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MODERNSTE
^ KUNST ^
EINE SKIZZE
o MÜNCHEN UND LEIPZIG 1904 o
VERLAG VON GEORG MÜLLER
DRUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN.
Pem objektiv gehaltenen Buche schicke ich
eine subjektive Bemerkung voran. Seit
den frühen 1870er Jahren nahm ich aufmerk'^
Samen Blickes Anteil an dem, was jeweilig
modernste Kunst war. Bei der Wiener Welt^
ausstellung von 1873 hatte ich gute Gelegen*^
heit, mir einen Überblick über das Kunsttreiben
in den großen Kulturstaaten zu verschaffen.
Auch seither habe ich viele Ausstellungen intern
nationaler Art und noch viel mehr kleine Zu^
sammenstellungen von engerem Gesichtskreise
durchgesehen, viele sogar bis ins Einzelne studiert.
Aber in den 1870er Jahren war es mir noch
nicht vergönnt, irgend welche Meinungen über
moderne Kunst zu veröffentlichen. Erst später
wurde ich zur Abfassung von Biographien und
Kritiken herangezogen. Das Gebiet der mo'^
dernen Kunst fesselte mich mehr und mehr
und ich fand, daß auch für das Verständnis
meiner Lieblinge, der alten Meister, mancher
Gewinn aus dem Studium der neuen Kunst zu
IV
holen war. Nun haben die jüngsten Jahre so
vieles^ so denkwürdiges an neuen Gestaltungen
geboten, daß ich mich entschloß, eine Überschau
über modernstes Kunsttreiben zu skizzieren und
die Skizze zu veröfFentlichen und zwar in der
Form eines Buches* Ein Teil davon ist, leider
durch Mißverständnisse beim Abdruck entstellt,
als Feuilleton der Wiener Montagsrevue er*^
schienen. Nur wenige Abschnitte aus dem
Feuilleton sind unverändert für das Buch bei*^
behalten und nur wenige Zeilen sind aus einer
älteren eigenen Arbeit herübergenommen worden.
Sonst ist alles neu, und ich habe bei Ab*^
Fassung dieser Abschnitte nicht gezögert, so*^
gleich die Beobachtungen neuerlicher Studien*^
reisen mitzuteilen.
Das Buch berührt nach Möglichkeit die
wichtigsten Fragen modernen Kunsttreibens
und ich hofFe, daß denkende Künstler und
Kunstfreunde die neue Erscheinung beachten
werden.
Wien, im November 1903.
DER VERFASSER.
Pie bildenden Künste sind heute nicht mehr, wie
sie waren. So triumphieren die Stürmenden,
so seufzen die Trägen, so zetern die Rückschrittler.
Die Vertreter verschiedener Lager, ob sie nach
Kräften schieben, ob sie der Sache ruhig ihren
Lauf lassen, ob sie vergeblich die Zeit zu
hemmen denken, alle müssen sie mit der platten
Tatsache rechnen, daß man heute anders baut,
modelliert, malt, als noch vor einem halben
Jahrzehnt Es ist überklar, daß die künstlerische
Jugend anders sieht und schafft, als es die
Väter und Großväter taten. Auch kann kein
Zweifel obwalten, daß jetzt mehr, unverhältnis*^
mäßig mehr geschaffen wird, als vor Jahrzehnten,
vor Jahrhunderten. Zwar hat es auffallende
Wandlungen in bezug auf die Menge und die
Güte der Produktion auch früher zu ver^
zeichnen gegeben, aber sie brauchten ehedem
längere Zeit zu ihrer Vollendung und Ver^
breitung, als in unseren Tagen. Schauen wir
doch hin auf die große Stetigkeit guter alter
Kunst und auf das Flinmiem und Schillern
neuesten Kunsttreibens. Die großen Züge der
Kunstgeschichte lehren uns in dieser Beziehung
Vieles, besonders die steigende Hast, mit der
im Laufe des XIX,. Jahrhunderts der
Reihe nach alles wiederbelebt, nachgeahmt
wurde, was früher einmal stilbildende Kraft
besessen hat. Die Antike, zwar mißverstanden
nach dem verhältnismäßig geringen Denkmäler^
Vorrat, der damals bekannt war, dominierte zu
Anfang des Jahrhunderts; dann begeisterte man
sich für mittelalterliche Kunstweisen, die lus^
tig oder auch traurig durcheinander geworfen
wurden; darauf sah sich die Renaissance förm^
lieh wieder entdeckt. Es folgte eine Rettung
der Barocke für die Kunstübung und für die
Geschichtsschreibung. Das verpönte Rokoko
wurde dann wieder hervorgesucht, bewundert,
und die klassizistischen Formen, die ehedem
das Rokoko ablösten, folgten auch nun wie^
der in der Reihe der neuerweckten Stile. Die
kurze Entwicklung des Embryo der Säugetiere
hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der langen
Entwicklung, die ganze Reihen niedrigerer
Tiere durchgemacht haben. Was sich früher in
Jahrtausenden abspielte, scheint hier auf Mo^
nate zusammengedrängt zu sein.*^) An derlei
'*') Ch. Darwin und Häckel haben diese Ge^
dankenreihen geschaffen und seither spricht man von
Beobachtungen der Naturwissenschaft wird man
erinnert, wenn man die Reihenfolge der Künste
Stile vor Jahrtausenden und Jahrhunderten mit
dem raschen Wechsel innerhalb der Jahrzehnte
seit etwa 1820 oder 1825 vergleicht. Im Laufe
des 19. Jahrhunderts hat aber die Abwechslung
nicht so ganz den Charakter der gründlichen
Änderung, wie in früheren Zeiten. Die wieder
angeschlagenen Töne aus vergangenen Jahr«'
hunderten haben noch nicht ausgeklungen und
schon kommen sie im Echo zurück.
Ein so rascher Wechsel der Szenerie war
vorher auf dem Kunsttheater ganz unerhört.
Die Raschheit des Wechsels geht ungefähr
parallel mit dem Anwachsen der Bevölkerung,
mit der Vervollkommnung der Maschine, mit
der Zunahme der Verkehrsgeschwindigkeit, mit
der Verbreitung allgemeiner aber ganz ober^
flächlicher Bildung, alles zusammen mit der
Nervosität des modernen großstädtischen
Lebens, das schon immer wieder nach Neuem
hascht, wenn das Ältere noch kaum ausge^^
reift ist.
Eingreifende Stilwandlungen waren früher
so ziemlich erst dann eingetreten, wenn man
der Ähnlichkeit der Ontogenie (der Entwicklung des
Individuums) mit der Phylogenie (d. i. mit der Ent^
Wicklung des Stammes).
sich an einer bestimmten Kunstauffassung satt
gesehen hatte und wenn unter den Künstlern
vorwiegend ein leichtfertiger Manierismus, ein
unlustiges, handwerksmäßiges, gedankenloses
Schaffen eingetreten war, im allgemeinen dann,
wenn der Sättigungspunkt überschritten war.
Andere Formen, andere Gedanken erschienen
dann wie eine Erlösung, ob sie nun aus älterer
Kunst entlehnt waren oder neu erfunden wur^
den. Gelegentlich ist eine Art Pendelbewegung
zu beobachten zwischen übertriebenem Formen^
reichtum und beabsichtigter Einfachheit. Das
krause Zierwerk der spätesten Gotik und die
schlichteren Formen der darauf folgenden
besten reifen Renaissance deuten eine solche
Bewegung an, die dann wieder zum überladenen
Barock führt; noch auffallender ist der Rück^
schlag vom üppigen Rokoko zum nüchternen
Klassizismus und das nachfolgende Formen^
gewirre der Romantik. Von einem Fortleben
der Stile bis zur Sättigung kann nun im
19. Jahrhundert nur mehr sehr bedingt ge^
sprochen werden. Wie heute die Sache steht,
werden alle möglichen alten Stile nebenein^
ander wieder verwendet, und überdies treten
noch zahlreiche neue Erscheinungen auf, die
man nicht als Nachempfindungen oder gar
Nachahmungen auffassen kann, sondern die
als ganz eigenartige Kunstweisen zu betrachten
sind. Manche technische Neuerungen begleiteten
diese neue Kunsterscheinung, ja sie beeinflußt
ten wohl auch die Kunstformen wesentlich.
Schon während der zweiten Hälfte des 19. Jahr^
hunderts wurden die Bauformen allmählich be-
reichert durch die stets zunehmende Anwendung
von Eisenkonstruktionen. Die Brücken der
englischen Ingenieure, die Hasenauersche Ro^
tunde der Wiener Weltausstellung von 1873,
die neueren Riesenhallen der Bahnhöfe und
die Eisenhäuser der alten und neuen Welt
deuten die Wendung an. Den Eiffelturm in
Paris (1887 — 1889 erbaut) kann man als das viel^
leicht bekannteste Wahrzeichen des monumen^
talen Eisenbaues anführen. Der Gebrauch von
Eisenstützen, Beton^Eisenwölbungen, Wellen«'
blechbedachungen, Lochziegeln, Korkziegeln,
Glasbausteinen und Gipsdielenwänden beein^
flußt in neuerer Zeit ohne Zweifel die Erfin^
düng der Architekten. So wirkt die Form
einiger Eisenbrücken nun schon zurück auf
Steinbauten, wie das an der steinernen Adolf«^
brücke in Luxemburg, an der Solysbrücke der
Albulabahn und an der Max Josefbrücke in
München (Bogenhauserbrücke im Volksmunde)
zu bemerken ist. Die Ingenieure wissen es genau,
daß diese Konstruktion zweckmäßig ist, und doch
kann man sich der Erwägung nicht verschließen^
daß beim Steinbau die nackte Zweckmäßigkeit
nicht ebenso gut wirken kann, wie bei dem
mehr plastischen Material der Eisengerippe.
Ich erblicke in derlei Brücken nur einen Über^
gang zu feiner gefühlten Steinbauten, technische
Versuche, aus denen wohl noch etwas ästhe^
tisch mehr Befriedigendes hervorgehen kann.*)
Gegen Ende des Jahrhunderts verbreitete sich
die Bauweise Moniers, der „Beton arme'% so
sehr, daß viele Freiheiten im Formen nicht
nur der Ingenieurbauten, sondern auch der
Hochbauten gegeben waren. Monier hat als
Gärtner begonnen und für Gefäße aus Zement
mit Eisengerippe 1867 «in Patent erhalten. Das
Material dieser überaus dauerhaften Gefäße
führte dann auf die Baukunst hinüber. Der
*) Mit der reinen Beachtung von Druck und Wider^
stand gibt sich die Kunst noch nicht zufrieden. Sie ver^
langte daß nicht nur so zweckmäßig, sondern auch so
schwungvoll gebaut werde, wie etwa der Knochen
wächst. Die Kraftlinien des Oberschenkelknochens ha^
ben eine merkwürdige Ähnlichkeit mit denen mancher
Eisenbauten. Die Literatur zu dieser Angelegenheit ist
zusammengestellt bei Ernst Knapp in den ,,Grund^
linien zur Philosophie der Technik^' im Kapitel über
,,Die innere Architektur der Knochen'^ Die Erkenntnis
des Zusammenhanges zwischen dem Bau moderner
Brücken und dem des Knochens wird einem Gedanken
Culmanns verdankt.
Moniersche Beton^^Eisenbau wurde bald in allen
Kulturstaaten angewendet und weiter gebildet,
z. B. durch Hennebique, G. A. Wayß, Ed. Ast
und Bauschinger. Der elegante Schwung vieler
moderner Wölbungen wird einzig dem stein«'
harten, aber leicht zu formenden Beton^^Eisen«'
bau verdankt.*)
Steinbau und die Anwendung glasierter
Ziegel für die Schauseiten herrscht im Norden
Europas und in ganz Frankreich viel mehr vor
*) Mir selbst ist die Sache von vielen Ausstellung
gen her und von manchen Bauwerken, die ich habe
entstehen gesehen, geläufig. Zur Einführung in die An«*
gelegenheit kann dienen Nr. 5 der ^^Zeitschrift des
österreichischen Ingenieur^ und Architektenvereines'^
vom 31* Jänner 1902, sowie die daselbst genannte Lu
teratur. Nicht ohne Interesse ist Fritz v. Empergers
^^Internationales Organ für armierten Beton'^ auch die
Geschäftszeitschrift der Firma Hennebique: ,,Le Beton
arm^'S die jetzt 1903 im 6. Jahrgange steht. Leicht
verständliche Mitteilungen auch in der Zeitschrift ,,Die
Wagens 1901, S. 157 f. In neuester Zeit erschien ein
Buch von Emperger ,,Neuere Bauweisen und Bauwerke
aus Beton und Eisen" (Wien, Lehmann & Wentzel,
1902) und in der Zeitschrift .^Deutsche Bauzeitung''
vom 25. April 1903 wurde ein Vortrag von E. Morsch
über Betoneisenbau abgedruckt, der noch weitere Li^
teratur nennt Zu beachten sind auch die zahlreichen
Albums mit Abbildungen, die von den verschiedenen
Firmen des Betoneisenbaues herausgegeben werden.
als im Süden. In Süddeutschland und öster^
reich kann man sich noch immer von dem
wenig haltbaren, leicht schmutzenden Verputz^
bau nicht losmachen, und besseres Material
kommt da nur selten für Privatbauten und
nicht immer für öffentliche Gebäude zur An^
Wendung.
Was die wiederbenützten älteren
Baustile betrifft, so sehen wir eine bunte
Musterkarte vor uns. Die Pylonenbauten der
Ägypter klingen ebenso gelegentlich an, z. B.
in Darmstadt, wie altnordische Motive in neuen
Stockholmer Bauten und in der neuesten finn^
ländischen Kunst. An vielen Orten wird auch
antikisierend gebaut, oder man greift auf ir^
gend einen beliebigen historischen Stil zurück.
Daß man sich in Athen heute stark von der
klassischen Antike beeinflussen läßt, erregt
wohl um so weniger Staunen, als schon in den
i86oer und 1870er Jahren dort eine moderni^
sierte Antike gebaut worden war. In neuester
Zeit entnahm das Gebäude der neuen Nation
nalbibliothek seine Formen den alten dorischen
Bauten.*)
*) Erbaut von Professor Ernst Ziller. Abgebildet
in J. J. Webers ..Illustrierter Zeitung^' vom 21. März
1901, Nr. 3012.
Die neue definitive Börse in New*' York
benutzt die antike Tempelfassade in riesigen
Abmessungen."^)
Antikisierend erfunden mit diesen oder
jenen eigenartigen Zügen sind femer z. B. das
neue Krematorium in Mannheim, das neue
Künstlerhaus in Krakau, das neue Stadttheater
in Meran-**)
Stark antikisierend ist der Bau des Mus^e
Galliira in Paris, dessen Errichtung allerdings
noch in die i88oer Jahre zurückreicht. Neueren
Ursprungs ist die Architektur des Friedens«^
denkmals in den Isaranlagen zu München, wo
das Erechtheion der Akropolis von Athen als
Vorbild maßgebend war. Um in München zu
bleiben, sind sogleich die Villa Stuck mit vielen
antikisierenden Motiven und das Äußere des
neuen Prinzregenten^^Theaters, auch das Baron
Freibergsche Haus am Karolinenplatz anzu^
reihen, die alle in mehr oder weniger eigene
artiger Weise Anregungen durch die Antike
verwerten. Sehr vornehm zeigt sich der Portikus
zwischen den antikisierend gehaltenen Flügel'^
*) Abbildungen in „Le monde illustr^" vom i. No-
vember 1902, Nr. 2379*
**) Mir durch Abbildungen bekannt. Vgl. auch
„Die Kunst für Alle'^ vom 15. August 1901 und J. J.
Webers ».Illustrierte Zeitung'* vom 7. März 1901,
Nr. 3010.
10
bauten am Land^ und Amtsgericht in Straße
bürg.
In neuester Zeit ist als antikisierender Bau
der Goethe^Tempel im Darmstädter Herren^
garten sehr bekannt geworden.
Zu den feinsten Hervorbringungen mo^
demster antikisierender Baukunst zählt ohne
Zweifel das neue Pergamon^Museum in Berlin.
Die Anwendung mittelalterlicher Bau^
weisen begegnet uns zumeist beim Kirchenbau,
der ja bisher Formen moderner Erfindung ver^
schmäht hat. Zwar verdankt man Otto Wagner
in Wien einen ganz eigenartigen bedeutungs^
vollen Entwurf einer Kirche, doch hat sie, so^
weit ich sehe, noch keinerlei Aussicht wirklich
gebaut zu werden. Dagegen könnten die Beispiele
von romanischen und gotischen neuen Kirchen
in langen Reihen aufgezählt werden.
In ganz eigener Art verwertet, findet sich
der romanische Stil in der Basilika für den
Sacre^Coeur auf dem Montmatre zu Paris. An
einige Münchener, Berliner, Dresdener und
Wiener Kirchenbauten der neuesten Zeit sei
erinnert. Nicht zu übersehen ist die neue große
katholische Pfarrkirche „in der Wiehre*' zu
Freiburg im Breisgau (entworfen von Joh. Durm),
ferner die neue Königin Luisen^ Gedächtnis^
kirche zu Königsberg, die neue lutherische Kirche
II
zu Görlitz, zu Straßburg die Synagoge und die
neue Jung St. Peterskirche, das Bismarck^Mauso^
leum in Friedrichsruhe, die Dresdener neue
Jakobskirche, um nur einige Beispiele anzu^
deuten. Für Profanbauten eignet sich der
romanische Stil viel weniger. Er muß sich da
manche Anpassung gefallen lassen, wie am
neuen großen Hause auf dem Auguste Viktoria^
Platz in Charlottenburg und an der neuen städti^
sehen höheren Mädchenschule in München. ^)
*) Ganz abgesehen vom besten Mittel sich eine
Anschauung modernster Kunst zu verschaffen, vom
Reisen und Selbstsehen, kann in bezug auf gedruckte
Hilfsmittel zweier Artikel Erwähnung geschehen, die
manches Wissenswerte in übersichtlicher Weise zusam^
menfassen; einer steht in der ,,Deutschen Bauzeitung'%
XXXIIL Jahrg., der andere in „Volnd Smgry'% Jahrg. IV.
Größere Werke, die eine Übersicht anbahnen, sind
Rehmes „Die Architektur der neuen freien Schule'S die
„Moderne Städtebilder" (Berlin, Wasmuth), Hugo
Licht „Architektur des 20. Jahrhunderts'', J. Fiedler
„Das Detail in der modernen Architektur". Überdies
bieten viele Bauzeitungen und illustrierte Blätter reiche*
liches Material. Das Wichtigste davon soll in den Fuß"
noten, auch im Text genannt werden.
Die Jakobskirche in Dresden ist vom Berliner
Architekten Jürgen Kröner entworfen. Vgl. die Zeit'
Schrift „Daheim" vom 14. Dezember 1901. Die Luther^
kirche in Görlitz ist von Fritsche gezeichnet, das Haus
am Auguste Viktoria^Platz vom Baurat Schwechten.
12
Die große Basilika im Wiener Bezirke
Favoriten schließt sich in einigen großen Linien
enge an die Formen des Santo zu Padua an,
der seinerseits wieder Anleihen bei der Markus^
kirche Venedigs gemacht hatte.
Große Verbreitung, besonders im Kirchen^
bau, hat noch heute die Gotik, nicht zuletzt
in England, wo z. B. die neue Kathedrale von
Liverpool vollkommen gotisch gehalten wird.*^)
In feiner englischer Gotik ist die neue Kirche
an der langen L^ince^in Kopenhagen erbaut.
Deutsch^gotisch sind die neue St. Peterskirche
in Nürnberg (vom Architekten Jos. Schmitz),
die neue Andreaskirche in Salzburg (vom Archiv
tekten J. Wesikc), die katholische Gamisons^
kirche (von Ludwig Becker) und die evangelische
(von Louis Müller) in Straßburg und manches
andere Gotteshaus. Auch viele Gebäude, die
profanen Zwecken dienen, knüpfen in ihren
Formen mehr oder weniger an gotische Vor^
bilder an. Das große neue Parlamentshaus in
Vgl. ^.Moderne Kunst'^ Jänner 1902 und J. J. Webers
,JUustrierte Zeitung'^ Nr. 3038 vom 19* September 1901.
*) Vgl. „The lUustrated London News*' vom 6. Juni
1903. Die Geschichte des englischen Kirchenbaues ist
eigentlich die Geschichte der englischen Gotik, so sehr
herrscht in England der gotische Stil. Vgl. H. Muthe'*
sius ,,Die neuere kirchliche Baukunst in England''.
(Berlin 190 1).
13
Budapest benätzt aus zweiter Hand (aus der
Friedr. Schmidts, des Wiener Dombaumeisters)
gotische Motive. Hauberisser in München hat
seine eigene Gotik seit dem ersten Rathausbau
verfeinert, vervollkommnet, und so kann man
das Beste von den großen neuen Anbauten
zum alten Gebäude berichten. Allerlei gotische
Backsteinbauten sind in norddeutschen und
holländischen Städten entstanden. Ich nenne^
ohne jedoch weiter auf das Material zu achten,
einige der neuesten gotischen Profanbauten, z* B*
die Handelshochschule in Köln (Abbildung in
„Über Land und Meer^ vom Mai 1901), das neue
Kölner Kunstgewerbemuseum (vgL „Die Garten^
laube'S Mai 1900), das neue Freimaurer^Institut
in Dresden^'Striesen (Abbildung in J. J. Webers
„Illustrierte Zeitung^ vom November 1900),
ferner einige große behördliche Gebäude in
Magdeburg, Braunschweig, Straßburg i. E.,
Königsberg. Ein auffallender, moderner, goti^
scher Bau ist das Haus der Eggebrechtschen
Weinhandlung in Berlin (Friedrichstraße); mehr
versteckt liegt das von VoUpert entworfene
gotische Eckhaus an der Hartmannstraße in
München. Aufgewärmte Gotik wird am Melanch^
thonhaus in Bretten bemerkt Die höhere
städtische Mädchenschule in Wiesbaden (von
F. Genzmer entworfen) ist im Sinne der Spät*
14
gotik erfunden. Spätgotik beherrscht auch die
Anlage des neuen nordischen Museums zu
Stockholm und das Hallwylsche Palais ebendort
(Architekt Clason, der sich in diesen Fällen an
spanischer Gotik und Frührenaissance begeistert
hat). Venezianische Gotik klingt im Privatbau
Stockholms nicht selten an. In Wien ist der
Dogenhof in der Praterstraße in diesem Stil
gehalten. Spätgotisch, an deutsche Renaissance
gemahnend, ist die neue Lesehalle der Karl
Zeiß^Stiftung in Jena. Gar beachtenswert das
Löptauer Rathaus, das uns vollends zur deut«*
sehen Renaissance heraufgeleitet. In diesem
Sinne ist auch das Rathaus zu Duisburg zu
nennen.*)
Als gänzlich modernisierte Gotik möge noch
mit Zugeständnissen das Haus erwähnt werden,
das sich der erfindungsreiche Goldschmied Rene
Lalique selbst entworfen und in Paris hat auf«^
führen lassen. Das meiste geht daran auf gotische
Motive zurück, die allerdings sehr eigenartig
aufgefaßt sind (vgl. „Art et decoration'' vom
November 1902). In der Ornamentik hat er,
diesmal Naturalist, sich hier einen Stil zurecht^
gelegt, den man wohl als: Koniferenstil be^
zeichnen könnte.
'*') Hierzu „Deutsche Bauzeitung^ 1902 und 1903*
15
Die Renaissance in verschiedenen natio^
nalen Färbungen, die jahrzehntelang den Bau
der modernen Zinskaserne und des Privathauses
in großen Städten beherrscht hat, ist noch immer
ein wichtiger Faktor in der neuesten Baukunst
und das auch für große öffentliche Gebäude.
Das neue städtische Suermondmuseum in
Aachen hält an diesen herkömmlichen Formen
fest. Abgegriffene Motive wurden benützt für
das große neue schweizerische Bundeshaus in
Bern. Eine massige Renaissance wird am neuen
Kaiser Friedrich^Museum in Berlin beobachtet,
am Berliner Dom und am Wallotschen Reichs^
ratsgebäude. Die drei auffallendsten Paläste am
Kaiserplatze in Straßburg sind im wesentlichen
dem Stil der italienischen Renaissance beizu^
zählen, und nach Abbildungen zu schließen,
möchte ich auch die Oberlausitzer Gedenkhalle
mit dem Kaiser Friedrichs^Museum zu Görlitz
in dieselbe Reihe bringen. *) Noch erinnere ich
an das große Reichsbankgebäude in München
und an das neue Börsengebäude in Mailand.
Eigenartig und feinfühlig bewegte sich der
Wiener Architekt Karl König in einem Kreise
von Renaissancemotiven in weiterem Sinne, als
*) Vgl. die ,,Deutsche Bauzeitung'' vom Anfang
August 1903.
16
et die Wiener Frucht^ und Mehlbörse und den
Philipphof entwarf.
Einer modernisierten deutschen Renaissance
begegnen wir am neuen Rathaus zu Reichen^
berg (Architekt Ohmann) und an dem Rathause
zu Freiburg im Breisgau (Architekt Rudolf
Thoma). Ungewöhnlich ist die Anwendung
norddeutscher Renaissance für einen Bahnhof'^
bau, wie er von den Architekten Glasewald
und Cuny in Danzig aufgeführt wurde.*) Da^
gegen erscheint es naturgemäß, daß die neue
Stadthalle in Heidelberg an die Formen mittel^
deutscher Renaissance anknüpft (Henkenhof
und Ebert heißen die erfindenden Baukünstler).
Auch in Frankfurt am Main wird ein neues
Rathaus nicht überraschen, das im wesentlichen
auf Motive deutscher Renaissance zurückgreift.
Das neue Museum in Altona ist in einer Art
modernisierter deutscher Renaissance gehalten.
Im wesentlichen als deutsche Renaissance ist
der Stil des deutschen Buchgewerbehauses in
Leipzig zu bezeichnen.
Die Bewegung der Wiederaufnahme der
Renaissance ist weit über Europa hinaus^
*) Eine Abbildung dieses Gebäudes u. a. auch bei
A. Lindner „D&nzig** (Berühmte Kunststätten Nr. 19).
Ferner vgl. Webers „Illustrierte Zeitung'' Nr. 2999 vom
20. Dezember 1900 und R. Bongs .^Moderne Kunst'' vom
Februar 1901 (Jahrg. XV, Heft 11).
17
gedrungen — sogar bis Siam, wo der könig^
liehe Palast vielfach die Formen europäischer
Hochrenaissance benützt, nur wenig vermischt
mit heimischen Motiven.*) New ^ Yorks be-
kanntester Wolkenkratzer, das von R. H. Robert^
son entworfene ,,Park^Row^Building'' hat derbe
Spätrenaissancemotive an der Schauseite. Dem^
selben Stil gehört auch das Wanamaker Eta^
blishment in New^York, ein riesiges Waren^
haus an,**)
Reife und überreife Gestaltungen der ita^
lienischen Spätrenaissance und des Barock
wurden benützt an dem rasch erbauten neuen
Stadttheater in Köln, in welchem übrigens der
Erfinder auch viele Eigenart zum Ausdruck
gebracht hat. Besehen wir auch noch das im^
posante Berliner Land^ und Amtsgericht, das
Ministerialgebäude zu Straßburg (in nächster
Nähe des Kaiserplatzes), den prachtvollen neuen
Justizpalast in München, dessen Stadtfront an
*) Abbildungen im „Lc monde illustr^" vom
4. Jänner 1902, W. 2336.
**) Abbildung in J. J. Webers ».Illustrierte Zeitung"
Nr. 3144 vom i. Oktober 1903. Über die Wolkenkratzer
der neuen Welt unterrichtet in zusammenfassender
Weise ein langer Artikel von R. Kohfahl (Hamburg)
in der ..Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure''
vom 29. August 1903, ein Aufsatz, der auf den Arbeiten
von Jos. Kendall Freitag und H. Birkmire fufit.
i8
das Wiener Palais Schwarzenberg anklingt^ das
neue Reichspostgebäude in Karlsruhe, dazu
einige neue Theaterbauten, wie das Zentral^
theater in Leipzig und das neue Theater zu
Fürth. An österreichische Barockbauten knüpften
an die beiden Mayreder im großen neuen
t^farrhofe bei Sankt Karl in Wien, sowie die
Architekten vieler Wohnhäuser in der Kaiser^
Stadt an der Donau. Erinnert sei auch an das
Neubarock der Börse in Mannheim (Architekten
Köchler und Karch). Die Überbarocke der neuen
Festhalle in Mannheim (von Bruno Schmitz
entworfen) und etwa noch des Trunkschen
Kaufhauses in Berlin (von Hart und Lesser)
ist so eigenartig, daß man diese Bauten eher
zu den originellen Erfindungen rechnen kann,
als zu den sogenannten Stilbauten. '^)
Kleinere Privatbauten boten in jüngster
Zeit viel mehr Gelegenheit zu freieren phanta^
stischeren Formen, als die monumentalen Ge^
bäude für den Kult und für behördliche Zwecke.
Desgleichen erwiesen sich die Pavillons ver-*
schiedener Ausstellungen recht gefügig. Die
*) Vgl. „Blätter für Architektur und Kunsthand-
werk'^ XVI, „Neue Architektur" (Verlag Friedr. Wolf-
rum) und „Deutsche Bauzeitung'' 23. Blai 1903.
19
moderne Arbeiterwohnung nimmt an vielen
Orten teil an den Formen neuer individueller
Bauweisen, indem sie es versucht, Zweckmäßige
keit und abwechslungsreiche Gestaltung im
ganzen wie im einzelnen zu vereinigen« Nicht
zuletzt gestattet der Landhausbau ein ziemlich
ungebundenes Walten der Einbildungskraft.
Moderne amerikanische und englische Land^
häuser verbinden nicht selten ein Bauernhaus
mit einem antikisierenden Anbaue.
Sehr phantasievoll scheinen die neuen
Villenbauten bei Fontainebleau erfunden zu
sein, die z. B. von CoUin und Sauvage er^
richteten und die von De Rutt^ und Laverri^re
entworfenen.*)
Eine ganz neue Ära ist nun auch für den
Landhausbau in der Nähe von Wien, Berlin,
München, Dresden, Kopenhagen angebrochen,
wo es überall eine nahezu nicht zu über^
blickende Mannigfaltigkeit zu bemerken gibt.
Das Schweizerhaus und Bauernhäuser jeder
anderen Nationalität erleben die wunderlichsten
modernen Verkleidungen und Übersetzungen.
Die Kolonien von Landhäusern auf dem Sem^
♦) Vgl. ,,American Architect and building News"
der jüngsten Jahre» ferner AI. Kochs ^Academy archi*
tecture and architectural Review", „The Studio" und
nArt et decoration".
2*
20
mering, der bekannten Sommerfrische an der
österreickisch^steirischen Grenze, boten den
Wiener Architekten reiche Gelegenheit zu
sonderbaren, auch zu sehr gelungenen Neu^^
bauten. Stilvermischungen der verschieden-'
sten Art und von verschiedenstem Wert kom«^
men da vor« Sie sind nicht selten auch an
Monumentalbauten zu bemerken, wie eine ge^
nauere Betrachtung mancher Gebäude ergibt,
die oben ihres Hauptcharakters wegen bei den
bekannten Stilen eingereiht worden sind. Bei
manchen aber kann man im Zweifel sein, ob
eine derlei Einreihung nicht allzu willkürlich
ist. Durms neues Oberlandesgerichtsgebäude zu
Karlsruhe wäre z. B. kaum als Neubarock zu
führen, höchstens nach dem Gesamteindruck
der Schauseite. Es weist auch gotisierende
Motive und solche aus der deutschen Renais^
sance auf. Eine eigentümliche Vermischung
verschiedener italienischer mittelalterlicher Stile
und mehrerer Renaissancemotive fallen an der
neuen Synagoge in Szegedin auf, die von
L. Baumhorn, einem Spezialisten im Syndi^
gogenbau, entworfen ist. Das wären Beispiele
dafür, daß an einem Bauwerk mehrere alte
Stilarten Verwendung finden. Bei Rundfahrten
durch große moderne Städte bemerkt man
überdies leicht, me sehr abwechslungsreich
21
auch verschiedene Gebäude nebeneinander
stehen, die ziemlich rein eine einzige Stilart
festgehalten haben. So findet man es z. B. auch
in den neuen Straßen von Basel, von Wien.
Wir besuchen späterhin noch einige große
Städte, um das moderne Stilmosaik der Bau^
werke festzustellen.
Von all dem Gewirre alter Stile, die neben^
und durcheinander aufgefrischt, oft glücklich
wieder belebt und den neuen Zeiten angepaßt
sind, wendet sich die Aufmerksamkeit seit mehre^
ren Jahren nicht wenig jenen Bauten zu, die eine
besonders starke Eigenart erkennen lassen und
die es rechtfertigen, wenn man von neuesten
Bewegungen in der Baukunst spricht. Hie
und da beeinflussen die originellen Bauten
neuester Erfindung im wesentlichen das Stadt^
bild, wie z. B. die neue Fernheizstelle in
Dresden, die sich unerbittlich in die Silhouette
des modernen Elbe^Athen einschiebt. Woher
die vielen neuen Baugedanken gekommen sind,
soll heute nicht näher untersucht werden, nur
möchte ich andeuten, daß sie sicher nicht alle
aus England stammen. Bei Otto Wagners Ent^
würfen, die zu den frühesten originellen Er^
findungen in der neuen Bauströmung gehören,
wüßte ich wenig zu finden, das von englischer
Kunst abstammen könnte. Und auch sonst ge^
22
lingt es schwer, beweisende Formenreihen au£<
zustellen. Ziemlich gemeinsam haben alle Vor^^
kämpfer der modernsten Bewegungen die be^
wußte Abkehr von alten Vorbildern und das
unablässige Suchen nach neuen Formen im
Großen und Kleinen, in der allgemeinen Ge>
stalt der Bauten bis zu den Einzelheiten des
Zierwerks und der inneren Ausstattung. Und
eines ist da besonders auffallend: das Ver«^
schmelzen der ,,hohen Kunst'^ mit dem ,,Kunst^
handwerk"^ und das Auflassen der zünftig ge^
zogenen Grenzen zwischen Malerei, Plastik,
Baukunst, in dem Sinne, daß ein Künstler
sich nicht selten heute auf vielen Gebieten be^
tätigt
Wir betrachten deshalb auch Baukunst
und Kunstgewerbe nach Möglichkeit in
einem Zuge, wie denn auch die Erörterungen
über Plastik und Malerei nicht ganz strenge
abgegrenzt werden können. Kein früheres Zeit^
alter hat so zahlreiche vielseitige Künste
1er geboren, wie das unsere. Dies läßt sich be>
haupten, auch wenn wir zugestehen, daß Er-'
scheinungen von der künstlerischen Wucht
eines Michel Angelo und Lionardo seit der
Renaissance nicht wiedergekehrt sind. Heute
ist das Vereinigen von Skulptur und Malerei
nichts seltenes mehr und der Malerbildhauer
23
gibt es gar viele. Nur wenige aber ragen durch
hochbedeutende Leistungen hervor, wie Max
Klinger, Hermann Prell und Franz Stuck in
Deutschland, C. Meunier in Belgien, Engelhart
in Österreich, Alphonse Legros, John Swan
und Hubert Herkomer in England (Legros ist
der Geburt nach Franzose, Herkomer ist Bayer).
Ein Bildhauerarchitekt erwächst uns in
Franz Metzner. Daß die heutigen Architekten
und Maler neuen Stiles fast alle auch Kunst^
gewerbler sind, wurde im allgemeinen schon
angedeutet und einige Beispiele, wie die Maler
Roller, Baron Myrbach, Kolo Moser und der
Architekt Jos. HofiFmann, mögen hinreichen,
um diese Art der Vielseitigkeit dem Leser ins
Gedächtnis zu rufen. Was mehrseitige künst^
lerische Begabung und Tätigkeit betrifft, so
denkt man auch wohl an die plastischen Ver^
suche eines F. Khnopff, Walter Crane, an
Heydas Schaffen. Maler Dettmann hat auch
ein Terrakottarelief modelliert. Architekt Giesel
malt nette Figurenbildchen. Otto Eckmann war
ursprünglich Maler und wendete erst später
seine ganze Kraft dem Kunstgewerbe zu.^)
*) Die meisten der Namen, die ich genannt habe^
sind den Kreisen, für die ich schreibe* vollkommen ge^
läufig, und ich sehe daher von eingehenden Literatur^
angaben ab. Ober die Vielseitigkeit von Alphons Le^
24
Schauen wir aber in der Runde umher,
wo Bauten neuerer Art zu finden sind, wo sie
zu finden — waren. Gar vieles, das in den
Ausstellungen nur so aus dem Boden ge^
schössen war, lebt ja bloß mehr im Gedächtnis
der Ausstellungsbesucher und in Rissen und
Ansichten weiter. Als Bauten verschwunden
sind die eleganten Pavillons und Paläste der
Wiener Jubiläumsausstellung, die 1898 so viel
eigenartige Formen zu sehen gaben. Von
der Pariser Weltausstellung 1900 sind nur
einige Gebäude stehen geblieben, die sich
dem Äußern nach mehr an ältere Stile
anlehnen, der große und kleine Kunstpalast.
Die phantastisch eigenartige dreitorige Ein^'
gangshalle von Binet, Dulongs Pavillon bleu,
Tronchets Restaurant de la belle meuniere,
und so vieles andere, ja das meiste (auch
die Rue des nations) ist längst dem Boden gleich^
gemacht. Das Wiener Sezessionsgebäude ist von
vornherein nur als Provisorium gebaut worden.
gros, der vielleicht außerhalb Englands wenig genannt
ist, findet man Einiges in einem Artikel von Ldonce
Bdnddite in ,,The studio^' vom Juni 1903. — Ein Streif«'
licht sei hier auch auf die schriftstellernden
Künstler geworfen, die nun nicht mehr zu den Selten^
heiten gehören. Beschimpft heute ein bildender Künste
1er die „Kunstschreiber'% wie es noch zu C. Hoffs Zei^
ten bdiebt war, so schießt er damit ins eigene Lager.
25
Anderes aber ist aufs lange Stehenbleiben be^
rechnet, wie viele originell erfundene Privat^
häuser in Berlin, Paris, Dresden, Wien,
Amsterdam, Stockholm und noch an vielen
anderen Orten. Denn die neue Welle mit
ihren mannigfachen Gipfeln und Tälern
ist nicht aufzuhalten. Sie dringt von den
Hauptstädten aus in die nächste Umgebung
und auch schon weiter hinaus übers Land.
Modern ausgestattete Restaurants, Cafes sind
heute auch in vielen Provinzstädten nichts un^
erhörtes. Niemand erstaunt oder erschrickt
mehr, wenn er irgendwo grellrot, grün oder
blau gebeizte, neuartig geformte Möbel findet,
oder wenn ihm ein neu gestaltetes Trinkglas
geboten wird, oder wenn er stilvolle Gefäße,
Geräte, solchen Schmuck in den Läden antrifft.
Ausstellungen, wie die schon erwähnten in
Wien von 1898 und Paris von 1900, wie die
in Turin und Düsseldorf von 1902, solche groß^
artige Kundgebungen und ihre Nachwirkungen
beweisen wohl, daß man es bei den Bauten
neuesten Stils nicht mit Launen Einzelner,
sondern mit großen unaufhaltsamen Bewegung
gen zu tun hat. Manches dünkt uns heute
schon etwas zahm, das vor einem Jahrzehnt
noch als schrullenhaft und neuerungssüchtig
erscheinen konnte, so z. B. die Bauten eines
26
P. Hankar und eines V. Horta in Belgien.*)
Die bewunderungswert klug erfundenen Möbel
Van de Veldes finden immer mehr Verstände
nis, besonders seitdem der Künstler aus Bel^'
gien nach Deutschland übersiedelt ist; man be^
freundet sich so sehr mit ihnen, daß man diese
Stücke, die jedes naturalistische Zierwerk ver^
achten, nun schon für etwas selbstverständ^
liches hinnimmt. An H. P. Berlages hie und
da wunderliche Formen hat man sich gewöhnt
in Amsterdam selbst, wo man seine Original^
werke sieht und anderwärts, wo man Berlages
Weise nach Abbildungen kennen lernt. Soweit
ich über nordamerikanische Kunst unterrichtet
bin, dringen die Formen von Gebäuden und
Zierformen eines Frank Wright, H. Cobb,
H. SuUivan und Theo C. Link immer mehr
durch. Tiffanys neuartige kunstgewerbliche Ar^
beiten, besonders die Gläser, haben verdienten
Weltruf errungen.**) Die „Rookwood Pottery*^
in Cincinnati wird gerühmt.
In großräumiger Kunst und kleinem Kunst^
handwerk herrschen in Paris jetzt bei Leuten
von Geschmack die neuen und neuesten For^^
men, die von einem Hektor Guimard, Dulong,
Dubuisson, G. Serrurier, Plumet et Selmers^
*) P. Hankar starb im Jänner 1901.
**) Der Gründer der Firma ist 1902 gestorben.
27
heim, Lavirotte, vom eingewanderten Elsässer
Schöllkopf, von einem Ed« Autant, Ch« Labro,
A. Barret, Charpentier, Dampt, Leverri^re,
Sauvage, GoUin, De Rutt^, R. Lalique erfun^
den werden. Die Formen von 1870, 1880 ja
manches von 1890 gelten als überwtuidene
Standpunkte, und wenn man sie bei allerlei
Kunstgegenständen noch oft in den Kaufläden
antrifft, so weiß man ja, daß ein großer Vor^
rat davon da ist und an den Mann, beziehungs^
weise an die Frau gebracht sein wilL In Nancy
leistet die Gallegruppe Bewunderungswertes,
insbesondere in der Glasindustrie, und die
neuen Formen und Farben ihrer Kunstgegen^
stände werden in der ganzen Welt begehrt*
Majorelles Möbel aus Nancy gehören auch
längst nicht mehr zu den angefeindeten Neuig^^
keiten.
Das allgemeine Stadtbild von Paris (auch
von Nancy) verrät indes noch wenig von der
neuen Ordnung der Dinge. Die im modernsten
Stil gehaltenen Zugangbauten zum „Metropoli<^
tain'' sind nicht sehr auffallend* Hie tmd da
ein neugestaltetes Warenhaus, ein modernes
Restaurant, eine im jungen Stil gehaltene, an
ein altes Haus unorganisch angefügte Fassade.
Die gänzlich neuartig gehaltene Toudoiresche
Gare de Lyon und der neue Bahnhof in Passy
28
liegen ziemlich weit ab vom gewöhnlichen Ver^
kehr. Stark in die Augen fallen durch riesige
moderne Fenster die ^Maison ä la menag^re''
nahe der Porte Saint Denis und die ^Maison
de la belle jardiniere'^ beim Pont neuf. Das
neue Haus des Petit Journal, Laliques Haus
und einige Privathäuser {z. B. in der Avenue
de Jena und Avenue Rapp) sind eigenartige Er^*
scheinungen. Auf der jüngst zusammengestellt
ten ,,Exposition de Thabitation'' in Paris schlug
der originell erfundene Pavillon Guimards alles
I übrige. Eine sonderbare Gartenhausarchitektur
von A. Landry und A. Rey war vor kurzem
in „Art et Decoration'^ abgebildet. Anderes
lernt man durch die Zeichnungen und Lichte'
drucke in den Werken von Rehme und Raguenet
kennen."^) Sonst wird gewöhnlich sehr zähe an der
hergebrachten allgemeinen Form des Mansarden^
hauses festgehalten, auch wenn eine ungeheuere
Mannigfaltigkeit in der Abwandlung dieses
Typus zu bemerken ist. ^ald schmucklos,
*) Vgl. Rehme „Die Architektur der neuen freien
Schule'S A. Raguenet „Monographies des bitiments
modernes"; siehe auch „L'architecture sm^ Salons 1903'%
die Zeitschriften „La construction moderne", „The ma^
gazine of art" (1901, S. 85, 278 ff.), „Les concours publics
d' architecture" (1895 ff*) und einen Abschnitt in Fierens^
Gevaerts „Nouveaux essais sur Tart contemporain"
(1903), S. 53 ff.
29
schlicht, bald prunkend überladen mit Zier^
werk, das manchem alten Stil, zumeist aber
dem Barock und Rokoko entnommen ist, so
stehen jetzt die neuen Pariser Häuser da,
prächtige Steinbauten in allen neuen Straßen,
die uns durch ihre Pracht über das Verschwind
den alter schmutziger Stadtteile leicht zu trösten
wissen,*)
*) Damit will ich gewifi nicht der Beseitigung des
Alten, noch weniger der einfältigen Restaurierwut das
Wort reden. Nur zu oft und an viel zu vielen Orten
wird wertvolles Altes schonungslos vernichtet, entstellt,
verfälscht, um Neues von zweifelhafter Güte zu pro^
duzieren. Der Schaffensdrang der Lebenden hätte doch
Spielraum genug zum reinen Neugestalten, um die ge^
schichtlichen Bauten und Reste schonen zu dürfen.
Aber in manchem Landnestchen, in dem des Tages
kaum ein Dutzend rasch fahrender Wägen durch die
Strafien kommen, läfit man eine alte interessante Kirche
oder auch ein historisches Monument abbrechen — aus
Verkehrsrücksichten! Links, rechts, hinten, vorn genug
Raum, um die neuen Straßen neben den alten Denk"
mälem hin zu verlegen. Aber ein eigensinniger, kennte
nisloser Bürgermeister setzt ja doch alles durch, um
seinem Kramladen freie Aussicht zu verschaffen. So^
gleich kann auch von Plastik und Malerei gesprochen
werden; und da sei es geklagt, dafi auch auf diesen
Gebieten durch albernes „Restaurieren'' jährlich Million
nen vernichtet werden. Man blicke nur hinter die Ku^
lissen des Kunsttheaters, um die größte Brutalität ge^
wahr zu werden in unserer Zeit, die es ja so herrlich
30
In Wien und dessen Umkreis werden
neben Häusern von konventionellen Formen
in aufgewärmten oder modernisierten alten
Stilen allerwärts auch solche errichtet, die
neueste Erfindung bekunden. Hier machen sich
neue Stile viel mehr im großen geltend als
in Paris. In manchen Straßen entsteht schon
Haus neben Haus in der neuen Art. Otto
Wagner ist seit Jahrzehnten ein Vorkämpfer.
Zu seinen bekanntesten Werken gehören die
Hochbauten der Stadtbahn, die zwei Zinshäuser
an der Wien bei der Köstlergasse, das Nadeln
wehr in Nußdorf und die Villa in Hutteldorf.
Neben und nach Wagner vertrat einige Zeit
hauptsächlich Jos. Olbrich, der Erbauer des
Sezessionsgebäudes modernste Baugedanken.
Wir hören noch von ihm. L. Baumann, Fr.
V. Dietz, Ant. und Jos. Drexlcr, H. Geßner,
Pleönik, Breßler, Baron Krauß, Leop. Bauer,
Fabiani, Deininger und viele andere wirken
heute iii modernem Sinne.*^) Seit einiger Zeit
weit gebracht hat. Heute schnuppert die Restaurierlust
sogar schon an die Akropolis heran.
*) "Da, ich in Wien lebe, fiele es mir nicht schwer,
ganze Reihen von Architekten zu nennen, die heute in
modernem Sinne tätig sind, manche aus Oberzeugung,
manche aus Notwendigkeit oder Modesucht. — Viele
Abbildungen finden sich in dem Werk „Wiener Neu^
bauten im Stile der Sezession*' (Wien, bei SchroU),
31
lebt und schafft auch Ohmann in Wien, und
die von ihm (und Hackhofer) entworfene Milche
trinkhalle im östlichen Teile des Stadtparkes
betont dort das Durchdringen neuer Baugedan^
ken. Ungezählte Kunstgewerbler ermüden nicht,
neue Formen in Wien zu verbreiten« Darunter
sind sehr eigenartige, manche vielseitige Künste
1er wie K. Moser, Auchenthaller, Jos« Hoff^
mann, Myrbach, Jos. Urban, Maler Roller.
Durch Jos. Olbrich wurde das moderne
Wesen nach Darmstadt verpflanzt* Neben
dem genannten österreichischen Künstler ent^
falteten oder entfalten noch immer Patriz
Huber (1903 gestorben), Paul Bürk, Peter
Behrens, Christiansen, Adolf Zeller, Rud.
einige auf den Tafeln von ,,Neue Architektar'^ (Verlag
Friedr. Wolfrum & Cie«). und in „Moderne Städte^
bilder"" (IV). Vgl. auch L. Hevesi ^Österreichische Kunst
im 19. Jahrhundert"" (E. A. Seemann 1903)« Jüngst er^
schienen J. Fiedler, „Das Detail in der modernen
Architektur"' (I. Serie). Eine ziemlich ausgebreitete
Literatur, die ich nur im großen andeute, knüpft
sich an Otto Wagner, dessen Werke auch. in einigen
grollen Bänden abgebildet sind. Vgl. auch „Der Archiv
tekt"' und „Wagner^Schule"*, 1902, sowie die „Deutsche
Architekturzeitung"' und die „Wiener Bauindustrie^
Zeitung"" (die neuesten Jahrgänge). Ober die Wiener
Neubauten um 1900 äußerte ich mich in den Berichten
des Wiener Almanach von Jacques Jäger u. a. in der
Rubrik „Wiener Kunstleben"".
32
Bosselt und Ludwig Habich eine fortschrittliche
Tätigkeit, deren Übereifer in manchen Kreisen
Widerspruch erregt hat, als 1901 in Darmstadt
eine große Ausstellung modernster Haltung
eingerichtet worden war. Durch Kunstzeit^
Schriften, illustrierte Blätter und Zeitungen ver^
schiedener Art ist die Darmstädter Ausstellung
rasch in der ganzen Welt bekannt geworden,
auch den Formen nach*"^)
In Berlin wirkt der ziemlich eigenartige
Bruno Schmitz, dessen besonderes Fach die
massigen nationalen Denkmäler zu werden
scheinen* Drei Kaiserdenkmäler, eines auf dem
Kyffhäuser, eines an der Porta Westfalica und
das am „Deutschen Eck^^ sind, soweit es Ent^
wurf und Bau betrifft, von ihm ausgeführt;
überdies ist ihm die Ausführung des Völker^
Schlachtdenkmals bei Leipzig anvertraut* Eine
eklektische Richtung hat Ludwig Hoffmann ein^
geschlagen^ und dieser tritt durch seine mehr
historisch^konservativen Schöpftmgen in Gegen^
satz zu einem Bruno Möhring, zu Cremer und
Wolfenstein, A. Grenander, Kimbel, Otte und
*) Sehr eingehend ist sie behandelt in .^Deutsche
Kunst und Dekoration^^ Vgl. auch des Besonderen See^
mann^Zimmermanns Kunstchronik» XII» Nr. 30, ,fThz
Studio^^ von 1902 und J. J. Webers ..Illustrierte Zeitung'*
Nr. 3021 vom 23. Mai 1901.
33
Wippcrling, M* Bei, Breslauer, Rathenow, Otto
Rieth, Otto March (Charlottenburg), A. Meßel,
Erdmann und Spindler, den Vertretern neuester
Erfindung in der Berliner Architektur* Im
Herzen der Stadt und weiter hinaus, wo die
Landhäuser stehen, gewahrt man das unwider^
stehliche Wurzelschlagen modernster Formen*
An die Berliner Bank in der Behrenstraße, an
zahlreiche moderne große Häuser in der Kronen^
Straße, an die polnische Apotheke in der Friede
richstraße sei beispielsweise erinnert* Wie in
Wien und Paris wirken im Verein mit den
eigentlichen Architekten viele Männer des
Kunstgewerbes* Otto Eckmann, ursprünglich
Maler aus Hamburg, war einer der erfindungs^
reichsten* Leider hat ihn 1902 ein frühzeitiger
Tod hingerafft**)
*) Für moderne Berliner Baukunst ist eine ganze
Reihe von Veröffentlichungen des E. Wasmuthschen
Verlages in Berlin von Bedeutung* Eine Aufzählung
bis ins Einzelne liegt mir diesmal ferne und ich
nenne nur Weniges, z. B. die Zeitschrift „Berliner
Architekturwelt^^ Ober die Berliner Architektur bis
gegen 1890 schrieb A. Rosenberg in der „Zeitschrift für
bildende Kunst<% Neue Folge, Bd* I* Zu Ludwig Hoff^
mann vgl. Hoffmanns großes Werk „Neubauten der
Stadt Berlin'' und W. v. Seidlitz und Martersteig „Jahr«»
buch der bildenden Kunst'' (I), 1902, S* 69 ff. Siehe
auch die „Deutsche* Bauzeitung" passim, ferner „Mo^
deme Städtebilder" (VI), Koch^ >Academ7 architecture",
3
34
Von mehreren Berliner Bauten in älteren
Stilarten war schon die Rede, als die moderne
Wiederbelebung mittelalterlicher Bauweisen und
späterer Formen besprochen wurde»
Leipzig hat durch Fritz Dreschslers Künste
lerhaus eines der eigenartigsten Gebäude er^
halten, die es in neuerer Zeit zu verzeichnen
gibt* Zu massigen phantastischen Formen neigt
Fritz Schumacher in Leipzig, wo auch in
mannigfachster Weise ältere Baustile neue Ver^
Wendung finden* Einige Beispiele wurden oben
genannt*
Die Dresdener neue Femheizstelle ist
schon erwähnt worden als auffallende Arbeit
in modernster Auffassung von den Architekten
Lossow und Viehweger.*) Sie steht nahe bei
dem Kern älterer Prachtbauten an der Elbe.
Weiter hinaus sind zahlreiche neue Gebäude
von individueller Erfindung zu sehen und als
W. Rehme^ ,,Die Architektur der neuen freien Schule'^
(Leipzig i9oi)t neuestens L. Fiedler ,^Das Detail in der
modernen Architektur'^ IL Serie.
*) Diese Architekten sind auch die Schöpfer des
neuen Theaters in Chemnitz. Zu Dresden vgL das Werk
von Rehme, femer Alex. Kochs ^^Academy architecture
and architectural review^' und mehrere deutsche Bau^
Zeitungen. J. J. Webers ^Illustrierte Zeitung^' brachte
eine Abbildung des Zentraltheaters zu Chemnitz in
Nr. 3148.
35
einige Namen von ihren Baukünstlem führe
ich an: Wilhelm Lippold, Ernst Fleischer, ferner
F. R. Voretzsch, den Erbauer des neuen Dianas
bades auf der Bürgerwiese, Schilling & Gräbner,
welche das Gebäude der sächsischen Handels^
bank und die Villa Gerhard Hauptmann in
Blase witz entworfen haben; auch Rose und
Roehle erfinden neue Formen*
In jüngster Zeit hat in Karlsruhe Her«^
mann Billing neuen Schwung in die Erfindung
von Bauten und Inneneinrichtungen gebracht/
während andere Strömungen wieder um her^
gebrachte Stile herumstreichen* Zu den Ver*^
tretern neuer Erfindung gehören auch Malle*^
brein, Curjel Sc Moser, Rauschenberg, Franz
Wolff.*)
München ist zwar wie früher hauptsäch^
lieh Malerstadt, doch gebührt ihr auch auf dem
Felde der Architektur und des Kunstgewerbes
ein hervorragender Platz» Dort reformierten
Hermann Obrist und Bernhard Pankok (seither
nach Stuttgart verzogen), dort schaffen Martin
Dülfer, J. Lang, die Gebrüder Rank, Hocheder,
Karl Bertsch, W. v* Beckerath, Thiersch,
R, Riemerschmied, H. E» v» Berlepsch^Valendas,
*) Vgl. ,,Neue Architektur*' (Verlag Wolf rum & Cie.)
und Wilhelm Rehme ,,Die Architektur der neuen freien
Schule«.
3*
36
Heilmann, Littmann, Bruno PauL Otto Eck«^
mann, hat dort gleichfalls eine Zeitlang an
der Bresche gestanden* Gabriel Seidl bildet eine
neuartige originelle Romantik aus/ die häufig
an die Gestaltungen der deutschen Renaissance
anknüpft (Nationalmuseum, neues Künstler^
haus, Bauten in der Pariser Weltausstellung
i90o). Sein jüngerer Bruder Emanuel baut
eben das neue Haus der Galerie Heiner
mann* Höchst eigenartig ist der Bau der neuen
Börse, der im Kranzgesimse ägyptisiert, und
in der Kombination alter und modemer Motive
ist auch der Bau der bayrischen Handelsbank
von Interesse* In der äußeren Prinzregenten*^
Straße entstehen ebenfalls mehrere große Wohn^
häuser im sogenannten Jugendstil, der auch in
den Innenräumen des Prinzregenten^Theaters
vorherrscht* An das Geschäftshaus der „AUge^
meinen Zeitung'' (Beyerstraße) sei erinnert,
das M* Dülfer in phantasievoller Weise ent^
worfen hat« Daß viele alte Stile in München
wieder benützt werden, ist uns schon aus früheren
Erörterungen bekannt geworden*"^)
*) Vgl. ^Blätter für Architektur und Kunsthand^
werk*' XVI^ Taf. 8 und 80, das eben genannte Werk von
Rehme, femer ,^Kunst und Handwerk'^ (die ^^Zeitschrift
des bayrischen Kunstgewerbevereins^^)^ die ^^Deutsche
Bauzeitung'^ 1903, ,,Neue Architektur^, auch „Über Land
und Meer'< vom Juni 1900 (S. 617), Nr. 38.
37
In Prag findet neueste Architektur, mit
allem, was daran hängt, eine temperamentvolle
Pflege, und an vielen Stellen ragen unfern von
prächtigen alten Barockbauten ganz glänzende
Produkte neuester Baukunst empor« Bis vor
kurzem wirkte dort Ohmann« Außerdem wären
zu nennen Alois Dryak, Jii4 Justich, B« Bendel«^
mayer, Anton Pfeiffer, Jan Kot^ra und seine
Schule.*)
Überaus bunt ist das Stilgewirre in Straße
bürg. Die Männer neuester Erfindung heißen
Berninger und Krafft Von ihnen ist das prächtige
Warenhaus J. L. Erlenbach erfunden, und die^
selben Architekten bauten in Straßburg das
Haus der Geislinger Metallwarenfabrik, die
Geschäftshäuser Manrique und Robert, sowie
die Villa Schützenberger. Die Tätigkeit von
Berninger und Krafft reicht auch über ihre Vater^
Stadt hinaus, und zu ihren Bauten außerhalb
Straßburgs gehört auch das große Warenhaus
Schmoller in Frankfurt a. M. Zahlreiche Straß«^
burger Bauten von anderen modernen Archi*^
tekten, die sich mehr oder weniger an alte
Vorbilder hielten, sind oben erwähnt worden.
Ganze Kapitel aus der Geschichte alter Bau^
*) Hierzu die Zeitschrift „Voln^ smgry^ und die
Publikation ,Jan Kot^ra, Meine und meiner SchiUer
Arbeiten 1898— 1901'^ (Wien» SdiroU).
i
38
kunst klingen an in diesen Neubauten* Manches
ist halb alt, halb neu in der Erfindung, wie
die neue höhere städtische Mädchenschule"^)
und das Haus des Straßburger Männergesangs^
Vereines.
In den großen nordischen Städten Kopen«^
hagen und Stockholm bemerkt der Fremde
mehr als der Einheimische deutlichste Spuren
einer wahren Sehnsucht nach den Formen des
Südens. Die meisten neuen Bauten/ die sich
auch durch eine höchst solide Konstruktion
und durch bestes Material auszeichnen, lassen
irgend eine Verwandtschaft mit italienischen
Bauten erkennen* Daß auch alte nationale
Bauformen nachwirken, ist selbstverständlich*
Zu den Eigenartigen gehören F* Boberg (nebst^
bei bemerkt der Erbauer des schwedischen
Pavillons der Pariser Weltausstellung) und
Ludwig Peterson***) Gustav Wickmann baut
*) Diese Schule und einige andere Straßburger
Neubauten u. a. abgebildet bei F. F. Leitschuh ^^Straß^
burg^^ (Nr. i8 der: Berühmte Kunststätten). Vgl. auch
A. Kochs ^^Academy Architecture and architectural
Review'^
**) In jüngster Zeit hat Schweden eine Architektur^
Zeitschrift erhalten ^^Architektur och dekorativ Konst^^
Vgl. auch H. Pudor ^Die moderne bildende Kunst in
Schweden^ (erschienen in H. Heibings Monatsberichten
über Kunstwissenschaft und Kunsthandel Bd. II). Für
39
in neuester Art, was auch von den Gotenburger
Architekten Y« Rasmussen, Hans Hedlung und
Karl Fahlström gilt. Im ganzen muß man aber
sagen, daß im Norden noch heute viel mehr
eine Anlehnung an gute alte Muster vorherrscht,
als ein freies Erfinden« Auch mancherlei Stil^
Vermischung ist zu beobachten« Romanische
Portale sind nicht selten. In Malmö fand ich
ein solches sogar an einer kleinen Tabakfabrik.
Deutsch «^gotische Türen und Fenster werden
oft bemerkt Am häufigsten begegnete ich süd^
liehen Stilarten, nicht zuletzt italienischer Hoch^^
renaissance, wie sie auch Aron Johansson, der
Stockholmer Wallot, der Erbauer des Schwedin
sehen Reichstagsgebäudes, anwendet (der Bau
ist noch nicht vollendet). Qasons Hinneigen
zu spanischer Spätgotik und Renaissance fand
schon oben Erwähnung. In der Decke des neuen
eine Ergänzung meiner Reisenotizen bin ich Herrn Dr.
John Kruse zu Dank verpflichtet. Beim Studium der
soliden schwedischen Bauwerke wird man in ange«»
nehmer Weise dadurch gefördert» dafi viele Jahreszahlen
tragen und damit langes Nachforschen nach ihrer BnU
stehungszeit überflüssig machen. Sehr wertvoll ist John
Kruses Künstler^^Lezikon für das moderne Schweden»
das 1901 erschienen ist: „Arlntzkttr, Bildhuggare» Mk^
lare» Tecknare» Grafiker» Mönsterritare och Kunstindu«'
strialister^« Zu vgl. auch die jüngsten Jahrgänge von
»»Academy architecture'^ Besonders 1900» II» S« loi ff.
j
40
nordischen Museums verbindet er höchst originell
und geschickt mittlere Oberlichtöffnungen mit
seitlich angebrachtenKreuzgewölben* Die Fassade
könnte zur Spätgotik gerechnet werden.
In Finnland war Lars Sonck ein kräftiger
Anreger und seine Schüler Eliel Saarinen, Lind^
gren und Geselius werden gleichfalls als Neuerer
genannt. Hie und da lehnen sie sich an alt^
nordische Vorbilder an.*)
Italien hat wenigstens in der Baukunst
lange den neuen Stilen Widerstand geleistet,
doch bewiesen die phantasievoUen Gestaltungen
von D'Aronco und Rigotti auf der Turiner
Ausstellung von 1902, daß nunmehr die stili^
stische Grenzsperrung aufgehoben ist. Was
Skulptur und Malerei betrifft, sind seit lange
alle Pforten für Neuerungen offen. Ich habe
bei meinen Reisen einige Jahre hindurch Italien
nur wenig berücksichtigt und äußere mich
deshalb nur mit wenigen Worten.
In England begann die neue Bewegung
im Bauen und Ausstatten etwa mit William
Morris und zwar mit einem kräftigen Wieder^
anfachen des Gotisierens, das in England
niemals ganz ausgekühlt war. Kann man Morris
doch als Schüler des Gotikers Street ansehen.
*) Vgl. ^.Deutsche Kunst und Dekoration^' vom
Oktober 1903.
Seine umfassende Begabung ließ ihn bald
weit ausgreifen und nach und nach ver^
dankten ihm nahezu alle Fächer und Winkel
des Kunstgewerbes einschließlich der Weberei
wichtige Anregungen« Er drang auf vorzügliches
Material, Sauberkeit der Ausführung, einfache
verständliche Ornamentik, die allerdings sich
gewöhnlich im Kreise der Gotik bewegt« Das
Figurenwerk wurde meist von Burne^Jones ge^
zeichnet, dessen Name von der Morrisbewegung
unzertrennlich ist. Morris nützte seine Talente
auch geschäftlich aus (seit 1861), wie es später
die englischen Kunstgilden taten, Ashbees ^Guild
of Handicraft"" in London, Dixons „Birmingham
Guild of Handicraff" und seit 1883 „The art
workers guild'' •'^) Charles Ashbee ist für England
*) Zu Morris vgl. hauptsächlich Aymer Vallance:
„William Morris, his art, writings and public life""
1898 (reich illustriert), G. Swarzenski „William Morris
und die Entwicklung des modernen dekorativen Stils
in England"" (Artikel in der Zeitschrift „Neue deutsche
Rundschau, der freien Bühne neunter Jahrgang"" (Februar
1898). Zur vorübergehenden Verbindung des William
Morris mit den Prärafalliten siehe Percy H. Bäte „The
english pre^^Raphaelite^^painters"" (1899)» S. 79 f* und
S. 104, zu beachten auch die Prager Zeitschrift „Voln^
Smöry"" und H. v. d. Velde „Kunstgewerbliche Laien«'
predigten"" (1902), S. 75 ff» sowie mehrere Arbeiten von
H. Muthesius. — Zur modernen englischen Architektur
1
42
ungefähr das, was Otto Wagner für Österreich
bedeutet, ein eigenartiger Baukünstler, der
wesentlichen Einfluß auf den Innenschmuck
seiner und fremder Bauten genommen hat Nur
scheint mir eines sicher, daß Otto Wagners
Innenräume viel mehr unserem Wohlbehagen
entsprechen als die Einrichtungen Ashbees*
Neben Ashbee wirkt in England und Schott^
land eine ganze Legion von Baukünstlern und
Kunstgewerblernderverschiedensten Richtungen.
Auch reaktionäre Geister fehlen nicht, aber
kaum irgendwo hat sich — zumeist in der
Formung von Möbeln — ein so eigensinniges
Haschen nach ungewöhnlichen Formen und
Farben gezeigt^ wie bei den Briten. Der Schotte
Mackintosh baut gefährlich scharfkantige oft
nahezu lebensgefährlich gestaltete Möbel aus
Brettchen und Stäben, die jede Gemütlichkeit
aus den Räumen bannen, wo sie stehen. E. A.
Taylor in Glasgow gehört derselben Richtung
vgl. u. a. Seemanns Kunstchronik N. F. XII, Nr. 29»
und die darin besprochene Literatur. Mit englischem
Kunsthandwerk beschäftigte sich wiederholt die reich
illustrierte Zeitschrift des Österreichischen Museums für
Kunst und Industrie „Kunst und Kunsthandwerk^^ Bd. V,
S. 591 ff., handelt von der „Guild of handicraft"^. Möbel
von Ashbee und Mackintosh waren in der Wiener
„Sezession'^ ausgestellt und erregten in der Tagespresse
ein heftiges dafür und dawider.
43
an«*^) Andere Unbequemlichkeiten sind ver^
körpert in den Möbeln des sogenannten Mis^
sionsstils von Jos. P. Mc Hughs, die auf der
Ausstellung in Buffalo zu sehen waren und
mir durch Abbildungen bekannt sind« Sie
benützen einige unzweckmäßige Motive von
alten spanischen, holländischen und englischen
Möbeln. Manches daran ist auch behäbig, kräftig,
derb praktisch.**)
Was die üppige und reiche Entwicklung
der neuesten eigentlichen Baukunst in Eng*^
land betrifft, so muß ich auf die Literatur
besonders auf das große Werk von H. Mu^
thesius***^) verweisen, da ich Eigenes nicht
bieten kann. Ich habe etwa zehn Jahre lang
den englischen Boden nicht betreten.
*) Vgl. u. a. „Deutsche Kunst und Dekoration''
vom September 1902» sowie die Literatur über die
VIII. Wiener Sezessionsausstellung.
Manche kunstgewerbliche Leistung von Ch. R.
Mackintosh ist indes gewiß fesselnd oder mindestens
in allgemeinem Sinne interessant durch merkwürdige
Linienführung und eigenartiges Stilisieren, so z. B. der
Mappenband für „Deutsche Kunst und Dekoration''.
**) Hierzu „Kunst und Kunsthandwerk" Bd. V.
***) H. Muthesius: „Die englische Baukunst der Ge*
genwart", Leipzig 1900, FoL Vieles auch in AI. Kochs
„Academy architecture" und in „Moderne Städte^
büder" (III).
44
Die Niederlande beteiligen sich lebhaft
an dem neuen Streben nach eigenartiger Er^
findung, im Süden besonders Brüssel und Ant^
werpen, im Norden Amsterdam, Rotterdam*
In der holländischen Hauptstadt hat vielleicht
H* P. Berlage am meisten als Sauerteig ge^
wirkt* Neuen Formen huldigen auch Th. San^
ders, J» und C* Verheul, Jos. Herman, einiger^
maßen auch Ed* Cuypers* Auf dem Gebiet
der Innendekoration bringen Sluytermann,
Lion Cachet, Nieuwenhuis^ Dysselhof und
Molkenboer stets Neues. Rotterdam hat seinen
J. P* Stok, Van Goor und Hooykaas en Son.
In Brüssel ist die Revolution im Bauen
eine besonders auffallende. Paul Hankar (nun^
mehr tot) und Viktor Horta scheinen denAn^
fang gemacht zu haben, undnun sind ganze Reihen
von Architekten des neuesten Glaubensbekennt^
nisses zu nennen: A. v. Waesberghe, E. Blerot,
Alb. Chambon, Max Blieck, G. Delcoigne, A.
Eul, G. Höbe, Gh. Patris, E. Pelsener, Dam^
man, womit nur Andeutungen gemacht sind.
In Antwerpen bauen in neuer Art Aver^
becke und W. Diehl, Cools und Leferre, Art.
de Walle, J. Hofman, Van den Bossche und
E. Stordiau.*)
*) Vgl. „Deutsche Kunst und Dekoration'', II. Jahr^
gang, 1899, Septemberheft, „L'art d^coratiP, Nov. 1900
45
Wie viele große und kleine Städte wären
noch zu besuchen! In Köln, Düsseldorf, in
Hamburg, Budapest z« B. hat das freie Schaffen
Wurzel gefaßt und wie ich aus den Büchern et^
fahre, auch in vielen amerikanischen Städten.
Aber es seien der Beispiele nun genug.
An einen abschließenden Überblick ist bei
Bewegungen, die sich noch vor unseren Augen
vollziehen, gewiß nicht zu denken. Trotzdem
läßt sich Einiges feststellen, z. B. daß es sich
heute in der Baukunst und im Kunstgewerbe
sicher nicht um einen einzigen Stil han«^
delt, den man etwa, an die Kunstentwicklung
(S. 73 ff*)» ttThe Studio'^ vom 15. April 1901» femer
„Onze Kunst""» Jahr II» und ,»Ober Land und Meer"%
1903» Nr. 40. Zahlreiche Abbildungen modemer Bauwerke
in Amsterdam» Antwerpen» Brüssel» Rotterdam sind in
dem Werk von Rehme zu finden» anderes in der II. Ab«'
teilung der »»Modernen Städtebilder"". Vieles in der Litera^
tur über die Pariser Weltausstellung von 1900 (beson^
ders über den Architekten J. Mutters und den Dekora«'
teur Sluytermann aus Holland). Zur belgischen jungen
Baukunst lesenswert H. Fierens^Gevaerts »»Nouveauz
essais sur Tart contemporain"" (1903)* Zu Hankar und
Horta auch »»The magazin of art^ 1901» S. 271 ff. Ber^
lages neues Börsengebäude in Amsterdam ist u« a. ab«'
gebildet in der Zeitschrift »»Für alle Welt'S 1903» S. 642.
Zu Berlages Gebäude der Diamantenarbeiter in Amster^
dam vgl. auch »»Kunst und Kunsthandwerk^» IV.
S. 531 u. 552 fiF. auch zu J. Stuyt und Ed. Cuypers.
46
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts anküpfend
Stil fin de siecle^ Sezessionsstil, oder den
Blick ins laufende Jahrhundert kehrend, Jugend^
Stil im Ernste nennen dürfte. Ebensowenig, als
wir beim neuerungssüchtigen Baukünstler dafür
einstehen können, daß er nicht in alten Tagen
wieder die alten Stile in den Sinn bekommen,
daß er nicht morgen schon irgend eine über«^
raschende neue Phase seines Schaffens erkennen
lassen wird, ebensowenig wird man die Summe
allen modernen Kunstwirkens mit einem
Schlagworte abfertigen können. Verallge^
meinerungen sind wohl allerwärts gefähr«^
liehe Schlüsse, aber in bezug auf die wer«^
dende Kunst des 20. Jahrhunderts ohne Zweifel
ganz besonders heimtückisch. Die Mannig^
faltigkeit des modernen Schaffens ist
so groß, das Wirken des Einzelnen noch
so unbestimmt begrenzt, daß man jedenfalls
davon absehen wird, Charakteristiken des Ent^
stehenden festlegen zu wollen. Einzelne Beob«^
achtungen werden notiert und man versucht sie
in Gruppen zu bringen; vorsichtige Schlüsse
werden angereiht. W. Rehme betont in seinem
Werke über „Die Architektur der neuen freien
Schule^ ausdrücklich, daß man von Seiten der
jungen modernen Architekten keinen einheit^
liehen Stil anstrebt, sondern in echt moderner
47
Weise der Individualität ihre Rechte läßt Jeder,
falls er Talent genug besitzt, soll sich seinen
eigenen Baustil finden. Ich überlasse es also
späteren Zeiten, das Gemeinsame herauszu^
suchen, das übrigens denn doch ohne jeden
Zweifel gewisse Gruppen moderner Baukünstler
verbindet, und weise vorläufig nur darauf hin,
daß von den Vorkämpfern jeder redlich bemüht
ist, eigenartig zu schaffen. Schweigen wir
diesmal von den Nachtretern, die ja — leider —
auch schon allerwärts nur so aus dem Boden
wachsen.
Man hat eine etwas schroffe Abgrenzung
aufgestellt zwischen den nachahmenden und
neu erfindenden Architekten. Ich möchte keine
feste Einteilung auf dieser Grundlage aufbauen.
Denn allerwärts sehe ich unzählige Übergänge
und Abstufungen. Vollkommene Originalität
wird nie erreicht, wie etwa die Hyperbellinie
niemals ihre imaginäre Achse berührt Allere
wärts hängen wir mit dem Gewesenen zu<
sammen, und auch das berechtigte Ringen nach
neuen Ausdrucksweisen in der Ktmst ist keine
Neuigkeit Die Künstler weisen allerdings derlei
Gedanken als unwürdige Zumutungen zumeist
zurück — mit Empörung. In der Freude des
Schaffens und im bestimmten Bewußtsein, Et^
was geleistet zu haben, vergessen sie, wie un<
48
geheuer viel sie von ihren künstlerischen Vor^
fahren überkommen haben« Die impulsive Natur
des Künstlers wird sich schwer dazu verstehen^
anzunehmen^ daß jeder Strich^ den er hinsetzt^
jeder Bogen^ jede Wand^ die er errichten läßt^
bedingt ist^ von außen durch den Zwang der
Eindrücke^ die vorhergegangen sind^ von innen
durch vererbte Eigentümlichkeiten.*^) Damit^
daß wir vor solchen Erkenntnissen die Augen
verschließen^ ist noch nichts für die Originalität
gewonnen. Es kommt ja nicht darauf an^ daß
Einer sich der individualisierenden Bewegung
anschließt und vielleicht unrichtigerweise be^
hauptet^ er schaffe originell; sondern darauf^
daß ruhige Betrachter sein Schaffen wirklich
eigenartig finden. Da beginnt denn schon manche
Meinungsverschiedenheit. Die reine Nachahmung
alter Stile ist selten genug. Denn die räumlichen
und örtlichen Bedingungen eines Neubaues
drängen gewöhnlich schon zu irgend welcher
neuen Erfindung hin. Doch sei zugestanden^
daß es ein Anderes ist, ob sich ein Künstler
alle Mühe gibt, nichts von älteren Stilen zu
entlehnen, oder, ob er nach seinem erklärten
Programm nur die alten Vorbilder gelten läßt.
*) Treu in seiner Arbeit über C. Meunier (S. 3)
klagt, unsere Zeit sei» fftnit der Erbschaft aller ver^
flossenen Jahrhunderte belastet''.
49
EineErscheinung, die ich im Zusammenhange
mit der neuesten Baukunst berühren möchte und
die uns zur Bildhauerei hinüberleitet, ist die un^
gewöhnlich große Anzahl kolossaler
Monumente, besonders in Deutschland.*^)
Vom Altertum vorgebildet, hatten Riesen^
figuren zwar auch im Laufe des 19. Jahrhunderts
hie und da einige Vertreter gefunden (z. B.
durch die Schwanthalersche Bavaria in München
und das Zumbuschsche Kaiserin Maria Theresia^
Denkmal in Wien), aber eine solche Häufung
massiger Nationaldenkmäler, wie sie um 1900
in deutschen Landen auftrat, bleibt doch etwas
Auffälliges. Der Bavaria wurde ein National^
denkmal auf dem Niederwald und in Berlin
eine Berolina entgegengesetzt Die Abmessungen
der Kaiser Wilhelm^Denkmäler wurden fast
allerwärts größer gewählt, als es sonst bei Reiter^
figuren gebräuchlich war, voran beim Begast
sehen Wilhelms^Monument vor dem Berliner
Schlosse, nicht zuletzt beim Schillingschen in
Hamburg und bei der Wilhelms^Figur auf dem
Kyffhäuser. Die Architektur dieses Riesendenk^
mals von Bruno Schmitz wurde schon oben
*) Die „Monumentenwut'^ wurde schon 1900 auf
1901 durch W. Bode gestreift in dem Büchlein ,,Kunst
und Kunstgewerbe am Ende des 19* Jahrhunderts'^
(S. 158 und 161).
50
erwähnt. Als Plastiker haben daran E. Hund^
rieser und Nikolaus Geiger mitgewirkt. Zittau
lieh massig aufgebaut ist das Schmitzsche Wil«^
helm'^Denkmal zu Halle und wahrhaft imposant
beherrscht das Kaiser Wilhelm «^ Denkmal zu
Koblenz die ganze Umgebung. An einem der
zahlreichen Bismarck'^Denkmäler hat die au&
gemauerte Sitzfigur etwa zwanzigfache Lebens^
große. Die massigen Formen der Bismarck'^
Säulen sind fast in allen Fällen auf Fernwir*-
kung berechnet, so die Kölner, deren Figur
eben charakterisiert wurde (dieses Denkmal
wurde erst am 21. Juni 1903 eingeweiht, es ist
ein Werk des Architekten Arnold Hartmann)»
ebenso die etwas plumpe Säule bei Friedrichs^'
ruh (ohne Bismarck^-Figur von W. Kreis ent^
worfen), ferner das Bismarck^'Denkmal im Riesen«'
gebirge und das auf der Asse im Herzogtum
Braunschweig, auch der Bismarck-'Turm auf dem
Ettersberge bei Weimar und das Bismarck'^Denk'^
mal auf dem Knivsberg in Nordschleswig (vom
Baumeister Möller aus Berlin). Durch deutliche
Anklänge an die Igeler Säule bei Trier ist der
Bismarck-'Turm am Starnberger See ausgezeich"
net (Th. Fischer, J. Floßmann und J. Zwisler
sind als Schöpfer zu nennen). Kaum zu über'-
sehen dürfte das große Denkmal sein, für Kaiser
Wilhelm, Bismarck und Moltke in Halle an
51
der Saale errichtet. Die Architektur geht auf
Entwürfe von Bruno Schmitz zurück» die Skulp<
turen stammen von Peter Breuer. Der Entwurf
eines riesigen Bismarck^Roland» vom Bildhauer
Lederer und Architekten Schaudt für Hamburg
hergestellt^ist mir durch die guten Abbildungen im
„Jahrbuch der bildenden Ktmsf' von W. v. Seidlitz
und Martersteig (1903) und in dem Buche ,,Die
Kunst des Jahres 1902'' (München» Bruckmanns
Verlag) bekannt. Wohl kann in diesem Zusam<
menhange auch die Massenentfaltung akademi<
scher Kunst berührt werden, die in den ausge^
dehnten Skulpturenanlagen der Siegesallee im
Berliner Tiergarten dem Kunstfreunde zu
denken gibt
Zu den großräumigen Erzeugnissen neuester
deutscher Kunst gehört ferner das wohl ge<
gliederte und gut silhouettierte Burschenschafts^
denkmal bei Eisenach, erbaut vom Dresdener
Architekten Wilhelm Kreis.
In neuester Zeit sind noch mehrere Riesen^
denkmäler vollendet worden, so in Danzig ein
Kaiser Wilhelm^^Denkmal (vom Berliner Bild^
hauer Eugen Börmel) und das Kaiser Friedrich^
Denkmal in Köln (von Peter Breuer).*^)
*) Vgl. „Deutsche Bauzeitung'^ vom 18. April 1903
und J. J. Webers ^illustrierte Zeitung*' vom i. Mai 1903
(Nr. 3070). — Vom Denkmal in Halle handelt die
52
In Frankreich gelten derlei Denkmäler als
barbarischer Ausdruck eines unverhüllten Chau^
vinismus und man muß eingestehen, daß Jules
Dalous „Triomphe de la republique'' (auf der
neuen Place de la nation), wiewohl ebenfalls
chauvinistisch angehaucht, doch an Eleganz so
ziemlich alle großen Denkmäler schlägt, die
gegen 1900 irgendwo enthüllt worden sind.
Dalous Kunst bildet einen glänzenden Abschluß
der älteren trefflichen idealistischen Richtung,
die aus der edelsten Antike, was Bewegungs^
ausdruck betrifft, ein wenig aus der Barocke (man
denke an das Delacroix'^Denkmal) und aus der
gesund geformten Natur ihre Anregungen ge^
schöpft hat. Ich schätze Dalous Triumph der
französischen Republik viel höher als das so
auffallende Riesendenkmal auf der Place de la
bastille, auch höher als das Gambetta^Denkmal
auf der Place du caroussel nahe beim Louvre.
Von hohem Kunstwert sind auch die riesigen
Figuren von George Recipon, die in Kupfer
getrieben wurden und als Dekoration des Grand
Palais des beaux arts der jüngsten Pariser Welt-
ausstellung modelliert sind.*)
, illustrierte Welt'* vom Oktober 1901; mehrere andere
sind im Laufe der jüngsten Jahre in den schon ge^
nannten illustrierten Zeitungen abgebildet gewesen.
*) Das Treiben in Kupfer wird jetzt vielmals gc^
übt, nicht nur für Reliefs und kunstgewerbliche Ge-
53
Auch in Deutschland sind einige Monu<
mente entstanden oder zur Ausführung bestimmt
worden, die mehr Gewicht auf das Künstlerische
als auf das Patriotische legen« Dabei denke ich
an Hildebrands Reinhardsbrunnen in Straße
bürg und an Wrbas Stadtbrtumen in Nord*'
lingen.*^) Das Goethe^^Denkmal in Wien ist ein
gelungenes Werk Ed. Hellmers« Was die jüngsten
Jahre an kleinen Monumenten in ungezählten
Städtchen haben entstehen gesehen, bleibt vor<
läufig unüberblickbar. So rasch man auch heute
einen ,,Tour du monde"" in großen Linien abtun
kann (Jules Vernes Tour du monde en quatre^
vingt jours ist ja längst überboten), so schwierig
ist es, die kleinere Produktion, fern von den
großen Kunststädten, zu überschauen. Daß unge^
Brauchsgegenstände, sondern auch für große Plastik.
Ich erinnere an Hundriesers Kaiser Wilhelm^Denkmal
am nl^eutschen Eck'^ bei Koblenz, an Türpes (des
Schaper^Schülers) neuen Brunnen in Altona, femer an
die Figuren von Wojtowicz und Podgorski für das
Nationaltheater in Lemberg und an den plastischen
Schmuck des Rathauses zu Elberfeld (Heinrich Günther^
Gera hat ihn modelliert). Vgl. Zeitschrift des öster^
reichischen Ingenieur^ und Architektenvereins 1901,
S. 3 ff*» ferner die Wiener „Architekten^ und Baumeister^
Zeitung'* (IX., Nr. 43) und J. J. Webers ..Illustrierte
Zeitung^* Nr. 3044*
*) Beide abgebildet im genannten .Jahrbuch der
bildenden Kunst^.
54
zählte neue Denkmäler in aller Welt enthüllt
werden, liest man in den Zeitungen. Wer kennt
aber diese neue Kunst alle so genau, um sie
in eine kritische Erörterung miteinbeziehen zu
können? Wenn ich als elegantes, schlicht ge^
haltenes Kunstwerk das Hellmersche Denkmal
für Kaiserin Elisabeth in Salzburg hervorhebe,
das Hildebrandsche BrahmS'^Denkmal in Meinin«'
gen nenne, an den posthumen köstlichen kleinen
Tilgnerbrunnen in Wien und das Tilgnersche
Monument für Ant. Brückner (mit Nebenfigur
von Zerritsch) erinnere und auf das neue Ada^
bert Stifter'^Denkmal in Linz a. d. Donau von
Rathausky aufmerksam mache, so mag man
den Willen fürs Werk nehmen. In den fran-^
zösischen Provinzstädten, in Italien ist vieles
für das Thema der modernsten Monumente zu
holen, doch kann man nicht überall gerade
gestern gewesen sein.^
Wie in der modernen Baukunst, so wogt
auch in der heutigen Bildhauerei Nachahmung,
Nachempfindung, freies Schaffen und Erfinden
verschiedenster Art in verwickelter Weise durchs
einander, ja weil es in der Natur der Plastik
l^^gt» gibt es da noch vielerlei Komplikationen,
die durch das engere Verhältnis zur Natur ge^
geben sind. Die neueste Plastik kennt rück«^
sichtslosen Naturalismus und erdenentrückten
55
Idealismus, sowie alles, was etwa dazwischen
liegen kann. Nahezu jede Art der Oberflächen^
behandlung wird an modernen Plastiken vor^
gefunden: spiegelnde Glätte, bruchflächenartige
Rauheit oder genaue Wiedergabe jeder Finger^
arbeit am Tonmodell im endgültigen Bronze^
abguß. *) Auf Farbigkeit ging vor Jahren Viktor
Tilgner los. Später, 1885, gab eine Ausstellung
farbiger Bildwerke in der Berliner National«'
galerie viele Anregung, die wohl lange nach^
gewirkt hat In neuester Zeit ist Max Klinge r
der bedeutendste Bildner, der seinen Figuren
Farbe verleiht**) und das in der Weise, daß
*) Die moderne Plastik ist leichter zu überschauen^
als die Architektur, und ich gehe deshalb hier weniger
auf einzelne Literatur ein. Von großen Monumenten
abgesehen, werden heute Bildhauerwerke auch auf
große Entfernungen versendet, so daß in den Ausstel^
lungen viel Lehrreiches zu finden ist, wie man deren
so viele in allen großen Kunststätten veranstaltet.
Wichtige Studienorte für neue Bildhauerei sind die
herrliche Jacobsensche Glyptothek in Kopenhagen, die
Berliner Nationalgalerie und das Mus^e du Luzem«^
bourg zu Paris. — Zu den einzelnen, im Text erwähnten
Kunstwerken wird einige Literatur beigebracht. Im
übrigen verweise ich auf den Anhang „Zur Literatur^^
**) Eine mehr realistische Polychromierung wird
durch Arthur Straßer und Rudolf Mais on gelegentlich
gepflegt. Noch nenne ich den in England schaffenden
Alfred Gilbert als einen Freund farbiger Bildnerei.
VgL „Kunst und Kunsthandwerk*^ V. S. 574 (Konody^:
56
er echtes farbiges Material benützt. Sein
thronender Beethoven, ein wahrer Zankapfel in
der modernsten Kunst, ein Werk, über das so
und so viele Studien, Artikel und Bücher gc^
schrieben worden sind, kann als Typus dieser
farbigen Bildnerei dienen und seine Salome
gehört zu den bekanntesten Werken neuer
farbiger Pastik. iClinger ist zugleich ein Ver*-
treter des Nackten in der Kunst, gleich dem
geistesverwandten Otto Greiner, der übrigens
vorläufig als Künstler des Griffels zu verzeich''
nen ist. Sie bilden ein wirksames Gegengewicht
gegen gewisse fad'^prüde ästhetische Kund^
gebungen, die nur die bekleidete Gestalt dar^
gestellt wissen wollen. Klingers Plastik, von
seinen Gemälden hören wir noch, behält zwar
stets engste Fühlung mit der Natur, ist aber
weder naturalistisch, noch realistisch in gewöhn«'
lichem Sinne. Mit einem Schlagwort ist sie
überhaupt nicht zu charakterisieren, und jedes
Klingersche Werk hat noch durch eine be^
sondere Eigenart überrascht. Einstweilen ist der
Künstler weit von jedem Manierismus entfernt.
Nicht gerade manieristisch, doch immerhin
Des Wieners Zinslers Erfindung geht vorläufig eben^
falls auf Farbigkeit los. In der Ausstellung der Mün^
chener Sezession von 1903 war eine farbige Statuette
Diana zu finden, die Georg Römer modelliert hatte.
57
gleichmäßiger in seinem Stil ist Konstantin
M e u ni e r, der Meister in der Darstellung schwerer
körperlicher Arbeit oder tiefsten Seelen.^
Schmerzes« An Kühnheit und Freiheit der
Modellierung wetteifert er mit einem Trou^
beckoy, der unvergleichlich charakterisiert und
individualisiert, deshalb auch im Porträt Vor<
zügliches leistet Im Skizzenhaften höchst cha^
rakteristisch ist Medardo Rosso> der seine Köpfe
meist so modelliert^ wie sie ihm bei einer be^
stimmten Beleuchtung erscheinen und dessen
Plastiken auch dann nur ihre volle Wirkung
tun, wenn sie sich ungefähr in derselben
Lagerung befinden, für die sie berechnet sind«
Die gewöhnliche vollrunde Plastik als drei
dimensionale Kunst gilt für Rosso als banaL
Jedenfalls ist er mehr für das Relief begabt,
das sich in manchem Sinne der Malerei nähert*
Rossos Plastik ist wohl deshalb auch als
plastischer Impressionismus bezeichnet worden,
ich meine nur mit halbem Recht, da Rosso doch
immerhin vollrund modelliert und damit sich
den Gesetzen der drei Dimensionen unterwirft.
Der eigentliche Impressionismus bleibt der
Malerei vorbehalten. Auguste Rodin ist viel<^
leicht der geistreichste Virtuose, der je modelliert
hat. Schwierigkeiten der Technik scheint es für
ihn nicht zu geben, ob er nun ein Bildnis formt
58
oder die Gestalten seiner Phantasie verwirklicht.
Er Versteht es ebenso^ die herben Züge eines
verwitterten Antlitzes mit unerbittlicher Treffe
Sicherheit aufzubauen, wie unter seiner Hand
eine Marmorfigur, eine Gruppe das feinste
Linienspiel und geradewegs schwellendes weiches
Leben erhält. Rodins Weichheit ist eine andere
als die bei A. Hildebrand, der anders geartete
plumpere Modelle bevorzugt als Rodin und
dessen Formgebung sich mehr dem Stilisieren,
Verallgemeinern nähert. Beide^ Rodin undHilde*-
brand, haben etwas Sinnendes, durchschnittlich
ruhiges, wie sehr auch Rodin ungewöhnliche
Verschlingungen beherrscht. Daneben fallen,
andere Plastiker von Bedeutung auf, die ihr
Heil in der äußersten Anspannung übernährter
Muskeln suchen, z. B. Lambeaux, der ins
Plastische übersetzte Rubens und Wiertz, oder
im Ausdruck lebhaftester Bewegung. A. Querols
Entwürfe zum Denkmal Alphonsos XIL von
Spanien und andere seiner Arbeiten verraten
in ihren Konturen ein furchtbar lebhaftes Tem-^
perament. Bazzaro arbeitete gegen 1900 für den
Campo Santo zu Mailand ein figurenreiches
Denkmal, das aus der Entfernung aussieht wie
ein knorriger Baumstamm^ neben dem eine
menschliche Figur liegt, eine andere tanzt. Näher
betrachtet erweist sich der Baumstamm als Zu'^
59
sammenstellung mehrerer Figuren, die über^
einander aufgebaut sind (photographiert von
Luca Comerio in Mailand, danach abgebildet in
der Zeitschrift „La Domenica del corriere'' vom
November 1900). Auch Biondi, Emilio Bisi
und P* Rizzoli modellieren bewegte Figuren
(vgl. „The artist^' vom Jänner 1901), noch mehr
Mario Rutelli, dessen Najadenbrunnen in Rom
so viel Aufsehen gemacht hat. In Wien gehörte
Th. Friedl und gehört R. Weyr zu den
Bildhauern temperamentvoller Auffassung. In
Deutschland wäre etwa Rud. Maison her^
vorzuheben, in Frankreich beispielsweise AI''
fred Boucher und G. Recipon, wozu
im allgemeinen die Beobachtung mitgeteilt
sei, daß heute, wie in vergangenen Zeiten,
die romanischen Völker durchschnittlich viel
bewegtere Figuren formen, als die germanischen.
Übrigens verrät der Brite Adrian Jones in seiner
Quadriga viel Talent für lebhaften Ausdruck
und auch der amerikanische Bildhauer Roth
weiß in der Gruppe „Wagenrennen"* ein tolles
Jagen vollkommen darzustellen.*) Bei der ge^
Äugelten Figur von Gilbert, der für London
die „Shaftesbury memorial Fountain^' geschaffen
hat, kommt wieder in der nahezu schweben^
*) Abbildungen in „Kunst und Kunsthandwerk"
1902 und 1903.
60
den Bewegung das französische Blut zum Aus^
druck. Das spezifisch leichte Material Aluminium
erlaubte eine freieste Gestaltung.*)
Eine sinnvolle Bewegtheit fällt an den
großen Denkmälern und einigen kleineren Ar*^
beiten des Schweden Börjeson auf. Kein Ende
ist zu finden in der Aufzählung und Charakte«'
risierung neuer Plastik. Vornehmste abgeklärte
Ruhe bei Barth olome, feinfühlige Eleganz bei
Kund mann, der ja noch immer schafft, und
bei dem jüngeren Nordländer P. Hasselberg.
Der Däne Stephan Sinding scheint hauptsäch«^
lieh die Urkraft beim noch unverdorbenen Men<
schengeschlecht in Formen bringen zu wollen, hat
aber auch das gebrechlich e Alter der Kulturmensch^
heit trefflich charakterisiert, z. B. in der Holz^
Skulptur: die älteste des Geschlechts; blutleere
Askese bei einem George Minne, dessen Stil
nicht wenig durch spätmittelalterliche Holzplastik
bestimmt wird. Mit Minne verwandt ist der Däne
Vigeland und der Böhme F. Bilek muß gleich^
falls in diese Gruppe gerückt werden. Josef F 1 oß<^
mann scheint einmal durch assyrische Löwen be^
einflußt worden zu sein, fand aber bald einen
eigenen großartigen Stil. Weiche, groß gesehene
Formen fallen an den glatten Werken des
*) Abbildung in „The magazine of art" 1893» S. 395.
Die übrigen gegossenen Bestandteile dieses Brunnens sind
aus Bronze.
61
Italieners Pietro Canonica, an denen des
Deutschen Hahn tind des Belgiers PatilDubois
auf. Ein moderner französischer Stilist ist Paul
Dupont. Auf Van der Stappen hat der
warme Ton des Elfenbeins mit Silberglanz
daneben große Anziehungskraft ausgeübt.
Frampton liebt Silber. Mr. Konrad Dreßler
versteht sich wie keiner auf moderne Robbia^
arbeit. In der Holzplastik zeichnen sich Ignatz
Taschner in München, Klotz und seine Schule
(besonders Franz Barwig), ferner Luksch imd
der Virtuose Zelesny in Wien, Carabin in
Paris aus. Carabin ist eine Art Naturalist von
ungeheuerem Talent.
Mancherlei archaisierende Richtungen der
Plastik seien in aller Kürze angedeutet. Die An«'
regtmg durch antike Vorbilder zieht noch immer
weite Kreise; ist doch diese Anregung heute bei
dem schier unermeßlichen Vorrat an großen und
kleinen Skulpturen ungeheuer mannigfach. Bei
manchen klingt ägyptische Plastik an. Ein Bei^
spiel von leichtem assyrischen Einfluß wurde
oben gegeben. Das Mittelalter diente oft genug
als Anreger, wobei nochmals an die Ktmst
Minnes erinnert wird. In kleinen Figuren, hie
tmd da sogar in Standbildern zeigt sich ein
Versenken in die Art der deutschen Bildhauer
des frühen i6. Jahrhunderts. Das Standbild
j
62
Friedrichs des Weisen auf dem Marktplatz in
Buchholz (modelliert von Schreitmüller in
Dresden) und das Frundsbergdenkmal in Mindel^
heim (modelliert von Jakob Bradl) gehören
hierher. Quattrozentistisch zugeschnittene und
aufgefaßte Büsten fehlen seit mehreren Jahren
selten auf großen Ausstellungen, und in jüngster
Zeit hat Georg Roemer einen Putto a la Dona^^
tello ausgestellt, wie denn auch Hermann Hahn
in seiner Bremer Staatsmedaille ans Quattro^
cento anklingt. Italienische Hochrenaissance,
Barocke und Rokoko sehen sich verstanden
oder auch unverstanden. Eine ziemlich bösartige
Barocke wird nachgeahmt im Monument für
Bürgermeister Steubel zu Dresden; es ist ein
Werk, an dem übrigens künstlerisch bedeutende
Einzelheiten nicht zu verkennen sind. Moderne
italienische Bildhauer lieben es, ihre Büsten
ganz unregelmäßig, wie mit zufällig entstandenen
Bruchflächen, zu begrenzen und nennen solche
Werke ,,frammenti^. Rodins unbehauen ge^
bliebene Marmorstücke, neben denen glatt he^
handelte nackte Körper einen starken Gegen«'
satz bilden, sind allen Bewunderern des genialen
Künstlers wohl bekannt.
Von der neuesten Plastik in getriebenem
Kupfer war schon die Rede. Kleine Plastik in
verschiedenstem Material wird diesmal nur be^
63
rührt, desgleichen die Medaillenkunst, in Paris
hauptsächlich durch Ponscarme, in Wien durch
A. Scharif wiederbelebt und in vielen Kunst^
Städten heute emsig gepflegt. Die Kunst ge^*
schnittener Steine blüht in Frankreich wieder
auf. Glaserzeugtmg, Gefäßplastik, Weberei,
Stickerei, Gobelintechnik, Spitzenarbeit, Mosaik,
Goldschmiedektmst und was man sonst noch
nennen könnte, haben im Laufe der jüngsten
Lustren neue Bahnen eingeschlagen. Man neigt
darin meist zum Stilvollen und entfernt sich
absichtlich vom naturalistischen Zierwerk. Die
Reihen der Künstler, die auf diesen Gebieten
schaffen, sind zu lang, um hier mitgeteilt zu
werden. Man sehe doch nur die vielen Aus«'
Stellungen kunstgewerblicher Arbeiten an und lese
die Kunstzeitschriften in allen Kultursprachen.
In bezug auf Schmuck modernster Erfindung
sei beispielsweise auf einige wenige Namen von
Unternehmern und Künstlern hingewiesen, auf
Hermann Hirzel, Werner, Fritz Schumacher
in Deutschland, Ren^ Lalique, Gaillard, Bassard,
Jeannine Chenneviire, M. Orazi in Frankreich,
Ashbee, Dawson, Charle A. Rogers, Miß A. J.
Pool in England auf J. Hoffstätter, Kolo Moser,
Otto Prutscher, die Firma Rozet und Fisch-*
meister, die Gablonzer Fachschule, Frau Baronin
Myrbach in Österreich, und auf Wolfers Freres
64
in Brüssel. Ein hochmoderner ist auch Alex.
Fisher in seinen emaillierten Silberarbeiten.*)
Wir sind wieder mitten in das Künste
ge werbe geraten. Angedeutet wurde schon, daß
die Grenzen zwischen der sogenannten hohen
Kunst und der Kleinkunst verstrichen sind.
Berührte es 1873 ^^i der Wiener Weltausstellung
noch sonderbar, einen Maler (E. Veith) an der
Bemalung eines Klaviers **) beteiligt zu finden,
so staunen wir jetzt längst nicht mehr, wenn
sich die größten Künstler mit der Erfindung
kleiner Kunstgegenstände oder mit Entwürfen
für Innenschmuck abgeben. Deshalb mußte auch
in den Abschnitten über Architektur und Plastik
nicht selten auf Kunstgewerbe verschiedener
*) Vgl. u. a. „Art et ddcoration^ „Kunst und
Kunsthandwerk'^ 1900 S. 485» 1902, S. 440 f, 593 ff« J.
J. Webers „Illustrierte Zeitung'* Nr. 3033 vom 15. August
1901, „The artist'' vom April 1901, wie denn auch im
allgemeinen auf die zahlreichen anderen neuen Kunst^
Zeitschriften und Ausstellungskataloge verwiesen wird.
Die „Revue de la bijouterie, joaillerie orfivrerie'' sei im
allgemeinen erwähnt. Zu Alex. Fisher, vgl. „The
studio'' vom 15. Juni 1900. Als Ergänzung zu diesen
Angaben möge die Rubrik „Email, Goldschmiedekunst"
in der Bibliographie von „Kunst und Kunsthandwerk"
dienen.
**) Es war jahrelang im Besitz von M. Szeps in
Wien.
65
Art Rücksicht genommen werden. Viele Namen,
die schon genannt sind, beziehen sich auch auf
Möbelentwürfe, Gefaßplastik und anderes, so daß
nunmehr nur eine Nachlese zu halten ist Sie
geht hauptsächlich auf die Gewinnung all^
gemeiner Gesichtspunkte aus, indem sie darauf
hinweist, wie z. B. in der Herstelltmg von
Möbeln tmd Hausgerät verschiedenster Art eine
frische Erfindung durchgednmgen ist. Durchs*
schreitet man die Innenräume unserer vielen
Ausstellungen, so fällt es bald auf, daß die
Nachahmungen alter Stile ntm schon zu den
Seltenheiten gehören. Ungeheure Verbreittmg
hat der sogenannte Kurvenstil gefunden, von
Künstlern wie H. Guimard, Dulong, Plumet,
Selmersheim, A. Landry, van der Velde,
Pankok, Riemerschmid, Olbrich und neuere
lieh noch von vielen anderen kultiviert. Der^
lei Möbel werden in Paris gelegentlich „Meubles
d'ingenieurs^ genannt, um anzudeuten, daß
sie mehr auf berechnendem Wege tmd mit
feinem Verständnis für Kraftlinien, natura*
gemäße Querschnitte geformt sind, als etwa
durch gezwungenes, unorganisches Ankleben
bestimmter Ornamente, die dann erst dem Tisch,
Stuhl usw. das Stilgepräge erteilen. Höchst
eigenartig sind in dieser Beziehung die Möbel,
die unter der Firma „L'art nouveau Bing** Ver-*
66
breitung finden undvonEugene Gaillard, Colonna
und de Feure entworfen sind. *) Der stilistische
Führer für die ^Maison moderne'' ist A. Landry,
^er über frische und reichliche Erfindung verfügt.
Eine andere Richtung, z. B. eine Zeit lang
die Ashbees in London und die Jos. Hofmanns
in Wien ging und geht womöglich auf rechte
winklige Begrenzungen aus; in dieser Art
formen auch S. E. Barnsley und E. W.
Gimson.**) Noch andere sind eklektisch. Die
bequemen Formen des französischen Rokoko
sind noch nicht ganz verschwunden, wogegen
man sich heute nicht mehr so oft wie sonst
blaue Flecke an den scharfen Kanten und bösen
Ecken modernisierter Renaissance schlägt. Das
neueste Kunstgewerbe sucht gewöhnlich nach
praktischen Formen, denn auf keinem Gebiete
wird man schlecht geformten Zeuges so bald
überdrüssig, als bei Gebrauchsgegenständen, die
wir täglich zur Hand nehmen müssen.
Und doch verbreiten sich oft die einfältigsten
Moden weit und breit. Da fingen z. B. englische
Kunstzeitschriften damit an, Farbendrucke oder
*) Vgl. „Art et ddcoration'" vom Jänner 1902,
ferner die ausgebreitete Literatur über die Pariser
Weltausstellung von 1900 neuestens auch ,,Deutsche
Kunst und Dekoration'' von 1903.
**) Vgl. hierzu „The Studio'^ vom 15. Juni 1903.
67
andere hervorstechende Illustrationen nicht ein^*
zuheften, sondern nur lose auf dicke Blätter
einzukleben. Das ist so lange recht schön, als
eine solche Zeitschrift nicht gelesen, nicht ge^
braucht wird und vom Buchhändler zum Buch«'
binder und dann in den Schrank wandert, um
für lange Zeit der Menschheit den Rücken zu
kehren. Geht aber so eine Zeitschrift durch
mehrere Hände, so ist man sicher, daß das
Kunstblatt locker wird, Büge bekommt, heraus^
fällt.. Aber nichts ist ungeschickt genug, um
nicht NachäfFung zu finden, und eine kleine
neue Sammlung deutscher Arbeiten über Kunst
wird durch die eingeklebten Bildchen ebenso
in äußerlicher Beziehung unausstehlich wie sie
nach ihrem Inhalt von abstoßender Gehalt^
losigkeit ist. Aber derlei Mißgriffe sind nicht
allgemein. Von ihnen absehend, kann man
aussprechen, daß die moderne Buchausstat^
tung ungeahnte Fortschritte gemacht hat. Man
wird dies jedesmal gewahr, wenn gegen Weih^
nachten die große Sturmflut neuer Bücher
über den Markt sich ergießt. Hunderte, ja
Tausende von erfindungsreichen Köpfen, von
geschickten Händen sind tätig, Zeitschriften und
Bücher mit figuralen Titelblättern zu versehen,
Illustrationen zu zeichnen oder sonstigen Buch^
schmuck zu liefern. Den Einbänden wird, wie
5*
68
in guten alten Zeiten große Sorgfalt zugewendet
und durchaus sucht die Gruppe der Modernen
nach neuen Motiven passender Flachornamente.
Maler von Ruf verschmähen es nicht, Vorsatz^
papiere, und Bucheinbände zu entwerfen neben
der Ausführung großer Aufgaben, die in das
Weite gehen.
Die Malerei*) neuester Art hat die Nei^^
gung, sich vom reinen Staffeleibild loszusagen,
auf die so lange herrschend gewesene haupt^
sächliche Anwendung der Ölfarbe zu verzichten
und sich in allen möglichen Arten der Dar^
Stellung und künstlerischen Betätigung auf der
Fläche zu ergehen. Der heutige wirklich mo^^
derne Maler entwirft Zierwerk und stilisierte
Darstellungen für Tonfließen, Tapisserien, We^
bereien für Mosaik verschiedener Art, für Leder^
Überzüge, Spitzen und Kanten. Er ist überdies,
wie schon angedeutet, für die Buchkunst und
*) In den meisten modernen Kunstzeitschriftent
von denen schon mehrere genannt sind, nimmt die
Malerei einen breiten Raum in Anspruch. Da auch die
Ausstellungen gewöhnlich überwiegend mit Bildern ge^
füllt werden^ kann ich wohl bei Nennung der Maler^
namen auf das volle Verständnis der meisten Leser
rechnen und einzelne Literaturnachweise können ent^
behrt werden. Im allgemeinen sei auf das verwiesen^
was an Literatur im Anhange zusammengestellt ist.
69
als Graphiker tätig, indem er häufig nicht nur
malt, sondern auch radiert, lithographiert, al^
graphiert, schabt, sticht oder in Holz schneidet,
wenigstens für Holzschnitt zeichnet. Auch das,
was man gewöhnlich als Bild bezeichnet, hat
in neuester Zeit einen anderen Charakter an^
genommen, als es ihn noch vor wenigen Lustren
hatte. Im ganzen wurde der Kreis für alles
Bildhafte merklich erweitert oder verschoben.
Gegenständlich findet man allerdings seit langer
Zeit alles darstellbar. Gesundes, Krankes (über
die alten Darstellungen von Krankheitserschei^
nungen sind so und so viele Aufsätze und
Bücher geschrieben worden"^). Langweiliges,
Aufregendes, Bedeutendes und Unbedeutendes,
Farbiges und Farbloses, Geschichtliches, Er^
fundenes und so hält man es auch heute. Doch
ist die Abgrenzung und Anordnung dessen, was
man darstellt, jetzt ohne Widerrede eine andere
als früher. Schon die französischen Impressi^^
onisten, noch mehr ihre Nachfolger in allen
'■') Ich hebe besonders hervor J. M. Charcot et
Paul Richer ,,Le d^moniaques dans Tart'' 1887, von
denselben Autoren ,,Les difformes et les malades dans
Tart" 1889, Dr. Paul Richer „L'art et la m^decine^' (ohne
Jahreszahl vor kurzem erschienen) und die Zeitschrift
^.Nouvelle iconografie de la salpetri^e'^ Während der
Korrektur bekomme ich zu Gesicht: Eug. Holländer
nDie Medizin in der klassischen Malerei'' (1903)*
70
Ländern, sind in der Raumverteilung ziemlich
rücksichtslos vorgegangen. Heute wird aber nicht
selten geradewegs nach Absonderlichkeiten ge^
sucht, wie man an Bildnissen bemerkt^ bei
denen der Kopf in die Ecke der Bildfläche ge^
schoben ist oder in der Stirn abgeschnitten
erscheint. F. KhnopfF gefällt sich in solchen
Schrullen; Klimt ist bei größeren Kompositionen
mit der gesuchtesten Anordnung noch nicht
zufrieden. Man schreckt nicht davor zurück,
kahle Baumstämme zu zeigen, ohne daß ihre
Wurzeln oder Kronen sichtbar wären. Ohne
Zweifel ist man jetzt in der hohen oder tiefen
Lagerung des Horizonts viel kühner als je zu^
vor und, was als Fortschritt verzeichnet sein
mag, man achtet im Bilde mehr darauf, was
das Auge mit einem Blick umfassen kann,
als was es der Reihe nach oben, unten, links
und rechts zusammensucht. Die ältere Land^
Schaft, namentlich die flandrische um 1600 ist
eine Art naturwissenschaftlicher Abbildung einer
Gegend, oder eine gemalte Aufzählung dessen,
was dort vorkommt. Die moderne Landschaft
wählt oft nichts anderes als eine Wasserfläche
(Klimts Bild in der Wiener modernen Galerie)
oder einen Uferrand allein, um das Wenige
malerisch zu fassen, ungefähr so, wie es
früher in gemalten Studien geschah, aber mit
71
der bestimmten räumlichen Abgrenzung des
Budes.*)
Die alte akademische Bildwirkung hat sich
in der Tat ein wenig abgenützt, und ich finde
es zum mindesten verständlich, wenn phantasier
volle Köpfe und geschickte Hände sich daran
erfreuen, Bildnisse, Landschaften, Allegorien, ja,
was immer es sei, einmal anders ins Bild zu
setzen, als man es ohnedies schon hunderte
und tausende Male gesehen hat Böcklin war
ein mächtiger Keil, der sich in den langweiligen'
Schlendrian eingeschoben hat. Böcklins Kunst
ist ja gewiß nicht die einzige, die etwa allein
anzustreben wäre, aber sie war farbiger, origiy
neiler, kräftiger als das meiste, das gleichzeitig
gemalt wurde. Auch in technischer Beziehung
wirkte Böcklin fermentierend. Unablässig war
er bemüht, haltbare Farben, Bindemittel, Mal^
gründe, Pinsel, Firnisse zu erlangen. Da sind
wir aber bei einer Krankheit der modernen
Malerei angelangt, bei der trostlosen Unsicher«'
heit und Wankelmütigkeit in allen technischen
Dingen. Die wenigsten Maler wissen genau, mit
welchen Stoffen sie eigentlich malen. Geringe
*) SchultzC'Naumburg hat über die moderne Kom^
Position gute Beobachtungen angestellt und veröffent^
licht. Vgl. „Das Studium und die Ziele der Malerei'',
S. 6i £f.
72
Qualität und Verfälschung der Materialien'^)
erschwert klare Einsicht ebenso sehr, wie das
hastige Ergreifen fortwährend neu erfundener
Maltechniken und Bindemittel. Noch ist das
eine Bild gar nicht recht trocken und hart ge^
worden, um ein Urteil über die Haltbarkeit des
angewendeten Materials zu erlauben, so wird
schon auf irgend eine volltönende Anpreisung
hin ein neues Mittel versucht, das vielleicht
ebenso unhaltbar ist wie das früher angewen^
dete, und was noch schlimmer ist, aut einem
und demselben Bilde werden oft allerlei Tech^
niken durcheinander verwendet. In der Aus^
Stellung der Münchener Sezession von 1903
fand sich eine pastos gemalte Dame in Schwarz
vom Londoner Maler Douglas Robinson mit
dem Datum (18)95. Jetzt schon, etwa acht Jahre
nach der Vollendung, ist das Bild stellenweise
bis auf den hellen Grund zerrissen. Ja ich kenne
moderne Bilder, die nach fünf, nach zwei Jahren
schon durch störende Risse entstellt werden.
Bilder von Anders Zorn und von Besnard
könnten als Beispiele dienen. Hohes Alter
kommt auch den Werken des Hans v. Maries
*) Hierüber hat vor kurzem A. W. Keim ein
lesenswertes Buch veröffentlicht „Über Maltechnik''. Be^
achtenswert auch H. Popps Rezension in der Münchener
Wochenschrift „Freistatt'' V., Nr. 23 vom 6. Juni 1903
73
keineswegs zxx, die jetzt in Schleißheim untere
gebracht sind, und die zumeist schon heute
tiefgehende Schäden aufweisen. Nicht selten ist
der blendende Farbenreiz der ersten Lebens^
jähre eines neuen Gemäldes nach kurzer Zeit
merklich verblichen. Das liegt wohl in der über^
triebenen Furcht der meisten jungen Stürmer,
nur ja ihre Eigenart nicht durch Angelerntes
zu verwischen. Jeder muß dann erst auf Um^
wegen tmd durch eigenen Schaden das erfahren,
was ihm gewissenhafte ältere Lehrer und etliche
gute Bücher in kurzer Zeit auf die einfachste
Weise hätten beibringen können. Ist die Eigene*
art so schwach, daß sie unter jedem Ratschlag
einknickt, dann hat sie überhaupt nicht viel zu
bedeuten. Dieses wüste Durcheinanderwogen
aller möglichen alten und neuen Techniken,
von Pastellmalerei, von jeder Art der Ölmalerei,
von Anwendung verschiedener Gummiarten,
von Petroleum, Glyzerin, alter Tempera, neuen
tmd neuesten sogenannten Temperamalereien,
von verschiedenartigen Wachsmalereien bis zum
Aufstreichen der Raffaellistifte gehört unbedingt
mit zur Charakteristik der modernsten Malerei.
Was den Farbenauftrag betrifft, so ist
die Mannigfaltigkeit in neuester Zeit ansehn^
lieh gestiegen. Zu den längst bekannten Arten
breiter und spitziger Pinselführung, zum Malen
74
mit der Spachtel, mit dem Finger (Willemoes-'
Sühn z. B» malt fast nur mit dem Daumen),
fügt man heute noch ein geradewegs plastisches
Aufmauern der Farbe (Mancini) und die origi-*
nelle, an Flachstich erinnernde Art eines Se^
gantini. In der Breite der Pinselstriche gehen
manche über alles hinaus, was ältere Kunst
vorgebildet hat* Daneben lebt feinste zarteste
Technik weiter, so daß man in manchen Aus^
Stellungen merkwürdige Gegensätze beisammen
findet, etwa zart gestimmte, subtil durchgebildete
Szenen aus der feinsten Empiregesellschaft von
F. Simm neben den überbreit behandelten Dar^
Stellungen aus den Tiroler Freiheitskämpfen,
die ein Egger-^Lienz mit Vorliebe für seine Bilder
wählt. Fein umrissene und zart gestimmte Blätter
eines Beutet de Monvel liegen in irgend einer
Ausstellung vor uns, und durch die Tür blicken
wir auf große Werke Slevogts, Angladas, auf
denen ein ganzes Feuerwerk greller Farben ab^
gebrannt wird. Die Fleckentechnik eines Cottet,
eines Brangwyn sieht man unfern von nebele
haft verschwommenen Gestalten eines Watts,
eines Degas oder eines Carriere und bald darauf
muß man sich mit den stilisierten Figuren eines
Gallen aus neuester Zeit abfinden. Etwa an
derselben Wand Werke des fein pinselnden
Karl Haider und des kraftstrotzenden Hänisch.
75
Am häufigsten ist freilich eine kühne, breite
Malerei, die Manet nachstrebt» eine frische
Technik, wie bei Albert v. Keller, Samberger,
Liebermann, Wilh. Trübner, Stuck, Habermann,
G. Melchers, de la Gandera, Zuloaga, A. Kampf,
Dill, Kuehl, Harrington Man, John Alexandre,
Anders Zorn, Sargent. Nur malen leider nicht
alle frisch hinstreichenden ebenso trefflich, wie
die genannten Künstler. Manche treiben das
Breitmalen bis zum Brutalen.
Stuck kennt vielerlei Techniken und jüngst
sah man von ihm eine Amazone mit einge^
kratzten Lichtern (Münchener Sezession 1903,
Nr. 248 mit dem Datum 1902).
Viele moderne Maler sind Skizzisten.
Vor dem tüfteligen Fertigmalen hegen sie Scheu
und das bei manchen Bildern mit Berechtigung.
Was nicht von der Natur vollendet wird, was
der Künstler nachträglich hineinmalt, ist ja
nicht mehr wahr, wenn es sich um Bilder
realistischer oder naturalistischer Art handelt,
es ist nicht mehr aufrichtig und verdirbt oft
das glänzend begonnene Werk. Sogar das phan^
tastisch gehaltene Gemälde wird mehr Schwung
zeigen, wenn es in einer Stimmung vollendet
ist und nicht den wechselvollen Ausdruck vieler
Launen mitmachen mtißte. Malen, künstlerisches
Schaffen, ist keine wissenschaftliche Tätigkeit.
76
Der Künstler weiß/ daß die Skizzen der älteren
Meister oft besser sind als die fertigen Gemälde^
die manchmal gequält aussehen. Daher die
vielen modernen Bilder, die es versuchen, den
frischen Charakter der Skizze festzubannen; da^^
her wohl auch das starke Hinneigen zu breiter
flotter Pinselfuhrung.
Andere Maler, sei es durch Nachdenken
darauf geführt, sei es durch den Drang des
Talentes geleitet, bekennen sich zum Stili^^
s i e r e n, zur abgekürzten, vereinfachten Sprache
der Linien und Farben. Und man kann ihnen
nicht Unrecht geben, wenn sie die Versuche
aufgeben, den Eindruck von der Außenwelt so
reich und farbenprächtig wiederzugeben, als er
sich ihnen darstellt. Es ginge ja doch nicht.
Wer die geringe Lichtstärke kennt, die von den
hellsten Farbstoffen ausgeht, wer die genauesten
Studien nach der Natur mit unseren heutigen
photochemischen Aufnahmen verglichen hat,
muß sich sagen, daß es ein vergebliches Ringen
ist^ wenn ein Maler in bezug auf Naturtreue
mit dem Eindruck der Wirklichkeit oder auch
nur mit unseren technischen Hilfsmitteln wett^*
eifern will. Die richtige, die beste Kunst liegt
eben wo anders. In bezug auf Farbenstimmung
hat ja der Maler heute noch einen kleinen Vor*'
Sprung vor der photochemischen Technik. Aber
77
wie lange kann es noch dauern und jedes intern
essante Abtodroty jeder Meeressturm^ jeder Nebeln
Schleier wird durch lichtempfindliche Platten
genauer und getreuer gesehen und fixiert werden,
als es je durch malerische Mittel möglich war.
Die Malerei wird immer mehr auf die Gebiete
gedrängt, die etwa als gesteigerte Charakteristik,
vertiefte Erfindung und namentlich als stili^
sierte Auffassung, Verarbeitung und Wieder^
gäbe des Gesehenen zu benennen wären. Viele
moderne Maler folgen diesem Zuge. Wer mo^
dernes Wesen kennt, staunt nicht darüber, daß
auch im Stilisieren übertrieben wird, von Ein^
zelnen. Die hohen Bäume eines Parkes, den
L. gezeichnet hat, sehen flach aus, wie ein
dunkles, ausgeschnittenes Papierblatt, das noch
dazu etwas roh mit der Schere bearbeitet worden.
An einer Zeichnung „Einsamkeit'' von H. — S.
sehen die überstilisierten Bäume und Büsche
aus, wie Injektionspräparate von Lungen, an
denen noch das Herz hängt.
Um 1900 lebte ziemlich plötzlich das Zeich^
nen stilisierter Plakate freudig auf und man
eilte, etliche dicke Bücher darüber zu schreiben.
In der Tat ist die Angelegenheit der Plakat^
maierei in ihrer Bedeutung nicht zu untere
schätzen. Gewiß segnet jeder Feinbegabte alle
diejenigen, die ihn von dem scheußlichen An^
78
blick der Geschäftsplakate erlöst haben, die
man bis gegen 1890 allerwärts antraf. Seither
begegnet man hie und da einer echt künstlerisch
entworfenen Ankündigung, und die Verständnis^
los realistisch gehaltenen, für die Straße ganz
unpassenden Stücke werden selten.
Freudigst zu begrüßen ist sicherlich auch
die frische Belebung des Schriftzeichnens,
die sich seit etwa zehn Jahren allerwärts be*^
obachten läßt.
Nach und nach, durch theoretische Er*^
wägungen angeregt, hat sich u. a. jene Art der
Malerei entwickelt, die man Divisionismus
genannt hat Der Pointillismus ist im we^
sentlichen dasselbe, nämlich die Auflösung eines
Farbentones auf dem Bilde selbst in seine op*^
tischen Bestandteile, deren Zusammensetzung
man dem Beschauer überläßt. Um z. B. eine
recht helle Wasserfläche darzustellen, wendet
der Pointillist nicht etwa breite helle Pinsel^
striche an, sondern er setzt abwechselnd orange*^
gelbe und blaue Fleckchen auf die helle Fläche.
Aus der Entfernung betrachtet, wirken solche
punktierte Flächen für myopische Augen weiß-'
lieh und das mit großer Helligkeit. Für emme^
tropische, scharfsichtige, gesunde Augen hat
diese Art wenig Wert, da die Entfernung des
Beschauers vom Bilde dajin viel größer sein
79
müßte, als sie der größte Ausstellungsraum zu^
lassen würde. Ich habe mich an anderer Stelle
ausführlich über den Pointillismus geäußert und
gebe in der vorliegenden Arbeit nur die An^
deutung, daß Previati, Segantini, Theo van
Rysselberghe und Signac zu den wichtigsten
Vertretern des Divisionismus zählen. Vittore
Grubicy de Dragon und Giuseppe Ciardi ge^
hören auch in diese Gruppe.
Die Freilichtmalerei wird heute in
ausgedehnter Weise und mit mehr Verständnis
geübt als je zuvor. Spricht man davon, daß sie
an und für sich keine neue Erfindung ist, so
hat man ja Recht. Aber erst in neuerer Zeit
gehört sie zu den gewohnten Dingen, die auch
schulmäßig gelehrt werden.
Farbige Reflexe, farbige Schatten und
ähnliches werden heute mit viel mehr Aus^
dauer aufgespürt und gemalt, als jemals vorher.
Was Gerrit Dou und seine vielen Nachtreter
an Lampenlichtwirkungen gemalt haben, war
gewiß großenteils vortrefflich beobachtet und
wiedergegeben. An die vielen grünen und gelben
Reflexe auf der menschlichen Haut, wenn sie
von Grün und Gelb umgeben ist, dachte aber
doch erst die moderne Kunst. Noch Henner
und seine Altersgenossen legen ihre nackten
Nymphen zwar ins Waldesgrün, aber das Fleisch
80
sieht so aus, wie es im Atelier gemalt wird.
Die malende Jugend sieht und malt nun die
Nymphe so, wie sie im Freien aussehen muß.
Daß manche Künstler furchtbar übertreiben, hat
den grünen Körpern im Freien Feinde gemacht,
die nun den Stab über die ganze Freilichtmalerei
brechen.
Nach meiner Schätzung nehmen die kurz^
sichtig gesehenen Bilder ebenso sehrüber^
hand, wie man in den Schulen die immer
größere Häufigkeit der Myopie beklagt. Wohl
hängen die vielen Nebulisten der heutigen
Malerei mit dem verschwommenen Sehen der
Kurzsichtigen zusammen, die keine nachhelfen^
den Brillen tragen. Die Art eines Israels, Degas,
Carriere (diese sind übrigens Künstler ersten
Ranges) mag hier gestreift werden.
Der Einfluß Ostasiens, namentlich der ja^
panischen Malerei auf manche moderne
Künstler (z. B. auf manche Arbeiten eines
Lion Cachet, Th. v. Hoytema, E. Orlik)
ist unverkennbar und bis zum Überdruß er^
örtert worden. Ein wenig Japonismus war schon
im 1 8. Jahrhundert zu finden in der Ausstattung
von Innenräumen und, ich denke, nicht wenig
in der Porzellanerzeugung. Auf keinen Fall
brauchte die ostasiatische Kunst in unseren
Tagen neu entdeckt zu werden. Auch den wirk^
8l
liehen Einfluß auf die ersten französischen und
englischen Impressionisten schlage ich nur sehr
gering an. Es war ein mehr äußerliches Ver«*
hältnis, als daß man aus den Bildern eines
Manet, Pissarzo und ihrer Genossen ostasiatische
Züge ablesen könnte. Ganz im Gegenteil läßt
sich kaum ein größerer Gegensatz in Kunst«'
Sachen finden, als der rücksichtslose Naturalis^
mus der Eindrucksmaler neben der sublimierten,
stilisierten, naturfernen Auffassung der besten
(alten oder wenigstens nicht modernen) ja^
panischen Meister. Wenn Viktor Hugo für
sich ein wenig im Stile der Japaner mit Stift
und Feder dilettierte '^), so hatte das wohl für
die Entwicklung der bildenden Künste im
großen wenig Bedeutung. Ganz einfältig ist es
aber, Werke, wie das Carlylebildnis des Schotten
Whistler als japanisch aufgefaßt hinzustellen.
Auch so weit hat man sich aber verklettert.
In der Erfindung und Formung gewahrt
man nicht selten große Eigenart, ja eine höchst
eigensinnige Verbohrtheit, auch wenn hie und
da ein merklicher Einschlag aus vergangenen
Zeiten unverkennbar ist, so bei Daudelet ein
gewisser Einfluß mittelalterlicher Buchmalerei,
***) Hierzu die interessanten Abbildungen in der
.»Gazette des beauxarts'^ von 1903, I, S. 465 und II»
S. 146 fiF.
82
bei vielen der Nachhall eines Franz Hals,
Velasquez, Rembrandt, Rubens, Dürer, Botti^
celli. Den Einfluß Rembrandts verspürt man
besonders in der modernen Radierkunst, und
Dürer klingt in Zeichnung und Holzschnitt an«
Lion Cachets Lithographien sind bald im
Sinne assyrischer, bald in dem chinesischer und
japanischer Kunst erfunden. Toorops Art ist
nun gar wunderlich« Die Verhältnisse seiner
mageren Figuren sind sonderbar, wenn er frei
erfindet. Daneben sieht man an Bildnissen,
welch großes Talent in dem Manne steckt. Un^
vernünftige Proportionen werden gezeichnet von
Aubrey Beardsley. Miß Jessie M. King
gehört zu den weiblichen Überstilisten. Eduard
Munch, einer von der äußersten Linken, forderte
bisher geradezu die Kritik heraus durch rohe,
unausgegorene Mache und Erfindung. Munch
ist übrigens ein wirkliches Talent, das sich wohl
noch aus verworrenem Symbolismus und bru^
taler Technik retten wird. Ob sich dasselbe
von Odilon Redons konfusen, rot gesehenen
Werken vermuten läßt? Ferdinand Ho dl er hat
sich einen rücksichtslosen Subjektivismus an^
geeignet, der das Unmögliche möglich machen
möchte. Er gehört zu den alleroriginellsten in
der modernen Malerei. Ich streife nochStrath^
mann, der übrigens mehr in bewußter Weise
83
zur Karikatur hinneigt, als daß er übertrieben
verzerrtes Zeug für den Ausdruck eines un^
erhörten Talentes ansehen würde.
Die eigentliche Karikatur blüht heute mehr
als je. Leandre, Steinlen, Forain, B. Ra^
hier, William Nicholson, Ch. D. Gibson sind
große Künstler, und an Talent fehlt es gewiß
auch den Bruno Paul, Th. Heine, Thöny,
Reznicek nicht, die mit anderen beim „Sim^
plizissimus"" zeichnen. Voll Begabung sind die
meisten Mitarbeiter der „Jugend''. E. Heilemann
zeichnet für die „Lustigen Blätter'' im Sinne
modernster Kunst. Auch die meisten alten
Witzblätter verschiedener Nationalitäten nehmen
wenigstens ab und zu an der neuesten Bewegung
teil. Hengeler z. B., einer von der besten
Garde der alten „Fliegenden Blätter", hat einige
köstliche Bilder gemalt, die gar nicht moderner
aufgefaßt sein könnten. Wilhelm Busch hat
Schule gemacht. Caran d'Ache, nicht mehr jung,
aber noch geistreich schöpferisch tätig, ist eine
Art Stenograph des Karikaturfaches geworden.
Den jüngst verstorbenen Phil. Mey könnte man
den Dickens der Zeichenkunst nennen. Seine
Art leitet uns hinüber zu den humorvollen Er-*
findungen eines Walter Grane.
Bei all diesen Künstlern gilt das Was der
Darstellung ungefähr ebenso viel, wie das
Wie. Das Was, der Gedankeninhalt der
Darstellung, wird aber von vielen anderen
Modernen gering geschätzt. Der künstlerische
Farbenfleck steht ihnen höher. Andere ge^
heimnissen in die Bildfläche ungezählte Dinge
hinein, die außer ihnen niemand wieder heraus^*
finden kann. Mystiker, Symbolisten. Die Re^
präsentationsbilder, Historiengemälde, das ge^
ftihlvoUe Sittenbild sterben zwar noch nicht
aus, ja es gab auf den angedeuteten Gebieten
im Laufe der jüngsten Jahre vorzügliche
Leistungen zu sehen, aber bei den Modernsten
ist eine entschiedene, bewußte Abkehr von
diesen Fächern zu bemerken. Dagegen blühen
jetzt die angeblichen Triptycha, dreiteilige
Bilder, die sich freilich heute nicht mehr zu^
sammenklappen lassen, wie der alte Name an^
deutet, die aber ähnlich den alten Flügelaltären
in ihren Darstellungen einen gewissen
inneren Zusammenhang haben. Segantinis
letzte Bemühungen galten einem solchen Drei^
bilde. Eines der frühesten Bilder dieser Art in
der modernen Kunst war Canons Altärchen,
das für den Grafen Wilczek gemalt wurde*
Auf dem Gebiete der Kunstdrucke wird
heute alles versucht und geübt, was die Ver^
gangenheit tms hinterlassen hat, und manche
zum Teil sehr fortschrittliche Neuigkeit ist zu
85
verzeichnen. Man radiert, sticht; die Schabkunst
ist wiederbelebt; man zeichnet auf Stein, ex^
perimentiert in Aquatintamanier ; der Holzschnitt
und seine technische Nachkommenschaft stehen
in Blüte farbig und farblos. Die Algraphie,
das Ätzen von Aluminiumplatten, gehört der
neuesten Zeit an, die ungeheuer durch die
photomechanischen Nachbildungen gefördert
wird. Man gewöhnt sich an genauere Wieder^
gäbe als sie früher durch Vermittlung des Hand^
werkers oder auch der Künstlerhand möglich
war. Als eine gar bedeutsame Errungenschaft
der neuesten Zeit gilt es mir aber, daß die
Künstler jetzt unmittelbar für den Künste
druck erfinden und weniger Gewicht auf
das Nachbilden alter Kunstwerke oder fremder
Zeichnungen legen. Ein moderner Pigment*
druck sagt uns über ein altes Gemälde viel
mehr, als eine schwache Radierung, die mit
Mühe nach demselben Bilde hergestellt ist. Der
Radierer, der Stecher möge doch Eigenes auf
die Platte bringen, wie es ehedem ein Dürer,
H. S. Beham, Aldegrever, Lucas v. Leyden,
Rembrandt, Hercules Seghers und so viele an^
dere in allerlei Techniken gemacht haben. '^) Und
***) Solche Gedanken kamen mir schon in den Sinn,
als ich vor etwa 15 Jahren über Gaillard schreiben
sollte. Damals aber war in dieser Beziehung mit den
86
da können wir denn heute auf einen Max Klinger,
Otto Greiner und Hans Thoma hinweisen, denen
das Erfinden für die Kupferplatte und den Stein
einfach selbstverständlich erscheint, und die ge^
rade auf diesem Felde anerkannte Triumphe ge^
feiert haben. Wenn ich auch nur wenige Namen
nenne, so erwähne ich doch im allgemeinen,
daß die Gegenwart über eine ganze Armee
frisch zeichnender und eigenartig erfindender
GrifFelkünstler verfügt, die in allen Tonarten
das zu Papier bringen, was ihnen selbst ein^
fällt oder was sie selbst von der Natur ablesen.
Radiert heute ein geschickter Künstler nach
einem guten Gemälde, so hat das mehr Bedeu^
tung als Übungsleistung des Radierers, denn als
getreue Nachbildung.
Blicken wir hin auf alles, was im weiten
Sinne Malerei heißt, die GrifFelkunst mit ein*^
begriffen, so dürfte es nicht strittig sein, daß
die neueste Malerei so mannigfach auf*^
tritt, wie in keiner früheren Zeit
Auf großen internationalen Ausstellungen
hat man Gelegenheit gewahr zu werden, wie
die modernste Malerei eine Art gärender Brei
Weisen der »^Gesellschaft für vervielfältigende Kunst^'
noch kein Übereinkommen zu erzielen. Seither hat sich
das Blatt gewendet und eine frischere Strömung durchs
zieht die Veröffentlichungen der genannten Gesellschaft.
87
ist, in dem ungezählte Stoffe einander suchen,
befehden, anziehen, abstoßen. Das Denken er^
lahmt, wenn Einer da Einteilungen aufstellen
will. Und doch muß man sich mit der Sache
abfinden. Man ordnet sich die Tausende von
Erscheinungen nach Nationalitäten, Wohnsitzen,
nach Stimmungsverwandtschaft, nach technischen
Merkmalen, ja sogar nach Künstlervereini^
gungen, wie sie sich in neuerer Zeit so häufig
neu gebildet haben. Die Künstler der „Scholle^,
des Hagenbundes, die Vereine „Manes^, „Sztuka'S
der Wiener Jtmg^Btmd, die Worpsweder, Karls^
ruher, Grazer, Dachauer, Wachauer usw. ge^
hören innerlich oder auch nur ganz äußerlich
zusammen, und so findet man einigen festen
Boden mitten in dem Gewoge modernster Ma^
lerei. Diebritischen „Präraphaeliten'' haben heute
wohl noch einige Nachzügler zu verzeichnen,
doch ist ihre Glanzzeit vorüber. Eine Gruppiertmg
nach den Wohnorten entspricht dem inneren
Zusammenhange nur wenig, nur selten; noch
weniger könnte man dies von der patriotischen
Anordnung nach Nationalitäten oder gar nach
den Landesgrenzen behaupten. Denn dabei
müssen Krethi und Plethi nebeneinander mar^
schieren, Zwerg und Krüppel neben Herakles
und Apoll und es wird damit manche ge^
zwungene Einteilung geschaffen. Segantini wird
88
nach seinem Geburtsorte Val di Fiemme bei
Arco Österreicher*^), obwohl zu Lebzeiten des
Künstlers bis kurz vor seinem Tode so gut
wie keinerlei Beziehung her oder hin zu be^
merken war. Nach dem Nationalitätenzwange
muß Böcklin Schweizer, Herkomer Bayer sein.
Daß man Toorop als Javaner registriert, mag
noch hingehen, aber beim Zusammenfassen der
Künstler eines großen Reiches wird es doch überall
ein sonderbares Gemisch. In Rußland schaffen
z. B. so und so viele Maler veralteter Rich^
tungen, daneben Moderne und Modernste.
Repin (geboren 1844), auf wohl gefesteter
Grundlage sicheren Könnens bauend, ist nach
und nach zu großer, ganz moderner Freiheit
in der Pinselführung und Auffassung gelangt.
Schereschewski, viel jünger (er ist 1863
geboren), kann als verhältnismäßig modemer
Realist bezeichnet werden. Seroff malt Bild^
nisse in modernster Auffassung. Korowine
vertritt eine stilisierende Richtung. M. Wroubel
ist vielseitig in seinem Schaffen, das neben hy^
zantisierenden Heiligenfiguren, Bildnissen, stili<^
sierten Landschaften auch kunstgewerbliche
Gegenstände in altasiatischen Stilen umfaßt.
Auf zahlreichen international gehaltenen großen
*) Vgl. Luca Beltrami in der ,,Nuova Antologia"
vom November 1899, S. 277—295»
89
und kleinen Ausstellungen in der jüngsten Zeit
konnte man sich vom modernen Regen in der
russischen Kunst überzeugen. '^) Von großer
Bedeutung für die moderne russische Kunst
ist die religiöse Malerei, die heute eine
Vermittlung zwischen dem hergebrachten
Byzantinismus und einer mehr realisti«*
sehen Auffassung anstrebt. Zu den Vorzüge
lichsten Künstlern auf dem angedeuteten Gebiete
gehören Vasnezoff und Harlamoff,**)
Noch ist es nicht lange her, daß ein Were^
schagin mit seinem grausigen Realismus in
geschichtlicher Darstellung ungeheueres Au&
sehen gemacht hat. Ganz im Sinne modernster
Kunst wirken mehrere Finnen, z. B. Axel
Gallon und P. Halonen.
Wie bunt es in anderen Reichen mit der
heutigen Malerei aussieht, konnte der Aufmerke
same auf vielen großen Ausstellungen bemerken.
***) Hierzu die Kataloge der internationalen Aus^
Stellungen in Venedig» die Literatur über die Pariser
Weltausstellung von 1900, ferner „Die Kunst für AUe'S
XVI. Jahrgang, Heft 10» mit Hinweisen auf frühere
Mitteilungen in derselben Zeitschrift, „Deutsche Kunst
und Dekoration'% Dezember 1901, und die russische
Zeitschrift „MlPh, IICKyCCTBA«. In der Pariser Welt-
ausstellung von 1900 waren 129 russische Maler durch
283 Werke vertreten.
**) Baron de Baye „L'oeuvre de Victor Vasnetzofif'*
(Reims, 1895)*
90
Was für unvereinbare, bestimmt geschnittene
Künstlerprofile haben z. B« die Niederländer
in ihrem Laermans, Leempoels, Leon Frederic,
Baertsoen, ). Israels, Struys, F* KhnopfF, in
ihrer Stilistin Henriette Calais, im Archaisten
Daudelet, in einem Van Leemputten, G.Vanaise,
Courtens, oder die Briten in einem L. Alma
Tadema, Walton, Watts, Edw* John Poynter,
B. Shaw, J. M. Swan, Joseph E. Southall, John
Batten, ). W. Waterhouse; tmd daneben ganze
Zeilen voll Namen von akademisch tüchtigen
Malern und hunderte von Künstlern, deren jeder
so ein wenig originell ist, ohne als bedeutendes
Genie gelten zu können. Eingewanderte Künste
1er, wie Frank Brangwyn und Herkomer ver^
mehren noch den Eindruck der Unzusammen>
gehörigkeit. In Frankreich ist die Zerfahren^
heit wohl noch viel größer. Die Richtungen
eines Bouguereau und eines Degas sind nie^
mals zu vereinigen. Bonnat hat mit einem Roll,
Berton nichts zu schaffen. Gaston La Touche
und Besnard sind Gegensätze, z. B. zu einem
Valloton. Was soll ein Lefebure neben Henri
Martin, ein Bail neben Vidal, ein Henner neben
Rochegrosse tmd was dieser neben einem Boutet
de Monvel? Und daneben schaffen wieder ein
Roybet und seine Schülerin Juana Romani (ja,
die sollte man wohl bei der italienischen Malerei
91
einreihen, da sie in Velletri geboren ist Nach
ihrer Kunst gehört sie in die Nachbarschaft
Henners tmd Roybets). Dazwischen dann noch
ein Anglada, Rob. Mols und so viele andere.
In Spanien ein Pradilla mit farbensprühenden
Bildern, ein rußiger, lichtfeindlicher Zuloaga,
ein Viniegra, ein Villegas und Dutzende von
Modemalern. In Italien Stilisten, Naturalisten,
Realisten, kalte Techniker, warme Gefühls^
menschen, z. B. Luigi Nono, Milesi, Idealisten wie
Laurenti, ganze Reihen guter Porträtmaler, vor^
züglicher Landschaftsdarsteller, kurz, Maler jeder
Art, die auch durch Einflüsse von da und dort
ihre Nationalität oft gründlich verwischt haben«
In Österreich'^Ungarn, dessen Kunst mir
am nächsten liegt, eine überreiche Musterkarte
aller erdenklichen Richttmgen, die sich etwa
zwischen der hyper^symbolistischen Affektation
eines Klimt und dem derben Realismus eines
Egger^Lienz einzwängen lassen. Zahlreiche vor^
zügliche Porträtisten, ein Pochwalski, Horowitz,
Laszlo, Bukovac, Stauffer, Graf und noch viele
andere gehen jeder seinen eigenen Weg. Lefler,
Schwaiger, Jettmar vertreten phantastische reiche
Erfindung, aber jeder ist dabei originell. Stim^
mungsmaler wie Moll, Kasparides, Golz, Konopa
stehen der realistischen Art eines Temple gegen^
über. Um bei den Gegensätzen zu bleiben, sei
92
an den Symbolisten und Stilisten A. Böhm
und die Genremaler in der Art eines Ritzberger
erinnert* Engelharts flottes, kraftvolles Auftreten
und Franz Thieles Weise bleibt unvermittelt
bar mit der zaghaften Kunst mehrerer
Sittenbildmaler älterer Schulung. In der
Landschaftsmalerei überragt der greise Rudolf
Alt noch heute so ziemlich alles, wie sehr
auch zahlreiche jüngere Kräfte von vielver^
sprechender Begabung allerwärts zum Vorschein
kommen und wie hoch man auch einen Arm^
seder, Wilt, Suppantschitsch, Zoff, Luntz, Lud^
wig Hans Fischer, Ranzoni, Zetsche und viele
andere schätzen mag. Schad^Rossa ist ein merk^
würdiges Original. K. Meditz und Frau Meditz^
Pelikan sind in ihrer Art so originell wie Frau
Wiesinger^Florian.
Deutschland leidet nun an Gegensätzen
wohl noch weniger Mangel als andere Staaten»
Der alte A. Menzel und Ludwig v. Hoffmann
sind in ihrer Kunst jedenfalls unverträglich.
Anton V. Werner und Max Klinger wäre auch
eine nette Zusammenstellung oder Gabriel Max
und Dettmann, Hans Thoma und L. Corinth,
Hänisch und Volkmann. Wilhelm v. Diez und
seine Schüler bilden noch dazu innerhalb
Münchens einen auffallenden Gegensatz zu
Stuck oder zu einem Angelo Jank. Lenbach,
93
Fritz Aug. V. Kaulbach passen auch nicht recht
zu einem Leistikow, Grafen Kaikreuth, Zwint^
scher, A. v. Keller, Lesser Ury und diese alle
gar nicht zu einem J. v. Gebhardt. Sascha
Schneider einerseits und die zahlreichen Realisten
Deutschlands anderseits haben ja auch nicht die
mindesten künstlerischen Beziehungen unterein^
ander« Auch Paul Bürck, Melchior Lechter;
jeder ist für sich eine unabhängige Künstler^
natur. Einen ganzen Knäuel verschiedenster
Individualitäten konnte ich auch in den dä^
ni sehen Kunstausstellungen des vorigen Jahres
bemerken, in der Kopenhagener Sezession, die
in einem originellen Pavillon ausgestellt hatte,
und in der Akademieausstellung. Der sonder^
bare Vilhelm Hammershoj, der vielseitige P. S.
Kroyer (er ist ganz vor kurzem gestorben), der
Stimmungsmaler Julius Paulsen, der treffliche
Freilichtmaler Th. Philipsen, der Hochstilist
J. F. Willumsen, die realistischen Künstler
Michael Ancher und Anna Ancher, Otto Bache,
die nach florentinischem Quattrocento hinschie^
lende Bertha Dorph, ein Talent, wie Knud
Larsen, das sind lauter incommensurable Größen,
und kaum bei der bunten Menge von Malern
mäßiger oder geringer Begabung, ist ein witk^
lieh innerliches vaterländisches Band nachzu^
weisen, das sie verbinden würde. Einer hat
94
seine Ausbildung in Berlin, der andere in Paris,
weitere in Italien oder sonstwo genossen.
Es nähme kein Ende mit der Andeutung
von individuellen Zügen und von Gegensätzen
innerhalb desselben Reiches, ja innerhalb der^
selben Stadt. Gewiß ist es für manche Zwecke
nützlich, notwendig, Listen von Malern nach
Orten und Ländern zu ordnen, z. B. für Staats^
ankaufe, Subventionen und ähnliches; für die
künftige Stilgeschichte dürfte indes diese Art
von Gruppenbildung unbrauchbar werden.
Die bekannteste Erscheinung der neuen
Kunstbewegung istdieBildung vonSezessionen
in nahezu allen kunsttreibenden Staaten. Fast
allerwärts hatte sich im Kreise der alten Künste
vereine und der neueren Künstlervereinigungen
eine sorglose und tatenschwache, handwerksmä^
ßige Art eingeschlichen, ebenso im Veranstalten,
wie im Ausschmücken von Ausstellungen. Ein
junger, lebhafter, talentvoller Nachwuchs erkannte
die Gefahr des ruhigen Sichgehenlassens, ver^
suchte mit seinen neuen Gedanken in den alten
Künstlervereinigungen durchzudringen — natura
lieh vergebens — und wanderte aus. Häufig waren
die Zurückweisungen ungewöhnlich aufgefaßter
Kunstwerke der Anlaß zur Sezession. Man lese
nur Zolas Artikel aus den i86oer Jahren über
die Pariser Ausstellungen. Damals wurden die
95
ersten Impressionisten zum Abfall gedrängt.
Die Blütezeit der Sezessionen fallt aber ins
letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Die allere
jüngsten Jahre deuten wieder stellenweise eine
versöhnliche Stimmung an. Man hat sich an
vieles gewöhnt, das noch vor etwa zehn Jahren
höchlich befremdete.
Wie in der Architektur und Plastik, be-'
merkt man auch in der modernen Malerei ein
recht deutliches Ringen nach Individualismus,
nach Eigenartigkeit Dabei läuft manche Schrulle
mit unter, auch in technischen Dingen, doch
kann man sich durchschnittlich eines frischen
Geistes bei den Besten erfreuen.
Was bisher besprochen worden, hat sich
zumeist auf die Qualität der modernen Künste
werke bezogen. Nun versuchen wir es noch»
auch die Quantität aus einigen Gesichtswin^
kein zu betrachten.
Das Bauen spiegelt in bezug auf die Menge
am getreuesten die Schwankungen des allge^
meinen Wohlstandes wieder. Wenn es hie und
da eine Zeit lang viel zu viele Künstler gab,
die bauen konnten, aber keine Aufträge erhielten,
so kann dieser Zustand durch irgend eine un^
vorhergesehene Wendung plötzlich ins Gegenteil
umschlagen. Das Bauen rein zum Vergnügen
96
verbietet sich bei den meisten Architekten von
selbst, sogar Entwürfe kosten durchschnittlich
so viel Zeit und Geld, daß sie selten ausgearbeitet
werden, wenn gar nichts anderes schiebt als die
Kunstbegeisterung. Die Bildhauer, die an
einigen Orten, z* B. in Wien, so oft über
Mangel an Beschäftigung klagen"^), sind eben^
falls nicht unabhängig von der allgemeinen
wirtschaftlichen Lage, namentlich die kleinen
und mittleren Talente. Denn der Bildhauer,
vor teuerem Material stehend, überlegt gewöhn^
lieh recht wohl, ob er für seine Arbeit auch
entlohnt werden soll. Seltener als der Maler,
schafft er ohne jeden Auftrag. Die Leichtigkeit
aber, für ein Staffeleigemälde von mäßiger Aus^
dehnung die Kosten aufzubringen, veranlaßt
viele Maler zum Schaffen, auch wenn sie rein
dem inneren Triebe, leider auch hie und da
einem gewissen Geschäftsgeiste folgen, der spe^
kuliert und sich mit allen Mitteln Absatz zu
verschaffen trachtet Auf keinem Gebiet der
bildenden Künste ist die Produktion so leb^
haft, wie auf dem der leicht beweglichen Malerei.
*) Ganz nebstbei erinnere ich heute daran, daß
der Westgiebel des Musikvereinsgebäudes noch leer
stehtt daß die neue Donaustadt noch keinerlei Monu^
ment besitzt. Kein Denkstein erinnert an die Schöpfer
der Wiener Weltausstellung.
97
Diese ist es denn auch, die uns am meisten
auffällt, wenn wir die modernste Kunst auf
die Quantität prüfen. Und da stoßen wir auf
eine fast erschreckende Erscheinung, ein böses
Symptom, das sich gar nicht mehr verhüllen
läßt — die Überproduktion. Ja, es herrscht
eine ungesunde, überflüssige Massenhaftigkeit
des Schaffens."^) Die Ausstellungen werden durch
die Werke der Mittelmäßigkeit, der schwachen
und nachahmenden Talente überflutet. Eine
mittlere Kunststufe ist bald erreicht, sogar bei
kleiner Begabung. Die Großen sind allerwärts
selten. Darum wachsen auch nur wenige Perlen
im Ozean der Kunst, dessen Boden sich da^
gegen mit einer dicken Schlammschicht, einer
Art Kunstdünger bedeckt. O, über diese nach^
ahmenden Talente! Sehen sie nicht mit den
eigenen Augen, schaffen sie nicht mit eigener
Hand, so arbeiten sie wenigstens ä la Meunier
oder ein wenig mit den Tönen Böcklins, in
der Manier eines Degas oder sonst eines auf^
fallenden wirklich eigenartigen Künstlers. Die
vielen Nachahmer könnten einem ästhetischen
Feinschmecker die Lust an den Werken der
*) In der Kunst Nordamerikas scheint es besser
auszusehen, wenn anders die Erörterungen bei W. Bode
nKunst und Kunstgewerbe am Ende des 19. Jahrhun^
derts'S S. 37 ff.» noch heute zutreffen.
98
Bahnbrecher verleiden^ so rasch und so oft
werden die guten Wirkungen aufgegriffen,
wiederholt, zu Tode gehetzt.
Die Massenhaftigkeit des Schaffens be^
ängstigt den genießenden Kunstfreund nicht
nur auf den großen Ausstellungen zu looo bis
2000 Nummern, sondern auch durch die Un^
zahl der kleinen Ausstellungen, die in den
Kunstvereinigungen und bei den Kunsthänd^
lern großer Städte sich nur so jagen. Was wirk^
lieh ausgestellt wird, ist aber noch immer nicht
alles, was überhaupt geschaffen wird. Manches
bleibt ja bei den Künstlern zurück, die es vor
ihrem Tode der Öffentlichkeit nicht preisgeben.
Und bei jeder Ausstellung wird durchgesiebt,
auch wenn das Sieb gelegentlich recht schade
haft ist. Von großen Veranstaltungen gehen
gewöhnlich Hunderte von Werken an die Künste
1er zurück. Die jüngste große Berliner Künste
ausstellung hatte 2200 Werke zurückgewiesen
und nur 1886 Nummern aufgenommen.*) Es
*) Hierzu zahlreiche Berichte in verschiedenen
Tagesblättern und ein Heft, von mehreren Berliner
Künstlern herausgegeben, unter dem Titel ,,Die große
Berliner Kunstausstellung, eine Flucht der Künstler in
die Öffentlichkeit'' (1903t Verlag von Hans Stöcker,
Berlin). — W. Trtibner hat in bezug auf unser mo^
dernes Ausstellungswesen die zutreffende Bemerkung
gemacht, daß die aus Künstlern bestehende Jury der
99
handelt sich in diesem Falle und bei ähn^
liehen Gelegenheiten darum, ob die zurück^
gewiesenen Werke alle vorzuglich und eigene
artig waren oder nicht. Daß bei manchen
früheren Ausstellungen ganz tolle Parteilich^
keiten vorgekommen sind, ist kein Geheimnis.
Auch ist es überklar, daß durch Vorgänge, die
man gar nicht scharf genug kritisieren kann,
bei vielen Ausstellungen oft gerade den feinsten
Talenten das Schaffen verleidet worden ist.
Aber die Aufnahmerichter werden doch nicht
in allen Fällen gar so verblendet oder gewissen^
los gewesen sein, daß sie fortwährend vorzüg^
liehe Arbeiten verstoßen hätten, um lediglich
die schwachen Leistungen von Protektionslämm^
lein zur Ausstellung zu bringen. Freilich auf
solchen Gebieten wird oft das Unglaubliche
wahr. Daß so vieles in die Ausstellungen nicht
aufgenommen werden kann, liegt aber doch nicht
an der Untauglichkeit der Jury allein, sondern
hauptsächlich an dem ungemütlichen An^
schwellen der Produktion. Wer kann
sich da noch wundern, wenn heute so viele
Kunstwerke unverkauft bleiben oder bei manchen
Versteigerungen zu nichtigen Preisen abgehen.
Kunstausstellungen die Sache doch nur so besorge, als
wenn einem Geschäftsmanne das Schaufenster von
einem Konkurrenten eingerichtet würde.
100
Die Kaufkraft hält im allgemeinen nicht gleichen
Schritt mit der Erzeugung, die sich auf einem
mittleren Niveau ungeheuer ausgebreitet hat.
Haus und Schule arbeiten darauf hin, jeden
Gebildeten zu einem Dilettanten oder gar zum
Künstler zu machen. In welcher Familie hätte
sich nicht ein Töchterchen oder Söhnchen das
Malen angewöhnt, wo wäre nicht ein Onkel
oder eine Tante, die wohl oder übel getroffene
Porträte zeichnen; und an Damen, die leidlich
den Ton kneten, ist heute kein Mangel mehr.
Auch dilettiert man im Baufach, im Künste
gewerbe jeder Art.
Ich will keine Kausalität aufstellen, wenn
ich im Zusammenhange mit der Überproduktion
das stets zunehmende Herankommen der Frauen
zu den bildenden Künsten berühre. Die Tat^
Sache wird immer klarer, daß die Frauen in
der Kunst hie und da durch ihre Leistungen
hervorstechen, noch mehr aber durch die Menge,
in der sie auftreten, auffallen. Ehedem waren
eine Sofonisba Anguissola, Irene di Spilimbergo,
auch noch eine Rachel Ruysch, Madame Vigee^
Lebrun, Rosalba Carriera, Angelica Kauffmann
angestaunte vereinzelte Erscheinungen. Seit der
Generation, der die Rosa Bonheur undjerichau^
Baumann angehörten, hat sich jedoch die Lage
gründlich geändert. Heute gibt es schon hunderte
lOI
von genannten und tausende von ungenannten
weiblichen Künstlern, die an manchen Orten
korporativ auftreten. Um 1890 taten sich die
,,femmes artistes'^ in Paris zusammen zu ge^
meinsamem Vorgehen« Sie bildeten die ^Union
des femmes peintres et sculpteures'' und halten
Ausstellungen ab« Seit 190 1 veranstaltet ein
Bund von Künstlerinnen in Wien seine Aus^
Stellungen. Berlin hält tmgefähr gleichen Schritt
mit Wien. Ahnliche Vereine von Künstlerinnen
bestehen in München, Karlsruhe. Meist sind es
Malerinnen und Bildhauerinnen, die den er^
wähnten Vereinigungen angehören. Aber auch
zur spröderen Architektur finden die Weiblein
den Weg. Seit 1880 haben sie in Nordamerika
Zutritt zu den technischen Schulen und jüngst
las man von russischen Baukünstlerinnen. Da^
neben blüht, wuchert der Dilettantismus allere
wärts, und das nicht bloß bei Mädchen und
Frauen.*)
*) Dem weiblichen Geschlechte wird es aber haupt^
sächlich obliegen, die Frauentracht allmählich immer
zweckmäßiger und dabei doch gefällig zu gestalten.
Daß auf diesem Gebiete noch weniger als sonst wo in
der Kunst durch gewaltsame Reformen etwas zu er^
reichen ist» bleibt meine innerste Überzeugung, der ich
schon vor mehreren Jahren Ausdruck gegeben habe.
Welche Frau läßt sichs vorschreiben, wie sie sich zu
kleiden habe; welche wird einen Lappen anlegen, der
102
Man braucht nicht schwerfällig im Ent^
schließen oder Urteilen zu sein, um über die
Unmasse neuester Kunstwerke ein wenig nach^
denklich zu werden und zu überlegen, ob man
das ganze Treiben für nützlich oder schädlich
halten solle» Was könnte der Nationalökonom
dazu sagen, was der Ästhetiker, der Kultur^
historiker, der Ethiker, der Staatsmann? Die
Antwort der Volkswirtschaftslehre dürfte wohl
diese sein : Ist bei den bildenden Künsten wirk^
lieh eine Überproduktion festzustellen, so wird
man den geringwertigen Produzenten den guten
Rat erteilen, sich auf andere Felder zu begeben,
wo mehr Erfolg winkt* Für die großen Talente
wird uns nicht bange. Der Ästhetiker mag
schwärmen und versuchen, sich über die „Schöne
heif' der modernsten Kunst klar zu werden,
oder wenn er ein wirklich moderner Künste
Philosoph ist, wird er darüber nachsinnen, was
an der neuesten Kunst gut ist, was schlecht in
künstlerischem Sinne. Er wird die lebensfähigen
Züge erkennen, aber auch herausfinden, was
hohl und marklos ist Dem Kulturhistoriker
sie zur Karrikatur machen würde? Den Kampf gegen
stark schnürende Mieder könnte ich aber nur befür^
Worten. Der ist übrigens nicht neu und wird schon
seit Jahrzehnten von Anatomen und Ärzten ununter^
brechen geführt.
103
ist diese Angelegenheit vielleicht ganz gleich^
gültig. Er verzeichnet die Sachlage kühl, ob^
jektiv, er notiert, daß das Kunsttreiben gegen
Ende des 19. Jahrhunderts unverhältnismäßig
zugenommen, daß der Kunstsinn sich weiter
verbreitet hat als je zuvor. Gedenkt er dabei
auch der veredelnden Wirkung, die von den
bildenden Künsten ausgeht, so wird er sich
mit dem Ethiker befreunden, der in der Künste
Übung ein Mittel sieht, die schlechten Triebe
niederzuhalten. Andere Ethiker urteilen wieder
anders. Der Staatsmann wird die Lage aus ver^
schiedenen Gesichtspunkten betrachten, um
herauszufinden, was dem modernen Gemein^
wesen frommt. Das weit verbreitete Künste
schaffen und der zunehmende Kunstsinn könnten
ihm nur insofern erfreulich sein, als damit auch
eine Steigerung im Wohlstande der Künstler
gegeben wäre, als damit die Ausfuhr gesteigert
würde oder dann, wenn sich damit auch eine
besondere Erhöhung der Kunststufe eingestellt
hätte. Zur sicheren Beurteilung der Angelegen^
heit wäre es von Bedeutung, zu wissen, ob die
weite Verbreitung der Kunst auf die Tüchtige
keit der Besten, der Auserwählten günstig ein^
wirkt. Es scheint so. Wo die Stufe des durchs
schnittlichen Kunsturteils eine ziemlich hohe
ist, wird man das Vorzügliche schätzen und
104
Geringes zurückweisen. Das wäre eine Seite
der Angelegenheit^ deren Betrachtung dazu an^*
treiben würde, nach Möglichkeit die Ausdehnung
zu fördern, auch den Dilettantismus freundlich
zu beachten. Anderseits führt die gesteigerte
Verbreitung des Kunstsinnes und Kunsttreibens
notwendigerweise zu einem großen Vorrat an
künstlerisch unbedeutenden iWexken, die nur
als Ballast zählen, hie und da geradezu als ab^
schreckende Beispiele hingestellt werden müssen*
Der Staat als lebender Organismus kann Re^
flexbewegungen ausführen, wenn ihm etwas
unbequem oder gar schädlich wird, er könnte
gegen die Überproduktion ankämpfen. In un^
serem Falle ist die Beurteilung nicht leicht.
Vieles bleibt in der Vorbereitung der Schluß^
gedanken problematisch und man kann darauf
gespannt sein, wie sich unsere Kulturvölker mit
der Überproduktion in den bildenden Künsten
abfinden werden. Eines scheint mir indessen
klar: wir brauchen viel mehr ein Zunehmen der
Qualität als der Quantität in allen Künsten.
Süddeutschland und Österreich krankt z. B. an
der übermäßigen Anwendung des Verputzbaues,
der, man mag die Sache drehen wie man will,
immer dann eine architektonische Heuchelei
oder ein künstlerischer Betrug bleibt, wenn er
in irgend welcher Weise an Formen des Steine
105
baues oder Ziegelbaues erinnert. Rasches, massen^
haftes Schaffen verführte femer an vielen Orten
zu einer unverkennbaren Roheit und künst^
lerischen Gefühllosigkeit auf allerlei Gebieten
der bildenden Künste. Des Besonderen wäre
in der Malerei größere technische Sorgfalt,
klügere Überlegung im Schaffen erwünscht. Das
Handwerk im Malen wird seit lange untere
schätzt und die Anfänge zur Besserung, wie sie
in den Kursen über Maltechnik an einigen
Kunstschulen geboten werden, reichen noch
lange nicht aus, die Maltechniken im allgemeinen
zu heben. Arbeiten wir also doch jetzt lieber
in die Tiefe als in die Breite. Dem Zuviel in
der modernsten Kunstübung, dem ansprachst
vollen Sichbreitmachen der Mittelmäßigkeit und
künstlerischen Roheit wird man wohl entgegen^
treten. Die vielen gesunden strotzenden Keime
des heutigen Schaffens mögen aber die richtige
Lebensluft finden, die nicht mit eigensinnigen
Normen wie ein eisiger Hauch die zarten Pflanz^
chen versengt, sondern die liebevoll und warm
das künstlerisch Bedeutende wachsen und ge^
deihen macht.
Zur Literatur*
Als Ergänzung zu dem, was die vorstehende
Arbeit selbst genannt hat, seien noch einige Hinweise
notiert.
In Frankreich erscheinen zahlreiche periodische
Veröffentlichungen, die den modernsten Erscheinungen
ihr Augenmerk zuwenden, so:
„Gazette des beaux^arts'' mit dem Beiblatte
„Chronique des arts et de la curiosit^^^ (Redakteur
Ch. Ephrussi), „Revue des arts decoratifs'^ (Directeur
Viktor Champier), „L'art et d^coration'S „Le Journal
des arts'% „Les arts'' (Goupil & Comp.), „La Plume'',
„L'oeuvre d'art'', „Revue de l'art ancien .et moderne''
(Directeur: Jules Comte), „Figaro Salon'S „Figaro
illustr^". Die Publikation „Les artistes de tous les
temps" (librairie de Tart ancien et moderne) nimmt
auch auf neueste Erscheinungen Rücksicht.
England hat als viel gelesene, weit verbreitete
Zeitschriften über Kunst „The magazine of art", „The
art journal'% „The studio", „The artist". Gelegentlich
behandelte auch „The Portfolio" moderne Kunst. Alex.
Kochs „Academy architecture and architectural Review"
berücksichtigt neben der Baukunst auch die Plastik.
England hat eine ganze Reihe von Bauzeitungen auf"
zuweisen. Zu den Londoner Ausstellungen, vgl. „Royal
Academy and New Gallery Pictures". Bis in die 1890er
Jahre reicht das Buch von Rob. de la Sizeranne „La
107
peinture anglaise contemporaine'S das attch in deutscher
Ausgabe erschienen ist. Noch weiter herauf erstreckt sich
W. H. Goodyear in dem Buche .^Renaissance and modern
art^ (New York 1900)» womit Anknüpfungen an Franko
reich (durch De la Sizeranne) und an Nordamerika
(durch Goodyear) gegeben sind.
In Deutschland war die Zeitschrift ^Pan'' die
Bahnbrecherin für individuelle Kunst. Bald darauf» noch
unter Lützows Leitung ließ sich die »»Zeitschrift für
bildende Kunst^ ein modernes Titelblatt zeichnen» um
auch mit dem Text sich den Neuen freundlich zu er^
weisen. Im Herbst T897 begann »»Deutsche Kunst und
Dekoration'S herausgegeben von Alezander Koch in
Darmstadt» und Friedrich Pechts »»Die Kunst für Alle''
die schon seit 1884 erschienen war» machte gleichfalls
die Schwenkung mit Bruckmanns Verlag» in welchem
die Kunst für Alle erschien» gab auch die Zeitschrift
»»Dekorative Kunst'' heraus (sie erscheint mit der
Kunst für Alle vereinigt als »»Die Kunst"); Hanfstängls
Verlag nahm sich ebenfalls der modernsten Kunst an
durch Herausgabe der Zeitschrift »»Die Kunst unserer
Zeit". J. J.Webers »»niustrierte Zeitung" bemächtigte sich
bald der modernen Frage und bildet stets irgend welche
Proben modernen Kunstgewerbes» neuester Architektur.
Plastik und Malerei ab. Im Weberschen Verlag erschien
1899/1900 auch »»Das goldene Buch des deutschen Volkes
an der Jahrhundertwende"» das reich illustrierte Ab^
schnitte über die bildenden Künstler Deutschlands ent^
hält. In neuester Zeit vermitteln einen Überblick die
Bände des »»Jahrbuchs der bildenden Kunst" (unter
Mitwirkung von Dr. Woldemar von Seidlitz^Dresden,
herausgegeben von Max Martersteig). Gegen Schluß
dieser Bände findet sich eine reichliche Bibliographie»
auf die ich bezüglich einiger weiterer Titel und Verlags«*
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angaben hinweise. Arthur L. Jellineks .internationale
Bibliographie der Kunstwissenschaft'^ (L Jahrgang, 1902)
dürfte sich zu einem wichtigen Nachschlagebuch heraus^
bilden, wenn sie durchschlägt. Sie berücksichtigt schon
im ersten Bande die modernste Kunst. Ein Abbildungs^
werk liegt vor in den Bänden ,,Die Kunst des Jahres
1902'' und ,,Die Kunst des Jahres 1903^^ (München, Brücke
man). Ein weiteres Werk, jüngst erst herausgegeben,
ist Fritz Drechslers „Die Neuzeit^' (Lichtdrucke nach
modernen Bauwerken).
Kaum gibt es eine schöngeistige Zeitschrift, die
nicht auch von der Kunst unserer Tage handeln würde
und fast jedes politische Tagesblatt bringt Berichte
über Ausstellungen und andere Ereignisse des Kunst^
lebens. Auf diesem Felde hört jede gründliche Ober^
sieht auf, und ich weise nur auf Einzelnes hin, wie
auf Wester manns illustrierte Monatshefte, Velhagen und
Klasings Monatshefte, auf „Die Woche'S auf „Das Buch
für Alle'S auf „Moderne Blätter für Musik, Kunst und
Literatur^' (1901 begründet). Unter den jungen Kunst^
Zeitschriften, die mehr oder weniger neueste Kunst be^
achten, seien hervorgehoben: Helbings Monatsberichte
über Kunstwissenschaft, Malkowskys „Deutsche Kunst,
illustrierte Zeitschrift für das gesamte deutsche Kunst^
schaffen'S die „Mitteilungen des Vereines für dekorative
Kunst und Kunstgewerbe'' Stuttgart (1900 begründet),
Georg Gallands „Die Kunsthalle", Heilbuts „Kunst und
Künstler".
Österreich hat zim höchst vornehm ausgestattete
Zeitschrift in „Kunst und Kunsthandwerk" (heraus^
gegeben und redigiert von A. v. Scala, Wien, Artaria
& Cie.), die weite Gebiete umfaßt und eine reichhaltige
Bibliographie für alle Arten des Kunstgewerbes bietet.
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tyYzr sacrum'' ist das reich illustrierte Organ der
,, Vereinigung bildender Künstler Österreichs : Sezession^^
das im Jänner 1898 zu erscheinen begann.
Als Vorkämpfer hat an der neuen Bewegung mit^
geholfen die ,t Wiener Rundschau^' die übrigens nicht
mehr erscheint und in Nr. 18 des V. Jahrganges am
30. September 1901 ihr Aufhören ankündigte. Seit
einigen Jahren wird ,,Das Interieur» Wiener Monatschrift
für angewandte Kunst^' bei SchroU & Cie. herausgegeben.
In neuester Zeit trat eine Zeitschrift ,,Kunstt Halb^
monatsschrift für Kunst und alles andere'^ (unter Re^
daktion von Peter Altenberg) ins Leben. Die »^ Wiener
Mode'' achtet auch auf modernste Kunst.
In Wien erscheinen ungewöhnlich viele Zeit-
schriften für Architektur und Bauwesen» auf die ich im
allgemeinen hinweise. 1901 begann der Künstlerbund
in Graz die Herausgabe eines Werkes »»Grazer Kunst''»
das neben den bildenden Künsten auch Literatur und
Musik bespricht. Die Zeitschrift »»Volnd smery" wird in
Prag vom Künstlerbund »»Manes" publiziert.
Die Niederlande hatten bis vor kurzem die Zeit^
Schrift »»De vlaamsche school"» deren Fortsetzung »»Onze
Kunst" heißt (Antwerpen und Amsterdam). 1903 wurde
die Kunstzeitung »»Kunst en leven" begründet (Gent).
1898 war durch Kleinman in Haarlem die Zeitschrift
»»Bouwen Sier^Kunst" begonnen worden» die neben alter
Kunst auch Modernes behandelt.
Aus Rußland ist mir die Zeitschrift MIPL
HCKyCCTBA bekannt geworden.
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