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Full text of "Modernste Kunst: Eine Skizze"

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TH. V. FRIMMEL 



MODERNSTE 
^ KUNST ^ 

EINE SKIZZE 



o MÜNCHEN UND LEIPZIG 1904 o 
VERLAG VON GEORG MÜLLER 



DRUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN. 






Pem objektiv gehaltenen Buche schicke ich 
eine subjektive Bemerkung voran. Seit 
den frühen 1870er Jahren nahm ich aufmerk'^ 
Samen Blickes Anteil an dem, was jeweilig 
modernste Kunst war. Bei der Wiener Welt^ 
ausstellung von 1873 hatte ich gute Gelegen*^ 
heit, mir einen Überblick über das Kunsttreiben 
in den großen Kulturstaaten zu verschaffen. 
Auch seither habe ich viele Ausstellungen intern 
nationaler Art und noch viel mehr kleine Zu^ 
sammenstellungen von engerem Gesichtskreise 
durchgesehen, viele sogar bis ins Einzelne studiert. 
Aber in den 1870er Jahren war es mir noch 
nicht vergönnt, irgend welche Meinungen über 
moderne Kunst zu veröffentlichen. Erst später 
wurde ich zur Abfassung von Biographien und 
Kritiken herangezogen. Das Gebiet der mo'^ 
dernen Kunst fesselte mich mehr und mehr 
und ich fand, daß auch für das Verständnis 
meiner Lieblinge, der alten Meister, mancher 
Gewinn aus dem Studium der neuen Kunst zu 



IV 



holen war. Nun haben die jüngsten Jahre so 
vieles^ so denkwürdiges an neuen Gestaltungen 
geboten, daß ich mich entschloß, eine Überschau 
über modernstes Kunsttreiben zu skizzieren und 
die Skizze zu veröfFentlichen und zwar in der 
Form eines Buches* Ein Teil davon ist, leider 
durch Mißverständnisse beim Abdruck entstellt, 
als Feuilleton der Wiener Montagsrevue er*^ 
schienen. Nur wenige Abschnitte aus dem 
Feuilleton sind unverändert für das Buch bei*^ 
behalten und nur wenige Zeilen sind aus einer 
älteren eigenen Arbeit herübergenommen worden. 
Sonst ist alles neu, und ich habe bei Ab*^ 
Fassung dieser Abschnitte nicht gezögert, so*^ 
gleich die Beobachtungen neuerlicher Studien*^ 
reisen mitzuteilen. 

Das Buch berührt nach Möglichkeit die 
wichtigsten Fragen modernen Kunsttreibens 
und ich hofFe, daß denkende Künstler und 
Kunstfreunde die neue Erscheinung beachten 
werden. 

Wien, im November 1903. 

DER VERFASSER. 



Pie bildenden Künste sind heute nicht mehr, wie 
sie waren. So triumphieren die Stürmenden, 
so seufzen die Trägen, so zetern die Rückschrittler. 
Die Vertreter verschiedener Lager, ob sie nach 
Kräften schieben, ob sie der Sache ruhig ihren 
Lauf lassen, ob sie vergeblich die Zeit zu 
hemmen denken, alle müssen sie mit der platten 
Tatsache rechnen, daß man heute anders baut, 
modelliert, malt, als noch vor einem halben 
Jahrzehnt Es ist überklar, daß die künstlerische 
Jugend anders sieht und schafft, als es die 
Väter und Großväter taten. Auch kann kein 
Zweifel obwalten, daß jetzt mehr, unverhältnis*^ 
mäßig mehr geschaffen wird, als vor Jahrzehnten, 
vor Jahrhunderten. Zwar hat es auffallende 
Wandlungen in bezug auf die Menge und die 
Güte der Produktion auch früher zu ver^ 
zeichnen gegeben, aber sie brauchten ehedem 
längere Zeit zu ihrer Vollendung und Ver^ 
breitung, als in unseren Tagen. Schauen wir 
doch hin auf die große Stetigkeit guter alter 
Kunst und auf das Flinmiem und Schillern 



neuesten Kunsttreibens. Die großen Züge der 
Kunstgeschichte lehren uns in dieser Beziehung 
Vieles, besonders die steigende Hast, mit der 
im Laufe des XIX,. Jahrhunderts der 
Reihe nach alles wiederbelebt, nachgeahmt 
wurde, was früher einmal stilbildende Kraft 
besessen hat. Die Antike, zwar mißverstanden 
nach dem verhältnismäßig geringen Denkmäler^ 
Vorrat, der damals bekannt war, dominierte zu 
Anfang des Jahrhunderts; dann begeisterte man 
sich für mittelalterliche Kunstweisen, die lus^ 
tig oder auch traurig durcheinander geworfen 
wurden; darauf sah sich die Renaissance förm^ 
lieh wieder entdeckt. Es folgte eine Rettung 
der Barocke für die Kunstübung und für die 
Geschichtsschreibung. Das verpönte Rokoko 
wurde dann wieder hervorgesucht, bewundert, 
und die klassizistischen Formen, die ehedem 
das Rokoko ablösten, folgten auch nun wie^ 
der in der Reihe der neuerweckten Stile. Die 
kurze Entwicklung des Embryo der Säugetiere 
hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der langen 
Entwicklung, die ganze Reihen niedrigerer 
Tiere durchgemacht haben. Was sich früher in 
Jahrtausenden abspielte, scheint hier auf Mo^ 
nate zusammengedrängt zu sein.*^) An derlei 

'*') Ch. Darwin und Häckel haben diese Ge^ 
dankenreihen geschaffen und seither spricht man von 



Beobachtungen der Naturwissenschaft wird man 
erinnert, wenn man die Reihenfolge der Künste 
Stile vor Jahrtausenden und Jahrhunderten mit 
dem raschen Wechsel innerhalb der Jahrzehnte 
seit etwa 1820 oder 1825 vergleicht. Im Laufe 
des 19. Jahrhunderts hat aber die Abwechslung 
nicht so ganz den Charakter der gründlichen 
Änderung, wie in früheren Zeiten. Die wieder 
angeschlagenen Töne aus vergangenen Jahr«' 
hunderten haben noch nicht ausgeklungen und 
schon kommen sie im Echo zurück. 

Ein so rascher Wechsel der Szenerie war 
vorher auf dem Kunsttheater ganz unerhört. 
Die Raschheit des Wechsels geht ungefähr 
parallel mit dem Anwachsen der Bevölkerung, 
mit der Vervollkommnung der Maschine, mit 
der Zunahme der Verkehrsgeschwindigkeit, mit 
der Verbreitung allgemeiner aber ganz ober^ 
flächlicher Bildung, alles zusammen mit der 
Nervosität des modernen großstädtischen 
Lebens, das schon immer wieder nach Neuem 
hascht, wenn das Ältere noch kaum ausge^^ 
reift ist. 

Eingreifende Stilwandlungen waren früher 
so ziemlich erst dann eingetreten, wenn man 

der Ähnlichkeit der Ontogenie (der Entwicklung des 
Individuums) mit der Phylogenie (d. i. mit der Ent^ 
Wicklung des Stammes). 



sich an einer bestimmten Kunstauffassung satt 
gesehen hatte und wenn unter den Künstlern 
vorwiegend ein leichtfertiger Manierismus, ein 
unlustiges, handwerksmäßiges, gedankenloses 
Schaffen eingetreten war, im allgemeinen dann, 
wenn der Sättigungspunkt überschritten war. 
Andere Formen, andere Gedanken erschienen 
dann wie eine Erlösung, ob sie nun aus älterer 
Kunst entlehnt waren oder neu erfunden wur^ 
den. Gelegentlich ist eine Art Pendelbewegung 
zu beobachten zwischen übertriebenem Formen^ 
reichtum und beabsichtigter Einfachheit. Das 
krause Zierwerk der spätesten Gotik und die 
schlichteren Formen der darauf folgenden 
besten reifen Renaissance deuten eine solche 
Bewegung an, die dann wieder zum überladenen 
Barock führt; noch auffallender ist der Rück^ 
schlag vom üppigen Rokoko zum nüchternen 
Klassizismus und das nachfolgende Formen^ 
gewirre der Romantik. Von einem Fortleben 
der Stile bis zur Sättigung kann nun im 
19. Jahrhundert nur mehr sehr bedingt ge^ 
sprochen werden. Wie heute die Sache steht, 
werden alle möglichen alten Stile nebenein^ 
ander wieder verwendet, und überdies treten 
noch zahlreiche neue Erscheinungen auf, die 
man nicht als Nachempfindungen oder gar 
Nachahmungen auffassen kann, sondern die 



als ganz eigenartige Kunstweisen zu betrachten 
sind. Manche technische Neuerungen begleiteten 
diese neue Kunsterscheinung, ja sie beeinflußt 
ten wohl auch die Kunstformen wesentlich. 
Schon während der zweiten Hälfte des 19. Jahr^ 
hunderts wurden die Bauformen allmählich be- 
reichert durch die stets zunehmende Anwendung 
von Eisenkonstruktionen. Die Brücken der 
englischen Ingenieure, die Hasenauersche Ro^ 
tunde der Wiener Weltausstellung von 1873, 
die neueren Riesenhallen der Bahnhöfe und 
die Eisenhäuser der alten und neuen Welt 
deuten die Wendung an. Den Eiffelturm in 
Paris (1887 — 1889 erbaut) kann man als das viel^ 
leicht bekannteste Wahrzeichen des monumen^ 
talen Eisenbaues anführen. Der Gebrauch von 
Eisenstützen, Beton^Eisenwölbungen, Wellen«' 
blechbedachungen, Lochziegeln, Korkziegeln, 
Glasbausteinen und Gipsdielenwänden beein^ 
flußt in neuerer Zeit ohne Zweifel die Erfin^ 
düng der Architekten. So wirkt die Form 
einiger Eisenbrücken nun schon zurück auf 
Steinbauten, wie das an der steinernen Adolf«^ 
brücke in Luxemburg, an der Solysbrücke der 
Albulabahn und an der Max Josefbrücke in 
München (Bogenhauserbrücke im Volksmunde) 
zu bemerken ist. Die Ingenieure wissen es genau, 
daß diese Konstruktion zweckmäßig ist, und doch 



kann man sich der Erwägung nicht verschließen^ 
daß beim Steinbau die nackte Zweckmäßigkeit 
nicht ebenso gut wirken kann, wie bei dem 
mehr plastischen Material der Eisengerippe. 
Ich erblicke in derlei Brücken nur einen Über^ 
gang zu feiner gefühlten Steinbauten, technische 
Versuche, aus denen wohl noch etwas ästhe^ 
tisch mehr Befriedigendes hervorgehen kann.*) 
Gegen Ende des Jahrhunderts verbreitete sich 
die Bauweise Moniers, der „Beton arme'% so 
sehr, daß viele Freiheiten im Formen nicht 
nur der Ingenieurbauten, sondern auch der 
Hochbauten gegeben waren. Monier hat als 
Gärtner begonnen und für Gefäße aus Zement 
mit Eisengerippe 1867 «in Patent erhalten. Das 
Material dieser überaus dauerhaften Gefäße 
führte dann auf die Baukunst hinüber. Der 

*) Mit der reinen Beachtung von Druck und Wider^ 
stand gibt sich die Kunst noch nicht zufrieden. Sie ver^ 
langte daß nicht nur so zweckmäßig, sondern auch so 
schwungvoll gebaut werde, wie etwa der Knochen 
wächst. Die Kraftlinien des Oberschenkelknochens ha^ 
ben eine merkwürdige Ähnlichkeit mit denen mancher 
Eisenbauten. Die Literatur zu dieser Angelegenheit ist 
zusammengestellt bei Ernst Knapp in den ,,Grund^ 
linien zur Philosophie der Technik^' im Kapitel über 
,,Die innere Architektur der Knochen'^ Die Erkenntnis 
des Zusammenhanges zwischen dem Bau moderner 
Brücken und dem des Knochens wird einem Gedanken 
Culmanns verdankt. 



Moniersche Beton^^Eisenbau wurde bald in allen 
Kulturstaaten angewendet und weiter gebildet, 
z. B. durch Hennebique, G. A. Wayß, Ed. Ast 
und Bauschinger. Der elegante Schwung vieler 
moderner Wölbungen wird einzig dem stein«' 
harten, aber leicht zu formenden Beton^^Eisen«' 
bau verdankt.*) 

Steinbau und die Anwendung glasierter 
Ziegel für die Schauseiten herrscht im Norden 
Europas und in ganz Frankreich viel mehr vor 



*) Mir selbst ist die Sache von vielen Ausstellung 
gen her und von manchen Bauwerken, die ich habe 
entstehen gesehen, geläufig. Zur Einführung in die An«* 
gelegenheit kann dienen Nr. 5 der ^^Zeitschrift des 
österreichischen Ingenieur^ und Architektenvereines'^ 
vom 31* Jänner 1902, sowie die daselbst genannte Lu 
teratur. Nicht ohne Interesse ist Fritz v. Empergers 
^^Internationales Organ für armierten Beton'^ auch die 
Geschäftszeitschrift der Firma Hennebique: ,,Le Beton 
arm^'S die jetzt 1903 im 6. Jahrgange steht. Leicht 
verständliche Mitteilungen auch in der Zeitschrift ,,Die 
Wagens 1901, S. 157 f. In neuester Zeit erschien ein 
Buch von Emperger ,,Neuere Bauweisen und Bauwerke 
aus Beton und Eisen" (Wien, Lehmann & Wentzel, 
1902) und in der Zeitschrift .^Deutsche Bauzeitung'' 
vom 25. April 1903 wurde ein Vortrag von E. Morsch 
über Betoneisenbau abgedruckt, der noch weitere Li^ 
teratur nennt Zu beachten sind auch die zahlreichen 
Albums mit Abbildungen, die von den verschiedenen 
Firmen des Betoneisenbaues herausgegeben werden. 



als im Süden. In Süddeutschland und öster^ 
reich kann man sich noch immer von dem 
wenig haltbaren, leicht schmutzenden Verputz^ 
bau nicht losmachen, und besseres Material 
kommt da nur selten für Privatbauten und 
nicht immer für öffentliche Gebäude zur An^ 
Wendung. 

Was die wiederbenützten älteren 
Baustile betrifft, so sehen wir eine bunte 
Musterkarte vor uns. Die Pylonenbauten der 
Ägypter klingen ebenso gelegentlich an, z. B. 
in Darmstadt, wie altnordische Motive in neuen 
Stockholmer Bauten und in der neuesten finn^ 
ländischen Kunst. An vielen Orten wird auch 
antikisierend gebaut, oder man greift auf ir^ 
gend einen beliebigen historischen Stil zurück. 
Daß man sich in Athen heute stark von der 
klassischen Antike beeinflussen läßt, erregt 
wohl um so weniger Staunen, als schon in den 
i86oer und 1870er Jahren dort eine moderni^ 
sierte Antike gebaut worden war. In neuester 
Zeit entnahm das Gebäude der neuen Nation 
nalbibliothek seine Formen den alten dorischen 
Bauten.*) 



*) Erbaut von Professor Ernst Ziller. Abgebildet 
in J. J. Webers ..Illustrierter Zeitung^' vom 21. März 
1901, Nr. 3012. 



Die neue definitive Börse in New*' York 
benutzt die antike Tempelfassade in riesigen 
Abmessungen."^) 

Antikisierend erfunden mit diesen oder 
jenen eigenartigen Zügen sind femer z. B. das 
neue Krematorium in Mannheim, das neue 
Künstlerhaus in Krakau, das neue Stadttheater 
in Meran-**) 

Stark antikisierend ist der Bau des Mus^e 
Galliira in Paris, dessen Errichtung allerdings 
noch in die i88oer Jahre zurückreicht. Neueren 
Ursprungs ist die Architektur des Friedens«^ 
denkmals in den Isaranlagen zu München, wo 
das Erechtheion der Akropolis von Athen als 
Vorbild maßgebend war. Um in München zu 
bleiben, sind sogleich die Villa Stuck mit vielen 
antikisierenden Motiven und das Äußere des 
neuen Prinzregenten^^Theaters, auch das Baron 
Freibergsche Haus am Karolinenplatz anzu^ 
reihen, die alle in mehr oder weniger eigene 
artiger Weise Anregungen durch die Antike 
verwerten. Sehr vornehm zeigt sich der Portikus 
zwischen den antikisierend gehaltenen Flügel'^ 

*) Abbildungen in „Le monde illustr^" vom i. No- 
vember 1902, Nr. 2379* 

**) Mir durch Abbildungen bekannt. Vgl. auch 
„Die Kunst für Alle'^ vom 15. August 1901 und J. J. 
Webers ».Illustrierte Zeitung'* vom 7. März 1901, 
Nr. 3010. 



10 



bauten am Land^ und Amtsgericht in Straße 
bürg. 

In neuester Zeit ist als antikisierender Bau 
der Goethe^Tempel im Darmstädter Herren^ 
garten sehr bekannt geworden. 

Zu den feinsten Hervorbringungen mo^ 
demster antikisierender Baukunst zählt ohne 
Zweifel das neue Pergamon^Museum in Berlin. 

Die Anwendung mittelalterlicher Bau^ 
weisen begegnet uns zumeist beim Kirchenbau, 
der ja bisher Formen moderner Erfindung ver^ 
schmäht hat. Zwar verdankt man Otto Wagner 
in Wien einen ganz eigenartigen bedeutungs^ 
vollen Entwurf einer Kirche, doch hat sie, so^ 
weit ich sehe, noch keinerlei Aussicht wirklich 
gebaut zu werden. Dagegen könnten die Beispiele 
von romanischen und gotischen neuen Kirchen 
in langen Reihen aufgezählt werden. 

In ganz eigener Art verwertet, findet sich 
der romanische Stil in der Basilika für den 
Sacre^Coeur auf dem Montmatre zu Paris. An 
einige Münchener, Berliner, Dresdener und 
Wiener Kirchenbauten der neuesten Zeit sei 
erinnert. Nicht zu übersehen ist die neue große 
katholische Pfarrkirche „in der Wiehre*' zu 
Freiburg im Breisgau (entworfen von Joh. Durm), 
ferner die neue Königin Luisen^ Gedächtnis^ 
kirche zu Königsberg, die neue lutherische Kirche 



II 



zu Görlitz, zu Straßburg die Synagoge und die 
neue Jung St. Peterskirche, das Bismarck^Mauso^ 
leum in Friedrichsruhe, die Dresdener neue 
Jakobskirche, um nur einige Beispiele anzu^ 
deuten. Für Profanbauten eignet sich der 
romanische Stil viel weniger. Er muß sich da 
manche Anpassung gefallen lassen, wie am 
neuen großen Hause auf dem Auguste Viktoria^ 
Platz in Charlottenburg und an der neuen städti^ 
sehen höheren Mädchenschule in München. ^) 



*) Ganz abgesehen vom besten Mittel sich eine 
Anschauung modernster Kunst zu verschaffen, vom 
Reisen und Selbstsehen, kann in bezug auf gedruckte 
Hilfsmittel zweier Artikel Erwähnung geschehen, die 
manches Wissenswerte in übersichtlicher Weise zusam^ 
menfassen; einer steht in der ,,Deutschen Bauzeitung'% 
XXXIIL Jahrg., der andere in „Volnd Smgry'% Jahrg. IV. 
Größere Werke, die eine Übersicht anbahnen, sind 
Rehmes „Die Architektur der neuen freien Schule'S die 
„Moderne Städtebilder" (Berlin, Wasmuth), Hugo 
Licht „Architektur des 20. Jahrhunderts'', J. Fiedler 
„Das Detail in der modernen Architektur". Überdies 
bieten viele Bauzeitungen und illustrierte Blätter reiche* 
liches Material. Das Wichtigste davon soll in den Fuß" 
noten, auch im Text genannt werden. 

Die Jakobskirche in Dresden ist vom Berliner 
Architekten Jürgen Kröner entworfen. Vgl. die Zeit' 
Schrift „Daheim" vom 14. Dezember 1901. Die Luther^ 
kirche in Görlitz ist von Fritsche gezeichnet, das Haus 
am Auguste Viktoria^Platz vom Baurat Schwechten. 



12 



Die große Basilika im Wiener Bezirke 
Favoriten schließt sich in einigen großen Linien 
enge an die Formen des Santo zu Padua an, 
der seinerseits wieder Anleihen bei der Markus^ 
kirche Venedigs gemacht hatte. 

Große Verbreitung, besonders im Kirchen^ 
bau, hat noch heute die Gotik, nicht zuletzt 
in England, wo z. B. die neue Kathedrale von 
Liverpool vollkommen gotisch gehalten wird.*^) 
In feiner englischer Gotik ist die neue Kirche 
an der langen L^ince^in Kopenhagen erbaut. 
Deutsch^gotisch sind die neue St. Peterskirche 
in Nürnberg (vom Architekten Jos. Schmitz), 
die neue Andreaskirche in Salzburg (vom Archiv 
tekten J. Wesikc), die katholische Gamisons^ 
kirche (von Ludwig Becker) und die evangelische 
(von Louis Müller) in Straßburg und manches 
andere Gotteshaus. Auch viele Gebäude, die 
profanen Zwecken dienen, knüpfen in ihren 
Formen mehr oder weniger an gotische Vor^ 
bilder an. Das große neue Parlamentshaus in 

Vgl. ^.Moderne Kunst'^ Jänner 1902 und J. J. Webers 
,JUustrierte Zeitung'^ Nr. 3038 vom 19* September 1901. 
*) Vgl. „The lUustrated London News*' vom 6. Juni 
1903. Die Geschichte des englischen Kirchenbaues ist 
eigentlich die Geschichte der englischen Gotik, so sehr 
herrscht in England der gotische Stil. Vgl. H. Muthe'* 
sius ,,Die neuere kirchliche Baukunst in England''. 
(Berlin 190 1). 



13 



Budapest benätzt aus zweiter Hand (aus der 
Friedr. Schmidts, des Wiener Dombaumeisters) 
gotische Motive. Hauberisser in München hat 
seine eigene Gotik seit dem ersten Rathausbau 
verfeinert, vervollkommnet, und so kann man 
das Beste von den großen neuen Anbauten 
zum alten Gebäude berichten. Allerlei gotische 
Backsteinbauten sind in norddeutschen und 
holländischen Städten entstanden. Ich nenne^ 
ohne jedoch weiter auf das Material zu achten, 
einige der neuesten gotischen Profanbauten, z* B* 
die Handelshochschule in Köln (Abbildung in 
„Über Land und Meer^ vom Mai 1901), das neue 
Kölner Kunstgewerbemuseum (vgL „Die Garten^ 
laube'S Mai 1900), das neue Freimaurer^Institut 
in Dresden^'Striesen (Abbildung in J. J. Webers 
„Illustrierte Zeitung^ vom November 1900), 
ferner einige große behördliche Gebäude in 
Magdeburg, Braunschweig, Straßburg i. E., 
Königsberg. Ein auffallender, moderner, goti^ 
scher Bau ist das Haus der Eggebrechtschen 
Weinhandlung in Berlin (Friedrichstraße); mehr 
versteckt liegt das von VoUpert entworfene 
gotische Eckhaus an der Hartmannstraße in 
München. Aufgewärmte Gotik wird am Melanch^ 
thonhaus in Bretten bemerkt Die höhere 
städtische Mädchenschule in Wiesbaden (von 
F. Genzmer entworfen) ist im Sinne der Spät* 



14 



gotik erfunden. Spätgotik beherrscht auch die 
Anlage des neuen nordischen Museums zu 
Stockholm und das Hallwylsche Palais ebendort 
(Architekt Clason, der sich in diesen Fällen an 
spanischer Gotik und Frührenaissance begeistert 
hat). Venezianische Gotik klingt im Privatbau 
Stockholms nicht selten an. In Wien ist der 
Dogenhof in der Praterstraße in diesem Stil 
gehalten. Spätgotisch, an deutsche Renaissance 
gemahnend, ist die neue Lesehalle der Karl 
Zeiß^Stiftung in Jena. Gar beachtenswert das 
Löptauer Rathaus, das uns vollends zur deut«* 
sehen Renaissance heraufgeleitet. In diesem 
Sinne ist auch das Rathaus zu Duisburg zu 
nennen.*) 

Als gänzlich modernisierte Gotik möge noch 
mit Zugeständnissen das Haus erwähnt werden, 
das sich der erfindungsreiche Goldschmied Rene 
Lalique selbst entworfen und in Paris hat auf«^ 
führen lassen. Das meiste geht daran auf gotische 
Motive zurück, die allerdings sehr eigenartig 
aufgefaßt sind (vgl. „Art et decoration'' vom 
November 1902). In der Ornamentik hat er, 
diesmal Naturalist, sich hier einen Stil zurecht^ 
gelegt, den man wohl als: Koniferenstil be^ 
zeichnen könnte. 



'*') Hierzu „Deutsche Bauzeitung^ 1902 und 1903* 



15 



Die Renaissance in verschiedenen natio^ 
nalen Färbungen, die jahrzehntelang den Bau 
der modernen Zinskaserne und des Privathauses 
in großen Städten beherrscht hat, ist noch immer 
ein wichtiger Faktor in der neuesten Baukunst 
und das auch für große öffentliche Gebäude. 

Das neue städtische Suermondmuseum in 
Aachen hält an diesen herkömmlichen Formen 
fest. Abgegriffene Motive wurden benützt für 
das große neue schweizerische Bundeshaus in 
Bern. Eine massige Renaissance wird am neuen 
Kaiser Friedrich^Museum in Berlin beobachtet, 
am Berliner Dom und am Wallotschen Reichs^ 
ratsgebäude. Die drei auffallendsten Paläste am 
Kaiserplatze in Straßburg sind im wesentlichen 
dem Stil der italienischen Renaissance beizu^ 
zählen, und nach Abbildungen zu schließen, 
möchte ich auch die Oberlausitzer Gedenkhalle 
mit dem Kaiser Friedrichs^Museum zu Görlitz 
in dieselbe Reihe bringen. *) Noch erinnere ich 
an das große Reichsbankgebäude in München 
und an das neue Börsengebäude in Mailand. 

Eigenartig und feinfühlig bewegte sich der 
Wiener Architekt Karl König in einem Kreise 
von Renaissancemotiven in weiterem Sinne, als 



*) Vgl. die ,,Deutsche Bauzeitung'' vom Anfang 
August 1903. 



16 



et die Wiener Frucht^ und Mehlbörse und den 
Philipphof entwarf. 

Einer modernisierten deutschen Renaissance 
begegnen wir am neuen Rathaus zu Reichen^ 
berg (Architekt Ohmann) und an dem Rathause 
zu Freiburg im Breisgau (Architekt Rudolf 
Thoma). Ungewöhnlich ist die Anwendung 
norddeutscher Renaissance für einen Bahnhof'^ 
bau, wie er von den Architekten Glasewald 
und Cuny in Danzig aufgeführt wurde.*) Da^ 
gegen erscheint es naturgemäß, daß die neue 
Stadthalle in Heidelberg an die Formen mittel^ 
deutscher Renaissance anknüpft (Henkenhof 
und Ebert heißen die erfindenden Baukünstler). 
Auch in Frankfurt am Main wird ein neues 
Rathaus nicht überraschen, das im wesentlichen 
auf Motive deutscher Renaissance zurückgreift. 
Das neue Museum in Altona ist in einer Art 
modernisierter deutscher Renaissance gehalten. 
Im wesentlichen als deutsche Renaissance ist 
der Stil des deutschen Buchgewerbehauses in 
Leipzig zu bezeichnen. 

Die Bewegung der Wiederaufnahme der 
Renaissance ist weit über Europa hinaus^ 

*) Eine Abbildung dieses Gebäudes u. a. auch bei 
A. Lindner „D&nzig** (Berühmte Kunststätten Nr. 19). 
Ferner vgl. Webers „Illustrierte Zeitung'' Nr. 2999 vom 
20. Dezember 1900 und R. Bongs .^Moderne Kunst'' vom 
Februar 1901 (Jahrg. XV, Heft 11). 



17 



gedrungen — sogar bis Siam, wo der könig^ 
liehe Palast vielfach die Formen europäischer 
Hochrenaissance benützt, nur wenig vermischt 
mit heimischen Motiven.*) New ^ Yorks be- 
kanntester Wolkenkratzer, das von R. H. Robert^ 
son entworfene ,,Park^Row^Building'' hat derbe 
Spätrenaissancemotive an der Schauseite. Dem^ 
selben Stil gehört auch das Wanamaker Eta^ 
blishment in New^York, ein riesiges Waren^ 
haus an,**) 

Reife und überreife Gestaltungen der ita^ 
lienischen Spätrenaissance und des Barock 
wurden benützt an dem rasch erbauten neuen 
Stadttheater in Köln, in welchem übrigens der 
Erfinder auch viele Eigenart zum Ausdruck 
gebracht hat. Besehen wir auch noch das im^ 
posante Berliner Land^ und Amtsgericht, das 
Ministerialgebäude zu Straßburg (in nächster 
Nähe des Kaiserplatzes), den prachtvollen neuen 
Justizpalast in München, dessen Stadtfront an 

*) Abbildungen im „Lc monde illustr^" vom 
4. Jänner 1902, W. 2336. 

**) Abbildung in J. J. Webers ».Illustrierte Zeitung" 
Nr. 3144 vom i. Oktober 1903. Über die Wolkenkratzer 
der neuen Welt unterrichtet in zusammenfassender 
Weise ein langer Artikel von R. Kohfahl (Hamburg) 
in der ..Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure'' 
vom 29. August 1903, ein Aufsatz, der auf den Arbeiten 
von Jos. Kendall Freitag und H. Birkmire fufit. 



i8 



das Wiener Palais Schwarzenberg anklingt^ das 
neue Reichspostgebäude in Karlsruhe, dazu 
einige neue Theaterbauten, wie das Zentral^ 
theater in Leipzig und das neue Theater zu 
Fürth. An österreichische Barockbauten knüpften 
an die beiden Mayreder im großen neuen 
t^farrhofe bei Sankt Karl in Wien, sowie die 
Architekten vieler Wohnhäuser in der Kaiser^ 
Stadt an der Donau. Erinnert sei auch an das 
Neubarock der Börse in Mannheim (Architekten 
Köchler und Karch). Die Überbarocke der neuen 
Festhalle in Mannheim (von Bruno Schmitz 
entworfen) und etwa noch des Trunkschen 
Kaufhauses in Berlin (von Hart und Lesser) 
ist so eigenartig, daß man diese Bauten eher 
zu den originellen Erfindungen rechnen kann, 
als zu den sogenannten Stilbauten. '^) 

Kleinere Privatbauten boten in jüngster 
Zeit viel mehr Gelegenheit zu freieren phanta^ 
stischeren Formen, als die monumentalen Ge^ 
bäude für den Kult und für behördliche Zwecke. 
Desgleichen erwiesen sich die Pavillons ver-* 
schiedener Ausstellungen recht gefügig. Die 



*) Vgl. „Blätter für Architektur und Kunsthand- 
werk'^ XVI, „Neue Architektur" (Verlag Friedr. Wolf- 
rum) und „Deutsche Bauzeitung'' 23. Blai 1903. 



19 



moderne Arbeiterwohnung nimmt an vielen 
Orten teil an den Formen neuer individueller 
Bauweisen, indem sie es versucht, Zweckmäßige 
keit und abwechslungsreiche Gestaltung im 
ganzen wie im einzelnen zu vereinigen« Nicht 
zuletzt gestattet der Landhausbau ein ziemlich 
ungebundenes Walten der Einbildungskraft. 
Moderne amerikanische und englische Land^ 
häuser verbinden nicht selten ein Bauernhaus 
mit einem antikisierenden Anbaue. 

Sehr phantasievoll scheinen die neuen 
Villenbauten bei Fontainebleau erfunden zu 
sein, die z. B. von CoUin und Sauvage er^ 
richteten und die von De Rutt^ und Laverri^re 
entworfenen.*) 

Eine ganz neue Ära ist nun auch für den 
Landhausbau in der Nähe von Wien, Berlin, 
München, Dresden, Kopenhagen angebrochen, 
wo es überall eine nahezu nicht zu über^ 
blickende Mannigfaltigkeit zu bemerken gibt. 
Das Schweizerhaus und Bauernhäuser jeder 
anderen Nationalität erleben die wunderlichsten 
modernen Verkleidungen und Übersetzungen. 
Die Kolonien von Landhäusern auf dem Sem^ 



♦) Vgl. ,,American Architect and building News" 
der jüngsten Jahre» ferner AI. Kochs ^Academy archi* 
tecture and architectural Review", „The Studio" und 
nArt et decoration". 



2* 



20 



mering, der bekannten Sommerfrische an der 
österreickisch^steirischen Grenze, boten den 
Wiener Architekten reiche Gelegenheit zu 
sonderbaren, auch zu sehr gelungenen Neu^^ 
bauten. Stilvermischungen der verschieden-' 
sten Art und von verschiedenstem Wert kom«^ 
men da vor« Sie sind nicht selten auch an 
Monumentalbauten zu bemerken, wie eine ge^ 
nauere Betrachtung mancher Gebäude ergibt, 
die oben ihres Hauptcharakters wegen bei den 
bekannten Stilen eingereiht worden sind. Bei 
manchen aber kann man im Zweifel sein, ob 
eine derlei Einreihung nicht allzu willkürlich 
ist. Durms neues Oberlandesgerichtsgebäude zu 
Karlsruhe wäre z. B. kaum als Neubarock zu 
führen, höchstens nach dem Gesamteindruck 
der Schauseite. Es weist auch gotisierende 
Motive und solche aus der deutschen Renais^ 
sance auf. Eine eigentümliche Vermischung 
verschiedener italienischer mittelalterlicher Stile 
und mehrerer Renaissancemotive fallen an der 
neuen Synagoge in Szegedin auf, die von 
L. Baumhorn, einem Spezialisten im Syndi^ 
gogenbau, entworfen ist. Das wären Beispiele 
dafür, daß an einem Bauwerk mehrere alte 
Stilarten Verwendung finden. Bei Rundfahrten 
durch große moderne Städte bemerkt man 
überdies leicht, me sehr abwechslungsreich 



21 



auch verschiedene Gebäude nebeneinander 
stehen, die ziemlich rein eine einzige Stilart 
festgehalten haben. So findet man es z. B. auch 
in den neuen Straßen von Basel, von Wien. 
Wir besuchen späterhin noch einige große 
Städte, um das moderne Stilmosaik der Bau^ 
werke festzustellen. 

Von all dem Gewirre alter Stile, die neben^ 
und durcheinander aufgefrischt, oft glücklich 
wieder belebt und den neuen Zeiten angepaßt 
sind, wendet sich die Aufmerksamkeit seit mehre^ 
ren Jahren nicht wenig jenen Bauten zu, die eine 
besonders starke Eigenart erkennen lassen und 
die es rechtfertigen, wenn man von neuesten 
Bewegungen in der Baukunst spricht. Hie 
und da beeinflussen die originellen Bauten 
neuester Erfindung im wesentlichen das Stadt^ 
bild, wie z. B. die neue Fernheizstelle in 
Dresden, die sich unerbittlich in die Silhouette 
des modernen Elbe^Athen einschiebt. Woher 
die vielen neuen Baugedanken gekommen sind, 
soll heute nicht näher untersucht werden, nur 
möchte ich andeuten, daß sie sicher nicht alle 
aus England stammen. Bei Otto Wagners Ent^ 
würfen, die zu den frühesten originellen Er^ 
findungen in der neuen Bauströmung gehören, 
wüßte ich wenig zu finden, das von englischer 
Kunst abstammen könnte. Und auch sonst ge^ 



22 



lingt es schwer, beweisende Formenreihen au£< 
zustellen. Ziemlich gemeinsam haben alle Vor^^ 
kämpfer der modernsten Bewegungen die be^ 
wußte Abkehr von alten Vorbildern und das 
unablässige Suchen nach neuen Formen im 
Großen und Kleinen, in der allgemeinen Ge> 
stalt der Bauten bis zu den Einzelheiten des 
Zierwerks und der inneren Ausstattung. Und 
eines ist da besonders auffallend: das Ver«^ 
schmelzen der ,,hohen Kunst'^ mit dem ,,Kunst^ 
handwerk"^ und das Auflassen der zünftig ge^ 
zogenen Grenzen zwischen Malerei, Plastik, 
Baukunst, in dem Sinne, daß ein Künstler 
sich nicht selten heute auf vielen Gebieten be^ 
tätigt 

Wir betrachten deshalb auch Baukunst 
und Kunstgewerbe nach Möglichkeit in 
einem Zuge, wie denn auch die Erörterungen 
über Plastik und Malerei nicht ganz strenge 
abgegrenzt werden können. Kein früheres Zeit^ 
alter hat so zahlreiche vielseitige Künste 
1er geboren, wie das unsere. Dies läßt sich be> 
haupten, auch wenn wir zugestehen, daß Er-' 
scheinungen von der künstlerischen Wucht 
eines Michel Angelo und Lionardo seit der 
Renaissance nicht wiedergekehrt sind. Heute 
ist das Vereinigen von Skulptur und Malerei 
nichts seltenes mehr und der Malerbildhauer 



23 



gibt es gar viele. Nur wenige aber ragen durch 
hochbedeutende Leistungen hervor, wie Max 
Klinger, Hermann Prell und Franz Stuck in 
Deutschland, C. Meunier in Belgien, Engelhart 
in Österreich, Alphonse Legros, John Swan 
und Hubert Herkomer in England (Legros ist 
der Geburt nach Franzose, Herkomer ist Bayer). 
Ein Bildhauerarchitekt erwächst uns in 
Franz Metzner. Daß die heutigen Architekten 
und Maler neuen Stiles fast alle auch Kunst^ 
gewerbler sind, wurde im allgemeinen schon 
angedeutet und einige Beispiele, wie die Maler 
Roller, Baron Myrbach, Kolo Moser und der 
Architekt Jos. HofiFmann, mögen hinreichen, 
um diese Art der Vielseitigkeit dem Leser ins 
Gedächtnis zu rufen. Was mehrseitige künst^ 
lerische Begabung und Tätigkeit betrifft, so 
denkt man auch wohl an die plastischen Ver^ 
suche eines F. Khnopff, Walter Crane, an 
Heydas Schaffen. Maler Dettmann hat auch 
ein Terrakottarelief modelliert. Architekt Giesel 
malt nette Figurenbildchen. Otto Eckmann war 
ursprünglich Maler und wendete erst später 
seine ganze Kraft dem Kunstgewerbe zu.^) 

*) Die meisten der Namen, die ich genannt habe^ 
sind den Kreisen, für die ich schreibe* vollkommen ge^ 
läufig, und ich sehe daher von eingehenden Literatur^ 
angaben ab. Ober die Vielseitigkeit von Alphons Le^ 



24 



Schauen wir aber in der Runde umher, 
wo Bauten neuerer Art zu finden sind, wo sie 
zu finden — waren. Gar vieles, das in den 
Ausstellungen nur so aus dem Boden ge^ 
schössen war, lebt ja bloß mehr im Gedächtnis 
der Ausstellungsbesucher und in Rissen und 
Ansichten weiter. Als Bauten verschwunden 
sind die eleganten Pavillons und Paläste der 
Wiener Jubiläumsausstellung, die 1898 so viel 
eigenartige Formen zu sehen gaben. Von 
der Pariser Weltausstellung 1900 sind nur 
einige Gebäude stehen geblieben, die sich 
dem Äußern nach mehr an ältere Stile 
anlehnen, der große und kleine Kunstpalast. 
Die phantastisch eigenartige dreitorige Ein^' 
gangshalle von Binet, Dulongs Pavillon bleu, 
Tronchets Restaurant de la belle meuniere, 
und so vieles andere, ja das meiste (auch 
die Rue des nations) ist längst dem Boden gleich^ 
gemacht. Das Wiener Sezessionsgebäude ist von 
vornherein nur als Provisorium gebaut worden. 

gros, der vielleicht außerhalb Englands wenig genannt 
ist, findet man Einiges in einem Artikel von Ldonce 
Bdnddite in ,,The studio^' vom Juni 1903. — Ein Streif«' 
licht sei hier auch auf die schriftstellernden 
Künstler geworfen, die nun nicht mehr zu den Selten^ 
heiten gehören. Beschimpft heute ein bildender Künste 
1er die „Kunstschreiber'% wie es noch zu C. Hoffs Zei^ 
ten bdiebt war, so schießt er damit ins eigene Lager. 



25 



Anderes aber ist aufs lange Stehenbleiben be^ 
rechnet, wie viele originell erfundene Privat^ 
häuser in Berlin, Paris, Dresden, Wien, 
Amsterdam, Stockholm und noch an vielen 
anderen Orten. Denn die neue Welle mit 
ihren mannigfachen Gipfeln und Tälern 
ist nicht aufzuhalten. Sie dringt von den 
Hauptstädten aus in die nächste Umgebung 
und auch schon weiter hinaus übers Land. 
Modern ausgestattete Restaurants, Cafes sind 
heute auch in vielen Provinzstädten nichts un^ 
erhörtes. Niemand erstaunt oder erschrickt 
mehr, wenn er irgendwo grellrot, grün oder 
blau gebeizte, neuartig geformte Möbel findet, 
oder wenn ihm ein neu gestaltetes Trinkglas 
geboten wird, oder wenn er stilvolle Gefäße, 
Geräte, solchen Schmuck in den Läden antrifft. 
Ausstellungen, wie die schon erwähnten in 
Wien von 1898 und Paris von 1900, wie die 
in Turin und Düsseldorf von 1902, solche groß^ 
artige Kundgebungen und ihre Nachwirkungen 
beweisen wohl, daß man es bei den Bauten 
neuesten Stils nicht mit Launen Einzelner, 
sondern mit großen unaufhaltsamen Bewegung 
gen zu tun hat. Manches dünkt uns heute 
schon etwas zahm, das vor einem Jahrzehnt 
noch als schrullenhaft und neuerungssüchtig 
erscheinen konnte, so z. B. die Bauten eines 



26 



P. Hankar und eines V. Horta in Belgien.*) 
Die bewunderungswert klug erfundenen Möbel 
Van de Veldes finden immer mehr Verstände 
nis, besonders seitdem der Künstler aus Bel^' 
gien nach Deutschland übersiedelt ist; man be^ 
freundet sich so sehr mit ihnen, daß man diese 
Stücke, die jedes naturalistische Zierwerk ver^ 
achten, nun schon für etwas selbstverständ^ 
liches hinnimmt. An H. P. Berlages hie und 
da wunderliche Formen hat man sich gewöhnt 
in Amsterdam selbst, wo man seine Original^ 
werke sieht und anderwärts, wo man Berlages 
Weise nach Abbildungen kennen lernt. Soweit 
ich über nordamerikanische Kunst unterrichtet 
bin, dringen die Formen von Gebäuden und 
Zierformen eines Frank Wright, H. Cobb, 
H. SuUivan und Theo C. Link immer mehr 
durch. Tiffanys neuartige kunstgewerbliche Ar^ 
beiten, besonders die Gläser, haben verdienten 
Weltruf errungen.**) Die „Rookwood Pottery*^ 
in Cincinnati wird gerühmt. 

In großräumiger Kunst und kleinem Kunst^ 
handwerk herrschen in Paris jetzt bei Leuten 
von Geschmack die neuen und neuesten For^^ 
men, die von einem Hektor Guimard, Dulong, 
Dubuisson, G. Serrurier, Plumet et Selmers^ 

*) P. Hankar starb im Jänner 1901. 
**) Der Gründer der Firma ist 1902 gestorben. 



27 



heim, Lavirotte, vom eingewanderten Elsässer 
Schöllkopf, von einem Ed« Autant, Ch« Labro, 
A. Barret, Charpentier, Dampt, Leverri^re, 
Sauvage, GoUin, De Rutt^, R. Lalique erfun^ 
den werden. Die Formen von 1870, 1880 ja 
manches von 1890 gelten als überwtuidene 
Standpunkte, und wenn man sie bei allerlei 
Kunstgegenständen noch oft in den Kaufläden 
antrifft, so weiß man ja, daß ein großer Vor^ 
rat davon da ist und an den Mann, beziehungs^ 
weise an die Frau gebracht sein wilL In Nancy 
leistet die Gallegruppe Bewunderungswertes, 
insbesondere in der Glasindustrie, und die 
neuen Formen und Farben ihrer Kunstgegen^ 
stände werden in der ganzen Welt begehrt* 
Majorelles Möbel aus Nancy gehören auch 
längst nicht mehr zu den angefeindeten Neuig^^ 
keiten. 

Das allgemeine Stadtbild von Paris (auch 
von Nancy) verrät indes noch wenig von der 
neuen Ordnung der Dinge. Die im modernsten 
Stil gehaltenen Zugangbauten zum „Metropoli<^ 
tain'' sind nicht sehr auffallend* Hie tmd da 
ein neugestaltetes Warenhaus, ein modernes 
Restaurant, eine im jungen Stil gehaltene, an 
ein altes Haus unorganisch angefügte Fassade. 
Die gänzlich neuartig gehaltene Toudoiresche 
Gare de Lyon und der neue Bahnhof in Passy 



28 



liegen ziemlich weit ab vom gewöhnlichen Ver^ 
kehr. Stark in die Augen fallen durch riesige 
moderne Fenster die ^Maison ä la menag^re'' 
nahe der Porte Saint Denis und die ^Maison 
de la belle jardiniere'^ beim Pont neuf. Das 
neue Haus des Petit Journal, Laliques Haus 
und einige Privathäuser {z. B. in der Avenue 
de Jena und Avenue Rapp) sind eigenartige Er^* 
scheinungen. Auf der jüngst zusammengestellt 
ten ,,Exposition de Thabitation'' in Paris schlug 
der originell erfundene Pavillon Guimards alles 
I übrige. Eine sonderbare Gartenhausarchitektur 
von A. Landry und A. Rey war vor kurzem 
in „Art et Decoration'^ abgebildet. Anderes 
lernt man durch die Zeichnungen und Lichte' 
drucke in den Werken von Rehme und Raguenet 
kennen."^) Sonst wird gewöhnlich sehr zähe an der 
hergebrachten allgemeinen Form des Mansarden^ 
hauses festgehalten, auch wenn eine ungeheuere 
Mannigfaltigkeit in der Abwandlung dieses 
Typus zu bemerken ist. ^ald schmucklos, 

*) Vgl. Rehme „Die Architektur der neuen freien 
Schule'S A. Raguenet „Monographies des bitiments 
modernes"; siehe auch „L'architecture sm^ Salons 1903'% 
die Zeitschriften „La construction moderne", „The ma^ 
gazine of art" (1901, S. 85, 278 ff.), „Les concours publics 
d' architecture" (1895 ff*) und einen Abschnitt in Fierens^ 
Gevaerts „Nouveaux essais sur Tart contemporain" 
(1903), S. 53 ff. 



29 



schlicht, bald prunkend überladen mit Zier^ 
werk, das manchem alten Stil, zumeist aber 
dem Barock und Rokoko entnommen ist, so 
stehen jetzt die neuen Pariser Häuser da, 
prächtige Steinbauten in allen neuen Straßen, 
die uns durch ihre Pracht über das Verschwind 
den alter schmutziger Stadtteile leicht zu trösten 
wissen,*) 



*) Damit will ich gewifi nicht der Beseitigung des 
Alten, noch weniger der einfältigen Restaurierwut das 
Wort reden. Nur zu oft und an viel zu vielen Orten 
wird wertvolles Altes schonungslos vernichtet, entstellt, 
verfälscht, um Neues von zweifelhafter Güte zu pro^ 
duzieren. Der Schaffensdrang der Lebenden hätte doch 
Spielraum genug zum reinen Neugestalten, um die ge^ 
schichtlichen Bauten und Reste schonen zu dürfen. 
Aber in manchem Landnestchen, in dem des Tages 
kaum ein Dutzend rasch fahrender Wägen durch die 
Strafien kommen, läfit man eine alte interessante Kirche 
oder auch ein historisches Monument abbrechen — aus 
Verkehrsrücksichten! Links, rechts, hinten, vorn genug 
Raum, um die neuen Straßen neben den alten Denk" 
mälem hin zu verlegen. Aber ein eigensinniger, kennte 
nisloser Bürgermeister setzt ja doch alles durch, um 
seinem Kramladen freie Aussicht zu verschaffen. So^ 
gleich kann auch von Plastik und Malerei gesprochen 
werden; und da sei es geklagt, dafi auch auf diesen 
Gebieten durch albernes „Restaurieren'' jährlich Million 
nen vernichtet werden. Man blicke nur hinter die Ku^ 
lissen des Kunsttheaters, um die größte Brutalität ge^ 
wahr zu werden in unserer Zeit, die es ja so herrlich 



30 



In Wien und dessen Umkreis werden 
neben Häusern von konventionellen Formen 
in aufgewärmten oder modernisierten alten 
Stilen allerwärts auch solche errichtet, die 
neueste Erfindung bekunden. Hier machen sich 
neue Stile viel mehr im großen geltend als 
in Paris. In manchen Straßen entsteht schon 
Haus neben Haus in der neuen Art. Otto 
Wagner ist seit Jahrzehnten ein Vorkämpfer. 
Zu seinen bekanntesten Werken gehören die 
Hochbauten der Stadtbahn, die zwei Zinshäuser 
an der Wien bei der Köstlergasse, das Nadeln 
wehr in Nußdorf und die Villa in Hutteldorf. 
Neben und nach Wagner vertrat einige Zeit 
hauptsächlich Jos. Olbrich, der Erbauer des 
Sezessionsgebäudes modernste Baugedanken. 
Wir hören noch von ihm. L. Baumann, Fr. 
V. Dietz, Ant. und Jos. Drexlcr, H. Geßner, 
Pleönik, Breßler, Baron Krauß, Leop. Bauer, 
Fabiani, Deininger und viele andere wirken 
heute iii modernem Sinne.*^) Seit einiger Zeit 

weit gebracht hat. Heute schnuppert die Restaurierlust 
sogar schon an die Akropolis heran. 

*) "Da, ich in Wien lebe, fiele es mir nicht schwer, 
ganze Reihen von Architekten zu nennen, die heute in 
modernem Sinne tätig sind, manche aus Oberzeugung, 
manche aus Notwendigkeit oder Modesucht. — Viele 
Abbildungen finden sich in dem Werk „Wiener Neu^ 
bauten im Stile der Sezession*' (Wien, bei SchroU), 



31 



lebt und schafft auch Ohmann in Wien, und 
die von ihm (und Hackhofer) entworfene Milche 
trinkhalle im östlichen Teile des Stadtparkes 
betont dort das Durchdringen neuer Baugedan^ 
ken. Ungezählte Kunstgewerbler ermüden nicht, 
neue Formen in Wien zu verbreiten« Darunter 
sind sehr eigenartige, manche vielseitige Künste 
1er wie K. Moser, Auchenthaller, Jos« Hoff^ 
mann, Myrbach, Jos. Urban, Maler Roller. 

Durch Jos. Olbrich wurde das moderne 
Wesen nach Darmstadt verpflanzt* Neben 
dem genannten österreichischen Künstler ent^ 
falteten oder entfalten noch immer Patriz 
Huber (1903 gestorben), Paul Bürk, Peter 
Behrens, Christiansen, Adolf Zeller, Rud. 

einige auf den Tafeln von ,,Neue Architektar'^ (Verlag 
Friedr. Wolfrum & Cie«). und in „Moderne Städte^ 
bilder"" (IV). Vgl. auch L. Hevesi ^Österreichische Kunst 
im 19. Jahrhundert"" (E. A. Seemann 1903)« Jüngst er^ 
schienen J. Fiedler, „Das Detail in der modernen 
Architektur"' (I. Serie). Eine ziemlich ausgebreitete 
Literatur, die ich nur im großen andeute, knüpft 
sich an Otto Wagner, dessen Werke auch. in einigen 
grollen Bänden abgebildet sind. Vgl. auch „Der Archiv 
tekt"' und „Wagner^Schule"*, 1902, sowie die „Deutsche 
Architekturzeitung"' und die „Wiener Bauindustrie^ 
Zeitung"" (die neuesten Jahrgänge). Ober die Wiener 
Neubauten um 1900 äußerte ich mich in den Berichten 
des Wiener Almanach von Jacques Jäger u. a. in der 
Rubrik „Wiener Kunstleben"". 



32 



Bosselt und Ludwig Habich eine fortschrittliche 
Tätigkeit, deren Übereifer in manchen Kreisen 
Widerspruch erregt hat, als 1901 in Darmstadt 
eine große Ausstellung modernster Haltung 
eingerichtet worden war. Durch Kunstzeit^ 
Schriften, illustrierte Blätter und Zeitungen ver^ 
schiedener Art ist die Darmstädter Ausstellung 
rasch in der ganzen Welt bekannt geworden, 
auch den Formen nach*"^) 

In Berlin wirkt der ziemlich eigenartige 
Bruno Schmitz, dessen besonderes Fach die 
massigen nationalen Denkmäler zu werden 
scheinen* Drei Kaiserdenkmäler, eines auf dem 
Kyffhäuser, eines an der Porta Westfalica und 
das am „Deutschen Eck^^ sind, soweit es Ent^ 
wurf und Bau betrifft, von ihm ausgeführt; 
überdies ist ihm die Ausführung des Völker^ 
Schlachtdenkmals bei Leipzig anvertraut* Eine 
eklektische Richtung hat Ludwig Hoffmann ein^ 
geschlagen^ und dieser tritt durch seine mehr 
historisch^konservativen Schöpftmgen in Gegen^ 
satz zu einem Bruno Möhring, zu Cremer und 
Wolfenstein, A. Grenander, Kimbel, Otte und 



*) Sehr eingehend ist sie behandelt in .^Deutsche 
Kunst und Dekoration^^ Vgl. auch des Besonderen See^ 
mann^Zimmermanns Kunstchronik» XII» Nr. 30, ,fThz 
Studio^^ von 1902 und J. J. Webers ..Illustrierte Zeitung'* 
Nr. 3021 vom 23. Mai 1901. 



33 



Wippcrling, M* Bei, Breslauer, Rathenow, Otto 
Rieth, Otto March (Charlottenburg), A. Meßel, 
Erdmann und Spindler, den Vertretern neuester 
Erfindung in der Berliner Architektur* Im 
Herzen der Stadt und weiter hinaus, wo die 
Landhäuser stehen, gewahrt man das unwider^ 
stehliche Wurzelschlagen modernster Formen* 
An die Berliner Bank in der Behrenstraße, an 
zahlreiche moderne große Häuser in der Kronen^ 
Straße, an die polnische Apotheke in der Friede 
richstraße sei beispielsweise erinnert* Wie in 
Wien und Paris wirken im Verein mit den 
eigentlichen Architekten viele Männer des 
Kunstgewerbes* Otto Eckmann, ursprünglich 
Maler aus Hamburg, war einer der erfindungs^ 
reichsten* Leider hat ihn 1902 ein frühzeitiger 
Tod hingerafft**) 

*) Für moderne Berliner Baukunst ist eine ganze 
Reihe von Veröffentlichungen des E. Wasmuthschen 
Verlages in Berlin von Bedeutung* Eine Aufzählung 
bis ins Einzelne liegt mir diesmal ferne und ich 
nenne nur Weniges, z. B. die Zeitschrift „Berliner 
Architekturwelt^^ Ober die Berliner Architektur bis 
gegen 1890 schrieb A. Rosenberg in der „Zeitschrift für 
bildende Kunst<% Neue Folge, Bd* I* Zu Ludwig Hoff^ 
mann vgl. Hoffmanns großes Werk „Neubauten der 
Stadt Berlin'' und W. v. Seidlitz und Martersteig „Jahr«» 
buch der bildenden Kunst'' (I), 1902, S* 69 ff. Siehe 
auch die „Deutsche* Bauzeitung" passim, ferner „Mo^ 
deme Städtebilder" (VI), Koch^ >Academ7 architecture", 

3 



34 



Von mehreren Berliner Bauten in älteren 
Stilarten war schon die Rede, als die moderne 
Wiederbelebung mittelalterlicher Bauweisen und 
späterer Formen besprochen wurde» 

Leipzig hat durch Fritz Dreschslers Künste 
lerhaus eines der eigenartigsten Gebäude er^ 
halten, die es in neuerer Zeit zu verzeichnen 
gibt* Zu massigen phantastischen Formen neigt 
Fritz Schumacher in Leipzig, wo auch in 
mannigfachster Weise ältere Baustile neue Ver^ 
Wendung finden* Einige Beispiele wurden oben 
genannt* 

Die Dresdener neue Femheizstelle ist 
schon erwähnt worden als auffallende Arbeit 
in modernster Auffassung von den Architekten 
Lossow und Viehweger.*) Sie steht nahe bei 
dem Kern älterer Prachtbauten an der Elbe. 
Weiter hinaus sind zahlreiche neue Gebäude 
von individueller Erfindung zu sehen und als 

W. Rehme^ ,,Die Architektur der neuen freien Schule'^ 
(Leipzig i9oi)t neuestens L. Fiedler ,^Das Detail in der 
modernen Architektur'^ IL Serie. 

*) Diese Architekten sind auch die Schöpfer des 
neuen Theaters in Chemnitz. Zu Dresden vgL das Werk 
von Rehme, femer Alex. Kochs ^^Academy architecture 
and architectural review^' und mehrere deutsche Bau^ 
Zeitungen. J. J. Webers ^Illustrierte Zeitung^' brachte 
eine Abbildung des Zentraltheaters zu Chemnitz in 
Nr. 3148. 



35 



einige Namen von ihren Baukünstlem führe 
ich an: Wilhelm Lippold, Ernst Fleischer, ferner 
F. R. Voretzsch, den Erbauer des neuen Dianas 
bades auf der Bürgerwiese, Schilling & Gräbner, 
welche das Gebäude der sächsischen Handels^ 
bank und die Villa Gerhard Hauptmann in 
Blase witz entworfen haben; auch Rose und 
Roehle erfinden neue Formen* 

In jüngster Zeit hat in Karlsruhe Her«^ 
mann Billing neuen Schwung in die Erfindung 
von Bauten und Inneneinrichtungen gebracht/ 
während andere Strömungen wieder um her^ 
gebrachte Stile herumstreichen* Zu den Ver*^ 
tretern neuer Erfindung gehören auch Malle*^ 
brein, Curjel Sc Moser, Rauschenberg, Franz 
Wolff.*) 

München ist zwar wie früher hauptsäch^ 
lieh Malerstadt, doch gebührt ihr auch auf dem 
Felde der Architektur und des Kunstgewerbes 
ein hervorragender Platz» Dort reformierten 
Hermann Obrist und Bernhard Pankok (seither 
nach Stuttgart verzogen), dort schaffen Martin 
Dülfer, J. Lang, die Gebrüder Rank, Hocheder, 
Karl Bertsch, W. v* Beckerath, Thiersch, 
R, Riemerschmied, H. E» v» Berlepsch^Valendas, 

*) Vgl. ,,Neue Architektur*' (Verlag Wolf rum & Cie.) 
und Wilhelm Rehme ,,Die Architektur der neuen freien 
Schule«. 

3* 



36 



Heilmann, Littmann, Bruno PauL Otto Eck«^ 
mann, hat dort gleichfalls eine Zeitlang an 
der Bresche gestanden* Gabriel Seidl bildet eine 
neuartige originelle Romantik aus/ die häufig 
an die Gestaltungen der deutschen Renaissance 
anknüpft (Nationalmuseum, neues Künstler^ 
haus, Bauten in der Pariser Weltausstellung 
i90o). Sein jüngerer Bruder Emanuel baut 
eben das neue Haus der Galerie Heiner 
mann* Höchst eigenartig ist der Bau der neuen 
Börse, der im Kranzgesimse ägyptisiert, und 
in der Kombination alter und modemer Motive 
ist auch der Bau der bayrischen Handelsbank 
von Interesse* In der äußeren Prinzregenten*^ 
Straße entstehen ebenfalls mehrere große Wohn^ 
häuser im sogenannten Jugendstil, der auch in 
den Innenräumen des Prinzregenten^Theaters 
vorherrscht* An das Geschäftshaus der „AUge^ 
meinen Zeitung'' (Beyerstraße) sei erinnert, 
das M* Dülfer in phantasievoller Weise ent^ 
worfen hat« Daß viele alte Stile in München 
wieder benützt werden, ist uns schon aus früheren 
Erörterungen bekannt geworden*"^) 

*) Vgl. ^Blätter für Architektur und Kunsthand^ 
werk*' XVI^ Taf. 8 und 80, das eben genannte Werk von 
Rehme, femer ,^Kunst und Handwerk'^ (die ^^Zeitschrift 
des bayrischen Kunstgewerbevereins^^)^ die ^^Deutsche 
Bauzeitung'^ 1903, ,,Neue Architektur^, auch „Über Land 
und Meer'< vom Juni 1900 (S. 617), Nr. 38. 



37 



In Prag findet neueste Architektur, mit 
allem, was daran hängt, eine temperamentvolle 
Pflege, und an vielen Stellen ragen unfern von 
prächtigen alten Barockbauten ganz glänzende 
Produkte neuester Baukunst empor« Bis vor 
kurzem wirkte dort Ohmann« Außerdem wären 
zu nennen Alois Dryak, Jii4 Justich, B« Bendel«^ 
mayer, Anton Pfeiffer, Jan Kot^ra und seine 
Schule.*) 

Überaus bunt ist das Stilgewirre in Straße 
bürg. Die Männer neuester Erfindung heißen 
Berninger und Krafft Von ihnen ist das prächtige 
Warenhaus J. L. Erlenbach erfunden, und die^ 
selben Architekten bauten in Straßburg das 
Haus der Geislinger Metallwarenfabrik, die 
Geschäftshäuser Manrique und Robert, sowie 
die Villa Schützenberger. Die Tätigkeit von 
Berninger und Krafft reicht auch über ihre Vater^ 
Stadt hinaus, und zu ihren Bauten außerhalb 
Straßburgs gehört auch das große Warenhaus 
Schmoller in Frankfurt a. M. Zahlreiche Straß«^ 
burger Bauten von anderen modernen Archi*^ 
tekten, die sich mehr oder weniger an alte 
Vorbilder hielten, sind oben erwähnt worden. 
Ganze Kapitel aus der Geschichte alter Bau^ 

*) Hierzu die Zeitschrift „Voln^ smgry^ und die 
Publikation ,Jan Kot^ra, Meine und meiner SchiUer 
Arbeiten 1898— 1901'^ (Wien» SdiroU). 



i 



38 



kunst klingen an in diesen Neubauten* Manches 
ist halb alt, halb neu in der Erfindung, wie 
die neue höhere städtische Mädchenschule"^) 
und das Haus des Straßburger Männergesangs^ 
Vereines. 

In den großen nordischen Städten Kopen«^ 
hagen und Stockholm bemerkt der Fremde 
mehr als der Einheimische deutlichste Spuren 
einer wahren Sehnsucht nach den Formen des 
Südens. Die meisten neuen Bauten/ die sich 
auch durch eine höchst solide Konstruktion 
und durch bestes Material auszeichnen, lassen 
irgend eine Verwandtschaft mit italienischen 
Bauten erkennen* Daß auch alte nationale 
Bauformen nachwirken, ist selbstverständlich* 
Zu den Eigenartigen gehören F* Boberg (nebst^ 
bei bemerkt der Erbauer des schwedischen 
Pavillons der Pariser Weltausstellung) und 
Ludwig Peterson***) Gustav Wickmann baut 



*) Diese Schule und einige andere Straßburger 
Neubauten u. a. abgebildet bei F. F. Leitschuh ^^Straß^ 
burg^^ (Nr. i8 der: Berühmte Kunststätten). Vgl. auch 
A. Kochs ^^Academy Architecture and architectural 
Review'^ 

**) In jüngster Zeit hat Schweden eine Architektur^ 
Zeitschrift erhalten ^^Architektur och dekorativ Konst^^ 
Vgl. auch H. Pudor ^Die moderne bildende Kunst in 
Schweden^ (erschienen in H. Heibings Monatsberichten 
über Kunstwissenschaft und Kunsthandel Bd. II). Für 



39 



in neuester Art, was auch von den Gotenburger 
Architekten Y« Rasmussen, Hans Hedlung und 
Karl Fahlström gilt. Im ganzen muß man aber 
sagen, daß im Norden noch heute viel mehr 
eine Anlehnung an gute alte Muster vorherrscht, 
als ein freies Erfinden« Auch mancherlei Stil^ 
Vermischung ist zu beobachten« Romanische 
Portale sind nicht selten. In Malmö fand ich 
ein solches sogar an einer kleinen Tabakfabrik. 
Deutsch «^gotische Türen und Fenster werden 
oft bemerkt Am häufigsten begegnete ich süd^ 
liehen Stilarten, nicht zuletzt italienischer Hoch^^ 
renaissance, wie sie auch Aron Johansson, der 
Stockholmer Wallot, der Erbauer des Schwedin 
sehen Reichstagsgebäudes, anwendet (der Bau 
ist noch nicht vollendet). Qasons Hinneigen 
zu spanischer Spätgotik und Renaissance fand 
schon oben Erwähnung. In der Decke des neuen 



eine Ergänzung meiner Reisenotizen bin ich Herrn Dr. 
John Kruse zu Dank verpflichtet. Beim Studium der 
soliden schwedischen Bauwerke wird man in ange«» 
nehmer Weise dadurch gefördert» dafi viele Jahreszahlen 
tragen und damit langes Nachforschen nach ihrer BnU 
stehungszeit überflüssig machen. Sehr wertvoll ist John 
Kruses Künstler^^Lezikon für das moderne Schweden» 
das 1901 erschienen ist: „Arlntzkttr, Bildhuggare» Mk^ 
lare» Tecknare» Grafiker» Mönsterritare och Kunstindu«' 
strialister^« Zu vgl. auch die jüngsten Jahrgänge von 
»»Academy architecture'^ Besonders 1900» II» S« loi ff. 



j 



40 



nordischen Museums verbindet er höchst originell 
und geschickt mittlere Oberlichtöffnungen mit 
seitlich angebrachtenKreuzgewölben* Die Fassade 
könnte zur Spätgotik gerechnet werden. 

In Finnland war Lars Sonck ein kräftiger 
Anreger und seine Schüler Eliel Saarinen, Lind^ 
gren und Geselius werden gleichfalls als Neuerer 
genannt. Hie und da lehnen sie sich an alt^ 
nordische Vorbilder an.*) 

Italien hat wenigstens in der Baukunst 
lange den neuen Stilen Widerstand geleistet, 
doch bewiesen die phantasievoUen Gestaltungen 
von D'Aronco und Rigotti auf der Turiner 
Ausstellung von 1902, daß nunmehr die stili^ 
stische Grenzsperrung aufgehoben ist. Was 
Skulptur und Malerei betrifft, sind seit lange 
alle Pforten für Neuerungen offen. Ich habe 
bei meinen Reisen einige Jahre hindurch Italien 
nur wenig berücksichtigt und äußere mich 
deshalb nur mit wenigen Worten. 

In England begann die neue Bewegung 
im Bauen und Ausstatten etwa mit William 
Morris und zwar mit einem kräftigen Wieder^ 
anfachen des Gotisierens, das in England 
niemals ganz ausgekühlt war. Kann man Morris 
doch als Schüler des Gotikers Street ansehen. 

*) Vgl. ^.Deutsche Kunst und Dekoration^' vom 
Oktober 1903. 



Seine umfassende Begabung ließ ihn bald 
weit ausgreifen und nach und nach ver^ 
dankten ihm nahezu alle Fächer und Winkel 
des Kunstgewerbes einschließlich der Weberei 
wichtige Anregungen« Er drang auf vorzügliches 
Material, Sauberkeit der Ausführung, einfache 
verständliche Ornamentik, die allerdings sich 
gewöhnlich im Kreise der Gotik bewegt« Das 
Figurenwerk wurde meist von Burne^Jones ge^ 
zeichnet, dessen Name von der Morrisbewegung 
unzertrennlich ist. Morris nützte seine Talente 
auch geschäftlich aus (seit 1861), wie es später 
die englischen Kunstgilden taten, Ashbees ^Guild 
of Handicraft"" in London, Dixons „Birmingham 
Guild of Handicraff" und seit 1883 „The art 
workers guild'' •'^) Charles Ashbee ist für England 



*) Zu Morris vgl. hauptsächlich Aymer Vallance: 
„William Morris, his art, writings and public life"" 
1898 (reich illustriert), G. Swarzenski „William Morris 
und die Entwicklung des modernen dekorativen Stils 
in England"" (Artikel in der Zeitschrift „Neue deutsche 
Rundschau, der freien Bühne neunter Jahrgang"" (Februar 
1898). Zur vorübergehenden Verbindung des William 
Morris mit den Prärafalliten siehe Percy H. Bäte „The 
english pre^^Raphaelite^^painters"" (1899)» S. 79 f* und 
S. 104, zu beachten auch die Prager Zeitschrift „Voln^ 
Smöry"" und H. v. d. Velde „Kunstgewerbliche Laien«' 
predigten"" (1902), S. 75 ff» sowie mehrere Arbeiten von 
H. Muthesius. — Zur modernen englischen Architektur 



1 



42 



ungefähr das, was Otto Wagner für Österreich 
bedeutet, ein eigenartiger Baukünstler, der 
wesentlichen Einfluß auf den Innenschmuck 
seiner und fremder Bauten genommen hat Nur 
scheint mir eines sicher, daß Otto Wagners 
Innenräume viel mehr unserem Wohlbehagen 
entsprechen als die Einrichtungen Ashbees* 
Neben Ashbee wirkt in England und Schott^ 
land eine ganze Legion von Baukünstlern und 
Kunstgewerblernderverschiedensten Richtungen. 
Auch reaktionäre Geister fehlen nicht, aber 
kaum irgendwo hat sich — zumeist in der 
Formung von Möbeln — ein so eigensinniges 
Haschen nach ungewöhnlichen Formen und 
Farben gezeigt^ wie bei den Briten. Der Schotte 
Mackintosh baut gefährlich scharfkantige oft 
nahezu lebensgefährlich gestaltete Möbel aus 
Brettchen und Stäben, die jede Gemütlichkeit 
aus den Räumen bannen, wo sie stehen. E. A. 
Taylor in Glasgow gehört derselben Richtung 

vgl. u. a. Seemanns Kunstchronik N. F. XII, Nr. 29» 
und die darin besprochene Literatur. Mit englischem 
Kunsthandwerk beschäftigte sich wiederholt die reich 
illustrierte Zeitschrift des Österreichischen Museums für 
Kunst und Industrie „Kunst und Kunsthandwerk^^ Bd. V, 
S. 591 ff., handelt von der „Guild of handicraft"^. Möbel 
von Ashbee und Mackintosh waren in der Wiener 
„Sezession'^ ausgestellt und erregten in der Tagespresse 
ein heftiges dafür und dawider. 



43 



an«*^) Andere Unbequemlichkeiten sind ver^ 
körpert in den Möbeln des sogenannten Mis^ 
sionsstils von Jos. P. Mc Hughs, die auf der 
Ausstellung in Buffalo zu sehen waren und 
mir durch Abbildungen bekannt sind« Sie 
benützen einige unzweckmäßige Motive von 
alten spanischen, holländischen und englischen 
Möbeln. Manches daran ist auch behäbig, kräftig, 
derb praktisch.**) 

Was die üppige und reiche Entwicklung 
der neuesten eigentlichen Baukunst in Eng*^ 
land betrifft, so muß ich auf die Literatur 
besonders auf das große Werk von H. Mu^ 
thesius***^) verweisen, da ich Eigenes nicht 
bieten kann. Ich habe etwa zehn Jahre lang 
den englischen Boden nicht betreten. 

*) Vgl. u. a. „Deutsche Kunst und Dekoration'' 
vom September 1902» sowie die Literatur über die 
VIII. Wiener Sezessionsausstellung. 

Manche kunstgewerbliche Leistung von Ch. R. 
Mackintosh ist indes gewiß fesselnd oder mindestens 
in allgemeinem Sinne interessant durch merkwürdige 
Linienführung und eigenartiges Stilisieren, so z. B. der 
Mappenband für „Deutsche Kunst und Dekoration''. 
**) Hierzu „Kunst und Kunsthandwerk" Bd. V. 
***) H. Muthesius: „Die englische Baukunst der Ge* 
genwart", Leipzig 1900, FoL Vieles auch in AI. Kochs 
„Academy architecture" und in „Moderne Städte^ 
büder" (III). 



44 



Die Niederlande beteiligen sich lebhaft 
an dem neuen Streben nach eigenartiger Er^ 
findung, im Süden besonders Brüssel und Ant^ 
werpen, im Norden Amsterdam, Rotterdam* 
In der holländischen Hauptstadt hat vielleicht 
H* P. Berlage am meisten als Sauerteig ge^ 
wirkt* Neuen Formen huldigen auch Th. San^ 
ders, J» und C* Verheul, Jos. Herman, einiger^ 
maßen auch Ed* Cuypers* Auf dem Gebiet 
der Innendekoration bringen Sluytermann, 
Lion Cachet, Nieuwenhuis^ Dysselhof und 
Molkenboer stets Neues. Rotterdam hat seinen 
J. P* Stok, Van Goor und Hooykaas en Son. 

In Brüssel ist die Revolution im Bauen 
eine besonders auffallende. Paul Hankar (nun^ 
mehr tot) und Viktor Horta scheinen denAn^ 
fang gemacht zu haben, undnun sind ganze Reihen 
von Architekten des neuesten Glaubensbekennt^ 
nisses zu nennen: A. v. Waesberghe, E. Blerot, 
Alb. Chambon, Max Blieck, G. Delcoigne, A. 
Eul, G. Höbe, Gh. Patris, E. Pelsener, Dam^ 
man, womit nur Andeutungen gemacht sind. 

In Antwerpen bauen in neuer Art Aver^ 
becke und W. Diehl, Cools und Leferre, Art. 
de Walle, J. Hofman, Van den Bossche und 
E. Stordiau.*) 

*) Vgl. „Deutsche Kunst und Dekoration'', II. Jahr^ 
gang, 1899, Septemberheft, „L'art d^coratiP, Nov. 1900 



45 



Wie viele große und kleine Städte wären 
noch zu besuchen! In Köln, Düsseldorf, in 
Hamburg, Budapest z« B. hat das freie Schaffen 
Wurzel gefaßt und wie ich aus den Büchern et^ 
fahre, auch in vielen amerikanischen Städten. 
Aber es seien der Beispiele nun genug. 

An einen abschließenden Überblick ist bei 
Bewegungen, die sich noch vor unseren Augen 
vollziehen, gewiß nicht zu denken. Trotzdem 
läßt sich Einiges feststellen, z. B. daß es sich 
heute in der Baukunst und im Kunstgewerbe 
sicher nicht um einen einzigen Stil han«^ 
delt, den man etwa, an die Kunstentwicklung 

(S. 73 ff*)» ttThe Studio'^ vom 15. April 1901» femer 
„Onze Kunst""» Jahr II» und ,»Ober Land und Meer"% 
1903» Nr. 40. Zahlreiche Abbildungen modemer Bauwerke 
in Amsterdam» Antwerpen» Brüssel» Rotterdam sind in 
dem Werk von Rehme zu finden» anderes in der II. Ab«' 
teilung der »»Modernen Städtebilder"". Vieles in der Litera^ 
tur über die Pariser Weltausstellung von 1900 (beson^ 
ders über den Architekten J. Mutters und den Dekora«' 
teur Sluytermann aus Holland). Zur belgischen jungen 
Baukunst lesenswert H. Fierens^Gevaerts »»Nouveauz 
essais sur Tart contemporain"" (1903)* Zu Hankar und 
Horta auch »»The magazin of art^ 1901» S. 271 ff. Ber^ 
lages neues Börsengebäude in Amsterdam ist u« a. ab«' 
gebildet in der Zeitschrift »»Für alle Welt'S 1903» S. 642. 
Zu Berlages Gebäude der Diamantenarbeiter in Amster^ 
dam vgl. auch »»Kunst und Kunsthandwerk^» IV. 
S. 531 u. 552 fiF. auch zu J. Stuyt und Ed. Cuypers. 



46 



gegen Ende des vorigen Jahrhunderts anküpfend 
Stil fin de siecle^ Sezessionsstil, oder den 
Blick ins laufende Jahrhundert kehrend, Jugend^ 
Stil im Ernste nennen dürfte. Ebensowenig, als 
wir beim neuerungssüchtigen Baukünstler dafür 
einstehen können, daß er nicht in alten Tagen 
wieder die alten Stile in den Sinn bekommen, 
daß er nicht morgen schon irgend eine über«^ 
raschende neue Phase seines Schaffens erkennen 
lassen wird, ebensowenig wird man die Summe 
allen modernen Kunstwirkens mit einem 
Schlagworte abfertigen können. Verallge^ 
meinerungen sind wohl allerwärts gefähr«^ 
liehe Schlüsse, aber in bezug auf die wer«^ 
dende Kunst des 20. Jahrhunderts ohne Zweifel 
ganz besonders heimtückisch. Die Mannig^ 
faltigkeit des modernen Schaffens ist 
so groß, das Wirken des Einzelnen noch 
so unbestimmt begrenzt, daß man jedenfalls 
davon absehen wird, Charakteristiken des Ent^ 
stehenden festlegen zu wollen. Einzelne Beob«^ 
achtungen werden notiert und man versucht sie 
in Gruppen zu bringen; vorsichtige Schlüsse 
werden angereiht. W. Rehme betont in seinem 
Werke über „Die Architektur der neuen freien 
Schule^ ausdrücklich, daß man von Seiten der 
jungen modernen Architekten keinen einheit^ 
liehen Stil anstrebt, sondern in echt moderner 



47 



Weise der Individualität ihre Rechte läßt Jeder, 
falls er Talent genug besitzt, soll sich seinen 
eigenen Baustil finden. Ich überlasse es also 
späteren Zeiten, das Gemeinsame herauszu^ 
suchen, das übrigens denn doch ohne jeden 
Zweifel gewisse Gruppen moderner Baukünstler 
verbindet, und weise vorläufig nur darauf hin, 
daß von den Vorkämpfern jeder redlich bemüht 
ist, eigenartig zu schaffen. Schweigen wir 
diesmal von den Nachtretern, die ja — leider — 
auch schon allerwärts nur so aus dem Boden 
wachsen. 

Man hat eine etwas schroffe Abgrenzung 
aufgestellt zwischen den nachahmenden und 
neu erfindenden Architekten. Ich möchte keine 
feste Einteilung auf dieser Grundlage aufbauen. 
Denn allerwärts sehe ich unzählige Übergänge 
und Abstufungen. Vollkommene Originalität 
wird nie erreicht, wie etwa die Hyperbellinie 
niemals ihre imaginäre Achse berührt Allere 
wärts hängen wir mit dem Gewesenen zu< 
sammen, und auch das berechtigte Ringen nach 
neuen Ausdrucksweisen in der Ktmst ist keine 
Neuigkeit Die Künstler weisen allerdings derlei 
Gedanken als unwürdige Zumutungen zumeist 
zurück — mit Empörung. In der Freude des 
Schaffens und im bestimmten Bewußtsein, Et^ 
was geleistet zu haben, vergessen sie, wie un< 



48 



geheuer viel sie von ihren künstlerischen Vor^ 
fahren überkommen haben« Die impulsive Natur 
des Künstlers wird sich schwer dazu verstehen^ 
anzunehmen^ daß jeder Strich^ den er hinsetzt^ 
jeder Bogen^ jede Wand^ die er errichten läßt^ 
bedingt ist^ von außen durch den Zwang der 
Eindrücke^ die vorhergegangen sind^ von innen 
durch vererbte Eigentümlichkeiten.*^) Damit^ 
daß wir vor solchen Erkenntnissen die Augen 
verschließen^ ist noch nichts für die Originalität 
gewonnen. Es kommt ja nicht darauf an^ daß 
Einer sich der individualisierenden Bewegung 
anschließt und vielleicht unrichtigerweise be^ 
hauptet^ er schaffe originell; sondern darauf^ 
daß ruhige Betrachter sein Schaffen wirklich 
eigenartig finden. Da beginnt denn schon manche 
Meinungsverschiedenheit. Die reine Nachahmung 
alter Stile ist selten genug. Denn die räumlichen 
und örtlichen Bedingungen eines Neubaues 
drängen gewöhnlich schon zu irgend welcher 
neuen Erfindung hin. Doch sei zugestanden^ 
daß es ein Anderes ist, ob sich ein Künstler 
alle Mühe gibt, nichts von älteren Stilen zu 
entlehnen, oder, ob er nach seinem erklärten 
Programm nur die alten Vorbilder gelten läßt. 

*) Treu in seiner Arbeit über C. Meunier (S. 3) 
klagt, unsere Zeit sei» fftnit der Erbschaft aller ver^ 
flossenen Jahrhunderte belastet''. 



49 



EineErscheinung, die ich im Zusammenhange 
mit der neuesten Baukunst berühren möchte und 
die uns zur Bildhauerei hinüberleitet, ist die un^ 
gewöhnlich große Anzahl kolossaler 
Monumente, besonders in Deutschland.*^) 
Vom Altertum vorgebildet, hatten Riesen^ 
figuren zwar auch im Laufe des 19. Jahrhunderts 
hie und da einige Vertreter gefunden (z. B. 
durch die Schwanthalersche Bavaria in München 
und das Zumbuschsche Kaiserin Maria Theresia^ 
Denkmal in Wien), aber eine solche Häufung 
massiger Nationaldenkmäler, wie sie um 1900 
in deutschen Landen auftrat, bleibt doch etwas 
Auffälliges. Der Bavaria wurde ein National^ 
denkmal auf dem Niederwald und in Berlin 
eine Berolina entgegengesetzt Die Abmessungen 
der Kaiser Wilhelm^Denkmäler wurden fast 
allerwärts größer gewählt, als es sonst bei Reiter^ 
figuren gebräuchlich war, voran beim Begast 
sehen Wilhelms^Monument vor dem Berliner 
Schlosse, nicht zuletzt beim Schillingschen in 
Hamburg und bei der Wilhelms^Figur auf dem 
Kyffhäuser. Die Architektur dieses Riesendenk^ 
mals von Bruno Schmitz wurde schon oben 



*) Die „Monumentenwut'^ wurde schon 1900 auf 
1901 durch W. Bode gestreift in dem Büchlein ,,Kunst 
und Kunstgewerbe am Ende des 19* Jahrhunderts'^ 
(S. 158 und 161). 



50 



erwähnt. Als Plastiker haben daran E. Hund^ 
rieser und Nikolaus Geiger mitgewirkt. Zittau 
lieh massig aufgebaut ist das Schmitzsche Wil«^ 
helm'^Denkmal zu Halle und wahrhaft imposant 
beherrscht das Kaiser Wilhelm «^ Denkmal zu 
Koblenz die ganze Umgebung. An einem der 
zahlreichen Bismarck'^Denkmäler hat die au& 
gemauerte Sitzfigur etwa zwanzigfache Lebens^ 
große. Die massigen Formen der Bismarck'^ 
Säulen sind fast in allen Fällen auf Fernwir*- 
kung berechnet, so die Kölner, deren Figur 
eben charakterisiert wurde (dieses Denkmal 
wurde erst am 21. Juni 1903 eingeweiht, es ist 
ein Werk des Architekten Arnold Hartmann)» 
ebenso die etwas plumpe Säule bei Friedrichs^' 
ruh (ohne Bismarck^-Figur von W. Kreis ent^ 
worfen), ferner das Bismarck^'Denkmal im Riesen«' 
gebirge und das auf der Asse im Herzogtum 
Braunschweig, auch der Bismarck-'Turm auf dem 
Ettersberge bei Weimar und das Bismarck'^Denk'^ 
mal auf dem Knivsberg in Nordschleswig (vom 
Baumeister Möller aus Berlin). Durch deutliche 
Anklänge an die Igeler Säule bei Trier ist der 
Bismarck-'Turm am Starnberger See ausgezeich" 
net (Th. Fischer, J. Floßmann und J. Zwisler 
sind als Schöpfer zu nennen). Kaum zu über'- 
sehen dürfte das große Denkmal sein, für Kaiser 
Wilhelm, Bismarck und Moltke in Halle an 



51 



der Saale errichtet. Die Architektur geht auf 
Entwürfe von Bruno Schmitz zurück» die Skulp< 
turen stammen von Peter Breuer. Der Entwurf 
eines riesigen Bismarck^Roland» vom Bildhauer 
Lederer und Architekten Schaudt für Hamburg 
hergestellt^ist mir durch die guten Abbildungen im 
„Jahrbuch der bildenden Ktmsf' von W. v. Seidlitz 
und Martersteig (1903) und in dem Buche ,,Die 
Kunst des Jahres 1902'' (München» Bruckmanns 
Verlag) bekannt. Wohl kann in diesem Zusam< 
menhange auch die Massenentfaltung akademi< 
scher Kunst berührt werden, die in den ausge^ 
dehnten Skulpturenanlagen der Siegesallee im 
Berliner Tiergarten dem Kunstfreunde zu 
denken gibt 

Zu den großräumigen Erzeugnissen neuester 
deutscher Kunst gehört ferner das wohl ge< 
gliederte und gut silhouettierte Burschenschafts^ 
denkmal bei Eisenach, erbaut vom Dresdener 
Architekten Wilhelm Kreis. 

In neuester Zeit sind noch mehrere Riesen^ 
denkmäler vollendet worden, so in Danzig ein 
Kaiser Wilhelm^^Denkmal (vom Berliner Bild^ 
hauer Eugen Börmel) und das Kaiser Friedrich^ 
Denkmal in Köln (von Peter Breuer).*^) 

*) Vgl. „Deutsche Bauzeitung'^ vom 18. April 1903 
und J. J. Webers ^illustrierte Zeitung*' vom i. Mai 1903 
(Nr. 3070). — Vom Denkmal in Halle handelt die 



52 



In Frankreich gelten derlei Denkmäler als 
barbarischer Ausdruck eines unverhüllten Chau^ 
vinismus und man muß eingestehen, daß Jules 
Dalous „Triomphe de la republique'' (auf der 
neuen Place de la nation), wiewohl ebenfalls 
chauvinistisch angehaucht, doch an Eleganz so 
ziemlich alle großen Denkmäler schlägt, die 
gegen 1900 irgendwo enthüllt worden sind. 
Dalous Kunst bildet einen glänzenden Abschluß 
der älteren trefflichen idealistischen Richtung, 
die aus der edelsten Antike, was Bewegungs^ 
ausdruck betrifft, ein wenig aus der Barocke (man 
denke an das Delacroix'^Denkmal) und aus der 
gesund geformten Natur ihre Anregungen ge^ 
schöpft hat. Ich schätze Dalous Triumph der 
französischen Republik viel höher als das so 
auffallende Riesendenkmal auf der Place de la 
bastille, auch höher als das Gambetta^Denkmal 
auf der Place du caroussel nahe beim Louvre. 
Von hohem Kunstwert sind auch die riesigen 
Figuren von George Recipon, die in Kupfer 
getrieben wurden und als Dekoration des Grand 
Palais des beaux arts der jüngsten Pariser Welt- 
ausstellung modelliert sind.*) 

, illustrierte Welt'* vom Oktober 1901; mehrere andere 
sind im Laufe der jüngsten Jahre in den schon ge^ 
nannten illustrierten Zeitungen abgebildet gewesen. 

*) Das Treiben in Kupfer wird jetzt vielmals gc^ 
übt, nicht nur für Reliefs und kunstgewerbliche Ge- 



53 



Auch in Deutschland sind einige Monu< 
mente entstanden oder zur Ausführung bestimmt 
worden, die mehr Gewicht auf das Künstlerische 
als auf das Patriotische legen« Dabei denke ich 
an Hildebrands Reinhardsbrunnen in Straße 
bürg und an Wrbas Stadtbrtumen in Nord*' 
lingen.*^) Das Goethe^^Denkmal in Wien ist ein 
gelungenes Werk Ed. Hellmers« Was die jüngsten 
Jahre an kleinen Monumenten in ungezählten 
Städtchen haben entstehen gesehen, bleibt vor< 
läufig unüberblickbar. So rasch man auch heute 
einen ,,Tour du monde"" in großen Linien abtun 
kann (Jules Vernes Tour du monde en quatre^ 
vingt jours ist ja längst überboten), so schwierig 
ist es, die kleinere Produktion, fern von den 
großen Kunststädten, zu überschauen. Daß unge^ 

Brauchsgegenstände, sondern auch für große Plastik. 
Ich erinnere an Hundriesers Kaiser Wilhelm^Denkmal 
am nl^eutschen Eck'^ bei Koblenz, an Türpes (des 
Schaper^Schülers) neuen Brunnen in Altona, femer an 
die Figuren von Wojtowicz und Podgorski für das 
Nationaltheater in Lemberg und an den plastischen 
Schmuck des Rathauses zu Elberfeld (Heinrich Günther^ 
Gera hat ihn modelliert). Vgl. Zeitschrift des öster^ 
reichischen Ingenieur^ und Architektenvereins 1901, 
S. 3 ff*» ferner die Wiener „Architekten^ und Baumeister^ 
Zeitung'* (IX., Nr. 43) und J. J. Webers ..Illustrierte 
Zeitung^* Nr. 3044* 

*) Beide abgebildet im genannten .Jahrbuch der 
bildenden Kunst^. 



54 



zählte neue Denkmäler in aller Welt enthüllt 
werden, liest man in den Zeitungen. Wer kennt 
aber diese neue Kunst alle so genau, um sie 
in eine kritische Erörterung miteinbeziehen zu 
können? Wenn ich als elegantes, schlicht ge^ 
haltenes Kunstwerk das Hellmersche Denkmal 
für Kaiserin Elisabeth in Salzburg hervorhebe, 
das Hildebrandsche BrahmS'^Denkmal in Meinin«' 
gen nenne, an den posthumen köstlichen kleinen 
Tilgnerbrunnen in Wien und das Tilgnersche 
Monument für Ant. Brückner (mit Nebenfigur 
von Zerritsch) erinnere und auf das neue Ada^ 
bert Stifter'^Denkmal in Linz a. d. Donau von 
Rathausky aufmerksam mache, so mag man 
den Willen fürs Werk nehmen. In den fran-^ 
zösischen Provinzstädten, in Italien ist vieles 
für das Thema der modernsten Monumente zu 
holen, doch kann man nicht überall gerade 
gestern gewesen sein.^ 

Wie in der modernen Baukunst, so wogt 
auch in der heutigen Bildhauerei Nachahmung, 
Nachempfindung, freies Schaffen und Erfinden 
verschiedenster Art in verwickelter Weise durchs 
einander, ja weil es in der Natur der Plastik 
l^^gt» gibt es da noch vielerlei Komplikationen, 
die durch das engere Verhältnis zur Natur ge^ 
geben sind. Die neueste Plastik kennt rück«^ 
sichtslosen Naturalismus und erdenentrückten 



55 



Idealismus, sowie alles, was etwa dazwischen 
liegen kann. Nahezu jede Art der Oberflächen^ 
behandlung wird an modernen Plastiken vor^ 
gefunden: spiegelnde Glätte, bruchflächenartige 
Rauheit oder genaue Wiedergabe jeder Finger^ 
arbeit am Tonmodell im endgültigen Bronze^ 
abguß. *) Auf Farbigkeit ging vor Jahren Viktor 
Tilgner los. Später, 1885, gab eine Ausstellung 
farbiger Bildwerke in der Berliner National«' 
galerie viele Anregung, die wohl lange nach^ 
gewirkt hat In neuester Zeit ist Max Klinge r 
der bedeutendste Bildner, der seinen Figuren 
Farbe verleiht**) und das in der Weise, daß 

*) Die moderne Plastik ist leichter zu überschauen^ 
als die Architektur, und ich gehe deshalb hier weniger 
auf einzelne Literatur ein. Von großen Monumenten 
abgesehen, werden heute Bildhauerwerke auch auf 
große Entfernungen versendet, so daß in den Ausstel^ 
lungen viel Lehrreiches zu finden ist, wie man deren 
so viele in allen großen Kunststätten veranstaltet. 
Wichtige Studienorte für neue Bildhauerei sind die 
herrliche Jacobsensche Glyptothek in Kopenhagen, die 
Berliner Nationalgalerie und das Mus^e du Luzem«^ 
bourg zu Paris. — Zu den einzelnen, im Text erwähnten 
Kunstwerken wird einige Literatur beigebracht. Im 
übrigen verweise ich auf den Anhang „Zur Literatur^^ 
**) Eine mehr realistische Polychromierung wird 
durch Arthur Straßer und Rudolf Mais on gelegentlich 
gepflegt. Noch nenne ich den in England schaffenden 
Alfred Gilbert als einen Freund farbiger Bildnerei. 
VgL „Kunst und Kunsthandwerk*^ V. S. 574 (Konody^: 



56 



er echtes farbiges Material benützt. Sein 
thronender Beethoven, ein wahrer Zankapfel in 
der modernsten Kunst, ein Werk, über das so 
und so viele Studien, Artikel und Bücher gc^ 
schrieben worden sind, kann als Typus dieser 
farbigen Bildnerei dienen und seine Salome 
gehört zu den bekanntesten Werken neuer 
farbiger Pastik. iClinger ist zugleich ein Ver*- 
treter des Nackten in der Kunst, gleich dem 
geistesverwandten Otto Greiner, der übrigens 
vorläufig als Künstler des Griffels zu verzeich'' 
nen ist. Sie bilden ein wirksames Gegengewicht 
gegen gewisse fad'^prüde ästhetische Kund^ 
gebungen, die nur die bekleidete Gestalt dar^ 
gestellt wissen wollen. Klingers Plastik, von 
seinen Gemälden hören wir noch, behält zwar 
stets engste Fühlung mit der Natur, ist aber 
weder naturalistisch, noch realistisch in gewöhn«' 
lichem Sinne. Mit einem Schlagwort ist sie 
überhaupt nicht zu charakterisieren, und jedes 
Klingersche Werk hat noch durch eine be^ 
sondere Eigenart überrascht. Einstweilen ist der 
Künstler weit von jedem Manierismus entfernt. 
Nicht gerade manieristisch, doch immerhin 

Des Wieners Zinslers Erfindung geht vorläufig eben^ 
falls auf Farbigkeit los. In der Ausstellung der Mün^ 
chener Sezession von 1903 war eine farbige Statuette 
Diana zu finden, die Georg Römer modelliert hatte. 



57 



gleichmäßiger in seinem Stil ist Konstantin 
M e u ni e r, der Meister in der Darstellung schwerer 
körperlicher Arbeit oder tiefsten Seelen.^ 
Schmerzes« An Kühnheit und Freiheit der 
Modellierung wetteifert er mit einem Trou^ 
beckoy, der unvergleichlich charakterisiert und 
individualisiert, deshalb auch im Porträt Vor< 
zügliches leistet Im Skizzenhaften höchst cha^ 
rakteristisch ist Medardo Rosso> der seine Köpfe 
meist so modelliert^ wie sie ihm bei einer be^ 
stimmten Beleuchtung erscheinen und dessen 
Plastiken auch dann nur ihre volle Wirkung 
tun, wenn sie sich ungefähr in derselben 
Lagerung befinden, für die sie berechnet sind« 
Die gewöhnliche vollrunde Plastik als drei 
dimensionale Kunst gilt für Rosso als banaL 
Jedenfalls ist er mehr für das Relief begabt, 
das sich in manchem Sinne der Malerei nähert* 
Rossos Plastik ist wohl deshalb auch als 
plastischer Impressionismus bezeichnet worden, 
ich meine nur mit halbem Recht, da Rosso doch 
immerhin vollrund modelliert und damit sich 
den Gesetzen der drei Dimensionen unterwirft. 
Der eigentliche Impressionismus bleibt der 
Malerei vorbehalten. Auguste Rodin ist viel<^ 
leicht der geistreichste Virtuose, der je modelliert 
hat. Schwierigkeiten der Technik scheint es für 
ihn nicht zu geben, ob er nun ein Bildnis formt 



58 



oder die Gestalten seiner Phantasie verwirklicht. 
Er Versteht es ebenso^ die herben Züge eines 
verwitterten Antlitzes mit unerbittlicher Treffe 
Sicherheit aufzubauen, wie unter seiner Hand 
eine Marmorfigur, eine Gruppe das feinste 
Linienspiel und geradewegs schwellendes weiches 
Leben erhält. Rodins Weichheit ist eine andere 
als die bei A. Hildebrand, der anders geartete 
plumpere Modelle bevorzugt als Rodin und 
dessen Formgebung sich mehr dem Stilisieren, 
Verallgemeinern nähert. Beide^ Rodin undHilde*- 
brand, haben etwas Sinnendes, durchschnittlich 
ruhiges, wie sehr auch Rodin ungewöhnliche 
Verschlingungen beherrscht. Daneben fallen, 
andere Plastiker von Bedeutung auf, die ihr 
Heil in der äußersten Anspannung übernährter 
Muskeln suchen, z. B. Lambeaux, der ins 
Plastische übersetzte Rubens und Wiertz, oder 
im Ausdruck lebhaftester Bewegung. A. Querols 
Entwürfe zum Denkmal Alphonsos XIL von 
Spanien und andere seiner Arbeiten verraten 
in ihren Konturen ein furchtbar lebhaftes Tem-^ 
perament. Bazzaro arbeitete gegen 1900 für den 
Campo Santo zu Mailand ein figurenreiches 
Denkmal, das aus der Entfernung aussieht wie 
ein knorriger Baumstamm^ neben dem eine 
menschliche Figur liegt, eine andere tanzt. Näher 
betrachtet erweist sich der Baumstamm als Zu'^ 



59 



sammenstellung mehrerer Figuren, die über^ 
einander aufgebaut sind (photographiert von 
Luca Comerio in Mailand, danach abgebildet in 
der Zeitschrift „La Domenica del corriere'' vom 
November 1900). Auch Biondi, Emilio Bisi 
und P* Rizzoli modellieren bewegte Figuren 
(vgl. „The artist^' vom Jänner 1901), noch mehr 
Mario Rutelli, dessen Najadenbrunnen in Rom 
so viel Aufsehen gemacht hat. In Wien gehörte 
Th. Friedl und gehört R. Weyr zu den 
Bildhauern temperamentvoller Auffassung. In 
Deutschland wäre etwa Rud. Maison her^ 
vorzuheben, in Frankreich beispielsweise AI'' 
fred Boucher und G. Recipon, wozu 
im allgemeinen die Beobachtung mitgeteilt 
sei, daß heute, wie in vergangenen Zeiten, 
die romanischen Völker durchschnittlich viel 
bewegtere Figuren formen, als die germanischen. 
Übrigens verrät der Brite Adrian Jones in seiner 
Quadriga viel Talent für lebhaften Ausdruck 
und auch der amerikanische Bildhauer Roth 
weiß in der Gruppe „Wagenrennen"* ein tolles 
Jagen vollkommen darzustellen.*) Bei der ge^ 
Äugelten Figur von Gilbert, der für London 
die „Shaftesbury memorial Fountain^' geschaffen 
hat, kommt wieder in der nahezu schweben^ 

*) Abbildungen in „Kunst und Kunsthandwerk" 
1902 und 1903. 



60 



den Bewegung das französische Blut zum Aus^ 
druck. Das spezifisch leichte Material Aluminium 
erlaubte eine freieste Gestaltung.*) 

Eine sinnvolle Bewegtheit fällt an den 
großen Denkmälern und einigen kleineren Ar*^ 
beiten des Schweden Börjeson auf. Kein Ende 
ist zu finden in der Aufzählung und Charakte«' 
risierung neuer Plastik. Vornehmste abgeklärte 
Ruhe bei Barth olome, feinfühlige Eleganz bei 
Kund mann, der ja noch immer schafft, und 
bei dem jüngeren Nordländer P. Hasselberg. 
Der Däne Stephan Sinding scheint hauptsäch«^ 
lieh die Urkraft beim noch unverdorbenen Men< 
schengeschlecht in Formen bringen zu wollen, hat 
aber auch das gebrechlich e Alter der Kulturmensch^ 
heit trefflich charakterisiert, z. B. in der Holz^ 
Skulptur: die älteste des Geschlechts; blutleere 
Askese bei einem George Minne, dessen Stil 
nicht wenig durch spätmittelalterliche Holzplastik 
bestimmt wird. Mit Minne verwandt ist der Däne 
Vigeland und der Böhme F. Bilek muß gleich^ 
falls in diese Gruppe gerückt werden. Josef F 1 oß<^ 
mann scheint einmal durch assyrische Löwen be^ 
einflußt worden zu sein, fand aber bald einen 
eigenen großartigen Stil. Weiche, groß gesehene 
Formen fallen an den glatten Werken des 

*) Abbildung in „The magazine of art" 1893» S. 395. 
Die übrigen gegossenen Bestandteile dieses Brunnens sind 
aus Bronze. 



61 



Italieners Pietro Canonica, an denen des 
Deutschen Hahn tind des Belgiers PatilDubois 
auf. Ein moderner französischer Stilist ist Paul 
Dupont. Auf Van der Stappen hat der 
warme Ton des Elfenbeins mit Silberglanz 
daneben große Anziehungskraft ausgeübt. 
Frampton liebt Silber. Mr. Konrad Dreßler 
versteht sich wie keiner auf moderne Robbia^ 
arbeit. In der Holzplastik zeichnen sich Ignatz 
Taschner in München, Klotz und seine Schule 
(besonders Franz Barwig), ferner Luksch imd 
der Virtuose Zelesny in Wien, Carabin in 
Paris aus. Carabin ist eine Art Naturalist von 
ungeheuerem Talent. 

Mancherlei archaisierende Richtungen der 
Plastik seien in aller Kürze angedeutet. Die An«' 
regtmg durch antike Vorbilder zieht noch immer 
weite Kreise; ist doch diese Anregung heute bei 
dem schier unermeßlichen Vorrat an großen und 
kleinen Skulpturen ungeheuer mannigfach. Bei 
manchen klingt ägyptische Plastik an. Ein Bei^ 
spiel von leichtem assyrischen Einfluß wurde 
oben gegeben. Das Mittelalter diente oft genug 
als Anreger, wobei nochmals an die Ktmst 
Minnes erinnert wird. In kleinen Figuren, hie 
tmd da sogar in Standbildern zeigt sich ein 
Versenken in die Art der deutschen Bildhauer 
des frühen i6. Jahrhunderts. Das Standbild 



j 



62 



Friedrichs des Weisen auf dem Marktplatz in 
Buchholz (modelliert von Schreitmüller in 
Dresden) und das Frundsbergdenkmal in Mindel^ 
heim (modelliert von Jakob Bradl) gehören 
hierher. Quattrozentistisch zugeschnittene und 
aufgefaßte Büsten fehlen seit mehreren Jahren 
selten auf großen Ausstellungen, und in jüngster 
Zeit hat Georg Roemer einen Putto a la Dona^^ 
tello ausgestellt, wie denn auch Hermann Hahn 
in seiner Bremer Staatsmedaille ans Quattro^ 
cento anklingt. Italienische Hochrenaissance, 
Barocke und Rokoko sehen sich verstanden 
oder auch unverstanden. Eine ziemlich bösartige 
Barocke wird nachgeahmt im Monument für 
Bürgermeister Steubel zu Dresden; es ist ein 
Werk, an dem übrigens künstlerisch bedeutende 
Einzelheiten nicht zu verkennen sind. Moderne 
italienische Bildhauer lieben es, ihre Büsten 
ganz unregelmäßig, wie mit zufällig entstandenen 
Bruchflächen, zu begrenzen und nennen solche 
Werke ,,frammenti^. Rodins unbehauen ge^ 
bliebene Marmorstücke, neben denen glatt he^ 
handelte nackte Körper einen starken Gegen«' 
satz bilden, sind allen Bewunderern des genialen 
Künstlers wohl bekannt. 

Von der neuesten Plastik in getriebenem 
Kupfer war schon die Rede. Kleine Plastik in 
verschiedenstem Material wird diesmal nur be^ 



63 



rührt, desgleichen die Medaillenkunst, in Paris 
hauptsächlich durch Ponscarme, in Wien durch 
A. Scharif wiederbelebt und in vielen Kunst^ 
Städten heute emsig gepflegt. Die Kunst ge^* 
schnittener Steine blüht in Frankreich wieder 
auf. Glaserzeugtmg, Gefäßplastik, Weberei, 
Stickerei, Gobelintechnik, Spitzenarbeit, Mosaik, 
Goldschmiedektmst und was man sonst noch 
nennen könnte, haben im Laufe der jüngsten 
Lustren neue Bahnen eingeschlagen. Man neigt 
darin meist zum Stilvollen und entfernt sich 
absichtlich vom naturalistischen Zierwerk. Die 
Reihen der Künstler, die auf diesen Gebieten 
schaffen, sind zu lang, um hier mitgeteilt zu 
werden. Man sehe doch nur die vielen Aus«' 
Stellungen kunstgewerblicher Arbeiten an und lese 
die Kunstzeitschriften in allen Kultursprachen. 
In bezug auf Schmuck modernster Erfindung 
sei beispielsweise auf einige wenige Namen von 
Unternehmern und Künstlern hingewiesen, auf 
Hermann Hirzel, Werner, Fritz Schumacher 
in Deutschland, Ren^ Lalique, Gaillard, Bassard, 
Jeannine Chenneviire, M. Orazi in Frankreich, 
Ashbee, Dawson, Charle A. Rogers, Miß A. J. 
Pool in England auf J. Hoffstätter, Kolo Moser, 
Otto Prutscher, die Firma Rozet und Fisch-* 
meister, die Gablonzer Fachschule, Frau Baronin 
Myrbach in Österreich, und auf Wolfers Freres 



64 



in Brüssel. Ein hochmoderner ist auch Alex. 
Fisher in seinen emaillierten Silberarbeiten.*) 

Wir sind wieder mitten in das Künste 
ge werbe geraten. Angedeutet wurde schon, daß 
die Grenzen zwischen der sogenannten hohen 
Kunst und der Kleinkunst verstrichen sind. 
Berührte es 1873 ^^i der Wiener Weltausstellung 
noch sonderbar, einen Maler (E. Veith) an der 
Bemalung eines Klaviers **) beteiligt zu finden, 
so staunen wir jetzt längst nicht mehr, wenn 
sich die größten Künstler mit der Erfindung 
kleiner Kunstgegenstände oder mit Entwürfen 
für Innenschmuck abgeben. Deshalb mußte auch 
in den Abschnitten über Architektur und Plastik 
nicht selten auf Kunstgewerbe verschiedener 



*) Vgl. u. a. „Art et ddcoration^ „Kunst und 
Kunsthandwerk'^ 1900 S. 485» 1902, S. 440 f, 593 ff« J. 
J. Webers „Illustrierte Zeitung'* Nr. 3033 vom 15. August 
1901, „The artist'' vom April 1901, wie denn auch im 
allgemeinen auf die zahlreichen anderen neuen Kunst^ 
Zeitschriften und Ausstellungskataloge verwiesen wird. 
Die „Revue de la bijouterie, joaillerie orfivrerie'' sei im 
allgemeinen erwähnt. Zu Alex. Fisher, vgl. „The 
studio'' vom 15. Juni 1900. Als Ergänzung zu diesen 
Angaben möge die Rubrik „Email, Goldschmiedekunst" 
in der Bibliographie von „Kunst und Kunsthandwerk" 
dienen. 

**) Es war jahrelang im Besitz von M. Szeps in 
Wien. 



65 



Art Rücksicht genommen werden. Viele Namen, 
die schon genannt sind, beziehen sich auch auf 
Möbelentwürfe, Gefaßplastik und anderes, so daß 
nunmehr nur eine Nachlese zu halten ist Sie 
geht hauptsächlich auf die Gewinnung all^ 
gemeiner Gesichtspunkte aus, indem sie darauf 
hinweist, wie z. B. in der Herstelltmg von 
Möbeln tmd Hausgerät verschiedenster Art eine 
frische Erfindung durchgednmgen ist. Durchs* 
schreitet man die Innenräume unserer vielen 
Ausstellungen, so fällt es bald auf, daß die 
Nachahmungen alter Stile ntm schon zu den 
Seltenheiten gehören. Ungeheure Verbreittmg 
hat der sogenannte Kurvenstil gefunden, von 
Künstlern wie H. Guimard, Dulong, Plumet, 
Selmersheim, A. Landry, van der Velde, 
Pankok, Riemerschmid, Olbrich und neuere 
lieh noch von vielen anderen kultiviert. Der^ 
lei Möbel werden in Paris gelegentlich „Meubles 
d'ingenieurs^ genannt, um anzudeuten, daß 
sie mehr auf berechnendem Wege tmd mit 
feinem Verständnis für Kraftlinien, natura* 
gemäße Querschnitte geformt sind, als etwa 
durch gezwungenes, unorganisches Ankleben 
bestimmter Ornamente, die dann erst dem Tisch, 
Stuhl usw. das Stilgepräge erteilen. Höchst 
eigenartig sind in dieser Beziehung die Möbel, 
die unter der Firma „L'art nouveau Bing** Ver-* 



66 



breitung finden undvonEugene Gaillard, Colonna 
und de Feure entworfen sind. *) Der stilistische 
Führer für die ^Maison moderne'' ist A. Landry, 
^er über frische und reichliche Erfindung verfügt. 

Eine andere Richtung, z. B. eine Zeit lang 
die Ashbees in London und die Jos. Hofmanns 
in Wien ging und geht womöglich auf rechte 
winklige Begrenzungen aus; in dieser Art 
formen auch S. E. Barnsley und E. W. 
Gimson.**) Noch andere sind eklektisch. Die 
bequemen Formen des französischen Rokoko 
sind noch nicht ganz verschwunden, wogegen 
man sich heute nicht mehr so oft wie sonst 
blaue Flecke an den scharfen Kanten und bösen 
Ecken modernisierter Renaissance schlägt. Das 
neueste Kunstgewerbe sucht gewöhnlich nach 
praktischen Formen, denn auf keinem Gebiete 
wird man schlecht geformten Zeuges so bald 
überdrüssig, als bei Gebrauchsgegenständen, die 
wir täglich zur Hand nehmen müssen. 

Und doch verbreiten sich oft die einfältigsten 
Moden weit und breit. Da fingen z. B. englische 
Kunstzeitschriften damit an, Farbendrucke oder 



*) Vgl. „Art et ddcoration'" vom Jänner 1902, 
ferner die ausgebreitete Literatur über die Pariser 
Weltausstellung von 1900 neuestens auch ,,Deutsche 
Kunst und Dekoration'' von 1903. 

**) Vgl. hierzu „The Studio'^ vom 15. Juni 1903. 



67 



andere hervorstechende Illustrationen nicht ein^* 
zuheften, sondern nur lose auf dicke Blätter 
einzukleben. Das ist so lange recht schön, als 
eine solche Zeitschrift nicht gelesen, nicht ge^ 
braucht wird und vom Buchhändler zum Buch«' 
binder und dann in den Schrank wandert, um 
für lange Zeit der Menschheit den Rücken zu 
kehren. Geht aber so eine Zeitschrift durch 
mehrere Hände, so ist man sicher, daß das 
Kunstblatt locker wird, Büge bekommt, heraus^ 
fällt.. Aber nichts ist ungeschickt genug, um 
nicht NachäfFung zu finden, und eine kleine 
neue Sammlung deutscher Arbeiten über Kunst 
wird durch die eingeklebten Bildchen ebenso 
in äußerlicher Beziehung unausstehlich wie sie 
nach ihrem Inhalt von abstoßender Gehalt^ 
losigkeit ist. Aber derlei Mißgriffe sind nicht 
allgemein. Von ihnen absehend, kann man 
aussprechen, daß die moderne Buchausstat^ 
tung ungeahnte Fortschritte gemacht hat. Man 
wird dies jedesmal gewahr, wenn gegen Weih^ 
nachten die große Sturmflut neuer Bücher 
über den Markt sich ergießt. Hunderte, ja 
Tausende von erfindungsreichen Köpfen, von 
geschickten Händen sind tätig, Zeitschriften und 
Bücher mit figuralen Titelblättern zu versehen, 
Illustrationen zu zeichnen oder sonstigen Buch^ 
schmuck zu liefern. Den Einbänden wird, wie 

5* 



68 



in guten alten Zeiten große Sorgfalt zugewendet 
und durchaus sucht die Gruppe der Modernen 
nach neuen Motiven passender Flachornamente. 
Maler von Ruf verschmähen es nicht, Vorsatz^ 
papiere, und Bucheinbände zu entwerfen neben 
der Ausführung großer Aufgaben, die in das 
Weite gehen. 

Die Malerei*) neuester Art hat die Nei^^ 
gung, sich vom reinen Staffeleibild loszusagen, 
auf die so lange herrschend gewesene haupt^ 
sächliche Anwendung der Ölfarbe zu verzichten 
und sich in allen möglichen Arten der Dar^ 
Stellung und künstlerischen Betätigung auf der 
Fläche zu ergehen. Der heutige wirklich mo^^ 
derne Maler entwirft Zierwerk und stilisierte 
Darstellungen für Tonfließen, Tapisserien, We^ 
bereien für Mosaik verschiedener Art, für Leder^ 
Überzüge, Spitzen und Kanten. Er ist überdies, 
wie schon angedeutet, für die Buchkunst und 



*) In den meisten modernen Kunstzeitschriftent 
von denen schon mehrere genannt sind, nimmt die 
Malerei einen breiten Raum in Anspruch. Da auch die 
Ausstellungen gewöhnlich überwiegend mit Bildern ge^ 
füllt werden^ kann ich wohl bei Nennung der Maler^ 
namen auf das volle Verständnis der meisten Leser 
rechnen und einzelne Literaturnachweise können ent^ 
behrt werden. Im allgemeinen sei auf das verwiesen^ 
was an Literatur im Anhange zusammengestellt ist. 



69 



als Graphiker tätig, indem er häufig nicht nur 
malt, sondern auch radiert, lithographiert, al^ 
graphiert, schabt, sticht oder in Holz schneidet, 
wenigstens für Holzschnitt zeichnet. Auch das, 
was man gewöhnlich als Bild bezeichnet, hat 
in neuester Zeit einen anderen Charakter an^ 
genommen, als es ihn noch vor wenigen Lustren 
hatte. Im ganzen wurde der Kreis für alles 
Bildhafte merklich erweitert oder verschoben. 
Gegenständlich findet man allerdings seit langer 
Zeit alles darstellbar. Gesundes, Krankes (über 
die alten Darstellungen von Krankheitserschei^ 
nungen sind so und so viele Aufsätze und 
Bücher geschrieben worden"^). Langweiliges, 
Aufregendes, Bedeutendes und Unbedeutendes, 
Farbiges und Farbloses, Geschichtliches, Er^ 
fundenes und so hält man es auch heute. Doch 
ist die Abgrenzung und Anordnung dessen, was 
man darstellt, jetzt ohne Widerrede eine andere 
als früher. Schon die französischen Impressi^^ 
onisten, noch mehr ihre Nachfolger in allen 

'■') Ich hebe besonders hervor J. M. Charcot et 
Paul Richer ,,Le d^moniaques dans Tart'' 1887, von 
denselben Autoren ,,Les difformes et les malades dans 
Tart" 1889, Dr. Paul Richer „L'art et la m^decine^' (ohne 
Jahreszahl vor kurzem erschienen) und die Zeitschrift 
^.Nouvelle iconografie de la salpetri^e'^ Während der 
Korrektur bekomme ich zu Gesicht: Eug. Holländer 
nDie Medizin in der klassischen Malerei'' (1903)* 



70 



Ländern, sind in der Raumverteilung ziemlich 
rücksichtslos vorgegangen. Heute wird aber nicht 
selten geradewegs nach Absonderlichkeiten ge^ 
sucht, wie man an Bildnissen bemerkt^ bei 
denen der Kopf in die Ecke der Bildfläche ge^ 
schoben ist oder in der Stirn abgeschnitten 
erscheint. F. KhnopfF gefällt sich in solchen 
Schrullen; Klimt ist bei größeren Kompositionen 
mit der gesuchtesten Anordnung noch nicht 
zufrieden. Man schreckt nicht davor zurück, 
kahle Baumstämme zu zeigen, ohne daß ihre 
Wurzeln oder Kronen sichtbar wären. Ohne 
Zweifel ist man jetzt in der hohen oder tiefen 
Lagerung des Horizonts viel kühner als je zu^ 
vor und, was als Fortschritt verzeichnet sein 
mag, man achtet im Bilde mehr darauf, was 
das Auge mit einem Blick umfassen kann, 
als was es der Reihe nach oben, unten, links 
und rechts zusammensucht. Die ältere Land^ 
Schaft, namentlich die flandrische um 1600 ist 
eine Art naturwissenschaftlicher Abbildung einer 
Gegend, oder eine gemalte Aufzählung dessen, 
was dort vorkommt. Die moderne Landschaft 
wählt oft nichts anderes als eine Wasserfläche 
(Klimts Bild in der Wiener modernen Galerie) 
oder einen Uferrand allein, um das Wenige 
malerisch zu fassen, ungefähr so, wie es 
früher in gemalten Studien geschah, aber mit 



71 



der bestimmten räumlichen Abgrenzung des 
Budes.*) 

Die alte akademische Bildwirkung hat sich 
in der Tat ein wenig abgenützt, und ich finde 
es zum mindesten verständlich, wenn phantasier 
volle Köpfe und geschickte Hände sich daran 
erfreuen, Bildnisse, Landschaften, Allegorien, ja, 
was immer es sei, einmal anders ins Bild zu 
setzen, als man es ohnedies schon hunderte 
und tausende Male gesehen hat Böcklin war 
ein mächtiger Keil, der sich in den langweiligen' 
Schlendrian eingeschoben hat. Böcklins Kunst 
ist ja gewiß nicht die einzige, die etwa allein 
anzustreben wäre, aber sie war farbiger, origiy 
neiler, kräftiger als das meiste, das gleichzeitig 
gemalt wurde. Auch in technischer Beziehung 
wirkte Böcklin fermentierend. Unablässig war 
er bemüht, haltbare Farben, Bindemittel, Mal^ 
gründe, Pinsel, Firnisse zu erlangen. Da sind 
wir aber bei einer Krankheit der modernen 
Malerei angelangt, bei der trostlosen Unsicher«' 
heit und Wankelmütigkeit in allen technischen 
Dingen. Die wenigsten Maler wissen genau, mit 
welchen Stoffen sie eigentlich malen. Geringe 

*) SchultzC'Naumburg hat über die moderne Kom^ 
Position gute Beobachtungen angestellt und veröffent^ 
licht. Vgl. „Das Studium und die Ziele der Malerei'', 
S. 6i £f. 



72 



Qualität und Verfälschung der Materialien'^) 
erschwert klare Einsicht ebenso sehr, wie das 
hastige Ergreifen fortwährend neu erfundener 
Maltechniken und Bindemittel. Noch ist das 
eine Bild gar nicht recht trocken und hart ge^ 
worden, um ein Urteil über die Haltbarkeit des 
angewendeten Materials zu erlauben, so wird 
schon auf irgend eine volltönende Anpreisung 
hin ein neues Mittel versucht, das vielleicht 
ebenso unhaltbar ist wie das früher angewen^ 
dete, und was noch schlimmer ist, aut einem 
und demselben Bilde werden oft allerlei Tech^ 
niken durcheinander verwendet. In der Aus^ 
Stellung der Münchener Sezession von 1903 
fand sich eine pastos gemalte Dame in Schwarz 
vom Londoner Maler Douglas Robinson mit 
dem Datum (18)95. Jetzt schon, etwa acht Jahre 
nach der Vollendung, ist das Bild stellenweise 
bis auf den hellen Grund zerrissen. Ja ich kenne 
moderne Bilder, die nach fünf, nach zwei Jahren 
schon durch störende Risse entstellt werden. 
Bilder von Anders Zorn und von Besnard 
könnten als Beispiele dienen. Hohes Alter 
kommt auch den Werken des Hans v. Maries 



*) Hierüber hat vor kurzem A. W. Keim ein 
lesenswertes Buch veröffentlicht „Über Maltechnik''. Be^ 
achtenswert auch H. Popps Rezension in der Münchener 
Wochenschrift „Freistatt'' V., Nr. 23 vom 6. Juni 1903 



73 



keineswegs zxx, die jetzt in Schleißheim untere 
gebracht sind, und die zumeist schon heute 
tiefgehende Schäden aufweisen. Nicht selten ist 
der blendende Farbenreiz der ersten Lebens^ 
jähre eines neuen Gemäldes nach kurzer Zeit 
merklich verblichen. Das liegt wohl in der über^ 
triebenen Furcht der meisten jungen Stürmer, 
nur ja ihre Eigenart nicht durch Angelerntes 
zu verwischen. Jeder muß dann erst auf Um^ 
wegen tmd durch eigenen Schaden das erfahren, 
was ihm gewissenhafte ältere Lehrer und etliche 
gute Bücher in kurzer Zeit auf die einfachste 
Weise hätten beibringen können. Ist die Eigene* 
art so schwach, daß sie unter jedem Ratschlag 
einknickt, dann hat sie überhaupt nicht viel zu 
bedeuten. Dieses wüste Durcheinanderwogen 
aller möglichen alten und neuen Techniken, 
von Pastellmalerei, von jeder Art der Ölmalerei, 
von Anwendung verschiedener Gummiarten, 
von Petroleum, Glyzerin, alter Tempera, neuen 
tmd neuesten sogenannten Temperamalereien, 
von verschiedenartigen Wachsmalereien bis zum 
Aufstreichen der Raffaellistifte gehört unbedingt 
mit zur Charakteristik der modernsten Malerei. 
Was den Farbenauftrag betrifft, so ist 
die Mannigfaltigkeit in neuester Zeit ansehn^ 
lieh gestiegen. Zu den längst bekannten Arten 
breiter und spitziger Pinselführung, zum Malen 



74 



mit der Spachtel, mit dem Finger (Willemoes-' 
Sühn z. B» malt fast nur mit dem Daumen), 
fügt man heute noch ein geradewegs plastisches 
Aufmauern der Farbe (Mancini) und die origi-* 
nelle, an Flachstich erinnernde Art eines Se^ 
gantini. In der Breite der Pinselstriche gehen 
manche über alles hinaus, was ältere Kunst 
vorgebildet hat* Daneben lebt feinste zarteste 
Technik weiter, so daß man in manchen Aus^ 
Stellungen merkwürdige Gegensätze beisammen 
findet, etwa zart gestimmte, subtil durchgebildete 
Szenen aus der feinsten Empiregesellschaft von 
F. Simm neben den überbreit behandelten Dar^ 
Stellungen aus den Tiroler Freiheitskämpfen, 
die ein Egger-^Lienz mit Vorliebe für seine Bilder 
wählt. Fein umrissene und zart gestimmte Blätter 
eines Beutet de Monvel liegen in irgend einer 
Ausstellung vor uns, und durch die Tür blicken 
wir auf große Werke Slevogts, Angladas, auf 
denen ein ganzes Feuerwerk greller Farben ab^ 
gebrannt wird. Die Fleckentechnik eines Cottet, 
eines Brangwyn sieht man unfern von nebele 
haft verschwommenen Gestalten eines Watts, 
eines Degas oder eines Carriere und bald darauf 
muß man sich mit den stilisierten Figuren eines 
Gallen aus neuester Zeit abfinden. Etwa an 
derselben Wand Werke des fein pinselnden 
Karl Haider und des kraftstrotzenden Hänisch. 



75 



Am häufigsten ist freilich eine kühne, breite 
Malerei, die Manet nachstrebt» eine frische 
Technik, wie bei Albert v. Keller, Samberger, 
Liebermann, Wilh. Trübner, Stuck, Habermann, 
G. Melchers, de la Gandera, Zuloaga, A. Kampf, 
Dill, Kuehl, Harrington Man, John Alexandre, 
Anders Zorn, Sargent. Nur malen leider nicht 
alle frisch hinstreichenden ebenso trefflich, wie 
die genannten Künstler. Manche treiben das 
Breitmalen bis zum Brutalen. 

Stuck kennt vielerlei Techniken und jüngst 
sah man von ihm eine Amazone mit einge^ 
kratzten Lichtern (Münchener Sezession 1903, 
Nr. 248 mit dem Datum 1902). 

Viele moderne Maler sind Skizzisten. 
Vor dem tüfteligen Fertigmalen hegen sie Scheu 
und das bei manchen Bildern mit Berechtigung. 
Was nicht von der Natur vollendet wird, was 
der Künstler nachträglich hineinmalt, ist ja 
nicht mehr wahr, wenn es sich um Bilder 
realistischer oder naturalistischer Art handelt, 
es ist nicht mehr aufrichtig und verdirbt oft 
das glänzend begonnene Werk. Sogar das phan^ 
tastisch gehaltene Gemälde wird mehr Schwung 
zeigen, wenn es in einer Stimmung vollendet 
ist und nicht den wechselvollen Ausdruck vieler 
Launen mitmachen mtißte. Malen, künstlerisches 
Schaffen, ist keine wissenschaftliche Tätigkeit. 



76 



Der Künstler weiß/ daß die Skizzen der älteren 
Meister oft besser sind als die fertigen Gemälde^ 
die manchmal gequält aussehen. Daher die 
vielen modernen Bilder, die es versuchen, den 
frischen Charakter der Skizze festzubannen; da^^ 
her wohl auch das starke Hinneigen zu breiter 
flotter Pinselfuhrung. 

Andere Maler, sei es durch Nachdenken 
darauf geführt, sei es durch den Drang des 
Talentes geleitet, bekennen sich zum Stili^^ 
s i e r e n, zur abgekürzten, vereinfachten Sprache 
der Linien und Farben. Und man kann ihnen 
nicht Unrecht geben, wenn sie die Versuche 
aufgeben, den Eindruck von der Außenwelt so 
reich und farbenprächtig wiederzugeben, als er 
sich ihnen darstellt. Es ginge ja doch nicht. 
Wer die geringe Lichtstärke kennt, die von den 
hellsten Farbstoffen ausgeht, wer die genauesten 
Studien nach der Natur mit unseren heutigen 
photochemischen Aufnahmen verglichen hat, 
muß sich sagen, daß es ein vergebliches Ringen 
ist^ wenn ein Maler in bezug auf Naturtreue 
mit dem Eindruck der Wirklichkeit oder auch 
nur mit unseren technischen Hilfsmitteln wett^* 
eifern will. Die richtige, die beste Kunst liegt 
eben wo anders. In bezug auf Farbenstimmung 
hat ja der Maler heute noch einen kleinen Vor*' 
Sprung vor der photochemischen Technik. Aber 



77 



wie lange kann es noch dauern und jedes intern 
essante Abtodroty jeder Meeressturm^ jeder Nebeln 
Schleier wird durch lichtempfindliche Platten 
genauer und getreuer gesehen und fixiert werden, 
als es je durch malerische Mittel möglich war. 
Die Malerei wird immer mehr auf die Gebiete 
gedrängt, die etwa als gesteigerte Charakteristik, 
vertiefte Erfindung und namentlich als stili^ 
sierte Auffassung, Verarbeitung und Wieder^ 
gäbe des Gesehenen zu benennen wären. Viele 
moderne Maler folgen diesem Zuge. Wer mo^ 
dernes Wesen kennt, staunt nicht darüber, daß 
auch im Stilisieren übertrieben wird, von Ein^ 
zelnen. Die hohen Bäume eines Parkes, den 
L. gezeichnet hat, sehen flach aus, wie ein 
dunkles, ausgeschnittenes Papierblatt, das noch 
dazu etwas roh mit der Schere bearbeitet worden. 
An einer Zeichnung „Einsamkeit'' von H. — S. 
sehen die überstilisierten Bäume und Büsche 
aus, wie Injektionspräparate von Lungen, an 
denen noch das Herz hängt. 

Um 1900 lebte ziemlich plötzlich das Zeich^ 
nen stilisierter Plakate freudig auf und man 
eilte, etliche dicke Bücher darüber zu schreiben. 
In der Tat ist die Angelegenheit der Plakat^ 
maierei in ihrer Bedeutung nicht zu untere 
schätzen. Gewiß segnet jeder Feinbegabte alle 
diejenigen, die ihn von dem scheußlichen An^ 



78 



blick der Geschäftsplakate erlöst haben, die 
man bis gegen 1890 allerwärts antraf. Seither 
begegnet man hie und da einer echt künstlerisch 
entworfenen Ankündigung, und die Verständnis^ 
los realistisch gehaltenen, für die Straße ganz 
unpassenden Stücke werden selten. 

Freudigst zu begrüßen ist sicherlich auch 
die frische Belebung des Schriftzeichnens, 
die sich seit etwa zehn Jahren allerwärts be*^ 
obachten läßt. 

Nach und nach, durch theoretische Er*^ 
wägungen angeregt, hat sich u. a. jene Art der 
Malerei entwickelt, die man Divisionismus 
genannt hat Der Pointillismus ist im we^ 
sentlichen dasselbe, nämlich die Auflösung eines 
Farbentones auf dem Bilde selbst in seine op*^ 
tischen Bestandteile, deren Zusammensetzung 
man dem Beschauer überläßt. Um z. B. eine 
recht helle Wasserfläche darzustellen, wendet 
der Pointillist nicht etwa breite helle Pinsel^ 
striche an, sondern er setzt abwechselnd orange*^ 
gelbe und blaue Fleckchen auf die helle Fläche. 
Aus der Entfernung betrachtet, wirken solche 
punktierte Flächen für myopische Augen weiß-' 
lieh und das mit großer Helligkeit. Für emme^ 
tropische, scharfsichtige, gesunde Augen hat 
diese Art wenig Wert, da die Entfernung des 
Beschauers vom Bilde dajin viel größer sein 



79 



müßte, als sie der größte Ausstellungsraum zu^ 
lassen würde. Ich habe mich an anderer Stelle 
ausführlich über den Pointillismus geäußert und 
gebe in der vorliegenden Arbeit nur die An^ 
deutung, daß Previati, Segantini, Theo van 
Rysselberghe und Signac zu den wichtigsten 
Vertretern des Divisionismus zählen. Vittore 
Grubicy de Dragon und Giuseppe Ciardi ge^ 
hören auch in diese Gruppe. 

Die Freilichtmalerei wird heute in 
ausgedehnter Weise und mit mehr Verständnis 
geübt als je zuvor. Spricht man davon, daß sie 
an und für sich keine neue Erfindung ist, so 
hat man ja Recht. Aber erst in neuerer Zeit 
gehört sie zu den gewohnten Dingen, die auch 
schulmäßig gelehrt werden. 

Farbige Reflexe, farbige Schatten und 
ähnliches werden heute mit viel mehr Aus^ 
dauer aufgespürt und gemalt, als jemals vorher. 
Was Gerrit Dou und seine vielen Nachtreter 
an Lampenlichtwirkungen gemalt haben, war 
gewiß großenteils vortrefflich beobachtet und 
wiedergegeben. An die vielen grünen und gelben 
Reflexe auf der menschlichen Haut, wenn sie 
von Grün und Gelb umgeben ist, dachte aber 
doch erst die moderne Kunst. Noch Henner 
und seine Altersgenossen legen ihre nackten 
Nymphen zwar ins Waldesgrün, aber das Fleisch 



80 



sieht so aus, wie es im Atelier gemalt wird. 
Die malende Jugend sieht und malt nun die 
Nymphe so, wie sie im Freien aussehen muß. 
Daß manche Künstler furchtbar übertreiben, hat 
den grünen Körpern im Freien Feinde gemacht, 
die nun den Stab über die ganze Freilichtmalerei 
brechen. 

Nach meiner Schätzung nehmen die kurz^ 
sichtig gesehenen Bilder ebenso sehrüber^ 
hand, wie man in den Schulen die immer 
größere Häufigkeit der Myopie beklagt. Wohl 
hängen die vielen Nebulisten der heutigen 
Malerei mit dem verschwommenen Sehen der 
Kurzsichtigen zusammen, die keine nachhelfen^ 
den Brillen tragen. Die Art eines Israels, Degas, 
Carriere (diese sind übrigens Künstler ersten 
Ranges) mag hier gestreift werden. 

Der Einfluß Ostasiens, namentlich der ja^ 
panischen Malerei auf manche moderne 
Künstler (z. B. auf manche Arbeiten eines 
Lion Cachet, Th. v. Hoytema, E. Orlik) 
ist unverkennbar und bis zum Überdruß er^ 
örtert worden. Ein wenig Japonismus war schon 
im 1 8. Jahrhundert zu finden in der Ausstattung 
von Innenräumen und, ich denke, nicht wenig 
in der Porzellanerzeugung. Auf keinen Fall 
brauchte die ostasiatische Kunst in unseren 
Tagen neu entdeckt zu werden. Auch den wirk^ 



8l 



liehen Einfluß auf die ersten französischen und 
englischen Impressionisten schlage ich nur sehr 
gering an. Es war ein mehr äußerliches Ver«* 
hältnis, als daß man aus den Bildern eines 
Manet, Pissarzo und ihrer Genossen ostasiatische 
Züge ablesen könnte. Ganz im Gegenteil läßt 
sich kaum ein größerer Gegensatz in Kunst«' 
Sachen finden, als der rücksichtslose Naturalis^ 
mus der Eindrucksmaler neben der sublimierten, 
stilisierten, naturfernen Auffassung der besten 
(alten oder wenigstens nicht modernen) ja^ 
panischen Meister. Wenn Viktor Hugo für 
sich ein wenig im Stile der Japaner mit Stift 
und Feder dilettierte '^), so hatte das wohl für 
die Entwicklung der bildenden Künste im 
großen wenig Bedeutung. Ganz einfältig ist es 
aber, Werke, wie das Carlylebildnis des Schotten 
Whistler als japanisch aufgefaßt hinzustellen. 
Auch so weit hat man sich aber verklettert. 

In der Erfindung und Formung gewahrt 
man nicht selten große Eigenart, ja eine höchst 
eigensinnige Verbohrtheit, auch wenn hie und 
da ein merklicher Einschlag aus vergangenen 
Zeiten unverkennbar ist, so bei Daudelet ein 
gewisser Einfluß mittelalterlicher Buchmalerei, 

***) Hierzu die interessanten Abbildungen in der 
.»Gazette des beauxarts'^ von 1903, I, S. 465 und II» 
S. 146 fiF. 



82 



bei vielen der Nachhall eines Franz Hals, 
Velasquez, Rembrandt, Rubens, Dürer, Botti^ 
celli. Den Einfluß Rembrandts verspürt man 
besonders in der modernen Radierkunst, und 
Dürer klingt in Zeichnung und Holzschnitt an« 
Lion Cachets Lithographien sind bald im 
Sinne assyrischer, bald in dem chinesischer und 
japanischer Kunst erfunden. Toorops Art ist 
nun gar wunderlich« Die Verhältnisse seiner 
mageren Figuren sind sonderbar, wenn er frei 
erfindet. Daneben sieht man an Bildnissen, 
welch großes Talent in dem Manne steckt. Un^ 
vernünftige Proportionen werden gezeichnet von 
Aubrey Beardsley. Miß Jessie M. King 
gehört zu den weiblichen Überstilisten. Eduard 
Munch, einer von der äußersten Linken, forderte 
bisher geradezu die Kritik heraus durch rohe, 
unausgegorene Mache und Erfindung. Munch 
ist übrigens ein wirkliches Talent, das sich wohl 
noch aus verworrenem Symbolismus und bru^ 
taler Technik retten wird. Ob sich dasselbe 
von Odilon Redons konfusen, rot gesehenen 
Werken vermuten läßt? Ferdinand Ho dl er hat 
sich einen rücksichtslosen Subjektivismus an^ 
geeignet, der das Unmögliche möglich machen 
möchte. Er gehört zu den alleroriginellsten in 
der modernen Malerei. Ich streife nochStrath^ 
mann, der übrigens mehr in bewußter Weise 



83 



zur Karikatur hinneigt, als daß er übertrieben 
verzerrtes Zeug für den Ausdruck eines un^ 
erhörten Talentes ansehen würde. 

Die eigentliche Karikatur blüht heute mehr 
als je. Leandre, Steinlen, Forain, B. Ra^ 
hier, William Nicholson, Ch. D. Gibson sind 
große Künstler, und an Talent fehlt es gewiß 
auch den Bruno Paul, Th. Heine, Thöny, 
Reznicek nicht, die mit anderen beim „Sim^ 
plizissimus"" zeichnen. Voll Begabung sind die 
meisten Mitarbeiter der „Jugend''. E. Heilemann 
zeichnet für die „Lustigen Blätter'' im Sinne 
modernster Kunst. Auch die meisten alten 
Witzblätter verschiedener Nationalitäten nehmen 
wenigstens ab und zu an der neuesten Bewegung 
teil. Hengeler z. B., einer von der besten 
Garde der alten „Fliegenden Blätter", hat einige 
köstliche Bilder gemalt, die gar nicht moderner 
aufgefaßt sein könnten. Wilhelm Busch hat 
Schule gemacht. Caran d'Ache, nicht mehr jung, 
aber noch geistreich schöpferisch tätig, ist eine 
Art Stenograph des Karikaturfaches geworden. 
Den jüngst verstorbenen Phil. Mey könnte man 
den Dickens der Zeichenkunst nennen. Seine 
Art leitet uns hinüber zu den humorvollen Er-* 
findungen eines Walter Grane. 

Bei all diesen Künstlern gilt das Was der 
Darstellung ungefähr ebenso viel, wie das 



Wie. Das Was, der Gedankeninhalt der 
Darstellung, wird aber von vielen anderen 
Modernen gering geschätzt. Der künstlerische 
Farbenfleck steht ihnen höher. Andere ge^ 
heimnissen in die Bildfläche ungezählte Dinge 
hinein, die außer ihnen niemand wieder heraus^* 
finden kann. Mystiker, Symbolisten. Die Re^ 
präsentationsbilder, Historiengemälde, das ge^ 
ftihlvoUe Sittenbild sterben zwar noch nicht 
aus, ja es gab auf den angedeuteten Gebieten 
im Laufe der jüngsten Jahre vorzügliche 
Leistungen zu sehen, aber bei den Modernsten 
ist eine entschiedene, bewußte Abkehr von 
diesen Fächern zu bemerken. Dagegen blühen 
jetzt die angeblichen Triptycha, dreiteilige 
Bilder, die sich freilich heute nicht mehr zu^ 
sammenklappen lassen, wie der alte Name an^ 
deutet, die aber ähnlich den alten Flügelaltären 
in ihren Darstellungen einen gewissen 
inneren Zusammenhang haben. Segantinis 
letzte Bemühungen galten einem solchen Drei^ 
bilde. Eines der frühesten Bilder dieser Art in 
der modernen Kunst war Canons Altärchen, 
das für den Grafen Wilczek gemalt wurde* 

Auf dem Gebiete der Kunstdrucke wird 
heute alles versucht und geübt, was die Ver^ 
gangenheit tms hinterlassen hat, und manche 
zum Teil sehr fortschrittliche Neuigkeit ist zu 



85 



verzeichnen. Man radiert, sticht; die Schabkunst 
ist wiederbelebt; man zeichnet auf Stein, ex^ 
perimentiert in Aquatintamanier ; der Holzschnitt 
und seine technische Nachkommenschaft stehen 
in Blüte farbig und farblos. Die Algraphie, 
das Ätzen von Aluminiumplatten, gehört der 
neuesten Zeit an, die ungeheuer durch die 
photomechanischen Nachbildungen gefördert 
wird. Man gewöhnt sich an genauere Wieder^ 
gäbe als sie früher durch Vermittlung des Hand^ 
werkers oder auch der Künstlerhand möglich 
war. Als eine gar bedeutsame Errungenschaft 
der neuesten Zeit gilt es mir aber, daß die 
Künstler jetzt unmittelbar für den Künste 
druck erfinden und weniger Gewicht auf 
das Nachbilden alter Kunstwerke oder fremder 
Zeichnungen legen. Ein moderner Pigment* 
druck sagt uns über ein altes Gemälde viel 
mehr, als eine schwache Radierung, die mit 
Mühe nach demselben Bilde hergestellt ist. Der 
Radierer, der Stecher möge doch Eigenes auf 
die Platte bringen, wie es ehedem ein Dürer, 
H. S. Beham, Aldegrever, Lucas v. Leyden, 
Rembrandt, Hercules Seghers und so viele an^ 
dere in allerlei Techniken gemacht haben. '^) Und 

***) Solche Gedanken kamen mir schon in den Sinn, 
als ich vor etwa 15 Jahren über Gaillard schreiben 
sollte. Damals aber war in dieser Beziehung mit den 



86 



da können wir denn heute auf einen Max Klinger, 
Otto Greiner und Hans Thoma hinweisen, denen 
das Erfinden für die Kupferplatte und den Stein 
einfach selbstverständlich erscheint, und die ge^ 
rade auf diesem Felde anerkannte Triumphe ge^ 
feiert haben. Wenn ich auch nur wenige Namen 
nenne, so erwähne ich doch im allgemeinen, 
daß die Gegenwart über eine ganze Armee 
frisch zeichnender und eigenartig erfindender 
GrifFelkünstler verfügt, die in allen Tonarten 
das zu Papier bringen, was ihnen selbst ein^ 
fällt oder was sie selbst von der Natur ablesen. 
Radiert heute ein geschickter Künstler nach 
einem guten Gemälde, so hat das mehr Bedeu^ 
tung als Übungsleistung des Radierers, denn als 
getreue Nachbildung. 

Blicken wir hin auf alles, was im weiten 
Sinne Malerei heißt, die GrifFelkunst mit ein*^ 
begriffen, so dürfte es nicht strittig sein, daß 
die neueste Malerei so mannigfach auf*^ 
tritt, wie in keiner früheren Zeit 

Auf großen internationalen Ausstellungen 
hat man Gelegenheit gewahr zu werden, wie 
die modernste Malerei eine Art gärender Brei 

Weisen der »^Gesellschaft für vervielfältigende Kunst^' 
noch kein Übereinkommen zu erzielen. Seither hat sich 
das Blatt gewendet und eine frischere Strömung durchs 
zieht die Veröffentlichungen der genannten Gesellschaft. 



87 



ist, in dem ungezählte Stoffe einander suchen, 
befehden, anziehen, abstoßen. Das Denken er^ 
lahmt, wenn Einer da Einteilungen aufstellen 
will. Und doch muß man sich mit der Sache 
abfinden. Man ordnet sich die Tausende von 
Erscheinungen nach Nationalitäten, Wohnsitzen, 
nach Stimmungsverwandtschaft, nach technischen 
Merkmalen, ja sogar nach Künstlervereini^ 
gungen, wie sie sich in neuerer Zeit so häufig 
neu gebildet haben. Die Künstler der „Scholle^, 
des Hagenbundes, die Vereine „Manes^, „Sztuka'S 
der Wiener Jtmg^Btmd, die Worpsweder, Karls^ 
ruher, Grazer, Dachauer, Wachauer usw. ge^ 
hören innerlich oder auch nur ganz äußerlich 
zusammen, und so findet man einigen festen 
Boden mitten in dem Gewoge modernster Ma^ 
lerei. Diebritischen „Präraphaeliten'' haben heute 
wohl noch einige Nachzügler zu verzeichnen, 
doch ist ihre Glanzzeit vorüber. Eine Gruppiertmg 
nach den Wohnorten entspricht dem inneren 
Zusammenhange nur wenig, nur selten; noch 
weniger könnte man dies von der patriotischen 
Anordnung nach Nationalitäten oder gar nach 
den Landesgrenzen behaupten. Denn dabei 
müssen Krethi und Plethi nebeneinander mar^ 
schieren, Zwerg und Krüppel neben Herakles 
und Apoll und es wird damit manche ge^ 
zwungene Einteilung geschaffen. Segantini wird 



88 



nach seinem Geburtsorte Val di Fiemme bei 
Arco Österreicher*^), obwohl zu Lebzeiten des 
Künstlers bis kurz vor seinem Tode so gut 
wie keinerlei Beziehung her oder hin zu be^ 
merken war. Nach dem Nationalitätenzwange 
muß Böcklin Schweizer, Herkomer Bayer sein. 
Daß man Toorop als Javaner registriert, mag 
noch hingehen, aber beim Zusammenfassen der 
Künstler eines großen Reiches wird es doch überall 
ein sonderbares Gemisch. In Rußland schaffen 
z. B. so und so viele Maler veralteter Rich^ 
tungen, daneben Moderne und Modernste. 
Repin (geboren 1844), auf wohl gefesteter 
Grundlage sicheren Könnens bauend, ist nach 
und nach zu großer, ganz moderner Freiheit 
in der Pinselführung und Auffassung gelangt. 
Schereschewski, viel jünger (er ist 1863 
geboren), kann als verhältnismäßig modemer 
Realist bezeichnet werden. Seroff malt Bild^ 
nisse in modernster Auffassung. Korowine 
vertritt eine stilisierende Richtung. M. Wroubel 
ist vielseitig in seinem Schaffen, das neben hy^ 
zantisierenden Heiligenfiguren, Bildnissen, stili<^ 
sierten Landschaften auch kunstgewerbliche 
Gegenstände in altasiatischen Stilen umfaßt. 
Auf zahlreichen international gehaltenen großen 

*) Vgl. Luca Beltrami in der ,,Nuova Antologia" 
vom November 1899, S. 277—295» 



89 



und kleinen Ausstellungen in der jüngsten Zeit 
konnte man sich vom modernen Regen in der 
russischen Kunst überzeugen. '^) Von großer 
Bedeutung für die moderne russische Kunst 
ist die religiöse Malerei, die heute eine 
Vermittlung zwischen dem hergebrachten 
Byzantinismus und einer mehr realisti«* 
sehen Auffassung anstrebt. Zu den Vorzüge 
lichsten Künstlern auf dem angedeuteten Gebiete 
gehören Vasnezoff und Harlamoff,**) 
Noch ist es nicht lange her, daß ein Were^ 
schagin mit seinem grausigen Realismus in 
geschichtlicher Darstellung ungeheueres Au& 
sehen gemacht hat. Ganz im Sinne modernster 
Kunst wirken mehrere Finnen, z. B. Axel 
Gallon und P. Halonen. 

Wie bunt es in anderen Reichen mit der 
heutigen Malerei aussieht, konnte der Aufmerke 
same auf vielen großen Ausstellungen bemerken. 

***) Hierzu die Kataloge der internationalen Aus^ 
Stellungen in Venedig» die Literatur über die Pariser 
Weltausstellung von 1900, ferner „Die Kunst für AUe'S 
XVI. Jahrgang, Heft 10» mit Hinweisen auf frühere 
Mitteilungen in derselben Zeitschrift, „Deutsche Kunst 
und Dekoration'% Dezember 1901, und die russische 
Zeitschrift „MlPh, IICKyCCTBA«. In der Pariser Welt- 
ausstellung von 1900 waren 129 russische Maler durch 
283 Werke vertreten. 

**) Baron de Baye „L'oeuvre de Victor Vasnetzofif'* 
(Reims, 1895)* 



90 



Was für unvereinbare, bestimmt geschnittene 
Künstlerprofile haben z. B« die Niederländer 
in ihrem Laermans, Leempoels, Leon Frederic, 
Baertsoen, ). Israels, Struys, F* KhnopfF, in 
ihrer Stilistin Henriette Calais, im Archaisten 
Daudelet, in einem Van Leemputten, G.Vanaise, 
Courtens, oder die Briten in einem L. Alma 
Tadema, Walton, Watts, Edw* John Poynter, 
B. Shaw, J. M. Swan, Joseph E. Southall, John 
Batten, ). W. Waterhouse; tmd daneben ganze 
Zeilen voll Namen von akademisch tüchtigen 
Malern und hunderte von Künstlern, deren jeder 
so ein wenig originell ist, ohne als bedeutendes 
Genie gelten zu können. Eingewanderte Künste 
1er, wie Frank Brangwyn und Herkomer ver^ 
mehren noch den Eindruck der Unzusammen> 
gehörigkeit. In Frankreich ist die Zerfahren^ 
heit wohl noch viel größer. Die Richtungen 
eines Bouguereau und eines Degas sind nie^ 
mals zu vereinigen. Bonnat hat mit einem Roll, 
Berton nichts zu schaffen. Gaston La Touche 
und Besnard sind Gegensätze, z. B. zu einem 
Valloton. Was soll ein Lefebure neben Henri 
Martin, ein Bail neben Vidal, ein Henner neben 
Rochegrosse tmd was dieser neben einem Boutet 
de Monvel? Und daneben schaffen wieder ein 
Roybet und seine Schülerin Juana Romani (ja, 
die sollte man wohl bei der italienischen Malerei 



91 



einreihen, da sie in Velletri geboren ist Nach 
ihrer Kunst gehört sie in die Nachbarschaft 
Henners tmd Roybets). Dazwischen dann noch 
ein Anglada, Rob. Mols und so viele andere. 
In Spanien ein Pradilla mit farbensprühenden 
Bildern, ein rußiger, lichtfeindlicher Zuloaga, 
ein Viniegra, ein Villegas und Dutzende von 
Modemalern. In Italien Stilisten, Naturalisten, 
Realisten, kalte Techniker, warme Gefühls^ 
menschen, z. B. Luigi Nono, Milesi, Idealisten wie 
Laurenti, ganze Reihen guter Porträtmaler, vor^ 
züglicher Landschaftsdarsteller, kurz, Maler jeder 
Art, die auch durch Einflüsse von da und dort 
ihre Nationalität oft gründlich verwischt haben« 
In Österreich'^Ungarn, dessen Kunst mir 
am nächsten liegt, eine überreiche Musterkarte 
aller erdenklichen Richttmgen, die sich etwa 
zwischen der hyper^symbolistischen Affektation 
eines Klimt und dem derben Realismus eines 
Egger^Lienz einzwängen lassen. Zahlreiche vor^ 
zügliche Porträtisten, ein Pochwalski, Horowitz, 
Laszlo, Bukovac, Stauffer, Graf und noch viele 
andere gehen jeder seinen eigenen Weg. Lefler, 
Schwaiger, Jettmar vertreten phantastische reiche 
Erfindung, aber jeder ist dabei originell. Stim^ 
mungsmaler wie Moll, Kasparides, Golz, Konopa 
stehen der realistischen Art eines Temple gegen^ 
über. Um bei den Gegensätzen zu bleiben, sei 



92 



an den Symbolisten und Stilisten A. Böhm 
und die Genremaler in der Art eines Ritzberger 
erinnert* Engelharts flottes, kraftvolles Auftreten 
und Franz Thieles Weise bleibt unvermittelt 
bar mit der zaghaften Kunst mehrerer 
Sittenbildmaler älterer Schulung. In der 
Landschaftsmalerei überragt der greise Rudolf 
Alt noch heute so ziemlich alles, wie sehr 
auch zahlreiche jüngere Kräfte von vielver^ 
sprechender Begabung allerwärts zum Vorschein 
kommen und wie hoch man auch einen Arm^ 
seder, Wilt, Suppantschitsch, Zoff, Luntz, Lud^ 
wig Hans Fischer, Ranzoni, Zetsche und viele 
andere schätzen mag. Schad^Rossa ist ein merk^ 
würdiges Original. K. Meditz und Frau Meditz^ 
Pelikan sind in ihrer Art so originell wie Frau 
Wiesinger^Florian. 

Deutschland leidet nun an Gegensätzen 
wohl noch weniger Mangel als andere Staaten» 
Der alte A. Menzel und Ludwig v. Hoffmann 
sind in ihrer Kunst jedenfalls unverträglich. 
Anton V. Werner und Max Klinger wäre auch 
eine nette Zusammenstellung oder Gabriel Max 
und Dettmann, Hans Thoma und L. Corinth, 
Hänisch und Volkmann. Wilhelm v. Diez und 
seine Schüler bilden noch dazu innerhalb 
Münchens einen auffallenden Gegensatz zu 
Stuck oder zu einem Angelo Jank. Lenbach, 



93 



Fritz Aug. V. Kaulbach passen auch nicht recht 
zu einem Leistikow, Grafen Kaikreuth, Zwint^ 
scher, A. v. Keller, Lesser Ury und diese alle 
gar nicht zu einem J. v. Gebhardt. Sascha 
Schneider einerseits und die zahlreichen Realisten 
Deutschlands anderseits haben ja auch nicht die 
mindesten künstlerischen Beziehungen unterein^ 
ander« Auch Paul Bürck, Melchior Lechter; 
jeder ist für sich eine unabhängige Künstler^ 
natur. Einen ganzen Knäuel verschiedenster 
Individualitäten konnte ich auch in den dä^ 
ni sehen Kunstausstellungen des vorigen Jahres 
bemerken, in der Kopenhagener Sezession, die 
in einem originellen Pavillon ausgestellt hatte, 
und in der Akademieausstellung. Der sonder^ 
bare Vilhelm Hammershoj, der vielseitige P. S. 
Kroyer (er ist ganz vor kurzem gestorben), der 
Stimmungsmaler Julius Paulsen, der treffliche 
Freilichtmaler Th. Philipsen, der Hochstilist 
J. F. Willumsen, die realistischen Künstler 
Michael Ancher und Anna Ancher, Otto Bache, 
die nach florentinischem Quattrocento hinschie^ 
lende Bertha Dorph, ein Talent, wie Knud 
Larsen, das sind lauter incommensurable Größen, 
und kaum bei der bunten Menge von Malern 
mäßiger oder geringer Begabung, ist ein witk^ 
lieh innerliches vaterländisches Band nachzu^ 
weisen, das sie verbinden würde. Einer hat 



94 



seine Ausbildung in Berlin, der andere in Paris, 
weitere in Italien oder sonstwo genossen. 

Es nähme kein Ende mit der Andeutung 
von individuellen Zügen und von Gegensätzen 
innerhalb desselben Reiches, ja innerhalb der^ 
selben Stadt. Gewiß ist es für manche Zwecke 
nützlich, notwendig, Listen von Malern nach 
Orten und Ländern zu ordnen, z. B. für Staats^ 
ankaufe, Subventionen und ähnliches; für die 
künftige Stilgeschichte dürfte indes diese Art 
von Gruppenbildung unbrauchbar werden. 

Die bekannteste Erscheinung der neuen 
Kunstbewegung istdieBildung vonSezessionen 
in nahezu allen kunsttreibenden Staaten. Fast 
allerwärts hatte sich im Kreise der alten Künste 
vereine und der neueren Künstlervereinigungen 
eine sorglose und tatenschwache, handwerksmä^ 
ßige Art eingeschlichen, ebenso im Veranstalten, 
wie im Ausschmücken von Ausstellungen. Ein 
junger, lebhafter, talentvoller Nachwuchs erkannte 
die Gefahr des ruhigen Sichgehenlassens, ver^ 
suchte mit seinen neuen Gedanken in den alten 
Künstlervereinigungen durchzudringen — natura 
lieh vergebens — und wanderte aus. Häufig waren 
die Zurückweisungen ungewöhnlich aufgefaßter 
Kunstwerke der Anlaß zur Sezession. Man lese 
nur Zolas Artikel aus den i86oer Jahren über 
die Pariser Ausstellungen. Damals wurden die 



95 



ersten Impressionisten zum Abfall gedrängt. 
Die Blütezeit der Sezessionen fallt aber ins 
letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Die allere 
jüngsten Jahre deuten wieder stellenweise eine 
versöhnliche Stimmung an. Man hat sich an 
vieles gewöhnt, das noch vor etwa zehn Jahren 
höchlich befremdete. 

Wie in der Architektur und Plastik, be-' 
merkt man auch in der modernen Malerei ein 
recht deutliches Ringen nach Individualismus, 
nach Eigenartigkeit Dabei läuft manche Schrulle 
mit unter, auch in technischen Dingen, doch 
kann man sich durchschnittlich eines frischen 
Geistes bei den Besten erfreuen. 

Was bisher besprochen worden, hat sich 
zumeist auf die Qualität der modernen Künste 
werke bezogen. Nun versuchen wir es noch» 
auch die Quantität aus einigen Gesichtswin^ 
kein zu betrachten. 

Das Bauen spiegelt in bezug auf die Menge 
am getreuesten die Schwankungen des allge^ 
meinen Wohlstandes wieder. Wenn es hie und 
da eine Zeit lang viel zu viele Künstler gab, 
die bauen konnten, aber keine Aufträge erhielten, 
so kann dieser Zustand durch irgend eine un^ 
vorhergesehene Wendung plötzlich ins Gegenteil 
umschlagen. Das Bauen rein zum Vergnügen 



96 



verbietet sich bei den meisten Architekten von 
selbst, sogar Entwürfe kosten durchschnittlich 
so viel Zeit und Geld, daß sie selten ausgearbeitet 
werden, wenn gar nichts anderes schiebt als die 
Kunstbegeisterung. Die Bildhauer, die an 
einigen Orten, z* B. in Wien, so oft über 
Mangel an Beschäftigung klagen"^), sind eben^ 
falls nicht unabhängig von der allgemeinen 
wirtschaftlichen Lage, namentlich die kleinen 
und mittleren Talente. Denn der Bildhauer, 
vor teuerem Material stehend, überlegt gewöhn^ 
lieh recht wohl, ob er für seine Arbeit auch 
entlohnt werden soll. Seltener als der Maler, 
schafft er ohne jeden Auftrag. Die Leichtigkeit 
aber, für ein Staffeleigemälde von mäßiger Aus^ 
dehnung die Kosten aufzubringen, veranlaßt 
viele Maler zum Schaffen, auch wenn sie rein 
dem inneren Triebe, leider auch hie und da 
einem gewissen Geschäftsgeiste folgen, der spe^ 
kuliert und sich mit allen Mitteln Absatz zu 
verschaffen trachtet Auf keinem Gebiet der 
bildenden Künste ist die Produktion so leb^ 
haft, wie auf dem der leicht beweglichen Malerei. 



*) Ganz nebstbei erinnere ich heute daran, daß 
der Westgiebel des Musikvereinsgebäudes noch leer 
stehtt daß die neue Donaustadt noch keinerlei Monu^ 
ment besitzt. Kein Denkstein erinnert an die Schöpfer 
der Wiener Weltausstellung. 



97 



Diese ist es denn auch, die uns am meisten 
auffällt, wenn wir die modernste Kunst auf 
die Quantität prüfen. Und da stoßen wir auf 
eine fast erschreckende Erscheinung, ein böses 
Symptom, das sich gar nicht mehr verhüllen 
läßt — die Überproduktion. Ja, es herrscht 
eine ungesunde, überflüssige Massenhaftigkeit 
des Schaffens."^) Die Ausstellungen werden durch 
die Werke der Mittelmäßigkeit, der schwachen 
und nachahmenden Talente überflutet. Eine 
mittlere Kunststufe ist bald erreicht, sogar bei 
kleiner Begabung. Die Großen sind allerwärts 
selten. Darum wachsen auch nur wenige Perlen 
im Ozean der Kunst, dessen Boden sich da^ 
gegen mit einer dicken Schlammschicht, einer 
Art Kunstdünger bedeckt. O, über diese nach^ 
ahmenden Talente! Sehen sie nicht mit den 
eigenen Augen, schaffen sie nicht mit eigener 
Hand, so arbeiten sie wenigstens ä la Meunier 
oder ein wenig mit den Tönen Böcklins, in 
der Manier eines Degas oder sonst eines auf^ 
fallenden wirklich eigenartigen Künstlers. Die 
vielen Nachahmer könnten einem ästhetischen 
Feinschmecker die Lust an den Werken der 



*) In der Kunst Nordamerikas scheint es besser 
auszusehen, wenn anders die Erörterungen bei W. Bode 
nKunst und Kunstgewerbe am Ende des 19. Jahrhun^ 
derts'S S. 37 ff.» noch heute zutreffen. 



98 



Bahnbrecher verleiden^ so rasch und so oft 
werden die guten Wirkungen aufgegriffen, 
wiederholt, zu Tode gehetzt. 

Die Massenhaftigkeit des Schaffens be^ 
ängstigt den genießenden Kunstfreund nicht 
nur auf den großen Ausstellungen zu looo bis 
2000 Nummern, sondern auch durch die Un^ 
zahl der kleinen Ausstellungen, die in den 
Kunstvereinigungen und bei den Kunsthänd^ 
lern großer Städte sich nur so jagen. Was wirk^ 
lieh ausgestellt wird, ist aber noch immer nicht 
alles, was überhaupt geschaffen wird. Manches 
bleibt ja bei den Künstlern zurück, die es vor 
ihrem Tode der Öffentlichkeit nicht preisgeben. 
Und bei jeder Ausstellung wird durchgesiebt, 
auch wenn das Sieb gelegentlich recht schade 
haft ist. Von großen Veranstaltungen gehen 
gewöhnlich Hunderte von Werken an die Künste 
1er zurück. Die jüngste große Berliner Künste 
ausstellung hatte 2200 Werke zurückgewiesen 
und nur 1886 Nummern aufgenommen.*) Es 

*) Hierzu zahlreiche Berichte in verschiedenen 
Tagesblättern und ein Heft, von mehreren Berliner 
Künstlern herausgegeben, unter dem Titel ,,Die große 
Berliner Kunstausstellung, eine Flucht der Künstler in 
die Öffentlichkeit'' (1903t Verlag von Hans Stöcker, 
Berlin). — W. Trtibner hat in bezug auf unser mo^ 
dernes Ausstellungswesen die zutreffende Bemerkung 
gemacht, daß die aus Künstlern bestehende Jury der 



99 



handelt sich in diesem Falle und bei ähn^ 
liehen Gelegenheiten darum, ob die zurück^ 
gewiesenen Werke alle vorzuglich und eigene 
artig waren oder nicht. Daß bei manchen 
früheren Ausstellungen ganz tolle Parteilich^ 
keiten vorgekommen sind, ist kein Geheimnis. 
Auch ist es überklar, daß durch Vorgänge, die 
man gar nicht scharf genug kritisieren kann, 
bei vielen Ausstellungen oft gerade den feinsten 
Talenten das Schaffen verleidet worden ist. 
Aber die Aufnahmerichter werden doch nicht 
in allen Fällen gar so verblendet oder gewissen^ 
los gewesen sein, daß sie fortwährend vorzüg^ 
liehe Arbeiten verstoßen hätten, um lediglich 
die schwachen Leistungen von Protektionslämm^ 
lein zur Ausstellung zu bringen. Freilich auf 
solchen Gebieten wird oft das Unglaubliche 
wahr. Daß so vieles in die Ausstellungen nicht 
aufgenommen werden kann, liegt aber doch nicht 
an der Untauglichkeit der Jury allein, sondern 
hauptsächlich an dem ungemütlichen An^ 
schwellen der Produktion. Wer kann 
sich da noch wundern, wenn heute so viele 
Kunstwerke unverkauft bleiben oder bei manchen 
Versteigerungen zu nichtigen Preisen abgehen. 

Kunstausstellungen die Sache doch nur so besorge, als 
wenn einem Geschäftsmanne das Schaufenster von 
einem Konkurrenten eingerichtet würde. 



100 



Die Kaufkraft hält im allgemeinen nicht gleichen 
Schritt mit der Erzeugung, die sich auf einem 
mittleren Niveau ungeheuer ausgebreitet hat. 
Haus und Schule arbeiten darauf hin, jeden 
Gebildeten zu einem Dilettanten oder gar zum 
Künstler zu machen. In welcher Familie hätte 
sich nicht ein Töchterchen oder Söhnchen das 
Malen angewöhnt, wo wäre nicht ein Onkel 
oder eine Tante, die wohl oder übel getroffene 
Porträte zeichnen; und an Damen, die leidlich 
den Ton kneten, ist heute kein Mangel mehr. 
Auch dilettiert man im Baufach, im Künste 
gewerbe jeder Art. 

Ich will keine Kausalität aufstellen, wenn 
ich im Zusammenhange mit der Überproduktion 
das stets zunehmende Herankommen der Frauen 
zu den bildenden Künsten berühre. Die Tat^ 
Sache wird immer klarer, daß die Frauen in 
der Kunst hie und da durch ihre Leistungen 
hervorstechen, noch mehr aber durch die Menge, 
in der sie auftreten, auffallen. Ehedem waren 
eine Sofonisba Anguissola, Irene di Spilimbergo, 
auch noch eine Rachel Ruysch, Madame Vigee^ 
Lebrun, Rosalba Carriera, Angelica Kauffmann 
angestaunte vereinzelte Erscheinungen. Seit der 
Generation, der die Rosa Bonheur undjerichau^ 
Baumann angehörten, hat sich jedoch die Lage 
gründlich geändert. Heute gibt es schon hunderte 



lOI 



von genannten und tausende von ungenannten 
weiblichen Künstlern, die an manchen Orten 
korporativ auftreten. Um 1890 taten sich die 
,,femmes artistes'^ in Paris zusammen zu ge^ 
meinsamem Vorgehen« Sie bildeten die ^Union 
des femmes peintres et sculpteures'' und halten 
Ausstellungen ab« Seit 190 1 veranstaltet ein 
Bund von Künstlerinnen in Wien seine Aus^ 
Stellungen. Berlin hält tmgefähr gleichen Schritt 
mit Wien. Ahnliche Vereine von Künstlerinnen 
bestehen in München, Karlsruhe. Meist sind es 
Malerinnen und Bildhauerinnen, die den er^ 
wähnten Vereinigungen angehören. Aber auch 
zur spröderen Architektur finden die Weiblein 
den Weg. Seit 1880 haben sie in Nordamerika 
Zutritt zu den technischen Schulen und jüngst 
las man von russischen Baukünstlerinnen. Da^ 
neben blüht, wuchert der Dilettantismus allere 
wärts, und das nicht bloß bei Mädchen und 
Frauen.*) 

*) Dem weiblichen Geschlechte wird es aber haupt^ 
sächlich obliegen, die Frauentracht allmählich immer 
zweckmäßiger und dabei doch gefällig zu gestalten. 
Daß auf diesem Gebiete noch weniger als sonst wo in 
der Kunst durch gewaltsame Reformen etwas zu er^ 
reichen ist» bleibt meine innerste Überzeugung, der ich 
schon vor mehreren Jahren Ausdruck gegeben habe. 
Welche Frau läßt sichs vorschreiben, wie sie sich zu 
kleiden habe; welche wird einen Lappen anlegen, der 



102 



Man braucht nicht schwerfällig im Ent^ 
schließen oder Urteilen zu sein, um über die 
Unmasse neuester Kunstwerke ein wenig nach^ 
denklich zu werden und zu überlegen, ob man 
das ganze Treiben für nützlich oder schädlich 
halten solle» Was könnte der Nationalökonom 
dazu sagen, was der Ästhetiker, der Kultur^ 
historiker, der Ethiker, der Staatsmann? Die 
Antwort der Volkswirtschaftslehre dürfte wohl 
diese sein : Ist bei den bildenden Künsten wirk^ 
lieh eine Überproduktion festzustellen, so wird 
man den geringwertigen Produzenten den guten 
Rat erteilen, sich auf andere Felder zu begeben, 
wo mehr Erfolg winkt* Für die großen Talente 
wird uns nicht bange. Der Ästhetiker mag 
schwärmen und versuchen, sich über die „Schöne 
heif' der modernsten Kunst klar zu werden, 
oder wenn er ein wirklich moderner Künste 
Philosoph ist, wird er darüber nachsinnen, was 
an der neuesten Kunst gut ist, was schlecht in 
künstlerischem Sinne. Er wird die lebensfähigen 
Züge erkennen, aber auch herausfinden, was 
hohl und marklos ist Dem Kulturhistoriker 



sie zur Karrikatur machen würde? Den Kampf gegen 
stark schnürende Mieder könnte ich aber nur befür^ 
Worten. Der ist übrigens nicht neu und wird schon 
seit Jahrzehnten von Anatomen und Ärzten ununter^ 
brechen geführt. 



103 



ist diese Angelegenheit vielleicht ganz gleich^ 
gültig. Er verzeichnet die Sachlage kühl, ob^ 
jektiv, er notiert, daß das Kunsttreiben gegen 
Ende des 19. Jahrhunderts unverhältnismäßig 
zugenommen, daß der Kunstsinn sich weiter 
verbreitet hat als je zuvor. Gedenkt er dabei 
auch der veredelnden Wirkung, die von den 
bildenden Künsten ausgeht, so wird er sich 
mit dem Ethiker befreunden, der in der Künste 
Übung ein Mittel sieht, die schlechten Triebe 
niederzuhalten. Andere Ethiker urteilen wieder 
anders. Der Staatsmann wird die Lage aus ver^ 
schiedenen Gesichtspunkten betrachten, um 
herauszufinden, was dem modernen Gemein^ 
wesen frommt. Das weit verbreitete Künste 
schaffen und der zunehmende Kunstsinn könnten 
ihm nur insofern erfreulich sein, als damit auch 
eine Steigerung im Wohlstande der Künstler 
gegeben wäre, als damit die Ausfuhr gesteigert 
würde oder dann, wenn sich damit auch eine 
besondere Erhöhung der Kunststufe eingestellt 
hätte. Zur sicheren Beurteilung der Angelegen^ 
heit wäre es von Bedeutung, zu wissen, ob die 
weite Verbreitung der Kunst auf die Tüchtige 
keit der Besten, der Auserwählten günstig ein^ 
wirkt. Es scheint so. Wo die Stufe des durchs 
schnittlichen Kunsturteils eine ziemlich hohe 
ist, wird man das Vorzügliche schätzen und 



104 



Geringes zurückweisen. Das wäre eine Seite 
der Angelegenheit^ deren Betrachtung dazu an^* 
treiben würde, nach Möglichkeit die Ausdehnung 
zu fördern, auch den Dilettantismus freundlich 
zu beachten. Anderseits führt die gesteigerte 
Verbreitung des Kunstsinnes und Kunsttreibens 
notwendigerweise zu einem großen Vorrat an 
künstlerisch unbedeutenden iWexken, die nur 
als Ballast zählen, hie und da geradezu als ab^ 
schreckende Beispiele hingestellt werden müssen* 
Der Staat als lebender Organismus kann Re^ 
flexbewegungen ausführen, wenn ihm etwas 
unbequem oder gar schädlich wird, er könnte 
gegen die Überproduktion ankämpfen. In un^ 
serem Falle ist die Beurteilung nicht leicht. 
Vieles bleibt in der Vorbereitung der Schluß^ 
gedanken problematisch und man kann darauf 
gespannt sein, wie sich unsere Kulturvölker mit 
der Überproduktion in den bildenden Künsten 
abfinden werden. Eines scheint mir indessen 
klar: wir brauchen viel mehr ein Zunehmen der 
Qualität als der Quantität in allen Künsten. 
Süddeutschland und Österreich krankt z. B. an 
der übermäßigen Anwendung des Verputzbaues, 
der, man mag die Sache drehen wie man will, 
immer dann eine architektonische Heuchelei 
oder ein künstlerischer Betrug bleibt, wenn er 
in irgend welcher Weise an Formen des Steine 



105 



baues oder Ziegelbaues erinnert. Rasches, massen^ 
haftes Schaffen verführte femer an vielen Orten 
zu einer unverkennbaren Roheit und künst^ 
lerischen Gefühllosigkeit auf allerlei Gebieten 
der bildenden Künste. Des Besonderen wäre 
in der Malerei größere technische Sorgfalt, 
klügere Überlegung im Schaffen erwünscht. Das 
Handwerk im Malen wird seit lange untere 
schätzt und die Anfänge zur Besserung, wie sie 
in den Kursen über Maltechnik an einigen 
Kunstschulen geboten werden, reichen noch 
lange nicht aus, die Maltechniken im allgemeinen 
zu heben. Arbeiten wir also doch jetzt lieber 
in die Tiefe als in die Breite. Dem Zuviel in 
der modernsten Kunstübung, dem ansprachst 
vollen Sichbreitmachen der Mittelmäßigkeit und 
künstlerischen Roheit wird man wohl entgegen^ 
treten. Die vielen gesunden strotzenden Keime 
des heutigen Schaffens mögen aber die richtige 
Lebensluft finden, die nicht mit eigensinnigen 
Normen wie ein eisiger Hauch die zarten Pflanz^ 
chen versengt, sondern die liebevoll und warm 
das künstlerisch Bedeutende wachsen und ge^ 
deihen macht. 



Zur Literatur* 



Als Ergänzung zu dem, was die vorstehende 
Arbeit selbst genannt hat, seien noch einige Hinweise 
notiert. 

In Frankreich erscheinen zahlreiche periodische 
Veröffentlichungen, die den modernsten Erscheinungen 
ihr Augenmerk zuwenden, so: 

„Gazette des beaux^arts'' mit dem Beiblatte 
„Chronique des arts et de la curiosit^^^ (Redakteur 
Ch. Ephrussi), „Revue des arts decoratifs'^ (Directeur 
Viktor Champier), „L'art et d^coration'S „Le Journal 
des arts'% „Les arts'' (Goupil & Comp.), „La Plume'', 
„L'oeuvre d'art'', „Revue de l'art ancien .et moderne'' 
(Directeur: Jules Comte), „Figaro Salon'S „Figaro 
illustr^". Die Publikation „Les artistes de tous les 
temps" (librairie de Tart ancien et moderne) nimmt 
auch auf neueste Erscheinungen Rücksicht. 

England hat als viel gelesene, weit verbreitete 
Zeitschriften über Kunst „The magazine of art", „The 
art journal'% „The studio", „The artist". Gelegentlich 
behandelte auch „The Portfolio" moderne Kunst. Alex. 
Kochs „Academy architecture and architectural Review" 
berücksichtigt neben der Baukunst auch die Plastik. 
England hat eine ganze Reihe von Bauzeitungen auf" 
zuweisen. Zu den Londoner Ausstellungen, vgl. „Royal 
Academy and New Gallery Pictures". Bis in die 1890er 
Jahre reicht das Buch von Rob. de la Sizeranne „La 



107 



peinture anglaise contemporaine'S das attch in deutscher 
Ausgabe erschienen ist. Noch weiter herauf erstreckt sich 
W. H. Goodyear in dem Buche .^Renaissance and modern 
art^ (New York 1900)» womit Anknüpfungen an Franko 
reich (durch De la Sizeranne) und an Nordamerika 
(durch Goodyear) gegeben sind. 

In Deutschland war die Zeitschrift ^Pan'' die 
Bahnbrecherin für individuelle Kunst. Bald darauf» noch 
unter Lützows Leitung ließ sich die »»Zeitschrift für 
bildende Kunst^ ein modernes Titelblatt zeichnen» um 
auch mit dem Text sich den Neuen freundlich zu er^ 
weisen. Im Herbst T897 begann »»Deutsche Kunst und 
Dekoration'S herausgegeben von Alezander Koch in 
Darmstadt» und Friedrich Pechts »»Die Kunst für Alle'' 
die schon seit 1884 erschienen war» machte gleichfalls 
die Schwenkung mit Bruckmanns Verlag» in welchem 
die Kunst für Alle erschien» gab auch die Zeitschrift 
»»Dekorative Kunst'' heraus (sie erscheint mit der 
Kunst für Alle vereinigt als »»Die Kunst"); Hanfstängls 
Verlag nahm sich ebenfalls der modernsten Kunst an 
durch Herausgabe der Zeitschrift »»Die Kunst unserer 
Zeit". J. J.Webers »»niustrierte Zeitung" bemächtigte sich 
bald der modernen Frage und bildet stets irgend welche 
Proben modernen Kunstgewerbes» neuester Architektur. 
Plastik und Malerei ab. Im Weberschen Verlag erschien 
1899/1900 auch »»Das goldene Buch des deutschen Volkes 
an der Jahrhundertwende"» das reich illustrierte Ab^ 
schnitte über die bildenden Künstler Deutschlands ent^ 
hält. In neuester Zeit vermitteln einen Überblick die 
Bände des »»Jahrbuchs der bildenden Kunst" (unter 
Mitwirkung von Dr. Woldemar von Seidlitz^Dresden, 
herausgegeben von Max Martersteig). Gegen Schluß 
dieser Bände findet sich eine reichliche Bibliographie» 
auf die ich bezüglich einiger weiterer Titel und Verlags«* 



io8 



angaben hinweise. Arthur L. Jellineks .internationale 
Bibliographie der Kunstwissenschaft'^ (L Jahrgang, 1902) 
dürfte sich zu einem wichtigen Nachschlagebuch heraus^ 
bilden, wenn sie durchschlägt. Sie berücksichtigt schon 
im ersten Bande die modernste Kunst. Ein Abbildungs^ 
werk liegt vor in den Bänden ,,Die Kunst des Jahres 
1902'' und ,,Die Kunst des Jahres 1903^^ (München, Brücke 
man). Ein weiteres Werk, jüngst erst herausgegeben, 
ist Fritz Drechslers „Die Neuzeit^' (Lichtdrucke nach 
modernen Bauwerken). 

Kaum gibt es eine schöngeistige Zeitschrift, die 
nicht auch von der Kunst unserer Tage handeln würde 
und fast jedes politische Tagesblatt bringt Berichte 
über Ausstellungen und andere Ereignisse des Kunst^ 
lebens. Auf diesem Felde hört jede gründliche Ober^ 
sieht auf, und ich weise nur auf Einzelnes hin, wie 
auf Wester manns illustrierte Monatshefte, Velhagen und 
Klasings Monatshefte, auf „Die Woche'S auf „Das Buch 
für Alle'S auf „Moderne Blätter für Musik, Kunst und 
Literatur^' (1901 begründet). Unter den jungen Kunst^ 
Zeitschriften, die mehr oder weniger neueste Kunst be^ 
achten, seien hervorgehoben: Helbings Monatsberichte 
über Kunstwissenschaft, Malkowskys „Deutsche Kunst, 
illustrierte Zeitschrift für das gesamte deutsche Kunst^ 
schaffen'S die „Mitteilungen des Vereines für dekorative 
Kunst und Kunstgewerbe'' Stuttgart (1900 begründet), 
Georg Gallands „Die Kunsthalle", Heilbuts „Kunst und 
Künstler". 

Österreich hat zim höchst vornehm ausgestattete 
Zeitschrift in „Kunst und Kunsthandwerk" (heraus^ 
gegeben und redigiert von A. v. Scala, Wien, Artaria 
& Cie.), die weite Gebiete umfaßt und eine reichhaltige 
Bibliographie für alle Arten des Kunstgewerbes bietet. 



109 



tyYzr sacrum'' ist das reich illustrierte Organ der 
,, Vereinigung bildender Künstler Österreichs : Sezession^^ 
das im Jänner 1898 zu erscheinen begann. 

Als Vorkämpfer hat an der neuen Bewegung mit^ 
geholfen die ,t Wiener Rundschau^' die übrigens nicht 
mehr erscheint und in Nr. 18 des V. Jahrganges am 
30. September 1901 ihr Aufhören ankündigte. Seit 
einigen Jahren wird ,,Das Interieur» Wiener Monatschrift 
für angewandte Kunst^' bei SchroU & Cie. herausgegeben. 

In neuester Zeit trat eine Zeitschrift ,,Kunstt Halb^ 
monatsschrift für Kunst und alles andere'^ (unter Re^ 
daktion von Peter Altenberg) ins Leben. Die »^ Wiener 
Mode'' achtet auch auf modernste Kunst. 

In Wien erscheinen ungewöhnlich viele Zeit- 
schriften für Architektur und Bauwesen» auf die ich im 
allgemeinen hinweise. 1901 begann der Künstlerbund 
in Graz die Herausgabe eines Werkes »»Grazer Kunst''» 
das neben den bildenden Künsten auch Literatur und 
Musik bespricht. Die Zeitschrift »»Volnd smery" wird in 
Prag vom Künstlerbund »»Manes" publiziert. 

Die Niederlande hatten bis vor kurzem die Zeit^ 
Schrift »»De vlaamsche school"» deren Fortsetzung »»Onze 
Kunst" heißt (Antwerpen und Amsterdam). 1903 wurde 
die Kunstzeitung »»Kunst en leven" begründet (Gent). 
1898 war durch Kleinman in Haarlem die Zeitschrift 
»»Bouwen Sier^Kunst" begonnen worden» die neben alter 
Kunst auch Modernes behandelt. 

Aus Rußland ist mir die Zeitschrift MIPL 
HCKyCCTBA bekannt geworden. 



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