mit der verschiedenen Eigrösse ein
anderer Umstand zusammen, welcher wiederum im Gegen-
satze zu den eben gegebenen Ableitungen den Dentalien
das Gepräge weiter entfernter Formen giebt. Die Siphono-
poden bleiben durchweg klein, wachsen also nicht weiter
in die Länge; damit aber werfen sie auch das obere Sehalen-
ende (nach Abbruch des embryonalen Theiles) nicht wieder
ab, wie Sars richtig schloss, die obere Oeffnung ist im
Verhältniss zur Schale weit und lässt auch recht grosse
Eier durch; den kleinen Dentalieneiern dagegen entspricht
eine enge obere Oeffnung, und wenn sie das Schalenende
abwerfen, verengern sie sich wieder durch Hypostracum-
abscheidung, besitzen also eine recht wesentliche käno-
genetische Sondererwerbung, wobei eine möglichst enge
obere Oeffnung zugleich für die Abhaltung von Fremd-
körpern vortheilhaft ist.
3. Die geologische und geographische
Verbreitung.
Die Paläontologie hat einige wenige Formen aufgedeckt,
welche in der gegenwärtigen Schöpfung zu fehlen scheinen,
wahrscheinlich sogar bloss eine, denn das Pyrgopolon
Montrorr’s wird kaum noch als ein Scaphopod betrachtet.
Es kommt also nur Lobentale Cossmann in Betracht.
Demnach zeigen unsere Thiere in allen Gattungen eine
grosse Zähigkeit, Beweis genug, dass sie in ihrer Eigenart
den Bedingungen, unter denen sie leben, vortrefflich nm
gepasst sind. Schon hier wird man Anlass nehmen dürfen
(von allen morphologischen Argumenten ganz abgesehen),
sie nicht länger als einfache Zwischen- oder gar Ueberr
gangsstufe zwischen Gastropoden und Lamellibrachien
anzusehen.
Dentalium hat sich vom Silur an erhalten. In spät
secundären und tertiären Ablagerungen scheinen erst |
Siphonopoden aufzutreten, so dass wir auch hierin einen
Beweis für die „grössere Annäherung der Dentaliiden an
Von Dr. Heinrich Sımrorn, 257
die Urform erblicken können, wenn wir nicht die Zartheit
und Kleinheit der Siphonopoden dafür verantwortlich machen
wollen, dass sie in älteren Schichten noch nicht nachge-
wiesen wurden.
Von hoher Bedeutung scheint mir’szu sein, dass fossile
Formen, wie Fissidentalium und Cadulus, z. Th. in fast
identischen Arten einen ganz ausserordentlichen Procentsatz
der abyssischen Fauna ausmachen. Diese Thatsache lässt sich
aber nicht nur in dem Sinne verwerthen, den man’ so gern
hineinlegt, als ob die Tiefseefauna überhaupt ein Refugium
darstelle für alterthümliche Geschöpfe, sie erhält vielmehr
einen um so stärkeren Nachdruck dadurch, dass die Sipho-
nodentalien in weniger tiefen Wasserschichten bisher mehr
in den arktischen Breiten vorkommen, welche die niedrigen
Temperaturen der Tiefsee theilen. Der grösste Reichthum
an Gattungen fällt also in die Kältegebiete, und wir kommen
zu der Folgerung, dass die Scaphopoden unter niedrigen
Wärmegraden erzeugt sind.
4. Die Färbung.
Aus der Farbe eines Thieres einen Schluss machen zu
wollen auf seinen Schöpfungsherd, ist vor der Hand ein
8eWwagtes Unternehmen. Man muss sich leider bisher noch
mehr vom Gefühl leiten lassen, als von exacten Merkmalen.
Gleichwohl stehe ich nicht an, auch das, was sich mir bei
der Betrachtung der Körper- und Schalenfärbung der Sea-
phopoden aufdrängte, heranzuziehen.
Die Farben bewegen sich zumeist in der linken Hälfte
des Spectrums. Am grellsten tritt Orange auf, wenn auch
vereinzelt. Demnach herrscht ein ziemlich mattes Grün
vor; röthliche Töne finden sich, besonders ein dumpfes
Purpurroth. Die übrigen Abstufungen liegen auf der Linie
2wischen Weiss und Schwarz, ganz weissen Schalen stehen
solche mit einem rein grauen Anflug in verschwommenen
Ringen, den Anwachslinien entsprechend, gegenüber, Blau,
Indigo, Violett fehlen, ersteres wenigstens beinahe.
Erlaubt diese Scala irgend einen Schluss? "Als ich
kürzlich mit Herrn Winter in Frankfurt die von ihm her-
sestellten prächtigen zoologischen Tafeln durchsah, fiel mir
San, >!
f. Naturwiss, Bd. 67, 1894,
258 Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden.
die ausserordentliche Uebereinstimmung der Dentalien-
färbung mit der der nordischen Actinien auf.') Genau die-
selbe Breite der Scala, in den gleichen Abstufungen. - Be-
vor ich meinen Gedanken Ausdruck gab, bemerkte Herr
WINTER, dessen eingehende Bemühungen um das Colorit
der Neapeler Actinien bekannt sind, man sähe den Nord-
formen gleich an der Farbe die Kälte an. Ohne mich hier
auf eine theoretische Discussion irgendwie einzulassen,
verschweige ich doch nicht, dass ich schon aus der Fär-
bung den Eindruck erhalten hatte, die Seaphopoden seien
ursprünglich Kälteformen.
D. Schluss.
Die Scaphopoden sind eine durchaus selbständige
Weichthiergruppe von hoher Eigenart. Der grabenden
Lebensweise angepasst, nehmen sie zwar, wie die Muscheln,
das Athemwasser durch das Hinterende ein, aber sie führen
es nach vorn durch die Fussrinne aus. Dabei haben sie
die selbständige Ergreifung und Auswahl der Nahrung
nicht aufgegeben, sondern den Zottenbesatz ihrer Fühler,
wie ihn Tuıere bei Haliotis nachgewiesen hat (l. e.), ZU
langen Captakeln ausgebildet. Die Urform war wohl
kürzer, gedrungener, mit nur schmaler vorderer ventaler
Verwachsung des unteren Schalenrandes, während nach
hinten ein starker ventraler Ausschnitt blieb. Die Ver-
engerung der Mantelhöhle brachte die Kiemen zum Schwinden,
und die Haut übernahm die Athmung. Besonders wurde
die Stelle zur Kiemengegend ausgebildet, in deren
Nachbarschaft anfangs die Kiemen gesessen hatten, der
untere hintere Theil des Mantelrohrs und der gegenüber-
liegende Enddarm, der rhythmische Schluckbewegungen
ausführen lernte und aus seiner Wand zahlreiche stark =
wimpernde Schläuche in das Schizocoel hineinspriessen liess
als Wasserlunge (Rectaldrüse). Mit den Kiemen schwanden =
die Eigenwände der Gefässe und die Vorkammern. Die
1) Norsks Nordhavs- Expedition 1876 — 1878. Danielssen. e_ 4
tinida 1891. Er
Von Dr. HEinRIch SImroTH. 259
Radula wurde zwar nicht mehr zum Ergreifen und Ein-
holen der Beute gebraucht, aber sie erhielt sich trotzdem,
weil sie aus einer Raspel sich zu einem Quetschapparat
zum Zerdrücken der Radiolarien umbildete. Der Kiefer
blieb bestehen, um die Nahrung mit dem Geschmackswerk-
zeug oder Subradularorgan in innigere Berührung zu
bringen.
Der Fuss war anfänglich der Dentalienfuss mit End-
spitze und Seitenlappen. Daraus entwickelte sich durch
Pulsellum hindurch die Endscheibe der Siphonopoden mit
ihren zahlreichen Ankerpapillen.
Mit der grabenden Lebensweise verband sich später
eine weitere Streekung des Körpers, die Schale wurde
konisch röhrenförmig. Der embryonale Theil wurde abge-
worfen. Nachher trat bei den Siphonopoden eine Ver-
engerung der vorderen Schalenöffnung ein unter gleicher
Reduktion des Körpermasses. Die Eier nahmen indess
nicht entsprechend ab, und die grosse Gonade bedingte eine
Verlagerung der benachbarten Organe, besonders der
Lebern.
. Das Schöpfungscentrum muss mit hoher Wahrschein-
lichkeit in den kälteren Gegenden gesucht werden.
äileinere VHittheilungen.
Mathematik und Astronomie,
Photographien der Milchstrasse. Der bekannte ame-
rikanische Astronom Prof. Barnard vom Lickobservatorium
veröffentlichte kürzlich in einer amerikanischen astrono-
mischen Zeitschrift einen interessanten Aufsatz über Photo-
graphien von Nebelflecken und Sternhaufen der Mileh-
strasse, in welchem er seine Aufnahmen eines grossen
Theiles der Milchstrasse und zwar vom Sternbilde des
Scorpions bis zu dem des Orion eingehender beschreibt
und zu interessanten, lehrreichen Schlüssen über die Or-
ganisation der verschiedenen Gegenden der Milchstrasse
gelangt. Die Milchstrasse zeigt nicht in jedem ihrer Theile
dasselbe Bild, unzählige Sterne, wie von Vielen angenommen
wird, vielmehr sieht man vollkommen verschiedene Gestal-
tungen. Hier zeigt sich eine wolkenartige Ansammlung
von feinen staubähnlichen Sternchen, dort eine Menge deut-
lich getrennter, sich kräftig hervorhebender Sterne. Im
Scorpion, Schützen und noch weiterhin erblickt man zel-
streut Nebelflecke und dichte Sternhaufen, die offenbar
nicht Theile (Sterne und Nebel) der an der Grenze unserer
Welt befindlichen Milchstrasse, sondern in angemessenen
Entfernungen jenseits derselben sich befinden und nur ”
gleicher Richtung gesehen werden. An anderen Stellen,
grunde sind meist etwas hellere Sterne vorhanden, als die ee
sind, welche die betreffende Milchstrassengegend sonst au
DR
Kleinere Mittheilungen, 261
weist. Barnand theilt diesen Beobachtungen und Erschei-
nungen gemäss die Gruppen von helleren Sternen in zwei
Klassen ein. In der ersten ist den Sternen keine Nebel-
masse beigemengt. Zu dieser rechnet er die Hyaden im
Stier (oder das Regengestirn, deren Hauptsterne die Gestalt
eines V zeigen und deren hellster Stern der rothe Alde-
baran ist), den Delphin in der Nähe des Atair (dessen 5
Hauptsterne die Gestalt eines Kinderdrachen ähneln), die
bekannten Sternhaufen h und x im Perseus und andere.
Kometen. Augenblicklich sind 3 Kometen mit bewafl-
neten Augen sichtbar. Der am 26. März von Denning zuBristol
entdeckte Komet (= 1894 I) hat sich als ein neues Glied
unseres Sonnensystems erwiesen, denn aus den Beobach-
tungen desselben ist von Scuurnor in Paris eine Umlaufs-
zeit von 7°/, Jahren berechnet worden. Von der Sonne
entfernt sich dieser Komet bis auf 128370000 geogr. Meilen,
also noch etwas weiter als die Entfernung des Jupiters von
der Sonne beträgt. In der kürzesten Entfernung von der
Sonne ist er 22901000 geogr. Meilen entfernt, erreicht also
noch nicht die Entfernung der Erde von der Sonne. Ein
zweiter Komet (1894 If) wurde am 1. April (nicht 3. April)
von GAtE in Sydney (Australien) entdeckt, dessen kürzeste
Entfernung von der Sonne 19670000 geogr. Meilen beträgt.
Bemerkenswerth ist es, dass seine Bahn nahezu senkrecht
(genau unter einem Winkel von 87° 15’) auf der Erdbahn
steht. Der dritte Komet dieses Jahres wurde im Jahre
1873 das erste Mal gesehen, und damals von Texeer (als
3. Tempel’scher Komet von kurzer Umlaufszeit) entdeckt
und nach 5'/, jähriger Umlaufszeit 1878 wieder beobachtet.
In den Jahren 1883 und 1889 kehrte er zwar, wie aus
Seiner Umlaufszeit hervorgeht, wieder zurück, konnte aber
Dicht gesehen werden, da er der Richtung nach der
Sonne zu nahe stand. Scnhurnor in Paris berechnete sein
Jetziges Wiedererscheinen und in der That wurde er an
dem von ihm bestimmten Orte zu Capstadt (Südspitze von
Afrika) vom Astronomen Fıray wieder aufgefunden.
Offenbar ist die Scnunnor’sche Berechnung eine der ausge-
Zeichnetsten Leistungen in der Kometen-Astronomie. Dieser
Tempel’sche Komet entfernt sich von der Sonne bis auf :
262 Kleinere Mittheilungen,
93171000 geographische Meilen, also noch nicht bis zur
Jupitersbahn, und nähert sich der Sonne bis auf 26965000
geographische Meilen.
Ein neuer Planet, 1894 BC (der 390. Planetoid), ist
von Bisourpan in Paris am 24. März abends im Nord-
osten der Wasserschlange als Stern 13. Grösse entdeckt
worden. Sein Ort war am 24. März abends 10 Uhr 26 Min.
mittl. Zeit von Paris:
Gerade Aufsteigung 141° 14° mit einer täglichen
Aenderung von — 4 Bogenminuten;
Nördliche Abweichung 4° 12‘.
Astronomische Höhenstationen. Wie schon lange
vermuthet wurde, hat die Beobachtung astronomischer Er-
scheinungen von beträchtlichen Höhen aus bedeutende Vor-
theile vor der in der Ebene oder auf geringen Erhebungen,
und zwar ist es die trockene Luft, nicht die Höhe an und
für sich, die in optischer Hinsicht so günstig einwirkt.
Die älteste dieser Höhen-Sternwarte ist das Lick-Obser-
vatorium in einer Höhe von 1305 m, dessen glänzende Er-
folge wir mehrfach erwähnt haben. Neuerdings sind nun
eine Anzahl neuer Höhenwarten errichtet oder in Aussicht
genommen. Im Gouvernement Tiflis auf dem Sidabhange
des Kaukasus in 1400 m Höhe ist von Petersburg aus ei
temporäres Observatorium aufgeschlagen worden. Ferner
besteht in Peru auf dem Rücken der Anden in einer Höhe
von 2457 m die Boyden-Station Arequipa, die sehon her-
vorragende spectralphotographische Ergebnisse aufzuweisen
hat. In den Seealpen ist auf dem Monnier — 280 m
hoch — von Nizza aus ein Observatorium errichtet. Endlieh
hat man auf der Spitze des Montblanc in 4810 m Höhe ein
Beobachtungshaus im Eis befestigt, das besonders dazu
dienen soll, von ihm aus das Sonnenspectrum frei von den
durch tellurische Absorption hervorgerufenen Störungen U
studiren, wie es Prof. Simony-Wien auf dem Pik von
Teneriffa im Jahre 1888 mit bestem Erfolge gethan bat-
Kleinere Mittheilungen. 263
Chemie und Physik.
Refraktometer von Karl Zeiss in Jena. Der Apparat
dient dazu, den Brechungsindex von Flüssigkeiten, besonders
von Oelen und Fetten, in sehr einfacher Weise zu bestimmen.
Es kann damit unter Anderm in kurzer Zeit nachgewiesen
werden, ob Butter mit Margarine verfälscht ist oder nicht.
Um auch solche Fette untersuchen zu können, die bei ge-
wöbnlicher Temperatur nicht flüssig sind, wie eben die
Butter, ist ein besonderer Heizapparat an dem Refrakto-
meter angebracht. Nachdem die zu untersuchende Flüssig-
keit in ganz dünner Schicht zwischen 2 Prismen gebracht
worden ist, erscheint das Gesichtsfeld des an dem Apparate
befindlichen Fernrohrs auf der linken Seite hell, auf der
rechten dunkel. Die Trennungslinie zwischen dem hellen
und dem dunkeln Theil hat je nach dem Brochungsindex der
zu untersuchenden Flüssigkeit eihe verschiedene Lage. Nach
einer im Okular des Fernrohrs angebrachten Seala wird
die Lage der Trennungslinie und damit der Brechungsindex
bestimmt.
Eigenthümliche Produkte der Glasindustrie. In der
Fensterglashütte von Witten in Westf. befindet sich die
Glasmasse in dichtwandigen, feuer- und alkalifesten Oefen,
welche bis 100 m lang und 1—2 m hoch sind. Durch die
langsame Bewegung der glühenden Masse in den langen
Vefen wird die Gleichmässigkeit der Glasmasse hervor-
gebracht. Springt nach Abnutzung des Ofens einmal die
Wand, so lässt man die Masse in einen Kellerraum, um sie
später wieder zu verwenden. Beim Abktihlen der Masse
bildet sich dann nur an der Oberfläche Glas, das innere
bleibt noch monatelang glühend. Bei so langsamer Ab-
kühlung ist natürlich reichliche Gelegenheit zur Krystalli-
sation vorhanden. So ist selbst die äussere Rinde nicht
Omogen, soudern entglast. Nach dem Inneren zu, wo die
Masse blasig wird, bildet sich die krystallinische Natur
immer deutlicher aus, weil ja hier die Abkühlung am lang-
samsten erfolgte. Die von Herrn Dr.Borgmannmitgebrachten
Belegstücke, die in verschiedenem Grade eine mattgrüne
264 Kleinere Mittheilungen.
Färbung besitzen, zeigen: solche "Uebergänge. Die von
Herrn stud. Köthner ausgeführte Analyse dieser Krystalle
führt im wesentlichen auf ein Natrium-Caleiumsilicat, in
dem Natrium und Caleium durch verwandte Metalle (Ra-
lium, Magnesium, Eisen) theilweise vertreten sind.
Dr. H. Erdmann, Vereinssitzungen am 11.1. u. 8.3. 9.
Optisches Verhalten der Alaune. Abgesehen von
dem berühmten Isomorphismus und den bemerkenswerthen
Elastieitätserscheinungen der Alaune sind diese Salze auch
optisch sehr interessant. Als Krystalle des isometrischen
(regulären) Systemes sollten sie isotrop sein, sie lassen in-
dessen das eindringende Licht nicht intakt, hellen vielmehr
das Gesichtsfeld auf und zeigen Doppelbrechungsersehei-
nungen, ein Verhalten, das wohl auf geringe Unreinheiten
zurückgeführt werden muss.
Prof. Lüdeck«, Vereinssitz. am 11. Jan. 9.
Michaelis und Burmeister, Phenylpyrazolidon. Eine
neue mit Hilfe des Phenylhydrazins dargestellte stickstofl-
haltige ringförmige aromatische Verbindung, die von einigem
Interesse sein dürfte, weil ihre Methylirung ein Derivat
erwarten lässt, dass sich dem Antipyrin ähnlich verhält.
Boraluminiumbronze. N. Warren in Liverpool hat
durch Versuche ermittelt, dass die Eigenschaften der Alu-
miniumbronze durch kleine Zusätze von Bor wesentlich
verbessert werden. Die Legierung giebt dann einen dich-
teren und härteren Guss. Sie schmilzt und schmiedet sich
mit grosser Leichtigkeit. Die gewöhnliche Aluminium
bronze hat beim Niederschmelzen die unangenehme Eigen-
thümlichkeit, dass sich auf der Oberfläche eine 'schwer-
schmelzbare Legirung bildet, welche sich so stark am der
Luft oxydirt, dass sie eine Art Schlacke bildet,
mit dem Rest des Metalles nicht mehr verbindet.
aluminiumbronze schmilzt bei einer niedrigeren Temperatur
als die gewöhnliche Bronze. Die Herstellung ist derartig,
dass zunächst das Aluminium zu Barren geschmolzen wird,
welche das Bor ebenso beigemischt enthalten wie der S
ol-
den Kohlenstoff. Diese Barren werden dadurch hergestellt, |
die sich
Kleinere Mittheilungen. 265
dass Aluminium in eine glühend heisse Mischung von Fluss-
spat und wasserfreier Borsäure gebracht und die Hitze so
weit verstärkt wird, bis sich ein Rauch von Borfluorid
bildet. Das Bor löst sich hierbei im Aluminium theilweise
auf, und das Metall wird dadurch krystallinisch und brüchig.
Von diesem Boraluminium werden 5—10 °/, dem reinen
Kupfer zugesetzt. Prometheus.
Telegraphiren ohne Drahtverbindung. Der eng-
lische Elektriker Preece, welcher bereits früher inter-
essante Versuche über die telegraphische Uebermittlung
von Nachrichten von der Küste nach Schiffen durch In-
duetion ohne continuirliche Leitung gemacht hat, stellte
neuerdings weitere Versuche an zwischen Lavernock Point
am Bristolkanal und zwei Inseln Flat Holm und Steep
Holm, welche 5 bezw. 8,5 km von der Küste entfernt
liegen.
Längst der Klippen der Küste wurden zwei Kupfer-
drähte auf 6 m hohen Pfosten in 1160 m Länge gespannt,
welche einen einzigen Leiter bildeten, und an eine Wechsel-
Strommaschine angeschlossen, welche bei 192 Wechseln
pro Sekunde einen Strom von 15 Ampere bei 150 Volt gab.
Die Rückleitung wurde von der Erde gebildet. Auf Flat
Holm wurde parallel zu dieser Landlinie ein Gutta-
perchakabel von 548 m Länge gelegt. Die Correspondenz
gelang ohne Mühe, nur war es schwierig, bei Beginn einer
Depesche die Aufmerksamkeit des Telegraphisten auf der
Insel zu wecken. Dagegen gelang der Versuch mit der
weiter entfernten Insel Steep Holm nicht. Es wurden
“war noch Wirkungen vom Lande her auf die Leitung auf
der Insel bemerkt, doch waren dieselben zu undeutlich für
eine Verständigung. Für diese Entfernung war also der
Strom zu schwach oder die Leitungen waren zu kurz.
Andere sorgfältige Versuche sind in Schottland ange-
stellt worden, wo zu beiden Seiten des Loch Ness Tele-
Sraphenlinien in etwa 2 km Entfernung sich befinden. An
Jeder Küste wurde eine 8 km lange Linie genommen und
mit Punkten landeinwärts auf 14,5 bezw. 9,5 km Entfernung
verbunden. Auf diese Weise konnte man zwischen beiden
266 Kleinere Mittheilungen.
Linien nicht nur telegraphiren, sondern auch telephoniren;
beim Telegraphiren waren die Signale so laut, dass kein
Anruf erforderlich war.
Aehnliche Versuche wurden nun kürzlich auch von der
allgemeinen Elektrieitätsgesellschaft angestellt. Unter An-
wendung von kaum 500 m Draht, mittels eines etwa 200 mal
in der Sekunde unterbrochenen Stromes von 110 Volt und
2,5 Ampere gelang es, auf 4,5 km Entfernung von Wann-
see nach Neu-Cladow a. d. Havel über den Wannsee .zu
telegraphiren. Die Signale waren im Telephon als ein
leise knurrendes Geräusch vernehmbar, dessen Tonhöhe
ungefähr im Gebiete der grossen Oktave lag. Zwei im
Abhorchen geübte Beamte waren ohne weiteres im Stande,
vom Lande aus aufgegebene Meldungen aufzunehmen.
Ueber die Schmelzpunkte anorganischer Salze haben
N. Meyer und W. Riddle eine erste Versuchsreihe ver-
öffentlicht. Ueber die Schmelzpunkte der bekanntesten
dieser Salze fehlt es noch vollständig an zuverlässigen
Angaben; und doch wäre ihre Kenntniss nicht bloss prak-
tisch wichtig, sondern man darf bier vielleicht ähnliche
Regelmässigkeiten erwarten, wie sie bei organischen Ver-
bindungen längst bekannt sind. Da die Versuche noch nicht
zum Abschluss gelangt sind, so genüge hier die Bemerkung,
dass die Temperaturen mit dem Luftthermometer gemessel
sind, was in einfachster Weise möglich war. Die vor
läufigen Ergebnisse sind:
Chornatrium schmilzt bei 851° C.
Bromnatrium = an
Jodnatrim = .. Dur
Chlorkalium = a
Bromkalium 5; a
Jodkalium n „Dass
Pottasche an „ 1045° „
Soda „ „ 109° „
Borax ” 0
Schwefelsaures Natrium ,, a
Schwefelsaures Kalium , 1073° „
) „
Jahrbuch für Naturw. 9. Jahrg-
Kleinere Mittheilungen. 267
Mineralogie und Geologie.
Zwei neue Fundorte von Gleischerschrammen aufan-
stehendem Gestein im norddeutschen Glacialgebiet.
Professor F. WAHnscHArFFE in Berlin hat im Sommer 1893
in Posen und Schlesien von zwei neuen Punkten Gletscher-
schrammen auf anstehendem Gestein nachgewiesen. Die eine
Stelle liegt 25 km westlich von Inowrazlaw bei dem Dorfe
Krotoschin unweit der Stadt Bartschin, unmittelbar südlich
an der Bahn Inowrazlaw-Elsenau, die andere 7 km west-
nordwestlich von Jauer in Schlesien zwischen den Dörfern
Schlaup und Herrmannsdorf südlich der Chausee, welche
die Ortschaften Hermersdorf und Peterwitz verbindet. An
der ersten Stelle treten in einem Kalksteinbruch des Weissen
Jura unter der ca. 5m mächtigen Decke des oberen Ge-
Schiebemergels, welche auf eine Länge von 130 m und eine
Breite von 15 m abgedeckt ist, Schiehtenköpfe des sehr
dichten und harten Kalksteins hervor, deren abgeschliffene
Oberfläche mit deutlichen Glacialschrammen versehen ist.
Ihre wesentlich nordwest- südöstliche Richtung stimmt sehr
gut mit der Richtung der Schrammen überein, mit der die
Oberfläche von Geschieben bedeekt war, welche sich un-
mittelbar auf den abgehobelten Schichtenköpfen des Jura-
kalkes fanden. Die Vertiefungen, welche sich in den
Schichtenköpfen des 5 km oststidöstlich gelegenen Kalk-
bruches bei Hansdorf finden, zeigen langgestreckte grubige
Vertiefungen, die eher an Karrenbildungen als an Gla-
eialschrammung erinnern. An der zweiten Stelle finden
Sich in einer Kiesgrube am Nordabhang einer Erhebung,
die den Namen „der Weinberg“ trägt, überlagert von einer
tm mächtigen ungeschichteten groben Kiesschieht, der ein
2 dm mächtiges Bänkchen von sandigem Thon folgt, eine
ingeschichtete Bank von groben Gesteinsbruchstücken ver-
Schiedener Grösse, welche fest in einander gekeilt liegen.
In dieser Bank kommen neben nordischen Geschieben auch
Basaltblöcke vor, von denen ein grösserer von 2 m Durch-
Messer auf der nach Süden gerichteten Seite auf einer mehr
als 2 qm grossen Fläche sehr deutliche Gletscherschrammen
“eigt, welche sich in gleicher Richtung durch die ganze
268 Kleinere Mittheilungen
Fläche fortsetzen. Die Basalte des 400 m ostnordöstlich
gelegenen Kirschberges, dem diese Blöcke entstammen, er-
wiesen sich nach Abdeckung des darauf liegenden Materials
als völlig unverwittert, glatt abgeschliffen und mit deut-
lichen Glacialschrammen versehen, welche die Richtung
NO nach SW besassen. Die Schrammenrichtung stimmt
also genau wit der Transportriehtung der Bäsaltblöcke in
der Lokalmoräne auf dem Weinberge überein.
Dr. Halbfass, Neuhaldensleben.
Trinidad-Asphalt. Der Trinidad-Asphalt wird in dem
sogenannten Asphaltsee gebrochen, der ungefähr 30 m über
dem Meeresspiegel und 3 englische Meilen vom Meere ent-
fernt liegt. Die Tiefe der Asphaltmasse, die den soge-
nannten See bildet, beträgt nach einigen vorläufigen Bohr-
ungen 23 m in der Mitte und 6 m am Rande. Der Grund
soll aus blauem Thon bestehen. Wenn diese Messungen
richtig sind, so würden unter. Berücksichtigung des Um-
fanges des Sees die augenblicklich vorhandenen Asphalt-
mengen 6000000 Tonnen betragen, doch wird — wohl mit
Recht — angenommen, dass der an der Oberfläche starre
Asphalt in der Tiefe flüssig oder wenigstens plastisch ist
und durch unterirdische Zuflüsse permanent vermehrt wird.
Die Oberfläche des sog. Asphaltsees ist ziemlich eben, und
das Material erscheint durch Verwitterung braun und von
erdiger Beschaffenheit, Sprünge und Risse haben sich hier
und da bis zu Meterbreite gebildet, die theils mit Regen
wasser, theils mit Sand gefüllt sind und von denen sogar
einige eine ärmliche Vegetation ernähren. Der Asphalt,
der ziemlich hart und spröde ist, wird mit der Spitzhacke
gebrochen und an das Seeufer gefahren. Hier wird er
mittelst Booten auf die Schiffe verladen. Während der
Reise wird das scheinbar spröde Material vollständig
plastisch, sodass er nach der Ueberfahrt sich zu einem
einzigen Klumpen zusammengeschweisst hat. Der rohe
Asphalt wird dann wieder aus dem Schiffe herausgebrochen :
und 5 Tage lang in grossen eisernen Gefässen bei mässiger ss
Wärme erhitzt. Auf diese Weise wird die Feuchtigkeit —
ausgetrieben, während erdige Verunreinigungen sich m:
er
Kleinere Mittheilungen. 269
Boden, andere sich als Schaum auf der Oberfläche absetzen.
Die raffinirte Masse wird in Fässer abgezapft und bildet
dann das bekannte Handelsprodukt.
Schlier in Mähren. Von Professor A. Rzehak wurden
Schlierbildungen in folgenden neuen Lokalitäten constatirt:
Neudorf bei Mautnitz, Pausram, Tracht, Wisternitz,
M. Tannowitz, Neusiedl und Brünn. Die petrographische
Beschaffenheit dieser Bildungen variirt sehr bedeutend.
Sehr häufig sind Septarien von diehtem, meist dolomitischen
Kalkstein; ausserdem treten Gips, Pyrit und Glaukonit, bei
Neudorf auch Kohlenwasserstoffgase auf. An mehreren
Stellen schliessen sich die Schlierbildungen, sowohl was
den petrographischen Charakter als auch die Lagerung
anbelangt an das karpathische Palaeogen an: bei Pausram
nehmen sie sogar Antheil an dem tektonischen
Aufbau des Gebirges. Palaeontologisch weichen sie von
den Ablagerungen der zweiten Mediterranstufe ziemlich
beträchtlich ab. Dem Alter nach gehören einzelne Schlier-
bildungen (Brünn, M. Tannnowitz ete.) den Grunder-
Horizont an, andere repräsentiren wohl das Unter-
Mioeän. Ein Bindeglied zwischen dem Oligocän und
dem Miocänbildungen sind die fossilreichen Septarien von
bituminösem Kalkstein, die sich bei Mautnitz in Thon ein-
gebettet vorfinden und neben vielen dem Miocän fremden
ormen auch Luecina globulosa, Solenomya Döder-
leini, Mytilus ef. aquitanicus enthalten.
Naturf. Vers. zu Wien 1894.
Gangspalten des Nordwestharzes. Nach Baurath Dr.
Langsdorfi-Clausthal bilden die Gangspalten des Nordwest-
Arzes ein complieirtes Netz, das man unter gleichzeitiger
Berücksichtigung der Streichungsrichtungen und des
Wineralogischen Charakters in vier Systeme theilen könne:
1 dasjenige von Clausthal, 2) das System Lerbach-Lauter-
berg, 3) das der grossen Oderspalte und 4) das System des
Brockenmassivs. Eine sichere Bestimmung des relativen
Alters” dieger vier Systeme ist zur Zeit noch ausstehend,
ebenso die Entscheidung der Frage, in welcher geologischen
270 Kleinere Mittheilungen.
Periode die Hebung des Harzes über die Umgebung statt-
gefunden hat, und ob sie auf einmal oder in Zwischen-
räumen zu verschiedenen Perioden erfolgt ist.
Naturf. Vers. zu Wien 189.
Der grösste Diamant. Im Juni vorigen Jahres ist in
den Minen von Jägers-Fontein in der Kapkolonie von dem
Inspector des Bergwerks ein Diamant gefunden, der alle
bisher bekannten Diamanten an Grösse bei weitem über-
trifft. Der Stein ist beinahe 3 Zoll gross und fast ebenso
breit. Er wiegt 971 Karat, sein Glanz soll tadellos sein.
Das Aussehen ist wasserhell, nur im Innern befindet sich
ein kleiner schwarzer Punkt, der jedoch durch geschicktes
Schleifen soll entfernt werden können. Der Diamant hat
den Namen Excelsior erhalten.
Neuer Fundort für Diamanten. In Oregon Wis.
wurde in einem Schwemmlande, welches viele Quarz-
krystalle enthielt, ein kleiner, halbdurchsichtiger Krystall
gefunden, der sich nach der Untersuchung als ein Diamant
auswies. Der Krystall ist dodekaedrisch und wiegt fast
4 Karat.
Südindische Kreideformation. Die fossilienreiche
obere Kreide ist vermöge ihrer günstigen centralen Lage
zwischen den sonst schwer vergleichbaren Kreideablager-
ungen des atlantischen und paeifischen Gebietes vorzüglich
zu einer Beurtheilung der oberen Kreidezeit im allgemeinen
geeignet. Nach neueren Untersuchungen Franz Koss
mat’s (Wien) ist sie auf der einen Seite durch die Ab-
lagerungen von Natal, Angola, Elobi mit der mittel-
europäischen Kreide verknüpft, zeigt aber auch Ne
kennbare Beziehungen zur Westseite des atlantischen
Oceans: Brasilien, und östliches Nordamerika. Besonders
gross ist die Zahl der indischen Formen im paeifischen
Gebiet in: Jesso, Sachalin, Britisch-Columbien, Chile ete.
Naturf. Vers. zu Wien 1894.
Kleinere Mittheilungen. 271
Botanik, Zoologie und Palaeontologie,
Ein neuer Acranier. Der berühmte Ampbioxus
laneeolatus hat einen Genossen bekommen: An der Küste
der Bahama-Inseln hat man im Sande ein nur 16 mm
langes durchsichtiges Urwirbelthier gefunden, das nach
E. A. Andrews’ Beschreibung (Studies from the Biological
Laboratory of the Johns Hopkins University 1893) einen
stark verlängerten Schwanz besitzt und dessen Bauchflosse
keine Flossenstrahlen erkennen lässt. Das wesentlichste
Kennzeichen ist aber die Asymmetrie der Gonaden: die
Geschlechtsdrüsen finden sich nur an der rechten Seite.
Diese Eigenthümlichkeit und die Insel Lucaya veranlassten
den Namen Asymmetron lucayanum. G. Brandes.
Dr. P. Knuths blüthenbiologische Untersuchungen.
Von den neueren Arbeiten aus dem Gebiete der Blüthen-
biologie nehmen diejenigen Knuths eine ganz besonders
hervorragende Stellung ein. Vom Jahre 1892 bis 1894
liegen vier bedeutungsvolle Arbeiten dieses Autors vor:
l) Dr. Paul Knuth, Vergleichende Beobachtungen über den
Insektenbesuch an Pflanzen der Sylter Heide und der
Schleswigschen Festlandshaide.
Separatabdruck aus Botanisch Jaarboek uitge-
geven door het Kruidkundig genotschap Dodon-
naeate Gent. Vierde Jaargang 1892.
2) Blüthenbiologische Beobachtungen auf der Insel Capri,
ebenda, 5. Jahrg. 1893.
3) Blumen und Insekten ‘auf den Nordfriesischen Inseln.
Kiel und Leipzig 1894, Lipsius und Tischer.
#) Blumen und Insekten auf den Halligen.
Separatabdruck aus Botanisch Jaarboek, VI. Jahr-
gang 1894, Gent. J. Vuylsteke.
Der Verfasser strebt dem Ziele zu, blüthenbiologische
Untersuchungen „auf möglichst zahlreichen, kleineren, ab-
Segrenzten Gebieten planmässig anzustellen.“ Welches Ver-
dienst um die biologische Forschung gerade aus der Be-
arbeitung von Inseln erwächst, ist seit den Arbeiten Darwins
hervorgetreten, und darum haben wir Knuths Werken einen
besonderen Wertli beizumessen. :
Die unter 3 aufgeführte Arbeit ist die umfangreichste
272 Kleinere Mittheilungen.
(200 p. nebst Anhang und alphabetischen Verzeichniss der
behandelten Pflanzenarten), ein Werk im grossen Stile des
unvergesslichen Herm. Müller, unentbehrlich für jeden, der
nach möglichst erschöpfender Kenntniss der Blumenbestäu-
bung strebt. Indem Verfasser seine Beobachtungen auf
den „vier Hauptinseln der nordfriesischen Gruppe Röm,
Sylt, Amrum und Föhr‘ niederlegt, leitet er seine Darstellung
ein mit einer ebenso knappen als klaren „Einführung in
die Blütenbiologie.“ Denjenigen, welchen Hermann Müllers
klassisches, aber bente schwer zu erhaltendes Werk:
„Die Befruchtung der Blumen durch Insekten, Leipzig 1873“
unzugänglich ist, kann ausser dem in Rede stehenden
Werke empfohlen werden „P. Knuth, Blüthenbiologische
Beobachtungen“, Sonderabdruck aus ‚die Heimat“. Kiel,
Lipsius und Tischer, in welchem Verfasser eine ausführ-
lie'\e Darstellung der Blüthenbiologie giebt. Die für die
Blumen der vier genannten Inseln als Bestäubungvermittler
auftretenden Insekten sind von hervorragenden Autoritäten
bestimmt worden. Ein Verzeichniss der wichtigsten Litteratur
über Blüthenbiologie erhöht den Werth des Knuthschen
Werkes. Da von der ungeheueren Anzahl einzelner blüthen-
biologischer Arbeiten manche dem Autor erst zugänglich
waren, als er seine eigenen Beobachtungen niederlegte, ist
es von besonderem Werth zu erfahren, dass im Wesent-
liehen sich Uebereinstimmung ergab zwischen den Resul-
taten Knuths und denjenigen der Autoren. Wer mit der
älteren Litteratur vertraut ist, wird mit Freuden die Ergäu-
zungen und Verbesserungen begrüssen, welche Knutbs |
Untersuchungen den älteren Beobachtungen angedeihen
lassen. Greifen wir nur ein Beispiel heraus: Parnast
ralustris wird von H. Müller als Insekten-Täuschblume (H.
M. Alpenblumen) bezeichnet. Knuth stellt dagegen fest, dass
„Parnassia mindestens so viel Nektar absondert, als die
meisten Umbelliferenblüthen.“ Der Nektar wird in je Ben .
Tröpfehen zu den Seiten des Stieles der bekannten „Saft- =
Ur
maschinen“ abgeschieden. Der Nektar erscheint der me
lichen Zunge nicht süss und lockt eine sehr gro
von Insekten, vor allen Dipteren an. — Als besonders IT
teressant müssen die allgemeinen Resultate Knuths wi
se Za nn:
Kleinere Mittheilungen, 273
die Beziehungen der Blumen und Insekten auf den ge-
nannten Inseln gelten, weshalb hier ein kurzer Auszug
folgen mag; auf eingehendere Behandlung der unter 1 auf-
geführten Arbeit Kuuths kann deshalb verzichtet werden,
weil der Autor in seinem unter 2 aufgezählten Werke da-
rauf zurückgreift.
a auf den nordfriesischen Inseln windstilles Wetter
selten ist, „so scheint festzustehen, dass auf den dem Winde
ausgesetzten Stellen der Inseln der Insektenbesuch ein
sehr spärlicher ist.“ Das Vorkommen der mit Wind und
Sturm ringenden Insektenwelt nimmt mit der Abnahme
stärkerer Luftströmungen zu. Während Röm noch ärmer an
Insekten ist als Sylt, treten Insekten nach Zahl der Arten wie
der Individuen auf Amrum, welches im Westen durch hohe
Dünenketten geschützt ist, in den östlichen Marschen in
reicher Zahl auf. Wahrhaft ärmlich an Insekten sind die
Halligen. „Nur an sehr wenigen, besonders heissen und
windstillen Tagen traf ich auf den Halligen von Blüthe zu
Blüthe fliegende Insekten an, und auch diese nur in wenigen
Exemplaren“, sagt Knuth (ef. op. 4 p. 6 und 7). Dieser
Thatsache entspricht die Blumenwelt der Halligen nach
Vorkommen und Einriehtungen. Für die Halligen ergaben
sich diesbezüglich folgende allgemeine Resultate:
Die Zahl der windblüthigen Pflanzen ist auf den
Balligen eine verhältnismässig sehr grosse.“
„Die insektenblüthigen Pflanzen der Halligen sind (bei
ausbleibendem Insektenbesuche) sämmtlich im Stande, sich
selbst zu befruchten.“
„Es überwiegen bei Weitem die Blumen mit halb
verborgenem Honig, die ja auch am besten der wechseln-
den Witterung und dem Besuche der verschiedensten In-
Sekten angepasst sind; alsdann folgen die die grösste Augen-
fälligkeit besitzenden Blumengesellschaften und einige
Hymenopterenblumen, während Blumen mit freiliegendem
und mit verborgenem Honig, Pollenblumen, Falterblumen
und Fliegenblumen fehlen.“ en
Ein interessantes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit
der Blumen an wechselnden Insektenbesuch ist Euphrasia
Odontites var. litoralis ‚ welche Knuth-in grossen Mengen
Zeitschrift £, Naturwiss, Bd, 67, 1894. a
274 Kleinere Mittheilungen,
auf der Hallig Langenes fand. Dieses Beispiel von An-
p gsfähigkeitist ähnlich klassisch als dasjenige H. Müllers
von Rhinanthus major, welche Pflanze in den tieferen Ge-
birgslagen der Alpen eine typische, Hummelblume ist, wäh-
rend sie die Hummelthür, den normalen Eingang für die
Hummeln zwischen Ober- und Unterlippe schliesst, wo in
den höchsten Lagen Hummeln fehlen, findet sich in der
Oberlippe eine besondere Oeffnung, die Falterthür, die
dem Rollrüssel der oben noch reichlich fliegenden Falter
durchlässt. Auf den Halligen ist Euphrasia Odontites var. li-
toralis ganz anders als auf den grösseren Nachbarinseln
eingerichtet. Während sie auf letzteren deutlich protogy-
nisch erscheint, („die empfängnissfähige Narbe ragt in der
ersten Zeit des Blühens aus der Oberlippe hervor und ver-
trocknet, indem sich der Griffel gerade streckt und die An-
theren aufspringen, so dass zur Befruchtung unbedingt Insek-
tenbesuch nöthig ist, der denn auch von mehreren Hummel-
arten reichlich abgestattet wird“), ist Zuphr. Od. auf den
Halligen der spontanen Selbstbestäubung angepasst (die
Narbe tritt überhaupt nicht aus der Oberlippe hervor, sondern
bleibt in derselben versteckt zwischen den allmählich heran-
reifenden Antheren der beiden längeren Staubblätter, welche
erstere bei ausgebliebenem Insektenbesuche mit Pollen be-
legen müssen. Es verhält sich also die Halligform von
Euphr. Od. var. hitoralis wie die Schattenform der nieht lito-
ralen Varietät“, welche Knuth auf Föhr zwischen Getreide
beobachtete. Die Halligen stellen sich also auch in Bezug
auf Blüthenbiologie als Extreme der Inselbildung Jar.
Kehren wir zu Knuths Untersuchungen über die nord-
friesischen Inseln zurück, so ergiebt sich daraus, dass „der
Reichtum der Inseln an Insektenarten und Individuen ZU
nimmt in der Reihenfolge Röm, Sylt, Amrum, Föhr“ ent-
SET
sprechend der Abnahme des Einflusses der Winde be
ziehungsweise der Zunahme schützender Dünen und Dünen-
ketten. Im dritten Abschnitt von op. 3 führt Knuth m
Zusammenhange die Anpassungen der Pflanzen d
friesischen Inseln an Standort und Lebensbedingung‘"
vor: Auffallende Niedrigkeit vieler Pflanzen, die sich mn |
wenig
Boden anschmieger und so dem Winde möglichst
er nord
ER
Kleinere Mittheilungen. 275
Angriffspunkte darbieten. (Wer denkt da nicht an die
Hochgebirgsflora? Ref.) Gedrungener Stengel, stark ver-
zweigte Wurzeln, weithin kriechende Rhizome; relativ
grosse Blüthen gegenüber den niedrigen Stengeln, obwohl
in absoluter Grösse den Festlandsformen gleichstehend. Die
Behrenssche Ansicht, dass Inselblumen lebhafter gefärbt
seien als die gleichen Festlandsformen, konnte Knuth nicht
aufrecht erhalten. Die Inselblumen fasst Knuth heute als
Kümmerformen auf. Die Ausführungen Buchenaus über
die Anpassungen der Inselpflanzen an feuchten Untergrund
und intensive Insolation (tief hinabgehende und stark ver-
zweigte Wurzeln, verdickte, zähe Oberhaut, Behaarung,
Fähigkeit, die Blätter bei trockenem Wetter zu schliessen)
ergänzt Knuth noch durch die Erwähnung eines Fett- und
Wachsüberzuges von Cakile n: aritima, Elymus und Psamma
arenaria u.8. w., ferner des Einflusses des Kochsalzgehaltes
des Bodens anf die Pflanzen: „Der Salzgehalt des Saftes
wirkt wasseranziehend, vergrössert und vermehrt die Zellen“
des Rinden- bezw. Pallisadengewebes und erhöht den Tur-
g0r der Gewebe. Viele Salzpflanzen sind durch verdickte
Oberhaut gegen zu starke Verdunstung geschützt; dieser
Schutz fehlt aber solchen, welche, wie Aster Trifolium,
Im Feuchten wachsen. Die allgemeinen Resultate der
blüthenbiologischen Beobachtungen Knutls sind eine glän-
zende Bestätigung der Blumentheorie Hermann Müllers:
Auch die Blumen der nordfriesischen Inseln zeigen, dass
Selbstbestäubung nur ein Nothbehelf ist, wenn Kreuzung
ausbleibt, Die Fähigkeit, sich durch spontane Selbstbe-
Stäubung fortzuflanzen, ist durchaus begrenzt; wäre sie un-
begrenzt, so müsste gerade auf insektenarmen Inseln, wie
die nordfriesischen Inseln es wenigstens zum Teil sind,
Kleistogamie weit verbreitet sein, wogegen die Thatsachen
Sprechen. Die besonderen blüthenbiologischen Resultate
Knuths hier aufzuzählen, verbietet der Raum; es muss jedem
Interessenten dringend empfohlen werden, Knuths Aus-
hrungen im Einzelnen zu folgen, es entspringt daraus
Teichster Gewinn. Knuths blüthenbiologische Beobachtungen
auf Capri stellen sehr interessante Einzelbeobachtungen
& ‚und "Beschreibungen dar; zu allgemeinen Resultaten schien
ei,
276 Kleinere Mittheilungen.
den Verfasser die Kürze seines Aufenthalts auf der Insel
und die daraus folgende Beschränktheit des Stoffes offen-
bar nicht zu berechtigen.
Halle a. S., im Juli 1894. Dr. C.Smalian.
„Können die Enchytraeiden eine Bübenkrankheit
verursachen?-‘ — Ueber diese für die Rübenzucker-Industrie
äusserst wiehtige Frage theilt neuerdings Prof. FR. VEJ-
povskyr in Prag seine Erfahrungen und Vermuthungen
mit (Zeitschr. für Zuckerindustrie in Böhmen, Jahrgang X).
— Es ist bekannt, dass Heterodera schachti, ein Fadenwurm,
bei der Krankheit der Zuckerrüben eine hervorragende
Rolle spielt, indessen scheinen die Enchytraeiden nach
Prof. Vespovsky’s Ansicht für die Rüben noch weit gefähr-
licher zu sein, als die vorgenannten Schmarotzer. Die
Enchytraeiden sind kleine weissliche oder farblos dureh-
sichtigte, bisweilen auch röthliche Würmchen, welche zu
der Unterklasse der Borstenwürmer gehören; sie haben
eine Länge von etwa !/, bis 3 em und sind über Europa
allgemein verbreitet. Die zablreichen Arten leben an
Pflanzenwurzeln in feuchter Erde und faulendem Laub, m
Acker- und Gartenerde, sowie in Blumentöpfen (daher ihr
Name von xvroog, Blumentopf). In der Mundhöhle tragen
diese Würmer eigenthümliche läppchen- oder messerförmige
ehitinige Organe, welche bei der Nahrungsaufnahme durch
Ausstossen des Schlundkopfes vorgestülpt werden. Diese
von Vzspovsky (in seinem Hauptwerk: System und Mor-
phologie der Oligochaeten, Prag und Leipzig 1884) zuerst
als Geschmacksorgane gedeuteten Gebilde der Mundhöhle
dürften nach des Verfassers Ansicht dieselbe Bedeutung
haben, wie die Stacheln der Heterodera, nämlich die
Pflanzenwurzeln zu verwunden, um sie dann auszusaugel
In dieser Vermuthung wurde VEJDOVSKY durch eine eigene
Wahrnehmung bestärkt, indem er eine Enchytraeide 2
einer Wurzelfaser einer jungen Zuckerrübe zu beobachten
Gelegenheit hatte, welche ihre oben erwähnten Mund- =
stacheln in das pflanzliche Gewebe tief eingestochen hatte. =
Auch mebrfache Mittheilungen und Zuschriften an BE
VE>vovsky von ausserhalb (aus Russland, Böhmen und
2
Al nn -
En
Kleinere Mittheilungen. 277
Bayern) machen es wahrscheinlich, dass die Enchytraeiden
bei Krankheiten der Culturplanzen einen zum mindesten
sehr beachtenswerthen Factor bilden und zwar nicht nur
für Zuckerrüben, sondern auch für Kartoffeln und Getreide-
arten. Da die Biologie der Enchytraeiden noch fast völlig
unklar ist, so wäre es angesichts der enormen Wichtigkeit
der Sache für die gesammte Bodeneultur wünschenswerth,
dass sich nicht allein Fachzoologen, sondern auch praktische
Landwirthe mit dieser Frage beschäftigen würden. Prof.
Vimovsky schliesst mit der Bemerkung, dass wahrschein-
lich auch Arten der Fadenwurm- (Nemodoten) Gattung
Dorylaimus, ebenso wie Heterodera, für die Rübenkultur
nachtheilig sein können. Dr. A. Collin.
Essbare Flechten. Der belgischen Akademie der
Wissenschaften wurden durch den Minister des Innern
Proben einer organischen Masse übergeben, die von dem
belgischen Consul in Aleppo eingesandt war und, wie es
in dem Begleitschreiben hiess, von den Kurden Mesopo-
tamiens mit dem Namen „Himmelsbrot‘‘ bezeichnet wurde.
In den ersten Tagen des Monats Mai 1890 tobte ein heftiger
Sturm in Vilayet Diarbekir, der stellenweise die Felder
verheerte, die Bäume entwurzelte und auf seinem Wege
die Verwüstung mit sich trug, ausser in der Gegend des
Schebel-el-Oofiot, in der Ebene, die ihn umgiebt, wo reich-
licher Hagel fiel, der nach dem Schmelzen die fragliche
Masse in dieker Schicht zurückliess. Es wurde festgestellt,
dass dieser Stoff weder in dem Vilayet selbst, noch in dessen
Nachbarschaft vorkommt und dass ein Wirbelsturm ihn aus
einer entfernten Gegend herbeigeführt haben muss. Mit
*inem Drittel seines Gewichts Mehl angeknetet, wurde er
essbar befunden und von den Einwohnern der Provinz in
Ausgedehntem Maasse als Nahrungsmittel benutzt.
Der Brüsseler Botaniker, Professor ErrERA, hat dieses
„Himmelsbrot“ näher untersucht, mit dem von den Kundigen
erwarteten Ergebniss, dass es sich um eine den Flechten
zugehörige Pflanze, die Lecanora esculenta Eversm. (‚Sphae-
rofhallia esculenta Nees ab Es.) handelt. Sie wurde zuerst
von dem berihmten Naturforscher Pallas in den düren
278 Kleinere Mittheilungen,
Gips- und Kalksteinbergen der tatarischen Wüste gefunden.
Lepesour und Eversm. trafen sie in den Kirgisensteppen,
wo sie in Menge am Fusse der Gipshügel, welche die
Salzseeen umgeben, vorkommt. Auch in Persien ist die
Flechte, nach Angabe des Reisenden Parrot, bekannt, und
man glaubt dort, dass sie vom Himmel falle. Alles in
Allem ist sie gemein in Mittelasien, kommt aber auch in
Palästina sowie in Algier vor.
Ursprünglich sind diese Flechten an dem Gestein, das
sie krustenartig überziehen, festgewachsen; später werden
die Krusten rissig und heben sich von ihrer Unterlage ab.
Dabei rollen sich ihre Ränder derartig zurück, dass die ab-
gelöste Flechte einen knollenförmigen, erbsen- bis hasel-
nussgrossen Körper mit einem Hohlraum in der Mitte
bildet. In diesem Zustande werden die Flechten leicht
durch den Wind fortgeführt, da sie ausgetrocknet ein sehr
geringes Gewicht haben; in manchen Gegenden aber, wo
zu Zeiten starke Regengüsse niedergehen, werden sie durch
das Wasser fortgespült und in den Thalmulden angehäuft,
manchmal in so grosser Menge, dass sie 15—20 Centimeter
dieke Schichten bilden.
Die Farbe der trockenen Flechten ist hellbraun, ZU-
weilen etwas graulich; an Bruchstellen erscheint das innere
Gewebe weiss wie Kreide. Sie können zwischen den Zähnen
zerrieben werden, haben aber keinen Geschmack. Ihr
Nährwerth ist sehr gering; einen Hauptbestandtheil ‚der
Flechten bildet kleesaurer Kalk, den sie in ganz gewaltiger
Menge (60 v. H.) enthalten. Nichtsdestoweniger ist der.
„Mannaregen“ den Kirgisen, Tataren, Kurden u. s. w. VOF
züglich in Hungerjahren hochwillkommen. i
Es kann kaum bezweifelt werden, dass die Manna, die
nach Mose II, 16 den hungernden Juden in der Wüste als
Speise diente, nichts Anderes als unsere Lecanoraflechte
war. Man versteht unter ‚„‚Manna“ bekanntlich auch 4
zuckerhaltigen Ausschwitzungen verschiedener Bäume.
Manna der Apotheken stammt von der in Südeuropa :
heimischen Mannaesche (Fraxinus Ornus L.); ein Eucalyp :
tus liefert die australische Manna, und die Sinai-Mamt
fliesst auf den Stich einer Schildlaus aus den Zweigen der
ein-
Kleinere Mittheilungen. 279
arabischen Tamariske (Tamarix mannifera Ehbg.). Diese
Tamariske bildet namentlich am Sinai ganze Wälder, und
ihr honigähnlicher Saft, den die Araber noch jetzt Man
nennen und als Leckerbissen schätzen, wird von den Mönchen
des Berges in kleinen Blechbüchsen den Sinaipilgern für
theures Geld als die Manna der Bibel verkauft. Doch be-
steht wie bereits erwähnt, kaum ein Zweifel, dass nicht
dieser, sondern vielmehr die Lecanoraflechte das Wüsten-
brot gewesen ist, das die Juden vom Hungertode errettete.
Freilich lässt sich Einzelnes in dem Mosaischen Bericht
auch auf die Tamariskenmanna beziehen, so dass einige
Forscher, denen sich auch Errrra anschliesst, der Ansicht
sind, in den Schilderungen Mos. II, 16 und IV, 11 seien die
beiden Stoffe durcheinander geworfen worden.
Die Mannaflechte ist nicht die einzige essbare Art
ünter ihren Verwandten, die sonst freilich als Nahrungs-
mittel nur geringe Bedeutung für den Menschen haben. Die
als Heilmittel unter dem Namen „isländisches Moos“
bekannte Cetraria islandica, eine vorzüglich in der kalten
Zone, aber auch auf den deutschen Gebirgen vorkommende
blattartige Erdflechte, bildet in Island ein werthvolles
Nahrungsmittel, dank ihrem ausserordentlich reichen Gehalt
an Flechtenstärke, einer der gewöhnlichen Stärke gleich
zusammengesetzten Gummiart, die in der Mannaflechte nur in
geringer Menge (5. v. H.) enthalten ist. Sie wird theils zu
Brot verbacken, theils in Form von Milchgrütze genossen.
Bei uns findet diese Flechte wegen ihrer glinstigen Wirkung
auf die Schleimabsonderung als Gallerte oder (zur Verbesser-
ung des Geschmacks) in Verbindung mit Chokolade (Moos-
chokolade) oder auch als wesentlicher Bestandtheil von
Brusthee gegen verschiedene Lungenübel Verwendung. Sie
ist übrigens die einzige Flechte, die jetzt noch offizinell ist.
Das sogenannte „irländische Moos“ oder Carragheenmoos,
das in der Heilkunde zu ähnlichen Zwecken verwendet
wird wie das „isländische Moos“, ist weder ein Moos noch
eine Flechte, sondern eine Meeresalge.
Eine dritte essbare Flechte ist erst im vorigen Jahre
bekannt geworden. Ihr wissenschaftlicher Name ist Endo- -
2arpon miniatum Schaer., und sie wächst in Nordamerika,
280 Kleinere Mittheilungen.
Kuba, Japan u. s. w. auf Kalkböden. Nach Angabe eines
gelehrten Japaners, Herrn MınarakA, wird diese Flechte in
den Bergen Japans zum Zwecke des Genusses in grossen
Mengen gesammelt und als Luxusspeise nach China aus-
geführt. Sie ist in Japan unter dem Namen „Iwataka“
bekannt, was „Steinpilz‘“ bedeutet. Richtig zubereitet soll
sie wie Kaldaunen schmecken.
In Zeiten der Hungersnoth hat man auch noch andere
Fleehten zur Ernährung benutzt. De CAanpoLLe berichtet,
dass in der Umgebung von Genf während der Hungerjahre
1816 und 1817 „Flechtenbrot‘“ gegessen worden sei, doch
giebt er nicht an, welcher Flechtenart man sich zur Her-
stellung dieses Brotes bediente. Die Rennthierflechte (Cla-
donia rangiferina), die ja in den skandinavischen Ländern
als Viehfutter und als Rohstoff zur Spiritusbereitung eine
grosse Bedeutung besitzt, wird dort neben der Cetraria is:
landica zuweilen zwischen das Brot verbacken.
Die Bakterien als Pflanzenfeinde. Es giebt unter
den Blüthenpflanzen kaum eine Gattung, die nicht von
krankheiterzeugenden Schmarotzern befallen würde,
und bei mancher Art ist es geradezu eine Seltenheit, dass
man sie gesund antrifft. Während aber die auf der Ent-
wieklung von niederen Organismen beruhenden Krankheiten
des Menschen und der Thiere, so weit nicht thierische
Schmarotzer, wie Eingeweidewürmer, Insektenlarven u. 8. W.
ihre Ursache sind, meistens durch Bakterien (Spaltpilze)
hervorgerufen werden, beruhen die Pflanzenkrankheiten,
so weit sie bis jetzt bekannt sind, in ihrer Mehrzahl auf
der Entwieklung echter Pilze, die mittels fadenförmiger,
gewöhnlich verzweigter Schläuche (Mycelien) die befallenen
Körpertheile der Pflanze durchwuchern. Soleher Art sind
die bekannten und gefürchteten Krankheiten des Getreides
(Rost, Brand), des Weinstocks (echter und falscher Mehl
tbau), der Kartoffeln, der Obstbäume (Rost, Rothfäule,
Taschen der Pflaumen u.s. w.) und vieler anderen Pflanzen
Allein auf dem Weinstock leben etwa ein halbes Hundert
verschiedener Arten von diesen Schmarotzero. Derart&®
Pilze rufen allerdings auch gewisse Krankheiten im Menschen z u
Kleinere Mittheilungen. 281
und Thierkörper hervor, z. B. den Mundsehwamm (Soor) der
Kinder und manche der sogenannten Hautflechten (Grind,
Ringflechte), einige spielen sogar dadurch im Natur-Haus-
halte eine wesentliche Rolle, indem sie unter Insekten
(Raupen, Stubenfliegen) verheerende Seuchen hervorrufen;
im Allgemeinen aber treten sie doch an Bedeutung für die
Pathologie des Menschen und der Thiere hinter den Bak-
terien zurück. Andererseits ist die Zahl der Bakterien,
die Pflanzenkrankheiten erzeugen, nicht so gering,-
wie man vor Kurzem annahm. Seitdem der holländische
Botaniker, J. H. Wacker vor sechs Jahren nachwies, dass
der gelbe Rotz der Hyazinthen, eine sehr verderbliche
Krankheit, bei der eine Auflösung der Gewebe unter Bil-
dung eines gelben Schleims auftritt, durch eigenthümliche
Baeillen hervorgerufen wird, sind eine ganze Reihe von
Bakterienkrankheiten an Pflanzen festgestellt worden. So
hat der Amerikaner Burırı einen Bacillus als den Urheber
des in den Vereinigten Staaten namentlich an der Zucker-
hirse (‚Sorghum saccharatum) grosse Verheerungen anrichten-
den „Hirsekornbrandes“ erkannt. Auch die gefürchtete
Sereh-Krankheit, die auf Java ganze Zuckerrohrpflanzungen
vernichtet, wird vermuthlich durch Bakterien hervorgerufen.
Das Gleiche gilt für die Nassfäule der Kartoffeln, für die
Stengelfäule der Pelargonien, für die von den Italienern
„Rogna“ (Krätze) genannte Krankheit des Oelbaums, die
sich durch Auswüchse am Stamm und an den Avsten kund-
giebt. Auch eine Bakteriosis des Weinstocks ist bekannt,
und kürzlich hat Dr. Lixoav in Berlin als den Urheber
einer Krebskrankheit, die den Stamm und die Blätter des
Epheus befällt und rasch zerstört, ein Bakterium nachweisen
können. Eine ganze Reihe von Bakterienkrankheiten sind vor
wenigen Wochen von dem Pariser Professor PrızLıevx, einem
ausgezeichneten Pilzforscher, und seinem Mitarbeiter DELA-
CRorX namhaft gemacht worden. Diese Krankheiten befallen
Begonien, Gloxinien, die Blätter des Alpenveilchens und
des Tabaks, Weintrauben, Tomaten, gewisse Aepfelsorten
(Kalvillen, Reinetten) und treten sehr verheerend auf. Be-
sonders bemerkenswerth ist, dass der Bacillus, der die
Gloxinien-Krankheit hervorruft, bei der Kultur in Fleisch-
282 Kleinere Mittheilungen.
brühe oder Gelatine diesen eine ähnliche Färbung ertheilt,
wie der Baecillus pyocyaneus, der das öfter in Kranken-
häusern zu beobachtende Grün- oder Blauwerden des Eiters
hervorruft. Man war bereits vorher in Deutschland auf
das Auftreten dieses Bacillus bei der Kartoffel und Pelar-
gonium aufmerksam geworden. Dass gewisse Bakterien,
die bei Mensehen und Thieren Krankheiten hervorrufen,
auch auf Pflanzen übertragen werden können, hatte schon
1890 ein russischer Forscher, Lomissky, nachgewiesen. Er
zeigte beispielsweise, dass Milzbrand- und Typhus-Bazillen
in verletzte Pflanzentheile eindringen und sich dort ver-
mehren und Kolonien bilden können, die ihre Ansteekungs-
fähigkeit bewahren; auch lehrten Lommns£ys Versuche,
dass beim Wachsthum von Weizen auf einem mit Krank-
heitserregern beschiekten Boden die Bakterien in grosser
Menge in die Gewebe der Weizenwurzeln einzudringen
vermögen.
Fügen wir den obigen Mittheilungen noch hinzu, dass
in jüngster Zeit der durch seine Arbeiten über Pflanzen-
krankheiten bekannte Prof. Soraver (jetzt in Berlin) eine
von ihm zuerst an slavonischen, dann auch an deutschen
Zuekerrüben beobachtete Krankheit, die sich durch Schwär-
zung und Verflüssigung gewisser Zonen des Rübenfleisches
kundgiebt und möglicherweise noch ernstere Bedeutung für
unsern Rübenbau gewinnt, auf die Entwicklung von Bakterien
zurückführt, so glauben wir genug Beweise beigebracht zu
haben, um zu zeigen, dass hinsichtlich der Immunität
gegen diese winzigen Zerstörer des höheren organischer
Lebens die Pflanzen vor den Angehörigen des Thierreichs
nichts voraus haben.
Einfluss der Nahrung auf Färbung. Anfang April
erhielt ich von Herrn Inspektor Fecuxer in Mellendorf eine
ganze Collection grosser Moderlieschen (Leucaspius delineats
v. Sieb), sämmtlich mit schwarz tingirten Flossen- Diese
Fische wurden in eine Lettengrube gesetzt, deren andere
Bewohner: Cyprinus carpio, carassius L., Gobio Auviatilis CUF- ;
Leueiseus rutilus, Alb. Iueidus Heck. alle entschieden NeigunE
zum Melanismus bekunden. Wenige Wochen später 7
Kleinere Mittheilungen. 283
es mir nun auf, dass die Rapfenlauben ad unum omnes
mit hochroth tingierten P. pect., ventr, und caud. in ihrem Ele-
mente sich tummelten. Es ‚waren, wie die histologische
Prüfung dieser Erscheinung lehrte, alle die schwarzen Chro-
motophoren entweder schon völlig in rothe umgestaltet,
welehe sich dann wundervoll verästelt zeigten, oder aber
noch in der Verwandlung zu carmoisinfarbigen begriffen,
dergestalt, dass im expandirten Zustande der Zelle in den
Ramifieationen rothe, im Centrum dagegen schwarze
Pigmentkörnehen vorherrschten. Im eontrahirten !) Zustande
erschien die Pigmentmasse als eine rothbraun gesäumte
schwarze Kugel.
Gleichzeitig, Ende April, zeigte sich in der nämlichen
Pfütze nun aber auch der hier sehr gemeine Copepode
Cyelops bisetotus Rhbg. ausschliesslich in rothen Exemplaren
und es zeigte sich bei der Untersuchung des Magens von
vielen Moderrapfen, dass jener Kruster die fast ein-
zige Nahrung von unseren Weissfischen gebildet
hatte.
Die Grube empfängt all ihr Wasser aus einem ihr an-
liegenden Teiche. Dasselbe erleidet nach Untersuchungen
meiner Freunde, Chemiker Scuuca-Heidersdorf und Apo-
theker Frırscur-Reichenbach in ihr keinerlei Veränderung.
Es zeigt sich indessen, dass in jenem Teiche keine Spur
von beginnendem Albinismus weder bei Leucaspius noch
bei Oyelops auftrat.
Es wurden nun aus möglichst verschiedenen Gewässern
der näheren Umgegend: Peile, Lohe, Weistritz, Oder u.s. w.
Moderrapfen mit melanotischen Flossen herbeigeschafft, in
Blechgefässe oder Glas- Thonkrausen, deren jedes Wasser
von anderer chemischer Beschaffenheit, von stark eisen-
m
!) „Man schneidet die Flossen ab, breitet sie auf einem Deck-
glase aus und bringt sie in einer feuchten Kammer auf zwei Stanniol-
plättehen, die mit der secundären Spirale eines Inductionsapparates
'n Verbindung steben, und leitet nun den Strom hindurch.“ A. Lode,
„Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Farbenwechsels der
Fische“, Sitzber.k, k. Akad.d. Wiss., Wien, März 90, Sep.-Ab. 8.4). Nach
See. schon bemerkt man ein allmähliges Schrumpfen der Rami-
fieationen.
284 Kleinere Mittheilungen.
bis hochgradig salpeterhaltigem, fasste, gesetzt und aus-
schliesslich mit den rothen Cyel. 'bisetosus Rhbg. gefüttert,
worauf die Flossen aller Thiere sehr schnell beginnenden
Albinismus zeigten.
Es ist diese Beohachtung ein Pendant zu den bereits
vor längerer Zeit publieirten Mittheilungen anderer Forscher,
dass sich das Federkleid gewisser Vögel (Canarien,
Tauben ete.) nach einer bestimmten Nahrung umfärbte.
Auch an Schmetterlingen hat man Aehnliches wahrge-
nommen.
Schlaupitz, Kr. Reichenbach, Schl., 15. Juni 94.
Karl Knauthe.
Ueber Alca impennis. Gegenwärtig ist in den Zei-
tungen viel von einem merkwürdigen Vogel die Rede und
es wird von fabelhaften Preisen berichtet, die für geine
Eier bezahlt werden. Der Namen dieses Vogels ist Alca
impennis. Für den nicht zoologisch Gebildeten könnte das
Thier sonst wie heissen, eine Vorstellung von demselben
könnte er sich doch nieht machen. Steht ihm ein latei-
nisches Wörterbuch zur Verfügung und sucht er nach der
Bedeutung der Worte, so wird er auch nicht klüger, denn
unserm nachplinianischen, naturwissenschaftlichem Küchen-
latein wird von philologischer Seite noch keine Rechnung
getragen. Da auch nicht jeder die zoologischen Hilfsmittel,
etwa Brehm’s Thierleben, sich zu unterrichten, besitzt, 80 _
ist es vielleicht nicht unangebracht, eine kleine Skizze von
dem vielgenannten Vogel zu geben, und um 80 weniger,
als er in diesem Jahre eine Art Jubiläum feiert. a
Alca impennis Linn, der Brillenalk oder der Geirfugl
der atfnder gchört zu der Schwimmvogelfamilie der Alke,
die aus 7 Gattungen und etwa 28 Arten bestehend, an den
nördlichen Küsten des Atlantischen und stillen Oceans ver-
breitet ist. An jenen gehen sie an der Ostseite bis
england, an der Westseite bis in die Gegend von New-York,
an diesen auf der amerikanischen Seite bis Unterealifornie?,
Sud- i
auf der asiatischen bis zu dem mittleren Inseln des jap® S &
nischen Archipels. Keine Art tiberschreitet nach ST
den Wendekreis des Krebses, und die Zahl der Arten U
|
Kleinere Mittheilungen. 285
Individuen vermehrt sich polwärts. In Deutschland kommen
zwei Arten vor, aber auch erst seit 1890. Sie bewohnen
nämlich ausschliesslich die Felsen von Helgoland, und in
Betracht der Bereicherung unserer vaterländischen Vogelwelt,
haben wir also durch den Tausch mit den Engländern ein
ganz glänzendes Geschäft gemacht.
Der Brillenalk ist der grösste Vertreter seiner Sippe,
er ist nämlich 90 em lang, hat aber Flügel, die blos 20 em
lang und ganz verkümmert sind, namentlich keine Schwung-
federn haben, woher ihm Linne den Beinamen „impennis“,
ohne Schwingen, gegeben hat. Dass der Vogel nicht zu
fliegen vermag, ist klar und das wurde, wie wir gleich
sehen werden, sein Verderben. Seine Farbe ist elegant,
salonfähig, der Rücken und der Kopf, mit Ausnahme eines
grossen, weissen, runden Fleckes über jedem Auge, der
ihm den Namen Brillenalk eingetragen hat, glänzend schwarz,
die Unterseite ist reinweiss, die Kehle bräunlich. Der
Schnabel ist kräftig, schmal, oben gebogen, und an seiner
Spitze befinden sich einige, der Zahl nach individuellen
Schwankungen unterliegende Furchen. Das kurze, spitze
Schwänzchen besteht aus 12 wenig entwickelten Federn.
An den schwarzen Füssen sind die drei grossen, nach vorn
gerichteten Zehen durch eine Schwimmhaut verbunden,
eine kleine vierte, verkümmerte, gelegentlich auch fehlende
befindet sich hinten, höher nach oben am Fusse. Männ-
Chen und Weibehen unterscheiden sich äusserlich nicht.
Die Eier sind sehr gross, 1,15 bis 1,20 em lang und 0,8 cm
an der breitesten Stelle breit, ihre Gestalt ist stark birn-
fürmig, mehr noch als die des Kiebitzeies. Die Farbe der
Eier schwankt sehr, der Grund ist weisslich, gelblich, röth-
lich oder grünlich und mit grossen Flecken, Flatschen und
Strichen von dunkler, meist schwarzbrauner Farbe-bedeckt.
Es wird bei allen Alken jährlich nur ein Ei gelegt, und
die Jungen sind Nesthocker.
Der Brillenalk bewohnte in Amerika in grosser Zahl
den St. Lorenzgolf, New-Foundland und besonders die
Funkinsel und kam bis Grönland vor. Ebenso häufig war
er auf .den Scheeren und Felseninselchen an der Süd- und
, Nldwestseite von Island, ferner auf den Faröder und St. Kilda,
286 Kleinere Mittheilungen,
vielleichtauch auf Spitzbergen und an der norwegischen Küste.
In vorhistorischer Zeit ging er weiter südlich, auf der ameri-
kanischen Seite des Atlantischen Oceans Kis nach Maine
und Massachusetts und auf der europäischen bis auf die
dänischen Inseln. Das weiss man deshalb genau, weil man
Knochen von ihm in Küchenabfällen der alten Ureinwohner
jener Länder gefunden hat.
Man darf mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass der
Vogel egenwärtig ausgestorben ist, obwohl es nicht ab-
solut ausgeschlossen sein dürtte, dass auf irgend einem un-
bekannten Felseninselehen der nordischen Meere ein oder
das andere Pärchen vorkommt. Natürlich war der Mensch,
der liebenswürdige Herr der Schöpfung und namentlich in
Gestalt der besonders liebenswürdigen Walfänger und
Robbenschläger die Ursache, dass der Brillenalk aus dem
Buche des Lebens gestrichen wurde. Bei Tausenden wurden
die hilflosen, flugunfähigen Vögel hingemordet, theils um
als Proviant zu dienen, theils aber auch aus blosser Mord-
lust. Es wird berichtet, dass die Robbenschläger auf der
waldlosen Funkinsel mit den Cadavern der fetten Vögel
die Thrankessel geheizt hätten. Manche flugunfähige Vögel,
besonders Bewohner von Inseln, hat der Mensch ausgerottet:
auf Neuseeland allein 14 Arten von Straussen, von denen
manche bis 20 Fuss hoch wurden, drei andere Straussarten
auf Madagascar, ferner drei grosse flugunfäbige Tauben
arten, je eine auf den Inseln Mauritius, Bourbon und Ro-
driguez, darunter die bekannte Dronte oder den Dodo. Die
letzen Exemplare des Brillenalkes fielen übrigens nicht
hungrigen Matrosen zum Opfer, sondern da sie schon 88
sucht und selten geworden waren, speculativen Naturalien-
händlern und zwar die letzten beiden 1844, also vor 0
Jahren, auf der Insel Eldey bei Island. 2
Man kann sich denken, dass die Naturforscher, be
sonders die Direetoren zoologischer Museen, mächtig .. | :
den Ueberbleibseln dieser Vögel her und nieht wenig st
auf den Besitz derselben sind. Professor Wırazın Bi
sıus hat die Geschichte -_ een dieser er ; z
zusammengestellt. Dan von Alca impenms
8 Ä
Stück ausgestopfte Bälge, 9 Skelette und 68 Eier, oder, wenn
Kleinere Mittheilungen. 287
die neueste Notiz von zwei weiteren, in England aufge-
fundenen sich bewahrheiten sollte, 70. In Deutschland hat
man 20 gestopfte Bälge, 1 Skelett und 4 Eier. Das zoologische
Muscum der Uniyersität Leipzig besitzt ein sehr schönes aus-
gestopftes Exemplar, das königliche Museum zu Dresden zählt
gleichfalls einen ausgestopften Brillenalk, aber ausserdem
ein Skelett und ein Ei desselben unter seinen Schätzen.
Ein Ei der Alca impennis hat folgende Geschichte: im
Jahre 1884 besass es der Graf Rorverv in Breslau, von
dessen Sammlung ich aber nicht weiss, wohin sie nach
dem Tode ihres Besitzers gekommen ist. Der Graf kaufte
es 1869 oder 1870 von dem verstorbenen Leipziger Barbier
Hvenner, wie es heisst für 200 Thaler. Hurnser acquirirte
es in der Mitte der 30er Jahre um 7 Thaler von dem Na-
turalienhändler Fr. Schurz, der es selbst wieder mit der
Sammlung eines reichen, verstorbenen Hamburger Senators
erstanden hatte. Jetzt würde das Ei, das besonders gut
gehalten und von grünlicher Grundfarbe mit grüngrauer
Zeichnung war, mindestens, wenigstens von Engländern,
‚die reich und verrückt genug dazu sind, mit 5000 Mk. be-
zahlt werden!
Leipzig. W. Marshall.
Die Einführung des Seidenbaus in Deutschland.
Die gegen Ende des vorigen und zu Anfang desgegenwärtigen
Jahrhunderts in verschiedenen Staaten Deutschlands ange-
stellten Versuche mit Seidenraupenzucht blieben deshalb
ergebnisslos, weil die jungen Triebe der Maulbeerbäume in
kalten Frühjahrsnächten zu Grunde gingen und mit ihnen
natürlich auch die Raupen. Wie bekannt hat Herr Prof.
Harz in München einen einheimischen Ersatz für die Maul-
beere festgestellt, die Schwarzwurzel (Scorzonera hisp.), a!so
eine altbekannte und überall angebaute Küchenpflanze. In
dem württembergischen Gewerbeblatt berichtete SCHRADER-
FeverRBAcH über die Aufzucht von Seidenraupen mit diesem
Gewächse, und seinen bemerkenswerthen durchaus günstig
lautenden Mittheilungen entnehmen wir, dass er von 'f
Tamm (etwa 750 Stück) Eiern, die er von Professor Harz
bezogen hatte, 432 Sttick Kokons erhielt (= 72 v. H.). Die : \
288 Kleinere Mittheilungen,
Fütterung geschah ausschliesslich mit Schwarzwurzelblättern,
und der Beweis, dass die Raupe sich an diese neue Nah-
rung gewöhnt hat, liegt darin, dass, während bei den ersten
Versuchen von 100 Stück Raupen nur ein Stück zur Co-
eonbildung gebracht wurde, jetzt infolge von rationeller
Züchtung, wie schon erwähnt, 72 v. H. durchkommen. Da-
bei stellte sich die merkwürdige Thatsache heraus, dass
das Raupenleben (bis zum Einspinnen) bei Schwarzwurzel-
fütterung, statt blos auf 30 Tage, wie bei Maulbeerblatt-
futter, sich auf 80 und sogar 90 Tage ausdehnte. —
Dass der Anbau der Scorzonera höchst einfach ist, dürfte
überall bekannt sein. Doch möge hierzu in Kürze Fol-
gendes angeführt sein. Im Mai wird der Samen (in jeder
Samenhandlung erhältlich) in Gartenboden gesäet, damn
auf Beete in Reihen, die etwa 50 Centimeter von einander
entfernt sind. In kurzer Zeit stehen die Pflanzen da, und
von Ende August ab, oder schon früher, lassen sich die
Blätter, also die Nahrung der Seidenraupe, ernten. Doch
ist es besser, die mit Laub überdeckte Pflanze überwintern
zu lassen; dann kann im Frühjahr eine Menge Blätter ge
schnitten werden. Die Schwarzwurzel erträgt unser Klima
vortrefflich und kann überall in Deutschland gezogen werden.
Die grosse Wichtigkeit dieses neuentdecekten Seidenraupen-
futters für den deutschen Landbau und die deutsche In-
dustrie leuchtet ohne Weiteres ein.
Kleine Wohlthäter der Menschheit sind bekanntlieh
die Marienkäferchen (Ooceinella), jene kleinen runden, hoch-
gewölbten Käferchen, von denen das bekannteste und volks-
thümlichste das siebenpunktige (Coceinella septempunctata L.)
ist. Ein jeder freut sich, wenn eins dieser schwarze®, auf
den siegellackrothen Flügeldecken mit 7 schwarzen Punkten
geziertes Bürschlein zwischen den Pflanzen seines grössere!
oder kleineren Wintergartens überwintert und hüitet sich, :
es zu töten, auch wenn er nicht weiss, wie guten Grund .
er dazu hat, so zu handeln. Beim Volk gilt das Thierchen ss
wegen des gelben, scharfriechenden und ätzenden Saftes, ee
den es bei Berührung aus den Gelenken seiner Beme
treten lässt, für ein Mittel gegen Zahnschmerzen;
Kleinere Mittheilungen. 289
liegt aber nicht seine Bedeutung für uns Menschen, sondern
in dem, was er und seine Larven als Nahrung vertilgt.
Die Larven sind eigenthümliche Wesen, mohnfarbig mit
gelber Unterseite und orangenen Flecken. Sie haben eine
Anzahl behaarter Höckerchen auf der Oberseite des Körpers,
6 wohlentwickelte Beine und sind muntere Geschöpfe, die
sich in an Blättern befestigte, orangegelben Puppen mit
schwarzen Flecken verwandeln, die öfters für die des Co-
loradokäfers gehalten worden sind. Es ist eine auch bei
Laien altbekannte Sache, dass dieser Käfer und seine Larve
mörderisch unter den schädlichen und widerlichen Blatt-
läusen hausen, dass sie wahre Blattlauslöwen sind. J. Prr-
RAuD, ein Beamter der Weinbaustation in Villefranche, hat
noch eine andere, höchst nützliche Seite dieses Thierehens
kennen gelehrt. Als er auf der Suche nach sogenannten
Heuwürmern, den für den Weinstock überaus schädlichen
Raupen des Traubenwicklers (Tortriz oder Oochylis ambi-
guella), war, sah er an den glühenden Gescheinen vielfach
die Larven des Marienkäferchens. Anfangs schenkte er
der Sache keine weitere Beachtung, aber bald wurde sie
ihm interessant genug, denn er beobachtete, wie diese
Larven eifrigst Heuwürmer frassen. Bei weiteren Nach-
forschungen fand er oft bis 20 soleher Geschöpfe auf einem
einzigen Weinstok mit diesen nützlichen‘ Mahlzeiten be-
schäftigt. Darum Schonung den Marienkäfern und ihren
Larven, und den Garten- und Weinbergbesitzern ist nur
zu empfehlen, besonders diese letzteren, die nicht weg-
fliegen können, wie die Käfer einzusammeln und auf ihre,
von Blattläusen befallenen Blumen und in ihre vom Heu-
wurm infieirten Weinberge zu thun.
Die Abstammung unserer Haushunde. Zur Ent-
scheidung der noch immer schwebenden Frage, von welehen
wilden Arten unsere Haushunde abstammen, liefert
A. Wolfgramm in den „Zoologischen Jahrbüchern“ einen
neuen Beitrag. Durch Vergleichung einer Anzahl von
Wolfsschädeln aus der Sammlung der Landwirthschaftlichen
Hochschule in Berlin hat er an den Schädeln von Wölfen,
® in der Gefangenschaft geboren waren, eine Reihe tief-
Zeitschrift £, Naturwiss., Bä, 67, 1894. 19
290 Kleinere Mittheilungen.
greifender Veränderungen feststellen können. Zunächst
zeigte sich, dass’durch die Gefangenschaft schon nach einer
Generation eine bedeutende Verkleinerung des Schädels
hervorgerufen wird. Während ferner der Schädel wilder
Wölfe lang, schmal und niedrig ist, war er bei den in
der Gefangenschaft geborenen Wölfen kurz, breit und hoch
geworden. Fast keiner der äusseren Schädelknochen zeigte
sich unverändert; ausserdem ergaben sich bedeutende Ver-
änderungen im Gebiss, namentlich an den Mahlzähnen und
an dem oberen Reisszahn, der erheblich verkleinert war.
Gewisse Abweichungen in der Stellung und in der Form
der Zähne hängen mit einer Verkürzung der Schnauze zu-
sammen, die ebenso wie der Gehirntheil eine Lagever-
änderung erfahren hat. Von den Veränderungen des Ge-
hirnschädels ist die Vergrösserung der fast kugelförmig
gewordenen Gehirnkapsel die auffallendste. Durch diese
Umwandlungen, auf deren Mannigfaltigkeit schon von Prof.
NEHRING hingewiesen worden war, hat der Schädel der in
Gefangenschaft geborenen Wölfe eine Gestalt angenommen,
durch die sie einzelnen Rassen unserer Haushunde sehr nahe
gebracht werden. Wenn Darwın Gelegenheit gehabt hätte,
meint WoLrsramm, diese Wolfsschädel zu studiren, 80
würde es ihm weniger wunderbar erschienen sein, schon
auf den alten assyrischen Denkmälern verschiedene Hunde-
rassen vertreten zu sehen. — Die Schädel zeigen grosse
Aehnlichkeit mit denen des Hundes der Steinzeit, des Torf-
hundes (Canis palustris). Nach Jerrreies, durch dessen
Untersuchungen (1877) die Frage der Abstammung der
Haushunde wesentlich geklärt ist, stammt der Torfhund
von dem kleinen Schakal (Canis aureus) ab, der von ‚den
Europäern der Steinzeit gezähmt wurde; die heutigen Spit2®,
Pintscher, Wachtel- und Dachshunde sind seine Nach“
kommen. Der in der Bronzezeit auftretende Hund (Can
matris,optimae) ist viel grösser als der Torfhund und stammt
nach JEITTeLEs von dem wilden indischen Bheria z
pallipes) ; dagegen gelangte Sruper nach Untersuchung v- Ss
lichen Materials aus der späteren Steinzeit zu der Ansle h,
dass die grossen Bronzezeit-Hunde nur ein Züchtungserzels_
niss aus der ursprünglichen kleinen Rasse der Steinzeit ur
Kleinere Mittheilungen, 291
stellen. Die Betheiligung des Woifes an der Entstehung
dergrossen Hunderassen erklärt JEITTELESs für ausgeschlossen.
WoLrerauMm erklärt aber, dass die Gründe dafür, nämlich
die bedeutendere Grösse des Wolfes und das abweichende
Verhalten seines Reisszahnes zu den beiden Höckerzähnen
nieht stichhaltig seien; denn die in Gefangenschaft ge-
borenen Wölfe, deren Schädel er untersucht hat, sind kleiner
und zeigen dieselbe Eigenschaft des Gebisses, die JEITTELES
als „echtes Hundegebiss‘“ bezeichnet. Dass der Bronzezeit-
Hund nur ein Züchtungsergebniss aus dem Torfhunde sei,
wie STUDER will, hält WoLroramm nieht für wahrscheinlich.
Haben wir ihn als ein Kreuzungserzeugniss anzusehen,
wofür die Hunde der späteren Steinzeit sprechen, so kann
nur der europäische Wolf dabei betheiligt gewesen sein,
da der indische Bheria bis heute noch nicht in Europa
nachgewiesen ist. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen
Worreramms kann die Annahme einer Mitwirkung des
Wolfes bei der Entstehung gewisser Hunderassen keinem
Bedenken unterliegen. Die Möglichkeit, dass der Bronze-
zeit-Hund nicht durch Kreuzung, sondern durch unmittel-
bare Zähmung des Wolfes entstanden ist, scheint weniger
Wahrscheinliehkeit für sich zu haben. Jedenfalls ist für
die Ableitung unserer Hunderassen von Schakal und Wolf
um so weniger Schwierigkeit vorhanden, als beide wilden
Arten, wie WoLrGramm hervorhebt, das Bellen erlernen, wie
Hunde mit dem Schwanze wedeln, ihn sowohl nach rechts
und links wie nach aufwärts gekrümmt tragen, den Befehlen
ihres Herrn gehorchen, ihn noch nach drei bis vier Jahren
wiedererkennen, ihre Freude nach Hundeart zu erkennen
geben, endlich sich fruchtbar paaren und Nachkommen
hervorbringen, die sich sowohl unter einander als auch
mit ihren Erzeugern fortpflanzen können. Als ersten Gegen-
stand der Zähmung wird der Mensch der Vorzeit jeden-
falls solche wilden Arten gewählt haben, die sich am
leichtesten einfangen und zühmen liessen. Das trifft beim
Schakal zu, und durch dessen Gesellschaft ist es dem
Menschen dann auch leichter geworden, den Wolf für seine
Zwecke brauchbar zu machen.
—
1
292 Kleinere Mittheilungen.
Mediein.
Die Blutserumtherapie zur Diphtheriebehandlung
des Menschen. Beurıne gelangt zu folgenden Schluss-
sätzen:
1. Die Blutserumtherapie ist die antitoxische Thera-
pie, mittelst welcher wir solche Infektionskrankheiten zu
bekämpfen suchen, von denen wir wissen, dass sie durch
mikroparasitäre Gifte erzeugt werden.
2. Zur Behandlung diphtheriekranker Menschen exi-
stiren gegenwärtig zwei Präparate, das erste enthält in
10 CC. eine einfache Heildosis, das zweite in 11.5 CC. die
2'/gfache Heildosis; ersteres ist ein ca. 60faches Normal-
serum nach Bzurıng-Euericn. Für Kinder unter 10 Jahren,
bei denen die Krankheit nieht über den dritten Krankheits-
tag hinaus ist, genügt fast durchwegs schon die einfache
Heildosis, um die Genesung herbeizuführen.
3. Zur prophylaktischen Behandlung des Menschen
genügen durchschnittlich 60 Normaleinheiten, um Kindern
und Erwachsenen Diphtherieschutz zu gewähren.
4. Besonders verdient hervorgehoben zu werden, dass
die spezifische Heilwirkung des Heilserums um 80 sicherer
eintritt, je frühzeitiger eine Diphtheriebehandlung beginnt.
Man kann schon jetzt das Urtheil abgeben, dass von IM
Fällen, die im Laufe der ersten 48 Stunden nach der Er-
krankung die einfache Heildosis eingespritzt erhalten, keine
fünf Fälle an Diphtherie sterben werden. Je später die
Diphtherie in Behandlung genommen wird, um 80 grössere
Heildosen sind erforderlich. 2
5. Das im Diphtherieheilserum enthaltene Antitox1n
ist eine wasserlösliche Substanz, die gegenüber den g6&
wöhnlichen atmosphärischen Einfliissen recht widerstands-
fähig ist, von der wir nur wissen, dass sie das Diphtherie
gift unschädlich macht.
6. Als Quelle der Entstehung dieses Antitoxins haben |
wir das reaktionsfähige Eiweiss des lebenden Organismus n
zu betrachten, und zwar entsteht aus diesem reaktionsfäign
Eiweiss unter der Einwirkung eines spezifischen
das zugehörige Antitoxin unter solchen Umständen, welche
Tosind
Kleinere Mittheilungen. 293
auf eine allgemeine Störung der Regulirungsvorrichtungen
im Gesammtorganismus hindeuten.
7. Wenn wir nach dem erfolgreichen Ueberstehen
einer spontan entstandenen oder willkürlich erzeugten
toxischen Infektion die Körpersäfte untersuchen, so finden
wir das Toxin nicht blos kompensirt durch das Antitoxin,
sondern wir finden einen Ueberschuss von Antitoxin, den
wir dazu verwenden können, um anderen Individuen die
Ueberwindung der gleichen Intoxikation zu erleichtern.
Hierauf beruht die Blutserumtherapie.
Mit Rücksicht darauf, dass die Antitoxine chemische
Körper sind, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass
sie später ein Mal synthetisch hergestellt werden.
Wir verweisen hierzu auch auf die Original-Abhand-
lungen dieses Heftes „Immunität und Immunisirung“ von
Dr. Kurt MürLer,
Was die Erfolge mit dem Blutserum anlangt, so lässt
sich noch kein abschliessendes Urtheil darüber fällen, je-
doch erklären sich auch skeptische Aerzte jetzt für die
Anwendung desselben. Als Folgeerscheinungen traten
mehrfach Gelenkschmerzen und Ausschläge an den Ge-
lenken auf, die bisher aber keinen beängstigenden Cha-
rakter angenommen haben,
Zur Akromegalie. Dr. Hurmann ScHLesinger stellte
in Wien zwei Fälle von typischer Akromegalie vor, bei
denen neben den Wachsthumsanomalien folgende Symptome
von Hypophysiserkrankungen vorhanden waren. Im ersten
Falle bestand Atrophia nervi optiei sinistri, rechtsseitige
eomplete Oculomotoriusläihmung und temporale Hemian-
opsie am linken Auge. Im zweiten Falle war ein Nystag-
mus rotatorius, Optieusatrophie und bitemporale Hemian-
Opsie vorhanden.
An der Hand der Arbeiten von Laxeen und nach
erneuertem Studium der von diesem Forscher unter-
suchten Riesenskelette wurde ebenfalls in Wien auf der
Naturforscherversammlung von Maximilian Sternberg der
Nachweis versucht, dass es zwei ganz verschiedene Arten
' von Riesen giebt: physiologische und pathologische. Die
294 Kleinere Mittheilungen.
ersten sind einfach Menschen von übermässiger Körper-
grösse, die anderen zum allergrössten Theile typische
Fälle von Akromegalie. Die anatomischen Befunde
bei physiologischen Riesen haben mit denen bei Akro-
megalie nichts zu thun, doch kommt beides ungewöhnlich
häufig an einem und demselben Individuum vor, so dass
von allen Akromegalischen 200%, riesig sind, von allen
beschriebenen Riesen 400), akromegalisch. Der causale
Zusammenhang besteht darin, dass der Riesenwuchs eine
Disposition zu allgemeinen Vegetationsstörungen und be-
sonders häufig zu Akromegalie setzt. Eine gleiche Di-
sposition für allgemeine Vegetationsstörungen liegt in der
lymphatischen Constitution. Als Theilerscheinung derselben
ist die bisher unerklärte Vergrösserung der Thymus auf-
zufassen, da die Seetionsberichte ausserdem vielfach Hyper-
plasie der anderen Iymphatischen Organe nachweisen. In
Bezug auf die Diagnose ist auf die Unterscheidung von
Crania progenea zu achten, was bisher nicht berücksichtigt
worden ist und manche zweifelhafte Fälle erklärt, ebenso
auf die jetzt ganz vergessene allgemeine Hyperostose. Zu
den typischen Frühsymptomen der Krankheit gehören die
erst in neuester Zeit berücksichtigten Paraesthesien und
Schmerzen der Extremitäten, gegen die Fütterung von
Sehilddrüsensaft oder Ergotin und Faradischer Pinsel in
Anwendung gebracht worden sind.
Naturf. Vers. zu Wien 1894
Neuer Augenspiegel und Photographie des Netz-
hautbildes. Das wesentliche an dem elektrischen Augen"
spiegel von Dr. Prerzs-München ist eine riogförmige Glüh-
lampe, durch deren mittlere Durchbohrung der Beobachter
ähnlich wie durch das Loch des perforirten Spiegels den
Augenhintergrund betrachten kann. Diese ringförmige
kalte Lichtquelle kann auch derart vor das anterBeen .
Auge gebracht werden, dass das entstehende Netzhautbil es
durch ein geeignetes Objeetiv ohne grosse Schwierigkeit =
auf einen Schirm aufgefangen und photographirt werden
kann. Naturf. Vers. zu Wien 189.
Kleinere Mittheilungen. 295
Aus verschiedenen Gebieten.
Ueber Lawinen, Die eigentliche Dynamik des Schnees
ist bisher noch wenig behandelt. Oberingenieur Vıncexz
Porzack (Wien) hat neuerdings am Arlberg die ersten Vor-
versuche über den Reibungscoeffieienten von Schnee auf
Rasen und auf Schnee durchgeführt. Diese ergaben Werthe
von 0,62—1,38, welch letzterer Werth einem Winkel von
57° entsprechen würde. Was die Bewegungen des Schnees
angeht, so zeigen gewöhnliche und Telephotographien von
Lawinenanbrüchen, dass das Abbrechen von Schneeschildern
als Lawinenursache, das bisher in keinem einzigen
einwandfreien Fall constatirt werden konnte, nicht aufrecht
zu halten ist. Wo wirklich das Abbrechen von Schildern,
kleine Abrollungen von Schnee u. dgl. eine veranlassende
Rolle spielen sollen, müssen die allgemeinen Verhältnisse
bereits derartig geworden sein, dass nur mehr die letzte
zurückhaltende Faser reisst.
Naturf, Vers. zu Wien 1894.
Meteorologische Höhenstationen. Die Erforschung
unserer Atmosphäre zur Beantwortung vieler wichtiger mete-
orologischer Fragen von allgemeiner Bedeutung war die Veran-
lassung zur Errichtung einer Anzahl meteorologischer
Höhenstationenauf Berggipfeln, wie ja auch neuerdings zu
der planmässigen Ausführung von Luftfahrten mit dem für die-
sen Zweck besonders hergestellten Ballon „Phönix“ unter Lei-
tung des Vorsitzenden des „Deutschen Vereins zur Förderung
der Luftschifffahrt“ in Berlin, des Prof. Assmans. Die in
der Regel mit grossen Schwierigkeiten und bedeutendem
Kostenaufwande verknüpfte Errichtung meteorologiseher
Höhenstationen ist in den letzten Jahrzehnten sehr gefördert
worden. Wir glauben daher, dass eine Zusammenstellung
der gegenwärtig bestehenden meteorologischen Gipfel-
Stationen, für welche wir die Angaben der „Zeitschrift für
Luftschifffahrt und Physik der Atmosphäre“ entnehmen,
unsern Lesern von Interesse sein wird. Deutschland hat
9 Stationen auf folgenden Berggipfeln: Wendelstein, in
den bayr. Alpen, 1728 Meter hoch; Schneekoppe, Riesen-
gebirge, 1603 Meter; Hirschberg, bayr. Alpen, 1512 Meter;
296 Kleinere Mittheilungen.
Gebweiler Belehen, Wasgenwald, 1394 Meter; Glatzer
Sehneeberg 1215 Meter; Fichtelberg, sächs. Erzgebirge,
1213 Meter; Hohenzeissenberg, schwäb. Hochebene, 994
Meter; Inselsberg, Thüringerwald, 914 Meter; Schmücke,
Thüringerwald, 912 Meter. Zu diesen wird in nächster Zeit
noch der Brocken im Harz, 1141 Meter über dem Meere,
‘ hinzutreten. Oesterreich hat 4 Hochstationen: Sonn-
bliek, Salzburg, 3105 Meter; Obir 2140 Meter; Schmitten-
höhe 1935 Meter; Schafberg 1776 Meter. In der Schweiz
bestehen folgende Gipfelstationen: Montblanc 4810 Meter,
die höchste Station in Europa und die dritthöchste der
Welt; Säntis 2500 Meter; Pilatus Kulm 2070 Meter;
Rigi Kulm 1790 Meter; Gäbris 1253 Meter; Chaumant
1128 Meter. Frankreich hat nur 4 Stationen: Pie du
Midi 2859 Meter; Mont Ventoux 1900 Meter; Mont Ai-
gonal 1567 Meter; Puy de Döme 1467 Meter, Italien
hat 2 Stationen: Etna 2990 Meter; Monte Cimone 2168
Meter. In Portugal besteht eine Station auf Serra da
Estrella 1141 Meter und in Grossbritannien Ben Nevis
1343 Meter. Die auf dem Pike’s Peak im Felsengebirge,
Kolorado, Vereinigte Staaten’von Nordamerika, in Höhe von
4308 Meter im Jahre 1872 errichtete Station ging 1888 wieder
ein, ist aber im vorigen Jahre wieder ins Leben gerufen
worden. Die Verhältnisse sind dort ausserordentlich günstig,
denn die Station liegt noch unterhalb der Schneegrenze,
das Gipfelplateau ist im Sommer mit den schönsten Blumen
geschmückt und von Insekten und Schmetterlingen belebt.
Die höchsten Beobachtungsstationen der Welt besitzt Je
doch Peru. Die Station auf dem Chachani, neunzehn Kilo-
meter nördlich der Stadt Arequipa, wurde von Professor
Pickering, Direktor des Harvard College Observatory zu
Cambridge (Massachusetts) aus den Mitteln der Stiftung
eines nordamerikanischen Bürgers im vorigen Jahre in einer
Meereshöhe von 5075 Metern errichtet. Sie liegt ‚noch
unterhalb der Schneegrenze und ist keine eigentliche Gipfel
station, da die Spitze des Chachani die Höhe von
Meter erreicht und stets mit Schnee bedeckt ist. Die Sta :
tion, auf einem Plateau am Siidostabhange des Berges 8°
legen, ist zu Pferde zu erreichen. Ende September d. 4. _
Kleinere Mittheilungen. 297
ist sodann noch eine zweite Hochstation in Peru auf dem
Gipfel des Misti vom Prof. BaıLey errichtet worden. Man
vergleiche hierzu auch unsere Mittheilungen über Höhen-
sternwarten anf Seite 262.
Der Hagelsturm in Wien am 7. Juni 1894. Um die
siebente Morgenstunde des 7. Juni wüthete in Wien und der
allernächsten Umgebung ein Hagelsturm, der wohl zu den
verheerendsten gehört hat, die jemals Mitteleuropa heim-
gesucht haben. Nachdem schon am 5. Juni das Thermo-
meter 2 Uhr Nachmittags 25,5° gezeigt hatte, ging, trotz
starken Regens in der Nacht und am Morgen des 6. das
Quecksilber Mittags nieder auf 22,2° und behielt diese
Höhe die ganze Nacht und den folgenden Morgen. Um
6 Uhr Morgens war am 7. der ganze südliche und west-
liche Horizont mit schweren Wolken von unheimlich fahl-
gelber Beleuchtung verhängt und die völlige Windstille
liess die Schwüle der Temperatur — etwas tiber 20% —
überaus drückend empfinden. Die Wolken zogen aus süld-
westlicher Richtung immer dichter zusammen und etwas
nach 1/,7 Uhr war es so finster, dass man in den Zimmern
Licht anzünden musste, Genau ®/,7 Uhr kam ganz plötz-
lich die gewaltige Wolkenmasse in eine rasend schnelle
Bewegung, noch einige ganz kurze Windstösse und mit
enormer Heftigkeit fiel unter betäubendem Prasseln und
Knattern in dichtesten Massen der Hagel unter starken
elektrischen Entladungen nieder. Es war, berichtet ein
Augenzeuge, als ob ein ungeheures Reservoir mit einem
einzigen Handgriff, ohne Einleitung oder Uebergang, um-
gekippt worden wäre und sich mit seinem gesammten In-
halt auf einmal entleerte. Im Nu war ganz Wien in eine
Winterlandschaft verwandelt, alles war mit aufgehäuften
Hagelmassen bedeckt, so weit nur das Auge reichte. Die
Dächer erschienen wie mit Schnee bedeckt und als später
die Körner gegen die Dachrinnen abrutschten, wie von
Schnee besäumt. Die niedrig- und besonders die unter
dem Niveau des Strassenpflasters gelegenen Wohnungen
waren in wenigen Minuten meterhoch mit Eis und später
mit Wasser gefüllt, dass die Bewohner häufig nur mit Mühe
der Gefahr des Ertrinkens entkamen. Was dieses Hagel-
298 Kleinere Mittheilungen,
wetter, das in solcher Intensität von der K.K. Centralan-
stalt für Meteorologie und Erdmagnetismus in Wien auch
annähernd noch nicht beobachtet war, so auszeicbnete,
war nicht die Grösse der Schloossen, die die Grösse einer
Haselnuss im Allgemeinen nieht überschritt, während man
schon solche von 6—7 cm Durchmesser beobachtet hat,
sondern die ganz unglaubliche Diehtigkeit der Massen, die
dem Auge nicht erlaubte, ein paar Schritte vor sich die
Häuser und Bäume zu erkennen und die um so gefährlicher
war, als der heftige Sturm die Schlossen mit ungewöhn-
licher Kraft schleuderte und so ihre Wirkung vermehrte.
Nur so ist ja auch der grosse Schaden zu erklären, der
angerichtet worden ist. Auf der Meteorologischen Warte
wurde in 15 Minuten 16 mm, in der Stadt, Universitätplatz
26 mm, in der Josephstadt 45mm, in Währing (Türkenschanze)
27 mm gemessen. Die angegebenen ganz ungeheuren Ni er
schlagsmengen dürften aber noch viel zu niedrig sein, da die
Hagelkörner vielfach aus dem Regenwasser wieder heraus
sprangen. Noch Nachmittags um 5 Uhr, also 10 Stunden
später, konnte man an manchen Stellen, wo die Körner
zusammengeschaufelt waren, zwischen Eiswällen gehen,
über welche man kaum mit dem Kopfe hervorragte. In da
öffentlichen Anlagen und im botanischen Garten bedeckte
das herabgeschlagene Laub der Bäume nebst den abge
brochenen Aesten wie ein dicker grüner Teppich den Boden,
zahllose Vögel fielen dem mörderischen Unwetter zum Opfer,
und, im Prater musste man es auf manchen Wegen AUT
geben, vorwärts zu kommen, weil eine grosse Anzahl ge
stürzter Bäume die Passage versperrten.
In der Stadt wurden nach einer ungefähren Schätzung
mebr als 5/, Millionen Fensterscheiben eingeschlagen, ha
sehr vielen Gebäuden an der Wetterseite sämmtliche,
Ausnahme der Spiegelscheiben; schlimm erging e$ 2. > E: “
K.K. Hofburg, den meisten erzherzoglichen Palais, des BE
lienischen Botschaft, dem neuen Rathhaus, den er
ministerium (2000 Scheiben), der Polizeidirektion, Ei
Theresianum, dem Hauptzollamt (4700 Scheiben), dem be :
amts- und dem Landgerichtsgebäude, wo natürlich ü pr er
die Arbeit eine Zeit lang sistirt werden musste. Aut 7
dem Kriegs
Kleinere Mittheilungen. 299
Nordbahnhof ergoss sich durch die zertrümmerte Glasbe-
dachung der Halle die Fluth auf den Perron und die mit
dem Schnellzug ankommenden Passagiere mussten, bis an
die Knöchel im Wasser watend, dem Ausgang zueilen. Auch
die meisten Schulen mussten einen unfreiwilligen Ferientag
einschalten. Besonders stark wurde neben der Landesirren-
anstalt das Allgemeine Krankenhaus getroffen, wo mehr
als 10000 Fensterscheiben zertrümmert wurden. Die Pa-
tienten wurden durch das Wüthen des Orkans und durch
das Prasseln und Knattern der in sämmtliche Zimmer der
Wetterseite eindringenden Hagelmassen und Fenstersplitter
in panischen Schrecken versetzt. Im Nu waren die Kranken-
säle überschwemmt und in den meisten derselben lag der
Hagel fusshoch auf dem Boden, auch die meisten Pro-
fessoren der Kliniken mussten von Abhaltung ihrer Vor-
lesungen Abstand nehmen. In der Stadt an den Halte-
stellen der Fiaker, namentlich aber auf dem Sinneringer
Exerzirplatze gingen zahlreiche scheu gewordene Pferde
urch und verursachten nicht nur vielfachen materiellen
Schaden, sondern gaben auch Veranlassung zu vielfachen
leichteren und schwereren Verletzungen, ja sogar in drei
Fällen zu tödtlichen Unglücksfällen.
Fragt man nach der Ursache dieses ganz ausserge-
wöhnlichen Naturereignisses, so muss zunächst eonstatirt
werden, dass die meteorologischen Verhältnisse die Wahr-
scheinlichkeit eines starken Hagels mit ziemlicher Sicher-
heit voraussagen liessen.
Der Telegraph hatte vom Kanal und von Nordwest-
deutschland Sturm angemeldet; in Mitteleuropa, speciell
über Wien lagerte eine schmale Form niederen Luftdrucks
und abnorm hohe Temperatur, bis 6° über normal, dabei
zeigte das Psychrometer einen hohen Grad von Feuchtigkeit,
80 dass die sich stark ausdehnende Luft in diesem Bezirk in
zahllosen Säulchen in die Höhe ging und dort die mit starkem
Gefälle gegen E vorrückenden kälteren Luftmassen aus NW
f. Hierdurch entstanden ganz plötzlich ganz ausserge-
wöhnlich heftige Luftströmungen, welche den Hagelschlag
unmittelbar zur Folge hatten. Denn die unter normalen
Verhältnissen in einer Höhe von etwa 2600—3000 m tiber
300 Kleinere Mittheilungen.
Wien schwebenden unendlichen feinen Eisnadeln, die latente
Ursache des Hagels, wurden mit grosser Geschwindigkeit zur
Tiefe gerissen, an einander geschlagen und zusammen ge-
schweisst. In den unteren momentan sehr stark durehwärmten
Luftschichten, den gekröseförmig gewulsteten Haufenwolken,
fror mit grosser Geschwindigkeit Wasserdampf an die Eis-
nadeln an, die, stark beschwert, nunmehr schleunigst der
Anziehung der festen Erde folgten. Es ist klar, dass je
kälter die Eiskryställchen ursprünglich gewesen und je diehter
die durchfallenen Wasserwolken gebildet sind, destoschneller
die eigentlichen Hagelkt bilden können, dieinso kurzer
Zeit eine so gewaltige Niederschlagssumme verursachten.
Dass gerade Wien von dem Unwetter so heimgesueht
wurde, während doch z. B. in dem unmittelbar östlich
daranstossenden Marchfeld nicht eine Schlosse fiel, scheint
meiner Ansicht nach auf zwei Ursachen zurückgeführt
werden zu können. Einmal bildete sich hier vermöge der
die Umgebung weit überragenden Erhitzung der Luft dureh
das Strassenpflaster und die Häuserwände ein natürliches
Centrum des nur langsam fortschreitenden localen Gewitter-
wirbels, und dann war gerade in der Josephstadt, dem
Mittelpunkt eines grossen Theils der Wiener Industrie,
wo der Niederschlag 45 mm erreichte, die Atmosphöre
überreich mit Wasserdampf und Kohlenstaub verunreinigf.
Wenn nun schon allgemein zugegeben ist, dass die mit
Hagel verbundenen elektrischen Erscheinungen, mit deren
Stärke die Stärke des Hagels parallel zu gehen pflegt,
mit der Reibung des Wasserdampfes mit den Eisnadeln aufs
engste zusammenhängen, so kann man wohl annehmen, dass
die elektrischen Entleerungen noch erheblich ea
werden, wenn die mit Wasserdampf übersättigte Luft gi
durch Russ und Rauch und durch feste Kohlentheileben
verunreinigt ist. Beobachtungen der meteorologischen 2.
tralstation in Chemnitz, mit denen meine eigenen IN =
haldensleben angestellten übereinstimmen, scheinen den 58
zu bestätigen, dass die Industrie uns nicht nur das “zZ
verdirbt, was schon lange bekannt ist, sondern auch ni
Hagelstürme verheerender macht. Per = :
Vereinssitzung am 28. Juni 1894. Oberlehrer Dr. Halbe
Litteratur-Besprechungen.
ee
Bernhard Wiesengrund, Die Elektrieität, ihre Er-
zeugung, praktische Verwendung und Messung für Jeder-
mann verständlich, kurz dargestellt. Mit 41 Abbildungen.
Frankfurt a. M,, Verlag von Bechhold (ohne Jahr).
53 8. 80, Preis 1 M.
In einer Zeit, in der man überall elektrische Telegra-
phen, elektrische Lampen, elektrische Bahnen etc. antrifft,
ist es naturgemäss, dass viele Leute das Bedürfniss fühlen,
sich einige Kenntnisse über die Lehre von der Elektrieität
zu verschaffen. Dem entsprechend sind in den letzten
Ö Jahren eine ganze Anzahl populärer Schriften erschienen,
die das Wichtigste über diese Naturkraft in allgemein
verständlicher Form enthalten. Selbstverständlich sind sie
nicht alle von gleichem Werthe; das vorliegende Büchlein
kann man wohl zu den bessern seiner Art rechnen. Aller-
dings ist es ansich klar, dass man die heutige Elektrotechnik,
die ja unser ganzes Kulturleben in neue Bahnen zu lenken
im Begriff steht, nicht auf 53 Oktavseiten erschöpfend und
fir Jedermann verständlich behandeln kann. Man wird
sich also nicht wundern, wenn man auf mancherlei Lücken
und Unklarheiten stösst. Zwar, dass in der Einleitung die
»Reibungselektrieität“ mit 6 Zeilen abgemacht wird, dass von
er alten Elektrisirmaschine, der Leydener Flasche, dem
lektrophor, der Influenzmaschine und den übrigen Ap-
Paraten der physikalischen Kabinette gar keine Rede ist,
das wollen wir nieht tadeln, — aber auch die Grundlagen
der von Galyani und Volta entdeckten „Berührungselektriei-
ft“, der Begriff der elektrischen Kraft, des elektrischen
Stromes, der Spannung ete. sind etwas zu knapp gehalten,
302 Litteratur-Besprechungen,
so das jemand, der nicht bereits einige Kenntnisse vom
Galvanismus besitzt, wohl schwerlich volle Klarheit’ gewinnen
wird. Ebenso wird auch den meisten Lesern in den Kapiteln
über „elektrisches Maass und Maasseinheiten“ und über die
„Messinstrumente“ manches unklar bleiben — trotz der
kühnen Behauptung des dem Buche beigegebenen Prospektes:
„Das Messen der Elektrieität ist nach dem Durchlesen des
betr. Kapitels so verständlich, wie wenn es sich um das
Messen von Wasser handelt.“ — Auch die Verwendung der
Elektrieität in der Medicin wird sehr kurz (10 Zeilen) ab-
gehandelt und der Abschnitt über Telegraphie und Tele-
phonie ist gleichfalls zu kurz weggekommen, namentlich
zeigt die Beschreibung des Mikrophons eine bedenkliche
Lücke. Dagegen sind die Abschnitte über die Starkstrom-
technik (Dynamomaschinen, Elektromotoren, elektrische
Kraftübertragung, elektrische Beleuchtung und elektrische
Bahnen), offenbar mit Vorliebe behandelt, dabei ist die
Darstellung knapp und klar, die Figuren, besonders die
schematischen, sind charakteristisch und sauber gezeichnet.
Überhaupt ist das Schriftchen gut ausgestattet und kant
bei dem billigen Preise von 1 M. sehr wohl allen denen
empfohlen werden, welchen es an einem allgemeinen be-
lehrenden Überblick über das gewaltige Gebiet zu thun ist,
ohne dass sie sich in Einzelheiten vertiefen wollen.
Für eine zweite Auflage sei dem Verfasser zunächst
die Verbesserung des Druckfehlers auf $. 7 (der Wider-
stand ist gleich der Spannung, dividiert durch die Strom-
stärke, nicht umgekehrt) empfohlen; sodann besonders die
Vervollständigung der Theorie des Mikrophons und det
Figur 43 durch Einfügung der Induktionsspule.
Erfurt, im Juli 1894. G. Schubring.
a
@&. ©. Zimmer. Deber das Wesen der Naturgeselzt: 2
Giessen, J. Rickersche Buchhandlung. 1893. 101 3. 8.
Aus einer Hypothese über die Konstitution der uez
Moleküle und der Körper-Atome leitet der Verfasser an ;
Erscheinungen auf den verschiedenen Gebieten von Wär
Elektrieität, Licht und Magnetismus ab. Auch wenn Mat
Litteratur-Besprechungen. 303
dieser Hypothese nicht zustimmt, so muss man doch zu-
geben, dass es dem Verfasser gelungen ist, die verschieden-
artigen Erscheinungen in interessanter Weise zusammen
zufassen und auf gemeinsame Grundgesetze zurückzu-
führen. —
Nach Ansicht des Verfassers wird in einfachen Körpern
jedes Körper-Atom von einer aus Aether-Molekülen be-
stehenden Aether-Kugel eingeschlossen. Dieser Aether ist
die Ursache der Wärme; mit zunehmender Wärme erfahren
die Aether-Moleküle jeder Aether-Kugel eine Verdichtung;
dadurch wächst die abstossende Kraft der Aether-Kugeln.
Wie der Verfasser hieraus die Wärme-Erscheinungen ab-
leitet, das möge man in der Schrift selbst nachlesen. Die Er-
scheinungen der Elektrieität erklärt er durch die Annahme,
dass jedes Aether-Molekül, sobald es aus dem Verbande
der Aether-Kugel heraustritt, die Fähigkeit hat, sich in die
Aether-Atome der + E und — E zu spalten. Die hierauf
gegründete Anschauung über die Elektrieität ist also wesent-
lich dualistisch, beim Galvanismus wird stets von zwei
entgegengesetzen Strömen, einem positiven und einem
negativen, gesprochen. Dabei finden auch Induktion, Thermo-
Elektrieität etc. ihre Erklärung, von besonderem Interesse
ist die Darstellung der chemischen Wirkungen des Stromes.
Der dritte Abschnitt handelt vom Lichte, er beginnt mit den
Worten: „Wie die Wärme, so besteht auch das Licht aus
Aether-Molekülen,“ aber „während die Wärme-Aether-Mole-
küle an Körperatome gebunden sind, besteht das Licht-
‚ Aether-Molekül nur in freiem Zustande.“ Diesen Licht-
Aether-Molekülen wird aber keine oscillirende, sondern eine
fortschreitende Bewegung zugeschrieben. Die Lieht-Aether-
tome unterscheiden sich untereinander dureh ihre Grösse;
die violetten Lichtstrahlen bestehen aus den grössten Licht-
äther-Atomen, sie erleiden auch die grösste Brechung, die
blauen, grünen und gelben sind kleiner, die roten die
kleinsten — abgesehen von den unsichtbaren Strahlen.
Die Lichtäther-Moleküle können ihre Grösse verändern
(Fluorescenz), sie können auch in die Aether-Kugel eines
Körperatoms eintreten etc. Auch Absorption, Beugung und
Polarisation des Lichtes werden erklärt. — Der vierte
304 Litteratur-Besprechungen,
und letzte Abschnitt des Buches behandelt den Magnetismus,
selbstverständlich im Zusammenhang mit der Elektrieität.
Wir empfehlen die Schrift allen Physikern, die ein Interesse
daran haben, eigentümliche und von den allgemein aner-
kannten Theorien abweichende Ansichten kennen zu lernen.
Erfurt, im Juli 1394. Schubring.
A. F. Barth, Beiträge zur Theorie des Weltgeschehens.
Grossenhain und Leipzig. Verlag von Baumert und Ronge.
1893. 58 8. 8°.
Der Verfasser ist ein Gegner der mechanischen Wärme-
theorie, von der er sich jedoch eine ganz falsche Vorstellung
gemacht hat — er kämpft z. T. gegen Windmühlen! Seiner
Meinung nach ($. $. 40) wird die Wärme weder in der
Dampfmaschine, noch in der Gas- oder Heissluftmaschine,
uoeh etwa beim Ausbruche eines Vulkans in mechanische
Kraft umgesetzt, eine besondere, speeifische „mechanische
Kraft“ giebt es überhaupt nicht. Ebensowenig wird in den
genannten Maschinen nur Wärme verbraucht. Die Wärme
bildet vielmehr, wie der Verfasser erörtert, nur die Ursache,
„dass Dämpfe oder Gase erzeugt, beziehentlich die Luft
oder die Gase gespannt werden; sie bleibt aber im ubrigen
Wärme, bleibt was sie ist, selbst dann noch, wenn Si® für
den besondern Zweek (wie teilweise bei der Dampf-
maschine) durch Ausstrahlung oder Ableitung verloren
geht.“ Was die Wärme nach Ansicht des Verfassers ne
ist nicht deutlich gesagt, mitunter ($. S. 45) erscheint 6%
als ob er sie für einen Stoff ansähe, wenigstens erklärt =
es für ein unmögliches „Eskamoteurstück*, die ausserhalb
des pneumatischen Feuerzeuges thätige Kraft in he
zu verwandeln, die sich dann in der Luft innerhalb Kir
Cylinders vorfindet. — Im nächsten Abschnitt ($. 52) 2 |
es: Das Vermögen der Weltkörper, Wärme auszustra ur
nimmt allmählich ab mit ihrer fortschreitenden VerkfagZ
und kehrt sich schliesslich in ihr Gegentheil um, er
bei den Vorgängen, die mit der Loekerung, mit der we
auflösung der Weltkörper zusammenhängen, wa
bunden wird: an und für sich ist die Wärme so WT
PURE \
Litteratur-Besprechungen. 305
gänglich, wie die Materie oder ein Theil der Materie selbst,
Nach den letzten Worten sollte man doch glauben, der
Verfasser hielte die Wärme für einen Stoff; S. 53 aber
erklärt er sie für eine Kraft. — Unverständlich ist es, was
er unter dem „untersten Gefrierpunkt“ versteht; vielleicht
den absoluten Nullpunkt? — Auch über die Begriffe
„mechanische Kraft“ und „mechanische Arbeit“ scheint
der Verfasser nicht ganz im Klaren zu sein. Noch auf-
fälliger aber ist die Behauptung (S. 41), dass die Erzeugung
höher gespannter Dämpfe keine höhere Wärmemenge und
keinen grössern Kohlenverbrauch erfordere; der Verfasser
wird für diese Behauptung ebensowenig Glauben finden,
wie für den Satz (8. 44), dass eine Kalorie, verwendet auf
die Erzeugung gespannter Dämpfe, einer verschieden grossen
Arbeitsmenge äquivalent sei. — 8. 33 hält er es für nöthig,
Seinen Lesern den Unterschied zwischen Wärme und
Temperatur auseinander zu setzen, damit sie sich „in dem
Labyrinth der Wärmetheorie zurecht finden;* — wie man
aus obigen Proben sieht, hat er aber selbst den Ariadne-
faden noch nieht gefunden. Vielleicht gelingt ihm dies aber
noch auf Grund eingehender Studien in guten wissenschaft-
lichen nieht blos populären Schriften.
Erfurt, im Juli 1894. G. Sehubring.
W. Sorge, Dr. med. Religion und Naturwissen
schaf: ten keine Geegensütze. Wider den Monismus für
akademisch Gebildete. Berlin 1893. Wiegandt und Schotte.
Der Verfasser will in diesem Büchlein vom rein natur-
Wissenschaftlichen Standpunkte aus beweisen, dass die
ehren Darwins, Häckels und Büchners falsch sind. Aber
das Ziel, das der Verfasser sich gesteckt hat, hat er meines
Erachtens nach sicher nicht erreicht. Dass in den Lehren
eser Männer, den Vorkämpfern einer neuen Weltauf-
fassung, viele Lücken sind, die erst in später Zeit, wenn
überhaupt sich ausfiillen lassen, ist klar und das wird auch
kein verständiger Forscher leugnen, aber sich durch des
erfassers angeführte Beispiele veranlasst zu sehen, die
Sanze Theorie umzustossen, wird ebenfalls wohl niemand
Zeitschrift f, Naturwiss,, Bd, 67, 15%. MW
02 2
nr
306 Litteratur-Besprechungen.
einfallen. Wir freuen uns über den guten Stil, in dem
das Buch geschrieben ist, und müssen den Fleiss bewundern,
mit dem der Verfasser das Material und die Beweise, die
meistens garnicht gesucht erscheinen, zusammengetragen
hat; leider hat er sich aber gerade in den Hauptpunkten
arg vefrannt,
Wir wollen im Folgenden einige seiner Einwürfe und
Behauptungen kurz näher betrachten.
Eine von den Behauptungen, die der Verfasser in
diesem Werkchen aufstellt, ist die, dass der Geist ein
einheitliches, körperliches Wesen von eigenartiger Substanz
sei. Warum nimmt der Verfasser den Geist nicht vielmehr
als Kraft, als eine neue Form der Energie an, vielleicht
ähnlich der Elektrieität! Seine und G. Jarsers Behaup-
tung, der Geist wäre plastisch und könne Eindrücke
dauernd in sich aufnehmen, die Elektrieität nicht, liesse
sich dann vielleicht so erklären, dass die Molekel der
Gehirnsubstanz durch die Eindrücke so verändert würden,
dass sie später als Widerständein der Leitung eine Wirkung
auf den Strom selbst hervorriefen. Auch die Erscheinung,
dass bei aufmerksamem Hinhorchen auf ein leises Geräusch
2. B. oder bei genauem Beobachten eines mikroskopischen
Präparates etc. unsere Aufmerksamkeit vollständig von
dem Gegenstande unserer Beachtung in Anspruch genom-
men wird, und wir von der sonstigen Aussenwelt mehr
oder weniger vollständig entrückt sind, ferner die That-
sache, dass bei Hysterischen nicht selten plötzlich Unempfind-
lichkeit auf einer Körperseite oder Lähmung einzelner
Glieder eintritt, kann er sich nicht anders erklären, als
dass er annimmt, der Geist, als Körper gedacht, wandert
von einem Gehirntheile in den andern und durch Verlassen |
eines bestimmten Theiles tritt in dem entsprechenden
Organe Unempfindlichkeit ein. Wieviel leichter lässt sich
dies durch die elektrische Theorie erklären: wir brauchen
nur Ausschaltung bestimmter Nebenleitungen oder,
MM
zweiten Falle, eine plötzlich veränderte Leitungsfähigket —
anzunehmen. Wohl gemerkt, ich behaupte nicht, dass def
Geist nun wirklich eine elektrische Erscheinung ist, glaube _
nur, dass derselbe sich dadurch leichter erklären lässt, @
Litteratur-Besprechungen. 307
durch die Annahme einer körperlichen Wesenheit; vor allem
möchte ich betonen, dass der Geist nach meiner Meinung
eine Kraft und kein Stoff ist. Auch die $S. 15 und 16 an-
geführten Beispiele verwickelter geistiger Thätigkeit, die
übrigens noch zu den einfachen gehören, auch nicht in
genügender und richtiger Weise dargelegt sind, zeigen
nur, zu wie komplizierten und unglaublichen Erklärungs-
versuchen die Theorie des wandernden Geistes gelangt:
wie muss da der arme Geist ohne Rast, ohne Ruh umher-
fliegen, um an den verschiedensten Gehirntheilen die Ein-
drücke von aussen in sich aufzunehmen. Wir kommen
mit der Erklärung durch doppelte Schaltung oder direkte
Weiterleitung viel einfacher, ungezwungener und vollkom-
mener zum Ziele. Was nun den Stoff anlangt, aus dem
der Geist bestehen soll, so kann der Verfasser ihn sich
mit G. JAEGER weder gasförmig, noch flüssig, noch fest
denken — keines von diesen lässt sich mit den Eigen-
schaften des Geistes vereinen, — er nimmt also eine eigen-
artige Substanz an, „welche sich mit keiner uns bekannten
Materie verwechseln oder gleichstellen lässt;* also ein
vierter Aggregatzustand.(!) Wie leicht lässt sich diese
Schwierigkeit umgehen, man betrachte den Geist nicht als
Stoff, sondern als Kraft!
Auf Seite 19 erscheint das treue Festhalten an der
elektrischen Fluidumtbeorie geradezu rührend; ebenda ist
nach ihm das elektrische und magnetische Fluidum nicht
identisch (?) [geschrieben 1893!]. Auch Bibelstellen zieht er
zum Beweise für die Körperlichkeit des Geistes heran:
‚Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“ Was
hat der Geist Gottes mit dem des Menschen zu thun!
: In dem zweiten Abschnitte: „Giebt es einen Schöpfer
in der Welt?“ erläutert er die Kant’sche Theorie von der
Weltentstehung. Doch gleich beim Beginn kann er sich
nicht erklären, wie am Anfange (es giebt ja eben keinen
Anfang!) Die Drehung der Weltsonne anders entstanden
8eials durch die Hand eines Sehöpfers. Wenn die Materie
wig, ist die ihr innewohnende Kraft nicht auch ewig?
a ' der Verfasser auf die Urzeugung zurückgreift, ist
. selbstverständlich; und doch steht dieser Einwurf auf sehr
20*
308 Litteratur-Besprechungen.
schwachen Füssen: die Pasteurschen Versuche beweisen
garnichts; denn ausser den unnatürlichen Verhältnissen hat
man noch in Betracht zu ziehen, dass die ersten gebildeten
Organismen vermutlich zu klein sind, um gesehen zu
werden; und wenn wirklich die Urzeugung, was wir gem
zugeben, heute nieht mehr an einer Vermehrung der Indi-
viduen und Arten thätig ist, da der Raum für die günstiger
situirte lebende Materie kaum ausreicht, mit welehem Rechte
kann man daraus folgern, dass sie nie existiert hat? Und
weil wir bisher Eiweissstoffe nicht auf unorganischem Wege
haben herstellen können, „können sie nur aus der Hand
des Schöpfers hervorgegangen sein“? Bewundernswürdige
Logik!
Wie nach dem Verfasser das erste organische Leben
nur durch die Hand des Schöpfers entstanden sein kann,
so ist auch die Weiterentwiekelung bis zum Menschen her-
auf dureh sprungweise auftretende, heterogene Zeugung
(vergl. Korzuigers Theorie) oder durch neue Schöpfungen auß
Eiweisskörpern von ihm geleitet worden; er führt hier
das verdienstvolle, aber durchaus nicht beweisende Werk
Hamann’s an, und stützt sich auf die mindestens sonderbar
klingende Erklärung Korrumers: „dass die DarwinschE
Theorie noch in keinem Falle grössere Umgestaltungen
wahrscheinlich zu machen gewusst hat(!?)“ Doch näher
auf diese Gründe und Thatsachen einzugehen, würde zu
weit führen; sie sind z. T. falsch aufgefasst, theils geradezu
unrichtig, so z. B. kommen und kamen nach ihm Beutel-
thiere nur in Neuholland vor(?). Einmal sagt er: „mal
kann sich des Lächelns tiber solche Hypothese (gemeint
ist die Annahme, dass die Schwerkraft die Folge des
Aetherdruckes sei) kaum enthalten!“ Ja, manche können
manches eben nie begreifen! Aehnlich unannehmbar ist
ihm die grossartige Hypothese von Hermrıcı HERTZ, dass nn
Licht und Elektrizität im Grunde genommen Erscheinunge?
derselben Energieform sind; er glaubt als entkräftenden
Gegenbeweis nur anführen zu brauchen, das man d
einer Lichtwelle auf 0,0005 mm berechnet, die einer
trizitätswelle aber auf 60 cm! So! der Herr Verfasser
sich die Sache doch einmal näher an!
sehe
ie Länge
Euer
Litteratur-Besprechungen. 309
Den Haupttrumpf scheint der Verfasser am Ende
seines Werkchens ausspielen zu wollen: zieht er da zum
Beweise des Fortlebens nach dem Tode die Verwandlung
der Insekten, Amphibien u. s. w. heran!. Diesen wider-
sinnigen, scheinbar unausrottbaren Beweis für ein Fortleben
nach dem Tode bekommt man immer und immer wieder
zu hören. Ist es glaublich, dass ein Mensch, der nur die
geringste Spur von Vernunft hat, gewisse Larvenzustände,
bei denen unter mehr oder weniger vollständiger Aufgabe
der Aussenbewegung (durch Chitinpanzerbildung) unter
dieser Haut die Imagoorgane gebildet werden, mit dem
Tode, der Auflösung des Leibes, vergleichen will?
Kurz, das Buch hat viele, viele schwache Seiten, von
denen ich einige hier angeführt habe; und doch kann das
Werkchen, des vielen Guten halber, das es bietet, Allen
empfohlen werden, die die Wahrheit suchen.
A. Kalberlah.
Voigt, Dr. Alwin. Exkursionsbuch zum Studium der
Vogelstimmen. Berlin 1894, Rob. Oppenheim (Gustav
Schmidt),
Endlich einmal ein Buch, das einem herrschenden
Bedürfnisse abhelfen will und, wie es scheint, auch kann.
Ein Werk, das die Vogelstimmen einheitlich zusammen-
fasste, war noch nicht vorhanden, und wir begrüssen es
mit um so grösserer Freude, da die in Breuu’s oder
Naumann’s oder anderer Forscher Naturgeschichte zerstreu-
ten Angaben praktisch nieht zu benutzen waren. Wir
müssen den Fleiss bewundern, mit dem der Verfasser das
oft schwierig zu beschaffende Material herbeischaffte, und
es sich viel Geld und Zeit hat kosten lassen, um ein mög-
lichst vollständiges und abgeschlossenes Werk vorzulegen.
'enn man nun auch nicht immer mit dem Verfasser über-
°instimmt und an einigen Stellen vielleicht die Laute
anders wiedergegeben hätte, so muss man im übrigen zu-
' $estehen, dass man sich nach seinen Zeichen und Worten
_ ein ziemlich genaues Bild von den betreffenden Stimmen
_ nd Lauten machen kann, während sonst ja das Fixiren
Yon thierischen Lauten eine sehr heikle Sache ist.
310 Litteratur-Besprechungen.
Das Buch ist sehr praktisch eingerichtet: Nach einer
„Uebersicht der verbreitesten einheimischen Vögel, geordnet
nach der Zeit ihrer Ankunft, der Jahresvögel nach der
Zeit, da sie sich am meisten hören lassen“, spricht der
Verfasser von der schriftlichen Darstellung von Vogelstim-
men. Er hat bei Lauten, bei denen das Fixiren in Noten
zu schwierig, ev. unausführbar oder unübersichtlich war,
‘ganz neue Zeichen eingeführt: so bedeuten Punkte kurz
angeschlagene, Striche langgezogene Töne; folgen diese so
rasch aufeinander wie die Töne einer Trillerpfeife, so stellt
er Punkt an Punkt u. s. w. Mir kommt diese Neuerung
sehr praktisch vor. Von der Beurtheilung des rein
Musikalischen bei dieser Methode muss ich absehen; vergl.
dazu den Aufsatz in Reıcnenow’s Journal für Ornith.
42. Jahrg. von Devrrius: Bemerkungen zu dem Aufsatz
des Herrn Dr. Arw. Voisr: „die schriftliche Fixirung der
Vogelstimmen“. Der systematische Theil ($. 14—173), der
nun folgt, führt alle bei uns lebenden Vögel (mit Ausnahme
der seltener vorkommenden) in systematischer Ordnung
mit ihrem Gesang (resp. Paarungsruf) und charakteristischen
Lauten, die sie bei bestimmten, oft wiederkehrenden An-
lässen immer in derselben Weise hören lassen (Lock- und
Warnrufe). Sehr praktisch sind die kurzen Bemerkungen
über Lebensweise, Aufenthalt u. s. w. bei den einzelnen
Spezies. ;
Dann folgen Rathschläge für Anfänger.
Der Anhang, der den Anfänger besonders in das
Studium der Vogelstimmen einführen soll,
in die verschiedensten Gebiete:
1) Ende März durch Gärten und Anlagen nach am
Laubwalde;
2) Mitte Mai ebenda;
3) Ausflug in den Nadelwald;
4) Ausflug in Felder, Wiesen, Brachen, Dörfer;
5) Ausflug nach Teichen, Sümpfen, Flüssen.
Uebersichtliche Bestimmungstabellen, die allerd®
erst nach einiger Uebung von Nutzen sind,
ist ein Führer
auf ornithologischen Ausflügen, und zwar geleitet er er :
ET REN
|
Litteratur-Besprechungen. 311
das Büchlein, das wir hiermit noch einmal einem Jeden
empfehlen möchten, der Zeit und Lust hat, einige Stunden
dem Studium der Vogelstimmen zu widmen.
A. Kalberlah.
Instruktionen für die Beobachter der meteorologischen Stationen
der Schweis. Zweite Auflage. Herausgejeben von der
Direktion der Schweiger meteorologischen Centralanstalt.
Zürich 1893.
Die meteorologische Centralanstalt der Schweiz hat
von der kundigen Hand ihres verdienten Direktors R. Bırr-
WILLER eine neue Ausgabe ihrer Instruktionen für die Be-
obachter an Stationen II. und III. Ordnung verfassen lassen;
welche im Wesentlichen denselben Inbalt besitzen wie die
Instruktionen des Kgl. preus. meteor. Instituts. Es werden
zunächst allgemeine Vorschriften für die Aufstellung der
Instrumente, die Beobachtungstermine, die Stellvertretung
des Beobachters, die Eintragung der Beobachtungen in das
Tagebuch und die Monatstabellen und für den Verkehr
mit der Centralanstalt gegeben, wobei hervorgehoben werden
mag, dass auch in der Schweiz die mitteleuropäische Zeit
für die Beobachtungszeit an den Stationen nieht maass-
gebend ist. Es folgt sodann eine kurze aber das nothwen-
digste erschöpfende Auseinandersetzung tiber die Behandlung
und Ablesung der Beobachtungsinstrumente: das Thermo-
meter, das Psychrometer, das Haarhygrometer, das Baro-
meter, als welches jetzt nach und nach das von R. Fuss
in Berlin verfertigte Normalinstrument der preuss. Stationen
auch in der Schweiz eingeführt werden soll, die Windfahne
und der Regenmesser, gleichfalls nach dem auf den meisten
deutschen Stationen eingeführten System von HELLMAnN.
Unter die Beobachtungen ohne Instrumente sind aufzu-
nehmen: die Bewölkung einschliesslich der hauptsächlichsten
Wolkenformen, der Nebel, der Beginn, Dauer und Aufhören
der Niederschläge (Regen, Hagel, Graupeln, Tau, Reif,
Rauchfrost, Glatteis und Sehnee), der Föhn, Gewitter, Erd-
eben, Nebensonnen und Monde u. s. w., endlich phänolo-
gische Beobachtungen, die sich auf die erste Blüthe von
Corylus Avellana, Cytisus Laburnum, Syringa vulgaris, die
312 Litteratur-Besprechungen.
Blüthe und Fruchtreife von Prunus avium, Pyrus vulgaris,
Pyrus malus, die Blüthe und Erndte von Secale cereale hiber-
num und Triticum spelta, endlich auf die Blüthe-Weinlese von
Vitis vinifera zu beziehen haben. Dann schliesst sich ein
Abschuitt über die Reduktion des Barometerstandes auf 0!
und die Berechnung der rel. Feuchtigkeit, welch beides
durch beigefügte Tafeln sehr erleichtert ist. Als Anhang
sind noch einige Bemerkungen über Maximum- und Mini-
mumthermometer, und über den Sonnenschein-Autographen
zu betrachten, welche beide Instrumente aber nur au
einigen Stationen II. Ordnung funktioniren. Die kurze
und knappe und dabei doch nichts wesentliches übergehende
Behandlung der Elemente der prakt. Meteorologie lassen
die Instruktionen auch für den Privatliebhaber dieser Wissen-
schaft als ein ganz geeinetes kleines Compendium erscheinen.
Neuhaldensleben. Dr. Halbfass.
Dr. Hobert Behla. Die Abstammungslehre und die
Errichtung eines Instituts für Transformismus. Kiel und
Leipzig. Lipsius und Tischer 1894.
Ein wundersames Buch. Verfasser erkennt zwar die
Lebewelt als entwickelt an, aber nicht durch Häufung
kleiner, für das Leben der Art zweckentsprechender Ab-
änderungen unter der Kontrole des Kampfes ums Daseib,
sondern durch das Mittel der Kreuzung. Durch künstliche
feminale Injektion in den Uterus eines Thieres, das 208
selbst sich niemals von einem Männchen anderer Speeles
begatten lässt, will Verfasser neue Arten züebten.
fordert zu dem Zweck besondere Institute des Transformis-
mus in den jeweiligen Heimatländern der zu untersuchen-
- den Thiere. Er hofft nicht nur auf dem Wege der Synthese
ähnlich demCl il geg b Wesen neue herzustellen,
sondern er erwartet auch von seiner. Methode die sogenant"
ten Collectivtypen Darwıns zu analysiren; denn er hält letz
tere eben nicht für Stammformen der heutigen Organismeb,
sondern sie sind für ihn durch Kreuzung differenter Wesen en
entstanden unter dem Einfluss besonderer, heute MOTT
nachzurechnender Umstände, wobei „sexuelle Affi
Keimzellen vereinigte und aus differenten Kompon@”
nität? de
Litteratur-Besprechungen. 313
eine Resultante sich ergab, deren Eigenthümlichkeiten so
wenig vorherzusagen waren, wie diejenigen des CO, aus
den Eigenschaften von C und 0. — An origineller Dar-
stellung und reicher Phantasie fehlt es dem Verfasser nicht.
Aber er berücksichtigt weder die mechanische Unmöglich-
keit der Vereinigung vieler Keimzellen noch die vielen
Thatsachen einer reichen Litteratur über die Sterilität der
Bastarde. Wo aber durch Generationen hin fruchtbar
bleibende Bastarde erzielt wurden, geschah es stets nur
dann, wenn die vereinigten Arten lange domestieirt waren-
Auch Herr Bzura hat Darwın nicht bezwungen und wird
ihn mit seiner Theorie nicht bezwingen, wie amüsant sie
sich auch liest.
Halle a. S. Dr. €. Smalian.
E. Hofmann. Die Schmetterlinge Europas, Lieferung
11—18. Verlag der C. Hoffmann’schen Verlagshandlung
(A. Bleit). Stuttgart 1894. Lieferung 1 M.
In Band 65 dieser Zeitschrift $. 207 ist schon ein-
mal auf die Vorzüge dieses Buches hingewiesen worden.
Zusammen mit dem Raupenwerke desselben Verfassers bildet
es jedenfalls die am besten durchgeführte Grundlage für
die Bestimmung unserer Macrolepidopteren. Es ist fast
unerlässlich oder wenigstens in viel höherem Maasse zweck-
dienlich, beide Werke zusammen zu besitzen, da bei den
Sehmetterlingen zugleich auf die Abbildungen der Raupen
verwiesen wird. Wer aber so eingehend die Imagines
sammelt, dass er ein ausführliches Bilderwerk braucht, ist
doch fasst durchgehends auch Züchter, und das ist um so
nöthiger, als ja die Raupen bei ihren manchfachen Um-
wandlungen nach Form und Farbe oft erst auf bestimmten
Stadien nach den Abbildungen erkannt werden können.
Der Text ist bis zu der Mitte der Noctuiden etwa fortge-
führt und dass die Tafeln bis zum Schluss nichts an ihrer
Vortrefflichkeit einbüssen werden, dafür,bürgt der Umstand,
dass eben, ausser der Reihe, die Abbildungen der zartesten
Geometriden gebracht werden. Die noch fehlenden Liefer-
ungen sollen alle bis zur fünfundzwanzigsten, in diesem
314 Litteratur-Besprechungen,
Jahre erscheinen. — Einen Mangel mag ich nicht ver-
schweigen, der allerdings wohl alle jetzt gebräuchlichen
Bestimmungswerke in gleicher Weise angeht, die zum Theil
gar zu wenig grammatikalische Nomenclatur, Es ist doch
etwas hart, wenn man in einem Buche, das sich durch die
guten etymologischen Ableitungen auszeichnet, u. a. lesen
muss: Notodonta bicoloria, var. unicolora. In dieser
Hinsicht lassen glücklicherweise auch die neuen nomen-
clatorischen Regeln genügende Freiheit, welche hoffentlich
gute Früchte tragen wird. Simroth (Leipzig).
Bechhold’s Handlexicon der Naturwissenschaften
und Medicin, bearbeitet von A. Velde, Dr. W. Schauf,
Dr. G. Pulvermacher, Dr. L. Mehler, Dr. V. Löwenthal,
Dr. C. Eckstein, Dr. J. Bechhold und G. Arends. Frank-
Furt a. M. Verlag von H. Bechhold 1894.
Ein für jeden Naturwissenschaftler und für alle, die
sich für Naturwissenschaften interessiren, unentbehrliches
Nachschlagebuch, das über alles in kurzgefasster klarer
Form Aufschluss giebt. Gleich hinter dem gesuchten Wort
findet man eine Abkürzung, die uns lehrt, welchem Gebiete
der betreffende Gegenstand angehört. Dann folgt die Er-
klärung, in der meist einige Worte cursiv gedruckt sind,
wodurch angedeutet wird, dass man über sie in selb-
ständigen Artikeln nachlesen kann. Zum Schluss bekommt
man auch nöthigenfalls noch Aufklärung über die Ethymo-
logie des Wortes. Einer besonderen Empfehlung bedarf
es bei diesem Werke kaum: Jeder hat das Bedürfnis, ein
solches Handbuch als sofortigen zuverlässigen Berather
neben sich zu haben, sicherlich schon empfunden, und es
wird daher genügen, die Aufmerksamkeit der Interessenten
auf das erschienene Werk zu lenken. Dr. Brandes.
Neu erschienene Werke.
———
Allgemeines, Mathematik und Astronomie,
Facecioli, A. Teoria del volo e della navigazione aerea. Milano,
1894, 80%, VIII, 310 pp. Con 52 incis. e 2 tav
deFonvielle, W. Manuel pratique de laedronaute. Paris, 189.
16%. Avee 70 ie
Sinelair, D., Lux Naturae. Nerve System of the Universe. Lon-
don, 1894. 80,
Ajello, C., Lezioni pratiche di geometria deserittiva per la rap-
presentazione delle figure piane e dei solidi. Palermo, 1894. 16%.
Con 15 tav.
d’Arcais. Corso di caleolo infinitesimale. Vol. II. Padova,
1894. 80,
Bachmann, P. Zahlentheorie. Versuch einer Gesammtdarstellung
dieser Wissenschaft in ihren Haupttheilen. II. Thl. Die analytische
Zahlentheorie. Leipzig, 1894. B. G. Teubner. 80. XVII, 494 pp.
Lazzeri, G. Trattato di geometria analitica. Livorno, 1894. 8°.
Con 82 fig.
rise: Legons sur les coordonndes tangentielles. Paris,
1894. 80,
Bianchi, L,, Lezioni di geometria differenziale. Pisa, 189. 8.
514 pp.
en o. Trattato di geometria. Disp. 20-37. Torino, 189.
40, pp.
Hebk ner, Max. Die Elemente der vierdimensionalen Geometrie
mit besonderer Berücksichtigung der Polytope. (Aus: „Jahres-
berichte des Vereins für Naturkunde in Zwickau. “) Zwickau. 1894.
Gebr. Thost, 8%. 61 pp. un o Taf.
Burali-Forti. Logica matematica. o, 1894. 8, 166 DD:
Smith, H.J. $. The collested mn Papers. Edited by
J. W.L. Glaisher. 2 vols, London, 1894 #.
Wyatt,M. A, Introduetion to the differential and integral Cal-
eulus. London, 1894. 8,
316 Neu erschienene Werke.
Herz, Norb. Geschichte der Bahnbestimmung von Planeten und
Kometen. IH. Thl.: Die empirische Methode. Leipzig, 189. B
G. Teubner. 80%. VIII, 264 pp. Mit 2 photozinkogr. Taf.
Galle, J. G Verzeichniss der Elemente der bisher berechneten
Cometenbahnen, nebst Anmerkungen und Literatur-Nachweisen, neu
bearbeitet, ergänzt und fortgesetzt bis zum Jahre 1894. Leipzig,
W. Engelmann. 80. XX, 315
o,F. Elementi di astronomia Te Roma, 1894, 40,
Publikationen des astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam.
Herausgegeben von H. C. Vogel, Nr. 32. X. Bds. 1. Stück. Pots-
dam, 1894. (Leipzig, W. Engelmann,) 4%. 147 pp. Mit 30 Taf.
Todd, M. L. Total Eelipses of the Sun. London, 1894, 8%. XV-
244 pp. Illustr.
Physik und Chemie.
Barmwater, F. Laerebog i mekanisk Fysik, Nein og Elektri-
eitet, Kjobenhavs, 1894, 8%. 252 pp. Met 208 Illu
Föppl,A. Einführung in die Maxwell’sche Fe F Elektri-
eität. Mit einem einleitenden Abschnitte über das Rechnen mit
Vectorgrössen in der Physik. Leipzig, 1894, B. &. Teubner. 8.
XVI, 413 pp. Mit Fig.
Poincarre, H. Les M&thodes nouvelles de la m&canique celeste.
Vol, II. Möthodes de Neweomb, Gylden, Lindstedt et Bohlin. Paris,
1894. 80%, VIII, 479 pp. Avec
Poincearre,H. Les Oscilistions eleetriques. Paris, 1894, 8.
344 pp.
Daniöls, M. F. Electrieiteit en magnetisme. Nijmejen, 1894. 8.
253 pp. Met afb.
Drude, P, Physie des Aethers auf ee; Grundlage.
Stuttgart, 189. F. Enke. 8, XVI, 592 pp. 66 Abbildgn.
Garnault, E, M&eanique, physique et a De 1894. 8.
Avec 325 fr
Hankel, W.G.u. H. Lindenberg. Elektrische Untersuchungen.
20. Abhandlung. (Aus: „Abhandlungen der königl. sächsischen Ge-
sellschaft der Wissenschaften.“) Leipzig, 1894. 8. Hirzel.
34 pp. Mit 2 farb. Taf. e
Laboratory Manual of Physics and applied Electrieity. Arranged and
edited by E. L. Nichols. Vol. I. London, 1894,
Pockels, F. Ueber den Einfluss des elektrostatischen Feldes auf
das optische Verhalten piözoelektrischer Krystalle. (Aus: „Ab“
handlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften a
zen) Göttingen, 1894. Dieterichs Verl. 4, IV, pr
a 5. E. E. Theoretical Mechanies: Solids. London, I =
248 pp. =
Neu erschienene Werke. 317
Ostwald, W. Electrochemie. Ihre Geschichte und Lehre. 2, Lfg.
Leipzig, 1894. Veit & Co. 8%. p. 81—160. Mit Abbildgn.
Pavy,F. W. Physiology of the Carbohydrates, London, 1894. 80.
280 pp.
Schützenberger, B. Traitö de chimie generale, Vol, VII,
Paris, 189. 8%, 740 pp. Avec fig.
Erlenmeyer’s, E. Lehrbuch der organischen Chemie, II, Thl,
Die aromatischen Verbindungen. Begonnen von Rch. Meyer, fort-
gesetzt von H. Goldschmidt, weiter fortgeführt von K. v. Buchka.
I. Bd. 8 Lfg. Leipzig, 1894. C.F. Winter. 8, II u. p- 1121
bis 1350,
Ostwald, W. Die wissenschaftlichen Grundlagen der analytischen
Chemie, Leipzig, 1894. W. Engelmann. 8, VII,
Martha, A. Lex Intoxications alimentaires. Paris, 1894. 16%,
Avec 30 fig.
Ohlmüller, W. Die Untersuchung des Wassers. Ein Leitfaden
zum Gebrauch im Laboratorium für Aerzte, re und Stu-
dirende, Berlin, 1894. J. Springer. 8. X, 178 pp. Mit 74 Ab-
bildungen und 1 Lichtdr.-Taf.
Mineralogie und Geologie.
Baretti, M, Elementi di mineralogia, litologia e geologia. 2 vol.
Torino, 1894. 80, Con 750 fi
Hintze, C. Handbuch der Mineralogie. 8 Lfg. Leipzig, 189.
Veit & Co. p. 1121-1280. Mit 56 Abbildgn.
Levy, A.M. Etude sur la determination des feldspaths dans les
plaques minces au point de vue de la classification des roches.
Paris, 1894. 80, Avec 8 pl. col. et 9 fig.
Abhandlungen, nn, herausgegeben von W. Dames und
F. Kayser, Neue Folge. II, Band. (Der ganzen Reihe VI. Ba.)
Jena, 1894. G. Fischer. 40. 48 pp. Mit 9 Taf,, 1 Kartenskizze
und 9 Bi. Erklärgn.
Abhandlungen zur geologischen Speeialkarte von Preussen und den
Thüringischen Staaten, Herausgegeben - der königl. preussi-
schen geologischen Landesanstalt. X. Bd. 6. Heft. Berlin, 189.
S. Schropp, 80. p. 1249-1392. Mit 13 Taf. u 13. Bl. Erklärgn.
Gümbe!, .. W. Geologie von Bayern. II. Bd. 11. u. 12, Lfg
Kassel, 1894, Fischer: ;
srtol, BA. Abm mes. Les eaux souterraines, Fa
Cavernes, les sources, la sp6laeologie. Explorations souterr: Sg
efectudes de 1888 ä 1893 en France, Belgique, Autriche et Orr e,
is, 1894. 40%, 580 pp. Avec 4 phototypies et 16 pl. hors texte,
100 grav. et 200 cartes.
Martin, R,et R. Rollinat. Frege Re |
de YIndre, Paris, 1894.
318 Neu erschienene Werke.
Rauff, Hm, Palaeospongiologie. I. oder allgemeiner 'Thl, und
1. Thl. 1. Hälfte. (Aus Palaeontographiea,*) Stuttgart, 1894. E,
Schweizerbart. 4°. IV, 346 pp. Mit Holzschn., 17 z. Thl. farb.
Taf. und 17 Bl. Erklärgn.
Bartholin, C. T. Nogle i den Bornholmske Juraformation fore-
kommende Planteforsteninger. Kjobenhavn, 1894. 8. 50 pp. og
14 Blade, Med 14 Tavler
Böse, Emil. Monographie des Genus ee Gemm. (Aus:
„Palaeontographiea“.) Stuttgart, 1894. E. Schweizerbart. 4.
. 82 pp. Mit Abbildgn., 2 Taf. und 2 Bl. Erklärgn
de Grossouvre, A. Recherches sur la craie sup6rieure. 2° partie.
nn Les ammonites de la Craie sup6rieure,. Paris, 1894.
9 fig. et atlas de 39 pl.
len, J. G. Ueber die Pythonomorphen der Kansas - Kreide.
(Aus: „Palooutographica Stuttgart, 1894. E. Schweizerbart. @.
39. pp. Mit 1 Abbildg., 4 Tafeln und 4 Bl. Erklär
Walther, Js. Einleitung in die Geologie als historfsohe Wissen-
schaft, III. Theil. Lithogenesis der Gegenwart. Beobachtungen
über die Bildung der Gesteine an der heutigen Erdoberfläche.
Jena, 1894. G. Fischer. 8°. VIII, und p. 533—1055. Mit 8 Ab-
bildungen,
Zoologie,
Bronn’s, H.G. Klassen und Ordnungen des Thierreichs, wissen-
schaftlich dargestellt in Wort und Bild, II. Bd, 2. Abth. Coe-
lenterata. 9. u. 10. Lfg. — IV. Band. Würmer. 33.—. Li
Leipzig, 189, C,F, Winter, 80,
Dixon, ©. The Nests and Eggs of British Birds. London, 189.
84, 330 pp. With 157 Illustr,
Ehlers, E. Zoologische Miscellen. (Aus: „Abhandlungen de >
königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen. “) Göttingen
1894. Dieterich’s Verlag. 4%. 43 pp. Mit 7 Textfig. u. z Ti.
Erichson, W. F. Naturgeschichte der Insecten Deutsch Se
I. Abth. Coleöpters. V. Bd. 3 Lfg. Bearbeitet von 6. Sei.
Berlin, 1894. Nicolai’s Verl. 8, p. —6083. ee,
Hertwig, Ose. Zeit- und Streitfragen der Biologie, 1. Bet. nn
Präformation oder Epigenese? Grundzüge einer Entwicklung
theorie der Organismen. Jena. 1894. G. Fischer. 8. IV, 143 pP-
Mit 3 ee
Heyne, Alex. Die exotischen Käfer in Wort und pild, 2. Lie.
Eipeie, 1894. E. Heyne. 4%. p. 7—10. Mit 2 farb. Taf.
Lunardony,A. Gli insetti noeivi ai nostri orti, campi, frutteti 0
boschi. Vol. II. Napoli. 1894, 80. 296 pp- e
Lydekker, R. A Handbook to the Marsupialia and Monotrematt:
London, 1894. 80. 310 pp. 2.
Neu erschienene Werke, 319
Martini und Chemnitz. Systematisches Conchilien-Cabinet. In
Verbindung mit Philippi, L. Pfeiffer, Duncker etc. neu herausge-
geben und vervollständigt von H. C. Küster, nach dessen Tode
fortgesetzt von W. Kobelt, 406 u. 407. Lfg. Nürnberg, 1894.
Bauer & Raspe. 4°. Mit color. Steintaf,
Resultate, wissenschaftliche, der von N. M. Przewalski nach Central-
Asien unternommenen Reisen. Herausgegeben von der kaiserl.
Akademie der Wissenschaften. Zoologischer Thl. I. Bd. Säuge-
thiere. Bearbeitet von Eug. Büchner. 5. Lfg. eu und
deutsch.) St. Petersburg, 1894. (Leipzig, Voss’ Sort.) 4. 185
bis 232, Mit 5 Taf. u. 5 Bl. Erklä ärgn.
Sharpe, R.B. A Handbook to the Birds of Great Britain. Vol. I.
London, 1894. 80, 364 pP.
Davie, 0. Methods in the Art of Taxidermy. Columbus, 1894. 40,
9% fall page Engravings.
Fürst, Hm. Deutschlands nützliche und schädliche Vögel. Dar-
gestellt auf 32 Farbendruck-Tafeln, 8 Lfgn. ä Bl. A 34 >< 50cm.
Mit Text. Berlin, 1894. P. Parey. 8°. IV, 104 pp.
Griffini, A. Entomologien I. Coleotteri italiani. Milano, 1894.
8. 352 pp. Con 215 in
Haller, B, Studien er docoglosse und rhipidoglosse Proso-
branchier, nebst Bemerkungen über die phyletischen Beziehungen
der Mollusken untereinander. Leipzig, 189. W. Engelmann. 40,
V,173 pp. Mit 6 Textfig. u. 12 Taf.
Kohlhof er, M. Die Natur des thierischen Lebens und Lebens-
prineips. Kempten, 1894. J. Kösel. 8. X, 405 pp.
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Descriptions and Figures of all the Species, Vol. I. Pt. 24.
Christiania, 1894. 8%, p. 517-540.
Semper,C. Ueber die Niere der Pulmonaten. Herausgegeben und
ergänzt von H. Simroth. Wiesbaden, 1894. C. W. Kreidel. 40.
II u. p. 47—91. Mit 7 Fig., 5 Taf. u. 5 Bl. Erklärgn.
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Berlin, 1894. A. Hirschwald. 30. IV, 147 pp. Mit 54 Holzschn,
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1894, G. Fischer, 80, VIII, 80 pp
Botanik.
Schu lz, A. Grundzüge einer Entwicklungsgeschichte der Pflanzen-
welt Mitteleuropas a _ Ausgange der Tertiärzeit. Jena, 1
G. Fischer, 8. IV, 2
Acl aque, A, Flore & France contenant la description de toutes
les especes indigenes disposses en tableaux analytiques. Paris,
1893. 16%, 840 pp. Avec 2165 fig.
Baillon, H. Iconographie de la flore frangaise. 5 nn >
1894, 50, Avec 500 pl. en couleur ez6cut6os d’aprös na
320 Neu erschienene Werke.
Buchenau, Fr. Flora der nordwestdeutschen Tiefebene. Leipzig,
1894. W. Engelmann. 8. XV, 55 pp.
Hempel, G. u. K. Wilhelm. Die Bäume und Sträucher des
Waldes in botanischer und forstwirtschaftlicher Beziehung. 10 Lfg.
Wien, 1894. E. Hölzel.
Berlese, A. N, Icones fungorum ad usum sylloges Saccardianae.
Fase. IV. et V. Abelini, 1894. (Berlin, R. Friedländer & Sohn.)
8, X u. p. 119-235. Mit 39 z. Tl. farb. Taf,
Engler, A. und K. Prantl. Die natürlichen Pflanzenfamilien.
IH. TI. 3. Abtlg. und IV. Tl. 5. Abtig. Leipzig, 1894. W.Engel-
mann. 8, 396 u. 402 pp. Mit 1981 Einzelbildern in 298 Fig.
(darunter 3 Vollbildern) sowie Abtheilungs-Register.
— IM. Thl. 6. Abthlg. Leipzig, 1894. W. Engelmann. 254 pp.
Mit 592 Einzelbildern in 87 Fig. sowie Abtheilungs-Register.
Hesse, Rdf. Die Hypogaeen Deutschlands. Natur- und Entwicke-
lungsgeschichte, sowie Anatomie und Morphologie der in Deutsch-
land vorkommenden Trüffeln und derdiesen verwandten Organismen,
nebst praktischen Anleitungen bezüglich deren Gewinnung und
Verwendung. II. Bd. Die Tuberaceen und Elaphomyeeten, Halle,
1894. L. Hofstetter. 4° VII, 140 pp. Mit 11 z. Tl. farb. Taf.
Kohl, F. G. Die offieinellen Pflanzen der Pharmacopoea Germanica, :
für Pharmaceuten und Mediciner besprochen und durch Original-
Abbildungen erläutert. 17.—19. Lfg. Leipzig, 1894. A. Abel. Be:
de-Toni, J. Bapt. Sylloge Algarım omnium hueusque cogn- i
tarum. Vol. II. Bacillarieae. Sect. IIl. Chryptorhaphideae (addito
repertorio geographico-polyglotto, quod in usum sylloges euravit
Hect. De-Toni.) Patavii, 1894. (Berlin, R. Friedländer & Sohn)
8%, p. 819—1556 u. COXIV pp.
Linden, L. Les Orchidses exotiques et leurs culture en Europe:
Paris, 1894. 8%. Avec 8 pl. col. et 9 fig.
Schumann, K. Lehrbuch der systematischen Botanik, Phyto-
paläontologie und Phytogeographie, Stuttgart, 1894. F. Enke 9% |
XI, 705 pp. Mit 193 Fig. u. 1 farb. Karte
Sabouraud, R. Les Trichophytes humaines. Paris, 189. 9. a
Atlas de 134 fig.
Compter, Fossile Flora des untern Keupers von Ostthüiri
vr
ermempm
Fructifica
Basis eines "Wedels von Taeniopteris ed Schenk «
F Brongn.
Tafel II.
von Danaeopsis marantacea Heer. ($ n. Gr. I
Era von Pecopteris Meriani
teris Sp.
Tebhekiiee arenaceus Schenk aus dem Letten von Pfiffelbach.
Sa
ig,
zl
lep
er
i
&
E
=
&
Tafel III.
Compter, Fossile Flora des untern Keupers von Osttht
1-2, Fruchtstände von Equisetites arenaceus ie von Apolda,
7. Equisetites singularis n. 89. von Apo
8. Schizoneura Meriani Schimp. aus dem Sand von Apolda.
9. ” ” ” „» ” »» ” # n.
10. ”„ „» ” Letten von Pfffelbach.
Gm
11. ” ” ” 1; ” ” N
DY FE
Tafel IV.
Compter, Fossile Fiora des untern Keupers von Ostthüringen. r
1, Oyeadites nt n. sp. aus dem Sand von Apolda.
2. Pterophyllum robustum
3, Sphenozamites tener m. aus dom Sand yon Nauendorf.
4—7. Fruchtblätter (?)
8. Oyeadorhachis aus dem Letten von Pfiffelbach.
9. Cordaites keuperianus n. sp. aus dem Sand von Nauendorf,
($ n. 6r.), ngsemereegg da die Basis in Wirklichkeit auf
dem Gestein auf liegt,
10. Quarzkrystall aus einem Block verkieselten Holzes. (22°).
x
En
+ Tamm
LLEIDZIG.
julus Klinkhard
Juuuso
tr} Arna+
ur, Alldl
Verlag von C. E. M. Pfeffer in Leipzig.
Maximilian Drossbach,
Ueber
kraft und bewegung
im
Hinblick auf die Lichtwellenlehre und die mechanische
Wärmetheorie.
120 Seiten. 1879. Preis 2 Mk. 40 Pig.
Dr. H. Grouven,
Meteorologische Beobachtungen
nebst Beobachtung über die freiwillige Wasser-Verdunstung
und über die Wärme des Bodens in verschiedenen. Tiefen
angestellt im Jahre 1863 zu Salzmünde
auf der ne des mn. Ren eng:
de z Sachse
Mit 4 Tafeln. — 36 Seiten. 1864. ii 1 Mark.
Dr. Herm. aller.
Die lokale Anaesthesirung durch Saponin.
Experimental-pharmakologische Studien.
Mit 2 Tafeln. — 106 Seiten. 1873. Preis 3 Mark 75 Pig.
Robert Selichwinn.
Optische Häresien.
98 Seiten. 1886. Preis 2 Mark 50 Pfg.
Optische H; Häresien,
erste Folge
und
Das Gesetz der. Polarität.
108 Seiten. 1888. Preis 2 Mark = Piz.
MS dritter Teil der „Allgemeinen Naturkunde” eriheint jveben: r-
Nülkerkunde a;
Zweite, neubearbeitete Auflage.
Mit 1200 Textbildern, Y .. und Br Tafeln in Farbendruck
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t Mt. — I
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2 Halblede ebände zu je 16 Ag
Proipefte gratis, die erjte Sieferung zur Anficht.
Verlag des Bibliographifchen Inftituts, Leipzig n. Wien.
Verlag von C. E. M. Pfeffer in Leipzig.
Aretaeus, Des Ka ee Aa uns re Schriften. Aus au
Griechischen übersetzt von Pr rof.
Bischof, F., Besgnas: Die ee a bei Stassfurt. 2. unge
Anflage. Mit Abbildungen und 1 Karte. 60
ichtl. Deielbnr unserer Kenntnisse und Meinungen
yon den Korallen! bauten. (Zeitschrift für Naturwissenschaften. 63.
R t.
es, Dr. G., Eine neue Methode zur Aufstellung von zoologischen Objekten
und zootomischen Präparaten. (Zeitschrift für Naturwissenschaften,
64. Bd, 1/2. Heft.) W4= 2
Dr. eier esse der Bang von Sachsen, Anhalt,
Braunschweig, er und Thüringen. (Zeitschrift für Natur
wissenschaften, (63. "Bd. ae . Heft.)
r Paläontologie er obern Muschelkalke.
(Zeitschrift für Naturwissenschaften, 64. Bd. 1/2. Heft. 5
rt, Dr. Eugen, Der Darwinismus und seine Konsequenzen IN
en ur Re und sozialer Beziehun M. 2.25
— Beiträge zu unserer mo ei Atom- und Molekular- Theorie
auf — Grundlage. Die philosophische Grundlage der
bemie. 2. Die Fe ee se. 3. Die Ursache der Phosphor
escenz der ee uden Materie“ nebst Erörterung der d |
Spe im Lichte. (Das age er en
ee ser, das chemische Spektr M. —
M., Ueber Kraft und Bewegun im, Hinblick auf die Lake 2
. und die mechan ae zu + Sen ‚2 .
Dünker, E., Ueber ein Vorkommen von Kr She sallın in der ur = 3
Kenpers. (Zeitschrift für teen 63. Bd. 2/3. ne
Garcke, Prof. Dr. A., Wie viel Arten von Wissadula giebt es? (isch
für Naturwissenschaften, 63. Bd. 2/3. Heft.)
—
DE Diesem Hefte ] ein Prospeet der Verlagsbuchhandlung
Tı © eigel (Chr. Herm, Teen tz) im in Leipzig, beirenent Prof, Dr.
Conrad Keller, „Das Leben des Meeres“
in ‚Halle Saale).
Zeitschrift
für
- Naturwissenschaften.
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
: Geh. Rath Prof. Dr. Freih. von Fritsch, Prof. Dr. Garcke,
Geh. Rath Prof. Dr. Kuoblauch, Geh. Rath Prof. Dr. Leuekart,
Geh: Rath Prof. Dr. E. Sehmidt und Prof. Dr. Zopf
herausgegeben von
Dr. G. Brandes,
Privatdocent der Zoologie an der Universität Halle.
67. Band.
(Fünfte Folge. Fünfter Band.)
Fünftes Heft.
Mit 3 Tafeln und 6 Figuren im Text.
Ausgabe für Vereinsmitglieder.
Leipzig.
C. E. M. Pfeffer.
189.
Inhalt.
I. er hkkandiomgeh.
Fritsch, K. Prof. Das Gefüge diluvialer Grund-
moriüengehile am Gsläberes bei Halle a.S. Taf. V-VU
Schmeil, r. Einige neue eye ars des Süss-
wassers. "6 Figuren im
Schmidt, K.E.F., studie, Dr. Zur Erinnerung an Her-
zZ
Schulze, Erwin, Dr, Ueber das System der "Pfanz
Veekenstedt, Edm., Dr. Zur Bestimmung der 12 "Edelsteine
am Amtssehild rs Hohenpriesters
DI. Kleinere Mittheilungen.
Mathematik und Astronomie: Neue Ri esenfernrohre
S. 361. Die Helli en des verfinsterte: Mondes, Die
Strahlung der Sonne 8.36
Chemie und Physik: De Verwandlung elektrischer
Energie in Licht, Ein eustaen. Die alraete ine S. 368.
ee un ogie: Nenes Vorkommen von Eisen-
bora , Härtebestinmung der Minerale S. 367. Grosse
Botanik und Zooloriek. Kreuzung eines europäischen Wild-
ebers ve einem Bündener Schwein $. 369. Ueber die
Mediein- Verände mise. der Spinslsangien bei Tabes dorsalis
— Die scheintodt Begr \
Aus verschiedene n Gebiet a “Die Chemie des Oceans
— Spiritus aus Torf S. 380.
Litteratur-Bespr Sahünsen . . . .... >.
au erschienene Werke . . . .. 2... ,'.*
321
357
351
Zur Erinnerung an Hermann von Helmholtz.
Von
Dr. K. E. F. Schmidt,
Privatdocent für Physik zu Halle a. S.
Es war ein trüber regnerischer Septembertag, an dem
eine grosse Zahl von Leidiragenden, den verschiedensten
Lebensstellungen angehörend, der stillen Villa in der March-
strasse zu Charlottenburg zueilte, um die irdischen Reste
des heimgegangenen Meisters zur letzten Ruhestätte zu ge-
leiten: heftiger Wind trieb dunkle Wolken vor sich her
und die düstere Stimmung der Natur passte wohl zu der
Trauer, die Jedem, der zu beurtheilen versteht, was die
rastlose Arbeit dieses unendlich reich begabten Geistes
geschaffen hat, sich aufdrängen muss, wenn er bedenkt,
a8 auch einem solchen Geiste die unabänderlichen Natur-
. gesetze ein Ende geben.
Als dann später während der Trauerfeier die Sonne
das düstere Gewölk zertheilte, der Wind die Wolken vom
Himmel verjagte und das sanft verschleierte Tagesgestirn
seinen milden Glanz über den mit Blumenspenden und
Kränzen reich geschmückten Sarg ausbreitete, wem wären
da nicht die schönen Worte des Todten eingefallen, in
denen er berichtet, wie die Sonne ihm nicht nur den
äusseren, sondern auch den inneren oft so dunklen Pfad
der Ideen und Gedanken erhellt habe, wie er sie bei Ge-
legenheit der 500jährigen Jubelfeier der Ruperto-Carola
gesprochen: „Und wenn der stille Frieden des Waldes den
anderer von der Unruhe der Welt scheidet, wenn er zu
seinen Füssen die reiche üppige Ebene mit ihren Feldern
' und Dörfern in einem Blicke umfasst und die sinkende
Sonne goldne Fäden über die fernen Berge spinnt, dann
Zeitschrift f, Naturwiss. Bd.68, 1894. 21
322 Zur Erinnerung an Hermann von Helmholtz.
regen sich wohl auch sympathisch im dunklen Hintergrunde
seiner Seele die Keime neuer Ideen, die geeignet sind,
Lieht und Ordnung in der inneren Welt der Vorstellungen
aufleuchten zu machen, wo vorher Chaos und Dunkel war.“
Und in dem milden Sonnenschein der herbstlichen
Natur haben wir ihn hinausgeleitet, dorthin, wo er nun
unter rauschenden Baumkronen ausruht von der grossen
Arbeit seines reichen schönen Lebens.
Es ist eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn der Schüler
dem dahingeschiedenen verehrten unvergesslichen Lehrer
einen Nachruf widmet. Und dieses Gefühl der Verehrung
mag den Versuch entschuldigen, wenn ich an dieser Stelle ein
Erinnerungsbild des grossen Mannes zu entrollen trachte;
denn meine Kräfte sehe ich nicht ausreichen, einen auch
nur einigermassen zufriedenstellenden Entwurf für eine
Uebersicht der Erfolge dieses Riesengeistes zu liefern. Ist
es mir schon nicht leicht, der Bedeutung und Stellung
gerecht zu werden, die HerımnorLtz’ Arbeiten in dem Ge-
biete der Physik einnehmen, da die Vielseitigkeit und
Tiefe seiner Untersuchungen, welche stets Fragen ein-
sehneidender principieller Bedeutung zugewandt sind, für
eine völlige Würdigung ein ausgedehntes Studium ver-
langen, so muss ich in dem Gebiete der Anatomie, der
physiologischen Optik und Akustik dem Urtheile Berufener
das Wort geben.
Es ergeht mir bei der Betrachtung der Werke dieses
genialen Forschers wie einem Wanderer, der in eine reich
gegliederte Gebirgsgegend versetzt wird, die an Pracht und
Sehönheit ihres Gleichen sucht, deren erhabene M
Schnee nnd Eis gehüllte Gipfel, deren Faltungen
und vielfach verschlungene Thalwindungen zu viele
sind, als dass es seine Zeit erlaubte, seine Kraft er-
möglichte, sie alle zu durcheilen. Nur die höchsten, UN
bedingt in die Augen fallenden Gipfelpartien vermag e*
staunend und bewundernd aus grösserer oder geringerer
Entfernung zu betrachten. Von vielem Schönen muss "
sich berichten lassen und sein Sehnen und Wünschen damit
Von Dr. K. E. F. Scuumipr, 323
zufrieden geben, wenigstens einige der gebotenen Schön-
heiten mit eigener Kraftanstrengung kennen gelernt zu
haben.
Die reichbeanlagte Natur des Hernnortz’schen Geistes,
die schon in frühster Jugend allgemeine Aufmerksamkeit
erregte, wurde durch die Art und den Gang des ihm auf-
gedrängten Studiums der Mediein auf das glücklichste
zur Entwicklung und Reife gefördert. „Meine Neigung
und mein Interesse waren von früher Jugend an der Physik
zugewendet,“ berichtet er selbst, aber die Verhältnisse der
Familie gestatteten nicht, eine solche „brodlose Kunst“ zum
Gegenstand des Lebensstudiums zu machen: Das in dieser
Hinsicht aussiehtsvollere Studium der Mediein, worauf ihn
der Vater lenkte ‚ bot ihm Gelegenheit, auch die Natur-
Wissenschaften eifrig zu betreiben. „Dieses erwies sich
schliesslich als ein Gewinn,“ sagte er wiederholt, „denn in
dieser Weise gelangteich zu einer viel breiteren Kenntniss der
gesammten Naturwissenschaft, als sie im regelmässigen
Wege den Studirenden der Physik und Mathematik zu
theil wird,“
Wenn an sich schon diese breit angelegte Basis für die
"issenschaftliche Ausbildung des jungen Medieiners von
hoher Bedeutung war, so kommt noch hinzn, dass er unter
dem Einflusse eines „grossen Lehrers, des gewaltigen
Jonannes MüLLer“ im Kreise hochbegabter Studienfreunde
wie Ex pu Boıs-Raymoxp, E. Brücke, Lupwis und
Virchow der Anatomie nnd Physiologie zugeführt wurde,
Gerade diese Disciplin der Mediein musste für einen so
reich begabten Geist ein Arbeitsfeld liefern, auf dem für
geniale Erfindungs- und Entdeckungsgabe, gepaart mit voll-
Ommener Beherrschung experimenteller Methodik, reiche
zen zur Reife zu bringen waren. Was er der Physio-
Sie geworden ist, mag aus den Worten eines Vertreters
Bin Diseiplin hervorgehen: „Dieser Geist ersten Ranges,
” Ich gross als Denkez wie als Experimentator, als Morpho-
in als Physiolog erhob durch eigene Leistung und
Pr den mächtigen Einfluss, den er durch Beispiel
Wort auf begeisterte Schüler auszuliben wusste,
324 Zur Erinnerung an Hermann von Helmholtz.
die Physiologie erst völlig zum Rang einer experimentellen
Wissenschaft.“
Gleich in seiner Dissertation machte er eine Ent-
deekung, die WALDEYER „eine der wichtigsten“ nennt, die
man in der Anatomie machen kann, „er deckte den Zu-
sammenhang der Nervenfasern mit den Nervenzellen auf.‘
Und die „erste genaue Kenntniss von den Verbindungen
der Gehörknöchelehen und deren wichtigem Bandapparat“
verdankt die Anatomie seinen späteren Untersuchungen.
Schon ein Jahr später erscheint die vielgenannte Arbeit
über das Wesen der Fäulniss und Gährung, in der er den
experimentellen Nachweis erbringt, dass die Ansicht des
berühmten Justus Lresie, nach welcher der Sauerstoff die
Ursache jener Processe bilden sollte, nicht haltbar ist,
sondern dass der Zutritt von Mikroorganismen nothwendig sei.
Vier Jahr später erschien dann die berühmte Arbeit über
die Erhaltung der Kraft, in welcher HeımuoLrz die Grund-
!ehre entwickelt, auf deren Basis eine völlige Umwälzung
in den Anschauungen naturwissenschaftlicher Forschung er-
folgte. Es ist höchst bezeichnend und charakteristisch wie
HeımnoLrz zu diesen Betrachtungen gelangte. In seiner
schönen Rede, die er am 2. November 1891 auf dem zu
seinen Ehren veranstalteten Festmahl hielt, theilt er uns
darüber folgendes mit:
„Junge Leute greifen am liebsten gleich von vornherein
die tiefsten Probleme an, so ich die räthselhafte Frage nach
der Lebenskraft. Die Mehrzahl der Physiologen hatte da-
mals den Ausweg G.E. Stans ergriffen, dass es zwar die
physikalischen und chemiselen Kräfte der Organe und
Stoffe des lebenden Körpers seien, die in ihm wirkten,
dass aber eine in ihm wohnende Lebensseele oder Lebens
kraft die Wirksamkeit dieser Kräfte zu binden und zu
lösen im Stande sei, dass das freie Walten dieser Kräfte
nach dem Tode die Fäulniss hervorrufe, während des Lebens
dagegen ihre Action fortdauernd durch ihre Lebensseele
regulirt werde. In dieser Erklärung ahnte ich etwas Wider-
natürliches; aber es hat mir viel Mühe gemacht, meine
Ahnung in eine präcise Form umzugestalten. Endlich 2
meinem letzten Studienjahr fand ich, dass Sranzs Theorie
Von Dr. K. E. F. Scauipr- 325
jedem lebenden Körper die Natur eines perpetuum mobile
beilegte. Mit den Streitigkeiten über das letztere war ich
ziemlich genau bekannt. So stiess ich auf die Frage:
„Welche Beziehungen müssen zwischen den verschiedenen
Naturkräften bestehen, wenn allgemein kein perpetuum
mobile möglich sein soll? und die weitere „Bestehen nun
thatsächlich alle diese Beziehungen ?%
Das Schicksal der Schrift ist bekannt; nur von wenigen
verstanden, rang sich die in ihr enthaltene Grundidee erst
zu allgemeiner Anerkennung durch, als besonders 'englische
Autoren wie Jouse auf experimentellem, Sir Wıruıam
Tuomson auf theoretischem Wege zu ähnlichen Ueber-
2eugungen gelangten.
In dieser Schrift wird zum ersten Male in klarer
durchsichtiger Weise die allgemeine Anwendbarkeit des
allgemeinsten Naturgesetzes auf sämmtliche Diseiplinen der
Physik in mathematischer Formulirung durchgeführt.
Drei Jahre später löst er die von Jou. MÜLLer noch für
„Wohl unlösbar“ erklärte Aufgabe über die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Reizung in den Nerven, mit andern
orten, er bestimmt die Zeit, welche ein im Gehirn aus-
gelöster Willensimpuls braucht, um bis zu dem darauf mit
Muskelzuekung antwortenden Nervenenden zu gelangen.
Die verwendete Untersuchungsmethode führte auf neue
Versuche rein physikalischer Natur, dureh welche er Dauer
ind Ablauf der durch plötzliche Stromsehwankunge in-
dueirten elektrischen Ströme verfolgt und durch mathe-
matische Analyse ein sehr allgemeines Prineip, das solche
Induetionsströme regelt, auffindet.
Im gleichen Jahr erfand Hzınmorrz den Augenspiegel
Und eröffnete mit der Untersuchung über die Theorie der.
-Usammengesetzten Farben die Reihe seiner physiologisch-
OPlischen Arbeiten, die er später 1856 — 1866 in seinem
Handbuch der physiologischen Optik mit den Resultaten
Anderer Forscher zu einem Gesammtwerk vereint. „Diese
$rösste wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiete, sowie
die fruchtbarste Erfindung“, gaben den Ophtalmologen auf
ter 1886 stattfindenden Versammlung nach Doxpers
Worten Anlass, „den grossen Naturforscher als den Mann
326 Zur Erinnerung an Hermann von Helmholtz.
zu bezeichnen, dem unter Allen damals Lebenden die
Augenheilkunde das meiste zu verdanken habe.“
Gegen Ende der 50er Jahre finden wir HeL.mnoLTz mit
akustischen Untersuchungen beschäftigt; bald treffen wir
ihn in rein physiologischen, bald in rein physikalischen
Arbeiten, die er entweder zur Deutung der physiologischen
Vorgänge nöthig hatte, oder auf die ihn Versuche geführt
und deren weiteren Ausbau er wünschenswerth fand.
£Erwähnen möchte ich hier die Arbeit: Ueber die Wirbel-
bewegung der Flüssigkeiten. Bisher hatte man nur solche
Flüssigkeitsbewegungen behandelt, bei denen wirbelnde
Bewegungen nicht auftraten. Nun sind aber gerade diese
so häufig in der Natur auftretende Bewegungsformen, dass
der Analyse, welche sie nicht zu beschreiben vermochte,
erhebliche Mängel und Lücken zugeschrieben werden
mussten. Diese zu beseitigen hatten sich die grössten
Mathematiker seit Euler vergeblich bemüht. HeımHoLtz
vermochte die Lösung vollkommen zu erbringen und er
zeigte, dass nicht nur höchst merkwürdige Kraftwirkungen
zwischen wirbelnden Wassertheilchen auftreten, sondern er
wies auch auf gewisse Analogien zwischen diesen und
den elektrisch-magnetischen Phänomenen hin, welche von
grösster Bedeutung sind. Eine gleich verwickelte mathe-
matische Aufgabe löste HeıLmnorLtz ferner in der Theorie
der Luftschwingungen in Röhren mit offenen Enden. Die
Vorgänge im Innern der Orgelpfeifen bilden Probleme,
welche grosse Mathematiker wie Brrxovzzı und Eurer viel-
fach beschäftigt hatten. HeLmmorrz kam auf diese Unter-
suchungen bei seinem Studium über die Klänge der Orgel-
pfeifen. Um die bei offenen Pfeifen entstehenden Vorgänge
zu erforschen, reichte die bisherige Theorie nicht aus. In
wenigen knappen Sätzen setzt er die Gründe klar aus
einander, weshalb die Theorie nicht fähig war, die auf-
tretenden Fragen zu beantworten. Er kommt bei seinen
Untersuchungen auf neue Funetionen, untersucht ihre ana
Iytischen Eigenschaften und macht sich dann an die
sung.
In höchst origineller Weise tiberträgt er Betrachtungen, .
die bei der Lösung von elektrischen Problemen lange mit -
EHEN EN RN FRE ERRETUNEHRDER ZART:
Von Dr, K. E, F. ScHamipr. 327
Nutzen verwendet worden sind, auf diese Funetionen und
findet dadurch die Lösung von Fragen, an deren Ver-
folgung Männer wie Poısson Dunamer vergeblich ge-
arbeitet hatten. Auch hier bieten die Hinweise auf die
Vorgänge elektrischer Natur höchst interessante Gesichts
punkte, die eine fruchtbare Perspective für weitere Arbeiten
in sich schliessen, nachdem die Theorie der elektrischen
Schwingungen durch die Arbeiten von Hertz eine 30 hohe
Bedeutung gewonnen hat.
Ich wende mich nun zu den grossen Arbeiten über
Elektrieität besonders Elektrodynamik, welche HELMHoLTZ
von den 70er Jahren ab bis in die allerneueste Zeit fast aus-
schliesslich beschäftigt haben. Zu nennen ist hier zunächst
eine Arbeit, die ganz allgemeine Gesetze über die Ver-
breitung elektrischer Ströme in körperlich ausgedehnten
Leitern enthält: Eine für die allgemeine Monatsschrift
für Wissenschaft und Literatur bearbeitete Zusammenstellung
der neueren Forschungen tiber thierische Elektrieität wies
Hermmortz auf Lücken in der Theorie derartiger Strom-
‘ysteme hin, welche besonders Em ou Bois Reruonn bei
seinen fundamentalen Versuchen über thierische Elektrieität
aufgefallen waren und von ihm allerdings geschickt
Wmgangen aber nicht beseitigt und ausgefüllt waren.
Ohne gut ausgebildete Grundvorstellungen über derartige
Stromsysteme war ein sicherer Aufbau der von DU Boıs
Reyaoxn experimentell so glücklich bearbeiteten Diseiplin
vieht möglich. Heuunorez leitete Grundgesetze höchst all-
eemeiner Natur ab, die eine grosse Zahl von Fragen ein-
wandsfrei zu beantworten gestatten.
Die Weiterverfolgung dieser Frage führte HrımnoLrz
2u. den grossen Arbeiten, in denen er die Bewegungs-
8leichungen der Elektrieität für ruhende und bewegte
Körper ableitet. Durch die Oresteorsche Entdeckung, dass
en elektrischer Strom eine in seiner Nähe befindliche
Magnetnadel ablenkt, war Amp£re auf die berühmten Ver-
Suche, bei denen bewegliche stromdurchflossene Leitertheile
’on in der Nähe befindlichen elektrischen Strömen bald
Angezogen bald abgestossen werden, geleitet. Im engsten
Anschluss an diese Versuche stellte Aupinz 1826 ein Fern-
328 Zur Erinnerung an Hermann von Helmholtz.
wirkungsgesetz für elektrische Stromelemente auf, aus dem
1847 Neumann, der Vater, ein Potentialgesetz ableitete, das
HermHorLrz zur Grundlage für seine Betrachtungen machte
und von dem er eine Erweiterung gab, welche ausreichte,
aus dem Gesetz alle Erscheinungen zu deuten. Die Auf-
stellung eines solchen fundamentalen Gesetzes, welches
wenn möglich sämmtliche bekannten Phänomene elektrischer
Natur unter sich begriff, bildete seit Amp£re ein Problem,
an deren Lösung die bedeutendsten Forscher, wie RIEMANN,
GRASSMANN, WILHELM WEBER, Crausıus, MAxwELı gearbeitet
haben. Von allen schien das von WırurrLMm WEBER auf-
gestellte Gesetz das allgemeinste und unbeschränkteste zu
sein. HermnorLtz ging daher zunächst von ihm aus, um
die Frage zu beantworten, wie die Elektrieität in körper-
lich ausgedehnten Leitern zu fliessen beginnt. Er wurde
dabei auf Consequenzen geleitet, welche mit den Grund-
gesetzen der Mechanik in Widerspruch treten. Dieses gab
ihm Veranlasssung zu einer kritischen Durchmusterung der
bis dahin bekannten Theorien, die ihn dazu führte, das
Neumans’sche Gesetz als das am besten begründete hinzu-
stellen. Gleichzeitig suchte er aber eine Vermittelung
zwischen der alten Theorie der Fernwirkung und der von
Farapay uud Maxweus begründeten Anschauung herbei-
zuführen. Und er konnte zeigen, dass sich MAaxwELLs
Gleichungen auch aus den älteren Theorien ableiten lassen.
Die grosse Reihe dieser schwierigen mit vollendeter Klar-
heit durchgeführten Untersuchungen hat nicht nur wesentlich
zur Klärung der Sachlage und zur Erkenntniss der Lücken,
Mängel und Schwierigkeiten beigetragen, sondern hat auch
eine Menge experimenteller Arbeiten von grösster Be-
deutung zur Folge gehabt. Er selbst hat die erste An-
regung zu Untersuchungen gegeben, welche auf expert
mentellem Wege die Entscheidung über die streitigen Punkte
herbeiführen sollte, wobei sich dann gleichzeitig zeigen
musste, welches der vielen Gesetze als das richtige auf-
recht zu halten war.
Als weitaus durchgreifendste dieser Arbeiten müssen
wir die Herrzschen Untersuehungen über die Ausbreitung
der elektrischen Kraft bezeichnen. Nicht nur war eil
Von Dr. K. E. F. Schnmipr. 329
von HermHoLtz gestellte Preisaufgabe die erste Veran-
lassung für Hertz, sich diesem Gebiete der Elektrodyna-
mik zuzuwenden, sondern die Hrımuortz’schen Arbeiten
waren Hertz, Führer und Leiter in seinen Untersuchungen,
wie er uns selbst berichtet.
Neben diesen Arbeiten beschäftigten Hrımnontz Fragen
elektrochemischer Natur. Was für Umwandlungen der
chemischen Energie müssen eintreten, um den Strom zu
erzeugen? Wie weit lassen sich diese Processe aus den Ge-
setzen der Thermodynamik ableiten, das sind die Fragen,
die ihn jetzt tief in die Gesetze der Verwandelbarkeit der
Energieformen hineindrängen. In seinen Arbeiten über die
Mechanik monocyklischer Systeme — deren Typus die
rotirende Bewegung eines Kreisels um seine Axe bildet —
und in den sich an diese Arbeit anschliessenden Unter-
suchungen über das Prineip der kleinsten Wirkung führt
er uns in die letzten Tiefen der Mechanik: in die Mechanik
der Aetherbewegungen. Verständen wir diese, so würden
uns die mannigfaltigen elektrischen und magnetischen
Phänomene und der wunderbare Zusammenhang zwischen
beiden Energieformen begreiflicher erscheinen. MaxweLL
2eigte zuerst, dass eine sılche mechanische Auffassung der
Tscheinung möglich ist. Die von ihm gefundenen Grund-
gleichungen hat Hzrrz dann später als das Fundament
für weitere theoretische Betrachtungen hingestellt, zeigend,
Wie sich aus ihnen sämmtliche empirisch bekannten Gesetze
der elektrischen Kräfte herleiten lassen und hinzufügend,
dass ünsere Erkenntniss noch nieht genügend vorgeschritten
sel, um aus mechanischen Grundlagen eine Ableitung dieser
Gesetze zu geben. ;
Die genannten Arbeiten von HELMHOLTZ müssen wir
als u diesem Ziele hinleitende Vorstudien auffassen und
die darauf begründeten Arbeiten von Hrrmuorrz und Boutz-
sie eröffnen die erfreuliche Aussicht einer günstigen
ahrt zu diesem hohen Ziele.
Ich würde es mir versagen müssen, den Blick auch
: Auf die rein menschliche Seite dieses grossen Mannes zu
330 Zur Erinnerung an Hermann von Helmholtz.
lenken, wenn uns nicht einige Documente zur Hand wären,
aus denen uns ein Bild entgegenleuchtet, so hell, so schön,
so bewundernswerth, dass man nieht müde wird, diese herr-
liehen Bekenntnisse eines tiefen Gemütbslebens auf sich
wirken zu lassen. Das sind die Dankesworte, die Heım-
„oLrz 1886 in Heidelberg den Ophtalmologen und 1891
den Festtheilnehmern aussprach, als sie gekommen waren,
ihm den Dank und die Anerkennung für seine grossen
Schöpfungen zu zollen.
Selten nur ist es einem Sterblichen vergönnt, in so
harmoniseher Weise sein inneres Wesen durchzubilden und
zu adeln wie bei HeLmuortz; selten nur begegnet uns eine
so ideale Auffassung der Lebensaufgabe wie bei ihm. Ich
kann für diese keine treffendere Schilderung, als sie in
den Worten des Meisters enthalten ist, finden: 3
„In gesicherter Stellung, wo diejenigen, welche keinen
inneren Drang zur Wissenschaft haben, ganz aufhören
können zu arbeiten, tritt für die, welche weiter arbeiten,
eine höhere Auffassung ihres Verhältnisses zur Menschheit
in den Vordergrund.“ |
„Es tritt ihnen die ganze Gedankenwelt der eivilisirten
Menschheit als ein fortlebendes und sich weiter ent-
wickelndes Ganze entgegen, dessen Lebensdauer der
kurzen des einzelnen Individuum gegenüber als ewig er-
scheint. Er sieht sich mit seinen kleinen Beiträgen zum
Aufbau der Wissenschaft in den Dienst einer ewigen heiligen
Sache gestellt, mit der er durch enge Bande der Liebe
verknüpft ist, dadurch wird ihm seine Arbeit selbst ge
heiligt. Theoretisch begreifen kann das vielleicht Jeder,
aber diesen Begriff bis zu einem drängenden Gefüh
zu entwickeln, mag eigene Erfahrung nöthig sein.“
„Die Welt, welehe an ideale Motive nicht gern glaubt,
nennt dieses Gefühl Ruhmsucht.“ ;
. Dass aber ein derartiges Gefühl, aus dem wir ja leider
nicht selten die widerwärtigsten niedrigsten Charakter
entwicklungen entstehen sehen, bei HELMHOLTZ nicht auf-
kam, davor bewahrte ihn eine catonische Strenge im Urtheil
über seinen eigenen Werth und die Bedeutung seiner
Leistungen. „Wie verderblich der Grössenwahn für ein
Von Dr. K. E. F.Scumipr. 331
Gelehrten werden kann, habe ich oft genug gesehen und
habe deshalb stets mich zu hüten gesucht, dass ich diesem
Feinde nicht verfiele,“ sagt er selbst an einer andern
elle.
Eine nothwendige Folge dieser bei ihm nie irrenden
Objeetivität war die grosse Bescheidenheit, die ihm eignete:
fern war ihm jede Selbstüberhebung oder Selbstverherr-
liehung. Die Art und Weise, wie er sich über den ge-
waltigen Eindruck, den die Ehrungen zur Feier seines
70. Geburtstages auf ihn machten, ausspricht, legen davon
ein schönes. Zeugniss ab: „Ich bitte Sie um Verzeihung“,
wendet er sich an die Festtheilnehmer, „wenn diese Fülle
von Ehren mich zunächst mehr in Erstaunen setzt und ver-
wirrt, als dass ich sie begreifen könnte. Ich finde in
meinem eigenen Bewusstsein keinen entsprechenden Mass-
stab für den Werth dessen, was ich zu leisten gestrebt
habe, welcher mir ein ähnliches Faeit gäbe, wie Sie es
gezogen haben.“ Und dann berichtet er von der Art, wie er
seine Resultate gefunden, wie er oft lange auf gute Einfälle
abe warten müssen, wie sie ihm dann gekommen seien „in
einer Stunde vollkommener körperlicher Frische", „bei ge-
mächlichem Steigen über waldige Höhen in sonnigem
Wetter;“ wie er oft mühselig und langsam auf verworrenen
Pfaden zur Wahrheit gelangt sei, um dann, am Ziele an-
gelangt, zu erkennen, dass er einen königlichen Weg bätte
benutzen können, wenn er gescheidt genug gewesen wäre,
den richtigen Weg zu finden. „In meinen Abhandlungen
habe ich natürlich den Leser nicht von meinen Irrfahrten
ünterhalten, sondern ihm nur den gebahnten Weg be-
schrieben, das scheint Ihnen nun plötzlich, wie eine ge-
waffnete Pallas aus dem Kopfe des Jupiter vor Augen ge-
‘Prungen. Ihr Urtheil ist daher durch Ueberraschung be-
Einträchtigt, meines nicht.“
Zu der ungetrübten Harmonie seines inneren Lebens
trug auch wohl eine Art künstlerischer Anschauung der Dinge
.* „Etwas vom Schauen des Dichters muss der Forscher
“Sich bergen“, sagt er in seinem Preisliede auf die
Schönheiten Heidelbergs. Deutlich treten solche Stim-
ngen in seinen Vorträgen und Reden, die an Form und
332 Z. Erinnerung an Herm. v. Helmholtz. Von Dr. Schmipr-
Darstellung unvergleichlich dastehen, und am deutlichsten
in seiuen Tonempfindungen dem Leser entgegen. Nur
einem mit Künstlersinn reich begabten Geiste konnte es
gelingen, ein derartig harmonisch in einander greifendes
Ganze zu schaffen, wie es uns in diesem Meisterwerk
dargeboten wird, in welchem die Lösung schwieriger
Probleme der Physik mit äusserst subtilen physiologischen
Untersuchungen vereint wird, um die grossen „psycho-
logischen Wahrheiten“ im Reiche der Töne zu ergründen.
Das dunkle seelenvolle Auge des hochverehrten
Meisters hat sich für immer geschlossen; wir denken des
Dahingeschiedenen mit theilnehmender Wehmuth, denn wir
verloren in ihm nicht nur Einen der grössten Gelehrten,
sondern auch einen wahrhaft grossen Menschen.
Und die Worte, die Goetu£ einst dem vor ihm heim-
gegangenen Freunde nachrief, dürfen wir auch unserem
HELMHoLTZ nachrufen:
„Indessen schritt sein Geist gewaltig fort
„Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen,
„Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine,
„Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine.“
Das Gefüge diluvialer Grundmoränengebilde am
Goldberge bei Halle a. S.
Von
Dr. K,. v. Fritsch,
Professor der Geologie und Mineralogie.
Hierzu Tafel V—VI.
‚ Viele Einzelheiten im geologischen Bau einer Land-
schaft werden durch technischen Betrieb frei gelegt.
Strassen- und Bahnanlagen, Arbeiten in Kies-, Sand- und
Lehmgruben, in Steinbrüchen u. dergl. decken Lagerungs-
verhältnisse von grosser Bedeutung auf. Oft verschwinden
die Aufschlüsse in sehr kurzer Zeit. Häufig ist es von
Werth, solehe Beobachtungen der Vergessenheit zu ent-
ziehen und Jeder geologische Beobachter wird nach Kräften
bemtiht sein, sichere und klare Wahrnehmungen durch
4 ichnungen festzulegen. Aber es ist nur selten leicht,
einwandfreie Zeichnungen zu geben.. Denn auch dem Ge-
wandtesten ist es kaum möglich, die einzelnen Züge eines
Profils genau wiederzugeben, ohne dass er diejenigen
Dinge, die seine Aufmerksamkeit am meisten auf sich
ziehen, in der Darstellung bevorzugt, — ohne dass ihn
auch sein Augenmass irre leitet.
In der Neuzeit giebt die Vervollkommnung der photo-
1 Phischen Aufnahmen ein Mittel an die Hand, thatsäch-
richtige Darstellungen zu liefern. ‚Solche photo-
Beinte Bilder sind um so wichtiger, weil sie Zeit
® Es sei gestattet, hier mit Hilfe mebrerer nach photogra-
Plischen Aufnahmen, die Herr Prof. Lüpeere auf meine
nr ausgeführt hat, durch die bewährte Kunst der Herren
334 Diluviale Grundmoränengebilde am Goldberge b. Halle a. 8.
Gebrüder PLerrser hergestellten Lichtdrucke einige wich-
tige geologische Erscheinungen aus der nächsten Umgebung
von Halle zu besprechen!
Seit Jahrzehnten werden die im Nordosten der Stadt
zwischen Diemitz und Mötzlich an den sanften Böschungen
des „Goldberges“ und der „Sandhöhe“ angelegten Sand-
und Kiesgruben unserer Diluvialgebilde von den hiesigen
Freunden der Geologie und Palaeontologie gern und oft be-
sucht. Denn jeder Besuch bringt eine kleinere oder
grössere Ausbeute von Petrefacten oder von Gesteinsstücken
ein. Manche Funde haben die Arbeiter gemacht und hän-
digen sie dem Städter gegen eine kleine Belohnung ein.
Anderes lesen diese selbst auf oder schlagen es aus den
Geschieben heraus. Eine grosse Anzahl der früheren Wahr-
nehmungen ist in Herrn Dr. P. Borckerr’s fleissigem
Aufsatze!) erwähnt, und seitdem ist natürlich noch recht
Vieles hinzugekommen.
Die zahlreichen Gesteine, deren Trümmer hier zu-
sammengehäuft sind, und der wahrscheinliche Ursprungs
ort vieler der Geschiebe sind so mehr und mehr bekannt
geworden. Kein einziges Stück hat mir von dort vorgelegen,
das vom Thüringer Walde, vom Harz oder von dem
zwischenliegenden Hügellande stammt. Die Gebirge Scan-
dinaviens, die Umgebungen der Ostsee und das norddeutsche
Flachland haben ausschliesslich das hier zusammengehäufte
Trümmerwerk geliefert.
Die Massenanordnung in den verschiedenen Kiesgruben
am Goldberge und in seiner Nähe musste lange Zeit hin-
durch für eine sehr unregelmässige gelten. Man konnte
die Lagerstätte als einen Aufschluss von sehr sandigem Ge
schiebemergel mit Nestern und Lagen von Sand und Kies
bezeichnen.
Durch die anhaltende Trockenheit der letzten Jahre
erst wurde ein klarer Einblick ermöglicht. Denn unter
deren Einfluss zerbröckelten an den Wänden der Gruben
!) Beiträge zur Kenntniss der diluvialen Sedimentär-Geschieh®
in der Gegend von Halle a. 8. 1887. Inaug.-Diss. und Zeitschr.
Naturwissensch. Bd. LX, S. 278, 4. Folge, 6. Bd.
Von Prof. K. v. Fritsch. 335
viele lockere Theile, der Wind vermochte leichter beweg-
liehe Körner und Staub fortzublasen.
Hierdurch wurde die Anordnung der Sand- und Thon-
partikel in ihren Einzelheiten klar. Es wurde kenntlich,
dass in Stücken der Wände, die den Eindruck zusammen-
hängender Sand- oder Geschiebe - Lehmmassen bei feuchter
Witterung machen, eine Schichtung und Bänderung vor-
handen ist, und dass das ganze Gebilde kräftige Be-
wegungen durchgemacht hat, förmlich geknetet und durch
einander gearbeitet worden ist.
Auf die merkwürdigen Lagerungsverhältnisse vieler
oberflächlicher Massen unserer Landschaften haben schon
frühere Geologen ihre Aufmerksamkeit gelenkt. Aber erst
1880 gab Herrmann CREDNER in seinem Aufsatze: „Ueber
Schiehtenstörungen irh Untergrunde des Geschiebelehmes, an
Beispielen aus dem nordwestlichen Sachsen und angrenzen-
den Landstrichen“') eine zusammenfassende Darstellung und
Erläuterung zahlreicher Beispiele von Unregelmässigkeiten
und merkwürdigen Profilen. Seitdem sind gelegentlich Einzel-
beobachtungen dargestellt und in grösseren oder kleineren
isen bekannt gemacht worden, z. B. durch Herstellung
von Bildern einzelner Braunkohlengruben, die meist ohne
Beigabe von erläuternden Berichten theils käuflich geworden
Sind, theils nur an wenige Personen verschenkt wurden.
Die mir bekannt gewordenen bildlichen Darstellungen
und Beschreibungen solcher Lagerungsverhältnisse lassen
«8 immerhin wiünschenswerth erscheinen, dass die am
Goldberge gemachten Wahrnehmungen vor der Vergessen-
it bewahrt bleiben. Denn so verwandt auch mehrere
der bisher dargestellten Erscheinungen mit den hier zu be-
Schreibenden sind, so besteht doch, wie die folgenden Zeilen
'arthun werden, einiger Unterschied. Und die Bilder, die
am meisten denen gleichen, die sich in der Halleschen
Städtischen Kiesgrube dem Beobachter dargeboten haben,
sind, wie z. B. Fig. 17 und 18 auf Orrpxer’s angeführter
an
—_
m Zeitschrift der Deutsch. geol. Gesellsch. 1880. Bd, 23.7 5 f, 8
afel 8 u, 9, |
336 Diluviale Grundmoränengebilde am Goldberge bei Halle a. 8.
Tafel VIII nach Zeichnungen, nicht nach Photogra-
phien entworfen.
Längere Zeit hindurch befanden sich die hauptsäch-
lichsten Sand- und Kiesgruben im Nordosten der Stadt dicht
neben der Halle-Bitterfeld-Berliner Bahn an der Sandhöhe
bei Diemitz, Doch fand man den Sand beim Fortschreiten
der Arbeiten mehr und mehr lehmig. So wurden denn
bedeutendere Sandgruben etwas weiter nördlich am Gold-
berge bei Mötzlich aufgethan. Eine Feldschienenbahn, auf
der eine kleine Locomotive benutzt wird, führt von dem
Uebergange der Fahrstrasse nach Tornau über die Halle-
Ascherslebener Bahn unter theilweisem Anschluss an die
Feldwege nach den Sandgruben.
Der Hauptbetrieb findet jetzt an der Stelle, wo früher
der höchste Punkt des Hügels ungefähr 131 m Höhe über
dem Meere erreichte, statt.
Hier boten sich die Ansichten, die auf Taf. V, VI
und VII dargestellt sind, im April d. J. dar. Taf. V und
VI stellten Theile einer etwa von Süd nach Nord ver-
laufenden Wand dar, auf die man von Osten her blickt,
indem man selbst in dem ausgeschachteten Raume steht.
Bei Tafel VII sieht man von Westen her auf einen nach
Norden gerichteten Vorsprung des in der Hauptsache von
West nach Ost verlaufenden „Stosses“; der Apparat stand
auf einem in der Grube stehen gebliebenen Hügel, nahezu
in der Höhe des jenseitigen Randes, dessen nächst ge-
legenes Stiick kaum über 20 m davon entfernt war. Neben
den am Fusse der dargestellten Steilwand angehäuften,
herabgerollten Schuttmassen, die in der unteren linken
Ecke des Bildes sehr deutlich sichtbar sind, liegen die
Geleise der Grubenbahn, zwischen 6 und 10 m tiefer als
das umgebende Feld.
Alle drei Abbildungen zeigen als nächsten Untergrund
des Letzteren dunkle, humose Erde, die nichts weiter ist als
aufgepflügtes und mit vielen Zersetzungsmassen organischer
Körper gemengtes Material der tiefer gelegenen Massen j
oder der natürlichen Gebirgsarten.
Fast überall am Goldberg geht dieser Humus,
Abbildungen klar zeigen, aus einer oberen Bank hervor,
wie die
a a a er FE FE N 1 5
E
Von Prof. K. v. Fritsch. 337
die wir wegen ihrer lehmigen Beschaffenheit und wegen
ihres erheblichen Reichthums an nordischen Geschieben
einen diluvialen Geschiebelehm nennen müssen.
Dieser liegt ungefähr der Oberfläche gleich, doch
fallen namentlich auf Taf. V und VI Anschwellungen des-
selben auf. Andererseits erkennt man vereinzelte Stellen
seines Fehlens. Die Photographie bringt in besonderer
Deutlichkeit zum Ausdrucke, dass fast überall die Ge-
schiebelehmmassen in dreierlei Ausbildungsform überein-
ander liegen: oben in Humus übergegangenes, dann aus-
gelaugtes und zersetztes, als weisses Band im Licht-
drucke erscheinendes, und unten frisches Gestein.
Die Mächtigkeitswechsel sind sehr gross; die örtlich
ganz fehlende Bank hat nicht selten über 2 m Stärke.
Dieser Geschiebelehm ist ganz ungleichförmig zu den
darunter befindlichen Massen gelagert. Die Photographieen
stellen nur kleine Theile der ringsum vorhandenen, mehrere
hundert Meter zusammen messenden, aufgeschlossenen
Wände dar. Ueberall aber haben die oben erwähnten
Wirkungen von Trockenheit und Wind — vielleicht im
Winter schon etwas unterstützt durch Frost — eine geneigte
bis saigere Massenstellung mit vielen örtlichen Unregel-
mässigkeiten hervortreten lassen. Zuweilen erinnern uns
bei der Betrachtung von der Ferne her kaum die weichen
serundeten Umrisse einzelner Stellen, dass wir es mit noch
nicht zu starrem Fels erhärteten Gebirgsmassen zu thun
Aus einiger Entfernung gesehen versetzen uns
Manche Stellen unwillkürlich in Gedanken in ein Grau-
Wackengebiet wit auf dem Kopfe stehenden und über-
gekippten Schichten, wie z. B. Taf. VII auf der rechten
Seite, auch Taf. V rechts und Taf. VI in der Mitte.
Manche Lagen von grobem Gerölle haben diese Auf-
"iehtung mitgemacht; eine solche Lage, in der es viele
Menschenkopfgrosse und grössere Geschiebe gab, ist auf
di VI für den gut erkennbar, der sich die Mühe giebt,
'e Einzelheiten des Lichtdruckes genau anzusehen.
hin rde man an diese Aufschlüsse versetzt und ver-
dert, das Gestein zu berühren oder näher zu unter-
0, 80 müsste man glauben, dass man sich im Gebiete
0 Milschrift f. Naturwiss,, Bä. 68, 1501.
338 Diluviale Grundmoränengebilde am Goldberge bei Halle a. 8.
einer weit über 100 m mächtigen Schichtenabtheilung be-
fände, deren Lagen im Allgemeinen nach Norden und
Nordosten einfallen. An sehr wenigen Punkten ist ent-
gegengesetztes Einfallen wahrnehmbar.
Wenn man das Streichen der Lagen näher untersucht,
so zeigt sich darin ein bedeutender Wechsel, doch immer
mit einem Vorwalten der Richtungen von Ost nach West
oder von Südost nach Nordwest. Verkrümmungen der
Lagen sind sehr häufig, doch konnten Falten nur im
Kleinen beobachtet werden, und die Versuche misslangen,
das auf dem ansehnlich grossen Raume entblösste Hauf-
werk auf die Zusammenfaltung und Zusammenpressung
einer einzigen Lagenreihe zurückzuführen, also für gewisse
besonders kenntliche „Schichten“ Stellen des Wiederauf-
tretens jenseit etwa anzunehmender Luftsättel oder jenseit
etwaiger eingeklemmter Mulden nachzuweisen.
In fast allen Profilen, die Stauungsfalten darstellen,
sieht man söhlige oder nahezu söhlige Stücke der zu-
sammengepressten Gebirgsmassen in weit grösserer Mit-
betheiligung beim Massenaufbau als bei diesen Auf-
schlüssen,
Man vergleiche u. A. die angeführten Crevxer’schen
Abbildungen, namentlich Fig. 15, 16, 17, 18 auf Taf. VII.
Wir haben es aber nach meiner Meinung hier nicht
mit den Folgen der Zusammenstauung einer Masse ka
thun, die vorher eine andere, nämlich die regelmässige
ebene Lage gehabt hat, sondern mit einem Gefüge, das
sich bei der Entstehung dieses geologischen Gebildes ent-
wickelte. Wir können, mit anderen Worten, nieht mit der
nachträglichen Biegung und Faltung von Schichten, sondern
mit der Kreuzsehichtung (cross stratification, oder der dis-
cordanten Parallelstructur) eine Vergleichung suchen, und
mit der Fluidal- oder Fluetuationsstruetur von Gesteinen,
die aus heissem Fluss erstarrt sind.
Wie bei der Kreuzschichtung ein Theil einer nur
ein Meter mächtigen Bank von Sandstein als eine viele
Meter mächtige Folge dünner, verschiedenfarbiger Sand-
steinblätter erscheinen kann, so dürfte auch hier das als
geologische „Einzelmasse“ aufzufassende, in dem Haupt-
Von Prof. K. v. Fritsch. 339
theile der Profile aufgeschlossene Gebirgsglied von mannig-
faltiger Zusammensetzung nur seinen allmählichen Aufbau
aus einzelnen „Schalen“ darlegen. Während aber in
Sandsteinen, die sich im Wasser gebildet haben, derlei
„Schalen“ meist nur Platten von geringer Ausdehnung dar-
stellen, die gewöhnlich ziemlich sanft geneigt sind und
selten steiler stehen als mit etwa 30° gegen die haupt-
sächliche Auflagerungsfläche der ganzen Bank, haben wir
es hier mit häufig gewundenen Blättern von Lehm, Sand,
Kies und Geröllanhäufungen zu thun, die sich auf Längen
von 5—12 und vielleicht mehr Metern verfolgen lassen.
Bei der Bildung von Schalen ‘von Sandstein wirkten die
Schwerkraft der sinkenden Theile und deren gegenseitige
Zusammenbaltskraft allein. Bei den in Rede stehenden
Gebilden aber haben wir die Mitwirkung gewaltig be-
lastender und gegen Süden, bezüglich Südwesten stets
vorwärts geschobener Inlandeismassen anzunehmen, die
von den Gebirgen Scandinaviens her gegen Mittel-
thüringen sich bewegten. So wurden die am Grunde des
Eises befindlichen Massen von Sand, Kies, Geschieben,
Lehm und Thon geknetet und gepresst. Allem Anscheine
nach bot ein vom Galgenberg nach dem Dautzsch bei
Diemitz fortziehender Riegel von Porphyr Widerstand,
vor dieser Sperre staute sich die vom aufliegenden Eise
mitgeführte Grundmoräne und wuchs in ihren unteren
Theilen gegen das Ausgangsgebiet des Eises mehr und
mehr an. Das Ergebniss dieser Stauung ward eine Hügel-
masse, die, obwohl aus lockerem Grundmoränenmaterial
aufgebaut, doch nicht weniger die nächsten Umgebungen
überragt, als manche der benachbarten Porphyrkuppen,
an denen wir noch, wie z. B. am kleinen Galgenberge
bei Giebichenstein, die Politur und Schrammung der
Felsen beobachten, über die das Eis mit den darin ein-
gebackenen Gesteinsbrocken hinwegging und den Fels
abfeilte und abschliff.
Das Gefüge der Diluvialmassen und deren Anordnung
am Goldberge sind nicht erklärbar, wenn man die Drift-
theorie zu Grunde legt, die lange Zeit für die Entstehung
der Diluvialgebilde von Nord- und Mitteldeutschland an-
22*
340 Diluviale Grundmoränengebilde bei Halle von K. v. FrITscH.
nehmbar schien. Bei Anwesenheit einer grösseren Wasser-
masse hätte die fast saigere Stellung von Geröllbänken
und von Sand- und Lehmlagen auf ansehnlichem Raume,
welche die Lichtdrucktafeln zur Anschauung bringen,
weder entstehen noch sich erhalten können.
Wie natürlich sich aber dieses Gefüge bei Annahme
der Lehre von einer allgemeinen Vereisung unserer Land-
schaften erklärt, dürfte aus unserer Darstellung hervorgehen.
Einige neue Harpactieiden-Formen des Süsswassers,
Von
Dr. O. Schmeil,
Magdeburg.
E
Den von mir im vorigen Jahre veröffentlichten Mit-
theilungen über die Copepoden des Rhätikon - Gebirges*)
mag hier ein kurzer Nachtrag folgen. Derselbe ist bedingt
dureh die Untersuchung des Materials, welches Herr Pro-
fessor ZscHorkE auf seiner vorjährigen Exeursion an die
Gewässer dieses interessanten Gebirgsstockes gesammelt hat.
Er beweist von neuem, dass nur eine planmässige, sich öfter
wiederholende Durchforschung eines Gewässers in der Lage
'st, uns mit dem gesammten „faunistischen Inventare“ des-
selben bekannt zu machen. Trotz dieser neuen Funde
halte ich aber das Verzeichniss der Rhätikon-Copepoden
noch durchaus nicht für abgeschlossen.
Im allgemeinen fand ich in dem zuletzt untersuchten
Materiale für jedes der Gewässer dieselben Arten wieder,
Welche ich in der eitirten Arbeit angegeben habe. Hier
und da trat allerdings eine andere Form auf, oder fehlte eine
für das betreffende Gewässer bereits festgestellte. Es ist hier
Nicht der Ort, ein genaues Verzeichuiss des faunistischen Be-
Standes der einzelnen Lokalitäten zu geben**), da uns an
dieser Stelle nur diejenigen Arten interessiren, welche bis-
EEE
*) Copepoden des Rhätikon-Gebirges. Mit 4 Taf. — Abhand-
a der Natuforsch. Gesellschaft zu Halle. Bd. XIX, Heft1 u. 2.
= 7 Ein solehes Verzeichniss wird Herr Professor ZSCHOKEE in
N Schlussberichte veröffentlichen. a
342 Einige neue Harpactieiden-Formen des Sisswassers.
her noch nicht im Rhätikon-Gebirge beobachtet worden
sind. Es sind dies:
Cyclops fimbriatus FISCHER,
Canthocamptus minutus CLaus,
Canthocamptus echinatus MRAZER und
Canthocamptus schmeili MRAZEK.
Ueber die beiden zuerst genannten, weit verbreiteten
Arten kann hier hinweggegangen werden, da ich sie bereits
an einem anderen Orte*) eingehend charakterisirt habe.
Die beiden anderen Canthocamptus- Arten dagegen er-
fordern eine kurze Betrachtung. Durch sie und Canth.
minutus wird die Zahl der Rhätikon-Harpactieiden (Canth.
Zschokkei**) mihi, Canth. rhaetieus mihi und Canth. cuspidatus
mihi***) verdoppelt. Von den typischen, durch Mrazex
trefflich beschriebenen Formen), welche allein bisher vom
Autor in der Umgebung von Ptibram in Böhmen beobachtet
worden sind, weichen sie in einigen, systematisch nieht
unwichtigen Punkten ab, so dass sich die Aufstellung zweier
gesonderter Varietäten nöthig macht.
1. Canthocamptus echinatus Mrazer var. luenensis.
Die Form entstammt dem Lünersee. Sie stimmt mit
der typischen Form vollkommen überein bis auf die Be-
dornungsverhältnisse des fünften Fusspaares. Für die stark
verlängerte Innenpartie des ersten Segments des weiblichen
Fusses giebt Mrazex fünf Dornen von verschiedener Länge
an. Auch bei der Varietät kehren diese Dornen wieder; e3
tritt aber hier noch ein sechster am Aussenrande hinzu,
*) Bezüglich Oyel. fimbriatus vgl. meine Arbeit: „Deutschl. Ir
leb. Süsswasser-Copep.“ Theil I, p. 161— 168, bezüglich Canth. minutus
Theil II, p. 31—37.
“") Sicher indentisch mit Canth. Zschokkei mihi ist Attheyella
Seott. (The invertebrate fauna of the inland waters of
Sean, — Eleventh Annual Report of the Fischery Board for Seot-
p. 227. Tafel VII, Fig. 1-11.) Die erstere, weil ältere Be-
seine steht der Art zu.
L e. p. 23—39, Tafel II—IV,
+) MuAKEE. Al. Beitr. z. Kenntn. der eg
Süsswassers, p. 124—126, Taf. VI, Fig. 77—89 und
Tafel VII, Fig. 107— 117,
nfauna des
1165— 119,
Von Dr. O0. Scunmeir. 343
ein Umstand, der bei der ausserordentlichen Konstanz der
Bedornungsverhältnisse gerade dieses systematisch wichtigen
Fusspaares volle Beachtung verdient.
Am männlichen fünften Fusse habe ich die gleiche An-
zahl von Anhängen beobachtet. Die Grösse der beiden
Domen an der Innenpartie des ersten Segments sind aber
bei der Varietät bei weitem nicht in dem Masse verschieden
wie bei den typischen Thieren. Die obere Borste am Innen-
rande des zweiten Gliedes fand ich — genau wie bei
mehreren im II. Theile meiner erwähnten Arbeit beschriebenen
Arten — viel zarter als die übrigen Anhänge und länger,
als Mrazer sie in seiner Zeichnung (Fig. 89) ange-
geben hat.
3 dd
Canthocamptus echinatus MRAZEK var. luenensis.
Fünfter Fuss von Weibchen und Männchen,
2. Canthocamptus schmeili MrazEr var. hamata.
Obgleich ich von dieser Form nur zwei männliche
Exemplare (gleichfalls im Materiale aus der Litoralzone des
Lünersees) fand, ist die neue Varietät doch sicher be-
gründet.
Ueber den scharf und stark ausgezackten ventralen
Hinterrändern des 2., 3. und 4. Abdominalsegments findet
ch je eine ununterbrochene Reihe kräftiger Dornen.
Gleicher Dornenbesatz tritt an der Bauchseite des letzten
Ringes auf. (Mrazer erwähnt für die typische Form nur
das Vorhandensein einer solehen Dornenreihe am vorletzten
weiblichen Abdominalsegmente. Da er für das Männchen
344 Einige neue Harpactieiden-Formen des Süsswassers.
keine besonderen Angaben macht, so ist wohl möglich, dass
bei seinen Männchen die Ornamentik die gleiche gewesen ist
wie bei der Varietät.)
Bei weitem wichtiger sind die Differenzen im Ban
des 2., 3. und 5. Fusspaares.
Vom 2. Fusspaare giebt Mrazek keine Abbildung.
(Das von ihm Taf. VII Fig. 114 gezeichnete Füsschen ge-
hört nicht, wie er meint, dem 2., sondern dem 4. Paare an,
wie sich dies schon aus dem Vorhandensein der Seiten-
randborste des 2. Basalgliedes unzweifelhaft ergiebt.) Den
Innenast dieses Fusspaares fand ich bis etwa zur Mitte
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Canthocamptus schmeili MRAZEK var, hamata.
Fuss des zweiten und Innenast des dritten Paares, fünfter und (sog.) sechster Fuss
vom Männchen,
des dritten Aussenastgliedes reichend. Das langgestreckte
Endglied desselben ist viel breiter als beim Weibchen (ef.
Mrazexs Fig. 110) und auch am Innenrande mit einer
kräftigen Borste bewehrt.
Die dornartige Verlängerung des 2. Innenastgliedes des
3. Fusses ist nach Mrazer sehr kräftig, kaum so lang als
das kolbenförmige Endsegment und endet in drei kleinen
Zacken. Bei der Rhätikon-Form ist dieses Gebilde viel
länger und trägt an der Innenseite nicht weit vom Ende
einen kleinen widerhakenartigen Vorsprung. Dieser sen
Haken, welchem ich auch die Bezeichnung der Varietät .
entlehnt habe, trat an beiden Fissen der beiden von mi unter
Von Dr. 0. ScHueir. 345
suchten Individuen auf, so dass ich ihn, wenn auch für ein
sehr minutiöses, so doch charakteristisches Merkmal halte.
Das 4. Fusspaar ist genau so gebildet‘ wie bei der
typischen Form (cf. Mrazexr’s Fig. 114).
Für die Innenpartie des ersten Segments des fünften
Fusspaares giebt Mrazek 3 Dornen an. Bei der Varietät ist
der innerste (lange) Dorn in Wegfall gekommen.
Das Endglied zeigt dieselbe Bewehrung wie das der
typischen Form.
Bemerken möchte ich nur noch, dass ich an der Sorg-
falt des von mir hochgeschätzten böhmischen Forschers
durch diese kurze Mittheilung durchaus keinen Zweifel
habe erwecken wollen. Hätte ich in MrAzexs musterhaften
Darstellungen irgend welche Fehler vermuthet, so würde
ich sicher nicht zur Aufstellung gesonderter Varietäten ge-
schritten sein.
H.
Den kurzen Diagnosen dreier neuer Harpactieiden-
Arten, welche im 2. Theile dieser Mittheilungen Platz finden
Mögen, gestatte ich mir, einige Bemerkungen vorauszu-
schicken
Herr Dr. Arsteıx in Kiel hatte die Freundlichkeit, mir
eine grössere Anzahl von Planktonproben, welche er ge-
legentlich seiner Seenuntersuchungen eben so vielen Ge-
wässern Holsteins entnommen hatte, behufs Bestimmung
der in denselben enthaltenen Copepoden zu übersenden.
Während sich in allen Proben nur bekannte Arten näch-
Weisen liessen, fanden sich in dem Materiale, welehes Tüm-
bein der Colberger leide entstammte, nicht weniger denn
vier für Deutschland neue Arten, von welchen drei bisher
Überhaupt noch unbekannt waren. Zwei derselben machen die
Aufstellung neuer Gattungen nothwendig, welche ich nach
“erren Dr. Arsıeın und meinem als Herpetologen
"ühmlichst bekannten Freunde W. WoLrERrstorrr als Ap-,
“einia und Wolterstorffia benenne. Die dritte Form
2eigt sich als ein Glied des Genus Nitocra Bork und die
Merte als mit der durch BrancHarn und RICHARD vor
346 Einige neue Harpacticiden-Formen des Siüsswassers.
wenigen Jahren aus stark salzhaltigen Gewässern von Algier
bekannt gewordenen Laophonte Mohamed identisch *).
Das Auftreten dieser bisher einzig aus Binnenland-
Gewässern bekannten Laophonte-Art in Gewässern, welche
von ihrem Entdeckungsorte weit entfernt sind, ist sicher
sehr interessant.
Dazu kommt noch, dass auch die Gewässer derColberger
Heide, wenn auch nicht in dem Masse wie die von Algier,
relativ stark salzhaltig sind. Nach einer Mittbeilung
des Herrn Dr. Arsteın beträgt der Gehalt an Salzen
ea. 0,5 %,. Wie für einige andere Copepoden, 2. B.
für den auch in Deutschland (Mansfelder Seen bei Halle a. $.)
lebenden Diaptomus salinus v. Danay nachgewiesen, so scheint
auch die Existenz dieser Art an einen relativ hohen Salzgehalt
seines Wohngewässers gebunden zu sein. Ob dies auch
für die drei anderen Spezies gilt, wird sich ergeben, wenn
sie an einem oder einigen anderen Orten wiedergefunden
worden sind. Alle vier Arten sind fremdartige Erscheinungen
unter den Süsswasser-Copepoden und zeigen mehr oder
minder deutlich ausgeprägt den Typus mariner Thiere. Die
Fauna der Gewässer der Colberger Heide sowohl, als die
der Salzseen von Algier ist aber, wie durch das Auftreten
von Süsswasser-Ostracoden und Cladoceren sieh ergiebt,
keine marine, sondern eine typische Süsswasser-Fauna.
Da mir von den beiden neuen Genera nur je eine
Spezies bekannt geworden ist, so muss ich wegen der Un-
möglichkeit, die Artcharaktere von denen der Gattung ZU
sondern, in nachfolgendem auf die Aufstellung von Gattung®“
diagnosen verzichten. Die Berechtigung der neuen Gattungen
werde ich darzuthun versuchen, sobald ich ltickenlose Be
schreibungen und zuverlässige Abbildungen der neuen Arte
veröffentlichen kann. Aus den nachfolgenden kurzen Dia-
gnosen dürfte sich dies allerdings schon ergeben.
*) BLANCHARD und RıcHAarn, Faune des lacs sales nz
Cladoc. et Copep. — Mem. de la Soe. Zool. de France. ©
p. 526—529, Taf. VI, Fig. 1—15,
Von Dr. 0. Scuaeir. 347
Nitoera simplex n. sp.
Vorderleib nur um ein geringes breiter als der Hinterleib,
Körper deshalb sehr schlank. Hinterrand des letzten
Cephalothoraxsegments und alle Hinterränder der Abdominal-
ringe*) mit Ausnahme ihrer mittleren dorsalen Partien mit
Dornen besetzt. Laterale und dorsale Dornen (besonders
die des letzten Segments) grösser als die ventralen. Erstes
Abdoninalsegment auf der Rückenseite mit einer Querfalte,
über welcher eine ebenfalls in der Mitte unterbrochene
Dornenreihe zu beobachten ist. Genitaloperkulum () mit
zwei fast gleich kurzen Borsten. Analoperkulum mit (ca. 8)
kräftigen Dornen.
Furka in beiden Geschlechtern gleich, wenig länger als
breit, rechteckig; am Aussenrande, nahe dem apikalen Ende,
mit zwei Borsten und einigen kleinen Dornen; Apikal-
bewehrung wie bei N. hibernica**).
Vorderantennen achtgliedrig; die des Weibchens genau
wie bei N. hibernica; die des Männchens ebenfalls schlank,
vorletztes Segment derselben aber am Aussenrande mit
perlartigen Cutieularverdiekungen.
Nebenast der Hinterantennen wie bei genannter Art.
Innenäste aller Schwimmfusspaare dreigliedrig. Der
des ersten Paares nur sehr wenig länger als sein Aussen-
at; bei weitem nicht in dem Masse zum Greiffusse um-
sebildet als bei den anderen Arten. Das erste Segment
desselben viel breiter und nur wenig länger als die beiden
anderen, unter sich fast gleich langen Glieder. Drittes
Innenastglied des zweiten Paares***) am Ende mit einem
one und einer Borste und mit einer Innenrandborste. Die
Wwehrung der Innenäste der beiden folgenden Paare
gleich: das dritte Glied am Ende je mit einem Dorn und zwei
rn
*) Natürlich mit Ausnahme des ventralen Randes des ersten
Segments beim Männchen,
bi ””) ef. SCHMEIL, Deutschl. freil. Süssw.-Copep. Theil I, p. 78
* 4, Taf. VII, Fig. 1-16.
u *) Die Angaben über die Bewehrung dieses und der folgenden
d “immfusspaare beziehen sich nur auf das Weibehen, da der Ban
= entsprechenden männlichen Füsse noch nicht sicher festgestellt
e.
erden konnt
348 Einige neue Harpactieiden-Formen des Sisswassers.
Borsten und mit je zwei Innenrandborsten. Die Aussenäste des
zweiten bis vierten Paares gleich bewehrt: am Ende ihrer
dritten Glieder und an den Innenrändern mit je zwei
Borsten. Der Dorn am zweiten Basalsegmente des ersten
Paares nicht wie bei den übrigen Arten modifieirt.
Fünfter Fuss des Weibehens: Innenpartie des ersten
Segments breit und nur etwa bis zur Mitte des zweiten
Gliedes reichend, Unterrand derselben abgerundet mit fünf
Borsten, welche, nach ihrer Länge geordnet, so auf ein-
ander folgen: 2, 1, 4, 3, 5. Die beiden ersten gewöhnliche
Borsten, die drei anderen scheinen ähnlich modifieirt zu sein
wie bei N. hibernica. Das zweite Glied breit, nach dem Ende
verschmälert, an der Spitze und dem letzten Drittel des
Aussenrandes mit sechs Borsten von verschiedener Länge
und Stärke.
Fünfter Fuss des Männchens: Innenpartie des ersten
Segments (wohl nur) mit zwei Borsten*). Endglied auch
am Innenrande mit einer Borste.
Eiballen bis über das Ende der Furka reichend.
Grösse: @ ca. 0,5 mm.
Apsteinia rapiens n. g. D. SP- |
Körper schlank. Rostrum bildet eine breite, kurze |
Platte. Hinterränder aller Abdominalsegmente auf der |
Bauchseite mit je einer Reihe Dornen. Beim Männchen
sind alle Dornen von gleicher Länge; beim Weibchen sind 4
die seitlichen grösser als die übrigen. Analklapp® u
beim Männchen mit einigen langen Dornen; Genitalklappe
desselben ohne Anhänge. ss
Furka kurz, so lang wie breit; die äussere apikale Ecke 3
abgerundet. In der Mitte des Aussenrandes zwei BO Ä
eine grössere und eine kleinere, und einige (3—#)
Dornen. Am Innenrande einige Dornen. Apikalbewehrung 6
wie bei der Mehrzahl der Canthocamptus-Arten. : _
Vorderantennen siebengliedrig. Nebenast der Einer
antennen stabförmig, eingliedrig. Mandibulartaster e#
RE tich, da ich
*) Genaue Angaben zu machen, ist mir nicht =
nur ein einziges männliches Exemplar untersuchen konnte. u
> Pte ee a tn ee ie
Von Dr. O. ScHumeit, 349
gliedrig, nach innen gerichtet, mit drei Borsten an der
äusseren und einer Borste an der inneren apikalen Ecke.
Erstes Paar der Schwimmfüsse in beiden Geschlechtern
übereinstimmend. Innenast dreigliedrig. Erstes Glied des-
selben so lang als der kurze, dreigliedrige Aussenast; das
zweite und dritte Glied gleich lang, viel kürzer als das
erste.
Das zweite bis vierte Paar beim Weibchen fast gleich
gebildet. Innenäste zweigliedrig. Innenast des zweiten
Paares etwa so lang als die beiden ersten Aussenastseg-
mente; Innenast des dritten Paares kürzer; der des vierten
nur noch wenig länger als das erste Aussenastsegment.
Bewehrung überall gleich: das erste Glied mit einer Innen-
Tandborste; das zweite am apikalen Ende mit einem Dorne
und zwei Borsten, am Innenrand mit zwei Borsten.
Aussenast des zweiten männlichen Fusses wie beim
Weibehen*). Aussenast des dritten dagegen zum Greiffuss
umgebildet; alle Glieder stark verbreitert; das Endglied
nach innen gerichtet, die äussere der beiden Apikalborsten
zu einem starken Dorn umgewandelt. Der Innenast des-
selben besteht aus drei fast gleich langen Gliedern; das
erste und zweite mit je einer Innenrandborste, das dritte
nit zwei Apikalborsten. Viertes Fusspaar des Männchens
"ie beim Weibchen; dem ersten Segmente des Innenastes
aber fehlt die Innenrandborste, dem zweiten eine der beiden
des weiblichen Fusses.
Fünftes Fusspaar: Beim Weibchen ist die Innenpartie
je ersten Segments stark verlängert (überragt das zweite
IR am
ed beträchtlich), dreieckig, am Aussenrande mit einer,
” e mit zwei, und am Innenrande mit drei Borsten
bewehrt
eg Hinsichtlich ihrer Längen nehmen diese Borsten
Olgende Ordnung ein: 3, 2, 4, 1 und 5, 6. Zweites Seg-
_% mit zwei Aussenrand- und drei Apikalborsten, von
*elcher die mittlere die längste aller ist.
8 cn Männchen ist die Innenpartie des ersten Segments
en venlg verlängert und mit einer Borste und zwei sehr
ER
) Ueber den Innenast dieses Fusses kann ich keine Angabe
. ü, da ich ihn nur stark verletzt gesehen habe,
350 Einige neue Harpactieiden-Formen des Süsswassers.
starken Dornen, von welchen der äussere der grössere ist,
bewehrt. Endglied klein; am Ende mit zwei kräftigen
Dornen und einer zarten, auf einem kegelförmigen Vor-
sprunge zwischen beiden inserirten Borste und einer Innen-
randborste bewehrt.
Grösse: ca. 0,5 mm.
Wolterstorffia confluens n. g. n. 8p.
Körper nach hinten stark verschmälert. Unterseite des
Abdomens mit vielen Reihen zarter Haare. Furka lang, be-
sonders im männlichen Geschlecht. Die äussere und mittlere
Apikalborste derselben im Basalabschnitte mit einander ver-
schmolzen. Vorderantennen sechsgliedrig. Nebenast der
Hinterantennen zu einer Borste redueirt. Mandibel an der
unteren apikalen Ecke mit einem hyalinen, flächenhaften
Anhange, der in zwei borstenförmige Fortsätze ausläuft.
Mandibularpalpus klein, eingliedrig. Maxillen und die beiden
Maxillarfüsse zeigen den Typus von Canthocamptus. Erstes
Schwimmfusspaar in beiden Geschlechtern gleich. Die
anderen Paare des Männchens viel grösser und stärker ge
baut als beim Weibchen. Innenäste aller Paare zweigliedrig;
am ersten Paare an Länge fast gleich dem Aussenaste, al
den anderen viel kürzer als derselbe. Zahl und Form der
Anhänge an den einzelnen Paaren meist sehr verschieden.
Die beiden Segmente des normalen Harpactieiden- Fusses
des fünften Paares eng mit einander verschmolzen. (Fünfter
Fuss also eingliedrig.)
Grösse: 0,65 —0,75 mm.
Zur Bestimmung der 12 Edelsteine am Amtsschild
des Hohenpriesters.
Von
Dr. Edm. Veckenstedt.
Halle a. S.
Wie mich meine Eddastudien zu dem Honigthau und
dieser zur Bleifliege und damit zur Mannaeicade geführt
haben, so wurden mir meine Forschungen über die Paradies-
bäume Veranlassung, den Stein Schoham, welcher im Jahve-
Elobim-Bericht erwähnt wird, nachzuspüren. Es fiel mir
auf, dass Kaurzscn den Stein überhaupt nicht tber-
setzt, F. Lexormant, der bekannte Assyrologe, in seinem
Werke Les Origines de l’Histoire davon ganz verschiedene
Deutungen giebt. Indem ich mich nach Mitteln umsah, den
Stein Schoham näher zu bestimmen, schienen mir dieselben
In 2. Mos. Kap. 28 und Kap. 39 gegeben.
Es werden dort nämlich 12 edle Steine aufgezählt an
dem Amtsschild, oder wie andere Gelehrte unklar tber-
setzen, an der Orakeltasche des Hohenpriesters. Hier
habe ich nun zu bemerken, dass in der Uebersetzung und
Bezeichnung dieser Edelsteine von der Septuaginta bis zu
UTHER, Kaurzschn und der Probebibel eine Einstimmung
nieht vorhanden ist, dass Kaurzsch auch hier den Stein
Schoham nicht übersetzt, Luruer, Mever, Str, die Probe-
Bibel den Diamant haben, welcher gar nicht am Amts-
schild gewesen sein kann, da man denselben in den alten
Und ältesten Zeiten nicht geschnitten hat, während alle
"Wölf Steine geschnitten waren.
i Somit ergiebt sich als erster Grundsatz für die Be-
stimmung der Steine, dass es sich nur um solche handeln
un, welche der Steinschneider zu behandeln vermocht.
352 Zur Bestim. d. 12 Edelsteine am Amtsschild d. Hohenpriesters.
Das Steinschneiden führt uns aber in Aegypten zu jenen
frühen Zeiten zurück, dass nichts dem entgegensteht, nicht
anzunehmen, dass wenigstens zur Zeit des. König Salomo
die Steine den Amtsschild zu zieren vermocht, während
einige Gelehrte uns in Bezug auf den Bericht in spätere
Zeiten herabführen, da sie die Abfassung des Priester-
codexes und. somit des Berichtes Moses 2, Kap. 28 und 39
der Zeit des 9.—5. Jahrhunderts überweisen, ohne dafür
jedoch wirkliche Beweisgründe anzuführen.
Sodann vermag man für die Bestimmung der 12 edlen
Steine einige Beweise der Sprache zu entnehmen, denn
wenn das Ebräische selbst von dem Stein Saphir und
Jaschpah spricht, so ist der Saphir der Alten und der
Jaspis gegeben, und es ist unverständlich, wie hier
Kaurzsch wieder der Septuaginta allein folgt und Jasch-
pah mit Onyx übersetzt, da doch die Septuaginta neben
allen Vorzügen auch schwere Ungenauigkeiten aufweist,
wie die Lutherübersetzung, hervorgegangen aus Unkenntniss
und Neigung zur Verhüllung oder Wandlung des Urtextes.
Aber es schien mir noch ein drittes Moment zur Be-
stimmung der Steine erforderlich, und dieses glaube ich in
der Farbensymbolik gefunden zu haben. Durch mein
Studium der Einzelheiten der katholischen Kirche bin ieh
der Ueberzeugung geworden, dass, wie in der katholischen
Kirche die Symbolik die tiefere Bedeutung von Form un
Farbe erschliesst, auch die alte ebräische Kirche die
Symbolik als herrschendes Gesetz gekannt und geübt hat, —
wie das alte Aegypten in seinen kirchlichen Heiligthtimern
und den Attributen des Herrschers und deren Anwendung
roth, mit dem Blau-, Dunkelblau- und Violettschimmer, ®°
bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, dass die Edelstein® en
in den Farbenabstufungen von orange oder hellroth be
violett zu suchen sind. ne
Von Dr. Epm. VECKENSTEDT, 353
Ist hier nicht die Stelle, die Symbolik der Farben
näher zu bestimmen, so gehe ich nun sofort an die Wahl
der Steine, indem ich bemerke, dass ich nach Aufstellung
meines Prineipes der Bestimmung der Steine mieh zu unserem
Rabbiner begab, Herrn Dr. FessLer, weleher nicht nur die
Berechtigung dieser Anschauung sofort erkannte, sondern
auch mir mit allen Mitteln der semitischen Ueberlieferung
und Philologie behilflich war, die Wahl richtig zu treffen.
So ergab sich uns denn, da ich den Fehler der Septua-
ginta berührt, dass das Aramäische für die Bestimmung der
edlen Steine neben dem Urtext die besten Hülfsmittel bietet.
Und nun gehe ich auf die zwölf edlen Steine selbst
näher ein, allerdings nur in der Weise, dass ich die Er-
gebnisse meiner Forschungen gebe, die entsprechende ein-
gehendere Behandlung aber für eine Arbeit vorbehalte, welche
ich tiber die Paradiesbäume und ihre angeblichen Eben-
bilder bei den Chaldäern, Persern, Indern, Griechen, Nord-
sermanen und Norddeutschen in Kurzem veröffentlichen
werde.
Die Steine zerfallen in 4 Reihen, jede Reihe hat
3 Steine.
In Reihe 1 finden wir Odem, Piteda, Bareketh, wo-
für sich die Steine Sarder, Topas, Smaragd setzen lassen.
Ist Odem roth, so hebt Prmswws die rothe Farbe des
indischen Sard besonders hervor, während AGATHARCHIDES
ron der lieblichen Goldfarbe des Topases berichtet. Da
Nun das Aramäische bei Piteda nicht nur auf grün hin-
weist, sondern auch auf gelb, als Farbe der Gelbsucht, so
lässt, sich die Wahl des Topases an dieser Stelle sehr
wohl begründen. Haben sich uns bis jetzt die Farben roth
Und orange der edlen Steine ergeben, so würden wir nun
"ach dem Blau als Sehiller- und Purpurfarbe auszuseben
das Recht haben, was der Smaragd zu bieten vermag, denn
*8 redet uns Diodorus Sieulus von dem Smaragd in den
gängen, mit der Farbe des Himmels.
Die zweite Reibe bietet Nophech, Saphir, Jahalom.
Da der Saphir der Alten unserem Lapis lazuli entspricht,
welches Wort dem Arabischen entstammt und auf die Farbe
*® Himmels hinweist, so ist über diesen Stein ein Zweifel
TOOANAE 1, Yaturwisn.; Ba. 61, 108. 23
354 Zur Bestimm.d. 12 Edelsteine am Amtsschilde d, Hohenpriesters.
nicht wohl angebracht. Führt uns Jahalom wieder zu
einer Schillerfarbe, entspricht der sonstigen semitischen
Bezeichnung des Jahalom, also Kaschalong, der Sardonyx,
so werden wir auch von Seiten der Farbensymbolik aus
den Sardonyx zu setzen vermögen, welcher in seinen rothen
und braunrothen Lagen nicht nur die Grundfarben des
Purpurs, sondern auch der Schillerfarben bietet, da er von
dem Rothen zum Braunrothen hinüberschillert.
. Bei Nophech ist durch das Ebräische die Möglichkeit
geboten, zu der Farbe zu gelangen, welche mit Schminke
belegte Augenbrauen umspielt, danach zu Roth, bei dunklem
Untergrund. Nun hat der Karfunkel, oder lateinisch
Carbunculus, griechisch Anthrax, unser Rubin, seine Be-
zeichnung davon, dass gleichsam aus der schwarzen Kohle der
rothe Feuerfunke herausschlägt, welcher dem Karmesin
entspricht in seinen Beziehungen zu der Grundfarbe roth.
Demnach hat die zweite Reihe der Edelsteine
die Farben karmesin, himmelblau, mit Goldpünktchen,
rothbraun.
In Reihe 3 finden wir die edlen Steine Leschem,
Schebo, Ahlama.
Von diesen 3 Steinen weist die Verknüpfung von
Zaubern und Zauberwesen mit Ahlama auf denjenigen Stein
hin, welcher den Alten ganz besonders als ein Stein voll über-
natürlicher Kraft gilt, indem er durch die ihm innewohnende
Macht die Kraft des Zaubers bricht. Somit schmückt denn
der Amethyst in tiefsinniger Symbolik nicht nur den Ring des
Bischofs, sondern auch den Amtsschild des hohen Priesters-
Hat Herr Dr. Fessrer bei Stein Schebo Neigung, sich
für den Türkis zu entscheiden, so muss ich darauf bin-
weisen, dass die Septuaginta wie ihre Uebersetzer oder
Abschreiber den Achat haben, denn Josephus, de? hier
scheinbar abweicht, bietet, wie in Reihe 2 und 4 =
Steine nur in anderer Ordnung, so dass er den Achat n
Amethyst in gewandelter Stellung bringt. Was die -
scheidung nach der Farbe für den Türkis zu bestimmen z
mag, das wirft sich auch für den Achat in die Wagsch a
da der Türkis der Alten eben der Chrysolith ist, et
lith aber, wie sein Name bezeugt, nur in den Farben"
Von Dr. Epm. VECKENSTEDT. 355
stufungen von gelbroth zu roth anzunehmen ist, der Achat
aber nach seinen Lagen von Chalcedon, Jaspis und Horn-
blende die Farben von gelb zu gelbroth und braunroth er-
möglicht.
Für die Bestimmung von Stein 1 in Reihe 3 ist
es Herrn Dr. Fesster und mir bis jetzt nicht möglich ge-
wesen, andere überzeugende Beweise für die Wahl des
Steines zu finden, als diejenigen etwa sind, welche die
Farbensymbolik anzunehmen erlaubt. Haben wir bis jetzt
die Farben und Farbenabstufungen violett, und da wir
auf Türkis-Chrysolith zu verzichten haben, wie wir sogleich
sehen werden, braunroth, rothgelb, so würde als dritte
Farbe orange Einstimmung gewähren, wie sie der Stein
Ligyrion bietet, der Lynkurer oder gelbrothe Hyaeinth.
Reihe 4 hat die Steine Tharschisch, Schoham, Jaschpah.
Führt uns das Aramäische bei dem Stein Tharschisch
zu dem Meere und damit zu dessen Farbe, welche der
Südländer gern mit der Bezeichnung purpur belegt, wäh-
rend wir von der grünen Farbe des Meeres sprechen, wenn
düstere Wolken den Himmel bedeeken und der Sturm in
den Fluthen wühlt, von dem Blau des Meeres aber dann,
wenn es ruhig im Sonnenschein daliegt, von dem Gelb-
roth aber, welches wir auf der Höhe der leicht bewegten
Fluth erblicken, wenn die Sonne ihre goldenen Strahlen
darauf herniedergiesst, — so glauben unsere Uebersetzer
wegen des lautlichen Anklangs von Türkis und Thar-
schisch für den Türkis sich entscheiden zu sollen, also für
ünseren Chrysolith, wenn sie nicht einfach die Septuaginta
Sedankenlos abgeschrieben haben. Da nun aber auch das
Aramäische unseren Chrysolith, den Tüskis der Alten,
nzunehmen erlaubt, welcher nieht nur grün gefunden
wird, sondern auch gelb und hinüberschillernd bis zu dem
Taunen, 80 werden auch wir nach unseren Grundsätzen bei
der Auswahl der edlen Steine den Chrysolith zu setzen
keine lebhaften Bedenken tragen.
Für Stein 2 hat das Aramäische den Beryli. Von
dem Beryli wissen wir, dass derselbe in Aegypten gefunden
"ird, und zwar der edle, durchsichtige, dass sein Haupt-
fundort aber nach Prinivs Indien ist. i
2 *
356 Zur Bestimm. d. 12 Edelsteine ete. Von Dr. VECKENSTEDT.
Der Stein Schoham ist derjenige, weleher den Namen
des Joseph trägt, also es ist der Stein dieses Stammes.
Noch immer ist Ophir, wohin König Salomo seine
Schiffe mit dem befreundeten Hiram sandte, am wahrschein-
lichsten in Indien zu suchen, indische Waaren und sicher
auch edle Steine aus Indien kennen zu lernen hatten die
Israeliten in Aegypten, ebenso wie die edlen Steine
Aegyptens, mebr als vorübergehend Gelegenheit, um zu
wissen, dass der Beryll nicht nur in Aegypten gefunden
wird, sondern auch, dass der Hauptfundort dieses edlen
Steines Indien ist.
Somit glaube ich mit jenem Recht, welches die ruhig
wägende Forschung auszuüben erlaubt, sagen zu können,
dass wir über Lexormants Ueberfluss von Uebersetzungen
des Steines Schoham mit derselben Ruhe hinwegschreiten
dürfen, wie über die Verlegenheit von Kaurzscn, welcher
von den zwölf Steinen wie bemerkt, elf nicht nach dem
Ebräischen, sondern nach der Septuaginta übersetzt, den
Stein Schoham überhaupt nicht, also auch nieht einmal
nach der Septuaginta.
Ist der Stein Jaschpah schon den Lauten nach der
Jaspis, so weist das Aramäische auf die Abart desselben,
den Pantherstein hin, mit seiner Farbengluth, in den Ab-
stufungen von gelbroth bis braun. Demnach ist es nieht zu
verstehen, dass Kautzsch auch hier die Septuaginta ab-
schreibt und statt des Jaspis den Onyx setzt, welchen
unsere Bücher als einen Stein mit grauen oder mit schwärz-
lichen Lagen oder mit schwarzen und weissen Lagen angeben.
Somit haben wir die Farben und Farbenabstufungen
goldgelb, gelblich bis braun, und braungelb bis blutroth.
Ob mit dieser Arbeit bereits alle Steine als genau be-
stimmt gelten können, das muss ich der Zukunft anheim
geben, sicher aber erscheint mir das Ergebniss dieser
Untersuchung, dass wir die Möglichkeit gewonnen haben,
zu wissen, welche Steine auszuschliessen, welche mit Be-
stimmtheit, welchemithoher Wahrscheinlichkeit zusetzen sin
Ueber das System der Pflanzen.
Von
Dr. Erwin Schulze.
In der von F. Pax bearbeiteten neunten Auflage von
Prantr’s Lehrbuch der Botanik (Leipzig, EnseLmann, 1894)
S. 133—134 ist der systematischen Uebersicht des Pflänzen-
reiches folgendes System zu Grunde gelegt, „weil die hier
gegebene Eintheilung dem gegenwärtigen Stande der
Morphologie und Verwandtschaftslehre am besten zu ent-
sprechen scheint“:
1. Abth. MYXOMYCETEN.
2. Abth. THALLOPHYTEN.
1. Kl. Schizophyten.
2. Kl. Peridineen.
3. Kl. Baeillariaceen.
4. Kl. Algen.
5. Kl. Fungi.
3. Abth. ARCHEGONIATEN.
t. Kl. Bryophyten.
1. Unterkl. Hepaticae.
2. Unterkl. Musei.
2. Kl. Pteridophyten.
1. Unterkl. Filieinen.
2. Unterkl. Equisetinen.
3. Unterkl. Lyeopodinen.
4. Abth. PHANEROGAMAE,
1. Kl. Gymnospermen.
1. Unterkl. Cycadeen.
2. Unterkl. Coniferen.
3. Unterkl. me.
2. Kl. Angiosperm
3. Unterkl. Monchstziedentt.
2. Unterkl. Dikotyledonen.
358 Ueber das System der Pflanzen.
Die Myxomyceten sind hier offenbar deshalb von den
Thallophyten abgesondert und als besondere Hauptabthei-
lung aufgestellt, weil der Begriff des Thallus sich nicht
wohl auf das Plasmodium derselben anwenden lässt. Eben-
sowenig lässt er sich aber auf manche „Thallophyten“,
nämlich auf die einzelligen Pflanzen und auf die in Stamm
und Blätter gegliederten Characeen anwenden, während er
auch auf manche nicht zu den „Thallophyten” gehörige
Pflanzen, nämlich auf die frondosen Lebermoose und sogar
auf einige Samenpflanzen, z. B. Lemma, passt. Unter
diesen Umständen dürfte es sich empfehlen, den Namen
Thallophyta nicht mehr zur Bezeichnung einer systematischen
Hauptabtheilung zu verwenden, sondern nur noch als
morphologisches Prädikat für die nicht in Stamm und
Blätter gegliederten (mehrzelligen) Pflanzen beizubehalten.
Solche Widersprüche zwischen Wortsinn und systematischer
Bedeutung haften den Namen „Mycophyta“ und „Phyeo-
phyta® nicht an, die, weil sie kein bestimmtes Merkmal
angeben, auf alle Pflanzen passen, die man damit be-
zeichnen will, also auch auf die vielgestaltigen Abtheil-
ungen der pilzartigen und der algenartigen Pflanzen, für
die es einen charakterisirenden Namen nicht geben kann,
weil sie kein Merkmal haben, das allen Gliedern gemein-
sam wäre.
Die Abtheilung der Archegoniaten erscheint durch den
Besitz des Archegoniums nicht hinreichend charakterisirt,
da dies Organ auch bei den Gymnospermen deutlich und
bei den Angiospermen als Eiapparat rudimentär vor
handen ist und bei den Tballophyten sein Homologon
in dem Oogonium hat. Deshalb und wegen des sehr ver-
schiedenen Verhaltens beztglich des embryonalen Gene
rationswechsels erscheint es rathsam, die Bryophyten un
die Pteridophyten nicht als blosse Klassen in einer Haupt-
abtheilung der Archegoniaten zusammen zu fassen, sondern
jede der beiden Gruppen als besonderes Phylum ee
zu lassen, wie es ja auch die meisten Systematike"
thun. Dadurch wird es auch vermieden, dass so wesentlie
verschiedene Pflanzentypen wie die Filicinen, Equisetinet
Von Du ERWIN SCHULZE, 359
und Lycopodinen durch das Schema des Systems auf den
Rang von Unterklassen herabgedrückt werden.
Ueber das Verhältniss der Gymnospermen zu den
Pteridophyten urtheilt K. Gozseı, (Specielle Pflanzenmorpho-
logie, Leipzig, EnseLmann, 1882, p. 1): „Es würde unsern
heutigen Anschauungen ebensogut und vielleicht noch besser
entsprechen, die Gymnospermen [anstatt sie mit den Angio-
spermen zu einer Abtheilung der Samenpflanzen zu ver-
einigen) einfach den Gefässkryptogamen anzureihen, mit
denen sie, die Samenbildung und die Art und Weise der
Befruchtung (durch Pollenschläuche, nicht durch Sperma-
tozoiden) ausgenommen, alle charakteristischen Merkmale
gemeinsam haben; vor allem die Art und Weise der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung ist der Hauptsache nach bei
beiden dieselbe.“ Der durch die Art der Befruchtung und
durch die Samenbildung bedingte Unterschied von den
Farnpflanzen lässt es jedoch angemessen erscheinen, die
Gymnospermen nicht einfach den Pteridophyten einzuordnen,
sondern als besonderes Phylum zwischen den Pteridophyten
und den Angiospermen einzuschalten.
An die Gymnospermen schliessen sich von den
Angiospermen die Dikotylen durch die Zahl der Keim-
blätter und durch Uebereinstimmung in der Gewebebildung
(durch das Verhalten derBlattspurstränge, Borkebildung u.a.)
zunächst an, so dass die Monokotylen die letzte Klasse im
Systeme bilden.
Um die Benennung der Phylen so weit als thunlich
gleichförmig zu machen, könnte man den Namen „Angio-
Spermae“ durch den gleichbedeutenden Namen „Carpo-
Phyta“ ersetzen,
Die nachstehende Anordnung der Pflanzen in 6 Phylen
wit 24 Klassen besitzt wohl gegenüber dem Prantz - Pax’-
schen Systeme bei gleicher Harmonie mit den That-
sachen der Morphologie, den Vorzug einfacherer Gliede-
"ing und somit grösserer Uebersichtlichkeit.
1. ph. MYCOPHYTA.
1. Kl. Myxomycetes.
2. Kl. Schistomycetes.
3. Kl. Phycomycetes.
360 Ueber das System der Pflanzen.« Von Dr. Erwin SCHULZE.
4. Kl. Mesomycetes.
5. Kl. Ascomycetes.
6. Kl. Basidiomy cetes.
ph. PHYCOPHYTA.
7. Kl. Schistophyceae.
8. Kl. Peridinea.
9. Kl. Diatomaceae.
10. Kl. Conjugatae.
11. Kl. Chlorophyceae.
12. Kl. Characeae.
13. Kl. Phaeophyceae.
14. Kl. Rhodophyceae.
. ph. BRYOPHYTA.
15. Kl. Hepaticae.
16. Kl. Musei.
. ph. PTERIDOPHYTA.
IU.RL Goniopteriden.
18. Kl. Bryopte
19. Kl. Phyilopterides.
5. ph. GYMNOSPERMAE.
20. Kl. Cycadaceae.
21. Kl. Coniferae.
22. Kl. Gnetaceae.
ph. CARPOPHYTA.
23. Kl. Dieotylae.
24. Kl. Monocotylae.
Die Klassen 1—14 kann man als Haplophyta,
(wegen der bei ihnen in mehreren Abstufungen =
tretenden embryonalen Generation) als Embryopbyta, 15
bis 19 als Diphyophyta oder Digenneophyta (mit Bezu&
auf. die zwei verschiedenen Generationen), 20-24 ala
Spermophyta zusammenfassen, die Klassen 1724 als
Rhizophyta oder Angiophyta (Wurzelpflanzen oder Gefäss
pflanzen). Die Myxomyceten sind nach dem Urtheile
neuerer Mycologen von den pilzartigen Pflanzen abzu
sondern; sie bilden.danaech ein eigenes. > „Moophyta
nn
ba
os
Ha
er
1524
Mleinere Mittheilung en.
Mathematik und Astronomie,
Nene Riesen-Fernrohre. Das Riesen-Fernrohr der
neuen Sternwarte in Chicago (vergl. die Mittheilung auf
Seite 111 dieses Bandes), das mit seinem Objektiv-
‚durehmesser von 1,16 m (40 engl. Zoll) das Fernrohr der
Lieksternwarte um 101 mm übertrifft, wird nun auch bald
überholt sein. Den neuesten Nachrichten zufolge, soll in
P ittsburgh ein noch grösseres Fernrohr aufgestellt werden,
welches einen Objektivdurchmesser von 1,27 m (50 engl.
Zoll) erhalten soll, nachdem sich zwei Herren, Axprew
Carseeıe und H. Purers jun, gefunden haben, welche
die Kosten, die über 60000 Mark betragen, decken wollen.
Die Anfertigung wird dem berühmten optischen Institut
von BRASHEAR in Pittsburgh übertragen werden. Aber auch
in Deutschland rührt man sich jetzt und wird vielleicht in
kürzester Zeit die amerikanischen Leistungen überflügelt
"aben. Wie Dr. Arcuksuorn aus Berlin auf der dies-
Jährigen Naturforscherversammlung in Wien mittheilte,
sollen, da die finanziellen Schwierigkeiten nunmehr als ge-
oben zu bezeichnen sind, zwei Riesenfernrohre für Berlin
. gebaut werden, von denen das eine ein Objektiv von 44
Zeil (1,15 m), das andere ein solches von 50 Zoll (1,37 m)
besitzen wird, während die Brennweite bei dem ersteren
‘a8 vier- bis fünffache, bei letzterem das Dreissigfache be-
tragen soll. Die berühmte Jenenser Glasfabrik Schott und
Genossen hat sich seit einiger Zeit für die Herstellung
von Gläsern riesiger Dimensionen eingerichtet, und es ist
geglückt, Scheiben zu erzeugen, welche die nöthigen
Dimensionen besitzen. So sind gegenwärtig 10 Scheiben
362 Kleinere Mittheilungen.
vollendet, deren Durchmesser zwischen 1,26 m und 1,37 m
schwanken. Um die Kosten der Kuppel herabzudrücken,
hat Dr. ArcHExHoLD eine ganz neue Construction erdacht,
die er ebenfalls in Wien den Fachgenossen erläutert hat.
Die Helligkeit des verfinsterten Mondes. Auf der
jährigen Naturforschery lung entwickelte Professor
Dr. Joser v. HeppeRGER auf Grund der von Herrn Prof.
G. MüLLeR ausgeführten spektralphotometrischen Messungen
der Strahlung der Sonne bei verschiedenen Zenithdistanzen
eine Formel für die Schwächung des Lichtes beim Durch-
tritte durch die Atmosphäre und zeigte, wie sich hieraus
die Intensität der Beleuchtung für irgend einen Punkt im
gegebenen Abstande vom Schattencentrum bestimmen lässt.
Ein Vergleich der von Professor Sararık gelegentlich der
Finsternisse vom 23. August 1877 und vom 15. November
1891 geschätzten Helligkeit der Mondscheibe mit der
theoretisch bestimmten Helligkeit lieferte eine be-
friedigende Uebereinstimmung.
Die Strahlung der Sonne. Ueber die seitens der
Erde von der Sonne empfangene Wärme haben HoupaiıE
und SimicHon seit 11 Jahren regelmässige Beobachtungen
angestellt, aus denen sich ergab, dass die Strablung im
Dezember am schwächsten ist. Sie nimmt von da be
ständig zu, um im Monat April ein Haupt-Maximum zu €"
reichen, vermindert sich dann und kommt in den Monaten
Juni und Juli zu Werthen, die kaum höher sind, als die-
jenige des März. Im August nimmt sie noch mehr ab, um
dann regelmässig bis zum Dezember zu sinken. Man sieht,
wie abweichend das Bild vom Gange der Lufttemperatur
ist, die durch andere Faktoren heherrscht wird, besonders
hervorzuheben würde dabei sein die veränderte Stellung
der Sonne zum Horizont; im Sommer fallen die Strahlen
senkrechter auf, es werden daher die gleichen Flächen
von einer grösseren Anzahl von Strahlen getroffen, und sie
erfahren daher eine höhere Erwärmung.
Kleinere Mittheilungen. 363
Chemie und Physik.
Directe Verwandlung elektrischer Energie in
Lieht. Die neueren Versuche des berühmten Elektrikers
Tesıa mit Strömen von sehr hoher Spannung erregen das
grösste Interesse. TeszA arbeitet mit Wechselströmen von
mehreren hunderttausend Volt Spannung und Millionen
Wechsel pro Sekunde, wie wir im vorigen Bande auf Seite
391 eingehend mitgetheilt haben. Die Schwierigkeit, solche
Ströme aus Strömen geringerer Spannung zu erzeugen, besteht
darin, dass die hierzu nöthigen Transformatoren in einem
vollständigen und nichtleitenden Dielektrieum arbeiten
müssen. Die atmosphärische Luft ist hierzu untauglich, und
Tesra hat daher seinen Apparat in Oel eingebettet, aus
dem er durch Erhitzen auf hohe Temperaturen alle Lutt-
blasen verdrängt.
Tesıa hat nun neuerdings Glühlampen hergestellt, die
sich von den bisherigen dadurch unterscheiden, dass sie nur
einen Zuleitungsdraht haben. Dieser endet innerhalb der
luftleer gemachten Glasbirne in einer kleinen Kugel aus
Kohle oder Rubin; der Strom ist also ungeschlossen, und
dennoch wird das Kügelchen zum Glühen und Leuchten ge-
bracht. Diese Lampen haben aber den Uebelstand, dass
die Glühkörper durch die Wirkungen der raschen Schwing-
"ngen in ihrem feinsten Bau fortwährend stark erschüttert
\nd daher bald zerstäubt werden. Ja es konnten mittelst »
dieser Elektrieitätserregung in luftleeren Röhren sowie
sewöhnlichen Glühlampen ohne metallische Verbindung mit
der Elektrieitätsquelle prächtige Lichtwirkungen hervor-
gerufen werden: durch das kräftige elektromagnetische
Feld werden isolirte Elektromotoren in Bewegung gesetzt.
Der Kohlenfaden der Glühlampen, welcher bisher durch
Seinen Leitungswiderstand zum Glühen gebracht wurde und
°0 das Glühlicht erzeugte, ist überflüssig; Drähte und
Netallstücke wie auch ein Vacuum leuchten in der Nähe
der Blektrieitätsquelle ohne eigentliche Stromleitung.
Einen Universal-Elektrod; ter demonstrirte
Professor ZiCKLER-Brünn auf der diesjährigen Natur-
364 Kleinere Mittheilungen.
forscherversammlung. Dieses elektrische Messinstrument
ist ein Torsions-Elektrodynamometer, bei welchem die be-
weglichen und festen Windungen aus mehreren Abtheilungen
von verschiedenen Querschnitten und verschiedenen Wind-
ungszahlen bestehen. Das bewegliche Gewinde dreht sich
um eine vertikale Axe auf einer in Stein laufenden Stahl-
spitze. Durch verschiedene, am Instrument vorzunehmende,
einfache Schaltungen kann dasselbe als Strommesser (von
0,1—100 Ampere), als Spannungsmesser (je nach Vor-
schaltewiderstand von 5—600 Volt) oder als Energiemesser
(bis 100 A. >< 500 V. = 50000 Watt) sowohl bei Gleichstrom,
als auch bei Wechselstrom benutzt werden.
Ein neues Halbschattenprinzip hat Professor Dr.
Lummer - Charlottenburg in Wien auf der diesjährigen
Naturf.-Versammlung in seinem Vortrage über die Bedeutung
der Photometrie bei den Halbschattenapparaten entwickelt.
Bringt man zwischen die Fernrohre eines Speetrometers ein
totalreflectirendes Prisma, dessen Hypothesenfläche theil-
weise versilbert ist, bringt Nicor/sche Prismen vor den
Spalt des Collimators und vor den Oeularspalt, so bilden die
Silber- und Totalreflexionsfelder zwei Halbschattenfelder.
Hierdurch wird das bei den bisherigen Apparaten übliche
kostspielige grosse Objeetivnicol vermieden.
Die direkte Umwandlung der chemischen Energie der
Kohle in elektrische. Die Dampfmaschine gestattet nUF
eine geringe Ausnutzung der chemischen Energie der Kohle.
Nur 10 Prozent derselben sind dabei in mechanische Energie
überführbar. Es ist daher schon lange in der Technik der
Wunsch nach einer billigeren Energiequelle rege geworden
und eine ganze Anzahl von Vorschlägen sind gemacht
worden, um dieses Ziel zu erreichen. E
Dahin gehört z.B. die Einführung der Gaskraftmaschine,
die sehr gute Resultate geben. 2
Neuerdiugs ist nun von Prof. OstwaLo in Leipzig ee ;
rauf hingewiesen worden, dass vielleieht die Eleetroehemi® n
im Stande sein würde, die grosse Aufgabe, billige knergi® =
Kleinere Mittheilungen. 365
zu beschaffen, zu lösen und zwar mit Hilfe eines Elementes,
welches gestattet, mit Hilfe von Luft-Sauerstoff und
Kohle elektrische Energie zu erzeugen.
Auf der ersten Versammlung der Deutschen elektro-
chemischen Gesellschaft (Nov. 94) konnte Dr.W. Borchers eine
Anzahl von Versuchen mittheilen, die er in dieser Richtung
unternommen hat und die für den Anfang recht erfreuliche
Resultate ergeben haben.
Er hat eine Gaskette konstruirt aus Kohlenoxyd, einer
sauren Lösung von Kupferchlorür und Luft. Dabei gehen
folgende Reactionen vor:
D) An dem CO-Pol:
2Cu Ci + CO = Cu, Cl, CO
Cu, C, CO +H,0=2Cu+2HCl +C0O,
II) An dem Luft-Pol:
- 2CuC1+0+2HC1l=2CuCl,, +H,0
Die Reaetionsprodukte von I und II reagiren nun mit ein-
ander in folgender Weise:
2Cu+2Cul, =4CuCl
Der Elektrolyt bleibt also bei diesem Element unverändert,
das Kohlenoxyd wird in Kohlensäure übergeführt und die
Energie, die bei diesem Vorgange frei wird, tritt wenigstens
zum Theil in Form von Elektrieität auf. Borchers erhielt
»wischen 26 und 38 Prozent der berechneten Energie.
- Er verwendete nun nicht reines Kohlenoxyd, sondern
*08. Generatorgas, ein Gemisch von Kohlenoxyd und Wasser-
stoff, welches man erhält, wenn man Wasserdampf über
glühende Kohlen bläst; ja selbst Leuchtgas, welches nur
Ungefähr 4 Prozent CO enthält, liess sich mit Erfolg ver-
werthen, Weniger günstig waren die Resultate bei An-
Wendung von staubförmiger Kohle.
Wenn diese Anordnung bei der technischen Verwerthung
*ne gleich gute Energieausbeute gestattet, so stehen wir
vor einer vollkommenen Umwälzung unserer Technik.
Dr. R. Schenck, Vereinssitzung am 6. Dez. 189.
Ueber ultraviolette Absorptions- und Emissions-
Peetren. Regierungsrath Direktor J. M. Ian - Wien Se
ir Sul * Try r q 5 BRAUNER r
fehtete auf der
366 Kleinere Mittheilungen.
eine Reihe von Speetraluntersuchungen, die er in Gemein-
schaft mit E. VArLEnta angestellt hatte. Es wurden
Speetrumphotographien mittelst des Quarzspectrographen
hergestellt, die Absorptionsspeetren der neuen optischen
Jenenser Gläser, sowie von farbigen Glasflüssen bekannter
Zusammensetzung studirt; letztere gehorchten der Kuxpt-
schen Absorptionsregel. Von verschiedenen Elementen (Na,
K, Li, Ca, Ba, Cd etc.) wurdeu Flammen-, Funken- und
Bogenspectren untersucht, der Verlauf der Bunsen’schen
Flammenreactionen im Ultraviolett ermittelt und über 200
Wellenlängenbestimmungen gemacht. Es ergaben sich Regel-
mässigkeiten bezüglich der Emissionsspeetren bei steigender
Temperatur. Die Mascarr ’schen, sowie Kayskr-RunGE-
schen Numerirungen der Cadmiumlinien wurden reetifieirt.
Ferner entdeckten sie ein neues Bandenspectrum des Queck-
silbers und stellten dessen Linienspeetrum sicher. Da das
Molekül des Quecksilberdampfes nur aus einem Atome
besteht, so ergiebt sich aus jener Beobachtung die Unbalt-
barkeit der Loxyer’schen Theorie der Bandenspeectren, die
er dem Molekül zuschreibt; auch WUELLNER'S Theorie wird
hiermit hinfällig. Die Bandenspectren sind vielmehr auch
an Vibrationen der Atome, resp. deren Aetherhüllen ge
bunden. Die diesbezüglichen Wellenlängenmessungen und
heliographischen Speetrumphotographien sind in den Denk-
schriften der Akademie der Wissenschaften in Wien publieirt-
Sulfide des Phosphors. Nach einer Untersuchung von
A. Herrr scheicen die bisher angenommenen Verbindungen
P,S und P,S, nicht zu existiren. Von den Sulfiden P, Sy,
P,S,, P,S,, P,S,, P,S, bildete sich das erste glatt beim Er-
hitzen der abgewogenen Mengen von Schwefel und Phos-
phor über 160°. Bei dem Versuche, das zweite ebenso zu
erhalten, ergab sich ein Gemenge von P,S, mit PS
Das dritte und das vierte Sulfid konnten wieder leicht 8°
wonnen werden. Demnach würden die Verbindunget
P,S;, P,S,, P,S,, P,S, als existirend anzusehen sein, ne
sich auch bei der Bestimmung der Dampfdichte bestätigt
Zeitschr. f. phys. Chem. XI, 196,
nach Jahrb. f. Naturw. 9. Jahrg.
Kleinere Mittheilungen. 367
Mineralogie und Geologie.
Neues Vorkommen von Eisenboraeit. In der Nähe
von Roschwitz bei Bernburg findet sich über der Carnallit-
Etage eine Ablagerung von Hart-Salzen, die sich aus
Sylvin, Kieserit und Steinsalz zusammensetzen. Darüber
folgt Anhydrit, in dessen Liegendem Butzen von Kainit,
Caruallit und Kieserit vorkommen. In diesen Letzteren
finden sich grüne Eisenboraeite in den Formen + Te-
traöder, Würfel, Rhombendodeka&öder und Hexakiste-
traöder 5 03
Prof. Lurpecke, Vereinssitzung am 8. Febr. 189.
Härtebestimmung der Minerale. Durch entsprechende
Modification eines zuerst von Professor Dr. F. Tovra an-
sewendeten Prineips der Härtebestimmung durch Schleifen,
welche darin besteht, ein gegebenes Quantum Schleif-
material auf einer ebenen Glas- oder Metallunterlage bis
zur Unwirksamkeit zu zerreiben, gelangte Priv.-Doe.
Rostwar-Wien dazu, zunächst für die Glieder der Mous’schen
Härteskala neue Relativwerthe zu gewinnen. Als Ver-
Sleichsmaassstab wählte Rosıwar die Härte des reinen
Korunds, welche = 1000 gesetzt wurde, und gelangte so
zu folgenden Zahlenwerthen:
10 Diamant 140000
9 Korund 1000
8 Topas 194
7 Quarz 175
6 Adular 59,2
5 Apatit 8
4 Flussspath 6,4
3 Galeit 5,6
2 Steinsalz 2
1 Talk 0,04
* Zwischen 2 und 3 schaltete BREITHAUPT den Talk-
glimmer, zwischen 5 und 6 den Skapolith als Zwischen-
.
368 Kleinere Mittheilungen.
Die Zahlenwerthe sind Durchschnittshärten, gefunden
aus mehreren durchschnittlichen Flächenhärten.
Ein besonderes Verfahren musste zur Bestimmung der
Härte des Diamants angewendet werden, indem die durch
gleiche Mengen Diamant- und gleich grosser Korundsplitter
an demselben Probekörper (Korund, Topas, Quarz) erzielten
Substanzverluste in Verhältniss gesetzt wurden.
Naturf. Vers. zu Wien 189.
- Grosse Gipskrystalle. Ueber ein sehr merk würdiges
Vorkommen von Gips (Selenit) macht J. E. TALMmAGE aus
dem südlichen Utah Mittheilung (Seiencee XXI, 85). In
einer Höhle daselbst, gebildet von einer Gipsschale, sind
die Innenwände und der Boden von Selenitkrystallen aus
gekleidet, welche frei in das Innere der Höhle hervorragen,;
da die Mineralmasse, in welcher sie eingebettet waren,
sehr verwittert und meistentheils nur noch in geringen
Resten vorhanden ist. Bis zu einer Tiefe von 8'J, m war
die Höhle gangbar, weiter konnte Tarmace nicht vordringen,
weil die Krystalle von allen Seiten zu weit in die Höhle
hineinragten und einzelne sogar die ganze Höhle balken-
artig durchquerten. Auch vem Boden aus, der von hinem-
gewehtem Sande bedeckt ist, starrten die Krystalle in die
Höhe. Ein Blick zum Gewölbe der Höhle zeigt ein
von grossen Prismen und gewaltigen Balken von riesigen
Dimensionen, sodass man an das Balkenwerk eines Berg“
werkstollen erinnert wird. Von den in das Museum vol
Salt-Lake City übergeführten Exemplaren dieses seltenen
Fundes besitzen manche eine grosse Regelmässigkeit in der
Ausbildung. Darunter befinden sich vollkommene Prismer
von 1—5 Fuss Länge. Einer der regelmässigsten Krystalle :
ist 4 Fuss lang, und seine weitesten Flächen haben 6 zl
Durchmesser. Auch hat man Tafeln von 6 Fuss Länge
und 2'/, Fuss Breite in der Höhle abspalten könneN.
Krystallprismen bis zu 100 Pfund Schwere sind keine
Seltenheit; eine angebrochene Krystallstufe hatte ee |
Gewicht von -600 Pfund; bis jetzt sind bereits gegen 2!
prachtvofler Krystalle gebrochen und verfrachtes worden
Jahrbuch f. Naturw. 93/94 .
Kleinere Mittheilungen. 369
Botanik und Zoologie,
Kreuzungen eines europäischen Wildebers mit einem
Bündener Schwein, Bekanntlich sucht Herr Jur. Kuznx
seit langer Zeit schon methodisch die Beziehungen unserer
Hausthiere zu den stammverwandten Wildformen vermittels
der Kreuzung bezw. Bastardirung zu eruiren.
Die Abstammung unseres Hausschweins, scweit da-
mit das jetzt fast verschwundene deutsche Landschwein
gemeint ist, ist zur Genüge durch die klassischen Unter-
suchungen eines Herrmann von Naruusıus klargelegt.
Immerhin war es interessant zu untersuchen, wie sich
die Paarungsprodukte der Wildschweine, das europäische
Wildschwein ist nämlich der Stammvater der deutschen
Landrassen, und Hausschweine verhalten.
Ein Hauptaugenmerk sollte die Zeichnung der Jugend-
kleider der Kreuzungsthiere sein.
Bekanntlich trägt unser junges Wildschwein Livree,
so von den Jägern genannt, ein Ausdruck, den die Wissen-
schaft für die streifige Schutzfärbung der Frisehlinge
adoptirt hat.
Dass es sich in unserem Falle nicht um das eigentliehe
deutsche Landschwein, sondern um eine Form der ro-
manischen Schweine handelt, ist für das Folgende ziemlich
gleichgültig.
\ Die erwachsene Sau ist das Produkt der Kreuzung
eines männlichen europäischen Wildschweines, welches jetzt
m Hausthiergarten noch lebt, und einer Büindener Sau.
. Die jungen '/,-blütigen Thiere dieser Abstammung
sind gleich unseren wilden Frischlingen gestreift, gleichen
Im Habitus vollkommen jungen Wildschweinen und haben
von der Mutter nur ein weisses Stirnabzeichen ererbt,
Welches mit dem wachsenden Alter sehr an Grösse zuge-
Nommen hat, sodass der grössere Theil des Kopfes des
erwachsenen Thieres weiss von Farbe ist.
a Von weit grösserem Interesse war es nun die Frucht-
barkeit der gewonnenen 2/,-blütigen Thiere, und das Ver-
halten der eventuell zu gewinnenden ?/,-blütigen Wild-
. ‚Schweinkreuzungen zu studieren. Es wurde Familienzucht
= rift f. Naturwiss. Bd. 67. 1894
370 Kleinere Mittheilungen.
zucht getrieben und Bruder und Schwester eines Satzes
mit einander gepaart. Die Paarung hatte Erfolg, es wurden
6 2/,-blütige Kreuzungsthiere geboren.
Trotz der heterogenen Paarung waren die gefallenen
Jungen beim Halbblut äusserst conform, die jungen
Schweinchen zeigten kaum Unterschiede, höchstens in der
weissen Zeichnung der Stirn.
Ganz anders verhält es sich mit dem ?/,-Blut.
Die vier gestreiften Individuen gleichen im allgemeinen
ganz ihren !/,-blütigen Verwandten, aber auch hier finden
sich schon Differenzen, so ist das eine Schweinchen be-
deutend heller gefärbt, während ein gelbes und ein
weisses Ferkel fast als nicht zum Satz gehörig er-
scheinen.
Bei beiden Thieren ist die Streifung nur andeutungs-
weise noch vorhanden, und hier und da findet man schwarze
Flecken mehr oder weniger regelmässig in die Streifung
eiugereiht.
Wohl bekannt ist der Umstand, dass — zumal bei hete-
rogener Kreuzung — bereits im ?/,-Blut, noch mehr Im
ta, ®/ıs- u.8. w. -Blut grössere Differenzen — Inconstanzen
— vorkommen.
Aus diesem Grunde verwarfen die alten Constanz-
theoretiker, deren Lehre in dem Hauptsatze gipfelte: „Nur
reine Rassen vererben sicher‘, die Kreuzung ganz und gar;
sie hatten dasselbe wie hier schon lange beobachtet und
kamen zu dem Schluss, dass auf solche Weise nie ein WO
consolidirter Thierstamm gewonnen werden könnte. i
Aus der an und für sich riehtigen Beobachtung wUf R
dieser falsche Schluss gezogen; aber gerade bier ist 2
denkenden Landwirthe und Züchter, der sein Zuchtziel "=
vor Augen hat, Gelegenheit geboten, durch vorsichtige Zuel
wahl zu ebenso hervorragenden Resultaten zu gelangen, W
bei der Reinzucht, sehrwohl kann man vermittels der Kreuzung
zu wohl consolidirten und eonformen Stämmen, Zuehten
Rassen gelangen und ist schon zu solchen gelangt des: =
Kurz zusammengefasst lehrt dieser Fall nz ;
„je heterogener die Kreuzung, um 80 unsicherer 8 vo
Erfolge, je homogener, um so sicherer!“ Es wäre also a
Kleinere Mittheilungen. 371
allzu heterogener Kreuzung zu warnen, doch ist der Fall
nicht ausgeschlossen, dass auch bei sehr vorsichtiger Aus-
führung derselben Resultate zu erzielen sind.
Der hier vorliegende Fall ist zu finden in der Nr. IV
des XXI. Jahrganges der Deutschen landw. Presse, Berlin,
Verlag von P. Parrr.
Dr. von Spillner, Vereinssitzung am 31. Mai 94.
Ueber die Walfische.') Kleinere Arten dieser Thiere,
die Tümmler oder Meerschweine, findet man auch an unseren
Küsten, mitunter in grossen Massen. Ihr Körperbau ist,
wie der aller Wale, äusserst zweckmässig. Der Schwanz
ist das Muster einer Schiffsschraube, mit den beiden Hinter-
flossen werden drehende Bewegungen gemacht, und das
schnelle Schwimmen wird dadurch erleichtert, dass die
Haut nackt ist. Nur bei jungen Thieren und vereinzelt
auch bei älteren findet man noch einige Borsten am Kiefer,
Der ganz junge Embryo hat, was erst kürzlich festgestellt
wurde, Beine, die sich aber sehr rasch zurückbilden. Diese
Thatsache zeigt deutlich, dass ein Landthier sich allmählich
dem Leben im Wasser angepasst hat. Das Blut ist 37 bis
40) Grad warm. Geräth der Tümmler bem Verfolgen von
Fischen in ein Netz, so wird er später todt emporgezogen;
er ist einfach im Wasser ertrunken, denn die Wale sind,
da sie durch Lungen atlımen, an die Oberfläche des Wassers
gebunden. Hier suchen sie somit auch ihre Nahrung: Fische,
die in Massen vorkommen, wie Heringe und Makrelen;
Crustaceen und Schnecken; Plankton.
Man theilt alle Wale in Zahn- und in Bartenwale.
Letztere sind die Riesen. Zu ihnen gehört zunächst der
stönländische Walfisch, der mit 40 bis 50, selten 60
Fuss Länge wohl der längste ist, und einen gewaltigen
Umfang und ein Gewicht von 200 bis 300 Oentnern erreicht.
Besonderen Werth verleihen ihm seine vorzüglichen Barten,
Hornplatten, die in der Zahl von 350 an jeder Seite des
üngeheuren Maules von dem Zahnfleisch lose herabhängen
' und bis yu 4 Meter lang werden. Sie sind an ihrem oberen
Fe RE
0 Nach einem in der geographischen Gesellschaft zu Berlin ge-
haltenem Vortrage (Tägl. Rundschau) des Geh.-Rath Prof. Dr. MoeBıus.
24%
312 Kleinere Mittheilungen.
Ende lebendig, d. h. sie haben Blutgefässe. Im ihrer Mitte
bleibt kaum noch Raum für einen menschlichen Finger,
und diese Oeffnung kann noch durch besondere Platten ver-
schlossen werden. Diese Barten dienen dem Thiere zum
Filtriren seiner Nahrung, die aus kleinen Krebsen, Diatomeen
und Schnecken besteht. Den Barten entsprechen bei den
Wiederkäuern übrigens gewisse Falten am Gaumen. Be-
merkenswerth ist es auch, dass der Embryo des Bartenwals
bis zum dritten Theil seiner embryonalen Lebenszeit Zähne
hat. Durch ihre beiden Nasenlöcher stossen die grönlän-
dischen Walfische nicht Wasser, wie man früher glaubte,
sondern gewaltige Dampfstrahlen aus, da sie fortgesetzt
wassergeschwängerte Luft einathmen. Die Jungen, gewöhn-
lich nur eins, haben bei der Geburt schon den dritten Theil
der Grösse von Erwachsenen. Vor 200 Jahren lebte der
grönländische Walfisch noch eireumpolar im nördlichen Eis-
meere. Von 1660 bis 1795 aber haben die Holländer 71900
Walfische erlegt, von 1670 bis 1790 die Hamburger 9900,
in der Davisstrasse von 1814 bis 1870 die Engländer 5000.
So ist das Thier auf der östlichen Erdhälfte heute ausgerottet
und kommt wohl nur noch an der amerikanischen Küste vor.
Auch früber kam der grönländische Wal, der Kälte
lieht, bei Island nicht mehr vor. Dagegen ist neuerdings
bei Island wieder der biskayische Walfisch gefangen
worden, der etwas kleiner als der grönländische ist und
dessen Barten nur eine Länge von 7 Fuss erreichen. Er
ward in früheren Jahrhunderten, besonders im elften und
zwölften, an den englischen und spanischen Küsten häufig
erbeutet, kommt von Island bis zu den Azoren Vor, un
ist als besondere Art durch den dänischen Forscher ESCHKE,
der 1854 einen bei San Sebastian gefangenen Säugling em
warb, festgestellt worden. Ihm sehr ähnlich ist der jap&-
nische Walfisch, den die Japaner seit Jahrhunderten mit
Netzen fangen, die ein Taucher an einer Leine unter dem
Thiere schwimmend, um dieses herumzieht. Zwei weitere,
nahe verwandte Arten leben im Südmeer vom Kap der guten
Hoffnung bis zur amerikanischen Westküste. Hiermit ist &I
Zahl der langbartigen und deshalb werthvollsten Wale
Be
Kleinere Mittheilungen. 373
Weit grösser sind die Finwale, deren Barten aber
kurz, wenig elastisch und deshalb ohne besonderen Werth
sind. Da diese Thiere ausserdem unruhig sind und bei
Verwundungen auf den Grund gehen, hat man sie früher
in Ruhe gelassen. Neuerdings aber werden sie bekanntlich
mit Dynamitgeschossen, die aus Kanonen abgefeuert werden
und starke Taue nachziehen, erbeutet. Der Erfinder dieser
Jagdart ist als Millionär gestorben, und verschiedene
Aktiengesellschaften betreiben heute den Fang der Finwale,
deren Fleisch ausgekocht wird. Etwa 1000 werden heute
Jährlich an den norwegischen und russischen Küsten er-
legt. Von ihnen wird eine Art 23 Meter lang, kommt ver-
einzelt in die Ostsee und das Mittelmeer, und jagt besonders
die Dorsche, deren man schon 600 in dem Magen eines
Walfisches fand. Das grösste Thier der Erde aber ist der
auch zur Gattung der Finwale gehörige Blauwal, der
100 Fuss lang und 300 Centner schwer wird. In seinem
Magen hat man bis zwölf Heetoliter kleine Krebse gefunden.
Er ist sehr verbreitet gewesen, kam im Atlantischen Ozean,
in der Südsee und 1829 noch bei Japan vor. Einer strandete
1889 zwischen Sylt und Föhr. Von einer dritten, kleineren
Art der Fiuwale wurde ein Exemplar 1819 in der Neu-
städter Bucht gefangen. Ausserdem giebt es noch zwei
tten,
Zu den Zahnwalen endlich gehören der Tümmler,
der heerdenweise bei Farör erscheinde Grindwal, der Nar-
wal und endlich der Potwal. Letzterer wird bis zu
sechzig Fuss lang und war früher besonders geschätzt,
weil er in einem Hautaufsatz viele Centner Walrat hat,
das ein flüssiges Fett ist und an der Luft erstarrt.
Auch der Finwal wird leider wohl das Geschick .des
Srönländischen Walfisches theilen. Wenn man in jetziger
Weise fortfährt, ihn mit Dynamit zu verfolgen, so werden
diese Riesen der Thierwelt bald nur noch in Sagen und
!n den Büchern der Wissenschaft fortleben.
Veber einen ‚eigenthümlichen Aufenthaltsort der
Afterskorpione, zu denen unser bekannter Bücherskorpion
ehört, nämlich den Körper anderer Gliederfüsser, sagt
374 Kleinere Mi’theilungen.
Lupwice in Leunis Synopsis der Thierkurde, 3. Auflage,
2. Bd., S. 569: „mitunter trifft man sie, wie schmarotzend,
auf dem Körper von Fliegen, Ohrwürmern, Wanzen, After-
spinnen u.s. w. an.“ Es sind für diese wenig bekannte
Thatsache neuerdings mehrere Belege bekannt gemacht
worden. F. v. Wacner beschreibt einen Fund, der bei
Schwerin gemacht worden ist (Zool. Anz. Nr. 406, $. 434).
Eine Schnake oder Kammmücke, Ofenophora pectinicornts,
trag an den Beinen vier Exemplare eines augenlosen Cher-
nes. Sie hatten sich, ohne ihre Beine zu benutzen, mit
ihren Seheeren am Ober- oder Unterschenkel der Fliege
angeklammert. Offenbar benutzten sie das Kerbthier nur
als Mittel, einen anderen Ort zu erreichen. F. LEYDI6 theilt
mit (Zool. Anz. N. 411, S. 36), dass er den Bücherskorpion
an der Afterspinne Phalangium opilio, sowie an einer Schmei?#-
fliege antraf. Er ist jedoch der Meinung, dass hier nieht
ntır Schmarotzerthum vorgetäuscht wird, sondern wirklich
vorliegt. Die Skorpione stechen wohl ihre Wohnthiere an.
Bestärkt wird LevoiG in dieser Ansicht dadurch, dass €
an einem brasilianischen Bockkäfer, Acrocinus longimanı®,
unter den Flügeln einen stattlichen Chelifer americanus
fand. Es handelt sich hier wohl um, wenn auch gelegent-
lichen, Parasitismus. Ergänzend bemerkt weiter H. v. IHERISG,
dass er unter den Flügeln zweier Pyrophorusarten oft
Chernetiden fand. Auch auf anderen Käfern fanden a
sich. Inerıns schliesst sich der Ansicht Wacners an; @°
Stelle unter den Flügeln würde gewählt, weil hier Sehut2
vorhanden sei. Doch hält er eine auf die Lösung der
Frage abzielende Untersuchung für erforderlich. Jedenfalls
würde ein Ortswechsel der baumbewohnenden Skorpion®
und Milben in den Campros ohne diese „Reitthiere“ schwer
lich auf weitere Strecken gelingen. Verfasser ist der An
sicht, dass vielleicht die Ansiedelung der Unio-Embryone"
auf Cypriniden Europas auch hierher gehört. In beiderlei
Fällen würde der vermuthliche „Commensale‘“ oder „para
sit“ nur ein „Reitgast‘ sein.
Naturwissenschaftl. Wochenschrift.
Kleinere Mittheilungen. 375
Anpassung der Pflanzen an die Niederschläge.
Während bis vor wenigen Jahrzehnten Farbe und Form
der Blüthen, Blattform, Behaarung und so manches andere
uns in seiner Bedeutung für die Pflanze unklar war, wissen
wir jetzt, dass auch diese Eigenthümlichkeiten sämmtlich
Produkte der natürlichen Zuchtwahl, Anpassungen an die
Jedesmaligen Existenzbedingungen sind. In jüngster Zeit
haben wir hierfür wieder eine schöne Bestätigung erhalten,
indem der Jenenser Botaniker Stau seine auf Java an-
gestellten Beobachtungen veröffentlicht hat (Regenfall und
Blattgestalt. Annales du Jardin botan. de Buitenzorg,
201: X1, 8: 98—182, 18v3).
Der Regenfall kann den Blättern in doppelter Hinsicht
Sehaden thun: einmal durch Zerknieken und Abbrechen
der Blätter und dann durch zu lange Befeuchtung. Gegen
beides haben sich Sehutzvorriehtungen mannigfaltiger Art
entwickelt. Die Wucht der fallenden Regentropfen wird
unfährlich, wenn die Blätter eine mehr oder weniger
hängende Lage annehmen; eine solebe findet sich viel-
fach besonders in den Tropen bei völlig ausgebildeten
Blättern, noch häufiger trifft man sie aber bei noch nicht
völlig entwickelten an, wie z. B. bei der Rosskastanie, deren
starr nach abwärts gerichtete Blattspreiten dem aufmerk-
Samen Naturbeobachter im ersten Frühjahr stets auffallen.
In ähnlicher Weise ist eine steil oder schräg aufwärts ge-
richtete Blattspreite geschützt, besonders wenn die Blätter
schmal oder getheilt sind, hiermit steht im schönsten Ein-
klang, dass die aufliegenden Wurzelblätter häufig gross
und ganzrandig sind, während die übrigen klein oder ge-
tbeilt sind. Zu erwähnen sind hier auch solche Blatt-
Spreiten, die ursprünglich einfach sind, später aber zer-
sehlitzt werden. Bei den gewaltigen Blättern der Musaceen‘)
zerreisst der Regen oder der Wind die Blattsubstanz
Parallel den Blattrippen, ohne dass dadurch die Function
des Blattes irgendwie gestört wird; bei anderen z. B. bei
der südamerikanischen Heliconia dasyantha wird diese
RER : *
') Musa sapientium hat 4 m lange und 60 cm breite
Blätter, Musa Ensete 6 m lange und 9 em breite.
376 Kleinere Mittheilungen,
Zerschlitzbarkeit durch eigenthümliche Umwandlung im
Blattparenehym vorbereitet und geregelt und bei den Palmen
geht meistens die Zerschlitzung der ursprünglich einfach
angelegten Spreiten !) schon in der Knospenanlage vor sieh.
Ebenso interessant sind die Mittel der Pflanzen für
möglichst schnelle Entwässerung, die natürlich besonders
bei Bewohnern feuchter Standorte zu finden sind. Der
einfachste und bekannteste Schutz gegen die Schädigung
durch Wasser ist eine starke glatte Cuticula, die das Blatt
überbaupt unbenetzbar macht. Wenn dasBlatt aber benetz-
bar ist, so ist es häufig in eine mehr oder weniger lange
Spitze ausgezogen, die eine Rinne bilden kann, oder als
ein rundlicher Faden sich darstellt, dessen äusserste Ecke
hakenförmig nach abwärts gekrümmt, ist. Diese Verlänge-
rung der Mittelrippe leitet das auf dem Blatte befindliche
Wasser sehr schnell zu Boden; Versuche zeigten, dass nach
Entfernung der „Träufelspitze‘“ die Entwässerung eines
benetzten Blattes 3—8 Mal langsamer erfolgte als sonst.
Träufelspitzen finden sich bei Vertretern aller tropischen
Pflanzenfamilien, vor allem bei den eigentlichen Urwald-
formen. Bei manchen Pflanzen geht die Ableitung des
Wassers aber auf ganz anderem Wege vor sich, z. B. bel
unserer bekannten Veronica chamaedrys. Hier stehen
die — besonders längs der Nerven — stark behaarten
Blätter schräg aufwärts, das aufgefangene Wasser läuft ın
den vertieften Nerven zu der ebenfalls behaarten Rinne
des Blattstiels, erreicht in dieser den Stengel, der mit zwel
starken Haarreihen besetzt ist. Die Haare des Stengels
und des Blattes wirken wie Löschpapier, indem sie das
Wasser auffangen und (dienen somit zur schnellen Ent
wässerung der Blätter. Man kann durch vorsichtiges Ent
fernen der Haare den Beweis für die Richtigkeit dieser
Ansicht leicht erbringen.
Dr. 6. Brandes, Vereinssitzung am 1898.
) Diese Spreiten sind die grössten, die überhaupt 'bekannt &-
worden sind; soerreichen die'Blätter der Inajapalme (M aximiltan«
regia) eine Länge von 15 m und eine Breite von 3 m, umd die der
Tupatipaime (Raphia taedigera) 19-20 m Länge bei einer
Breite von 12m.
-
Kleinere Mittheilungen. 317
Mediein.
Veränderungen der Spinalganglien bei Tabes dor-
salis. Die Hinterstränge des Rückenmarks bestehen nach
früheren Untersuchungen von SCHIEFFERDECKER und neuen
von Casar, KÖLLIKER etc. aus den Fortsetzungen der ein-
strahlenden Hinterwurzelfasern. Reprıch hat gezeigt, dass
bei Tabes dorsalis gerade die intramedullaren Fortsetzungen
der Hinterwurzelfasern erkranken. Dadurch wird die Frage
aufgeworfen, wie sich dieSpinalganglienzellen, das trophische
Centrum der Hinterwurzelfasern, bei Tabes verhalten, da
eine Erkrankung, beziehungsweise ein Untergang dieser
Zellen zur Degeneration der Hinterstrangfasern führen
könnte. Kurze Angaben über Veränderung der Spinalgang-
lienzellen liegen von Luys, ferner von OPPENHEIM und
SIEMERING vor, ausführlichere von WorLexsere, welch
letztere Srrosse, der hierüber auf der letzten Naturforscher-
versammlung zu Wien Mittheilungen machte, im wesent-
liehen bestätigen kann. Kr fand bei drei Fällen von Tabes
aus verschiedenen Stadien jeweils beträchtliche Verände-
tungen der Interspinalganglienzellen, jeweilsentsprechend der
Höhe des tabischen Processes im Rückenmark : Schrumpfung,
abnorme starke Pigmentirungen, Vacuolisirungen des Proto-
plasmas, Wucherung der Kapselzellen, Degenerationen des
Kernes und Kernkörperchens, totaler Untergang und Zer-
fall der Ganglienzellen. Ersatz des Raumes der unter-
gegangenen Ganglienzellen durch gewucherte Kapselzellen.
Das interstitielle Gewebe der Ganglienzellen war nur wenig
vermehrt. Die hinteren Wurzeln waren jeweils entsprechend
der Höhe des tabischen Prozesses im Rückenmark stark
degenerirt,, die austretenden sensiblen Spinalnerven am
Peripheren Pol des Ganglions zeigten weit geringere, indes
doch deutliche Degeneration einzelner, oft zu Bündeln zu-
Sammengeordneter Fasern.
Die recht hochgradigen Veränderungen der Ganglien-
zellen legen die Anuahme nahe, dass eine primäre Er-
krankung der Spinalganglienzellen die Grundlage der Tabes
dorsalis sein könnte, wofür sich schon Professor MARIE
usgesprochen, während sich Leypex gegen diese Annahme
378 Kleinere Mittheilungen.
unentschieden, Hırzıs mehr ablehr.end verbält. Gegen
diese Annahme spricht das nicht proportionale Erkranken
der Hinterwurzelfasern und der sensiblen Fasern am Gang-
lion. Indess liesse sich doch vielleicht eine partielle Er-
krankung der Ganglienzelle, respektive gewisser „Organe“
der hochorganisirten Zelle vorstellen, welche zur Degene-
ration nur des einen ins Rückenmark ziehenden Nerven-
fortsatzes führen würde.
Die scheintodt Begrabenen. Ziemlich häufig tauchen
in den Tagesblättern Nachrichten über scheintodt Begrabene
auf, die wegen der eingehenden grauslichen Schilderung
aller Haupt- und Nebenumstände bei den meisten Mer.schen
Glauben finden. Die „Deutsche Medicinalzeitung,“ die schon
seit Decennien derartige Berichte als Legenden bezeichnet,
veröffentlicht einen Aufsatz von Max Brertvse, der sich zur
Aufgabe gemacht hat, den Beweis für die Unbaltbarkeit
der erwähnten Laienansicht zu erbringen. BREITUNG hat
sich der Mühe unterzogen, bei 25 durch die Tages-Zeitungen
veröffentlichten Fälle von Scheintod Erkundigungen und
Nachforschungen bei den Ortsbehörden anzustellen und
hat gefunden, dass sämmtliche Fälle von Anfang bis zu
Ende erlogen waren. Er stellt am Schluss seiner Arbeit
folgende Sätze auf: i
1. Es ist kein Fall bekannt, d. h. als unzweifelhaft
sicher festgestellt, in dem ein Scheintodter begraben, da-
nach dem Grabe entzogen und dem Leben wiedergeben I8t-
2. Es ist kein Fall bekannt, in den auf Grund von
Veränderungen in der Lage, von Verletzungen der Leiche
bei späterer Exhumirung ein unzweifelhaft sicheres Urtheil
von eompetenter Seite auf vorher nieht erkannten Scheit“
tod abgegeben werden konnte, :
3. Die Möglichkeit, dass ein Mensch lebendig begraben
werden kann, ist bei geregelter Leichensebau, die dureb
Aerzte vollzogen worden ist, ausgeschlossen.
4. Die Möglichkeit ist bei nicht bestehender ärztlicher
Leichenschau ziffernmässig unberechenbar gering.
Kleinere Mittheilungen. 379
Aus verschiedenen Gebieten.
Die Chemie des Oceans ist auf der sogenannten
„Pola“-Expedition, die während der Sommer 1890—93 im
östlichen Mittelmeere stattfand, ein Gegenstand sorgfältiger
Forschungen gewesen, deren Hauptresultate wir im Folgen-
den nach dem von Dr. Coxrkan NATTERER auf der Natur-
forscher Versammlung zu Wien gehaltenen Vortrage wieder-
geben.
An der Oberfläche des Meeres wird Sauerstoff theils
aus der Atmosphäre absorbirt, theils durch pflanzliche Orga-
nismen produeirt. Die allmähliche, im östlichen Mittel-
meere immer nur geringe Abnahme des Sauerstoffgehaltes
mit der Tiefe, sowie die Art des Vorkommens von sal-
Petriger Säure, von Brom und von Jod im Meere lassen
erkennen, in welchen Richtungen sich das, im Maximum
4400 m unter die Oberfläche hinabreichende Tiefenwasser
bewegt, das bisher als nahezu stagnirend gegolten hatte.
— Durch viele Analysen ist während der „Pola“-Expe-
ditionen von NATTERER festgestellt worden, dass das frei-
bewegliche Meerwasser nur Spuren von organischen Sub-
Stanzen in Lösung hält, dass dagegen das den schlammigen
Meeresgrund durchsetzende Wasser ziemlich reich an orga-
nischen Substanzen und an Ammoniak ist, beide herrühiend
von abgelagerten Pflanzen- und Thierkörpern. An manchen
Stellen des Meeresgrundes ist der lehmartige Schlamm
von 1 bis 10 em dicken Steinkrusten bedeckt, die deut-
lichster Weise auf das Vorhandensein chemischer Fällungen
im Meerwasser hindeuten. Einige Beobachtungen an solchen
Steinkrusten, sowie die sich aus vielen Analysen ergebende
Thatsache, dass das den Grundschlamm durchsetzende
asser weder vollkommen stagnirt, noch aus dem Grund-
schlamm heraustritt (von Ausnahmefällen abgesehen: Auf-
quellen von Stsswasser vom Meeresgrunde in der Nähe
karstartiger Gebirge, Heraustreten von Wasser mit Petroleum-
Spuren aus dem Grundschlamm zwisehen Cypern und Syrien),
Sprechen dafür, dass in der Regel Meerwasser in den
eeresgrund capillar eindringt, von Festlandsmassen auf-
gesaugt wird. :
380 Kleinere Mittheilungen,
NATTERER hat ausserdem im Mai 1894 auf S. M. Schiff
„Taurus“ die Tiefen des zwischen Bosporus und Dardanellen
gelegenen Marmarameeres untersucht und gefunden, dass
das Marmarameer in chemischer, physikalischer und bio-
logischer Hinsicht mit dem Mittelmeer übereinstimmt und
micht mit dem Schwarzen Meere.
Spiritus aus Torf. Die aus den fünfziger Jahren
stammenden Vorschläge, Holzcellulose durch Schwefelsäure
in gährungsfähigen Zucker zu verwandeln, um daraus
Spiritus zu gewinnen, sind ohne praktischen Erfolg ge-
blieben. Nach einem Patent Karzsser's aus dem Jahre
1891 eignet sich dazu Torf weit besser als Holz, weil er
eine lockere Masse darstellt, deren Cellulose sich leicht
verzuckern lässt. Marneus hat das Verfahren näher be-
schrieben und Laboratoriumsversuche ‚darüber mitgetheilt.
Die Torfmasse wird mit verdünnter Schwefelsäure 4 bis
5 Stunden lang bei 115--120° gekocht und dabei der Gang
der Verzuckerung analytisch verfolgt. Die Brühe wird
schliesslich durch Filterpressen abgetrennt, für sich ein-
gedampft, mit Kalkmilch und Kreide neutralisirt und mit
Hefe vergohren. Aus 200 g Torf werden im Laboratorium
12,5 cem absoluten Alkohols gewonnen. Hiernach würden
500 kg Torf 31 1 absoluten Alkohol liefern können, wäh-
rend 500 kg bester Kartoffeln bei ausgezeichnetem Betriebe
etwa 60 1 ergeben. In der Nähe von Mooren würde da-
her der sehr billige Torf die Spiritusfabrieation besser
lohnen als Kartoffeln. Karssser geht neuerdings mit dem
Plane um, die bisher nicht verwerthbare und überdies
höchst lästige Ablauge der Sulfitcellulosefabrication mit
Torf zusammen auf Spiritus zu verarbeiten.
’ Jahrbuch für Naturw. 9. Jahrgang.
Litteratur-Besprechungen.
Ostwald’s Hllassiker der exacten Wissen-
schaften. Wilhelm Engelmann, Leipzig, No. 43.
Untersuchungen über den Farbenwechsel des afrikanischen
Chamaeleons von Ernst Brücke. (1851 und 1852). Her-
@usgegeben von M. v. Frey. Mit 1 Tafel, 64 S., 1,20 M.
Aus dem Gebiete der Physiologie waren bisher erst
2 Arbeiten in den Klassikern erschienen, es ist daher jeder
weitere Beitrag sehr erfreulich, zumal wenn er wie in
diesem Falle eine so hervorragende Arbeit eines der
Grössten seiner Zeit enthält, die nicht nur ein Thema von
allgemeinstem Interesse behandelt, sondern auch bis auf
ee heutigen Tag in jeder Hinsicht mustergültig genannt
uss,
Ne. 8— 51, Das entdeckte Geheimniss der Natur im
Bau und in der Befruchtung der Blumen von Christian
Konrad Sprengel. (1793) in 4 Bündchen herausgegeben
von Paul Knuth. 543 S. mit 25 Tafeln, 8 M.
Bei einem Werk von solcher Bedeutung wie das
Sprengel’sche, das für unsere moderne Blüthenbiologie die
ganze Grundlage ausmacht, war natürlich die Nachfrage
bald Srösser als das Angebot, allerdings nicht beim Er-
scheinen des Buches, sondern, erst als Darwin über ein
halb Jahrhundert später auf das verschollene Werk hin-
"les und die Richtigkeit der interessanten Beobachtungen
4 engel’s bestätigte. So kam es, dass schon vor
iger Zeit ein Facsimile-Druck von dem seltenen Werke
ın den Buchhandel kam; dieser war aber leider so theuer,
® von einer allgemeinen Verbreitung des lesenswerthen
382 Litteratur-Besprechungen,
Buches keine Rede sein konnte; erst jetzt wird es möglich
sein, dem Werke in ausgedehnterem Maasse Eingang in
Privatbibliotheken zu verschaffen. Wir können die An-
schaffung dieses Klassikers nicht nur allen Biologen (be-
sonders den Entomologen und Botanikern), sondern allen
Gebildeten auf’s Angelegentlichste empfehlen, zumal der
Herausgeber auf dem in Frage stehenden Gebiete als
Autorität bekannt ist und durch eine Fülle von An-
merkungen die Beobachtungen Sprengel’s erweitert und
hier und da auch verbessert hat.
G. Brandes.
Weltschöpfung, Sintfluth und Gott. Die Ur-
überlieferungen auf Grund der Naturwissenschaft erklärt
von Arthur Stenzel. Mit 3 Tafeln. Braunschweig. Rauert
und Rocco Nachfolger (D. Janssen) 1894.
Das Buch sucht die tiefsten Fragen des Seins und Er-
kennens zu lösen, indem es zur Bewältigung dieser Auf-
gabe ein gewaltiges Material heranzieht, — freilich nicht
nach sicheren Gesichtspunkten, — dasselbe auch mit
Willkür verwendet. So waren, da der Verfasser Ueber-
lieferung und Naturwissenschaft in Einklang zu setzen ver
sucht, um dieser Einstimmung dann seine Schlüsse zu ent
nehmen, zunächst die Kosmogonien zu bieten, sodann die
Fluthüberlieferungen, und zwar der Zeit nach geordnet,
nicht minder zuch nach den Völkereinheiten, also die semi- i
tischen, arischen und turanischen, und dann diejenigen der
sogenannten Naturvölker. Dann hatte er die Frage zu 9°
handeln, ob Gott ursprünglich monotheistisch gedacht ist,
oder Polytheismus die Urreligion gewesen, um darauf zu
erweisen, dass diejenigen im Recht oder im Unrecht sind,
welche Gott ausserweltlich als Geist setzen, welche IM
Pantheismus die Lösung der Gottfrage finden, oder aber
diejenigen, welche die Ansicht vertreten, dass die Lehre
des grossen Empedokles von Agrigent, die Schellinz“
Okensche Naturphilosophie, die Descendenztheorie v0"
Lamarek-Darwin-Häckel das Gesondertdasein Gottes als
überflüssig erscheinen lassen.
Litteratur-Besprechungen. 383
Statt des vorgezeichneten Weges beschreitet der Ver-
fasser jenen, auf welchem er aus der philologischen Er-
klärung der ersten Worte der altebräischen Ueberlieferung
zu dem Erweise kommen zu können vermeint, dass die-
selben nur von einer Neuschöpfung reden, welche sich an
die Sint-, also grosse Fluth anschliesst, die er vom Dilu-
vium scharf scheidet, sodass er die Frage der Ur-
schöpfung auf diese Weise nicht stellt und löst. Aber die
Vebersetzung der ersten Worte des alten Testamentes ist
brüchig, wenn wir bei Stenzel lesen: „Im Anfang schuf
Elohim neu den Himmel und die Erde (das Land)“, wäh-
rend die wirkliche, philologisch genaue Uebersetzung zu
lauten hat: „Anfänglich schied(en) (trennten) die Starken
die Himmel und die Erde“, also den Himmel von der
Erde.
Somit hat der Verfasser die ersten Worte der alt-
ebräischen Ueberlieferung gar nicht verstanden, denn die-
selben bieten keinen Fluthbericht, sondern eine altsemitische
Kosmogonie, die allerdings das Vorhandensein der Materie
Yoraussetzt, dieselbe aber durch die Starken (Götter oder
Dämonen) scheiden, trennen und ordnen lässt, welche
dann in den Sinn eingegangen ist, dass Gottes Kraft
Himmel und Erde geschaffen hat. |
Aber auch die Sintfluth selbt hat der Verfasser ihrem
Wesen nach verkannt, wenn er sie als eine allgemeine,
und als solche als geschichtliche bestimmt, welche im
Jahre 3318 vor unserer Zeitrechnung stattgefunden hat,
die im Jahre 7231 unserer Zeitrechnung wiederkehren
wird.
Den Gottesbegriff lässt Stenzel einem Kometen ent-
stammen, der zwar nicht Urheber, aber Begleiter der Sint-
futh vom Jahre 3318 gewesen ist, welchem Kometen dafür
aber unsere Väter im Jahre 1807 zu sehen und zu beob-
achten Gelegenheit gehabt haben. ;
Solche Aufstellungen zu beweisen, werden die GURr
und Göttinnen der verschiedenen Völker in den üblichen
Anpassungsapparat gesteckt und Etymo logien
die nur derjenige zurückzuweisen Neigung haben wird,
384 Litteratur-Besprechunger.
welcher von dem Nutzen riehtiger Zeitverwendung keine
Ah hat.
gear Frese Edm. Veckenstedt.
Die nordische Herkunft der T'rojasage, b*
zeugt durch den Krug von Tragliatella, eine dritthalb-
tausendjährige Urkunde. Nachtrag zu den Trojaburgen
Nordeuropa’s von Dr. Ernst Krause (Carus Sterne). Mit
12 Abbildungen im Text. Glogau 1593. Verlag von Carl
Flemming.
Der Verfasser sucht in der vorliegenden Sehrift sowie
in den voraufgegangenen „Trojaburgen“ und in „Tuisko-
land“ die Richtigkeit des Satzes, dass die Arier oder Indo-
germanen dem Norden entstammen, auch durch die Sagen-
forschung zu erweisen, eine Aufgabe, welche von dem
Augenblicke an als gestellt zu gelten hat, wo der Erweis
erbracht ist, dass wir den Norden als die Urheimatlı unserer
Vorfahren anzusehen haben. Wie wir uns nun auch ZU
dieser Frage stellen, so haben wir jedenfalls zuzugeben,
dass das Hochland von Pamir am unglticklichsten für das
Geburtsland der Arier angesehen wird, da auf demselben
die Race binnen kurzem ertartet, im Norden ihre Dauer-
barkeit bewährt. Dann aber haben wir als das Gegen
gewicht die Thatsache zu betrachten, dass die frühere
Kultur dem Süden nicht abgesprochen werden kann, und
damit auch die frühere Fixirung der Volkssage sowie ihre
Ausprägung in Dichtung und sinnliche Gestaltung.
Der Kampf nun, welcher durch Missachtung oder Ver-
kenuung dieser Thatsachen entbrannt ist, hat Steigerung
in seiner Heftigkeit dadurch erfahren, dass nieht nur die
Geschichte der Mythe, sondern auch deren Deutung ‚n
denselben hineingezogen ist. Nun ist es aber eine nieht
zu leugrende Thatsache, dass sich zur Deutung derselben
allein der Philologe für berufen hält, in unserem Falle der
Germanist, wogegen Dr. Krause das Recht für sieh bean
sprucht, als Naturforscher die Deutungsfähigkeit besse"
entwickelt zu haben. Hierzu habe ich nun zu sagen, dase
a En ne inc) So i,.
der Germanist allerdings nur mit Erfolg an Lösung #_
Litteratus-Besprechungen. 385
Aufgabe gehen kann, den Text der Sage von entstellenden
Zuthaten zu säubern, und die Geschichte derselben zu ver-
folgen, was mit dem bisher getibten mechanischen Zusammen-
stellen unserer Parallellisten eben nichts zu thun hat, wie
sodann allerdings nicht zu leugnen ist, dass den Germanisten
der Verfolg der Kultur und das Eindringen in die Be-
dingungen des Lebens der Wirklichkeit von Gegenwart
und Vergangenheit nicht als erstrebenswerthes Ziel gegolten
hat. Aber auch Herr Dr. Krause sucht die Lösung der
Aufgabe auf einem Gebiete, wo ihm dieselbe nicht be-
schieden; statt als Naturforscherden Ursprung der Naturmythe
klar zu legen und sie bis zu dem Augenblicke zu ver-
folgen, wo sie in die Geschichte übergeht, etymologisirt er
so unglücklich wie die Mythologen und erklärt willkürlich
wie sie, so, wenn er, weniges herauszugreifen, das Thier
auf dem Krug von Tragliatella lieber für einen Hund an-
sieht, als für einen Affen, wofür dasselbe doch sogar ein
Philologe halten muss, wenn er die heilige Kümmerniss
für die „Rauhe Else“ hält, die zu Troja, d. h. in der Unter-
welt, das rauhe Fell bekam, während dieselbe in Wirk-
lichkeit Christus am Kreuz ist in der älteren Darstellung
der christliehen Kirche, wenn er behauptet, dass das Fest
der Sonnenvermählung von Lukas Kranach auf zahlreichen
Altarbildern und Holzschnitten dargestellt wurde, während
in Wirklichkeit das von ihm gebotene Bild von Lukas.
Kranach, welches jene Behauptung erweisen soll, mit
vollendeter Deutlichkeit die Gestalten giebt: einen Engel
mit dem Kreuz Christi, das trotz nicht zu guter Perspektive
niemals ein Hammer Thors wird, Maria, die Verkündigung
der Geburt Christi an die Hirten, Christus in der Hölle den
Teufel, als Unthier gestaltet, überwindend, Christus von
Wolken umsäumt zum Iimmel aufsteigend oder im Himmel
weilend. Und das soll die bildliche Darstellung des Textes
der Sonnenvermählung sein!
er Krug von Tragliatella soll nun beweisen, dass die
auf demselben angebrachte Spiralenfigur denen gleicht, die
"ir auf Steindenkmälern sehen, auf Broncefibeln, als Stein-
Setzungen, als Mosaikarbeiten in Kirchen, welche Spiral-
itschrift £. Naturwiss. Bd. 67. 1894. 25
386 Litteratur-Besprechungen.
gestaltungen alle die Nachbildungen von Trojaburgen sein
sollen, diese selbst sollen ein ganz spezieller Ausdruck der
Kultur einer Weltaxengottheit sein. Es verbietet mir,
das anzunehmen, meine Ansicht vom Wesen der Götter,
der schaffenden Einbildungskraft der Völker, der Ab-
straktionsfähigkeit der vorgeschichtlichen Bewohner Europas,
der Uebertragung und Fortpflanzung der echten Volkssage
sowie des Volksfestes: denn wohl hat das Volksfest sogar ın
denaltsemitischen Zeiten an gewisse Zeitabschnitte Anlehnung
gesucht und gefunden, aber diese Feste als Ausdruck der
astronomischen Vorgänge in den Einzelheiten derselben
anerkennen zu können, bleibt mir versagt trotz „Trojaburgen“
und „Krug von Tragliatella“.
Edm. Veckenstedt.
H. Behrens. Das mikroskopische Gefüge der Metalle
und Legirungen. Hamburg und Leipzig L. Voss. 1894. Mit
3 Figuren im Text und 16 Tafeln.
Verfasser hat sich die dankenswerthe Aufgabe gestellt,
an der Krystallisation durch Anfertigen von Durchschnitten,
Aetzen und Anlassen, durch die mikroskopische Analyse,
Härteprüfung und chemische Untersuchung die Metalle und
deren in der Technik hauptsächlich verwandte Legirungen
näher kennen zu lehren. ‘So hat er die Edelmetalle: das
Gold, Silber und Platin und deren Legirungen, das Zinn,
‘Zink, ‚Blei, Hartblei, Lager- und Abklatschmetalle, ‚das
Kupfer, ‘die Bronzen, das Messing, die Kupferaliminium-
'legirungen und: das Eisen untersucht, und seine hauptsäch
‚lichsten "Erfahrungen über deren Formen — besonders
"Oberflächenformen’ —— auch auf 16 wohlgelungenen Tafeln
dargestellt. er
= Besondere Aufmerksamkeit wendet er auch den fremden
"Einschlüssen' zu; so (den 'bei der'Schmelzung aufgenomme“
nen Oxyden, Sulfiden ete., welche bei der Abkühlung sich
sodann alsifeste Krystalle: ausscheiden und dann als Ein-
‚ schlüsse in'den Legirungen und Metallen auftreten.
' Durch > besondere Methoden sucht er das Gefüge und .
‚die Struktur der/'Metalle sichtbar zu machen; so sueht-!
Litteratur-Besprechungen. 387
frei liegende Krystalle, welche der Beobachtung und Be-
stimmung zugänglicher sind, durch besondere ‚Schmelz-
methoden zu erhalten; auch während der Präparation der
Platten durch Schleifen und Poliren verfolgt er die Aende-
zung des Gefüges etc.
Zur Vergleichung und Unterscheidung der verschiede
nen Metalle verwendet er sodann auch die Aetzmethoden,
welche ja auch von den Mineralogen vielfach angewandt
werden, um bemerkenswerthe Elemente der Form zu er-
kennen.
Auch das Anlassen der Metalle kann dazu verwandt
werden, um bestimmte Eigenschaften besser hervortreten
zu lassen; endlich ist die Härteprüfung und chemische
Untersuchung natürlich unerlässlich.
Der Verfasser hat die eben genannten Körper auf diese
Weise untersucht und so eine grosse Reihe Daten ge-
sammelt, welche allen denen, welche sich mit der Unter-
suchung von Metallen zu befassen haben, von besonderen
Werthe sind.
Halle a. S, Lüdecke.
4. Arzruni. Die physikalische Chemie der Krystalle.
Braunschweig, Vieweg u. Sohn. 1593. Mit 8 eingedruckten
Abbildungen.
In der Einleitung werden die geometrischen und physi-
kalischen Eigenschaften der Krystalle geschildert. Bei den
geometrischen Eigenschaften folgt er den Ansichten von
Ta, Liesisch (Geometrische Krystallographie 1881). Er
Siebt hier eine Aufzählung der einzelnen Gruppen der
Krystallsysteme und charakterisirt dieselben durch Angabe
der Symmetrie-Axen, Symmetrie-Ebenen ete., ohne jedoch
vorher diese Elemente zu erklären. Durch die theoretischen
Untersu ehungen von L. Souncke, ScHönrLızss, FEODoRow
Corxu, Gavorin ete. hat man bekanntlich Ansichten über
die Struktur der Krystalle gewonnen, welche auch die
Auffassung über die Symmetrie derselben beeinflusst hat.
‚nsbesondere kommen alle diese Autoren darin überein,
dasg der Hemimorphismus der Krystalle eine der Hemiedrie
Ar
388 Litteratur-Besprechungen.
durchaus an die Seite zu stellende Erscheinung sei. Hier-
durch erscheinen neben den sonst von den Autoren ge-
schilderten Hemiedrien und Tetartoedrien noch eine Reih e
anderer, welehe man eben früher durch den Hemimörphis-
mus erklärte.
Obwohl nun der Verfasser die Charakterisirung naelı
den Axen der Symmetrie, dem Symmetrie-Centrum ete. — al-
so jene Auffassung, wie sie einige der oben genannten Kry-
stalltheoretiker gebraucht haben — benutzt, so warnt er doch
vor Verwechselung des Hemimorphismus mit der Hemiedrie!
Auf sonstige sich z. Th. aus dieser Art der Auffassung er-
gebende Widersprüche einzugehen, ist hier nicht der Ort.
Der Kern des Buches ist in 3 Kapitel getheilt; derselbe
bebandelt die Beziehungen zwischen Krystallform und
chemischer Zusammensetzung und zwar I. Polymorphismus,
I. Isomorphismus, III. Morphotropie. Ueberall ist der
Verfasser auf die Originale zurückgegangen, und das Werk
bietet eine erschöpfende Darstellung der Beziehungen der
Körper zwischen Krystallform und chemischer Constitution.
Dass bei der Bewältigung einer so ausgedehnten Litteratur
auch einzelne kleine Versehen an einzelnen Fällen mit
unterlaufen sind‘, ist leider richtig, es ist dies schon an
andrer Stelle von anderer Seite hervorgehoben worden.
Trotz alledem glauben wir, dass das Buch Allen, welche
sich hier orientiren wollen aufs beste empfohlen werden
kann; die Ausstattung ist eine durchaus würdige.
Halle a. S. Lüdecke.
Kompendium der allgemeinen Botanik für Hochschulen,
von Dr. Max Westermaier, Prof. am Kgl. Lyceum z4
Freising. Mit 171 Fig. Freiburg im Breisgau, Herder sche
Verlagsbuchhandlung. 1893. 8°
Das Buch giebt auf ca. 300 Seiten eine kurze und
klare, für reifere Studirende berechnete Darstellung 25
wichtigsten morphologischen, physiologischen und we
ER 5
‘gischen Thats en. Dieselben wurden in 6 grös 2
Abschnitten behandelt, welche betitelt sind, 1. Zellenle u
2. Lehre von den Geweben und einfachen Organen, 3 Le
de
g efallen
Litteratur-Besprechungen, 389
von den Organsystemen, 4. Lehre von der Fortpflanzung,
5. Allgemeine Chemie und Physik des Pflanzenlebens,
6. Pflanzensystem. Der erste Abschnitt gliedert sich in
folgende Kapitel: Allgemeine Orientirung — Primordial-
schlauch und Zellmembran in ihrem gegenseitigen Ver-
halten; Turgor; Plasmolyse — Zellinhalt — Zellmembran
— Entstehung der Zellen. Im zweiten Abschnitt werden
behandelt: Aufbau der Gewebe und einfachen Organe —
Differenzirung der Gewebe nach Bau und Funktion (Physi-
ologische Anatomie der einfachen Organe). Der dritte be-
spricht: Die Unterscheidung der Organe — Entstehungsort
und Stellungsverhältnisse seitlicher Organe und Ursachen
der definitiven Stellung — Verschiedenes Entwicklungs-
vermögen der Strahlen eines Systems gleichnamiger Organe
— Eintheilung der Organsysteme. Im vierten Abschnitt
finden wir: Die Fortpflanzung der Kryptogamen — Fort-
pflanzung und Generationswechsel der Moose, Gefäss-
kryptogamen und Phanerogamen, vergleichend betrachtet
— Die Phanerogamenblüthe und ihre Theile — Frucht
und Samen der Phanerogamen, morphologisch und physio-
logisch betrachtet — Allgemeine Physiologie der Fort-
pflanzung. Der fünfte Abschnitt enthält: Chemische Phy-
siologie — Physiologie des Wachsthums — Temperatur,
Licht, Schwerkraft und andere äussere Einflüsse in ihrer
ehung zum Pflanzenleben — Physiologie der Bewegungs-
erscheinungen.
In Abschnitt II und III hat Verfasser die Anschauungen
SCHWENDENERS und seiner Schüler vielfach zum Ausdruck
gebracht (Bau und Funktion der Gewebesysteme, Blatt-
stellungstheorie etc.) Eine grosse Anzahl von Holzschnitten
und ein Register erhöhen die Brauchbarkeit des Buches,
dessen letzter Abschnitt (System) leider zu dürftig aus-
ist, Zopf.
ie offizinellen Pflanzen der Pharmacopoea germanica
Für ‚Pharmaceuten und Medieiner besprochen und durch
Abbildungen erläutert von Dr. F. G. Kohl. Lieferung
re mit Tafel 41-110. Leipzig, Ambr. Abel 1892 bis
Se i
390 Litteratur-Besprechungen.
Den bereits in einem früheren Jahrgange dieser Zeit-
schrift besprochenen Lieferungen sind nunmehr dreizehn
weitere gefolgt, welehe Cocculus palmatus, Myristica fragrans,
Aconitum Napellus, Hydrastis canadensis, Papaver somni-
‚ferum, Cochlearia. off., Brassica nigra; B. Napus, Viola
tricolor , Thea chinensis, Tilia parvif., grandifol., Theobroma
Cacao, "Althaea officinalis, Malva. silvestris, M. vulg., Gossy-
pium herbae., Linum usit., Pilocarpus pennatifolius, Citrus
Limonum, ©. vulg., Quajebun offie., Quassia amara, Pieraena
excelsa, Balsamea Myrrha, Erythrorylon Coca, Polygala
Senega, Vitis vinifera, Rhamnus cath., Rh. Frangula, Bu-
phorbia resinifera, Ricinus comm., Croton Tiglium, Eluteria,
Mallotus philipp., Pimpinella Anisum, P. Sazifraga, Carum
Carvi, Foeniculum capillaceum, Archangelica offie., Levisti-
cum offie., Conium macul., Ferula Asa foetida, Dorema
Ammoniacum, Eugenia caryophyllata, Punica granatum, M:
leuca Leucadendron, Liquidambar orientalis, Rosa centifolia,
Potentilla tormemsilla; Rubus idaeus, Hagenia abyssinica, Pru-
nus cerasus, P. BT Ononis spinosa, Glyeirrkiza glabre,
Melilotus offieinalis, Trigonella foenum graecum, Physostigma
venenosum, Astragalus verus, Toluifera Pereirae, Andira
Pisonis Cassia aculifol. und angustif., Copaifera of. mr
Darstellung bringen. Die Habitusbilder sind ausgezeichnet
dureh Schönheit und Naturtreue, die Analysen durch Korrekt-
heit. Der Charakter des Textes ist der frübere geblieben;
das Werk ist pharmazeutischen Kreisen aufs Wärmste ZU
empfehlen. Zopf.
Dr. Hugo von K linggraeff. Die Leber- und Lu
moose West- und Ostpreussens. Herausgegeben mit Unter“
stützung des westpreussischen Provinzial- Landtages v0"
Westpreussischen Botanisch-Zoologischen Verein.
1893. Commissionsverlag von W ilh. Engelmann. in Leipaig-
(XIV u. 317.8. 8°)
Im Jahre 1858 veröffentlichte H. v. Kıino6RAErF u. d- T.
„Die höheren Kryptogamen Preussens“, ein Büchlein, "
Ei er ausser den Farnen 51 Lebermoose und ‚224 Laub-
Litteratur-Besprechungen. SA
moose beschrieb. In zwei späteren Verzeichnissen
preussischer Moose, von denen das eine in den Schriften
der physikalisch-ökonomisehen Gesellschaft in Königsberg
von 1872, das andere in seiner topographischen Flora der
Provinz Westpreussen, einer Festschrift zur 53. Versamm-
lung deutscher Naturforscher in Danzig im Jahre 1880,
entbalten ist, lieferte der Verfasser Nachträge und Berich-
tiguugen zu jenem Schriftehen. Nachdem dies längst im
Buchhandel vergriffen ist, hat K. jetzt als Abschluss einer
50 jährigen biogolischen Forschung das Gesammtergebniss
derselben in einem neuen Werke „Die Leber- und Laub-
moose West- und Ostpreussens“ mitgetheilt, dessen Inhalt
im nachstehenden kurz angedeutet sein mag.
Ein 36 Seiten füllender allgemeiner Theil giebt Aus-
kunft über die geschichtliche Entwickelung der Kenntnis
der Moosflora Preussens, über Verbreitung und Vorkommen:
der Moose, über biologisches und über Nutzen und Schaden
der Moose. In dem systematischen Theile folgt sodann die
Aufzählung der bis jetzt in Preussen aufgefundenen Moose.
Es werden 91 Arten Lebermoose und 393 Arten Laubmoose
aufgeführt. Die systematischen Einheiten von den Klassen
bis zu den Arten und Varietäten herab sind mit knappen,
aber das charakteristische glücklich hervorhebenden, gleich-
sam plastischen Beschreibungen versehen. Auf die Be-
schreibung jeder Speeies folgt die Angabe der Art des
Vorkommens ünd der Zeit der Sporenreife, darauf der
spezielle Nachweis der Verbreitung ir den beiden Pro-
Yinzen West- und Ostpreussen. Die Standortsangaben sind
nach den Landrathskreisen und zwar möglichst in der
Reihenfolge von SW. nach NO. geordnet; bei den gewöhn-
Arten sind nur die Kreise,'iin denen’ sie bisher ge-
funden; "bei den selteneren aber’ die speziellen “Fundorte
angegeben. Bei jedem’ Fundorte ist der Name des Finders
beigefügt, die eigenen Funde des Verfassers sind mit ! be
zeichnet. Bei vielen Arten, -Gattungen u. s. w. sind noch
werthvolle: kritische Bemerkungen über Ab&fenzung; isyst&- .
&tiöche Stellung, Benennung u.\dgl. gegeben. 'Ein.Register
Weist durch fett gedruckte. Zahlen‘ die Seite\nach,.iwo.die
392 Litteratur-Besprechungen.
Art, Gattung oder Familie beschrieben ist, durch kleinere
Zahlen die Seiten, wo sie gelegentlich erwähnt wird. Im
Vorworte finden sich höchst beachtungswerthe Bemerkungen
über die Nomenklatur. Die vorstehende Inhaltsangabe wird
genügen, einen Begriff von der Reichhaltigkeit des mit
ausgezeichneter Sachkenntniss und mit selbständiger aber
vorsichtiger Kritik sorgfältig ausgearbeiteten Buches zu
geben; es bietet: 1) eine genaue Uebersicht der Verbreitung
der Moosarten in Preussen, 2) eine Anleitung zum Be-
stimmen der deutschen Moosarten, soweit sie in Preussen
vorkommen, 3) Beiträge zur genaueren Kenntniss der Moose
der deutschen Flora. Kundige Bryologen werden den
hohen Werth des Buches zu würdigen wissen. Referent
hält es aber für seine Pflicht, solche Botaniker, die gleich
ihm Anfänger in der Mooskunde sind, auf dies vortreff-
liche Hilfsmittel aufmerksam zu machen und ihnen die An-
schaffung des schönen Buches auf das dringendste ZU
empfehlen. Dasselbe bildet eine vorzügliche deskriptive
Ergänzung zu den Verzeichnissen der Moose der Provinz
Brandenburg von REINHARDT und von WARNSTORF und zu den
zahlreichen Zusammenstellungen von Fundorten der Moose
anderer Gebiete. Bei einer etwaigen neuen Auflage wäre
zu wünschen, dass die Angaben über das Vorkommen der
Arten und die Bemerkungen in derselben grösseren Schrift
gedruckt würden wie die Beschreibungen. Der dazu er-
forderliche Raum liesse sich leicht dadurch gewinnen, dass
die Artbeschreibungen und Fundortsangaben in der vollen
Breite der Druckeolumne gesetzt und dass die Worte West-
preussen und ÖOstpreussen in W und O abgekürzt werden.
Auch würde das Buch an Uebersichtlichkeit gewinnen,
wenn über jede Seite der Name der Familie und Gattung,
der die darauf behandelten Arten angehören, gesetzt würde,
wie eg z.B. in Kocn’s synopsis florae germanicae geschehen
en Dr. Erwin Schulze.
| ; wu W. Exkursionsflora des Herzogthums Braun-
schweig mit Einschluss des ganzen Harzes. Der Flora
von Braunschweig vierte, erweiterte und gänzlich umge
Litteratur-Besprechungen. 393
staltete Auflage, bearbeitet von W. Bertram, herausgegeben
von Franz Kretzer. Braunschweig, Druck und Verlag von
Friedrich Vieweg und Sohn. 1894. (XII u. 392 S. kl. 8°.)
W. Bertram, Generalsuperintendent in Braunschweig,
gab im Jahre 1876 eine Flora der Umgegend von Braun-
schweig heraus. 1885 erschien eine durch einen ansehn-
lichen Nachtrag vermehrte dritte Ausgabe dieses Werkes
und nunmehr ist eine Neubearbeitung erfolgt, deren Gebiet
auf das ganze Herzogthum Braunschweig und den Harz
ausgedehnt ist. Die Thätigkeit des Herausgebers, des
Lehrers Krerzer, hat sich im wesentlichen auf die Be-
sorgung der Drucklegung beschränkt.
Das Werk ist in Form von analystischen Tabellen aus-
gearbeitet. Vorangestellt sind 1) eine Tabelle zur Be-
stimmung der Hauptgruppen und Klassen (p. 1—2), 2) eine
solche zum Bestimmen der Familien (p. 3—19). Seite 21
bis 373 sind sodann die Familien in systematischer Reihen-
folge aufgeführt; unter jeder Familie findet sich eine Tabelle
der Gattungen, unter jeder Gattung eine solche der Arten
mit Angabe des Vorkommens im Gebiete. Die Tabellen
sind mit Sorgfalt und Umsicht ausgearbeitet; das Buch ist
ein sehr brauchbarer Schlüssel zum Bestimmen der Gefäss-
pflanzen des Harzgebietes und eignet sich auch durch sein
handliches Format sehr gut zum Gebrauche auf botanischen
Ausflügen. Seine Ausstattung in Papier und Druck ist die
versnute und mit Recht berühmte des Vieweg’schen Ver-
azes,
Wenn bei den Arten erst die Fundorte aufgeführt
werden und man dann erst den Namen der Pflanze erfährt,
so ist dies zweifellos ein Üoregov ro0regov und es dürfte
Digg bei einer abermaligen Neubearbeitung empfehlen, zu der
Binriehtung der ersten Auflage zurückzukehren, wo die
amen der Arten den Diagnosen vorangestellt waren.
Dr. Erwin Schulze.
394 Litteratur-Besprechungen.
Drude, Physik des Aethers. 66 Abbildungen. Stuttgart.
Ferdinand Enke 1894.
Der Titel des Werkes lässt Jeden, der dasselbe zur
Hand nimmt, etwas anderes erwarten, als der Inhalt bietet.
Denn bei dem heutigen Stadium der Entwickelung unserer
physikalischen Diseiplin führt eine derartige Titel-An-
kündigung nothwendig zu der Annahme, dass neue Ent-
wicklungen oder Erweiterungen der Maxwellschen An-
sichten geboten werden. Der Verfasser thut dieses aber
nicht, sondern bietet uns eine Darstellung der Theorie des
Magnetismus und der Elektrieität, wie wir sie jetzt den
Hörern im Colleg geben. Die Darstellung ist im Ganzen
klar und durchsichtig, an manchen Stellen allerdings weit-
schweifig und zu breit. Der enge Anschluss der Theorie
an das Experiment und die Benutzung der geometrischen
Methoden der Kraftlinien Faradays fördern das Verständnis
des Buches in vorzüglicher Weise. Die Darstellung um-
fasst das Gesammtgebiet der modernen Elektrieitätslehre,
und die im Anschluss daran entwickelte elektromagnetische
Theorie des Lichtes. Die vielfachen Hinweise auf neuere
experimentelle Arbeiten werden den meisten Lesern reebt
willkommen erscheinen. Für Studirende, die schon einen
allgemeinen Ueberblick über das Gebiet gewonnen haben,
ist das Buch zum Nachstudim zu empfehlen.
Es sind in letzter Zeit mehrere derartige Werke er
schienen. So z. B. die Vorlesungen von PoincarRE —
deutsch von Gumuıch und JÄer. An dieses mit vorzüg-
licher Klarheit und präciser Kürze abgefasste Buch hat
Detor sich in der Darstellung der Induetionserscheinunge®;
worauf er selbst iu seiner Vorrede hinweisst, angelehnt.
Auch in dem Capitel über Elektromagnetismus bemerkt mat
den Einfluss der Poiscarr#’schen Darstellung der Elektro
a
| Schmidt.
Neu erschienene Werke.
Allgemeines, Mathematik und Astronomie.
Wright, M. 0. The Friendship of Nature. London, 1894. 320,
240 pp.
Nataral en ige Edited by R. Lydekker. Vol, I. London,
1894. 50,
Hemel, C1, Fur el lüorähöneh de la mktöre. Paris, 1894. 180,
Felton, H. Creation, its Law and Religion. - London, 189. 89.
PP-
Akerblom, P. De l’emploi des ERROR pour mesurer la
“ hauteur des nuages. Upsala, 1894. 8%. I PP-
Hildebrand Hildebrandsson, H, et K. L. Hagström. Des
Principales methodes employses Höuk observer et mesurer nanges]
Upsala, 1893. 80. VII, 34
Mahnheim, A. Pıineipes et "döveloppeinents de döcmätrte eine-
matique. Paris, 1894. 40. Avec 186 fig.
'Ivanti Tl eoneetto d’infinitesimo e Ia sua _. alla
' matematien. Mantova, 1894. 80. 134 pp. Con
Hagen, J. Synopsis Fe höheren Mathematik. Ber Bd. Geometrie
algebraischen Gebilde. Berlin, 1894. F. L. Dames. 4%, V,
PP-
ara oux, G. Essais de psychologie et de metaphysique re
"Arithmetique graphique. - Les espaces arithmötiques hypermagique
Paris, 1894, 0, XXIII, 176
‘chwarz, W. Beiträge zur Kenntniss der umkehrbaren Umwand-
lungen Wolyinotpher Körper. Göttingen, 1894. Vandenheock nnd
Ruprecht. 40. 55 pp.
Gälo, Ne. Lezioni di trigonometria Yettilinea, Aversa, 1894. 80
211 pp. Con fig.
Grassmann 8, Hm. Gesammelte mathematische und TAYSTRAENEENE
erke. ‘Auf Veranlassung der mathematisch-physikalischen Klasse
- der königl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften und unter
en Mitwirkung von Jul, Lüroth, Ed. Study, Just. Grassmann, Hm.
Grassman nd 9,6. Scheffers herausgegeben von F. Engel. T. Bd:
396 Neu erschienene Werke.
1. Thl. Die Ausdehnungslehre von 1844 und die geometrische Ana-
lyse. Leipzig, 1894. B. G. Teubner. 8. XII, 435 pp. Mit
Bildniss und 35 Fig.
Michalskij, A. Die Ammoniten der untern Wolgaschicht. Lief.
1 und 2. Petersburg, 1894. 40. 495 pp. (russisch).
Niewenglowski, B. Coursde g&eometrie analytique ä l’usage des
eleves des gie spec. Vol. I. Sections coniques. Paris,
1594 8% VI, 484 p
Cayley, A. Collected Mathematical Papers. Vol. VI and VI.
London, 1894, 40,
Payne, W. Wand ©. R. Willard. Popular Astronomy. London,
1894. 80,
Observations de Poulkova, publises par O. Struve. Vol. X. St.
Petersbourg, 1894. [Leipzig, Voss’ Sort] 4%. II, 57, 226 pp-
Porro, F. Astronomia sferica elementarmente esposta. Roma, 1859
8°. XIII, 136 pp.
Chemie und Physik.
de Letamendi, J. Curso de quimica general 6 canon perpetuo de
la präetiea mediean. 2 tomos. Madrid, 1894. 40. 738,156 pp. Con
grabados.
Barillot. Traite de chimie lögale. Analyse toxicologique. Recherches
speciales. Paris, 1894. 8%. Avec nombr. fig.
Lomnitz, E. Kenntniss des Trimethylirimethylentrisulions. Heidel-
berg, 1894. J. Hörning. 47 .
Oechsner ® Coninek. Cours de ehknia organique. 2 vol. Paris,
1894, 80, PP. ;
Schneller, = Reactionen und Reagentien. Ein Handbuch für
Aerzte, Analytiker, Apotheker und Chemiker. I. bd. Eichstätt,
1894. tillkrauth. 80, IV, 605
Ostwald, W. Elektrochemie. Ihre Geschichte und Lehre. 3. U.
4. Lief. Leipzig, 1894. Veit & Co. 8%, p. 161-320. Mit Abbild.
Strehl,K. Theorie des Fernrohrs auf Grund der ea z
Lichts. 1]. Thl. Leipzig, 1894. J. A. Barth. 8. VH, 1
T.
Publikationen des astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam.
Herausgegeben von H. C. Vogel. Nr. 31. IX. Bd. Potsdam, 189.
[Leipzig, W. Engelmann.] 4°. III, 501 pp.
Montpellier, L-A. Electrostatique. Paris, 189. 16%. 292 PP-
Aveec 121 fig.
Christiansen, C. Laerebog i Fysik. Kjobenhavn, 1894
Berthenson, 6. Grundprineipien der physiologischen a
wo das Buttenstedt’sche Flugprineip. Berlin, 189. Mayer &
üller, p.
Abhandlungen, wissenschaftliche, der physikalisch-technischen Reichs
x
=)
62}
Neu erschienene Werke. 397
anstalt. I. Bd. Berlin, 1894, J. Springer. 4%. XVIII, 105 und
439 pp. Mit 16 Fig.
Anderssohn, A. Physikalische Prinzipien der Naturlehre. Halle,
1894. G. Schwetschke. 80,
Price, W. A. A Treatise on the Measurement of elestrieal Resi-
stance. London, 1894. 80, ‚
Bagnoli, E. Prineipi di statiea e loro applicazione alla teoria e
eostruzione degli strumenti metriei. Milano, 1894. 8. 260 PP.
Con 260 ill.
Handbuch der Physik, unter Mitwirkung von F. Auerbach, F, Braun,
E. Brodhun u. A. herausgegeben von A. Winkelmann. III. Bd.
22. Lfg. Breslau, 1894. E. Trewendt. 80%, Mit Abbild.
Faceioli, A. Teoria del volo e della navigazione aerea. Ricerche
sperimentali sulla resistenza dell’aria. Teoria dellelice e del timone,
Milano, 1894. 80, VIH, 310 pp. Con 52 ineisioni e 2 tavole inter-
ealate nel testo.
er, J.M. und E. Valenta Absorptionsspektren von farblosen
und gefärbten Gläsern, mit Berücksichtigung des Ultraviolett.
(Aus: Denkschr. der Kaiser. Akademie der Wissenschaften.|
Wien, 1894. F, Tempsky. 4% 11 pp. Mit1 heliogr. Taf., 2 Curven-
tafeln im Text und 1 Textfig.
Mineralogie und Geologie.
Smith, J, Monograph of the Stalactites and Stalagmites of the
Cleaves Cove, near Dalry, Ayrshire. London, 1894. 8°,
Loewinson-Lossing, F. Petrographisches Lexikon. Repertorium
der Petrographischen Termini und Benennungen. II. Thl. [Bei-
lage zu den „Sitzungsberichten der Naturforscher-Gesellschaft zu
Jurjew vom Jahre 1894*)] Jurjew, 1894. [Berlin, R. Friedländer
ü. Sohn.] 80, p. 113—256. Schluss.
Michalski, A. Die Ammoniten der unteren Wolga-Stufe. 2. Lfg.
Deutsches Resume. [Memoires du comits geologique. Vol. VII,
Nr. 2]. St. Petersburg. 1894. Eggers & Co. 4%. p. 329-497.
Bird, c, Geology. London, 1894. 80. 426 pp.
Nakchinson, U. N. Creatures of other Days. London, 1894. 89.
Engel, Ueber kranke Ammonitenformen im schwäbischen Jura.
(Aus: „Nova Acta der kaiserl. Leopold.-Carolinisch. deutschen Aka-
demie der Naturforscher.“] Halle, 1894. [Leipzig, W. Engelmann.]
» 60 pp. Mit 30 Taf.
Abhandlungen der königl. preussischen geologischen Landesanstalt.
Neue Folge. 2, Heft u. 9. Heft. II. Thl. Berlin, 1894. S. Schropp.
” XVI, 255 u. IX, 298 pp. Mit 13 Textfig., 1 Atlas von 28 Taf.,
= Tab. und 34 Taf. Mit 8 u, 34 Bl. Erklärungen.
= träge zur Geologie und Paläontologie des Herzogthums Braun-
Sthweig nad der angrenzenden Landestheile, herausgegeben BR
398 Neu erschienene Werke.
Auftrage des herzogl. Staatsministeriums von herzogl. Kammer-
Direktion der Bergwerke. 1. Heft. Braunschweig, 189. F, Vie-
weg & Sohn. 8%. X, 202 pp. Mit 8 Taf.
Schmalhausen, J. Ueber devonische Pflanzen aus dem Donetz-
Becken. [M&moires du comit& ge&ologique, vol. II, Nr. 3] St.
Petersburg, 189. Eggers & Co. 4%. 36 pp. Mit i Taf.
v. Gümbel, K. W. Geologie von Bayern in 2 Thln. II. Bd. Geo-
logische Beschreibung von Bayern. Cassel, 1894. Th. Fischer.
80. VII, 1184 pp. Mit zahlr. ee u. Profilen im Text
und 1 geolog. Karte v. Bayern als Beilag
Heim, Alb. Geologische Exkursion rt durch die östlichen
Schweizer-Alpen. Lausanne, 1894. F.Payot. 8%. 16 pp- Mit 1 Taf.
v. Ettinghausen, Ost. Zur Theorie der Entwicklung der jetzigen
Floren der Erde aus der Tertiärflora. [Aus: „Sitzungsberichte der
kaiserl. Akademie der Wissenschaften.“| Wien, 189. Tempsky.
80%, 90 pp.
Zoologie.
Nordhavs-Expedition, den norske, 1876—78. XXII. Zoologi. Ophiu-
roidea. Ved J. A. Grieg. Christiania, 1894. 4%. 13 BL 41 pp.
Horae societatis entomologicae rossicne variis sermonibus in Rossia
usitatis editae. Tom XXVIII. Nr. 1 et 2. St. Petersburg, 1894
[R. Friedländer u. Sohn.] 8, 288 pp. Mit 2 Fig. und 3 z. Thl,
farb. Taf.
v. Lendenfeld, R. Die Tetractinelliden der Adria mit einem An-
hang über die Lithistiden. [Aus: „Denkschriften der königl. Aka
demie der Wissenschaften.“j Wien, 1894. F. Tempsky. 4. 116 pP-
Mit 1 Fig. und 8 Taf.
Huxley, T. Mans’ Place in Nature and other anthropologieal Essay8-
London, 1894, 80,
Iolieoeur, H. Description. des TEEN de la vigne. Insectes et
ouleur. Paris, 1894. 40. 230 PP-
Ascärate y Fernandez, c. Insectos y eriptögames que invaden
los eultivos en Espana. Madrid, 1894. 4%, 780 pp.
Rossmässler, E. A. Iconographie der Land- und Süsswasser-
Mollusken mit vorzüglicher Berücksichtignng der europäischen noch
nicht abgebildeten Arten, fortgesetzt von W.Kobelt. Neue En
1. EEE Parc Wiesbaden, 1894. C. W. Krei idel.
p- 1-40. Mit 10 Steinta
Sars, @. O0. An eisen, of the Crustacea of Norw AT. with ge
Deseriptions and Figures of all the Species. Vol. I. Pt. and
Christiania, 1894, 8. p. 541-588. Og Planche 158..908 ’
Berlese, A. Acari, myriapoda et scorpiones hucusque in Italia
reperta. Fasc. LXX—LXXIHI. Padova, 1894, 8. 104 pP- 894. |
Thomson, €. G, Opuseula entomologien. Fasc. XIX. Lund, 1
67 pp. a
Neu erschienene Werke, 399
dalla Torre, ©. G. Catalogus Hymenopterorum hucusque descrip-
forum systematicus et synonymicus, Vol, I. Tenthredinidae inel.
Uroceridae (Phyllophaga und Xylophaga.) Leipzig, 189. W. Engel-
mann. 8%, VIII, 459 pp.
Wiese, V, Tropefuglenes Liv i Fangenskab. 1. Heft. Aarhus,
1894. 4% 48 pp. Og 2 Tavler.
Bütschli, 0. Vorläufiger Bericht über fortgesetzte Untersuchungen
an Gerinnungsschäumen, Sphärokrystallen und die Struetur von
Cellulose- und Chitinmembranen, [Aus: „Verhandlungen des natur-
historisch-medicinischen Vereins zu Heidelberg.‘ Heidelberg, 1394.
C. Winter. 8. 63 pp. Mit 3 Taf.
Chyzer, C., et L. Kulezynski. Araneae Hungariae secundum
eulleetiones a Leone Becker pro parte perscrutatas conscriptae.
Tomi II, pars 1. Theridioidae, Budapest, 1894. Verlagsbureau
Eberth,C.J. Die Sarkolyse nach gemeinsam mit Nötzel ausge-
führten Untersuchungen an der Froschlarve. [Aus: „Festschrift der
Faeultäten zur 200jährigen Jubelfeier der Universität Halle.“]
Berlin, 1894. A. Hirschwald. 40. 14 pp. Mit 1 Holzschnitt und
1 farb. Tafel.
Bibliotheca zoologiea. Original-Abhandlungen aus dem Gesimmt-
gebiete der Zoologie. Herausgegeben von Rdf. Leuckart und ©.
Chun. 16, Heft. 3. u. 4. Lieferung. — 17, Heft. 1. Lief. —
18. Heft. 1. Lief. Stuttgart, 1894. E,. Nägele. 40,
Bronn’s, H.G. Klassen und Ordnungen des Thierreichs, wissen-
schaftlich dargestellt in Wort und Bild. III. Bd. Mollusken.
10.— 14. Lfg. — Suppl. Tunieata. 2. u. 3. Lfg. Leipzig, 18914.
€. F. Winter. 8,
Sanders, A. Researches in the nervous System of Myxine glutinosa.
London, 1894. 4,
Botanik,
Schneider, G. Book of Choice Ferns for the Garden, Conserva-
tory and Stove, Vol. III, London, 1894. 40, 466 pp.
Parlatore, F. Flora italiana, continuata da T. Carael. Vol. X.
Firenze, 1894, 80, 934 p
: Moquin-Tandon. El&ments de botanique medierle. Paris, 1894
Pp. Avec 133 fig.
Knuth, P. Grundriss der Blüten-Biologie. Kiel, 1891. Lipsius &
Tischer. 80. 105 pp. Mit 36 Holzschn. in 143 Einzelabbildgn.
Itzerott, G. Bakterienkunde, Leipzig, 1894. A, Abel, 120, VII,
= Pp. Mit 48 Abbildgn.
a Bonnier et de Layens. Flore de la France. Avec toutes les
. Pspeces figurdes et dessindes d’apres nature. Paris, 1894. 8.
400 Neu erschienene Werke.
Britzelmayr, M. Hymenomyceten. XIII. Hymenomyceten aus
Südbayern. X. Thl. Mit Verzeichnissen der im I.—X. Thle. ver-
öffentlichten Arten und Formen. [Aus: „31. Bericht des natur-
wissenschaftlichen Vereins für Schwaben und Neuburg.*] Berlin,
1894. R. Friedländer & Sohn. 8%, p. 157—222. Mit 44 autogr. u.
kolor. Taf.
Bibliotheca botanica. Abhandlungen aus dem Ga der
anik, Herausgegeben von Chr. Luerssen und F. H. Ha enlein.
29. Heft. Stuttgart. 1894. E. Nägele. 4%, 12 pp. Mit 4 Taf. und
4 Bl. Erklärungen.
Acloque, A. Flore de France contenant la description de toutes
les especes indigenes disposdes en tableaux analytiques. Paris,
1894. 16°. 840 pp. Avec 2165 fig.
Agardh, J. G. Analecta algologiea. Observationes de speciebus
algarum minus cognitis earumque dispositione. Continuatol. Lund,
1894. 4%, 144 pp. Och 2 pl.
Küstenmacher, M. Beiträge zur Kenntniss der Gallenbildungen mit
Berücksichtigung des Geıbstoffes. |Aus: „Pringsheim's Jahrbücher
für wissenschaft. Eotanik.“] Berlin, 1894. Gebr. Bornträger. 8.
V.144 pp
Linden, L., A. Co nina et G. Grignan, Les Orchidees ex0-
tiques et leur culture en Europe, Paris 1894, 80%. XIV, 1
Reichenbach fil., H. Gst. Xenia Orchidacea. Beiträge zur Kom
niss der Orchideen. Fortgesetzt durch F. Kränzlin. I.
8. Heft. Leipzig, 1894. F. A. Brockhaus, 40. p. 125-140. Mit
10 Kupfertaf., wovon 5 kolor sch
Schulze, Max. Die Orchiäaceen Deutschlands, Deutsch-Oesterreie®
und der Schweiz, 13 Lfgn. Gera, 1894 &
92 Chromotaf., 1 Taf. in Schwarzdr. u. 1 Sta
Penzig, OÖ. Phlanssn- Teratologie, a "geordnet.
Dicotyledones, gamopetalae. Monoeotyledones. Crytogama®.
1894. [Berlin, R. Friedländer u. Sohn,| 8%. VII, 594 pp-
Becker, Th. Revision der Gattung Chilosia Meigen. [Aus „N
Acta der kaiserl. Leopold, - Carolinisch deutschen Akademie
Naturforscher Halle, 1894. [Leipzig, W. Engelmann.) 4%. 321 pP
t 13. Taf. /
I:
Genua,
en botanica. Abhandlungen aus dem Gesammtgebiete Ku
Botanik. Herausgegeben von Chr. Luerssen und F. Ha
30. u. 31. Heft. Stuttgart, 1894. E, Nägele. 40. hohen
v. Haläesy, E. Botanische Ergebnisse der im Auftrage der
kaiserl. Akademie der Wissenschaften unternommenen Bet f
reise in Griechenland. I. Beitrag zur Flora von Epiru
enkschriften der kaiserl. Akademie der Wissenschaften.
1094. F. Tempsky. 4%. 52 pp. Mit 3 lith. Taf.
1 2.
en
2 u Er
Tafel V.
v. Fritsch, Diluviale Grundmoränengebilde bei Halle a|S.
e der Westwand der städtischen Sandgrube zwischen
Diemitz und Mötzlich bei Halle a/S.
"Se oje ‘19u339[4 'aq9n uoA yonıpayor] :
oyd ayaapn] ‘Q
nel 19 'pg vojey9suassjmingey In7 1411y98]187
Tafel VI.
v. Fritsch, Diluviale Grundmoränengebilde bei Halle a/S.
Theil der Westwand der städtischen Sandgrube zwischen
Mötzlich und Diemitz bei Halle a/S.
'S we ojfed '19uU7J9] 4 '1q2 9 UoaA YOnıpyysıT soyd oydapn"'
Ko
{a 198 19 'Pg Uopeyosuossjmunney 404 ayasylB]
Tafel VO.
viale Grundmoränengebilde bei Halle
Zeitschrift für Naturwissenschaften Bd. 67. Tate} VII
Be 5 Kse h ee;
; : = 34, al Ss
VÖ. Lüdecke phöt. Lichtdruck von Gebr. Plettner, Halle a. >
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thüringen.
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65 De 3: Mad
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eorologische Beobachtungen nebst Beobachtungen 1“ “über
er En will, Wasserverdunstung. .
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eg . Dr., Die lokale Annesthesirung dureh Sapon von
ug Si , Beiträze zur Kenntniss der Alkaloide aus pe Wann tur-
ehe en und he lionium majus. (Zeitschrift en; £3 #
ger iger 6. Heft.) Zeit-
ie isopleomurphe gung der- MesotyP®- u.2%
acheifk f. Naturw issenschaften, 63, Bd. 1. Heft.) ’64. Bi.
A: Beiträge zur Kenntniss des Ginphitkohlenstoffes- IM k-
>
a en der Frosehlary}"
ER
a heit en A Eutwicklung der u
itschr Naturwissens haften, 63. Bd. 2
Rübsaamen s über er neue und nl Geiicken
„und Gain, Üeitschri Naturwissenschaften, 64. B Bd. ! Kotizen
Te rmeng- Weine (Zeit en ae
über sächs.- ing, Wei hrift f. Naturwissen»
&5. Heft) 4 ne, (Zeitschrii Na : Mi
Rob,, tische Hürosien..
- ee Erste Pre
Naturwissenschaftl. Verein für Sachsen und Thüringen
zu Halle a. $.
Bericht über das Jahr 1894.
47. Gesellsehaftsjahr.
Das vergangene Jahr zeitigte drei wichtige geschäft-
_ liehe Aenderungen für den Verein:
e 1. Umarbeitung und Neuherausgabe der Statuten, die
_ aufder allgemeinen Versammlung am 16. und 17. Juni 1894
zu Quedlinburg angenommen wurden.
2. Eingehen des Correspondenzblattes, an dessen Stelle
en Jahresbericht tritt, der sämmtlichen Mitgliedern jedes-
"mal mit dem 6. Hefte der Zeitschrift zugeht; die wissen-
schaftlichen Mittheilungen aus den Sitzungen kommen ent-
weder als Öriginalabhandlungen oder unter der neuein-
gerichteten Rubrik „KleinereMittheilungen“ in der Zeitschrift
zum Abdruck.
3. Verschmelzung der Vereinsbibliothek mit derjenigen
der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle a. $. auf Grund
A 4 Dar Es es ua 1 Ta aeg m Se Fee ET a ae
liothek ideelles Eigenthum der Gesellschaften ist. Aus
Vortheil, indem die Bibliothek einmal ihre vorhandenen
Serien wesentlich vervollkommt durch diejenigen der hin-
Zugekommenen Gesellschaft, wie sie andererseits in der
. ist, neue Serien hinzuzufügen. Die Bibliothekare
‚beider Gesellschaften verwalten gemeinsam die Bibliothek.
Für die Neuaufstellung der Bibliothek sind die Vorarbeiten
Aufstellung des neuen provisorischen Katalogs, Regelung
des Tauschverkehrs) beendigt, auch ist die Neuaufstellung
Mm. Bar Garden,
1% Bericht über das Jahr 189.
der Werke schon ziemlich weit fortgeschritten, sodass bis
zum Sommer die gemeinsame Bibliothek zur Benutzung
kommen kann.
Ferner ist mit den Direktoren hiesiger Institute (zu-
nächst des mineralogischen und des zoologischeu) ein
Uebereinkommen getroffen dahin gehend, dass eine Reihe
einzelner Fachzeitschriften und selbständiger Werke dauernd
diesen Instituten geliehen wird, mit der Bedingung, den
Bibliothekaren des naturwissenschaftlichen Vereins für
Sachsen und Thüringen und der naturforschenden Gesell-
schaft jederzeit, den Vereinsmitgliedern zu bestimmten
Stunden der Woche den Zutritt zu den Institutsbibliotheken
zu gewähren. Die Direktoren sind dafür verpflichtet, die
geliehenen Werke in Ordnung zu halten und für gesonderte
Aufstellung und übersichtliche Katalogisirung Sorge zu
tragen.
Der Vorstand bestand aus den Herren:
Geheimrath Prof. Dr. Freiherr von Fritsch, 1. Vor-
sitzender; Major a. D. Dr. Förtsch, 2. Vorsitzender; Gym-
nasialoberlehrer Dr. Riehm, Privatdocent Dr. Wiener, Ober-
lehrer Dr. Smalian, Schriftführer; Dr. E. Erdmann, Kassen-
führer; Privatdocent Dr. Brandes, Bibliothekar.)
Im ganzen wurden 29 Sitzungen abgehalten, darunter
eine allgemeine am 16. und 17. Juni in Quedlinburg, welche
von 81 Theilnehmern besucht war, wovon 25 hallesche Mit-
glieder. Mit dieser Versammlung wurden verbunden: Ausflüge
in die subhereynische Kreide von Westerhausen, in das Granit-
massiv des Wurmthales, in das Bodethal, ferner die Be-
sichtigung der Sammlungen von Alterthümern, welche zum
Theil der Stadt Quedlinburg, zum Theil Herrn Dr. Lampe
und anderen Privaten gehören, endlich Besichtigung der
Dippe’schen und Mette’schen Gärtnereien. Die zweite
statutengemäss abzuhaltende, allgemeine Versammlung fand
am 16. Dezember statt. Ausserdem hatten sich gelegentlich
1) In den Vorstand für das Jahr 1895 wurden gewählt =
Herren: von Fritsch, Vorsi’zender, Förtsch, zweiter Vorsitzender,
Riehm, Smalian, A. Wagner, Schriftführer, E. Erdmann, Rue
führer, Brandes, Bibliothekar,
Naturwissenschaftl. Verein für Sachsen u. Thüringen. III
der Universitätsjubelfeier hiesige und auswärtige Mitglieder
zu einem geselligen Beisammensein eingefunden.
Besucht wurden die Sitzungen, ausser von zahlreichen
Gästen, im Ganzen von 609 Mitgliedern, sodass im Durch-
schnitt auf jede Sitzung 21 anwesende Mitglieder kommen.
Ausserdem veranstaltete der Verein im Jahre 1894 vier
öffentliche Vorträge, die sich eines regen Besuches auch
seitens vieler Nichtmitglieder zu erfreuen hatten. Diese
öffentlichen Vorträge behandelten folgende Stoffe:
„Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen.‘ Herr
Oberlehrer Dr. Smalian.
„Dehönheitspflege im Alterthum und in der Gegenwart.“
Herr Privatdocent Dr. Kromeyer.
„Ueber Lionardo da Vinei als Naturforscher.“ Herr
Direetor Dr. v. Lippmann.
„Das Leben der Menschen in der Steinzeit.“ Herr
Major a. D. Dr. Förtsch.
Die in den Sitzungen gebotenen Vorträge‘) und Mit-
theilungen bezogen sich auf folgende Gegenstände:
Mathematik und Astronomie.
Benennung kleiner Grössenordnungen H. Erdmann,
Schmidt. — Konstructive Darstellung von Raumkurven,
Wiener. — Planimeter und Curvimeter D., Ule. — Diester-
wegs populäre Himmelskunde, Brandes. — Die Entstehung
der Jahreszeiten auf dem Mars, Wiener.
Physik und Meteorologie.
Graphische Darstellung von Schwingungskurven zweier
Pendel, D., Wagner. — Der von Bernheim verbesserte
Abbe’sche Zeichenapparat D., von Herff. — Die Unhaltbar-
keit des Bär’'schen Gesetzes, Dunker. — Direkte Umwand-
lung chemischer in elektrische Energie nach Borchers,
- Schenek. — Der grosse Hagel Wiens vom 7. Juni 1894,
Halbfass. — Die Sohncke’sche Gewittertheorie, Wiener.
Chemie, Nahrungsmittel- und physiologische Chemie.
Alaune, insbesondere der Kali-Eisenalaun D., H. Erd-
- — Vernnreinigtes Aluminium, Teuchert, H. Erd-
1) Demonstrationen, welche statt hätten, sind mit D. bezeichnet.
IV Bericht über das Jahr 189.
mann. — Entglaste Produkte der Wittener Glasindustrie, D.,
H. Erdmann. — Analyse derselben nach Köthner, derselbe.
Platindoppelsalze und die Verwandtschaft der Edelmetalle.
D., H. Erdmann. — Ein nenes haltbares Platinpapier für
photographische Zwecke, Knapp. — Deutsche Vaseline-
fabrikate, Huth. — Zur Theorie des Färbeprozesses, D,;,
Dathe. — Synthetische Darstellung von Nahrungsmitteln,
insbesondere über Holzmehl-Pferdebrot, D., H. Erdmann.
Analyse des Pferdebrotes, schwedisches und russisches
Hungerbrot, Baumert. — Die Verdauungsvorgänge im Darm
der Hausthiere, Holdefleiss. — Genuss von Pferdefleisch
und über das Schächten, Veckenstedt und Dr. Fessler. —
Nachweis von Pferdefleisch und dessen Vorkommen in
Fleischwaaren, Goltz, Baumert.
Mineralogie und Geologie.
Bemerkungen über das krystallographisch-optische Ver-
halten der Alaune, Luedecke. — Der Eisenboraeit von
Roschwitz b. Bernburg, D., derselbe. — Krystallformen von
Eis und Schneeflocken, D., derselbe. — Verbreitung des
Zinns und seiner Erze, derselbe. — Die Quecksilberwerke
von Schuplja Stena b. Belgrad, D., von dem Borne. —
Die edlen Steine der altsemitischen Welt, Veekenstedt. —
Der geologische Bau eines Theiles von Ostafrika, von dem
Borne. — Schichtungs- und Quetschungserscheinungen in
den Diluvialsanden des Goldberges b. Diemitz, v. Fritsch,
Luedecke. — Gegenwärtiger Stand des verschwindenden
salzigen Sees, Brandes. — Besuch der sogenannten neuen Bau-
mannshöhle, D., derselbe. — Die Natur der sogenannten
Gletschertöpfe des Iberges, derselbe. — Die geologischen
Verhältnisse desKarstes, derselbe. — Ein Geschiebe Calamo-
pora aus der Gegend von Eisleben, D., Förtseh. — Stein-
gerölle von Gerdauen in Ostpreussen, D., derselbe. —
Chamotte - Thone von Rackonitz in Böhmen, D., derselbe.
Diluviale Knochenbreeeien aus Cypern, D., v. Fritseb. —
Trilobiten aus den Thüringer Griffelschiefern, D., derselbe
Fossile Pflanzen der subhereynischen Kreide von Wester-
hausen, D., Lampe. — Paläontologische und prähistorische
Funde aus der Gegend von Neuhaldensleben, D., Brandes.
Naturwissenschaftl. Verein für Sachsen und Thüringen. V
.— Ammoniten der Trias von Hanbulog bei Serajewo, D.,
von dem Borne. — Cymatosaurus Friderieianus aus dem
Muschelkalk von Nietleben, D., und Nothosaurusreste des
Muschelkalkes von Freyburg a. U. (Geschenk von Dr.
Schmerbitz), D., v. Fritsch.
Prähistorische Forschung.
Feuersteinartefaete von Ratibor, D., Förtsch. — Vor-
geschichtliche Töpfereigeräthe aus der Umgegend von Halle,
D., derselbe. — Zeiten- und Nothfeuer, Veckenstedt. —
Altgermanische Namengebung, derselbe. — Nagelsteine,
insbesondere der „lange Stein‘ bei Dölau, derselbe. —
Der im salzigen See gefundene Einbaum, E. Erdmann.
Zoologie, Anatomie, Entwicklungsgeschichte, Physiologie.
Frühzeitiges Ausschlüpfen von Schmetterlingen im
Winter, Brandes. — Abhängigkeit der Farbe von Schmetter-
lingspuppen von der Farbe des Untergrundes, D., Brandes.
— Sehützende Färbungen und Zeichnungen von Kohlweiss-
lingspuppen, Pieris brassicae zwischen Flechten D. und
des Rüsselkäfers Lithinus nigrocristatus auf Parmelia erinita
von Madagaskar, D., Smalian. — Schmeil, Deutschlands
freilebende Süsswassercopepoden II, Harpactieidae, Referat
Brandes. — Eine seltene amerikanische Schildkröte Kinos-
'ernum und ihr Ei, D., derselbe. — Kessler, Der Blattfloh
Trioza alacris an Laurus nobilis, Referat Brandes. — Eine
Singmaus, D., Kalberlah. — Einige wenig bekannte Wild-
Schweine des malayischen Archipels, D., v. Spillner. —
Der grosse ÖOrang des Leipziger zoologischen Gartens,
Brandes, — Knauthe, Kröten von Fliegenmaden getötet,
Referat Brandes. — Die Fauna Istriens, D., Brandes. —
Ueber die Krebspest, derselbe. — Belege für die Herkunft
des Honigthaues von Blattläusen, derselbe. — Honigthau
‘von Schildläusen, derselbe. — Honigthau in Gallen, D.,
hede. —— Zacharias, Zweiter Forschungsbericht der Plöner
biologischen Station, Referat Schmeil. — Schleierschwänze
"nd Teleskopfische, D., Smalian. — A. Fritze, Saisondimor-
Pälsmus japanischer Schmetterlinge, Referat derselbe. —
P. Marshall, Parthenogenesis bei Wespen, Referat derselbe
vi Bericht über das Jahr 1394.
Knauthe, Die Brutpflege des Moderrapfen, Leucaspius
delineatus, Referat Brandes. — Die Brutpflege der Macro-
poden, Smalian. — Walembryonen nach Kükenthal, Referat
Smalian. — R. Semon, Entwicklungsgeschichte und Biologie
des Ceratodus Forsteri, Referat derselbe. — Ein Hühnerei
mit wurstförmigen Fortsätzen, D., Riehm. — Zwei durch
einen Strang verbundene Hühnereier, D., Brandes. — Ein
von Dr. Rosenthal (Teuchern) in einem Hühnerei gefundener
Fremdkörper, D., derselbe. — Mole und Dermoideysten,
v. Herff. — Eine Dermoideyste aus dem Bauchfell einer
Gans, D., Brandes. — Zwillings-, Drillings- ete. Bildungen,
insbesondere ein Fall von Sechslingen, v. Herfl. — Zwei
ungleichalterige Zwillingsembryonen, D., derselbe. — Ein
Zwillingsapfel und dessen genetische Deutung, D., derselbe.
— Superfecundatio und Superfoetatio, derselbe. — Poly-
spermie, Brandes. — Ueber Telegonie, v. Spillner, Smalian.
— Atavistische Zeichnungen der Hausthiere zur Erklärung
der Telegonie, Brandes, Smalian. — J. Kühn, Kreuzungen
eines europäischen Wildebers mit einem Bündener Schwein,
Referat v. Spillner. — Kohl, Die rudimentären Wirbel-
thieraugen II, Referat Brandes. — Trocken konservirte,
abgeworfene T'ritonenhäute, D., Smalian. — Konservirung
von Thieren in Formaldehyd (Formol, Formalin), D.,
Brandes, Goldfuss, Smalian. — Eine Konservirungsflüssig-
keit für Pflanzen, Hollrung.
Botanik.
Phänologisches vom abnorm zeitigen Frühjahr 1894,
von Fritsch. — Eine deformirte Clematis-Blüthe, D., von
Schlechtendal. — Vergrünte Rosen, D., Kalberlah. — Ver-
grünungen von Blüthen, D., v. Schlechtendal. — Eine ver-
grünte Weinblüthe, D., derselbe. — Ein Kieferzweig mit
85 Fruchtzapfen, D., Klöber. — Gallen der Zerreiche
(Quereus cerris) und deren Erzeuger (Chilaspis nitida Mayr.)
im botanischen Garten zu Halle a.S., D., v. Schlechtendal. —
Reinkulturen zweier neuer, niederer Pilze, Prototheca mor!-
formis und Zopfi und zweier neuer, niederer Algen,
Chlorella protothecoides und Chlorothecium, saccharophy Ilum,
D., Krüger. — Eine neuntheilige Roggenähre, D., Riehm.
Naturwissenschaftl. Verein für Sachsen und Thüringen. VII
— Geschichte der Blattstellungstheorien, insbesondere die
mechanistischen Theorien Schwendeners und Schumanns,
Referat Smalian. — Stahl, Pflanzenbiologische Forschungen,
insbesondere die Träufelspitze der Blätter, Referat Brandes.
— Zoebl und Mikosch, die Funktion der Grannen,
Referat Smalian. — Die Befruchtung der Blumen durch
Insekten, D., Smalian. — Wurzellose Tillandsien aus
Argentinien (Flor de l’air), Ph. Wagner. — Epiphyten der
Savannen, Smalian. — Wasser- und Mineralstoffaufnahme
durch Blätter, Krüger, Spillner. — Die xerophytische
Flora Istriens, D., Brandes, — Pflanzenkrankheiten
und Pflanzenschutz, Hollrung. — Pflanzenschaden, durch
Fluorverbindungen von Floridasuperphosphaten verur-
sacht, Teuchert. — Pleomorphismus der Blätter und
Nutzpflanzen aus der Familie der Moraceen, Brandes.
— Ueber Septentrionalin, Kobert. — Ein Indigolösung
zerstörender Mikroorganismus, D., Dathe. —
Allgemeines.
Reisen in Albanien, Montenegro, Dalmatien und Bosnien,
H. Erdmann.
Glückwünsche
sandte der Verein Herrn Prof. Häckel-Jena zum 60. Geburts-
tage, Herrn Exec. v. Seuäffer-Jena zum 70. Geburtstage.
Nekrologe.
Nachrufe an Prof. Hertz und Prof. Kundt. — Schmidt.
Nachruf an Hofrath Dr. Liebe. — v. Fritsch. — Nachruf
an Prof. Kützing. — Zopf. — Nachrufe an Dr. L. Coulon,
Neufchatel, Prof. v. Helmholtz und Geh. Bergrath Dunker. —
V. Fritsch.
Ausflüge
Machte der Verein nach Quedlinburg (s. oben) und in die
Hildebrandt’schen Mühlenwerke nach Böllberg.
Die Kassenverhültnisse
sind in steter Besserung begriffen. Da die letzte Abrech-
Qung, die noch ein beträchtliches Defieit ergab, schon auf
der Generalversammlung im Sommer stattfand, seitdem
VII Bericht über das Jahr 1894.
aber die Verhältnisse durch Wegfall des Correspondeuz-
blattes, äusserste Sparsamkeit und durch Beitritt vieler
neuer Mitglieder eine wesentliche Verbesserung erfahren
haben, verzichten wir diesmal auf nähere Angaben und
hoffen im nächsten Jahre einen bescheidenen Ueber-
schuss melden zu können.
Der Personalbestand
wies im vergangenen Jahre folgende Bewegung auf. Zu
Beginn des Jahres zählte der Verein 4 Ehrenmitglieder,
3 eorrespondirende, 115 auswärtige, 85 einheimische, im
ganzen also 200 zahlende Mitglieder, dazu kamen noch
6 studentische Theilnehmer.')
Durch den Tod verlor der Verein 4 Mitglieder, die
Herren Geh. Bergrath a. D. Dunker und Markscheider
Sommerweiss, Hofrath Prof. Dr. Liebe und Se. Exec. den
wirkl. Geheimrath, Prof. Dr. Hermann v. Helmholtz. Ihren
Austritt erbaten 7 Mitglieder, die Herren: Dr. Ellisen,
Dr. Gerlach, Dr. Guckelberger, cand. Oelert, Graf Stolberg-
Stolberg, Sekundarlehrer Werneburg, Oberlehrer Wilke.
Nach diesen Verlusten zählte der Verein also 3 Ehrenmit-
glieder, 3 correspondirende, 107 auswärtige und 83 ein-
heimische, insgesammt 190 zahlende Mitglieder.
Der Zuwachs des Jahres 1894 füllte aber diese Lücken
völlig aus. Nicht weniger als 30 neue Mitglieder traten
dem Vereine bei, sodass die Anzahl der Zahlenden bis
zum Ende des Jahres auf 220 stieg. Zum correspondiren-
den Mitglied wurde ernannt Herr Prof. Dr. William
Marshall zu Leipzig, wegen seiner grossen Verdienste
um die Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse,
besonders wegen seiner reizvollen Schilderungen der
Direktor Eisengräber, Dr. Neyde und Dr. Schellwien.
Naturwissenschaftl, Verein für Sachsen und Thüringen. IX
‚heimischen Thierwelt. Drei einheimische Mitglieder mussten
in die Liste der auswärtigen übertragen werden, Dr. Rüble,
Dr. Sehütze und Dr. Wiener, letzterer folgte einem Rufe
als ordentlicher Professor an die technische Hochschule zu
Darmstadt, und wir verloren in ihm zu unserem grossen
Bedauern ein eifriges Vorstandsmitglied.
Die neuen einheimischen Mitglieder sind folgende
Herren:
Dr. Bornitz, Gymnasiallehrer. Brinkmann, Fabrik-
besitzer und Stadtverordneter. Goltz, Direktor des städt.
Sehlachthofes. Humperdinck, Bergrath. Karras, Buch-
druckereibesitzer. Dr. Keil, Frauenarzt. Dr. Lange, Arzt.
Dr. Lenz, Assistent am landwirthschaftl. Institut. C. Plettner,
Kunstverleger. Dr. Risel, Sanitätsrath und Kreisphysikus.
von Skerst, stud. Dr. Schulz, prakt. Arzt. Dr. Thost,
Verlagshändler. Dr. Wagner, Oberlehrer. Ph. Wagner,
aufmann.
Von auswärts meldeten sich die Herren:
Prof. Dr. Blasius, Braunschweig. Dr. Brandis, Arzt
an der Provinzial -Irrenanstalt Nietleben. W. Brauns,
Fabrikbesitzer, Quedlinburg. Dr. Fries, Direktor der
Provinzial-Irrenanstalt Nietleben. Dr. Grossmann, Oberarzt,
ebendaselbst. Dr. B. Habenicht, Quedlinburg. Dr. Halb-
fass, Oberlehrer, Neuhaldensleben. Dr. 0. Hermes, Direktor
des Berliner Aquariums. K. Knauthe, Schlaupitz i. Schles.
Prof, Dr. Kohlmann, Quedlinburg. Dr. Meye, prakt. Arzt,
Eisleben. H. Meyersberg, Wien. Dr. G. Rhode, Cönnern.
Dr. Walter, Sekretär des schlesischen Fischereivereins in
Breslau. Dr. Weller, Chemiker, Quedlinburg.
. Diese grosse Anzahl auswärtiger Mitglieder, die an den
Sitzungen des Vereins kaum theilnehmen und vom Verein
ur die Zeitschrift erhalten, beweist uns, dass die Zeit-
Schrift gehr wohl im Stande ist, uns neue Mitglieder zuzu-
. en; und wir richten daher an alle Vereinsangehörigen
die Bitte, in ihrem engeren Bekauntenkreise auf die Zeit-
Schrift für Naturwissenschaften nach Kräften aufmerksam
Sachen, sie ist ein ausnehimend billiges Organ, zumal
ot die Vereinsmitglieder, und die Redaction bemüht sich,
| allen Daturwissenschaftlichen Interessen in gleicher Weise
2 Bericht über das Jahr 189.
Rechnung zu tragen. Es müsste doch jedem Mitgliede
möglich sein, jährlich einen seiner Bekannten für den
Verein zu werben; wenn das wirklich geschähe, würden
wir in 3 Jahren unser 50jähriges Bestehen in grossartigster
Weise feiern können.
Halle a. S., den 10. Januar 189.
K. v. Fritsch, K. Smalian,
7. Z. Vorsitzender, Schriftführer.
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Mitgliederverzeichniss.')
A. Ehrenmitglieder.
. Rammelsberg, Dr., Geh. Regierungsrath u. Prof., Berlin.
. v. Hauer, Hofrath, Intendant d. k. k. naturhist. Hof-
museums in Wien.
. Virchow, Dr., Geh. Medieinalrath u. Prof., Berlin.
B. Korrespondirende Mitglieder.
» Kenngott, Dr., Professor, Zürich.
Dieck, Dr., Zöschen bei Merseburg.
Schmerbitz, Dr., Freyburg a. U.
» Marshall, William, Dr., Professor, Leipzig
C. Ordentliche Mitglieder,
a. Auswärtige:
‚ Abbe, Dr., Professor, Jena.
Ahlenstiehl, Dr., Oberlehrer, Lüneburg, Hoher,
Garten 1.
Albert, Dr., Gut Münchehof bei Quedlinburg.
Alt, Dr,, Direktor der Landesheilanstalt Uchtspringe,
Alta rk.
Amberg, Physiker, Berlin, Spenerstrasse 4/b.
Anhaltisches Ministerium, herzogl., Dessau.
Bäumler, E., Dr., Halberstadt, Augenklinik.
Barth, M., Dr; Helmstedt, Landwirthschaftl. Schule.
Bender, Dr. Sanitätsrath, Camburg.
ng
1) Abgeschlossen am 1. Januar 1895. — Berichtigungen, Woh-
wu Sewechsel etc. erbittet der Schriftführer Dr. Smalian, Halle a. S.,
Örmlitzerstrasse 4.
42,
Mitgliederverzeichniss.
. Beyschlag, F., Landesgeologe, Dr., Wilmersdorf bei
Berlin, Nassauische Strasse 51.
Biedermann, Oberstlieutenant, Berlin W., Lützow-
Ufer 22.
. Blasius, Wilh., Dr., Prof., Braunschweig, Gausstr. 17.
. Bode, Dr., Rittergutsbesitzer, Rottenbauer bei Heidings-
feld in Bayern.
. Böttger, O., Dr, Prof., Frankfurt a.M., Seilerstr. 6.
. v. d. Borne, G., Dr., Berneuchen bei Neudamm.
. Brandis, Dr., Arzt a. d. Prov.-Irrenanstalt, Nietleben.
. Brass, Dr., Göttingen.
. Brasack, Dr., Professor, Aschersleben.
. Brauns, Wilhelm, Fabrikbesitzer, Quedlinburg.
. Büttner, Dr., Rektor, Camburg.
. Carus, Dr., Prof., Leipzig, Gellertstr. 7.
- Compter, Dr., Direktor, Apolda.
. Credner, Dr., Oberbergrath uud Professor, Leipzig,
Milchinsel 4.
. Dalmer, Dr., Kgl. Landesgeolog, Jena, Bahnhofstr.
Droysen, Dr., Direktor, Dahme (Brandenburg).
. Dsehenfzig, Magdeburg, Commerzienrath.
. Fiermann, Max, Apothekenbesitzer, Weissenfels a. 9.
Flemming, Dr., Professor, Altenburg.
Franke, Dr., Oberlehrer, Schleusingen.
. Fries, Dr., Direktor d. Prov.-Irrenanstalt, Nietleben.
Gareke,Dr., Professor, Berlin SW., Gneisenaustr. 20.
2. Geuther, Nikol., Lehrer a. d. Realanstalt am Donners-
berge bei Marnheim (Pfalz).
. Glass, Direktor, Merseburg, Landwirthsehaftl, Schule.
Gotha, Naturwissenschaftl. Sammlungen des herzogl-
Museums in Gotha.
Grossmann, Dr., Oberarzt, Prov.-Irrenanst. Nietleben.
. Grässner, Bergassessor, Schönebeck.
. Grottke, Buchhändler, Leipzig, Königstr. 23.
. Günther, Dr., Fabrikbesitzer, Bernburg.
- Habenicht, Dr., B., Quedlinburg.
Hachtmann, Dr., Sanitätsrath, Weissenfels a. 8
. Halbfass, Dr., Gymnasialoberlehrer, Neuhaldensleben,
v. Hänlein, Rittmeister, Blankenburg (Harz).
SF,
3
S
Mitgliederverzeichniss. XIll
. Hasse, Dr. med., Nordhausen.
. Hellriegel, Dr., Professor, Bernburg.
. Hermes, O., Dr., Direktor des Berliner Aquariums,
Berlin C., Unter den Linden 13.
. Herzfeld, A., Dr., Direktor und Professor, Berlin 3,
Invalidenstrasse 43.
. Hielscher, Dr., Berlin NO., Weinstrasse 30.
. Holdefleiss, Dr., Professor, Breslau.
. Huth, P., Fabrikant, Wörmlitz bei Halle.
Kaiser, Dr., Oberlehrer, Schönebeck a. E.
- Kessler, Apotheker, Nordhausen, Mohrenapotheke.
- Kirehner, Dr., Professor, Leipzig, Brüderstr. 34.
. Klöber, Oberlehrer, Quedlinburg.
- Klose, Professor, Weissenfels a. 8.
- Knauthe, Karl, Schlaupitz, Kreis Reichenbach u. d.
Eule, Schlesien.
- Köhnke, Dr., Oberlehrer, Salzwedel.
- Köttnitz, Dr., Fabrikbesitzer, Teuchern.
- Kohl, C., Dr., Stuttgart, Kriegsbergstr. 15.
. Kohlmann, Dr., Professor, Quedlinburg.
- Krüger, W., Apotheker, Waltershausen.
. Lampe, Dr. phil., Quedlinburg, Lange Gasse 8.
- Leuekart, Dr., Geh. Hofrath und Professor, Leipzig.
‚ Leuschner, Geh. Bergrath, Eisleben.
Liesenberg, C., Chemiker, Dresden - Plauen, Hohe
Strasse 34.
- Lisker, Rektor, Volksmädchenschule, Alte Neustadt-
Magdeburg. (z. Z. in Naumburg, Wenzelspromenade 17).
- Lorentzen, Oberlehrer, Pforta bei Kösen.
- Lüdecke, Dr., Kultur-Ingenieur, Mainz, Frauenlob-
Strasse 4.
- Mette, Einfahrer, Leopoldshall.
: Meye, Dr. med., prakt. Arzt, Eisleben.
: Meyer, Dr., Hofrath, Dresden, Zoologisches Museum,
Zwinger.
i Meyersberg, H., Wien I, Schottenring 15.
: Müller, Traugott, Dr., Hafelberg, Dom 25.
: Pertsch, Dr., Hofrath, Gotha.
- Petry, Dr., Oberlehrer, Nordhausen, Alleestr. 12b.
103.
Mitgliederverzeichniss,
. Petzold, K., Dr., Oberlehrer, Zerbst, Käsperstrasse 6.
. Pott, R., Dr., Poppelsdorf bei Bonn, Physiologisches
Institut.
Pröschold, Dr., Oberlehrer, Meiningen.
. Rademann, Apotheker, Frankfurt a. M.-Bockenheim,
Königstrasse 2.
Rengel, C., Oberlehrer, Potsdam, Neue König-
strasse 1281.
. Rhode, G., Dr., Cönnern, Zuckerfabrik.
. Riehter, Dr., Gymnasialoberlehrer, Quedlinburg.
. v. Röder, V., Rittergutsbesitzer, Hoym (Anhalt).
. Römer, Dr., Bernburg, Versuchsstation.
. Rosenthal, Th., Dr., Teuchern, Reg.-Bez. Merseburg.
. Rühle, Dr., Wickede a. d. Ruhr, Portlandcement-
fabrik.
. Rost, Adalb., Dr., Prof., Cassel, Annastr. 20.
. Sachtleben, Dr., Direktor, Krefeld.
. Sauer, Dr., Landesgeolog, Heidelberg, Römerstr. 42.
. Schäffer, Dr., Professor, Jena.
. Scheer, H., Oberlehrer, Königsberg i. Pr., Mittel-
Tragheim 34 B.
. Scheibe, Dr., Bezirksgeolog, Berlin N., Invaliden-
strasse 44.
. Sehiemenz, Dr., Neapel, Stazione zoologica.
. Schmeil, Dr., Rektor, Magdeburg, Annastr. 17.
Schmidt, Dr., Arehidiakonus, Aschersleben.
Schmidt, E., Dr., Geh. Regierungsrath u. Professor,
Marburg.
. Schnorr, Dr., Professor, Zwickau.
. Seholwer, Magdeburg, Zschokkestrasse 19.
. Sehreiber, Dr., Professor, Stadtrath, Magdeburg.
. Sehröder, Realschuldirektor, Naumburg a. 9, Park-
strasse 15.
. Sehubring, @., Professor am Realgymnasium, Erfurt,
Karthäuser-Ufer 6.
. Sehtitze, R., Dr., Spessarter Hohlglaswerke, Lohr a.M.
. Schulze, Erwin, Dr., Badersleben, Ackerbauschule.
Siegert, Dr., Professor, Dresden N., Antonstr- 16.
Mitgliederverzeichniss. XV
. Simroth, Dr., Professor Leipzig - Gohlis, Leip-
zigerstrasse 1.
. Soltsien, Handelschemiker, Erfurt.
Stade, H., Dr., Berlin W., Schinkelplatz 6.
. Staute, Dr., Brauereibesitzer, Freyburg a. U.
. Steffeck, Dr., Cröllwitz bei Halle.
. Steinriede, Dr., Direktor, Wittenberg.
. Stössner, Dr., Helmstedt, Landwirthschaftl. Schule.
. Fürst Stolberg-Rossla, (Adr.: Rentkammer).
. Fürst Stolberg- Wernigerode, (Archivrat Jacobs).
. Thede, Direktor, Rattmannsdorf bei Ammendorf.
. Thiele, Dr., Professor, München, Schillingstrasse 761.
. Thomas, Dr., Professor, Ohrdruf.
116. Walter, Oberlehrer, Magdeburg, Breiteweg 24.
117. Walter, Dr., Sekretär des Schles. Fischereivereins,
Breslau.
118
- Weller, Dr., Chemiker, Anilirfabrik, Quedlinburg.
- Wiener, Dr., Professor an der techn. Hochschule,
Darmstadt,
- Wiedemann, Kommerzienrath, Apolda.
- Winter, Dr., Surabaya, Java.
» Wolterstorff, Konservator, Magdeburg, Johannis-
bergstrasse 12,
- Wohltmann, Dr,, Professor, Poppelsdorf, Landwirth-
Schaftliche Academie.
: Zache, E., Dr., Berlin W., Demminerstr. 64 III.
. Zörner, E., Dr., Delitzsch.
b) In Halle a. S.
- Albert, Dr., Professor, Händelstrasse 9.
- Anton, Buchhändler, Charlottenstrasse 20.
: Apel, Oberlehrer, Friedrichstrasse 28.
: Baumert, Dr., Privatdocent, Blumenthalstrasse 4.
- Behrens, H., Privatgelehrter, Steinweg 47,
- Beleites, Dr., Ohrenarzt, Alte Promenade 12.
- Binder, Kaufmann, Ankerstrasse 14.
ä Blaue, J., Dr., Wilhelmstrasse 44.
Borck ert, Dr., Oberlehrer, gr. Märkerstrasse 21.
‘ Bornitz, Dr., Gymnasiallehrer, Sophienstrasse.
Mitgliederverzeichniss.
v. Borries, Oberst, Jägerplatz 1611.
. Brandes, 6., Dr., Priv.-Doc., Domplatz 4. Bibliothekar.
. Brinkmann, Fabrikbesitzer und Stadtverordneter,
Krausenstr. 1.
. Cluss, Dr., Privatdocent, Bernburgerstrasse 181.
Cornelius, Dr., Professor, Advokatenweg 1.
. Datbe, Chemiker, Fritz-Reuterstrasse 9.
. Dehne, M., Fabrikbesitzer, Schimmelstrasse 3.
. Dieker, Hugo, Ingenieur, Merseburgerstrasse 168.
. Erdmann, E., Dr., Chemiker, Bismarckstrasse 29II,
Labor. Anhalterstrasse 15. — Kassirer.
. Erdmann, H, Dr., Professor, Friedrich strasse 52.
. Förtsch, O., Dr. phil., Major a. D., Reichardtstrasse 14.
2. Vorsitzender.
. Freyberg, H., Brauereibesitzer, Glauehaerstr. 49.
v. Fritsch, Dr., Professor, Geh. Rath, Margarethen-
strasse 3. — 1. Vorsitzender.
- Gärtner, Dr., Wuchererstrasse 76II.
. Goltz, Direktor des städtischen Schlachthofes.
. Goldfuss, O., Ulestrasse 17.
Grassmann, H., Dr., Oberlehrer, Niemeyerstrasse 23.
. Grosse, Buebhändler, Blumenstr. 10.
. Gruhl, Fabrikbesitzer, Lindenstrasse 66.
. Hendel, Justus, Dr. jur., Verlagsbuchhändler, Moritz-
zwinger 16II.
. Heck, Direktor der. Portland-Cementfabrik, Mans-
felderstrasse 30.
. v. Herff, Dr., Prof. Frauenarzt, Magdeburgerstr. 53.
. Karras, Wilhelm, Buchdruckereibesitzer, Steinweg 23.
. Keil, Dr., Frauenarzt, Martinsberg.
Höniger, Dr. med., Nervenarzt, gr. Steinstr. 58.
. Holländer, Dr., Professor, Marktplatz 11.
Hollrung, M., Dr., Vorsteher der Nematoden-Ver-
suchsstation, Martinsberg 8.
Hornemann, Dr., Apotheker, Ulestr. 12.
. Hübner, Markscheider, Margarethenstr. 2.
9. Humperdinck, Bergrath, Dorotheenstr. 18.
. Kathe, Wagenfabrikant, Leipzigerstr. 94.
. Knapp, K., Buchhändler, Mühlweg 19.
16».
169.
170.
171.
172.
173.
174.
175.
176.
117.
178.
179.
180.
Mitgliederverzeichniss. XVII
Knoblauch, Dr., Geh. Regierungsrath u. Professor,
Paradeplatz 7.
Kobelius, Ober-Postsekretär, Lindenstrasse 79.
Kromeyer, Dr. med., Privatdocent, Poststrasse 8I.
Krüger, Wilh., Dr., Leipzigerstrasse 45.
Kühn, Dr., Geh. Ober-Regierungsrath u. Professor,
Wuchererstrasse 2.
Kulisch, Direktor, Wilhelmstrasse 22.
Kuhlow, Direktor, Jägerplatz 15.
Lange, Dr. med., Friedrichsplatz 4.
Lenz, Dr. phil., Assistent am landw. Institut, Albrecht-
strasse 13 II.
Löwenhardt, Dr., Oberlehrer, Mühlweg 231.
Lüdecke, Dr., Professor, Wilhelmstrasse 35.
Mekus, Dr., prakt. Arzt, gr. Steinstrasse 57.
v. Mendel-Steinfels, Landes-Oekonomierath, Karl-
strasse 16.
. Mohs, Dr., Stadtrath a. D., Poststrasse 21.
. v. Nathusius, Geh. Regierungsrath, Händelstr. 26.
. Oertel, Rechnungsrath, Schillerstrasse 1.
. Pfeffer, W., Ingenieur, Stadtrath, Bernburgerstr. 11.
. Plettner, Karl, Mühlweg 14.
. Pressler, Dr., Fabrikbesitzer, Wörmlitzerstrasse 7.
. Reger, Dr., Oberstabsarzt, Wettinerstr. 17.
. Rickelt, A., Kaufmann, Oleariusstrasse 1111.
. Risel, Dr. med., Sanitätsrath, Karlstrasse.
. Riehm, Dr., Oberlehrer, Reichardtstr 26. 7. Schreftführer.
. Schäfer, Dr., Direktor, Mühlweg 11
Schenck, Dr., Adolf, Privatdocent, Schillerstr. 7.
. Schenek, Dr., Rud., Assistent Zinksgartenstrasse 6.
» Schimpff, Direktor, Merseburgerstrasse 37.
v. Schlechtendal, Dr., Assistent, Wilhelmstrasse 9,
. Schlüter, Naturalienhändler, Wuchererstrasse 9.
. Schmidt, Dr., Professor, Forsterstrasse 17.
Schultz, Arthur, Dr., prakt. Arzt, Albrechtstr. 221.
‚ Schwetschke, U., Buchhändler, gr. Märkerstr. 10.
v. Skerst, stud. rer. nat., Schillerstr. 1.
. Smalian, Dr., Oberichrer, Wörmlitzerstrasse 411.
2. Schriftführer.
XVII Mitgliederverzeichniss,
202. Sohneke, Apotheker, gr. Ulrichstrasse 54,
203. v. Spillner, R., Dr., gr. Steinstrasse 37.
214. Stäckel, Dr., Privatdocent, Lafontainestrasse 2. .
205. Strieker, Buchhändler, Karlstrasse.
206. Switalsky, V., cand. med., Charlottenstr. 21IH.
207. Tausch, Buchhändler, Wuchererstrasse 30.
208. Teuchert, Dr., Chemiker, gr. Märkerstrasse 4.
209. Thost, Dr., Verlagsbuchhändler, Robert Franzstr. 1.
210. Ule, Dr., Privatdocent, Robert Franzstrasse 141I.
211. Veekenstedt, Dr., Oberlehrer a. D., Lafontainestr. 11.
212. Völlmer, Dr., Oberlehrer, Realschule, Francke’sche
Stiftungen.
213. Volhard, Dr., Professor, Mühlpforte 1.
214. Vorländer, Dr., Assistent, Blumenthalstrasse 10.
215. Wagner, Dr.,‚Oberlehrer, Lindenstr. 14, 3. Schriftführer.
216. Wagner, Ph., aus Buenos Ayres, z. Z. Parkstr. 4p.
217. Witthauer, Dr., prakt. Arzt, Händelstrasse 38.
218. Zimmermann, Bergwerksdirektor, Advokatenweg 4.
219. Zopf, Dr., Professor, Hermannstrasse 4.
220. Zwanziger, Apotheker, Geiststrasse 2.
D. Studentische Theilnehmer ($.-8. 94 u. W.-S. 9/9).
l. Arenander, stud. agr., Wuchererstrasse.
2. Kalberlah, stud. rer. nat., Geiststrasse 10.
3. Köthner, Paul, stud. chem., Sophienstrasse
4. Rudorf, Georg, stud. agr., ‚Charlottenstrasse 21.
5. Scheibe, Albin, cand. phil., alter Markt 21.
Im Jahre 1895 sind bereits als Mitglieder aufgenommen die Herren:
1. Meyner, Dr. phil., Thierarzt, Greifenhagen i. Pommern.
2. Bardenwerber, Gutspächter, Büschdorf b. Halle.
3. Biedenkopf, Hermann, Landwirthschaftslehrer, :
Badersleben.
4. Schumann, Dr., Assistent, Landwirthsch. Versuchsstät., | :
Halle.
5. Jentzsch, Conrad, Halle, Leipzigerstr.
). Heck, Dr., Professor, Halle, Ulestrasse.
6 _
7. Ruprecht, Max, Lieutenant a. D., stud. med., Halle. n
8. Eckert, Max, Dr., Assistent am geogr. Inst., Le 4
9. Majewski, Director der Hartmarmorfabrik, Halle. .
5
Seitschrit #
Naturwissenschaften.
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh. Rath Prof. Dr. Freih. von Fritsch, Prof. Dr. arcke,
Geh. Rath Prof. Dr. Knoblauch, Geh. Rath Prof. Dr. Leuekart,
. Geh. Rath Prof. Dr. E, Schmidt und Prof. Dr. Zopf
herausgegeben von
Dr. G. Brandes,
Privatdocent der Zoologie an der Universität Halle.
67. Band.
{Fünfte Folge. Fünfter Band).
Sechstes Heft.
Ausgabe für Vereinsmitglieder.
Mo. Bot. (garden,
197,.
Leipzig.
EM. Pfeffer.
Inhalt.
I. ge Abhandlungen. Seite
Karsba, W., Prof., Ueber thiergeographische Beziehungen
des südwestlichsten Theils der palaearktischen Be zu
-. I a Hälfte 01
Se a ı: Dr, Faunae mammalium saxonieae supple- ee
Schmidt. "K E. F., Dr, "Die Elektrochemie und ihre Beden-
tung für die Technik .. rg 438
I. Kleinere Mittheilungen.
er een und Astronomie: Der Encke’sche Komet
— Die Yemsianenus; der Meteore 8. 447. — Neues
von Saturn und Uranus S. "443,
Chemie und Ph ai: s Reiekschen erueeir S. 449. —
Ein neuer Bestxzdtheil der Luft 8. 450. — Das Alpenglühen
— Viseosin 8, 453. —
Botanik, Zoologie und Palaeontologie: Flor de l’aire
"8.45, — is La öwei S. 457. — Unilateraler Melanis-
mus bei Fdaen strigilis S. 4 458. — Insekten der Str ‚inkohlen-
zeit 8. 458. — Die Bi usa Säugethiere S. 459.
Litteratur-Bes rechungen . ee 463
Neu erschienene Wer ee 20
Anmerkung.
Das 1. und 2. Heft des 68. Bandes erscheint gegen Ende Mai,
Diesem Hefte — soweit es für Vereinsmitglieder bestimmt ist — liegt
der Jahresbericht 1894 bei,
Ueber thiergeographische Beziehungen des
dwestlichsten Theils der paläarktischen Region
zu deren östlichen Hälfte,
Von
Professor W. Marshall.
Im Jahre 1850 trennte Bonararım (im „conspectus
vum“) die Blauelstern als Gattung Cyanopica von der alten
Gattung Piea und diese Trennung begründete er in dem-
n Jahre näher. ')
_ Er stellte drei Arten der neuen Gattung auf: melano-
Data (Pica m. Wacz.) von China, eyanea (Corvus cyaneus
ALL.) von Ostasien, Daurien (Transbaikalien) und OooAi
“Yanopica europaea SCHLEG.) aus Spanien. BONAPARTE sagt |
von diesen drei Arten, sie seien ‚so elosely allied as to’
€ taken fur three races of one species.“
SCHLEGEL hatte früher?) nur zwei Arten: europaea von
iberischen Halbinsel und cyanea von Ostasien und Japan
"genommen, von denen er bemerkt: „compar6es ensemble,
deuxraces presentent les traits distinetifs suivants ete.*
r’) zieht er beide Formen als eine Art /eyanea) zu
er Gattung Prea. —
Ob man nun die östlichen und die westlichen Blau-
Mm als eigene Arten oder als geographische Rassen,
tische Varietäten u. s. w. ansehen will, kann hier
Geschmacke eines Jeden überlassen bleiben, — so
‚steht unter allen Umständen fest: sie sind äusserst |
“roceed zoolog. Soc. London Vol. XVIIL, $. 85.
Fauna japonica, Aves p. 82. ;
: £. Naturwiss, Bd. 67, 1894. a 26
402 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
nahe mit einander verwandt und daher ist es um so auf-
fallender, dass die etwa auf dem 40° n. Br. gelegenen
Stellen ihres Vorkommens durch einen Zwischenraum von
fast 145 Längsgraden, durch nahezu die grösste Breite der
ungeheuern paläarktischen Region getrennt sind, und da-
zwischen nirgends dieselben oder ihnen ähnliche Formen
gefunden werden. Noch vor 25 Jahren stand man dieser
Thatsache als einem befremdlichen Räthsel gegenüber, und
als ich in den Jahren 1867—1871 Assistent am Reichs-
museum zu Leiden war, pflegte mein Chef, SchLecer, der
zu der Anschauung getrennter „Schöpfungsherde“ neigte,
triumphirend auf sie hinzuweisen, was mich nicht wenig
verdross, denn ich war damals schon, sehr zum Aerger des
wackern, alten Herrn, ein tüchtiger Anhänger Darwıns und
Schüler HäÄckers,
Bei Bearbeitung der geographischen Verbreitung 88
wisser Schmetterlinge fiel mir jüngst jenes alte Problem
wieder ein, und ich will hier den Versuch wagen, eine an-
nehmbare Lösung desselben zu geben. Zunächst ist e8
nöthig, dass wir uns danach umsehen, ob sich im Vorkommen
von anderen Thieren und auch von Pflanzen nicht analoge
Erscheinungen finden, da es nicht wahrscheinlich ist, dass
jene Thatsache ganz vereinzelt dastehen sollte. Finden sie
sich aber, dann wird uns die Lösung gewiss leichter werden,
als wenn wir es mit einem ganz vereinzelten Falle zu thun
hätten. Und sie finden sich; allerdings muss ich hier gleich
hervorheben, dass bei diesen analogen Fällen die räum-
liche Trennung nie so gross wie gerade in dem der Blau-
elstern ist. Dass es sich dabei nicht immer, vielmehr nur
ausnahmslos um dieselben Arten, sondern meist nur UM
dieselben Gattungen handelt, ist von einem thiergeogta
phischen Standpunkte aus von nebensächlicher Bedeutung.
Da haben wir zunächst eine Gattung der Säugetbiere,
die der Bisamspitzmäuse /Mygale), von denen die eine
Art (pyrenaica) an den Gewässern der Pyrenäen und der
Sierra de Gredos lebt, die andere, der Desman oder Wu-
chuchul (moschata) an Flüssen und Seen des stidöstlichen
Russlands. Allerdings ist die letztere mehr als noch einmal
so lang (25 em zu 10 em ohne Schwanz) als die erstere;
Von Professor W. MARSHALL. 403
sieht ihr aber sonst in allen Stücken gleich. Wir wissen
aber, dass die Grösse bei Localrassen sehr schwinden kann,
besonders scheint sie sich nach dem Umfang des Wohnorts
(Umfang der Gewässer, dann ob Kontinent, grössere oder
kleinere Insel, ob Tiefland oder Hochgebirge) und den ver-
schieden günstigen Umständen der Ernährung zu richten.
Eine Anzahl Schmetterlinge zeigen eine ähnliche Ver-
breitung: in Südrussland, am Uralfluss, in Centralasien (bei
Lebsa), Kleinasien und Syrien fliegt ein eigenartiger Weiss-
ling (Zegris Eupheme) und eine Varietät von ihm (meridio-
nalis) in Andalusien, bei Leon, Valadolid. Die Varietät
ist der Stammform sehr ähnlich, hat höchstens auf der
Unterseite etwas mehr gelb und ist ein wenig grösser. ')
Eine andere Art /Fausti) findet sich am Tura, einen im
Ural entspringenden Nebenflusse des Tobol im asiatischen
Russland. Die Verbreitungsgebiete von Zupheme und ihrer
Varietät meridionalis sind vollkommen von einander getrennt.
Ein anderer Falter, Eyeria melas, fliegt von Krain bis in
das südwestliche Russland, seine Varietäten astur und
Pyrenaica finden sich in den Pyrenäen.
Auf der Sierra Nevada beobachteten Grasuın und
Raupur ein Sandauge /Saiyrus Hippolyte) und einen Spinner
(Orgyia dubia), die blos aus Russland bekannt waren,
BELLIER DE LA CHAVIGNERIN 2) beobachtete auf den Basses-
Alpes Plusia uralensis, eine gleichfalls östliche Form. Plusia
Zosimi®) fliegt in Piemont, im Ural und Altai und am Amur,
Plusia ercumflera in Südrussland, Kleinasien, Armenien,
im Altai, am Amur und auf den Kanaren. Freilich sind
die Plusien Wanderthiere und ebenso die Arten der Eulen-
Sattung Heliothis, aus der nubiger sich in Südrussland und
yrien einer-, andererseits in Andalusien, incarnatus im süd-
östlichen Russland, Armenien, Syrien und in Kastilien und
Andalusien findet. Thalpochares arcuinua fliegt im südöst-
a EEE
R ‘) Vergl. Rünt, Fr., Die paläarktischen Grossschmetterlinge,
140 u. 141.
?) Ann. soc. entomol. de la Tr. T. VII p. 177.
3) Die folgenden Angaben sind Srtaupıngers Katalog ent-
; men, von dem die Lepidopterologen und Thiergeographen eine
Neue Ausgabe sehnlichst erwarten, ea
a 25 *
404 Ueber thiergeographische. Beziehungen etc.
lichen Oesterreich, in Ungarn, Dalmatien, ihre Varietät
argillacea in Südrussland und Griechenland und in Anda-
lusien; ganz ähnlich ist T’halpochares lacernaria verbreitet,
doch findet sie sich im Westen auch noch in Südfrankreich
und geht im Osten bis Kleinasien. Prothymia conicephala
bewohnt Katalonien und Andalusien, sowie die Südtürkei
und Hyrkanien. Cerocala scapulosa fliegt im südwestlichen
Andalusien und ihre Varietät incana in Spanien, Leucauchts
cailino in Südfrankreich und Spanien, aber auch in Griechen-
land, Kleinasien und Südrussland, Pseudophis syriaca in
Syrien und Andalusien, Catocala diversa in Ungarn, anf der
Balkanhalbinsel, in Bythinien und Andalusien, Cueullia for-
mosa in Ungarn und dem südöstlichen Frankreich. Spin-
therops exsiccata ist ähnlich verbreitet wie Plusia eireumflexa,
nämlich in Syrien und auf den Kanaren,
Die Stammform von Lycaena Zephyrus, einem Bläuling,
fliegt auf der Balkanhalbinsel, im Apel-Tekke-Gebiet und
in Kleinasien, die eine (alpine) Varietät /Lyeidus) in Wallis,
die andere /Aesperica) in der Sierra Nevada, ZLycaena
Lysimon in China, in Syrien, auf Cypern, auf den Kanaren,
in Portugal und in Südfrankreich.
Ein dritter östlicher Bläuling (Zycaena aduetus) erreicht
in der Stammform seine Westgrenze in Ungarn und Klein-
asien, aber die Varietät Ripartii findet sich von Zentral-
asien bis Rumänien und gleichfalls bis Kleinasien um im
südöstlichen Frankreich, in den Bas-Alpes wieder aufzutreten.
Lycaena melampus endlich bewohnt Algerien, Spanien, die
Riviera und Persien.
Von Käfern!) findet sich eine Art der Tenebrioniden
(Calcar procerum) in Südfrankreich und Südrussland. Man
könnte in diesem Falle an eine zufällige Verschleppung
durch den Menschen denken, und das Gegentheil davon lässt
sich ja nicht beweisen, aber es ist dabei zu berücksichtigen,
dass diese Gattung noch 5 weitere Arten hat, von denen
2 im Westen /elongatum in Portugal, Südfrankreich und
bei Tanger, und Lucasi in Algier), 3 aber im Osten (sul-
1) Für die betr. Verbreitung der Käfer wurde benutzt: GEMMINGER a
et B. DE HaroLD „Catalogus coleopterorum‘“.
Von Professor W. MARSHALL. 405
catum und crassipes in Südrussland, rufipes in Sibirien) vor-
kommen, und dass in keinem der dazwischen liegenden
Länder, weder in den nördlichen noch südlichen Kisten-
gebieten des Mittelmeers eine Art bis jetzt aufgefunden
wurde. An der Hand dieser Thatsachen betrachtet erscheint
denn doch die Wahrscheinlichkeit einer Verschleppung von
Calcar procerum in einem etwas anderen Lichte. Aller-
dings ist es bekannt, dass die Tenebrioniden als Haushalts-
und Wohnungsschmarotzer dem Menschen folgen, und glaube
auch ich, dass der grösste Theil der bei uns heimischen
Arten auf diese Weise nach Deutschland gekommen ist.
Auch sonst ist die Vertheilung der Tenebrioniden') am
Mittelmeere höchst interessant und besonders auch in Hin-
sicht des Vorkommens im westlichen und östlichen Theil:
80 hat beispielsweise die Gattung Hopatroides 13 Arten, von
denen 12 vom westlichen Mittelasien an bis Griechenland
und Aegypten sich verbreiten, eine einzige aber (thoracicus)
nur in Andalusien gefunden wird; die zwischen Griechen-
land und Aegypten einerseits und Spanien andererseits ge-
legenen Küstenländer des Mittelmeeres beherbergen keine
einzige Art.
Gerade umgekehrt verhält sich die Gattung Mierositus:
‚17 Arten finden sich im Südwesten (Algier, Spanien, Portu-
8al) eine einzige forbieularis) auf Kreta.
Die Buprestidengattung Cylindromorphus hat 6 Arten,
eine (Alum) ist weitverbreitet, 3 finden sich auf der iberischen
Halbinsel und in Südfrankreich, 2 im Südosten. Die inter-
essante Gattung der Blatthornkäfer Amphicoma ist mit
15 Arten in den Gegenden vom Kaukasus bis zur Balkan-
halbinsel einer- und bis Aegypten andererseits vertreten,
3 weitere finden sich in Algier und Marokko, eine davon
' uch in Andalusien. Die kleine Rüsselkäfergattung Amom-
Phus umfasst nur 4 Arten, drei davon bewohnen den Süd-
Westen (Spanien, Algier), eine Griechenland. Von dem
n Genus Vesperus (Bockkäfer) überschreiten 6 das Gebiet des
N) Vergl. den lesenswerthen Aufsatz von ErICHsoN „über die
= „isckten von Algier mit besonderer Berücksichtigung ihrer geogr.
er in M. Waaner „Reisen in der Regentschaft Algier“,
406 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
Mittelmeers nicht über den 10° östlicher Länge nach Osten,
nur eine einzige kommt von Smyrna. sStenosoma (gleich-
falls zu den Bockkäfern gehörig) hat im Südwesten von
den Kanaren bis Sardinien 6 Arten, eine siebente findet
sich in Ungarn und eine, merkwürdig versprengt, am Kap
der guten Hoffnung. Die auf die paläarktische Region be-
schränkten Cerambyeidengattungen Agapanthia und Dorca-
dion haben ein Maximum im Südosten, nehmen nach Westen
nach und nach ab, um im Südwesten eine abermalige Stei-
gerung zu erfahren. Besonders die Gattung Dorcadion ist
in dieser Beziehung interessant: ihr Entstehungscentrum,
die Dorcadion-Werkstätte, um mit RossmässLer') zu reden,
befindet sich im westlichen Sibirien, am Baikal traf Rappe?)
nur noch eine Art unter Kalkgestein. Im Centrum der Ver-
breitung finden sich etwa 130 Arten, in Deutschland sind
3 vorhanden, zwei davon /aethiops und pedestre) nur im
äussersten Südsüdost, eine /fulginator mit Var. atrum)
dürfte nördlich bis zum Regenstein am Nordharz und bis
in das südliche Westfalen gehen, Italien hat 4 Arten
(arenarium, einerarium, femoratum und smyrnense), die aber
auch zugleich alle in nordöstlichen Gebieten des Mittelmeers
verbreitet sind. Aus Algier ist eine eigene Art (muricatum)
bekannt, aber auf der iberischen Halbinsel steigt die Zahl
der endemischen Arten wieder auf 23.
Unter den Kanthariden, gewiss wie die Tenebrioniden
eine alterthümliche Familie der Käfer, sehen wir, dass ie
Gattung Oenas von ihren 8 Arten 3 im Westen (Spanien,
Algerien) und 5 im Osten (eine schon in Ungarn und Klein-
asien) hat, während die Gattung Lydus (13 Arten) mit einer
in ganz Südeuropa und Nordafrika und mit je 6 in Algerien
und in der südöstlichen paläarktischen Region vorkommen.
-Es liessen sich gerade aus der Ordnung der Käfer noch
zahlreiche Beispiele inniger Beziehung des Südwestens der
paläarktischen Region zu deren Südosten, unter Ueber
!) Vergl. Wasner, M., Reisen in der Regentschaft Algier, C- ul,
8. 237. „Der Herd, gewissermassen die Olausilien-Werkstätte ist In
Dalmatien und den umliegenden Provinzen.“
%) Rappz: „Bericht über Reisen im Süden von Ost-Sibirien“, in
Beiträge zur Kenntniss des Russ, Reiches, 23 B., 8. 198.
Von Professor W. MARSHALL, 407
springen der mittlern Küstengebiete um das Mittelländische
Meer herum, anführen, die wenigen mögen genügen,
und werfen wir jetzt lieber einmal einen Blick auf die
Pflanzenwelt.')
Callipeltis, eine kleine zu den Rubiaceen gehörige Staude
hat Vertreter im Orient und in Spanien; der spanische Wach-
holderbaum /(Juniperus thurifera) erreicht, von Spanien aus
südlich und östlich sich verbreitend, Sardinien und den
Atlas, findet sich aber weiter nach Osten erst im
Taurus wieder. Das pontische Rhododendron (Rhododen-
dron ponticum) tritt westwärts vom Pontus erst wieder an
Spaniens Südküste auf und eine kleine Rosacee (G@eum
heterocarpum) ist nur aus den obern Gebirgsregionen von
Granada und Murcia und dann wieder vom persischen
Elborus bekannt. Die echte Ceder findet sich (in localen
Varietäten) im Himalaya, auf dem Libanon, Taurus und
Atlas, aber nirgends dazwischen. „Die Gesneriacee Haberlea
ist wegen ihrer Verwandtschaft mit der pyrenäischen Ra-
mondia die merkwürdigste nıonotypische Gattung der (Bal-
kan-) Halbinsel; sie wurde anf dem Rhodopen - Gebirge
entdeckt und scheint sonst in Macedonien nicht weiter vor-
zukommen.“2) Eine zweite Art wurde im thessalischen
Olymp gefunden.
Die hiermit aufgeführten Fälle der Uebereinstimmung
des paläarktischen Südwestens mit der paläarktischen Ost-
hälfte in Bezug der Thier- und Pfianzenwelt mögen ge-
Nügen. Es ist kaum zweifelhaft, dass sich deren noch weit
mehr würden finden lassen, — mir kam es nur auf solche
Fälle an, bei denen der Zusammenhang zwischen beiden Ge-
bieten völlig oder beinahe völlig unterbrochen erscheint. —
Wie lassen sich diese merkwürdigen Uebereinstimmungen
denn nun erklären? Wir wollen einmal alle Möglichkeiten,
die ein derartiges discontinuirliches Vorkommen verur-
sachen könnten, an den einzelnen Fällen kritisch prüfen,
doch muss ich von vornherein erklären, dass ich mich da-
bei auf die durch nichts begründete Hypothese von der
nn
‘) Hierzu vergleiche Grısrsach: „Die Vegetation der Erde“, B. I.
GRISEBACH, 1]. ce, B. L, 8. 377
408 Ueber thiergeographische Beziehungen ete,
„an verschiedenen Orten der Erde wiederholt stattgefunden
habenden Schöpfung analoger Species“ als auf ein vages
Hirngespinst nieht einlassen kann. Eins will ich zugeben:
Die goldglänzenden, prachtvollen Arten von Carabus haben
sich in der That in den Gebirgen Sibiriens und der iberischen
Halbinsel unabhängig von einander durch jeweilige selbst-
ständige Anpassung entwickelt, so dass wir es hier mit ein-
fachen Convergenz-Erscheinungen zu thun haben, wie sie
in den Gebirgen Südamerikas in derselben Käfergattung
sich wiederholen.
Man könnte vermuthen, es handele sich bei den im
Vorigen angeführten Organismen um neuere Einwanderungen,
die wesentlich von Osten nach Westen stattgefunden hätten.
Das wäre für Zegris Eupheme var. meridionalis und einige
Eulen möglich, denn die Pieriden, die Plusien und Helio-
tbiden sind in der That fast überall, wo sie vorkommen,
grosse Wanderinnen, und den Einwurf, dass es dann doch
merkwürdig wäre, sie weder auf der Balkan- noch auf der
Apeninnen-Halbinsel anzutreffen, könnte man’ allenfalls da-
mit zu entkräften wagen, dass man eine durchgehende
Wanderung annähme. Nun, vom Uralfluss bis Spanien ist
etwas weit, und wenn die Zegris wahrscheinlich auch nicht
gerade schlechte Flieger sein werden, so sind sie doch
ganz gewiss keine so guten wie die Sphingiden, und kaum
denen traue ich es zu, dass sie eine solche Strecke in 12
Stunden werden zurücklegen können, und so lange wandern
Pieriden nicht einmal, denn in der Regel beginnen sie
zwischen 9 und 10 Uhr vormittags, wenn die Sonne etwas
höher steht, und stellen den Zug zwischen 5 und 6 Uhr
abends ein. Einen Transport durch einen heftigen Sturm
aus Osten würde ein so zartes Thier, wie es ein Weissling
doch immerhin ist, auf eine so grosse Strecke gewiss nicht
aushalten. Abgesehen davon würde dann zunächst immer
noch das Vorkommen anderer östlichen Tagfalter, des Satyrus
Hippolyte, der Lyeänen u. s. w. zu erklären sein und vollends
das der Orgyia, bei der aller Analogie nach das Flugver-
mögen besonders im weiblichen Geschlechte ein sehr mangel-
haftes sein wird. Wenig wahrscheinlich dürfte es auch
Sein, dass die Cyanopica vom äussersten Osten der Region
Von Professor W. MARSHALL. 409
bis zum äussersten Südwesten, oder umgekehrt in hin-
reichenden Exemplaren verschlagen sein sollte um festen
Fuss in der neuen Heimath fassen zu können, und bei
der Bisamspitzmaus ist an ein solches Verschlagenwerden
vollends nicht zu denken.
Auch daran darf in der Mehrzahl der Fälle nicht ge-
dacht werden, dass in den zwischen den westlichen und
östlichen Stellen des Vorkommens gelegenen Ländern die
"betr. Thiere etwa alle übersehen worden wären und früher
oder später noch aufgefunden werden möchten. Die Länder
des südlichen Europas sind denn doch zu sehr durch-
forscht, als dass man die Blauelster u. s. w. wirklich
übersehen haben sollte, wenn es auch immerhin möglich
ist, dass eine oder die andere, jetzt nur aus dem Osten
und Westen bekannte Käferart dort noch aufgefunden
werden wird.
Die sonderbare von Osten nach Westen erst erfolgende
Ab- und dann Wiederzunahme der Arten der Gattung Dor-
eadion könnte man dadurch zu erklären versuchen, dass
man sagte, die klimatischen, geologischen und pflanzlichen
Verhältnisse Spaniens seien denen der östlichen Steppen
sehr gleich, und die Käfer hätten sich unter ähnlichen
Existenzbedingen wieder ähnlich entwickelt und einen ähn-
lichen Aufschwung genommen. Die Steppennatur eines
bedeutenden Theiles von Spanien ist sehr ausgesprochen, ')
das ist unbestreitbar, aber auch der östliche Küstenstrich
Italiens ist eine echte Steppe, und doch hat seine Fauna nicht
entfernt den Steppencharakter wie die spanische, Auch
sonst ist die Verschiedenheit der Arten und des Vorkommens
der Organismen in Italien von denen östlicher Länder unter
Sonst gleichen Existenzbedingungen eine bemerkenswerthe:
80 fiel es dem englischen Reisenden Prior?) bei einem
Besuche des Matese bei Neapel auf, wie sehr die Flora
: dieses Berges, namentlich hinsichtlich der Artenmenge,
8egen den dalmatinischen Berg Biokovo, den er kurz vor-
ne 1) Vergl. die schöne Arbeit von M. Wırıkomm: „Die Strand-
En und Steppengebiete der Iberischen Halbinsel und deren Vegetation“.
Leipzig, 1852,
2) Ann. nat. hist. I Ser. Vol. 17, 1846 p. 124.
410 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
her besucht hatte, zurückstand, obwohl der geologische
Bau, das Klima nnd die Gestaltung der Berge eine weit
grössere Gleichartigkeit würden haben erwarten lassen.
Die Erklärung, die GrisesAcH!) für die floristischen
Uebereinstimmungen des Südwestens und des Ostens der
paläarktischen Region giebt, scheint mir doch nicht so un-
umstösslich richtig. „Die Verknüpfung der Flora des
spanischen Tafellandes“, sagt der grosse Pflanzengeograph,
„mit den russischen und anatolischen Steppen durch eine
Reihe von identischen Pflanzenarten ist eine Erscheinung,
welche ebenso, wie die Wiederkehr arktischer Gewächse
in den Alpen (GriszsacH bestreitet, dass die Annahme
einer Reliktenflora aus der Eiszeit den Thatsachen ent-
spreche), den Vorstellungen von der Einheit der Vegetations-
centren als widerstrebend betrachtet werden könnte. Geht
man indessen auf die einzelnen Arten ein, von denen ich
doch nur etwa 30 zähle, die als charakteristische Steppen-
pflanzen in den Zwischenländern kein passendes Klima
finden, so wird auch hier der Austausch wohl begreiflich,
selbst wenn zur Uebertragung des Samens keine anderen
Bewegungen, als die der Atmosphäre sollten mitgewirkt
haben.“
Die geringe Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen
„Unmöglichkeit“, dass der Samen des spanischen Wach-
holderbaums vom Taurus nach Spanien durch den Wind
sollte transportirt worden sein, sieht der Botaniker GRISE-
BACH selbst vollkommen ein und er nimmt seine Zuflucht
zu einem andern Verbreitungsmittel, zeigt aber damit, wie
wenig er Zoologe war. Er bemerkt zunächst auch über
die Verbreitung der Cedern und weiter des spanischen
Wachholders: „zu Gunsten einer historischen Wanderung
dieser Coniferen lässt sich anführen, dass der Samen von
Holzgewächsen seine Keimkraft lange bewahrt, dass der-
selbe bei der Ceder grosse Flügelanhänge besitzt, die ım
Winde wie ein Segel getrieben werden, und dass die
Vögel, denen die Beeren des Wachholderbaumes zur Nah-
rung dienen, dessen wohl erhaltenen Keim beherbergen
1). c.B.L, 8. 384.
Von Professor W. MARSHALL. 411
und zu weit entlegenen Orten, wohin ihre Wanderung sie
führt, verpflanzen können.“ !)
Dieser Annahme wäre entgegen zu halten, dass die
betr. Vögel doch wohl Beerenfresser, Drosseln oder Sylvien
gewesen sein müssten. Diese würden aber, allen ihren
Gewohnheiten, namentlich aber ihrer Art zu wandern nach
zum Durchqueren des zwischen Taurus und iberischer
Halbinsel gelegenen Gebietes viel länger gebraucht haben,
als sie bei ihrer äusserst raschen Verdauung die Kerne bei
sich behalten haben würden. Ferner ist es überhaupt im
‚allerhöchsten Maasse unwahrscheinlich, dass ein Landvogel
als Individuum so weit in ostwestlicher Richtung wandern
sollte, dass wäre ohne alle Analogie, und dass sie aller-
dings als Arten in dieser Richtung langsam vorwärts
drangen, kommt hier gar nicht in Betracht. Auch an ein
Verschlagenwerden durch lang anhaltende und auf weithin
thätige Oststürme ist bei den übrigen klimatischen Ver-
hältnissen des Mittelmeeres kaum zu denken, und zuge-
geben, sie kämen vor oder wären vorgekommen, dann ist
nicht einzusehen, weshalb sie die Vögel mit den Wach-
holderbeerenkernen im Leibe nicht auch auf die alten Ge-
birge von Calabrien und Sicilien verschlagen haben sollten.
‚Bleiben noch die Wasservögel, und in der That weist Grıse-
BACH in einem andern Falle auf die Möglichkeit (für ihn
scheint es, obwohl die Sache doch sehr verwickelt ist,
wahr zu sein) hin, dass ein Gewächs durch einen solchen
auf eine ungeheuere Entfernung verpflanzt worden sei. Bei
Besprechung 2) der Thatsache, dass in dem antarktischen
Faunengebiete Südamerikas Beziehungen zu den hohen
Breiten der nördlichen Hemisphäre auftreten, hebt er her-
vor, er habe für alle derartige Fälle genügende Erklärungen
‚Schon früher gefunden gehabt, mit Ausnahme für einen
einzigen. „Die einzige damals unerklärt gebliebene Aus-
nahme /Gentiana prostrata)“, führt Griszsach fort, „glaube
ich jetzt von den Zügen des Albatross /Diomedea) ableiten
2u können, welcher, abweichend von der Lebensweise der
m———__
!) GrisEgAcH, I. c. B. I. 8. 388.
2) GrisEBacH, l. c. B.1I. 8. 49%.
412 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
meisten andern Zugvögel, über beide Hemisphären, vom
Kap Horn bis zu den Kurilen und Kamtschatka wandert
und die Standorte jener Pflanze in der arktischen und
antarktischen Flora in Verbindung setzt. Mit der Beute,
die dieser Vogel verschlingt, kann er auch die Samen von
Pflanzen, welche, mit den Flüssen in’s Meer gespült, in
den Magen von Fischen gelangen, in einzelnen Fällen aus-
streuen, so dass sie an fernen Küsten aus seinem Dünger
aufkeimen. Solehe Deutungen enthalten wenigstens nichts
Hypothetisches (?!), als dass die Uebertragung des Samens
nieht unmittelbar beobachtet ist, und wie viel mehr un-
erwiesene und selbst unzulässige Voraussetzungen sind er-
forderlich, wenn man mit Hooker solche Ansiedelungen
von einer vorweltlichen Eisperiode herleitet und annimmt,
dass zur Zeit, als die Erde sich wieder erwärmt haben
soll, eine Wanderung der Pflanzen vom Aequator in der
Richtung zu beiden Polen stattgefunden habe.“
Für den ersten Blick scheint die Annahme, oder wir
können mit vollem Rechte sagen, die „Hypothese“ GRisE-
BacH’s von der Verpflanzung der betr. Enzianart durch den
Albatross sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich zu haben,
aber der Grad der Wahrscheinlichkeit wächst in dem Maasse,
Je länger wir uns den Zeitraum vorstellen, während dessen
eine solche Verpflanzung möglich war, und bei Bemessen
desselben kommt es auf Hunderttausend Jahre mehr oder
weniger nicht an.
Aber auch damit ist die Verbreitung des spanischen
Wachholders nicht erklärt, denn der Albatross ist ein Vogel
der offnen Weltmeere, und die Wasservögel des Mittel-
meers, wesentlich Möven, sind gerade keine grossen Wan-
derer, haben auch keine Ursache dazu. Eine Ausnahme
macht etwa der Mittelmeer-Sturmvogel (Puffinus Kuhli).
Nun will ich zugeben, dass ein solcher gelegentlich an
der Küste Kleinasiens einen Fisch frisst, der seinerseits
eine vom Taurus herabgespülte Wachholderbeere ver
schlungen hat. Der rasch fliegende Vogel entledigt sich
seines Kothes und mit ihm der Kerne der Wachholder-
beere an der spanischen Küste. Wie kommen nun die
Kerne in die Berge des Binnenlandes? Dass die im Taurus
Von Professor W. MARSHALL. 413
entspringenden Gewässer gelegentlich eine Beere in’s Meer
spülen mögen, gebe ich unbedingt zu, aber dass die spa-
nischen Flüsse die Kerne stromaufwärts spülen sollten, —
quod credat Iudaeus Apella! —
Nachdem ich so den Versuch gemacht habe, ver-
schiedene Hypothesen, die man über die Ursache des un-
leugbaren Zusammenhanges der Fauna des östlichen und
des südwestlichsten Theiles der paläarktischen Region auf-
stellen könnte oder thatsächlich aufgestellt hat, zu wider-
legen, erübrigt nun noch, eine neue, die vielleicht grössere
innere Wahrscheinlichkeit hat, aufzustellen. Und allerdings
komme ich da, trotz Griskpach, um die Eiszeit und um
- vor ihr liegende geologische Erscheinungen, namentlich um
die Vertheilung von Land und Wasser in den Tertiärzeiten
nicht herum.
Unsere Kenntnisse über diese Vertheilung sind leider
_ och nicht von einer derartigen Vollkommenbheit, dass wir
unsere Behauptungen mit wünschenswerther Bestimmtheit
aufstellen könnten, wir müssen vielmehr zugeben, dass diese
Behauptungen noch recht viel Hypothetisches an sich haben.
So viel scheint indessen festzustehn, ') dass ein Land-
Strich zur Miocenzeit in Mitteleuropa vorhanden war, der
s ‚Im Norden von dem Helveto-germanischen Meere, im Süden
vom Mittelmeere bespült wurde und der sich östlich zwischen
: einer über Wien und Krakau sich nach Südrussland bin-
a ziehenden Verlängerung des Helveto-germanischen Meeres
And dem germanischen Meere zu einer Verbindung ein-
schob. Der grösste Theil der Balkanhalbinsel und Italiens
war unter Wasser. Auch scheint der Atlantische Ozean,
_ der mit seinem aquitanischen Becken den grösseren Theil
_Westfrankreichs bedeckte, durch einen IRRE: mit dem
“ Helvetisch-germanischen und dem Mittelmeere in Zusammen ;
Ang gestanden zu haben. Ob das Letztere freilich immer
_ der Fall war, oder ob nicht gelegentliche Verbindungen
_ der iberischen Halbinsel, so weit sie vorhanden war, mit
Sam ostgallisch-germanischen und mit der west-östlichen
I vergl, Zırreu: „Aus der Urzeit“, $. 458#. und Korex: „Die
12, Kapitel.
414 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
Länderbrücke stattfanden, oder ob nicht zahlreiche Inselchen
in jenem Canal vorhanden waren, ist die Frage. Jeden-
falls konnte der Austausch der westlichen und östlichen
Fauna und Flora hier stattfinden und muss hier statt-
gefunden haben.
Bei der nach und nach sich steigernden Abkühlung,
die der Eiszeit voranging, mussten viele Thiere und Pflan-
zen auf der gebirgigen west-östlichen Länderbrücke und
auf dem grossen nordeuropäischen Kontinent aussterben,
andere wanderten südwärts. Das vermochten sie auf der
Balkanhalbinsel und auf der iberischen Halbinsel in ziem-
lichem Umfange, aber die Chancen, die Inseln, die die da-
maligen Vorläufer der apeninnischen Halbinsel bildeten,
zu besiedeln, waren viel geringor. Daher kommt es, dass
in den nördlichen Küstenländern des heutigen Mittelmeers
die Faunen und Floren so ungleich vertheilt sind, dass
Nord- und Mittelitalien (auf Sicilien und in Süditalien
machen sich mauritianische Elemente geltend) im Vergleich
zur iberischen Halbinsel und zur Balkanhalbinsel, auf der
später auch noch Besiedelungen von Osten her stattfanden,
relativ arm an Pflanzen und Insekten ist, und dass in Süd-
russland, Griechenland, der Türkei, Dalmatien, Ungarn u. 8. w.
sich Formen finden, die im Westen erst wieder in Südfrank-
reich, Portugal, Spanien, und von hier aus nach Afrika
übertretend, in Mauritianien vorkommen.
Es ist wohl als ziemlich sicher anzunehmen, dass die
meisten der betr. Thiere und Pflanzen sich auch auf dem
grossen europäischen Centraleontinent vor der gesteigert
auftretenden Abkühlung werden gefunden haben, aber die
Chancen der Erhaltung ihrer Reste waren der Natur der
Sache nach nicht gross, und die im Bernstein und in den
Oeninger Schiefern wirklich erhaltenen gehören einer frühern
eit an.
Ich gebe es zu, dass diese meine Beweisfübrung zahl-
reiche Lücken enthält, aber sie scheint mir doch immerhin
kräftiger als die Hypothesen, die über das nun einmal
nicht wegzuleugnende diseontinuirliche Vorkommen von
Organismen gleicher oder doch sehr ähnlicher Art auf der
iberischen Halbinsel nebst Südfrankreich einerseits und auf
Von Professor W. MARSHALL. 415
der Balkanhalbinsel und im weitern Osten der paläarktischen
Region andererseits aufgestellt worden sind.
Im Anschluss hieran sei bemerkt, dass WAarzAce!) drei
besondere Fälle von discontinuirlicher Verbreitung bei
Vögeln abgehandelt hat, auf die wir hier noch etwas näher
eingehen wollen. Der erste Fall betrifft eine geographische
Rasse oder locale Unterart der Sumpfmeise, die sich in
Italien, auf der Balkaninsel und in Kleinasien findet und
in genau derselben Form im nordöstlichen China, im Meer-
busen von Pu-tschi-li und um Peking auftritt. Im zweiten
Fall handelt es sich um die Verbreitung der Rohrammer
(Emberiza schoeniclus), die sich über ganz Europa und über
Westasien bis zum Thale des Yenesai und bis in das nord-
westliche Indien verbreitet, weiter östlich bis zur Lena
durch eine verwandte, kleinere Art /passerina) vertreten
wird, in Japan aber wieder auftritt und die sich, obwohl
sie selbstverständlich von irgend einem Artenmacher in
Pyrrhulina umgetauft wurde, nach den Angaben eines SO
hervorragenden Ornithologen wie Sresoum in nichts von
der westlichen schoeniclus unterscheidet. Drittens endlich
hebt Warzace die Thatsache hervor, dass der gemeine
Eichelheher, der ganz Europa bis zum Ural und den Nord-
westen Africas bewohnt, auf der Hauptinsel des japanischen
Archipels durch eine nur wenig abweichende Form /Garru-
bus Japonieus) vertreten wird, während im centralen Theile
des nördlichen Asiens, schon westlich vom Ural beginnend
und bis zur Insel Sachalin und Jesso reichend, eine ziem-
lieh verschiedene Art (Brandtii) gefunden wird.
. Nur für diesen letzten Fall versucht der grosse eng-
lische Thiergeograph eine Erklärung zu geben. „Es ist
gewiss,“ sagt er, „eine sehr bemerkenswerthe Thatsache,
483 von den 12 Arten der echten Heher, die sich über
die gemässigten Gegenden Europas und Asiens verbreiten,
gerade eine, dem englischen Eichelheher so nahe verwandte
Torm in einer, von Westeuropa denkbar fernsten Gegend der
Paläarktischen Region gefunden wird. — ..+.- wir können
die Vermuthung kaum von der Hand weisen, dass einmal
!) In seinem Buche „Island Life“, S. 63—65.
416 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
eine, unserm gegenwärtigen Eichelheher sehr nahe ver-
wandte Art von Heher das ganze, gegenwärtig von der
Gattung bewohnte Gebiet eingenommen hat, die sich
in verschiedenen Theilen von Asien nach und nach in eine
Reihe verschiedener Arten zerlegte, und dass sich ein
Ueberbleibsel der ursprünglichen Stammart fast unverändert
in Japan erhielt, vermuthlich durch günstige klimatische
und anderweitige Bedingungen gegen coneurrirende Formen
geschützt.“
Ich habe früher!) eine andere Hypothese über die ver-
wandtschaftlichen Beziehungen und die Art der Verbreitung
der Heher aufgestellt, die ich hier wiederholen will.
Die Heher bilden wesentlich zwei Hauptgruppen, die
man als Heber der Neuen und der Alten Welt, oder als
Blau- und Grauheher bezeichnen könnte. Die erstern ver-
theilen sich auf zwei Gattungen, Cyanocitta und Uyanocoraz,
Jede mit 16 Arten. Cyanocitta bewohnt hauptsächlich Nord-
amerika von Alaska südlich bis Boyota, Cyanocorax wesent-
lich Südamerika von Südkalifornien und Mexico bis zum
La Plata. In der Färbung beider Gattungen herrscht Blau
vor. Die Arten von Cyanocoraz?) haben niemals gebänderte
Schwanz- und Flügelfedern, dievon Oyanocitta aber wenigstens
zum Theil, und gerade die so ausgezeichneten sind nörd-
liche Formen, jenseits des 40° n. Br. kommt überhaupt
keine Art mit unge*änderten Schwanzfedern mehr vor.
In der paläarktischen Region und in den nördlichsten
Theilen der orientalischen findet sich bloss eine Gattung,
Garrulus, (die Gattung Zophoeitta von den Sunda-Inseln ist
nur entfernt verwandt) mit 12 Arten, in deren Gefieder
zwar auch die blaue Farbe in verschiedenem Umfange aber
immer geringer als in dem der amerikanischen Vettern
auftritt. Auch sie theilen sich, abgesehen von einer höchst
seltenen, abgetrennten Art (G. Liprur) von Siüdjapan, der
Färbung nach in zwei ‚ durch besondere Gattungsnamen
) Vergl. Verhandl. der deutsch. zool. Gesellsch. Leipzig, 1891 $ 66.
?) Ich finde nirgends Angaben über das Jugendgefieder von
Cyanocoraz. Es wäre hoch interessant, wenn hier gebänderte Federn
vorkämen. Uebrigens ist Cyanoeitta mit Garrulus näher verwandt ale
mit Cyanocoraz, ne
Von Professor W. MARSHALL 417
erfreulicher Weise noch nicht unterschiedene Untergruppen:
Die eine besteht aus 4 Arten, in deren Gefieder noch ziemlich
vie] Blau vorkoinmt, indem nämlich nicht nur die Flügeldeck-
federn, sondern die Schwung- und Schwanzfedern blau und
schwarz quergebändert sind. Eine Art /Garrulus taivanus)
bewohnt Formosa, eine andere /sinensis) das südöstliche
China, eine dritte /bispecularis) den östlichen‘) und eine
vierte (Janceolatus) den westlichen Himalaya. Die 7 übrigen
Arten bilden eine zweite Gruppe und sind sämmtlich unserm
gemeinen Eichelheher nahe verwandt, z. Th. nur locale
Rassen von ihm. Die blaue Farbe des Gefieders ist hier be-
deutend zurückgetreten, am Rumpf hat das Blaugrau einem
weinigen Rothgrau Platz gemacht, nur die Flügelfedern
haben die charakteristische Färbung bewahrt. An den
Sehwung- und Schwanzfedern finden sich aber doch noch
Spuren der alten blauen und schwarzen Querbänderung.
Die Stenerfedern sind schwarz, nur an den Wurzeltheilen
finden sich noch Reste blauer Binden. Diese letztere Er-
scheinung ist interessant und wichtig. Sie zeigt uns, dass
die Ahnen der Eichelheher-Gruppe blaugebänderte Schwanz-
federn hatten, dass diese Farbenvertheilung aus irgend
einem Grunde ihre Bedeutung verlor und von der günsti-
seren schwarzen verdrängt wurde, sich aber doch als
Rudiment an den Federstellen erhielt, die unter normalen
Verhältnissen nicht gesehen werden können. Die Riehtig-
keit, diese blaue Restfärbung als rudimentär aufzufassen,
dürfte wohl auch dadurch unterstützt werden, dass sie in be-
deutenden individuellen Grenzen schwankt, was bekanntlich
In der Regel eine Eigenthümlichkeit rudimentärer Eigen-
schaften zu sein pflegt. Noch ein dritter Grund spricht für
lie grosse Wahrscheinlichkeit, dass die entwiekelte Ansicht
den Thatsachen entspricht, — dass ist die Correlation, die
5 sich in der Farbenvertheilung auf Flügel- und Schwanz-
. federn der Vögel geltend macht, und auf die wir einen
: Augenblick eingehn wollen.
in gewisses correlatives Verhältniss zwischen Flügel-
SR u -
nd Schwanzfedern der Vögel ist gen. und _
En N) SchLegen (Museum des Pays-Bas, Coraoes, pg. 60) zieht sınensis
als Localrasse zu bispecularis.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 67, 1891. -
418 Ueber thiergeographische Beziehungen cte.
bloss, was die Farbe angeht. Aber gerade diese Ueber-
einstimmungen und Aehnlichkeiten sind äusserst merkwürdig
und lassen sich am besten durch einige Beispiele (aus
einer grossen Zahl nur wenige!) illustriren.
Man betrachte eine Schwung- und eine Steuerfeder
von 1) Merops erythroptera: beide sind gleich gelbbraun, vor
der Spitze mit einer schwarzen Binde, während bei beiden
die Spitze selbst wieder gelblich erscheint; 2) Pferuthius
rufiventris : beide Arten von Federn schwarz mit roth-
brauner Spitze; 3) Procnias zersa: beide Federarten schwarz
mit lasurblauem Aussensaum; 4) Pericrocotus brevirostris 2:
Schwanzfedern schwarz mit chromgelben Aussensaum,
Schwungfedern schwarz mit breiter chromgelber Querbinde;
beim Männchen ist das Gelb durch Zinnoberroth in ganz
gleicher Ausdehnung und Verbreitung vertreten. Auch die
Trochalopteron-Arten bieten auffallende Beispiele. Bei
Wiedehöpfen sind Schwung- und Steuerfedern schwarz mit
breiter weisser Querbinde, die sich an den Schwanzfedern
ale Saum des Aussenrandes nach vorn und hinten fortsetzt.
Ganz analog verhalten sich auch die nordamerikanischen
Blauheher bezüglich der Farbenvertheilung auf Schwanz-
und Flügelfedern und das ist ein alterthümliches Verhalten,
das nicht bloss verräth, dass diese Federn im Allgemeinen
homologe Bildungen sind, — das sind schliesslich selbst-
verständlich alle Federn, -— sondern die zu beweisen
scheinen, dass gerade zwischen jenen noch ein innerer,
genetisch näherer Zusammenhang besteht, ein Zusammen-
hang, der auf uralte Eigenthümlichkeiten im Bau der
Wirbelthiere zurückweist. Die horizontalen wie die ver
tikalen Gliedmaassen derselben gehen aus Hautleisten her-
vor, von denen die horizontale als Wourr’sche bekannt ist.
Oft treten, wenn Anpassungsbedingungen es erfordern,
Rückschläge in der Richtung dieser Urleiste auf, indem
nicht nur die beiden Extremitätenpaare vorhanden sind,
sondern Hautsäume vom Hals zum Arm, von diesem ent-
lang des Rumpfes zum Schenkel, vom Schenkel weiter
entlang des Schwanzes verlaufen, so bei Galeopithecus unter
den Säugern. Meist allerdings tritt dieser Hautsaum nicht |
lückenlos in seiner ganzen ursprünglichen Ausdehnung auf, =
Von Professor W. MARSHALL. 419
es fehlen in der Regel entweder der Abschnitt zwischen
Hals und Oberarm, oder der zwischen Schenkel und Schwanz,
oder beide zugleich. Derartige Rückschläge treten uns ent-
gegen im Patagium und in der Achselfalte der Vögel, in
der Flughaut der Fledermäuse und Pterodaktylien, in dem
Fallschirm der fliegenden Eichhörnchen und Beutelflatterer,
in (und zwar durch die eintretenden distalen Enden der
falschen Rippen gestützt) der Rumpfseitenhaut der Eidechsen-
gattung Draco und im Seitensaum mancher Geekonen. Am
merkwiirdigsten erscheint der letztere bei einem javanischen
Gecko (Ptychozoon homalocephalon), bei dem nicht nur eine
breite Hautfalte an jeder Rumpfseite vorhanden ist, sondern
Ober- und Unterarm, Ober: und Unterschenkel, sowie sämmt-
liche Finger und Zehen gesäumt sind. Auch am Schwanze
zeigt sich diese Falte und zwar sehr merkwürdig in den
vordern zwei Dritteln, entsprechend den einzelnen Schwanz-
wirbeln, metamerisch eingeschnitten.
Wir können hier keine weitern Einzellieiten entwickeln,
nur so viel sei gesagt, dass der Aussenrand dieser Haut-
falte auch die Stelle war, an der die Vorläufer der Schwung-
und Steuerfedern ihren Ursprung nahmen. Hierdurch traten
Sie sich dem übrigen Gefieder gegenüber, so zu sagen,
genetisch näher, ihre homologen Beziehungen mehrten sich,
das correlative Verhältniss zu einander wurde inniger, als
ihr Verhältniss zu den übrigen Federn. Das spricht sich
in jenen Fällen gleicher Färbung deutlich aus, jene Aehn-
liehkeiten sind kein Zufall, sie sind vielmehr der Aus-
druck gleichen Ursprungs der betr. Federn, wie sie es bei
80 vielen Fischen an den oft sehr abweichend von dem
Äbrigen Körper, aber unter sich gleich gefärbten horizon-
talen und verticalen Flossen ist. |
Noch ein frappantes Beispiel mag diese Behauptung
' erhärten. Bei dem europäischen Seidenschwanze sind be-
kanntlich die Schäfte der Armschwingen an den Spitzen
Zu siegellackrothen Plättchen verbreitert, während das Vord er-
ende des Bartentheils, der Handschwingen gelb ist. Die
Steuerfedern haben gleichfalls gelbe Spitzen, aber eine
Verbreiterung ihrer Schaftenden fehlt normalerweise. Es
giebt indessen einzelne Individuen, ee alte
420 Ueber thiergeograpbische Beziehungen etc,
Männchen, bei denen auch an den Schwanzfedern jene
rothen Endplättehen auftreten. Diese Erscheinung ist voll-
kommen unerklärlich, wenn man nicht jenen genetischen
Zusammenhang zwischen Flügel- und Schwanzfedern an-
nehmen will, der tiefer und inniger als zwischen ihnen und
andren Federn ist. Auch die Verhältnisse der Entwicklung
der Federn an Schwanz und Flügel des Archaeopteryx ge-
wiunnen von diesem Gesiehtspuncte aus an Bedeutung.
Diese weitläufige Auseinandersetzung über die Farben-
verbältnisse an den Schwanz- und Flügelfedern der Vögel
im allgemeinen und an denen der Heher im besondern
sehien mir deshalb nöthig, um der von WALLACE vertretenen
Ansicht, dass früher eine einzige, dem gemeinen Eichel-
heber sehr nahe verwandte Art in der paläarktischen Region
existirt habe, die in Asien in eine Reilie von Formen zer-
fiel, zu beleuchten. Dieser Annahme widersprechen die
aus der Farbe der Befiederung oben abgeleiteten That-
sachen. Die korrelative Entwicklung derselben ist der
ältere Zustand, dessen Verdrängung bei der Glandarius-
Gruppe nieht vollständig war und der sich in der Färbung
der Flügeldeckfedern und der Wurzeln der Steuerfedern
erbielt. Es sind daher die Formen von Formosa und deu
chinesisch-indischen Gebirgeu, bei denen die Verhältnisse
sich rein erhielten, als die ursprünglicheren auzuselen und
sie knüpfen unmittelbar an die amerikanische Gattung
Cyanoeitta au. Diese Gattung und die Gattung Garrulus
sind gemeinsamen Ursprungs und ihr gemeinsames Ent-
stehungseentrum befand sich in Nordamerika. Von hier
wanderten die echten Heher in die damals noch durch
Landverbindung angegliederte paläarktische Region ein,
vielleicht oben im Norden, vielleicht aber und wahrschein-
licher auf einer ältern, weiter südlich gelegenen Brücke,
für deren einstige Gegenwart mancherlei spricht und auf
die Geor« BAUR!) in einem Autfsatze über die Galapagos-
Inseln bei Besprechung der Verbreitung der Riesenschild-
kröten hingewiesen hat. Die bedeutende Tiefe des Stillen
5 in einer Feuilletonserie der „Münchner Neusten Nachriehten*,
doch ist mir der Jahrgang entfallen. .
#
Von Professor W. MARSHALL. 421
Oceans braucht in der That nicht eine so uralte zu sein,
wie allgemein angenommen wird. Ein Blick auf die An-
ordnung des Tertiärs von Malta, wie es durch J. Murray
festgestellt ist, lehrt uns, wie verhältnissmässig rasch sehr
bedeutende Schwankungen in den Meerestiefen stattfinden
können oder konnten. „Die (tertiären) Schichten (auf Malta)
sind ausserordentlich regelmässig gelagert und sind durch
keine Hebung während der ganzen Dauer des Zeitabschnittes,
in den ihre Bildung fällt, jemals ganz dem Meere entrückt
gewesen. Die obersten und untersten Lagen sind Kalke,
. die fast ausschliesslich durch die absondernde Thätigkeit
der zu den Algen gehörigen Nulliporen gebildet sind; man
kann mit Sicherheit behaupten, dass es Seichtwasserbil-
dungen sind, die in höchstens 50 Faden (etwa 90 m) Tiefe
ahgesetzt wurden; auch die in ihnen gefundenen Echiuiden
bestätigen dies. Sie werden von Zwischenselichten getrennt,
unter denen sich besonders ein für Bauten sehr geschätzter
Kalk auszeichnet; dieser besteht zum weitaus grössten
Theile aus Globigerinen und theilt mit dem Globigerinen-
schlamm der abyssischen Meerestiefen (besonders des Stillen
Oceans! MarsuaLL) auch die Häufigkeit von Phosphatknollen
und phosphatisirten Haifischzähnen. Murray schlägt die
Tiefe, in denen diese Globigerinenkalke gebildet sind, auf
mindestens 300-1000 Faden (549—1830 m) an.“ !)
Die von Osten her eingedrungenen Heher wanderten
uun die chinesisch-nordindischen Gebirge entlang westwärts
und büssten auf dieser Wanderung immer mehr an den
Eigenthümlichkeiten der Vorfahren ein. So erreichten sie
Persien, besiedelten die Länder um den Pontus und von
hier zunächst das östliche, dann das westliche Europa und
gingen nach Nordwestafrika über, wo sich neben der Stamm
form eine Localrasse /cercicalis) entwickelte. Nach Osten
überschritten sie den Ural, durchquerten Asien und setzten
auf die japanischen Inseln über. Die Verhältnisse des kon-
finentalen Klimas Ostrusslands, diesseits des Urals und im
tentralen Asien wirkten auf Garrulus glandarius, wie auf
Manche andere Europa und Sibirien gemeinsame Vogelarten,
5
!, Koran: „Die Vorwelt“. S. 446.
422 Ueber thiergeographische Beziehungen ete,
modifieirend ein, und es entstand die Localform Brandt,
während die Stammform unter dem insulären Klima Japans
sich erhielt.
Bemerkenswerth ist die Lücke in der Verbreitung der
Heher zwischen lJanceolatus mit blau gebändertem Schwanz
im nordwestlichen Himalaya und den zur glandarius-Gruppe
mit ungebänderten Schwanzfedern gehörigen hyrcanus in
Nordpersien.
Auch der südliche Theil des nördlichen Asiens wird
ungefähr vom 50 bis 30° n. Br. und vom 50 bis 115° östl. L.
von keiner Heberart bewohnt, ein Blick auf die von WALLacE
entworfene Karte der Verhreitung der Gattung Garrulus
zeigt in sehr deutlicher Weise, wie die betr. Vögel erst
westwärts und dann ostwärts zurück um die unwirthlichen,
meist baumlosen Gegenden Oentralasiens herum gewandert
sind und sie vermieden haben. —
Ueber das Zustandekommen der discontinuirlichen Ver-
breitung von Limberiza schoeniclus-pyrrhulina und der Ein-
schiebung vou Emberiza passerina zwischen den beiden
Vorkommensgebieten der erstern Art äussert sich WALLACE
(vergl. 8.415 dieses Aufsatzes)nicht. Es wäre denkbar, dass da-
bei älnliche Verhältnisse wie bei der Verbreitung von Garrulus
glandurius (europaeus-japonicus) und Brandti eingetreten
wären, d. h. dass passerina eine mehr kontinentale Form sei.
Zu dem zusammeuhanglosen Vorkommen von Parus
palustris bemerkt Warzack!): „Wenn Parus borealis eine
von Parus palustris verschiedene Art ist, als welche er
in Gray’s „Hand List of Birds“ und in Suarre’s und
Dassser’s „Birds of Europe“ angesehn wird, dann hat
Parus palustris eine sehr merkwürdige discontinuirliehe
Verbreitung, ... beide Bezirke des Vorkommens liegen etw&
unter derselben Breite und haben ein sehr ähnliches Klima,
aber der Zwischenraum zwischen beiden beträgt gegen
4000 (engl.) Meilen. Betrachtet man diese beiden Formen
indessen bloss als Unterarten, dann wird das Verbreitungs-
gebiet dieser Art‘ zusammenhängend, und nur eine ihrer
Varietäten oder Unterarten hat ein diseontinuirliches Vor-
') Island life, S. 64.
Von Professor W. MARSHALL. 423
kommen. Es ist eine auffallende Thatsache, dass beide
Formen, Parus palustris und borealis neben einander im
südlichen Skandinavien und in einigen Theilen Centraleuropas
vorkommen und sich, wie angegeben wird, sowohl in ihrer
Stimme und Lebensweise, als auch in der Färbung etwas
von einander unterscheiden.“
Abgesehen davon, dass die klimatischen Verhältnisse
der beiden Verbreitungsherde von Parus palustris demn
doch nicht so sehr gross sind, wie WALLACE meint, — man
denke nur an die Verschiedenheit der durchschuittlichen
Jahrestemperatur! — liessen sich zwei mögliche Ursachen
dieses discontinuirlichen Vorkommens denken, je nachdem
man borealis als Stammrasse und palustris als Varietät auf-
fasst, oder umgekehrt. In ersterem Falle hätte sich ein
und dieselbe Varietät an weit von einander getrennten
Stellen selbstständig gebildet, was sehr auffällig und un-
wahrscheinlich wäre. Im zweiten Falle hätte palustris,
ursprünglich eontinuirlich quer durch Asien vom Gelben Meere
bis nach Westeuropa verbreitet, durch irgend welche Einflüsse,
vielleicht der spättertiären Abkühlung, die Varietät dorealis
gebildet und hätte sich nur an günstigen Loecalitäten er-
halten, zu denen auch Südschweden gehören würde, wenn
es Sich hier nicht etwa um eine Neueinwanderung von
Süden her handelt, und die „einige Theile Centraleuropas*,
wo palustris noch vorkommt, gewissermassen Etappen wären.
Diese Annahme scheint mir die grössere Wabhrscheinlich-
keit für sich zu haben. Ein Fall, der eine gewisse Aehn-
lichkeit mit der Verbreitung von Parus palustris-boreulis
hat, betrifft einen Tagschmetterling, einen Dambreitfalter.
Melanagria Japygia bewohnt Kalabrien und Sieilien und
soll die Stammrasse von Mel. Cleanthe sein, die im mittleren
Spanien und im südöstlichen Frankreich, sowie im süd-
lieben und östlichen Russland fliegt. Hier ist wahrscheinlich
umgekehrt Cleanthe die Stammart, zwischen deren Ver-
breitungsbezirken der Zusammenhang völlig zerstört wurde,
während Mitglieder derselben nach Süditalien gelangteu,
vielleicht von den Alpen her verdrängt, oder von Spanien
über Mauritanien eingewandert, und hier die neue Form
Japygia bildeten. Denken wir uns, dieselbe vermöge nord-
424 Ueber thiergeographische Beziehungen etc.
wärts zu wandern und die trennenden Gebiete zwischen
den Localitäten, an denen Oleanthe fliegt, einzunehmen und
zu behaupten, so würde die Analogie zwischen der Ver-
breitung der betr. Meisen und dieser Schmetterlinge noch
grösser sein.
Es giebt noch einige Fälle bemerkenswerther discon-
tinuirlicher Verbreitung in Europa, die wahrscheinlich auch
anf andere Art erklärt werden müssen, sie betreffen zunächst
die Saturniidengattung Trorıea. Die Gruppe der Tropaeen
(die einander sehr nahe verwandten Gattungen Tropaea, Actias,
Argema und Copiopteryz umfassend) hat Vertreter in Amerika
von Guatemala und Brasilien bis Mexiko und Toronto in Ca-
nada, durch die äthiopische Provinz von Abyssinien bis Natal
und Madagaskar, in den eontinentalen Theilen der orienta-
lischen Region und auf den Adamanen, in China, Japan,
am Amur und im ceentralen Spanien.
Ueber die ostsibirisehe Art bemerkt Rappz 1): „Unsere
Aufmerksamkeit wird plötzlich besonders rege gemacht
dureh das laute Sehwirren, welches ein Riesenrachtfalter
bei dem Herannahen zum Feuer verursacht. Es ist das
Genus Tropaea (Artemis), welches in verwandter Art
Ostindien angehört, und das wir hier trotz der 35° (R.)
Kälte im Januar ruhig seine Metamorphose vollenden sehn.“
Nach BREMER 2) ist die Art übri itd damerikanischen
Luna näher als mit der ostindischen und südehinesischen
Selene verwandt. Neuerdings sind noch weitere Arten in
China (Tropaea Maasseni), Japan (Gnoma, Dulcinea, aliena),
sowie in Canada (Rossi), Mexiko /Dietynna) und Guate-
mala /atzteka) entdeckt worden, die mir unbekannt ge-
blieben sind.
Die Tropaeen dürften eine alterthümliche Spinnergrupp®
sein, die einst weit verbreitet war, dann auf die Tropen-
länder Amerikas, Asiens und Afrikas ähnlich wie die
Megalaemiden und Trogoniden unter den Vögeln, den Zonu-
riden und Testudiniden unter den Reptilien und den Coe-
cilien und Engystomatiden unter den Amphibien zurückge-
)1.e. 8.589,
?) Mem de L’Acad. imp. d. se. St. Petersbvurg, 1864.
Von Professor W. MARSHALL. 425
drängt wurden und später wieder in nördliche Länder ein-
wanderten und zwar mit Umgehung der Gebirge und ent-
lang der Küsten von Afrika nach Spanien, von Ostindien
nach Japan und in die Amurländer, vielleicht auch nach
Nordamerika, wenn hier nicht ein Vorstoss der brasilianischen
Formen stattfand.
Das Eindringen afrikanischer Thier- und Pflanzenformen
in die paläarktische Region über Spanien und indischer
über China, Formosa und Japan ist bekannt genug und
MiqusL!) verwirft eine besondere japanische Flora: nach
Süden geht die japanisch-chinesische Flora allmählich in
die indische (oder besser: nach Norden geht die indische
Flora allmählich in die japanisch-chinesische) und nach
Norden in die des Amurs über. Tropaea Isabellae bewohnt
ein kleines Gebiet in der Sierra de Guadarrama und zwar
ziemlich hoch in der Nadelholzregion. Vielleicht ist die
eigenartige Zeichnung dieses schönen Spinners auf sein
hohes Vorkommen zurückzuführen. Während nämlich viele
Tropaeen hellgrün mit je einem Augenfleck von verschiedener
Grösse auf jedem Flügel sind, ist bei /sabellae die Nervatur
braun bestäubt, etwas, das an alpinen und borealen Formen
heller Schmetterlinge öfters zu beobachten ist. Dem se
indessen , wie ihm wolle, — gewiss ist der Schmetterling
Dicht „wahrscheinlich aus dem Innern Afrikas“ eingeschleppt 2)
Es steht übrigens der Fall, dass eine tropische Tbhier-
familie im Westen und Osten der paläarktischen Region
in verschiedenen Arten unabhängig vordrang, nicht so ganz
vereinzelt, auch bei einer Vogelgattung finden wir ein ent-
Sprechendes Verhalten und zwar bei der Gattung Ortolus
(Pirol). Unser gewöhnlicher Pirol bewohnt den grössten
Theil des warmen und gemässigten Europas und westlichen
Asiens, fehlt aber im Osten der paläarktischen Region
etwa vom 50° östl. L. an; am Amur wieder durch Oriolus
indieus (oder chinensis, was synonym ist) ersetzt, der sich
von Bangka, Java, Borneo, Celebes und Formosa?) bis
Denn RE
!) Verslag. d. Koningl. Akad., Amsterdam 1868. pe. > u. 72.
9) BASTELBERGER, Stettin. entomol. Zeitung 1878, S. 193.
3) ScHLEGEL, Museum des Pays-Bas: Coraces, pg. 102.
426 Ueber thiergeograph. Beziehungen von Prof. MARSHALL.
Peking‘) und zum mittleren Amur findet.?2) Freilich besteht
zwischen den Pirolen und den Tropaeen immerhin ein nicht
unwesentlicher Unterschied darin, dass jene Vögel nur in
gewissem Sinne und mit Beschränkung als endemische
Formen können angesehen werden, da sie ausserhalb der
Tropen Zugvögel sind. Die übrigen 22 Arten der echten
Pirole bewohnen die äthiopische und orientalische Region
und betreten die australische eben auf den Sula- Inseln.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die beiden vorher
namhaft gemachten Noktuidenarten /Plusia eircumflera und
Spintherops exsiccata), die sich in Kleinasien und auf den Ka-
‚naren finden, auf diese Inselgruppe über Nordafrika ein-
gewandert sind, und dass ebenso der Bläuling Zycaena
Lysimon diesen Weg nahm, aber auch nach dem südwest-
liehen Theil des europäischen Continents übertrat.
Zum Sehlusse muss ich betonen, dass es mir selbst-
verständlich gänzlich fern liegt, das im Obigen Entwickelte
als nur einigermaassen feststehend anzusehen. Es fehlt mir
die Detailkenntniss der einschlagenden geologischen That-
sachen und namentlich die der betr. Litteratur. Sollte in-
dessen auch alles an meinen Betrachtungen irrthümlich und
falsch sein, so würde ich mich doch freuen, wenn dieselben
allgemeinere Anregung geben würden, der Lösung jener
interessanten thier- und pflanzengeographischen Frage näher
zu treten.
'} WALLACE, Die geogr. Verbreitung der Thiere, b. IL, 8. 302.
2 Vgl. Rapp, |, ce, S. 627.
*
Faunae mammalium saxonicae
(Zs. Ntw. v. 66p. 183... 179; 1893)
supplementum.
Seripsit
örwin Schulze Ph. D.
1. ADDITAMENTA AD APPARATUM LITTERARIUM.
1634
au
1756
1770
Ein Seehund am 20. März 1634 bei Kötzschenbroda gefangen.
Weck A., Der kurfürstl. sächs. Residenz- und Hauptfestung
Dresden Beschreibung und Vorstellung (Nürnberg 1680) p. 546.
Curiosa Saxonica p. 76; 1748. Hamburg. Mag. v. 16 p. 178; 1756,
Merian M., Topographia superioris Saxoniae, Frankfurt. 40.
[p. 123b: 1629 ein Damhirsch in der Hart bei Leipzig erlegt.]
Lehmann Ch., Historischer Schauplatz der natürlichen Merk-
würdigkeiten in dem meißnischen Ober- Erzgebirge. Leipzig
1699 (u. 1747). [p. 522... 608 wilde Tiere; p. 609 kleine Baub-
tiere.] Außzug in Itluste. Jagd-Ztg. (Leipzig) v. 18 (1890/1)
p. 474... 476. 485 . . 487.
Ein Filfras am 4. April 1715 auf dem Töpferwalde bei Frauen-
stein erlegt, Dresdnische Merkwürdigkeiten p. 60; 1715. Bahn,
Daß Amt, Schloß und Stätehen Frauenstein (Fridrichstat bei
Dresden, 1748) p. 10. 194
Ein Biber am 15. Sept 1748 auf dem Elbheger in Nider-Muschitz
bei Meißen gefangen. Grundigs Samlungen zu der Natur- und
Kunstgeschichte (Schneeberg) v. 3 p. 357.
Schulze, Nachricht von dem onweit Dresden befindlichen
Zschonengrunde und von den darinnen vorhandenen Seitenheiten
der Natur, N. Hamburg. Mag. (Leipzig) v. 7n.37p.3.. 75
[p- 12... 13 Säugetiere.)
Bechstein J. M., Kurze aber gründliche Musterung aller bißher
mit Recht oder Unrecht von dem Jüger als schädlich geachteten
und getöteten Tiere. ta
Anton D,, Verzeichnis der Säugetiere in der Oberlausitz. Lau-
sitzisehe Monatsschr. (Görlitz) 1799; 2. Teil, p- 889..8
732 .. 733. (ef. Uechtritz 1821.)
_ Lndwig Ch. F., Initia faunae saxonicne, Lipsiae. [fase. 1 p-
6..7T mammalia.] =
Mosch C. F., Sachsen, historisch -topographisch - statistisch vor
mit naturhistorischen Bemerkungen dargestelt. Dresden un
428
1821
1872
Faunae mammalium saxonicae supplementum
Leipzig. 8°. [v. 1p.50..51. 119, 124. 130: Säugetiere im
Amte Pim
v. Uechtritz, M. F., Beiträge zur Naturzeschichte der Ober-
lausitz. Okens Isis v. 1 p.278... 291. [p. 279... 280: Nachtrag
zu Antons Verzeichnis der oberlausitzischen Säugetiere (1799).
Meyer E. J. J., Versuch einer medieinischen Topographie und
Statistik der Haupt- und Residenzstat Dresden. Stolberg am
Harze und Leipzig. [cap. 5 (p. 73... 99): Fauna der Gegend
um Dresden; p. 73... 74 Säugetiere.|
Geinitz H. B., Die Versteinerungen von Obersachsen und der
Lausitz. Gaea von Sachsen (Dresden, Arnold. 8%)} p. 61... 142
[p- 134... 142: Gruppe über der Kreideformation, p. 134... 139
Säugetiere.)
immermann K. G., Über einen in der Lilienstraße in Ham-
burg außgegrabenen Schädel von TrichzcHus. Jb. Min,
p. 73; 1845
Hornschuch u. Schilling, Kurze Notizen über die in der Ostsee
vorkommenden Arten der Gattung ee Greifswald.
Schach F., Über eine in Rußdorf (im März 1850) erlegte
ee Carus ferus. Mitt. a. d, a (Altenburg)
er, 170 . 174.
Pass M., Übersicht der in hiesiger Gegend (d. i. bei Merane
einheimischen Säugetiere; ap. Leopold J. H., Chronik und Be-
ee Fabrik- und Handelsstat Merane (Merane. 3%
Bären in nn Zool. Gart. v.5 p. 385 . . 386.
Reibisch Th,, Ve eg: en Sängatiere Sachsens. Sitzb.
Isis Dresden
Zimmermann K. 6, - die im Alluvium Hamburgs ge
fundeuen Walfisch- und Delphinknochen. Jb. Min. p. 82; 1870.
Zimmermann K. G., Eine neue Hirschart auß dem Alluvium
von Hamburg. Jb. Min. p. 26; 1872.
Engelhardt, Über daß Vorkommen einiger Fledermäuse. Sitzb-
Isis Dresden 1871 p. 29. [8 sp. bei Dresden.]
Richters in ‘Hamburg in naturhistorischer und medieinischer
Beziehung’ (Hamburg, Friederichsen. 80%) p.153 . . 160: Fauna.
p. 156 Säugetierfauna: Mus decumanus P, Puoca vitulina L.
DeLpumUS delphis L.]
hneider U., Wald und Jagd im sächsischen mn Neue
Deutsche Tagästg. (Berlin) v. 2 (1881/2). [p. 162 . Er
Sängetiere,]
Ein Wolf im Königreiche Sachsen. Neue Deutsche Jagdztg.
(Berlin) v. 5 p. 263. Weidman (Leipzig) v. 16 p. 29. 318. 335;
v. 17 p. 221. Deutsche Jägerztg. (Neudam) v. 5 p- 199.
Nehring A., Über die Robben der Ostsee, namentlich über die
Ringelrobbe; Sitzb. G. Ntf. Fr. Berlin 1886 n. 3 p. 119 es
1890
18
1891
1892
1393
8
scripsit ERWIN SCHULZE Ph. D, 429
Schacht H., Die Raubsäugetiere des Teutoburger Waldes.
Zool, Gart. v.31: 3. MUSTELA martes p. 166. . 171; 4. MusTeLa
foina p. 242.. 245; 5. MUSTELA putoria p. 304. . 309. (ef. 1887.)
Borcherding F, Vier Wochen in Nassau an der Lahn. Nach-
richtsbl. D. Malakozool. G. 18% n. 5. [p. 68. . 71 Säugetiere.)
1891 Pechuel- Loesche, ee Tierleben. 3. Aufl. Leipzig,
Bibliogr. Institut. 80. Bd. . 3: Säugetiere. [v. 1. 1
(44 + 702 p., 19t); v. 2. se 12 + 708 p., 19t.); v. 3. 1891.
(12 + 744 p., 21t., 4 mappae.)]
(Lehmann) Bären und Wölfe in Sachsen, Illustr. Jagdztg.
(Leipzig) v.18 (1890/1) p. 474... 476. 485. .487. (cf. Lehmann 1699.)
Struckmann C., Über die bißher in der Provinz Hanover und
den unmittelbar angrenzenden Gebieten aufgefundenen fossilen
und subfossilen Reste quartärer Säugetiere _ Nachträge und
Erpänzungen.40,u. 41. Jber. Nth. G. Hanover 1889/91p.48...62t.1.
cf. 1884.
(e
Schulze E., Faunae saxoniese mammalia euumerat. Zs. Ntw.
v. 66 p. 133 . . 179. (Supplementum 1894.)
Friedel E,, Spandan- Gatow-Kladow. Brandenburgia (Berlin)
n. 4 (August) p. 79... 82, [p. 82: ‘Die Maulwürfe, welche sich
auf dem Iinchen-Kiladde bemerkbar machen, kommen über die
Havel von Kladow geschwommen und entfernen sich vor dem
Winter wider zum festen Lande. Auf dem Kälberwerder sind
keine Maulwürfe.’)
Möllmann G,, Yalsssnasetällung der Säugetiere, Vögel, Rep-
tilien, Amphibien und Fische, welche biß jetzt im Artlande und
den angrenzenden Gebieten beobachtet wurden. (9. Jber. Ntw.
V. Osnabrük 1891/2 p. 163... 232.) Quakenbrük, Rackhorstsche
Buchliandlung (Edm, Eckhart). kl. 8°. 84 p. [p. 9. . 19 mammalia,}
ickel J., Die Litteratur über die Tierwelt des Königreichs
Sachsen. (Progr. erg Gymn. Dresden.) Dresden. 40. 44 p.
[p- 8... 9 Säugeti
Poppe S, A., Über "Anß Vorkommen von Mus alezandrinus
Geoffr. in Gare Ntw. Wochenschr. (Berlin) v. 8 n. 46
p. 505 . . 507.
Nehring“ A., Die Verbreitung des Hamsters Bram vulgaris)
in Deutschland. Arch, Ntg. 1894 v. in. 1 p. 15... 32. Mit
Karte
het H., Die Biber an der mitleren Elbe. Nebst einem
Anbange über PLaTyPpsyLLus castoris Ritsema. Mit einer
Karte und 6 Abbildungen, Dessau, P. Baumann. 8%, 417 p.
Schulze E., Faunae mammalium saxonieae (Zs. Ntw. v. 66 p
133 ,. 179; 1898) supplementum. Zs. Ntw. v. 67 p. 427 . „487.
11. additamenta ad apparatum litterarum; 2. indices in en
litterarium
430 Faunae mammalium saxonicae supplementum
2. INDICES IN APPARATUM LITTERARIUM.
Index auetorum.
Altum B. 18665. 1867. 1872
Anton D. 1799
Artzt 1878
v. Baer, K, E. 1863
Ballenstedt 1823
Balling 1831
Banke 1832
Bartels 1846
Bechstein J. M. 1792. 1801
7
Behlen 1823
Behrens G. H. 1703
Beling Th. 1857. 1859, 1872, 1873.
18°5. 1876. 1880. 1881, 1886
Berthold 1840
Beyer 1851
Blasius J. H. 1839, 1840, 1841.
1853. 1856. 1357
I W, 1877. 1878. 1883. 1884.
Blumenbach J. F. 1830
v. Bohlen, J. 1873
Boli E, 1856, 1862
Borcherding F. 1889. 1890. 1891
v. Brakel 1874
Brandt K, 1889
Brederlow 1846
Brehm A, 1890
Brehm L. 1825. 1827, 1828
Brehm 0, 1847
Brinkmann A, 1885
Buchenau F. 1866
Coester 1890
Cornelius 1875
Credner R, 1877
Bohne J. ". A, 1819, 1841. 1855,
1856. 1857
v. Dombrowski, E. 1889. 1890
Eiffeldt 1873
Engelhardt 1872
Engelhardt P, 1879
Erythropel A. 1885
Fechner 1851
Feist A. 1892
Fickel J. 1893
Fintelmann 1891
Focken Th. 1882
Franegre 1827
Friedel E. 1886. 1893
Friedrich H, 1891. 1892. 1894
Fries S, 1879
v. Fritsch, K. 1884
Fuhlrott ©. 1859. 1865
Fürbringer 1882
Gätke H. 1866
Geitel 1873 £
Giebel Ch. 1847. 1853. 1854. 1805.
1858. 1863. 1864. 1865. 1866.
1867. 1868. 1875. 1877. 1879
Gildemeister 1878
Girtanner A. 1885
Gloger C. 1828. 1833
Göppert 1873, 1876
Greiff J. 1885
Greve L. 1831
Gronen D. 1884
Grotrian H. 1880. 1883
Guthe H. 1867
Guthke 1891
Maltermann G. 1885
Heineken Ph. 1837
seripsit ERWIN ScHuLzE Ph. D.
Heise 1763
v. Hellen, H. 1885
Helms F. 1836. 1845. 1847
Henneberg W. 1891
Heß W. 1881. 1889
lloffmann F. 1823
Hofmeister 1883
Holland Th. 1871
Hornschuch 1850
Huntemann J. 1881
v. Hüpsch 1774
Jacobs E. 1870 1871. 1874
Jäckel 1872
John 1890
Irwisch Th. 1879
Ivens W. 1842
Malb L. W. 1857
Keyserling A. 1839. 1840
Kirschbaum 18;
Kobelt 1556
Kraepelin K, 1884
Kraft H. 1889
Krause 1866
Krause G. 1877
Kuhl H. 1819
Landois H. ae 1884, 1885.
889, 1890
Langerfeldt 1888
Lehmann Oh. 1699
_ Leisler J. Ph. 1810
Lentin 1802
Lenz A. 1878
IHR
=
o
-
NE Linde 1889
I
|
431
v. Lochow 1870
Lübben E. 1891
Ludolph F. 1839
Ludwig Ch. F. 1810
Ludwig F. 1881
Magerstedt 1866
Martin Ph. L. 1847. 1882
Martiny B., 1883
Mehlis E. 1831
v. Mendel, H. 1883
Merian M. 1650
Merrem Bl. 1789
Mertens A. 1891
v. Meyerinck, R. 1829
Milde 1880
Mitford E L. 18% -
Möbius K. 1862
Möllmann G. 1893
Mosch C. F, 1816
Müller A. 1880
Müller A. u. K. 1873. 1882
Müller 1891
Münter J, 1873
NWehring A. 1878. 1879. 1886.
1887. 1888, 1889. 1894
Nehrkorn A. 1873. 1878
Nitsche H. 1879. 1885
Overbeck 1339
Pallas P. S. 1756
Päßler M. 1863
Pechuel-Loesche 18%
Petry A. 1891
Pieler 1875
Pietsch 1875
Pohlig H. 1855
Poppe 8. A. 1882, 1884, 1889.
1891. 1892. 189
Hecks 18%
Reibisch Th. 1870
432
Reuvens C.L. 1890
Richters 1876
Rimrod 1838. mies 1842. 1846, 1858
Ritter J. J. 175
Römer A. Be
Rönnecamp 1889
Rühle F. 1891
Rüling J. Ph. 1786
Sandberger G. 1857
842
h 1853
Schacht H. 1877. 1884 1886,
1887. 1890
Scheffler L. 1883
Schilling 1850
Schinz H. 1840
Schlenzig M. 1856
Schmidt E. 1881. 1883
Schmidt Ph. 1830
Schmidt Th. 1856
Schneider J. 1816
Schneider O, 1881
Schneider U. 1882
Schulz J. H. 1845
Schulze 1770
Schulze E. 1887. 1890, 1893. 1894
Schwebe E, 18%
Sickmann F. 1883
.zD. 6. 1773
Steinvorth H. 1861. rue 1867.
1870. 1876. 1884, 1
Index
Arctomys Sb.
eitillus Sb.: Martin 1847.
Arvicola Cp.: Blasius 1853,
agrestıs Sel.: Jäckel 1872.
Faunae mammalium saxonicae supplementum
Stiehler W. 1861
Stricker W. 1868
Struck K. 1876,
Struckmann C. 1874. 1880. 1884
1887. 1892
Stübner J. Ch. 1790
Sturm K. G. 1818
Sufirian E. 1846
Taschenberg E. 1872
1'homas F. 1880
Tobias R. 1865
Troschel 1864. 1870. 1872. 1875
1879
v. Uechtritz M. F. 1821
Unger 1885
v. Veltheim, W. 1818
Virchow R. 1876. 1885
Wegner A. 1885
Weise A. 1886
Wiepken C. F. 1876. 1878. 1883.
1
Winnigstedt J. 1672
Zeppenfeldt 1818
Zimmermann Ch. 1834
Zimmermann K. G. 1845. 1870.
1872
Zimmermann P. 1888
Zumbusch F. 1890
rerum.,
amphibius Cp.: Beger 1867; Irmisch 1879.
arcalis Cp.: Winnigstedt 1672; Beger 1867; Jäckel 1812;
Nehrkorn 1873; Beling 1873; Heß 1881.
seripsit ERWIN ScHuLzeE Ph. D. 433
campestris Blasius 1853; W. Blasius 1883.
glareolus Bl.: Mehlis 1831; Beling 1886.
neglectus: Dehne 1856.
obscurus: Blasius 1884.
ratticeps Bl.: Blasius 1884.
subterraneus Sel.: Dehne 1855.
Bos L.: John 189.
primigenius Boj.: Körte 1821; Hoffmann 1823; 1823;
Helms 1836; Blasius 1841; Rimrod 1842; Stiehler 1861;
Blasius 1877; Nehring 1875. 1888. 1889.
taurus L.: Sturm 1818; Giebel 1853; Greve 1881;
Mendel 1883; Wegner "1885; Erythropel 1885; Hellen
u. Hallerianı 1885; 1885 .
Canis L.
lupus L.: Lehmann 1699; Behrens 1703; Zeppenfeldt 1818;
Bohlen u. Münter 1873; Jacobs 1874; Krause 1877;
1882; 1885.
vulpesL.: Francque 1827; Taschenberg 1872; Troschel 1872;
Landois 1884; Schacht 1887; Zumbusch 18%.
Capra sp.: Giebel 1858.
Castor L.
fiber L.: 1756; Heise 1763; Meyerinck 1829; Giebel 1854;
Möbius 1862; Altum 1866; Pieler 1875; 1877; 1879;
Girtanner 1885; Blasius 1886. 1889; Kraft 1389;
Overbeck 1889; Linde 1889; Mitford 1890; Friedrich 1891.
1892. 1894.
Catus
Ferus: Schach 1853.
Cervus L.
alces L.: Hoffmann 1823: Ballenstedt 1823; Göppert 1873,
1876; Nehring 1878; Müller 1886; Behla 1886;
Landois 1889; Müller 1891.
eanadensis: Giebel 1853.
capreolus L.: Giebel 1853. 1867. 1875; Beling 1857;
Lochow 1870; 1875; 1878; Fürbringer 1882 ;
Blasius 1885. 1886; Brandt 1889; Dombrowski 1890.
dama L.: Merian 1650; Giebel 1853
Zeitschrift f. Natarwiss, Bd. 67. 189. 28
454 Faunae mammalium saxonicae supplementum
elaphus L.: Giebel 1853. 1866. 1868. 1575; Beliug 1859;
Credner 1877; Dombrowski 1889; K... 189)
Schmeil 1890; John 1890.
tarandus L.: Boll 1862; Nehring 1878; Struckmann 1880.
1887.
sp. Zimmermann 1872.
Cete L.: Bloch 1785; 1792; Zimmermann 1870; Bohlen u.
Münter 1874; Richters 1876.
Chiroptera Blb.: Leisler 1810; Kuhl 1819; Brehm 1827.
1828; Gloger 1828; Blasius 1839. 1840. 1841. 1853;
Kolenati 1856. 1857; Koch 1860. 1863; Engelhardt 1872;
Effeldt 1873; Fries 1879; Landois 1885.
Cricetus C,
Jrumentarius P.: Sulzer 1774; Kalb 1857; Magerstedt 1866;
Ludolph 1889; Petry 1891; Nehring 1894.
vulgaris Desm.: Nehring 1894.
Croeidura Wgl.
aranea Wgl.: Dehne 1855.
leucodon Wgl.: Nitsche 1885.
Crossopus Wgl.
Fodiens Wgl.: Dehne 1855.
Delphinus L.
delphis L.: Richters 1376.
phocaena L.: Bloch 1785.
Equus L.
caballus L.: 1816; Nehring 1878; 1879; 1881; Hof-
meister 1883; Landois 1884; Unger 1885; Guthke 1891;
Lübben 1891.
Erinaceus L.
europaeus L.: Landois 1884. 1890; Schacht 1886.
Felis L. :
eatus L.: Schach 1853; Blasius 1878; Sehacht 1887;
Landois 1890. :
Iynz L.: 1817; Veltheim 1818; Dehne 1819; Banke 1832;
Bohlen u. Münter 1873; 1882.
Foetorius Bl.
lutreola Bl.: Helms 1836; Poppe 1889.
scripsit ERWIN ScHuzze Ph. D. 435
Glis Br.
nitela: Brehm 1847.
Gulo Storr.
borealis Nilss.: 1715.
Halichoerus N.: Hornschuch u. Schilling 1850.
Hippopotamus sp.: Giebel 1853,
Homo L.
sapiens L.: Fuhlrott 1859. 1865; Baer 1863; Virchow 1876.
1885; Gildemeister 1878.
Hypudaeus Ill.
amphibius Ill.: Irmisch 1879.
hereynicus Mehlis 1831.
Lepus L.: Giebel 1858. :
eunteulus L.: Buchenau 1866; Gätke 1866; Troschel 1879;
Heß 1881.
timidus L.: Giebel 1868; Zumbusch 1890.
Lutra L.
vulgaris Erxl.: Helms 1845; Steinvorth 1865; Giebel 1868;
Pieler 1875; 1883; 1885.
Meles L.
vulgaris Desm.: Beyer 1851; Beling 1875; Schacht 1877;
Landois 1886.
Micromys Dehne
agılıs Dehne 1841. 1855. 1857.
Mus L.: Troschel 1864.
agrarius P.: Siekmann 1883.
aexandrinus G.: Poppe 1893.
avellanarius L.: Brehm 1847.
decumanus P.: Helms 1847; Dehne 1855; Richters 1876;
Steinvorth 1876; Giebel 1877; Schneider 1881;
Schmidt 1881; Fritsch 1834. ah
minutus P.: Dehne 1841. 1855. 1857 (Micromys agilıs);
Steinvorth 1890.
musculus L.: Dehne 1855; Jäckel 1872; Artzt 1878;
Heß 1881; Schmidt 1883; Kraepelin 1884.
ge
436 Faunae mammalium saxonicae supplementum
rattus L.: Troschel 1864. 1870. 1875; Steinvorth 1870,
1876; Härter 1879; Giebel 1879; Thomas 1880;
Schneider 1881; Ludwig 1881; Leimbach 1884; 1385;
Messer 1889; Borcherding 1889; Poppe 1839. 18393;
Recks 1890; Hampel 1890.
silvatieus L.: Dehne 1855; Jäckel 1872; Huntemann 1881;
Coester 1890.
(rex rattorum : Ivens 1842; Schlenzig 1856; Stein-
vorth 1884. 1890.)
Mustela L.
erminea L.: Nehring 1879; Fintelmann 1891.
Foina Br.: Wiepken 1888; Schacht 18%,
lutreola L.: Helms 1836; Poppe 1889.
martes L.: Wiepken 1888; Rönnecamp 1889; Schacht 18%.
putoria L.: Giebel 1864; Beling 1872; Landois 1884;
Schacht 1890; Zumbusch 1890; Henneberg 1891.
vulgaris Br.: Gronen 1884.
Myoxina: Nehring 1879; Reuvens 1890.
Myoxus Sb.
avellanarius: Brehm 1847; Rimrod 1858.
glis Sb.: Rimrod 1858; Sickmann 1883; Schacht 1884.
muscardinus Sb.: Rimrod 1842.
nitela Sb.: Brehm 1847; Rimrod 1858; Geitel 1875.
Ovis L.
aries L.: Lentin 1802; Berthold 1840; Kohl 1864; Engel-
hardt 1879; Mendel 1883; Müller 1885. 3
tragelaphus C.: Blasius 1878.
Phoca L.: Nehring 1886. 1887.
annellata N.: Nehring 1886.
vitulina L.: 1634; Richters 1876.
. Plecotus @.
auritus G.: Schlüter 1857; Müller 1880,
Rhinolophus G.
hipposiderus: 1887.
Sceiurus L.
vulgaris L.: Brehm 1847; Beling 1881; Greif 188
Hartwig 1890.
scripsit ERWIN ScHhuLze Ph. D. 437
Sorex L.
alpinus Schinz: Nitsche 1879; Schulze 1887.
amphibius Brehm 1825.
araneus Sb.: Dehne 1855; Giebel 1868.
chrysothorax Dehne 1855.
Jodiens Pallas 1756; Brehm 1825; Dehne 1855.
leucodus Herm.: Jäckel 1872; Nitsche 1885.
macrurus Lehmann 1822.
natans Brehm 1825.
pygmaeus P.: Jäckel 1872.
stagnatilis Brehm 1825.
vulgaris L.: Jäckel 1872.
Sus L.
porcus: Giebel 1853.
scrofa L.: Giebel 1853. 1863; Troschel 1864; Nehring 1378;
Mendel 1883; Müller 1885; Kobelt 1886.
Talpa L.
europaea L.: Sp... z 1773; Hüpsch 1774; Kohlmann 1851;
Dehne 1855; Kirschbaum 1856 ; Giebel 1865;
Friedel 1893.
Triehechus sp-: Zimmermann 1845.
Ursus L.
arctos L.: Lehmaun 1699; 1864; Altum 1866; Jacobs 1870.
1871; Pietsch 1875; Giebel 1877; Milde 1880;
: Grotrian 1880. 1883; 1882; Zimmermann 1888.
Vespertilio L.
auritus L.: Schlüter 1857; Müller 1880.
discolor Natt.: Dehne 1855
Jerrugineus Brehm 1827. 1828.
murinus Sb.: Schlüter 1857.
noetula Sb.: Dehne 1855; Schlüter 1857; Beling 1870.
okenii Brehm 1827. 1828.
pipistrellus Sb.: Cornelius 1875; Müller 1880.
schinzii Brehm 1827. 1828.
serotinus Sb.: Landois 1885.
submurinus Brehm 1827. 1828.
wiedii Brehm 1827. 1828.
> Vesperugo Bl.
Dipistrellus Bl.: Cornelius 1875; Müller 1880.
a
Die Elektrochemie und ihre Bedeutung für
die Technik.
Von
Dr. K. E. F. Schmidt,
Privatdocent für Physik zu Halle a. 8.
Die Fragen, mit denen sich die Elektrochemie befasst,
behandeln die engen Wechselbeziehungen zwischen der
elektrischen und chemischen Energieform. Wie geschieht
es, dass die chemischen Vorgänge in einem galvanischen
Elemente Kräfte zum Ausdruck bringen, deren Wirkung wir
unter geeigneter Anordnung der Apparate viele tausend
Meilen weit übertragen können?
Welche Gesetze regeln andererseits die durch den elek-
trischen Strom eingeleiteten Vorgänge der Zersetzung und
Vereinigung ehemischer Verbindungen? Welche Vorstel-
lungen haben wir uns über die Anordnung der Bestand-
theile eines Salzes zu bilden, wenn wir es in Wasser oder
einem anderen Lösungsmittel auflösen, damit jene Gesetze
einen einfachen und umfassenden Ausdruck gewinnen, der
geeignet ist, neue Thatsachen auf diesem Gebiete zu ent-
decken ?
Die Beantwortung dieser Fragen ist Aufgabe der
Wissenschaft, während die Verwendung der wissenschaft-
lichen Erkenntnisse der Technik und Praxis zufällt, und
diese Seite des Gegenstandes ist auch Veranlassung 8°
wesen, dass in neuerer Zeit weiteste Kreise von dem Vor-
handensein der Disziplin der Elektrochemie Kunde erhalten
haben.
Der grössere Theil der Menschen ist gewohnt, wenn
er von Elektrizität liest oder hört, zunächst und haupt-
sächlich an die technische Ausbeutung und Nutzbarmachung
Die Elektrochemie ete. von Dr. K. E. F. ScHhmipr. 439
dieser wunderbaren Naturkraft zu denken; so sehr 'hat sie
sich in den Dienst der Kultur gestellt. Kann uns diese
Thatsache Wunder nehmen, wenn wir selbst in den ent-
legensten idyllischen, einsamen Thälern der Gebirge Abends
plötzlich den Glanz der elektrischen Bogenlampe auf-
leuchten sehen? Wenn wir täglich hören oder beobachten,
wie die motorische Kraft der thierischen Muskel durch die
elektrische Energie verdrängt ist, um dem gesteigerten
Verkehr betriebsreicher Städte gerecht zu werden?
Zu leicht vergisst da der Laie, dass alle diese Er-
rungenschaften nur erzielt werden konnten auf Grundlage
des emsigsten mühevollen Fleisses gelehrter Arbeiter, und
es mag ihm oft wenig plausibel erscheinen, dass wirkliche
Fortschritte auf diesem Gebiete nur durch gediegene gründ-
liche wissenschaftliche Kenntnisse der Ingenieure gemacht
werden. WERNER von SIEMENS war ein technisch eminent
beanlagter Geist; die grossen Erfolge, die er erzielte,
basiren aber wesentlich mit darauf, dass er unter der vor-
züglichen Leitung von MAcnts eine tiefe wissenschaftliche
Ausbildung erhalten hatte und mit den gerade in seine
Zeit fallenden grossen Erfolgen der Naturwissenschaften
weiterging, und dass er selbst mit Hand anlegte an den
_ Weiterbau wissenschaftlicher Ideen.
Zumal die Elektrochemie fordert zu einer technischen
Ausbeute die gründlichste Kenntniss der physikalischen
Gesetze und der chemischen Vorgänge, und es ist nicht
denkbar, dass ein Techniker wirkliche Fortschritte auf
diesem Gebiete zu Tage fördert, wenn er nicht eine ge-
diegene Kenntniss der Theorie der Vorgänge sich zu eigen
gemacht hat.
Die hier vorkommenden ehemischen Prozesse gehören
mit zu den schwierigsten Problemen, die uns die Chemie
bietet, das ist auch gebührend bei Begründung des von
Seiten der deutschen elektrochemischen Gesellschaft an das
Ministerium gerichteten Gesuches betont worden. Mit Recht
hat man darauf hingewiesen, dass der Techniker auch in
dieser Disziplin eine gründliche Vorbildung auf der Hoch-
schule geniessen soll, und dass es deshalb notwendig sei,
eigene Lehrstühle für diese Disziplin einzurichten.
440 Die Elektrochemie und ihre Bedeutung für die Technik.
Um dem Leser eine Vorstellung über die Probleme
der Elektrochemie zu verschaffen, wollen wir einen kon-
kreten Fall zur eingehenden Betrachtung vornehmen.
Wir wollen uns gewöhnliches Kochsalz in Wasser auf-
lösen. Hierbei tritt dann nach den neuesten Darstellungen
über diese Prozesse ein eigenthümlicher Vorgang ein. Das
Kochsalz ist eine chemische Verbindung von Chlor und -
Natrium, indem ein Atom Chlor mit einem Atom Natrium
zu einem Molekül Chlornatrium oder Kochsalz zusammen-
tritt. Wenn nun von diesem Salz eine bestimmte Menge
in 1 Liter Wasser gebracht wird, so löst sich das Salz auf.
Hierbei bleibt ein Theil der Salzmoleküle in dem Zustande,
den er vor der Lösung zeigte, der Rest aber theilt sich so,
dass sich das Chloratom von dem Natriumatom trennt und
Jedes Atom für sich in der Lösung vorhanden ist. Diese
einzelnen Atome bewegen sich in der Lösung nach allen
möglichen Richtungen, mit den verschiedensten Geschwindig-
keiten fortschreitend. Tauchen wir in diese Kochsalzlösung
zwei Platten aus Platin, von denen wir die eine mit dem Kupfer,
die andere mit dem Zink-Pole eines galvanischen Elementes
durch einen Metalldraht verbinden, so fliesst ein elektrischer
Strom durch die Lösung und wir sehen nun bei geeigneter Zahl
der galvanischen Elemente eine heftige Entwickelung von
Gasblasen, besonders in der Nähe der Platinplatten ein-
treten. Bei genauer Untersuchung erkennen wir, dass an
der mit dem Kupferpol verbundenen Platinplatte Chlorgas
und an der anderen Wasserstoffgas entweicht.
Dieses Wasserstoffgas entsteht dadurch, dass das
Natrium unter den hier auftretenden Bedingungen heftig
auf die Wassermoleküle wirkt; indem ein Natriumatom ein
Wasserstoffatom im Wassermolekil — gebildet von einem
mit zwei Atomen Wasserstoff verbundenen Atom Sauerstoff
— verdrängt urd der frei gewordene Wasserstoff vom elek-
trischen Strom an das Platinblech getrieben wird und als
Gas aufgefangen werden kann.
Diese Vorgänge der Trennung chemischer Verbin-
dungen durch den elektrischen Strom bezeichnet man als
Elektrolyse: die wandernden Atomkomplexe, die als Träger
Sositiver und negativer Elektrizität auftreten, als Ionen.
Von Dr. K. E. F. Scuaipr. 441
Die Mengen der entweichenden Gase stehen in direktem
Zusammenhang mit der Stärke des elektrischen Stromes
und können nach den sorgfältigen Untersuchungen Faranavs
als Maass für die Stromstärke benutzt werden, was sowohl
bei wissenschaftlichen wie technischen Messmethoden in der
vielfachsten Weise verwendet wir
FarAaDAY zeigte dann auch ee dass diese Zer-
setzungsvorgänge durch den elektrischen Strom in engstem
Zusammenbange mit den Aequivalentgrössen stehen, und
hierdurch schlug er die Brücke zwischen Chemie und
Physik und legte den ersten Grundstein zur Elektrochemie.
Bekanntlich ist es für eine chemische Verbindung
eharakteristisch, dass stets bestimmte Gewichtsmengen (s0-
genannte Aequivalentgewichte) verschiedener Stoffe ver-
vereinigt werden müssen, damit sie ohne Restbildung sich
zu dem neu zu bildenden Körper vereinigen; so treten
35,5 gr Chlor mit 23 gr Natrium zusammen, um 58,5 gr
Kochsalz zu bilden. In dieser Verbindung können wir
dann durch geeignete Operationen die 23 gr Natrium durch
108 gr Silber ersetzen und erhalten 143,5 gr Chlorsilber;
die 108 gr Silber sind also für chemische Verbindungen
den 23 gr Natrium äquivalent.
Jeder Ueberschuss von Chlor oder Natrium würde nach _
der eingetretenen Vereinigung des Chlornatriums als Chlor
ezw. Natrium zurückbleiben.
Diese Aequivalenzbeziehung der chemischen Elemente
tritt nun auch in dem Ausscheidungsprozesse, welchen der
elektrische Strom bewirkt, zu Tage. Lassen wir nämlich
den gleichen Strom der Reihe nach durch eine Kochsalz-
lösung, eine salpetersaure Silberlösung, eine Schwefelsäure-
lösung usw. gehen, indem wir in sämmtliche Lösungen ge-
eignet verbundene Platinbleche tauchen, so wird die aus
der ersten und dritten Lösung ausgeschiedene Gewichts-
menge Wasserstoff gleich und die aus der mittleren Lösung
_ _ tretende Menge Silber 108 mal grösser sein. 108 gr Silber
können aber 1 gr Wasserstoff in chemischen Verbindungen
vertreten: es sind also äquivalente Mengen, die durch den
. gleichen Strom aus verschiedenen Lösungen geschieden
werden. Dieses wichtige Gesetz Faravays lässt sich all-
442 Die Elektrochemie und ihre Bedeutung für die Technik.
gemein bewahrheiten und ist für die Erkenntniss der ganzen
Vorgänge von allerhöchster Bedeutung geworden.
Soweit sind nun die Probleme ziemlich einfach und
übersichtlich durchgearbeitet, aber für die Anforderungen
der Praxis treten Komplikationen ein, die wissenschaftlich
vielfach noch gar nicht untersucht sind und der Deutung
eminente Schwierigkeiten entgegenstellen. Wir treffen hier-
bei auf Vorgänge, die deshalb schwer zu studiren sind,
weil sie oft auf Verbindungen in statu nascendi hinweisen,
welche sich vorläufig der ehemischen Theorie ziemlich ent-
ziehen.
Ehe hier keine Klarheit geschaffen wird, werden viel-
fache Anwendungen in der Technik mit Misserfolgen ver-
kntipft bleiben. Ohne gründliche wissenschaftliche Durch-
arbeitung ist, wie man nach Obigem leicht einsehen wird,
nichts zu erzielen. Die hierzu erforderliche Schulung kann
selbstverständlich nur durch Lehrkräfte erzielt werden, die
gründliche Kenntniss der Chemie mit denen der Physik
vereinigen; deshalb hat man mit Recht auf Neuschaffung
von Professuren gedrängt, die sich nur diesem Grenzgebiete
zuwenden sollen.
Beschäftigen wir uns nun einmal näher mit den Auf-
gaben, die an die Technik gestellt werden.
Eine der ältesten und ausgedehntesten Verwendungen
der Elektrochemie für technische Zwecke bildet die Gal-
vanoplastik oder die Kunst, Metalle mit Ueberzügen anderer
Metalle zu versehen. Man taucht zu dem Ende das erstere
Metall in die Lösung eines Salzes, welches das nieder-
zuschlagende Metall als chemischen Bestandtheil enthält,
und schiekt einen elektrischen Strom durch die Lösung,
den man an der einen Seite durch das zu tüberziehende
Metall in die Lösung einführt.
Die erste Entdeckung eines solchen galvanoplastischen
Niederschlages ist 1837 von Jacopy gemacht, welcher beim
Danielschen Elemente bemerkte, dass sich das Kupfer der
Kupfersulfatlösung eng an die Oberfläche des Kupferpoles
anschmiegte, allen Vertiefungen und Krümmungen der Pol-
oberfläche folgend. Als er 1840 seine Entdeckung und die
Bedeutung der Thatsache veröffentlichte, wurden von den
Von Dr. K. E. F. Scuaipr, 443
verschiedensten Forschern die Versuche in mannigfachster
Weise erweitert. Dr 1a Rıve in Genf vergoldete und ver-
silberte die verschiedensten Metalle; BoerrsEr lehrte 1846
die ersten Eisenniederschläge auf anderen Metallen an-
bringen und Jacaı versah 1859 Kupferstichplatten mit
einem Ueberzuge von Stahl, um sie vor dem beim Druck
unvermeidlichen Schädigungen wirksam zu schützen. Die
Ausbeutung dieser Technik bildet jetzt eine der wichtigsten
Zweige der Industrie; wir erinnern nur an die enorme Aus-
breitung der Christoffllewaaren. Auch die Massenfabrikation
von Schmucksachen in getriebener Arbeit, von Ornamenten
für Möbel usw. usw. mag hier für die grosse Bedeutung
dieser Technik Erwähnung finden.
In neuerer Zeit hat man übrigens auch Gegenstände
von weit grösseren Dimensionen galvanoplastisch bronzirt.
Das grösste derartige Werk ist das Gutenberg-Monument
in Frankfurt, bei dem die drei grossen Figuren Gutenberg,
Fust und Schöffer durch elektrolytischen Prozess mit einem
Bronzeüberzug versehen worden sind.
Dieser Theil der elektrotechnischen Technik ist sicher
fundamentirt und mit Rentabilität zu betreiben. Es giebt
aber noch eine grosse Reihe anderer technischer Zweige,
wo die Verwendung der Elektrizität wohl Erfolg verspricht,
wenn die Anlagen in geeigneter Weise durchgeführt werden,
wo aber theilweise bisher Misserfolge erzielt wurden, weil
das Verfahren nieht genügend durchgearbeitet wurde: Ver-
suche die oft im kleinen gut gelangen, die auch eine Zeit
lang gut im Grossbetriebe funktionirten, versagten, und trotz
grosser Kostenaufwände liess sich meist eine zufrieden-
stellende Abänderung des Betriebes nicht herbeiführen.
Die Gebiete, die sich hier der Technik geöffnet haben,
sind mannigfachster Art. Da sind zunächst einmal die
Gerbeprozesse, die Herstellung von Farbstoffen, die Ver-
wendung der Elektrolyse zu Färbereizwecken, elektrische
Bleichverfahren, Reinigung von Abwässern, Klärung der
Rübensäfte, Sterilisiren der Milch, Imprägnation von Holz
mit Metallsalzen zu nennen (vergl. diese Zeitschrift Bd. 66,
Seite 396). |
444 Die Elektrochemie und ihre Bedeutung für die Technik.
Der elektrische Strom soll hierbei hauptsächlich zur
Beförderung und Beschleunigung der gewünschten Proce-
duren einerseits, sowie zur gründlicheren urd voll-
kommeneren Erreichung des Zweckes andererseits dienen.
Die bisher in der Praxis durchgeführten Versuche scheinen
gute Resultate zu versprechen, jedoch sind die Einzel-
vorgänge noch nicht mit hinreichender Schärfe bekannt,
um mit genügender Sicherheit in allen Fällen verwendet
zu werden. Es wird daher noch vieler Versuche bedürfen,
um das gestecke Ziel zu erreichen.
Die für die Praxis und Industrie bedeutsamste Ver-
wendung der Elektrochemie beruht in der Reingewinnung
von Metallen. Der Bergbau fördert die Metalle meist in
Erz eingeschlossen und meist in chemischen Verbindungen
mit Sulfaten, Arsenaten, Karbonaten u. dgl. vereinigt, So
dass erst komplizirte und kostspielige Prozesse nothwendig
werden, das gesnchte Metall in gewünschter Reinheit aus
dem Gestein zu entfernen. Hier ist nun der ergiebigste
Erfolg von der Verwendung elektrolytischer Prozesse zu
erwarten, indem uns das elektrische Scheidungsverfahren
die Metalle in tadelloser Reinheit mit Hilfe recht eleganter
Scheidungsmethoden liefert. So wird fast die ganze Kupfer-
menge, deren die Elektrotechnik bedarf, auf elektrolytischem
Wege gewonnen (vergl. Correspondenzblatt des naturwiss.
Vereins für Sachs. und Thür. 1891, Seite 69; auch über
die auf elektrolytischem Wege erfolgende Herstellung des
metallischen Aluminiums lese man ebendort Seite 26 nach.)
Die Schwierigkeit, die sich bei diesen Bestrebungen
entgegenstellt, besteht darin, die elektrolytischen Prozesse 50
zu leiten, dass mit den geringsten Mitteln eine möglichst
vollkommene und zugleich ökonomische Ausbeute statt-
findet. Dabei tritt nun wieder eine Menge Faktoren auf,
die eine eingehende Kenntniss der elektrolytischen Prozesse
erfordert. Glaubt man dann, die Vorgänge im Labora-
toriumversuch genügend kennen gelernt zu haben, so zeigt
der im grossen durchgeführte Versuch plötzlich ganz neue
Schwierigkeiten, wie wir gleich näher sehen werden.
In den Stollberger Bergwerken wird ein Erz gewonnen,
das etwa 7—8 v. H. Kupfer, 10 v. H. Blei und 0,05 v- H.
Von Dr. K. E. F. Schumipr. . 445
Silber enthält. Die Gewinnung dieser Metalle geschah zu-
nächst nach einem elektrolytischen Verfahren, das von dem
Ingenieur MArcnzse in Genua durchgearbeitet wurde und
bei den Laboratoriumversuchen gute Resultate ergeben
hatte.
Für den Hüttenbetrieb wurden in grossen Zügen folgende
Einrichtungen getroffen.
Durch Rösten und Zusammenschmelzen mit kiesel-
säurehaltigen Stoffen lässt sich aus dem gewonnenen Erz
ein sogenannter Concentrationsstein gewinnen, der bis zu
50 v. H. Kupfer enthält. Ein solcher Stein in verdünnter
Schwefelsäure gelöst, ergiebt einen Elektrolyten, der etwa
28 gr Kupfer und 15 gr Eisen im Liter enthält. Ein
weniger konzentrirter Stein von etwa 15—21 v. H. Kupfer-
gehalt wurde geschmolzen und unter geeigneten Vorsichts-
massregeln in Platten von 80 cm Höhe, 80 em Breite und
4 mm Stärke gegossen, um als Stromzuleiter zu dienen,
während als Stromableiter Kupferblechplatten von gleicher
Flächenausdehnung und 1 mm Stärke verwendet wurden.
Der Elektrolyt wurde in mit Blei ausgeschlagenen Holz-
bottichen von 2,20 m Länge, 1 m Höhe und 1 m Breite
untergebracht und in jedem Bottich 15 Kupfererzplatten
und 16 Kupferbleche eingeführt.
Durch jeden Bottich wurde ein Strom von 30 Ampere
pro Quadratmeter und einer Spannung von 1 Volt gesandt,
welcher von einer Dynamo geliefert wurde, die bei 700 bis
800 Touren einen Strom von 430 Ampere und 35 Volt
Spannung lieferte.
Die Anlage funktionirte im Anfange trefflich, das er-
haltene an den Kupferblechen ausgeschiedene Kupfer war
sehr rein. Jedoch schon wenige Tage nach Durehführung
des Betriebes fing die Einrichtung an, zu versagen.
Einmal stieg durch die mit dem Strom verknüpften
Polarisationserscheinungen die Spannung der Bottiche bis
zum fünffachen Werthe, da sich Schwefel in grossen Mengen
_ an den stromzuleitenden Erzplatten ansammelte. Ferner
bröekelten mit zunebmender Betriebsdauer Theile von den
Kupfererzen ab, fielen auf den Boden der Bottiche und
gaben, indem sie leitende Verbindung zwischen den Strom-
446 Die Elektrochemie etc. von Dr. K. E. F. ScHmipr.
zuleitern und Ableitern herstellten, Veranlassung, dass der
Strom den Elektrolyten nicht mehr passirte. Schliesslich
erwies sich auch das ausgeschiedene Kupfer nicht mehr
als rein.
Im Laufe der Zeit wurden nun mannigfache Abände-
rungen getroffen, die kurze Zeit Abhilfe schafften, aber
bald wieder versagten.
Man suchte den unangenehmen Folgen des Abbröckelns
durch Ersatz der Kupfersteinplatten durch unlösliche Blei-
platten entgegenzuarbeiten. Aber die im Anfang guten
Erfolge wurden bald wieder durch Polarisationsvorgänge,
die in Folge der Oxydation der Bleiplatten eintraten, illu-
sorisch gemacht. Man versuchte darauf, den an den Blei-
platten auftretenden Sauerstoff dadurch unwirksam zu
machen, dass man dort schweflige Säure in den Elektro-
Iyten einführte; diese oxydirt sich mit dem Sauerstofi zu
Schwefelsänre. Aber auch hierbei stellten sich neue Uebel-
stände heraus, die eine mit bedeutenden Kosten verbundene
Neueinrichtung erfordert hätten.
In diesem Stadium der Versuche bot die Firma SIEMENS
und Harsee der Gesellschaft ein neues Verfahren an, das
angenommen wurde, während das bisherige über die
Stadien der Vorversuche nicht gelangte, verlassen wurde.
Wir haben dureh die eingehende Besprechung eines
instruktiven Falles gezeigt, wie grosse Summen geopfert
werden, um nicht erwartete Schwierigkeiten zu überwinden;
und wie schliesslich Tausende vergebens angelegt werden
und verloren gehen.
Viele solcher Missstände würden sich leichter ver-
meiden lassen, wenn Erfahrungen durch geeignet geleitete
Versuche gewonnen würden. Um dieses auszuführen, sind
die neuen Lehrstühle für Elektrochemie zum Theil ge-
schaffen, zum Theil in Aussicht genommen worden, und
man darf hoffen, dass bei richtiger Handhabung der
Angelegenheit vielfach der Technik derartige unnütze Opfer
erspart bleiben und die Ersichtung neuer Lehrstühle dadurch
der Allgemeinheit zum Nutzen gereichen werde.
#Mleinere Mittheilungen.
Mathematik und Astronomie,
Der Encke’sche Komet ist am 1. November von
CeruLtı im Pegasus genau an der von der Rechnung vor-
ausbestimmten Stelle des Himmels aufgefunden worden.
Es scheint daraus hervorzugehen, dass dieser durch die
Kürze seiner Umlaufszeit (31/, Jahr) ausgezeichnete Komet
in der seit seiner letzten Erscheinung verflossenen Zwischen-
zeit keine bedeutendere, aus unbekannter Ursache ent-
springende Bahnstörung erlitten hat, während er bei früheren
Erscheinungen mehrfach eine rund 2'/, Stunden betragende
Verkürzung seiner Umlaufszeit erfahren hatte, die man viel-
fach auf die Wirkung eines den Weltraum erfüllenden
widerstehenden Mittels zurückzuführen geneigt war. Die
genauere Beobachtung des interessanten, übrigens aber
äusserst lichtschwachen Himmelskörpers wird uns vermuth-
lich bald in den Stand setzen, die Zulässigkeit dieser Er-
klärungsweise der Unregelmässigkeiten seiner Bewegung
definitiv anzuerkennen oder abzulehnen.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Die Weltstellung der Meteore. Professor von
Niesst, gelangte zu folgenden Resultaten:
1) Der Mangel einer nachweisbaren Verdichtung der
Meteorbahnen in der Bewegungsrichtung der Sonne wäre
im Allgemeinen kein negatives Kriterium gegen die ausser-
planetarische Herkunft der betreffenden Körper. Dagegen
müsste der sichere Nachweis einer solchen Verdichtung
die Annahme des stellaren Ursprungs unbedingt mit sich
bringen.
448 Kleinere Mittheilungen.
2) Soweit das gegenwärtig noch immer unvollständige
Beobachtungsmaterial über die Lage der scheinbaren Ra-
diationspunkte reicht, kann nun in der That mit sehr
grosser Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass die
kosmischen Ausgangspunkte der Meteorbahnen zahl-
reicher sind auf jener Kugelhälfte, in welcher der Apex
der Sonnenbewegung liegt, als in der entgegengesetzten.
— Die Analyse lässt ferner den Schluss zu, dass die
räumliche Geschwindigkeit der Sonne im Vergleich gegen
jene der in ihre Wirkungssphäre eindringenden Körper
zumeist eine geringe ist.
3) Die Durehführung systematischer Sternschnuppen-
beobachtnngen in aequatorialen Gegenden der Erde wäre
von ausschlaggebender Bedeutung. 2
Naturf. Versammlung in Wien 1894.
Neues von Saturn und Uranus. Interessante Beob-
achtungen am Saturn und Uranus sind von Prof. BARNARD
mit dem grossen 36zölligen Fernrohre der Lick-Sternwarte
angestellt worden. Es war seit längerer Zeit bekannt, dass
die Saturnkugel gegen die Ringe etwas unsymmetrisch zu
liegen scheint, und man hatte auch beobachtet, dass ZU
den Zeiten, in welchen sich die Erde genau in der Ebene
der Saturnringe befindet, die Ringe gewöhnlich auf der
einen Seite der Kugel eher verschwinden als auf der an-
deren, und später in umgekehrter Weise zuerst die eine
Oese und dann die andere wieder erscheint. Genauere
Messungen vom äusseren Rande der Saturnringe auf der
einen Seite bis zum Rande der Kugel und gleiche
Messungen an der anderen Seite haben ergeben, dass that-
sächlich einige Ringexcentrieität vorhanden ist, welche
etwa 0,12 Sekunden beträgt. Ebenso ist durch die neue
Beobachtung eine alte Streitfrage entschieden worden, die
nach der Lage des Aequators des Uranus. Durch sehr
genaue Messungen an der Uranuskugel ist ziemlich sicher-
gestellt worden, dass, wie schon früher vielfach behauptet
worden, der Aequator der Uranuskugel nur sehr wenig
oder gar nicht gegen die Bahnebene dieses Planeten ge-
neigt ist. Nature.
Kleinere Mittheilungen. 449
Uhemie und Physik.
Frick’sches Holz-Pferdebrot, aus Sägemehl und Kleie
durch einen Backprozess hergestellt, ist als ein technischer
Versuch zur Verwerthung der Holzsubstanz zu Fütterungs-
zwecken beachtenswerth, wenngleich dieser Versuch als
noch nicht vollständig gelungen bezeichnet werden muss.
Die, das neue Fabrikat in das günstigste Licht stellen-
den Prospecte enthalten auch eine Analyse des von der
landwirthschaftlichen Hochschule in Berlin untersuchten
Pferdebrotes; dieselbe weicht zum Theil recht erheblich
von den Ergebnissen ab, welche ich in Gemeinschaft mit
Dr. Lenz bei Untersuchung der vorliegenden Holzbrotprobe
im hiesigen landwirthschaftlichen Universitäts-Institute er-
halten habe.
Die erwähnten beiden Analysen zeigen im Vergleiche
miteinander folgende Unterschiede, die ihren Grund jeden-
falls in der Verschiedenheit des verwendeten Holzmehles
haben; daneben ist, als Maassstab für die Beurtheilung, die
Durchschnitts-Z g von Hafer, Heu und Stroh
angegeben
Holzbrot
analysirt in: Hafer Heu Stroh
Berlin Halle
Wasser: . ; 5... 11.38 191.. 143 183
N N: 9.18 10.7 9.5 33
EM. 25.2 Ob 1.78 5.0 2.3 1.3
Rohfaser . . .: . 27.36 32.86 10.6 27.6 44.0
he 2: 6.28 3.3 6.0 4.1
Stickstofffreie ös ® 33;
ee ' . .57.96 3852 58.3 -403 38.3
Bei der Halle'schen Analyse fällt also der hohe Rohfaser-
gehalt und ein entsprechend niedriger Betrag an stick-
stofffreien Extraetstoffen (Stärke u. dergl.) unangenehm auf;
die Berliner Analyse dagegen zeigt ein weit günstigeres
Nährstoffverhältniss. Von einer chemischen Präparirung
des Holzmehls habe ich nichts bemerken können, es sel
denn, dass damit der Backprozess gemeint sein soll.
er Die Verwendung von Holz zu Fütterungszwecken ist
eine unter Umständen höchst wichtige wirthschaftliche
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 67, 18%. | 0
450 Kleinere Mittheilungen.
Frage und namentlich würde es von grösster Bedeutung
sein, wenn es gelänge, die sonst schwer oder nicht zu ver-
wendenden Abfälle der Forsteultur (Reisig), in denen zur
Winterzeit die sämmtlichen Reservestoffe aus den Blättern
aufgespeichert sind, in der Weise zu verwerthen, dass an
Ort und Stelle durch maschinelle Kraft ein Holzmehl her-
gestellt würde, welches zur Fütterung benutzt werden kann.
Herr Monteur Worrr (Halle, Leipzigerstr.) hat eine Mühle
eonstruirt, auf der sich Reisig leicht und gründlich zermahlen
lässt. Dr. G. Baumert, Vereinssitzung am 8. Nov. 9%.
Ein neuer Bestandtheil der Luft. Bei seinen Unter-
suchungen über die Dichte der Gase stiess Lord RaLeıeH
auf die merkwürdige Thatsache, dass der aus der Atmo-
sphäre gewonnene Stickstoff etwas schwerer ist als der
chemisch hergestellte.
11. atm. N = 1,2572 g
1 ,, chem. N= 1,2502 g
Es schloss hieraus, der atm, Stickstoff muss mit einem
schweren Gas verunreinigt sein. Und es gelang ihm und
Prof. Rausay, diesen Bestandtheil aufzufinden.
Entsauerstoffte und von Kohlensäure befreite trockne
Luft wurde über glühendes Mg-Metall geleitet, der Stick-
stoff wird absorbirt, es blieb ein Gas zurück vom spee.
Gewicht 20 (H,=1). Das Gas ist ausgezeichnet durch
eine ausserordentliche Indifferenz gegenüber anderen
chemischen Agentien, deshalb wurde ihm der Name Argon
(«@ privativum und &oyov); das träge, indifferente.
Seine physikalischen Constanten wurden von OLSZEWSKI
untersucht:
kritische Temperatur — 121°
Siedepunkt — 187°
Schmelzpunkt — 189,59,
er erhielt es auch im festen Zustande.
Das Speetrum hat Crookzs eingehend studirt, es ent-
hält Linien, die keinem anderen Körper zukommen.
Durch Bestimmung der Schallgeschwindigkeit in dem
Gase (nach Kuxor) wurde das Verhältniss der spee. Wärme
gefunden 1,66. Daraus folgt, dass es aus einatomigen
Kleinere Mittheilungen. 451
Molekülen besteht und das Molekulargewicht 40 hat!). Da-
mit ist seine elementare Natur bewiesen. Ueber seine
Stellung im periodischen System lässt sich noch nichts be-
stimmtes aussagen ?).
Dr. R. Schenck, Vereinssitzung am 21. Feb. 1895.
Das Alpenglühen. Dieses wundervolle Naturschau-
spiel, das jeder Alpenbesucher sehen möchte, und das die
meisten von ihnen schon gesehen zu haben meinen, wenn
die Gipfel der Bergriesen im. letzten Abendsonnenschein
erglänzen, ist häufig Gegenstand wissenschaftlicher Beobach-
tungen gewesen (vgl. diese Zeitschr. Band II, Seite 343 f.),
ohne dass aber bisher eine befriedigende Erklärung für
das Zustandekommen des seltsamen Phänomens hätte er-
bracht werden können. Ein Schweizer Physiker, AmsLeR-
Larrox, hat nun in jüngster Zeit eine Abhandlung über
das Alpenglühen veröffentlicht (Vierteljahrsschrift der naturf.
Gesellschaft in Zürich. 39. Jahrg. 1394, Seite 221), die die
entbehrte Erklärung in überzeugendster Weise liefert.
Der genannte Forscher hatte das Glück, auf Rigi-Scheideck
im Alpenglühen selbst zu stehen: er sah die Sonnenscheibe
von neuem über den Horizont emportauchen, 10 Minuten
nach dem wirkliehen Sonnenuntergang zum zweiten Male
sitzt (anderthalbfaches Moleeulargewicht).
Anmerkung des Herausgebers.
2) Inzwischen hat RAmsAY auf der am 27. März in London ab-
gehaltenen Jahresversammlung der „Chemical Society‘ eine weitere
interessante Mittheilung gemacht. Er glaubt, das bisher nur aus
einer Linie D; des Sonnenspectrums geschlossene Element Helium
mit Argon vermischt bei der!’Behandlung einer seltnen Erde (Oleveit) mit
Sehwefelsäure gefunden zu haben. Wir werden ausführlicher auf
diesen Gegenstand im nächsten Hefte zurückkommen.
Anmerkung des Herausgebers.
452 Kleinere Mittheilungen.
untergehen und nach weiteren 10 Minuten sah er die Sonne,
wenn auch etwas matter gefärbt und nicht mit ganzer
Scheibe, zum dritten Male unter dem Horizonte verschwinden.
Dass es sich hierbei nicht um ein Rückwärtsrücken
der Erde handelt, sondern um optische Erscheinungen,
die durch Aenderungen in dem liehtbreehenden Medium
verursacht werden, liegt auf der Hand. Es fragt sich nur,
ob man für diese Veränderungen eine befriedigende Er-
Klärung findet.
Für das Verständniss der in Frage kommenden Er-
scheinungen müssen wir von dem normalen Zustand der
Atmosphäre ausgehen, bei dem infolge der Temperaturver-
theilung, der Spannung und des Feuchtigkeitsgrades die
brechende Kraft der Luft von der Erdoberfläche aus mit
zunehmender Höhe beständig abnimmt. Ein solcher nor-
maler Zustand ist stets kurz vor Sonnenaufgang vorhanden.
An ruhigen, warmen Tagen wird durch die Wärmestrahlung
der Erde und durch die Entwicklung von Wasserdampf
dieser Zustand gestört, indem die der Erde benachbarten
Luftschichten schlechter lichtbrechend werden als über
ihnen befindliche: es findet sich dann also von der Erde
aus ein allmählich zunehmendes Lichtbrechungsvermögen ;
erst in Höhen, die von der Erdstrahlung ete. unbeeinflusst
bleiben, setzt wieder die gewöhnliche gleichmässige Ab-
nahme der Lichtbrechung ein. Dieser Zustand währt bis
zum Sonnenuntergang: sobald die Sonnenstrahlen die Erde
und die über dicht ihr lagernden dampfgesättigten Luft-
schichten nicht mehr treffen, tritt eine rasche Abkühlung ein,
dadurch wird das Lichtbreehungsvermögen in den untersten
Sehichten wieder stärker, sodass man von der Erde aus
anfänglich eine Abnahme der Lichtbrechung findet, die sich
bis zu einem natürlich fortwährend nach oben wandernden
Minimum erstreckt, dann beginnt eine Zunahme des Licht-
brechungsvermögens bis zu dem festliegenden Maximum
und von dort aus die normale stetige Abnahme. Diese
Verhältnisse erklären das Wiederaufleachten hoher Berg-
gipfel vollkommen. Die tiefer gelegenen Gegenden west-
lich der Berge liegen schon lange im Schatten, wenn die
Sonne für den Horizont der Bergspitzen untergeht, die Ab-
Kleinere Mittheilungen. 453
kühlung kann also inzwischen soweit vorgeschritten sein,
um die Zunahme der Lichtbrechung in den untersten
Schichten zu bewirken: die Strahlen der scheidenden Sonne
werden dadurch stärker gebrochen und bescheinen die
Spitzen nochmals (unmittelbar nach dem Sonnenuntergange,
erstes Glühen), dann kommen die Strahlen in das Minimum,
werden hier weniger gebrochen und treffen daher die
Berge nicht. Nun kann das Minimum sich schneller nach
oben verschieben als die Sonnenstrahlen, dadurch würden
diese wieder die stärker breehenden Luftschiehten zu durch-
dringen haben und dadurch ein zweites Glühen veranlassen.
Endlich würden die Strahlev das Minimum passiren (Er-
löschen des zweiten Glühens) und wieder in Schichten ge-
langen, deren Lichtbrechungsvermögen allmählich zunimmt,
sie würden mit ihrem Glanze zum dritten Male die Häupter
der Bergriesen treffen und erst mit dem Eintritt in die
normalen Schichten dauernd von der Erde Ahschied nehmen.
Die Erwägungen Auster-Larron’s erklären also auch das
mehrfach beobachtete dritte Glühen und die Erscheinung,
dass das Glühen am Fusse der Berggipfel beginnt und all-
mählich nach oben wandert.
Dass die Tiefe der Röthung fortschreitend zunimmt,
hängt davon ab, dass die stärker gebrochenen Lichtstrahlen
einen längeren Weg in feuchter Luft zurückzulegen haben,
auf dem die übrigen wirksamen Strahlen von dem Medium
verschluckt werden.
Viscosin: Unter dieserBezeichnung wurde einer hiesigen
Firma für Brauereiartikel seitens eines Fabrikanten ein
Präparat zum Vertrieb angeboten, welches den Zweck hat,
in allen Arten von Bier einen bleibenden Schaum zu er-
zeugen.
Das Viscosin, welches mir nur in einer Menge von
etwa 50 ce zur Untersuchung übergeben wurde, stellte eine
dunkel, bezw. schwarzbraune, schäumende Flüssigkeit dar,
die im Aussehen grosse Aehnlichkeit mit Porter hatte.
Geschmack fade, etwas kratzend; spec. Gew. 1.068. Beim
Verdampfen und Trocknen hinterblieben 16.29°/, einer fast
schwarzen, blätterig spröden Masse, welche sich beim Er-
454 Kleinere Mittheilungen.
hitzen stark aufbläht und mit dem Geruche nach verbrannten
Zucker verbrennt. Die in einer Menge von 2.320), zurück-
bleibende Asche zeigt alle Eigenschaften einer Pflanzenasche.
Das Viscosin besitzt in ganz hervorragendem Grade die
Fähigkeit, mit Wasser geschüttelt, einen feinen, weissen
tagelang bleibenden Schaum zu bilden. Dieses Verhalten
weist auf das Vorhandensein von Saponin hin, dem längst
bekannten Vertreter einer Gruppe glycosidischer Substanzen,
die im Pflanzenreiche sehr weit verbreitet und namentlich
in der „Seifenwurzel‘“ von Saponaria office. und in der
Quillajarinde von Quillaja Saponaria vertreten sind.
Die Untersuchung des Viscosins hat ergeben, dass das-
selbe in der That ein mit Zuekercouleur oder Farb-
malzauszug versetzter Seifenwurzelextrakt ist.
Da das Viscosin nur in kleiner Dosis (10 g pro hl, das
ist eine Verdünnung von 1 zu 10000) dem Biere zugesetzt
werden soll, so ist nicht anzunehmen, dass letzteres da-
durch bemerkbare Veränderungen oder 'gesundheitsnach-
theilige Eigenschaften erhalten wird. Gleichwohl ist die
Verwendung von Viscosin oder ähnlicher Präparate in der
Brauerei oder im Gastwirthschaftsbetriebe vom Standpunkte
der Nahrungsmittelechemie aus energisch zu bekämpfen,
weil normales Bier eines derartigen Correetivs nicht bedarf
und das Viscosin mithin nur dazu dienen könnte, ein
fehlerhaftes Gebräu scheinbar zu verbessern oder abge-
standene Bierreste (Trippbier) verkaufsfähig zu machen.
Wer aber die auf dem Kohlensäuregehalte des Bieres be-
ruhende und mithin eharaeteristische Eigenschaft des Schäu-
mens durch Zusatz einer Substanz künstlich nachahmt,
welche, wie im vorliegenden Falle Seifenwurzelextraet, dem
Biere völlig fremd ist, verstösst zweifellos gegen das
Nabrungsmittelgesetz.
Dr. Baumert. Vereinssitzung am 10./1. 189.
*
Kleinere Mittheilungen. 455
Botanik, Zoologie und Paläontologie.
Flor de Faire. Herr Kaufmann Pr. Wacner hat aus
Argentinien zwei sehr merkwürdige Pflanzen mitgebracht,
von denen er die eine als wunderlichen Zierrath auf den
Gräbern der Reichen an Drähten aufgehängt fand, während
die andere an den niedrigen Mimosengesträuch der
Gegenden von Tucuman, Cordoba und Salta nicht selten
vorkommt und nur mit wenigen dünnen Fäden an den
Zweigen befestigt ist. Das Volk nennt diese Pflanzen,
„for de l’aire‘‘ weil sie nur von der Luft zu leben scheinen
und auch nur in hängender Lage gedeihen ; sobald nämlich
‚ausgewachsene Pflanzen oder eine junge die aus
den Blattachsen hervorknospen, zu Boden fallen, ver-
faulen sie.
Diese Pflanzen sind Arten der in Amerika vor-
kommenden Tillandsien, die zu den Bromeliaceen gehören
und ein grosses Contingent Ueberpflanzen (Epiphyten) stellen.
Nur wenige dieser Formen sind Fels- oder Erdbewohner.
Die Biologie dieser Pflanzen hat SCHIMPER sehr ausführlich
behandelt. (A. F. W. Scumrer, Bot. Centralblatt XVoO
1884, pag. 192.)
Die wichtigsten biologischen Daten nach SCHIMPER
mögen hier folgen:
Wurzeln sind bei Tillandsia im erwachsenen Zustande
gar nieht vorhanden, doch sind die Keimlinge mit solchen
versehen. Die Samen werden aus einer Kapsel frei, in
der sie zahlreich entwickelt sind; sie sind mit langem
Stiel und langem Schopf versehen; Stiel und Schopf lösen
sich in der Reife in zahlreiche Haare auf. Die ganze Ein-
richtung ist offenbar an Verbreitung durch Wind angepasst
und das transitorische Würzelchen des Keimlings dient
zum Anheften an Baumstimme oder Zweige. Bei Tillandsia
usneoides, welche von Argentinien bis Carolina sich findet,
werden auch einzelne Zweige vom Winde fortgetrieben,
umklammern einen Ast und erzeugen nach einander eine
Menge Aeste, sodass Bildungen entstehen, welche unserer
Bartflechte ähneln. Die Tillandsien haben ein ausser-
ordentliches Lichtbedürfniss. Sie finden sich daher in den
456 Kleinere Mittheilungen.
„lichten Bäumen der Savannenländer.“ Sie sind die genüg-
samsten aller Epiphyten, d. h. zugleich die vollkommensten;
selten trifft man sie anders als auf Bäumen. Sie stellen
einen Fall der höchsten Anpassung an einen ganz be-
stimmten Lebensmodus dar. Es ist keine Rinde so glatt,
dass eine Kolonie Tillandsia-Arten auf derselben nicht
üppig gedeihen könnte, sogar in trockener, sonniger Lage,
während diese Gewächse auf Felsen oder überhaupt auf
nicht pflanzlicher Unterlage eine sehr seltene Erscheinung
sind. (ScHhmper ]. e. pag. 386.) Die ausserordentliche
Anpassung der Bromeliaceen an epiphytische Lebensweise
verleibt ihnen dieselbe Bedeutung die bei uns den Flechten
als Vorläufern der Vegetation zukommt. (Schimper 1. e.
pag. 335). Die epiphytische Flora der Savannen verdankt
ihren Charakter hauptsächlich dem Vorherrschen stark be-
schuppter und daher grau oder weiss erscheinender Bro-
meliaceen (Wırrmak in Enster und Prantı, natürl. Pflzfam.
Theil II, 4. Abth. 1888, pag. 40). -—- Die schmalen Blätter
sind meist scheidenartig. ‚In den Blattbasen sammelt sich
Wasser, das auch während der trockenen Zeit, da sie seit-
lich oft ziemlich dicht schliessen, beinahe stets darin zu
finden ist, ebenso sammeln sich darin Fragmente von
faulenden Blättern, tote Thiere und erdige Stoffe. Scrmpers
Versuche zeigten, dass das Wasser und folglich auch die
im Wasser gelösten Stoffe durch die sehuppenförmigen
Haare auf der Innenseite der Blatthasis aufgenommen
werden. (WırTmar ]. ce. pag. 33.)
Diese schuppenförmigen Haare, nach dem Typus der
Sternhaare gebaut, sitzen entweder flach auf oder sind,
ähnlich einer Reisszwecke, eingesenkt. Entweder sind sie
gleichmässig über die Blattspreite vertheilt, oder an der
Blattbasis angehäuft; die letztere erscheint dann oft dunkler.
Wo solche Haarschuppen stark entwickelt sind, ist die
Epidermis weniger verdickt, da ja hinreichend Schutz gegen
Verdunstung gegeben is. Um die Schuppen herum ist
eine Cuticula meist nicht ausgebildet. „Der Inhalt der
Zellen des Schildes der Schuppen besteht, so lange die
Pflanze nicht befeuchtet wird, aus Luft. Beim Benetzen
füllen sie sich aber mit Wasser, und wie Schimpers Ver-
Kleinere Mittheilungen, 457°
suche zeigten, findet auch ein leichtes Eindringen gelöster
Stoffe in die Blattgewebe statt. Die langen Fortsätze
mögen zum Auffangen von Staubpartikelehen und dergl.dienen
andererseits schützen sie durch ihre Bedeckung, zumal die
Schuppen sehr dicht stehen, das Blatt vor zu starker Ver-
dunstung.“ (Wırruar ]l. c. pag. 35). Dass in den Blättern
ein mächtiges Wassergewebe auftritt, welches oft !/, bis 2,
der Blattdieke einnimmt, nimmt bei der Lebensweise der
Gewächse in trockener Luft nicht Wunder. Das Wasser-
gewebe ist indes bei solchen Formen schwächer entwickelt,
wo sich Wasser in scheidenartigen Blattbasen ansammeln
kann. (Wırımar |. c. pag. 35).
Dr. Smalian, Vereinssitzung am 1. Nov. 1894.
Chilaspis Löwei. Vor Jahren habe ich einen Infections-
versuch mit dieser Wespe an einer alten Zerreiche im bota-
nischen Garten zu Halle vorgenommen und über das Resultat
in der Wiener Entomologischen Zeitung (VII. Jahrgang
Seite 345) berichtet. Da ich alle Blätter der unteren
Zweige, welche Gallen trugen, entfernt hatte (Ch. nitida-
Wespen erzog ich jedoch nicht), so hielt ich die Sache für
abgeschlossen. Mit Staunen erhielt ich daher die Mitthei-
lung, dass die Infeetion noch fortdauere. Unter dem Baume,
der rings von Rasen umgeben ist, lagen Ch. nitida-Gallen
in unglaublicher Menge und von einer Schönheit, wie ich
sie nie gesehen. Ohne eine Abnahme zu bemerken, las ich
in 20 Minuten 270 Gramm dieser Gallen auf. Der Baum
war noch voll belaubt und immer noch fielen Gallen herab!
Es waren im Jahre 1888 also doch Ch. Löwei- Wespen
höher geflogen und hatten sich so enorm in den sechs
3 Jahren vermehrt! Da Ch. nitida zwei Jahre zur Ent-
wiekelung braucht, so stimmt das massenhafte Erscheinen
der Gallen in diesem Jahre, und es ist ein solehes wieder
im Jahre 1897 zu erwarten. Denn 1888 legte Ch. Löwei
die Eier und veranlasste die nitida-Galle. 1889 war Ruhe,
1890 erschien Ch. nitida, Ch. Löwei und Gallen von Ch.
nitida von drei zu drei Jahren. Es ist noch zu ermitteln,
ob in den Zwischenjahren keine Gallen auftreten. Be-
458 Kleinere Mittheilungen.
achtenswerth ist, dass uns hier Einmiethler und Schma-
rotzer fehlen und bemerkenswerth, dass der bisher sterile
Baum reife, keimfähige Samen bringt.
Dr. v. Schlechtendal, Vereinssitzung am 8. Nov. 94.
Vorkommen von unilateralem Melanismus bei
Hadena strigilis L._ Das in Rede stehende Exemplar
dieser Noctuide, ein Weibchen, wurde im Sommer 1893 bei
Grimma gefangen. Dasselbe zeichnet sich dadurch aus,
dass rechte und linke Seite verschieden gefärbt sind, und
zwar besitzt die rechte eine vollkommen schwarze Färbung,
ist also die der normalen, melanotischen Abart (var. aethiops
Hw.), die linke dagegen zeigt eine durchaus indifferente, hell
strohgelbe Färbung. Ebenso ist diese Differenz an den
Fühlern, wenn auch nicht in demselben Maasse, bemerkbar.
Der gesammte Körper ist dagegen gleichmässig dunkel.
In Canadabalsam eingeschlossen werden die Schuppen
der linken Flügel ausserordentlich durchsichtig und sind
so kaum sichtbar, diejenigen der rechten Flügel behalten
ihre schwarze Färbung.
Günther Enderlein, stud. rer. nat. in Leipzig.
Insekten der Steinkoblenzeit. Ein ungeheuer reicher
und wiehtiger Fund ist in den Steinkohlenschichten von
Commentry gemacht. Cuarıes BRoNGNIART (Compt: rend.
der Pariser Akademie 21. Mai 1894) beschreibt von dort
137 Insektenarten, von denen 102 neu sind. Sie vertheilen
sich auf die Ordnungen der Neuropteren, Orthopteren,
Homopteren und Thysanuren und auf 62 — darunter 46
neue — Gattungen. Die von Blumennahrung lebenden
Familien fehlen, wie ja auch die „Blumen“ s. 8. in dieser
Periode noch nicht nachgewiesen sind. Interessant ist die
Grösse der gefundenen Libellen, die eine Flügelspann-
weite bis zu 70 em aufweisen. Das wichtigste Ergebniss
sind aber die anatomischen Abweichungen, da sie uns
wieder einmal einen kleinen Blick in das Schaffen der
Natur thun lassen und eine hypothetisch längst verbreitete
Ansicht bestätigen. Die Segmentirung des Körpers, die
heutzutage bei dem ausgebildeten Insekt nur an dem
Hinterkörper vorhanden ist, erstreckt sich nämlich bei vielen
KR Sr er u a A TE rn in nn an rn
Kleinere Mittheilungen. 459
der gefundenen Formen auch auf den Mittelleib, dessen
drei Ringe nun aber entsprechend den drei Fusspaaren auch
je ein Flügelpaar tragen, wie wir es sonst nur noch bei
Termitenlarven kennen. Man darf mit Recht auf die aus-
fübrliche von Abbildungen begleitete Abhandlung über
diesen Gegenstand gespannt sein.
Dr. G. Brandes, Vereinssitzung am 10. Jan. 1895.
Die eierlegenden Säugethiere haben von jeher nicht nur
das Interesse derGelehrten, sondern auch das weitester Kreise
in Anspruch genommen. Anfänglich wullte man überhaupt
nicht recht daran glauben, dass es Säugethiere geben sollte,
die es in Bezug auf die Vermehrung den Vögeln gleichthun
und beschalte Eier ablegen. Aber die sichere Bestätigung
dieser T'hatsache liess nicht lange auf sich warten, obwohl
genauere Untersuchungen bisher nicht angestellt wurden.
Professor Semon— Jena hat nun den Vorzug gehabt, kürz-
lich fast 2 Jahre lang in Australien zubringen zu dürfen
und hat in diesem Zeitraume mit ausserordentlichem Glück
dem Studium des Ceratodus und der eierlegenden Säugethiere
obgelegen. Semon ist jetzt damit beschäftigt, sein reiches
Material mit Hilfe einer Reihe von tüchtigen Specialforschern
zu bearbeiten und wird die Resultate dieser Untersuchungen
unter dem Titel „Zoologische Forschungsreisen in Australien
zuge ‚dem Malayischen Arabipe” in den Denkschriften der
natur Gesellschaft zu Jena
veröffentlichen. Die ersten Hefte liegen bereits vor, und
wir haben ja auch schon im vorigen Bande (Seite 399 ff.)
über die Lebensweise und die Entwiekelung von Ceratodus
an der Hand der Semon’sehen Mittheilungen berichtet.
Heute wollen wir in ähnlicher Weise die Ergebnisse
der Untersuchungen über die eierlegenden >Säugethiere
kennen lernen.
Die in Betracht kommenden Formen beschränken sich auf
die Ameisenigel und die Sehnabelthiere. Was die erste
Sippe anlangt, so erkennt Semon ausser der in Nordwest-
guinea vorkommenden Proechidna nur eine Artaan, Echidna
aculeata, die er aber in 3 Varietäten spaltet: Zypica auf
dem Continent, setosa in Tasmanien und lawesi an der Südost-
4650 Kleinere Mittheilungen.
küste Neuguineas. Die durch ihre gewaltige Grösse ausge-
zeichneten auf dem Continent gefundenen fossilen Arten
werden unterschieden als Ech. Oweni und amplor.
Vornehmlich hat Semonx die Varietät Zypica beobachtet
und gesammelt und zwar in den Gegenden am Burnett und
die folgenden Mittheilungen beziehen sich immer auf
diese Form.
Die Ameisenigel leben in den für Australien typischen
„serubs“, unwegsamen Dieckichten, in denen wie in den
„Machien“ der Mittelmeerregion bedornte Sträucher vor-
herrschen. Hier bringen sie den Tag über in Erdhöhlen
und unter Steinen schlafend zu, Nachts durehwandern sie
den Scrub anscheinend planlos nach allen Richtungen, um
allerlei Gewürm zu erjagen. In menschenarmen Gegenden
sind sie sehr häufig (Semox hat im Laufe von 5 Monaten
ca. 400 Stück erhalten), aber trotzdem hat Semon nie-
mals ein Exemplar in der Freiheit zu Gesicht bekommen.
Die Eingeborenen verstehen sich auf die Jagd dieser
Thiere ausgezeichnet, da sie das mit einem eigenthümliehen
Beigeschmack behaftete Fleisch hoch schätzen. Sie ver-
folgen von einem Hunde begleitet am Tage die kreuz und
quer laufenden Spuren der Thiere mit wundernswerther
Sicherheit bis zu dem Versteck. — Auffallend ist die Ueber-
zahl und die Grösse der männlichen Thiere, sie sind etwa
doppelt so gross als die Weibehen und auch in doppelter
Anzahl vorhanden. Was nun die Fortpflanzung angeht, so
fanden sich schwangere Thiere im Juli (der Winter dauert
in diesen Gegenden von Juni bis Anfang September) und
die ersten freien Jungen im Oktober. Bei den Weibchen
sind beide Eileiter gut entwickelt aber nur in den linken
treten Eier aus dem Ovarium; man findet im Eileiter das .
Ei stets ohne Schale, im Uterus erhält es dann eine Schale
und gelangt von hier (auf unbekannte Weise) in den Beutel.
Hier wächst es noch ganz bedeutend, so dass der Durchmesser
um mehr als das Dreifache zunimmt (von 4,5 mm auflömm);
auch die Schale, welche Keratin (Hornstoff) enthält, wird
vielstärker, während desAufenthaltesim Beutel (von, 012 mm
bis 0,14 mm). Der Embryo wächst innerhalb der Eischale
von 5,5 mm bis 15 mm, dann wird er frei und wächst m
Er
Bas SE is meer °" ua = IT ED nun ae a a u a
#
Kleinere Mittheilungen, 461
Beutel im Laufe von 10 Wochen bis zu einer Länge von
90. mm, zu welcher Zeit die Entwickelung des Stachel-
kleides einsetzt. Die Mutter entledigt sich dann des Jungen,
nimmt es aber zeitweilig wieder in den Beutel, um es zu
stillen. Was nun den Brutbeutel selbst angeht, so ist er
nicht dauernd vorhanden, sondern entwickelt sich erst zur
Brunstzeit und wächst allmählich mit dem Jungen; nach
der endgültigen Entlassung des Jungen aus der mütterlichen
Pflege bildet er sich wieder zurück und verschwindet
gänzlich. Zitzen sind nicht vorhanden, man muss annehmen,
dass das von den Hautdrüsen abgesonderte milchartige
Sekret sofort von den Embryonen aufgeleckt wird. —
Von den männlichen Geschlechtsverhältnissen ist vor allem
zu erwähnen, dass die Hoden nicht aus der Leibeshöhle
herabsteigen wie bei den übrigen Säugern und dass sie
wälrend der Brunstzeit von Bohnengrösse bis zu Wall-
nussgrösse anschwellen.
Interesant sind auch die Ergebnisse der Temperatur-
‚messungen die in der Cloake und in der Bauchhöhle leider
nicht an ein und demselben Thiere vorgenommen wurden.
Semon fand, dass die Temperatur ganz auffallenden Schwan-
kungen unterworfeu ist, er mass in der Cloake von 26,50 —
34° C. und in der Bauchhöhle von 290°—36° C.
Die Sippe der Schnabelthiere hat ausser der in
1 R £ 4 4 z In) {N 7 Z Bar
ir ° o \ go
agilis) nur einen Vertreter, der nach den Prioritätsgesetzen
den Namen Ornithorkynchus anatinus beansprucht.
Die Schnabelthiere haben ihre Quartiere ebenfalls
unter der Erde und zwar in dem Ufergelände fliessender
Gewässer; ihre Höhlen bestehen aus schräg verlaufenden
Röhren, deren Haupt-Oeffnung unterhalb des Wasserspiegels
liegt, eine zweite Oeffinung führt auf das Land. Die Höhlen
liegen stets an Vertiefungen des Flussbettes, den sogenannten
„Waterholes“, die wir schon bei der Besprechung der
" Lebensweise des Ceratodus kennen gelernt haben (ef. Bd. 66,
- pag. 400). In diesen Flussbecken suchen die Thiere ihre
- Nahrung, indem sie 2—3 Minu‘en lang unter Wasser bleiben
_ und währenddem ihre Baekentaschen mit kleinen Muscheln
- füllen, die sie dann an der Oberfläche mit den hornigen
462 Kleinere Mittheilungen.
Verdiekungen (Zähne sind nur in der Jugend vorhanden)
ihrer Kiefer zermalmen. In der Winterzeit findet diese
Nahrungssuche 2 Mal am Tage statt, kurz vor Sonnenauf-
gang und vor Sonnenuntergang und dauert bis zu einer
halben Stunde, in der heisseren Jahreszeit lassen sich die
Thiere am Tage nicht im Wasser sehen. Die Jagd ist
also nur im Winter möglich, dann aber stets von gutem
Erfolg begleitet. Sobald die sehr scheuen und vorsichtigen
Thiere untertauchen, springt man heran und schiesst beim
Wiederauftauchen. Die Getödteten schwimmen an der
Oberfläche, da die Thiere speeifisch leichter sind als Wasser.
Das Fleisch riecht stark thranig und wird von den meisten
Eingeborenen verabscheut. :
In der Brunstzeit, die in die 2. Hälfte des August
fällt, schwillen die Hoden und Ovarien sehr beträchtlich
an. Wie bei Echidna werden nur die Eier des linken
Ovariums befruchtet, die in dem linken Ovidukt stets in
Zweizahl zur Entwicklung gelangen. Ein Brutbeutel ist
nicht vorhanden, die Eier werden vielmehr in den Höhlen
abgelegt, jedoch hat Semox die Art der Eiablage und die
Entwicklung der Eier nicht verfolgen können.
Litteratur-Besprechungen.
Föppl, Einführung in die Mazwell'sche Theorie der
Elektricität. Leipzig, Teubner 1894.
In dem Buche wird uns die Maxwell’sche Theorie in
der Sprache der Quaternionen geboten und dargestellt.
Diese fast ausschliesslich von den Britten benutzte Rech-
nungsweise hat sich bis jetzt auf dem Continente kaum Bahn
gebrochen, obgleich die Darstellung der Gleichungen un-
gemein an Uebersichtliehkeit gewinnt und die Rechnungen
selbst sehr abgekürzt erscheinen. Es mag diese ablehnende
Haltung vielleicht darin begründet sein, dass bisher eine
gute Darstellung und Einführung in die Quaternionen-
rechnung fehlt. Ref. kann nicht finden, dass die von
Föppl gegebenen einleitenden Kapitel den Leser das Ver-
trauen geben, dass die neue Rechnungsart wirklich das leiste,
was der Verfasser im Vorwort darüber erwähnt. Die Dar-
stellung in diesem Theile des Buches ist nicht überall
glücklich. In dem zweiten und Hauptheil strebt der Verf.
eine die Rechnung möglichst wenig durch längere Rechnungen
unterbrochene Darstellung der Maxwell’schen Theorie an
und giebt auf ca. 270 Seiten einen sehr durchsichtigen
völligen Ueberblick über das vonMaxwell entwickelte Gebiet.
Schmidt
Ostwald, Klassiker der exacten Wissenschaften Nr. 44,
45, 53. Wiühelm Engelmann, Leipzig.
Die grossen Vorzüge dieses Unternehmens haben wir
verschiedentlich hervorzuheben Gelegenheit genommen.
In den genannten 3 neuen Nummern werden nun in 44 die
bedeutendsten der Abhandlungen üher das Ausdehnungs-
464 Litteratur-Besprechungen,
gesetz der Gase gebracht. Für die Ermittelung der in
diesem Gesetze wichtigen Constanten haben Gay-Lussae,
Dalton, Dulong und Petit, Rudberg, Magnus, Rignault, also
Männer von hervorragendem Rufe, grössere Untersuchungen
durchgeführt. Hieraus mag schon die grosse Wichtigkeit,
welche dieser Frage zukommt, hervorgehen. Erschlossen
uns doch diese Untersuchungen die Erkenntnisse der Grund-
eigenschaft der wichtigen Klasse der gasförmigen Körper
und führten sie uns zu einem der wichtigsten Begriffe der
absoluten Temperatur.
Die Ermittelung des Ausdehnungseoeffiecienten erfordert
eine subtile mit höchstem experimentellem Geschick ver-
bundene Untersuchung, und auch aus diesem Grunde sind
die Arbeiten der genannten Forscher würdig, den Leser
leicht zugänglich gemacht zu werden.
In dem 45. Bändchen werden uns Davys elektro-
chemische Untersuchungen (1806—1807) gebracht.
Davy, der Lehrer des grossen Faraday, legte in diesen beiden
Arbeiten den Grund zu den Untersuchungen über Elektro-
Iyse, deren hervorragende und wichtige Bedeutung für die
Entwieklung der Wissenschaft bekannt sind. Wir begrüssen
in diesen Arbeiten aber auch willkommene Beiträge zur
Geschichte der Wissenschaft. Dieser leider nicht immer
richtig gewürdigte Zweig der Diseiplin findet in dem viel-
seitigen Ostwald einen anregenden Vertreter und auch die
Herausgabe dieser Abhandlungen müssen wir zu seinen
glücklichen Griffen nach dieser Richtung rechnen.
Nr. 52 gibt uns Galvanis Abhandlung über die
Kräfte der Elektricität bei der Muskelbewegung
(1791) in deutscher Uebersetzung. Das Werkcehen interessirt
dem Leser durch die charakteristische Art, wie uns Galvani
seine Beobachtungen darstellt und sie von Versuch zu Ver-
such fortschreitend allmählig zu einem richtigen Zusammen-
hang der Versuchsanordnung gelangt, bei dem der Froseh-
muskel elektrisch erregt wird, ins Zucken gerät. Haben
auch spätere Untersuchungen gelehrt, dass seine theore-
tischen Speculationen über das Wesen der elektrischen
Vorgänge falsch sind, so gewährtes doch Interesse, den eigen-
artigen Darstellungen des Mannes auch hier zu folgen.
Litteratur-Bespreehungen. 465
Von Interesse dürften endlich noch die Fragen elektro-
therapeutischer Natur sein. Unter vielen phantastischen
Darstellungen findet sich hier mancher Funken Wahrheit.
Galvani ahnt Erfolge einer elektrischen Behandlung des
erkrankten Organismus, wie sie von unseren modernen Thera-
peuten auf Grund klarerer Darstellungen erzielt sind.
Schmidt.
Harbordt und Fischer, Machs Grundriss der Physik,
II. Theil. Leipzig, G. Freitag 1894, geb. 2 Mark.
In dem vorliegenden Werke haben wir eine ausführ-
lichere Anordnung des Stoffes, als sie in dem Bd. 65 pag.
119 dieser Zeitschr. besprochenen ersten Theile dieses
Leitfadens der Physik für die oberen Klassen desGymnasiums
gegeben ist, vor uns. Was wir damals lobendes an dem
I. Theil hervorgehoben, können wir hier wiederholen.
Es ist in dem II. Theil die mathematische Behandlung
zur Hülfe genommen und meist an der Hand höchst
lehrreicher Construetion die mathematische Ableitung der
Gesetze gegeben. Dem Lehrer wird hier eine Methode ge-
boten, die in der richtigen Weise verwendet, höchst erfreu-
liche Resultate geben muss.
Die Eintheilung der Materie in der, in den neuen Schul-
plänen angegebenen Weise muss als eine recht glückliche
bezeichnet werden, denn der im ersten Theil des Lehr-
eursus genommene gibt dem Schüler zunächst einen völligen
Ueberblick der Gesammtmaterie. Sein Interesse wird dann,
wenn er die Materie in fortgeschrittenerem Stadium wieder-
holt und in grösserem Umfange vorgetragen erhält, viel
reger sein. Das Verständnis für die schwierigeren Theile,
wie sie eine eingehendere tiefere Behandlung der Probleme
mit sich bringt, wird ihm leichter werden und das Resultat
des Unterrichts wird ein weit vollkommeneres sein als es er-
reieht wird, wenn der Stoff gleich bis zur äusserst mög-
lichen Grenze verfolgt wird.
Möge das klar geschriebene und sorgfältig bearbeitete
Werk der beiden Verfasser eine recht gute Verbreitung
finden!
me Schmidt.
Zeitschrift £, Naturwiss, Bd. 67. 1591. 30
x
466 Litteratur-Besprechungen.
Anleitung für Pflanzensammler von Dr. Udo Dammer,
Kustos am königl. Botanischen Garten zu Berlin. Mit 21
in den Text gedruckten Holzschnitten. Stuttgart, Verlag
von Ferdinand Enke 1894.
Der Verfasser gibt in diesem Werkchen aut 79 Seiten
und in 17 Kapiteln eine Anleitung für Pflanzensamnler,
die sich sowohl dem geübteren Sammler, als in ganz be-
sonderer Weise dem Anfänger als brauchbares Hilfsmittel
erweisen dürfte. Nachdem im ersten Kapitel die Hilfs-
mittel und die Ausrüstung besprochen ist und auch in an-
erkennenswerther Weise die Bezugsquellen angeführt sind,
führt das 2. Kapitel in die Weise des Einsammelns ein
und gibt besonders denjenigen Leuten Winke, die in bota-
nisch unbekannten Länderstriehen reisen und der Wissen-
schaft ein h hb lzur Verfügung stellen möchten.
Das dritte Kapitel behandelt die Präparirmethoden, das
‚Trocknen, Vergiften und die Erhaltung von in den Farben
veränderlichen Pflanzen. Das 4. Kapitel, das Bestimmen
der Pflanzen, weist uf ‚alle zu | beachtenden er ent
Pflanze hin und
In der Beschreibung des Herbariums (5. Kap.) dürfte wohl
der Einwand gerechtfertigt sein, ob das Aufkleben der
Pflanzen auf halben Bogen wirklich zu empfehlen ist.
Mögen auch die Pflanzen vor dem Herausfallen aus dem
Herbar gesichert und die Kosten geringere sein, so ist aber
dieMöglichkeit einer Untersuchung zum Vergleieh mit andern
Pflanzen eingeschränkt, und lose in ganze Bogen eingelegte
Pflanzen halten sich,wennman dieBogen nicht dreht, sondern
schiebt, ebenso gut. In den folgenden Kapiteln (6 bis 17)
werden noch besprochen: die biologische Sammlung, die
pathologische Sammlung, die Missbildungssammlung, die
Frucht- und Samensammlung, die Holzsammlung, dieKnospen-
sammlung, die Blattsammlung, die Farnsammlung, die Moos-
sammlung, die Algensammlung, die Flechtensammlung und
die Pilzsammlung. In der Pilzsammlung ist die Aufbe-
wahrung von Pflanzenkrankheiten etwas kurz weggekommen.
So lassen sich z. B. Ustilagineen nicht aufbewahren im
Herbar. Für sie eignen sich vorzüglich Cigarrenkistehen
oder weite Reagenzgläser. Clavicepsarten bewahren sich
Litteratur-Besprechungen. 467
een wit dieselbe Weise oder auch sehr gut in nach
aber offenen Umschlägen,
die auf einen Bogen Papier aufgeklebt und dem Herbar
eingefügt werden.
In klarer und verständlicher Weise sind die einzelnen
Maassnahmen beschrieben und dem Anfänger ist das Werk-
chen warm zu empfehlen, um ihn vor dem Nachlassen der
Bethätigung dieser interessanten wie lehrreichen Wissen-
schaft zu bewahren. Hervorzuheben ist auch noch, dass
der Verfasser des öfteren auf den Werth des Aufzeichnens
des Gesehenen als hervorragendes Anschauungsmittel hin-
weist.
Badersleben. Herm. Biedenhopf.
KMurl Hollbach, Naturwissenschaft und Schule, zweite
Auflage der Methodik der gesammten Naturwissenschaft.
Köln, P. Neubner.
Mit Freude begrüsst Referent die zweite Auflage der
Kollbach’schen Methodik der gesammten Naturwissenschaft.
Es ist zweifellos, dass schon die erste Auflage von 1888
eine grosse Zahl von Lehrern verschiedenster Schulen eben-
so begeisterte wie Unterzeichneten. Der Gedanke der ein-
heitlichen Verbindung der verschiedenen naturwissenschaft-
lichen Fächer unter einander zu unterrichtlicher Einheit,
der das Buch auch in zweiter Auflage beherrscht, fällt an-
dauernd auf fruchtbaren Boden bei den Lehrern; und schon
schicken sich offizielle Lehrpläne, wenn auch saghaft, an,
demselben gerecht zu werden. Auf die Fülle von Anreg-
ungen, welche das herrliche Buch von Kollbach jedem
Lehrer wie auch dem der Schule fernstehenden giebt, hat
Referent mehrfach aufmerksam gemacht (cf. Dr. Smalian,
„Wie wird der Naturgeschichtsunterrieht ein biologischer“ in
Kehrs pädagogischen Blättern, Bd. XIX und zur Reform
des biolog. Unterrichts. Verhdlg. der Ges. Deutscher Natur-
forscher und Aerzte. 1891 p. 545) und das Buch in Lehrer-
kreisen weithin empfohlen. Es ist Referenten eine ange-
nehme Pflicht, auch die zweite Auflage dringend zu em-
pfehlen, besonders aber den Lehrerseminaren, in denen
468 Litteratur-Besprechungen.
gerade der biologische Unterricht meist höchst stiefmütter-
lich behandelt wird und demgemäss in seinen Wirkungen
so steril wie möglich sich bethätigt.
Halle a. S, Dr. C. Smalian.
«J. Hohweder, Blüten-Diagramme. Gotha, E. F. Thiene-
Auf 24 musterhaft sauber, klar und übersichtlich aus-
geführten Tafeln nebst knapper, aber umfassender Erklärung
wetteifern Autor und Verleger, um der unterrichtlichen Be-
handlung der wichtigsten einheimischen Pflanzenvertreter
eine ausserordentlich werthvolle Hülfe zu spenden. Nicht
nur Diagramme, sondern auch ganze Blüthen im Längsschnitt
werden farbig gegeben und sind der Hand des Naturge-
schichtslehrers aufs beste zu empfehlen. Jeder, der die
Tafeln kennen lernt, wird gewiss wünschen, dieselben stark
vergrössert für den Unterricht in der Klasse zu besitzen.
Halle a. S. Dr. C. Smalian.
@aurcke, Dr. August, Illustrirte Flora von Deutschland.
Zum Gebrauche auf Exkursionen, in Schulen und zum
Selbstunterricht. Siebzehnte, neubearbeitete Auflage, vermehrt
durch 759 Abbildungen. Berlin. Paul Parey. 1895. kl. 5°.
(IV u. 96 u.768 $.).
Garckes Flora von Deutschland, die bereits in 16 Auf-
lagen mit mehr als 50000 Exemplaren verbreitet ist, ist
nunmehr in 17. Auflage erschienen. Da die Einrichtung
des Werkes allgemein bekannt ist, genügt es, die Aenderungen,
die es in dieser Neubearbeitung erfahren hat anzugeben.
Die Zahl der aufgeführten Arten, die in der 16. Auflage
2584 betrug, ist in dieser neuen auf 1262 gestiegen. Die
einjährigen Wintergewächse sind durch ein besonderes
Zeichen ( von den einjährigen Sommergewächsen () unter-
schieden. Eine wesentliche Bereicherung hat das Buch in
dieser 17. Auflage durch Abbildungen je einer oder auch
zweier Arten einer jeden Gattung erfahren, welche die
Tracht der Pflanze und wichtige einzelne Theile darstellen
und das Bestimmen ganz erheblich erleichtern werden. Im
Litteratur-Besprechungen, 469
Anhange ist eine Uebersicht der Familien nach dem neueren
Systeme gegeben, wie sie in Englers Syllabus angeordnet
sind. In dieser vervollkommneten Gestalt wird das werth-
volle und mit Recht allgemein hochgeschätzte Buch in noch
höherem Maasse als bisher geeignet sein, als Führer in die
Kenntniss der Gefässpflanzen der deutschen Flora zu dienen.
Bei Aspidium lonchitis Sw. sind die Worte „angeblich
am Harze“ zu streichen, da die Pflanze sicher nicht am Harze
wächst. Von Asplenium adulterinum Milde, das von Garcke
noch als besondere Art aufgeführt wird, hat Sadebeck nach-
gewiesen, dass es nur eine Serpentin-Varietät des A. viride
Hds. ist, indem er es durch mehrere Generationen hindurch
fortgesetzte Kultur auf serpentin-freiem Substrat in die
gewöhnliche Form des A. viride tiberführte. Die Bastard-
natur des Aplenium germanicum Weis, die von Garcke nur
als wahrscheinlich angegeben wird, soll durch Svante
Murbeck sicher erwiesen worden sein.
„Die Bastarde sind nur mit den Namen der Eltern mit
Ausschluss der ihnen als Synonyme beigefügten, durchaus
überflüssigen und leicht Irrthum erzeugenden einfachen
neuen Benennungen bezeichnet, und da der Bastardirungs-
process keine Multiplikation ist, so ward als Verbindungs-
zeichen statt des üblichen > ein + gewählt, wie dies von
der 1. bis 15. Auflage durchgeführt ward und jetzt endlich
von den bedeutendsten Systematikern anerkannt ist.“ Die
Botaniker, welche als Verbindungszeichen >< wählten, haben
damit offenbar keine Multiplikation, sondern eine Kreuzung
andeuten wollen, und es erscheint jenes Zeichen, da der
Process der Kreuzung zweier Arten doch auch nicht gerade
eine Addition ist, passenden als das Zeichen +. Es dürfte
sich daher empfehlen, in den folgenden Auflagen wieder
das Zeichen >< einzuführen, das in der 16. Auflage bereits
angewandt worden ist.
Dr. Erwin Schulze.
Neu erschienene Werke.
—_
Mathematik und Astronomie.
Bocher,M, Die Reihenentwickelungen der Potentialtheorie. Leipzig,
1894. B. G. Teubner. 8%, VIII, 258 pp. Mit 113 Fig
Läska, W. Sammlung von Formeln der reinen und re
Mathematik. Braunschweig, 1894, F. Vieweg & Sohn, 8%, 1071 u.
XVI pp. Mit Taf.
Orio y Rubio, M. Libro de problemas aritmeticos, algebräicos y
geome6tricos. Paris I. Valencia, 1894. 40%, 387 pp.
Seguier, J. Formes quadratiques et multiplication complexe. Deux
formules fondamentales d’apres Kronecker. Berlin, 1894. F. L. Dames.
80. VIII, 38
Smith, C. Geometrical Conies. London, 1894. 80, 256 pp.
Clausen, ©. Astronomisk Navigation. Kortfattet praktisk Vejled-
ning u de daglige Pladsbestemmeiser tilsos. Kjobenhavn, 189,
40 p
80,
Lohse, 0. -Plenstogsenbie. Eine Beschreibung der im Bereiche der
Sonne zu beobachtenden Körper. Leipzig, 1894. J. J. Weber. 89.
IX, 192 pp. Mit 15 Abbildgn,
Chemie und Physik. ”
Ahrens, Fel. B. Organische Chemie für Aerzte in 12 Vorlesungen,
Stuttgart, 1894. F. Enke. 80,
Bender, Adf. u. Hg. Erdmann, Chemische Präparatenkunde,
IL. Bd. Stuttgart, 1894. F. Enke. 8. XII, 610 pp. Mit 41 Ab-
bildungen,
Meusel, Ed. Das Atomvolumen in chemischen Verbindungen, Lieg-
nitz, 1894. E, Scholz, 27
Newth,@.S. A Text-Book of i inorganic Chemistry. London, 189.
80, 660 PP.
Parker, J. Thermo-Dynamies. London, 1894. 8%. 314 pp.
Stricker, S. Ueber strömende Elektrieität. Eine Studie. Schluss-
heft. Wien, 1894. F. Deuticke, 8. IV u p. 90—148.
Neu erschienene Werke, 471
Wüllner, Adph. Lehrbuch der Experimentalphysik. I. Bd. All-
gemeine Physik und Akustik. Leipzig, 189. B. G. Teubner, 8,
X, 1000 pp. Mit 321 Abbildgn.
Mineralogie und Geologie.
Solly, R.H. An elementary Introduction to Mineralogy. London,
1894. 80, 376 pp.
Abhandlungen, palaeontologische, herausgegeben von W. Dames und
E. Kayser. Neue Folge. II. Bd. (Der ganzen Reihe VI. Bd. )
5. Heft. Ueber Stigmariopsis Grand’Eury. Von H. Graf zu Solms-
Laubach. Jena, 1894, G. Fischer. 4%, 17 pp. Mit 1 Fig. 3 Taf.
u. 3 Bl. Erklärgn.
Botanik und Zoologie.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Herausgegeben von Fd. Cohn
VI. Bd. 1. Heft. Breslau, 1894. J. U. Kern’s Verl. 8, VII,
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rangais — anglais — allemand — hollandais des prineipaux termes
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Gebauer-Schwetschke’sche Buchäruckerei, Halle (Saale).
Verlag von C. E. M. Pfeffer in Leipzig.
Brandes, Privatdocent, Dr. G.,
Die Blattläuse und der Honigthau.
(Zeitschr. f. Naturwiss., 66. Bd. 3/4. Heft.) Preis Mk. 4.—
Der Saisondimorphismus bei einheimischen
und exotischen Schmetterlingen.
1 Taf. und 1 Fig. (Zeitschr. f. Naturwiss., 66. 1:d. 5/6. Heft.) Preis Mk.4—
Die Brutpflege der Fische.
1 Taf, und 1 Fig. (Zeitschr. f. Naturwiss., 66. Bd. 5/6. Heft.) Preis Mk.4.—
Compter, Dr. G.,
Die fossile Flora des unteren Keupers von Ost-
thürin
Mit 3 Doppeltafeln. (Zeitschr. f. Naturw., 67. Bd. 3/4. Heft.) PreisMk,4.—
Derschau, Dr. Max v,,
Hilfsmittel der Schling- und Rankenpflanzen
(Zeitschr. f. Naturwiss., 67. Bd. 1/2. Heft.) Preis Mk. 4—
Donath, Prof. Ed.,
Ueber die hydrolytischen Spaltungen
organischer Substanzen,
(Zeitschr. f. Naturwiss., 67. Bd. 3/4. Heft.) Preis Mk. 4—
Erdmann, Privatdocent, Dr. Hugo,
Ueber Grössenordnungen.
1 Taf. (Zeitschr. f. Naturwiss., 66. Bd. 1/2. Heft.) Preis Mk, 4—
Die neuere Entwicklung der pharmaceutischen Chemie,
(Zeitschr, f. Naturwiss., 66. Bd. 5/6. Heft.) Preis Mk. 4—
Förtsch, Major a. D., Dr.,
Gewinnung und Verarbeitung der Feuersteine in
England.
(Zeitschr. f. Naturwiss, 65. Bd, 6. Heft.) Preis Mk. 2,50
Furesgghirhlliche Töpfereigeräthe aus der Umgegend von Halle,
1 Tafı es f. Naturwiss., 7 Bd. 1/2, Heft.) Preis Mk. 4,—
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eder 15 Ma anfe, er Mena 2 Haldteder Fouen 3 je 15 ; Mark, — Hape,
Bültertunde, 2 galblederbände zn E 16 Mark — t, Bilangenleben, 2 Halb-
P e zu je 16 Fi au
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Berlag dpa Bibtiographil in Anftikufs in Leipzig. Rn
ah or on BEER Zee
Er in Balle (Saale).