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MONATSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
Aus dem Jahre 1869.
Mit 11 Tafeln.
BERLIN 1870.
BUCHDRUCKEREI DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT)
UNIVERSITATSSTR. 8.
IN COMMISSION IN FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
HARRWITZ UND GOSSMANN.
sh ae iulaug PEN gi. ze
7.
'MONATSBERICHT
ER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ai | ZU BERLIN. |
Januar 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.
4. Januar. Sitzung der philosophisch -histo-
| schen Klasse.
Hr. Haupt las über ein griechisches Excerpt geo-
sraphisches Inhalts.
7. Januar. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Haupt las über des Diaconus Marcus Leben
des Porphyrius Bischofs von Gaza.
Hr. Borchardt übergab aus einer vom ten Januar 1869
datirten Abhandlung des Hrn. Christoffel in Zürich, Corres-
pondenten unserer Akademie, folgenden Auszug:
Über die Transformation ganzer homogener.
Differentialausdrücke.
‘ „ Wenn man in einem homogenen Differentialausdruck pter
Ordnung
we
= Eu ja 9, 98a, i OR, ;
in welchem die Coefficienten beliebige Functionen der n Varia-
beln 21 ,&.,..x, sind, statt dieser Variabeln ein System von
[1869.] 1
2 Gesammtsitzung
einander unabhängiger Functionen der neuen Variabeln x" ‚x,
..x,, einführt, so erhält man einen neuen Differentialausdruck
F' von gleicher Ordnung und Dimension, welcher aus dem
ursprünglichen auch durch zwei successive Substitutionen er-
halten werden kann, nämlich dadurch, dafs man 1) die Diffe-
rentiale dx durch eine in den dx’ lineare Substitution transfor-
mirt, und alsdann 2) in den Coefficienten FE, FRE selbst eben
falls von den ursprünglichen zu den neuen Variabeln übergeht.
Jene lineare Substitution nenne ich im Folgenden die Hauptsub-
stitution.
Sind nun umgekehrt zwei Differentialausdrücke F und F’
von gleicher Ordnung und Dimension gegeben, so kann man
sich ebenso wie in der Invariantentheorie die Frage vorlegen,
unter welchen Bedingungen F in F’ transformirt werden kann
und falls dies möglich ist, welche Substitution die verlangte
Transformation leistet.
Unter den verschiedenen Fällen, welche sich hier darbie-
ten, verdienen die Differentialausdrücke zweiter Ordnung beson-
dere Aufmerksamkeit, sowohl wegen der wichtigen Probleme,
in denen sie vorkommen, als auch weil sie den Differential-
ausdrücken höherer Ordnungen gegenüber einen Ausnahmefall
bilden.
Wenn nämlich p > 2 ist, so liefert die Invariantentheorie
unter der Voraussetzung, dafs blofs die Hauptsubstitution ausge-
führt wird, einerseits eine Anzahl von Bedingungsgleichungen
für die Möglichkeit der Transformation, und andererseits mit-
telst der, bis auf besondere Fälle stets in der normalmäfsigen
Anzahl vorhandenen zugehörigen Formen völlig bestimmte Wer-
the für die Coeffieienten in der Hauptsubstitution.e Damit sind
aber nicht alle Bedingungen für die Möglichkeit der Transfor-
mation von F in F’ gewonnen, sondern es wird nun eine
zweite Untersuchung nöthig, die Bedingungen betreffend, damit
‚die aus den zugehörigen Formen hervorgehenden Ausdrücke für
dx, 0&z .. 0x, auch, wie erforderlich, die vollständigen Diffe-
rentiale der ursprünglichen Variabeln werden. Für diese Un-
tersuchung bilden die zugehörigen Formen selbst die Grundlage,
und zwar genau wegen der bekannten Eigenschaft derselben,
vom 7. Januar 1869. 3
unmittelbar nicht die direkte, sondern die transponirte Substi-
tution zu liefern.
"Ohne diese Betrachtungen weiter zu verfolgen, sieht man
nun ohne Weiteres ein, weshalb die quadratischen Differential-
formen sich der allgemeinen Behandlung entziehen; der Grund
hiervon liegt darin, dafs die algebraische Invariantentheorie für
dieselben nur eine zugehörige Form liefert, also ohne Hin-
zuziehung der Integrabilitätsbedingungen nicht die Mittel ge-
währt, um die Hauptsubstitution durch das Resultat derselben
zu bestimmen. |
Ich habe daher den Fall p = 2 für beliebige Werthe von
n behandelt, mich dabei jedoch auf die Voraussetzung beschränkt,
dafs die Determinante von F nicht identisch = 0 ist. Im Ver-
laufe dieser Untersuchung, welche im Journal des Herrn Bor-
chardt erscheinen wird, trennen sich zwei verschiedene Fälle
von einander, indem sich als Hauptfall derjenige herausstellt,
in welchem das Resultat der Transformation die anzuwendende
Substitution völlig bestimmt, während demselben Ausnahmefälle
zur Seite stehen, in denen es stetige Variationen der Substitu-
tion gibt, welche F' ungeändert lassen. Zu diesen gehört z. B.
der Fall, wo yZ7 das Linienelement einer in sich selbst ohne
Dehnung verschiebbaren Oberfläche ist, und es ist aufserdem
zu bemerken, dafs diese Ausnahmefälle nicht blofs für p — 2,
sondern auch für alle übrigen Ordnungen zu berücksichtigen
sind. | Ze
Für die dem Hauptfalle entsprechenden quadratischen Dif-
ferentialformen finde ich nun das merkwürdige, und aus der
Natur der Sache keineswegs im Voraus zu erwartende Resul-
tat, dals alle Bedingungen für die Möglichkeit der Transfor-
mation von Fin F', sowohl was die Hauptsubstitution ‚„ als
was die zu ihr gehörigen Integrabilitätsbedingungen betrifft, sich
ohne Ausnahme als Gleichungen zwischen Invarianten der
Formen F und F’ darstellen lassen, wenn dieser Ausdruck
zur Bezeichnung der gleichen Formverhältnifse wie in der Al-
gebra angewandt wird, und dafs auch hier zugehörige Formen
und Covarianten in derselben Bedeutung, wenn auch aus ganz
anderer Quelle auftreten, wie bei den analogen algebraischen
Transformationsproblemen.
1*
4 | Gesammtsitzung
Die erwähnten Invariantengleichungen werden durch die
allgemeine Theorie in zwei völlig bestimmte Gruppen zerlegt.
Unter den. Gleichungen der ersten Gruppe finden sich deren
n, durch welche ‘die ursprünglichen Variabeln als Functionen
der neu einzuführenden völlig bestimmt sind, und diese Werthe
müssen die übrigen Gleichungen der ersten Gruppe, soweit
solche vorhanden sind, und alle in der zweiten enthaltenen zu
identischen machen. Unter Voraussetzung dieser Werthe der
ursprünglichen Variabeln liefern alsdann die Gleichungen zwi- |
schen den zugehörigen Formen völlig bestimmte Werthe für die
Coefficienten der Hauptsubstitution, und diese sind, ohne dafs
neue Bedingungen erforderlich werden, in verlangter Weise die
Derivirten der ursprünglichen nach den neuen Variabeln.
Wenn dagegen die Anzahl der von einander unabhängigen
Invarianten und zugehörigen Formen von F zur völligen Be-
stimmung der ursprünglichen Variabeln und der Coefficienten
in der Hauptsubstitution nicht hinreicht, so bietet. F' einen der
oben erwähnten Ausnahmefälle dar, und es ist hiernach klar,
dafs die sämmtlichen Bedingungen für diese Fälle in identischen
Gleichungen zwischen solchen Invarianten und zugehörigen For-
men von F bestehen, welche im Hauptfalle voneinander unab-
hängige Functionen sämmtlicher Variabeln sind.
Unter den besondern Fällen, welche ich behandelt habe,
zeichnen sich die ternären Formen durch eine bemerkenswerthe
Vereinfachung der Resultate aus. Ich erlaube mir daher die-
selben für diesen Fall vollständig mitzutheilen.
Man bezeichne durch E die Determinante der ternären
Form
F= 305,08;08,
und durch E;,, in bekannter Weise ihre Unterdeterminanten,
Ferner bilde man folgende 18 Ausdrücke
[7
T
dan ag; GE Owgn
2
— 1
TTIErZ
und mittelst dieser.
.e vom 7. Januar 1869. 5
u 02 gg O?wgg O2 ws E«ß K-:
A, en SIERT, )+3 E (\. ß u )
u, ug O?wg O?wz )
33
I
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A, =3%
490%, dx] DT, .. EA
E,.e f\11\|23 12] [13
en Ze en
FE \le 2| « RE
nebst den durch cyklische Vertauschungen von 1,2, 3 aus ihnen
folgenden; endlich die 18 Ausdrücke
— en AudEh, 5
An
Ye o%, Eds,
E 3
| th Furl
14
so wie alle ihnen entsprechenden für die neue Form
Abi 3 oh, O2; dur»
“ Mittelst dieser Ausdrücke als Coefflicienten werden die drei
algebraischen Formen
— 3A, X, ,
P= 3 EX, ’
= 234,.0,X,X, ;
und für F' die entsprechenden T’, ®', ©' mit den Variabeln =
und V an Stelle von X und U gebildet.
Dann sind die für die Möglichkeit der Transformation von
F in F' erforderlichen und ausreichenden Bedingungen genau
die nämlichen, wie diejenigen, welche stattfinden müssen, damit
durch eine lineare Substitution
X, = Zr) Ei
T' in I’, ® in ®’ transformirt werde und gleichzeitig unter Vor-
aussetzung der transponirten Substitution
P; _— Sri, U,
i
® und ®’ entsprechende Zwischenformen werden, welche der
Gleichung
ll ‚mai f
0 — R’e
genügen, unter R die Substitutionsdeterminante verstanden.
6 Gesammtsitzung
Dieser Satz findet jedoch nur unter der Voraussetzung
statt, dafs die sechs absoluten zugehörigen Formen und In-
varianten von T, ® voneinander unabhängige Functionen der
Variabeln x, 2325 U, U, ZU, sind.
Ist diese Bedingung erfüllt, so erhält man aus den Co-
variantengleichungen die Coefficienten der inversen Substitution
mil;
[27
und zwar so, dafs allgemein
wird.
Dazu bemerke ich noch, dafs die simultanen Invarianten
der Functionen T', $, © diejenigen sind, welche ich als ein
vollständiges System von Invarianten des Differentialausdruckes
F bezeichne.
Hr. W. Peters machte eine vorläufige Mittheilung über
die Gehörknöchelchen der Schildkröten, Eidechsen
und Schlangen, so wie über die Höhlen des Unter-
kiefers der Crocodile.
1. Über die Gehörknöchelchen der Schildkröten,
Eidechsen und Schlangen.
Nachdem ich die Anwesenheit des knorpeligen Hammers
der Crocodile dargelegt habe'), bin ich natürlich angeregt wor-
den, auch die übrigen Amphibia pholidota in dieser Beziehung
zu untersuchen, da sich schon aus den bisherigen Beschreibun-
gen der „Columella“ von diesen Thieren annehmen liels, dafs
derselbe nicht fehlen würde. In der That ist das, was man
bei den Schildkröten bisher als „eine mit dem Trommelfell ver-
‚bundene verbreiterte Endplatte der Columella* angeführt hat,
nichts anderes als der Hammer, welcher bei den verschiedenen
Familien eine etwas verschiedene Gestalt zeigt, so wie auch darin
ein Unterschied zwischen den Land- und Sumpfschildkröten, die
1) Monatsberichte. 1868. p.593. Taf. 1. Fig. 1.2.3.
vom 7. Januar 1869. | 7
Einige (Bonaparte, Strauch) zu einer einzigen Familie mit
einander vereinigt haben, sich findet, dafs bei den ersteren, wie
bei den Trionychides das Os quadratum einen geschlossenen
Canal bildet, durch welchen die Columella (Stapes) hindurch-
dringt, während bei den letzteren, wie bei den Seeschildkrö-
ten, nur ein Halbcanal gebildet wird, so dafs die Columella
auf ihrem ganzen Wege, von unten betrachtet, frei liegt.
Bei den Eidechsen liegt ebenfalls die Columella ganz frei,
so dafs die Crocodile allein eine auch nach hinten und unten
geschlossene Trommelhöhle haben, und der Hammer hat mehr
die gabelförmige Gestalt wie bei den Vögeln. Wenigstens finde
ich diese Form bei Psammosaurus (scincus), obgleich sich auch
in dieser Beziehung ohne Zweifel wesentliche und für die Fest-
stellung der Verwandtschaften wichtige Unterschiede bei den
verschiedenen Abtheilungen der Sauri finden werden. Bei dem
Embryo eines Hemidactylus (Gehyra) oceanicus legt sich der von
dem Hammer ausgehende Knorpelfaden (Meckelscher Knorpel)
dicht an das Quadratbein an und ebenso liegt bekanntlich auch
bei den ausgewachsenen Schlangen die Columella, an deren
Ende ein kleiner platter Knorpel sich anschliefst, den ich für
nichts anderes, als den rudimentären Hammer halten kann.
2. Über die Höhlen des Unterkiefers der Crocodile.
Stannius erwähnt an zwei Stellen in seinem ausgezeich-
neten „Handbuch der Zootomie*!) der Pneumaticität des Os
articulare des Unterkiefers bei den Crocodilen und behauptet,
„dals seine grofsen hohlen Zellen durch einen an der Hinter-
seite des Os tympanicum absteigenden Canal mit den Luftzel-
len der Schädelknochen communiciren.* Ich kann nach eignen
Untersuchungen die Pneumatieität des erwähnten Knochens bei
den Crocodilen bestätigen und hinzufügen, dafs die lufthaltende
Höhle bereits in der letzten Zeit des Embryonallebens vorhan-
den, aber zunächst von einer dünnen Knorpelwand umschlossen
ist, welche nach vorn sich in den soliden dickeren Meckelschen
Knorpel fortsetzt, während sie nach oben mit dem dünneren von
%
!) Zweite Auflage. 2tes Buch. Berlin 1856. p.58. 164.
8 Gesammtsitzung
dem Hammer ausgehenden Knorpelstrange zusammenhängt. In
einem früheren Stadium findet sich dagegen keine Höhle in dem
Gelenktheil, sondern derselbe ist von der soliden Anschwellung
des Meckelschen Knorpels ausgefüllt. Die Höhle des Os arti-
culare des Unterkiefers entsteht daher bei den Crocodilen und
ohne Zweifel auch bei den Vögeln zuerst innerhalb der An-
schwellung des Meckelschen Knorpels und durch die Verdün-
nung und allmählige Resorption der Knorpelwände dieser Höhle
wird der Meckelsche Knorpel von seinem, dem Hammer ent-
springenden, Anfangstheile nach und nach ganz getrennt.
Einen Ausführungsgang dieser Höhle nach dem Schädel hin
habe ich übrigens bis jetzt noch nicht bei den Crocodilen fin-
den können. Im Gegentheile finde ich bei einem Crocodilus
biporcatus, dessen Unterkiefer 25 Centimeter lang ist, noch
einen soliden Knorpelstrang von dem Foramen pneumaticum
des Unterkiefers ausgehend und es ist mir daher wahrschein-
lich, dafs dieser bei den Vögeln während der Entwickelung
vorkommende, aber vorübergehende Zustand bei den Crocodi-
len ein bleibender ist.
Aufser dieser geschlossenen findet sich im Unterkiefer jeder-
seits eine hinten offene nach vorn trichterförmig sich veren-
sende Höhle, welche gröfstentheils im Os dentale gelegen ist.
Dieses ist der erweiterte Canalis dentalis, welcher aufser dem
Nerven und den Gefäfsen einen Theil des eigenthümlich gestal-
teten Musculus temporalis enthält. Man kann an diesem Mus-
kel zwei Portionen unterscheiden, welche an ihrem Ursprunge
vereinigt sind, so wie sie aber bis zum oberen Rande des Un-
terkiefers herabgestiegen sind, sich deutlich von einander unter-
scheiden; die hintere platte Portion steigt gerade herab an der
inneren Fläche des Unterkiefers und inserirt sich an das Os
complementare; die vordere Portion dagegen wird neben dem
vorderen mit Knorpel überzogenen verdickten Theile des äulse-
ren Randes des Os pterygoideum durch einen intermuscularen
Faserknorpel von ihrem Endtheile, welcher in die Höhle des
Os dentale hineindringt und in seiner zugespitzten Gestalt
einige Ähnlichkeit mit dem Muskel in einer Krebsscheere hat,
vollständig getrennt.
vom 7. Januar 1869. 9
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Cesar C. Roma, Essai de comparaison entre l'architecture ancienne et
moderne. Athenes 1868. 8. Mit Rescript vom 24. Dechbr. 1868.
Delisle, Inventaire des manuscrits de Saint-Germain des-Pres. Paris
ish, 8
Jenzsch, Über eine mikroskopische Flora und Fauna kristallinischer
Massengesteine. Leipzig 1868. 8. Mit Schreiben des Verf. d. d.
Gotha 30. Dechr. 1868.
Flora batava. Deel 13. Lugd. Bat. 1868. 4.
Beule, Eloge de Mr. Hittorf. Paris 1868. 4.
Berliner Astronomisches Jahrbuch für 1871. Berlin 1869. 8.
Memorie del Reale Istituto lombardo. XI, 1. Milano 1868. 4.
— Rendiconti, Vol. 1. ib. 1868. 8.
Comptes rendus de lacademie des sciences. Vol. 67, no. 10—25. Paris
1868. 4.
Annales des mines.. XIII, 1. Paris 1868. 8.
Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 1. Jahrgang. Berlin
0 8; ,
Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft. III, 3 u. Supplement-
heft. Leipzig 1868. 8.
Journal of the Royal Geographical Society. Vo1.37. London 1868. 8.
The Quarterly Journal of the Geological Society. Vol. 24, 4. London
1868. 4. r
The American Journal of science and arts, no. 138. New Haven 1868. 8.
Schweizerische meteorologische Beobachtungen. 4. Jahrg. Zürich 1867. 8.
Schriften der südslavischen Gesellschaft der Wissenschaften. Band 5.
Agram 1868. 38.
Schriften der Finnischen Gesellschaft der Wissenschaften. Helsigfors 1868.
4 Hefte. 8.
Giornale degli scavi di Pompei. Vol. I. Pantata 3. Napoli 1868. 4.
G. Hinrichs, Chemical Report on the fuel, rocks and water of Jowa.
Des Moines 1868. 38..
Plinii, Naturalis Historia, recensuit Detlefsen. Vol. U. DI. Berol.
1868. 8. :
Proces-verbaux des seances de la commission pour la publication des ancien-
nes lois et ordonnances de la Belgique. Vol. V. Cahier 5. Bruxelles
1868. 8. Mit Rescript vom 4. Jan. 1869.
10 Gesammtsitzung
14. Be Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Weber las: Ä
Über eine Episode im Jaimini-Bhärata
(entsprechend einer Sage von Kaiser Heinrich III. und dem
„Gang nach dem Eisenhammer*).
Vor einiger Zeit erhielt ich die im Jahre 1363 in Bombay
erschienene Ausgabe des: agvamedhikam parva Jaiminiyam
.d.i. des Rofsopfer-Buches (der Bhärata-Recension) des
Jaimini. Ein Vergleich mit der auf der hiesigen Königl. Bi-
bliothek (Ms. Or. fol. 319) befindlichen Handschrift des Werkes,
über welche ich in meinem Verz. der S. H. derselben ausführ-
lich (p. 111—118) gehandelt habe, zeigte, dafs dieser Bombayer
Druck eine erheblich verschiedene Textform enthält. Während
nämlich die Handschrift (= A) den Text in 81 Capp. aufführt,
zeigt die Ausgabe (= E) deren nur 68; und zwar stimmen ihr
in dieser Beziehung auch zwei Oxforder Mss. bei, s. Aufrecht
Catalogus pag. 4°. Der Textbestand selbst ist indessen, trotz
dieser verschiedenen Eintheilung, im Wesentlichen derselbe, ob-
schon es auch an wirklichen, sehr erheblichen Text-Abweichun-
gen selbst nicht fehlt'). Das Nähere über die Differenz zeigt
die nachstehende Gegenüberstellung:
E. 4. E. 4.
1 (7s) bis fol 2 1 10 (as) bis fol. 17 11
21 (il er 11(14) - - 21? 12—14
3 (ei) - - 3 12 (14) - - 23° 15.16
A110). 1... 4 13:.(G) 7 TE
5 (so) - - 10 3.6 14 (14) - - 28 19.20
6 (6) - - 122 7 15 (136) - .- 31° ‚21.22
12) = -.13 Ro) 16 (s) - - 33% 23.24
Be la 9 17 (18) -. -.,38%. » 25 —27
9 (e) - - 15 10 18 (123) - - 40° 28
1) Abgesehen von sehr zahlreichen Varianten fehlen u. A. die beiden
in E. vorletzten Capp. in A gänzlich (ihr Inhalt entspricht dem M. Bh.
14, 2693 £.).
| vom 14. Januar 1869.
E.
19 (95) bis fol. 43%
20 (12) - - 45%
=>», 478
22 (9). - - 49
23:(19) =. 3-52?
24 (8) - - 5b
25 (8) - - 54%
26 (a), - - 55»
27 (8) - - 57°
23 (a): =5059%
29 (4) - - 60%
30 (4) - - 61P
al (5) - - 63%
32 (#7) - - 64
33 (3) - - 656
34 (35) - - .66?
33 (9) - - 68
36 (8) - - 70%
37 (4) - - 72°
38 (242) = 1-0 776
Sale 4, -,,7gb
40 (5) - - 81?
41 (so) - - 822
42 (1) - - 8
43 (1) - - 84
Es ist
A}
:31. 32
393. 34
36. 36
E.
44 (53) bis fol.
45 (9) - -
46 (9) - -
47 (2) - -
48 (5) - -
49 (8) - -
50 (4) - -
Sl (5) - -
52 (1) - -
53 (5) - -
54 (82) - -
55 (0) - -
56 (7) - -
57 (5) - -
58 (15) - -
59 (a) - -
60 (4) - -
61 (3) - -
62 (8) - -
63 (7) - -
64 (ss) - -
65 (1) - -
66 (3) - --
67 (m) - -
68 (5) - -
856
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101°
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111*
112°
114®
115»
118°
119?
BULIE
119»
11
80
fehlt
fehlt
81
übrigens ersichtlich, dafs auch der Schreiber von A
eine der in E vorliegenden ähnliche Textvertheilung kannte:
denn es zeigen die Capitel-Unterschriften darin mehrfach statt
der zu der eignen Textvertheilung passenden Zahlen vielmehr
solche, die zu derselben in keiner Weise stimmen, dagegen ent-
weder mit der in E vorliegenden Vertheilung und Zählung der
Capp. direkt übereintreffen, so bei Cap. 34 (dvdvingo ’dhydyah),
47 (Catustringo ’dhyayah), 50 (saptatringo ’dhy.) und die Ziffern
bei Cap. 46 (33). 48 (35), oder doch zu ihr in speciellem Bezuge
stehen, so bei Cap. 31 (saptavingo ’dhy.; in E. ekavingo), 37
(shadvingo ’dhy.; in E. caturvingo), 53 — 55 (mit Ziffern be-
12 Gesammtsitzung
zeichnet als 36-33; in E. 38-40), 59. 60 (bezeichnet als 46. 47; in
E. 48.49), 68 — 70 (bezeichnet als 51-53; in E. 53-55), 72 (be-
zeichnet als 55; in E. u 74 —-80 (bezeichnet als 56-62; in E.
59-65). |
Während Ai in der Mitte des letzten Oap., mit v. 7%, ab-
bricht, bringt E. den richtigen Schlufs des Werkes zu unserer
Kenntnifs. Derselbe ist insofern von Bedeutung, als seine An-
gaben die Prätension erheben, dafs das Jaimini-Bhärata nicht
etwa blos eine Nebenredaction des agvamedha-Buches des Mahd-
Bhärata sei, wie dies aus dem Umstande, dafs eben nur ein
diesem entsprechendes Buch vorliegt, denn doch zunächst zu
folgern schien, sondern dals es das ganze Epos umfalse. Es
heifst nämlich am Schlusse ganz ausdrücklich'), dafs hiermit:
„vierzehn Bücher des Bhärata beendet seien, und nunmehr das
deramavdsa genannte Buch beginne.“ Auch in der Calcuttaer
Ausgabe des Maha-Bhärata ist das agvamedha-Buch das vier-
zehnte, und folgt ihm das agramavasa-Buch, während z. B.
die beiden Mss. desselben, welche sich in der hiesigen Königl.
Bibliothek befinden (s. mein Verzeichnifs p. 105—106; Indische
Studien Il, 138), davon abweichend dem agvamedha-Buch ent-
weder die sechszehnte oder die siebzehnte ‚Stelle in der.
Reihe der parvan zuweisen’).
In wie weit nun diese Ansprüche des Jaimini-Bharata als
eine vollständige Nebenredaktion des Maha-Bharata zu gel-
ten wirklich begründet ‘sind, läfst sich einstweilen noch nicht
ermessen. Aus Wilson’s Angaben über eine kanaresische Über-
setzung des Werkes in der Mackenzie Coll. II, 2°) möchte man
schliefsen, dafs das Werk sich vielmehr auf ein Buch beschränke.
1) caturdaga ca parvdni kathitani vigam pate N ia ll
atag cd ”cramavasdkhyam parva, rdjan, grinushva tat N ısll
2) s. auch Aufrecht Catalogus fol. 2a.
3) Es heifst daselbst: „Jaimini-Bhärata. Palm leave. 5 copies.
A translation of the seventeenth (sic! s. oben) book of the Mahd-Bhö-
rata, ascribed to the Muni Jaimini, giving an account of the Apvamedha
sacrifice celebrated by Yudhishthira. It is considered as one of the best
works in the ancient Kanara language. Translated ... in the beginning
of the thirteenth century.“
vom 14. Januar 1869. 13
Dagegen Missionar Möglings Worte (in der Zeitschrift der
Deutschen Morgenl. Ges. 4, 395): „eine-Ausgabe einer alten
kanaresischen Übersetzung des Bhärata des Jaimini ist voll-
endet“ ‘führen allerdings wohl auf die Existenz einer Ge-
sammtbearbeitung hin, sind indessen freilich nicht specifieirt
genug, um dies mit Sicherheit zu erhärten. Von Bedeutung
‚jedenfalls ist Wilson’s Angabe (a. a. O.), dafs das Datum der
Kanaresischen Übersetzung in den Beginn des dreizehnten
Jahrh.’s falle.
' Das vorliegende agvamedha-Buch, von dem wir zunächst
allein direkte Kunde haben, ergiebt sich nun als eine ganz
selbständige, resp. sekundäre, und zwar speciell von dem
Standpunkt der Verherrlichung Krishna’s ausgehende Bearbei-
tung des in dem betreffenden Abschnitt des M. Bhärata behan-
delten Stoffes, die weit mehr den Character eines Purdna trägt,
mit dem Original nur in der Reihenfolge der Erzählung theil-
weise übereinstimmt, aber im Übrigen ganz eigenthümliche
Wege einschlägt (s. bereits Aufrecht 1. c. p. 4).
Der Inhalt des Buches ist indessen höchst werthvoll, weil
‚allerlei Sagenstoffe darin’ Aufnahme gefunden haben, die ander-
weitig bis jetzt in Indien unbekannt sind. Ohne es zu wissen,
‚hat uns kürzlich Talboys Wheeler in seiner sogenannten
„History of India“ eine Analyse desselben geliefert. Denn
das, was er auf p. 377—437 als den Inhalt des vom „Horse-
Sacrifice* handelnden Abschnittes des Mahd- Bhärata angiebt,
ist vielmehr‘) eben nur eine allerdings (wie bei ihm ja durch-
weg der Fall ist) mit zahlreichen fremden Zusätzen verbrämte
Analyse des agvamedha-Buches des Jaimini-Bhärata. Da nach
Rajendra-Läla-Mitra’s Untersuchungen’) jene englische angeb-
liche Übersetzung des Maha-Bhärata, die der Wheelerschen
Arbeit zu Grunde liegt, nicht nach dem Original, sondern
nach der persischen Übersetzung dieses Epos gemacht ist,
so ergiebt sich hieraus, dafs man bei Herstellung dieser letz-
teren sich eben nicht streng an das Mahd-Bhärata gehalten,
1) vgl. Lit. C. Bl, 1868 n0.'28 p. 757.
?) Proceedings of the As. Soc. of Bengal.: Jan. 1868.
14 ‚Gesammtsitzung
sondern auch andere Stoffe eingewoben hat. Oder sollten die
vielfachen speciellen Divergenzen, die Wheeler’s Buch durchweg
zu dem Texte des M. Bharata zeigt, etwa gar so zu erklären sein,
dafs jene persische Übersetzung sich überhaupt gar nicht auf
das Mahäd-Bhärata, sondern, unbeschadet noch anderweitiger
secundärer Zuthaten, nur auf eine vollständige Recension des
Jaimini-Bhaärata stützt, wie dies zum wenigsten bei diesem
einen Theile, dem agvamedha-Buche, unbedingt der Fall ist?
Unter den in diesem Buche enthaltenen Erzählungen nimmt
die Episode von Candrahäsa und Vishayd, die Wheeler in einem
besonderen Abschnitte seines Werkes (p. 522—534) als Mahd-
Bhärata-Sage mitgetheilt hat, durch Inhalt wie Umfang (9 Capp.
mit 634 vv.) eine hervorragende Stelle ein. Die nachstehende
Analyse derselben mag zugleich als ein Specimen einerseits
dafür dienen, wie viele fremde, erklärende Zuthaten in die
Wheelersche Darstellung Aufnahme gefunden haben (die freilich
dadurch an Eleganz und Anmuth erheblich gewonnen hat, was
ihr an Original-Treue abgeht), so wie andererseits dafür, wie
in ihr doch auch wieder allerlei, was zur Beurtheilung des
Ganzen von Bedeutung ist, völlig fehlt, so insbesondere z. B.
die so ganz specielle Vishnu-, resp. Krishno-itische Färbung,
die das Original charakterisirt.
Jaimini-Bharata, Agvamedhakanda,
in E. Capp. 50 —58, fol. 33a — 107b
in A. Capp. 65 — 73, fol. 159b — 182b.
Dem Sudhärmika, König von Kerala, ward unter dem Ge-
stirn Müla‘) ein glückverheifsender Sohn geboren (50, 22
fol. 93®). : Einige Tage danach ward die Stadt von Feinden
erstürmt, wobei der Fürst seinen Tod fand. Seine Gemahlin
folgte. ihm nach. Die Amme brachte das Kind, welches am
linken Fufs eine kleine sechste. Zehe hatte, nach der Kuntala-
1) Dies ist sonst ein böses Gestirn, s. meine Abhandlung über die
Nakshatra II, 315 (schol. zu (änkh. 14, 51, 1 anaharjätatä mülanaksha-
tre [sükshma pr. m.) janma).
vom 14. Januar 1869. 15
Stadt (Kauntalakam puram), wo sie es drei Jahre lang pflegte
indem sie sich zum Mahlen, Stampfen und dgl. Arbeit ver-
dingte und so ihren Broterwerb fand (90, 26 kandanapeshadi-
bhih karmabhih). Da starb auch sie; andre Frauen nahmen sich
des Kindes freundlich an, welches fröhlich gedieh. Fünf Jahre
alt kam es einst in das Haus des Ministers Dhrishtabuddhi, der
gerade eine Versammlung weiser Männer bei sich bewirthete.
Beim Anblick des Knaben waren diese über sein Aussehen und
Benehmen hoch erstaunt, und als der Minister auf ihre Fragen
nach ihm erklärte, dafs er nichts von ihm wisse, riethen sie
ihm, des Knaben sorglich zu achten, da er den Zeichen nach,
die er an sich trage, bestimmt sei, einst König zu werden.
Dhrishtiabuddhi aber, von dieser Prophezeihung unangenehm be-
rührt, beschlofs vielmehr das Kind tödten zu lassen, und
beauftragte damit einige Candala, ihnen reichen Lohn dafür
verheilsend. Als der Knabe aber, von ihnen dazu in den Wald
geführt, die Gefahr erkannte, wandte er sich mit seinem Gebet
an Krishna, wie er denn schon früher beim Spiel mit seinen
Genossen sich durch seine Vorliebe für den runden (dlagrama-
Stein, welcher Hari’s Abbild ist (30, 47. 48.), und den er im
Munde zu tragen pflegte, Anspruch auf dessen Gunst erworben
hatte. Und Ärishna wandte nun auch die Herzen der Candala
zum Mitleid: sie schnitten dem Kinde nur die sechste Zehe des
linken Fufses ab, um den Minister, wie er ihnen geheifsen, ein
Wahrzeichen der Erfüllung ihres Auftrages zu bringen, und
liefsen es im Walde zurück. Das Blut der Wunde stillten
durch sein Weinen herbeigerufene Rehe, sie beleckend. Die
Vögel beschatteten es mit ihren Flügeln und die wilden Tau-
ben, traurig girrend, füllten von Schmerz verwirrt ihren
Bauch mit Steinen (51, 9 statt mit Beeren?). Da kam der
Kulinda-Fürst, der über das Land gesetzt war, durch den Wald
streifend, dazu, hörte das an Govinda gerichtete Gebet des
weinenden Knaben, stieg vom Rofs und frug ihn, wer er sei und
wer seine Eltern. „Krishna ist mein Vater und Mutter, von
ihm bin ich gehegt. Ihn nicht sehend, weine ich, grofser König*,
diese Anwort des Kindes rührte den Fürsten durch ihre Krishna-
Gläubigkeit, und da er selbst ohne Kinder war, nahm er ihn
mit sich auf sein Rofs, und brachte ihn nach seiner Stadt Can-
16 Gesammtsitzung
dandvati, zur freudigen Überraschung seiner Gemahlinn. Bei
einem grofsen Feste, das er nun anstellte, gaben die Astrologen
dem Knaben den Namen Candrahäsa, weil der Mond aus
seinem reinen lächelnden Munde fallen werde!). Fortab gedieh
im Lande des Kulinda Alles aufs Schönste: der ee Vishnu’s
war mit dem Kinde eingekehrt.
‚Sieben Jahre alt ward es einem Lehrer zum Unterricht im
Lesen etc. übergeben (51, 27), aber statt des Alphabets ka kd
etc. (51, 31) recitirte es beständig nur die beiden Silben Ha-ri
und wies den zornigen Schulmeister damit ab, dafs in diesem
Namen Vishnu’s, resp. Krishna’s alle eästra enthalten seien.
‚Und der Kulinda-Fürst, über diese Vishnu-Treue erfreut, stimmte
ihm bei. Mit 8 Jahren (51, 46) ward der Knabe mit der hei-
ligen Schnur gegürtet, und wandte sich nun dem Veda-Studium
zu, beständig: Hari's gedenkend. Auch bei Erlernung der Bo-
genkunst (51, 49) war sein Sinn fortwährend auf Hari gerich-
tet. — Funfzehn Jahre alt zog er dann mit Erlaubnifs des Va-
ters zur solennen Ersiegung der Weltgegenden (digvijaya) aus,
nur von fünf Wagenkämpfern begleitet; und es gelang ihm, alle
die Feinde des Vaters wie des Kuntala-Fürsten, von dessen
Minister Dhrishtabuddhi der Kulinda eben die Herrschaft über
hundert grdma in Lehn hatte (52, 11), sämmtlich zu: besiegen.
Bei seiner Heimkehr festlich empfangen und von seinem Vater
(52,25) als Nachfolger geweiht, setzte er auf den Elften des
Monates ein ständiges grofses Fest zu Ehren Vishnu’s ein und
liefs eine grolse Zahl gemeinnütziger Bauten, darunter Vishnu-
Tempel und Qiva-Tempel, errichten (92, 49. 43). Von allen
Seiten strömte nun das Volk nach der Stadt Candandvati, de-
ren Gedeihen, in Proportion zu ihrer Hari-Gläubigkeit, bestän-
dig wuchs (9%, 46).
1) 51, 23; diese Auffassung des Namens als: „einen Mond lä-
“ chelnd“ ist natürlich verkehrt; derselbe bedeutet vielmehr entweder
„wie .der Mond lächelnd“, oder, ohne Bezug zum Monde, nur: „lieblich
lächelnd“, s. Böhtlingk-Roth unter candra 2c. So findet sich in 1001
Nacht (bei Lane III, 265 London 1841) bedr basim „smiling full-
moon“ als Name des Sohnes der Jullanär (skr. jalanäri, mermaid; nicht
aus pers. gulnar entstellt, wie Lane p. 306 will).
vom 14. Januar 1869. 17
Da nun auch der von dem digvijaya fällige Tribut (52, 48)
an den Kuntala-Fürsten, so wie an dessen Minister und Ge-
mahlin abzuliefern war (10,000' nishka an den Fürsten, die
Hälfte an den Minister ete.), sandte Candrahäsa denselben auf
des Vaters Antrieb mit einem feinen Begleitschreiben nach der
nur 6Yyojana entfernten (52,50) Kuntala-Stadt') ab. Die
Boten trafen gerade am Beginn des Elften des Abends in deren
Nähe ein, und da sie daselbst einen Flufs vorfanden, nahmen
sie darin die zu dem neu eingesetzten Feste gehörigen Wa-
schungen und Gebete an Vishnu vor, legten sich die Tulasi-
Pflanze, Hari’s geliebtes Symbol (52,59), aufs Haupt, und
traten so, in ihren nassen Gewändern, vor Dährishtabuddhi hin.
Dieser vermuthet nun zuerst aus diesem ihrem Aussehen, dafs
sie gekommen seien, den Tod des Kulinda zu melden, ist da-
her hoch erfreut, als sie ihm sagen, aus welchem Grunde und mit
wie reichen Schätzen sie genaht sind. Er läfst ihnen eine gute
Mahlzeit zurichten, die sie aber, durch das Fasten gebunden,
ausschlagen. Hocherzürnt falst er dies als eine Beleidigung
auf, beruhigt sich aber bei ihrer Erklärung, und: beschliefst
nun am andern Tage, mit ihnen nach Candandvati zu ziehen,
um sich von dem Gedeihen dieser Stadt, an deren Stelle früher
nur ein grofser Wald gelegen, selbst zu überzeugen. Er über-
giebt mittlerweile seinem Sohn Madana die Geschäfte. Als er
eben abreisen will, tritt noch sein in frischer Jugend er-
blühtes Töchterlein Vishay« an ihn heran (52, 73) und bittet
ihn ?), des Festes ihres heute gerade zum Aufbrechen der Frucht
1) Die Stadt des Kulinda-Fürsten lag somit. in deren unmittelbarer
Nähe. „Nach dem Epos wohnten die Äulinda im höchsten Himälaya“,
Lassen Ind. Alt. I, 547. Hier dagegen handelt es sich offenbar um
den Dekhan. Kerala ist ja n. pr. des Volkes von Malabar, und Kun-
tala ein andrer Name für Karnäta (Lassen I, 170 n. 4). Zu dieser
Örtlichkeit vgl. noch den Umstand, dafs von diesem Buch des Jaimini-
Bhär. eine altkanaresische Übersetzung existirt (s. oben p. 12. 13).
2) Wheeler p. 526 stellt dies so dar, als ob Fishayd dem Vater zu
verstehen geben wolle, sie selbst sei jetzt auch reif und möchte gern hei-
rathen. Der Dichter hat diesen Doppelsinn auch gewifs im Auge, in
den Mund des Mädchens indefs hat er nichts der Art gelegt.
[1869.] 92
18 Gesammtsitzung
gediehenen Mango-Baumes (rasdla), den sie tagtäglich begossen,
zu gedenken: er habe ja — klagt sie — vor lauter Geschäften
beständig gar keine Zeit für sie. Er tröstet sie freudig bewegt,
und macht sich auf die Reise. In zwei Tagen ans Ziel ge-
langt, wird er von dem Kulinda und dessen Sohn ehrerbietig
empfangen. Er erhält dann von Ersterem auf seine Frage wann
und wie er zu diesem trefflichen Sohne gelangt sei, die nöthige
Auskunft, und erkennt daran sofort, dafs dies der einst von ihm
verfolgte Knabe ist. Erschreckt dadurch und für das künftige
Geschick seiner eigenen beiden Söhne Madana und Amala')
besorgt (92, 85), verbirgt er seinen Zorn unter dem Anschein
freundlicher Theilnahme. Nach langem Überlegen — aus
dessen Schilderung erhellt, dafs der Minister dem (iva-Kult
huldigte (53,4. 10) — schreibt er dann an seinen Sohn Ma-
dana einen Brief, angeblich in wichtigen Regierungsgeschäften,
in der That aber die Weisung enthaltend, dem Überbringer
Candrahäsa Gift (visham) zu geben (33, 10) und beauftragt
eben den jungen Prinzen mit dessen schleuniger Besorgung,
unter nachdrücklicher Einschärfung der Unverletzbarkeit des
Siegels, woraus für ihn nur Gutes hervorgehen werde. Von
seinen Eltern beurlaubt macht sich C. auch sofort zu Rosse
auf, nachdem ihm seine Mutter Medhävati (93, 16) noch unter
andern Segenswünschen auch den mit auf den Weg gegeben,
dafs er mit einer passenden Gattinn heimkehren möge (53, 21
lies: samdydhi). In der Nähe der Kuntala-Stadt angelangt
machte er an einem schönen Teiche Halt, badete sich darin
dem Hari zu Ehren, brachte demselben ein Blumenopfer
dar (53, 34. 35), als seine Reisekost, und legte sich für
einige Zeit?) unter einem Mango-Baum zur Ruhe. Da kamen
1) dvau putrau mama vidyete yuvanau Madandmalau; von dem zweiten
Sohn Amala ist hier aber sonst nicht weiter die Rede. In 57, 2 (putro
’yam madvage naiva [madvaco nawa A.) vartate Madano 'malah) wird Ma-
dana selbst als amala bezeichnet! im folgenden Verse (97, 3) indefs ist dann
wieder der beiden Söhne gedacht: abhyam madiyam hi kulam putrabhydm
nägitam dhruvam.
2) praharadv ayam 93, 36; prahara „ein Zeitabschnitt von etwa 3
Stunden“ Böhtlingk-Roth. Das gäbe sechs Stunden Rast, ein Bischen
viel für diesen Zweck!
vom 14. Januar 1869. 19
gerade Campakamalini, die Tochter des Kuntala-Fürsten und
Vishaya, die Tochter des Dhrishtabuddhi, von einer Schaar
ihrer ebenfalls 134 Jahr alten Freundinnen begleitet, blumen-
suchend herbei (53, 39). Unter lieblichen Scherzen beschliefsen
sie, vom Suchen ermüdet, sich im Teiche zu baden (53, 57).
Nachdem sie dies Vergnügen unter gegenseitigen Neckereien,
wobei die Prinzessin der Vishayd aus gewissen Anzeichen pro-
phezeit, dafs ihr Liebster nahe sei (53, 55), reichlich genossen,
steigen sie aus dem Bade und gehen heim. Vishayd aber hat
beim Verlassen des Teiches den Candrahäsa am Ufer schlum-
mernd erblickt und bleibt, von Liebe zu ihm erfafst, zurück
(54, 1). Ihre Fufsspangen ablegend, schleicht sie sich näher,
ihn zu betrachten. Da sieht sie aus seinem Wamms einen
Brief herausgucken, bemächtigt sich desselben, löst das Siegel
und liest, erschreckend, die Botschaft ihres Vaters an ihren
Bruder. Schnell entschlossen ändert sie nun die Worte visham
asmai pradätavyam „Gift ist ihm zu geben“ in: viskayd ’smai
praddtavyd „die Vishayd ist ihm zu geben“, schliefst den Brief
wieder zu, steckt ihn in die Tasche zurück und macht sich auf
den Heimweg, sehnsüchtig zurückblickend. Ihre Freundinnen
aber necken sie wegen ihres Zurückbleibens und ihres vor
Freude leuchtenden Antlitzes'). Am Abend erst erwachte Can-
drahäsa (54, 24) und begab sich nun schleunigst zu Madana.
Der empfing ihn in grofser Versammlung, las des Vaters Brief
trotz der ihm von Candrahasa werdenden Mahnung, ihn als ein
Geheimnifs allein zu lesen, laut darin vor (34, 52) und nahm
den nunmehr darin sich findenden Befehl, demselben die Vishayd
zu übergeben, mit lebhafter Freude auf. Vishayd richtete mittler-
weile ihre Gebete an Pärvati um Erfüllung ihrer Wünsche,
ihr für den kommenden Nabhas, am dritten der schwarzen
Hälfte, ein reiches Fest gelobend (54, 56). Madana aber befrug
zunächst die Astrologen nach den Nativitätsverhältnissen (lagnam)
der Schwester und des Candrahasa, und als diese ihm freudig er-
widerten, dafs Venus’) und Jupiter darüber präsidirten (55,4),
1) Die ganze Scene ist wirklich sehr duftig und lieblich geschildert.
?) Diese erotische Bedeutung der Venus beruht auf der griechi-
schen Mythologie, resp. Astrologie, vgl. Ind. Stud. 8, 413. 10, 319.
2%
20 ..G@esammtsitzung
dafs auch sonst alles passe, und dafs heute gerade die Constel
lationen vortrefflich zur Hochzeit sich eigneten, liefs er dieselbe
sofort vor sich gehen und feierte sie mit grofsem Pomp und
Festlichkeiten aller Art, reiche Gaben und Geschenke allseitig
vertheilend. Bei der Frage nach: seinem Stammbaum nannte
Candrahasa Hari als seinen Vater, Grofsvater und Urgrofs-
vater (95, 16); auch habe er keinen Freund weiter aufser dem
Kulinda und dessen Gattin Ädhdragakti‘). Trotz dieser aus-
weichenden Antwort aber läfst Madana doch die heiligen Riten
vollziehen, in dem Bewulstsein, damit nur seines Vaters Befehl
zu erfüllen. Tänzer, Akrobaten (die auf einer Rohrspitze tan-
zen), Jongleure (die Feuer aus dem Munde zu speien verstanden
39,39), und Musiker aller Art trugen zur Verherrlichung des
Festes bei, an welchem die ganze Stadt freudig theilnahm. —
Während dessen schlug Dhrishtabuddhi in Candandvati den Ku-
linda in Fesseln (96, 1) und presste durch schwere Torturen
den Einwohnern das Geld ab (: er tauchte sie ins Wasser,
mit einem am Halse hangenden Steine beschwert, liels sie über
flammendem Feuer halten, schlitzte ihnen das Fleisch auf, liefs
sie Mehlwasser durch die Nase einziehen etc... Er machte es
dem Kulinda zum Vorwurf, dafs er, stolz auf seinen durch
Candrahäsa erlangten Reichthrm, den Tribut nicht selbst gebracht,
sondern durch Boten geschickt habe, die sich noch dazu geweigert
hätten, die ihnen von ihm vorgesetzten Speisen zu essen. Früher
sei weder (iva-Tempel noch Vishnu-Tempel in der Stadt gewesen
(56,8). Jetzt aber durch seinen Reichthum stolz geworden,
schwelgten sie in Genüssen; u. dgl. mehr. Er beauftragte seinen
Diener Lobha’) nebst dessen Gemahlin Trishnd?’) die Stadt
Candandvati fortab zu behüten, und zog froh, mit reichen
Schätzen heim, die seine Sänfte tragenden Fischer unterwegs
tüchtig mit Schlägen regalirend (56, 18.19), weil sie ihm
nicht rasch genug vorwärts eilten, so sehr sie sich auch an-
1) Dies ist hier ein mystischer Name, der an den Visknu-Kult erin-
nert (s. Rämatäp. Up. p. 278. 321. 323): ihr wirklicher Name ist nach
95, 16 Medhävatı.
2) Beides sind symbolische Namen: lobha Begier, trishnd Durst.
vom 14. Januar 1869. 21
strengten. Unter allerlei üblen Vorbedeutungen !) gelangte er end-
lich an, in der frohen Erwartung, dals Madana nun den C. um’s
Leben gebracht haben werde. Statt dessen kam er noch gerade
zu dem Jubel und Trouble der Hochzeitsfeier zurecht, so dafs
ihm Alle mit Glückwünschen über seinen edlen Schwiegersohn
entgegen kamen. Die Ersten, die ihn so begrülsen, schlägt er
zornig mit seinem Stocke: aber je weiter er kommt, je sicherer
wird ihm die Kunde von dem, was vorgegangen. In das Innere
seines Hauses eintretend, findet er seine Tochter mit C. auf
einem geweihten Platze (vedikäyam 56, 43) sitzen, mit wechsel-
seitig zusammengebundenen Kleidzipfeln. Schweifs dringt aus
seinen Poren, Zittern erfafst seine Glieder, sein Mund dorrt
ihm ein vor Zorn und Schreck (56, 44). Das junge Paar be-
- grüfst ihn freudig. Er aber fragt seinen Sohn Madana zornig
nach der Ausführung seines Befehls. Im guten Bewulstsein
seiner pünktlichen Erfüllung desselben rühmt sich dieser noch,
dafs er das ganze Schatzhaus durch Spenden an die zahlreich
herbeigekommenen Gäste ausgeleert habe und steigert dadurch
des Vaters Ingrimm so weit, dals er ihn in den Wald verstöfst.
_ Auch dies noch fafst er ganz falsch dahin auf, als ob der Vater
ihm Vorwürfe deshalb mache, weil er nicht die Eltern des (.
habe einladen lassen (56, 51): er entschuldigt sich dieserhalb
mit der Kürze der Zeit. Endlich weist er ihm den Brief selbst
vor, und der Minister sieht sich nun genöthigt, zunächst zum
bösen Spiel gute Miene zu machen, den Sohn zu begütigen und
den Candrahäsa mit freundlichen Worten zu begrüssen. Er
beschlie‘st indels Letzteren doch noch zu vernichten. Und da
er sich dazu, wie er nun wohl sieht, seines Sohnes Madana
"nicht bedienen kann (5%, 2), befiehlt er heimlich jenen Cdndaäla,
_ die er früher schon mit der Ermordung des Knaben C. beauf-
tragt hatte, bei einem Candikd-Tempel, der aufserhalb der
Stadt in einem Haine lag, sich versteckt zu halten, und Jeden,
1) Krähen flogen über der Sänfte hin, nach ihm hackend: eine
Schlange pflanzte sich vor ihm auf, und gab sich ihm als die bisherige Hü-
terinn seiner Schätze an Gold zu erkennen, die sich jetzt davon mache,
weil sein Sohn die Krüge geleert und so ihren Platz leer gemacht habe
(96, 25).
22 Gesammtsitzung
der des Abends ') dahin kommen werde, unverzüglich niederzu-
machen: er warnt sie, ihn wieder zu betrügen, wie sie es da-
mals gethan, und verheilst ihnen reichen Lohn. Darauf sprach
er den Candrahdäsa mit freundlichen Worten an, sagte ihm, dafs
in seiner Familie die Candikä verehrt werde, und dafs er daher,
nunmehr ein Glied derselben geworden, heute Abend der Göttin
ein Blumenopfer darzubringen, es derselben resp. allein in ihren
Tempel hinauszutragen habe. Candrahäsa sagt auch bereit-
willig zu, und macht sich am Abend auf den Weg dahin auf.
Zu der Zeit gerade hatte aber der Kuntala-König seinen Haus-
priester Galava rufen lassen und ihm mitgetheilt, dafs er sein
Lebensende nahe fühle, da er seinen Körper ohne Schatten sehe.
Durch die ausführliche Darstellung Gdlava’s über die Vorzeichen
des nahenden Todes?) fühlte er sich in diesem Glauben bestärkt
1) pitriprasükäle 57, 7, zur Zeit des Zwielichtes, in welchem die
Schatten und Gespenster der Manen ihr Wesen treibend gedacht sind.
2) Gälava mufs ihm zu besserer Klarheit hierüber den arishtädhyäya,
d.i. die Lehre von den Vorzeichen des Todes, vortragen. Dattätreya
hat sie einst dem Alarka mitgetheilt. Wer den Polarstern, die Venus,
den Mondschatten, die Arundhati, nicht sieht, lebt nicht länger mehr als
ein Jahr. Strahlenlose Sonnenscheibe oder strahlenumkränztes Feuer se-
hend, lebt man nur noch elf Monate. Nur noch zehn dgl., wer da im
Traum oder in Wirklichkeit Urin und Koth, oder Gold und Silber sät
(?? vayan [vapen?] mütrapurisha[m] yah suvarnarajatam tatha | pratyaksham
athavä svapne...; soin A.; inE. ist hier eine Lücke). Nur noch neun
Monate lebt, wer da preta, pigäca u. dgl. (gespenstische Wesen), oder
Erscheinungen der Fata Morgana (alles dies fehlt noch in E.), oder Bäume
von goldner Farbe sieht. Acht Monate Frist hat noch, wer ohne Ur-
sache plötzlich mager oder fett wird, und dessen ganze Natur sich ändert.
Sieben dgl., wessen Fufstapfen im Staub oder Koth die Ferse vorn zeigt.
Sechs dgl., auf wessen Haupt sich eine Taube, ein Geier, eine Eule,
‚eine Krähe setzt. Fünf dgl., wer von Krähen mit Staub beworfen
wird, wessen Haut, von der Brust aufwärts, zuckt. Vier dgl., wer sei-
nen Schatten anders sieht. Zwei oder drei dgl., wer im Süden einen
Blitz in wolkenleerer Gegend sieht, oder des Nachts einen Regenbogen.
Einen halben Monat, wer sich in ghrita, Öl, Spiegel oder Wasser ohne
Kopf sieht, wer einen knochenäbnlichen oder leichenähnlichen Geruch an
sich hat. Zehn Tage, wem gleich nach dem Bade das Herz erstarrt
vom 14. Januar 1869. 23
und beschlofs die Regierung niederzulegen, liefs resp. den Ma-
dana rufen und beauftragte ihn seinen Schwager Candrahdsa
herbeizuholen (um diesem die Regierung zu übertragen). Ma-
dana eilte fort und traf den (., wie er gerade im Begriff war,
mit seiner Blumenspende nach dem Candika-Tempel zu gehen.
Er hielt ihn aber an, nahm ihm die Blumen ab, und sandte
ihn auf seinem eignen Rofs, von seinen Dienern umgeben, dem
König zu, während er selbst an seiner Stelle mit den Blumen
allein nach dem Tempel ging. Candrahäsa ward von dem König
freudig empfangen. Derselbe übergab ihm seine Tochter Cam-
pakamalini und das Königreich, legte seine Kleider ab und zog
sich nackt in den Wald zurück, in yoga versenkt. Gälava aber
weihte den Candrahäsa nun zum König (97, 63), der sodann die
Campakamalini sogleich bei Sonnenuntergang nach dem Gan-
dharva-Ritus ehelichte.. Dem Madana aber begegneten unterwegs
auf seinem Gange nach dem Tempel allerlei böse Vorzeichen '),
die er indefs nicht beachtete, resp. nur mit Segenswünschen
(avapushyati 97, 29), wer Wasser trinkend doch ausdörrt. Wer im
Traume auf einem Gespann von Bären oder Affen stehend (rikshavanara-
yugmasthah) singend nach Süden geht, wen im Traume eine singende
und lachende in rothschwarze Kleider gehüllte Frau nach Süden führt,
wer im Traume einen nackten Bettelmönch (kshapanaka) lachen sieht,
wer sich im Traume von Kopf bis zu Fufs in Koth versunken sieht,
wer im Traume an sein eignes Haupt eine Schatzkammer oder einen
Wagenschuppe nhinanreichen sieht (??97, 34 kordgaram rathägäram dha-
kshayantam (Vdagh?) svakam girah, so in E.; auch A. hat ganz verderblen
Text: kerägärais tathägara lakshayanta svakagiram 1 drishlva svapne),
wer im Traume von schrecklichen schwarzen Männern, mit erhobenen
Waffen, mit Steinen geschlagen wird, wer sich nicht mehr in des An-
dern Auge (Augapfel) sieht, wer die Ohren zuhaltend kein inneres Brausen
hört, wer seine ganze Natur ändert, wer die Götter nicht (mehr) ehrt,
Brahmanen, Lehrer, Greise schmäht, den Eltern, den Schwiegersöhnen,
den Yogin, den Einsichtsvollen und sonstigen Ehrwürdigen (wörtlich:
Grofsgeistigen) nicht (mehr) gastliche Bewirthung spendet — dessen letzte
Stunde ist gleich oder doch in 10 Tagen (97, 35) bevorstehend.
!) Er sah vor sich zwei Katzen kämpfen (97, 65); das Gefäfs mit
den Sandel-Blumen fiel ihm aus der Hand; Blut flofs ihm aus Auge und
Mund; eine Eule setzte sich auf sein Haupt und schrie’ kläglich.
24 Gesammtsitzung
für seinen geliebten Schwager beantwortete. Auch als ihn nun
im Tempel die Mörder erschlugen, hauchte er seinen Geist
unter gleichen Wünschen für ihn aus. Candrahäsa aber bestieg
bei Einbruch der Nacht mit seiner neuen Gemahlinn einen
schönen Elephanten und machte sich unter Paukenschall auf,
dem Dhrishtabuddhi seine Verehrung darzubringen. Als nun
diesem seine Diener meldeten, dafs der neue König C. ihn zu
besuchen gekommen sei, gerieth er, der von dem ganzen Vor-
gange des T'hronwechsels noch nicht wulste, in die gröfste Auf-
regung: er meinte indefs, sein Sohn Madana sei gekommen und
redete den ©. demgemäls an. C. aber stieg vom Elephanten
und umfafste seine Füfse. Da fafste er ihn am Kinn und frug
ihn, ob er denn nicht zum Candikd-Tempel gegangen sei. Als
nun C. berichtete, wie Alles zugegangen, gerieth Dh. in das
grölste Entsetzen; mit erhobenen Armen, gelöstem Haar, schrei- |
end machte er sich auf. „Wer andern eine Grube gräbt, fällt
selbst hinein* (98, 13 parärtham yo 'vatam kartd, tasmin sa pa-
tati dhruvam). Er eilte hinaus zu dem Todtenverbrennungs-
Platz (58, 15), wo die Leichengespenster (bhüta-vetäla-kankalah
v. 16), ihn als ihren Meister höhnisch begrülsend, vor ihm flohen.
Er rifs sich von einem Scheiterhaufen ein brennendes Scheit,
eilte damit zum Candika-Tempel, und fand da die Leiche seines
geliebten Sohnes. Voll Verzweiflung, und in diesem schreck-
lichen Ende die Strafe für seine Feindschaft gegen die Vaish-
nava (98,31) erkennend, zerschmetterte er sich selbst das Haupt
an einem mit Metall verzierten Pfeiler des Tempels. Am Mor-
gen kam ein Büfser mit Blumen und Wasser daher, um die
Göttin zu ehren, und fand die beiden Leichen im Tempel.
Er brachte die Nachricht davon sofort dem Könige, der voll
Trauer herbeikommend in innigem Gebet an die Candika sich
ihr selbst zum Sühnopfer darbot. Er grub vor ihrem Bilde
eine viereckige Grube, richtete darin ein geweihtes Feuer an,
‚schnitt sich unter Reeitirung heiliger Sprüche alles Fleisch von
seinem Körper, opferte es darin und legte eben das Messer an
die Kehle, um auch sein Haupt ihr, als Vishnu’s gakti (98, 47)
zu opfern, — da erschien ihm die Göttinn selbst, wehrte ihm
ab, sprach ihm ihre Befriedigung über seinen festen Glauben
an Hari aus und stellte ihm zwei Wahlgaben frei. Als erste
vom 14. Januar 1869. 25
derselben wählte er sich denn festen Glauben an Hari in allen
künftigen Geburten, und als zweite die Wiederbelebung der
beiden Todten. Devi gewährte ihm huldvoll Beides und dazu
noch einen Sohn, der ebenfalls Hari-gläubig sein werde; sie ge-
bot ihm, vor sie hin zutreten, und einen Augenblick mit ge-
schlossenen Augen fest zu stehen. Als er gehorchte, trat sie
als Wishnu-cgakti mit allen Emblemen (Schwert, Lanze, Keule,
Lotusblume etc. 58, 57) hervor, legte ihre Weisheit lehrende
Hand auf sein Haupt und als er seine Augen öffnete, sah er
Vater und Sohn wiederbelebt, sich selbst ohne Wunde’ wie zu-
vor. Die Göttin aber war verschwunden. Vor Dhrishtabuddhi
sich neigend, den Madana zärtlich umschlingend, gelobte er
nochmals Treue dem Adhokshaja (58, 63) und ging dann freu-
dig mit den Beiden zur Stadt. Bald holte er dahin auch seine
beiden Eltern aus Candandvati (v.79) und regierte dann noch 300
Jahre lang in Kuntala; Vishayd gebar ihm den Makaradhvaja,
und Campakamdlini den Helden Padmäksha. — Daran schliefst
sich dann noch eine Verherrlichung der dem Vishnu geheiligten
gäligrdmagilä'), durch deren Tragen als Kind schon Oandrahäsa
gegen alle Gefahren gefeit ward (58, 81-98) ?) und zum Schlufs
eine Lobpreisung der ebenfalls dem Vishnu geheiligten Tulasi-
Pflanze (98, 100-101).
In dieser Erzählung erscheinen zwei Momente vereinigt,
die bei uns im Oceident einzeln stehen und selbständige Kno-
tenpunkte für daran angeknüpfte Erzählungsgruppen geworden
sind, einmal nämlich die Änderung eines Urias-Briefes ohne
Wissen des Überbringers in sein Gegentheil, und zwar so, dafs
ihm statt des Todes die Tochter des Absenders zu Theil wird,
und. zweitens 'eine besondere Bewährung des Sprichwortes:
1) so hier durchweg in E.; während oben 50, 48 gälagrama, wie
sonst gebräuchtich, und in A. auch hier durchweg steht.
2) Das Bhärata, Harivanca und das grimad-Bhägavatam soll man
in der Nähe eines galigrama recitiren heilst es v. 96. Der ganz sekun-
däre Charakter dieses Verses, der in A. fehlt (fol. o liegt wohl
deutlich vor.
26 Gesammtsitzung
„wer Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ (s. 58, 13),
bei. welcher an Stelle eines dem Tode Zugesandten der Ver-
folger selbst, oder doch ein demselben Nahestehender, ums
Leben kommt.
Was den ersten Punkt betrifft, so findet sich eine schla-
gende Parallele zur obigen Darstellung in der mittelalterlichen
Sage von der Geburt Kaiser Heinrich’s IIL.'), welche in den
„Deutschen Sagen“ der Brüder Grimm (Berlin 1818 IL, 177 £f.)
wie folgt lautet.
„Kaiser Conrad der Franke?) liefs ein Gebot ausgehn: wer
den Frieden bräche, dem sollte man das Haupt abschlagen. Das
Gebot brach Graf Leopold von Calw, und da der König zu
Land kam, entwich Graf Leopold in den Schwarzwald in eine öde
Mühle, meinte da sich zu enthalten mit seiner Hausfrau, bis dafs
ihm des Königs Huld wieder würde. Eines Mals ritt der König
ungefähr in den Wald und vor dieselbe Mühle hin. Und da ihn
Leopold hörte, furchte er, der König wolle ihn suchen, und floh
in das Dickicht. Seine Hausfrau liefs er in der Mühle, die konnte
nirgends hin; denn es war um die Zeit, dafs sie ein Kind gebären
sollte. Als nun der König nah bei der Mühle war, und die Frau
in ihren Nöthen hörte schreien, hiefs er nachsehen, was der Frauen
gebräche. In den Dingen hörte der König eine Stimme, die
sprach: „auf diese Stunde ist ein Kind hier geboren, das wird
dein Tochtermann.*“ Conrad erschrak, denn er wulste anders
nicht, denn dafs die Frau eine Bäuerin wäre; und dachte, wie
er dem zuvorkommen möchte, dafs seine Tochter keinem Bauern
zu Theil würde. Und schickte zwei seiner Diener in die Mühle,
dafs sie das neugeborne Kind tödteten und zu dessen Sicher-
heit ihm des Kindes Herz brächten; denn er müsse es haben
zu einer Bufse. Die Diener mufsten dem Kaiser genug thun,
fürchteten doch Gott, und wollten das Kind nicht tödten; denn
es war gar ein hübsches Knäbelein, und legten’s auf einen Baum,
darum, dafs etwer des Kindes inne würde. Dem Kaiser brachten
sie eines Hasen Herz, das warf er den Hunden vor, und meinte
damit zuvorgekommen zu seyn der Stimme der Weissagung.
1) 1059 — 1056. ?) 1024 — 1039.
vom 14. Januar 1869. 27
"In den Weilen jagte Herzog Heinrich von Schwaben auf
dem Wald, und fand das Kind mutterallein da liegen. Und
sah, dafs es neugeboren war, und brachte es heimlich seiner
Frauen, die war unfruchtbar, und bat sie, dafs sie sich des
Kindes annähme, sich in ein Kindbett legte, und. das Kind wie
ein ‘natürliches hätte; denn es sey ihnen von Gott geschickt
worden. Die Herzogin that es gern und also ward das Kind
getauft und ward Heinrich geheifsen; niemand aber hielt es
anders als für einen Herzogen zu Schwaben. Und da das
Kind also erwuchs, ward es König Conrad gesandt zu Hof.
Der hiefs diesen Knaben öfter vor sich stehen, denn die andern
Junker am Hofe, von seiner klugen Weisheit und Höflichkeit
wegen. Nun geschah es, dafs dem Kaiser eine Verläumdung
zu Ohren kam: der junge Herzog wäre nicht ein rechter Her-
zog von Schwaben, sondern ein geraubt Kind. Da der Kaiser
das vernahm, rechnete er seinem Alter nach, und kam ihm
Furcht, es wäre derjenige, wovon die Stimme bei der Wald-
mühle geredet hätte. Und wollte wiederum zuvorkommen, dafs
es nicht seiner Tochter zu einem Mann würde. Da schrieb
er einen Brief der Kaiserinn, in dem befahl er ihr, als lieb ihr
Leib und Leben wäre, dafs sie den Zeiger dieses Briefes töd-
ten hiefse. Den Brief befahl er beschlossen dem jungen Herrn
an, dafs er ihn der Kaiserin einhändigte und niemand anderm.
Der junge Heinrich verstand sich darunter nichts als Gutes,
wollte die Botschaft vollenden, und kam unterwegens in eines
gelehrten Wirthes Haus; dem vertraute er seine Tasche von
Sicherheit wegen, worin der Brief und anders Ding lagen. Der
Wirth kam über den Brief aus Fürwitz, und da wo er geschrie-
ben fand, dafs die Kaiserinn ihn tödten sollte, schrieb er: „dafs
die Kaiserinn dem jungen Herrn, Zeiger des Briefes, ihre Toch-
ter gebe und zulegte unverzogentlich“; den Brief beschlofs er
wieder mit dem Insiegel gar säuberlich ohne Fehl. Da nun
der junge Herr der Kaiserinn den Brief zeigte, gab sie ihm
die Tochter und legte sie ihm zu. Die Mären kamen aber bald
vor den Kaiser. Da befand der Kaiser mit dem Herzogen von
Schwaben und andern Rittern und Knechten, dafs der Jüngling
war von Leopold’s Weib in der Mühle geboren, von dem die
Stimme geweissagt hatte, und sprach: „nun merk ich wohl,
28 Gesammtsitzung
dafs Gottes Ordnung niemand hintertreiben mag“, und förderte
seinen Tochtermann zu dem Reich. Dieser König Heinrich
baute und stiftete hernachmals Hirschau, das erste Kloster, an
die Statt der Mühle, darin er geboren worden war.“
Dieses „wunderliche Märchen“ über Heinrichs III. Abkunft
(s. Wattenbach deutsche Geschichtsquellen Berlin 1866 p. 428)
stammt aus der Pantheon genannten allgemeinen Chronik des
bis Ende des zwölften Jahrhunderts lebenden Gottfried von
Viterbo, s. den Text bei Pistorius script. rer. Germ. II, 333-336
(Regensburg 1726) und bei Muratori script. rer. Ital. VII, 441-4.
Auch in den um c. zwei Jahrhundert späteren Gesta Roma-
norum') sowie in zahlreichen Chroniken findet es sich wieder ?),
ist resp. in äufserst mannichfachen Variationen?) ein Gemein-
gut der deutschen Märchen- und Sagen-Welt geworden *) und
zwar dabei mehrfach in Verbindung getreten mit dem Märchen
von den drei Haaren des Teufels (oder sonstigen Ungeheuers)
und den an diesen zu richtenden Fragen’).
In Bezug auf den zweiten Punkt, der für uns die dra-
stische Gestaltung in Schiller’ s „Gang nach dem Eisenhammer*
1) „abgefafst um das Jahr 1340“, s. J. Dunlop history of fietion in
Felix Liebrecht’s Übersetzung p. 199 (1851).
2) Die Gebrüder Grimm führen weiter noch an: Thomas Lirer
Thl. 2, Crusius ann. suev. dodecas I, 198 — 9 (Frankfurt 1595), Et-
terlin eydgen. Chronik p. 66—68, Becherer thüring. Chronik p. 199
(Mühlhausen 1601), Gerstenberger (f 1522) apuıd Schminke ana-
lecta Hassiaca I, 90—94 (Cassel 1747). Zahlreiche weitere Angaben s.
bei Massmann Kaiserchronik III, 1094 — 97.
3) Die Geburt des Kindes in der Mühle tritt dabei stets besonders
hervor. Im Jaimini- Bhärata verdingt sich wenigstens die Amme zur
Arbeit des Mahlens (s. oben p. 15).
#4) s. Grimm K.M. I, 152 ff. III, 56, Pröhle Märchen für die
Jugend Nr. 8, Asbjörnsen u. Moe Norske Folke Eventyr 3. Ausg.
no. 5 (Deutsche Übers. von Bresemann Berlin 1847 I, 29 „der reiche
Peter Krämer“), Meier Deutsche Volksmärchen aus Schwaben no. u
Alfred Waldau böhmische Märchen p. 587, Grundtwig Gamle danske
minder I, no. 214. 215. (Diese Parallelen wie überhaupt den Hinweis
auf die Sage von Heinrich III. verdanke ich Hın. Ernst Kuhn.)
5) vgl. Benfey Pancatantra L, 395.
vom 14. Januar 1869. 29
gefunden hat, ist: auf die zahlreichen Darstellungen der Art in
den englischen Gesta' Romanorum, in altfranzösischen Fabliaux,
in mittelhochdeutschen Texten'), in italienischen Novellen, in
portugiesischen Erzählungen, sowie in deutschen Sagen etc. hin-
zuweisen, welche auf Veranlassung der Schiller’schen Ballade
in den betreffenden Werken verzeichnet sind?). Es ist resp.
hier auch noch jene eigenthümliche Relation hinzuzufügen, die
sich bei Weinhold Altnordisches Leben p. 95 aus den Forn-
mannasögur 11, 430 mitgetheilt findet?). In fast allen diesen
1) z.B. in dem Gedicht „vom Nutzen der Messe“ von Heinrich
dem Teichner (Handschrift des XIV. Jahrh.), s. Pfeiffer und v. d. Ha-
gen in Germania (Jahrb. der Berl. Ges. für Deutsche Sprache) IX, 206
—12 (1850), wohl aus französischer Quelle („daz er liden solt den mort‘*).
2) s. Valentin Schmidt Taschenbuch Deutscher Romanzen (auch
u. d. Titel: Balladen und Romanzen der Deutschen Dichter Bürger, Stoll-
berg u. Schiller) p. 191—7 (Berlin 1827), Götzinger Deutsche Dichter
erläutert I, 233 ff. (Zürich 1831), Hoffmeister Schiller’s Leben III, 322
(Stuttg. 1839), Stoeber oberrheinisch. Sagenbuch p. 561—4 (Strassburg .
1842), Saupe Göthe’s u. Schiller's Balladen und Romanzen p. 170 ff.
(Leipzig 1853), Viehoff Schiller's Gedichte erläutert etc. III, 121 ff.
(Stuttgart 1856), Kaufmann Quellenangaben zu Simrock’s Rheinsagen
p- 152 (Köln 1862), so wie die Vorrede von E. v. Bülow’s Novellen-
buch (Leipzig 1834), wo sich III, 242 ff. eine ital. Version der Geschichte
aus den Hecatommithi des Cinthio aufgenommen findet.
3) „König Svein Ulfsson von Dänemark (1047—96) hatte vier ver-
schiedene Werkstätten: Eisen-, Silber-, Gold- und Stein-Schmieden,
in denen ausgezeichnete Meister safsen; begabte Lehrlinge gingen stufen-
weise durch alle vier hindurch. So that Hakon Harekson, der unter dem
Namen Vigfüs der nordische Fridolin ist. Er wurde, nachdem er in Dä-
nemark ausgelernt hatte, vom König nach England geschickt. Der Kö-
nig gab ihm unter anderm guten Rath auch den mit, keinem Rothen zu
trauen und keine Messe vor dem Ende zu verlassen.“ (Ein neidischer
College verläumdet ihn wegen Zauberkunst, fällt aber dann in seine eigne
Falle.) — Da die Geschichte hier nach England verlegt wird, liegt die
Annahme nicht fern, dafs sie von da, resp. etwa von den englischen Gesta
Romanorum aus (s. Cap. 98 bei Graesse in seiner Übers. II, 243 Dresden
1842, sowie Swan’s Ausgabe I. p. cıv London 1824 und Douce Illustra-
tions of Shakespeare II, 412 ff, London 1807), ihren Weg in die Forn-
mannasögur gefunden hat.
30 Gesammtsitzung
Erzählungen kehrt der kindlich-naive Zug wieder, dafs es die
Frömmigkeit des dem Tode Geweihten ist, die ihn rettet, in-
dem sie ihn zu einer Zögerung auf dem Wege behufs an-
dächtigen Betens in einer Kirche veranlafst'). Auch im Jai-
mini-Bharata spielt dieser Zug wie wir sahen, eine hervor-
ragende Rolle, und wenn auch darin allerdings die Verzögerung
der Ankunft des Candrahäsa nicht bei seiner zweiten hier zu-
nächst in Betracht kommenden Sendung, vielmehr bei seiner
ersten behufs Abgabe des Urias-Briefes durch diesen Grund
speciell motivirt wird (s. oben p. 18), so wird ein Zusammen-
hang hierbei doch schwerlich in Abrede zu stellen sein.
Es erhebt sich nun die Frage, wo haben wir das Vaterland
der beiden Erzählungen zu suchen, in Indien oder im Abend-
land? Natürlich müssen wir sie in dieser Beziehung getrennt
behandeln, da ihre Vereinigung im Jaimini- Bhäarata eine ganz
zufällige sein kann. Denn wenn sie auch etwa möglicher Weise
ganz ursprünglich auf ein und dasselbe Saamenkorn als ge-
meinschaftliche Quelle zurückzuführen sein sollten, so sind sie
eben doch in ihrer vorliegenden Form entschieden zwei ganz
selbständige Gewächse, die je ihre eigene Geschichte haben,
und die Frage nach jenem etwaigen gemeinsamen Ursprunge
ist eine sozusagen sie noch nicht selbst betrefiende.. Man
könnte nämlich wohl vermuthen, dafs beide Erzählungen nur
verschiedene Variationen jener einen Grundidee sind, die uns
schon aus alter Zeit in dem Urias-Briefe König Davids
und in dem entsprechenden Schreiben, das Bellerophon dem
lykischen König Jobates zu überbringen hatte, bekannt ist. Am
besten wäre es wohl an Letzteres zu denken. Während näm-
lich Urias bekanntlich wirklich das Leben verliert, kommt
Bellerophon nicht nur mit dem Leben davon, sondern erhält
auch, nach glücklich bestandenen Gefahren, des Jobates Tochter
zur Gemahlinn, und damit liesse sich denn die erste unsrer
Erzählungen ungezwungen vereinigen. Schwieriger freilich die
1) Dieser an den „Vitulus Flüggianus“ neuster Zeit erinnernde Zug
war es gerade, der die Geschichte den Clerikern des Mittelalters, die ja
hauptsächlich die Vermittler derartiger. Erzählungen waren, so werth
machte und die weite Popularität derselben bewirkt hat,
vom 14. Januar 1869. 51
zweite, bei welcher zudem jedenfalls die Bestrafung des Schul-
digen als ein wesentlich neues Moment hinzutritt, und nur
das Motiv der durch unbefangene Unschuld verdachtlos über-
nommenen eigenen Todesbotschaft noch auf den Bellerophon-.
Brief zurückzuführen sein würde.
Wie dem also auch sein mag, die Fassung auch der ersten
Erzählung in ihren beiden Formen, der indischen wie der
deutschen, zeigt in dem Umstande, dafs durch Änderung des
Briefes dessen Sinn in sein Gegentheil verkehrt, und dem Über-
bringer statt des Todes direkt die Tochter des Ab-
senders zu Theil wird, beide Male eine so specielle Färbung,
dafs, mag sie auch ursprünglich etwa, was ja in beiden
Fällen ganz denkbar wäre, mit der Bellerophon-Sage zusammen-
hängen, dennoch nicht anzunehmen ist, dafs diese Entwick-
lung. derselben an beiden Orten, in Indien, wie im Abendland,
selbständig vor sich gegangen sei. Es mufs hierbei viel-
mehr, aller sonstigen Analogie nach, eine Wandernng resp.
Entlehnung von dem einen oder dem andern Punkte aus an-
genommen werden; und es gilt nun ein Abwägen der beider-
seitigen Ansprüche auf Originalität.
In Europa ist die Sage verhältnifsmäfsig früh bezeugt,
jedoch freilich erst aus einer Zeit, wo u. A. der Einflufs der
Kreuzzüge schon manches orientalische Gut nach dem Abend-
lande gebracht hatte. Auffällig bleibt jedenfalls, dafs darin der
tapfere Kaiser Heinrich III schon wenig mehr als 100 Jahre nach
seinem Tode als Gegenstand der Sage erscheint, und dafs die-
selbe ihn nur als Tochtermann Kaiser Konrads feiert, während
die Geschichte ihn doch als dessen leiblichen Sohn kennt'),
Die um 1137 verfalste, dann bis 1146 fortgesetzte sogenannte
Kaiserchronik in deutschen Reimzeilen, die an Sagen sonst
so reich ist, weils von dieser Geschichte noch nichts (s. Mass-
mann’s Ausgabe). Daraus möchte man fast schliefsen, sie sei
eben erst zwischen 1137 und 1180 bis 1190, dem Todesjahr
Gottfried’s von Viterbo, in Umlauf gekommen. Und zwar ver-
muthet mein geehrter Freund R. Köpke, dessen freundlichen
!) so z. B. auch Vincentius Bellovacensis (f 1264) im speculum
historiale lib. XXV p. 1008 (Duaeci 1624).
32 Gesammtsitzung
Rath ich in Anspruch nahm, darin geradezu einen Einflufs' des
zweiten Kreuzzuges (1147-1149). Dafs Gottfriedvon Viterbo
seinen vielfachen diplomatischen Reisen!) in Spanien, Südfrank-
reich, Sieilien, Italien den legendarischen Stoff für seine Welt-
chronik verdanke, ist wohl ohne Weiteres anzunehmen, so wie
nicht minder, dafs darunter auch orientalische Stoffe gewesen
sein mögen, und hat hierauf gerade neuerdings R. Ulmann in
seiner Promotionsschrift über G. v. V. (Göttingen 1863) speciell
hingewiesen, s. Wattenbach 1. c. p. 428°). — Von Bedeutung
ist hierbei wohl auch noch der Umstand, dafs die in den Gesta
Romanorum enthaltene Relation der Sage zwar im lateinischen
Texte derselben (Cap. 20, ed. Keller p. 42, bei Graesse I, 44)
auch von Kaiser Konrad, dagegen im mittelhochdeutschen
Texte (Cap. 16, ed. Keller p. 59, Graesse II, 198) von einem
König Hanibal oder Hanibubal erzählt wird, eine Spur, die
denn doch direkt nach dem Orient zu leiten scheint.
Nach Graesse (Gestall, 358) soll übrigens „dieselbe
Geschichte“ sich nach Wharton hist. of engl. poetry I p. cL?)
1) Er war, s. Wattenbach 1. c. p. 426, Kaplan und Notar der Kai-
ser Friedrich I. u. Heinrich VI. Von Geburt wahrscheinlich ein Sachse,
in Bamberg gebildet, war er zuletzt Canonicus in Pisa, lebte resp. in
seinem Alter in Viterbo, wo er anch, vermuthlich 1190, starb. — Sollte
etwa das Kloster Hirschau, das er am Ende der Sage als durch deren
Helden gestiftet erwähnt, mit der Entstehung derselben in Bezug zu brin-
gen sein? auch da wäre ja ein gelehrter, vom Orient aus vermittelter
Einflufs leicht denkbar. Gegen eine solche Vermuthung spricht indefs,
dafs der gelehrte Tritheim (f 1516) Abt von Hirschau in seinem Chronie.
Hirsaugiense I, 175 — 178 (St. Gallen 1690) sehr energisch gegen die
ganze Erzählung als „huic nostrae compilationi de fundatione Hirsaugiensis
monasterii (die er eben viel älter ansetzt) adversa“ polemisirt. Pistorius am
a. O. bezeichnet sie ebenfalls als fabula, Becherer führt sie auf die „wel-
schen Historici oder Fabulisten“ zurück, Gerstenberger dagegen auf
„Meister Diderich “, die „Cronikavon Swoben“ und die „Croniken Hermann“,
2) „vgl. die Schrift von Ulmann, der auch den Einflufs der im 12.
Jahrh. bekannt werdenden arabischen Erzählungen hervorhebt und bei
Gotfried vermuthet.* (Die Ulmannsche Schrift selbst war mir nicht zu-
gänglich.)
3) vol. HI p. xvır in der zweiten Ausgabe (London 1775, 3 voll).
vor Fansar> 1869. 33
auch „als das Leben des H. Pabstes Pelagius') erzählt
‘finden in Caxton’s Golden Legend f. CCCLXXXXvI, Ss. a. Ja-
cob de Voragine Legenda Aurea f. cccxv.“ Dies letztere
Werk, dessen Abfassung wie die der Gesta Rom. dem dreizehn-
ten Jahrhundert angehört (Jacobus T 1298), verdankt den
Gesta Lombardorum des Paulus Diaconus (+ ce. 797) einen
Theil seines Inhaltes, s. Dunlop in Liebrechts Übers. 'p. 305;
und gerade in dem Cap. 181 „de S. Pelagio papa“ wird in der
That auch (s. Liebrecht p.503) gleich im Eingange auf die-
selben als Quelle hingewiesen). Wir würden somit hierdurch
in eine weit frühere Zeit für unsere Erzählung zurück-
geführt werden. Die Sache steht indefs denn doch wesentlich
anders, als Graesse angiebt. Nur der $ 1 jenes Cap. nämlich
handelt wirklich vom Pabst Pelagius und seiner Zeit, beruht
resp. in letzterer Beziehung eben u. A. auch auf den Angaben
Paul Warnefrieds.. Dagegen die folgenden $$ beziehen sich
auf spätere Zeiten, $ 3. auf Pipin, Desiderius ete., $ 4. auf
Carolus Magnus und seine Nachfolger, und in diesem $ 4 wird
denn auch unsere Geschichte hier (p. 840. 841 bei Graesse)
ganz in der Weise des Gottfried von Viterbo für das Jahr
MXXV, resp. eben auch von Kaiser Heinrich III, nicht von
Pabst Pelagius, erzählt. Es hat im Übrigen auch Paul Warne-
fried im entsprechenden Abschnitt seines Werkes (I, 25-II, 3
ed. Lugd. Bat. 1595, Übers. von Otto Abel Berlin 1849) nichts
der Art, erwähnt resp. den Pabst Pelagius überhaupt gar nicht.
Bei näherem Hinblick reducirt sich denn auch die Angabe
Graesse’s einfach nur auf ein Milsverständnifs seiner Quelle.
Es heifst nämlich bei Wharton am a. O. ganz simpel: this
story is told by Caxton in the Golden Legende, under the
life (also nicht: als das Leben) of Pelagian the pope entitled:
„here followeth the lyf of Saynt Pelagyen the pope with many
other hystoryes and gestys of the Lombardes and of Macho-
mete, with other cronycles“* (offenbar hat sich Caxton hier
ganz genau an Jacobus de Voragine angeschlossen).
1) Pabst Pelagius T 560.
?) „in hystoria Longobardorum, quam Paulus Longobardorum hy-
storiographus compilavit“, Leg. Aurea ed. Graesse p. 824 Leipzig 1843,
[1869.] 3
34 Gesammtsitzung
Auch die zweite Erzählung ist in oceidentalischen Quellen
ziemlich früh, wenn auch erst vom dreizehnten Jahrhundert
abwärts, bezeugt. Die eigenthümlich asketische Wendung,
welche sie am Schlusse der altfranzösischen Redaktion ') nimmt,
dafs nämlich nicht nur der Edelknabe selbst, durch die sicht-
baren Zeichen der Gnade gerührt, der Welt entsagt und Ein-
siedler wird, sondern ihm auch sein Freund der Königssohn und
zuletzt der König selbst darin nachfolgt, ist zwar allerdings
auch „jener Zeit gemäfs“ (Valentin Schmidt am a. O. p. 192),
trägt indessen in dieser ihrer Übertreibung denn doch einen
Zug, der lebhaft an Indien erinnert. Auch die sonderbare
Prüfung des Athems des Königs?) durch „eing puceles, gen-
tilz femmes, joenes et beles“, mit denen er „volt dognoier, por
s’alaine fere essoier* °), weist auf die Haremsgewohnheiten
des Orients, wie ja denn auch die Erzählung selbst dem ent-
sprechend in der That nach „Egypte“ *) verlegt ist. Dafs resp.
der unschuldige Knabe der Sohn eines Seneschalls des Königs,
der ihm Nachstellende der Hofmeister des königlichen Prinzen
ist, stimmt treflich zu der im Jaimini- Bhärata vorliegenden
Stellung des Candrahäsa zu dem Kulinda-Fürsten als Vasallen
und zu Dhrishtabuddhi als Minister des Kuntala-Königs°).
Fragen wir nunmehr nach dem Alter dieser indischen
Quelle, des Jaimini- Bhärata, so haben wir zunächst darauf,
wie ja leider bei der indischen Literatur gewöhnlich, keine feste
Antwort. Nach den Angaben Wilson’s (Mackenzie Coll. II, 2)
stammt jene alte kanaresische Übersetzung, von der wir
schon oben (p. 13), als jüngst in Indien selbst zum Abdruck
gelangt, gesprochen haben, bereits aus dem Beginn des drei-
1) im Auszug bei Le Grand fabliaux ou contes du XII. et XIII.
siecle V, 74 (Paris 1781); vollständig bei Me&on nouv. recueil des fa-
bliaux II, 331 (Paris 1823) und danach bei C. v. Orell altfranzös. Gram-
matik p. 361 (Zürich 1830).
2) Die vom üblen Athem desselben entnommene falsche ung
findet sich auch im Dyalogus creatur. Cap. 120 wieder.
3) Meon p. 337. *) Meon p. 334.
5) Die Stellung des Letztern selbst freilich differirt, da er an dem
Gange der Erzählung wesentlich unbetheiligt bleibt.
vom 14. Januar 1869. 35
zehnten Jahrhunderts!). Die Richtigkeit dieser Angabe,
die ich nicht zu kontrolliren im Stande bin, vorausgesetzt,
würde das Original selbst somit natürlich als aus noch älterer
Zeit stammend anzusehen sein, obschon ungewils bleibt, um
‚wie viel älter es anzusetzen wäre. Als eine etwaige Gesammt-
recension des Mahd-Bhar. (was ja freilich aber eben auch noch
zweifelhaft ist) würde das Werk ja ohnehin in der That wohl
entschiedene Ansprüche auf Alterthümlichkeit machen können.
Desgleichen spricht wohl auch der Umstand, dafs der Text
des Werkes in zwei wo nicht mehr Recensionen vorliegt, in
dieser Richtung. Endlich ist auch der ächt ritterliche Sinn,
der durch die Erzählungeu von den Abenteuern des Opfer-
rosses, resp. seiner Begleiter hindurchleuchtet, sowie der Mangel
‚an Anspielungen auf fremde Eroberer”) in gleichem Sinne zu
verwerthen °). Andrerseits indessen ist zu bemerken theils,
dafs das Werk in der sonstigen indischen Literatur bis jetzt
1) Translated by Lakshmiga Kavi, who was patronised by Vira
Veläla Deva who reigned in the beginning of the 13th century at
Dvära Samudra, then the capital of the Kanara country. — Es wäre
dies also wohl Vira Ballala I, der nach Walter Elliot (s. Lassen Ind.
Alt. IV, 133. 973) von 1189—1211 regierte? Es giebt aber aufser die-
sem Vira-Balläla eben noch einen zweiten Fürsten dieses Namens, „den
letzten Vertreter“ der Velläla-Dynastie, welche 1310' durch die Ein-
nahme von Dvärasamudra durch die Moslims ihr Ende fand (Lassen ib.
u. p. 134), der somit erst Anfang des vierzehnten Jahrh. regierte. -
2) Ich finde nur zwei specielle Beziehungen auf die Yavana resp. Mlecha.
Die eine klingt eher anerkennend, somit alterthümlich, bezeichnet dieselben
jedenfalls nicht als Eroberer des Landes, sondern tadelt nur ihre Nicht-
achtung des Veda; in 27, 30 nämlich heifst es, dafs „die gruti zwar
von den halbgeschornen Yavana, welche unter den Mlecha eine
ehrenwerthe Stellung einnehmen, getadelt werde“ (Mlechapüjyair ar-
dhamundair Yavanair düshyate grutih), deshalb aber doch nicht auch
von den Brähmana im Stich zu lassen sei. — An der andern Stelle (17,
129. 131. 132) erscheinen Yavandk als eine Art Leibgarde des Oampako-
Königs Hansadhvaja, nach Art der Yavani in den Dramen des Kdhdäsa.
A. liest resp. das eine Mal hierbei: Javandh.
3) Charakteristisch für die Abfassungszeit ist u. A. wohl auch die
Aufführung der beiden Juristen (ankha und Likhita als purohita eines
Campaka-Königs 17, 147 ff.; so wie etwa die Verwendung des Wortes
a“
36 Gesammtsitzung
nicht weiter ‘als erwähnt nachzuweisen ist!), theils dafs es,
nach dem bereits im Eingang Bemerkten, eine ganz specifisch
Krishnao-itische Färbung trägt, resp. speciell gerade auch jene
verhältnifsmäfsig moderne Gestalt Krishna’s, in welcher er
als dem Liebesspiel mit den Hirtinnen etc. ergeben erscheint, zum
Gegenstande hat. Die Erwähnung des (Harivanga und des) grimad-
Bhägavatam an der oben p. 25 angeführten Stelle (98, 96)
würde die Abfassung des Werkes sogar sehr erheblich herab-
drücker, da dieses Purdna ja gegenwärtig, in seiner vorliegenden
Form wenigstens, als erst gegen Ende des dreizehnten Jahrh.
von Vopadeva ‚abgefalst gilt: da indessen der betreffende Vers
vermuthlich nur eine sekundäre Zuthat ist, so beweist er somit
überhaupt nichts für die Abfassungszeit des Werkes’). Im
mäsopaväsini in gutem Sinne (Il, 32. 22, 42). — Das Werk selbst
prätendirt übrigens für seinen angeblichen Vf. Jaimini ein gar hohes Al-
ter, Gleichzeitigkeit nämlich mit Janamejaya.
1) Sollte es etwa im Dekhan (wo ja z. B. die Geschichte des
Candrahäsa offenbar auch spielt, s. oben p. 17 n.) entstanden sein und
jene Existenz einer alten kanaresischen Übersetzung hiermit in Bezug stehen ?
2) Von Bedeutung hierfür wäre ferner auch die Angabe Wheeler's
p. 405. 422, dafs darin für Manipura, die Stadt des Babhruvähana,
„fireworks and especially fire-weapons placed in waggons, which were
bound together by chains“ erwähnt seien, was er auf den Gebrauch von
„artillery“ bezieht. Aber der Text (22, 95) des betreffenden Abschnit-
tes hat hiervon nicht eine Silbe, ebensowenig wie von den Chandels
(p. 404. 425), wie denn überhaupt die ganze Darstellung desselben bei
Wheeler, resp. also in dessen Quelle, voll der willkürlichsten Zusätze ist,
für die der Text gar keinen Anhalt bietet. — Seine kuriose Berechnung,
dafs die betreffende Legende „appears to have originated at a period not
later than the eleventh century“ (p. 422) beruht darauf, dafs dieselbe
im Vishnu-Pur. (Wilson p. 460) erwähnt werde, welches im 10Oten, 11ten
Jahrh. abgefafst sei (p. 149. 425). Da indessen das M. Bhär. selbst die-
‚selbe kennt (I, 7821 fi. XIV, 2302 ff.), so ist das Zeugnifs des Vishnu-
Pur. ganz überflüssig. Es handelt sich übrigens dabei keineswegs etwa
um das heutige ganz moderne Munnipur im oberen Birma, auf welches
Wheeler wiederholt mit einiger Emphase hinweist (p. 149. 425), son-
dern um ein in Kalinga gelegenes altes Manipura, von welchem jenes
vielleicht den Namen, und möglicher Weise damit zugleich auch alte
Legenden, die sich an dessen Geschichte knüpften, erhalten hat.
vom 14. Januar 1869. 37
Übrigen ist neben der eigenthümlichen theils grotesk-erhabenen,
theils sozusagen seelenbräutigamlichen Stellung Krishna’s‘) in
sonderbarem Gemisch (vgl. Wheeler p. 392. 393) doch auch noch
seine ältere Stellung .als rüstiger Krieger und Freund der
Pändava genugsam betont”), um denn doch zu zeigen, dafs jene
noch nicht ganz ausschliefslich zur Herrschaft gelangt war,
wir somit noch nicht ganz an den Pforten des modernen
Krishna-Dienstes angelangt sind. Auch die sehr häufige Er-
wähnung seiner Mutter Devaki ist wohl ebenfalls noch als auf
‚ eine ältere Phase desselben hinweisend anzusehen.
Wenn somit ein eigentliches Datum für die Abfassung des
Werkes nicht recht zu gewinnen ist, so komplicirt sich die
_ Entscheidung der vorliegenden Frage zunächst anscheinend
ferner noch dadurch, dafs dasselbe in der That allerlei Mo-
. mente enthält, welche ganz speciell auf occidentalische Ein-
flüsse hinweisen und somit auch eine Entlehnung der in Rede
stehenden Stoffe als im Bereich der Möglichkeit liegend hinzu-
stellen scheinen.
Einmal nämlich sind gerade auch unter den über Krishna
berichteten Zügen mehrere, welche eine auffällige Ähnlichkeit
zu christlichen Legendenstoffen zeigen, so°) die Angaben von
seiner Wiederbelebung des todten Sohnes der Duhrala *) 61, 17.,
!) vgl. z.B. 11, 4 tväm eva khalu jänanti, svapatim na tathä hridi
(Wheeler p. 387), und s. auch 44, 47, wo ein junges Weib liebkosend
zu ihrem Gatten, der soeben Ärishna’s Anblick ihren Reizen noch vor-
zuziehen erklärt hat, erwiedert: sa-Krishnä 'smi dhruvam nätha, ratikale
hi pagyasi mallocanastham Krishnam, te moksham manye samägatam |
?) es hängt dies freilich mit dem Gegenstand der Darstellung selbst
direkt zusammen, war durch ihn bedingt. Krishna erscheint resp. hier
durchweg als bereits im vorgerückten Alter befindlich (vgl. 11, 132:
shodara strisahasrani yena bhuktani bhütale 1 yüna purd, 'dya vrid-
dhena bahuputrena kim phalam 11).
3) Das M. Bhär. hat von alledem nichts. Es erwähnt zwar die
Episode mit der Duhralä (14, 2281) hat aber nichts von der Wieder-
belebung ihres Sohnes.
%) uttishtha bho vatsa bhayam mä krithä mama samnidhau |
ty uktva pänind balam pasparga Madhusüdanah N ı7 Il
utthitas tatkshanad eva pranandma harim mud&.
38 Gesammtsitzung
— von seiner Speisuug ganzer muni-Schaaren durch ein einziges
im Winkel des Topfes zurückgebliebenes Gemüseblatt ') 2, 66. 67,
— von dem blutflüssigen Weibe, welches, Heilung suchend,
seinen Füfsen naht?) 11, 86-90, — von seinem Liebesverhält-
nifs zur buckligen Kubja 11, 136. 14, 27°)., womit offenbar die
Bhägavata-Legende von seiner vorhergehenden Heilung der-
selben und von seiner Salbung durch sie mit Saffran und
Sandel-Öl*) (Wheeler p. 470. 471.475) gemeint ist, — von
der Berührung seines Fufses als den Tod verscheuchend’°)
49, 45., — von seinem sofortigen zu Hülfe Kommen, sobald
man nur irgend seiner flehend gedenkt®) 2,65. 66. 19, 35., —
von dem Wunsche eines Frommen, nicht eher zu sterben bis er
ihn gesehen habe?) 49, 8. 9., — von der sündetilgenden Kraft
des Anblickes von Krishna’s Antlitz oder des Gedenkens an
ihn oder blos des Nennens seines Namens, s. z. B. 2,33.
3,39. 6,46. 12,6. 8. 15, 94.100. 18,3. 40,38-43. 46, 60.
Sodann aber sind unter den Abenteuern, welche das Opferrofs
und seine Begleiter bestehen, resp. unter den Geschichten, die
(wie die des Candrahdäsa) bei Gelegenheit derselben erzählt
1) sthälyäh kone 'varıshtam tu gäkapattram narädhipa 11 66 N
bhuktva muniganäh sarve nitäs triptim kripalund \
2) Die ganze Erzählung von dem Zuge Krishna’s von Dvärakä nach
Haästinäpura (Wheeler p. 386 ff.) könnte wohl etwa als ein groteskes
Schattenspiel von Christi Einzug in Jerusalem anzusehen sein.
3) Auch die spitzige Frage der Satyabhamä (62, 33) kacit präpta
tvayd no va näri kubja 'tha vämand? spielt wohl hierauf an.
*) s. meine Abh. über das Geburtsfest des Krishna p. 315n.1. 339, 10
(das an letzterer Stelle Gesagte ist nach Obigem zu berichtigen). Bemerkens-
werth ist übrigens, dafs auch unter Buddha’s Anhängern ein buckliges
Blumenmädchen Namens Khujjuttard eine erhebliche Rolle spielt, s. die
Angaben im Comm. zum Dhammapada bei Fausböll p. 213. 168 ff. 177.
5) Krishnänghrispargato. nünam mrityur me 'dya paläyitah I
6) tadä me manasä dhydto dayäsindhur janärdanah II 65 II
priydm ankagatdm tyaktv& väyuvegah samägatah |
T) Gleiches gilt übrigens auch von Rama, s. meine Abh. über die
Rama Tap. Up. p. 276, wo ich ferner auch an buddhistische Legenden
der Art erinnert habe.
vom 14. Januar 1869. 39
werden, einige an sonstige occidentalische Stoffe aus dem klassi-
schen, biblischen Alterthum etc. erinnernd, so z. B. die Angabe,
dafs Hari durch Berührung mit dem Fufs einen Stein in ein
Weib verwandelt habe 16,6, resp. in umgekehrter Richtung
die Erlösung der zur Strafe für ihre Widerspänstigkeit in Stein
verwandelten Gattin des Uddälaka') 16, 89, — sodann die Ge-
sehichte von dem in einen grofsen, mit kochendem Öl gefüllten
Kessel (katdha) geworfenen Königssohn, der darin unverletzt
blieb ?), weil er Krishna lobpries und um Hülfe anrief 17, 175 ff.
— der Fluch der bei einem Waldteiche überraschten Umad, dafs
Jeder, der fortab demselben nahe, zum Weib werde?) 21,58, —
die Angaben über die eigenthümlichen Sitten im „Reiche der
Frauen“ *) 21,83 ff., — die an Hiob’s Heimsuchung erinnern-
den schweren Prüfungen des frommen Harigcandra’) 17, 155-6,
1) Es ist freilich sehr fraglich, ob man in diesen beiden Relationen
noch einen schwachen Reflex der alten Pygmalion-Sage (Ovid Met. X,
243 ff.) erkennen darf! Eine ziemlich reine Form derselben liegt uns
wohl in der Vasavadatts vor, s. Ind. Stud. 3, 345. Für das Weib des
Uddälaka liefse sich übrigens auch an Loth’s Weib denken.
2) nach Art der drei Männer im feurigen Ofen und des heil. Lau-
rentius auf dem Roste. Die Iuder haben übrigens aus dem Schmoren
in Töpfen, resp. in mit siedendem Öl gefüllten dgl., eine besondere Hölle
gemacht, und zwar finden sich die betreffenden Angaben bereits in Manu,
Yajnavalkya, Mahä-Bhär., Pancatantra vor, s. Böhtlingk-Roth unter kum-
bhipäka und taptakumbha. Bei den Buddhisten ist vipäaka, paccana „ge-
schmort werden“ geradezu terminus technicus zur Bezeichnung der Höl-
lenqualen, vgl. z. B. Fausböll schol. zum Dhammapadam 150, 8. 301, 4.
394, 24 und s. Köppen die Religion des Buddha I, 240. 241.
3) zu dieser Verwandlung s. Lane 1001 nights III, 163—4 (Lon-
don 1840). |
4) Wheeler (p. 400) übersetzt geradezu: „country of the Amazons“,
bezieht die Angaben seinerseits übrigens (p. 419. 420) auf die Nayrs in
Malabar. Nach Lassen (Ind. Alt. I, 851) ist das strirdjya vielmehr in
Tibet zu suchen; zu den angegebenen Beweisstellen dafür ist auch noch
Varähamih. Brih. Samk. 14, 22 hinzufügen.
5) Kaupikäya dadau räjyam Harigcandro mahämatıh I
kritau bharydsutau tena svasatyam pratipälitam U 155 II
hantum priyam sthito raj& ramye Bhägirathitate I
Varänasyädm putragäträn mritäd vastram jahära sah I 156 II
40 @esammtsitzung
— das „Gelübde von der Schwertklinge“ asipattravratam 1,45, 53.
13,145. 29,48. 37,34 d.i. nach Wheeler p. 383. 390 „slee-
ping every night for an entire year at the side of his wife
with a naked sword between them !).“ |
"Wenn hienach die Anwesenheit oceidentalischer Stoffe im
Jaimini-Bhärata in der That wohl als verbürgt erscheint, so
ist denn doch die Frage, um die es sich hier speciell handelt,
ob nämlich auch die in Rede stehenden beiden Erzählungen
vgl. Rückert in der Z. d. Deutschen Morg. Ges. XIII, 103 aus Mär-
kand-Pur. 7.8.
!) Die Erklärung, welche eine Randglosse zu 1, 45 giebt:
darcanam sparfanam kridä gringäro guhyabhäshanam |
mrishtännam priyam ekatra gayanam bhäryayäa saha |
nirvikäram manah kuryäd, asipatravratam tv idam |
hat von dem nackten Schwert nichts, betont vielmehr nur in mucker-
artiger Weise, dafs der Geist des Betreffenden trotz alles Sinnenreizes
sich unbewegt halten solle. Aber der Name der Pönitenz spricht aller-
dings für die von Wheeler gegebene Auslegung. — Die heikele Situation
selbst ist übrigens, jedoch eben mit Ausnahme der Verwendung des „naked
sword“, resp. des Namens asipatrarrata, bereits aus dem Rofsopfer-Ritual
des Yajurveda bekannt. — Über das occidentalische Vorkommen des
blanken Schwertes in dieser Verwendung als ein Symbol der casti-
tas und abstinentia s. die eddischen etc. Stellen bei J. Grimm Deutsche
Rechtsalterthümer (Göttingen 1854) p. 168—170. Daselbst ist auch eine
Stelle aus 1001 Nacht dafür angeführt, nämlich aus der Erzählung von
Aladdin’s Wunderlampe bei Galland (6, 23. Paris 1806.; so auch in der
deutschen Übersetzung von Habicht 7, 176 [Säbel zwischen sich Beide,
zum Zeichen, dafs er damit bestraft zu werden verdiene, wofern er
sich gegen ihre Ehre vergehen sollte] Breslau 1840, und bei Weil
8, 179 ff. Pforzheim 1842), und eine zweite Stelle der Art findet sich
noch ebendaselbst in der Geschichte von Saif el Molük bei Lane III,
346. 382 (Aladdin’s Wunderlampe fehlt bei Lane, dessen Übersetzung ja
überhaupt eine ganz eklektische ist, resp. nur etwa 500 Nächte umfafst).
Hierauf allein indefs ist ein orientalischer Ursprung der Sitte schwerlich
zu basiren. Nach Lane’s Ansicht, s. die preface zu seiner Übersetzung
p. xıım und seine weitere Bemerkungen I, 307. 308. 423. II, 548. III,
740, ist ja nämlich die vorliegende Form der 1001 Nacht erst aus
dem Anfang des 16ten Jahrh. (soon after the conquest of Egypt by the
Osmanli Turks, 1517) stammend!
vom 14. Januar 1869. 41
oceidentalischen Ursprunges seien, damit noch keineswegs er-
ledigt. In so weit zwar, als dieselben etwa ursprünglich auf
den Urias- resp. den Bellerophon-Brief zurückgehen, würden
allerdings auch sie mit den soeben angeführten Einzelheiten
gleichmäfsig rangiren. Anders stellt sich aber die Frage, wenn
wir ihre vorliegende Form ins Auge fassen. Für alle die
obigen Stoffe nämlich läfst sich ja ihre Aneignung resp. Ein-
wanderung nach Indien als bereits in ziemlich früher, wenig-
stens weit über Gottfried v. Viterbo und die Gesta Romanorum
hinausgehender Zeit erfolgt ansetzen. Was resp. zunächst die
christlichen Stoffe betrifft, so ist ja auf Grund der neuerdings
bei Gelegenheit meiner Untersuchung über Krishna’s Geburtsfest
gefundenen Resultate die Möglichkeit einer bereits in die er-
sten Jahrhunderte u. Z. reichenden Aneignung nicht in Ab-
rede zu stellen. In Bezug auf die nicht-christlichen Stoffe aber
ist ja noch ein weit früherer Terminus a quo anzusetzen, da
wir z.B. aus den Untersuchungen über den Zusammenhang
indischer Fabelu mit griechischen!) wissen, dafs, hauptsächlich
wohl durch die in Folge von Alexanders des Grossen Zug er-
öffneten lebhaften Beziehungen Indiens zum Abendland, aller-
hand äsopische Stoffe vielfach ihren Weg nach Indien, beson-
ders in buddhistische Kreise, gefunden haben, von wo sie dann
umgekehrt, in neue Form gegossen, in späterer Zeit wieder
nach dem Occident zurück gewandert sind. Und hiermit ist
uns denn wohl auch der Weg zur Entscheidung der in Rede
stehenden Frage direkt gewiesen. Ganz in gleicher Weise
nämlich, wie bei den Fabeln, läflst sich auch für unsern Fall
hier die Möglichkeit wohl denken, dafs sei es der Uriasbrief,
sei es die noch besser passende Sage von dem Bellerophon-
Briefe schon in alter Zeit ihren Weg nach Indien fand, hier
in die vorliegende Form, zunächst der ersten unsrer beiden
obigen Erzählungen, umgemodelt ward und dann zurück wanderte.
Denn wenn auch der Umstand, dafs sich im Jaimini-Bhärata
auch sonstige occidentalische Stoffe verwerthet finden, auch für
sie a priori wohl die Vermuthung eines gleichen Ursprungs an
1) s. Ind. Stud. 8, 327 £.
42 Gesammtsitzung
die Hand geben könn te, so stellt sich dem doch theils die Un-
gewifsheit darüber entgegen, ob jene älteste oceidentalische
Quelle, in der uns dieselbe entgegentritt, Gottfried von Viterbo
also, wirklich älter ist als das Jaimini-Bharata, was im Hin-
blick auf das Bisherige, insbesondere auf die Angaben über das
Alter der kanaresischen Übersetzung dieses Werkes denn doch
zum Mindesten als äufserst fraglich erscheint, theils aber, und
nicht minder, auch der Umstand, dafs ja auch umgekehrt (s. oben
p- 32) jene älteste occidentalische Quelle ihrerseits wieder in
ganz analoger Weise mit orientalischen Stoffen in Bezug
zu stehen scheint, wie wir dies nur irgend für das Jaimini-
Bhärata in Bezug auf oceidentalische Stoffe anzunehmen im
Stande sind.
Wenn sich nun nach dem Bisherigen allein eine feste Ent-
scheidung in dieser Beziehung noch nicht recht gewinnen läfst,
so ist doch nunmehr noch eines andern Umstandes zu gedenken,
der in der That wohl allen Zweifel benimmt. Es giebt näm-
lich in Indien noch einen zweiten Bericht von der unter-
wegs ohne Wissen des Trägers erfolgten Änderung eines
Uriasbriefes'), mit welchem sich Gottfried von Viterbo an
Alter in keiner Weise messen kann. Und zwar ist es, wie
bei den aesopischen Fabeln, auch hier eine buddhistische
Legende, welche hierfür eintritt”). James d’Alwis nämlich,
der gelehrte Singhalese, führt (s. Zeitsch. der D. M. Ges. 19, 663)
in seiner Introduction to Kaccayana’s grammar (Colombo 1863)
p. 101 aus der Atthakathä, d. i. doch wohl aus dem zu Anfang
des fünften Jahrh. verfafsten Commentar Buddhaghosa’s, zum
8) Der Uriasbrief allein findet sich auch im Kathäsaritsägara
5,65 ff.; daselbst ist es aber die Klugheit des Überbringers, welche die
Ausführung des Befehls vereitelt, indem er dem Empfänger desselben
Angst macht wegen der Folgen, die sein Tod haben würde.
9) Eine unterwegs durch ein Weib, aber in böser Absicht vorge-
nommene Briefverwechselung findet sich auch bei den Tataren (Kat-
schinzen und Kirgisen), s. W. Radloff Proben der Volksliteratur der
türkischen Stämme Südsibiriens 2, 563 ff. (Petersb. 1868) und Schiefner
im Vorwort p.X. Hier könnte allenfalls auch buddhistischer Einflufs
mitwirkend gewesen sein.
vom 14. Januar 1869. 45
Dhammapadam') eine Legende von einem Kaufmann aus Kau-
gdmbi an, welcher, unter verschiedenen Versuchen, seinen natür-
_ lichen Sohn @hosika, auf den er einen Hals geworfen, aus dem
Wege zu räumen, auch zu dem Mittel schreitet, ihn an seinen
Aufseher über 100 grama mit einem Briefe zu senden des In-
halts, dafs derselbe ihn tödten und in eine Grube werfen solle.
Der junge Mensch übernachtet unterwegs und die Tochter seiner
Wirthsleute zerstört den Brief, den sie aus Neugier geöffnet
hat, und schreibt einen andern, über dessen Inhalt leider nichts
angegeben wird’). Wenn nun auch aus der Dürftigkeit dieser
Notiz nicht erhellt, ob die Änderung des Briefes etwa gar auch
bereits in der Weise stattfindet, dafs der unschuldige Träger
seiner eignen Todesbotschaft statt des Todes ein Mädchen zur
Frau gewinnt, wenn ferner auch die Verhältnisse im Übrigen
erheblich differiren, so ist es doch wenigstens theils auch
‘ 2) in Fausböll’s Auszügen daraus in seiner Ausgabe des Dhamma-
padam findet sich nichts Entsprechendes vor.
2) Die Stelle lautet in wörtlicher Übersetzung bei d’ Alwis, wie folgt:
„Such: being the case, the Setthi could not see him full (in the face).
Pondering how he might cause his death and divising a means, viz. „that
he would kill him by sending him to the superintendent of his Hundred
estates“, he wrote to him a leaf as follows: „Ihis is my unfortunate son.
Kill him and put him into the cess-pool. When that shall have been af-
fected, I shall know how to recompense my Unele“ [a term of respect
even to an underling], and said „Son @hosika, there is a Superintendant
in our Hundred estates; take this letter and give it to him.“ So saying
he tied_the letter to the end of his (son’s) garments. He was illiterate.....
[The story then proceeds to narrate, that Ghosika, on his way to the
Estates, took lodgings at the house of another Setthi; and that his
daughter, who heard that the stranger had something tied to his garments],
thinking what it could be, came down whilst Ghosika was asleep, and
unperceived by her parents, who were elsewhere engaged. Having un-
tied (the knot) and secured the leaf, she entered her own room; where,
after closing the door, and opening the window, she, who was clever in
letters, read the epistle. [That done]she exclaimed „Alas! this blind
idiot goes about with his own death warrant tied to his garments. If
it had not been seen by me, he would (surely) forfeit his life.“ So
saying, she destroyed that letter, and substituted (wrote) another, as if
it had come from the Setthi [lit. in the language of the Setthi].*
44 Gesammtsitzung
hier wie im Jaimini-Bhärata eben ein Mädchen, die den Brief
ändert, theils ist die Form, welche die alte Urias-, resp. Belle-
rophon-Sage hier bereits gewonnen hat, sich so entschieden
als eine Mittelstufe zu der in Rede stehenden indischen wie
occidentalischen Form der Erzählung dokumentirend, dafs eine
Verkennung dieser Stellung in der That nicht gut als möglich
erscheint. u.
Was nun ferner die zweite unsrer beiden obigen Erzäh-
lungen anbelangt, so steht in Bezug auf sie die Frage nach dem
orientalischen oder occidentalischen Ursprung ihrer vorliegenden
Form schon von vorn herein in so fern entschieden zu Gunsten
des ersteren, als ja doch das Jaimini-Bhärata in der That wohl
ziemlich sichere Ansprüche darauf hat in eine ältere Zeit
hinaufzureichen, als die ältesten occidentalischen Quellen, die
wir für dieselbe kennen, die altfranzösischen Fabliaux nämlich
und die Gesta Romanorum. Wenn dies nicht der Fall wäre,
so würde allerdings die im Jaimini- Bhärata hierbei (s. oben
p- 24) sich direkt findende Verwerthung des alten biblischen
Sprüchworts!) „wer Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“,
welche unmittelbar auf occidentalische Beziehungen, nach Art
der früher besprochenen, hinweist, auch für die Erzählung
selbst eine dgl. Herkunft in der That zunächst als wahrschein-
lich erscheinen lassen. Ferner ist allerdings zu bemerken, dafs
bei fast allen occidentalischen Formen der Erzählung denn doch
einige sehr erhebliche Differenzen von der Darstellung des
Jaimini-Bhärata vorliegen. Zunächst nämlich darin, dafs sie
durchweg auf Verläumdung eines Unschuldigen, meist wegen
sträflicher Absichten auf die Gattinn des Auftraggebers, basiren;
1) s. Psalm 7, 16. 9, 16. 35, 8. Sprüche Sal. 26, 27. Pred. Sal.
10, 8. Sir. 27, 28. Auch die Araber kennen dies Sprüchwort und ha-
ben dafür eine Legende, wonach Mohammed’s Onkel Abu.Leheb in einer
demselben direkt entsprechenden Weise anstatt Mohammeds, dem er nach-
stellt, sein Leben verlor, s. Kaufmann am a. OÖ. p. 153. — Curios ist
übrigens, dafs noch ein anderes biblisches Sprüchwort: „was der Mensch
säet, das wird er erndten“ (Gal. 6, 7. Hiob 4, 8. Sprüche 22, 8) sich
im Jaim.-Bhär. verwendet findet; s. 89, 25 yena yad vapitam vijam tat
phalam tena bhujyate. Ein „Gemeinplatz“ freilich!
vom 14. Januar 1869. 45
— sodann darinn, dals sie den Verläumder selbst, nicht
eine dritte, dem Auftraggeber nahe stehende Person um’s Leben
kommen lassen; — endlich darin, dafs der Schuldige fast stets
durch Feuer, sei es das Waldfeuer eines Försters (Fabliau
bei Viehoff p. 122. 123), oder das eines Kalkofens, einer Ziegel-
brennerei, einer Schmiede resp. eines Eisenhammers sein Leben
verliert). In diesen drei Punkten würde somit wohl eine
selbständige Wendung der Erzählung auf oceidentalischem Boden
anzunehmen sein, selbst wenn man dieselbe im Übrigen als
auf der Darstellung des Jaimini-Bharata als ihrer Grundform
beruhend ansetzt. Man hüte sich indefs auch in dieser Beziehung
zu rasch vorzugehen. Es frägt sich ja nämlich zunächst doch
erst noch, ob nicht etwa auch hier, ebenso wie wir dies so-
eben für die erste unsrer beiden Erzählungen gefunden haben,
noch eine andre orientalische: Quelle nachweisbar ist, die resp.
dann ja auch eben an jenen Differenzen ihren direkten Antheil
haben könnte. Und in der That eine solche andere Quelle
liegt 'für.'sie wirklich auch bereits vor. Schon Val. Schmidt
(am a. O. p. 197) nämlich hat mit dem Gange nach dem Eisen-
hammer die Geschichte von Ahmed dem Waisenknaben ver-
glichen?),; die sich im Eingang des arabischen Romans „von
den sieben Vezieren“ findet, welchen F. Scott aus einem ben-
1) s..noch Gödeke in Benfey’s Orient & Occident III, 190. Nur
in dem dyalogus creaturarum Cap. 120 (Ausgabe von 1480), wo die Er-
zählung- übrigens etwas anders gewendet ist (s. Val. Schmidt am a. O.
p- 195), geschieht dies durch Ertränken im Meere, und in den Hecatom-
ınithi des Cinthio (VIII, 6) durch Hineinwerfen in einen Löwenzwinger.
2) Es hatte resp. schon Douce am a. O. vermuthet, „that this story
(die entsprechende Relation nämlich in den Gesta Romanorum) may have
come‘ from the East.“ — Ahmed, ein vom Sultan aufgenommener Waisen-
knabe, wird von dessen Favoritinn, die er mit einem. Sklaven. buhlend
überrascht hat, aus Furcht er werde dies anzeigen, angeklagt, er habe
ihr Gewalt anthun wollen. Der Sultan befiehlt einem Diener, an einem.
bestimmten Orte zu warten, bis Jemand mit den Worten komme: „erfülle
die. Befehle des Sultans“: dem solle er das Haupt abschlagen: und dieses
in einem Korbe dem zweiten Boten übergeben, der ihn nach der Erfül-
lung dieser Befehle fragen werde. Ahmed, vom Sultan mit der ersten
Botschaft abgesandt, trifft unterwegs den Liebhaber der Favoritinn, der
46 Gesammtsitzung
galischen Bruchstück der 1001 Nacht in seinen „Tales, anec-
dotes and letters translated from the Arabic and Persian“
(Shrewsbury 1800 p. 53ff.) übersetzt hat'); s. hierüber noch
Loiseleur Deslongehamps essai sur les fables indiennes (Paris
1838) p. 132ff., Keller li Romans des sept sages (Tübingen
1838) Einl. p. v1. cxxxıff. und seine Einl. zu Hans von
Bühel’s Kaiser Dyocletian (Quedl. 1841) p. 9. 10. 44. 45., Gö-
deke in Benfey’s Orient u. Occ. IH, 191. Dieser arabische
Roman nun, der sich als „une imitation ou comme une redaction
du Livre de Sendabad“*, unsrer „sieben weisen Meister“ resp.,
ergiebt, somit direkt auf Indien als seine Quelle?) zurück weist,
kennt denn zum Wenigsten auch bereits jenes in den occiden-
talischen Formen der Erzählung durchweg wiederkehrende Motiv
der Verläumdung; und wenn ferner auch darin zunächst nicht
der Verläumder selbst an Stelle des zum Tode Gesandten um’s
Leben kommt, sondern eine dem Verläumder nahestehende Per-
son, so ist doch theils auch dies bereits eine Annäherung an
die oceidentalische Form der Geschichte, theils erhält ja faktisch
schliefslich doch auch Jener (dieFavoritinn resp.) seinen Lohn.
Es liegt aber endlich auch noch eine dritte orientalische,
resp. indische Recension vor, in der denn auch der Tod durch
Feuer, der dritte Differenzpunkt also der occidentalischen
Darstellungen von der des Jaimini-Bhärata, bereits mit der Er-
zählung verflochten ist. Auch auf sie ist schon mehrfach hin-
gewiesen worden, so von Fel. Liebrecht in seiner Über-
setzung (Berlin 1851) von Dunlop’s history of fietion p. 486-7 (213),
v. d. Hagen in der Germania 9, 206 (1850), und von Benfey
Pancatantra I, 321. Es ist dies nämlich jene in Somadeva’s Ka-
ihn aufhält, um ihn bei dem Sultan wegen Saumseligkeit in Ungnade zu
bringen, und ihn auffordert, mit ihm und seinen Kameraden zu trinken.
Ahmed lehnt ab, weil er erst einen Auftrag des Sultans zu erfüllen habe.
"Da erbietet sich Jener, denselben auszuführen und findet se seinen Tod
dnrch’s Schwert. (So nach Loiseleur Deslongehamps.)
!) ich habe dies Werk, ebenso wie das von Douce, leider nicht einsehen
können, da sie sich auf der hies. Kön. Bibl. nicht zu befinden scheinen.
2) durch das Medium des Pehlevi, Deri, Neupersischen, s. Morley
bei Lane 1001 nights III, 741, und Gödeke 1. c. III, 385 ft.
vom 14. Januar 1869. 47
thäsaritsägara 20, 194 ff. (auf p. 107 der dem Texte beigefügten
Brockhausschen Übersetzung, Leipzig 1839) sich findende Er-
zählung von der Königinn Kuvalaydvali, welche, wenn auch etwas
anders gewendet‘), doch im Verein mit dem unmittelbar vor-
hergehenden Abschnitt 20, 118ff. (p. 104 der Übersetzung), der
das hier sonst fehlende Motiv der Verläumdung hinzufügt?),
als die Grundlage der von Scott übersetzten Form der Erzählung
erscheint und zwar eben so, dafs hiebei der an die Stelle des
zum Tode Ersehenen Tretende durch Feuer sein Ende findet.
Die wesentlichen Differenzen, die sich nun hierbei zu der
obigen Darstellung des Jaimini-Bhärata ergeben, weisen darauf
hin, dafs der Gegenstand der Erzählung, als deren Kernpunkt
unstreitig die Rettung eines Unschuldigen, unbewufst seine eigne
Todesbotschaft Tragenden ?®), resp. seine Stellvertretung
entweder durch eine dem Absender nahe stehende Person oder
durch den verläumderischen Ankläger selbst sich ergiebt, auch
in Indien ein sehr populärer war, der mannichfache Dar-
1) Die Königinn Kuvalaydvali überredet ihren Gemahl Adityaprabha
behufs eines zur Erlangung hoher Macht erforderlichen Menschenopfers
den an seinem Hofe weilenden Brähmanen Phalabhüti preiszugeben. Er
sendet ihn daher dem vorher darüber instruirten Koch zu, damit der-
selbe ihn tödte und aus seinem Fleisch ein süfses Gericht bereite. Statt
des Phalabhüti fällt aber des königlichen Paares eigner Sohn dem Mes-
ser des Koches zum Opfer, da er den dem Phalabhüti gewordenen Auf-
trag ausrichtet, während dieser auf seine Bitte für ihn eine anderweitige
Besorgung absolvirt. — In der Zusendung an den Koch liegt implicite
der Hinweis darauf, dafs der Knabe im Feuer des Ofens umkommt,
2) Die Königinn Äuvalayavali ist hier nicht selbst handelnd; sie
erzählt nur die betreffende Geschichte, wie nämlich ihre eigne Lehrerin
in der Zauberkunst, die Brähmaninn Äälarätri, dereinst fälschlich einen
Schüler ihres Gemahls, den schönen Sundaraka, der ihre Anträge abge-
wiesen, angeklagt habe, dafs er sie habe entehren wollen. Der Verlauf
dieser Erzählung gehört nicht weiter her. — Nach Benfey Orient & Oe-
eident III, 177 und Goedeke ibid. 390 — 2 wäre für alle die Erzählun-
gen, wo eine buhlerische Stiefmutter ihrem keuschen Stiefsohn nachstellt,
das Vorbild in der buddhistischen Legende von der Tishyarakshitä, der
Gemahlin König Agoka's, und ihrem Stiefsohn Kundla zu suchen.
?) soweit stimmt sie zur ersten unsrer beiden hiesigen Erzählungen,
48 Gesammtsitzung
stellungen gefunden hat. Und zwar aller Vermuthung nach auch
noch andere und ältere, als diejenigen, welche wir nunmehr
bereits nachzuweisen im Stande sind!). Der Kathäsarit-
sägara beruht ja nämlich seinem wesentlichen Inhalte nach auf
der in einem Volksdialekt abgefalsten Vrihatkathä des Gunddhya,
der seinerseits bereits von Dandin, Subandhu und Bäna im
Gten, Tten Jahrhundert erwähnt, resp. verherrlicht wird ?). Zwar
läfst sich nun leider nicht nachweisen, ob ein von Somadeva
behandelter Gegenstand bereits auch von Gunädhya behandelt
war. Indessen im Allgemeinen besteht hierfür denn doch eine
gewisse Praesumtion, und haben wir somit jedenfalls wenig-
stens einigen Grund zu der Vermuthung, dafs irgend welche
Form unsrer Erzählung bereits im '6ten, 7ten Jahrh. in Indien
gäng und gäbe war. Leicht möglich, dafs auch hier ein bud-
dhistischer Stoff vorliegt, und dafs in Kurzem mal aus den
reichen, unerforschten Schätzen legendarischer Art, welche die
buddhistische Literatur bietet, ähnlich wie oben für die Ände-
rung des Urias-Briefes, so auch für „den Gang nach dem Eisen-
hammer“ ein von dem milden Glanze buddhistischer Ethik und
Humanität bestrahltes Original uns kund wird ?).
Um Mifsverständnissen zuvorzukommen, bemerke ich hier noch, dafs
sich meine Bem, oben p. 16 n. nicht etwa gegen die Zusammengehörig-
keit des arab. jullanär flos mali punicae mit dem pers. gulnar richtet, -
sondern sich nur auf das an der betreffenden Stelle vorliegende n. propr.
der „Jullanar of the sea“ bezieht, das ich aus einem nach Hemac. 1355
vorauszusetzenden skr. jalanarı, mermaid, (vgl. jalanara, jalamänusha,
jalapürusha, jalaräkshasi) herleite, und das seine Gleichlautigkeit mit je-
nem Worte wohl eben einfach nur dem Streben der „Volksetymolögie“
nach : Anlehnung an bekannte Wörter verdankt.
1) Hierfür spricht auch wohl, dafs die occidentalischen Formen der
Erzählung zu keiner der drei indischen Formen genau stimmen, dagegen zu
jeder einen besonderen Bezug zeigen. So findet sich die Frömmig-
keit des zum Tode Bestimmten speciell nur im Jaimini-Bhär., seine Ver-
läumdung wegen Buhlschaft nur in den sieben Vezieren, der Tod des
an seine Stelle Tretenden durch Feuer endlich nur im Äathäsaritsägara vor.
2) s. meine Indischen Streifen p. 314. 357. 381.
®) vgl. Benfey’s Vermuthung oben p. 47 n.3.
vom 14. Januar 1869. 49
Hr. Borchardt legte aus einer vom 4ten Januar datirten
und ihm zur Veröffentlichung im Journal für die reine und an-
gewandte Mathematik von Hrn. Lipschitz in Bonn zugesand-
ten Abhandlung Untersuchungen in Betreff der ganzen
homogenen Functionen von r Differentialen folgenden
Auszug vor'):
Eine Function von den n independenten Variabeln x,, &2,_
...%, und deren ersten Differentialen da, , daz,,... da,
welche die independenten Variabeln in beliebiger Weise enthält,
in Bezug auf die Differentiale aber rational, ganz, homogen
und vom pten Grade ist, kann aufgefalst werden als eine al-
gebraische Form des pten Grades von den n Differentialen
dtı, dtz,... dx,, deren Üoefficienten von den Variabeln x,,
%g,...%, abhängen. Eine solche Form /(dx) geht durch die
Einführung eines beliebigen Systems von independenten neuen
Variabeln y,,%Y3, ...Y, in eine Form g(dy) von entsprechen-
den Eigenschaften über. Demgemäfs darf man zwei gegebene
Formen f(dx) und g(dy) als zu derselben Classe oder zu ver-
schiedenen Classen gehörig betrachten, je nachdem die eine in
die andere in der angegebenen Weise transformirt werden kann
oder nicht, und in dem entsprechenden Sinne auch die übrigen
Grundbegriffe ausdehnen, die in der Theorie der Transforma-
tion der homogenen ganzen Functionen ausgebildet sind. Un-
ter den Formen /(dx) nehmen diejenigen Formen eine ausge-
zeichnete Stellung ein, deren Coefficienten von den Variabeln
%4, wo der Zeiger a von 1 bis n läuft, unabhängig oder, kür-
zer, constant sind. Jede Form von dieser besonderen Beschaf-
fenheit hat nämlich die Eigenschaft, durch eine Substitution,
bei welcher die neuen Variabeln lineare Functionen der ur-
sprünglichen Variabeln sind, in eine Form von derselben Be-
schaffenheit verwandelt zu werden, und dadurch kommt die bis-
her entwickelte Theorie der Transformation der homogenen
!) Die von mir in der vorigen Sitzung vorgelegten Untersuchungen
des Hrn. Christoffel und die hier folgenden des Hrn. Lipschitz,
welche sich beide mit derselben Gattung von Problemen, wenn auch in
verschiedenem Grade der Allgemeinheit, beschäftigen, sind gleichzeitig
und unabhängig von einander angestellt worden.
[1869.] 4
se Gesammtsitzung
ganzen Functionen durch lineare Substitutionen unmittelbar zur
Anwendung. Ich habe nun gesucht, die Bedingungen zu er-
mitteln, welche darüber entscheiden, ob eine gegebene Form
von n Differentialen, deren Coefficienten von den Variabeln ab-
hängen, in eine Form mit constanten Coefficienten transformirt
werden könne, oder nicht, und theile die hauptsächlichsten Re-
sultate dieser Arbeit gegenwärtig mit.
Wenn der Grad der gegebenen Form ‚f(dx) der erste ist,
so bemerkt man, dafs eine Form mit constanten Coefficienten
gleich dem Differential einer linearen Function der Variabeln
ist. Die aufgestellte Frage wird daher durch die Bedingungen
der Integrabilität beantwortet, welche man wie folgt zusammen-
fassen kann. Es sei die Form des ersten Grades
(da) =a,de, +a,da, +... + 0a,de,
und durch Verwandlung des Zeichens d in ö bei den Differen-
tialen gehe /(dx) in f(x) über. Dann hat die in Bezug auf
die Grössensysteme dx, und ö«x, bilineare Form
f) Ag 0a
In dm
wo die Zeiger a und b beide von 1 bis n gehen, die Eigen-
schaft, bei einer Substitution neuer Variabeln sich mit f(d.)
so zu ändern, dafs die Beziehung zu dieser Form ungeändert
bleibt, und wird dadurch das Analogon einer Covariante. Diese
bilineare Form verschwindet ferner dann und nur dann, wenn
die Form (ds) in eine Form mit constanten :. CnalBeiepupn
Sfldx) — df(öx) = ) dzuöar ;
transformirt werden kann.
Wenn der Grad p der gegebenen Form /(dx) die Einheit
übertrifft, so mache ich die Einschränkung, dafs die Determi-
nante A, deren Elemente die zweiten partiellen Differentialquo-
Ay
tienten Ar m n sind, nicht identisch verschwinde, und lafse
die Voraussetzung, dafs die Coefficienten der Form f(dx) nach
den Variabeln x, partiell differentiirt werden können, die auch
in dem Falle p=1 stillschweigend galt, bestehn. In dem Falle
»Z2 hängt das Wesen der Form f(dx) sehr genau mit einem
Problem der Variationsrechnung zusammen. Dieses Problem
vom 14. Januar 1869. 51
verlangt, diejenige Abhängigkeit der n Variabeln x, von einer
independenten Variable t anzugeben, bei welcher die erste Varia-
tion des zwischen festen Grenzen genommenen Integrals
Ire)dt |
verschwindet. Hier ist die Differentiation nach der Variable
t in der Weise von Lagrange notirt, und die Substitution der
Grössen x, statt der Grössen dx, in die Form f(dx) mit dem
Zeichen f(x’) angedeutet, wie es auch später in ähnlichen Fäl-
len geschehen soll. Es ist bekannt, dafs das in Rede stehende
Problem der Variationsrechnung, wenn man die Bezeichnung
‘
2
er 9x fa)
aa. Od
anwendet, auf die Integration des Systems von Differential-
gleichungen
Fa ==. 0
führt, und man kann sich dasselbe in der Weise vollständig
integrirt denken, dafs für einen bestimmten Werth ? = t, die
Grössen x, und x, beziehungsweise den Integrationsconstanten
x,(0) und x,(0) gleich werden. Wofern nun eine solche Inte
gration dieses Systems von isoperimetrischen Gleichungen vor-
liegt, so kann die in Bezug auf die Form (dx) aufgeworfene
Frage durch die That entschieden werden. Es haben nämlich
die durch die bezeichnete Integration erhaltenen Ausdrücke x,
die Eigenschaft, reine Functionen der » Grössen &,(0) und der
n Grössen (t — t,)x,(0) zu werden. Wenn man jetzt die Grös-
sen 2,(0) als constant, die Grössen (t—t,)x,(0) aber als va-
riabel betrachtet, und dieselben als neue Variabele in die Func-
tion f(dx) einführt, so dafs die Gleichung
/6s) = 9($(t—1,)e’(0))
entsteht, dann wird die rechte Seite derselben immer eine Form
mit constanten Coefficienten, wofern f($x) in eine Form mit
constanten Coefficienten transformirt werden kann. Die Form
984 — t0) %(0)) geht aber aus der Form f(öx) dadurch her-
4*
52 Gesammtsitzung
vor, dafs man die Differentiale dx, = d(t—t,)x;(0), und in
den Coefficienten der Form f(82) 2. = 2, (0) setzt.
Sobald der Grad p der gegebenen Form f(dx) gleich zwei
ist, habe ich aufser dem so eben entwickelten indirecten Cri-
terium ein directes Criterium gefunden, welches sich in seiner
Gestalt an das für p==1 aufgestellte Criterium genau an-
schlielst. Es sei die quadratische Form
Slda)a Iagdr die
a,b
und es werde die mit 7, bezeichnete Function, welche zu die-
ser Form /(d.x) gehört, wie folgt dargestellt
Hi = Anna + /.(«) 9
dann ist das entsprechende /, (dx) eine quadratische Form der
n Differentiale dx, , dz,,... da,. Man bezeichne ferner die
zu den a,, adjungirten Elemente so:
oA
6b — da ’
ferner mit du, und öu, zwei independente Systeme von Diffe-
rentialen der Variabeln x, und «5. Alsdann hat die nach den
vier Gröfsensystemen dü,, Sug, da,, dx, quadrilineare Form
eg a RETACHTEBBEIC.)
A
n.\
aA—= 20,109... An»
oda an
+32 A oa or oda Hau
wo die Zeiger a, b, c, d, g, b sämmtlich sich von 1 bis n er-
strecken, die Eigenschaft, sich bei einer Substitution neuer
Variabeln mit der quadratischen Form /(dx) so mitzuändern,
- dals die Beziehung zu dieser Form ungeändert bleibt, ferner
dann und nur dann identisch zu verschwinden, wenn die Form
/(d&) in eine Form mit constanten Coefficienten transformirt
werden kann. Dafs die quadrilineare Form Y unter der in
Rede stehenden Voraussetzung identisch verschwinden muls,
geht unmittelbar aus ihrer Darstellung hervor. Dafs auch das
vom 14. Januar 1869. 53
Umgekehrte gilt, habe ich durch eine Zurückführung auf das
angegebene indirecte Criterium bewiesen.
} Für eine quadratische Form von n Differentialen stimmt
die beantwortete Frage in ihrem Wesen mit einer Frage über-
ein, die in der aus Riemann’s Nachlasse publicirten Abhand-
lung über die Hypothesen, welche der Geometrie zu
Grunde liegen, erörtert ist. Daselbst wird untersucht, wann
eine wesentlich positive Form von n Differentialen in das Ag-
gregat der Quadrate von den Differentialen der neuen Variabeln
transformirt werden könne. Es ist aber klar, dafs, sobald eine
gegebene Form f(dx) in eine Form mit constanten Coefficien-
ten transformirt ist, die fernere Transformation in ein. Aggre-
gat von den Quadraten der Differentiale neuer Variabeln im-
mer durch eine lineare Substitution bewirkt werden kann, und
zwar bei wesentlich positiven Formen auf reelle Weise. Die
Riemann’schen Criterien, wenn ich dieselben richtig aufgefalst
habe, setzen die Integration des oben bezeichneten Systems von
isoperimetrischen Differentialgleichungen voraus, sobald die Zahl
n die zwei übertrifft, sind aber auch von dem angeführten in-
directen Criterium wesentlich verschieden.
Redueirt sich die Zahl der Variabeln x, auf zwei, so ist
die betreffende ‚Frage in den disquisitiones generales
circa superficies curvas durch Gauss beantwortet. Das
Quadrat des Linearelements einer beliebigen Fläche, in den in-
dependenten Variabeln x, und x, ausgedrückt, ist eine wesent
lich positive Form von den Differentialen dx, und dr,
(de) = a,,daı? + 2a,95da, dag + 0,9422.
Die Bedingung dafür, dafs dieselbe in die Form dyi + dy}
transformirt werden könne, ist das Verschwinden des Gaussi-
schen Krümmungsmafses k. Nun besteht aber zwischen dem
der Form f(dx) zugehörigen Ausdrucke von %k und der qua-
drilinearen Form Y für n = 2 die einfache Beziehung
Y== —2kA(du, du — du,du;) (de, 923 — dx, da;).
Also geht das Criterium der quadrilinearen Form in diesem
Falle in das Criterium des Krümmungsmalses über.
54 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Denkschriften der Kais. Akademie d. Wissenschaften in Wien. Mathem.-
naturw. Klasse. 28. Band. Wien 1868. 4.
Denkschriften der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien. Philos.-
historische Klasse. 17. Band. Wien 1868. 4. |
Almanach der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien. 18. Jahrg.
Wien 1868. 8. |
Archiv für österreichische Geschichte. 39. Band 2. Hälfte. Wien 1868. 8.
Sützungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien. Philos.-
historische Klasse. 57. Band. Heft II. III. 58. Band. Heft I. II.
III. Wien 1868. 8.
Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathe-
matisch-naturw. Klasse. Jahrg. 1868. LXII. Band. Wien 1868. 8.
Tabulae codieum in Bibliotheca palatina asservatorum. WVol.II. Vindob.
1868. 8.
Verhandlungen und Mittheilungen des siebenbürgischen Vereins der Natur-
wissenschaften zu Hermannstad. XVIII. Jahrgang. Hermannstadt
1867. 8. |
Journal für die reine und angewandte Mathematik. 69. Band. Berlin
1868. 4.
v. Salviati, Berichte über den landwirthschaftlichen Theil der Pariser
Welt- Ausstellung von 1867. Theil I. Berlin 1868. 4.
Nouvelles Archives du Museum d’kistoire naturelle. Tome HI, 3. 4. IV,
1.2. Paris 1867—1868. 8.
Memoires de la societe archeologique de Moscou. Tome I, 2. Moscou
1867. 4.
Oppert, La chronologie biblique. Extrait. Paris 1868. 8.
Anales de la universidad de Chile. Santiago de Chile 1857 — 1866.
20 voll. 8.
Eine Sammlung von 94 Druckschriften und Broschüren, die Geschichte,
Statistik und Verwaltung von Chile betreffend. Mit Rescript vom
2. Januar 1869.
18. Januar. Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Roth las: Beiträge zur Kenntnis der tertiä-
ren und posttertiären Eruptivgesteine.
vom 18. Januar 1869. 55
Hr. Auwers zeigte einige von der norddeutschen Expedi-
tion aufgenommene Photographien der Sonnenfinsternifs vom
18. August 1368 vor.
Hr. Poggendorff las: Vorläufige Notiz über ein
Paar anomale elektrische Erscheinungen.
Wenn man den Strom einer Influenzmaschine auf eine
zweite, noch unerregte Maschine derselben Art leitet, und nun
die letztere auf gehörige Weise in Rotation versetzt, so kommt
auch sie zur Thätigkeit, und zwar unter Umständen, die man
ganz in seiner Gewalt hat, entweder in gleichem, oder in ent-
gegensetztem Sinn wie die erste Maschine.
Wirkt sie in gleichem Sinn, so zeigen die Verbindungs-
drähte beider Maschinen nichts Ungewöhnliches. Sie strahlen
an ihren Enden oder den mit ihnen verbundenen Kämmen ent-
gegengesetzte Elektricitäten aus. Der Strom geht gleichsam
zwischen beiden Maschinen im Kreise herum.
Anders ist es, wenn die Maschinen im entgegengesetzten
Sinne wirken. Dann hat man die seltsame, im Dunklen schon
durch den blofsen Anblick erkennbare Erscheinung, dafs die
Verbindungsdrähte an ihren Enden einerlei Electricität aus-
senden und in ihrer Mitte die entgegengesetzte. Der eine
Draht strahlt an beiden Enden positive und in der Mitte ne-
gative Elektricität aus; der andere an den Enden negative und
in der Mitte positive.
Dabei ist kein Strom in den Drähten vorhanden. Denn
wenn man sie an einer Stelle unterbricht und daselbst eine
Geifsler’sche Röhre einschaltet, bleibt dieselbe dunkel, sobald
nur beide Maschinen gleich stark wirken.
Von dieser, meines Wissens noch nie beobachteten, ano-
malen Anordnung der Electrieität auf einem Leiter kann man
eine Nutzanwendung machen, darin bestehend, dafs man zwi-
schen den beiden Verbindungsdrähten eine Brücke schlägt,
wozu die verschiebbaren Elektroden der einen oder anderen
Maschine die Hand bieten. Man erhält dann in dieser Brücke
einen Strom, welcher gleich ist der Summe der Ströme beider
56 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Maschinen. Es wäre leicht, eine Maschine von vornherein so
zu bauen, dafs sie unmittelbar diesen Doppelstrom lieferte.
Eine ähnliche anomale Erscheinung läfst sich mittelst der
Leydener Flasche hervorrufen.
In der Klassensitzung vom 18. Februar 1867 habe ich ge-
zeigt, dals die Influenzmaschine durch eine geladene Leydener
Flasche auf mehr als eine Weise in Thätigkeit gesetzt werden
kann. Die eben genannten Beobachtungen haben diese Erfah-
rung nun dahin erweitert, dafs sich bei einer und derselben
Anwendungsweise der Flasche die Maschine ganz nach Belie-
ben entweder in dem einen oder in dem entgegengesetzten Sinne
erregen lälst. Und damit verknüpft ist dann die sonderbare
Erscheinung, dafs z. B. der positive Knopf der geladenen
Flasche in dem einen Fall positive, und in dem anderen ne-
gative Elektricität auf die Scheibe der Maschine ausströmt,
oder, wenn man will, in dem einen Fall positive Elektricität
ausströmt und in dem anderen einsaugt, was denn zur
Folge hat, dafs die Flasche in dem einen Fall erst ruhig ent-
laden uud darauf umgekehrt geladen wird, während in dem
zweiten Fall ihre ursprüngliche Ladung nur eine Verstärkung
erleidet.
Auf eine Erklärung dieser Anomalien will ich für jetzt
nicht eingehen, sondern nur bemerken, dafs sie wesentlich Wir-
kungen des schrägen Hülfsconductors sind, welcher in der ge-
nannten Klassensitzung ebenfalls von mir beschrieben, später
von Hrn. Holtz adoptirt und in gewisser Beziehung verbes-
sert, schon mehrfach bei neuerdings in das Publikum überge-
gangenen Maschinen angebracht worden ist.
Mit den erwähnten Erscheinungen sind übrigens noch an-
dere, nicht minder interessante und zum Theil sehr räthselhafte
Vorgänge verknüpft, deren Beschreibung ich aber einer künfti-
gen ausführlicheren Mittheilung vorbehalte.
vom 18. Januar 1869. 57
Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über neue Gat-
tungen und Arten von Eidechsen.
1. CoLopus noy. gen.
Palmae plantaeque pentadactylae; digiti breviores inungues, an-
tici apice vix dilatati, subtus granulati, apice subtus squamis
transversis, supra squama lamnaeformi munito. Beliqua ut in
Pachydactylo.
In allen übrigen Merkmalen mit Pachydactylus übereinstim-
mend weicht diese Gattung von demselben ab durch die Be-
kleidung der Finger und Zehen und bildet, da die Hinterzehen
gar nicht verbreitert, sondern an der Spitze verschmälert sind,
einen Übergang zu den Stenodactylus.
Colopus Wahlbergii n.sp. (Fig.1.)
Pachydactylo ocellato similis; supra olivaceoviridis, flavi-
. domaculosus, subtus flavidus.
Habitatio: Africa australis.
Rostrale um die Hälfte breiter als das Mentale; Suprala-
bialia 8 bis 9, das letzte unter der Mitte des Auges liegend,
indem von da an der Lippenrand nur von kleinen den übrigen
gleichen Schüppchen bedeckt ist; Infralabialia 7, von denen das
erste bei weitem das gröfste ist; Submentalgegend fein be-
schuppt. Die Nasenöffnung liegt zwischen drei Schildchen,
von denen das gröfste dieselbe vorn und oben umgibt, das
kleinste hinten und oben liegt. Pupille senkrecht; Ohröffnung
klein und quer. Convexe Schüppchen der Schnauze kaum grös-
ser als die des Rückens, welche letztere denen der Submental-
gegend gleich kommen, während die der Kehlgegend die klein-
- sten sind und die gröfseren glatten Schuppen der Brust und
des Bauchs ziemlich gleich grofs sind; die Schuppen der Vor-
derseite der Schenkel sind merklich gröfser, während die der
Präanalgegend kaum gröfser sind. Femoralporen sind an dem
einzigen Exemplar nicht bemerkbar. Schwanz drehrund, zuge-
spitzt, an der Basis kaum abgeplattet, an jeder Seite der letz-
teren 4 bis 5 dornförmige Schuppen; er ist ringsum dachziegel-
förmig mit glatten Schuppen bekleidet, welche ungefähr doppelt
so grofs wie die des Bauches sind. Die Unterseite der Basis
zeigt zwei flache Anschwellungen, welche von den Copulations-
organen herrühren.
98 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Die Vorderextremität reicht bis zur Mitte des Auges; die
Finger sind kurz und sämmtlich von gleicher Gestalt, an der
Spitze ein wenig breiter, unter derselben mit zwei flachen Quer-
schuppen bekleidet, während ihre ganze übrige Unterseite meh-
rere Längsreihen von Körnchen zeigt; der 1. und 5. sind die
kürzesten und fast gleich lang, eben so haben der 2. und 4.
Finger eine fast gleiche Länge, während der Mittelfinger der
längste ist. Die Hinterextremität reicht kaum über das dritte
Viertel ihrer Entfernung von der vorderen hinaus; die Spitzen
der Zehen erscheinen verschmälert, während ihre Bekleidung
mit der der Finger übereinstimmt; von der 1. bis 4. nehmen
die Zehen an Länge zu, und die 5. ist der 3. ziemlich gleich.
Die Oberseite ist olivengrün, mit grofsen gelben, dunkler
geränderten Flecken, welche auf dem Rücken zum Theil zu
unregelmälsigen Querbinden zusammenflielsen; eine gelbe unre-
gelmäfsige Binde geht von dem Rostrale bis zur Scheitelgegend,
während diese und die Hinterhauptsgegend drei Längsreihen
unregelmälsiger gelber Flecken zeigt. Die Extremitäten, na-
mentlich die hinteren zeigen aufsen ebenfalls gelbe Flecke auf
dem dunkleren grünlichen, netzförmigen Grunde. Die ganze
Unterseite ist hellgelb.
Totallänge 090845; Kopf bis Ohröffnung 070095; Schnau-
_ zenspitze bis Analöffnung 0%044; Vorderextr. 0%014; Mittel-
finger 0%0025; hint. Extr. 09019; vierte Zehe 0'004.
Ein einziges Exemplar dieser Art wurde von J. Wahl-
berg im Damaralande gesammelt und gehört dem Museum zu
Stockholm, von wo es mir durch unser correspondirendes Mit-
glied, Hr. Sundevall, zur Untersuchung mitgetheilt ist.
2. RHOPTROPUS noy. gen.
Habitus Ptyodactyli; palmae plantaeque pentadactylae, digiti
longiores unguiculati, apice dilatati depressi, subtus squamis
transversis muniti; digitus posticus secundus tertio a basi ultra
medium coadunatus; ungues minimi; nares lubuliformes, inter
scutella 3 vel 4 erecta apertae; (notaeum granulatum). |
Diese Gattung bildet ein merkwürdiges Bindeglied agb
Gecko, Pachydactylus und Ptyodactylus.
vom 18. Januar 1869. 59
Rhoptropus afer n. sp. (Fig. 2.)
Supra olivaceoflavidus vel olivaceoviridis fuscomaculatus, subtus
viridialbus. |
Habitatio: Africa australis. i |
Schnauze abgeplattet breit und abgerundet. Die Nasen-
löcher öffnen sich jederseits hinter einem Ausschnitte des brei-
ten Rostrale und sind von drei oder vier Schüppchen umgeben,
welche in ihrer Gestalt und Gröfse bei demselben Individuum
variiren und nach aufsen an das 1. Supralabiale stofsen; 10bis 11
Supralabialia. Das Mentale und das daranstofsende Infralabiale
jeder Seite sehr lang, aber, wie bei Piyodactylus Hasselquistiüi
bei verschiedenen Individuen von verschiedener Ausdehnung;
8 bis 9 Infralabialia. Submentalgegend mit kleinen polygona-
len Schüppchen bekleidet, welche allmählig nach der Kehle hin
an Gröfse abnehmen und etwas grölser sind als die glatten
Schüppchen der Brust, des Bauches und der untern Seite der
Schenkel. Die convexen Schüppchen der Schnauze erscheinen
ebenfalls gröfser als die gleichförmigen des Rückens, welche,
obgleich sehr klein, diejenigen der Körperseiten noch an Gröfse
übertreffen. Die Pupille ist senkrecht, das ringförmige rudi-
mentäre Augenlid am oberen Rande breiter. Die ziemlich weite
Ohröffnung ist länglich und wird oben durch eine schmale
Hautfalte verdeckt.
Der Schwanz ist etwas abgeplattet und an den Seiten ab-
gerundet. Er ist glatt, mit gleichförmigen Schuppen bekleidet,
welche kaum gröfser als die der Submentalgegend sind. Bei
einem männlichen Exemplar sind die Schuppen der untern Seite
zu unregelmäfsigen breiten Querschildern verschmolzen.
Die vordere Extremität ragt fast mit der ganzen Hand über
die Schnauze hinaus; alle fünf Finger sind von gleicher Form,
an der Basis verschmälert, während ihre Endhälfte länglich oval
verbreitert ist; die ganze Unterseite ist mit Querlamellen ver-
sehen, während auch die Rückseite derselben eıne mittlere Reihe
von Querschuppen zeigt, von denen die letzte grofse die Form
eines Plattnagels hat; alle Finger haben eine äufserst kleine,
nur durch eine starke Loupe sichtbare Kralle; der 1. und 5.
Finger sind gleich lang, nur wenig kürzer als der zweite,
welcher um eben so viel kürzer ist als der vierte, im Ver-
60 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
gleich zu dem längsten Mittelfinger. Die hintere Extremität
reicht bis an die Schulter. Die Zehen haben denselben Bau
wie die Finger; sie nehmen von der ersten bis zur dritten,
welche am weitesten vorspringt, an Länge zu, während die
vierte Zehe kaum länger als die fünfte ist. Schenkel- und
Analporen fehlen.
Die Oberseite ist olivengelb oder olivengrün, einfarbig oder
mit kleinen zerstreuten dunkeln Flecken, welche vom Nacken
bis zur Schwanzbasis etwa 12 Querreihen bilden. Auf der Aus-
senseite der Extremitäten finden sich ähnliche kleine Flecke,
während die ganze Unterseite grünlichweils ist.
Totallänge 0%135; Kopf bis Ohröffnung 0%014; Schnau-
zenspitze bis Analöffnung 0%052; Vorderextr. 0%025; Mittelfin-
ger 0%0055; Hinterextr. 07030; vierte Zehe 090065.
Mehrere Exemplare dieser Art wurden von J. Wahlberg
im Damaralande gesammelt und befinden sich im Museum zu
Stockholm.
3. SAURITES nov. subgen.
Verschieden von Eremias durch die gekielten grofsen
Schuppen der Extremitäten und der untern Schwanzseite, so
wie durch die sehr viel kleinern Schuppen am hintern Theile
der Brust und am Anfange der Ventralgegend. Sehr oft bildet
die Kehlhaut vor dem Halsband eine zweite vordere Querfalte,
die Körperhaut eine längsgehende Seitenfalte und die Schuppen
am hintern Rande der Hinterzehen sind sägezahnförmig ver-
längert.
Saurites (Eremias) cuneirostris.
Podarcis (Scapteira) cuneirostris Strauch, Melang. biolog.
Bullet. Ac. St. Petersb. IV. p. 411.
Exemplare aus der Wahlberg’schen Sammlung im Da-
maralande stimmen, obgleich die Schuppen der unteren Seite
der Finger und Zehen zusammengedrückt und daher schwach
gekielt erscheinen, in jeder anderu Beziehung so genau mit der
Beschreibung des Hrn. Strauch überein, dafs ich an deren
Zusammengehörigkeit nicht zweifeln kann. Hr. Strauch hat
Scapteira und Eremias als Untergattungen unter dem Wagler-
schen Namen vereinigt und beruft sich darauf, dafs die Angabe
vom 18. Januar 1869. 61
von Wagler in seiner Characteristik der Gattung Podarcis
von der Lage der Nasenlöcher am Ende des Canthus rostralis
_ zwischen drei Schildchen sich nur auf Eremias und Scapteira
beziehen könne. Dieses ist allerdings richtig; auf der andern
Seite liegen aber nur bei Lacerta (muralis) unter den von ihm
hervorgehobenen drei Arten die Nasenlöcher „supra primum
scutum labiale“*, während sie bei Eremias velox und Scapteira
grammica über den zwei oder drei ersten Supralabialschildern
liegen. Auch liegen bei oberflächlicher Betrachtung bei Z.
muralis die Nasenlöcher zwischen drei Schildchen und da ich
aus andern Gründen glaube annehmen zu dürfen, dafs Wagler
von allen von ihm zu Podarcis gezogenen Arten grade nur Lacerta
muralis selbst untersucht hat, so dürfte die Beschränkung des
Namens Podarcis auf die Lacerta muralis doch nicht ganz un-
berechtigt sein, obgleich es nach meiner Ansicht besser sein
dürfte, diesen Namen ganz fallen zu lassen. Es ist auch an-
zunehmen, dafs Wiegmann, der mit Wagler in lebhaftem
Verkehr stand, über diese Sache mit letzterem im Einverständ-
nisse handelte und schliefslich ist zu bemerken, dafs es früher
ziemlich allgemein Gebrauch war, die typische Art einer Gat-
tung voranzustellen. Ich vermuthe, dals Acanthodactylus capensis
Smith, bei dem, wenigstens der Abbildung zufolge, die Nasen-
löcher von drei Schildchen umgeben sind, in dieselbe Gruppe
mit der vorstehenden Art gehört.
Scapteira grammica kommt übrigens weder in Ägypten,
noch in Nubien vor, indem diese leider von dem hiesigen Mu-
seum ausgegangenen Angaben auf einer Verwechselung mit
Acanthodactylus scutellatus beruhen.
4. Eremias argus n. sp. (Fig. 3.)
Unteres Augenlid mit einer vertieften, aber beschuppten
undurchsichtigen Scheibe. Nasalia convex, aber nicht wulstig
aufgetrieben; zwei Internasalia, zwischen ihnen und den
Präfrontalia ein kleines rhomboidales Zwischenschild; die beiden
Supraorbitalia vorn, aufsen und hinten mit Körnchen umgeben
oder hinten und innen eine kleine Schuppe. Interparietale fast
so grofs, wie eins der Internasalia; Suborbitale über den Su-
pralabialia, deren Zahl 9 ist; Rand der Kehlfalte grade oder
—
62 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
schwach convex mit 9 gröfseren Schuppen. Ventralschilder in
schiefen Reihen, 12 Schuppen in jeder Querreihe. |
Grundfarbe der Oberseite olivenbraun, wo die Epidermis
fehlt, graublau oder bläulichviolet, mit vielen schwarzen Ocel-
len mit gelber Pupille; meist zwei gelbliche Seitenlinien, von
denen die obere von dem äufseren Winkel des Parietale, die un-
tere von dem unteren Augenlide ausgeht; eine dritte helle Linie
geht von der Oberlippe durch die Ohröffnung; Unterseite rost-
gelb.
Vier Exemplare (Nr. 4532 Mus. Berol.) aus Chefoo (China)
durch Schottmüller.
5. Acanthodactylus dorsalis n. Sp.
In Bezug auf die Kopfschilder mit Ac. vulgaris D. B. über-
einstimmend und ebenfalls mit zehn Längsreihen von Ventral.
schildern versehen. Die glatten Schuppen der (4 bis 8) mittle
ren Längsreihen des Rückens sind aber auffallend gröfser als
die der Rückenseiten und eben so sind die Submentalschuppen,
so wie die Gularschuppen, welche letztere von dem Rande der
Halsfalte bis zu der Subauricularfalte ganz allmählig an Gröfse
abnehmen, merklich gröfser als bei jener Art. Die oberen
Schwanzschuppen sind an zwei Exemplaren (Nr. 1056 u. 1057
Mus. Berol.) gekielt, an einem dritten Exemplar (Nr. 1058),
dessen Schwanzbasis spindelförmig verdickt ist, dagegen glatt.
Oben gelbbräunlich, jederseits mit zwei Reihen grolfser,
unregelmäfsiger schwarz und weilser Flecke; an zwei Exem-
plaren eine von der oberen Temporalschuppe ausgehende helle
Linie, wodurch die obere Fleckenreihe getheilt wird. An einem
Exemplar stehen die zahlreicheren ocellenförmigen Flecken in
ähnlicher Weise wie bei Eremias arguta Pall.
Die erwähnten drei Exemplare standen in unserer Samm-
lung ohne Angabe des Fundorts zusammen mit Acanthodactylus
vulgaris D. B. (Acanth. pardalis Mus. Berol. 1823. e. p.)
6. Onemidophorus mexicanus n. sp.
Sehr nahe verwandt mit Un. sexlineatus und verschieden von
ihm dadurch, 1) dafs die Submentalschuppen viel grölser, die mitt-
leren eben so grols wie die der hinteren Reihen der Kehlfalte
sind; 2) zwischen den Postorbitalschildchen und der Ohröffnung
vom 18. Januar 1869. 63
nur vier bis fünf Reihen platter polygonaler Schuppen, anstatt
zahlreicher convexer Schüppchen liegen; 3) zwischen den hin-
tersten Infralabialia und der innern Reihe grofser Submental-
schilder nur eine und nicht zwei bis drei Reihen kleiner
Schuppen liegen und 4) der untere Rand des Supralabiale
primum wie bei On. Deppei fein gezähnelt ist. In der Zeich-
nung stimmen beide Arten durch die in derselben Weise ver-
laufenden sechs weilslichen Linien überein, während aber bei
Cn. sexlineatus der schwarze Grund ungefleckt ist, zeigt die
vorstehende dieselben hellgefleckt oder quergestreift.
Unsere Sammlung enthält von dieser Art 3 Exemplare ver-
schiedenen Alters (Nr. 6209 Mus. Berol.), welche aus der mexi-
canischen Sammlung von Uhde herstammen.
Ich erlaube mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, dafs
der zu Unemidophorus und nicht zu Ameiva gchörende On. Deppei
Wiegmann auch in Guayaquil vorkommt und vielleicht mit
Cn. gracilis Baird u. Girard (Mex. Bound. Rept. Taf. 34. Fig.1.)
übereinstimmt, dafs On. tigris Baird u. Girard (Mex. Bound.
Rept. Taf.35.) ganz ohne Zweifel identisch ist mit Cn. Sackiü
Wiegmann!) und Cnemidophorus guttatus Wiegmann eine an
der Basis verbreiterte zweilappige Zunge hat und daher nicht zu
Ameiva (cf. Cope Acad. Nat. Sc. Philad. 1862. Febr.) zu zie-
hen ist.
T. Centropyz Renggerii n. Sp.
Vierzehn Längsreihen gekielter Rückenschuppen, vierzehn
Reihen kleiner Schuppen an den Körperseiten und sechszehn
Längsreihen Ventralschuppen. Auf dem Rücken grün mit zer-
streuten schwarzen Flecken in zwei Reihen. Eine schwarze von
dem oberen Augenlide verlaufende und sich an den Seiten ver-
lierende schwarze Längsbinde, unter derselben eine grüne Längs-
binde und unter dieser die Seiten schwarz mit grünen runden
Flecken. Die Unterseite gelblich grün.
| Paraguay; aus der Renggerschen Sammlung (No. 896,
"Cat. Mus. Berol.)
!) Nicht Onemidophorus Sackii aus Montevideo des leidigen No-
menclator Reptil. et Amphib. Mus. Berol. 1856. p.13, der nichts weiter als
Acrantus viridis (mit vier Hinterzehen) ist.
64 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Färbung und Beschuppung unterscheiden diese Art von den
bekannten, unter denen ihr ©. decodon Cope (Proc. Acad. Philad.
1861. p. 495.) am nächsten zu stehen scheint.
©. Borckiana Merrem (Ann. d. Wetterauisch. Gesellsch. 1809.
I. p.2. Taf.I) hat 25 Reihen gekielter Rückenschuppen, 25 Rei-
hen kleiner Seitenschuppen und 13 (bis 16) Reihen Bauch-
schuppen und jederseits auf dem Rücken zwei Reihen dreiecki-
ger schwarzer Flecken. Leider ist das Originalexemplar der
Borcke’schen Sammlung verloren gegangen, aber unsere Samm-
lung besitzt ein Exemplar aus Guiana (Nr. 897), welches ganz
mit der Merremschen Beschreibung und Abbildung übereinstimmt,
abgesehen davon, dafs 16, statt 13, Bauchschuppenreihen vor-
handen sind.
C. vittatus Wiegmann, von dem unser Museum’ noch das
Originalexemplar besitzt, welches von C. calcaratus Spix
nur durch die gekielten Präanalschuppen abweicht, kann daher
nicht mit C. intermedius (Gray) Cope (l.c.p. 496) identisch
sein. Wiegmann sagt ausdrücklich, dafs seine Art die Rücken-
schuppen ein wenig kleiner als C©. calcaratus hat, während
die von Cope beschriebene Art sie merklich grölser hat.
Nach der Färbung sollte man eher glauben, dafs Dau-
din’s Lacerta striata näher mit ©. decodon Cope verwandt sei
und möchte ich dahin zwei Exemplare rechnen, welche wir
kürzlich aus Venezuela erhalten haben. Jedenfalls scheinen
mir die Arten der Gattung Centropyx noch nicht gehörig un-
terschieden zu sein. 2
8. Dicrodon ce«lestis.
Ameiva celestis, d’Orbigny, Voy. Amer. mer. Rept. p.9. Taf.
V.Fig.1—5.
?Cnemidophorus lacertoides, Dumeril etBibron, Erp. gen.
V.p.135.
Unser Museum hat ganz neuerdings ein Exemplar dieser
- Art aus Montevideo erhalten, welches entschieden zu der Gat-
tung Dicrodon mit querstehenden zweispitzigen Zähnen gehört.
Es stimmt ganz vortrefflich zu der d’Orbignyschen Abbildung
und da On. lacertoides D. B. aus seiner Sammlung und zwar
auch aus Montevideo stammt, so würde ich beide Arten der
Beschreibung nach für identisch halten, wenn es nicht in der
vom 18. Januar 1869. 65
Erpet. gen. p.134 hielse: „la rangee des plaques sousmaxillaires
est separee de celles des labiales inferieures par une serie
plus ou moins etendue de granules squameux“ anstatt einer
Reihe grofser polygonaler Schilder, wie es die Abbildung und
auch unser Exemplar zeigt.
9. Varanus (Odatria) semiremez n. Sp.
Sehr ähnlich in der Körperform und Stellung der Nasen-
löcher der O. punctata Gray, aber Schuppen der Oberseite der
Schnauze und der Interorbitalgegend platt und gröfser, wie bei
V. timoriensis, Schuppen an der Unterseite der Schwanzbasis
breiter als lang. Schwanz in der Basalhälfte rund, in der End-
hälfte zusammengedrückt, mit einen doppelten Dorsalkiel.. Ober-
seite dunkel olivenfarbig mit vielen kleinen schwarzen Punkten,
Gliedmafsen schwarz und gelb punktirt, Endhälfte des Schwanzes
überall schwarzbraun. Die Unterseite schmutzig gelb, mit schwa-
chen dunklen Querbinden an dem Unterkiefer, unter dem Halse,
an der Brust und am Bauche.
Unsere Sammlung hat ein einziges Exemplar dieser Art von
Cap York (Nordaustralien) durch Hrn. Dämel erhalten, wel-
ches, obgleich die Schwanzspitze fehlt, nahe an 60 Cent. lang ist.
Durch die viel mehr als bei V. timoriensis zusammen-
gedrückte Endhälfte des Schwanzes ist diese Art sehr leicht
auf den ersten Blick von den nächstverwandten zu unterscheiden.
10. Agama Hartmanni n. sp.
Ein Exemplar dieser Art, welche unsere Sammlung aus
Dongola erhalten hat, hatte ich früher (Monatsber. 1862. p. 271)
als zu A. Savignyi gehörig betrachtet, mit dem es durch die
gleichförmigen, regelmäfsigen gekielten Schuppen des Rückens
und durch den Mangel dornförmiger Schuppenhäufchen am Halse
übereinstimmt. Es unterscheidet sich aber von ihm durch die
ganz glatten Kehl- und Bauchschuppen, durch das gröfsere,
ganz frei liegende Trommelfell und durch die einander an Länge
ziemlich gleiche dritte und vierte Hinterzehe. In diesen beiden
letzten Punkten stimmt es daher mehr mit A. sinaita überein,
von der es sich aber durch die gröfseren Schuppen, die auffallend
kürzeren Vorderarme und Unterschenkel, dagegen viel längeren
Zehen unterscheidet.
[1869.] 5
66 Gesammtsitzung vom 21. Januar 1869.
Olivenbraun, eine mittlere gelbe Rückenlinie von dem Hin-
terhaupt bis auf die Basis des Schwanzes, unregelmäfsige kleine
dunkelbraune Flecken auf dem Rücken und jederseits zwei nicht
sehr deutliche Reihen grofser gelber, schwarzgerandeter Flecken
an den Seiten; Unterseite ockergelb.
Agama Savignyi Audouin (Savigny, Deser. Egypt. Rept. Taf.
I. Fig. 6) ist identisch mit A. flavimaculatus Rüppell und un-
terscheidet sich von der nahe verwandten A. agilis Olivier
nicht allein durch die mehr oder weniger deutlich gekielten
Kehl- und Bauchschuppen, sondern auch dadurch, dafs die
Schuppen hinter und unter der Ohröffnung grölser und weniger
zahlreich sind.
Erklärung der Abbildungen.
Fig.1. Colopus WahlbergiüPtrs.; 1a. Kopf im Profil, 1b. von unten; Ic. Vor-
derfuls von oben, 1d. von unten; le. Hinterfufs von oben, 1f. von
unten.
2. Rhoptropus afer Ptrs.; 2a. Kopf im Profil, 2b. von unten; 2c. Hinter-
fufs von oben, 2d. von unten.
3. Eremias argus Ptrs.; Oberseite des Kopfes.
n
”
31. Januar. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Beyrich las über Eugeniacrinus und Rhizo-
erinus.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Sitzungsberichte der naturforschenden F’reunde. Berlin 1868. 4.
Bericht der Kgl. Sternwarte zu Berlin für 1867. Berlin 1868. 8. Mit
Begleitschreiben der Direktion vom 17. Januar 1869.
Vierter und fünfter Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden.
Dresden 1868. 8. |
J.E. Purkin& Diem semisecularem summorum in medicina honorum celebranti
gratulatu societas medicorum Bohemorum. Pragae 1868. 8.
Longperier, Exrtraits de la Revue numismatiqua. Paris 1868. 8.
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\inatsber Berl Akad.d.Wissensch1869. past
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I. Colopus Wahlbersüi.2. Rhoptropus afer. 3.Eremias arsus.
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Druckv. Gebr.Delius.
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Öfentliche Sitzung vom 28. Januar 1869. 67
28. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier
des Jahrestages Friedrich’s II.
Seine Majestät der König und Ihre Majestät die Königin,
sowie Seine Königliche Hoheit der Kronprinz geruhten der
Sitzung beizuwohnen. v |
Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar, Hr. Kummer,
eröffnete die Sitzung mit folgender Festrede:
Als ich jetzt vor vier Jahren das erste mal die Ehre hatte
zum Andenken Friedrichs des Grofsen vor dieser hochansehn-
lichen Versammlung zu sprechen, habe ich aus der unendlich
reichhaltigen Fülle interessanter Gesichtspunkte, welche die
Thaten sowie die Schriften des grofsen Königs darbieten, mir
nur eine sehr untergeordnete Seite ausgewählt, welche meinen
eigenen Studien und geistigen Interessen am nächsten lag, näm-
lich sein Verhältnifs zu den mathematischen Wissenschaften und
zu den grofsen Mathematikern seiner Zeit. Ich habe damals
zu zeigen versucht, wie Friedrich der Grofse, welcher selbst
keine Neigung für die Mathematik hatte, und die Mathematiker
gern mit Witz und Satire verfolgte, durch sein Interesse für
Philosophie dahin geführt wurde, gerade die ausgezeichnetsten
Mathematiker seiner Zeit, wie Maupertuis, Euler, La-
grange, Lambert und Bernoulli an die von ihm wieder-
hergestellte Akademie der Wissenschaften zu ziehen und wie
er mit D’Alembert, den er nicht bewegen konnte die Stelle
des Präsidenten der Akademie anzunehmen, fast dreifsig Jahre
lang, bis zu dessen Tode, in den freundschaftlichsten Beziehun-
gen und in stetem Briefwechsel blieb. Hieran anschliefsend will
ich heut versuchen auf die philosophische Richtung des grofsen
Königs einzugehen und einige in seinen Schriften und Briefen
enthaltene Gedanken zu entwickeln.
Um überhaupt philosophische Gedanken und Anschauun-
gen richtig zu würdigen, ist es nothwendig die Zeit, welcher
sie angehören, und die diese Zeit bewegenden allgemeinen Ideen
in’s Auge zu fassen; denn die Resultate philosophischer For-
schung, namentlich in dem metaphysischen Gebiete, können kaum
auf eine absolute Geltung Anspruch machen, wohl aber können
5*
68 Öffentliche Sitzung
sie einen relativ bedeutenden Werth haben, in so fern sie ent-
weder in positiver Weise die philosophische Forschung in neue
Bahnen lenken, oder auch negativ, indem sie gewisse, in einer
Zeit geltende Voraussetzungen und Grundsätze als einseitig oder
nichtig erkennen lassen.
Zur Zeit Friedrichs des Grofsen war die sogenannte Leib-
nitz -Wolfische Philosophie besonders in Deutschland die allge-
mein herrschende. Sie enthielt die fruchtbaren Ideen von
Leibnitz durch Christian Wolf’s umfassende Gelehrsam-
keit zu einem grofsartigen Systeme verarbeitet, welches sich
über die verschiedenen positiven Wissenschaften erstreckte und
dieselben in sich aufnahm. Die Reichhaltigkeit des diesem
Systeme eingefügten Materials machte es für die Zwecke des
Unterrichts besonders empfehlenswerth, aber die Begründung in
seinen tiefsten Fundamenten war nur eine sehr schwache, na-
mentlich in dem metaphysischen Theile, der Ontologie. Es
wurden hier von Gott, der Welt und was sich darin bewegt
Definitionen von grolser Kraft gegeben, auf Grund deren diese
höchsten metaphysischen Ideen nach denselben Regeln behan-
delt wurden, wie die Begriffsbestimmungen endlicher Dinge.
Der mehr speculativen Richtung, welche die Philosophie seit
Descartes genommen hatte, entsprach dieses System nicht;
die Methode, nach welcher Wolf seine vernünftigen Gedanken
von Gott, der Welt, der Seele u. s. w. als Lehrsätze aufstellte
und sodann mit sogenannten Beweisen versah, gab demselben
einen mehr dogmatischen Charakter.
Dagegen hatte in England und Frankreich die Philosophie
eine ganz andere Entwickelung durchgemacht. Es wurde hier
das Verhältnifs des philosophirenden Subjects zur Aufsenwelt zum
hauptsächlichsten Gegenstande metaphysischer Betrachtungen
gemacht und man war dadurch, dafs man die einzelnen Sinnes-
organe nicht nur als Vermittler, sondern sogar als Quelle aller
Erkenntnifs annahm, dahin gekommen, dafs man die Möglich-
keit der Erkenntnifs alles Übersinnlichen, oder auch gar die
Existenz desselben leugnete. Diese als Skepticismus zu be-
zeichnende Richtung hatte in Frankreich das Gebiet der eigent-
lichen Philosophie vielfach verlassen und sich mehr auf die all-
gemeine Litteratur geworfen, in welcher sie eine sehr glänzende
vom 28. Januar 1869. "69
Rolle spielte. Das grofsartigste wissenschaftliche Produkt dieser
Richtung war nicht ein den inneren Zusammenhang des In-
halts der Philosophie darstellen sollendes System, sondern die
alphabetisch geordnete grofse Real-Encyclopädie, welche in eini-
gen dreifsig Quartbänden von D’Alembert und Diderot heraus-
gegeben wurde. Die Herausgeber und Mitarbeiter dieses Wer-
kes waren Männer von Geist und umfassender Gelehrsamkeit,
aber ihre blofs negirende Richtung in dem eigentlichen Gebiete,
der Philosophie machte es auch untergeordneteren Litteraten
leicht in diesem Sinne weitergehend sich den Ruf und das An-
sehen als grofse Philosophen zu erwerben. Ein vollständiger
Unglaube, welcher als Freiheit von Vorurtheilen und Aber-
glauben angesehen wurde, und eine gewisse Geschicklichkeit
und Kunst in der Verspottung dessen, was den Menschen von
jeher als heilig gegolten hat, verbunden mit der damals in Frank-
reich besonders blühenden Eleganz des Stiles, reichte hierfür
vollständig aus.
Diese beiden einander entgegengesetzten philosophischen
Richtungen des deutschen Dogmatismus und des französischen
Skepticismus sind es, mit welchen Friedrich der Grofse in
nähere Beziehungen getreten ist. Er war als Jüngling nach
den Principien der Leibnitz-Wolfischen Philosophie unterrichtet
worden und dieselbe hatte auf seine Bildung einen grofsen
Einflufs gehabt, der auch in seinen späteren Lebens-Perioden
noch deutlich erkennbar hervortritt, wo er sich mehr von den
geistvollsten Vertretern der französischen Philosophie und Litte-
ratur angezogen fühlte. So wie es den philosophischen Lehr-
gebäuden gewöhnlich geschieht, dafs grade die begabtesten und
talentvollsten Schüler, welche ihnen einen guten Theil ihrer
Bildung verdanken, zuerst abtrünnig werden, da sie am besten
befähigt sind die schwachen Seiten des Systems zu erkennen
und den lebhaftesten Trieb in sich fühlen zu höherer Erkennt-
nifs fortzuschreiten, so mufste auch Friedrich über die Wolfi-
sche Philosophie hinausgehen. Er war nicht der Mann, der
sich der Auctorität eines Philosophen oder Theologen unter-
ordnen mochte; was er als Wahrheit anerkennen sollte, mulste
sich vor seinem eigenen freien Geiste als solche rechtfertigen
können; die freiere französische Philosophie, besonders der dia-
70 Öffentliche Sitzung
lektische Scharfsinn Bayles und der diese Richtung weiter
verfolgenden Encyelopädisten sagte ihm daher mehr zu, als das
pedantische Wolfische Lehrgebäude, namentlich da er so wie
jene das Streben hatte von Vorurtheilen und von überliefertem
Aberglauben sich frei zu machen. Es war natürlich, dafs er
schon als Kronprinz und ebenso später als König für seinen
intimeren persönlichen Verkehr und seine litterarische Unter-
haltung besonders Männer dieser Richtung sich auswählte, und
dafs er auch die von ihm erneuerte Akademie der Wissen-
schaften in diesem Sinne einrichtete und besetzte. Aber allen
seinen philosophischen und litterarischen Freunden gegenüber
behauptete er stets die vollste Selbständigkeit seines eigenen
Denkens. Überhaupt ist Friedrich der Grofse nicht als An-
hänger irgend eines zu seiner Zeit herrschenden philosophischen
Systems anzusehen, noch auch als Philosoph, der sein eignes
System hat. Obgleich er unter dem Namen des Philosophen
von Sanssouci bekannt ist, und obgleich die Philosophen seiner
Zeit ihn besonders gern als einen der ihrigen betrachten, so
lehnt er selbst diese Ehre entschieden ab, und will sich nur
als Dilettanten auf diesem Gebiete der Wissenschaft betrachtet
wissen. In der That erscheint die Bezeichnung als Philosoph
im strengeren Sinne des Wortes für Friedrich den Grolsen
minder passend als die eines Dilettanten der Philosophie; denn
es war mehr das erreichbare Gute, als die unerreichbar er-
scheinende Wahrheit, welche er in dieser Wissenschaft er-
strebte. Die Philosophie hatte in den Augen des grofsen Königs
hauptsächlich darin ihren höchsten Werth, dafs sie durch die
Ausbildung der Ethik zur sittlichen Hebung des Volkes bei-
tragen sollte, die rein theoretischen Disciplinen derselben, na-
mentlich die metaphysischen Speculationen achtete er im Ver-
gleich hiermit nur gering und sah sie mehr nur als eine Unter-
haltung des Geistes an, in der er selbst sich aber gern erging.
Am klarsten und unumwundensten sind die philosophischen
Gedanken Friedrichs in seinem Briefwechsel mit D’Alembert
ausgesprochen, welcher als der Verfasser des im edelsten und
freiesten Stile gehaltenen Vorworts zur grofsen Real-Encyelo-
pädie sich die Hochachtung des grofsen Königs erworben hatte.
Friedrich schätzte ihn als den geistvollsten und grölsten Philo-
vom 28. Januar 1869. 71
sophen seiner Zeit und redete ihn gern als seinen lieben Ana-
xagoras an. Er holte in allen wissenschaftlichen und litterari-
schen Fragen, namentlich auch in allen unsere Akademie der
Wissenschaften betreffenden wichtigen Angelegenheiten seine
Meinung und seinen Rath ein, und schickte ihm regelmäfsig
die Schriften zu, die er verfalste. An einige dieser Zusendun-
gen knüpfte sich sodann ein interessanter Briefwechsel philoso-
phischen und besonders metaphysischen Inhalts, auf welchen
ich mir erlauben will hier etwas näher einzugehen.
Es waren im Jahre 1769 zwei Schriften erschienen; die
eine unter dem Titel Essai sur les prejuges, die andere als
Systeme de la nature, welche vielfach das angriffen, was im
Staate und in der menschlichen Gesellschaft seine volle sittliche
Berechtigung hat, und so die französische Revolution auf geisti-
gem Gebiete vorbereiten halfen. Als die Vorurtheile, die sie
bekämpften, galten den Verfafsern aufser den bestehenden staat-
lichen Ordnungen hauptsächlich die Lehren der Religion, als
Wahrheit dagegen die blofse Befreiung von diesen Vorurtheilen,
oder der Unglaube ohne irgend welchen positiven Gehalt. Der
König würdigte diese Schriften einer ausführlichen Besprechung
und sehr scharfen Widerlegung, welche er in Form von zwei
Kritiken an D’Alembert mittheilte. Die metaphysischen Fragen,
welche in diesen beiden Gegenschriften des Königs und in dem
über dieselben mit D’Alembert geführten Briefwechsel be-
sprochen werden, betreffen die Erkenntnifs der Wahrheit über-
haupt, ferner die Natur in ihrem Verhältnisse zu Gott und
die Begriffe der Freiheit und Nothwendigkeit, welche zugleich
der Ethik angehören.
Über die Erkenntnifs der Wahrheit äufsert sich der König
in seiner Kritik der Schrift über die Vorurtheile folgender-
maalsen: „Der Verfasser versichert im Lehrtone, dafs die Wahr-
„heit für die Menschen da ist, und dafs man sie denselben bei
„allen Gelegenheiten sagen mufs. Diefs verdient eine Prüfung.
„Ich stütze mich auf die Erfahrung und die Analogie, um ihm
„zu zeigen, dafs die Wahrheiten der Speculation, weit entfernt
„für den Menschen gemacht zu sein, sich unaufhörlich seinen
„sorgfältigsten Forschungen entziehen. Es ist diels ein für die
„Eigenliebe demüthigendes Geständnils, welches die Macht der
72 Öffentliche Sitzung
„Wahrheit mir entreilst. Die Wahrheit ist wie auf dem Grunde
„eines Schachtes, von welchem sie an’s Licht zu: ziehen die
„Philosophen bemüht sind. Alle Weisen beklagen sich über
„die Arbeit die es ihnen kostet sie zu entdecken. Wäre die
„Wahrheit für den Menschen gemacht, so würde sie sich von
„selbst seinen Augen darstellen, er würde sie ohne Anstrengung
„erhalten, ohne langes Nachdenken, ohne sich über sie zu
„täuschen und ihre den Irrthum besiegende Klarheit würde
„untrüglich die Überzeugung nach sich ziehen, man würde sie
„durch sichere Kennzeichen vom Irrthum unterscheiden können,
„der uns oft täuscht, indem er unter der angenommenen Ge-
„stalt der Wahrheit erscheint, es würde keine Meinungen mehr
„geben, sondern nur Gewissheit. Aber die Erfahrung zeigt mir
„gerade das Gegentheil, sie zeigt mir, dafs kein Mensch ohne
„Irrthum ist, dafs die gröfsten Thorheiten, welche eine kranke
„Einbildungskraft ersonnen hat, zu allen Zeiten aus dem Ge-
„hirn der Philosophen entsprungen sind, dafs wenig philoso-
„phische Systeme von Vorurtheilen und falschen Schlüssen frei
„Sind, sie erinnert mich an die Wirbel, welche Descartes
„ersonnen hat, an die Apokalypse, welche Newton, der grofse
„Newton commentirt hat, an die prästabilirte Harmonie,
„welche Leibnitz, der an Geist jenen grofsen Männern gleich
„war, gefunden hat. Überzeugt von der Schwäche des mensch-
„lichen Erkenntnifs-Vermögens und erstaunt über die Irrthümer
„dieser berühmten Philosophen rufe ich aus: O Eitelkeit der
„Eitelkeit, Eitelkeit des philosophischen Denkens.“
D’Alembert erklärt sich mit diesen Gedanken des Königs
über die Nichtigkeit aller metaphysischen Speculationen voll-
kommen einverstanden. Wenn nun dessenungeachtet der grolse
König Friedrich und der grofse Philosoph D’Alembert es
nicht lassen können über die wichtigsten Punkte der Meta-
physik weiter zu philosophiren, so mufs man annehmen, dafs
‚sie doch von dem einen Vorurtheile, welches überhaupt allem
Philosophiren zu Grunde liegt, dafs der Mensch durch ver-
nunftgemäfses Nachdenken und Forschen, wenn auch nicht die
volle Wahrheit ergründen, so doch in der Erkenntnils der
Wahrheit fortschreiten könne, sich nicht hatten frei machen
wollen. In einem solchen Sinne spricht sich auch Friedrich
vom 28. Januar 1869. 73
der Grofse, bei einer anderen Gelegenheit, in der von ihm ver-
fafsten Vorrede zu einem Auszuge aus Bayles Dictionär aus:
„Aber wozu, wird man fragen, soll man seine Zeit in der Er-
„forschung der Wahrheit verlieren, wenn diese Wahrheit sich
„aufserhalb der menschlichen Denksphäre befindet. Ich antworte
„auf diesen Einwand, dafs es eines denkenden Wesens würdig
„ist Anstrengungen zu machen, um sich wenigstens der Wahrheit
„zu nähern und dafs, wenn man sich diesem Studium ehrlich
'„hingiebt, man sicher wenigstens den Gewinn hat, sich von einer
„Schaar von Irrthümern zu befreien. Wenn euer Feld auch nicht
„viel Früchte hervorbringt, so wird es wenigstens keine Dornen
„erzeugen und wird zu einer guten Cultur geeigneter werden.“
Die metaphysischen Gedanken des Königs über Gott und
die Welt und deren Verhältnifs zu einander sind der Natur
der Sache nach etwas dürftig, weil der Begriff Gottes, nach
der Ansicht des Königs überhaupt nicht zugänglich ist, sodafs
der Philosoph wohl bis zu der Idee eines höchsten Wesens
gelangen könne, aber nicht im Stande sei über dasselbe etwas
Bestimmtes auszusagen. In einem Briefe an D’Alembert
.vom 18. October 1770 schreibt Friedrich hierüber: „Da ich in
„dieses Labyrinth eingehen mufs, so habe ich nur den Faden
„der Vernunft der mich darin führen kann. Diese Vernunft,
„indem sie mir erstaunenswerthe Beziehungen in der Natur
„zeigt, und mich so schlagende und deutliche Endzwecke beob-
„achten lälst, zwingt mich zuzugeben, dafs eine Intelligenz dem
„Universum vorsteht und den Gang der Maschine leitet. Diese
„Intelligenz stelle ich mir als das Prinzip des Lebens und der
„Bewegung vor. Das System eines entwickelten Chaos scheint
„mir unhaltbar, weil es mehr Geschicklichkeit erfordert haben
„würde das Chaos zu formen und zu handhaben, als die Dinge
„gleich so zu ordnen wie sie sind. Das System einer aus
„Nichts geschaffenen Welt ist widersprechend und darum ab-
„surd; es bleibt also nichts übrig, als die Ewigkeit der Welt,
„eine Idee, welche keinen Widerspruch enthält und darum als
„die annehmbarste erscheint, da das was heute ist, auch gestern
„gewesen sein kann und so fort. Da nun der Mensch Materie
„ist und dabei denkt und sich bewegt, so sehe ich keinen Grund,
„warum nicht ein ähnliches denkendes und handelndes Princip
74 Öffentliche Sitzung
„mit der gesammten Materie verbunden sein könnte. Ich nenne
„dasselbe nicht Geist, weil ich keine Idee von einem Wesen
„habe, das keinen Raum einnimmt und darum nirgends existirt;
„aber weil unser Denken eine Folge der Organisation unseres
„Körpers ist, warum sollte nicht das Universum, welches un-
„endlich mehr organisirt ist, als der Mensch, eine unendlich
„höhere Intelligenz haben, als ein so gebrechliches Geschöpf.“
Der König schliefst diese Betrachtungen mit den Worten:
„Aber, mein lieber Anaxagoras, wenn ihr verlangt, dafs ich
„genauer angeben soll, was diese Intelligenz ist, die ich mit.
„der Materie verbinde, so muls ich bitten mir diefs zu erlassen.
„Ich erblicke diese Intelligenz wie etwas, das man nur unbe-
„Stimmt durch einen Nebel sieht, es ist schon viel dieselbe zu
„ahnen, es ist dem Menschen nicht gegeben sie zu erkennen
„und zu definiren.*
D’Alembert als Philosoph von Fach drückt sich über
diese Gegenstände mit gröfserer Zurückhaltung aus, als der
König; über die Existenz einer höchsten Intelligenz sagt er
nur, dafs die, welche sie läugnen mehr behaupten, als sie be-
weisen können, und dafs die Zweckmälsigkeit in der Natur
eine Intelligenz zu enthüllen scheine, wegen der näheren Bestim-
mung dieser Intelligenz aber bescheidet er sich nur die Fragen
aufzustellen: „Was ist diese Intelligenz, hat sie die Materie ge-
„schaffen oder hat sie dieselbe nur geordnet? Ist eine Schöpfung
„möglich? und wenn sie es nicht ist, ist die Materie darum
„ewig? und wenn die Materie ewig ist und einer Intelligenz nur
„bedurft hat, um geordnet zu werden, ist denn diese Intelligenz
„mit der Materie vereint oder von ihr verschieden? Wenn sie
„damit vereint ist, so ist die Materie eigentlich Gott, und Gott
„ist die Materie, und wenn sie davon verschieden ist, wie be-
„greift man dafs ein Wesen, welches nicht Materie ist, auf die
„Materie wirkt. Wenn man sich alle diese Fragen aufwirft, so
'„kann man nur hundertmal wiederholen: „Was weils ich“, aber
„man muls sich zugleich über seine Unwissenheit trösten, indem
„man denkt, eben dafs wir nicht mehr davon wissen, ist ein Be-
„weis dafür, dafs es uns nicht frommt mehr davon zu wissen.“
In der philosophischen Betrachtung des unvermittelten
Gegensatzes von Freiheit und Nothwendigkeit, neigte sich die
vom 28. Januar 1869. 15
Philosophie der damaligen Zeit überwiegend auf die Seite der
Nothwendigkeit, sowohl die deutsche Leibnitz-Wolfische, als
auch die französische der Encyklopädisten. Friedrich der Grofse
aber tritt hier auf die Seite der Freiheit. Er hatte als Mann
der That das volle Bewulstsein, dafs er in den wichtigsten Mo-
menten seines Lebens nicht einem äufseren Zwange gefolgt
war, sondern frei sich entschieden habe. Das System des Fa-
talismus widersprach also seiner eigenen inneren Erfahrung.
Aufserdem betrachtete er dasselbe auch als verderblich für
die menschliche Gesellschaft, weil es die Fundamente auf wel-
chen dieselbe beruht, die Moral und die guten Sitten unter-
grabe. Ä
In der Kritik des Systems der Natur spricht sich der
König über den darin entwickelten Fatalismus folgendermaafsen
aus: „Ist der Mensch nicht frei, wenn man ihm verchiedene
„Wege vorlegt, dafs er sie prüfe dals er sich zu dem einen
„oder dem andern hinneige und dafs er endlich seine Wahl
.„bestimme. Der Verfasser wird mir ohne Zweifel antworten,
„dals nur die Nothwendigkeit seine Wahl bestimmt. Ich glaube
„in dieser Antwort einen Mifsbrauch des Begriffs der Noth-
„wendigkeit zu erblicken, welcher mit dem der Ursache oder
„des Grundes verwechselt wird. Ohne Zweifel geschieht nichts
„ohne Ursache, aber nicht jede Ursache ist eine nothwendige.
„Es ist mit der Freiheit eben so wie mit der Weisheit, der
„Vernunft, der Tugend und der Gesundheit, kein Sterblicher
„besitzt sie vollkommen, aber doch zu Zeiten. Wir sind in
„manchen Punkten leidend unter der Herrschaft der Nothwen-
„digkeit, in manchen anderen handeln wir unabhängig und frei.
„Halten wir uns hierbei an Locke, dieser Philosoph ist ganz
„überzeugt, dafs, wenn .seine Thür verschlossen ist, er nicht
„Herr ist durch dieselbe hinauszugehen, aber wenn sie offen
„ist, dafs er die Freiheit hat diefs zu thun wenn es ihm be-
„liebt.
Ferner sucht der König dem Verfasser des Systems der
Natur darin Widersprüche nachzuweisen, dafs er als Fatalist
gegen die Geistlichkeit die Regierung und die schlechte Er-
ziehung sich ereifern könne, als ob die Menschen, welche diese
Geschäfte treiben frei wären,- da doch, wenn alles mit Noth-
76 Öffentliche Sitzung
wendigkeit bestimmt würde, jeder Rath, jede Belehrung, die Ge-
setze, die Strafen und Belohnungen durchaus überflüssig und
nutzlos sein würden. |
Friedrich hielt seine Widerlegung des Fatalismus selbst nicht
für ganz genügend, denn er fügt derselben hinzu: „Je mehr
„man diesen Gegenstand auf den Grund verfolgt desto mehr
„verwickelt er sich und man macht ihn durch weiteres Grübeln
„nur so dunkel, dafs man endlich sich selbst nicht mehr
versteht.* Ferner in dem mit dem Manuscript seiner Kritik
zugleich an D’Alembert übersendeten Briefe sagt er: „was
„den Fatalismus betrifft, so bleiben dem Verfasser noch Ant-
„worten übrig, denn diefs ist nach meiner Meinung die am
„schwierigsten zu lösende Frage der ganzen Metaphysik. Ich
„nehme eine Vermittelung zwischen Freiheit und Nothwendig-
„keit an, ich begränze die menschliche Freiheit bedeutend, aber
„ich lasse ihr doch den Theil den ich ihr nach der gemeinen
„Erfahrung über menschliche Handluugen nicht versagen kann.
D’Alembert erklärt sich mit diesen Ansichten des Königs,
namentlich mit dem mittleren Standpunkt zwischen Freiheit und
Nothwendigkeit im Ganzen einverstanden, aber er widerlegt
die Ansicht desselben, dafs in dem Systeme, nach welchem die
Menschen nur Maschinen und äulseren Gesetzen des Schicksals
allein unterworfen sind, die Strafen einerseits und die Moral
andererseits für das Wohl der Gesellschaft unnütz sein würden,
denn in dem Menschen auch wenn er als Maschine aufgefafst
werde, würden die Furcht einerseits und das Interesse anderer-
seits immer die beiden Haupttriebräder sein, welche die Maschine
in Gang erhalten und diese würden einerseits durch die Straf-
gesetze, andererseits durch ein richtiges Studium der Moral in
Bewegung gesetzt, welche zeigt, dafs tugendhaft und gerecht
zu sein unser eigenes höchstes Interesse ist.
Wenn der König selbst eingestehen muls, dafs ihm die
‚versuchte Widerlegung des Fatalismus nicht gelungen ist und
dals durch weiter fortgesetztes Grübeln ihm diese Materie immer
dunkler werde, so liegt der Grund biervon wohl darin, dafs in
der That der Fatalismus aus dem Principe des Materialismus
mit grofser Consequenz abzuleiten is. D’Alembert, der
grolse Mathematiker, der Entdecker des allgemeinsten Prineips
vom 28. Januar 1869. 77
der Mechanik, welches heut seinen Namen trägt, wufste wohl
sehr gut, dafs für irgend ein System materieller kleinster
Theile oder Atome, welche unter der Wirkung bestimmter
Kräfte stehen, aber an sich unvergänglich und unveränderlich
sind, durch den Zustand, welchen dieses System zu irgend
einer Zeit hat, die Zustände desselben für jede andere Zeit
nothwendig und vollständig bestimmt sind. Aber es war nicht
die Sache des grofsen Königs solche Fragen der Mechanik zu
studiren, auch fühlte er durchaus nicht die Verpflichtung als
Philosoph ein einseitiges Prineip in consequenter Weise bis
an seine äufsersten Gränzen zu verfolgen, wodurch es unter
Umständen gezwungen werden kann sich als Unsinn zu er-
kennen zu geben. Seine eigenen philosophischen Gedanken
und Anschauungen, so wie auch die Anforderungen, welche
er an die Philosophie stellte, waren überall mehr die eines
grolsen Königs, als die eines Philosophen. In diesem Sinne
schreibt er in einem Briefe an D’Alembert vom Jahre 1768:
„Ich verzeihe den Stoikern alle Verirrungen ihrer metaphysi-
„schen Schlufsfolgerungen zu Gunsten der grofsen Männer,
„welche ihre Moral gebildet hat. Die erste philosophische Sekte
„wird mir immer die sein, welche den besten Einfluls auf die
„Sitten ausübt, welche die menschliche Gesellschaft sicherer,
„gesitteter und tugendhafter macht. Das ist meine Denkweise,
„sie hat einzig das Glück der Menschen und den Vortheil der
„menschlichen Gesellschaft im Auge. Ist es nicht wahr, dafs
„die Elektrieität und alle Wunder, welche sie entdeckt, bisher
„nur dazu gedient haben unsere Wilsbegierde zu erregen? ist
„es nicht wahr, dafs die Anziehungskraft und die Schwere nur
„unsere Einbildungskraft in Staunen gesetzt haben? ist es nicht
„wahr, dafs alle chemischen Operationen in demselben Falle
„sich befinden? Aber raubt man darum weniger auf den
„Landstrafsen? sind eure Generalpächter darum weniger hab-
„süchtig geworden? giebt man seine Abgaben etwa gewissen-
„hafter? verläumdet man weniger? ist die böse Lust etwa er-
„stickt, oder die Herzenshärte erweicht? Was nützen also diese
„Entdeckungen der Modernen der menschlichen Gesellschaft,
„wenn die Philosophie das Gebiet der Sitten und der Moral
„vernachläfsigt, in welches die Alten ihr ganzes Gewicht legten,
A Öffentliche Sitzung
„Ich kann diese Gedanken, welche ich seit langer Zeit auf dem
„Herzen habe an keinen anderen besser richten, als an den Mann,
„welcher in unseren Tagen der Atlas der modernen Philoso-
„phie ist, welcher durch sein Beispiel wie durch seine Schriften
„die strenge Zucht der Griechen und Römer wieder in’s Leben
„rufen und der Philosophie ihren alten Glanz wiedergeben
„Könnte. * |
Jetzt, wo hundert Jahre verflossen sind, seit Friedrich diefs
an D’Alembert geschrieben hat, können wir wohl über eini-
ges anders urtheilen, als der grofse König. Wir haben seitdem
erlebt, wie grade die Naturwissenschaften, welchen er damals
nur einen theoretischen Werth beilegte, einen mächtigen Ein-
fluls auf die Gestaltung des socialen Lebens geübt haben. Wir
möchten auch wohl der Ansicht sein, dafs der König die Wir-
kung, welche die Philosophie zur Zeit der Stoiker auf das
Volk ausgeübt habe, etwas überschätzt hat, da wir in Wahr-
heit doch nur einzelne hervorragende Charaktere kennen, die
sie gebildet hat. Auch möchten wir glauben, dafs die Philoso-
phie, als Wissenschaft, überhaupt nicht im Stande sei, einen
solchen unmittelbaren Einfluls auf die Masse des Volkes aus-
zuüben und dafs der König mehr die Diener der Religion, als
die Philosophen für den unbefriedigenden sittlichen Zustand des
Volkes hätte verantwortlich machen sollen. Aber zu allen Zeiten
wird die wahrhaft königliche Denkweise Friedrichs des Grolsen,
welcher von der Philosophie, so wie von den besonderen Wissen-
schaften verlangte, dafs sie für seinen höchsten königlichen
Zweck, für die sittliche Hebung seines Volkes, mitwirken sollten,
die Anerkennung und Bewunderung der Nachwelt haben.
Das Curatorium der Humboldt-Stiftung für Naturforschung
und Reisen erstattet statutenmälsig Bericht über die Wirksam-
keit der Stiftung in dem verflossenen Jahre.
Die vierjährige Wahlperiode der drei von der Königl.
Akademie der Wissenschaften zu wählenden Mitglieder des
Curatoriums war mit dem 1. Jan. d. J. abgelaufen. Die Aka-
vom 28. Januar 1869. 79
demie wählte dieselben Mitglieder wieder, und die Vertheilung
der Ämter im Curatorium blieb vorläufig auch dieselbe, da die
statutenmälsige Constituirung des neuen Curatoriums wegen
dauernder Abwesenheit eines Mitgliedes von Berlin nicht ge-
schehen konnte.
In dem Capital der Stiftung hat keine Veränderung statt-
gefunden.
Hrn. Dr. Reinhold Hensel sind für das Jahr 1868
585 Thlr. zum Zweck der weiteren Bearbeitung des von seiner
Reise mitgebrachten, die Wirbelthiere betreffenden Materiales
ausgezahlt worden.
Die laut vorigem Bericht im Jahre 1868 zu Stiftungs-
zwecken verwendbare Summe von 4300 Thlrn. ist auf Beschluss
der Akademie Hrn. Dr. Georg Schweinfurth aus Riga,
zur botanischen Erforschung der südwestlichen Nilländer, über-
wiesen worden. |
Hr. Dr. Schweinfurth war schon einer der ersten Kenner
der Flora der Nilländer, als er, zu Ende des Jahres 1863,
auf eigene Kosten .eine zwei und ein halbes Jahr dauernde
Reise nach Ägypten, dem Abyssinischen Grenzlande Galabat
und dem Sudan antrat. Auf dieser Reise erweiterte er nicht
allein sein Wissen und übte seine Beobachtung, sondern er
erwarb auch einen für das Gelingen einer zweiten Reise nicht
hoch genug zu veranschlagenden Schatz persönlicher Erfahrun-
gen, und knüpfte in Chartum, der natürlichen ÖOperations-
basis für Unternehmungen in jenen Gegenden, wichtige Be-
ziehungen an. Hier an Ort und Stelle entwarf Hr. Dr.
Schweinfurth schon damals den Plan, der seitdem durch
die Hrn. Braun und Reichert der Akademie vorgelegt, deren
Billigung erhielt, und in dessen Ausführung, mit den Mitteln
der Humboldt-Stiftung, Hr. Dr. Schweinfurth gegenwärtig
begriffen ist.
Nach den Erweiterungen, welche der Geographie der oberen
Nilländer in den letzten Jahren durch kühne Entdecker zu
Theil wurden, mufste der dringende Wunsch entstehen, über
die Natur in jenen Ländern etwas Näheres zu erfahren, als
beim flüchtigen Durchwandern oder bei gezwungenem Ver-
weilen im Bann barbarischer Häuptlinge beobachtet werden
80 Öffentliche Sitzung
konnte. Dazu mufste sich ein mit den nöthigen Specialkennt-
nissen und Beobachtungsmitteln versehener Gelehrter in jenen
Gegenden an einem möglichst grofse Ausbeute versprechenden
Orte, der möglichst leicht erreichbar und in Bezug auf Klima
und Bevölkerung möglichst gefahrlos wäre, längere Zeit nieder-
lassen, und sowohl von diesem Mittelpunkt Ausflüge machen,
als auch durch Verkehr mit den Eingebornen Naturproducte
dort an sich ziehen.
Dies ist das Ziel, welches Hr. Dr. Schweinfurth, mit
besonderer Berücksichtigung der Flora, sich gesteckt hat, und
zu dessen Erreichung er in ungewöhnlichem Maafse befähigt
erscheint. Als eine für einen solchen Aufenthalt geeignete Ge-
gend hat er das südwestlich von Port-Rek am Bahr-el-Ghazal,
etwa zwischen dem 6. und 38. Grade N. B. gelegene Bergland
in Aussicht genommen, von dem wir schon durch Hrn. von
‚ Heuglin einige Nachricht erhielten. Fast die einzige mögliche
Art, in diese Gegend einzudringen, besteht bekanntlich darin,
sich den Expeditionen der Chartumer Handlungshäuser anzu-
schliefsen. Hr. Dr. Schweinfurth hat sich also zunächst
auf dem jetzt kürzesten Wege, über das rothe Meer, nach
Chartum begeben.
Der bisherige Verlauf der Reise war sehr glücklich. Die
Direction des Österreichischen Lloyd gewährte, mit gewohnter
Liberalität, dem Reisenden für die Fahrt von Triest nach
Alexandrien, welches er am 17. Juli erreichte, bedeutende Er-
leichterungen. Die Empfehlungen der Akademie und des Cura-
toriums der Humboldt-Stiftung, des General-Consuls des
Norddeutschen Bundes Hrn. Theremin und des Kaiserlich
Russischen Vice-Consuls Hrn. Nicolaieff in Alexandrien
hatten bei der Viceköniglichen Regierung so günstigen Erfolg,
dafs unter anderem dem Reisenden zur Fahrt nach Suez ein
Extrawagen für sein umfangreiches Gepäck unentgeltlich zur
. Verfügung gestellt wurde. Die Fahrt von Suez nach Suakin
machte Hr. Dr. Schweinfurth zum Theil auf einem -Dampfer
der Schwefeleompagnie des Marquis Bassano, und erhielt so
Gelegenheit, die noch wenig bekannten Schwefel- und Petro-
leum-Minen der Gypsberge von Gimsah an der ägyptischen
Küste des rothen Meeres zu besuchen. Von Suakin zog er mit
vom 28. Januar 1869. 8
zehn Kameelen nach Berber, aber nicht auf dem gewöhnlichen
Wege, den er vor zwei Jahren gekommen, sondern einer Ein-
ladung des ihm von seiner ersten Reise. her befreundeten
Gouverneurs von Suakin folgend, über Singat, eine Sommer-
frische der Suakiner. Hier verweilte er mehrere Tage in
einer den Bergländern Abyssiniens sehr ähnlichen Gegend,
und beobachtete unter anderem den neuen, von Hrn. von
Heuglin erwähnten, noch nicht näher untersuchten Drachen-
baum, Dracaena Ombet. Mit reichen Sammlungen und im Be-
sitze einer neuen Karte sowie des barometrischen Nivellements
der Strecke von Suakin nach Berber, schiffte er sich endlich
am 10. October nach Chartum ein, wo er in dem Hause des
Norddeutschen Vice-Consuls, Hrn. Duisberg, gastliche Auf-
nahme fand.
Die letzten Nachrichten vom Reisenden, aus Chartum vom
10. December, eröffnen für den Fortgang des Unternehmens
die erfreulichsten Aussichten. Hr. Dr, Schweinfurth ge-
denkt in seinem Schreiben mit grofser Anerkennung der wohl-
wollenden und energischen Unterstützung, die ihm Seine Ex-
cellenz der Vicekönigliche General- Gouverneur des Sudans,
Dschiaffer Pascha, zu Theil werden läfst. Derselbe hatte
zwischen Hrn. Dr. Schweinfurth und einem in Chartum an-
sässigen Koptischen Grofshändler, Ghattas, einen sehr vor-
theilhaften Vertrag vermittelt. Danach sollte sich der Reisende
einer von Ghattas ausgerüsteten, Chartum etwa am 7. Januar
verlassenden Expedition anschlielsen, welche nach drei Mona-
ten Port-Rek zu erreichen gedachte, von wo Hr. Dr. Schwein-
furth noch 30 deutsche Meilen südlich bis zu einer für seine
Zwecke, wie er glaubt, geeignet gelegenen Seriba (Factorei) vor-
dringen würde. Übrigens beabsichtigte er schon vierzehn Tage
früher als die Expedition, also um Weihnachten, mit einer
eigenen Barke stromaufwärts aufzubrechen und die Expedition in
' Faschoda (Denab), nördlich von der Sobat-Mündung, zu erwarten,
um die Ufer des weilsen Niles auf dieser Strecke mit Mulse zu
untersuchen.
So wird, wenn nicht das Schicksal es noch anders will, das
Jahr der Säcularfeier von Alexander von Humboldt’s Ge-
burt sich der Lieblingswissenschaft seiner Jugend, der Pflanzen-
[1869.] 6
82 Öffentliche Sitzung vom 28. Januar 1869.
kunde, ein neues, unstreitig an Wundern reiches Gebiet in
seinem Namen erschliefsen sehen.
Die Dauer der Reise des Hrn. Dr. Schweinfurth ist
vorläufig auf zwei Jahre festgesetzt.
Die in dem laufenden Jahre zu Stiftungszwecken verwend-
bare Summe beläuft sich, abgesehen von 875 Thlrn., welche
für Hrn: Dr. Hensel reservirt werden, ordnungsmälsig abge-
rundet auf 2500 Thlr.
Hierauf sprach Hr. Lepsius über Aegyptische Kunst.
*
ERDEHTSBERICHT
A | _ KÖNIGLICH PREUSSISCHEN.
"AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
| ZU BERLIN.
Februar: 1869.
| Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymon d.
1 Februsr! ERREeN der philosophisch- histo-
sinssgad rischen Klasse.
een der 1a: Mittheilungen über Conservation und Re-
stauration von Kunstdenkmälern.
4. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Ewald las über Faserkalkbildungen.
Hr. G. Rose legte eine zweite Mittheilung des Hrn.
E. Reusch in Tübingen vor:
Über die Körnerprobe am zweiachsigen Glimmer!).
„Seit meiner ersten ‚Mittheilung über die Körnerprobe am
Glimmer:bin ich durch die Güte des Herrn: Geheimeraths
G. Rose in den Besitz einer grölseren Anzahl von Glimmern
gelangt, an welchen fast durchweg irgendwelche krystallogra-
”) Vergl. die erste Mittheilung in den Monatsberichten der Akade-
mie vom Juli 1868, S. 428.
[1869.] ®
84 Gesammtsitzung
phische Anhaltspunkte zu finden waren. Andrerseits erhielt ich
von Herrn Prof. F. v. Hochstetter in Wien etliche sehr schöne
Glimmer; und so hatte ich reiches Material, das mich nun erst
in Stand setzte, die Glimmer näher kennen zu lernen.
Die Thatsache, dafs einer der Radien der Schlagfigur bei
einer gewissen Gattung von Glimmern senkrecht steht zur Ebene
der optischen Achsen, bei-einer andern‘ Gattung aber parallel
damit geht, habe ich auch .bei Glimmern von kleinem Achsen-
winkel bestätigt gefunden. |
Was aber meine Annahme über die krystallographische
Bedeutung der Schlaglinien anbelangt, so sehe ich mich durch
die Gesammtheit der neu gewonnenen Anschauungen veranlalst,
dieselbe zu modifieiren, beziehungsweise zu vereinfachen. An
den zuerst von mir untersuchten Glimmertafeln waren mir viel-
fach prägnante Falten und Spalten entgegengetreten, die ich als
zur Hauptsäule gehörig annahm; und zu diesen Falten waren
zwei der Schlaglinien immer, senkrecht. Mehrere wohlbegrenzte
Tafeln belehrten mich aber, dafs jene Falten zur zweiten Säule
gehören. | | R
Meine jetzige Auffassung ist daher folgende:
Bus... Fig. IM.
1.: In allen Glimmern geht der characteristische Radius y
der Schlagfigur: parallel der Fläche g, (010), welche den schar-
fen Winkel der Hauptsäule abstumpft, und die zwei: ‘andern
Radien w, «# sind ‚parallel den’ Flächen m (110) der Haupsäule
(Fig. I u. I).
2. Bei einer ersten, am häufigsten vorkommenden Gattung
von Glimmern, steht die Ebene der optischen Achsen ‚senkrecht
vom 4 Februar 1869. 85
auf y und fällt daher in die grofse Diagonale der Hauptsäule
(Fig. D; bei der zweiten Gattung ist jene Ebene parallel mit
y und fällt daher in die kleine Diagonale (Fig. I). |
Leider habe ich von den Glimmern zweiter Art, wie sie
Senarmont in seiner Liste von Nr. 34 bis 57 aufführt, nur we-
nige in dem mir zu Gebot gestandenen Material vorgefunden.
In Betreff der sächsischen Glimmer (Nr. 40) stimme. ich mit
Senarmont überein; dagegen mufs ich den Glimmer vom .Bai-
kalsee (Nr. 34) und den von Utö (Nr. 57), also den ersten und
letzten der Liste nach meinen Bestimmungen zu der ersten
Abtheilung zählen. Es wäre von Wichtigkeit für dle Würdi-
gung der bekannten Hypothese Senarmont’s über die Constitu-
tion der Glimmer, zu untersuchen, ob nicht bei der Bestimmung
_ mehrerer Glimmer der zweiten Abtheilung die so leicht mög-
liche Verwechslung der Säulenflächen m und g, statt gefunden
hat. Sollte sich nemlich herausstellen, dafs bei den Glimmern
zweiter Art die grofsen Achsenwinkel von 50° bis 70° gar nicht
vorkommen, so würde dadurch die so sinnreiche Dr ar
eine Stütze verlieren.
Ich erlaube mir daher die Bitte an die Herren Mineralo-
gen, sie mögen die ihnen zu Gebot stehenden Glimmer der
zweiten Abtheilung einer sorgfältigen Prüfung unterziehen, und
verbinde damit die Erklärung, dafs ich gerne bereit bin, das
mir etwa anvertraute Material nach bestem Wissen zu unter-
suchen und vollständig bestimmte Glimmerpräparate an die Zu-
sender wieder zurückgehen zu: lassen.*
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Jahrbuch der, K. K. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1868.. XVIM.
Band. Wien 1868. 8.
men der K. K. geologischen Reichsanstalt. Jahrgang 1868.
(Schlufs.) Wien 1868. 8. s
‚Correspondenz-Blatt des zool. „mineralogischen Vereins in Regensburg. 22.
Jahrg. Regensburg 1868. 8. |
Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft in Ber lin. 'XX. Band
3. Heft. Berlin 1868. 8. u
ie
86 .. Gesammtsitzung‘
Mittheilungen der. K. K.‚Central-Commission zur Erforschung der Baal
male. XIV. Jahrg. Januar-Februar: Wien.1869. 4 BR,
Bulletin des naturalistes de. Moscow; no. 2. .Moscou 1868.18. |
Bulletin de la societe vaudoise. X,.no. 60. Lausanne 1860. 8.
Archivio giuridico. Bologna 1869. 8. A a |
Memoires de la societe de Bordeaux. Tome VI, 2. a 1868. 8.
Almanague nautico pera 1870. Cädiz 1868. 8. N ERED U RER,
Giornale di scienze naturali. Vol. IV, 1.2.3. Palermo —_ ARE
Annales academici. Lugd Bat. 1868: 4. Ä ij A
Mi ide Gongora y Martinez, a icas de Andabueia.
;, , Madrid 1868. 8. | 1,49
Giuliari, ‚Scipione, Maffei 'e ‚la. ehe bibliöteca, ‚Genova .1868..: 8.
Hirsch et Plan tamour, Nivellement de precision ‚de ld Suisse. Liyre
II.. Genevre 1868. 4. ' |
Belltrami, Teoria fondamentale degli spazi ‚di curvatara constante.
Milano 1868. 4.
11. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Rammelsberg sprach über die Construction einiger
natürlicher Tantal- und. Niobverbindungen.
Darauf legte Hr. Magnus den folgenden Auszug einer
in dem hiesigen physicalischen Laboratorium ausgeführten Ar-
beit des Hrn. Dr. E. Warburg vor.
Über die Erwärmung fester Körper durch das
| Tönen.
Im 24ten Bande von Poggendorf’s Annalen erwähnt Wilh.
Weber, dafs die Verschiedenheit in der Schnelligkeit des Ver-
klingens beim Tönen, welches die verschiedenen Substanzen
| zeigen, bei akustischen Untersuchungen seine Aufmerksamkeit
“ erregt habe; er weis’t darauf hin, dafs der Luftwiderstand, der
eine um so schnellere Abnahme der Amplituden bewirken | muls,
je kleiner die Masse des Körpers ist, auf welchen er wirkt,
zur Erklärung dieser Erscheinung nicht hinreiche und kommt
vom ‘11. Februar 1869. 87
zu dem Schlufse, ‘dafs dieselbe’ in der innern Natur der Kör-
‘per begründet sein müsse. > |
In der That verklingt Blei viel schneller, als Stahl, wäh-
rend die Dichtigkeit des a bedeutend gröfser ist, als die
des. Stahls.
‚Nach .diesen engen muls ein Theil - a
Kraft der Schwingungen : im Innern der. tönenden Körper ver-
braucht werden, und liegt die Vermuthung: nahe, dafs. derselbe
hier. in Wärme‘ umgesetzt wird; dieser Theil wird bei: den Ma-
terien ‚besonders grofs ausfallen, ‘welche, wie z. B.: Blei, rasch
verklingen,: /d. h.'nur einen geringen Antheil: der mitgetheilten
Bewegung an! die umgebenden Medien abgeben.
.., Zuiähnlichen. Betrachtungen geben: die Erscheinunkeh der
Diümpfung! Anlafs, welche: Körper hervorbringen, die man: mit
andern. tönenden ‘Körpern: verbindet. . Setzt: man.:ein Bleirohr,
selbst ein recht dünnes, an ein Glasrohr so an, dafs es. die
Verlängerung desselben .bildet,. so findet man, dafs ‘der longi-
tudinale Ton.;.des Glasrohres aufserordentlich stark gedämpft
wird; dies findet selbst dann statt, wenn man dem Bleirohr die
Länge einer .Halbwelle des Tones giebt, in: welchem Falle: die
Dämpfung‘: am geringsten ist. Ein. Stahl oder 'Melsingstab
bringt ‘unter. diesen Umständen keine merkliche Dämpfung her-
vor. Auch diese Erscheinungen führen auf die Annahme, dafs
ein. Theil der. lebendigen Kraft; der. Schwingungen im Innern
der Körper verbraucht wird, in Folge dessen auf die. Annahme
einer Wärmeerzeugung. durch. das Bone, und. zwar einer Sun
seren in ‚Blei, als in Stahl. |
‚Der. Verfasser stellte: sich die ‚Aufgabe, die keiner
gung'durch das Tönen von. diesem ‚Gesichtspunkte aus zu un-
tersuchen.') ‚Er bediente: sich dabei der Methode, dafs er..die
eine Löthstelle eines Thermoelementes,; in dessen Schliefsungs-
kreis: sich ein Galvanometer mit‘ astatischer Nadel befand; nach
dem Tönen an die zu untersuchende Stelle anlegte; vor dem
Beginn eines jeden ‚Versuches; üherzengie man sich, ' dafs das
1) 'Dafs Wärme Äüreh ‘das Tönen in Fr Körpern erzeugt werde
ist bisher experimentell nicht nachgewiesen; denn die Versuche von Sul-
livan (Phil. Mag. Vol. XXVIL S. 261) und Le -Roux (C. R. L. =
können als ein solcher Nachweis nicht betrachtet werden.
88 .. @esammtsitzung
Anlegen der Löthstelle keinen Ausschlag am Galvanometer ‚her- |
vorbrachte. E
Longitudinaltöne.
Es gelang zuerst an einem Stabe aus Wachs (einem sehr
rasch verklingenden Material), Erwärmung durch das Tönen
nachzuweisen. Ein Wachsstab ward an ein diekwandiges Glas-
rohr so angesetzt, dafs er die Verlängerung desselben bildete;
seine-Länge betrug eine Halbwelle des Tones (berechnet nach
der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles in Wachs, die der
Vrf. ermittelt hat und worüber das Nähere in Pogg. Ann. erschei-
nen wird). Legte man die Löthstelle des Thermoelementes nach
dem Tönen an eine Stelle, wo ein Knoten war, so erhielt man
einen Ausschlag von 300 Skalentheilen im Sinne der Erwär-
mung; in den Bäuchen ergab sich nur ein “Anschlag” von =
Skalentheilen in demselben Sinne. |
Ein Bleirohr von 9=@®.äufs.. Durchm., statt des Wachses
an, das erwähnte Glasrohr befestigt und auch von der Länge
einer: halben Welle, zeigte im Knoten eine Erwärmung = 300
bis 400 Skalentheilen, im Bauch — 40 Skalentheilen. Ein dün-
neres Bleirohr (4”” äufs. Durchm.) von derselben Länge, mit
demselben Glasrohr verbunden, erwärmte sich viel stärker;
man erhielt einen Ausschlag von 600 Skalentheilen als das
Thermoelement nach dem Tönen an den Knoten angelegt wurde.
Es wurden sodann die beiden Bleiröhren parallel neben einan-
der an demselben Ende des Glasrohres befestigt; in diesem
Fall erhielt man in beiden merklich gleiche Erwärmung. Es
ist daraus zu schliefsen, ‘dafs ein dünneres und dickeres Rohr
bei gleicher Gröfse der Schwingunsamplituden in der Einheit des
Querschnittes gleich viel Wärme entwickeln, und dafs das dün-
nere Rohr sich in dem oben erwähnten Versuche nur deshalb
stärker erwärmte, weil die Gröfse der Schwingungsamplituden
. in demselben eine grölsere war; das letztere zeigte sich darin,
dafs der Ton des Systems eine merklich gröfsere Intensität er-
hielt, wenn man das dickere Rohr durch das dünnere ersetzte.
Zu ähnlichen Resultaten führte die Untersuchung selbst-
tönender Bleiröhren. Von drei Röhren gab bei gleicher Wand-
dicke und Länge
vom 11. Februar 1869. 89
ein Rohr. von lie äufs. Durchm. ‘nach anhaltendem kräftigen
Anreiben ‘im Knoten gar
keinen Ausschlag.
IRRE EBENE eds. 19b.,21200rSKkalthı
alien »Aymırn „ 5 us Umrgg HER
. Die Stärke des Ausschlages nahm ab, je weiter man sich vom
Knoten ‚entfernte und in den Bäuchen ward so gut wie gar
keine Erwärmung beobachtet. Es unterliegt wohl nach dem
Obigen ‘keinem Zweifel, dafs auch hier die stärkere Erwär-
mung ‘dünnerer Röhren sich einfach dadurch erklärt, dafs die
Schwingungsamplituden bei gleicher 'Kraftäufserung der ton-
erzeugenden Ursache in engeren Röhren 'eine 'gröfsere sein
mufs, als‘ in weiteren, weil bei weiteren eine gröfsere Masse
in Bewegung gesetzt werden mufs, als bei engeren.
Nachdem in dieser Weise festgestellt war, durch welche
Einrichtung des Versuchs man eine möglichst starke Tempe-
raturerhöhung ‚durch das Tönen erhalten könne, gelang es mit
Leichtigkeit, auch bei andern Metallen eine solche nachzu-
weisen, hier indefs nur dann, wenn die Metalle in Form dünner
Dräthe mit’ einem tönenden ' Glasrohr verbunden, in kräftige
Schwingungen versetzt wurden. : Ein: 14—2"”" dünner Messing-
drath, dessen Länge gleich der Halbwelle des: Glasrohrtones,
gab im Knoten: eine 100: Skalentheilen entsprechende :Erwär-
mung; 'vergröfserte man durch Verkürzung des Drathes die
Stärke der Resonanz, :so wurden 300 Skalentheile erhalten.
Demnächst folgen nach der Stärke der beobachteten 'Tempe-
raturerhöhung: Kupfer, Eisen, Stahl, Holz. |
Ein durch. seine dämpfenden Eigenschaften sehr ausge-
zeichneter Körper ist bekanntlich das Kautschuk. Dem ent-
sprechend erhielt man von einem kurzen, an; das tonerzeugende
Glasrohr angefügten Kautschukröhrehen dicht an der Ansätz-
stelle desselben eine Erwärmung von über 1000 Skalentheilen.
Ein Thermometer, das, vor dem Tönen angelegt, 19° ‚zeigte,
stieg, nach dem Tönen angelegt, auf 21°; die wirkliche Tempe-
raturerhöhung mufste danach viel über 2° betragen.
; Während bei Röhren aus anderem Material, wenn sich
mehrere Knoten bilden, die Temperaturerhöhung in ‘den ver-
schiedenen Knoten ziemlich gleich ausfällt, ist die Erwärmung
90 .@esammtsitzung
beim Kautschuk nur auf,eine geringe Entfernung von der An-
satzstelle an das Glasrohr wahrnehmbar. Dieses auffallende
Resultat rührt ‚offenbar davon her, dafs auf dem Wege durch
das Kautschuk. der Schall so sehr geschwächt wird, dals er
bald eine zu geringe Intensität besitzt, um 'eine melde Er-
wärmung zu verursachen. |
Der einzige untersuchte Körper, bei ln es: mir nicht
gelang, eine Temperaturerhöhung durch das’ Tönen zu erhalten,
war. das Glas. Dünne Glasröhren, .durch Resonanz: in : starke
Schwingungen versetzt, sprangen jedesmal 'entzwei; und mit
dickeren. Stäben ist es mir. nicht ‚gelungen, Wärmeentwicklung
zu beobachten, wahrscheinlich weil dieselben nicht in :hin-
‚reichend kräftige Hahwingängen versetzt werden-konnten.
Transversaltöne.
. Nach ER Vorigen sind abwechselnde Verdicigiehhe und
Verdünnungen, "welche bei Longitudinaltönen auftreten, :eine
wesentliche Bedingung der Erwärmung durch das ‚Tönen. Da
auch’ mit ‘den Biegungen, welche bei: den Transversalschwin-
gungen eintreten, Verdichtungen und Verdünnungen''verbunden
sind,-so war auch bei den Transversalschwingungen eine Tem-
peraturerhöhung zu erwarten! ‘Es gelang auch, eine solche zu
erhalten, indefs' zeigte sich 'eine viel eomplieirtere Vertheilung
der erzeugten: Wärme, als ‘bei’ den Longitudinaltönen. : Man
bedient sich zur Erzeugung des Tones am besten einer Stimm-
gabel, indem man mit der einen Zinke die zu untersuchenden
Körper in Form dünner Röhren oder Dräthe‘'so verbindet, dafs
diese die Verlängerung der betreff. Zinke bilden. :' Durch dieses
Verfahren gelang es, beim Kautschuk; ' Blei,‘ Messing, Kupfer,
Eisen, Stahl’ Temperaturerhöhungen nach dem Tönen nachzu-
weisen, und entsprach die Stärke derselben bei den verschie-
denen Materien den durch Longitudinalschwingungen erhaltenen
Werthen. Man findet indefs:in den Schwingungsbäuchen bei
_ den Transversalschwingungen:nach dem Tönen im Allgemeinen
eine ebenso starke Temperaturerhöhung, als in: den Knoten,
ja beim Kautschuk wurde in den ;Bäuchen mit Sicherheit eine
noch 'grölsere erhaltenz;''nur am freien Ende war die: Erwär-
mung überall: Null. Der letzte Umstand führt zur Erklärung
vom 11. Februar 1869. 91
der Erscheinungen. Es sind nämlich bei den Transversal-
schwingungen die Stellen stärkster Biegung, welche an
frei tönenden Stäben nahe mit den Bäuchen zusammenfallen,
auch Stellen stärkster Wärmeerzeugung, gleichwie bei den
Longitudinalschwingungen die Stellen stärkster Dichtigkeits-
änderung, welehe mit den Knoten zusammenfallen, sich
als Stellen stärkster Wärmeerzeugung erwiesen haben. In
_ entsprechender Weise nimmt nach Kundt’s Versuchen!) die
Wirkung tönender Stäbe auf das hindurchgehende polarisirte
Licht bei den Longitudinalsehwingungen nach den Bäuchen
bei den Transversalschwingungen nach den Knoten und den
freien Enden zu ab.
Wir können danach schliefslich das experimentelle Resultat
dieser Untersuchung dahin zusammen fafsen, dafs jeder feste
Körper sich beim Tönen wahrnehmbar erwärmt, sofern dabei
hinlänglich starke Verdichtungen und Verdünnungen auftreten,
und dafs die Stärke der Erwärmung mit der Intensität dieser
Verdichtungen und Verdünnungen sehr schnell anwächst.
Es hat sich ferner herausgestellt, dafs die verschiedenen
Körper eine um so gröfsere Temperaturerhöhung nach dem
Tönen zeigen, je rascher sie verklingen, resp. je stärker sie
den Ton anderer Körper dämpfen; dabei berechtigt die Gröfse
der Verschiedenheit in den erhaltenen Temperaturerhöhungen
zu der Behanptung, dafs die grölseren Temperaturerhöhungen
nicht auf einer geringeren specifischen Wärme der betreffenden
Körper beruhen, sondern darauf, dafs eine grölsere Wärme-
menge beim Tönen in denselben erzeugt wird.
Bei der Vergleichung der verschiedenen Körper rücksicht-
lich der durch das Tönen erzeugten Wärmemenge drängt sich
ferner die Bemerkung auf, dafs die Wärmeerzeugung in den
Körpern um so gröfser ist, je kleiner deren Schallgeschwin-
digkeit; sie ist am grösten im Kautschuk, in welchem Material
der Schall kaum 40 Meter in der Sekunde zurücklegt. Es
hängt dies jedenfalls damit zusammen, dafs mit der Schallge-
schwindigkeit die Wellenlänge abnimmt und bei gleicher Stärke
1) Pogg. Ann. 123.
92 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
der Erregung in den kürzeren Wellen die Verdichtungen und
Verdünnungen gröfser ausfallen müssen, als in den längeren.
Dabei bleibt nicht ausgeschlossen, dafs auch specifische
Unterschiede der Materie zu der Verschiedenheit der Wärme-
erzeugung in den verschiedenen Körpern beitragen.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Astronomische Nachrichten. Band 72. Altona 1868. 4.
Luerssen, Zur Controverse über die Einzelligkeit oder Mehrzelligkeit
des Pollens der Onagrarien, Cucurbitaceen und Üorylaceen. Jena
1868. 8. Mit Schreiben des Verfassers d. d. Bremen 29. Januar
1869.
Recht, Die. Entwicklung der Weltgesetzee.e München 1869. 8. Mit
Schreiben des Verfassers d. d. München 9. Februar 1869.
K. v. Estorff, Brief an Hrn. Prof. E. Desor. (Abdruck aus der
Allg. Zeitung.) Zürich 1869. 8.
G. Appun, Über die Helmholtz’sche Lehre von den Tonempfindungen.
(Separatabdruck.) Hanau 1863—1867. 8.
15. Februar. Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Pringsheim las:
Über die Bildungsvorgänge am Vegetätionskegel
von Utricularia vulgaris. |
In den folgenden Blättern gebe ich die Resultate einiger
Untersuchungen über Bildungsvorgänge am Vegetationskegel
von Utricularia, die bereits vor Jahren meine Aufmerksamkeit
auf sich gezogen hatten.
Sie betreffen den Entstehungsort und die Entwicklungsfolge der
Seitenorgane dieser Pflanzen und stehen daher im Zusammenhange
mit den Versuchen, den morphologischen Werth der Pflanzen-
organe aus ihrer Entwickelungsgeschichte zu bestimmen, ferner
beziehen sie sich auf den anatomischen Bau des Vegetations-
vom 15. Februar 1869. 93
kegels und berühren die aufgewörfene Frage nach dem einheit-
lichen oder gesonderten Ursprunge der anatomischen Gewebe
des Stammes. Für die Utrieularien im Besonderen versuchen
sie die verwickelten Verhältnisse ihrer Verzweigung aufzuklä-
ren und' den morphologisch differenten Werth ihrer Sprosse
nachzuweisen. — |
Unter den Vegetationsspitzen der Phanerogamen, die meist
flach sind oder sich nur wenig über ihre Blattanlagen erheben,
zeichnen sich, 'wie bekannt, vorzugsweise die der vegetativen
Sprofse einiger Wasserpflanzen durch ihre Ausbildung zu schlan-
ken, die jüngsten Blattanlagen weit überragenden Vegetations-
kegeln aus. Derartige hohe Vegetationskegel sind bekannt von
Ceratophyllum, Myriophyllum, Hippuris, Elodea, Hydrilla und
Aldrovandia. Zu: ihnen treten nach meinen Beobachtungen auch
die Vegetationsspitzen unserer einheimischen Utrieularien und
wahrscheinlich die. aller schwimmenden Arten dieser Gattung
hinzu; Utricularia ‚dichotoma dagegen hat z. B. nach einer Beob-
achtung an einem einzigen Keimlinge, mehr stand mir nicht zu
Gebote, wie es scheint, nur eine flache Vegetationsspitze.
Utriculuria vulgaris, auf welche Species sich zunächst die
nachfolgenden ‘Beobachtungen beziehen, besitzt einen Vegeta-
tionskegel von einer Höhe, die das Doppelte des Durchmessers
seiner Basis an den jüngsten Blattanlagen erreichen kann;
er wird bei kräftig entwickelten. Exemplaren etwa 4 Milime-
ter. hoch. — |
Von allen mir bekannten, schlanken Vegetationskegeln von
Cormophyten — von diesen allein ist hier die Rede — unter-
scheidet sich aufserdem der Vegetationskegel von Utricularia
noch in auffallender Weise durch seine bedeutende hackenför-
mige Krümmung (Fig. 1), die sich noch eine Strecke weit in
die Axe unterhalb der jüngsten Blattanlagen. fortsetzt, etwa so-
weit als diese in der bald überhängenden, bald seitlich ab- oder
aufgerichteten Endknospe der schwimmenden Pflanze verbor-
gen ist. Jeder Sprofs' der Utrieularia ist nämlich an seiner
Spitze nicht nur nach Art der jungen Farrnwedel spiralig ein-
gerollt (Fig. 2), wie dies schon unmittelbar sichtbar ist und
von Irmisch und Buchenan bemerkt worden ist, sondern die
letzte Windung der Axenspirale wird noch von dem über die
94 Sitzung der .physikalisch-mathematischen Klasse
jüngsten Blattanlagen: sich erhebenden, ee es
kegel selbst gebildet (Fig. 1). 19 |
Anatomisch ' beruht seine Krümmung auf der voreilenden
Entwiekelung der Segmente seiner Rückenfläche. Über die be-
wirkende Ursache, die hier nicht blofs die gröfsere Dehnung,
sondern auch die raschere Vermehrung der Zellen der convexen
Hälfte hervorruft, ‘denke ich meine Beobachtungen’ später mit-
zutheilen. ‘Für die gegenwärtige, rein morphologische Aufgabe
genügt es zur ersten Orientirung über die am Kegel auftreten-
den Bildungsvorgänge auf die Krümmung aufmerksam gemacht
zu haben. ° In Bezug auf diese ‘will ich jedoch hier’ noch
hinzufügen, dafs meines Wissens’ an anderen schlanken 'Vegeta-
tionskegeln von 'Cormophyten sich 'nur hin \und: wieder ganz
leichte Andeutungen derartiger Krümmungen finden!) und auch
diese 'sind,'wo sie auftreten, nicht überall constant. — So z.B.
erscheinen in gewissen selteneren Fällen die Vegetationskegel von
Ceratophyjlium, die gewöhnlich eine gerade Axe besitzen, 'leicht
gekrümmt 'und'ebenso scheint sich ‘der Vegetationskegel von
Aldrovandia?) zu’ verhalten. Eine beständige Krümmüng dage-
gen, die'jedoch nur sehr schwach 'angedeutet ist, tritt noch
beim Vegetätionskegel von Salvinia?) auf und hier’ ist es leicht
2) Eine sehr häufige Erscheinung bei niedrigen Vegetationsspitzen
mit sehr nahe unter der Spitze hervortretenden Zweigsprossungen ist bekannt-
lich die Richtungsänderung der Axe der Vegetationsspitze, in Folge deren
diese. zu einer gebrochenen Linie wird. Von diesen nicht seltenen Fällen
unterscheiden sich jedoch die wahren Krümmungen leicht dadurch, dafs
bei ihnen die Axe der eigentlichen Vegetationsspitze —: d. h. der über
die jüngsten Seitensprossungen hervorragende Theil — stets eine krumme
Linie bildet, und so liegt auch die Ursache der erst erwähnten Richtungsän-
derung der Axe in einer Ablenkung der Wachsthumsrichtung der Haupt-
axe durch die überwiegende Ausbildung seitlicher Sprosse, die Ursache
der Krümmung dagegen in ungleichzeitiger Entwickelung der convexen
und concaven Hälfte des Vegetationskegels. =
2) Ich schliefse dies aus einer Zeichnung von upan in Bot. Zeit.
1862. Taf. VII. Fig. ‘23.
3) Siehe meinen Aufsatz über Salvinia. Jahrbücher f. wiss. Bot.
III. Taf. XXIV. Fig. 2.4. XXV‘ Fig. 6. |
“vom 15. Februar 1869. 95
zu::constatiren; dals' dieselbe eine Aufwärtskrümmung der
Spitze der überhängenden Endknöspe ist und: dafs 'dierunmittel-
bar unter: der Scheitelzelle befindliche Region — etwa ‘die 4
jüngsten Stengelsegmente umfassend — hier ae, PIERRE
Stelle. bildet.
»-Nächst seiner areitg zeigt der Veetatiahskeiel von
Utricularia vulgaris nun’ zugleich noch ein auffallendes Verhal-
ten in ‚Bezug auf die Ursprungsstellen der an ihm. hervortre-
tenden Seitensprossungen. — Die Blätter allerdings zeigen
keine Abweichung von den gewöhnlichen Vorgängen. Sie ent-
springen (Fig. 1) in zwei Reihen auf den 'beiden Seiten des
Vegetationskegels, die ich im Gegensatze zu. der ‚convexen
Rückenfläche (r) und der concaven Bauchfläche (ec), in welcher
der Krümmungswinkel (bei v) liegt,als seine Seitenfläehen bezeich-
nen will. Von ihrer Entwickelungsgeschichte nur so viel, als
zum ''Verständnils des Spätern unumgänglich nöthig ist. Sie
entstehen, wie gewöhnlich, ‘als stumpfe, zellige Hervorragungen,
deren jüngste (bY)'etwa in der Höhe des Krümmungswinkels sicht-
bar wird. ' Kurz nach ihrer Anlage erscheint ihr vorderer Rand
“ausgebuchtet (5/77 b2P Fig. 1) und hierdurch ist die erste Andeu-
tung der Spaltung des Blattes in die beiden mittleren, stärksten
Hauptzipfel desselben gegeben. An diesen ersten ‚Zipfeln ent-
stehen dann aus dem rechten auf seiner rechten Seite, aus dem
linken auf dessen linker Seite je ein seitlicher Zipfel und hier-
mit ist’ die Grundgestalt des Blattes von Utricularia angelegt,
das seiner typischen Form nach als vierspaltig-handförmig mit
zwei gröfseren mittleren und zwei kleineren seitlichen Zipfeln
bezeichnet werden kann. — Die weiteren Theilungen dieser _
vier'ersten Hauptzipfel des Blattes, aus: welchen später die
“ seitlichen Sprossungen jedes ‘Hauptzipfels: in acropetaler Folge
hervorgehen, sind ‘unbestimmt, indem: bei ‘den : verschiedenen
Exemplaren, namentlich aber bei den Sprossen verschie-
dener Dignität, welche bei Diricularia auftreten, die Anzahl
der Sprossungen der vier ersten oder Haupt-Blattzipfel eine sehr
verschiedene sein kann; wodurch die Blattform bald :mehr ‚oder
weniger zahlreich fiedrig getheilt erscheinen kann, wobei jedoch
immer 'die vier Hauptblattzipfel, als deren Seitensprossungen
die andern Abschnitte erscheinen, deutlich hervortreten;, bald auf.
96 Sitzung der :physikalisch-mathematischen Klasse
die ersten vier Hauptblattzipfel allein, die keine weiteren Bar
sungen gebildet haben, reducirt ist. 1 |
Die Haare, zweizellige, von einem einkeiligeh 8 Stiel getra-
gene Köpfchen, werden bei Utrieularia schon vom: Vegetations
kegel angelegt. Sie treten allseitig auf dem Kegel auf, vor-
wiegend jedoch und namentlich zuerst erscheinen sie auf dessen
Rückenfläche und hier reichen sie (k' h?’h,... Fig. 1) bis weit
oberhalb der jüngsten Blattanlagen hinauf. Ihr Hervortreten
am Vegetationskegel eilt also der Zeit nach dem Hervortreten
der Blätter: voraus und es ist daher der Vegetationskegel von
Utricularia oberhalb der jüngsten Blattanlagen nicht, wie man
gewöhnlich annimmt, nackt; sondern deutlich, oft mit zahl-
reichen Haaren bis ganz nahe an seiner Spitze bekleidet. '
Getrennt von den Blättern auf der Bauchseite der Vegetations-
kegel (vFig. 1u.v v1»? v*v* Fig.2) entstehen neue Vegetations-
kegel. Die jüngsten, die als eben beginnende Hervortreibungen
kenntlich werden unmittelbar am Krümmungswinkel, also:.in
einer Region, die dem Scheitel des Vegetationskegels‘ näher
‚liegt, als die jüngste Blattanlage und ihre Bildung erfolgt, ohne
jede Beziehung zu einem Blatte des Vegetationskegels. Denkt
man sich dessen Krümmungen aufgehoben, so liegen daher ur-
sprünglich die bisher besprochenen Organe — abgesehen von
den allseitig auftretenden Haaren — in drei Reihen, von denen
zwei Blattreihen sind, die dritte peripherisch von. beiden: etwa
90° 'abstehende die über einander stehende Reihe der neuen
Vegetationskegel bildet (vo! v’ w* ... Fig. 2).
Diese aber wachsen nicht unmittelbar zu seitlichen Laub-
zweigen aus, sondern bilden sich in höchst eigenthümliche Or-
gane um, die zwar früher bereits gesehen, aber mit den nor-
malen Laubzweigen der Pflanze vermengt worden sind. ‚Ich
will diese Organe als Ranken oder vielleicht besser als ranken-
artige Knospen mit ruhender Vegetation bezeichnen. — Die
erwähnten Vegetationskegel, aus denen sie entstehen, | nehmen
nämlich zwar kurz nach: ihrer ' Anlage die characteristische
Krümmung der normalen Vegetationskegel von Utricularia an,
bilden jedoch oberhalb ihres einzigen zu bedeutenderer Länge
entwickelten, basalen Internodiums nur noch wenige, kurze In-
ternodien und ganz kümmerliche und völlig 'ungetheilte Blätter
vom 15. Februar 1869. | 97-
(v! v? v® vt Fig. 2 u.. Fig. 10. 11. 12). Auf diesem unfertigen
Entwickelungszustande sind sie noch an: den erwachsenen Thei._
len der Pflanze zu finden ‘in. Form von kleinen, unter ihrer
Spitze arm und abweichend beblätterten Haken. Eine bedeut-
same Erscheinung, die für, die morphologische Erklärung der
Organe, und Stellungsverhältnisse später wichtig wird, und
auf welche ich ‚gleich hier aufmerksam ‚machen muls, ist die
Thatsache, dafs ohne Ausnahme sämmtliche rankenartige Zweige
gegen die Spitze ihrer Tragaxe zu gekrümmt sind (v?iv?
v* Fig. 2). | |
Wie.es scheint ‚spärlicher als die Vegetationskegel, aus
denen die eben beschriebenen rankenartigen Zweige oder Knos-
pen werden, treten am Vegetationskegel der Mutterpflanze die-
jenigen neuen, Vegetationskegel auf, aus denen die normalen
Seitenzweige der Mutterpflanze hervorgehen. Sie unterschei-
den sich bald nach ihrer Anlage von den Vegetationskegeln jener
rankenartigen Zweige durch ihre in allen Theilen stärkere Aus-
bildung ‚und ihr den Vegetationskegeln der Mutterpflanze gleich-
artiges Verhalten in: Bezug auf die Anlage und die Form ihrer
eigenen: Seitensprossungen. Ihr Entstehungsort fällt in oder
neben die Achsel ihres Tragblattes, jedenfalls ganz in die Nähe
desselben. Bei ihrer geringen Anzahl, da nur sehr wenige
Blätter diese normalen Seitenzweige besitzen, ist es mir bisher
nicht möglich gewesen ihre Ursprungsstelle am Vegetationske-
gel noch genauer festzustellen.
Die Blüthen endlich treten schon in sehr frühen userg;
zuständen der Pflanze aus deren Axe hervor. Auch die Anlage
zum Blüthenstande entsteht aber hier nicht in einer Blattachsel,
sondern sie erhebt sich am Grunde der Anlage eines Seiten-
zweiges und ebenso auch am Grunde der Anlage zu einem
rankenartigen Zweige (B Fig. 2), also hier ganz entfernt von
jedem Blatte, und zwar steht dieselbe dicht neben der Basis
des normalen oder rankenartigen Zweiges meist nicht seitlich
neben, sondern etwas vor demselben fast in dem Winkel, den
der Zweig mit der Achse der Mutterpflanze bildet, so dals man
in ınanchen Fällen mit gutem Rechte sagen kann, der Blü-
thenstand trete bei Utricularia aus der Achsel eines Zweiges
hervor.
98 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
' Die ‘eben geschilderten Bildungs-Vorgänge am Vegetations)
kegel von Utrieularia lassen 'einige für die allgemeinere mor-
phologische Betrachtungsweise der Organe nicht 'uninteressante
Thatsachen 'hervortreten, deren einfache eo ich
hier mit einigen Worten berühren will: - an
Hofmeister hat in seiner allgemeinen Morpholögie der Ge:
wächse'), den an'sich wohl ansprechenden Gedanken entwickelt,
dafs der .morphologische Rang der Seitensprossungen gleichen
Schritt hält mit der Höhe ihrer Ursprungsstellen am Vegetations-
kegel. Gewils ist zuzugeben, dafs diese Ansicht dem thatsächliehen
Befunde der überwiegend gröfsten Mehrzahl’ der Fälle entspricht.
Dafs sie jedoch 'nicht die'allgemeine Geltung besitzt, "die ihr
Hofmeister zuspricht, beweist schon dieser eine von’ mir gefun!
dene und leicht zu constatirende Fall der Entstehung der'Häare
am Vegetationskegel von''Utricularia”) ‘oberhalb aller andern
seitlichen Anlagen. : Übrigens dürften genauere’auf diesen Punkt
gerichtete Untersuchungen jetzt wohl mehr derartige Fälle ans
Licht ziehen.?) ''Begründeter als die Vorstellung, dafs der mor-
phologische Werth der Haare ihre Ursprungsstelle bestimmt,
scheint mir die‘ Ansicht, dafs die Zeit der ersten Entstehung
1) Handbuch : der physiologishhen Baia h, Bqd..I .p. 408 — 416
in . dem Abschnitte „Sprossungen verschiedener Dignität“ namentlich
a u ge | nr
2) Ich mufs hier bemerken, dafs Hofmeister an dem an eitirten
Orte p. 212 auch Utricularia vulgaris — vermuthlich gegenüber einer
ihm schon vor Jahren von mir gemachten mündlichen Mittheilung über die
Entstehung der Haare am Vegetationskegel von Utricularia' — als eine
Pflanze aufführt, die von dem 'von ihm aufgestellten Gesetze der Ent-
wickelungsfolge der Organe ‚nicht: abweicht... Auch ' nach. wiederholter
Prüfung der Thatsachen weils ich mir, den. Widerspruch in ‘unsern An-
gaben über den Bau des Vegetationskegels dieser Pflanze und über die
Stellung der Organe, die er trägt, nicht zu erklären. |
3) Vielleicht bietet Cunonia ‚capensis schon einen zweiten ähnlichen
Fall. Die Darstellung bei Hanstein.(Bot. Zeit. 1868 p. 705) läfst mich
dies vermuthen, obgleich freilich aus der dortigen Beschreibung, da Han-
stein diesen Punkt nicht besonders im Auge hatte, nicht recht ersichtlich
ist, ob die Haare dort blofs über die jüngsten Blätter hinausragen, oder °
wirklich oberhalb deren Ursprungsstelle entstehen.
‚vom 15. Februar 1869. 2%. 0898
der Haare mit der Zeit der Differenzirung der Epidermis im
Zusammenhange steht. Wie Utricularia zeigt, kann diese aber
schon sehr früh am Vegetationskegel selbst fast unmittelbar
unter seinem Scheitel eintreten.
. Nicht minder interessant, als die Entstehungsart der Haare,
scheint mir der Nachweis der Ursprungsstelle jener neuen Ve-
getationskegel, aus denen die bisher nicht unterschiedenen, ran-
kenartigen Sprosse oder Knospen von Dtricularia vulgaris her-
vorgehen. — Über deren volle Bedeutung bleibt allerdigs noch
so lange ein Zweifel, als ich noch nicht mit Sicherhelt anzu-
geben vermag, ob sie später noch in Verbindung mit der Pflanze
oder getrennt von derselben einer Weiterentwickelung zu fort-
pflanzungs- oder vermehrungsfähigen Sprossen fähig sind. Ich
glaube dies zwar nicht, allein die von mir bisher aus Winterknos-
pen erzogenen Pflanzen sind noch nicht alt genug, um hierüber
mit absoluter Gewilsheit zu entscheiden. Soviel steht aber fest,
dafs es Sprosse sind von einer von der der normalen Seitens-
prosse abweichenden, gleichsam niedrigeren Dignität. Wir ha-
ben daher bei Utriculariu zunächst schon zweierlei Arten von
Laubsprossen zu unterscheiden. Erstens die in geringer An-
zahl auftretenden ersten Seitenzweige der Pflanze, die ich die
normalen Seitenzweige oder dienormalen Laubsprosse
nennen will und die, wie oben angegeben war, unmittelbar neben
dem Tragblatte aber auch nicht, wenigstens nicht immer, genau
in dessen Achsel entstehen, und zweitens die rankenartigen
Sprosse oder Knospen, welche an ganz bestimmter Stelle am
Vegetationskegel ganz unabhängig von jedem Blatte der Pflanze
ihren Ursprung nehmen. — Was die ersteren betrifft, so mag
hier noch ausdrücklich erwähnt sein, dafs sie niemals — eben
so wenig wie die Axillarknospen der übrigen Wasserpflanzen
mit schlanken Vegetationskegeln — etwa aus einer wahren
Dichotomie des Vegetationskegels hervorgehen, sondern sie sind
unbedingt, wie jene, Seitenorgane des Vegetationskegels.
Was nun die rankenartigen Sprosse betrifft, so zeigen diese
in ihren Characteren zwar bedeutende Unterschiede von den
normalen Laubsprossen, verhalten sich aber in ihren Jugend-
zuständen und ihren wesentlichsten Entwickelungssphänomenen
dagegen wieder bald ihnen völlig gleich oder doch ähnlich.
[1869.] 8
100 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Sie unterscheiden sich von ihnen, wie bereits hervorgeho-
ben, durch den Ort ihrer Entstehung am Vegetationskegel und
durch ihre völlige Unabhängigkeit von den Blättern, die sie
auch im späteren Alter beibehalten. Sie stehen nämlich auch an
den älteren Theilen der erwachsenen Pflanze stets entfernt von
den Blättern an solchen Stellen der Axe, die der Bauchseite
des Vegetationskegels, aus welchem die Axe hervorging, entspre-
chen. Sonst halten sie in ihrer Stellung gar keine bestimmte Be-
ziehung zu irgend welchen Organen der Pflanze ein. Treten sie
am Knoten auf, so stehen sie bald in gleicher Höhe mit der
Ansatzstelle des Blattes, welches dieser Knoten trägt, bald tie-
fer, bald höher, und am Bezeichnendsten für ihre Unabhängig-
keit ist, dafs man sie an beliebigen Stellen zwischen den Kno-
ten oft mitten auf einem Internodium antreffen kann (Fig. 12),
doch jedesmal nur auf der der Bauchseite des Vegetationskegels
entsprechenden Region der Axe.
Dem widerspricht natürlich nicht, dafs sie auch hin und
wieder neben einem’ Blüthenstande oder einem normalen Seiten-
zweige gestellt sind und es ist sogar ein häufiger Fall, dafs,
wenn diese rankenartigen Sprosse am Knoten stehen, zwischen
ihnen und dem Blatte des Knotens, wenn auch nicht in glei-
cher Höhe, zunächst ein Blüthenstand, und dann dem Blatte
am Nächsten oder schon theilweise vor demselben ein norma-
ler Seitenzweig befindlich ist.
Fernere Unterschiede dieser rankenartigen Sprosse von den
normalen Seitensprossen gehen dann aus der frühen Unter-
brechung der Neubildung von Organen unter ihrer Spitze, aus
der abweichenden Gestalt der Blätter und aus der eigenthüm-
lichen Krümmung, ihres einzigen stark entwickelten basalen In-
ternodiums (J-J Fig. 12), welches ihre äufsere Gestalt vorherr-
schend bestimmt, hervor.
Dagegen gleichen sie wieder den normalen Sprossen, so-
wohl in der Krümmung ihres Vegetationskegels (v Fig. 12), als
auch in der Anlage der Seiten- namentlich der Blattorgane, die
gleichfalls in zwei Reihen an den beiden Seitenflächen des Ve-
getationskegels hervortreten und endlich noch in der Behaarung
der Vegetationsspitze. |
vom 15. Februar 1869. 101
‘Der von mir gewählten Bezeichnung dieser Organe als
rankenartige Sprosse oder Knospen — das Letztere, weil ich
noch nicht unbedingt ihre spätere Weiterentwickelung zu ne-
giren vermag — liegt zunächst ihre eigenthümliche Erscheinung
im ausgebildeten Zustande an den Knoten und Internodien der er-
wachsenen Pflanze zu Grunde, ferner ihr Entstehungsort, da auch
in andern Fällen rankenartige Sprossformen einen von den Blät-
tern unabhängigen Ursprung nehmen möchten, worauf mir die
Untersuchungen von Naegeli und Schwendener') über den Ur-
sprung der rankenartigen Sprosse von Vitis und Ampelopsis hinzu-
deuten scheinen; wenn nicht etwa deren Zeichnungen der Stengel-
spitzen eine andere, als die dort gegebene, Deutung verlangen.
‚Wie es aber auch bei Vitis und Ampelopsis sich verhalten
mag, für Diricularia kann die von den Blättern unabhängige
Entstehung dieser Ranken keinem Zweifel unterliegen. Sie tritt
zu der grossen Anzahl bekannter analoger Fälle bei höheren
Cryptogamen als ein leicht zu constatirender und keine andere
Deutung zulassender Fall unter den Phanerogamen hinzu und
ich kann mich in dieser Beziehung nur der Ansicht von Hof-
meister), die er in seiner allgemeinen Morphologie ausführ-
licher entwickelt, anschliefsen, wonach die beiden Wachsthums-
richtungen, welche den Zweig und das Blatt bilden, trotz ihrer
häufigen Zusammengehörigkeit bei Phanerogamen, doch nicht
nothwendig verbunden gedacht werden müssen, auch in jenen
Fällen, wo sie offenbar getrennt auftreten; eine Vorstellung,
die zu vielfachen unnatürlichen und unwahren, morphologischen
Deutungen geführt hat.
| Dagegen ist es naheliegend anzunehmen, dafs der verschie-
dene Ursprung vegetativer Sprosse derselben Pflanze nicht ohne
Einflufs auf die morphologische und anatomische Beschaffenheit
derselben bleiben wird und es eröffnet sich vielleicht hierin die
Aussicht, wenigstens gewisse Reihen differenter vegetativer
Sprossformen auf verschiedene Ursprünge zurückzuführen. Oft,
wie zum Beispiel bei den Charen’), scheinen hieraus nur sehr
1) Das Microscop. II. p. 605. ?) Handbuch d. phys. Bot. I. p. 431,
3) Jahrb. für wiss. Bot. III. p. 294 u. f. über die nacktfüfsigen
Zweige der Charen.
8*
102 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
geringfügige Differenzen hervorzugehen. Nichts desto weniger
sind sie vorhanden und verdienen schon ihrer Unterscheidung
wegen und der unbekannten Beziehung, die sie zum Entwicke-
lungsgang der Pflanze haben, auch wenn sie nicht unmittelbar
in die Reihe der innerhalb der Sprossfolge wesentlichen Sprosse
fallen, eine genauere Berücksichtigung. —
Ohne auf analoge Fälle hinzuweisen, die doch wieder erst
einer neuen Untersuchung unter dem bezeichneten Gesichts-
punkte bedürfen würden, will ich hier vielmehr die hierauf be-
züglichen Erscheinungen bei den Utricularien, soweit ich die-
selben bisher habe verfolgen können, noch ausführlicher be-
sprechen; da diese, vor Allen aber Utricularia vulgaris, ein
‚geeignetes und lehrreiches Beispiel von Pflanzen mit mehrfachen,
ihrer morphologischen Erscheinung und ihrem anatomischen
Bau nach sehr verschiedenen, vegetativen Sprossformen liefern,
die sich je nach ihren Ursprungsstellen verschiedenartig ent-
wickeln. Eine überzeugende und beweisende Darstellung mei-
ner Auffassungen und Deutungen der Organe und. Stellungs-
verhältnisse der Utricularien würde zahlreiche Abbildungen ver-
langen, die ich mir hier versagen mufs. Ich werde mich daher
durch die Beschreibung und einige wenige Zeichnungen deut-
lich zu machen suchen und verweise auf die Nachuntersuchung
an der lebenden Pflanze, die meine Behauptungen bestätigen
wird. —
Wir haben im Vorhergehenden bereits zweierlei Spross-
formen von Dtricularis vulgaris kennen gelernt. Erstens die
normalen Seitensprosse, welche in jeder Beziehung der Mutter-
pflanze gleichen und der Zeit nach die ersten Seitenverzwei-
gungen derselben bilden. Sie werden unmittelbar neben oder
in der Achsel ihres Tragblattes angelegt. Zweitens die ranken-
artigen Sprosse, die unabhängig von den Blättern an der Bauch-
seite des Vegetationskegels alle an seinem Krümmungswinkel
gebildet werden. — Diese beiden Sprossformen sind jedoch nicht
die einzigen der Pflanze. | Ä
Eine dritte Reihe von Sprossen entsteht auf den Blättern
der alten Pflanze; sie erscheinen auf diesen sowohl nach ihrer
Trennung von der Mutterpflanze als auch noch in Verbindung
mit derselben. Die Vegetationskegel, aus welchen sie hervor-
vom 15. Februar 1869. 103
gehen, entstehen exogen vorzugsweise in der Nähe der Winkel
der obern Blattabschnitte. Ich habe 3—4 Sprosse auf einem Blatte
angetroffen; sowohl an solchen Blättern, die noch mit der Mut-
terpflanze in Verbindung waren, als auch an abgeschnittenen.
Der Vegetationskegel dieser Sprosse zeigt, abgesehen von einer
durchwegs geringeren Kräftigkeit aller Theile keine wesentlichen
Unterschiede vou dem der normalen Sprosse. In ihrer späte-
ren Ausbildung zeigen diese Blattsprosse aber grofse und
auffalende Abweichungen von den normalen Sprossen der Pflanze,
die in ihrer in allen Theilen schwächeren und kümmerlicheren
Ausbildung hervortreten. Anatomisch macht sich diese gel
tend durch die geringere Anzahl der Elemente, die den Stamm
auf dem Querschnitte zusammensetzen; also durch eine gerin-
gere Anzahl von äufseren Rindenzelllagen, durch eine geringere
Zahl der zum Kreise zusammentretenden Luftlücken und durch
geringere Dicke des axilen Fibrovasalstranges. Eine ähnliche
schwächere Ausbildung erleiden auch ihre Blätter, die sich
äufserlich sogleich in der bedeutend geringeren Anzahl der
Fiederungen der 4 Blatthauptzipfel ausspricht. — Diese Sprosse
machen auf den ersten Blick einen von dem normalen Aus-
sehen der Utricularia vulgaris so verschiedenen Eindruck, dafs
man sie unbedingt ohne Kenntnifs ihres Ursprunges nicht als
zu dieser, sondern vielmehr zu Utricularia minor gehörig be-
trachten würde. Ich will sie als kümmerliche Sprosse be-
zeichnen. — Allein auch mit diesen Blattsprossen ist die Anzahl
der Sprossformen der Utricularia vulgaris noch nicht abgeschlos-
sen, vielmehr entstehen an dieser Pflanze ferner noch vegetative
Sprossformen:
1. Am Grunde des gemeinschaftlichen Stieles
der Blüthenstände und zwar gewöhnlich mehrere
weit unterhalb des untersten Blattes dieses Stieles und
gleichfalls exogen und sichtbar ohne Beziehung zu ir-
gend einem Blatte, welches hier gar nicht vorhanden ist.
Ich kenne bisher nur die Jugendzustände dieser
Sprosse und muls es noch unentschieden sein las-
sen, in .wie weit sie im fertigen Zustande den küm-
merlichen Blattsprossen oder den Ranken gleichen
möchten; ich habe aber Grund zur Vermuthung,
104 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
dafs auch am Blüthenstand noch mindestens zweierlei
den kümmerlichen Blattsprossen oder den Ranken
sich anschliefsende Sprossformen gebildet werden.
2. Aus den Stielen der Schläuche; und zwar ent-
stehen die Vegetationskegel dieser Sprosse hier an den
noch jugendlichen Schläuchen ganz nahe an deren Basis
auf der concaven Seitenfläche des Stieles, die, wie
wir bald sehen werden, in ihrem morphologischen
Werthe der Bauchseite einer Sprossaxe entspricht.
Auch diese Vegetationskegel entstehen exogen und
ohne sichtbare Beziehung zu irgend einem Blatte
(Fig. 6C).
Die aus diesen Vegetationskegeln hervorgehenden
Sprosse, von denen ich gleichfalls nur die Jugend-
zustände kenne, haben in diesen eine grofse Ähn-
lichkeit mit den Jugendzuständen der an den Blät-
tern und den Stielen der Blüthenstände entsprin-
genden Sprosse.
Einen Abschlufs gewinnt endlich der Reichthum an Spross-
formen bei Utricularia durch die Erkenntniss des morphologi-
schen Werthes ihrer Schläuche, der ebensowenig als ihr ana-
tomischer Bau bisher genügend aufgeklärt ist.
Die Entwickelungsgeschichte der Schläuche und der Ver-
gleich der Entwickelungserscheinungen ihrer Jugendzustände
mit den Vorgängen an den Vegetationskegeln der normalen °
und rankenartigen Sprosse läfst darüber. kaum einen Zweifel,
dals die Schläuche eigenthümlich modifieirte Sprosse sind, die
den rankenartigen Sprossen am nächsten verwandt noch eine
gröfsere Metamophose als diese erlitten haben. —
Wie die Seitenansicht junger Schläuche (Fig. 7u. 8) zeigt,
krümmt sich der Vegetationskegel der Schläuche (p Fig. 7u.8)
bald nach seiner Entstehung und legt schon sehr früh unter seine
. Spitze 1 od. 2 später zu Einem verschmelzende Blätter (bFig.7u.$)
an, die den jugendlichen Blättern der rankenartigen Sprossen glei-
chend eine noch geringere Entwickelung als diese erlangen und ka-
pottenartig den Vegetationskegel überwachsen. Aufser diesen Blät-
tern entspringt an ihm auf seiner Bauchseite nur noch ein ganz
kleiner nackter Vegetationskegel (s Fig. 7u.8), der sich sehr bald
vom 15. Februar 1869. 105
nach seiner Anlage, wie dies ja Regel ist, der Spitze seiner Trag-
axe zukrümmt. Diese zu einander geneigten Organe, der pri-
märe Vegetationskegel p, dessen Blattorgane d und der aus ihm
_ enstandene secundäre Vegetationskegel s, schliefsen zusammen
den Hohlraum des künftigen Schlauches ein, der sich dann nur
noch durch das Wachsthum der ihn begrenzenden Organe ver-
gröfsert. Eine Complication tritt aber hier im Laufe der spä-
teren Entwickelung durch das eigenthümliche zur Bildung des
sogenannten Ventils führende Verwachsen der beiden ursprüng-
lich freien Vegetationskegel, des primären p und secundären s
ein. Es verwachsen diese in den Hohlraum des Schlauches
‚bis dahin nur einfach hineinragenden Vegetationsenden (Fig. 9)
nämlich noch einseitig mit einander längs eines Stückes der
einander berührenden Seite und das aus dieser Verwachsung
entstehende Verbindungsgewebe entwickelt sich fortwuchernd
zu einer die beiden ursprünglichen Vegetationsspitzen verbin-
denden Gewebeplatte') mit diesen gemeinschaftlich eine Art an
einer Seite offenen Trichters bildend (g in Fig.6 Au.B), der sich
nach Innen erweitert und von der Mündung in die Höhlung des
Schlauches hineinragend, einen canalartigen Zugang in das
Schlauch-Innere darstellt. Ein fernerer Umstand, der über die .
Spross-Natur der Schläuche ebensowenig Zweifel läfst, wenn
man die Bildungsvorgänge am Vegetationskegel von Utricularia
kennt, liegt in der bereits erwähnten Entstehung von wirklichen
vegetativen Sprossen oder von secundären Schläuchen aus
ihrem Stiele (Fig. 6). In gewissen Fällen nämlich, von denen
gleich die Rede sein wird, entsteht an dem Stiele des Schlauches
!) Dieser Trichter wird später zu dem bald als Klappe bald als Ventil
oder Falte bezeichneten Organ der Utrieularien-Schläuche. Den anatomi-
schen Bau der ihn bildenden Gewebeplatte mit den auf ihr befindlichen ab-
weichenden Epidermoidalbildungen u. s. w. übergehe ich hier als zu weit
von der Aufgabe abführend, obgleich die ganze Bildung dieses Trichters
wohl eine eingehendere -Schilderung verdient, zumal sie nirgends richtig
beschrieben ist. Über die Epidermoidalbildungen dieser den Trichter
bildenden Platte an ihrer nach Aufsen gekehrten Seite findet man einige
richtige Notizen in den beiden sonst in jeder Beziehung unbrauchbaren
Arbeiten von Benjamin (Bot. Zeit. 1848) und Reinsch (Jubelschrift der
K. Bayr. Bot. Ges. zu Regensburg 1859).
106 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
unterhalb des secundären Vegetationskegels noch ein zweiter
secundärer Vegetationskegel (s? Fig. 8) und aus diesem wird
entweder wieder ein Schlauch (so entstand in Fig. 6 der Schlauch
B an A) oder ein beblätterter Spross (so entstand in Fig. 6 der
Spross Ü am Schlauch 3). Wir sehen daher, dafs aus der
primären Schlauchaxe an ihrer Bauchseite mehrere neue Vege-
tationskegel hervortreten können, ganz so wie die Vegetations-
kegel der Ranken an der Bauchseite der Axe der normalen
Sprosse und dafs sich diese auch hier, wie dort, verhalten, in-
dem sie gleich nach ihrer Enstehung sich der Spitze ihrer Trag-
axe zukrümmen. Dafs der oberste dieser secundären Vege-
tationskegel in Gemeinschaft mit dem primären jene sonderbare
Metamorphose in den Schlauch und dessen Trichter erleidet,
setzt seiner Fortentwiekelung eine Schranke.
Diese aus der Entwickelungsgeschichte entlehnten Beweise
für die morphologische Natur der Schläuche werden nun endlich
noch durch die gegenseitige Vertretung von Schläuchen und
Sprossen und durch ihr Auftreten in den Blattachseln be-
stätigt.!) —
' In vielen Blattachseln findet man nämlich und zwar genau
. in der Blattachsel je nach dem Alter des Knotens 1, 2, 3 und
mehr Schläuche, und es läfst sich von diesen mit der gröfsten
Entschiedenheit nachweisen, dafs sie genetisch aus einander her-
vorgegangen ein kurzes Sympodium bilden. Sie sind immer
von verschiedenem Alter, der eine geht aus dem andern an
1) Schacht (Beiträge zur Anatomie und Physiologie p. 29 u. f.) hat
bereits die Schläuche der Utricularien als Knospen bezeichnet wegen
ihrer Stellung in der Blattachsel. Allein dieser Schlufs ist aus einer
irrthümlichen Auffassung hervorgegangen; er kennt nicht die Schläuche,
die in der wahren Blattachsel stehen; sondern nach seiner Ansicht ist
vielmehr das Blatt der Utricularia ein beblätterter Zweig, die Blattab-
schnitte hält er für die eigentlichen Blätter und schliefst von der Stellung
der Blattschläuche in den Winkeln der Blattabschnitte auf die Knospen-
natur des Schlauches. Diese ganze Auffassung der Blätter als Zweige
ist aber schon an sich nicht berechtigt, ganz abgesehen davon, dafs die
Blattschläuche nicht einmal gesetzmäfsig in den Winkeln der Blattab-
schnitte, sondern etwas von ihnen entfernt, stehen.
‘vom 15. Februar 1869. 107
s
dessen Stielbasis in der kurz vorher beschriebenen Weise her-
vor (wie Fig. 6, wo aber statt des jüngsten der Spross C' vor-
handen ist). Der zweitälteste B ist deshalb mit seinem Krüm-
mungswinkel dem ältesten A zugekehrt. Der dritte und jüngste
ist immer der mittelste von den dreien, aus dem zweiten ent-
standen, sieht er wieder nach diesem hin.
In anderen Blattachseln findet man anstatt der Schläuche
eine gleiche Anzahl Jugendzustände beblätterter Sprosse, die
ganz dieselben Verhältnisse, Stellungen und genetischen Bezie-
hungen zu einander, wie dort die Schläuche einhalten.
In noch anderen stehen endlich Schläuche und Sprosse
gemischt neben einander (Fig. 6) und halten gegenseitig wie-
derum genau dieselben Beziehungen und Stellungsverhältnisse
zu einander, Schlauch zu Spross oder Schlauch; Spross zu
Schlauch oder Spross, wie in den Fällen, wo nur Sprossun-
gen einerlei Art auftreten, ein. — Es ist demnach ersichtlich,
dafs das einfache Gesetz, welches hier herrscht, folgendes ist:
In den meisten Blattachseln der Utricularien wird ein Spross
erzeugt, aus welchem ein kurzes wickelartiges Sympodium
ohne jede Tragblätter hervorgeht mit Ausnahme des ersten,
in dessen Achsel das ganze Sympodium steht. — Die Anzahl .
der Sprosse hat in den mir vorliegenden Fällen von allerdings
noch nicht alten Pflanzen die Zahl 4 nicht überschritten. Die
Ausbildung der einzelnen Sprosse dieses Sympodiums kann eine
verschiedene sein; sie können sowohl zu Schläuchen als zu
beblätterten Sprossen werden; diese letzteren sind jedoch nicht
identisch mit den normalen am frühesten zur Entwickelung ge-
langenden Seitenzweigen der Mutterpflanze. — Eine Regel in
der Ausbildung dieser Sprosse zu Schläuchen oder beblätter-
ten Sprossen habe ich nicht auffinden können.
Dies sind die Thatsachen, welche uns gestatten, ein über-
sichtliches Bild von der Verzweigunsnorm und den Sprossverhält-
nifsen der Utricularien zu entwerfen, deren Sonderbarkeiten und
Abweichungen vom Gewöhnlichen schon in einigen Puncten we-
nigstens Irmisch') und Buchenan?) aufgefallen sind. Dafs es
ihnen nicht gelang, eine übereinstimmende Lösung zu finden,
') Flora 1858. 2) Bot. Zeit. 65.
108 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
lag unbedingt daran, dafs sie sich auf die Untersuchung der
fertigen Zustände beschränkt und die Erklärung innerhalb des
alten morphologischen Schemas von Zweig- und Tragblatt ge-
sucht haben; Irmisch behauptet, dafs der Blüthenstand und
die vegetativen Zweige auf demselben Knoten ein Sympodium
bilden; Buchenan gelangt nach vielerlei Zweifeln und Beden-
ken zu der Ansicht, sie möchten doch wohl eher Beiknospen
sein. Das eigentliche Sympodium der Blattachsel ist von Bei-
den unberücksichtigt geblieben.
Dafs wirkliche Verhältnifs ist nun aber Folgendes. Man
mufs unterscheiden zwischen den in der Blattachsel und den
neben der Blattachsel am Knoten stehenden Sprossen.
Die in der Blattachsel stehenden, auf welchen sich aber
eigentlich die Behauptung von Irmisch nicht bezog, stehen zn
einander in einer wirklichen genetischen Beziehung.
Von den neben der Blattachsel stehenden kann Verschie-
denes gelten. Man findet hier häufig den normalen Seiten-
zweig daneben einen Blüthenstand und endlich eine Ranke.
Der beblätterte Seitenzweig und die Ranke haben gar
keine Beziehung zu einander. Der Blüthenstand kann zu dem
einen oder anderen eine Beziehung als Bei- oder vielleicht so-
gar Achselknospe dieses Zweiges haben. Wenn endlich aufser
diesen drei Organen aufserhalb der Blattachseln noch meh-
rere andere, rankenartige und 'beblätterte Sprosse auftreten, so
stehen diese sicher zum Blüthenstande, vielleicht auch zum be-
blätterten Sprosse in genetischer Beziehung.
In Bezug auf die Anzahl verschiedener Sprossformen der
Utricularia und deren Ursprungstelle muls man nun — abge-
sehene von dem Blüthenstande — mindestens fünf vegetative
Sprosse verschiedener Dignität unterscheiden.
l. Die normalen Seitensprosse, welche die wichtig
sten und frühesten Verzweigungen darstellen und der
Mutterpflanze gleichen. Sie entstehen unmittelbar neben
auch wohl in der Achsel ihres Tragblattes.
2. Die kümmerlichen Blattsprosse, sie entstehen
exogen vorwiegend an den vorderen Blattabschnitten,
meist in der Nähe des Winkels der Blattabschnitte —
ähnlich wie die Schläuche.
vom 15. Februar 1869. 109
3, Die rankenartige Sprosse, sie entstehen unabhängig
von jedem Blatte auf der Bauchseite der Tragaxe und
kommen deshalb später nicht nur auf dem Knoten,
sondern auch mitten auf dem Internodium vor; nur
immer auf der der ursprünglichen Bauchseite der Axe
entsprechenden Region.
4. Die sympodialen Sprosse der Blattachseln, die
ich nur in ihren Jugendzuständen kenne,. von denen ich
jedoch vermuthe, dafs sie den kümmerlichen Blattsprossen
ähneln möchten; jedenfalls schwächerer Ausbildung sind
als die normalen Seitensprosse. — Abgesehen von dem
ersten in der Blattachsel entstandenen Spross, der in
seiner Ausbildung vielleicht mehr den normalen Sprossen
gleichen dürfte, entstehen die andern Sprosse dieses
Sympodiums ohne Blätter aus einander oder aus den
sie hier vertretenden Schläuchen.
5. Die Schläuche endlich, gleichsam Ranken noch nie-
drigerer Dignität,') d. h. noch mehr metamophosirte
Sprosse als diese; haben in ihrem Ursprunge den wei-
testen. Spielraum. _Mit den kümmerlichen Sprossen
haben sie ihren bekannten Ursprung auf den Blättern
gemein, mit den sympodialen Sprossen den Ursprung in
der Blattachsel oder am Grunde eines anderen sym-
podialen Sprosses ohne jegliches Tragblatt.
Ich mufs hier am Ende meiner Darstellung der Spross-
verhältnifse bei Utricularia noch erwähnen, dafs zu den Unter-
schieden, welche die beblätterten Sprosse verschiedener Dignität
zeigen und die ich bereits bei der Beschreibung der kümmer-
lichen Sprosse, und ihrer Unterschiede von den normalen Sprossen
angeführt habe, auch noch eine analoge Verschiedenheit der von
ihnen gebildeten Winterknospen hinzukommt, zu welchen, wie
bekannt, im Spätherbst die Endknospen der Sprosse sich um-
1) Diese Betrachtung hat um so weniger Auffallendes, als ja auch
in anderen Fällen Ranken zu Hohlformen werden und die Existenz von
Ranken an Wasserpflanzen gerade in der Form hohler Organe vom Dar-
winistischen Standpunkte aus z. B. durch die Auffassung der hohlen Ran-
ken (resp. Schläuche) gleichsam als Wasserkletterer erklärlich wird.
110 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
wandeln. Von der Winterknospe eines sympodialen Sprosses
stammt z. B. das Blatt ab, welches Reichenbach als typisches
Blatt der Winterknospen von Utricularia zeichnet (Deutschlands
Flora XXter Band Taf. 1822 Fig 8); es rührt nicht von den
Winterknospen der normalen Laubsprosse her, deren Blätter
die normale Form des Utriculariablattes besitzen.
Ich schliefse hier diese morphologischen Betrachtungen mit
der nochmaligen Zusammenstellung des wirklichen Befundes
an der erwachsenen Pflanze.
Es ist bekannt, dafs nicht alle Blattachseln oder Knoten der
Utricularia Sprosse erzeugan. Viele sind ganz unproductiv. Die
meisten jedoch erzeugen Sprosse. Einige wenige von diesen in
ihrer Blattachsel einen normalen Laubzweig. Die meisten ein
Sympodium von Schläuchen oder beblätterten Sprossen oder von
beiden Sprossformen gebildet. An einigen Knoten treten nun
zu diesen Achselerzeugnissen des Knotenblattes andere, aulser-
halb der Blattachsel gebildete Sprosse hinzu. Diese zu den Achsel-
sprossen in keiner Beziehung stehenden Sprosse sind gewöhn-
lich ein normaler Laubzweig; ein Blüthenstand; eine Ranke;
und auf dem Blüthenstand können nun wiederum secundäre
Sprosse dieses Blüthenstaudes auftreten. Die Ranken treten
sowohl am Knoten als auf dem Internodium auf. Die Blätter
der Utricularien endlich sind durch ihre reiche Sprossbildung
sehr ausgezeichnet, die normal in Form von Schläuchen und
weniger häufig in Form von kümmerlichen Sprossen in die
Erscheinung tritt.
Eine vergleichende Untersuchung der anderen namentlich
der bewurzelten Utricularien in Bezug auf die hier hervorgetre-
tenen morphologischen Betrachtungen dürfte gewils von Inter-
esse sein. Ich denke dieselbe, sobald mir das lebende Material
zu Gebote stehen wird, noch auszuführen. —
An die vorhergehenden Untersuchungen schliefse ich noch
einige Bemerkungen über den anatomischen Bau des Vegeta-
tionskegels von Utricularia an.
Dieser zeigt, wie ja vorauszusetzen, auch hierin eine er
Ähnlichkeit mit den Vegetationskegeln jener Wasserpflanzen, die
gleich der Utricularia schlanke Vegetationskegel und einen durch
den axilen Fibrovasalstrang ausgezeichneten Stammbau besitzen.
vom 15. Februar 1869. 111
.* Caspary hat bei Aldrovandia') und Hydrilla?); Sanio vor-
zugsweise bei Hippuris”) auf den Bau dieser Vegetationskegel
die Aufmerksamkeit gelenkt, und der Letztere hat es nament-
lich scharf betont, dafs die Scheitelzelle für das innere Gewebe
hier von einer mehrschichtigen Mantelzelllage, von welcher
Epidermis, Rinde und Blätter gebildet werden, überdeckt sei.
Diese Vorstellung hat Hanstem‘) neuerdings auf sämmtliche
Phanerogamen auszudehnen gesucht, indem er die bei jenen
Wasserpflanzen beschriebenen Verhältnisse bei den niedrigen
Vegetationsspitzen der Landpflanzen wiederfindet und daraus
schliefst, dafs die Phanerogamen überhaupt einen von dem der
höheren Cryptogamen durchaus verschiedenen Bildungsgang der
Gewebe in der Vegetationsspitze befolgen. Mir scheint diese
Ansicht, namentlich aber ihre Beweisführung, nicht wohl be-
gründet. Sie beruht ganz allein auf der sehr vieldeutigen Be-
urtheilung eines fertigen Zellnetzes. Die Thatsachen, auf welche
sie sich stützt, liegen in der Erscheinung von Mantellagen, die
sich scheinbar ununterbrochen über den Scheitel der Vegeta-
tionsspitzen hinwegziehen und in die peripherischen Gewebe
des Stammes und der Blätter übergehen; ferner in dem Man-
gel tangentialer Theilungen in den äufsersten Mantellagen des
‚Scheitels, dann noch in der Schwierigkeit, eine oberflächliche
Zelle als Scheitelzelle der gesammten Vegetationsspitze nach-
zuweisen und endlich in dem Auffinden sogenannter innerer
Scheitelzellen, d. h. Scheitelzellen für die inneren Gewebe, die
von jenen Mantellagen bedeckt sein sollen.
Bei den Vegetationskegeln von Uiricularia fallen ähnliche
Erscheinungen sofort in die Augen.
Wenn man jedoch eine grofse Anzahl von Vegetations-
kegeln verschiedener Entwickelung und Kräftigkeit untersucht
1) Bot. Zeit. 1859.
2) Verhandlungen der 35. Versammlung deutscher Naturforscher
nnd Ärzte. 1860.
3) Bot. Zeit. 1864 u. 1865.
4) Die Scheitelzellgruppe im Vegetationspunct der Phanerogamen
(Festschrift der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde,
Bonn 1868.).
112 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
und das Gewebe aufhellenden Reagentien unterwirft, die hier
noch immer Sichereres leisten als Schnitte, wird man sehr bald
zweifelhaft, mit wie viel Mantellagen z. B. man es hier zu
thun hat, und welche der inneren Zellen man ferner als die
eigentliche Scheitelzelle für die inneren Gewebe ansprechen soll.
Bald erhält man den Eindruck zweier, bald den einer einzigen
Mantellage. Bei genauerer Untersuchung wird man bald ge-
wahr, dafs die Mantellage gerade an der Stelle, wo man die
Scheitelzelle des Vegetationskegels zu suchen hat, weniger be-
stimmt ist; dafs hier jedesmal 1-— 2 Zellen sich wesentlich,
wenn auch nicht auffallend, von den benachbarten Zellen der
Mantellage unterscheiden und, wenn auch unbedeutend, doch sicht-
lich tiefer als diese nach Innen greifen (Fig. 3.4.5). Daneben erhält
man, wenn man das Gewebe des Vegetationskegels im Ganzen
betrachtet (Fig. 1), den Eindruck als ob der Kegel von immer
kleineren in einander steckenden Schalen aufgebaut sei oder
vielmehr von radiär gestellten, in einander eingeschobenen keil-
förmigen Zellmassen, die auf einen Punct am Scheitel als ihrem
Gipfel hinweisen; ein Aussehen, welches ganz und gar der
Vorstellung eines Aufbaues des Kegels aus Segmenten einer
Scheitelzelle conform ist. Auf irgendwie gelungenen Durch-
schnitten (Fig.3-5) zeigt das Zellennetz der Spitze eine dieser
Auffassung entsprechende Zeichnung. Sie wird unterstützt
durch die Betrachtung des Kegels von oben und läfst offenbar
die Erklärung zu, dafs die eine der beiden gröfseren Zellen in
der Mantellage des Scheitels die eigentliche Scheitelzelle sei
(v Fig. 5), die nur in ihrer Form von der der grofsen und tief
nach unten einschneidenden Scheitelzellen der höheren Crypto-
gamen etwas abweicht und dafs die von dieser Scheitelzelle durch
radiale Wände abgeschnittenen Stengelsegmente sich schon bei
der ersten Theilung in eine Epidermiszelle und eine innere Ge-
webzelle (s! und s! Fig.5) differenziren. Es würden hiernach,
wie ja an andern Pflanzen auch, hier schon die ersten periphe-
rischen Tochterzellen der Segmente die Epidermislage, d. h.
die Mutterzellen der Epidermis bilden und auch das innere Ge-
webe wird in der gewöhnlichen Weise durch die weiteren Thei-
lungen der nach einander gebildeten inneren Segment-Tochter-
zellen angelegt. —
vom 15. Februar 1869. 113
Hieran schliefsen sich folgende Betrachtungen an.
' Die Erscheinung der Mantellage an sich genügt offenbar
nicht zum Beweise, dafs die Scheitelzelle fehlt, denn sie wird
schon hervorgerufen in den Fällen, in welchen die Scheitelzelle
in ihrer Erscheinung sehr wenig von ihren Tochterzellen ab-
weicht, namentlich wenn sie nach unten nicht deutlich spitz endet,
wie dies bei Utricularia der Fall ist, sondern von einer Fläche be-
grenzt wird und das auffallend frühe Hervortreten der Epidermis-
lage weist nur auf ein sehr frühzeitiges Eintreten eines Wachs-
thumsunterschiedes zwischen den ersten Tochterzellen der Seg-
mente hin. x
Dafs ferner die Theilungswände der Scheitelzelle nothwen-
dig mehr oder weniger gleichlaufen den radialen Theilungswän-
den der Zellen, welche die Mantellage bilden, kann ja gar nicht
auffallen, denn jeder Blick auf die Vegetationskegel der höheren
Cryptogamen, die unzweifelhaft aus einer Scheitelzelle ihr Ge-
webe anlegen, zeigt ja dasselbe; man vergleiche z. B. nur die
Vegetationskegel-Durchschnitte von Salvinia, Equisetum, Sela-
ginella‘), und sie alle würden überdies ebenso auch den Eindruck
einer Mantellage machen, wenn wir, wie z. B. bei Selaginella,
die Scheitelzelle uns etwas kleiner denken und wenn z.B. bei
Salvinia die tangentialen Theilungen der Segmente den horizon-
talen vorausgingen und unmittelbar nach der Anlage der Seg-
mente erfolgen würden. — Mit einem Worte, das Vorhanden-
sein einer Mantellage und die radialen Theilungen sind unbe-
dingt kein Beweis gegen die Existenz einer oberflächlichen
Scheitelzelle.e Dafs diese nun schwierig nachweisbar ist oder
in bestimmten Fällen nicht gefunden werden konnte, ist —
was die Landpflanzen betrifft — gewils ohne Belang; ganz ab-
gesehen davon, dafs ja ihr. Nachweis hier und da schon gelun-
gen ist; und in dem Wirrwarr, welchen die Längsschnitte von
Vegetationskegeln der Phanerogamen oft zeigen, sie zu läugnen,
halte ich wenigstens für noch gewagter als sie zu finden.
Was endlich die inneren Scheitelzellen betrifft, welche die
einzige wesentliche Grundlage der Beweisführung sein könnten,
!) Bequem neben einander im Lehrbuch von Sachs p. 129.132.141,
114 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
so finde ich in den vorliegenden Angaben keinen Beweis für
ihren vorausgesetzten Werth, denn die Annahme einer Scheitel-
zelle hat offenbar nur einen Sinn durch den Nachweis der be-
sonderen gesetzmälsigen Zellfolge, in welcher das Gewebe un-
ter ihr aus ihren Theilungen hervorgeht. Dieser Nachweis ist
bei Hanstein gar nicht geführt, bei Sanio findet sich zwar eine
beiläufige Andeutung, allein weder mit der für diesen Punct
wünschenswerthen Ausführlichkeit, noch von den nöthigen und
für die Beweiskraft einzig entscheidenden Zeichnungen unter-
stützt.
Was ich sehe ist Folgendes. Es finden sich im inneren
Gewebe Zellen, welche die Spitze von mehreren Zellreihen ein-
nehmen, so also, dafs diese Zellreihen in jene einzelnen Zellen
auslaufen (aaa Fig. 3). |
Die Deutung dieser Zellen nach der Vorstellung, dafs das
Gewebe sich aus Segmenten einer Scheitelzelle aufbaut, scheint
mir eine einfache. |
Jede aus irgend einer Segmentzelle hervorgegangene Toch-
terzelle irgend welcher Generation, die selbst später durch tan-
gentiale Theilungen in zwei Tochterzellen zerfällt, muf[s natür-
lich auf 2 Zellenreihen stehen, wenn die unter ihr befindlichen,
ihr gleichwerthigen Zellen diese tangentialen Theilungen bereits
erlitten haben und sie erscheint daher, so lange sie selbst noch
nicht getheilt ist, als Gipfelzelle von 2 oder — wenn unter
ihr noch eine ähnliche Spaltung eingetreien ist — von mehr
Zellreihen. In jedem aus Segmenten einer Scheitelzelle und
deren fortgesetzten gleichartigen Theilungen hervorgegangenen
Zellkörper müssen sich offenbar solche Gipfelzellen finden, wie
z.B. die Zellen a, a, a in Fig.3. Ihr deutlicheres oder undeutliche-
res Hervortreten hängt von vielerlei Umständen ab, niemals
aber sind solche Gipfelzellen die Mutterzellen des unter ihnen
befindlichen Gewebes; sie sind nicht die ältesten, sondern im
- Gegentheil die jüngsten Zellen der ganzen Zellpyramide, deren
Spitze sie einnehmen. |
So lange daher von den inneren Scheitelzellen nicht das
Gesetz nachgewiesen ist, durch welches das Gewebe unter ihnen
aus ihren Theilungen entsteht, scheint mir ihre Deutung eine
willkührliche zu sein, und trotz der grolsen Schwierigkeiten, '
vom 15. Februar 1869. 115
welche die Vegetationsspitzen der Phanerogamen, namentlich
ihrer Blüthensprosse, der Untersuchung und Deutung entgegen-
stellen, scheint es mir so lange immer noch geboten, sich in
der Beurtheilung ihrer Zellnetze von der Analogie der höheren
Cryptogamen leiten zu lassen. |
Erklärung der Abbildungen Taf. Il.
(Es versteht sich von selbst, dafs die Zellnetze nur dort, wo es darauf
ankam, im Einzelnen genau ausgeführt sind.)
Fig. 1. Gekrümmter Vegetationskegel von Utricularia vulgaris
bis weit oberhalb der jüngsten Blattanlagen mit
Haaren besetzt.
rr Rücken; c Bauchfläche; A! AT a Haare;
v Rankenursprung; 5? b!! p!!T p!V Blätter.
2 Pradls eingerolltes Ende eines Sprosses; v v! v!! vi!!!
Y” Ranken in ihren jungen Entwickelungsstadien;
B jugendlicher Blüthenstand; A’ A’ AT Haare des
Rückens; Ah h Haare der Bauchfläche;; bbb stehen-
gebliebene Zipfel abgeschnittener Blätter.
„ 3, 4 u. 5. Zellnetze der Scheitelzellgruppe.
v Scheitelzelle; s! s! das jüngste Segment in eine
peripherische (Oberhaut-) und eine Innen- Zelle
getheilt; s? s’ s? das nächstältere Segment, des-
sen peripherische Tochterzelle bereits getheilt;
s? s? s? s’ ein noch älteres Segment, dessen pe-
ripherische und Innen-Zelle bereits jede eine
Theilung erfahren haben.
6. Sympodium aus einer Blattachsel, bestehend aus zwei
Schläuchen A u. B und einem Sprosse C’ in jugend-
lichem Zustande. A ist älter als B; Bälter als ©.
— Die Vegetationskegel der Schläuche sind schon
verwachsen und bilden mit der Verwachsungsplatte
g den Trichter, der den Zugang ins Innere darstellt.
„ 7. Sehr früher Entwickelungszustand eines Schlauches.
p der primäre; s der secundäre Vegetationske-
gel; b das Blatt.
8. Etwas weiter vorgeschrittener Entwickelungszustand
eines Schlauches, aus dessen Stiel noch ein neuer
Vegetationskegel s” hervorwächst, der ein secundä-
rer Schlauch oder auch ein Spross werden kann;
p, s u. b wie in Fig. 7.
[1869.] ®
SF
116 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Fig. 9. Ein jugendlicher Schlauch durchschnitten; die beiden
Vegetationsspitzen p u. s noch nicht verwaehsen.
„ 10 u. 11. Stücke der Bauchseite von Vegetationskegeln
der Gegend nach der Region unterhalb v in Fig. 1
entsprechend. rrr verschiedene jugendliche Ent-
wickelungszustände der Ranken, hier noch nackte
Vegetationskegel darstellend.
a 12. Eine schon völlig entwickelte Ranke, bei welcher nur
das unterste Internodium JJ JJ noch länger wird;
v Vegetationskegel, bb bb Blätter.
Hr. Poggendorff sprach über das galvanische Ver-
halten des Palladiums.
In seiner merkwürdigen Arbeit über das Hydrogenium hat
Hr. Graham unter Anderem gezeigt, dafs das Palladium,
wenn es Wasserstoff aufnimmt, sich ausdehnt, und wenn es
denselben entläfst, sich zusammenzieht, anscheinend stärker als
es sich zuvor ausgedehnt hatte. Ein Palladiumdraht, der an-
fangs 609"M144 maals, und sich durch Einsaugung von Was-
serstoff um 9%%77 verlängert hatte, kam nach Vertreibung des
Gases auf 599WM444 zurück, verkürzte sich also gegen seine
ursprüngliche Länge um I".
Beide Erscheinungen lassen sich, wenn man gerade keine
numerischen Bestimmungen verlangt, in sehr demonstrativer
Weise darthun, wenn man das Palladium auf elektrolytischem
Wege mit Wasserstoff beladet, und sich dabei einer sehr dünnen
Platte bedient. Ich benutzte eine Platte, die bei 1180 Länge
und 280 Breite, nur 0W”] dick war, und 8%®0 entfernt von
einer Platinplatte in verdünnter Schwefelsäure stand.
Wenn man dieses Plattenpaar mit einer kleinen Grove’-
schen Batterie von zwei Elementen verbindet, in solcher Weise,
dafs sich das Palladium mit Wasserstoff beladen mufs, so be-
obachtet man folgendes. |
Schon nach wenigen Minuten beginnt die Palladiumplaite
sich vom Platin abzubiegen und allmählich ganz bedeutend zu
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vom 15. Februar 1869. 117
krümmen. Nach ungefähr einer Viertelstunde hat diese Krüm-
mung ihr Maximum erreicht. Nun tritt eine Biegung im ent-
gegengesetzten Sinne ein, dergemäfs die Platte sich erstlich ge-
rade richtet und dann dem Platin zuwärts krümmt, was in
kurzer Zeit so weit geht, dafs sie mit demselben in Berührung
kommt, wodurch denn natürlich der elektrolytische Prozefs
seine Endschaft erreicht.
Offenbar haben diese beiden Krümmungen ihren Grund
darin, dafs sich die dem Platin zu- und abgewandte Seite der
Palladiumplatte succefsive mit Wasserstoff sättigen und in Folge
dessen ausdehnen, in ähnlicher Weise wie es bei einer Bre-
guet’schen Feder durch Temperaturveränderungen geschieht.
So wie durch’ diesen Versuch die Ausdehnung des Palla-
diums bei Aufnahme von Wasserstoff augenfällig nach gewie-
sen wird, so läfst sich auch die Zusammenziehung des Metalls
bei Entlassung des Gases deutlich darthun, fast noch auffallen-
der als die Ausdehnung.
Dazu ist nur erforderlich, die Palladiumplatte, nachdem
sie das Maximum ihrer ersten Krümmung erreicht hat, aus
der Flüssigkeit zu nehmen, sie abzuspülen, abzutrocknen und
in eine Weingeistlamme zu bringen. So wie sie hinreichend
heifs geworden ist, krümmt sie sich in entgegengesetztem Sinn,
'aufserordentlich rasch und so stark, dafs sie förmlich wie auf-
gerollt erscheint.
Bei diesen Verlängerungen uud Verkürzungen der Platte
erleiden auch die Querdimensionen derselben eine Änderung.
Namentlich wenn man den Prozefs der Beladung mit Was-
serstoff und der Austreibung desselben durch Hitze mehrmals
an einer nämlichen Platte wiederholt hat, kann man deutlich
wahrnehmen, dafs sie dadurch nicht allein kürzer, sondern
auch schmäler und dicker geworden ist. Nach sechsmaliger
Wiederholung jenes Prozefses hatte meine Platte 8"=0 an
Länge und 1%®5 an Breite verloren, dagegen reichlich 0”®] an
Dicke gewonnen. Diejenige Dimension der Platte also, welche
beim Auswalzen eomprimirt wird, dehnt sich aus, und die bei-
den andern, nach welchen das Metall gestreckt wird, schrum-
pfen bei Austreibung des Wasserstofis zusammen. Dafs ein
Palladiumdraht bei seiner Verkürzung dicker wird, hat bereits
9*
118 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Graham durch die Abnahme des specifischen Gewichts er-
wiesen. | |
Schliefslich mag noch bemerkt sein, dafs wiewohl es Gra-
ham und Würtz nicht geglückt ist, auf rein chemischem Wege
ein Palladiumhydrür darzustellen, dennoch eine solche Verbin-
dung durch den elektrolytischen Prozefs gebildet zu. werden
scheint, denn die verdünnte Schwefelsäure in welcher dieser
Proze[s vorgenommen wird, färbt sich braun, ohne sich zu
trüben oder etwas abzusetzen. Eine Lösung von ätzendem
Kali oder Ammoniak, in welcher letzteren, nach einer älteren
Beobachtung von mir (Monatsberichte 1848 S. 259) das Telluer,
als negativer Pol angewandt, eine so schön und tief weinrothe
Färbung hervorbringt, bleibt dagegen mit Palladium wasserhell.
Hr. Dove las:
Über das barometrische Maximum im Januar 1869.
Durch seine niedrige Temperatur, seinen hohen barome-
trischen Druck, die geringe Spannkraft der in ihm enthaltenen
Dämpfe und seine relative Trockenheit bildet der Polarstrom
den entschiedensten Gegensatz zu dem feuchten, durch hohe
Temperatur stark aufgelockerten Äquatorialstrom. Das gegen-
seitige Verdrängen beider Ströme bestimmt in Verbindung mit
dem Drehungsgesetz die Regeln für die mittleren Verände-
rungen des T'hermometers, Barometers und Hygrometers so
wie die grölste Zahl der wälsrigen Niederschläge, ihr einsei-
tiges Vorwalten die vorkommenden Extreme des Standes dieser
Instrumente.
Wenn der Äquatorialstrom mit grofser Beständigkeit und
erheblicher Intensität lange Zeit geherrscht hat, so versperrt er
der polaren Luft, welche aus der kalten Zone in die gemäflsigte
abfliefsen will, den Weg. Ein Gebiet intensiver Kälte ist dann
südlich begrenzt durch ein Gebiet von ungewöhnlich hoher
Temperatur. Bei der verhältnilsmälsig geringen Ausdehnung
unsrer Beobachtungsnetze in der Richtung von Süd nach Nord
vom 15. Februar 1869. 119
läfst sich aber,- wenn die Grenze beider Gebiete schon ziem-
lich nördlich fällt, nur das südliche Gebiet hoher Temperatur
übersehen, während umgekehrt bei einer südlichern Lage der
Grenze nur das nördliche Gebiet der Kälte sich scharf bestim-
men läfst, das der erhöhten Temperatur hingegen nach Afrika
fällt, sich also der Ermittelung entzieht. Die Aufstauung ver-
mehrt die Dichtigkeit der in den untern Schichten durch die
niedrige Temperatur bereits verdichteten Luft und dadurch
steigert sich der Seitendruck derselben so, dafs die Luft des
Polarstromes in den Äquatorialstrom unten eindringt. Da das
Bett, in welchem jene kalte Luft flielst, sich allmählig erwei-
tert, so erniedrigt der Polarstrom seine Höhe und in diesen
frei werdenden Raum dringt der Äquatorialstrom in den obern
Schichten des Luftkreises ein. Während daher ein mehr oder
minder östlich gewordener Polarstrom abkühlend unten in süd-
lichere Gegenden vordringt, fliefst oben ein anderer Strom nach
entgegengesetzter Richtung, der, je weiter er nach Norden ge-
langt, seinen: Wasserdampf immer mehr in mächtigen Schnee-
fällen verliert. Die im Niederschlag freiwerdende Wärme bricht
die Intensität der Kälte des Polarstromes, während in den süd-
lichern Gegenden jenen Schneefällen eine relativ bedeutende
Kälte folgt, wenn nämlich der Polarstrom so weit hin nach
Süden vorgedrungen ist, dafs der obere Äquatorialstrom bereits,
ehe er zum Beobachtungsort gelangt, seinen überschüfsigen
Wasserdampf in noch weiter südlich gelegenen Gegenden ver-
loren hat. Das barometrische Maximum vermindert auf dem
ganzen Beobachtungsgebiete nun seine Höhe, in den nördlichen
Gegenden durch Abfluls, in den südlichen durch seitliches Aus-
breiten des Stromes. Streng genommen ist die Gesammter-
scheinung die Zusammenwirkung eines nach Süden in den
untern Schichten des Luftkreises fortschreitenden Maximums,
und eines in den höhern Regionen nach Norden sich bewegen-
den Minimums, wie ich bereits im Jahr 1823 an dem Mini-
mum vom 2. und 3. Februar 1823 (Pogg. Ann. 13. p. 606)
nachgewiesen habe.
Den Zusammenhang barometrischer Maxima mit local her-
vortretenden Kältegebieten habe ich in der Darstellung der
Wärmeerscheinungen durch fünftägige Mittel (Berlin 1856 fol.
120 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
pag. vım) und im Gesetz der Stürme (3. Auflage pag. 195) be-
sonders an dem auffallenden Beispiele im Januar 1850 erörtert.
Das seit jener Zeit erheblich vergröfserte Beobachtungmaterial
erlaubt den im Januar 1869 eingetretenen Fall eines barome-
trischen Maximums von einer Grölse, wie sie, so viel wie mir
bekannt ist, noch nie beobachtet worden ist, näher zu erörtern.
Dies ist im Folgenden versucht worden, so weit es die bisher
mir zugegangenen Beobachtungen gestatten. Eine Ergänzung
der jetzt noch bleibenden Lücken hoffe ich später geben zu
können. Es fehlen nämlich noch die Beobachtungen aus Eng-
land, Schottland, Niederland, Österreich, Schweiz, Italien,
Schweden und Rufsland.
Die Untersuchung zerfällt in folgende Abschnitte:
1. Nachweis der hohen Wärme des dem Maximum vor-
hergehenden Äquatorialstromes, die ihn bezeiehnen-
den Niederschläge und die elektrischen Erscheinun-
gen, wie sie als Wintergewitter in der Regel einen
rasch nach Norden vordringenden Südstrom be-
gleiten.
2. Das barometrische Maximum
Erhebung des Barometers von dem December-
Minimum bis zum Januar-Maximum,
Gröfse der Erhebung über den vieljährigen mitt-
leren Barometerstand der einzelnen Stationen,
Fortschreiten des Maximums nach Süden.
3. Die Temperaturerniedrigung durch den nach Süden
vordringenden Äquatorialstrom dargestellt durch fünf-
tägige Mittel. ;
Die intensiven aber local begrenzten Kälteextreme,
die er hervorruft.
4. Der wieder eintretende Äquatorialstrom.
vom 15. Februar 1869. 121
I. Die Wärme des vorhergehenden Äquatorial-
stromes.
Der December 1868 war zu warm um folgende Grös-
sen (R.):
Christiansund 0.15, Aalesund 0.26, Skudesnes 0.04, Mandal
0.74, Sandösund 0.73, Christiania 2.02, Dovre —0.11.
Memel 1.56, Tilsit 1.50, Claussen 2.36, Königsberg 1.48,
Hela 1.08, Danzig 1.57, Lauenburg 2.68, Conitz 2.21, Oöslin
2.42, Regenwalde 2.94, Stettin 2.34, Putbus 1.92, Wustrow 1.95,
Rostock 2.27, Poel 2.20, Schwerin 2.23, Schönberg 2.60, Kiel
3.26, Hamburg 3.64, Neumünster 3.30, Altona 3.04, Neustadt
a. d. Ostsee 2.75, Lübeck 2.78, Husum 2.58, Eutin 3.05, Ot-
terndorf 2.77, Lüneburg 3.46, Hinrichshagen 2.72, Berlin 3.04,
Frankfurt a. d. O. 3.08, Posen 3.25, Bromberg 2.79, Cracau 3.07,
Ratibor 4.19, Zechen 3.35, Breslau 3.67, Landeck 3.83, Eich-
berg 3.60, Kirche Wang 3.80, Görlitz 3.22, Landskrone 2.93,
Gohrisch 3.91, Riesa 4.37, Leipzig 4.02, Dresden 5.07, Zwenkau
4.25, Wermsdorf 4.05, Bautzen 3.37, Zittau 3.17, Zwickau 4.67,
Chemnitz 5.14, Königstein 3.29, Plauen 4.16, Hinter-Hermsdorf
3.23, Grüllenburg 4.29, Freiberg 4.14, Elster 4.02, Annaberg
(untere Stadt) 4.26, (obere Stadt) 4.41, Rehefeld 3.79, Georgen-
grün 3.81, Reitzenhain 3.74, Oberwiesenthal 3.65, Bernburg 4.05,
Torgau 3.51, Halle 4.36, Erfurt 4.54, Mühlhausen 4.20, Son-
dershausen 4.07, Wernigerode 3.34, Heiligenstadt 4.15, Göttin-
gen 3.90, Kassel 3.80, Clausthal 3.58, Braunschweig 3.76, Han-
nover 3.59, Oldenburg 3.24, Jever 3.38, Norderney 2.05, Em-
den 2.66, Lingen 3.62, Löningen 3.21, Münster 3.61, Gütersloh
3.80, Olsberg 3.94, Cleve 3.48, Crefeld 3.99, Aachen 4,33, Brüs-
sel 3.80.
Guernsey 1.59, Helston 2.31, London 2.62, Oxford 2.21,
York 2.30, Boston 3.02, Manchester 2.22, Liverpool 1.34, Car-
lisle 2.99.
Cöln 4.23, Boppard 4.41, Trier 4.79, Birkenfeld 4.59, Kreuz-
nach 4.59, Dürkheim 4.36, Frankfurt a. M. 4.09, Hanau 4.04,
Darmstadt 3.72, Hechingen 5.90, Hohenzollern 4.82, Stuttgart
4.87, Canstadt 4.86, Heilbronn 3.85, Freudenstadt 4.50, Calw
4.05, Ulm 3.86, Schopfloch 4.38, Heidenheim 3.84, Issny 4.40,
122 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Friedrichshafen 3.61, Mergentheim 3.91, Mänchesg 2.06, Wien
2.96, Pesth 3.33.
Metz 4.08, Ichtratzheim 5.02, Paris 3.93, Tours 3.61, Nan-
tes 4.02, Bourg 6.07, le Puy 4.67, Beyrie 5.16, Fecamps 3.18,
Marseille 3.65, Montpellier 3.38, Madrid 2.41, Lissabon 0.97,
Mailand 2.43, Florenz 3.62, Rom 1.30, Palermo 1.53.
Eine. so bedeutende Temperaturerhöhung gehört zu den
grölsten Seltenheiten. In Berlin ist sie seit 1723 nur 1748,
1755, 1765, 1775, 1806, 1824, 1853, 1841, 1845, 1852 also
in 138 Jahren nur 10 Mal, in London in 97 Jahren nur 2 Mal,
1806 und 1850 übertroffen worden. Niemand erinnert sich,
heifst es in den Berichten mancher Station, eines Decembers,
in welchem das Thermometer nicht ein einziges Mal unter den
Frostpunkt sank. Die bedeutendste Wirkung des Äquatorial-
stromes tritt grade im mittleren Europa hervor. Sie schwächt
sich ab, sowohl nach Norden hin, als nach Bude, auch nimmt
sie nach den Westküsten hin ab.
Ein erheblicher Theil jener ungewöhnlichen Temperaturerhö-
hung im December ist entschieden in dem Freiwerden der Wärme
in der Condensation der Wasserdämpfe des Ädquatorialstromes
zu suchen. Der regenlose Sommer 1868 hatte das Niveau der
Ströme so erniedrigt, dafs die Flufsschifffahrt, in Deutschland
wenigstens, überall gehemmt war. Der einzige December er-
setzte diesen Mangel in so ungewöhnlicher Weise, dafs nach
der excessiven Trockenheit des Sommers doch die Niederschlag-
summe des ganzen Jahres nahe dem vieljährigen Mittel ent-
spricht. In Lissabon fielen im December 1868 202.5 Mm.
Regen statt 77.2, in Fecamp 139.2 statt 63.4, in Greenwich
54 Zoll statt 2, die gröfste Menge seit 1815, in Guernsey 8%7,
in Osborne 7.8, in Aldershot 8.'2, in Lampeter 11.2, in Allen-
heads 10.3, in Stonyhurst 9.5, in Santiago, welches seiner Re-
genmenge wegen in Spanien einen so bekannten Beinamen er-
halten hat, 509.0 Mm. Am 24. traten der Cher, Indre und
die Vienne über ihre Ufer, die Loire stieg auf 3.4 Meter, in
Verdun fielen am 29. 15 Mm. in einer Stunde, in Beyrie gaben
13 Tage 77.5 Mm. Ähnliche Erscheinungen zeigte Deutsch-
land. Es fielen in Schwerin 67 par. Linien, in Kiel 66, in Al-
tona 72, in Segeberg 68, in Flensburg 87, in Eutin 67, in
vom 15. Februar 1869. 123
Gram 72, bei der Kirche Wang an der Schneekoppe 74, in
Grofsbreitenbach 103, in Clausthal 96, auf Norderney 80, in
Arnsberg; 65, in Freudenstadt 171, in Issny 92.
Wintergewitter wurden bei dem stets sich erneuernden An-
drängen des Äquatorialstromes beobachtet:
"am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
‚am
am
am
am
am
am
am
3. December in Jever;
5. Dee. in Eutin, Görlitz, Mühlhausen, Göttingen, Wer-
nigerode, Clausthal, Braunschweig, Hannover, Alt-
morchen, Löningen, Münster, Gütersloh, Olsberg,
Arnsberg, Cleve, Crefeld, Cöln, Kreuznach, Darm-
stadt;
6. Dec. in Berlin, Zechen, Breslau, Eichberg, Halle, Tor-
gau, Erfurt, Mühlhausen, Sondershausen, Heiligen-
stadt, Kassel, Hanau, Regenwalde;
7. Dec. in Eichberg, Münster, Regenwalde, Posen;
8. Dec. in Arnsberg, Crefeld, Hanau, Hohenzollern, Mün-
chen, Ischl, Wien, Lemberg, Lorient, Cosne sur
Loire, Blois, Tours (Trombe in Mettray und Notre
Dame d’Oe), Beauficel;
9. Dec. in Smeaton;
11. Dec. in Schönberg in Mecklenburg;
14. Dec. in Bath;
15. Dec. in Lorient, Santiago, Eastbourne;
16. Dec. in Brignolles, Bezieres, Cal&ves, Marseille, La-
vallade, Lorient, Foix, Beauficel, Guernsey und Os-
born;
17. Dee. in Sieie;
18. Dec. in Santiago;
22. Dec. in Caleves, Beauficel, Santiago, Truro und
Bournemouth;
23. Dec. in Guernsey, Truro und Wilten;
24. Dec. in Stuttgart, Heilbronn, Freudenstadt, Verdun,
Auxerre, Guernsey, Helston, Osborne, Worthing,
Tunbridge Wells, Bath;
25. Dec. in Beauficel, Helston;
26. Dec. in Llandudno, Liverpool;
27. Dec. in Caleves, Guernsey, Sidmouth, Taunton, Bath,
Stonyhurst;
124 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
am 28. Dec. in Schwerin, Ratibor, Krakau, Truro, Osborne,
Worthing, Aldershot, London, Halifax, Stonyharst;
am 29. Dec. in Beauficel;
am 30. Dec. in Lorient und Douai (auch in Fecamp und
Beyrie).
. Aulserdem wurde der Donner gehört, am 14. in Hawar-
den, am 16. in Streatly Vicarage, am 24. in Royston, am 29.
in Strathfield Turgiss und Allenheads, hingegen Blitze gesehen
ohne gehörten Donner am 5. in Oardington, am 7. in Bath,
am 10. in Bournemouth, am 13. in Helston und Oxford, am
14. in Helston, Truro, Bournemouth, Taunton, Oxford und
Eccles, am 15. in Bournemouth, am 16. in Halifax, am 18. in
Bournemouth und Welton, am 22. in London, am 24. in East-
bourne, am 26. in Wisbech und Hawarden, am 27. in Strath-
field Turgiss, am 28. in Helston und Eccles, am 29. in Halifax.
II. Das barometrische Maximum.
Von dem niedrigsten Stande im December 1868 bis zu
dem höchsten im Januar 1869 erhob sich das Barometer um
folgende in pariser Linien ausgedrückte Gröfsen:
Cristiansund 21.32, Aalesund 20.34, Skudesnes 21.90, Man-
dal 24.75, Sandösund 24.91, Christiania 23.94, Dovre 21.54,
Memel 26.75, Tilsit 25.05, Claussen 23.19, Königsberg 25,05
Conitz 21.61, Cöslin 23.28, BRegenwalde 23.31, Stettin 23.07,
Putbus 19.64, Wustrow 23.11, Rostock 22.50, Poel 22.31, Schwe-
rin 22.78, Schönberg 23.10, Kiel 23.56, Hamburg 22.41, Neu-
münster 23.10, Altona 22.25, Glückstadt 22.00, Meldorf 22.81,
Segeberg 22.69, Neustadt a. d. Ostsee 22.90, Lübeck 22.89, Flens-
burg 24.00, Cappeln 23.91, Wolteremühle 24.03, Gram 23.50,
Cuxhaven 22.72,. Otterndorf 21.73, Lüneburg 21.38, Hinrichs-
hagen 22.28, Berlin 22.96, Frankfurt a. d. ©. 20.99, Posen 22.59,
Bromberg 22.47, Ratibor 17.21, Zechen 20.12, Breslau 18.80,
‚Reichenbach 18.38, Landeck 16.38, Eichberg bei Hirschberg 17.38,
Kirche Wang 14.23, Görlitz 18.24, Torgau 19.72, Halle 19.14,
Leipzig 19.05, Dresden 18.19, Bautzen 18.62, Tharandt 13.54,
Zittau 17.39, Zwickau 17.44, Chemitz 17.09, Königstein 17.70,
Freiberg 17.24, Elster 15.49, Annaberg 15.47, Rehefeld 15.46,
Reitzenhain 14.99, Oberwiesenthal 14.24, Erfurt 15.14, Mühl-
or Äh 190: 125
hausen 17.90, Grofsbreitenbach 15.14, Göttingen 13.54, Claus-
thal 17.50, Hannover 20.38, Kassel 18.44, Altmorschen 18.16,
Marburg 17.52, Fulda 17.04, Oldenburg 21.62, Jever 23.02,
Norderney 22.77, Emden 22.45, Lingen 20.99, Löningen 21.14,
Münster 19.69, Gütersloh 19.21, Olsberg 18.01, Arnsberg 18.45,
Cleve 20.08, Crefeld 18.88, Cöln 19.19, Boppard 17.77, Trier
17.22, Birkenfeld 16.25, Dürkheim 17.18, Kreuznach 17.34,
Frankfurt a. M. 19.55, Hanau 17.82, Darmstadt 16.96, He-
chingen 13.51, Hohenzollern 13.26, Stuttgart 15.20, Canstadt
15.30, Heilbronn 14.80, Freudenstadt 13.00, Calw 13.20,
Ulm 13.30, Schopfloch 13.00, Heidenheim 13.10, Issny 10.40,
Friedrichshafen 11.20, Mergentheim 15.90, Meersburg 12.41. Ho-
henschwand 11.68, Villingen 12.45, Freiburg 13.81, Petersthal
13.60, Baden-Baden 10.69, München 12.99, Wien 14.97, Pesth
15.20.
Daraus folgt, dafs auf dem Beobachtungsgebiet die Schwan-
kung am gröfsten in Ostpreulsen war und nach der Schweiz
hin ununterbrochen abnimmt. Vergleicht man diese Schwankung
mit den gröfsten Schwankungen, welche überhaupt in dem
Zeitraum vom Januar 1848 bis Januar 1869 auf dem nord-
deutschen Beobachtungsgebiete vorgekommen sind, so findet
man folgende Grössen. Der Unterschied zwischen dem wahr-
genommenen höchsten und niedrigsten Stande des Barometers
war nämlich in pariser Linien:
Maximum. Minimum. Unterschied.
Barometer Jahr Barometer | Jahr
BetesbiB..—.),... : 353.20 | 1869 818.81 | 1863 34.39
Memeh, Zu da. % 350.55 | 1869 318.80 | 1863 31.75
E12. 2 Fe PA une 350.20 | 1869 319.60 | 1855 30.60
Königsberg ..... 350.04 | 1869 320.55 | 1855 29.49
Glanssen . - .ia ;..» 344.18 1869 316.02 1855 28.16
Vomtz.: .. .. kraghsäi 342.19 | 1964 315.58 | 1863 26.61
STE 347.56 | 1864 319.18 | 1863 28.38
Regenwalde..... 348.35 | 1864 321.18 | 1863 27.17
Bee, L., 348.18 1858 319.24 | 1863 28.96
1.1 A 345.58 | 1864 318.08 | 1868 27.90
126 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Maximum. Minimum. |Unterschied.
Barometer Jahr Barometer | Jahr
Kill Biansdsnief 347.82 1858 321.03 | 1863 26.79
Neumünster ..... 347.20 | 1869 | 321.30 | 1863 | 25.90
Altona rs.» n%s 346.71 1864 320.51 1865 26.20
Lübeck „0:42, 346.32 | 1864 319.82 | 1865 26.50
Bauche n Z een 345.80 | 1858 »18.95 | 1868 26.85
Ötterndorf. ... . 3 347.14 | 1858 319.66 | 1865 27.48
Enneburg' 24 2% 1 346.55 | 1858 | 322.23 | 1863 29.32
Wustrow 2.22. . | 347.48 | 1858 | 320.05 | 1863 27.43
Rostock 4.2 Lew 1 346.50 | 1858 320.30 | 1863 26.50
Sehwerin-. 2.1... 345.70 | 1858 319.11 | 1863 25.59
Schönberz. . . 2 ;% 347.23 1858 310.93 1863 26.30
Hinrichshagen. .. . 343.41 | 1858 318.12 | 1863 24.29
Bern Man I IT 346.91 1869 320.72 | 1863 26.19
Frankfurt a.d.0O. .. 346.21 1850 320.99 1869 25.23
Pos 2) 22% 347.21 1869 320.88 1863 26.33
Brömbers naar 346.96 | 1869 321.20 | 1863 25.86
Kaliber. 2.0 0.32% 339.81 | 1864 317.235 371869 22.60
Zechen2i3a, cha 343.60 | 1869 320.12 | 1869 23.48
Breslau... . oyu. 2% 342.11 1850 318.80 1869 23.31
Hiekbere. .. ... u. 332.36 1864 812.49 1863 19.87
Gotz.n 2er... 339.10 1864 316.91 1863 22.19
Torgau. ....... 343.36 | 1859 | 320.86 | 1863 22.50
Halter er ae 343.27 1859 320.91 1863 22.36
Fra > 338.89 1859 12.29 1863 21.60
Mühlhausen ..... 338.79 1859 317.39 1865 21.40
Göttingen ...... 340.86 | 1859 | 318.92 | 1865 20.94
Clausthal: .!..... » 3283.08 1859 302.92 1865 21.61
Hannoyer . .i. .... 345.39 1864 319.64 | 1969 25.71
Oldenburg. „I... . 346.44 | 1859 320.89 | 1865 25.55
EVER one 346.66 1864 313.08 1865 28.58
Norderney au. ,... 347.15 | 1864 | 320.11 | 1865 27.04
Emden; s 2% „3% 387.82 1864 320.67 1865 27.15
Lingen: web. Ziu% 345.37 1864 321.06 1865 24.37
Löningen. „.?. ....% 346.17 1859 320.67 1865 25.90
Miiinster na. 2 hr saneın 544.87 | 1859 320.45 | 1865 24.42
a a ee
vom 15. Februar 1869. rn 127
Maximum. Minimum. |Unterschied.
Barometer | “ Jahr Barometer Jahr
Gütersloh -...... | 344.16 | 1859 320.67 | 1865 23.49
Olsberg . -...... | 331.93. |.1864 311.33 | 1865 20.60
Ceresa as pulse 344.62 | 1859 320.56 | 1865 24.06
Exetelle „-- zn. 2. 345.77 | 1859 | 321.85 | 1865 23.92
Bean. 344.66 7 1359- | 323.51 | 1865 21.15
Boppard... 2... 343.20 | 1859 | 322.50 | 1865 20.70
Dürkheim ...... 340.52 | 1866 | 321.45 | 1865 19.07
rien naeh | 18er 21.62
Birkenfeld... ... 328.29 | 1869 | 310.80 | 1865 17.49
Kreuznach... ... 342.80 | 1859 | 321.48 | 1865 21.32
Frankfurt a.M.... | 343.72 | 1859 | 321.65 | 1869 22.09
Hanau... - or....1.343.24 |.1859.| 322.05 | 1865 21.19
Darmstadt. ..... | 339.24 | 1869 | 321.38 | 1865 17.86
Hechingen ... .... | 324.87 | 1863 | 309.12 | 1865 15.75
Hohenzollern . ... | 310.29 | 1863 295.04 | 1865 15.15
Man sieht, dafs die ungewöhnliche Anhäufung der Luft
sich auf die rulsischen Ostseeprovinzen, Preufsen, Posen und
Schlesien beschränkt, denn im mittleren und westlichen Deutsch-
land ist der jetzige hohe Stand von denen andrer Jahre über-
troffen worden. Die Erniedrigung unter das Mittel war aber
mit Ausnahme einiger Stationen in den andern Jahren bedeuten-
der als im Winter 1888. Da die Stelle des Zusammentreffens
einander aufstauender Ströme zu verschiedenen Zeiten eine
verschiedene ist, das Fallen des Barometers aber von der Rich-
tung der Äquatorialströme, möglicher Weise aber auch von der
wirbelnden Bewegung eines Oyclon abhängt, so sieht man, dals
der Spielraum der Oscillationen ein äufserst complieirtes Phä-
nomen ist. Die Abnahme der Gröfse der Schwankung nach
der Höhe tritt auch hier deutlich hervor, ein Beweis, dafs die
Ursache derselben vorzugsweise in den untern Schichten der At-
mosphäre zu suchen sei, nicht in den obern, ebenso wie die
Zunahme nach Norden, welche in viel höhern Breiten wahr-
scheinlich wiederum in eine Abnahme übergeht.
128
Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
II. Fortrücken des barometrischen Maximums.
Die Beobachtungssstunden des preufssischen meteorolo-
gischen Instituts sind 6, 2, 10. Aus diesen gleichweit abste-
henden Stunden läfst sich das Fortrücken des barometrischen
Maximums ziemlich genau ermitteln. Es trat ein (BRSE
Stunden sind besonders angegeben):
anı"t7,
am 17.
amı17.
am 18.
am 18.
am 19.
Morgens 6 Uhr in Memel 350.55, Tilsit 350. 20, Kö-
nigsberg (7) 350.04, Conitz 342.02, Cöslin 347.42,
Regenwalde 347.82, Bromberg 346.96, Sandösund
(8) 346.30, Christiania (8) 346.17;
Nachmittags 2 Uhr in Claussen 344.13, Reichenbach
in Schlesien 335.88;
Abends 10 Uhr in Breslau 341.09, Posen 344. 96,
Ratibor 338.21, Zechen 343.60, Pesth 340.56, Frank-
' furt a. d. O. 345.73, Wien 338.19, Zittau 335.72;
Nachm. 2 U. in Christiansund (8) 341.73;
Ab. 10 U. in Lüneburg 355.56, Hinrichshagen 342. 30,
Berlin 344.91, Landeck i. Schl. 328.64, Hechingen
323.84, Hohenzollern 309.49, Putbus 344,53, Tor-
gau 344.22, Aalesund (8) 342.13, Skudesnes (8)
343.33, Mandal (8) 344.80, Dovre in Norwegen
317.84, Leipzig 341.28, Dresden 341.01, Bautzen
337.385
Morg. 6 U. in Eutin 345.20, Hamburg 345.38, Cux-
haven 345.69, Otterndorf 345.56, Eichberg 332.01,
Erfurt 338.15, Braunschweig 342.64, Hannover 343.78,
Cassel 338.08, Emden 346.13, Gütersloh 342.22, Cre-
feld 343.39, Cöln 342.87, Kreuznach 340.17, Dürk-
heim 340.06, Darmstadt 339.24, Frankfurt a. M.
341.18, Lingen 344.53, Halle 342.69, Norderney
345.54, Löningen 344.54, Jever 845.49, Oldenburg
345.17, Brüssel (9) 342.32, Zwickau 334.59, Tharand
336.975
am 19. Nachm. 2 U. in Mühlhausen 337.46, Göttingen 339.10,
Clausthal 331.58, Münster 342.69, Cleve 343.21,
Aachen 337.15, Boppard 340.22, Salzwedel 345.70;
am 19. Ab. 10U. in Grolsbreitenbach 319.40, Arnsberg 337.12,
Altmorschen 337.80, Fulda 334.91, Marburg 323.29,
vom 15. Februar 1869. 129
Hanau 340.79, Laach 332.87, Birkenfeld 328.28,
Trier 337.47, München (6) 322.86, Rom (9) 541.56
(nach stürmischem N.);
am 20. Morg. 7 U. Civitavecchia 341.24.
Zu demselben Ergebnifs des Fortrückens führen die Sta-
tionen, von welchen nur angegeben ist, an welchem Tage das
Maximum eintrat. Dies war:
am 17. in Stettin 347.11;
am 18. in Cappeln 349.40, Chemnitz 332.95, Freiberg 328.97,
Annaberg 320.69;
am 19. in Kiel 346.49, Neumünster 347.20, Altona 345.33,
Glückstadt 345.00, Meldorf 345.68, Segeberg 344.04,
Neustadt 345.53, Lübeck 345.78, Flensburg 345.81,
Eutin 345.20, Woltersmühle 345.02, Wustrow 346.89,
Rostock 345.5, Schwerin 344.55, Schönberg 346.03,
Poel 347.96, Oldesloe 344.86, Heidenheim 324.5,
Mergentheim 336.4, Carlsruhe 339.7, Mannheim 340.1,
Buchen 331.7, Wentheim 338.9, Königstein 331.32,
Elster 324.80, Rehefeld 317.17, Reitzenhain 313.62,
Oberwiesenthal 332.47.
Nach den in den Nouvelles meteorologiques der meteorologi-
schen Gesellschaft in Frankreich mitgetheilten Abweichungen
scheint das Maximum in Italien, Griechenland und der Türkei erst
am 20. eingetreten zu sein, auf der iberischen Halbinsel hingegen
früher, zwischen dem 17. und 19. Bei der verschiedenen Erhebung
der einzelnen Stationen über das Meeresniveau lassen sich die
angegebenen Zahlen nicht unmittelbar mit einander vergleichen,
Die Bestimmung, wie viel das barometrische Maximum das
Monatsmittel des Januar von 1869 übertrifft, würde eben so
wenig eine richtige Vergleichung geben, da dieses Mittel unge-
wöhnlich hoch war, und zwar in Ostpreufsen sich viel mehr
von seinem aus vielen Jahren bestimmten Werthe unterschied,
als im südwestlichen Deutschland. Ich habe daher das Maxi-
mum auf den aus vielen Jahren bestimmten Werth des Jahres-
mittels bezogen und die Stationen nach der Gröfse ihrer Ab-
weichung geordnet. Zahlen ohne Zeichen bedeuten den Über-
schuls des Druckes über das barometrische Mittel der Station,
Nur bei den mit einem * bezeichneten Stationen habe ich mich
130 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
begnügen müssen, bei der in den Nouvelles meteorologiques
gegebenen Abweichungen vom Monatsmittel stehen zu bleiben.
Petersburg 15.97.
Helsingfors 14.44.
Memel 13.88, Tilsit 13.86, Stotkhake 13.75.
Claussen 12.42.
Cöslin 11.53, Bromberg 11.34, Conitz 11.07.
Christiania 10.99, Regenwalde 10.99, Leipzig 10.98, Neu-
münster 10.77, Poel 10.67, Posen 10.62, Stettin 10.38, Lemberg
10.33, Torgau 10.30, Zechen 10.24, Wustrow 10.24, Frankfurt
a. d. Oder 10.01.
Lübeck 9.95, Putbus 9.82, Dürkheim 9.76, E
9.70, Sandösund 9.66, Woltersmühle 9.60, Kiel 9.52, Schönberg
9.42, Meldorf 9.38, Berlin 9.26, Salzwedel 9.20, Rostock 9.16,
Schwerin 9.14, Emden 9.09, Neustadt a. d. Ostsee 9.08, Ottern-
dorf 9.05, Breslau 9.04, Krakau 9.00.
Lüneburg 8.96, Altona 8.93, Jever 8.77. Norderney 8.68,
Erfurt 8.67, Ratibor 8.64, Halle 8.64, Hannover 8.45, Oldenburg
8.22, Dovre 8.22, Eichberg 8.20, Löningen 8.15.
Mühlhausen 7.93, Gütersloh 7.89, Mandal 7.89, Cleve 7. 85,
Cöln 7.84, Görlitz 7.83, Kassel 7.76, Münster 7.75, Crefeld 7.69,
Göttingen 7.43, Prag 7.36, Ofen 7.32, Brüssel 7.31, Skudesnes
7.18, Frankfurt a. M. 7.06. |
Olsberg 6.98, Darmstadt 6.97, Wien 6.37, Kreuznach 6.82,
Aalesund 6.78, Ischl 6.69, Christiansund 6.60, Aachen 6.53, Ha-
nau 6.41, Heidenheim 6.14, Szegedin 6.12, Boppard 6.09, De-
breczin 6.03.
Agram 5.98, Klagenfurt 5.95, Mailand* 5.85, Ferrara* 5.85,
Birkenfeld 5.79, Triest 5.50, Ancona 5.50, Hermanstadt 5.45,
Florenz* 5.41, Trier 5.40, München 5.35, Ile d’Aix* 5.32, Athen*
5.23, Hechingen 5.09, Bludenz 5.05, Aosta* 5.01.
Pola4.83, Hohenzollern 4.66, Lesina 4.48, St. Matthieu* 4.43,
Smeaton” 4.26.
Santiago* 3.86, Lissabon* 3.72, Rom 3-59, Ellabus* 3.50,
Sieie* 3.46, Madrid* 3.26, Durazzo 3.24, Murcia* 3.06.
Constantinopel* 2.35.
Palermo” 1.86.
Ponta Delgada* —2.08.
vom 15. Februar 1869. 151
IV. Der abkühlende Einflufs des vordringenden
Polarstromes.
Eine den mittleren atmosphärischen Druck sechszehn Li-
nien übersteigende Barometerhöhe, wie am 17. in Petersburg,
ist, so viel mir bekannt, noch nie beobachtet worden. Der
Druckunterschied zwischen dem 17. Jan. 1869 u. 20. Jan. 1863
entspricht dem Drucke einer Wassersäule von 39 Zoll Höhe.
Lälst eine solche Erscheinung sich allein durch anomale Wärme-
verbreitung erklären, oder müssen wir noch andere Ursachen
als mitwirkend annehmen?
Die folgende Tafel enthält zur Beantwortung dieser Frage
die Abweichungen der fünftägigen Wärmemittel vom 27. De-
cember 1868 bis zum 30. Januar 1869 von vieljährigen Mitteln
dieser Pentaden in Reaumurschen Graden.
Decb. Januar
27—31I] 1—5 | 6—10 | 1-15 16-20) 21—25126—30
Christiania ... — 1.29 3.31 2.03 2.58 | —1.06 2.97
Memei. o.... 5.94 1.39 5.77 5.00 | —2.97 | —1.91| —0.24
bay 1 HE 4.15 1.81 5.92 5.16 | —3.83 | —4.55 | —0.49
Claussen ....1 6.36 227 5.67 4.00 | —5.02 | —7.00 | —0.19
Königsberg...| 5.31 2.18 5.58 3.94 | —3.93 | —3.93 | —0.32
a A a a cl 3.96 2.60 | —2.48 | —4.24 | —1.27
Gahilz 42»... 4.05 | 3.52 | 6.57 | 4.86 |—2.88| —4.93| 1.56
Colin )...:. 2.66 | 2.94 | 5.20 | 3.35 |—3.63| —4.18| - 1.35
Regenwalde ..| 3.49 | 3.43 | 4.59 | 2.89 | —3.40 | —3.57 | —0.57
Stein... ..:. 4.40 | 3:56 | 5.95] 2.82 | — 8.32 —4.08| : 2.18
Putbus...... — | 3.12 | 5.04 | 2.79 |—2.17 | —2.52| 0.84
Wustrow ....| 2.28 | 2.83 | 4.20 | 1.35 | —2.94 | —2.03| 1.06
Rostock... 3.08 | 3.68 | 5.29 | 1.81.|—2.60| —3.65| 1.22
i a: DE Be Ba 3.84 | 48T || 1.87 | -2207 1--365 ai
Schwerin....| 2.91 | 3.32 4.70 1.71 | —9.34 | —4.79 1.69
Schönberg ...| 3.12 | 3.86 9.58 1.96 | —2.64 | —4.34 1.95
Kiel ....... 2.64 | 3.63 4.79 1.63 | —2.68 | —3.35 1.59
Altona...»..: 2.69 | 3.75 4.40 0.36 | —2.99 | —4.54 1.57
Enbeck |. 3.65 | 4.01 9.99 1.84 | —2.76 | — 3.34 1.854
Batın- . 8:47 2.89 | 3.38 4.82 0.88 | —3.25 | —3.76 1.45
[1869.) 10
Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
132
Decb. Fan aa
27—31] 1—5 | 6—10 | 11-15] 1620) 21-23|26—30
Cuxhaven.... — 3.47) 3.94 | —0.21 | — 3.93 | — 4.62 | — 0.18
Ötterndorf ...| 2.73 3.23 4.05 0.53 | —1.92 | —4.98 T8
Lüneburg... 3.02 3.94 5.11 2.06 | —2.12 | —5.25 1.88
Hinrichshagen . | 3.78 4.17 6.06 2.83 | —2.86 | —4.89 2.42
Berlin: Ir. Hl 5.62 4.64 5.95 2.48 | —3.47 | —4.13 1.85
Frankfurt a. 0.| 5.41 | 461| 6.14| 3.14 | —3.55 | —6.47| 1.32
Posen, nr 0% 5.97 3.73 6.45 4.53 | — 3.26 | — 7.26 1.78
Bromberg....| 4.98 4.66 6.67 5.11 | —3.29 | — 6.46 1.42
Ratıbor,...-. 7.83 5.90 5.29 2.50 | —2.88 | — 9.40 1.34
Krakau .....-1 6.58 5.81 5.01 1.44 | —5.92 | —8.42 0.93
Zeehen. „3.3 5.92 4.53 6.00 2.67 | —4.16 | — 8.85 2.00
Breslau... 5.817 35) 6.37 2.42 | —4.90 | — 8.60 1.98
Eichberg ....| 6.24 5.17 4.38 1.49 | —4.83 | -10.01 0.25
Görlitz... 6.01 4.98 5.24 1.35 | — 3.86 | — 8.72 0.84
BrastL. 0er it = 5.46 4.85 | —0.03 | — 4.35 | — 7.82 | —0.99
Wienrzrr7r 7.00 5.22 3.65 | —0.87 | — 3.97 | — 7.73 0.23
Debreezin.... — 6.85 4.18 0.13 | —5.92 | —6.30 | —1.39
Lemberg .... — 4.26 3.78 0.13 | -10.06 | — 8.88 | — 1.36
Szegedin ee Fa — 4.62 1.22 | —0.77 | —6.82 | —9.04 | —2.59
Hermanstadt. . — 5.88 3.15 | —1.86 | — 7.71 | — 7.70 | —5.74
Agram...... — _ 4.16 0.00 | — 3.96 | —8.80 | —1.62
isst Sr — 3.09 2:10 0.14 | —2.18 | —4.74 | —1.04
Pola . J32.2.. — 3.68 1.66 0.14 | —0.94 | —6.03 0.16
Ancona 2.4. — — 1.84 0.10 —4.02 | —2.05
Rom ..! 304 2.94 | —1.79 | —1.62 | —1.83 | —2.51 | —7.31| —2.72
Torgau]: !..: 5.47 4.61 4.77 1.61 | —3.60 | —6.56 1.18
Felle. er... 5.17 3.94 3.81 0.43 | —2.37 | — 7.03 0.94
Birfnrt :.%_. 2:52. 9.35 5.13 0.50 | —2.99 | —6.74 2.24
Mühlhausen ..| 4.92 4.48 4.27 0.06 | — 3.57 | —6.95 2.27
. Heiligenstadt. .| 5.03 4.76 4.01 1.18 | —2.77 | — 7.10 2.74
Göttingen. ....| 4.10 4.53 3.62 | —0.27 | —2.67 | —6.39| 0.40
Clausthal ....| 3.14 3.03 3.40 2.47 0.88 | — 7.07 1.59
Hannover... .| 3.82 4.46 4.97 1.46 | —1.59 | — 6.33 1.58
Oldenburg ...| 3.25 4.18 4.05 | —0.07 | —2.29 | — 6.27 1.08
IENET. hab 2.88 3.14 3.99 | —0.02 | —2.17 | — 9.48 1.24
vom 15. Februar 1869. 133
Deck. Januar
gi 1—5 | 6— 10] 11— 15 16-20 2125 26—30
Emden ».... 1.80 2.47) 4.20 0.02 | —0.96 | 1.24
Einzen.....:; 2.43 |; 3.64| 4.33 0.58| 0.33|—6.64| 1.61
Löningen ....| 3.43 3.58| 2.66 | —0.59 | —1.90 | —6.97 | 0.46
Münster .....| 3.46 3.68 | 3.66 0.29| 0.071 —6.19| 1.43
Gütersloh ....| 4.58 7 er 0.97 | —0.34 | —5.83 1.25
Cleve ......| 3.41 3.67 | 3.85 047]1..0.231—6.11}. 41.72
Crefeld ..... 4.63 4.62 | 3.56 9.251 -O.111 6.14) 1%
DE WARE 4.80 2.99 3.11 0.14 | —0.64 | — 7.20 1.76
Boppard..... 5.28 21 3.68 1.004 8.0.59) 7.62 | 153
A NE 5.31 A354 AS 1021 7.0341 684 0.40
Kreuznach ...| 5.97 5.44 | 4.23 0.05 | —0.59 | —6.49 | 0.32
Frankfurt a.M.| 5.06 | 3.90 | 3.00 047| 0.21) —7.42 0.05
Mannheim ...| — 458 1.2.88 1:20.93 1E 2.001 7.461.084
Darmstadt ...| 5.22 4419 || 312 108581 „2.17 17.16 |:..0.75
Hechingen ...| 6.00 6.27 | 3.87 0.05 0.01 | —9.63 | —0.48
Hohenzollern. .| 4.94 | 5.23| 2.16 | 0.78 | —0.35 | —9.09| 0.21
Stuttgart ....| 5.10 3.99| 3.40 | —0.85 | —0.71 | —8.43 | —0.32
Carlsruhe....| 6.48 5.09) 5.14 | —0.38 | —0.96 | —6.37 | 0.66
Heilbronn. ...| 3.96 3.83 | 2.39 | —1.70 | —2.12 | —8.69 | —1.71
Freudenstadt. ..| 3.86 4.74| 3.90 0.05 | —0.81 | — 8.28 0.43
a 4.96 3.63| 4.27 0.35 | —0.25 | —8.48 | —0.54
Bin. 0.: 1 31487 4.11| 3.64 | —0.87 | —1.47 | —9.00 | —0.45
Schopfloch...| 4.15 3.28| 1.87 | —0.07 | —1.59)—9.49| 1.12
Canstadt..... 5.04 5.06 | 4.71 141 || -0,971 — 25 1.50
Heidenheim ..| 5.10 3.97 | 3.96 | —0.64 | —1.03 | —9.42 | —0.65
A E 5.21 4.05 | 4.49 0.89 | —0.38 | —9.25 | —0.10
Friedrichshafen | 4.62 2.93 | 3.57 0.66 | —1.55 | — 8.10 | — 2.02
Mergentheim. .| 4.18 4.31| 3.35 | —0.43 | —0.50 | —6.52 0.60
re ee 4.96| 4.53 |—0.03 | —2.38 | —9.25 | —0.98
Klagenfurt ... —_ 3.06 | 4.74 1.94 | —0.24 | —6.53 | —1.82
Bludenzi.a s-.-| =: > das 1.13 | —0.30 | —5.30 | —0.35
Brüssel .....| 4.02 3.83 | 527 | —-057|| 0.421 4.88, ..,.0.19
Paris.......| 4.42 2.99| 5.35 0.24| 0.81 | —-5.79 | —0.80
Lissabon . -..| 0.64 |—0.54 | 0.60 1.66) 1.52| 0.20| 3.07
10*
134 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Wo wegen einer zu wenige Jahre umfassenden Beobach-
tungsreihe ich die mittleren Werthe nicht für die fünftägigen
Mittel bestimmen konnte, füge ich die direct abgelesenen
Temperaturen in der folgenden Tafel hinzu (Grade Reaumur).
Deck. Jannar
16-20 222512630
27—s1l| 1—5 | 6-10 11-15
Lauenburg. ...| 3.39 0.551 3.22| + 1.05 | —5.67| —5.49| 0.25
Hamburg ...| 4.46 3.87|/ 4.06 |: O5L|F 27a -DRa 20
Neumünster ..| 3.85 3.26 1° 3.751090 | abs 2. DE
Glückstadt. . .| 3.95 3.601: 406|. 0.42 |--2,37| —2839) 7 2.00
Meldorf ....| 4.27 3.761.393 || 012 | 244 1 1786 7205
Segeberg. ...| 3.72 3.10 3.85 | —0.07 | —3.62 | —3.64| 1.99
Neustadt... .]| 3.58 3.34 4.08 0.26 | —3.36 | — 3.12 1.84
Flensburg ...| 3.43 ».59 4.59 1.28) —2.40 | —0.81| 2.85
Woltersmühle .| 3.18 350| 415| 045|-3.024 —3.00) 1.42
Cappeln .....| 3.60 3.61) 415| 1.091—2.26| —141| 2.39
Oldesloe ....| — 3.85| 4.22] 0.25) —3.22| —3.10| 2.68
Gram...... 2.94 3.17 3.37) 0.99) —2.26 | —0.60| 1.92
Marmitz.....| 3.62 3.01 3951-027 | A411 - Asree
Reichenbach. .| 4.75 2.791 2.35| —1.33 | —8.56 |—-11.55]| 0.81
Landeck ....| 4.48 2.151 1.07| —2.49 | —9.00 [—11.38] —0.89
Kirche Wang .| 0.71 0.32 | —0.66 | —1.46 | —5.54 |— 11.48] —0.42
Grofs Breiten-
bach..... 3.20 0.57 | —0.23 | —2.87 | —4.94 | —9.56| —0.51
Kassel ..... 5.26 3.95| 2.69 | —0.52 |—1.99 | — 5.32] 1.89
Altmorschen. .| 5.17 3.56 || 2.20 | —1.34|- 3:7 I — 7.020090
Marburg ... .| 4.79 2801: 1.47 | 9.02 | -D.87 1 — 20801
Arnsberg ...| 5.09 4.08 2.55 | —0.39 | —0.40 | —5.36| 3.39
Aachen. ....| 5.60 4.881 427| 0.68| 0.97| —4.19| 4.26
Taach ..%%V, 7 5.01 3.531 2.45 | —0.97 | —6.67 | —6.23| 2.09
Dürkheim ... .| 6.97 5.04| 4.25 | —0.43 | —0.69| —5.74| 1.54
Fulaa: 1290 4.82 2 1.35 | —2.11 3.41 | 8.02
Hanau .....| 6.04 4221| 2.26 | --0:22) E-.1.45 11 = Ssa a
Biberach. ...| — 1.67| 1.80 | —2.35 | —4.10 —10.65|) —1.70
Meersburg... | 4.85 379||. 310 | 0.80 | 2.71 820 "OR
Höchenschwand| 2.01 1—0.12 0.67 | —1.52 | —4.44 | — 9.52) —0.20
Villingen... .| 3.56 0,24 1.57 | —2.77 | —4,32 |—11.39| —1.29
vom 15. Februar 1869. 435
Decb. Januar | |
| | 6-10 | 11-15 1620) 21—25|26—30
|
Freiburg... .| 7.06 | 5.06 | 3.70 | —1.23 | —0.95 | —6.65 | 3.89
Petersthal ...| 4.79 | 4.27 | 2.75 | —1.48 | —0.63 | —6.84| 1.72
Baden-Baden .| 6.69 | 5.09 | 3.08 |—1.89 | —0.61| —6.18| 2.07
Buchen. ..... 4.55 | 1.92 | 1.36 |—2.12 | —2.98 | —8.29| 0.12
Wertheim ...| 6.10 | 4.13 | 1.48 | —1.50 | —3.38 | —8.03 | 0.81
Beauficel....| 5.12 | 4.22 | 6.37 3.761 3.71[|-1.28| 3.58
Fecamp ....| 6.16 | 5.54 | 6.54 2.46| 4.08|—1.12| 3.82
Dowi ..... 5.66 | 4.38 | 6.02 0.701 2.481 —2.88| 2.54
Soissons . » ..| 6.77 | 4.22 5.79 1.84 1.82 | — 3.66 | 3.25
Rouen, , WET, 6.27 | 6.06 | 6.75 2.64| 3.47) —1.98| 4.64
Tours ..... 6.43 | 5.58 | 7.06 3.39| 3.49) —0.69| 4.18
Blois...... 6.22 | 4.64 | 6.67 2.06| 3.41|—1.98 | 2.18
Montargis .....| 5.82 | 5.34 | 6.54 2.061 3.54|1—2.32| 2.51
Chatillon s. L.| 5.42 | 4.32 | 5.51 | 1.34| 142|—443| 1.71
la Charite ...] 4.96 | 4.42 | 5.18 240| 1.52\)—3.55| 1.28
Cosne. ..... 5.92 | 4.64 | 6.74 3.20| 2.42) —1.94| 2.10
Auxerre ....| 6.74 | 5.47 | 6.83 2.081 2.241 —3.76| 2.64
Doulevant ...| 5.76 | 4.85 | 5.87 BASNNDLEE | 5.7.1 1587
Metz ...... 5.57 | 4.42 | 4.74 0.351 0.75|—5.09| 1.28
Ichtrazheim ..| 5.70 | 3.90 | 3.90 | —1.17 | —0.37 | —7.14 | 0.42
Verdun. ...- » 5.60 | 4.42 4.86 0.56| 0.50) —4.69 | 0.58
Borient. .... 6.93 | 7.92 | 7.66 5.871 5.33| 0.91| 6.66
Nantes® .... 7.04 6.90 8.16 4.24 4.64 8.64! 4.88
Lavallade ...| 4.56 | 4.56 | 5.76 3.94| 5.15| 3.44| 7.50
Beyrie ..... 8.96 | 6.93 | 6.58 6.271 5.651 3.95| 8.88
loyBüy:i --.issir 4.82 | 2.26 | 5.17 3.281 1.18|—2.64| 3.89
Bodez 1... 4 3:66 | 510 4.29) 2.74| 0.83| 4.64
Caleves’ ....| 4.08 | 2.22- |. 4.50 123 1..049 2.785.043
Bow. .... 6.45 | 4.32 | 3.95 0.40| 0.661 —3.78| 2.86
Perpignan ...| 8.29 | 6.37 9.63 7.20 7.38 5.23 | 7.58
Foix ...... 6.19 | 7.50 4.59 3.41 4.42 2.10} 5.86
Montpellier ..| 7.24 | 4.69 5.95 5.981 3.98 0.34 | 4.26
Marseille. ..*| 7.73 | 5.28 7.31 6.14 9.60 2.10 | 6.82
Brignolles ...| 6.96 | 4.00 9.60 3.68 3.68 1.28 | 4.80
Cames...:.« — 7.04 71.86 7.70 6.90 3.62 | 5.34
136 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Decb. Jann®ar
es | 6-10 11-15 16-20 21—25/26—30
Pointe St. Mat- |
thieu ....| 768 | 2.79 | 732 | 670| 2312| 2.641. 608
Cap Gris-Nez .| 7.09 | 5.15 | 6.37 | 146| 429|—1.79| 2.77
Iste dAix...| 830 | 7.65| 776) 544!I 616| 131|. 5.34
Biarritz. ....| 9.39| 7.9| 6829| 858] zı8| 5.951 7.95
Madrid..... 3.76 | 1.71 | 4.02| 5.09] 4.72| 3.79| 3.33
St. Jago ....| 7.36 | 6.37 | 7.09 | 832] 731! 654| 8.22
Murcia ..... 8.94 | 6.58 | 8.21 | 8.61] 8.67) 8.64| 11.79
Ponta Delgada| 9.14 | 12.82 | 13.74 | 11.81) 12.85! 13.07| 12.42
2.77 | 0.99 | 3.10 | —0.98 | —1.28 |—3.76 | —3.18
Mailand ....| 3.60 | 2.34 | 1.20 | 0.22| 0.40 | —3.07 | —1.22
Ferrara ....| 5.33 3.97 3.17 1.50 1.58 | —2.13 0.37
Florenz ....| 9.09 | 640 | 451 | 448! 3.34|—-1.49| 2.29
Palermo ....] 11.98 9.62 5.02 3.32 = 4.86 8.08
Constantinopel — 7.46 4.24 3.95 —0.30 | —1.78 | —0.91
PO 10.56 | 9.25 | 547 | 4538| 2338| 2.29| 3.34
Bagdad..... e 4.22 | 640 | 7.09 | 6.61| 8.24| 7.62
Ein Blick auf die vorhergehenden Tafeln zeigt, dafs die
ungewöhnliche Wärme, mit welcher das Jahr 1868 schlofs, bis
in die Mitte des Januars 1869 anhält, und dann plötzlich einer
sehr starken Abkühlung Platz macht. Dafs diese Abkühlung
durch den stürmisch einbrechenden Polarstrom hervorgerufen
wird, zeigt besonders schön das Journal von Rom. Hier
herrschte 48 Stunden lang vom 24. Abends 6 Uhr bis zum 26.
eine tramontana furiosa von 35 Meilen Geschwindigkeit in der
Stunde. Mit dem Gange des fünftägigen Mittels stimmt sehr
gut der Eintritt der höchsten Kälte überein.
In Schleswig und Holstein fällt diese unmittelbar vor das
barometrische Maximum auf den 18. Januar, in Östpreufsen
und Pommern auf den 22., in Schlesien, Westphalen, Rhein-
land, Württemberg und Baden auf den 23., in Frankreich auf
den 24. und 25., in Italien auf den 26., wie folgende Zusam-
menstellung zeigt. Die grölste Kälte war:
' am 16.
am 17.
am 18.
am 19.
am 21.
. Jan. in Königsberg —12.9, Hela —9.5, Conitz — 16.5,
am 22
vom 15. Februar 1869. 137
Januar in Neustadt an der Ostsee —7.8;
Jan. in Neumünster —9.5, Tilsit —12.0, Flensburg
—7.2, Cappeln —6.0, Poel —8.0, Rostock —8.0;
Jan. in Kiel —7.5, Hamburg —7.7, Altona —3.6,
Glückstadt —7.1, Meldorf —5.8, Segeberg —3.1, Lü-
beck —8.1, Wustrow —8.1, Schönberg —7.7, Eutin
— 7.8, Woltersmühle —3.0, Oldesloe —7.5;
Jan. in Cuxhaven —6.0, Otterndorf —6.4, Gram — 7.3;
Jan. in Perpignan 0.6;
Lauenburg in Pommern —11.0, Cöslin —10.7, Re-
genwalde —11.8, Stettin —10.7, Putbus —7.6, Lü-
neburg — 10.0, Schwerin —9.6, Marnitz —12.9, Hin-
richshagen —11.5, Berlin —10.6, Frankfurt a. d. O.
— 12.2, Kirche Wang a. d. Schneekoppe — 20.0, Halle
— 11.0, Erfurt — 14.9, Grofsbreitenbach — 16.2, Mühl-
hausen —14.2, Göttingen —10.5, Clausthal —12.3,
Braunschweig —8.6, Hannover —9.0, Fulda —12.8,
Jever —7.0, Norderney —6.7, Cannstadt —12.2;
am 23. Jan. in Claussen —18.8, Posen —14.7, Bromberg
—15.9, Zechen —19.3, Breslau —18.6, Landeck
—18.8, Reichenbach — 22.5, Eichberg — 25.2, Gör-
litz —17.0, Torgau —11.4, Kassel —10.8, Altmor-
chen — 14.5, Marburg —13.0, Oldenburg —9.2, Em-
den —9.0, Lingen —9.8, Löningen —10.3, Münster
—10.0, Olsberg —13.0, Arensberg —11.8, Cleve
—9.0, Crefeld —9.1, Aachen —9.4, Cöln —10.4,
Boppard —10.6, Laach —11.8, Trier —10.2, Bir-
kenfeld —14.4, Kreuznach — 11.4, Frankfurt a. M.
— 12.0, Darmstadt —13.0, Hechingen —15.7, Ho-
henzollern —14.2, Heilbronn —13.5, Freudenstadt
— 16.0, Calw — 14.7, Ulm — 15.0, Schopfloch — 17.5,
Heidenheim —18.0, Issny —15.2, Friedrichshafen
— 14.0, Mergentheim — 13.0, Biberach — 19.5, Meers-
burg— 12.6, Höchenschwand — 14.1, Villingen — 17.3,
Freiburg —11.4, Petersthal —11.3, Baden-Baden
— 11.0, Carlsruhe — 11.5, Mannheim —11.2, Buchen
— 13.7, Wertheim —13.1, Verdun —10.1, Brüssel
138 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
— 7.0, Beyrie —0.4, le Puy —9.2, Rodez —4.6, Mar-
seille —2.4, Pointe St. Matthieu —0.4, Rom —4.8,
(Maestro furioso, starke Nachtfröste vom 21. bis 28.
auch in Civitavecchia);
am 24. Jan. in Landeck —18.8, Krakau —18.2, Ratibor
— 20.0, München —18.5, Salzburg —22.0, Stuttgard
— 14.0, Rouen —7.2, Metz —9.2, Lorient —2.7,
Cap Gris-Nez —4.8, Brignoles —1.6, Palermo 1.9;
am 25. Jan. in Beauficel —6.6, Fecamp —4.5, Douai —6.5,
Soissons —10.1, Paris —7.2, Tours —6.4, Blois
—8.7, Montargis —9.0, Chatillon sur Loire —9.2,
la Charite —9.0, Cosne —9.9, Auxerre —9.9, Dou-
levant —12.0, Hanau — 12.5, Ichtratzheim —12.6,
Nantes —4.8, Poitiers —6.8, Lavallade —2.4, Ca-
leves —10.7, Bourg —11.3, Biarritz —1.6, Mailand
— 7.6, Szegedin —15.5, Valona —4.9. Hier war der
Schaden an Citronen und Orangen, welche von der
Last des Schnees, welcher bei südlichem und süd-
westlichem Wolkenzuge fiel, während in den untern
Schichten N und NO herrschte, so niedergedrückt
waren, dafs sie wie abgebrochen aussahen, sehr grofs.
Der Schnee fiel schon in der Nacht vom 18.—19.,
dann stärker in der Nacht vom 22.—23. (Nieder-
schlag 5.54 Lin.) und vom 23.—24. (8.76). Das
Laub war erfroren und fiel ab, fünfjährige Bäum-
chen gingen ganz zu Grunde. “Auch die Oliven-
bäume litten sehr, indem der Schnee an denselben
festfror und viele deshalb bis zur Wurzel abbrachen.
Die indischen Feigenbäume, sowohl einzeln stehend
als in Hecken, gingen bis zur Wurzel zu Grunde.
Alle Pflanzen mit dieckem Laub litten bedeutend,
während Aloen und japanische Mispeln der Kälte
gut widerstanden.
am 26. Jan. in Montpellier —8.8, Cannes —1.0, Isle d’Aix
—3.4, Eullabus —2.1, Aosta —8.6, Florenz —6.8,
Constantinopel —6.6, Durazzo —4.3. Die Kälte und
der in diesen Gegenden ganz ungewöhnliche Schnee-
vom 15. Februar 1869. 139
fall verursachte grofse Verluste an den Viehheerden,
welche dort im Freien übernachten.
am 27. Jan. in Athen —1.8.
Das Fortschreiten der Kälte von höhern nach niedern Brei-
ten zeigt sich auf dem ganzen Beobachtungsgebiete in überzeu-
gender Weise. Diesem Gebiete gehört aber Norwegen, Schott-
land, England und Spanien nicht an. Während in Memel schon
am 3. Januar das Thermometer sich über den Frostpunkt er-
hebt, fällt in Christiania die grölste Kälte des Monats —11.2
grade auf diesen Tag, in Dovre auf den 2. —17.3, ebenso in
Sandösund — 7.1, auf den 1. in Mandal —3.7, und in Skudes-
nes —0.5. In Schottland war es am kältesten am 1, —2.9 in
Smeaton, in Stonyhurst in England —4.7. In Spanien ist das
Minimum am 3. in Madrid —3.4, in Murcia —3.0, in Lissa-
bon 3.5 am 2., in Ponta Delgada auf den Azoren 7,1 am 10.
Damit ist aber die Herrschaft des Polarstromes beendigt,
er wird von Neuem vom Äquatorialstrom zurückgeworfen. Das
am 29. in ganz Deutschland hervortretende barometrische Mini-
mum beweist es. Es ist von Wintergewittern begleitet, die am
heftigsten in Santiago hervortreten. Der Kampf beider Ströme
ist noch nicht beendigt und als Folge desselben verdecken auf
einander folgende Gegensätze der Wärme und Kälte den regel-
mälsigen periodischen Verlauf der Jahreszeiten in der, an be-
stimmten Stellen durch stets wiederkehrende heftige Stürme
aufgeregten Atmosphäre.
Wenn die Vertheilung des atmosphärischen Druckes in dem
hier vorliegenden Falle allein durch thermische Verdichtung
hervorgerufen wäre, so mülste die Temperaturerniedrigung an
der Stelle des höchsten barometrischen Maximums am bedeu-
tendsten gewesen sein. Dies ist nicht der Fall, denn bei dem
Vordringen nach Süden steigert sich der abkühlende Effect des
Polarstromes. Es bleibt also nur die Annahme einer Mitwir-
kung der Aufstauung, welche den Erscheinungen genügt.
140 Gesammtsitzung
18. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Roth legte Beiträge zur Petrographie der plutonischen
Gesteine, gestützt auf die von 1861—1863 veröffentlichten Ana-
lysen, vor.
Herr G. Rose legte eine Mittheilung des Herrn Dr. P.
Groth vor:
Ueber Krystallform und Circularpolarisation und
über den Zusammenhang beider beim Quarz und
überjodsauren Natrium.
Es ist bekannt, dafs man bisher unter den einaxigen eir-
eularpolarisirenden Krystallen am Quarz allein mit Sicherheit
solche Krystallflächen kennt, welche den Sinn der Drehung
der Polarisationsebene des Lichtes vorher zu bestimmen erlau-
ben. Es sind dies die Trigonoäder (trigonalen Pyramiden),
welche bei rechtsdrehenden Krystallen die Kante des Haupt-
rhomboöders, wenn der Beobachter eine obere Fläche desselben
vor sich hat, mit der zur rechten Seite liegenden Prismen-
fläche abstumpfen; ferner die Trapezoäöder, von welchen
zweierlei Arten unterschieden werden müssen, welche Herr
G. Rose in seiner Arbeit „über das Krystallisationssystem des
Quarzes, Berl. 1846 (Abh. d. Akad. d. Wiss.) als Trapezoöder
erster und zweiter Ordnung trennt. Die dihexagonale
Pyramide zerfällt durch Hemiödrie in zwei Skalenoöder, von
denen eines (1. Ordnung) seine flacheren Polkanten über dem
Hauptrhomboöder liegen hat, das andere (2. Ordnung) dem
Gegenrhomboäder entspricht. Aus jedem dieser beiden entsteht
durch nochmalige Hemiädrie (Tetartoödrie) ein rechtes und ein
linkes!) Trapezoäder, deren Flächen also an oder unter dem
1) Hierbei ist immer dasjenige Trapezo@der ein rechtes genannt,
welches aus einem Skalenoöder, dessen flachere Polkante der obern Hälfte
dem Beobachter zugekehrt ist, durch Bleiben der rechten obern Fläche
und der entsprechenden, durch Verschwinden der linken und ihrer Zu-
gehörigen, entsteht (vergl. G. Rose ]. c. p. 46, Anm. 2.).
vom 18. Februar 1869. 141
Hauptrhombo&der liegen, wenn sie erster Ordnung sind, unter
dem Nebenrhomboäder, wenn sie einem der weit selteneren
Trapezo&der zweiter Ordnung angehören. Zwischen dem Auf-
treten dieser Formen und der Drehung besteht nun folgende
gesetzmälsige Beziehung:
Rechtsdrehende Krystalle zeigen rechte Trapezo&der
1. Ordnung und linke der zweiten (entgegengesetzten) Ordnung;
Linksdrehende Krystalle linke Trapezo&der erster und
- rechte zweiter Ordnung.
(Würde man das Haupt- und das Nebenrhombo&der mit
einander vertauschen, so würde sich das ganze Gesetz um-
kehren.)
Rechte und linke Trapezoäder gleicher Ordnung
und gleichnamige verschiedener Ordnung schlie[lsen
sich aus. Wo sich dieselben an Quarzkrystallen zusammen-
finden, hat man es stets mit Zwillingsverwachsungen zweier
Individuen zu thun, wie dies zuerst Herr G. Rose l. c. nach-
gewiesen hat. Gewöhnlich ist diese Zusammensetzung aus zwei
Krystallen auch äufserlich zu erkennen und die Trapezoeder-
flächen sind unregelmäflsig, theils rechts, theils links, vorhan-
den; zu diesen gehören die von Hrn. Dove (Farbenlehre p. 253.
Pogg. Ann. 40, 607) optisch untersuchten Krystalle mit rech-
ten und linken Trapezflächen, von welchen Derselbe zeigte,
dafs sie aus rechts- und linksdrehenden Parthieen zusammen-
gesetzt seien. Doch beschreibt Hr. G. Rose, 1. c. p. 40, Fig. 50,
kleine Krystalle eines schwach violblau gefärbten Quarzes aus
Brasilien, welche anscheinend völlig einfach sind und ein voll-
ständiges Skalenoeder, d. h. die Combination desselben rech-
ten und linken Trapezoöders ersfer Ordnung tragen. Herr
G. Rose war so gütig, mir einige derselben zur Untersuchung
zu übergeben, da gerade dieses Vorkommen wegen der grolsen
Regelmäflsigkeit der genannten Form zuweilen als Beweis an-
geführt wird (z. B. Naumann’s Elem. d. theoret. Krystallo-
graphie p. 223, Anm.) dafür, dafs rechte und linke Trapezo-
der zusammen vorkommen könnten. Ich habe von einem
ziemlich klaren Krystall eine Platte derart geschliffen, dafs auf
drei der sechs Seitenflächen jedesmal beide Trapezo&@derflächen
erhalten blieben, so dafs man genau denjenigen Theil des
142 | Gesammtsitzung
Quarzkrystalls auf seine Drehung untersuchen konnte, welcher
die besprochenen Flächen enthielt. Es zeigte sich nun im po-
larisirten Licht, dafs auch dieser Quarz ein Zwilling eines
rechts- und eines linksdrehenden Krystalls sei, von derselben
Art der Verwachsung, wie die grolsen Amethyste von Brasilien
ohne Trapezflächen sie zeigen. Fig. 1 giebt in 5—6/f. Ver-
grölserung eine Skizze Seiner Zusammensetzung, wobei die
sechs prismatischen Seitenflächen gleichsam aufgeschlagen da-
neben gezeichnet sind, um das Auftreten der Trapezoöderflächen
an denselben zu zeigen. Die Platte besteht in der Mitte aus
linksdrehendem Quarz (durch Schraffirung bezeichnet); drei
Sectoren gleicher Substanz ziehen sich von da nach denjenigen
Theilen des Randes, welche linke Trapezoöderflächen tragen.
Die punktirt bezeichnete scharf begrenzte Parthie besteht in
der ganzen Dicke der Platte aus rechtsdrehendem Quarz, und
hier nimmt auch die gleichnamige Trapezoöderfläche fast die
ganze Dicke ein. Alle andern, weils gelassenen, Theile der
Platte bestehen in der oberen Schicht, wo die rechten Trapezo-
&derflächen sich befinden, aus rechts drehender, in der unteren
Schicht der Platte aus linksdrehender Substanz, so dafs sie
sehr schön die Airy’schen Spiralen zeigen. Die Grenze beider
Individuen ist dort, wo der Krystall Trübungen enthält (die
auch in der Zeichnung angedeutet sind) verwaschen, sonst
scharf. Demnach ist dieser Krystall ein Zwilling aus einem
rechten und einem linken, mit theils vertikalen, theils horizon-
talen Begränzungsflächen, wie dies bereits Hr. G. Rose ver-
muthet hatte, und es ist also auch dieses Vorkommen auf jene
oben ausgesprochenen, wohl allgemein für den Quarz gültigen
Gesetze zurückgeführt. *
Beim normalen überjodsauren Natrium, Na JO, +
3.ag, welches Herr Rammelsberg (krystall. Chemie, p. 148)
beschrieben, hat vor einiger Zeit Herr Ulrich in Oker Cir-
cularpolarisation entdeckt. Nach einer brieflichen Mitthei-
lung an den Verfasser, hat er unter den von Herrn Rammels-
berg ihm übergebenen Krystallen sowohl rechte als linke ge-
funden, und durch Uebereinanderlegen zweier die Airy’schen
Spiralen beobachtet.
vom 18. Februar 1869. 143
Die Krystalle dieses Salzes sind (vergl. Rammelsberg 1. c.)
durch ihre Hemimorphie ausgezeichnet, indem sie einerseits
vorherrschend von der Basis begrenzt werden, während das
andere Ende von derselben Nichts zeigt. An diesem Pol herrscht
gewöhnlich (s. Fig. 2—4) ein Rhomboeder r= R von dem
Axenverhältnifs a:c=1:1,094, mit Polkantenwinkeln von 94°
28' und 38° 22’ Neigung der Flächen gegen die Hauptaxe
(Rammelsberg), vor. Geht man von diesem als Grund-
rhomboöder aus, so findet sich ferner das nächste schärfere
2r'=—2R und sehr schmal die gerade Abstumpfung der
Polkanten von R, d.i. 7 = — 5 R. Aufserdem giebt Herr
Rammelsberg noch undeutliche Flächen eines Dreikantners
(Skaleno@eders) aus der Endkantenzone des Hauptrhomboäders
an. — Ich verdanke der Güte Desselben die Mittheilung einer
Anzahl schöner neu von ihm dargestellter Krystalle, welche er
mir übergab, um jene interessante Entdeckung des Hrn. Ulrich
an denselben weiter zu verfolgen und genaue Bestimmungen
des Drehvermögens anzustellen. An diesen fand ich nun, dafs
jene von Herrn Rammelsberg an weniger deutlichen Krystallen
für Skalenoöder genommenen Formen nicht solche, sondern
theils trigonale Trapezoöder, theils Trigono£der, seien,
da besonders an den schön ausgebildeten gröfsten Krystallen
in der That schiefe Abstumpfungen der Polkanten des Grund-
rhomboöders sich finden, diese aber stets nur nach einer
bestimmten Seite. geneigt sind. Es ist also das überjod-
saure Natrium die zweite derartige Substanz, da man sowohl
Trigonoe@der, als Trapezoöder bisher nur am Quarz kannte.
Die als trigonale Pyramide (Trigonoöder) erkannte
Form, s Fig. 2, gehört zu den schiefen Abstumpfungen der
Polkanten r:r und hat das Zeichen:
Pr
s = °— = (da:$a:3a:c),
ist also flacher, als die Rhombenflächen des Quarzes. Der
Messungen bedurfte es nur eine, da die Flächen in der End-
kantenzone von r liegen; diese ergab:
berechnet: beobachtet:
S1y):Fa) 154° 22’ 154° ungef.
s : c (Basis) 145 54
144 Gesammltsitzung
Dieses Trigonoe&der liegt, wie man aus der Figur sieht, zur Linken
des Hauptrhombo&ders, ist also ein linkes. Es konnte nur an
einem Krystall mefsbar beobachtet werden. Dagegen finden sich
sehr häufig Flächen, z Fig. 3, welche flacher gegen die von —IR
geneigt sind, und in derselben Zone liegen, also die Kanten
von s und —4R abstumpfen würden. Dies sind Trapezoöder
zweiter Ordnung, da sie die Hälften von denjenigen Skale-
no&ödern sind, welche dem (hier nicht auftretenden) Gegenrhom-
bo&der entsprechen. Ihre Flächen sind immer nur einseitig
vorhanden, also entweder nur linke oder nur rechte (beide
etwa gleich häufig). Diese sind stets nach —4 R und nach
R zu so stark gerundet (s. die Andeutung dieses Verhältnisses
in der Fig. 3), dafs sich keine genauen Messungen anstellen
liefsen; der am meisten spiegelnde Theil dieser ziemlich matten
Flächen war etwä 174° gegen die von — 4 R geneigt, entsprach
also nahezu dem krystallographischen Zeichen
2 I (Ba:!$a:lda:e).
Dagegen liels sich ein anderes Trapezoäder, ebenfalls eines der
zweiten Ordnung, aber nicht in der Polkantenzone von R ge-
legen, genauer bestimmen. Es ist die Form ti in Fig. 4 und
hat das Zeichen
I I - ($a:a:3a:}c)
oder: (!a:4a:4a:c). -
Die Neigungen dieser kleinen Flächen gegen die beiden be-
nachbarten Rhomboöderflächen (r.ı, und r.,, in der Fig.), so-
wie gegen die Basis wurden gemessen; da aber auch die letztern
Flächen nicht ganz eben waren, sondern mehrere Bilder reflec-
tirten, so ist jede Einstellung auf 4 — 2°, also die Messung
jedes Winkels zwischen zwei Flächen nur auf 1—14° genau,
was aber für die Bestimmung des Zeichens des Trapezoöders
genügt. Es wurde gefunden:
berechnet: beobachtet:
t,»c (Basis) 39° 53 41° 18
bir) 124 50 126 9
ir 148 54 147 38
ERTEEETEESTDEREENDE VBRERWEENEER
vom 18. Februar 1869. 145
t! liegt in der Zone der darüberliegenden Fläche von —4R
und der Fläche von R, auf welche r.,, grade aufgesetzt ist.
Endlich findet sich über den Flächen des Hauptrhombo-
@äders oft noch durch eine matte sehr gerundete Fläche ein
flacheres Rhombo&der erster Ordnung x angedeutet, deren eine
Seite in die gerundete z Fläche übergeht (s. Fig. 3).
Es wurde nun eine Anzahl Krystalle, welche die Flächen
der Trapezo&@der z, theils rechte, theils linke, enthielten, ange-
schliffen und auf den Sinn der Drehung untersucht. Es fand
sich, dafs zwischen beiden Erscheinungen dieselbe Beziehung
stattfinde, wie beim Quarz; demnach ist, da hier nur
Trapezoöder zweiter Ordnung, die bei letzterem Mineral sehr
seltenen, vorhanden sind, die Beziehung die folgende:
1) Rechtsdrehende Krystalle des überjodsauren Natrium’s
tragen linke Trapezo&der 2. Ordnung;
2) Linksdrehende tragen rechte Trapezo@der zweiter
Ordnung.
Zwillinge: Die Krystalle sind fast sämmtlich einfache;
nur an einigen Individuen fand ich Zwillinge mit der Fläche
des Hauptrhombo&ders verbunden, so dafs die vier übrig blei-
benden Hauptrhomboäderflächen des obern Pols zu je zwei fast
in eine Ebene fallen, da das Rhomboäöder dem Würfel sehr
nahe steht. Da diese Krystalle aber keine Trapezoöderflächen
zeigten und, von einer frühern Darstellung herrührend, durch
Verwitterung trübe geworden waren, konnte nicht ausgemacht
werden, ob die beiden den Zwilling bildenden Individuen gleicher
oder entgegengesetzter Drehung waren.
Was die Circularpolarisation betrifft, so zeigten die
Messungen derselben, dafs, wie in allen analogen Fällen, die
der rechtsdrehenden Krystalle eben so grofs war, als die der
links drehenden, und dafs die Grölse der Drehung die
des Quarzes noch um ein Weniges übertrifft, diese
Substanz also nach dem Zinnober, dessen aufserordentlich grofse
Cireularpolarisation Hr. Descloiseaux kennen gelehrt hat, das
stärkste Drehvermögen zeigt.
146 Gesammtsitzung
Die Messungen desselben wurden nach der Brocch’schen
Methode mittelst des Speetralapparats ausgeführt, um die Dre-
hung für die einzelnen Farben zu bestimmen, und zwar wurde
mittelst der Skala die Stelle gewisser Fraunhofer’scher Linien
bestimmt und die Mitte des dunkeln Absorptionsstreifens auf
diese Stelle eingestellt. Die beiden besten Platten, deren Dicke
mit dem Sphärometer bestimmt wurde, gaben folgende Resultate:
1. Platte, rechts drehend, Dicke 3,25 Mm.
C = 764%, d.ı f.1 Mm. Dicke = 719%
D 76
Drehung T A
93,8 28,9
a 343
Br ass 47,8
2. Platte, links drehend, Dicke 2,90 Mm.
C= 56,d if 1 Mm. Dicke - ie
D 67,3 23,2
er BER 2,
| B 98,6 34,0
@ 134,6 46,4
Beide Reihen stimmen in Betreff der mittleren Linien ge-
nauer überein, als für C und G, weil in jenem Theile des
Spectrums der Absorptionsstreifen schärfer erscheint. Das Mittel
dieser beiden Zahlenreihen und zum Vergleich die. denselben
Linien entsprechenden Drehungen des Quarzes nach den neueren
Messungen von Hrn. Stefan (Sitzungsberichte d. Wiener Akad.
math. naturw. Kl., Bd. 50, Abth. H, p. 583) sind die folgenden:
Drehung des überjods. Natr., d. Quarzes
fur C —='19%1 17»
D 23,3 21,7
E 28,5 27,5
F 34,2 32,7
G 47,1 42,4
Die Lösung dieses Salzes zeigt keine Einwirkung auf das po-
larisirte Licht; es wurde eine kalt gesättigte Auflösung solcher
Krystalle, welche keine Trapezoöder zeigten, sowie eine nicht
ganz gesättigte von nur linken Krystallen, im Saccharimeter
untersucht.
,
vom 18. Februar 1869. Mr
Bei dieser Substanz sind, ganz ebenso, wie beim Quarz,
niemals entgegengesetzte Trapezoäder gleicher Ordnung an
demselben einfachen Krystall beobachtet worden, also sind
bis jetzt nie die beiden Theilformen, welche durch Hemiedrie
aus demselben Körper entstehen, zusammen gefunden worden,
wenn es solche Theilformen waren, welche einander nicht con-
gruent, sondern von denen das eine das Spiegelbild des andern ist
(enantiomorphe Gestalten nach .der Naumann’schen Bezeich-
nung). Dies scheint einen durchgreifenden Unterschied anzu-
deuten dieser Hemiödrien von solchen, welche zwei einander
congruente, nur durch Drehung verschiedene Hälftgestalten lie-
fern, und welche letztere sehr oft an demselben Individuum
zusammen vorkommen.
Dann müfste man alle Arten von Hemiödrien und Tetar-
to@drien einaxiger Krystalle in zwei Klassen theilen:
1) Congruente H. und T. (hem. superposable), welche die
Krystallformen in je zwei Hälftgestalten zerfallen lassen, welche
nur durch ihre Stellung sich unterscheiden und an demselben
Krystall zusammen vorkommen können (keine Circular-
polarisation).
2) Enantiomorphe Hem. u. Tet. (hem. non superpo-
sable), welche Theilgestalten liefern, die durch Drehung nicht
zur Deckung zu bringen sind (rechte und linke) und welche
an demselben Krystall einander ausschliessen, und
zwar ist dies der Fall mit entgegengesetzten Hälftgestalten der-
selben Ordnung und gleichnamigen verschiedener Ordnung.
Obgleich für diese letztere Klasse bisher nur der Quarz .
und das überjodsaure Natrium bekannt sind, so ist doch wohl
anzunehmen, dafs mit diesen Eigenschaften stets auch Circular-
| polarisation verbunden sein wird, und zwar in der Art, wie es
bei diesen beiden Substanzen der Fall ist, dafs verschieden-
namige Trapezo&der verschiedener Ordnung, sowie gleichnamige
gleicher Ordnung denselben Sinn der Drehung besitzen.
Dafür, dafs der angedeutete Unterschied dieser letzten Art von
Hemiödrien von allen übrigen, begründet ist, spricht ferner die
Betrachtung, dafs ein solcher Krystall, der die beiden entgegen-
gesetzten Theilgestalten gleichzeitig enthielte, gar keine Drehung
besitzen dürfte, wenn man den Zusammenhang zwischen Kry-
[1869.] il
143 Gesammtsitzung
stallform und Drehung als allgemein gelten läfst, wie er bis
jetzt allerdings erst an zwei Substanzen, aber hier ohne Aus-
nahme, gefunden worden ist. Solche nicht drehende Krystalle
haben sich aber weder von Quarz, noch von überjodsauren
Natrium, bis jetzt gezeigt. Damit stimmen ferner auch die Be-
obachtungen von den HH. Rammelsberg und Marbach (Pogg.
Ann. 90. u. 91. Bd.) über das chlorsaure Natrium überein,
welches Salz enantiomorphe (tetarto@drische) Combinationen
des- Pentagondodeka&ders mit einem Tetraäder, entweder nur
dem linken oder nur dem rechten, zeigt. In wieweit die obigen
Gesetze die enantiomorphe Hemiedrie des rhombischen System’s
berühren, bei welcher bekanntlich die Circularpolarisation nicht
nachzuweisen ist, mufs vorläufig dahin gestellt bleiben.
Die im Vorstehenden mitgetheilten Messungen sind in dem
unter Leitung des Hrn. G. Magnus stehenden physikalischen
Laboratorium der hiesigen Universität ausgeführt.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Bremisches Jahrbuch. Herausgegeben von der Abtheilung des Kunstver-
eins für bremische Geschichte und Alterthümer. Band 1—4. Bre-
men 1863 — 1869. Mit Begleitschreiben des Geschäftsausschufses
d. d. Bremen 12. Febr. 1869.
J. Orsier, Pie et travaux de Karl Salomon Zachariae. Paris 1869.
8. Mit Begleitschreiben des Verfassers d. d. Toulouse 12. Februar
1869.
Sella, Relazione salla Memoria di G. Struever, inlitolata: Studü sulla
mineralogia italiana. Torino 1869. 8.
Adamo, Drei mathematische Broschüren. Cosenza 1864—1867. 8.
'Giornale degli scavi di Pompei. no. 4. Napoli 1868. 4.
Journal of the Asiatic Society of Bengal. Fasc. 1—5. Calcutta 1868 8.
- -Hedwigia. Band 7. Dresden 1868. 8.
14. Jahresbericht des Germanischen Museums. Nürnberg 1868. 4.
C. F. Gauss, Werke. Band 1. 2. 3. 5. Göttingen 1863—1867. 4.
|
|
|
|
‘
(
Monatsbericht d.BA.d.W. Febr. 1809.
Fig. 4
DR Gioth H- Sl. Schar ze Auch ;
vom 25. Februar 1869. 149
25. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Mommsen las über die Erzählung vom Gnaeus Mar-
cius Coriolanus.
Hr. Ehrenberg las über viele in Berlin lebend beobachtete
mikroskopische Land- und Süfswalser-Organismen der Insel
Spitzbergen.
Ne“ v
Hr. Kirchhoff legte im Namen des Hrn. Köhler in
Athen der Akademie einen vorläufigen Bericht über eine
neue Bearbeitung der Attischen Tributlisten vor.
Die gewöhnlich unter dem Namen der attischen Tribut-
listen zusammengefafsten Inschriften, welche theils Verzeich-
nisse von Tributansätzen, theils gewisser von den gezahlten
Tributsummen jährlich der Athene geweihter Quoten enthalten,
sind von Rangabe und nach ihm von Böckh ausführlich behan-
delt worden. Eine später von Pittakis im 32. Heft der Athener
Ebymepis dpymoAoyızy gegebene Zusammenstellung ist, trotz der
gegentheiligen Versicherungen des Herausgebers, mit Ausnahme
einiger weniger Nummern zu Anfang, für welche die Steine
neu verglichen sind, lediglich ein Abdruck der früheren Publi-
kationen und nur geeignet, Verwirrung anzustiften. Die Ori-
ginale der diesen Publikationen zu Grunde liegenden Stücke
befinden sich, einige neuere Verstümmelungen abgerechnet, bis
auf wenige kleine Fragmente, die sich nicht auffinden liefsen,
im Übrigen wie es scheint wesentlich in demselben Zustande,
in welchem sie die früheren Abschreiber gesehen haben, theils
in der Pinakothek und unter den Propyläen eingemauert, theils
an anderen Stellen der Akropolis aufbewahrt. Der Zuwachs,
den der Bestand seitdem durch neue Funde erfahren, ist dem
Umfang nach nicht erheblich, doch befindet sich darunter die
Überschrift der 34. Jahresliste, welche vor einiger Zeit hier
zuerst mitgetheilt worden ist und aus welcher sich das Anfangs-
jahr dieser Listen und das Verhältnils der in einem Theile
KL
150 Gesammtsitzung
derselben verrechneten Quoten zu den vollen Tributsummen
definitiv hat feststellen lassen. Auch diese Stücke sind mit
‚Ausnahme des eben erwähnten und eines bisher übersehenen,
zur 10. Liste gehörigen zu verschiedenen Zeiten in der &pyus-
eis und den ebenfalls in Athen erschienenen Zrıypadaı avszdoroı
bereits veröffentlicht worden. Die Originale befinden sich, zwei
kleine Fragmente abgerechnet, welche die hiesige archäologische
Gesellschaft besitzt, ebenfalls auf der Burg, wo diese Urkun-
den ursprünglich aufgestellt waren. Der Gesammtbetrag aller
bis jetzt zum Vorschein gekommenen Stücke beläuft sich auf
122 Nummern, von denen indefs mehrere bereits aus verschie-
denen Bruchstücken zusammengesetzt sind.
So Vorzügliches Rangabe und Böckh für die Gesammt-
auffassung der Tributlisten und für die Herstellung und Er-
klärung im Einzelnen geleistet haben, so. wenig hält die von
ihnen beliebte Zusammensetzung der einzelnen Bruchstücke und
die Anordnung derselben nach Jahren eine ernstliche Prüfung aus.
Nach zuverlässiger Überlieferung fand in 'der Regel von 4 zu
4 Jahren eine neue Schätzung der tributpflichtigen Bundesge-
nossen statt; dafs nach Rangabes und Böckh’s Anordnung sich
in den Listen von diesen vierjährigen Schätzungsperioden keine
Spur zeigt, spricht allein entscheidend gegen die Richtigkeit
derselben. Wären die Tribute in der That so unregelmäfsig
bald gesteigert, bald herabgesetzt worden, wie es nach dieser
Anordnung den Anschein hat, so mülste man an der politischen
Klugheit der Athener zweifeln. Vergebens bemüht man sich
den Einflufs der Wandlungen zu erkennen, welche die attische
Politik von Kimon bis Alkibiades durchgemacht hat. Um solche
Erwartungen nicht übertrieben zu finden, möge man sich ver-
gegenwärtigen, dafs die Tribute den Hauptbestandtheil der Ein-
künfte des attischen Staates bildeten, auf welchen, wie Thuky-.
dides nicht müde wird hervorzuheben, die Macht und Gröfse
‘ desselben beruhte; wenn irgend wo mulste auf diesem Felde
die verschiedene Politik der leitenden Staatsmänner zum Aus-
druck kommen, worüber sich auch in der litterarischen Über-
lieferung ausdrückliche Andeutungen erhalten haben. Aber auch
im Einzelnen vermifst man die vorauszusetzende Übereinstim-
mung mit den gleichzeitigen Begebenheiten. Die historische For-
vom 25. Februar 1869. 151
schung in engerem Sinne hat daher diese Urkunden, denen sich
doch an Bedeutung und Umfang auf diesem Gebiete schwerlich et-
was Anderes möchte an die Seite stellen lassen, bisher ignorirt.
‚Fragt man nach den Prinzipien, nach welchen die bisheri-
gen Anordnungen gemacht sind, so ist es schwer, hierauf Aus-
kunft zu geben. Rangabe führt ausdrücklich nur den Wechsel
der älteren und jüngeren Form des Sigma an, welchen er in
das elfte Jahr setzt; sowie dafs in der Liste desselben Jahres
ein und dieselbe Stadt nicht zwei Mal vorkommen dürfe; wollte
man aber hieraus schliefsen, er habe sich im Übrigen durch
die Beschaffenheit der Originale leiten lassen, so ist, wie die
Autopsie der letzteren lehrt, dıefs nur in sehr beschränktem
Mafse zuzugeben. Böckh, der sich auf vielfach ungenaue Kopien
und Beschreibungen der Steine angewiesen sah, hat die Anord-
nung Rangabe’s in den Grundlinien angenommen, ohne indels,
wie aus einzelnen Äufserungen zu schliefsen ist, recht daran
zu glauben, und kommt dem gegenüber, so ungern man diels
auch ausspricht, für die Sache wenig darauf an, wie oft er bei
den im Einzelnen vorgenommenen Veränderungen das Richtige
getroffen habe.
Die einzig mögliche Art und Weise Ordnung in diese zahl-
reichen Bruchstücke zu bringen, war unzweifelhaft die, sie zu-
"nächst nach dem Schriftcharakter und der sonstigen Beschaffen-
heit der Originale nach Jahren zu scheiden und dann die
Reihenfolge der letzteren nach Mafsgabe der Überschriften oder,
wo solche fehlen, der in den Listen selbst enthaltenen Daten
herzustellen. Diese Arbeit konnte selbstverständlich nur in
Athen Angesichts der Originale gemacht werden. Sie wird er-
schwert durch die Vertheilung der Steine an verschiedenen
Orten sowie durch die Einmauerung derselben. Die Unter
scheidung nach Jahren ist verhältnifsmäfsig leicht und in paläo-
graphischer Beziehung instruktiv für die Bruchstücke aus den
ersten 15 Jahren, weil innerhalb dieses Zeitraums der Über-
gang aus dem alten in das jüngere attische Alphabet stattge-
funden hat, später seit der Ausbildung eines festen Schrifttypus
sind die verschiedenen Hände schwerer zu scheiden. Die jün-
gere Form des Sigma ist, nachdem sie viermal vereinzelt in
der Überschrift des zweiten Jahres gebraucht worden ist, zuerst
152 Gesammtsilzung
in der Liste des sechsten Jahres durchgängig angewandt, hat
im siebenten und achten Jahre der älteren Form wieder Platz
gemacht und ist seit dem neunten Jahr konstant. Auch die
Annahme, dafs in derselben Liste dieselbe Stadt nicht mehr-
mals vorkomme, hat sich nicht bestätigt. Nachdem die vor-
handenen Bruchstücke nach Jahren geschieden waren, hat sich
herausgestellt, dafs bei Weitem mehr, als man bisher angenom-
men hat, entweder unmittelbar an einander anstofsen, oder sich
durch sichere Ergänzungen in Verbindung bringen lassen. Durch
diese Zusammensetzungen sowie durch Rektifizirung der bisheri-
gen Abschriften hat der Text eine durchgreifende Umgestaltung
erfahren; ging doch die Ungenauigkeit der ersteren in einzelnen
Fällen so weit, dafs verschiedene Abschriften desselben Steines
als verschiedene Inschriften aufgeführt und kommentirt wurden
und Abschriften von Abschriften als Originalabschriften gelten.
Eine Anzahl Namen, welche durch Ergänzung in den Text ge-
kommen waren, wie Ilegrasaioı, ’Alwra, Mwwäreı, MiAycıaı Ev
"Anogyw, IrAvcıo Yo en ’Iön, Zıyatoı, Nerwıcı, sind daraus ver-
schwunden, andere wie Koscatoı, Ilzoyanos, oder wie die Ein-
wohner einmal genannt werden, Ilieges &v Tlegyapı, Bouzovvrior,
verschieden von Barzwöngıo, jene auf Karpathos, diese anf Rho-
dus; Awovpns, Muyeroys, IAayagns, Tpvßavıs, YWoscns, Xlor
(am Triopion), Hezrvn, Angıronor, Eupuuayireı, "Agdırsos, Zat-
Baxris neu hergestellt worden. Von andern Namen haben sich
doppelte Formen gefunden, wie MAzwgro: und MiArwpor, Touy-
sıns Bouyxeejs und Ähnliches. Endlich ist die Form der Lis-
ten und ihrer Überschriften in den verschiedenen Zeiträumen
eine gleichmäfsigere geworden als diels bisher der Fall war.
Die Ergebnisse dieses Rekonstruktionsverfahrens, von dessen
Mühseligkeit man sich schwerlich wird einen Begriff machen
können, sind in Kurzem folgende:
Die Listen der ersten 15 Jahre waren, wie im Wesentlichen
bereits Rangabe und Böckh erkannt hatten, auf einem massiven
rechteckigen Steinwürfel eingegraben, dessen Breitseiten je 5,
die Schmalseiten in der Regel je 2 Spalten enthielten. Auf
der Vorderseite standen die Listen der ersten 6 Jahre; auf der
rechten Schmalseite die siebente und achte, auf der Rückseite
die neunte bis dreizehnte, auf der linken Schmalseite die vier-
vom 25. Februar 1869. 133
zehnte und funfzehnte Liste. Aus jeder dieser Jahreslisten
sind Bruchstücke, mehrere sind annähernd vollständig erhalten.
Von den 122 Bruchstücken der Tributlisten gehören allein 89
Nummern diesem ersten Steindenkmal an.
Von einem zweiten Denkmale sind bis jetzt nur 15 oder
16 Stücke bekannt geworden. Dasselbe war aus zwei Stein-
würfeln zusammengesetzt und enthielt auf den Breitseiten je 6
Spalten. Erhalten sind der untere Theil der Vorderseite, die
rechte Schmalseite ziemlich vollständig und der obere Theil
der linken Schmalseite. Hiervon gehören die Reste der Vorder-
seite dem 20sten, 21lsten und 22sten Jahre, diejenigen der
rechten Schmalseite den beiden folgenden Jahren an. Auf der
Rückseite ist die Schrift bis wenigstens in die Mitte bereits im
Alterthum sorgfältig‘ getilgt worden, wodurch die Herstellung
der Reihenfolge für die folgenden Stücke sehr erschwert wird.
Die Zeitereignisse oder Nachlässigkeiten in der Redaktion schei-
nen Veränderungen nöthig gemacht zu haben und daher dieselbe
oder dieselben Listen nochmals eingetragen worden zu sein.
Vielleicht darf man den Grund suchen in dem um Ol. 87,1.
432 erfolgten Abfall der Städte der Chalkidike und Bottiäa. Die
Reste der Überschrift zu Anfang der linken Schmalseite schei-
nen nur auf das 26ste oder 28ste Jahr ergänzt werden zu
"können.
Ein drittes Steingefüge muf[s sich an das vorhergehende
unmittelbar angeschlossen haben. Dasselbe war ebenfalls aus
zwei Steinblöcken zusammengesetzt, von dem rechtsstehenden
ist, selbst wieder in 3 Stücke gebrochen, das Mittelstück er-
halten. Auf der Vorderseite ist die Schrift getilgt, die Rück-
seite rauh gelassen, woraus zu schliefsen, dafs auch die linke
Schmalseite nicht benutzt worden ist. Von der auf der rechten
Schmalseite eingegrabenen Liste ist ein Theil des ionisch-
karischen und der Anfang des Inseltributes, das Ende des
hellespontischen und der vollständige thrakische Tribut erhal-
ten. In dem letzteren fehlen die chalkidischen und bottiäischen
Städte, welche um Ol. 87, 1. 432 vom Bunde abfielen, dagegen
sind die Städte am strymonischen Meerbusen und auf der Akte,
die Ol. 89, 1. 424 von Brasidas eingenommen wurden, noch
darin aufgeführt. In der Anordnung und den Beträgen stimmt
154 Gesammtsitzung
die Liste überein mit der 24sten und den zunächst vorherge-
henden. |
Dieselbe Übereinstimmung in der Hauptsache zeigt eine
andere Liste, welche auf der Vorderseite einer jetzt in zwei
Stücke zerbrochenen Steinplatte eingegraben, aber wegen der
Verwitterung nur theilweise zu entziffern ist. Auch der Bestand
der thrakischen Provinz ist derselbe. Die Methonäer werden
darin unter denjenigen Städten aufgeführt, at auryv ryv dmap-
Xyv amyyayov, denn so ist der mehrfach besprochene Passus
zu Schreiben; nach neueren Untersuchungen scheinen sie diese
Vergünstigung um Ol. 87, 4. 429 erhalten zu haben. Auch
auf der linken Schmalseite stehen Reste einer Liste, welche in-
defs, wie die Schriftzüge und die Orthographie zeigen, jünger
als diejenige der Vorderseite und nach dem Inhalt in eines der
letzten Jahre vor der Auflösung des Bundes zu setzen ist.
Die demnächst zu besprechende Urkunde beweist, dafs
Ol. 88, 4. 425 eine neue Schätzung der Bundesstädte stattge-
funden hat, durch welche die Tribute um ein Bedeutendes er-
höht wurden; in Kraft getreten ist diese Schätzung möglichen-
falls erst im folgenden Jahre. Die beiden an letzter Stelle
besprochenen Listen sind daher vor diese Jahre zu setzen, wo-
für auch der Bestand der thrakischen Provinz spricht.
Es mufs einer neuen Bearbeitung der Tributlisten - vorbe-
halten bleiben, den Beweis für die Richtigkeit dieser Aufstel-
lungen aus innern Gründen, vornehmlich aus dem Nachweis
der Schätzungsperioden zu führen; nur an einem Beispiel möge
mir hier gestattet sein zu zeigen, wie die gewonnenen Resul-
tate sich in Übereinstimmung befinden mit der litterarischen
Überlieferung und geeignet sind, dieselbe zu ergänzen.
Nach Ausweis der Liste des sechsten Jahres waren Ol. 82,
4. 449/48 eine Anzahl Städte mit ihren Zahlungen entweder
theilweise oder ganz im Rückstande geblieben und hatten diese
Rückstände am Ende der betreffenden Schätzungsperiode im
achten Jahre in einmaliger Zahlung oder ratenweise, verzinst
oder unverzinst abgetragen. Offenbar aus diesem Grunde war
diese letztere Liste in derselben Ordnung abgefalst wie die
sechste, wodurch die Herstellung sehr erleichtert wird. Da die
im Rückstand gebliebenen Städte in derselben‘ geographischen
vom 25. Februar 1869. 155
Sphäre, nämlich in und um den Hellespont liegen, so ist ein
gemeinsamer Grund für deren Zahlungsunfähigkeit anzunehmen,
und, da die politischen Verhältnisse einen solchen nicht ge-
währen, mit Wahrscheinlichkeit ein verheerendes Naturereignils
vorauszusetzen. In der That führt Thukydides in seiner Skizze
der Unternehmung gegen Kypros, welche Ol. 82, 4 stattfand,
als Grund, wefshalb die letztere aufgegeben wurde, aufser dem
Tode des Bundesfeldherrn Kimon eine Hungersnoth (Aıuos) an,
und es ist um so interessanter die Angabe des Historikers durch
eine gleichzeitige Urkunde bestätigt zu finden, als die späteren
Berichterstatter jener Kalamität, welche auf den plötzlichen Ab-
bruch der bis dahin erfolgreichen Expedition aller Wahrschein-
lichkeit nach mindestens ebenso viel Einfluls gehabt haben wird
als der Tod des Feldherrn, gar keine Erwähnung thun und im
Zusammenhang hiermit den Feldzug mit einem für Athen vor-
theilhaften Vertrag, dem vielberufenen Frieden des Kallias,
schliefsen lassen. Es bedarf kaum des Hinweises, wie fühlbar
sich ein. Mifswachs am Hellespont im übrigen Griechenland
und namentlich in Athen, welches einen grofsen Theil seines
Getreides aus jenen Gegenden bezog, machen mulfste.
Der nächste chronologische Anhaltspunkt liest vor aus Ol.
88, 4. 425. In diesem Jahre hat, wie bereits bemerkt, eine
neue Schätzung stattgefunden. Von der darüber ausgestellten
Urkunde, welche die Überschrift r«£:s $ogov trug, sind mir 26
Bruchstücke bekannt geworden, andere mögen sich noch unter
den unedirten Inschriften der Sammlungen auf der Burg befin-
den. Die Urkunde bestand aus Volksbeschlüssen und der auf
Grund derselben festgestellten Schätzungsliste, der letzteren ge-
hören die bereits von Böckh als Reste einer solchen von den
Quotenlisten ausgeschiedenen Inschriftenfragmente an. Obgleich
der zertrümmerte Zustand eine Herstellung des Dokumentes im
Einzelnen nicht gestattet, gewährt dasselbe doch auch so, in
Verbindung gebracht mit einzelnen bisher unerklärten Andeu-
tungen in den Quotenlisten, wichtige Aufschlüsse und wird dazu
dienen, eine weniger äufserliche, des attischen Volkes würdigere
und zugleich, wenn ich mich nicht täusche, den Gesetzen histo-
rischer Entwickelung konformere Auffassung des Bundesverhält-
nisses seit der Verlegung des Mittelpunktes nach Athen anzu-
156 Gesammtsitzung
bahnen, als bisher gang und gebe war. — Nicht viel später
als diese Schätzungsliste scheint eine andere Urkunde zu fallen,
von welcher bis jetzt 6, oder, wenn meine Vermuthung mich
nicht trügt, 7 Bruchstücke edirt worden sind und welche zum
Zwecke hatte, eine gröfsere Regelmäfsigkeit in der Zahlung der
Tribute herbeizuführen und das im Weigerungsfalle nöthige ge-
richtliche Verfahren zu regulieren.
Des Anfangs der 34sten Liste ist bereits oben gedacht
worden, dieselbe steht auf einer einfachen Marmorplatte. Aus
einem der nächsten Jahre wird die Liste n. LXXXI nach Böckh’s
Zählung herrühren. Der Stein ist leider jetzt eingemauert, nach
den Angaben der früheren Abschreiber ist es eine einfache Stein-
platte. Unter dem thrakischen Tribut fehlen aufser den Städten
der Chalkidike und Bottiäa diejenigen im Norden des strymo-
nischen Meerbusens, dagegen sind die Städte der Akte und
Pallene, welche nach den Friedensstipulationen von Ol. 89, 4
an Athen zurückgegeben wurden, bereits wieder aufgeführt.
Unter den letzteren befindet sich auch Dion am Athos, welches
gegen Brasidas den Athenern treu geblieben war, aber in der
Folge Ol. 90, 3. 418 abfiel. Die Quotenbeträge sind sehr hoch,
was mit den Ergebnissen der Untersuchung über die Schätzung
von Ol. 88, 4 stimmt, im Einzelnen läfst sich ein Vergleich
nicht anstellen, weil die betreffenden Partien der Schätzungs-
liste des genannten Jahres fehlen oder verstümmelt sind.
Es verbleiben hiernach noch zwanzig zusammenhangslose
Fragmente, deren gröfserer Theil indessen nur einzelne Buch-
staben und Ziffern enthält; die übrigen rühren sämmtlich von
einfachen Steinplatten her und erweisen sich auch durch die
hohen Quotenbeträge als jünger als Ol. 88, 4. Aus der Zeit
nach der Wiederherstellung der Verfassung Ol. 92, 2 läfst sich
nur das: bereits erwähnte Stück nachweisen, welches von mir
in eines der letzten Jahre vor der Schlacht bei Ägospotamoi
gesetzt worden ist.
Athen den 6. Februar 1869.
vom 25. Februar 1869. 157
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Kopp, Beiträge zur Geschichte der Chemie. 1. Stück. Braunschweig
1869. 8. Mit Schreiben des Verfassers d. d. Heidelberg 16. Fe-
bruar 1869.
Archives neerlandaises, par Baumhauer. III, 4—6. La Haye 1868. 8.
Videnskabernes Selskabs Skrifter. Kjobnhavn 1867—68. 4. u. 8.
Bulletin de la societe de geographie. Nov.-Dez. Paris 1868. 8.
Annales des mines. XIV, 4. Paris 1868. 8.
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MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
März 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.
1. März. Sitzung der philosophisch -histo-
rischen Klasse.
Hr. Buschmann las Zusätze zu seinem Verzeichnifs
der aztekischen Wörter in den sonorischen Sprachen.
4. März. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Kronecker las eine Abhandlung „über Systeme
von Functionen mehrer Variabeln.* Von den darin ent-
haltenen Resultaten sollen die hauptsächlichsten hier in kurzem
Auszuge mitgetheilt und auch über die dabei benutzten Metho-
den einige Andeutungen gegeben werden.
Es seien, Ze, Zu, Fasi.r »». 7, eindeutige reelle Functio-
nen der n reellen unbeschränkt veränderlichen Grölsen 2,, 2,
ehr 2,, und zwar solche, die sowohl eine nfach unendliche
Anzahl positiver als negativer Werthe annehmen. Überdies
werden die Functionen 7 als im Allgemeinen stetig und nach
den einzelnen Variabeln differentiirbar vorausgesetzt und es soll
endlich angenommen werden, dafs keine der (n-+-1) Functional-
determinanten gleichzeitig mit den betreffenden Functionen für
[1869.] 12
160 Gesammtsitzung
unendlich viele Werthsysteme z verschwindet. Um diese (n-+1)
Funetionaldeterminanten auch ihrem Vorzeichen nach zu fixiren,
stelle ich den aus den n partiellen Ableitungen gebildeten n
Verticalreihen eine voran, deren (n+1) Elemente resp. mit
Foo» Fin » + no bezeichnet werden mögen, und bilde aus
den auf diese Weise resultirenden und nach der Folge der
Indices zu ordnenden (n-+ 1)? Elementen die Determinante.
Alsdann ist der nach F,, genommene partielle Differentialquo
tient dieser Determinante die auch dem Vorzeichen nach be-
stimmte Functionaldeterminante der n Functionen: F,, Fı,...
.. Fr-ı, Frrız --- F), welche mit A, bezeichnet werden soll.
Wenn man irgend welche (n— 1) der Functionen F' gleich
Null setzt, so wird hierdurch die Veränderlichkeit der Varia-
beln z auf eine einfache Unendlichkeit oder Mannigfaltigkeit
eingeschränkt. Die derselben angehörigen Werthsysteme der n
Gröfsen z bilden eine stetige Folge und man kann jene Werth-
systeme füglich als „Punkte“ und deren stetige Folge als „Linie“
bezeichnen. Um an einem beliebigen Punkte der Linie:
F,=0, für i alle Indices mit Ausnahme zweier (h und k) gesetzt,
den Sinn des Fortgangs in derselben zu fixiren, setze ich ent-
weder an die Stelle von 7, oder an die von 7‘, irgend eine
eindeutige Function $® und bestimme den Fortgang so, dafs an
der betrachteten Stelle d® dasselbe Vorzeichen erhält, welches
die aus den (n— 1) Funktionen F, unter Hinzunahme von ®
gebildete Funktionaldeterminante in dem bezeichneten Punkte
hat. Nach dieser Bestimmung ist der Sinn des Fortgangs ver-
schieden, je nachdem ® an die Stelle von F', oder an die von
F, getreten ist, und es soll demgemäfs die Linie selbst mit
[" k] oder mit [k }] bezeichnet werden; aber der Sinn des Fort-
gangs ist in allen Punkten der Linie, welche nicht Doppel-
punkte sind, genau fixirt und übrigens von der Wahl der Func-
‘ tion ® unabhängig. Da bis zu beliebiger Nähe der Doppel-
punkte der Sinn des Fortgangs noch festzustellen ist, so schliefst
auch das Vorkommen von Doppelpunkten die Anwendbarkeit
jener Bestimmung nicht aus. Das hier auseinandergesetzte
„Fortgangsprineip* bildet die eigentliche Grundlage meiner Un-
tersuchungen über Systeme von Functionen mehrer Variabeln.
vom 4. März 1869. 161
II.
Es .soll jetzt noch vorausgesetzt werden, dafs sämmtliche
4n(n-+-1) Linien, welche aus dem Functionen-Systeme F auf
die angegebene Weise entstehen, geschlossene Linien seien und
dafs die Anzahl der durch je rn Gleichungen = 0 bestimmten
Punkte endlich sei. Betrachtet man nun die Linie [%k] in dem
durch dieses Zeichen fixirten Sinne des Fortgangs an denjeni-
gen Stellen, wo sie die (a—1) fache Mannigfaltigkeit F}, = 0
schneidet, so tritt dieselbe dort — wenn nicht zugleich 7, = 0
ist — aus einem Bereiche wo F,-F, negativ ist in einen sol-
chen wo F,-F, positiv ist, oder umgekehrt. Insofern man den
ersteren Bereich als einen inneren, den letzteren als einen äus-
seren bezeichnen kann, wird darnach eine Schnittstelle von
[%k] mit F, = 0 als ein Austritt oder als ein Eintritt der Linie
[hk] aufzufafsen sein; und diese auf das Fortgangsprincip ge-
gründete Auffassung ist, wie sich zeigen wird, von der wesent-
lichsten Bedeutung für die naturgemäfse Interpretation analyti-
scher Beziehungen. — Die Gesammtzahl der Ein- und Aus-
tritte ist eine grade Zahl; wenn man also von der Anzahl der
Eintritte die der Austritte subtrahirt, so ist die Hälfte der so
gebildeten Differenz eine ganze Zahl, die positiv oder negativ
oder auch Null sein kann. Von dieser Zahl gilt das Funda-
mentaltheorem, dafs dieselbe constant ist, wie man auch die
Indices A} und %& auswählen mag; die Zahl ist demnach für das
ganze Functionen-System charakteristisch und soll darum die
„Charakteristik“ desselben genannt werden.
Die hier betrachteten Ein- und Austrittsstellen der verschie-
denen In(n-+-1) Linien des Functionen-Systems können auch
als die gemeinsamen Punkte von je n Functionen F angesehen
werden. Jeder dieser Punkte gehört also einem Systeme von
nur n nach Weglassung irgend eines 7’, übrig bleibenden Func-
tionen an. Nimmt man nun zu diesen n Functionen an Stelle
von F', eine andere Function %, hinzu, welche die Eigenschaft
hat, dafs sie nur für einen einzigen der durch:
a
A .o.0» a IHN
bestimmten Punkte negativ für alle andern aber positiv ist, so
ist die Charakteristik dieses neuen Systems von (n-+1) Func-
12%
162 Gesammtsitzung
tionen ihrem absoluten Werthe nach gleich Eins und ihrem
Vorzeichen nach mit dem der Functionaldeterminante A, in
jenem Punkte übereinstimmend, A,<0 vorausgesetzt. Diese
Charakteristik soll „der Charakter des Punktes“ genannt und
mit x, bezeichnet werden'). Es ist hiernach für jeden einfachen
durch die Gleichungen:
PS Br oraeeee m), —=0,(e=0,1,...k—1,k+1,..n)
deRninten Punkt SU MER, EM SIE
Ash LS RR ET 03) DT Als a en ®) >o
und also vermöge des Fortgangsprincips längs der Linie [A k]
in jedem Punkte £®;
lg») . dF,, >0.
Hieraus folgt unmittelbar, dafs die algebraische Summe
der Charaktere sämmtlicher Punkte £® gleich Null ist und
ferner dafs die algebraische Summe der Charaktere aller der-
jenigen Punkte £®, für welche:
F(E® , 2W , ...... e®) <o
ist, mit der halben Differenz zwischen der Anzahl der Ein- und
1) Ich habe mir keineswegs verhehlt, dafs es etwas Mifsliches hat
von der Bezeichnung „Charakteristik eines Systems, von Functionen“ zu
dem Ausdrucke „Charakter eines Punktes“ überzugehen. Denn während
es durchaus unverfänglich ist die Charakteristik als eine Eigenschaft des
Systems (Fy, Fi +... F,„) von der Reihenfolge und den Vorzeichen der
“ Functionen F' abhängig zu machen, ist es doch bedenklich eine solche
Eigenschaft auch als die eines durch die Gleichungen: F; = 0 bestimm-
ten Werthsystems zu bezeichnen. Aber das Ungewöhnliche oder Anstös-
sige einer solehen Bezeichnung haftet nicht an dem Begriffe des Punkt-
charakters, da derselbe ja mit dem einer gewissen Charakteristik voll-
kommen identisch ist, sondern nur an dem Ausdrucke; und ich habe
mich nach reiflicher Überlegung für Benutzung dieses Ausdrucks ent-
schieden, weil einerseits die Darstellung dadurch ganz ungemein an Über-
sichtlichkeit gewinnt und weil es andrerseits freisteht, da wo etwa durch
den Ausdruck Schwierigkeiten eintreten sollten, auf die ursprüngliche
Bezeichnung zurückzugehen.
vom 4. März 1869. 163
Austritte der Linie [Ak], d. h. also mit der Charakteristik des
Functionen-Systems übereinstimmt. |
Diese einfache Relation zwischen den Charakteren der
Punkte { und der Charakteristik des Systems F setzt es in
Evidenz, dafs die letztere für alle Linien [%%k] bei constantem
Index & unverändert bleibt. Aber dieselbe Relation führt auch
zum Beweise der Unveränderlichkeit der Charakteristik bei Ver-
tauschung der Indices A und & und also zum vollständigen Be-
weise des Satzes über die Constanz der Charakteristik. Be-
trachtet man nämlich sämmtliche Punkte g% und &® als durch
die n Gleichungen:
‚v
W) ——— SRRRRRR — F,-ı = IF). Fr = Frrı =... = Fr-ı =I,
ER = F,+2 = ss. 0 1. = Der — 0
definirt, deren Functionaldeterminante
F,.A,— Fy,.A,
ist, so ist in Bezug auf dieses Gleichungssystem der Definition
semäfs der Charakter eines Punktes g®:
2.4(g®), wenn e= #1 und e.F,.(@®) >o,
und der Charakter eines Punktes £M;
—2.x9,(5®), wenn == =1 und e.F,(&®) > 0;
und deshalb:
Zex (ls) — Ze (li) = 2.
Überdiefs ist:
SEN) =0, 3xl@®)= 0,
wenn die Summation resp. auf alle Punkte g® und g® er-
streckt wird, und hieraus folgt schliefslich, dafs
34) = Ex)
“ ist, wenn die erstere Summe nur auf alle diejenigen Punkte g®
ausgedehnt wird für welche 7, < 0 und die letztere nur auf
diejenigen Punkte $% für welche 77, < 0 ist.
164 Gesammtsitzung
Die vorstehenden Auseinandersetzungen behalten unter ge-
wissen Modificationen ihre Gültigkeit auch für besondere Fälle,
welche als Grenzfälle der allgemeinen angesehen werden können;
z. B. wenn in Punkten, die durch n Gleichungen F = 0 definirt
sind, zugleich die Functionaldeterminante derselben verschwindet, -
wodurch der Charakter der bezüglichen Punkte von Eins ver-
schieden werden kann. Ferner aber lassen sich die angeführten
Sätze im Wesentlichen auch für den Fall aufrecht halten, dafs
die Variabeln z auf rfach unendlich viele discrete Punkte be-
schränkt werden. Doch sollen die hierfür nöthigen, etwas um-
ständlichen Erörterungen übergangen, und nur einige für die
folgenden Anwendungen der aufgestellten Sätze ganz wesent-
liche Bemerkungen beigefügt werden, um die Functionen F' von
gewissen Beschränkungen zu befreien. Es ist nämlich keines-
wegs erforderlich, dafs die Functionen F' durchgehends an ein
und dasselbe analytisch gegebene Gesetz gebunden sind, und
es kann überdiefs jede der Functionen F' durch irgend eine an-
dere ersetzt werden, wenn dieselbe nur so beschaffen ist, dafs
sie längs der zu betrachtenden Linien stets gleiches Zeichen
mit jener Funktion F hat. In Folge dessen lassen sich z. B.
Systeme von Functionen, welche nicht geschlossene Linien er-
geben, durch solche mit geschlossenen Linien ersetzen.
III.
Die Charakteristik des Systems 7 selbst gewinnt eine be-
sondere Bedeutung, wenn man die Functionaldeterminante von
n Functionen F mit in Betracht zieht. Wird nämlich die
Functionaldeterminante von F} , F,,..... F, wie oben mit A,
bezeichnet, so ist jene Charakteristik gleich der Differenz, welche
man erhält, wenn man von der Anzahl der Punkte wofür:
dee Fe Fe a erert
.ist, die Anzahl der Punkte subtrahirt, wofür:
Pe er re re ee ze
ist. Bezeichnet man also mit:
ne .o00. is Cora soo... En yarase die a
vom 4. März 1869. 165
die sämmtlichen gemeinsamen Werthsysteme der Gleichungen:
RE A REN RR
so giebt die Charakteristik des ee
Areal kl. - F'.)
den Überschufs der im Innern von F,—=0 liegenden Punkte (£)
über die aufserhalb F, = 0 belegenen Punkte an. Wenn end-
lich der Bereich: F\, < 0 einen anderen Bereich: Fy < 0 voll-
ständig einschliefst, so wird die Anzahl der zwischen den bei-
den Umgrenzungen F, = 0 und Fy' = 0 belegenen Punkte (5)
durch die halbe Differenz der beiden Charakteristiken von:
(Ao-Fo, Fı, P:; ah Kyaund A 0 Fi, Es
ausgedrückt.
Aufser diesem Zusammenhang zwischen der Anzahl von
Systemen (£) und der Charakteristik existiren noch besondere
Beziehungen für den Fall, dafs — wenn n=2m ist — die n
Bunctionen F,,F,;.-... F, die n Theile von m Functionen
ebensovieler complexer Variabeln sind. Wird namentlich für
F, alsdann eine Function gewählt, welche nur für endliche
'Werthe der Variabeln z verschwindet und überdiefs so be-
schaffen ist, dafs für sämmtliche Punkte (2) zugleich F, < 0
ist, so giebt es in diesem Bereiche (7, < 0) nur Eintritte und
gar keine Austritte; dasselbe findet auch auf der Umgrenzung
F, = statt, und zwar liegen auf derselben doppelt so viel
Schnittpunkte jeder durch Ausschluls einer der übrigen Func-
tionen F' gebildeten Linie als im Innern. Ist F, <0 ein von
F, < 0 eingeschlossener Bereich, so giebt endlich die Charakte-
ristik des Systems: AR
ag id 7.)
gradezu die Anzahl der in dem Bereich F, < 0 liegenden
Punkte (2) an. Hierbei ist aber vorausgesetzt, dafs dem Be-
griffe der Charakteristik entsprechend die in dem betrachteten
Falle sich ins Unendliche verzweigenden Linien in dem Be-
reiche F, > 0 durch geschlossene Linien ersetzt werden.
166 Gesammtsitzung
IV.
Wenn ont F, ganze rationale Functionen der n -
Variabeln 2 sind, so läfst sich auf dieselben mit Hilfe der von
mir im Monatsberichte vom December 1865 aufgestellten Inter-
polationsformel ein der Kettenbruchs-Entwickelung analoges
Verfahren anwenden. Die durch dasselbe gelieferte Reihe von
Functionen bildet die Verallgemeinerung der Sturmschen Reihe
und kann zur Ermittelung der Charakteristik des Systems F
dienen. Um dies an dem einfachsten Falle zu zeigen, sei
2) =&2,2, = y und zuvörderst:
F,=y ’ F,=/@)—y ’ F,=f,@)—Y;
wo fund f, ganze Functionen resp. vom Grade 2v und (2v— 1)
bedeuten, in denen die Coefficienten der höchsten Potenzen von
x positiv sind. DBildet man nun in bekannter Weise durch die
Kettenbruchs-Entwickelung des Quotienten der beiden Functionen
f und f, eine Sturmsche Reihe:
Id, fe) 5 Frl) 5m ’
so kann der Verlust an Zeichenwechseln, den diese Reihe beim
Übergange von <= — » bis @—= + erleidet, auf Grund
der obigen Auseinandersetzungen in einfacher und anschaulicher
Weise gedeutet werden; dieser Verlust ist nämlich genau —
auch dem Zeichen nach — mit der Charakteristik des Systems
(F, „Fı, F,) übereinstimmend. Wenn ferner f mit f, von
einem und demselben, /—/ı aber von niedrigerem Grade ist,
und man bildet die Sturmsche Reihe:
FR) II TIL): Sal) essen
und setzt darin für x zuerst irgend einen Werth « und nachher
einen grölseren Werth 5, so ist die Differenz der Anzahl der
Zeichenwechsel — vorausgesetzt dals alle Zeichenwechsel mit
Ausnahme eines zwischen den ersten beiden Gliedern doppelt
gezählt werden — gleich der Differenz der Charakteristiken
der beiden Systeme:
(y.@— 0), f) —y Fl) —Y) , (y-@—d), Fo) Fa) —Y):-
vom 4. März 1869. 167
Wenn man sich also auf der Abscissenaxe von 5b nach a be-
wegt und die Stellen wo 7’, passirt wird als Ein- und Aus-
trittsstellen bezeichnet, je nachdem man dort in ein von f\,
und 7, umschlossenes Gebiet hinein oder aus einem solchen
herauskommt, so wird die Differenz der Anzahl dieser Ein-
und Austritte durch den Verlust an Zeichenwechseln bestimmt,
den die Sturmsche Reihe von @= a bis «= b erleidet. Der
hier erwähnte einfachste Fall ist meines Wissens zuerst von
Herrn Sylvester behandelt und in einer ähnlichen wenn auch
weniger anschaulichen Weise interpretirt worden. Herr Syl-
vester hat dabei (Philosophical Transactions, Part. III. 1853.
pag. 495) einige Bemerkungen hinzugefügt, aus denen hervor-
geht, dafs derselbe eine Ausdehnung gewisser Sätze auf Func-
tionen mehrer Variabeln vermuthet hat. Es scheint mir, dafs
dieser Vermuthung durch den oben unter Nr. II gegebenen
Satz über die Constanz der Charakteristik entsprochen ist. Die
' Schwierigkeiten der Verallgemeinerung, deren Herr Sylvester
Erwähnung thut, dürften wohl zumeist in der Beschränkung
auf algebraische Gebilde liegen, die er festgehalten hat. So-
bald ich die Einsicht gewann, dafs alle bezüglichen Betrach-
tungen ausschliefslich jenem allgemeinen Gebiete angehören,
welches für den Fall wo n = 2 oder 3 ist als „Geometrie der
Lage“ bezeichnet wird, ergaben sich mir die einfachsten Mittel
zur Bewältigung der entgegenstehenden Schwierigkeiten.
V.
Wird eine durch die n reellen Variabeln x, , #2, ..... 2,
gebildete Mannigfaltigkeit auf die der Variabeln 2 durch die
Gleichungen:
a a BE ZUENETU RBEN a \
a DZ 2)
bezogen, so entspricht jedem Punkte z ein Punkt x, jedoch im
Allgemeinen so, dafs auch zu verschiedenen Punkten 2 ein und
derselbe Punkt x gehören kann, und es entspricht daher der
(n—1)fachen Mannigfaltigkeit:
IP, (2? 2% ie: re N a)
168 Gesammtsitzung
eine (n—1)fache Mannigfaltigkeit:
Von der Function F, wird stets vorausgesetzt, dafs sie nur
für endliche Werthe der Variabeln 2 negativ sei. Setzt man
nun sämmtliche Variabeln x — nur x, und «, ausgenommen —
.gleich Null, so bekommt man eine in der (n—1)fachen Man-
nigfaltigkeit ®= 0 enthaltene einfach unendliche Folge von
Werthsystemen x d. h. also eine Linie. Diese Linie windet
sich genau so vielmal um den Nullpunkt, als die Charakteristik
des Functionen-Systems F' angiebt, und dabei bezeichnet auch
das Vorzeichen der Charakteristik den Sinn der Windung.
Denn jedem Eintritte der Linie [hk] bei: F, = 0 entspricht
ein Durchgang durch: &,= 0 in dem einen Sinne der Drehung,
jedem Austritte ein Durchgang durch: x, = 0 im entgegen-
gesetzten Sinne; und von einem Eintritte bis zum folgenden
wird eine halbe Windung vollendet. Wenn man also das „Vor-
wärts-Kommen“ im ersteren Sinne der Drehung auffafst, so
kommt man ebenso oft vorwärts als es Eintritte giebt und
ebenso oft rückwärts als Austritte vorhanden sind, so dafs das
wirkliche Vorwärts-Kommen um halbe Windungen durch das
Doppelte eben jener Zahl angegeben wird, welche als „Charak-
teristik * definirt worden ist. Da die Indices %k und k ganz be-
liebig gewählt und überdiefs auch nach der am Schlusse von
No. II gemachten Bemerkung für die Functionen F gewisse
andere — z.B.
FH — 2, VYR + Hfr fr, „B-uVEH ER mn...
substituirt werden können, so bleibt die Bedeutung der Charak-
teristik als Windungszahl nicht auf gewisse zu $P = 0 gehörige
Linien beschränkt, sondern die Charakteristik erhält auch eine
Bedeutung für die gesammte durch: ® = 0 repräsentirte Mannig-
faltigkeit. Ebenso hat dieselbe Mannigfaltigkeit (® = 0) je
eine bestimmte Windungszahl wie in Beziehung auf den Null-
punkt so auch in Beziehung auf irgend einen beliebigen Punkt
EEE £,), und die betreffende We ist En
der Charakteristik des Systems:
(Fo, FE, y— Er; Du a £
vom 4. März 1869. 169
Nach dem Werthe dieser Charakteristik kann nun die Mannig-
faltigkeit x in verschiedene Bereiche eingetheilt werden, so dafs
ein und derselbe Bereich von allen denjenigen Punkten £ ge-
bildet wird, für welchen jene Charakteristik denselben Werth
hat. Der Übergang aus einem Bereiche in den andern erfolgt
alsdann in der Mannigfaltigkeit ®=0. Doch will ich die
weitere Ausführung bei Seite lassend sogleich zu der wichtig-
sten Anwendung der vorstehenden Betrachtungen übergehen,
nämlich zu einem Ausdrucke der Charakteristik durch ein (n—1)
faches Integral, wozu man unmittelbar durch dieselben geführt
wird.
Es sei nämlich dw überhaupt das positiv genommene Ele-
ment der durch irgend eine Gleichung: F(2,, 23,...-.» N!
repräsentirten (na— 1)fachen Mannigfaltigkeit und es möge zur
Abkürzung das seinem Werthe nach bekannte durch Potenzen
von z ausdrückbare Integral:
Saw 3 uber na Zi .n... = 2 = 1 erstreckt,
mit , ferner die positiven Werthe von:
resp. mit S und © bezeichnet und endlich: :
0, For» Foa> » - Fon
F,Fı» Fi» 2 are
FF, Fyı; Fa ES Fon
Ve N u 2
gesetzt werden. Alsdann ist die Charakteristik des Systems F
durch:
ausgedrückt, wo die Integration über die (n— 1)fache Mannig-
faltigkeit: F, = 0 zu erstrecken ist.
170 Gesammtsitzung
Nach den in No. III enthaltenen Erörterungen kann die
Begrenzungsfunction F, so gewählt werden, dals durch den
hier angegebenen Integralausdruck die Anzahl der in einem
bestimmten Gebiete enthaltenen Punkte $ dargestellt wird, also
im Falle n = 2 für zwei Ourven: F, = 0, F, = 0 die Anzahl
der reellen Durchschnittspunkte, welche ir eines gege-
benen Bereiches liegen.
Ich bemerke in Bezug auf das Element dw, dafs dafür
die Gleichung:
Bi er ne. 3 a.
stattfindet. Wenn man nämlich für n dem Punkte (2? , 23 ,..2})
unendlich benachbarte der Mannigfaltigkeit: F, = 0 angehö-
rige Punkte und einen (n-+-1)sten aulserhalb liegenden Punkt
(21, 235 . . 2,) die bekannte Inhalts-Determinante bildet und
durch:
Ka are zz)... a
dividirt, so nähert sich dieser Quotient dem für das Element
dw gegebenen Ausdrucke, wenn der Punkt (2,, 22,:..... E
ins Unendliche rückt.
Wenn man sämmtliche der Mannigfaltigkeit: F, = 0 an-
gehörenden Punkte z mit 2° bezeichnet, so dafs also 21, 23,
ee 2° mit einander durch die Gleichung:
FRE TR N
verbunden sind, und wenn man alsdann irgend einen Punkt 2
mittels der Gleichungen:
F
2 = HtP: 7ei
so zu sagen auf die Mannigfaltigkeit F, — 0 bezieht (ef. Gaufs
„Allgemeine Lehrsätze etc.* Art. 23), so repräsentirt die Va-
riable p eine Grölse, welche der Entfernung des Punktes 2
vom Punkte 2° in der Normal-Richtung für n = 3 entspricht
und deren Vorzeichen mit dem von F, übereinstimmt. Als-
Fox
dann erhält der Quotient die Bedeutung, dafs derselbe
vom 4. März 1869. 171
gleich dem partiellen Differentialquotienten: = Fir 2, 2,
wird und es kann dieser Bedeutung entsprechend:
gesetzt werden. Die Determinante R erhält hiernach die Ge-
stalt:
N EEE
FF» Fi» Far» » Fin
Fa, Pay Fan - « Pan
F, En; u: " nn
n?
IF,
und © stimmt mit dem partiellen Differentialguotienten
überein.
Wenn man das die Charakteristik ausdrückende Integral
aus der Mannigfaltigkeit z in die Mannigfaltigkeit « transfor-
mirt, so bekommt dasselbe eine anschauliche Form; denn das
Element desselben ist alsdann die Verallgemeinerung desjenigen,
welches für n = 3 das Element des am Nullpunkte liegenden
und einem Elemente der Fläche P = 0 entsprechenden räum-
lichen Winkels bildet. Das Integral der Charakteristik stellt
also in doppelter Hinsicht eine Verallgemeinerung des von
Gaufs in der Theoria attractionis corporum sphaeroidicorum
ellipticorum Art. 6 gegebenen Integrals dar; denn es ist die Be-
schränkung auf drei Integrations-Variabeln und selbst für n — 3,
die Beschränkung auf Begrenzungen einfacher Körper aufge-
hoben, also der Fall einer gegenseitigen Durchdringung von
Körpern nicht ausgeschlossen.
v1.
Das eben erwähnte Integral von Gauss ist ein speecielleres
als dasjenige, welches er bei Herleitung der Potential-Gleichung
benutzt. Dieses allgemeinere Integral geht in jenes über, wenn
:172 | Gesammtsitzung
die Dichtigkeit constant ist. Dieser Umstand führte mich auf
die durch den Erfolg vollkommen bestätigte Vermuthung, dafs
die Potential- Theorie Anhaltspunkte bieten dürfte, um zu einer
allgemeinen Darstellung beliebiger Functionen der durch ein
Gleichungs -System: F = 0 definirten Punkte $ und damit auch
zu einer Verallgemeinerung des sogenannten Cauchy’schen Inte-
grals zu gelangen.
Bedeutet 5 eine eindeutige Function der Variabeln z und
setzt man zur Abkürzung dv für das Element einer nfachen
Mannigfaltigkeit d. h. also für:
A121: WW. ie d2.5
ferner: S(E) für den positiven Werth der Quadratwurzel aus:
N N
so ist das über den Bereich: F, < 0 ausgedehnte Integral:
Z a
er so"
eine dem Potential analoge Function der n Variabeln £ und
soll mit: IL(£) bezeichnet werden. Für den Fall n= 2 aber
ist statt des Divisors unter dem Integralzeichen; — log. S(Z)
als Factor zunehmen. Das Integral II, welches ich auch kurz-
weg Potential nennen will, erhält die gewöhnliche Form, wenn
man es aus der Mannigfaltigkeit 2 in die Mannigfaltigkeit x
transformirt, da A, die Functionaldeterminante der n Functionen
F ist. Aber in der Mannigfaltigkeit x ist % im Allgemeinen
nicht mehr eindeutig sondern eine mehrdeutige Function der
Punkte x, so dafs das Potential Il auch für den Falln=3 ein
Potential bei mehrdeutiger Dichtigkeit oder mehrfacher Raum-
Bedeckung darstellt.
Für die Functionen F werden die früheren Voraussetzun-
gen festgehalten, dafs sie — wenigstens innerhalb des betrach-
teten Gebietes F,<0 — im Allgemeinen stetig und differentiir-
bar und endlich seien, obgleich sich diese Voraussetzungen noch
modifieiren lassen. Das Gebiet: F, <o0 soll nur endliche
Werthe der Variabeln z enthalten. Die Function 5 soll so be-
schaffen sein, dafs %.4&, innerhalb des Integrations - Gebietes
vom 4. März 1869. | 173
überall endlich und stetig bleibt und dafs % selbst diese Eigen-
schaften in der unmittelbaren Umgebung der Punkte 2 besitze,
deren Anzahl wie bisher als endlich vorausgesetzt wird. Über-
diefs soll die Function % nach sämmtlichen Variabeln differen-
tiirbar sein. Bezeichnet man nun in üblicher Weise mit 7 II(£)
die Summe der zweiten Ableitungen von II nach den Variabeln
&, so kann man sich unbeschadet der Allgemeinheit auf den
Fall beschränken, wo sämmtliche £ nach der Differentiation
gleich Null gesetzt werden und man erhält alsdann die funda-
mentale Gleichung:
MB AUG = —wEyu6).80)
wo sich die Summation auf alle durch die Bedingungen:
Beer 0, 1,0, ...: el
definirten Punkte Z bezieht. In dieser merkwürdigen Gleichung
tritt sowohl die eigenthümliche Bedeutung des Potentials TI als
auch die Wichtigkeit der Unterscheidung der Punkte nach ihren
Charakteren auf das Klarste hervor. Man kann diefs auch
dadurch erläutern, dafs — wenn nur einfache Punkte /? vor-
handen sind, %.A, = Y(z) gesetzt und mit A(Z) der absolute
d. h. der positive Werth von 4A, (£) bezeichnet wird — die
Gleichung (W) in:
. Rx
Fe)
Yo)
übergeht. Aber die Beziehung zu den für den Fall n= 2 be-
kannten Resultaten zeigt sich erst bei der Umwandlung von
AI in die Differenz zweier Integrale, mittels deren ich jene
Fundamentalgleichung erlangt habe,
AM) = —L,
vn.
Wenn man in dem Potential II die Variabeln x einführt,
so erhält man das über das Gebiet ®<0 (ef. No. V) zu er-
streckende Integral:
K(«)
Dar lo
+ (E (m — Eu) a
174 Gesammisitzung
wo K (x) die durch die Gleichungen:
EEK) ei Irre Fr erde
gegebene mehrdeutige Function der Variabeln « ist. Die
Gaufs’sche Methode zur Bestimmung von /Il, auf ein allge-
meines n angewendet, besteht nun im Wesentlichen darin, dafs
nach einmaliger Differentiation unter dem Integralzeichen für
die Variabeln x neue Variabeln &' mittels der Gleichungen:
= —
eingeführt werden. Alsdann kommen nämlich die Gröfsen &
unter dem Integralzeichen nur noch in der Function K und
aber auch in jener Function ® vor, welche das Integrationsge-
biet bestimmt. Indem man nunmehr nochmals nach den Grö-
fsen E differentiirt und summirt, erhält man für 7 II das Aggre-
gat zweier Integrale die den Gaufs’schen durchaus analog sind.
Man kann übrigens die Einführung der Variabeln x’ schon in
dem Potential selbst vornehmen und erst nachher zweimal nach
den Variabeln & differentiiren, ein Verfahren, bei welchem man
nach der ersten Differentiation den Ausdruck erhält, welcher
in den Dirichlet’schen Vorlesungen über das Potential durch
partielle Integration erlangt wird. Endlich aber ist zu bemer-
ken, dafs die Betrachtung mehrdeutiger Functionen X(x) oder
mehrfach bedeckter Mannigfaltigkeiten und die damit verbundene
Schwierigkeit zu umgehen ist, wenn man die ursprünglichen
Integrations- Variabeln 2 beibehält und alsdann Variabeln 2’ zu
Hilfe nimmt, die durch die Gleichungen:
2.) Er = Fy(z‘)
für kleine Werthe der Z£ eindeutig bestimmt sind, sobald die
. Übereinstimmung sämmtlicher 2’ mit den bezüglichen z für die
Nullwerthe der & festgesetzt wird.
Wenn man in der ersten Horizontalreihe der unter No. V
eingeführten Determinante die Ableitungen von F', durch die
von % ersetzt und die hierdurch entstehende Determinante mit
N bezeichnet, so dafs:
vom 4. März 1869. 175
0,3 da: + Bm
I, Fir» Fa» + - Fin
5 Pas Fa» - Fi
Se AENEN Ajar\ Te Dr
wird, so sind es die beiden durch die Gleichungen:
| R
[ Sm dv (über Zu < 0 erstreckt)
R
W= [3 Sn dw (über FF, = 0 erstreckt)
definirten Integrale V und W, deren Aggregat JII ergiebt. Es
ist nämlich:
ATI) = —V+W,
und eine genauere Untersuchung der Natur der beiden Integrale
V und W führt zu der oben für 7/II gegebenen Fundamental-
gleichung.
VI.
Die beiden Integrale V und W sind einerseits von den in
den Functionen 7 vorkommenden Constanten andrerseits von .
den durch die Function F, bestimmten Integrationsgebieten ab-
hängig. Wenn der Bereich 7, =0 keinen Punkt £ enthält, so
ist die Differentiation unter dem Integralzeichen von II gestattet
und dieselbe ergiebt: Il) =0 also:
—V+W=o.
Wenn man ferner den Bereich 7, =o auf die unmittelbare
Umgebung eines einfachen Punktes £ beschränkt und den In-
halt des Gebietes ins Unendliche abnehmen lälst, so ver-
schwindet das Integral V, während der Werth von W sich
der Grenze:
[1869.] hs
176 Gesammtsitzung
R
nähert d. h., unter- Berücksichtigung von dem in No. V Ge-
sagten, der Grenze:. . ’ |
9.49.80.
Hieraus folgt alsdann, dafs KR
A) Er
wird, wenn die Integrationen in V und W über Gebiete erstreckt
werden, die durch eine beliebige Function #', bestimmt sind,
und wenn die Summation rechts sich auf alle Punkte £ bezieht
für welche F, (£) < 0 ist. Nur ist anzunehmen dals für keinen
Punkt £ die Function F', selbst verschwindet.
Für den: -Falh n==3 nnd. AM, = 2, 2, 2a. u, 72
gehen die beiden Integrale Vund W, beide negativ genommen,
“ in die von Gaufs in seinen „Allgemeinen Lehrsätzen etc.“
pag. 14 (Gaufs Werke Bd. V. pag. 209) mit Mund N bezeich-
neten über. Für ein beliebiges n und lineare Functionen F
sind dem Integrale W verwandte Integrale von Jacobi (Journal
für Mathematik, Bd. XIV pag. 51 sqq.) behandelt worden; doch
will ich mich hier auf dieses blofse Citat beschränken, ohne
auf den Inhalt und die Bedeutung der erwähnten Jacobischen
Abhandlung näher einzugehen.
Wenn $ —= 1 ist, so verschwindet V und die Relation (A)
ergiebt: |
1 2
BEMTEN () |
d. h. die mit der Charakteristik des Systems (5, , Fi ,-.. #,)
gleichbedeutende Summe der Punktcharaktere durch das Inte-
gral W ausgedrückt, was mit dem Inhalte des Abschnittes V
_ übereinstimmt. Für den allgemeinen Fall aber giebt die Glei-
chung (A) analog dem sogenannten Cauchy’schen Satze einen
Integral- Ausdruck für die algebraische Summe aller Werthe,
welche eine gegebene Function %(2,,23,.....2,) ahnimmt,
wenn darin die durch die Bedingungen:
vom 4. März 1869. 177
Bl sel sh) a F
definirten Werthsysteme 2 substituirt werden, vorausgesetzt je-
doch, dafs man jeden dieser Functionswerthe bei der Summation
mit demselben Vorzeichen versieht, welches die Functionalde-
terminante von Fi, Fr ,:.-... F,„ für das bezügliche Werth-
system hat. Wenn also die Functionaldeterminante für alle
jene Werthsysteme z ein und dasselbe Zeichen behält, so wird
durch die Gleichung (A) genau wie durch den Cauchy’schen
Satz die Summe aller Functionswerthe $ durch einen Integral-
Ausdruck dargestellt.
IX.
Wenn für eine grade Zahl: n=2m die Functionen F\,,
Fy,....#, die n Theile von = Functionen der complexen
Variabeln:
JE Mrz 2, + VZm+i » Ya = ?9 sE5 VZu+2 3 ere. ,. m = 5
sind, so hat die Functionaldeterminante stets einerlei Zeichen.
In diesem Falle stellt sich aber die Analogie der Gleichung
(A) mit dem Cauchy’schen Satze noch vollständiger dar, indem
sich alsdann das Aggregat der beiden Integrale V und W in
ein einziges (n—1)faches oder Begrenzungs-Integral verwan-
deln läfst. Um diese merkwürdige Umformung näher zu prä-
eisiren seien fı ;‚Js 5 ----- F;, Funetionen von Yyı ,Y2;5-.»--. Ya
und für jeden Index % sei f} zu f, conjugirt; ebenso sei f eine
Function der complexen Variabeln y und f’ zu f conjugirt;
ferner sei fj, die Ableitung von f, nach y, und fx, econjugirt
zu fin; endlich sei:
Mehr, Hr hm
ul 3 m und:
= ef+e,
wo entweder =. = +1 oder e= — 2 =i zu setzen ist;
Ich führe nun zur Abkürzung noch folgende Bezeichnungen ein:
1a
178 Gesammtsitzung
[I : . deu.d ,
For Fo man = 2Ffor 5. Fort Fo,msr = 27 or
MN; ale 4.8
Fı >» Ju» Fi >
I» Sa: Sa B
eo . [7
vr I RR Im2 »
0 ’ Ja > Joa»
Fi ’ Jr» Jı2 >
in.
Sb ir 3.
Ja ? Ja» Faa » r
a ara Yo: S
Jıı ’ Jıa =
Ja» Ja» :
D, = ; .
In Ya =
Alsdann wird:
= Tr
= m
= dam
2. und N, conjugirt zu N,
7 ha
x Has
3 Sas
® Bank
und Rz, conjugirt zu R,
‘ und D, conjugirt zu D;.
oe
Por
NR—=EeN,D,+ER,D,
A MM, Din R,D,
d.h. die Determinanten R und R lassen sich beide als Deter-
minanten zweiter Ordnung darstellen, deren Elemente Determi-
vom 4. März 1869. 179
nanten (m-+-1)ster und mter Ordnung sind. Ferner läfst sich
das nfache Integral V für Gebiete, die keine Punkte 2 ent-
halten, in ein (na—t)faches transformiren, und zwar wird:
j : d
v=[eirD.+eR,D,).®
während
£ dw
vw [ei+.M (R,D,+R,D,)' Sm
ist, beide Integrationen über die ganze Begrenzung ausgedehnt.
Hieraus folgt also, da (—V-+W) gleich Null ist, dafs:
BD
g „f ' 1 2
2 gr aure [fi ‚gr
wird. Da nun in dieser Gleichung einerseits: e=!—=-+1
andrerseits: e= — 2’ =i zu setzen ist, so folgt endlich dafs
‚jedes der beiden einander conjugirten Integrale für sich ver-
schwinden muls. Das hier auftretende Integral:
Bs:D,
fi Sn dw
ist es nun, welches als eine Verallgemeinerung des Cauchy’schen
Integrales betrachtet werden kann. Denn während dasselbe
verschwindet, sobald die Begrenzung F, = 0 keinen Punkt $
umschliefst, reducirt sich dasselbe, wenn F, < 0 die unmittel-
bare Umgebung eines einzigen Punktes £ bildet, auf:
Br,
9).
Es läfst sich aber zeigen, dafs bei derartiger Begrenzung:
d
un any@L.
rs fd, R,D,
gr W — ( zE: de
also:
180 Gesammtsilzung
wird. Da nun die rechte Seite dieser Gleichung nach dem in
No. V. Gesagten den Charakter des eingeschlossenen Punktes,
mit: — 3” multiplicirt, darstellt, so erhält man bei der ange-
nommenen Begrenzung:
NP a0 = 48.29.10,
und demnach bei einer beliebigen Begrenzung F, endlich:
(B) . ee
wo die Integration über die (n—1) fache Mannigfaltigkeit:
F, = 0 und die Summation auf alle Punkte £ auszudehnen ist,
für welche F, einen negativen Werth annimmt.
,
Die Charaktere sämmtlicher Punkte £ die den r Gleichungen
F, = 0 genügen sind positiv und für einfache Punkte der Ein-
heit gleich. Die rechte Seite der Gleichung (B) wird also,
wenn man: 1, = $,+if,+:, Setzt:
Ta 30: In);
vorausgesetzt dals man bei der Summation jeden Werth f(r)
so viel mal nimmt als der Charakter des betreffenden Punktes
angiebt. Ferner wird:
en 17?
= (I f,.fi)
und (cf. No. V):
2for = Korte oin > pt nap 3
also wenn man:
Er zur
und demgemäls:
0 0) 0
Yrp TE ?kp air VEn-tk,p
En 3 =
vom 4. Marz 1869. 181
setzt, wo x), den — so zu sagen — nach der Normale p ge-
nommenen partiellen Differentialquotienten von y, in dem der
Mannigfaltigkeit: F, = 0 angehörenden Punkte y, bedeutet;
Endlich sei:
[0] 0° [0]
0 3 Yip 9 Ya» Ze 1 0 Yaıp
) ’ ’ ’
) er) Jıı ‘) Jia end
3.
- } Ay‘
er: ’ Ma ’ Yen LT
und f.D, = #, wo D, wie bisher die Functionaldeterminante
der Functionen f bedeutet. Nach Einführung dieser Bezeich-
nungen geht die Gleichung (B) über in:
® Pr)
e Schr“ a EN
wo die Integration über die Mannigfaltigkeit: F, = 0 auszu-
dehnen ist, und ‚zwar stets in dem Sinne dals fdw positiv
bleibt, während die Summation rechts sich auf sämmtliche
Punkte + bezieht, welche den Bedingungen: RER
EN re er; un % ale N
genügen, aber jeder Punkt so vielmal gerechnet als sein Cha-
rakter angiebt.
Für m=1 geht die Gleichung (C) in die Cauchy’ She
Formel über, denn es wird alsdann:
sen, Sf =fifi, = yy fi;
und wenn statt 27; 23 die Buchstaben #9, yo für die Coordi-
‚naten der Punkte auf der Curve: F, = 0 eingeführt werden:
182 GFesammtsitzung
y® _ 9@tYN |
Nimmt man nun dw d.h. das Element wachsenden Boe-
gens auf der Curve: F, = 0 so, dals man in diesem Sinne
_ fortgehend die negativen Werthe von p also auch die Een
Werthe von F, zur Linken behält, so ist:
A _ 0% ®Yo A 080
02 N dw. sap, gw
also:
Oi ;.9@o +y9%)
Me is
und die Gleichung (C) erhält demnach — wenn überdiefs für
Jı, /ıı resp. f, f und E-+ri für 4 gesetzt wird — die be-
kannte Form:
P(E+n)
INS"
u)
KR tYd
d(2,+Y,0 — di
welche sich somit in der That als specieller Fall der Gleichung
(C) darstellt.
XI.
Diejenigen Werthsysteme oder Punkte ($,, %3,..... 2
für welche mit den Functionen: F,,F3,....- F',, zugleich
deren Functionaldeterminante verschwindet, haben — wie schon
oben bemerkt — einen Charakter, dessen absoluter Werth von
Eins verschieden und auch gleich Null sein kann. Der Cha-
rakter derartiger Punkte kann als durch das Integral der Cha-
rakteristik also (cf. No. V) durch:
ı {R
_ — dw
‚gr
definirt angesehen werden, wobei die Integration auf ein be-
liebiges Gebiet F', = 0 zu erstrecken ist, welches aber aufser
dem betrachteten Punkte £ keinen andern umschliefsen darf.
vom 4. März 1869. 183
In gleicher Weise kann also für den speciellen in den Ab-
schnitten IX und X behandelten Fall von Functionen ecomplexer
Variabeln der Ausdruck:
1 8D,
m m) em”
als Definition des Charakters eines Punktes gelten; d. h. das Inte-
gral (D) giebt an, wie vielfach ein Werthsystem (71, 12, - 7.)
zu rechnen ist, welches den Gleichungen:
fı Na m) =I, F: (H1>%a ee) =, fm 159129. m) —\
genügt, sobald die Integration über eine (n—1)fache Mannig-
faltigkeit: F, = 0 erstreckt wird, für welche der Bereich F, <o0
nur jenen einzigen Punkt (7) enthält.
Die Formel (C) bleibt anwendbar, wenn die Gleichungen
f=0 aufser für discrete Punkte 5 auch noch für eine einfache
oder mehrfache Mannigfaltigkeit von Punkten erfüllt sind; nur
mufls dann die Begrenzung F, so gewählt werden, dafs jene
Punktfolgen von dem Bereiche F, < 0 ausgeschlossen bleiben.
Wenn nun in diesem Falle F, zugleich so bestimmt wird, dafs
der Bereich F, <0 die sämmtlichen discreten Punkte ; enthält,
so wird die Anzahl derselben durch das Integral (D) ausge-
drückt. Man könnte deshalb von einer genaueren Discussion
dieses Integrals vielleicht einigen Aufschlufs sowohl über die
eben erwähnten bemerkenswerthen Fälle erwarten als über die-
- jenigen, wo eine Multiplicität von Punkten auftritt, Fälle welche
selbst für algebraische Gleichungs-Systeme bisher noch wenig
erörtert worden sind. Aber es ist nicht zu verkennen, dafs
die Ermittelung des Werthes jenes Integrals (D) für die be-
zeichneten Fälle Schwierigkeiten darbietet, die eben mit der
allgemeinen Gültigkeit desselben untrennbar verbunden sind.
Diefs erhellt schon aus dem Umstande, dafs sämmtliche hier
betrachteten Integrale eine ganz andere Form annehmen, wenn
man für die Gleichungssysteme: F,—= 0 oder f; = 0 andere aber
aequivalente nimmt, d. h. solche, welche genau dieselben Punkte
5 oder ; (sammt deren Charakter) bestimmen, während natür-
lich die Integrale ihrem Werthe nach dabei unverändert bleiben
184 . Gesammtsitzung
müssen. Andrerseits sollen aber auch die Erleichterungen her-
vorgehoben werden, welche man sich bei der directen Ermittelung
jener Integralwerthe erlauben darf. Man kann nämlich für ge-
gebene T}egrenzungs-Functionen F, andere einer möglichst be-
quemen und geeigneten analytischen Darstellung zugängliche
Begrenzungen substituiren, da es ja nur darauf ankommt dafs
diese mit jenen in Bezug auf die umschlossenen Punkte (7)
übereinstimmen.
An die hier berührte Werth-Ermittelung für Integrale von
der Form: | AEaN
will ich noch einige erläuternde Bemerkungen knüpfen. Die
Einführung solcher Begrenzungs-Integrale war bei dem Gegen-
stande meiner Untersuchungen durchaus geboten und auch von
denselben Vortheilen gröfserer Einfachheit und Anschaulichkeit
begleitet wie im Falle, wo n die Werthe 2 oder 3 hat, d.h.
wie im Falle der Ebene und des Raumes. Aber derartige Be-
grenzungs-Integrale sind nicht unmittelbar für die Berechnung
geeignet sondern müssen zu diesem Zwecke erst in angemes
sener Weise transformirt werden. Das Integrations- Gebiet für
die erwähnten Integrale ist: Fu, = 0.d.h. also eine aus der
nfachen Mannigfaltigkeit (2) ausgeschiedene (n — i) fache Mannig-
faltigkeit, und das Element derselben dw findet sich (cf. No. V)
durch:
=> 021 BES TINEN Sa |
Fa u
ausgedrückt, während das Element einer an sich betrachteten
(n—)fachen Mannigfaltigkeit (2), 22, ----- 2.77" QAurch! das
Product:
| 2 I RS,
gegeben sein würde. Die hierbei auftretende Verschiedenheit
der Natur von vfachen Mannigfaltigkeiten, je nachdem man die-
selben an sich betrachtet oder aus einer Mannigfaltigkeit höherer
Ordnung aussondert, kann nicht genug hervorgehoben werden;
in den wenigen der geometrischen Interpretation zugänglichen Fäl-
len sind derartige Unterscheidungen auch vollkommen geläufig.
u oa
vom 4. März 1869. 185
Eine an sich betrachtete oder (nach Riemann) ebene vfache Man-
nigfaltigkeit hat als Element das Product der Elemente der vVa-
riabeln d.h. also das Product der Elemente der v einfachen
Mannigfaltigkeiten aus denen die vfache hergeleitet ist. Man
kann nun kurzweg die für die Auswerthung jener Begrenzungs-
Integrale erforderliche Transformation dahin charakterisiren, dafs
durch dieselbe die ausgesonderte (n—1)fache Mannigfaltigkeit:
Fo, =0 auf eine an sich betrachtete oder ebene (n — 1)fache
Manmnigfaltigkeit eindeutig bezogen und in dieselbe transformirt
werden mufs. Die Möglichkeit einer solchen Transformation
geht unter Anderm aus folgenden Betrachtungen hervor.
Wenn man den Polarcoordinaten entsprechend für die Va-
riabeln 2 die durch die Gleichungen:
ru, = ı — Zı 6) TU) =22—Z yo». y TUR — Lei
utur..+Wml
definirten neuen Variabeln: r, u, , Ug, .».... %, einführt, wo r
positiv zu nehmen und unter (Z,, Za3, .....Z,) irgend ein
fixirter Punkt (z) zu verstehen ist, so kann bei dieser Trans-
formation die Gleichung: F, = 0 den Radius Vector r als ein-
deutige Function der Veränderlichen u bestimmen. In diesem
Falle soll der Bereich: F, <0 ein „Bezirk“ des Punktes Z
(oder in Beziehung auf den Punkt Z) heifsen. Da die nVa-
riabeln % eindeutig durch (n—1)Variabeln ausdrückbar sind,
überdiefs auch jede einfache Folge von. Werthen einer Variabeln
x zwischen beliebigen Grenzen:
a b
see
durch eine Substitution — z. B. indem:
aeıt-+ber!
Ye -
ae Ur ber
gesetzt wird — eindeutig in die gesammte unendliche Werth-
folge der Variabeln y zu transformiren ist, so leuchtet ein, dafs
sobald nur F, < 0 für irgend einen Punkt Z einen „Bezirk“
bildet jedes über die (n—1)fache Mannigfaltigkeit F, = 0. zu
186 Gesammtsitzung
erstreckende Begrenzungs-Integral in ein solches verwandelt
werden kann, in welchem die- Integration über eine gesammte
ebene (n—1)fache Mannigfaltigkeit auszudehnen ist. Wenn
aber F, < 0 keinen Bezirk bildet, so kann man denselben in
Bezirke theilen, vorausgesetzt dals der im vorliegenden Falle
mehrwerthige Radius Vector r doch überall nur eine Anzahl
von Werthen hat, welche eine bestimmte Zahl nicht über-
schreitet. Geht man nämlich von irgend einem Punkte Z des
Bereiches: F, < 0 aus, so erfüllen die Linien r, wenn man die-
selben nur bis zu den kleinsten der Begrenzung: F, <0 an-
gehörenden Werthen r, fortsetzt, einen bestimmten Theil des
Bereiches: F, <0, welcher alsdann einen Bezirk des Punktes
Z bildet, jedoch mit einer leicht zu behebenden Modification.
Diese Modification wird im Falle der Ebene (n==2) anschaulich,
wenn man sich eine das Stück einer Graden enthaltende Be-
grenzung vorstellt und dabei den Ausgangspunkt der radi
vectores so annimmt, dafs einer derselben mit jener graden Linie
zusammenfällt. Die nach erfolgter Ausscheidung des einen
Bezirks von dem Bereiche F, < 0 übrig bleibenden Theile hat
man alsdann in gleicher Weise zu behandeln, bis der ganze
Bereich: F, = 0 erschöpft ist. Die hier angedeutete Theilung
eines Bereiches in Bezirke bietet für den vorliegenden Zweck
gewisse Vortheile dar; aber man könnte unter den gemachten
Voraussetzungen auch ohne dieselbe zu einer eindeutigen Be-
stimmung der verschiedenen Werthe von r, gelangen, indem
man dieselben als erste, zweite, dritte etc. der Grölse nach
unterscheidet. Hierbei will ich schliefslich auf die Erörterungen
über Transformation vielfacher Integrale verweisen, welche
Herr Lipschitz in Borchardts Journal Bd. 66. pag. 281 sqq. ge-
geben hat.
XII.
Bei den Untersuchungen, deren Entwickelungsgang ich hier
in Umrissen dargelegt habe, bin ich vom Sturm’schen Satze
ausgegangen. Eine Ausdehnung desselben auf Systeme von
Gleichungen ist schon vor längerer Zeit von Hrn. Hermite
angegeben worden, aber es kam mir überdiefs darauf an, das
vom 4. März 1869. 187
den Sturm’schen Entwickelungen zu Grunde liegende Ketten-
bruchs-Verfahren selbst zu verallgemeinern und nachdem diefs
geschehen war die dadurch erhaltenen allgemeineren Resultate
naturgemäfs zu interpretiren. Ich wurde hierbei auf jene Be-
trachtungen geführt, welche den Inhalt der ersten vier Ab-
schnitte vorliegender Notiz bilden, und welche ich damals in
mündlichen Unterhaltungen meinem Freunde Weierstrass mit-
theilte. Dabei wurde ich von ihm angeregt unter den erlangten
neuen Gesichtspunkten den Gegenstand meiner Untersuchung
weiter und namentlich in derjenigen Richtung zu verfolgen, in
welcher nicht blofs eine Ausdehnung des Sturm’schen sondern
auch des Cauchy’schen Satzes erhalten würde. Die Arbeiten
welche ich darauf hin unternommen und die Resultate welche
ich dabei erlangt habe finden sich in den Abschnitten V bis X
auseinandergesetzt und zwar im Wesentlichen in derselben Rei-
henfolge, wie sie sich mir bei der Untersuchung ergeben haben.
Ich habe diese genetische Darstellung sowohl in der vorliegen-
den auszugsweisen Mittheilung als auch in der den Denk-
schriften vorbehaltenen ausführlichen Abhandlung gewählt, weil
dadurch die Einsicht in den Zusammenhang der verschiedenen
Resultate erleichtert wird; aber ich darf nicht unerwähnt lassen,
dals man auf kürzerem und einfacherem Wege zur nachträg-
lichen Verification einiger der gefundenen Resultate gelangen
kann. Die hierbei anzuwendenden Methoden stützen sich zu-
meist auf die pärtielle Integration vielfacher Integrale und
deren Variation nach den Grenzen. Ich will die bezüglichen
Formeln defshalb hier am Schlusse noch aufstellen, zumal die-
selben auch bei denjenigen Methoden benutzt werden müssen,
welche ich in der vorliegenden Notiz angedeutet habe.
mem BP Q,QaD, Q), ..... Q”) reelle eindeutige und
im Allgemeinen stetige Functionen der n Variabeln z bedeuten
und deren Ableitungen nach den einzelnen Variabeln durch
Anfügung entsprechender unterer Indices bezeichnet werden,
so hat man folgende Formel für die partielle Integration:
(1) [ZP,Q®.do+JP.2QPdv—=[P.2Q®. z,dw .
Die Summationen sind hier überall von k=1 bis k=n zu er-
strecken. Für die beiden auf der linken Seite stehenden nfachen
188 Gesammtsitzung
Integrale wird der gemeinsame Integrations-Bereich als gegeben
betrachtet; die Integration auf der rechten Seite ist alsdann über
die gesammte (n—1)fache Mannigfaltigkeit: F, —=0 auszudehnen,
welche „die natürliche Begrenzung “ jenes Bereiches bildet. Unter
diesem Ausdrucke „natürliche Begrenzung“ soll nämlich die ge-
sammte (n—1)fache Mannigfaltigkeit verstanden werden, welche
die Unstetigkeitsstellen der zu integrirenden Functionen (d.h.
sowohl einzelne Punkte als einfach oder mehrfach ausgedehnte
Punktfolgen) unendlich nahe umschliefst oder abschliefst. In
dem allgemeinsten Sinne des Ausdrucks „natürliche Begren-
zung * ist also auch die gegebene Begrenzung des Integrations-
Bereiches der nfachen Integrale mit inbegriffen, insofern bei
Erweiterung dieses Bereiches anzunehmen ist, dafs die Werthe
der zu integrirenden Functionen an der gegebenen Begrenzung
plötzlich zu Null übergehen. Übrigens ist zu bemerken, dafs
für gewisse Theile der natürlichen Begrenzung das Integral auf
der rechten Seite der Gleichung (1) verschwinden kann und
dafs man also dergleichen Theile überhaupt wegzulassen be-
fugt ist. |
- Die in der Formel (1) rechts vorkommende Gröfse z£, ist
wie im Abschnitt V durch die Gleichungen:
Ertl eni lee
01 09a T +: On ”
bestimmt,” wo_in Fi, Fa; ----- für 2, ; 2,5%.» , die autder
Begrenzung liegenden Werthe 29, 2),.... einzusetzen sind.
Wenn mit J ein nfaches Integral:
[P dv (über Fo (213 295°. 2%,; 0) <O erstreckt)
bezeichnet wird, so hat man für die Differentiation desselben
nach dem in der Begrenzungs-Function enthaltenen Parameter
4 die Formel:
Le PAF,
> CE
das Integral rechts über die Begrenzung: J, = 0 ausge-
dehnt.
vom 4. März 1869. 189
Setzt man in der Gleichung (1) einer Borchardt’schen
Formel entsprechend (ef. Liowville's Journal Bd. XIX Pag. 383):
©. Aw — Fy;, so geht die rechte Seite über in:
7 Paw ö
und die Gleichung kann alsdann dazu benutzt werden, Begren-
zungs-Integrale durch nfache Integrale auszudrücken.
Setzt man ferner in der Gleichung (1): QP — Q,, so.wird
(ef, No. V):
02,
k dp ?
wo die rechte Seite nichts Anderes ist, als der nach p genom-
mene partielle Differentialquotient von Q in irgend einem Punkte
(2°). Die Gleichung (1) geht also bei der gemachten Annahme
in folgende über:
(3) ie PiQdo + | P.2 :Qudo = | PIR.au
Endlich resultiren aus der Gleichung (1) die folgenden
beiden Formeln für Funetionen complexer Variabeln, wenn die
im Abschnitt IX eingeführten Bezeichnungen:
an n—=>Q
Yin tin > gi; JE
In
beibehalten und überdiefs noch m Functionen g® eingeführt
werden, welche sowohl von den Variabeln y als von deren con-
jugirten y' abhängen können:
(4) ni (PM +F.g)dv = y [ FE (Fon —iFoumy). gm. U
©
.() fr. Sgdv ST JE En eng”. *
Die Summationen sind hierbei von h=1 bis A=m zu er-
strecken, unter f’ ist die zu f conjugirte Function und endlich
unter g, die partielle Ableitung von g nach y, zu verstehen,
190 Gesammtsitzung
während für die Integrationsbereiche dieselben Bestimmungen
gelten wie bei der Formel (1).
Mit Hilfe der angegebenen Formeln lassen sich auch die
von Gaufs und Green herrührenden Potential-Sätze auf das
Potential TI übertragen, aber es soll hierauf nicht näher ein-
gegangen sondern nur noch eine Anwendung von den obigen
Formeln gemacht werden, welche dem hier behandelten Gegen-
stande näher liegt. |
Setzt man in der Formel (3) statt der nIntegrations - Va-
riabeln 2 die nVariabeln Z und zur Unterscheidung dv’ für dv
so dafs:
wird und ferner:
so erhält man:
(6) Eier: A - dw,
wo die Integration links über ein Gebiet:
Uo($: ENT FEDLEON
rechts über dessen Begrenzung: U, = 0 zu erstrecken ist.
Da nun, wenn man der früheren Bezeichnung analog:
— YOAL+U, + ee TU,
Setzt,
oU Dr
ne
wird, so verwandelt sich mit Rücksicht auf den im Abschnitt VI
"für II(E) gegebenen Ausdruck das Integral auf der rechten Seite
der Gleichung (6) in:
BB dw!'
iR aan [SU En ;
\
f
vom 4. März 1869. 191
Das innerste dieser beiden Integrale stellt nach Abschnitt V die
Charakteristik des Systems von Functionen der Variabeln £:
(U, ; &—HFı 9 &—F, ..... En )
multiplieirt mit: —w dar, und diese Charakteristik ist offenbar
Eins oder Null je nachdem
Uo(Fı, Fr; :-.. FA)
einen negativen oder einen positiven Werth hat. Das in Rede
stehende Integral mit dem Element dw’ übernimmt also bei
der weiteren Integration nach dv die Rolle eines discontinuir-
lichen Factors und schliefst alle diejenigen Werthsysteme z
aus, für welche U, (F)>0 ist, so dafs endlich aus der Glei-
chung (6) die bemerkenswerthe Formel:
(7) [AIKE dv = — w[$.&0-dv
resultirt. Die Integration ist hierbei links auf das Gebiet
Un(E1, Er, --- &,)<0 und rechts auf alle diesen Punkten £
entsprechenden Punkte 2 zu erstrecken, während die Beziehung
der Mannigfaltigkeiten E und z zu einander durch die Glei-
chungen:
> F,(@;; dar) (k =, 2; on.00 n)
definirt wird.
Die im Abschnitte VI aufgestellte fundamentale Gleichung
(0) kann als Grenzfall der Formel (7) betrachtet werden, wenn
nämlich das durch U, < 0 definirte Gebiet auf die unmittelbare
Umgebung des Punktes (£,= 0) eingeschränkt wird. Da die
Formel (7) nicht blofs auf einfacherem Wege zu erlangen ist
sondern auch ohne die Voraussetzung, dafs Ableitungen der
Function & existiren, so würde es durchaus vortheilhaft er-
scheinen die Formel (7) zur Begründung der Gleichung (X)
_ zu benutzen. Aber es ist dabei nöthig entweder — wie es bei
der obigen Herleitung der Formel (7) geschehen ist — die Exi-
stenz der zweiten Differentialquotienten von II(£) von vorn
[1869.) 14
192 Gesammtsitzung
herein zu supponiren, oder aber nachzuweisen dafs die Aufein-
anderfolge der beiden Grenzoperationen verändert werden kann,
von denen die eine in dem Übergange von einem endlichen
Gebiete: UT<0 zu einem einzigen darin enthaltenen Punkte
besteht, die andere in dem Übergange von einem Differenzen-
quotienten:
1
zit. =) Et SS 3 BIT... & 2.
den ich mit D, bezeichnen will, zu dem entsprechenden Diffe-
rentialquotienten TI;,. Ohne die Voraussetzung der Existenz
von II,, ergiebt sich nach obiger Methode nur dafs:
lim.[2 D,.dv' — Be
wird, wenn sich die in D, enthaltenen Grölsen 6, sämmtlich
der Null nähern, und es ist immerhin bemerkenswerth, dafs
eine solche für den Fall der gewöhnlichen Massen - Potentiale
anschaulich zu deutende und der partiellen Differentialgleichung
des Potentials durchaus entsprechende Relation stattfindet, bei
deren Herleitung keinerlei Voraussetzung über die Dichtigkeits-
Function erforderlich ist, als die dafs der Potential - Ausdruck
selbst einen bestimmten Sinn haben mufs. Sollte durch die in
Rede stehende Relation die Potential-Gleichung bei Anwen-
dungen auf die Physik ersetzt werden können, so würde man
damit von der Nothwendigkeit einer Voraussetzung befreit, die
man im Falle der Natur nicht füglich machen kann, nämlich
von der Voraussetzung dafs die Dichtigkeits- Function differen-
tiirbar sei. Man braucht freilich selbst bei der Herleitung der
Potential- Gleichung diese Voraussetzung nicht so unbedingt,
wie es nach der Gaufs’schen Darstellung auf den ersten Blick
scheint; dieselbe läfst sich vielmehr noch wesentlich einschrän-
kend modificiren, und bei der Clausius’schen Herleitung wird
— im Grunde genommen — nur von dem Differentialquotienten
der mittleren Dichtigkeit eines vom angezogenen Punkte aus-
gehenden Radius Vector Gebrauch gemacht; aber es mufs doch
erst weiterer Untersuchung vorbehalten bleiben über die Frage
vom 4. März 1869. 195
zu entscheiden, ob man ohne irgend eine Voraussetzung über
die Dichtigkeits-Function zu machen die partielle Differential-
gleichung des Potentials begründen kann, und ob überhaupt
diese Differentialgleichung in eben solchem Umfange ihre Gültig-
keit behält wie die obige derselben entsprechende Relation.
Hr. W. Peters legte eine Abhandlung des Hrn. Dr.
Adolf Bernhard Meyer vor:
Über den Giftapparat der Schlangen, insbesondere
über den der Gattung Callophis Gray.
_ Trotz der Untersuchungen einer Reihe der namhaftesten
Forscher gehen die Ansichten über die Giftigkeit oder Nicht-
giftigkeit gewisser Schlangen heut zu Tage noch auseinander.
Unterschieden sich die giftigen von den giftlosen nur durch
die Besonderheit dafs ihr Mundsecret auf andere Organismen,
wenn auch nicht auf alle, einen vernichtenden Einfluls ausübte,
während das der andern unschädlich wäre, so böte diese Erschei-
nung kein tieferes naturhistorisches Interesse, da es sich nur
um die Reaction eines Organismus auf den andern handelte;
allein die Eigenschaft der Giftigkeit einer Schlange ist verbun-
den mit einer mehr oder minder complicirten anderweitigen
Verschiedenheit im Bau der Schädelknochen, der Zähne und
der drüsigen Organe, so dafs diese Kriterien für die Systematik,
und das will sagen für die ordnende Erkenntnils des Natur-
Ganzen überhaupt, von nicht zu umgehender Wichtigkeit sind.
Zwar ist man sich darüber vollständig einig, dafs die
Schlangen mit durchbohrten Zähnen im Oberkiefer giftig seien
und es ist jetzt wohl schwer noch möglich wie es früher viel-
fach geschah, dafs diese Durchbohrung') übersehen würde;
!) Troschel in seinem Handbuch der Zoologie, 6. Aufl. 1864
S.179, sagt von den Proteroglyphen: „Der Oberkiefer ist von mittlerer
Länge und trägt vorn Giftzähne, die an der convexen Seite der ganzen
14*
194 Gesammtsitzung
aber es existirt eine ganze -Reihe von Schlangen mit nur ge-
furchten, nicht durchbohrten Zähnen und über die Giftigkeit
dieser sind die Meinungen der Forscher noch nicht ganz einig,
wenn auch die Mehrzahl der competenten Urtheiler sich jetzt
für ihre Unschädlichkeit entschieden hat. Diese gefurchten im
hinteren Theile des Oberkiefers sitzenden Zähne wurden von
Reinwardt zuerst aufgefunden, von Boie und Schlegel!)
näher untersucht und constatirt, dafs bei manchen Schlangen
der gefurchte Zahn eine grölsere Drüse mit gesondertem Aus-
führungsgang zu ihm hin besitzt. „Es ist also wohl gewils,“
sagt Johannes Müller’), „dafs einige der Coluber-artigen
Länge nach gefurcht aber nicht eigentlich durchbohrt sind.“ Dieser Aus-
druck „nicht eigentlich durchbohrt“ könnte zu Mifsdeutungen Anlafs ge-
ben. Ich finde bei Owen (Article „Teeth“ in Cyclopaedia of Anatomy
aud Physiology, Sep.-Abdr. S. 25) folgende Betrachtung, der ich nach
eigener Anschauung beizustimmen Grund habe: „The duct which conveys
the poison, although it runs through the centre of a great part of the
tooth, is really on the outside of the tooth, the canal in which it is
lodged and protected being formed by a longitudinal inflection of the
dentinal parietes of the pulp-cavity. This inflection commences a little
beyond the base of the tooth, where its nature is readily appreciated,
as the poison-duct there rests in a slight groove or longitudinal indentation
on the convex side of the fang; as it proceeds it sinks deeper into the
substance of the tooth, and the sides of the groove meet and seem to
coalesce, so that the trace of the inflected fold ceases, in some species,
to be perceptible to the naked eye; and the fang appears, asitis
commonly described, to be perforated by the duct of the
poison-gland. In the Aydrophis the groove remains permanently open,
as in fig. 567 c.“ Was diese letztere Bemerkung anbetrifft, so hat schon
J. @. Fischer (Die Familie der Seeschlangen S. 19) nachgewiesen, „dafs
alle Meerschlangen ohne Ausnahme wirkliche Giftzähne besitzen“, und
Owen selbst sagte früher in seiner Odontography S. 228: „The poison-
fang in this genus (marine serpents) is relatively smaller than in the ve-
nomous serpents of the land, but presents the same peculiar structure.“
1) Unters. der Speicheldrüsen bei den Schlangen mit gefurchten
Zähnen, in Vergleich mit denen der giftlosen und giftigen. Act. Acad.
Caes. L. C. Nat. Cur. XIV. I. 143.
2) Beitr. zur Anat. u. Naturgesch. der Amfibien, Tiedemann und
Treviranus’ Zeitschrift 4. Bd. S. 269.
vom 4. März 1869. 195
Schlangen mit gefurchten Hinterzähnen giftig sind, aber zweifel-
haft ob auch diejenigen welche keine besondere Drüse für die
gefurchten Hinterzähne besitzen.“ Ebenso nennt Milne Ed-
_ wards') diese Schlangen giftig: „Chez les opisthoglyphes,
serpens venimeux & dents posterieures cannelees, il existe une
glande analogue, mais moins developpee.* Von Duvernoy’)
wurde besonders hervorgehoben, dafs diese gröfsere Drüse am
gefurchten Hinterzahne in ihrem hinteren Abschnitte wenigstens
den Habitus einer Giftdrüse besitze und er stand daher nicht
an die Schlangen mit gefurchten Zähnen für giftig zu erklären.
Auch fand Bächtold’°) bei Dipsas annulata eine aus Kanälen
zusammengesetzte Drüse, „welche gegen die Oberfläche hin
blind geschlossen sind und in einen gemeinschaftlichen Gang
zusammenkommen, der hinten an der äufseren Zahnreihe, wo
die gefurchten Zähne sich befinden, in die Mundhöhle übergeht.“
Diese Angabe kann ich durchaus nicht bestätigen. Die grö
fsere Drüse bei Dipsas annulata unterscheidet sich in ihrem
ganzen Verhalten nicht im geringsten von den andern Speichel-
drüsen dieser Schlange, so dafs kein Grund vorliegt, sie für
etwas Anderes als für eine Speicheldrüse zu halten. Ebenso
eonstatirte Schlegel*) bei Homalopsis monilis Kuhl aus Java
(Coluber monilis et buccatus Linn.), dafs diese Drüse „ganz von
derselben Beschaffenheit sei wie die gewöhnlichen Speicheldrü-
sen der nicht giftigen Schlangen“ und bildete eine solche Drüse
auch in Fig. 8 Tafel XVI ab. A. Smith’), gestützt auf eigene
Beobachtungen in den Tropen, sagt: „We have tried but in
vain to discover grounds for entertaining a like opinion“.
Owen‘) schreibt von den hintern gefurchten Zähnen: „They
are not in connection with the duct of an express poison-gland.“”)
!) Lecons s. 1. Phys. et l’Anat. comp. VI. 225.
2) Ann. dd. Sc. Nat. T. 26, 149.
3) Unters. über die Giftwerkzeuge der Schlangen. Diss. Tübingen
1843. S. 12. *) 1..0..8.- 153.
5) Illustr. of the Zool. of South Africa. Reptilia. Text zu Tafel X.
6) Article „Teeth“ in Cyclopedia of Anatomy and Physiology, Sep.-
Abdr. S. 24.
7) Derselbe Autor bemerkt in s. Odontography S. 225 über diesen
Punkt noch Folgendes: „Having been favoured by Dr. A. Smith with
196 Gesammtsitzung
Bei einer Reihe von Schlangen mit gefurchten Zähnen end-
lich, die ich untersuchte um diese Frage zu erledigen, fand ich
keine Drüse vor welche in ihrem Bau dem einer Giftdrüse
ähnlich wäre, und das Resultat aus der anatomischen Betrach-
tung zusammengehalten mit den Beobachtungen der Reisen-
den!) ist wohl geeignet keinen Zweifel mehr an der Unschäd-
lichkeit der Schlangen mit gefurchten Zähnen aufkommen zu
lassen, es sei denn dafs exactere physiologische Experimente
mit dem Drüsensecrete derselben, die bis jetzt noch nicht an-
gestellt worden sind, einen entgegenstehenden Erfolg zeigten,
Experimente die ich selbst in den Tropen zu machen Gelegen-
heit nehmen werde.
Der Entwickelung nach sind wohl gefurchte Zähne, durch-
bohrte und gefurchte Zähne, endlich durchbohrte Zähne ohne
Furche nur verschiedene Stadien desselben Prozesses, derselben
Intention oder Tendenz, wenn man so zu denken und zu spre-
chen berechtigt ist, und a priori hätte man wenig Grund zu der
Behauptung dafs nur die durchbohrten Zähne mit Giftdrüsen,
d. h. Organen von einer Bauart sui generis, in Zusammenhang
ständen; allein die Thatsachen zwingen zu dieser Annahme, wenn
sie auch einer Erklärung spotten. Die Bildungsgeschichte der
Giftzähne ist wenig bekannt. Ich finde dafs an den Papillen,
welche die Ersatz -Giftzähne tragen, — diese sieht man oft zu
sechs und mehr im Keime und in der Anlage verschieden weit
vorgeschritten — die lanzettförmige Spitze des Zahnes zuerst
gebildet ist mit einer längeren, breiteren und tieferen Öffnung
als man sie am funktionirenden Zahne beobachtet und dafs zu
specimens of the Bucephalus Capensis the results of my dissections are
confirmatory of his own as regards the absence of a poison-apparatus
in that snake: the ordinary salivary gland is large, especially at its poste-
rior part which transmits its secretion by many pores into the sheath of
the grooved fangs. The presence of a distinet poison-gland and duct
eommunicating with the grooved posterior teeth requires to be established
before the serpents with these teeth can be ranked with the poisonous
genera.“
!) s. auch Schlegel, Essai sur la physiognomie des serpens I. 27
ü. U. 263.
rn: 197
N einer Zeit, wo die Basis der Papille bis herab zu ihrer Hälfte
noch ohne wenigstens feste Zahnsubstanz in der für den Zahn
bestimmten Hautfalte verborgen liegt, der untere Theil des
Zahnes mit der Spitze schon fertig vorhanden ist. Über den
Modus der Ersetzung bin ich nicht im Stande etwas auszu-
sagen; diese Frage liegt noch ebenso wie sie von Owen') in
folgenden Worten geschildert worden ist: „But how the cylin-
drical cavity of the dilated fold is occupied in the loose gro-
wing poison-fang, and by what contrivance it is brought
into the same relation with the severed duct of the poison
gland as the displaced fang which it succeeds is not yet clearly
understood.*
(Exacte Abbildungen der Giftzähne sind s. Z. auch von
Thomas Smith gegeben worden’).
Mit dem Bau der Giftdrüsen hat sich eingehender nur
Johannes Müller?) beschäftigt und Abbildungen ihrer Struc-
tur geliefert. Die Resultate seiner Untersuchungen sind die
folgenden: *) „Glandulae serpentium venenatae constant 1) aut
ex folliculis sarmentosis, in folia conjunctis, quae folia truneis
duetui communi excretorio affiguntur, uti in Trigonocephalo;
2) aut tubulis, pariete interno celluloso instructis, e ductu com-
muni inferiori recte fere et parallele versus superficiem ascen-
dentibus, ubi neque ramosi, neque extenuati coecis finibus de
sinunt; 3) aut ex lobulis, a parte anteriori glandulae exeuntibus,
posterius loculis propriis divisis, qui in minores denique fasci-
culos discedunt.*
Johannes Müller unterscheidet also drei immerhin
distinete Formen von Giftdrüsen. R. Owen’) dagegen sagt
ganz allgemein über ihren Bau: „Each gland consists of a
number of elongated narrow lobes, extending from the main
1) Odontography S. 233.
2) On the structure of the poisonous fangs of serpents. Phil. Trans.
of the R. Soc. of London 1818. P. II. S. 471.
3) De Glandularum secernentium structura penitiori. 1830. Taf. VI.
are 8.157.
5) Article „Teeth“ in Cyclopedia of Anat. and Phys., Sep.-Abdr.
S. 25.
198 Gesammtsitzung '
duct, which runs along the lower border of the gland upwards
and slightly backwards: each lobe gives off lobules throughout
its extent, thus presenting a pinnatifid structure; and each lo-
bule is subdivided into smaller secerning caeca which constitute
the ultimate structure of the gland.*
‚ Aufserdem hat sich nur gelegentlich und nicht eingehender
der eine oder der andere Schriftsteller über den Bau der Gift-
drüsen geäufsert, indem er von einem zelligen, von einem
röhrenförmigen, von einem sackartigen Bau spricht. Ich kann
mich der Ansicht jener beiden genannten Forscher nur theil-
weise anschliefsen. Die Giftdrüsen der Schlangen sind wie mir
scheint alle nach demselben Principe gestaltet das im Wesent-
lichen, einzelne Modificationen abgerechnet, in folgendem be-
stehen dürfte: das Organ ist durch Bindegewebszüge in röhren-
förmige Abschnitte getheilt von gröfserem oder geringerem
Kaliber, deren Lumen durch Vorsprünge der Wandungen ins
Innere wieder in einzelne Fächer senkrecht zur Axe der Röhre
abgegrenzt ist; in diesen Fächern liegt die Drüsensubstanz, je-
doch so dafs sie innerhalb einer Röhre ein continuirliches
Ganzes bildet. Am besten kommt diese Beschreibung mit der
zweiten von Johannes Müller gegebenen Kategorie von Gift-
drüsen überein, die auf Tafel VI Fig. 24 und 25 durch die
Drüse von Naja haje illustrirt ist; allein in den Einzelheiten
differirt sie von derselben. Zu der Annahme eines andern, diffe-
renten Baues anderer Giftdrüsen kann man dadurch veranlafst
werden, dafs die Längsaxen der die Drüse durchsetzenden
Röhren nicht immer parallel der Längsaxe der Drüse selbst lau-
fen, sondern in einem spitzen ‘oder stumpfen Winkel oder sogar
senkrecht zu ihr; und ferner dadurch, dafs bei einigen Drüsen
aufser dieser Abtheilung in Röhren noch eine in gröfsere Lappen
besteht die sich mehr oder weniger von einander sondern lassen.
In Fig. 5 Tafel II ist ein Querschnitt einer Drüse von
Elaps corallinus L. 4 Mal vergröfsert dargestellt. Das Kaliber
der Röhren in der Mittel-Längsaxe der Drüse ist häufig etwas
grölser als das derjenigen an der Periferie. Aus den mittleren
Röhren ist die Drüsensubstanz zum Theil herausgefallen und
man kann in dieselben hineinsehen; es kommen dadurch die
Vorsprünge der Wandungen zu Gesicht, durch die manchmal
vom 4. März 1869. 199
die Röhren ganz abgeschlossen zu sein scheinen, ein Schein der
dadurch noch verstärkt wird dafs sie nicht immer gerade ge-
streckt sondern oft gekrümmt verlaufen. Aus den Röhren der
Mitte entsteht allmählig der gröfsere Hauptausführungsgang.
Über den mikroskopischen Bau der Drüsensubstanz selbst kann
ich defshalb nichts Sicheres mittheilen, weil dieselbe in den hier
allein zu Gebote stehenden Spiritus-Präparaten dem Verfalle un-
terworfen ist, in höherem Mafse als z. B. das Parenchym der ge-
wöhnlichen Speicheldrüsen. Das Verhalten des die Drüse bedie-
nenden Muskels ist genügend bekannt; ich erwähne nur dafs auf
dem Querschnitt, der ungefähr an die Mitte der Drüse gelegt wird,
der Durchmesser des Muskels sich mehr als doppelt so grols als
die Drüse erweist.
An dieses Verhalten schliefst sich der Bau der Drüsen von
Elaps lemniscatus L., Naja haje L. und Naja tripudians Merr.,
Bungarus semifasciatus Kuhl und Dungarus fasciatus Schnei-
der, Hoplocephalus curtus Schleg. und Pelamis bicolor Schnei-
der genau an, auch was die Gröfse und Zahl der Röhren
betrifft.
Über die. Drüsen der Wasserschlangen sagt Johannes
Müller‘): „Glandulam venenatum Hydrorum quae denti pos-
tremo sulcato’) venenum largitur, investigare non potui. Monuit
Schlegel textura cum glaudulis salivalibus vulgaribus serpen-
tium insontium illam convenire.“’) J. G. Fischer?) lälst
sich über den Bau der Giftdrüsen bei den Seeschlangen nicht
aus. Die von Cantor’) gelieferte Abbildung eines Längs-
durchschnittes bei Aydrophis schistosa lälst von der Structur
der Drüse Nichts erkennen. Bächtold°) sagt: „Wir unter-
suchten bei Hydrophis pelamis Schl. (Pelamis bicolor Daud.) den
Bau der Giftdrüse und fanden sie wie bei den übrigen Gift:
Le; 57.
2) s. oben Anm. S. 194.
3) Diese von Johannes Müller angezogene Angabe Schlegel’s
habe ich nicht finden können.
4) Die Familie der Seeschlangen.
5) On Pelagie serpents. Trans. of the Zool. Soc. of London. Vol. II.
1841. 8.303. Taf..57 Fig.. 6.
BL 0.'S. 8.
200 Gesammtsitzung
schlangen aus gestreekten kurzen Röhren zusammengesetzt, die
in den gemeinschaftlichen Ausführungsgang sich münden.“ In
Fig. 4 TafelI seiner Abhandlung ist die Drüse abgebildet von
ihrer fibrösen Hülle befreit und zeigt nun eine Längsstreifung
die wohl der selbst von aufsen zur Geltung kommende Aus-
druck sein soll der gestreckten Röhren im Innern. Ich kann
nicht finden dafs die Röhren in dieser Weise angeordnet sind,
auch sind sie an Zahl zu gering und an Kaliber zu grofs ange-
geben. Ohne Läsion des Organes läfst sich die eigentliche und
innerste fibröse Hülle der Drüse überhaupt nicht abpräpariren,
so dals von aulsen keine Längsstreifung zu erkennen ist. Bei
manchen Drüsen dagegen, z. B. bei Elaps corallinus und lemnis-
catus ist die Membran so durchscheinend dafs der optische Aus-
druck der Röhren-Querschnitte von aufsen zur Geltung kommt der
Art, dafs dieses Verhalten für einen grobzelligen Bau der Drüse
imponiren konnte.
Modifieirt in der Anordnung der röhrigen Elemente ist der
Bau der Giftdrüsen bei Bothrops atrox Dum. Bibr. und Lachesis
muta L.. Hier sind die Drüsen durch starke bindegewebige
Scheidewände in Lappen getheilt die sich anatomisch selbst
von einander bis zu einem gewissen Grade scheiden lassen.
In diesen Lappen liegen aber die das Drüsenparenchym enthal-
tenden Röhren oft abgeplattet oder mehr weniger eckig und
sammeln sich am unteren Rande des Organes allmählig den gemein-
samen runden Ausführungsgang bildend. Auch hier handelt es
sich nicht um einfache gerade Röhren, sendern dieselben ge-
wissermafsen perlschnurartigen Ein- und Ausbuchtungen finden
_ sich vor wie sie oben beschrieben wurden. Johannes Müller
hat!) das Äufsere einer Giftdrüse von Trigonocephalus mutus
(wohl identisch mit Lachesis muta) abgebildet und einen folli-
culären Bau constatirt, während ich die Structur dieser Drüse
in ihrem Wesen dem oben geschilderten Typus anreihen möchte,
wenn auch als eine in ihrem gröberen Gefüge modificirte.
Fig. 8 Tafel II giebt eine dieses Verhalten erläuternde Abbil-
dung eines Querdurchschnittes der Drüse von Bothrops atrox
4 Mal vergröfsert.
DE Ne Ti VRR:
ne 901
Diesen letzteren schliefst sich wiederum der Bau der Drüse
von Pelias Berus L. an. Brandt und Ratzeburg!) sagen:
„die Viperndrüse stellt sich demnach als aus zahlreichen Säck-
chen zusammengesetzt dar wie die Zirbeldrüse und ähnliche
Drüsen.“ Ich finde dafs sie vielmehr einen röhrigen Bau zeigt,
wenn auch nicht in so ausgesprochener Weise wie die weiter
unten zu beschreibenden Drüsen von Causus und Callophis.
Lest man bei einem Spiritus-Präparat einen Querschnitt an
wie ihn Fig. 6 Tafel II 6 Mal vergröfsert aufweist, so kommt
deutlich zur Anschauung wie die in gröfsere Abtheilungen ge-
schiedene Drüsensubstanz innerhalb dieser Abtheilungen röhren-
förmig angeordnet liegt, der Art dafs man oft in der Tiefe
einer Röhre die vorspringende Wandung einer andern mit ihr
communieirenden erblickt. Über die Structur des eigentlichen,
das Gift absondernden Parenchyms vermochte ich an einer frisch
der lebenden Schlange excidirten Drüse durch die mikroskopische
Untersuchung festzustellen, dafs es aus glashellen nebeneinander
liegenden und hier und da gegeneinander abgeplatteten zelligen
Elementen besteht, welche in acinösen von Bindegewebe umge-
benen und von Capillaren reichlich umspülten Complexen ange-
ordnet sind; diese Zellen finden sich bedeckt oder umgeben von
kleinen scharfeontourirten Körnern, welche Molekular -Bewegung
‚zeigen, Körner die in grofser Anzahl auch in dem ausgeprefsten
Secrete vorhanden sind. Fig. 7 Taf. II giebt die Abbildung eines
solchen Parenchym-Theilchens, gezeichnet bei der Vergröfserung
durch das Objektiv Nr. 8 und das Ocular Nr. 2 eines Hartnack’-
schen Mikroskopes. Doppelt-contourirte Nerven waren an meh-
ren Orten sichtbar, allein über den Verbleib derselben bin ich
nicht in der Lage etwas aussagen zu können.
Durch einen exquisit röhrenförmigen Bau zeichnet sich
die Giftdrüse von Causus rhombeatus Wagl. aus, die ich ihrer
Besonderheit wegen erst hier aufführe. Die Giftdrüse dieser
Schlange ist durch ihre Gröfse und ihre Lage bemerkenswerth;
sie reicht über den Nacken bis auf den Rücken hinab und
1) Medic. Zool. oder getreue Darstellung und Beschreibung der
Thiere die in der Arzneimittellehre in Betracht kommen. Berlin 1829.
08.176,
202 Gesammtsitzung
kommt an Länge selbst dem sechsten Theil des ganzen Thieres
gleich; sie liegt direct unter der Haut, der Rückenmuskulatur
aufgelagert. Diese besondere und bis dahin einzig dastehende
Giftdrüse wurde 1839 von Reinhardt entdeckt, wie in den
Förhandlinger vit det af skandinaviska Naturforskare och Lä-
kare, Hällna Möte I Götheborg Är 1839. S. 141—45 mitge-
theilt ist. Eine kurze Notiz darüber kam später, 1843, in die
Isis'). Bei der Unzugänglichkeit der Originalbeschreibung dieses
bemerkenswerthen Organes sei es gestattet aus derselben (in
der Übertragung) folgendes anzuziehen: „Aus der oben gege-
benen Beschreibung der Form wird es ersichtlich dafs die
Drüse in ihrer gröfsten Ausdehnung dem Einflufse der Backen-
muskeln entzogen ist und dafs daher hier ein anderes Mittel
zur Ausspritzung des Giftes angewendet werden mufste. Dieses
‚glauben wir in einer dichten Lage von Muskelsubstanz zu fin-
den, die gleichsam wie eine Muskelhaut die der Drüse eigen-
thümliche, weilse, glänzende Haut bekleidet und die sich schon
durch die bräunliche Farbe kennzeichnet welche die Drüse hat.
Durch die Zusammenziehung dieser Muskelbündel mufs sich die
Drüse beträchtlich verkürzen. Aber aufserdem giebt der mit-
telste Schläfenmuskel wie gewöhnlich zwei Bündel ab, die hier
sehr dünn sind und die sich an den entgegengesetzten Seiten
des Ausführungskanales inseriren von wo aus sie sich nach
hinten fortsetzen, ein jedes auf seiner Seite längs der scharfen
Kante der Drüse, zu deren Bildung sie am meisten beitragen
und wo sie sich in den vorhin genannten übrigen Muskeln ver-
lieren. Diese Muskelbündel können unstreitig die Drüse nach
vorn ziehen; bei einem zwar der untersuchten Individuen fand
ich sogar die Drüse auf der einen Seite nach vorn gezogen
und in zwei grofse Querfalten gelegt, so dafs sie nur ein Drittel
der Länge der Höhlung”) einnahm. Eine andere Folge der
langgestreckten Form der Drüse ist die Gestalt der das Gift
absondernden blinden Röhren, welche in der Richtung der Drü-
sen-Längsaxe liegen, mit welcher sie sehr spitze Winkel bilden.
Sie erhalten dadurch selbst eine grofse Länge und bleiben mehr von
1) 8. 219.
?2) in welcher die Drüse liegt.
vom 4. März 1869. 203
einander gesondert als es der Fall ist bei den gewöhnlichen
Giftdrüsen, wo diese sehr kurzen Röhren auf einen kleineren
Raum zusammengezogen sind. Mehre dieser blinden Röhren
vereinigen sich wie dies ein durch den Ausführungsgang inji-
eirtes Präparat deutlich zeigt, zu Ästen und diese sammeln sich
seitwärts in zwei Hauptbündel, deren Stämme allmählich zu-
sammentreten und den gemeinschaftlichen Giftausführungsgang
bilden.* Abgebildet und nochmals beschrieben (aber ohne Be-
zugnahme auf diesen Originaltext) wurde die Drüse später von
Bächtold'). Ich finde aber sowohl diese letztere Beschreibung
als auch die Abbildung nicht ganz genau. Die parallelen Röhren
aus denen die Drüse besteht laufen nicht so in einer Flucht
und geradlinig nebeneinander wie die Figur es giebt; sie sind
überhaupt von aufsen, wenn die Muskelschicht abpräparirt ist,
nicht zu sehen oder wohl nur dann zu sehen, wenn sie künst-
lich injieirt sind, so dafs die Zeichnung zu einer Täuschung
Anlafs geben kann. Da der die Drüse umgebende Muskel
ferner ein Muskel ist der sich nirgend sonst inserirt sondern nur
die Drüse umgiebt, so ist durchaus nicht, ohne dafs das Ex-
periment es feststellt, zu sagen dafs die Drüse durch denselben
„vorwärts gegen den Kopf gezogen werden kann.“ Nach
Bächtold besteht das eigentliche Drüsenparenchym nur aus
einer glatten Schleimhaut die mit einem Plattenepithel versehen
ist; allein dieser Angabe kann ich nicht beistimmen. Die Röh-
ren sind vielmehr erfüllt von dem eigentlichen Drüsengewebe
in derselben Weise wie ich es weiter unten bei der Giftdrüse
von Callophis (von einer Abbildung begleitet) beschreiben werde.
Bei dem Zerfall des feineren Gewebes, wie es in Spiritus-Prä-
paraten vor sich geht, sind mikroskopisch nur mehr oder
minder erhaltene Zellencomplexe zu constatiren. In der Zeich-
nung ferner bei Bächtold ist einer hinter dem Auge lie-
genden Speicheldrüse nicht gedacht welche schon defshalb
nicht unerwähnt gelassen zu werden verdient, weil sie eigen-
thümlicherweise ihren Ausführungsgang nach hinten sendet
und zwar in den Ausführungsgang der Giftdrüse hinein, in
gleicher Weise wie es auf Tafel II Fig. 3 für Callophis in-
Dil7eriS:n9 w.10 Taf. IE:
204 Gesammtsitzung
testinalis abgebildet ist. Diese Speicheldrüse ist von einem Mus-
kel in ihrem hinteren Abschnitt bedeckt, über den sich je--
doch der Ausführungsgang der Giftdrüse legt, so dafs man
ihn erst wegpräpariren mufs will man die Einmündung des
Speicheldrüsenausführungsganges in den Giftdrüsenausführungs-
gang zu Gesicht bekommen. Die Natur dieser Drüse hinter
dem Auge als Speicheldrüse erschliefst sich lediglich aus ihrer
Structur — mit derselben Sicherheit oder Unsicherheit wie es
stets ohne das physiologische Experiment für diese Frage nur
geschehen kann. In der Zeichnung bei Bächtold ist endlich
die kugelförmige Anschwellung des Ausführungsganges dicht
vor seiner Mündung über dem Giftzahne nicht angegeben auf
deren Natur ich weiter unten zu sprechen kommen werde.
Endlich habe ich besonderer Erwähnung zu thun der Gift-
drüsen von ÜCallophis intestinalis Laur. und Callophis bivirgatus
Schlegel-Boie (Elaps int. und biv. Wagler), Giftdrüsen welche
bis dahin sich unserer Kenntnifs entzogen haben. Bei Gelegen-
heit einer Untersuchung die ich anstellte über die Lage des
Herzens bei den Schlangen'), fand ich innerhalb der Vis-
1) Fr. Schlemm (Anatomische Beschreibung des Blutgefälssystems
der Schlangen in Tiedemann u. Treviranus’ Zeitschrift 1827, I. S.101)
meint dafs je nach der Länge des Schwanzes das Herz vom Kopfe wei-
ter entfernt sei. Ist der Schwanz kurz (wie bei den meisten giftigen
Schlangen) so entferne sich das Herz weiter vom Kopfe und umgekehrt.
Wenn auch a priori nicht einzusehen ist welcher Zusammenhang zwi-
schen der Länge des Schwanzes und der Lage des Herzens obwalten
sollte und es sogar wahrscheinlicher scheinen könnte, falls man sich eine
aprioristische Ansicht erlaubt, dafs je länger der Schwanz sei, desto wei-
ter das Herz vom Kopfe fortrücken müsse und nicht umgekehrt, da die
Wirkung der Contraction des Herzens doch weiter zu reichen hat bei
langem als bei kurzem Schwanze, so zeigt doch die Erfahrung dafs im
Allgemeinen bei längerem Schwanze das Herz näher dem Kopfe liegt,
‘wenn man die relative Schwanzlänge in Rechnung zieht (das will sa-
gen das Verhältnifs der Totallänge der Schlange zur Schwanzlänge).
Schlemm hatte jenen Satz aufgestellt nach seiner Erfahrung an nur 4
Schlangen, aber ich finde ihn bewahrheitet nach zahlreicheren Messungen
die ich bei den verschiedensten Schlangenarten anstellte. Der ursächliche
Zusammenhang dieses Verhaltens entzieht sich noch unserer Einsicht.
vom 4. März 1869. 205
ceralhöhle zwei grofse, nebeneinanderliegende. langgestreckte
Organe von tief gelber Färbung, welche sich bei näherer Ana-
lyse als Giftdrüsen auswiesen'). Sie sind auf Tafel Iaa abge-
bildet. Ihrem Bau nach reihen sich diese Giftdrüsen durchaus an
den der Drüsen von Causus rhombeatus an, nicht ihrer Lage nach;
denn während jene oberflächlich direet unter der Hautbedeckung,
über der Muskulatur der Rippen liegen und sich von den ge-
wöhnlichen Giftdrüsen nur dadurch unterscheiden dafs sie sehr
grols und lang gestreckt weit nach hinten reichen, liegen die
von (. intestinalis und bivirgatus unterhalb der Rippen
und deren Muskulatur, in der Bauchhöhle des Thie-
res vor dem Herzen; es gränzen die Drüsen jeder Seite
dicht an einander und erst die Ausführungsgänge trennen sich
unweit des Kopfes von einander um ein jeder zum Giftzahn
seiner Seite zu ziehen, Die Länge der Drüse übertrifft noch
bei Weitem die von Causus rhomb.; sie varlirt selbstverständlich
mit der Länge — dem Alter — des Thieres. Bei einem Exem-
Dagegen kann ich eine weitere Behauptung desselben Forschers (l. c. S.118),
dafs bei Schlangen mit langem Schwanze das Herz über (vor) der Lunge
liege, bei Schlangen mit kurzem Schwanze unter (hinter) derselben nicht
bewahrheitet finden. Bei vielen Schlangen mit kurzem Schwanze_ liegt
das Herz vor der Lunge näher dem Kopfe. Es kommt auch vor, dafs
das Herz in der Mitte der Lunge liegt, so dafs vor und hinter demsel-
ben ein gleich langer Theil Lunge sich befindet. Das Herz ist übrigens
nicht immer verhältnifsmälsig weiter vom Kopfe entfernt wenn es auch
hinter der Lunge liegt, wie Messungen mir ergaben. Meckel (System
der vergl. Anal. V. S. 218) hat gezeigt dafs bei den Ophidiern das Herz
im Allgemeinen weniger weit nach vorn liegt als bei den übrigen Am-
phibien, doch hat er zwischen den Extremen eine Reihe von Übergängen
nachgewiesen. Er meint dafs die Verschiedenheiten wohl zum Theil mit
der Gestalt, Zahl und Länge der Lungen zusammenhängen, doch berück-
sichtigt er nicht weiter die Lage des Herzens vor und hinter der Lunge,
Es haben bekanntlich manche Schlangen nur eine, manche zwei und
noch andere nur Rudimente einer zweiten Lunge und die Abhängigkeit
der Lage des Herzens von diesen Umständen oder von andern bleibt
noeh zu ermitteln.
- 1) Ich habe die erste Mittheilung über diese Drüsen auf der Natur-
forscher-Versammlung zu Dresden 1868 gemacht. Siehe Tageblatt S. 138,
206 Gesammtsitzung
plar von Call. bivirg. von 99 Centimeter Länge fand ich die
Drüse mit dem Ausführungsgang 25 Centim. lang, also 4 des
ganzen Thieres; bei einem ganz kleinen Exemplar von Call.
intest. nahm sie fast die halbe Länge der Schlange ein. In
Folge dessen ist das Herz sehr weit nach hinten, dem After
des Thieres zu gerückt und alle Organe erleiden demgemäls
eine entsprechende Modification in ihrer Lage. Die Drüsen
beginnen gleich vor dem Herzen, seinen grofsen Gefäfsen und
den daran liegenden drüsigen Organen, allein es reichen wie
es scheint nicht beide gleich weit an das Herz hinan, sondern
die eine beginnt erst etwas höher als die andere. Die Drüse
ist ebenso wie die von C’ausus rhomb. von quergestreiften Muskel-
bündeln umgeben, die in Folge des Aufbewahrens der Schlange
in Spiritus eine tiefgelbe Färbung angenommen haben. Die
Längsaxe der Muskelfasern geht parallel der Längsaxe der
Drüse so dafs. wenn sie sich alle gleichmäfsig zusammenziehen
die Drüse sehr stark verkürzt werden mülfste. Allein es ist
von vornherein nicht zu sagen und mir auch nicht wahrschein-
lich dafs die Zusammenziehung zum Zweck der Giftausspritzung
der Artvorsich geht, oder ob sie nicht in Form einer peristaltischen,
über die Drüse hinlaufenden Welle statt hat, etwa wie wenn man
über eine elastische mit Flüssigkeit gefüllte Röhre einen engeren
Ring zöge der dann die Flüssigkeit vor sich her treiben mülste.
Die Querstreifung des Muskels zeigt oder macht es wenigstens
in hohem Mafse wahrscheinlich dafs der Akt der Entleerung
des Giftes der Willkür unterworfen ist und bei diesen Drüsen
braucht daher nicht wie bei jenen Giftdrüsen, die der Wirkung
der Kaumuskeln mit unterworfen sind, beim jedesmaligen Schlufs
des Maules eine Giftausspritzung zu erfolgen; dieser Muskel
funetionirt nur ad hoc, wie bei den meisten Giftdrüsen der diesen
anliegende Muskel.') Die Mächtigkeit der -Muskelschicht ist
ziemlich gleich stark um den ganzen Körper der Drüse und
1) Keinenfalls gilt für alle Schlangen, was Owen (Article „Teeth“
S. 25) sagt: „as the action of the compressing muscles is contempo-
raneous with the blow by which the serpent infliets the wound, the
‘poison is at the same moment injected with force into the wound from
the apical outlet of the perforated fang.“
vom: 4. Marz 1869. 207
bietet auf der Oberfläche ein ganz glattes Aussehen; die Un-
gleichheiten die in der Dicke des Querschnittes der Muskel-
schicht hier und da zu beobachten sind können ebenso gut
herrühren von einem Zustand der Contraction in welchem die
Muskelsubstanz starr wurde in. der Aufbewahrungsflüssigkeit
als normal. gegeben sein. Die Muskelschicht wird dünner und
dünner je mehr die’ Drüse sich verschmälert und hört endlich
mit derselben, wenn nur. noch der Ausführungsgang vorhanden
ist, auf bis auf einen. schmalen Strang, wie ihn die Zeichnung
des Querschnittes in Fig. 4 Tafel II 8 mal vergrölsert aufweist.
Es inserirt sich also der Muskel der Drüse nirgend als an der
Umhüllungshaut der Drüse selbst; diese steckt demnach vollstän-
dig in einem Cylinder von quergestreiften Muskelfasern und erst
nachdem sie von allen Seiten abpräparirt sind kommt die weifse
glänzende Umhüllungshaut, mit der'sie nicht allzufest. verwachsen
scheinen!) zu Tage, eine Umhüllungshaut die derjenigen 'aller
Giftdrüsen ‚gleicht. Die Structur der Drüse läfst sich am
Quer- und Längsschnitt wie.sie in Fig. 1u.2 Tafel II (Fig. 1
3 mal, Fig..2' 6mal vergröfsert) gegeben gut erkennen. Ent-
weder die Umhüllungshaut oder aber: eine noch innerhalb
dieser liegende bindegewebige Membran (abpräpariren läfst
sich die Umhüllungshaut nicht ohne Läsion) sendet ins In-
nere der Drüse eine gröfsere Reihe von Ausläufern, so
dafs sie durch dieselben vollständig in Röhren verschieden an
Zahl abgetheilt wird. In diesen Röhren nun liegt die Drüsen-
substanz selbst, sie ganz ausfüllend wie es scheint; ihre feinere
Struetur aber zu eruiren verbietet der Zustand des Zerfalles in
dem sich das Spiritus-Präparat befindet. Je mehr’ man den
Querschnitt dem Ausführungsgang der Drüse zu anlegt, desto
weniger Abtheilungen bilden die Ausläufer der Umhüllungshaut.
In der' Mitte der Drüse bis zu 15 und mehr, zuletzt 3, 2, endlich
bleibt nur der einröhrige Ausführungsgang in den alle einzelnen
1) Das zeigte ein Präparat von Call. biv. ziemlich deutlich. Die Drüse
war wohl beim Tödten der Schlange an mehren Stellen durchtheilt
worden; es hatte sich in Folge dessen der die Drüse umgebende Muskel
contrahirt und zurückgezogen, so dafs an der 'Durchtrennungsstelle die
weils aussehende Drüse selbst in gröfserer Ausdehnung vorlag.
[1869.] 15
208 Gesammtsitzung
an ihrem andern Ende blind schliefsenden Röhren der Drüse
münden. Auf dem Längsschnitt sieht man wie die Seitenwände
der Röhren ausgekleidet sind von der durch Vorsprünge der
Röhrenwandungen noch in einzelne mit einander zusammen-
hängende Abtheilungen geschiedenen Drüsensubstanz. An einer
Stelle (ce) ist die Drüsensubstanz entfernt und man sieht dort
diese Vorsprünge der Röhrenwandungen in Form von 'Riffen
deutlicher. Die Ausführungsgänge nun der beiden dicht an ein-
ander liegenden Organe laufen ebenfalls weiter neben einander
bis sich: unweit des Kopfes ein jeder nach seiner Seite hin-
wendet, indem er sich über das Quadratbein legt von einem
eigenen Ligament und darüber liegender Muskulatur in einer
Furche desselben festgehalten, am Abgleiten gehindert. Die
Ausführungsgänge haben an diesen Stellen eine beträchtliche
Breite. “Weiterhin auf dem Oberkiefer entlang ziehend mündet
in diesen Ausführungsgang der Ausführungsgang einer hinter
dem Auge sich befindenden grofsen Drüse von der Structur
der Speicheldrüsen indem sie denselben nach hinten sendet.
Fig. 3abc Tafel II giebt dieses Verhältnifs wieder. Ehe der
Ausführungsgang der Giftdrüse sich in weiten Falten wie be-
kannt über den Giftzahn ausbreitet, schwillt er bei seiner Krüm-
mung nach oben, die fast alle Giftdrüsenausführungsgänge zeigen,
noch erst kugelig an (d Fig. 3 Taf. II). Während in verschie-
denen Zeichnungen dieser Krümmung nach oben wohl Rechnung
getragen ist, ist es nicht der Fall mit dieser Anschwellung.
Sie findet sich allerdings nicht bei allen Schlangen; bei denen
mit gröfseren Giftdrüsen z. B. Zachesis muta wohl, aber sie
ist da nicht verhältnifsmälsig so grols wie bei Call. int. u. biv..
Die Vermuthung dafs sie Muskelelemente zum Verschlufs des
Ausführungsganges enthalte läge nahe, allein die mikroskopische
Untersuchung ergiebt dafs es wiederum Drüsensubstanz ist und
ein Längsschnitt zeigt dafs dieselbe in Längsfalten angeordnet
liegt. Diese Beschreibung gilt sowohl für Call. int. als auch
für Call. bivirg.'). Die Präparation läfst darüber keinen
1) Welcher Nerv die Drüse selbst und die sie umgebende Muskel-
schicht versorgt habe ich nicht eruiren können; breite markhaltige Ner-
venfasern sah ich wohl, allein ihre Endigungen nicht. Pflüger hat in
| vom 4. März 1869. 209
‚Zweifel obwalten dafs diese Drüse in anatomischer Continuität
mit dem Giftzahn stehe, dafs man es also mit einer Giftdrüse
zu thun habe. Der ununterbrochene Zusammenhang aber wurde
von mir auch durch eine Injeetion in den Ausführungsgang
nach der Richtung des Giftzahnes hin erwiesen, indem bei
‚jedem leisen Stempeldruck der Spritze ein Tropfen Flüssigkeit
‚aus der feinen Spalte des Giftzahnes hervorquoll. Die Struc-
‚tur ferner der Drüse erlaubt den Analogieschlufs dafs man es
‚mit einer Gift absondernden Drüse zu thun habe, ebenso stützt
ihn der Umstand dafs die Structur der hinter dem Auge lie-
‚genden grolsen Drüse der Structur der gewöhnlichen Speichel-
‚drüsen gleich ist, sie entbehrt auch die weilse glänzende
'Umhüllungshaut, die alle-Giftdrüsen besitzen; endlich die That-
sache dafs diese Schlangen als giftig bekannt sind trotz ihres
von nicht giftigen Schlangen nicht abweichenden Äufsern.
Russel!) sagt: „I have hardly met with a venemous serpent
‚of less suspieious external appearance than the present subject.“
‚Der Gröfse der Giftdrüsen nach im Vergleich zu der anderer
Giftschlangen (und die Gleichheit der Wirkung des Secretes
‚ vorausgesetzt) müssen diese Schlangen trotz ihrer Unscheinbar-
keit sehr gefährlich sein und Lenz’’) Ausspruch,‘ dafs „die
‚gröfsten Schlangen die gefährlichsten sind“ darf daher nicht ohne
Weiteres allgemein gelten. Auch wird man nicht dem fol-
genden Ausspruch von Günther über diese Schlangen (the
Reptiles of British India London 1864 S. 347) beitreten können:
|
seinen Untersuchungen über „die Endigungen der Absonderungsnerven
in den Speicheldrüsen, Bonn 1866,“ den Weg vorgezeichnet zum Studium
| der Nervenendigungen in Speicheldrüsen, allein die von ihm ermittelten
' Resultate ermangeln bis jetzt durchaus einer zuverläfslichen und sachlichen
‚ Bestätigung. Ich selbst habe mich vor längerer Zeit schon durch an-
dauernde und mühsame Untersuchungen (im Laboratorium des Hrn. Kühne
‚im pathologisch-anatomischen Institut der berliner Charite) bestrebt die
\ Pflügerschen Nervenendigungen genau nach seiner Vorschrift aufzufinden,
‚allein mit durchaus negativem Erfolg, wenigstens mit positivem nur in
| Betreff der gröberen Verhältnisse.
!) Indian Serpents II. p. 22.
?) Schlangenkunde S. 88.
15*
210 Gesammtsitzung
„Ihe shortness of their fangs' and the small quantity of their
poisonous fluid will always ‚give a. very fair chance: of recovery
if an accident should occur and the proper remedies be applied.“
Sehr auffallend bleibt, es mir aber, dafs diese interessanten und
auf den ersten Blick sehr in die, Augen springenden Organe
bis jetzt sich unserer 'Kenntnils entzogen haben, da von ver-
schiedenen Forschern die Schlange zerlegt und präparirt worden
ist. So sagt Schlegel!): „Wir können versichern .dafs' alle
Elaps-Arten von. Boie denselben Giftapparat' „besitzen * . wie
Elaps :lemniscatus; diese. Schlange aber besitzt den Giftapparat
der Call. int. und. biv. nicht, ‚sondern , nur den: gewöhnlichen
und bekannten. ‚Ferner ?):; J’ai:trouve des Calamars dans l’esto-.
mac de 2’Elaps furcatus de Java“ und?): „Le eanal intestinal,
beaucoup plus court que dans les autres especes, se trouve
resserre dans la partie inferieure de'la-cavite abdominale;..le
canal alimentaire est: par. consequent extremement alonge.“
Diese Verhältnisse resultiren eben aus der Lage der Giftdrüsen
welche die Eingeweide weit nach hinten schieben: und: bei der
Section die diese Resultate zu Tage förderte hätten sich leicht
die. Giftdrüsen dem’ Auge des. Untersuchers darbieten können.
Meckel*) spricht u. A. viel von den Eingeweiden der Gattung
Elaps,; aber er erwähnt diese Drüsen nicht; er hat also wohl
keine der betreffenden Schlangen untersucht, steht 'äber trotz- _
dem nicht an, seine Angaben auf alle Zlaps- Arten zu beziehen.
Günther”) sagt: „Specimens dissected by me exhibited only
a small number of eggs.“ Er giebt allerdings nicht an welche
Arten er secirt hat und es könnten Call.-int. und div. nicht
darunter gewesen sein. Von diesen beiden allein ‚aber bin ich in
der Lage mit Bestimmtheit das Vorhandensein dieser besonderen
Giftapparate aussagen zu können. Meine Vermuthung geht
dahin dafs sie noch einer Reihe von andern Schlangen zu-
1) Unters. der Speicheldrüsen etc. S. 143.
2) Essai II. 439.
3) Essai II. 451.
4) System der vergl. Anatomie.
5) On the Genus Elaps of Wagler. Proc. of the Zool. Soc. of Lon-
don. XXVI. 1859. 8. 79.
}
“ kommen, die mir aber leider nicht zur Untersuchung vorlagen.
Meine Vermuthung stützt sich auf folgende Gesichtspunkte:
vom 4. März 1869. 211
‘ Es wurde im Jahre 1859 von Günther!) eine neue Ein-
| theilung der Gattung Elaps vorgeschlagen die sich in erster
- Linie auf die Zahl der Schuppenreihen und auf die geogra-
phische Verbreitung stützte. Sie ist die folgende:
Mit 13 Schuppenreihen: Callopkis, Ostindien.
Mit 15 Schuppenreihen und einem doppelten Nasalschild:
Elaps, tropisches Amerika.
Mit 15 Schuppenreihen,; einem einfachen Nasulsohild und
zwei Postocularschildern: Vermicella, Australien.
Mit 15 Schuppenreihen, einem einfachen Nasal- und einem
- Postocularschild: Poecilophis,”) Afrika.
1862 'hat denn Peters°) nachgewiesen dafs dieser Einthei-
lung auch kraniologische Unterschiede entsprechen die von be-
deutenderem Gewichte scheinen als die Zahl der Schuppenreihen.
Die asiatischen Elaps-Arten besitzen alle einen Processus post-
orbitalis, der den amerikanischen und afrikanischen fehlt. Auf
die kraniologischen Unterschiede, die zwischen den amerikani-
schen und afrikanischen Elaps- Arten (Elaps und FPoecilophis)
nach Peters obwalten will ich hier nicht näher eingehen, da
beide den oben bei Callophis int. und bivirg. beschriebenen Gift-
apparat nicht besitzen, ebensowenig wie die australischen
Elaps-Arten (Vermicella). Peters weist aber ferner nach
dafs bei den asiatischen noch zwei Typen zu unterscheiden
seien. Er sagt: „Den einen bilden die Callophis (Elaps) in-
iestinalis (bifure.), CO. bivirgatus, und aller Wahrscheinlichkeit
nach auch (©. gracilis (Gray), ©. M’Clellandü (Reinh.), ©. uni-
virgatus (Gthr.), C. trimaculatus, C. maculiceps, welche letzte-
ren ich leider nicht habe untersuchen können. Diese haben
in ihrer Schädelform viel gröfsere Ähnlichkeit mit Naja (spu-
tatrix) durch die grofse Ausdehnung des Planum superius
cranü und die Art der Verbindung der ossa ord. mit den front.
media, sie unterscheiden sich aber sehr auffallend dadurch dafs
1» E92:
' 2) Später wurde diesen von Jan der Name Homoroselaps beigelegt.
3) Über Elaps. Monatsber. d. k. preufs. Akad. d. Wiss. S. 635.
212 Gesammtsitzung
ihr Gaumenbein sich fast in 'gleicher Querlinie mit dem os
pterygoideum ext. (transv.) an ‚das os pter. int. anlegt, so dafs
das letztere kaum so lang ‘wie das Gaumenbein ist und es ent-
weder gar keine ((. bivirg.) oder nur 2—3 (Ü. intest.) Zähne
trägt.* |
Dieser Abhandlung ist auf Tafel II Fig. 9—11 die Ab-
bildung eines Schädels von (©. bivirg. beigegeben, (2mal ver-
grölsert) da bis jetzt nirgend eine Abbildung eines Schädels der
Gattung Elaps geliefert wurde. Diese Zeichnung!) bestätigt
genau das hier dargelegte Verhalten. Zu dem zweiten Typus der
asiatischen Elaps-Arten gehört allein Elaps calligaster von: der
Peters folgendes sagt: „Am meisten hat mich jedoch das ganz
verschiedene Verhalten des Schädels von Zlaps. ealligaster über-
rascht. Derselbe stimmt abgesehen von seiner Kleinheit in jeder
Beziehung so vollkommen mit dem von Bungarus (semifasciatus)
überein, dafs man zweifelhaft sein könnte, ob man diese Art
(sowie Elaps collaris Schlegel)?’) von den Bungarus trennen
darf. Auch die hinteren ungefurchten Oberkieferzähne fehlen
nicht und stehen in derselben Weise wie bei den Bungarus.
Die geringelte Zeichnung haben sie ebenfalls mit den .B. ge-
mein, auch unterscheiden sie sich von den asiatischen Elaps
durch dieselbe Zahl (15) der Schuppenreihen, wie die ameri-
kanischen Elaps, stimmen aber mit beiden überein durch die
in keiner Weise ausgezeichnete Beschaffenheit der: mittleren
Rückenschuppen. Durch dieses letztere sowie durch die dop-
pelte Reihe unterer Schwanzschilder unterscheiden sie sich
äufserlich von Dungarus und schlage ich vor sie mit dem gene-
rischen Namen Hemibungarus zu bezeichnen.“ |
Diese Aussonderung von Elaps calligaster aus den asiati-
schen von Günther ausschliefslich Callopkis genannten Elaps-
1) Das Präparat zu derselben rührt her von der Hand des Hrn. Pro-
fessor Peters, der es mir gütigst zu diesem Zwecke zur Verfügung ge-
stellt hat.
2) Nach Mittheilung des Hrn. Prof. Peters ist diese eine amerika-
nische Art und stimmt genau mit den anderen ächten Elaps s. s. im
Schädelbau überein, wie derselbe neuerdings an den Schlegelschen Ori-
ginalexemplaren gefunden hat.
a nn
vom 4. März 1869. ; D13
Arten erhält eine weitere Berechtigung — wenn sie noch einer
solchen bedürfte — dadurch, dafs diese Schlange den \Giftap-
parat von Call. int. und biv. nicht besitzt, sondern nur den
gewöhnlichen: eine kleine Giftdrüse hinter und unterhalb dem
Auge. Bei der Übereinstimmung der andern Arten der Gattung
Callophis Gray aber glaube ich diesen Apparat auch bei Call.
gracilis Gray, M’Cellandi Reinh., trimaculatus Daud., ma-
euliceps Gthr., annularis Gthr. und nigrescens Gthr. vermuthen
zu dürfen. Diese Schlangen kommen auf dem britisch-indi-
schen Festlande vor und sind wohl (mit wenigen Ausnahmen)
nur in den dortigen Museen und in denen Grofsbrittaniens: ver-
treten. Meine Bemühungen sie von dorther zu erhalten sind
nicht von Erfolg gewesen und mufs ich die Entscheidung ob
diese Schlangen jene grofsen Giftdrüsen innerhalb der Visceral-
höhle besitzen oder nicht andern Forschern überlassen. Nach
der folgenden (in der Übersetzung mitgetheilten) Angabe von
Reinhardt'), scheinen sie allerdings bei Elaps M’Clellandii
nicht vorzukommen: „Ich habe nämlich alle beide im könig-
lichen naturhistorischen Museum aufbewahrte Exemplare ana-
tomisch untersucht und gefunden dafs beide die geringelte
sowohl als auch die ohne Ringe trächtige Weibchen
sind, welche Eier von etwa 1 Zoll Länge in sich haben.“
Ich meine bei der Section hätten die Drüsen nicht übersehen
werden können, allein dennoch getraue ich mich nicht mit
Sicherheit darüber zu urtheilen in Anbetracht der oben mitge-
theilten Erfahrungen bei Call. int.. |
Besonders untersucht auf das Vorkommen dieser Giftdrüsen
innerbalb der Visceralhöhle habe ich folgende zu den Elapidae
zu zählenden Schlangen und kann mit Bestimmtheit behaupten,
dafs sie bei ihnen nicht vorhanden sind: Elaps corallinus L.
(bei einer dieser Schlangen lag auffallender Weise das Herz
mit seiner Spitze dem Kopfe zugekehrt), Elaps lemniscatus L.,
Elaps Maregravü Wied., Homoroselaps (Elaps) Hygiaeae Shaw,
Vermicella (Elaps) occipitalis Dum. Bibr., Hemibungarus (Elaps)
calligaster Wiegmann, Bungarus semifasciatus Kuhl und fasci-
I) Om Elaps Macclellandü Rhdt. Videnskabelige Meddelser fra den
aturhist. Forening i Kjobenhavn for Aaret 1860 S. 249.
214 Gesammtsitzung
atus Schneider, Naja tripudians Merr. u. hajeL., Sepedon hae-
machates Merr., Causus rhombeatus Wagl., Hoplocephalus curtus
Schl., Ogmodon vitianus Pet.. Die von’ mir aus den: Familien
der Orotalidae, Viperidae und Hydrophidae daraufhin untersuchten
Schlangen hier 'namhaft aufzuzählen halte ich nicht für gebo-
ten. Mit Sicherheit von mir nachgewiesen sind also
diese Drüsen nur bei Callophis intestinalis und bi-
virgatus. .ı Sie bieten ein besonderes Interesse. dar nicht nur
ihrer Gröfse wegen sondern mehr noch wegen ihrer Lage für
die eine Analogie fehlt; es bleibt auffallend und entwicklungs-
geschichtlich nachzuweisen wie ein Organ, das sonst allgemein
direct unter der Hautbedeckung am Kopfe sich bildet, seine
Lage innerhalb der Visceralhöhle finden kann. —
Ich kann schliefslich nicht umhin dankbar der seltenen
Liberalität zu gedenken, mit welcher mir die Schätze des zoo-
logischen Museums der berliner Universität zu Gebote gestellt
waren. | | |
Berlin, Januar 1869.
Nachschrift. Durch die Güte des Hrn. Prof. Wil-
helm Peters erhielt ich noch nachträglich ein Exemplar von
Callophis maculiceps Gthr. zur Untersuchung, bei dem sich
jedoch die in Frage stehenden Giftdrüsen nicht vorfanden.
Mai 1869.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel I.
Giftdrüsen von Callophis intestinalis in situ, von ihrem
Muskel bekleidet und in natürlicher Gröfse. Die Schlange
.liegt am Kopf und Hals auf der Seite, dann bis jenseit des
Herzens auf dem Rücken und in ihrem untern Theile auf dem
Bauche. Es ist, um die Drüsen zu zeigen, das entsprechende
Stück der Haut herausgeschnitten.
aa Giftdrüsen; bb deren Ausführungsgänge; c Speichel-
drüse; d Giftzahn; e Herz; f Leber; 9 Ruthe.
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Callophis intestinalis.
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Monatsber dBerl Akad dWiss 1869 März
IDi.Frauz Wagner der.ulich
0
Iruckr. Gebr Delius
Fig. 1.
10.
11.
vor Mir Be 215
Tafel 1.
Längsschnitt eines Stückes der Drüse von Callophis
intestinalis, 3mal vergrölsert. «@ Muskelschicht; 5 Drü-
senparenchym; ..c Stellen wo das Drüsenparenchym
entfernt: ist.
Querschnitt derselben Drüse, 6mal vergröfsert. —
@ Muskel; 5 Drüsensubstanz; ce natürliche Lücke.
Kopf von Call. int., 2 mal vergröfsert. a Ausführungs-
gang der Giftdrüse; d Speicheldrüse; c Ausführungs-
gang derselben; d Anschwellung des Giftdrüsen-Aus-
führungsganges; e Giftzahn.
Querschnitt des Ausführungsganges der uf lerse
von Call. intest., 8mal vergrölsert. a Wandung des-
selben; 5 D c anliegender Muskelstreif.
Querschnitt der Giftdrüse von Elaps corallinus, Amal
vergrölsert. a Röhren; db Muskel.
Querschnitt der Giftdrüse von Pelias Berus, 6mal
vergrölsert. «a Röhren. |
Parenchym der Giftdrüse von Pelias Berus. Ver-
gröfserung mit dem Hartnack’schen Objectiv Nr. 8,
Ocular Nr. 2 (400mal). «& Drüsenzellen; db Bindege-
webe; c Blutgefäfs mit Blutkörperchen.
Querschnitt der Giftdrüse von Dothrops atrox, 4mal
vergrölsert.
. Schädel von Callophis bivirgatus von oben, 2mal ver-
grölsert.
Ebenso von unten.
Unterkiefer desselben, 2mal vergrölsert.
Hr. Dove machte eine Mittheilung über die meteorologi-
schen Verhältnisse des Sommers 1868.
216 Gesammtsitzung _
An eingegangenen Schriften nebst ee wurden
vorgelegt: |
F. Palacky, Über die Beriähiongen und das Verhälmifs der Waldenser
zu den ehemaligen Secten in Böhmen. Prag 1868. 8.
F. Unferdinger, Das Pendel als RE Instrument. _Greifs-
wald 1868. 8.
Sitzungsberichte der k. bayr. Akademie der Wissenschaften zu München.
1868. II. Heft 4. 1869. I. Heft 1. München 1869. 8.
Matthiessen, Kleine Schriften über 'specielle Theile der Mathematik
und analytischen Mechanik. Mit Schreiben des Verf. d. d. Husum
25. Febr. 1869.
Perrot, Exploration archeologique de la Galatie. _ Livre 20. 21. Pa-
ris 1869. fol.
Memoires de l’academie de Petersbonrg. Vol. xı, 1—3. Petersbourg
1868. 4. | | |
Bulletin de l’academie de Petersbourg. Vol. XII, no. 1—3. Peters-
bourg 1868. 4. | H;
Journal of the chemical Society. Vol. 6. London 1868. 8.
Journal .of the Royal Asiatic Society. WVol..III, 2. London 1868. 8.
11. März? Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Kiepert las:
Über älteste Landes- und Volksgeschichte von
Armenien.
Unter den- kleineren Völkern Vorderasiens, welche in alter
-Zeit das Gebiet zwischen den grolsen Culturnationen der Me-
der und Assyrer einerseits, der Griechen anderseits bewohn-
ten, haben in Vergleich zu denjenigen der kleinasiatischen
Halbinsel, die frühzeitig grölstentheils hellenisirt, mit ihren
letzten Resten in der türkischen Einwanderung spurlos ver-
schwunden sind und so kaum die dürftigsten Spuren ihrer
Sprachen hinterlassen haben, nur die Armenier ein günstigeres
Schicksal erfahren, indem sie ihre beim Verfalle des Seleuki-
denreiches wiedergewonnene staatliche Selbständigkeit über ein
ee
vom 11. März 1869. 217
halbes Jahrtausend, ihre Sprache aber und mit der frühzeitig
begründeten nationalen Kirche, das Bewulstsein ihrer Zusammen-
gehörigkeit selbst in weitester Zerstreuung, bis auf den ‚heutigen
Tag behaupteten. Einen ähnlichen Vorzug, selbst manchen ge-
bildeteren und historisch bedeutenderen Nachbarvölkern gegen-
über, begründet ihre bald nach der Annahme des Christenthums
und dem Bekanntwerden mit griechischer Wissenschaft um den
Anfang des 5. Jahrhunderts beginnende Litteratur, die sich von
theologischen Anfängen schon sehr früh auch der eignen Lan-
des- und Volksgeschichte zuwandte. ‘Ja die historische Bedeu-
tung der Armenier würde eine fast alle ihre Nachbarn über-
wiegende sein, wenn eines jener Werke, das besonders durch die
Übersetzung der Brüder Whiston schon seit länger als einem
Jahrhundert auch weiteren Kreisen der europäischen Gelehrten-
welt bekannte Geschichtsbuch des Moses von Chorni mit Recht
den Anspruch machte, die vaterländische Geschichte von ihren
Anfängen an in Zusammenhang, zu überliefern, wenn nicht des
sen Glaubwürdigkeit nur den Volksgenossen selbst und deren
blinden Nachbetern'!) als Dogma gälte, von der Kritik aber
vielfach und mit guten Gründen angefochten worden wäre. Doch
so wenig Gewicht gegenüber den Zeugnissen griechischer und
römischer Autoren auf Moses angebliche Geschichte der Arsa-
kiden-Könige Armeniens zu legen ist, so enthält doch gerade
das erste, die älteste Geschichte bis auf Alexander herabfüh-
rende Buch neben werthlosen aus späten griechischen Büchern
geschöpften synchronistischen Zuthaten des Compilators und
euhemeristischen Verdrehungen epischer und lyrischer 'Volks-
diehtung, eine Reihe von Auszügen aus einem älteren syrischen
Logographen, Mar Abas, welche uns zwar keine eigentlich
historischen Daten liefern, aber in Ermangelung einer ächt ar-
menischen Überlieferung wenigstens die gelehrte Ansicht des
gebildeteren Nachbarvolkes über die Ursprünge des armenischen
Volkes und deren locale Begrenzung kennen lehren. Der
1) E. Bore, l’Armenie, Paris 1842; @. Cappelletti, !’ Armenia, Fi-
renze 1841, bis jetzt seit St. Martin’s M&moires sur I’Armenie, die
einzigen neueren das armenische Alterthum in Zusammenhang behandeln-
‚ den Werke.
218 Gesammtsitzung
fast ausschliefslich geographische ‘und ethnographische Inhalt
jener Tradition ‘möge ‘es rechtfertigen, :wenn ich die Fol-
gerungen, die sich mir 'aus wiederholter Prüfnng des’ armeni-
schen Textes in Verbindung mit dem Studium der Natur des
Landes 'ergeben haben, auch öffentlich mittheile, nachdem ich
die Ausführung dieser Untersuchung durch einen Berufeneren
seit Jahrzehnten vergeblich erwartet habe.')
Von der langen Reihe von 52 armenischen Königen, welche
Moses aus Mar Abas aufführt, kommen hier nur die zehn er-
sten Generationen in Betracht; die folgenden sind durchaus
leere Namen, mit einziger Ausnahme Tigran’s, Zeitgenossen
des Kyros,: dessen kriegerische Thaten und angebliche 'grofse
Eroberungen die einzige epische Unterbrechung in jener 'trock-
nen Aufzählung bilden, Sagen, deren hohes Alter wenigstens
1) Während ‘die deutschen Armenisten, die Herren Petermann,
Gosche, de Lagarde, Fr. Müller sich bisher fast ausschliefslich der sprach-
lichen Seite zugewendet haben, verdanken wir der jüngeren französischen
Schule literarhistorische Untersuchungen, die sich aber ‘im vorliegenden
Falle, ohne auf den Inhalt. der Tradition einzugehn nur mit dem Zeital-
ter des Mar Abas beschäftigen. Ob wir diesen in der That mit 'E. Du
laurier (Etudes sur les chants historiques et les traditions populaires
de l’ancienne Armenie, Journal Asiat. 1852, XIX. 1 ff. und Considera-
tions sur les plus anciennes origines de l’histoire Armenienne, Revue de
l’Orient 1860 p. 92 ff.) dem Zeugnisse des Moses zufolge als einen Zeit-
genossen des ersten Arsakiden (um 130) anerkennen, oder mit V. Lan-
glois (Etude sur les sources de l’histoire d’Armenie de Moise de Kho
ren, Bull. de I’ Acad. imp. d. sc. de St. Petersb. 1861 p. 531ff.) in das
erste vorchristliche oder mit E. Renan. (Hist. des langues 'semitiques
1. HI. ch. 2) als Zögling der Schule von Edessa ins erste oder zweite
nachchristliche Jahrhundert hinabrücken, wird ‚für die hier vorliegende
Untersuchung von keinem Gewicht sein, da auch im letzten Falle dem
syrischen Autor noch Quellen zu Gebote stehen und verständlich ‚sein
konnten, deren erste Aufzeichnung in die assyrische Vorzeit („die Archive
von Nineve“ wie sich Moses I, 9 naiv ausdrückt) hinaufreichte. — Das
neueste Werkchen, dessen Titel zu dieser Frage in Beziehung; zu stehen
scheinen könnte: Pichard, Essai sur Moise de Khoren, Paris 1866,
enthält in der That gar. nichts zu deren Lösung und behandelt seinen
Autor einfach als epischen Dichter.
vom 11. März 1869. 219
dadurch gesichert ist, dafs -Xenophon sie auf dem langen Win-
termarsche durch Armenien kennen lernte ‚und für seinen poli-
tischen. Roman verwerthete. Dies aber ist der einzige Licht-
punkt der von auswärts auf jene armenische Überlieferung fällt;
wie bedenklich es: selbst um die Namen und. die Existenz der
übrigen: Könige‘ nach und. vor jeneni Tigran: steht, zeigt die
Vergleichung wenn auch. spärlicher, aber gleichzeitiger Zeug-
nisse der. Griechen, Perser, Assyrer ‚über jene älteren Zeiten
Armeniens. o
4 1) Auf Tigran läfst Moses I, 31: dessen Sohn Vahagn (den nur
seine Unkritik mit dem eleichnamigen auch aus andern Zeugnissen be-
kannten Gotte, dem. phryg gischen ”Vayvıg, verwechselt) und dann noch sie-
ben Namen folgen, welche die Zeit bis auf den Untergang des Reiches
durch die makedonische Eroberuug ausfüllen. Werden diese letzten auch
nicht ausdrücklich Könige genannt, so schweigt der Autor doch auch
völlig über ihr Verhältnifs zu den persischen Königen und ihren Satra-
pen, die für ihn so gut wie nicht vorhanden sind. An Vasallenfürsten
unter‘ achämenidischer Oberhoheit zu ‚denken, ähnlich den kilikischen
paphlagonischen, karischen, ‘wie St. Martin und andere neuere wollen,
verbietet zwar nicht der Umstand, dafs der einzige berichterstattende
Augenzeuge des Landes unter den Griechen dieser Zeit, Xenophon, in
dem von ihm durchzogenen westlichen Armenien nur persische Satrapen
kennt: eine Beschränkung einheimischer Fürsten auf einen einzelnen Lan-
destheil wäre immerhin denkbar, aber gewichtiger ist die negative Auto-
rität eines Denkmals wie die historische Inschrift des ersten Dareios zu
Bagistan, welche den mehrjährigen Aufstand der. Armina erzählt, ohne
auch nur den Namen ihres Anführers zu nennen; ja auch den Namen
eines Fürsten, für dessen. legitime Nachfolge die Empörer kämpften,
würde man, wie in den,Berichten über die Aufstände der andern Provinzen
hier erwarten, wenn es noch Fürsten im Lande gegeben hätte; jedenfalls
würde mit der Unterdrückung der Empörung selbst wohl auch das natio-
nale Fürstengeschlecht ein Ende gefunden haben. — Ein ähnliches Va-
sallenverhältnifs zu den assyrischen Grofskönigen räumt der armenische
Autor selbst ein für seine älteren Landesfürsten, vom 9ten bis zum 35sten,
so dafs eigentlich nur die folgenden neun bis auf Tigran als selbständige
Herscher zu gelten hätten; dals aber als Name des mit dem Sturze des
assyrischen Reiches zusammenfallenden ersten derselben Paroir, d. i.
Umdrehung, und als der seines Vorgängers Skajorti, d. i. Riesensohn,
als ob ein Geschlecht von Giganten mit ihm zu Ende gehe, angegeben
220 Gesammtsitzung
"Die ersten zehn Namen dagegen :und die sich im Gegen-
satz zu‘ der folgenden 'einförmigen Namenreihe als Seitenglie-
der daranschliefsenden, durch welche jene Zahl verdoppelt wird,
erweisen sich als völlig der aetiologischen Mythenbildung ange-
hörig durch die vom Autor selbst daran geknüpften etymologi-
schen Ableitungen armenischer Localnamen. ‘ Die bei den Se-
miten so‘ beliebte genealogische Form ihrer Coordinirung und
Subordinirung könnte leicht veranlassen, die Autorschaft_ dieser
Anordnung dem syrischen Logographen, dem Moses sie ent-
lehnt hat, zuzuschreiben, wenn nicht aus der Stellung einzelner
Namen selbst sich ergäbe, dafs derselbe sie bereits so vorge-
funden, und einer ältern, vielleicht einheimischen, wenn auch nicht
schriftlich verzeichneten Quelle entlehnt hat. Mit Übergehung
der Anknüpfung an die bekannte hebräische Noachiden-Stamm-
tafel durch Japhet, Gamer und Tiras') ergiebt sich aus Moses I,
9—15 folgendes genealogische Schema?)::
wird, hat doch mehr mythischen: als historischen Anstrich. Und vollends
bedenklich gegen jede Autorität dieser ganzen Namehnreihe macht der
Umstand, dafs sich darunter weder an der chronologisch entsprechenden
Stelle (8.— 7. Jahrh.) noch überhaupt irgendwo gleiche oder auch nur
ähnliche Namen finden, wie Argisti, Ursu, Iranzu, Aza, Ulusuna, welche
für Herrscher des südlichen und östlichen Armeniens, am See von Van
und am Araxes aus den Inschriften des assyrischen Königs Sargon zu
Nineve und Van entziffert worden sind. (Oppert et Menant, les fastes
de Sargon, Paris 1863, P. 36, 39, 42, 44, 50, 72, 77.)
1) Wegen der Abweichung von der genealogischen Folge der Ge-
nesis durch Einschiebung des Namens Tiras und zur Rechtfertigung der
Transscription Gamer statt der masorethischen Gomer vgl. Monatsber.
1859, S. 202—205. |
2) In der Transscription der armenischen Namen bezeichne ich die
sogenannten Aspiraten durch p‘, X, f, die zusammengesetzten Sibilanten
&, &, g nach St. Martins Vorgang, da sich nicht wohl einfache Zeichen
dafür substituiren lassen, durch dz, ds, ts und die entsprechenden Pala-
talen %, 9, 5 analog durch ds, ds, t8, 2 durch $, u durch X, x, g als
Gutturallaut durch {, das aspirirte n. durch »”.
vom 11. März 1869. 291
Torgom
|
Haik
|
: Armenak Xor Manavaz
m — ———— |
'Kadmos Armajis Baz
GER TORTEN E73
Amasiaj Sar
: Arast 'G@elam Parok Tsolak
j —eeeT
Harmaj Sisak
————
Aram Garnik
| i
Araj
Vu nn
Anusavan Kardos
Die drei ersten Namen personificiren offenbar die dem Auf-
zeichner bekannten drei Benennungen des Volkes, die einheimi-
sche Hai und die bei den südlichen Nachbarn, Syrern und
Medopersern gebräuchlichen. Aber schon der erste selbst er-
scheint, so alterthümlich sein Ursprung ist, in dieser Combi-
nation als eine spätere, der semitischen Gelehrsamkeit des Mar
Abas zu verdankende Hinzufügung, also auf gleicher Linie mit
seinen Vorfahren Gamer und Japhet stehend. Die armenische
Litteratur zeigt den Namen Torgom und die davon gebildeten
Ableitungen erst bei späteren Autoren als gelehrten Redeschmuck
benutzt, nie in allgemeinen Gebrauch zur Bezeichnung des eig-
nen Volkes übergegangen, die Wortform selbst wie ihr Vorbild,
das Ocopyanz der LXX. hatP. deLagarde') als dem ältern ma=ıın
nicht streng organisch entsprechend und wohl erst der seleuki-
dischen Periode angehörig erwiesen, aber seine neue Deutung
des Namens selbst auf ein von Armenien weit abliegendes Ge-
biet im westlichen Kleinasien ‘scheint mir weder sprachlich
(TeıSgavie = Tograma) noch sachlich haltbar: in der Tafel der
Genesis liefse sich Mysien noch neben andern kleinasiatischen Ge-
bieten (Gamer und Askenaz) begreifen, wenn nur die anderen,
namentlich die südlicheren, dem Standpunkt des Autors der
!) Gesammelte Abhandlungen, 1866, S. 255,
222 Gesammtsitzung
Tafel näher gelegenen Gebiete derselben Halbinsel und vor al-
lem, wenn das noch näher liegende und mit den südlichen
Euphratländern in uraltem Verkehr stehende Armenien selbst,
das doch neben Madai und Arpaksad nicht fehlen kann, darin
durch andere Namen vertreten wären. Besonders aber wider-
sprechen ebenso der neuen Erklärung, wie sie zu der alten gut
passen, die Erwähnungen Togarma’s bei Ezechiel: die Pferde
und Maulthiere, die es nach 27.14 nach Tyrus ausführt, —
Thiere, deren Zucht in Armenien altberühmt ist, während von
einer solchen in Mysien kein altes Zeugnils redet, ein Export
von da nach Tyrus aber vollends unwahrscheinlich ist, —
nicht weniger die Bezeichnung der Lage mit Gamer (Kappa-
dokien) zusammen durch die nördliche Himmelsgegend (38. 6
per n>2>), was allenfalls auf Kleinasien bezogen werden
könnte, wenn ein Bewohner Kanaans sich so ausdrückte, ‚nicht
so bei dem: in Mesopotamien unter Syrern schreibenden Prophe-
ten, der offenbar auch in der eigenthümlich syrischen Compo-
sition des Namens (mann ma in beiden Stellen) an den Sprach-
gebrauch jenes Landes sich anschliefst. Diefs sowohl, wie die
Erwägung, dafs Phönikier und Hebräer nur durch Vermittelung
des zwischenliegenden Syriens Kunde von Armenien haben
konnten, führt zu der Annahme, dafs Togarma oder vielleicht
schon eine dem Oopyayı der LXX. oder dem Ouyoarıung des
Josephus ähnlichere Form die gewöhnliche Benennung Armeniens
oder wenigstens des südwestlichen am Tauros gelegenen Ar-
meniens bei den Syrern war. Denn wenn Moses als Benen-
nung. seines Volkes bei Persern und Syrern die Form Ar-
min!) angiebt, so folgt er nur dem Sprachgebrauch seiner Zeit,
wo längst griechische Wörter und Namen in Syrien eingebür-
gert waren: vorgefunden haben die Griechen diesen Sprachge-
brauch in Syrien sicher nicht, denn dafs er bereits der Zeit
der persischen Herrschaft angehören sollte, wird durch die Bei-
‚behaltung eines ganz andern Namens für Armenien im Assyri-
1) Diese Form oder Armun folgt aus der im Text I, 12 Ende
allein vorkommenden Pluralform Armnik, das i der zweiten Silbe wird
aber durch die altpersische Form Armina in den Dareios-Inschriften
gesichert.
vom 11. März 1869. 223
schen (in den babylonischen Texten der Dareios-Inschriften)
höchst unwahrscheinlich. Den Namen ’Agnuevi«, welcher schon
vor Herodot aus Hekatäos angeführt wird, können die Griechen
mithin nur auf dem anderen nördlichen Seewege, durch den
Pontos, von den seit dem Falle Assyriens bis zum Halys herr-
schenden Medern überkommen haben, deren Sprache das
einzige denkbare Mittelglied zwischen Griechen und Persern,
soweit sie derselben Benennungen sich bedienen, bildet; es wird
hierdurch von vorn herein wahrscheinlich, dafs jener Volks-
name auf der medischen, d. h. südöstlichen Grenze Armeniens
vielleicht in der überaus häufigen Weise der Übertragung
eines einzelnen Landschaft- oder Stamm-Namens im Munde der
Nachbarn auf das ganze hinterliegende Land und Volk ent-
standen sei. Gerade an dieser Stelle aber localisirt ihn auch
die einheimische Tradition bei Mar Abas, indem sie dem Stamm-
vater der ganzen Nation Haik, als ältesten Sohn Armenak
giebt und diesen im Gegensatze zu Haik’s Niederlassung im
westlichen Landestheile, als ersten König der Araxeslandschaft
Airarat, welche sich bis zur Nordgrenze Mediens ausdehnt, be-
zeichnet.) Denn der Name Armenak ist so offenbar eine
f) Mos. Chor. I. 10: Haik zieht mit seinem Sohne Armenak und
zahlreichem Gefolge aus Babylon nördlich nach der Ebene Airarat,
dann weiter nach Westen nach Hark, wo er Haikasen gründet (vgl.
das Kärtchen). — cp. 12: daselbst hinterläfst er als Nachfolger jüngere
Söhne, während Armenak nach Osten zurückgeht in die grofse Ebene
am Fufse des Aragadz, wo sein Sohn Armajis die Stadt Armavir
erbaut. — Dafs schon vor der persischen Herrschaft, unter der Herodot
Medien bis zum Araxes reichen läfst (wiewohl in diesem nordwest-
lichen Theile, dem späteren Atropatenischen Medien, auch noch manche
unarische Stämme wohnten) wirkliche Meder Wohnsitze selbst nörd-
lich über den Araxes hinaus, bis ins Herz der araratischen Landschaft
innehatten, erkennt die armenische Tradition bei Moses I. 30 selbst
an, für eine Reihe namentlich angeführter, gröfstentheils verscholle-
ner Orte am Araxes (von denen jedoch Naxdzavan und Dzula (Däulfa)
noch jetzt ihre alten Namen bewahren), deren Gründung sie ihrem gros-
sen Nationalhelden Tigran zuschreibt, welcher als Sieger über den medi-.
schen König Aödahak (Astyages) dessen Familie und andere medische
Gefangene hier angesiedelt habe: eine in orientalischer Geschichtschrei-
[1869.] 16
224 Gesammtsitzung
Weiterbildung aus dem Volksnamen Armina durch ein allen
arischen Sprachen angehöriges Suffix'), dafs er als individua-
lisirter Vertreter desselben füglich nur in einer älteren, als
der uns zufällig überlieferten Form der Tradition seine Stelle
erhalten haben kann, während Mar Abas und der ihm nach-
sprechendeMoses, diese klare Beziehung übersehend, zwei ferner-
liegende an deren Stelle setzen: von Armenak wird, in Ermange-
lung jeder anderen lautlichen Analogie, sehr gezwungen der Name
des Gebirges Aragadz abgeleitet und dafür der armenische
Volks- und Landesname auch nicht etwa mit Armajis und Ar-
mavir, welche lautlich noch näher ständen, sondern erst mit
dem siebenten Könige, namens Aram in Verbindung gebracht.
Diesem werden dann (cp. 12—14) weite Heereszüge nach dem
Süden und Westen, namentlich die Unterwerfung Syriens’) und
Kappadokiens und die Gründung der Hauptstadt Mazaka in
letzterem Lande zugeschrieben, — offenbar nur um damit die
Angabe der Entstehung eines aus dem Königsnamen gebildeten
Volksnamens bei den Fremden zu motiviren. Sicher nicht
zufällig werden hier als Eroberungen König Arams gerade das
Land, welches ursprünglich und in einheimischem Sprachge-
brauche den Namen Ardm trug und ein anderes genannt in
welchem wenigstens spätere aramäische Colonisation durch die
bung nicht eben befremdende Umkehrung des wahrscheinlicheren Sach-
verhalts medischer Ansiedelung in Folge der Eroberung Armeniens und
des ganzen Nordens des früheren assyrischen Reiches durch Kyaxares.
1) Welches aber in solchen Namen — denn auch Haik ist analog ge-
bildet — wohl nicht, wie Dulaurier (Revue de I Orient 1860, p..105) meint,
Deminutivbedeutung zu haben braucht, so wenig wie die römische En-
dung in Romulus, Rutulus, Siculus u. a.
2) ghınıludp.p wunpbumwbf Anf. des 14. cp. Die Armenier
haben nur die eine Form Asorik, Asorestan für die beiden griechischen
. Zupta und ’Aroupia; dafs aber hier nicht, wie alle Übersetzer es ver-
stehen, das von den Griechen speciell sogenannte Assyrien am Tigris
gemeint ist, beweist neben der Anerkennung der dauernden Herrschaft
der -Grofskönige von Nineve in Moses Erzählung, die ausdrückliche Er-
‚wähnung der Besiegung des Bar$am, von dessen Sitz am westlichen
Euphrat unten die Rede sein wird.
vom 11. März 1869. 225
griechischen Angaben über die Leukosyrer, wie durch den Ge-
brauch aramäischer Sprache in den Satrapenmünzen der Perser-
zeit bezeugt ist. So viel auch vom Standpunkte heutiger Phi-
lologie gegen die Ableitung des armeniscehen Namens vom
aramäischen (wie sie auch Strabon I, 2, 23, p. 42 C. annimmt)
einzuwenden ist, so kann man eine solche Etymologie einem
'Syrer des 1. Jahrh. wie Mar Abas oder vielmehr, da dieser
nach Moses (I, 14 Ende) die Sage von Aram’s Kriegszügen alten
Liedern entlehnt haben soll, einer noch älteren semitischen
Quelle zutrauen: national-armenisch kann sie in keinem Falle
gewesen sein.
Einer ähnlichen Quelle mufs auch der offenbar semitische,
iin Armenischen durchaus bedeutungslose Name Kadmos ange-
hören, an welchen Moses ausnahmsweise keine etymologische
Deutung anknüpft. In einer wörtlich aus Mar Abas angeführ-
ten Erzählung (I, 10) ist Kadmos der Sohn Armenaks als
lHerscher von Airarat, welches ihm Haik überläfst, indem er
mit Armenak weiter nach Westen zieht; sodann (cp. 11) erfolgt
der Angriff des babylonischen Heeres gegen Airarat nur auf
Kadmos, dem Haik zu Hülfe zieht, ferner nach dem Siege der
Armenier (cp. 12) vertheilt Haik die Beute zwischen sich und
Kadmos, ohne dafs von Armenak die Rede ist, in einer vierten
Stelle endlich, wo Kadmos erwähnt wird (II, 8 Anfang) heifst
sein Stamm mit dem des Sisak geradezu „herschend in
den östlichen Gegenden an den Grenzen der haikanischen
Sprache“ (yupkıky [19 Inydlubk gbgkpp Susyluhulı froufg) —
er erscheint mithin als Repräsentant des ganzen Ostens
des Landes, ohne Zweifel nur weil sein semitischer Name wie
in a=p und &4p ">= keine ethnische, sondern nur die geo-
graphische Bedeutung Osten zulälst. Derselbe Sinn scheint
wieder in der Angabe cp. 14 zu liegen, dafs das Geschlecht
des Kadmos in Assyrien hersche: kaum kann hier der alte
Erzähler denselben Heros meinen, dem er früher Airarat als
Erbtheil zugewiesen hat, vielmehr bezeichnet er damit Assyrien
als das von seiner Heimath (Syrien und Mesopotamien) östlich
gelegene Land. Dafs jene poötischen Stücke des Mar Abas
zu den jüngeren Bestandtheilen seines Werkes gehören, zeigt
übrigens die erst durch griechische Vermittelung überkommene
16°
226 Gesammtsitzung
Form des Namens Kadmos, so dafs für die angebliche alt-
assyrische Quelle schwerlich etwas anderes als die einfache
Namenreihe übrig bleiben wird.
Diese nun verzweigt sich von Armajis, dem Sohne Ar
menaks, auf Amasiaj den etwas gezwungenen Eponymen
des Berges Masis, und Sa r, den Archegeten einer Nebenlinie,
als deren Erbtheil „die fruchtbare reich bewässerte Ebene an
der Nordseite des Gebirges Aragadz, das Länd von Sirak“
genannt wird (cp. 12 Mitte). Dieser Name hat sich an der-
selben Stelle in der Form Soregel bis heute erhalten und
wird von Ptolemaeos als Zıoazyvy an die gleiche Stelle gesetzt, er
findet sich aber auch an verschiedenen Stellen des Orients in
alter und neuer Zeit bezeugt, welche es zweifelhaft lassen, ob
man für ihn, ohne seine Bedeutung nachweisen zu können,
arischen oder anarischen (turanischen, skythischen) Ursprung
beanspruchen dürfe.')
Unter den’ Enkeln des Armajis, ist Arast merkwürdig,
weil von ihm der Name des Hauptstromes Ost-Armeniens ab-
geleitet wird, den die Armenier selbst Erasy, die Georgier
(Iberer) Raysi, die Griechen "Ag«&ys schreiben. Abgesehen
von der Trübung des vokalischen Anlauts, dessen «a sowohl
in dem Namen des Eponymos als in der griechischen Schreib-
1) Beide Annahmen lassen zu Zıpaxnm in Hyrkanien (Ptol.) Fırwa
in Parthien (Isidor Char., jetzt Seraxs), Siricae in Kappadokien (Itin.
Ant.), ja selbst das Volk der Zipaxeg oder Zipaxot (Zıpayoı der tanaiti-
schen Inschrift C. I. Gr. I. 2132e, Zıpaxnvot bei Ptol.) am Ostufer der
Maeotis, in einem Gebiete wo arische und anarische Stämme von Alters-
her durcheinander wohnten, und selbst letztere leicht mit arischen Namen
bezeichnet werden konnten. Der nur aus den römischen Itinerarien be-
kannte Ortsname Siracellae in Thrakien, wofern er nur demselben Wort-
stamme angehört, würde allerdings für arischen Ursprung entscheiden.
Aber selbst eine turanische Niederlassung, wenn sie von dem grofsen
Skythenzuge des 7. Jahrh. zurückgeblieben wäre, könnte leicht lange vor
‘ der Zeit der Aufzeichnung jener Bruchstücke altarmenischer Tradition
‚n überwiegend arischer Bevölkerung verschwunden sein, unter blofser Zu-
rücklassung eines Namens, der dann, wenn er nur geographisch dem Um-
fange des ältesten Armeniens angehörte, unbedenklich von Mar Abas oder
schon von einem früheren Autor jenen nationalen Genealogien eingefügt
werden mochte.
vom 11. März 1869. 227
art bewahrt ist,') wird die armenische Form des Flufsnamens
für ursprünglicher gelten müssen, als die wohl nur euphonische
Umstellung der Gutturale vor die Sibilans im Georgischen und
Griechischen.”) Alle drei aber stimmen wenigstens überein im
festhalten des Gutturallautes,?) statt dessen der Name des Heros
auffallender Weise dentalen Auslaut zeigt. Will man nicht in
dieser, leider der einzigen Stelle, wo er genannt wird (Mos TI, 12),
einen Schreibfehler annehmen,*‘) so verlangt jene Differenz eine
Erklärung, die sie wohl nur in der Annahme einer Modification
1) Dasselbe Herabsinken eines offenen «a im Anlaute zu e zeigen
die älteren griechischen Transsceriptionen ’AxıAtoyvy, "Apvavdyg (Herod.IV,
166, und noch im Pahlavi Aruvandu, Oppert Journ. Asiat. XVIII, 564)
verglichen mit der im 5. Jahrhund. auftretenden armenischen Schreibart
Erovand, Ekeleats, eine Aussprache die Procop (Pers. I, 17) und
die Coneilien-Unterschriften consequent durch ’ExeAsonvy ausdrücken.
2) Die griechische Form kann leicht, wie in vielen ähnlichen
Fällen, bedingt sein durch die Bekanntschaft der Berichterstatter (schon
Hekatäos und Herodot) mit fast gleichklingenden Namen ihrer Heimath,
wie "Aro£a in Lykien, "Arukos Vorgebirg der Peloponnesos, "Apa&oı Volk
in Illyrien, ja ’Araeng selbst als Flufsname, angeblich des thessalischen
Peneios (woran Strabon XI, p. 531 verwegene Hypothesen über thessa-
lische Abstammung der Armenier knüpft), deswegen auch das Vorkom-
men desselben Flufsnamens in Persis (Strab. Curt.) und Mesopotamien
(Xenoph. Anab. aber hier gleichbedeutend mit dem bekannten semitischen
Namen Chabor) keinen Schlufs auf die Sprache gestattet, welcher der
Name ursprünglich angehörte; auch ist eine befriedigende Erklärung des-
$elben aus arischer Etymologie meines Wissens noch nirgend gegeben wor-
den; der von Spiegel (Ausland, 1864, S. 367) zur Vergleichung ange-
führte, aus dem Avesta bekannte Flufsname Rarha scheint mir doch
lautlich zu weit ab zu führen.
3) Der nur in der erweichten, zuerst durch die arabischen Geographen
des Mittelalters bezeugten, bei Persern, Türken, Armeniern jetzt gewöhn-
lichen Aussprache Aras ganz geschwunden ist.
*) Die Ausgaben, auch die neue der Mechitaristen (deren kritischer
Apparat allerdings noch viel zu wünschen läfst) bemerken keine Variante;
die Annahme einer Verwechsclung der Zeichen für x und £ aber ist
selbst in der jüngeren Minuskelschrift (du in) nicht unbedenklich, in der
Majuskel der älteren Hss. (Ju Ss) kaum denkbar.
228 Gesammtsitzung
des einheimischen Namens durch fremde Aussprache oder die
Anlehnung an einen ähnlich klingenden, aber ursprünglich ver-
schiedenen Namen findet. Und hier glaube ich in der That
die einzige sprachliche Spur aufgefunden zu haben, welche auf
die wirkliche Benutzung einer altsemitischen Quelle durch Mar
Abas hinweist: ich kann es nicht blofsen Zufall zuschreiben,
dals Arast fast unverändert derselbe Name ist, mit welchem
in den assyrisch-babylonischen Texten der Dareios-Inschriften
das Armina des persischen Textes wiedergegeben wird: Urastu.
In den dem 8.—7. Jahrhunderte angehörigen Inschriften von
Nineve und Umgegend, also im nordassyrischen Dialekte, lautet
derselbe Name bekanntlich mit geringer lautlicher Abweichung
‘Urartu; ın beiden Formen ist, nach übereinstimmender Auto-
rität französischer und englischer Assyriologen, der Anfangs-
vokal vollkommen sicher gelesen, mufs also altsemitischer Aus-
sprache angehören; ') wie ihn in derselben alten Zeit, als sie
ihn zuerst kennen lernten, die Hebräer aussprachen, wissen wir
nicht, aber die masoretische Vocalisation mit & wird wenigstens
für mehrere Jahrhunderte früher schon durch die griechische
Übersetzung bestätigt.?) Noch früherer Zeit gehörte Herodot’s
Transscription ’AArgodıoı an?) welche er aber, wenn auch zu
!) Dafs der Anfangsvokal von Arast erst der Lesung des Moses
angehört und in seiner syrischen Quelle nicht ausgedrückt war, braucht
kaum erinnert zu werden, vielleicht aber ist es nicht überflüssig zu be
merken, dafs das Armenische überhaupt den helleren Laut an der Stelle
‘dunklerer Vocale entlehnter Wörter liebt, wie in dem wohl erst unter
den Arsakiden eingeführten Aramazd, aus Auramazda, welches damals,
nach dem griechischen ’Rpoudöng zu schliefsen, sicher schon mit ö ge-
sprochen wurde, in Zradaöät gegenüber Zarathustra u. a.
2) Da die bekannte Stelle der Genesis (wo die LXX "Apapar schreiben)
chronologisch unbestimmbar ist, zuerst sicher in der Erzählung von der Flucht
der Söhne des assyrischen Königs Sanxerib nach dem Lande Ararat bei
Jes. 37, 38 (LXX. eig ’Appeviav) und II. Reg. 19, 37 (LXX. eis yav "Apa-
par) dann als Feind der Könige von Babel Jerem. 51, 27 (LXX. Baei-
Asıa "Apapi9).
3) Dafs die Alarodier, ein Namen, welchen alle Interpreten He-
rodots und Bearbeiter der herodotischen Geographie bis jetzt unerklärt
gelassen haben, im östlichen Armenien zu suchen sind, ergiebt sich aus
y
i
vom 11. Marz 1869. 229
Babylon, doch trotz des uniranischen und blofs euphonischen
? eher aus persischem, als aus semitisehem Munde überkommen
haben mag. Den Armeniern selbst endlich ist vom Beginn
ihrer Litteratur dieser Name in der alterthümlichen volleren
Orthographie Airarat (der Diphthong nach heutiger Aussprache
= a) bekannt, welche nach aller Analogie die älteste und
ursprünglichste Aussprache wiedergeben mufs, so dafs die
übrigen als durch Verschiebung des Accents bewirkte Verkür-
zungen erscheinen. An der sachlichen Identität ist ebenso-
wenig ein Zweifel: der einheimische Gebrauch hat die ursprüng-
lichste Bedeutung festgehalten, wie sie die mythische Erklärung
bei Moses I, 15 = Araji-dast (Ebene des Araj) andeutet')
als Bezeichnung der grofsen vom Araxes in seinem Mittellaufe
durchströmten, bergumschlossenen hohen Ebene,”) des "AgaErvov
zsöicvn der griechischen Autoren, deren Fruchtbarkeit und Men-
schenfülle diese und die einheimischen wetteifernd erheben; es
ist in der That, wie ein Blick auf die Karte lehrt, die einzige
gröfsere Ebene des ganzen im Verlaufe der alten Geschichte
von Armeniern bewohnten Landes, ?) die einzige, in welcher
ihrer Stellung in der XVIII. Satrapie des persischen Reiches neben den
Saspeiren, den Bewohnern des Grenzlandes von Kolchis, d. i. des nord-
armenischen Gebirgslandes Sper, und den Matienern, deren Landschaft
vom Araxes längs des Tigris bis an die Grenze Kissiens reichte (wie ich
Monatsb. 1857, S. 138 nachgewiesen habe): zwischen beiden bilden sie
so das einzige mögliche Verbindungsglied und dafs neben ihnen "Apuevie
die XIII. Satrapie bildet (während in den Inschriften des Dareios der
Name Armina geographisch das Ganze begreift) ist kein Widerspruch,
da die Reichseintheilung, wie sie Herodot überliefert, offenbar die schon
mehrfach veränderte seiner Zeit, nicht die ursprüngliche des Dareios ist.
!) Sachlich ganz richtig, aber nicht sprachlich, da der durch Ebene
erklärte zweite Theil des Namens im Armenischen keine Bedeutung hat,
während art, welches „Feld, Ackerfeld“ bedeutet, doch nur einen
unvollkommenen Anklang bietet.
?2) Die ihr an Ausdehnung nahekommende Thalebene des oberen
-Tigris, wiewohl lange Zeit politisch zu Armenien gehörig, blieb doch,
wie üınten gezeigt werden soll, eine Eroberung auf fremdem Boden.
3) S. die von Indäidzi, Alt-Armenien, S. 376 ff. gesammelten Stel-
len der älteren Historiker, welche‘ von einem königlichen Gau Airarat
230 Gesammtsitzung
eine das ganze Volksgebiet zusammenfassende und noch da-
rüber hinaus ihre Eroberungen tragende königliche Macht sich
bilden konnte. Daher denn schon bei Jesaias die Bezeichnung
als Land (y8) bei Jerem. als Reich (n>>==) während daneben
noch Minni (Miwv«s des Nikol. Dam.) und fast gleichzeitig bei
Ezechiel Togarma als andere Theile Armeniens, offenbar im
Süden und Westen, erwähnt werden; ebenso das Urartu der
assyrischen Inschriften aus Sargons Zeit für ein Land und
Reich verschieden von dem in Südarmenien näher der assy-
rischen Grenze gelegenen Reiche von Van;') dagegen unter
den Persern Urastu schon ganz Armenien umfassend. Wenn
auch diese letzte Form zufällig nur aus Monumenten bekannt
ist, deren Aufzeichnung mehrere Jahrhunderte später fällt, als
die der assyrischen, worin Urartu erscheint, so würde sie
doch nach allgemeiner sprachlicher Analogie des Lautwechsels
(armenisch gavar‘, das Wort mit welchem kleinere Landesabtheilungen,
otearnylaı oder praefecturae bei Plinius, deren es an 200 gab, bezeichnet
werden) gleichbedeutend der Araxes-Ebene reden, verschieden von der
nahang Airarat der Geographie des Moses, d.i. einer und zwar der
gröfsten der 15 Provinzen, in welche erst gegen Ende der Arsakiden-Her-
schaft das Reich eingetheilt worden zu sein scheint; in diesem Sinne ge-
hören dazu auch Sirak und Basean am oberen Araxes und eine Menge
kleiner umliegender Gebirgsgaue. Die aus Misverständnis der allbekann-
ten Genesis-Stelle entstandene Übertragung des Namens auf die höchste
Gebirgsgruppe des Landes, die von den Armeniern zu jeder Zeit nur mit
dem Namen Masis bezeichnet worden ist und von den griechischen
Autoren andere, vielleicht persische Benennungen, erhält (Bapıs = vE-
rezat, hoch?), ist bekanntlich den Einheimischen stets ebenso fremd ge-
blieben, wie den älteren Commentatoren, da noch St. Hieronymus ganz
richtig Ararat eine „regio campestris per quam Araxes Auit ineredibilis
ubertatis“ nennt, ist aber von europäischen Philologen, wenn auch fast un-
ausrottbar verbreitet, doch nicht zuerst erfunden, da schon die LXX.
. den status constr. vn »"m ungeschickt durch Ta opn ra ’Apapadr über-
setzen und ein pseudosibyllinisches Orakel, wenn auch mit localer Über-
tragung nach Phrygien, von einem „Alßarov ravuunxeg opog "Apapar redet.
Aber dafs auch P. de Lagarde (ges. Abh. S. 170) vom Berge Ararat
spricht, mufs billig befremden.
1) Oppert et Menant, fastes de Sargon, S. 36 ff.
vom 11. März 1869. 231
von s und r als die ältere gelten müssen, sie hat daher völlig
den Anschein, aus dem Flufsnamen (Arast als euphonische
. Veränderung des einheimischen Arasy, in semitischem Munde
angenommen) erst ebenso gebildet zu sein, wie die Griechen
dasselbe Land nach dem Flufse als ’ApaEyvöv mediov bezeichnen.
Der Übergang des s in r im Dialekte Nordassyriens, welches
mit Armenien natürlich in engerem Verkehr stand, als das ent-
fernte Babylon, erklärt sich dann als Assimilation an den aus
ganz anderer Wurzel entstandenen, nur zufällig ähnlich klingen-
den Landesnamen Airarat, daher denn für diesen der syrische
Autor einen anderen Eponymen als für den Flufs in seinen
Stammbaum einfügen mufste.
Von den weiter abwärts in der Genealogie folgenden Na-
men haben nur zwei eine historische Bedeutung als Vertreter
des östlich an Airarat grenzenden Gebirgslandes: Amasiaj’s
Sohn Gelam und dessen jüngerer Sohn Sisak'). Ihre Wohn-
sitze bezeichnet Moses a. a. O. bestimmt genug: Gelam zieht
gegen Nordost jenseit der Berge um die Ufer des grofsen Sees,
der mit seinem Gestadeland fortan den Namen Gelak'uni führt,” )
Sisak erhält das Land östlich (genauer würde es heifsen: süd-
‚ östlich) vom See bis zum Durchbruch des Erasy, durch Eng-
schluchten des Gebirges zur Ebene des Küstenlandes. Befrem-
!) Der ältere heifst Harmaj, ein Name, dessen Bedeutung früh
verschollen sein muls, da Moses keine Etymologie daran anknüpft
(s. Langlois, Collection des hist. de l!’Arm. I, P. 16 Note 6, sieht darin
dieselbe Wurzel des Volksnamens, wie in Armenak, Armajis, Aram, was
doch des gutturalen Anlauts A wegen bedenklich scheint). Nur ganz be-
schränkte Örtlichkeiten bezeichnen Harmaj’s Sohn Gar'nik (Gar’ni, Schatz-
feste der arsakidischen Könige) und Amasiaj’s jüngere Söhne Pfar’'ox
und 7’solak, deren völlig durchsichtige Namendeutung (glänzend, leuch-
tend) schon auf jüngere Entstehung hinweist, so dafs sie ihre Stellung
im Stammbaum wohl nur der Lage der angeblich nach ihnen benannten
Ortschaften Pfaraxot und Tsolakert am Fufse des Masis (des
nach Amasiaj benannten Berges) verdanken.
?) Der zufällige Anklang dieses N amens (mit Ausschlufs der ersten
Sylbe) scheint die griechischen Eroberer zur Übertragung des aus dem
makedonisch-illyrischen Grenzlande bekannten Seenamens Avxvinıg auf
diesen See (so bei Ptolemäos) veranlafst zu haben.
252 Gesammtsitzung
dend ist nur der Zusatz, dafs nach Sisak das Land Siunik
benannt sei, welches die Perser genauer Sisakan nennen,
und dals in diesem Lande noch zu Moses Zeit die von Valar-
sak, dem parthischen Eroberer, als Fürsten eingesetzten Nach-
kommen Sisak’s herschen. Specieller noch wird dann in Va-
(arsak’s Geschichte (I, 8) Aran, ein Nachkomme Sisak’s
als Fürst des „nordöstlichen Theiles, an den Grenzen der hai-
kanischen Sprache sowohl des Berglandes am Erasy, als der
von den Aluank' (Albaniern) bewohnten Ebenen am Flusse
Kur“ genannt und. unter den kleineren Landschaften, deren
Fürsten von ihm ihre Abstammung ableiteten, neben einigen
nicht genauer bekannten, namentlich Uti oder Oti (Dry) und
Gardman, deren Lage am Kyros auch aus anderen Quellen
bekannt ist. Es ist nicht klar, ob Moses jene Angaben schon
in seiner syrischen Quelle vorfand, oder, wie von den letzten
‘wahrscheinlich, aus anderen Nachrichten und aus der leben-
digen Kenntnis der Zustände seiner eigenen Zeit hinzufügte,
und ob unter dem persischen Namen sSisakan ein schon seit der
Perserherschaft der alten Zeit, vielleicht gar den Medern vorhan-
dener oder vielmehr ein erst unter den Parthern und Neupersern
eingeführter Sprachgebrauch zu verstehen sei: in letzterem Falle
müfste man allerdings mit P. de Lagarde') die ganze von
Moses aufgezeichnete Tradition für „jung und werthlos* er-
klären. Aber die schon von Saint Martin versuchte, ?) von
Langlois’) wiederholte, von Lagarde neuerdings durch scharf-
sinnige Combinationen vertheidigte Vergleichung dieses Sisakan
mit Strabon’s Saz«ryvy mus ich aus geographischen und sprach-
lichen Gründen zurückweisen. Nicht allein durch die hand-
schriftlichen Lesarten an vier Stellen und durch die wenig ab-
weichenden Formen bei Plinius*) und Ptolemäos (in Nazerzrır,
1) Gesammelte Abhandlungen, S. 155.
2) Memoires sur I’Armenie, vol. I, p. 143. 209.
3) Collection des Historiens de l!’Armenie, vol. I, 1867, p. 21, not. 2,
p- 48.
4) Sacassani soll Plin. nach Lagarde aus einem bereits (kaum
-ein paar Decennien nach der Abfassung) willkürlich corrigirten Exem-
plar des Strabon geschöpft haben, während er doch diesen Griechen un-
vom 11. März 1869. 238
verschrieben) wird jener Name gegen die vorgeschlagene Emen-
dation in Sısazavy geschützt, sondern, was von jenen Kritikern
übersehen worden ist, auch durch die genau entsprechende
armenische Form Sakasen'!) in der dem Moses zugeschrie-
benen Geographie: so heifst daselbst ein Distrikt der längs
der Kur gegen die albanische Grenze gelegenen armenischen
Provinz Uti oder Öti, deren Name von dem gleichnamigen
kleineren Distrikte (der ’Qryry am Kyros bei Ptol. u. Steph.
Byz., Odızie bei Strab. XI, 14. 14 p. 531) eine weitere Aus-
(dehnung erhalten hatte. In völliger Übereinstimmung damit
giebt auch Strabon (Il. c. $. 4 p. 525) Sakasene als neben Al-
banien und dem Kyros, bis gegen Gogarene hin gelegen an;
die aufserordentliche Fruchtbarkeit, welche er an andern Stellen
rühmt (II, 1, 4 p. 73, XI, 7, 2 p. 503) findet sich auch heute
noch in dem schmalen ebenen Striche am Flufse des Gebirges,
während die daneben längs des ganzen Laufes des Kur sich
ausbreitende Steppenebene für die Niederlassung eines No-
madenvolkes, wie die Saken, vorzüglich geeignet war;°) daher
ter den zahlreichen von ihm benutzten Werken nirgend anführt, also
offenbar gar nicht gekannt hat.
1) Wörtlich „Saken-Anbau“, von &inel „bauen“, so dafs nur
das letzte n, nicht wie in zahlreichen andern Landschaftnamen des Orients
m griechische Endung ist. St. Martin hatte im Pariser Ms. dieses
Werkchens die falsche Lesart Sikasen gefunden und edirt (Mem. sur
Arm. I. 326, II. 366), die richtige giebt aber schon seit 1822 Indzi-
dzis geographisches Werk (S. 340) und seit 1843 die Ausgabe der
Mechitaristen; auch in P. Leon Alisan’s neuerer Beschreibung Grofs-
armeniens (Venedig 1855) steht so richtig S. 85 $. 167, so dafs die alte
Lesart im Verzeichnifs der Distrikte S. 24, no. 151 wohl nur Druck-
fehler ist. 7
2) St. Martin, Mem. I. 142.
°) Die Epoche dieser Niederlassung setzt Lagarde seiner Hypothese
zu Liebe gleichzeitig der parthischen Eroberung Armeniens, nach der
strabonischen Stelle XI, 8. 4 (p. 511) über die Eroberungen der Saken,
worin allerdings auch Baktrien erwähnt wird, aber sicher keine chrono-
logische Bestimmung gegeben werden soll, da die noch der vorpersischen
Zeit angehörigen Kimmerier und Treren Kleinasiens gleichfalls darin auf-
234 Gesammtsitzung
auch heutiges Tages wieder dieselbe Ebene ihrer ganzen Aus-
dehnung nach von tatarischen neu eingedrungenen Stämmen
eingenommen ist, während im Berglande die armenische Be-
völkerung sich erhalten hat. Gerade diesem Berglande gehört
dagegen Sisakan, oder das damit ziemlich gleich bedeutende!)
Siunik an, dessen Name nur im weiteren Sinne, weil die ar-
menische Eroberung der östlichen Landschaften bis zum Kur
von hier ausgegangen war, zuweilen auf dieselben mit ausge-
dehnt wird, wie diefs auch indirekt in der angeführten Stelle
des Moses über die Abstammung der dortigen Fürstenge-
schlechter von Sisak geschieht. Das eigentliche ursprüngliche
Sisakan ist nicht an der nordöstlichen, sondern an der süd-
östlichen Grenze Armeniens gegen Medien hin, am Araxes zu
suchen, wo auch ein Gau der späteren, zwischen Siunien und
der Ebene der Kaspier gelegenen Provinz Artsay, in Moses
Geographie unter dem Namen Sisakan erwähnt wird.) Da-
treten; .auch ist es übel, dafs jene Hypothese nur durch die gewaltsame
Änderung von Ilepowv in Zvpwv in der darauf folgenden Erzählung von
dem Vordringen der Saken bis nach Kappadokien gerettet werden kann
und dafs von einem so weiten westlichen Vordringen jener innerasiatischen
Nomaden in einer historisch doch ziemlich bekannten Zeit keine andere
Geschichtsquelle das mindeste weils. So scheint es denn räthlich, auch
für die Ansiedelung in Armenien die Epoche der einzigen älteren be-
kannten grofsen Skythenwanderung im 7. Jahrhundert v. Chr. als spä-
testen Termin beizubehalten. : I
1) Nämlich Gelak’uni, der auch ebenere Striche enthaltende nörd-
liche Gau am grofsen See, den Moses Geographie mit zu Siunien rechnet,
darf man sich, da es einen eigenen Stammheros hat, von Sisakan aus-
geschlossen denken; unterschiedslos brauchen beide Namen die armeni-
schen Historiker des Mittelalters, Stephanos Orpelean und Johannes Ka-
tholikos (s. die Stellen bei /ndäidz, A. A. p. 229— 231) für das bis ins
13. Jahrhundert bestehende nationale Fürstenthum, damals noch das ein-
zige in Ostarmenien (die Apxovtes ns Zuvns bei Constant. Porphyr.), des-
sen Bestehen selbst noch in der Periode türkischer Einwanderungen be-
weist, wie schwer zugänglich dieses Land fremden Eroberern stets blieb.
?) Indädzi A. A. p. 309; demselben benachbart ein anderer Gau
P'ar'nes, dessen Fürsten bei dem mittelalterlichen Historiker Asolik auch
Fürsten von Sisakan genannt werden; dieser Name P’ar'nes scheint
er
{ vom 11. März 1869. 235
raus folgt, dafs Sisakan jedenfalls auch eine einheimische Be-
nennung war die nur, wie in so vielen ähnlichen Fällen, im
Munde der Grenznachbarn, also hier der Meder und später der
Perser, eine geographisch erweiterte Bedeutung erhielt, die
offenbar erst im Mittelalter auch in den einheimischen Sprach-
gebrauch überging: ein fremder, nicht armenischer Ursprung
des Namens selbst ist daraus aber mit nichten zu folgern.')
So zeigt sich das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des
ächt armenischen, d. h. des von Medern und Persern zunächst
mit dem Namen Armina bezeichneten, in der einheimischen
Tradition durch Armenak von Haik abgeleiteten Stammes be-
schränkt auf das mittlere Stromgebiet des Araxes oder die
Ebene Airarat mit den sie unmittelbar in Ost, Nord und West
umgebenden Berglandschaften.”) Daneben kennt die Sage weiter
westlich eine zweite Gruppe der armenischen Urzeit angehö-
riger Localnamen, welche sie unmittelbar auf Haik, nicht erst auf
Armenak zurückführt, also chronologisch höher hinauf zu rücken
scheint, obne doch in ihrer Fassung die Erinnerung an eine
spätere Niederlassung auf fremdem Boden zu verleugnen. Denn
ausdrücklich heifst bei Moses (I. 12) Armenak ältester Sohn
Haik’s im Gegensatz zu den jüngeren Xor und Manavaz,
in der strabonischen Lesart Pavvirıs (XI, 14. 5) zu stecken, womit eine
armenische Landschaft neben Kaozıavy (in O.) und Basoporneda (Vaspu-
rakan in W.) an der Grenze Medien’s bezeichnet wird; wenigstens fin-
det sich unter den 180 Gaunamen bei Moses kein anderer ähnlich klin-
gender, denn Haband, ein Doppelgau von Siun.ik und Artsax liegt
doch lautlich noch weiter ab.
1) Lagarde’s Vermuthung, dafs die Sylbe si, von der Siunik‘ durch
das im Armenischen gewöhnliche Suffix -un? gebildet sei, den eigent-
lichen Landesnamen enthalte, sakän aber als persische Pluralform des
Sakennamens zu erklären sei, setzt doch allzukühn die neupersische (eigent-
lieh semitische) Art der Zusammensetzung voraus, in einer Zeit aus der
uns eine ächtarische Composition mit demselben Volksnamen in dem
Zaxacravn des Isidoros (Segistän, Seistän) in Ost-Erän bezeugt wird.
2) Die obere Araxes-Thalebene gehört offenbar nicht mehr dazu,
denn ihr einheimischer Name Basean ist der Tradition fremd und Xeno-
phon als Augenzeuge kennt die Phasianer als ein fremdsprachiges nicht
zur armenischen Satrapie gehöriges Volk.
256 Gesammtsitzung
denen Haik die erst von Airarat aus eroberten westlichen Ge-
biete anweist'): von jenem stammt das dem Gau an der Nord-
ostseite des Sees von Van gleichnamige Fürstengeschlecht der
Xoryorunik‘, von diesem das der Manavazeank‘, dessen Sitz in
oder neben dem Gaue Hark’ durch die Stadt Manavazakert
(noch jetzt Melazgerd) bestimmt wird, von seinem Sohne Baz
das der Beznunik am Nordwestufer des Sees. In Hark
aber am östlichen Euphrat weils die Tradition überdiefs von
einem direkten Denkmale des Urpatriarchen Haik in dem von
ihm erbauten, auch sein angebliches Grabmal bewahrenden Orte
Haikasen („Haik’s Bau“), welches man ohne allen Grund als
Ausgangspunkt des ganzen haikanischen Stammes hat deuten
wollen. Was in der That im Sinne der Überlieferung vorliegt,
ist eine doppelte Anknüpfung localer Namen mittelst irriger Ety-
mologie: der Name Hark‘, wörtlich „Väter,“ den Moses I, 10
als Wohnsitz der von den Urvätern T’orgom und Haik abstam-
menden deutet, ist offenbar mit der Form Haik selbst, als ob
dieselbe aus dem sing. hair, Vater, durch das Deminutivsuffix
gebildet sei, in Zusammenhang gebracht;?) der Ortsname Hai-
kasen, ebenso wie ein anderer analog gebildeter aus der öst-
lichen Nachbarschaft, Haikaberd (Haik’s Burg) sollen nach
einheimischer Ansicht den Namen des Archegeten bewahren,
während sie in der That nur den damit identischen Namen
des Volkes selbst enthalten’) und ebendadurch, wie zahllose
1) Es ist ganz gegen diesen Wortlaut des Autors und nur eigne
Combination, wenn Dulaurier (Rev. de l’Or. l. e. p. 98) die Tradition
von einem Zuge Haik’s (der von Babylon kommt) aus dem Tigristhale
unmittelbar nach Har!: am Euphrat und von dort erst nach der Araxes-
Ebene gelangen läfst, was allerdings natürlicher scheint.
2) Diese auch neuerdings wieder aufgebrachte etymologische Spie-
lerei, sollte doch durch Fr. Müllers einzig richtige Erklärung (hair: hai
— patr: patı, also hai —= Herr) definitiv beseitigt sein.
3) Denn dafs haik in der That nur eine gleichbedeutende Neben-
form des einfachen haj ist, ergiebt sich aus den abgeleiteten und zusam-
mengesetzten Wörtern, harka-kan, haika-zean „armenisch“, haika-zarm,
haik-azn, haik-azean „armenischen Stammes“, neben haja-zin, haja-tsi,
haj-eren „armenisch“, hajastän „Armenien“ u. a.
vom 11. März 1869. 23T
‚analog gebildete Ortsnamen anderer Sprachen, beweisen, dafs
sie zur Zeit ihrer Entstehung, wenn nicht aufserhalb des arıne-
nischen Volksgebietes, doch auf der Grenze desselben lagen.
Am deutlichsten ist dieses von der „Armenierburg* Haika-
berd, deren Umgebung geradezu Hajots-dsor. „der Armenjer
Thal“, (so schon in mythischer Beziehung auf den Sieg des
Haik über das Heer des babylonischen Belos, Mos. I, 11) oder
zusammen gezogen Hajudsor') genannt wird; diese Örtlichkeit
gehört dem Hochlande im Osten des Sees von Van an, der
Landschaft, welche als Provinz des späteren armenischen Rei-
ches und im Mittelalter als eigenes Fürstenthum Vaspurakan
hiels; dafs dieser Name, wiewohl er unter den Einzelnamen
der Gauen nicht erscheint, schon älteren Ursprungs ist, be-
weist die offenbar durch gräcisirende Umdeutung daraus ent-
stellte Form Baroscreö« bei Strabon.”) Diese Landschaft aber
nennt der griechische Autor neben den östlich benachbarten
am Araxes, Phaunitis und Kaspiane, ‘von denen schon oben
die Rede gewesen ist, als eine Eroberung des Artaxias auf
medischem Gebiete und übereinstimmend damit setzt Ktesias
Xavwr, d. i. Van, die durch ihre assyrischen Monumente be-
rühmte Hauptstadt des Reiches, welches uns die Inschriften
Sargon’s im 8.—7. Jahrh. in dieser Grenzlandschaft am See
als selbständig neben Urartu bestehend zeigen, nach Medien’).
In der That also bezeichnet, wie ein Blick auf die Karte
zeigt, die Lage der „Armenierburg* Haikaberd für die ältere
Zeit schon die äufserste südliche Grenze des ächt arme-
1) Indzidzi A. A. p. 199. Alisan, Beschr. von Armenien (Vene-
nedig 1858) p. 94. Nerses Sarkisean (des ersten europäischen Reisenden,
der die Örtlichkeit verificirt hat) Reise nach Klein- und Grofs-Armenien,
Venedig 1864, p. 250 u. Karte.
2) Was St. Martin entgangen, von Indzidzi aber (A. A. p. 136) schon
richtig bemerkt worden ist. |
3) Vgl. was ich darüber Monatsb. 1859, S. 139 gesagt habe. Dals
Herodot den grofsen Zab aus den Gebirgen Armeniens entspringen
läfst, steht damit nicht in Widerspruch.
238 Gesammtsitzung
nischen Gebietes oder selbst einen Aufsenposten in fremdem
Volksgebiete, nämlich medischem oder karduchischem.!)
Ebenso aber darf für dieselbe Zeit Haikasen am östlichen |
Euphrat als westliche Grenzmark Armeniens angesehen wer-
den. Denn die den Gau Hark‘ zunächst westlich oder strom-
abwärts begrenzende Thallandschaft Tarön, bezeichnet Strabon
in der mehrerwähnten Angabe der Eroberungen des Artaxias
als ein syrisches Land’) und auf syrische Bewohner in |
1) Das aus Xen. Arnab. so wohlbekannte Volk der Karduchen selbst
nennt Steph. Byz., darin vielleicht auch dem Ktesias folgend, geradezu
ein medisches, und mit Recht, sofern die kurdische Sprache noch jetzt
ein näheres Verhältnifs zum eranischen Hauptstamme bezeugt, als die ar-
menische. Daher ist es auffallend, dafs in der armenischen Tradition
(Mos. I. 15) zu Ende der ersten Periode von zehn Patriarchen, als Sohn
des Königs Araj, ein Kardos erscheint, dessen Name ihn doch unzwei-
felhaft als Archegeten dieses Volksstammes kennzeichnet: dafs er in die-
ser Form einer griechischen Quelle entlehnt ist, beweist die Endung,
während der helle Vocal der Stammsylbe auf eine ältere syrische deu-
tet, da die Syrer Xardu, die Armenier Xordu sprechen, — daher bei
Strabon und den späteren, deren Nachrichten über dieses Volk über Ar-
menien her eingezogen sein müssen, regelmäfsig der dunklere Vokal, in
den Formen Kopdovnvot, T’opdunvoi, T’opdvaloı und dem daraus abstrahirten
Archegeten T'op&vg, während das ältere KapdoVxo: aus der auf syrischem
Sprachgebiete zuerst vernommenen Singularform und der armenischen
Pluralendung X’ zusammengesetzt scheint. Aber die freien Karduchen der
älteren Berichte werden so bestimmt von den Armeniern unterschieden,
selbst die Gordyäer erscheinen noch in römischer Kaiserzeit, wenn auch
abhängig von Armenien, doch unter ihren eigenen Stammfürsten, dafs
man überhaupt nicht begreift, was sie in der armenischen Urgeschichte
zu thun haben. Sollte vielleicht die genealogische Anknüpfung an den
Namen Araj ein Mifsverständnifs des syrischen Autors sein, der sie in
einer älteren Quelle (wie bei Herodot die Meder) als einen Stamm der
Arier bezeichnet gefunden haben konnte?
2) Die Erwähnung der Chalyben, Mosynöken, Kataonen als früherer
Besitzer der westarmenischen Landschaften zeigt, dafs der Autor Volks-
gebiete, nicht politische Grenzen meint; auch kann das syrische Reich
der Seleukiden umsoweniger verstanden werden, als demselben ja ganz
Armenien unmittelbar vor Artaxias Erhebung angehört hatte. Tapwvtrız
vom 11. März 1869. 2339
älterer Zeit deutet ebenso die Sage, welche den Namen auf
die Niederlassung eines Patriarchen Tarban, Sohnes des Sem
zurückführt.') Den Namen dieses Noachiden glaubten die Ar-
menier ebenso in dem des Hochgebirges zu finden, welches sich
südlich der Thalebene von Tarön, das Euphratgebiet von den
Tigriszuflüssen trennend, erhebt; es wird von Moses (I. 23)
unter dem Namen Sim als südwestliche Grenze des ältesten
Armeniens gegen Asorestan (Assyrien und Syrien) und als
Wohnsitz assyrischer Geschlechter bezeichnet, die ihre Ab-
stammung auf Sanasar, den nach Assyrien flüchtigen Sohn San-
herib’s zurückführten.°) Dafs aber die ganze südliche Ab-
dachung des Gebirges nach dem oberen Tigris zu und die von
diesem durchströmte Thalebene altsyrisches Land war, würden
schon die überlieferten Localnamen beweisen,?) wenn auch nicht
ein ausdrückliches Zeugnils aus dem vierten Jahrhundert von
den Raubzügen der Hunnen in das von Syrern bewohnte Land
oder Tapavyirıg bleibt aber die einzig mögliche, einen bekannten Namen
herstellende und darum mit Recht von den Herausgebern aufgenommene
Änderung der verderbten Lesart Tapuwvirız, trotz Lagarde’s Widerspruch
(ges. Abh. S. 188 Note 1), dessen Grund, dafs Tarön keine Grenzland-
schaft Armeniens sei, durch das oben beigebrachte wohl einige Einschrän-
kung erleidet und dessen gewaltsame Emendation Tlavfavirızg die Sache
nicht bessert, da die Landschaft Gozan am Chabur im mittleren Meso-
potamien zu keiner andern Zeit, als während der kurzen Vereinigung
ganz Syriens mit Armenien unter Tigranes II. zu diesem Reiche gehört
haben kann.
1) Mos. ],6. II, 74, angeblich nach Olympiodoros. Tarban schliefst
sich lautlich eng genug an die ältere noch bei Prokop vorkommende
Form Taraun, für deren Diphthong erst im 12. Jahrhundert die arme-
. nische Schrift ö setzt.
2) Aus dem Namen Sanasar (im A.T. Sar-eger) soll nach Ansicht
der Armenier der des Gaues Sasun am südlichen Abhange des Gebirges
entstanden sein, der sich in dem von Hrn. v. Moltke besuchten Zasu bis
_ jetzt erhalten hat; zwischen Sasun und Tarön liegt das Gebirge Sim
auch nach Aristakes von Lastiverd und Thomas Ardzruni bei Ind
AulA.ıp- 70.
3) z. B. OeAßaAavn bei Ptol., Thalbasaris, Nararra in der Tab. Peut.
Maipherakta u. a. bei den syrischen Kirchenschriftstellern.
[1869.] | 17
240 Gesammtsitzung
von Arzun, Maipherakta, Amid und Hanazet (arm. Handzit‘)
spräche.') Unter dem, unzweifelhaft von dem wichtigsten und
centralen Gau Arzn ("Aggavyvy der byzantinischen Autoren) ab-
geleiteten, nur dialektisch verschiedenen Namen Aldsn, plur.
Aldsnik'‘, erscheint dieses ganze Tigris-Gebiet in der dem Moses
zugeschriebenen Geographie als eine der 15 grofsen armenischen
Provinzen, während dasselbe, worauf schon Indäidzi (A. A. 65 ff.)
mit Recht aufmerksam macht, schon bei älteren Autoren —
Faustus Byz., der die häufigen Empörungen der Aldsnik‘ gegen
die armenische Herrschaft erzählt, und Elisaeus — geradezu
neben Korduk‘, Albanien, Iberien als ein gewissermalsen selbst-
ständiges, Armenien coordinirtes Land (asyarh) bezeichnet
wird: ohne Zweifel wegen des nicht armenischen Charakters
der Bevölkerung.?) |
Vielleicht ist eine Spur solcher im Westen den Armeniern
vorangegangener semitischer Bevölkerung, wie wir sie eben
am östlichen Euphrat in Tarön nachgewiesen haben, auch am
westlichen Arme dieses Stromes noch weiter gegen Norden zu
verfolgen: wenn nicht in der Sprache, so wenigstens im Cultus.
In dem schon dem eigentlichen „Hocharmenien“ (Bardsr-Haik
in Mos. Geogr.) angehörigen Gebirgsgaue Daranali im Orte
T’ordan wurde, wie Agathangelos in der Geschichte der Be-
kehrung Armeniens durch den H. Gregor berichtet, der „weils-
glänzende (spitakapar) Gott Barsamin?) verehrt; sein
Bild war hier nach Moses (II. 14, wo der Name Barsam
lautet) von König Tigran II. im 1. Jahrh. aufgestellt worden,
1) Dionys. Patr. ad a. 706 (375 p. Chr.) bei Assem. I, 249.
2) Dafs dieser Landestheil schon bei Herodot und Xenophon, wie
ich früher nachgewiesen habe (Monatsb. 1857, S. 131 ff.), mit unter
dem Namen "Apuevia begriffen wird, also wohl auch schon im Beginn
der persischen, vielleicht schon unter der medischen Herschaft dazu ge-
rechnet wurde, ist natürlich nur für die damalige administrative Begren-
zung, nicht für die ethnographische beweisend. |
3) So die unzweifelhaft bessere, auch durch das Basaununs der grie-
chischen Übersetzung gestützte Lesart, welche die Mechitaristen in ihrer
Ausgabe von 1843 nachträglich S. 669 anführen, statt des S. 585 im
Texte stehenden Barsimnia.
vom 11. März 1869. 241
‘der es aus Mesopotamien entführt hatte. In der Mythenge-
schichte dagegen (I. 14) heifst derselbe Barsam ein ge-
waltiger Riese, den König Aram in den Ebenen von Aso-
restan (Assyrien oder Syrien) geschlagen, und den die Syrer
unter die Götter versetzt haben. Den semitischen Charakter
des Namens haben zu dieser Stelle schon die Whistons be-
merkt; namentlich in der volleren Form bei Agathangelos läfst
sich der allgemein semitische Himmelsgott Baal-samin nicht
verkennen. Die scheinbar historische Notiz über die Errich-
tung des Bildes berechtigt nicht an eine ebenso späte Einfüh-
rung des Oultus zu denken; da wir im übrigen Armenien überall
nur den nationalen arischen Göttern‘) begegnen, so scheint der
syrische Cultus vielmehr einen Rest semitischer Bevölkerung
zu bezeugen.
Auch sonst fehlt es in dieser Westhälfte des späteren ar-
menischen Reiches nicht an Zeugnissen für die Mischung mit
fremden ethnischen Elementen: wie schon Xenophon als Augen-
zeuge die Bewohner des Nordwestens, Phasianer, Chalyber,
Taocher, deren Sprache der des Armenischen kundige Dolmetsch
nicht mehr versteht, von Armenien ausschliefst, so bezeichnet
Strabon einen ferneren Aufsenring von Grenzlandschaften als
erst durch Artaxias mit Armenien verbunden: Akilisene als
ursprünglich kataonisch, Derxene und Karenitis als chaly-
bisch (chaldäisch), die Paryadres-Landschaft (die er andrer-
wärts Syspiritis nennt, das Gebiet der Saspeiren bei Herodot)
und die nördlichsten Grenzgaue gegen Kolchis Gogarene und
Chorzene?) als früher zu Iberien gehörig und seine Angabe
1) Vahagn und Astlik in Tarön, Vahagn neben den von den Per-
sern entlehnten Aramazd und Anahit in Airarat, Mikr (Mithra) unter
den Parthern eingeführt in Derdian und der Haupttempel der Anahit in
Erez im Gau KEkeleats (’"Axıdıcyvn oder ’Avairıg) unmittelbar nördlich
an Daranali angrenzend, so dafs wir im KEuphratthale die Grenze
zyrischen arischer und semitischer Götterverehrung ziemlich genau be-
stimmen können.
?2) Diese ausdrückliche zweimal wiederholte Bestimmung der Lage
erlaubt nicht mit früheren Erklärern an Xordsean (Procop’s KopLıavnun)
in der Nähe der Vereinigung der beiden Euphratarme zu denken; der
ie.
3
242 Gesammtsizung
wird in Beziehung auf die letztgenannten nördlichen Land-
schaften noch durch die Erfahrung des heutigen Tages bestä-
tigt, denn die oberen Thäler des Kur und des D£oroy, (Akamp-
sis der Alten) bewahren bis jetzt theils ausschliefslich, theils
mit armenischer Mischbevölkerung, die georgische oder iberische
Sprache. Gegen Westen dagegen, über den Euphrat hinaus,
ging schon der vorhistorische Zug armenischer Volksbewegung,
der diese Nation unter dem phrygischen Namen bis an die
europäischen Gestade trieb, der sich dann nach der Unterwer-
fung Ostarmeniens unter das intolerante neupersische Reich im
5. Jahrh. und noch intensiver seit dem Eindringen türkischer
Stämme im 10. Jahrh. wiederholte und massenhafte armenische
Ansiedelung in Kleinasien, besonders im östlichen Theile des-
selben, zur Folge hatte. Diese westliche Richtung war der Wan-
derung des Volkes schon durch die natürliche Gestaltung des
Bodens vorgezeichnet, indem die Hochebene und die in west-
östlicher Richtung streichenden Flufsthäler des Innern der Halb-
insel ebenso bequeme Wege darbieten, wie die in derselben
Hauptrichtung streichenden mächtigen Randketten, des Tauros
im Süden, des Paryadres im Norden, schwer übersteigbare Hin-
dernisse der Erreichung der Küstenländer entgegenstellen, daher
wir die türkische Einwanderung im Mittelalter derselben Rich-
tung folgen sehen: schnell wurden über die innere Hochebene die
Westküsten der Halbinsel erreicht, viel später erst die Gebirge
und Küstenländer in Süd und Nord den griechischen und arme-
nischen Besitzern entrissen. Armenische Bevölkerung wird sich
bezeichneten Lage dagegen entspricht der zur Provinz Gugark gehörige
Gau Klardik, georgisch Älardieti, in vollerer und wie es scheint älterer
Form bei Agathangelos KalardzK (p. 624 des Textes der Mechit. Kadapeoi
der griech. Übersetz. ed. Stilting, Act. Sanct. Sept. Vol. VII. p. 390);
nach dieser Form wird es wohl gerathen sein, die an derselben geogra-
“ phischen Stelle in der ptolemäischen Karte stehende Landschaft Karap-
Cnvy oder Korap&yvy (deren Namen A. v. Gutschmidt, Rhein. Mus. 1864
S. 384, auf den Partherkönig Gotarzes zurückführen wollte) in Kadap-
Cnvn zu verbessern und Strabons XopCyvn als weitere Entstellung davon
durch Verwechselung mit dem angeführten ähnlichen Gaunamen zu
nehmen.
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u vom 11. März 1869. | 243
I
N
also auch schon in vorhistorischer Zeit im Euphratthale und
weiter westlich an geeigneten Stellen erobernd und herrschend
niedergelassen haben, aber nicht zahlreich genug, um alle die
oben hervorgehobenen Reste früherer Bevölkerung sich zu assi-
miliren. Folgerichtig wird auch uns die Westhälfte des späteren
Armeniens als ein später erobertes Land, die Osthälfte und
namentlich der Kern des Landes um die Araxesebene als der
_ ältere Sitz dieses Volkes gelten, und die bei Moses aufbewahrte
Tradition, indem sie diese Thatsache anerkennt und die Grenzen
der ältesten Niederlassung durch die in der Mythe aneinander-
gereihten Namen genauer umschreibt, als ein nicht verächt-
liches Dokument historischer Anschauung syrischer Gelehrten
aus einer Zeit, über welche nur wenige uns zugängliche geschicht-
liche Überlieferungen über den Orient hinaufreichen.
Darauf machte Hr. Pinder unter Vorlegung einer Photo-
- graphie Mittheilung über die Trümmer von Sanchi Tope in
Bhopal in Central-Indien.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. 24. Band. 3. Heft.
1868. 25. Band. 1. Heft. 1869. Stuttgart 1869. 8.
Neues Lausitzisches Magazin. 25. Bd. 2. Heft. Görlitz 1869. 8.
"Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinen-Wesen. XVI.Bd. 5. Lf.
Berlin 1868. 4. Mit Beilage.
Max Schultze, Die Stäbchen in der Retina der Üephalopoden und
Heteropoden. (Bonn 1869.) 8.
Bavaria: Landes- u. Volkskunde des Königreichs Bayern. V. Band.
3. Abth. 3. Theil. München 1868. 8. Mit Ministerialschreiben
vom 5. März 1869.
Annuaire de l'academie royale de Belgique. Bruxelles 1869. 8.
American Ephemeris and Nautical Almanac for 1870. Washington
1868. 8.
244 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse”
Archives du Musee Teyler. Vol. 1. Harlem 1868. 8.
Mancini, Osservazioni e scoverte sopra l'imperatore Pupieno. Napoli
1869. 8.
15. März. Sitzung der physikalisch - mathe-
matischen Klasse.
v
Hr. Ehrenberg machte folgende schriftliche Mittheilungen:
I;
Über die formenreichen von Hrn. Dr. Jenzsch
aufgefundenen mikroskopisch-organischen Ein-
schlüsse im Melaphyr.
Die von dem Bergrath Dr. Jenzsch in Gotha seit einiger
Zeit im Melaphyr oder Basaltit von Zwickau und in ähnlichen,
selbst porphyrartigen, Gebirgsmassen in Thüringen bei Friedrichs-
rode und bei Halle aufgefundenen organischen Einschlüsse mikros-
kopischer Gestaltung sind mir seit wenig Tagen erst zur eigenen
Anschauung und Beurtheilung gekommen. Die mannigfache
gro[se Schwierigkeit, gleichartige Urtheile von Beschauern eines
und desselben Naturverhältnisses zu erlangen, die ja auch. in
anderen Gebieten oft recht auffällig und störend hervortritt,
steigert sich, wie ich schon seit vielen Jahren lebhaft hervor-
gehoben habe, bei dem Urtheil über mikroskopische Verhältnisse.
Das sogenannte Eozoon, die sogenannte Cholerapflanze, Beurthei-
lung der Hefe, der Zellen und vieler anderer Dinge sind jetzt -
nicht weiter auszuführende Beläge für derartige Schwierigkeiten,
welche mich veranlafst haben eine Rundschau dieser Erscheinun-
gen ohne Arbeitstheilung unter mehrere Hülfskräfte zu versuchen.
Es schien vielmehr immer nothwendig, ein einziges aber scharf
begründetes Urtheil für den Einzelnen in Geltung zu erhalten.
So sind auch im gegenwärtigen Falle die Urtheile weit ausein-
ander gehend und es tritt die Nothwendigkeit hervor, die zur
Kenntnils gekommenen neuen Thatsachen einer übereinstimmen-
den Beurtheilung zugänglich zu machen.
vom 15. März 1869. 245
Aus den neuen Thatsachen ist jedenfalls unzweifelhaft
hervorzuheben, dafs dieselben ein ansehnliches Interesse ein-
schliefsen und eine glückliche Bereicherung unserer wissen-
schaftlichen Kenntnisse sind. Herr Bergrath Jenzsch hat in
krystallhellen, doppelt lichtbrechenden Einschlüssen des Mela-
phyrs sehr zahlreiche Formen nachgewiesen, welche sowohl
unzweifelhafte fragmentarische Pflanzenelemente, als ganz be-
sonders schön erhaltene selbstständige kleine Thierorganismen
darstellen. In einer besonderen kleinen Schrift vom vorigen
Jahre hat derselbe diese Beobachtungen mit vielerlei Details
vorläufig angekündigt und im neuesten Hefte der Dresdener
Zeitschrift Isis findet sich ein Auszug seiner Mittheilungen
vor der Gesellschaft der Naturforscher in Dresden im gleichen
Jahre. Das Wichtige dieser Mittheilungen besteht in einer
scharfen Auffassung sehr eigenthümlicher mikroskopischer
Lebensformen aus einer der jedenfalls früheren Bildungs-
perioden der Erdrinde. Zwar sind dergleichen Erkenntnisse
schon in verschiedenen älteren Gebirgsverhältnissen, in Halb-
opalen der Tertiärzeit, in Feuersteinen, sehr wahrscheinlich
der Kreide, in Hornsteinen des Coralrags und auch in dem
schwarzen lydischen Stein der Steinkohle von Potschappel, im
Bergkalk und in den Grünsanden der silurischen Gebirge fest-
gestellt worden; ja sogar die bisher erkannten Genera der Tbier-
gestaltung waren bis zur Steinkohle den. neu hinzutretenden
keineswegs fremdartig. Dennoch sind meinen Prüfungen ge-
mäls die neu gewonnenen Formen durch ihre grofse Klarheit,
ihre Menge und ihren Einschlufs in krystallhelle quarzartige
Verhältnisse, welche Hr. Jenzsch auch Fettquarz genannt hat,
einer wie sehr auch problematischen und gemischten, doch mäch-
tigen Felsart besonders merkwürdig.
Die mir zur Ansicht vorgelegten Exemplare schlies-
sen sich sämmtlich, so weit sie Thierorganismen angehö-
ren, an die Polygastern- Gattung Peridinium an, deren einige
mit hörnchenartigen Fortsätzen versehen sind, andere fast
kugelrund dergleichen entbehren. Dieselben Verschiedenhei-
ten der Gestaltung finden sich bei den noch jetzt lebenden
Peridinien. Bei den gehörnten fehlen "oft einzelne Hörner
und deren Länge ist sehr verschieden. Ganz ebenso zeigten
246 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
sich im Jahre 1836 schon die Peridinien der Feuersteine und
des Coralrags mit und ohne Hörnchen, wie es 1836 in den
Abhandlungen der Akademie und 1854 in der Mikrogeologie
erläutert und abgebildet ist. Die schön krystallhellen Quarz-
theile im Melaphyr sind trüber in den C'halcedonen und Feuer-
steinen, obschon auch deren Formen, sowohl massenhaft zahl-
reich, als auch hier und da schön erhalten, erkennbar waren.
Sehr richtig wird von dem Beobachter der neuen Verhältnisse
wieder hervorgehoben, dafs sowohl in den Feuersteinen als in den
Hornsteinen des Coralrags Meeresformen beigemischt oder über-
wiegend sind, während die Quarztheile des Melaphyrs nur Süls-
wasserformen einschliefsen. Diese letztere Erscheinung ist auch
am lydischen Stein von Potschappel hervorgetreten und be-
zeichnet die Halbopale von Bilin in gleicher Art. Überraschend
waren mir die vom Entdecker vorgelegten, dicht beisammen lie-
genden Gröfsenverschiedenheiten gleichartiger Formen, welche
unzweifelhaft zu erkennen gaben, dafs bei denselben Jugend-
und Alterszustände nicht differiren. Sehr schön erhalten er-
kannte ich das an seiner Mittelfurche jederseits mit einem wa-
gerechten Spitzchen versehene, nach hinten etwas stielartig aus-
laufende, vorn abgerundete Körperchen, vom Entdecker Tricolos
Melaphyri genannt, welches mich sofort als ein ganz unbe-
kanntes Glied der Peridinien-Gattung ansprach. Ebenso deut-
lich und schön erhalten war das von Herrn Jenzsch mir in
vielen Exemplaren vorgezeigte, von ihm ARynchopristes Mela-
phyri genannte kugelartige Thierchen, welches meist mehrere
dunkelschwarze kleine Kugeln sehr regelmäfsig enthielt. Das-
selbe war in einem Exemplar mit in Zerstörung begriffenen
anscheinenden Zellgewebstheilen irgend eines feinzelligen, orga-
nischen, doch wohl pflanzlichen, Verhältnisses begleitet.
Eine dritte mir vorgelegte Form aus diesen Verhältnissen
ist die von dem Entdecker Tricolos Thuringiae genannte Gestalt,
welche derselbe, wie das erstere, als ein fossiles Räderthier be-
- zeichnet hat. Diese Form soll ein aus einem Futteral hervor-
tretendes grofses Räderwerk mit zwei Respirationsröhren, wie
sie bei Melicerta vorhanden sind, darstellen. Auch diese Form
ist in einigen ihrer Theile sehr deutlich, allein das sogenannte
Futteral erschien mir als ein am Vorderende zweihörniges ge-
vom 15. März 1869. 247
täfeltes Peridinium, welches seiner Natur nach mit dem soge-
nannten danebenliegenden Räderwerke nicht in Verbindung ge-
dacht werden kann und. welches am Hinterende ebenfalls in
einen kurzen Stiel ausläuft. Ich kann nur wiederholen, dafs
diese drei, von mir aufmerksam betrachteten, Gestalten des Me-
laphyrs zu den deutlichsten und best erhaltenen mikroskopischen,
in feste Massen eingeschlossenen, Lebensformen gehören, die ein
um so grölseres Interesse haben, als sie Einschlüsse in ein
grolses massiges Gebirgsverhältnils sind, welches Erdbildungen
-durchbricht und überlagert, die man gewohnt ist in die erste
Bildungsperiode des organischen Lebens einzureihen.
Dafs diese drei Hauptformen, deren Analoga bereits in den
Kreidefeuersteinen von Delitzsch bekannt worden sind, bisher unter
den lebenden und fossilen ganz unbekannte Gestalten sind, welche,
wenn man nicht unmotivirte, mafslose generische Zerspaltungen
eintreten lassen will, nicht anders, als getäfelte oder ungetäfelte,
gehörnte oder ungehörnte Peridinien bezeichnet werden sollten,
erhöht das Interesse, welches sie gewähren. Dafs diese fossilen
Formen sich nach Herrn Jenzsch generisch von der Gattung
Peridinium durch einen convexen mittleren Wulst, anstatt einer
concaven mittleren Rinne, unterscheiden sollen, erscheint mir
nicht als ein wesentlicher Charakter, da diese Furche bei den
lebenden Formen deutlich vertieft und offen ist, bei den fossilen
aber durch inneren und äufseren Druck der Erfüllungsmasse
leicht undeutlich wird. Ebenso mag nun das fragliche Peridi-
nium Monas sammt dem Peridinium Lithanthracis und den Chae-
thotyphlis der Steinkohle, welche 1845 und 1849 verzeichnet
worden sind, eigenthümliche Formen der frühesten Erdbil-
dung wirklich darstellen. Fast mehr noch als die Eigenthüm-
lichkeit der Formen hat mich der zweite Charakter dieser Be-
obachtungen zu einem hohen Interesse bewegt, der Charakter
nämlich, dafs diese deutlichen organischen Einschlüsse durch
ihre auffallende Durchsichtigkeit, sowohl ihrer Linien, als der
Substanz in welcher sie vorkommen, an der Grenze fast alles
des mit der Sehkraft Wahrnehmbaren liegen. Dieser Umstand
gebietet allen Forschern daran zu denken, dafs selbst ganz
durchsichtig erscheinende Verhältnisse fester Stein- und Gebirgs-
arten möglicherweise eine Quelle unerwarteter Aufklärungen
248 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
über feinste Lebensverhältnisse werden können. Über die mir
weniger deutlich anschaulich gewordenen, angeblich reichen Pflan-
zenverhältnisse, deren geringe Klarheit Veranlassung geworden,
dafs man die ganzen Ergebnisse dieser Forschung als unbrauch-
bar ansah (s. Dresdner Tagesblatt. 1869 13. Februar) glaube
ich mit Hinsicht auf das so eben ausgesprochene weggehen zu
können.
Ich kann diese kurze Mittheilung über die neuen Erkennt-
nisse der Verbindung des unsichtbaren Lebens mit grofsen Ge-
birgsmassen und ihren, wie wandelbar man alle Gebirgsmassen
auch ansehen möge, wichtigen Einflufs auf herrschende Vor-
stellungen nicht abschliefsen, ohne nochmals auf jene Hinder-
nisse hinzuweisen, welche durch verschiedenartige Beurtheilung
eines und desselben Gegenstandes von verschiedenen Beobach-
tern die ruhigen wissenschaftlichen Betrachtungen der Natur
beeinflussen. Wenn manche Melaphyr-Einschlüsse nach Dr.
Jenzsch kleiner Schrift: „Über eine mikroskopische Flora und
Fauna krystallinischer Massengesteine 1868* die Vorstellung in
ihm erwecken, dafs nach pag. 19 das pflanzliche und thierische
Leben gleichzeitig, anstatt des Wassers, in einem flüssigen Ver-
steinerungsmittel (colloidale Kieselsäure) bis zum Momente der
Krystallisation sich fortentwickelt habe, dafs Räderthiere mit
ausgespannten Räderorganen in Quarz gebettet klar vorliegen,
dafs man aus halb zerstörten Pflanzen auf unsichtbare sägende
Rüssel und von verschiedenen Gröfsenverhältnissen auf einen
sichtbaren Generationsakt und ein bisher unbekanntes doppeltes
Geschlecht bei Peridinium-artigen Thieren schliefsen dürfe, so
fühle ich mich doch gezwungen, ein Widerstreben meiner Auf-
fassung derselben Gegenstände hierbei auszusprechen. Sobald
man der Phantasie in diesen feinen Einzelheiten der Natur
einen Spielraum gestattet, welcher über die unmittelbarsten An-
schauungen und Ermittelungen auch nur wenig hinausgeht, so
treten alsbald jene Wunderbarkeiten in die Wissenschaft, gegen
welche eben das Mikroskop zu Hülfe gezogen wird. Alle mir
sehr wohlbekannten lebenden Räderthiere haben die Eigenthüm-
lichkeit, dafs sie überaus empfindlich sind gegen die leisesten
Veränderungen ihrer Umgebung, auch der Flüssigkeit, in welcher
sie leben. Dafs bei so tiefen Eingriffen in die natürlichen Ver-
vom 15. März 1869. 249
hältnisse so zarter Formen, wie sie das Versteinern bedingt,
nicht Contraktion sondern Expansion erfolgt sei, ist meinen
Vorstellungen unzugänglich und ich mufs mithin dem Beobach-
ter dieser Verhältnisse, so wenig ich auch vielerlei glatte und
punktirte Linien und feine neben den Peridinien liegende, mir
unerklärliche, Zeichnungen läugne, es überlassen, dieselben
immer klarer zu entwickeln.
Ebenso berühre ich nicht weiter die durch eine lebhafte
Einbildungskraft des Verfassers verzeichnete Conjugation und
Struktur jener algenartigen Gebilde, welche in der Schrift
pag. 12 erwähnt werden, denen etwas Positives und Beachtens-
werthes auch meinen theilweisen Anschauungen nach zum Grunde
liegt, die aber zu klarer Beurtheilung keine Berechtigung geben.
Unerläfslich scheint es mir noch hinzuzufügen, dafs diese
neu gewonnenen Anschauungen nicht besondere mikroskopische
Vorrichtungen dringend verlangen, wie es nach der kleinen
Schrift als Bedingung der Erkenntnils erscheinen könnte. Zwar
sind die von Hrn. Jenzsch angezeigten besonderen Vorrich-
tungen gewils mannigfach förderlich, allein die Formen lassen
sich mit dem gewöhnlichen Schiek’schen Mikroskop, welches
ich meist benutze und somit offenbar mit allen guten Mikro-
skopen scharf auffassen, indem nur die gewöhnlichen Verände-
rungen der Blende und Spiegelbeleuchtung für diese überaus
durchsichtigen Gegenstände verlangt werden. Als ich das far-
big polarisirte Licht auf die krystallhelle Grundmasse, welche
die Körperchen enthält, anwendete, zeigte die Grundmasse sich
mehrfach einfach lichtbrechend, nur am Rande hier und da bei
unregelmäfsigen Bruchflächen sehr lebhaft farbig. Man darf
vielleicht daraus schliefsen, dafs diese Grundmasse nicht ur-
sprünglich krystallinischer Quarz, sondern dem gemeinen Opal
ähnlich war und sich allmälich, wie es 1858 p. 118 in den
Monatsberichten erläutert wurde, in ein krystallinisches, doppelt
liehtbrechendes Verhältnifs umgewandelt hat, wie ja schon längst
bekannt ist, dafs Chalcedone oft nur theilweis eine doppelt
liehtbrechende, krystallinische Eigenschaft besitzen. Da schon
von der Moya von Quito an in sehr verschiedenen trachytartigen
neuen und neuesten vulkanischen Auswürflingen, ja selbst im
eingeschlossenen Schaumstein einer Bombe des Kammerbühl
250 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
bei Eger, mikroskopische Formen in ganz und gar verschie-
dener Anhäufung, nachgewiesen worden sind, auch die leicht
vergleichbaren Süfswasser-Infusorien-Schichten, welche am Ha-
bichtswalde bei Kassel mit vulkanischen Tuffen abwechseln,
sowie auch die am Fallriver in Oregon Porzellanerde genannten
mächtigsten Schichten von Süfswasserformen, welche, nach
Fremont, mit 100 Fufs hohem Basalt überlagert sind, so ist
weniger die Existenz auffallend-heterogener Verbindungen im
Melaphyr überraschend, als vielmehr der Nachweis von organi-
schen Formen in so schöner Erhaltung und deren so eigen-
thümliche von den jetzt lebenden Formen abweichende Gestal-
tung, welche allerdings auf das höhere Alter des Melaphyrs
einen vorsichtigen Schlufs zu machen erlaubt. Es können wohl
diese Formen aus älteren, vom Melaphyr durchbrochenen und
überlagerten Schichten einer früheren Zeit, dem Rothliegenden oder
der Steinkohle, aber nicht aus jüngeren Verhältnissen stammen.
Da schon hier und da die Vorstellung erweckt worden
ist, als existire sogar noch ein mikroskopisches aktives Leben
in Massengesteinen der Gebirge und da die so klar erhaltenen
neuesten mikroskopischen Organismen des Melaphyrs eine solche
Vorstellung begünstigen könnten, so halte ich für nicht unan-
gemessen hervorzuheben, dafs bei keiner der von mir zahlreich
nun selbst beobachteten Formenarten des Melaphyrs irgend ein mit
Speise erfülltes Individuum vorgekommen. Alle von mir ge-
prüften Formen aus dem Melaphyr zeigten sich als leere
Schaalen und nur in dem mit dem unhaltbaren Namen Ryncho-
pristes genannten Körperchen waren schwarze Kugeln sichtbar,
welche zwar von Dr. Jenzsch für Eikeime gehalten worden
sind, die sich aber an die fälschlich für Eier gehaltenen Kugeln
von schwarzem Schwefeleisen und buntem Eisen-Silikat in
leeren Polythalamien-Schalen anreihen,. die ich bei Gelegenheit
des Grünsandes mit Abbildungen erläutert habe, Abh. d. Akad.
1855. p.128 Taf. VII, wenn es nicht vielleicht bei Peridinien mehr-
‘ kammerige Luftblasen sind. Was die angeblichen Räderthiere an-
langt, so fehlt nicht nur Speise im Innern, als Charakter lebender
Formen, sondern auch das der grofsen Mehrzahl dieser Gestal-
ten zugehörige grellrothe Auge sammt den übrigen Organisa-
tionstheilen.
. vom 15. März 1869. 251
Sieht man ab von diesen und ähnlichen Anlässen zu ver-
schiedenartigen unsicheren Deutungen der Lebensverhältnisse
dieser mikroskopischen Formen und vergleicht man damit die
mancherlei Nebel- und Wolkenumhüllungen, welche die Insekten
des Bernsteins nicht selten “begleiten, und die durch Anfangs
vorhandene, allmälig immer kleiner werdende Luftblasen ein
concentrisches Gefüge erlangen können, so ist meinerseits nur
auszusprechen, dafs in der neueren Zeit keine so klare Bestä-
tigung der Existenz mikroskopischer Lebensformen in wichtigen
Gebirgsschichten vorgekommen ist, als die, welche Hr. Jenzsch
so glücklich gewesen im Melaphyr zu finden, zumal seiner Mit-
theilung nach diese Auffindung nicht in Geschieben, sondern in
kleinen, oft aber auch zollgrofsen Einschlüssen des massigen
schwarzen Melaphyrs bei Zwickau, aber auch in Gängen des
Porphyrs in Thüringen und im Porphyr selbst bei Halle, wie
er mündlich mir gesagt hat, stattgefunden hat.
Da sich schon längst der nasse Auswurfsschlamm der
Moya in Quito nicht, wie es dem ersten Beobachter Anfangs
geschienen, als ein Urgraphit aus dem Innern der Erde er-
wiesen hatte, vielmehr als wirkliche, zum Brennen sich eignende
Pflanzenkohle von Gras- und Holztheilen erkannt worden war
und wie ja selbst Pimelodus Cyclopum, als lebender Fisch, im
direkten Auswurfstoffe von Alex. von Humboldt aufgezeichnet
war, so scheint es auch nicht die geringste Schwierigkeit zu
haben, sich den Melaphyr als zähflüssigen Eruptivstoff einer
weit früheren Periode zu denken, welcher mit fremden Ein-
schlüssen sich verbreitet hat. So können ja, unbeschadet alles
Vulkanismus und Plutonismus, in sekundär-quarzigen Einschlüssen
organische Spuren der verschiedensten Art enthalten sein. Solche
organische fremde Einschlüsse sind auch nicht vergleichbar den
öfter vorkommenden metallischen Einschlüssen im krystallinischen
Quarz, etwa wie Gold und Silber. Vielmehr ist auch der
kleinste organische Einschlufs einer geprägten Gold- oder
Silbermünze vergleichbar, zuweilen wohleiner mit Jahres-
zahl versehenen. So sind eben in diesem Falle die erkannten
organischen Formen, weil sie bisher ganz unbekannte Gestal-
tungen, aber doch mit den jetzt lebenden noch übereinstimmende
252 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Gattungs-Charaktere zeigen, von einem besonders erläutern-
den Einfluls. |
Der Name Tricolos für neue Räderthierchen läfst sich
deshalb nicht rechtfertigen, weil die für Futterale gehaltenen
Theile schön erhaltene neue Peridinien-Arten sind, welche
zwar ihrer Täfelung und conischen Gestalt halber einige Ähn-
lichkeit mit Anuraea stipitata der gepanzerten Räderthiere haben,
aber sonst ohne alle Übereinstimmung der wesentlichen Charak-
tere solcher Räderthier-Panzer sind. Auch die sogenannten Weich-
theile der Räderwerke dieser Räderthiere haben zwar einige
‘ Formenähnlichkeit mit solchen hervorstehenden ausgebreiteten °
Räderorganen, allein es fehlt diesen theils glatten, theils punk-
tirten feinen Lineamenten jede Andeutung der starken Musku-
latur solchen Körpers und seines anderweitigen reichen Or-
ganismus. Die Formen mögen als Peridinium Melaphyri
Jenzsch und Peridinium Thuringiae Jenzsch ihre weitere Ver-
wendung und Anerkennung finden, während die feinen Linea-
mente weiterer Entwickelung ihrer andersartigen Bedeutung
entgegensehen, zumal auch die für Zahnplatten im Räderwerk
gehaltenen Theilchen nicht, wie bei den Räderthieren, die deut-
lichsten, sondern die undeutlichsten und unsichersten Gegen-
stände sind.
Was die zierliche Form der zahlreichen Rynchopristes an-
langt, so fehlt den krystallhellen getäfelten Kugeln, welche den
Mittelkranz der Peridinien ebenfalls zeigen, jede Spur frisch
aufgenommener, wie es heilst ausgesägter, Nahrung sammt der
Säge, welches die sichtbarsten Theile des Organismus sein
sollten. Die überaus feinen Befruchtungsorgane, sammt dem
Sperma, habe ich ebenfalls nicht bestätigen können, allein die
dunkelschwarzen Kugeln, welche für Brutkeime gehalten werden,
sind sehr deutlich. Im Jahre 1778 sah Freiherr von Gleichen
solche Kugeln der Vorticellen auch für Eibildungen an, die er
Sekundeneier nannte und deren Auskriechen er zu beobachten
_ versuchte (Infusionsthierchen pag. 270). Es war aber umsonst,
da die Eier die mit Speise erfüllten polygastrischen Magen-
zellen und deren Excremente waren. Ganz ähnliche Kugeln
wurden 1854 für die durch Säure und kaustisches Kali unzer-
störbaren Eier der Polythalamien gehalten (Abhandl. d. Akad.
vom 15. März 1869. 253
1854). Es waren aber dies die Anfänge der Steinkernbildung
die als Eisensilikat nachgewiesen wurden. So erscheinen auch
die Kugeln der Rynchopristes (Peridinium Jenzschü). Da bisher
nie dergleichen wahre Keimgebilde in verwandten Formen nach-
gewiesen sind und diese Kugeln nur Silicat-Anhäufungen oder
- Luft zu sein scheinen, so wird es auch stets eine unfruchtbare
Bemühung bleiben, das Ausschlüpfen der Jungen beobachten
zu wollen. So ist denn die Vorstellung, dafs die neu gewon-
nenen Thatsachen von denen des schon Bekannten wesentlich
abweichen, nicht annehmbar.
Indem ich der Akademie diese Mittheilungen über so merk-
würdige fossile Lebensformen in massigen Gesteinen, von Hrn.
Dr. Jenzsch erkannt, vorlege, bin ich mir wohl bewulfst, dafs
die Mittheilungen des Beobachters, weil sie noch nicht in voller
Umständlichkeit und Klarheit vorliegen, in geognostischer und
mineralogischer Hinsicht noch mancherlei Erläuterungen ver-
langen und gewisse Schwierigkeiten auszugleichen haben. Da
aber kein Zweifel in mir obwaltet, dafs die zur Beurtheilung
gekommenen zahlreichen Formeneinschlüsse völlig klar vorliegen
und von überraschend unbekannter Gestaltung sind, so empfehle
ich diese Thatsachen als einen guten wissenschaftlichen Fort-
schritt, ohne mich den gedruckten Folgerungen und anderwei
tigen Deutungen des eifrigen und verdienstlichen Beobachters an-
zuschliefsen.
1.
Weitere Entwickelungen aus den vom Schiffe
„Germania“ bei seiner Nordfahrt unter Kapitain '
Koldewey’s Führung gehobenen Grundproben.
Nachdem ich im December vorigen Jahres von den 39
Grundproben, welche Kapitain Koldewey eingesammelt hat, die
Nachricht mitgetheilt habe, dafs 17 davon nur gröbere steinige
Elemente ohne Schlammanhang enthielten, so ist seitdem auch
die andere Reihe von 21 Proben mit Ausfall der 22sten in
eine Übersicht gebracht worden, In einer beigefügten Tabelle
werden die Lokalitäten und die Tiefen des Grundes, aus denen
die Proben gehoben worden, anschaulich gemacht; in einer an-
254 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
deren Tabelle verfehle ich nicht die Bestandtheile der Grund-
verhältnisse nach mikroskopischen Analysen aller einzelnen
übersichtlich vorzulegen. Diese Analysen erschöpfen keines-
wegs den Mischungsgehalt jener örtlichen: Bodenverhältnisse,
sondern sind nur geringfügige Vorläufer weiter nöthig werden-
der Forschungen, wenn das Lebensbild jener Gegenden und
Tiefenverhältnisse weiter entwickelt werden soll. Es möge nur
dazu dienen, zu erkennen zu geben, dafs ein vielgestaltiges
massiges Lebensverhältnifs in den Tiefgründen vorhanden ist,
welches sich dem natürlichen menschlichen Auge ganz entzieht.
Da in der genannten zweiten Tabelle alle einzelnen Ört-
lichkeiten in ihrem in kurzer Zeit erreichbar gewesenen Lebens-
gehalt gesondert neben einander gestellt sind, so wird ein ein-
ziger Blick schon hinreichen, die vorherrschenden oder verein-
zelten, daher für das Ganze mehr oder weniger wichtigen klein-
sten Lebenselemente erkennen zu lassen. Im Ganzen haben die
21 Grundproben, von denen meist nur 5, zuweilen aber 10 Ana-
lysen stecknadelkopfgrofser 42" Theilchen, nach der von mir ge-
übten Weise bis in alle Einzelheiten ihrer Elemente geprüft worden
‘sind, 21 Polygastern, 14 namhafte und mehrere jugendliche,
nicht nennbare Polythalamien, 3 Polycystinen, 19 Phytolitharien,
sämmtlich Spongolithen, 2 Geolithien, 5 Zoolitharien und einen
weichen Pflanzentheil ergeben, mithin im Ganzen 24 Formen.
Die schwierige und saubere Reinigung des Tiefgrundschlammes
vom Talg verdanke ich der freundlichen Hülfe Hrn. Rammels-
bergs durch einen seiner Assistenten im. chemischen Labora-
torium der Gewerbe- Akademie.
Aus dem Verzeichnifs ergiebt sich, dafs die vorherrschen-
den organischen Formen jener Tiefgründe Spongolithen und
Polythalamien sind. Eine der Spongolithen-Formen ist mit
Ausnahme von 3 Nummern in allen Proben erkannt worden
und diese Spongolithis acicularis ist die verbreitetste Kieselnadel-
form in allen, ein Kieselskelet führenden, Spongiaceen. Wenn
man nun auch aus dem Vorherrschen und allseitigen Vorkom-
men der Spongolithen zu schliefsen berechtigt ist, dafs im Po-
larmeer jener Gegenden die kieselskelethaltigen Spongien eine
egrofse Entwickelung haben, so ist doch andererseits die Über-
einstimmung der meisten erkannten Formen mit den überall
vom 15. März 1869. 255
sehr verbreiteten aller Meere auffällig. Dennoch giebt es aber
unter diesen Formen einige, welche auf das Vorhandensein bis-
her unbekannter Gestaltungen schliefsen lassen. Zu diesen ge-
hören ganz besonders Spongolithis bifrons n. sp., vielleicht auch
eine Varietät der Spongolithis Pulsabulum und der Sp. clavus
var. b. Da auch der ausgezeichnete Naturforscher Professor
Loven in Stockholm bereits generisch eigenthümliche Schwamm-
formen 1868 aufgezeichnet hat, so bestätigt sich damit dieser
Formengehalt des Porlarmeeres, welcher durch wenige bei Linne-
Gmelin u. A. verzeichnete Formen bekannt war. Die Litho-
‚sphaeren gehören offenbar Schwämmen aus der Gattung Geodia
oder ähnlichen von dort noch nicht bekannten Formen an.
Nächst den Spongolithen befanden sich in 12 der genann-
ten Lokalitäten kalkschalige zuweilen sehr zahlreiche Polytha-
lamien, in 15 Lokalitäten haben sich Polygastern aus der Klasse
der Bacillarien zu erkennen gegeben; ferner fanden sich in 2
- Lokalitäten Polyeystinen und Geolithien in 2 Lokalitäten, be-
sonders ansprechend sind noch kalkerdige Zoolitharien aus 4
Örtlichkeiten, welche Strahlthieren der Klasse der Korallen
oder Holuthurien angehören mögen, vielleicht auch sogenannten
Kalkschwämmen. [I
Das allgemeine Resultat ist, dafs sämmtliche Formen schon
bekannten Thierklassen' angehören und dafs auch im Verhält-
nils nur wenige dieser Formen bis jetzt unbekannt gebliebene
Arten sind. Die Zahl dieser neuen Arten beträgt 8 Polytha-
lamien, 1 Polygaster, 3-—4 Spongolithen, 3 Zoolitharien, zu-
sammen 15—-16 Arten. Besonders interessant ist noch der
Gesichtspunkt, ob in den in Übersicht genommenen Grundver-
hältnissen wirklich lebende Formen vom Grunde gehoben sind.
Es ist kein Zweifel geblieben, dafs in verschiedenen kalkscha-
ligen Polythalamien und auch in kieselschaligen Polygastern
eine gelbbraune weiche Erfüllung bei der Revision derselben
anschaulich geworden ist, so wie sie aus den Tiefgründen der
Davis - Strafse am Eingange der Baffins Bay, ebenfalls und auch
anderwärts reichlich erkannt worden ist. Vergleicht man die
im Jahre 1861 (Monatsbericht pag. 280) von mir der Akademie
vorgelegten Verzeichnisse des Tiefgrundlebens der Davis-Strafse
und ihrer Umgebung nahe dem 60. Breitengrade, so finden sich
[1869.] ar
256 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
in denselben von den dort verzeichneten 189 Formen 18 mit
den jetzigen übereinstimmende Arten. Alle übrigen gehören
aber. nördlicheren, bis dahin nicht gekannten Breitenverhält-
nissen an, haben aber zum Theil eine weitere Verbreitung in
allen Oceanen. Da ich schon im Jahre 1854 in der Mikro-
geologie von Island und auch von Spitzbergen bis ungefähr
zum 79. Breitengrade und später von Assistance Bay und an-
deren Punkten Mittheilungen gemacht habe, so liegt ein beson-
deres Interesse an den noch höher im Norden gelegenen Tief-
gründen, welche die Reise des Kapitain Koldewey berührt hat.
Solche Formen, welche vom 80. bis 81. nördl. Breiten-
grade bis jenseits Spitzbergen aus den Tiefgründen gehoben
sind, betragen nach dem hier mitgetheilten Verzeichnifs im
Ganzen 27 Arten; 13 Polygastern, 9 Spongolithen, 2 Geolithien,
1 Polyeystine und 2 Polythalamien. Alle diese Formen sind
nicht aus sehr grofsen Tiefen, alle unter 100 Faden = 600
Fufs, Recht sehr wünschenswerth wäre es, dafs die von den
schwedischen so verdienstvollen Naturforschern und Seefahrern
neuerlich gehobenen Grundproben aus 2100 Faden Tiefe
— 12,600 Fufs mit aller Sorgfalt ebenfalls mikroskopisch
geprüft würden. Gegen jene alte Vorstellung, dafs das Po-
larmeer ohne Tiefe sei, was durch die unterseeische Hoch-
ebene von Island bis Spitzbergen, welche daselbst eine ge-
ringere Tiefe bedingt, hervorgegangen sein mag, sind nun-
mehr zwei unvergleichbar tiefere Einsenkungen des Grundes,
sowohl in der Davis-Straflse, wo von 12,540 Fufs Tiefe Grund
gehoben und analysirt worden, als von jener Hebungsstelle der
schwedischen Nordpolfahrer, zur Kenntnils gekommen. Der
Mangel an Grundhebungen in früherer Zeit erlaubt an grofse
Irrthümer bei allen Tiefmessungen zu denken und es tritt jetzt
die Vorstellung nahe, als könnte wohl, vom nördlichen Meeres-
grunde: aus gedacht, Spitzbergen ein dem Montblane ähnliches,
- mit manchen anderen gleichartigen Inselerhebungen schroff
enıporsteigendes Alpenland sein. In den Monatsberichten vom
Jahre 1861 ist zu meinem Vortrage über die Grundhebungen
in der Davis-Stralse eine kleine Situations-Karte beigegeben,
in. welcher die damaligen, die unterseeische Telegraphenlinie
betreffenden, örtlichen Untersuchungen vergleichbar sind.
vom 15. März 1869. 257
+ Als allgemeineres Resultat der mikroskopischen Analyse
_ der ‘von der „Germania“. gehobenen Grundproben, läfst sich in
Vergleichung mit den früheren aus dem atlantischen Ocean und
dem mexikanischen Golfe bei Florida und der Davis- Strafse
von 1853 bis 1861 mitgetheilten Ergebnissen besonders hervor-
heben, dafs die damals gewonnene Ansicht über das in der
Tiefe zunehmende Vorkommen der Polyeystinen dadurch be-
stätigt wird, dafs diese neuesten, im Verhältnifs geringen Tief-
gründe des isländisch - spitzbergenschen, unterseeischen Hoch-
plateaus fast gar keine Polycystinen, welche in den grofsen
Tiefen der Davis-Strafse 44 Arten betrugen, vorgekommen
sind und es ist darauf aufmerksam zu machen, dafs in der
grofsen über 12,000 Fufs reichenden Tiefe, jenseits Spitzber-
gen, welche von der schwedischen Expedition gemessen ist,
wahrscheinlich wieder reichlichere Formen dieser Thierklasse zu
erkennen sein werden. Dafs auch hier, wie bei den Unter-
“suchungen der Davis-Strafse, Polytbalamien und Spongolithen
in den weniger tiefen Verhältnissen überwiegend sind, stimmt
wieder mit den 1861 mitgetheilten Beobachtungen sehr gleich-
artig überein.
Ich gehe nun über zu einer hiermit eng zusammenhängen-
den Beobachtungsreihe, betreffend:
| Ben: |
Die mikroskopischen Lebensverhältnisse auf der
Oberfläche der Insel Spitzbergen.
Am 25. Februar d. J. habe ich bereits in der Gesammt-
sitzung der Akademie eine vorläufige mündliche Mittheilung
„über viele in Berlin lebend beobachtete Land- Organismen der
Insel Spitzbergen“ gemacht und halte für zweckmäfsig, diese
Beobachtungen hier unmittelbar anzureihen. Da diese Beobach-:
tungen sich auf jene vielfach besprochenen Erscheinungen des
Wiedererwachens scheintodter Formen zu einem kräftigen Leben
beziehen und es überflüssig erscheinen könnte, den Gegenstand
von Neuem zu behandeln, so ist doch nicht zu übersehen, dafs
in der neuesten Zeit selbst in den Lehrbüchern der Physiologie
und in systematisirenden Schriften sich die Vorstellung wieder
18 *
258 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
verbreitet, als gäbe es unbegrenzte Formenveränderungs- Ver-
hältnisse, welehe der Formenkenntnils und Formbestimmung
ihre frühere Wichtigkeit entziehen.
Schon im Jahre 1701 hatte Leuwenhoek die iishreinni
an wieder erwachenden scheintodten Räderthieren umsichtig be-
obachtet. Needham übertrug sie 1743 auf die Waizen - Alchen
der Fadenwürmer. Man hat sie dann auf die polygastrischen
Thiere, die sogenannten Infusorien, vielfach anzuwenden gesucht
(Guanzati 1796) und auch schon 1776 hat Spallanzani sie auf
die milbenartigen Bärenthierchen (Tardi gradi) ausgedehnt.
Diese sämmtlichen zahlreichen Beobachtungen sind von mir im
Jahre 1838 in dem Buche „die Infusionsthiere als vollendete
Organismen * pag. 492 zusammengestellt worden. Die Beobach-
tungen einiger Formen gingen bis auf 6 Jahre eines sogenann-
ten Scheintodes solcher Thiere. Dieser Zustand wurde aber
von mir weder mit dem Scheintode, noch mit latentem Leben
vergleichbar angesehen, vielmehr als ein fortbestehendes durch
grofse Beschränkung sehr kärgliches volles Leben anerkannt.
Nachdem schon im Jahre 1848 aus süd-amerikanischen
Baummoosen eine durch atmosphärischen Staub vermittelte
grölsere Reihe (gegen 40 Formen) mikroskopischer Thierarten
im todten Zustande beobachtet worden war, (s. Monatsbericht
1848 pag. 213; besond. pag. 273; ausführlicher Mikrogeologie
1854 pag. 337) wurde die Aufmerksamkeit auf die in Moosen
auf Bäumen lebenden mikroskopischen Thiere gelenkt und mit
geschärften Methoden ihre Lebensfähigkeit festzustellen gesucht.
So sind in den Monatsberichten von 1849 pag. 97 13 mikros-
kopische Formenarten festgestellt, die aus Laubmoosen, durch
destillirtes, nochmals gekocht und wieder abgekühltes, Wasser
aufgeweicht, zu schneller lebendiger Thätigkeit gelangten, wie
sie dieselbe in den Blattachseln der Moose selbst nicht gehabt
haben konnten (vgl. Monatsber. 1855 p. 191). Ein besonderer
. Abschnitt ist diesen, als atmosphärisches Leben und: mikrosko-
pische Baumfauna bezeichneten, Betrachtungen in der Mikrogeo-
logie 1854 pag. 43 gewidmet.
Im Jahre 1853 und 1855 ist in den durch die Gebrüder
Schlagintweit auf den Alpen des Monte rosa gesammelten Ma-
terialien, welche mir erst nach zweijährigem Trockenliegen zu-
vom 15. März 1869. ve 259
gekommen, eine sehr reiche Wiedererweckung solchen kümmer-
lichen Lebens in frei bewegte Zustände an Räderthieren ‘von
mir beobachtet und festgestellt worden. In den Monatsberich-
ten von 1853 pag. 336, besonders 1855 pag. 275 ist hiervon
ausführlich Nachricht gegeben.
Im Jahre 1862 wurden in den auf der Reise des Baron
Barnim von Dr. Hartmann 1860 im centralen Afrika bei
Roserres im l1ten Breitengrade gesammelten Schlammproben,
also nach zwei Jahren, eine grofse Menge lebender Rä-
derthiere, auch im eiertragenden und keineswegs abgemagerten
Zustande und sich schlängelnde Anguillulae beobachtet, welche
‚nach langer völliger Trockenheit mit destillirtem Wasser in
Berlin wieder zu freier Bewegung und voller Lebensthätigkeit
gelangten (siehe Beschreibung der Reise des Baron Barnim von
Dr. Hartmann 1865 Anhang p. 77.
So glaube ich denn, dafs eine ähnliche Erscheinung be-
sonders deshalb Interesse haben werde, weil sie den tiefen Nor-
den der Polargegend mit den Alpen der Schweiz und den fast
'aequatorialen afrikanischen Lebenszuständen in Verbindung
bringt. Zu den jetzt mitgetheilten Tiefgrundverhältnissen des
mikroskopischen Lebens hat sich neuerlich noch ein anderes
Element gesellt, welches dem nordischen Lebensbilde eine mehr
abgerundete Gestaltung zu geben geeignet ist. Während die
Meeresniederschläge und Grundverhältnisse in überwiegender
reichster Fülle Meeresorganismen enthalten, doch aber die Flüsse
aller Küstengegenden auch die Süfswasserformen des Luftkreises
in die Meere abspülen, so liegt zugleich ein Bedürfnifs vor,
diese Sülswasser- und Luftkreisformen aller Gegenden als zu-
fällige Beimischungen zu den Meeresformen kennen zu lernen.
In dieser Beziehung ist denn eine Einsicht in das Oberflächen-
leben der Insel Spitzbergen von entschiedenem Interesse. Aus
diesen Gründen wurde von mir das Verlangen ausgesprochen,
auch Moosrasen und Erdverhältnisse Spitzbergens, wo die „Ger-
mania“ gelandet war, zur Prüfung zu erhalten. Durch Herrn
von Freeden, Direktor der norddeutschen Seewarte in Hamburg,
wurde mir mitgetheilt, dafs Moose und Pflanzen der Insel an
Herrn Hofrath Bartling in Göttingen schon im Oktober v. J.
gesendet worden und von demselben erhielt ich alsbald ein
260 Sitzung der physikalisch-matkematischen Klasse
Kästchen mit trocknen Moosen und Erdproben, wie sie bei der
Landung im Belsund in eine Kiste eingeschlossen worden waren.
Da meinen von Herrn Hofrath Bartling speciell darüber einge-
zogenen Nachrichten zufolge, nach Herausnahme der botanisch
nützlichen, zum Theil noch lebenden Pflanzen, die übrigen
Moos- und Erdreste unvermischt und, wenn auch leicht bedeckt,
seit Oktober von: ihm bei Seite gesetzt worden waren, so sind
die mir übersandten Gegenstände wohl als ursprüngliche unver-
änderte Oberflächenverhältnisse der Insel zu betrachten.
Ich habe nun durch Übergiefsung einiger Moosrasenstücke
und Erdproben mit destillirtem Wasser jene von mir schon oft
und in einigen Fällen mit sehr auffällig gutem Erfolge ange-
wendete Methode wieder benutzt, um etwa zu rascher Ent-
wickelung noch taugliche kleine Thiere lebend zur Anschauung
zu erhalten. In drei kleinen Porzellangefälsen aufgeweichte
Moosrasenstücke trübten das Wasser bei ihrem Druck und diese
Trübung wurde in Uhrgläser aufgefangen und nachdem ein Bo-
densatz das Wasser abgeklärt hatte, wurde mit einem feinen
Federpinsel von dem Bodensatz' etwas auf den ÖObjektträger
gebracht. Am anderen Morgen zeigten sich in diesen Boden-
verhältnissen und oft auch an der Oberfläche des Wassers viele
sich lebhaft schlängelnde Anguillulae, verschiedene Oxytrichen
und Arcellen. Bei weiterem Durchmustern fanden sich bis
jetzt folgende nennbare Formen, von'denen zwischen mehr oder
weniger aufgelösten zelligen Pflanzentheilen und gröberen und
feineren Sandkörnchen, sich die zuerst in. der folgenden Reihe
verzeichneten 7 Polygastern mit den beiden Anguillulis munter
bewegten. |
Verzeichnifs der sämmtlichen beobachteten Arten:
POLYGASTERN:
Kolpoda cucullulus.
Oxytricha pellionella?
Stylonichia pustulata ?
Trichodina tentaculata?
Arcella n. sp.?
Monas.
Vorticella microstoma?
Diffiugia areolata
vom 15. Marz 1869. 261
Difflugia microstoma
Eunotia amphyoxis.
Fragillaria striata.
Pinnularia affinis.
— borealis
Stauroneis.
lebende NEMATOIDEN:
Anguillula longicaudis
— . brevieanudis.
ROTATORIA:
Callidina alpium.
Ei eines Räderthieres?
‚1 Acaroid.
Um die volle Sicherheit zu erlangen, dafs auch in dem
aus einer Apotheke bezogenen destillirten Wasser lebende Or-
ganismen sich nicht befanden, wurde ein Theil des Wassers
von Neuem bis zum Kochen erhitzt und nach dem Abkühlen
auf dergleichen ‚Spitzbergensche: trockene Moostheile in einem
reinen Glase gegofsen und die Mündung des Glases mit Pa-
pier überbunden. Auch in diesen Versuchen zeigten sich nach
15 Stunden über Nacht entwickelte gröfse voll ausgebildete
Anguillulae, Oxytrichen u. s. w. Die sorgfältig in ähnlicher
Weise gemachte Beobachtung an inländischen Moosarten von
Berlin‘. ist früher von mir mitgetheilt, wörden und in den Mo-
natsberichten beschrieben.
Es darf hierbei nicht unbemerkt bleiben, dafs in der grofsen
Zahl der von mir bereits in der Mikrogeologie publicirten Analy-
sen von Oberflächenerden aller Erdtheile nur so selten lebende
Formen angezeigt worden sind. und dafs besonders auch eine
sehr grofse Sorgfalt auf die Analsyen der von den Hrn. Schla-
gintweit gesammelten himalayischen Alpenerden von 21,000 Fufs
Höhe gewandt worden, die zwar viele Formen erkennen liefsen,
von denen aber keine wieder zum Leben erweckt werden
konnte. Ebenso waren die Baumformen von Venezuela so we-
nig als die der Cedern des Libanon zu wirklicher Lebensthätig-
keit zurückzuführen.
Es geht hieraus hervor, dafs auch dieses ok
Leben, dessen sehr im Wachsen begriffene Massenerkenntnilse
262 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
immermehr Theilnahme erlangen dürften, keineswegs maschie-
nenmälsig durch Wasser in Thätigkeit versetzt wird und dafs
das Aufquellen mit Scheinbewegung auch bei ihnen scharf un-
terschieden werden mufs von wahrer Lebensthätigkeit, die bald
kärglich, bald reich und in aller Freiheit hervortreten kann.
Die auf den Dächern unserer Häuser in Moosrasen und Dach-
rinnen bei glühender Sonne sich erhaltenden Lebensformen
sterben, wie man jetzt genugsam weils, dann ab, wenn sie
schutzlos solcher Hitze ausgesetzt werden.
So ist denn das Wiederaufleben bei zugeführtem Wasser
keineswegs eine physikalische Erscheinung, welche unter glei-
chen Bedingungen stets eintritt, sondern überall, wo es von
mir beobachtet worden, das Anfachen eines noch nicht erlosche-
nen Lebensfunkens oft unter vielen des Todes Verblichenen.
Dafs i. J. 1844 von der Reise des Kapitain I. Rofs lebende
Formen des Südpols durch Hooker gesammelt, in Berlin lebend be-
obachtet werden konnten (Monatsb. 1844 p.182) und dafs lebende
Formen von New-York in Berlin beobachtet worden, findet sich in
den Abhandlungen der Akademie 1841 p. 333. Zu dem hier
vorgelegten Verzeichnifs der mikroskopischen selbstständigen
Lebensformen von Spitzbergen, von denen 9 wieder vollständig
als ausgewachsene Thierformen zu einem kräftigen Leben zu-
rückgekehrt sind und sich weiter vermehrt haben, möge ‘noch
bemerkt werden, dafs Eunotia amphyowis, Pinnularia borealis
und Callidina alpium als zu den den letzten Polarformen bei-
der Pole und den höchsten Alpenformen verschiedener Erd-
theile gehörend, hervorgetreten sind. Mit der Gesammtzahl dieser
Inselformen beträgt die Summe der aus dem Material der Ger-
mania hervorgegangenen Arten des hiermit bekannt werdenden
kleinen Polarlebens 82 Formen.
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Übersicht der durch die Germania gewonnenen ten,
Ss. |. Sir Sl Season en SE Satreäle sleixe/ialia]|eo
2i2el2)2|2l8l2|8|i#=|=|=|=|1S|5|= [sl Se ee
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Die Ausrufungszeichen deuten zalreiche & & S = 5 & a a = = = = eI|2ı12 8 a = E3
Formen und die Sternchen vor den ll ie = 83 sı|8s|Ie|ia et S iu yo SER ESS [en]
Namen Anwesenheit der gleichen z2|\2 2 z2|2 Z > Z > > = = So S = = R &
Form im Verzeichnifs der Davis- = 3 « “ “ al “ a 5 3 - z| 2| 2 2 z z zız2ı z ®
Strafse 1862 un. 3/8/8/2|28/2]8|2 313 3/e818]8j8]8|ele|.|.
S|=|5)8/RıR aj=jsjejejale). sw) ee
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a)=)5| 2] oloje|ıs|alsiceisisicekhie sis:
1 2 6) 1 2 = S = =
3 6| 17 | 20 2ı |28 2225| 29 | 30 | 31 | 32 8a] 35 | 8 | 97 | 58 ®
POLYGASTERN: 21
Coceoneis lineata 5 ö 5 & ® 5 . R © a > a ö = B ci x 3
_ striata © a . » - I + n
Coscinodisceus u er & & 3 S 5 ö S 5 ° 5 B S c 5 5 . EEE,
* _ subtilis . . . e - H . . “ . & 5 . | + I + Salate
: , SE
Discoplea laevis n. sp. Zee nee in : P e ö “ ö n E : e ö . ala,
— paradoxa n. sp. - ö . E © B . - ö . R B o = . . +?
— punctata E B 5 Salate
Dicetyocha borealis n. sp. +?)| |
* Diploneis Apis (didyma) ö ö . . . e . . . . “ . B [+ Es DiNzE
* —_ glacialis Bear ||...
‚Eunotia amphioxys > & 5 © . R . Ö ö . 6 6 | +
Fragillaria ? 5 5 0 . “ Ban || a. || de
Pinnularia asperula R ö ö ln n . 5 . B 0 . . . - en. ealbaleee
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Surirella Jastuosa : : & 9 R 6 R Ir |
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Calcarına ? 'paradoxa n. Sp. . . . . . > . . o H k . Dr & R . 5 ä n | +
Dexiopora horealis n. sp. N ae ee
Dexiospira borealis n. Sp. R © 5 ö 5 5 5 +|-+ {
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Nodosaria balaenarum n. sp. - . . 5 - . « |: ar
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vom 15. März 1869. 263
"Übersicht der von der ersten Deutschen Nordfahrt
mitgebrachten Proben Seebodens nach wachsender
Breite geordnet.
Die Örtlichkeiten, welche gröberes Geröll ohne Tiefgruudschlamm ergaben,
mithin eine tiefe Meeresströmung anzeigen, sind durch Sternchen bemerkt.
Laufende Datum
Aurashea En Boilımp Schiffsbreite | Schiffslänge Tiefe
24 August 5. 73° 23° N. | 17° 22’W. | 140 Faden
3 3, IP IN.) To AORWe 0200 0,
25 jurnlh 73T wet Te
54 Juni 27. 250.15 Nr). 30, War 2405 5
*19 Juli 6. 75° 20" N. 21,13 ©: 2.05
18 a 79 "32 N. 200 9070: 2 Eupen
21 any: 75 Su 1 o: A
17 RR 159.38 N. .4.239. 94° 0, 30:
20 Be. 7a 39 N. | f3.,48- 0. 4 „
+14 Jans, TI AROT NINO HG! 309°,
*13 Se; 7542 N«lm2230294 O: DON,
*12 nn 252 43 N: ‚212590, 9.0
2 Juni 27. Se a a ae Pe id ser a
*15 Juli 5. 75945/,N3172257750 DER
16 AIR 75° 45 N. | 23° 24’ 0. dan
*11 BR 5.6. N. | 90312 0, rege
*10 ne TI NSINEO U IS RIGARGN ar
*9 4 5; 759 5415:N; or 209,25, Da
3 Juni 27. TA Ho N, +1 2100 1 WW... 150, 5
*g Juli 4. 75° 98.N.., 20° 14 O: BI
’7 IW4 15°:59 N.) 289 55% 0: 304.0,
5 nt 769%:,3,.N»415 199. 47°: O. 8
6 nn 76° 3 N. |. 19,47 © Bor
4 Be 10° SOHN AD GE. 300. 6,
*22 Mn ZEN 19; 35,
*26 August 17 79° A’ N. .| 10° .&,0. iE, .
34 ) 73° 19 ‘N. | 20° 52 0, 3
Ep EYES 79 ıy9 N. | 21° 0 0. ana,
36 53:80 TEL 21954670; DS
20 SEREN| zZ dUN. .. 10, 22 ©. Sn
+28 Eu TI Da N® | 11080, 2,
29 enlıtst7 79° 58’ N. | 11° 46’ O. She,
30 BES 5 N 79°. 59.N. | .11° 52°,0. 38 5;
A 307 0 °N7 13° 582 0. 80
+33 FRAGE 8° ON. | 14° 8 0. 4,
31 on VE 80 Net, ©: 80,
39 September 14. 80° 16’.N. 13° 37 O0. N ,
37 a 1%.1 30°.28. W. 1. 19° 88.0, DON,
38 , LAN SHMITEN. 16957 0. aaa‘
264
Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
‚Hr. Rammelsberg machte eine fernere Mittheilung über
die natürlichen Tantal- und Niob-Verbindungen.
Hr. Dove theilte eine von Dr. Rühlmann in Carlsruhe
ausgeführte Untersuchung über das Höhenmessen mit dem
Barometer mit. Aus Beobachtungen, welche derselbe mit
Dr. Albrecht im Jahre 1864 am Valtenberg in Sachsen
(Höhendifferenz beider Stationen 869 par. Fufs) angestellt hatte
und aus‘ 6 jährigen Mitteln der meteorologischen Beobachtungen,
welche in Genf und auf dem grofsen St. Bernhardt unter Plan-
tamour’s Leitung angestellt werden (Höhendifferenz 2070 Met.)
haben sich folgende Erfahrungsresultate ergeben:
1,
Die aus Barometer- und Thermometerbeobachtungen
gerechneten Höhen sind im Allgemeinen am Tage
wesentlich gröfser als bei Nacht, sie zeigen eine be-
deutende tägliche Periode.
Die barometrisch bestimmten Höhen erreichen ihr
Maximum kurz vor der Zeit der höchsten Tages-
temperatur (also meist gegen 1”), sinken dann rasch
während des Nachmittags, langsamer während der
Nacht und erreichen. ihren kleinsten Werth nahe zur
selben Zeit, wo auch die Temperatur am niedrigsten
ist. Vom Minimum aus steigt die Curve dann rasch
und steil bis zum Maximum ‚gegen Mittag.
Ein kleines relatives Maximum, ungefähr 2 bis
3 Stunden vor dem Minimum scheint mehrfach
angedeutet, tritt aber nicht immer unzweifelhaft
hervor.
Die tägliche Periode zeigt sich ferner nur deutlich
bei Tagen, an denen bei nahe wolkenlosem Himmel
eine regelmäfsige Bestrahlung durch die Sonne bei
Tage und eine ungestörte Ausstrahlung der Wärme
des Erdbodens gegen den kalten Himmelsraum statt-
findet. |
An trüben oder windigen Tagen vermindert
sich die Amplitude der Periode sehr, ohne jedoch
ganz zu verschwinden. Die Grölse der täglichen
!
vom 15. März 1869. 265
Periode ist auch von den lokalen Verhältnissen sehr
abhängig, sie scheint besonders da wesentlich her-
vorzutreten, wo die Aus- und Einstrahlungsfähigkeit
des Bodens für die Wärme grofs, die Wärmecapa-
cität desselben aber gering ist.
Nur für kurze Zeit kann dieselbe durch zu-
fällige Störungen der normalen Verhältnifse Baur
zum Verschwinden gebracht werden.
Der Character der täglichen Periode ist in den
einzelnen Monaten, den sehr verschiedenen Um-
ständen der Jahreszeiten entsprechend, sehr ver-
schieden. Die Sommermonate zeigen sehr grofse
Ausdehnung der täglichen Periode (mit einer mitt-
leren Amplitude von 40Met. bei einer Höhe von
2070 Met.) wärend dieselbe in den Herbst und Win-
termonaten sehr klein wird, im December aber fast
ganz verschwindet (die mittlere Amplitude beträgt
für die gleiche Höhe dann nur noch 15 Met.).
4. ‘Die aus Tages- und Monatsmitteln gerechneten Hö-
hen zeigen eine jährliche Periode. Dieselben sind
im Winter zu klein und im Sommer zu grols. Die
Amplitude der jährlichen Periode ist jedoch geringer
als die der täglichen.
9. Die Jahresmittel meteorologischer Berbacktuiieh
geben Höhen, welche von den wahren Werthen sich
immer nur sehr wenig entfernen.
6. Die Perioden der barometrisch gefundenen Höhen,
die tägliche sowohl als die jährliche, zerfallen in
zwei Theile, von denen der eine, und zwar der bei
weitem grölsern von den Variationen der Tempe-
“ratur und der ‘andere von den Variationen der Ba-
rometerstände herkommt.
Die tägliche und die jährliche Periode der barometrischen
.Höhenmessungen rühren davon her, dafs dem Luftgewichte,
welches zur Basis der Rechnung dient, falche Temperaturen
zugeschrieben werden, wenn das arithmetische Mittel der Ther-
mometerablesungen an der obern und untern Station oder sonst eine
einfache Funktion derselben als Lufttemperatur eingeführt wird.
266 Öffentliche Sitzung
Die Methode,‘ nach welcher diese Temperatur zu be-
stimmen ist, wird der‘ Verfasser in einem besondern Werke
veröffentlichen.
.
18. März. Öffentliche Sitzung zur Feier des
Geburtstages So er des
Königs.
Der an diesem Tage vorsitzende Secretar, Hr. du Bois-
Reymond, eröffnete die Sitzung mit folgender Rede:
Die Akademie feiert nach ihren Statuten schon heute das
nahe Geburtsfest Seiner Majestät des Königs, ihres erhabenen
und huldvollen Beschützers.
Gern sieht unsere Körperschaft alljährlich diese Gelegen-
heit wiederkehren, es öffentlich auszusprechen, dafs sie in der
Zurückgezogenheit ihres Berufes, und in Arbeiten vertieft, für
die es keine Schranke des Staates und Volksthums giebt, sich
doch als ein Glied des Gemeinwesens 'empfindet.
Als eine deutsche Akademie vermag sie, gemäfs einem
der edelsten Züge deutscher Eigenart, das Feld ihrer Thätig-
keit, die reine Wissenschaft, sich nur vorzustellen als das
gemeinsame Arbeitsgebiet der Forscher aller Nationen, offen
wie die hohe See jeder Flagge, nur nicht der Piratenflagge
der Unwahrheit. Sie begreift nicht den Zustand jener Ge-
lehrten des Auslandes, für die nicht da ist, ‘was jenseit
ihrer Sprachgrenze geschieht, geschweige den Chauvinismus in
der Wissenschaft, für den es keine Entdeckungen giebt, als
nationale, und keine Form der Anerkennung fremdländischer
Entdeckungen, als, wo sie nicht länger zu ignoriren sind, deren
. irgendwie bewirkte Nationalisirung. Wie Goethe von einer
Weltliteratur sprach, so lebt die Akademie in einer Weltwissen-
schaft. Im Innersten weltbürgerlich gesinnt, fühlt sie sich als
eine der Mutterlogen jener modernen Freimaurerei, deren Brüder,
über den Erdball verbreitet, am lichten Tage das Werk der
Erhebung und Befreiung der Menschheit treiben, und um sich
vom 18. März 1869. | 267
zu erkennen keines Geheimzeichens bedürfen, nur des Grusses
im Namen der Wissenschaft.
Der heutige Tag aber lenkt von solcher Höhe der An-
schauung, in der sie sonst Luft und Licht sucht, den Blick der
Akademie auf den Boden, in dem sie wurzelt, und erinnert sie
daran, dafs sie die Akademie der Preufsischen Könige ist. Nur
fünfundzwanzig Jahre nach der Schlacht bei Fehrbellin, die
seine äufsere Macht begründete, und nur funfzehn Jahre nach
der. Aufnahme der Refugies, die ihm die ersten bürgerlichen
Culturelemente zuführte, schuf der kleine Brandenburgische
Staat nach umfassendem Plane diese Societät der Wissen-
schaften, wie er, gleichsam im Vorgefühl seiner grofsen Ge-
schicke, weit über seine damaligen Verhältnisse hinaus Neh-
ring’s Zeughaus und Schlüter’s Königsbau erstehen liefs.
Nur ein Menschenalter früher hatte das mächtige Frankreich
seine Academie des Sciences erhalten, das altberühmte Eng-
land seine Royal Society sich bilden sehen. Es ist kein Zu-
fall, vielmehr bezeichnend für den Geist, der die Preulsische
Monarchie in’s Leben rief, dafs die so spät nachgeborne unter
den Europäischen Grofsmächten so des drittältesten unter
den grofsen Gelehrtenvereinen sich rühmen darf. Keine Aka-
demie hat so lange fortgesetzte innige und glorreiche Be-
ziehungen zu dem Fürstenhause ihres Landes gehabt,‘ wie
diese. Während Buffon im. Boudoir einer Pompadour Schutz
für Daubenton gegen Reaumur’s Bedrückungen suchte,
warb der Sieger von Rossbach, der Neubegründer der Akademie
in: dem von ihm neubegründeten Staate, mit seinen eigenen
literarischen Arbeiten um den Beifall unserer Vorgänger auf
diesen Sesseln.. Dann hebt sich vor uns das Bild Alexander
von: Humboldt’s, der während der letzten zwanzig Jahre
seines ruhmgekrönten Lebens zwischen dem musenfreundlichen
Könige Friedrich Wilhelm IV. und der Akademie eine
Verbindung unterhielt, wie nur der seltenste Zusammenflufs
von Umständen und persönlichen Eigenschaften sie ermöglichte.
Warten auch jenseit des Rheines glänzendere Ehren eines
hochgestiegenen Gelehrten, als bei uns; wurden in unserem
bürgerlichen Preufsen Boeckh und Jakob Grimm, Johannes
Müller und Mitscherlich nicht zu Baronen und Pairs er-
268 Öffentliche Sitzung
nannt; was gleicht dem Gefühl tiefen, nie getäuschten Ver-
trauens, mit dem die Berliner Akademie sich — ‘dem
Könige von Preufsen nahen darf! |
Heute, wo nach kurzem, gewaltigem Sturme die‘ See des
Völkerlebens noch immer hohl geht, theilt die Akademie vor
Allem die Empfindungen des Dankes, mit denen die unbe-
fangen urtheilenden Deutschen zu König Wilhelm’s sieghafter
Gestalt emporblicken. Ist es in höherem Sinne tragisch, wenn
herrliche Gaben, edle Gesinnung, mühevolles Streben einem
schleichenden Verhängnifs erliegen, das auf dem Boden gege-
bener, unseliger Verhältnisse durch Schwächen und Irrungen,
aber auch durch Tugenden und löbliche Handlungen des Hel-
den heraufgeführt wird: so war tragisch das Loos des deut-
schen Volkes in der Neuzeit bis vor noch’ nicht drei Jahren.
Mit wie bitteren Gefühlen, 'aus Ingrimm und Verzagtheit ge-
mischt, waren die Deutschen gewohnt, gegenüber dem von Natur:
und Geschichte begünstigten, übermüthigen Auslande ihre Zer-
rissenheit, ihre Ohnmacht einzugestehen! Wie karg erschien
selbst uns, denen doch die Wissenschaft zumeist am Herzen
liegt, der Trost einer angeblichen Ueberlegenheit auf geisti-
gem Gebiete! Aus dieser das deutsche Leben vergiftenden Qual,
in welcher die nach den Freiheitskriegen Gebornen aufwuchsen,
"hat König Wilhelm’s kühner Entschlufs uns erlöst. Sie liegt
hinter uns wie ein böser Traum, in dessen Pein wir. am
Morgen uns nicht mehr hineindenken können. Zum ersten
Male seit langer Zeit schreitet das deutsche Volk erhobenen
Hauptes einher, gleich Einem, der von schimpflicher Anklage
in ritterlichem Kampfe sich gereinigt hat. Die Geringschätzung,
mit der man sonst Deutschland begegnete, ist einer Furcht vor
ihm gewichen, die keinen anderen Grund hat, als dafs man
sich im Stillen bewufst ist, wie frevlen Gebrauch von so’ plötz-
lich erlangter Uebermacht man selber wahrscheinlich gemacht
. hätte. Ja, die schnellen, starken, sicheren Schläge von 1866
haben bewirkt, was nicht unsere Eisenbahnen und Telegraphen,
nicht unser Handel und Gewerbefleifs, nicht unsere Labora-
torien und naturwissenschaftlichen‘ Lehranstalten vermochten:
die Deutschen haben über Nacht aufgehört, dem Auslande ein
vom 18. Mürz 1869. 269
Volk unpraktischer Grübler, in nebelhafte Speculation versun-
kener Schwärmer zu sein.
Für solche Wohlthat also, an der widerwillig auch die 'ehe--
maligen Gegner Theil haben, zollen wir an diesem Tage wieder
unseren Dank dem Manne auf dem Throne, den. das Schicksal
Preufsen zur guten Stunde beschied. Wir zollen den Dank,
ohne an der Gabe zu mäkeln, und überlassen es Anderen, die
Wirklichkeit zu „hassen, weil nicht alle Blüthenträume reiften.*
Denn wir wissen, dafs Nichts in der Welt rein geschieht, dafs
alles Geschehen tausendfältig bedingt wird; dafs, wie unser
Wissen Stückwerk ist, wie es die Kunst nur zu einem mehr
oder minder trüben Abbild des Schönen bringt, so auch im wirk-
lichen Leben der Erfolg stets in. seiner Art beschränkt bleibt.
Darum, nicht aus Urtheilslosigkeit oder Liebedienerei, beruhigen
wir uns, wenn gleich das: deutsche Vaterland, wie König
Wilhelm es uns gab, noch nicht das einst besungene ist;
wenn es durch seinen Staatsbau an ein in der Metamorphose
begriffenes Geschöpf erinnert, welches neben dem Organen für
den kommenden Lebensabschnitt die für den verflossenen noch
ansich trägt; wenn die alte Verwaltungsmaschine sich den neuen
Aufgaben: vielleicht nicht sogleich in allen Stücken gewachsen
zeigt. Viel tiefer jedenfalls schmerzt es uns, dafs im jenseitigen
Lager, zu erneuter Schmach des deutschen Namens, nichts-
würdiger Landesverrath mit. den schlechtesten Leidenschaften
Gallischer Volksart liebäugelt.
Es könnte uns auch betrüben, wenn wir glauben müfsten,
die Neugestaltung Deutschlands werde, wie man nicht selten
versichern hört, einen ungünstigen Einflufs auf das deutsche
Geistesleben im Ganzen und: Grofsen üben.‘ Es wäre traurig,
wenn Deutschland seine Stelle unter den Völkern nur erringen
sollte auf Kosten der Güter, die ihm sonst die theuersten sind;
die in Zeiten der Erniedrigung ihm Trost gewährten und als
Feuersäule den Weg durch die Wüste wiesen; wenn es die
Kleinstaaterei nicht los werden könnte, ohne von der geistigen
Höhe herabzusteigen, die es zum Theil allerdings ihr verdankt;
wenn es nicht aufhören könnte zerrissen zu sein wie Hellas,
ohne barbarisch zu werden wie Rom.
270 | Öffentliche Sitzung
Gewifs ist zu,bedauern, dafs bei jener Neugestaltung schon drei
Universitäten, darunter eine hochberühmte, die Selbständigkeit ver-
loren, vermöge deren sie früher zum Vortheil der Wissenschaft mit
den preufsischen Hochschulen wetteiferten; und es wäre sicher be-
denklich, wenn noch mehr deutsche Universitäten so in Eine Hand
geriethen, ohne dafs ihnen eine Autonomie in der Berufung von
Lehrern bliebe, die sie in Stand setzte, jene nützliche Concurrenz
fortzuführen. Auf alle Fälle beweist die Blüthe der Englischen,
Schottischen, Irischen Hochschulen und Gelehrtenvereine, dafs po-
litische Einheit sich sehr gut mit der Selbständigkeit im Lande
zerstreuter literarischer und wissenschaftlicher Mittelpunkte ver-
trägt. An geistiger Unabhängigkeit übertreffen die Deutschen alle
Völker, auch die Britten, und so ist offenbar dies das richtige Bei-
spiel, nicht, worauf sich die Gegenansicht beruft, die geistige
Verödung der französischen Provinz durch eine Alles aufsaugende
Centralisation. Nie wäre dieser ihr verderbliches Werk ge-
lungen, kennte ‘nicht, wie in politischen Dingen, so auch in
Dingen des Geistes der französische Volkscharakter nur die
beiden Extreme: unbändiges Niederwerfen jeder Schranke oder
knechtisches Beugen unter Despotie. Würde je das deutsche
Volk einer deutschen Akademie der schönen Literatur die un-
bedingte Macht zu binden und zu lösen in der Sprache, zu ca-
nonisiren in der Literatur einräumen, welche die Academie fran-
caise trotz allen Wandlungen um sie her stets besals, und die
ihr auch Hrn. Lanfrey’s scharfe Kritik ihres Wesens in seiner
Geschichte Napoleon’s I. nicht schmälern wird? Hat man
in Deutschland auch nur einen Begriff von der Allgemeingültig-
keit ihrer Entscheidungen, von der Heiligkeit, mit der die offi-
cielle Weihe den Namen eines französischen Gelehrten oder
Schriftstellers umgiebt? Gerade so wenig würde, auch bei
noch so grofsem Übergewicht einer gewaltigen Hauptstadt,
Deutschland je des Vortheiles ganz verlustig gehen, der für
die Entwickelung seines Geisteslebens ihm daraus erwuchs, dafs
die gegenseitige Überwachung zahlreicher, in Aller Augen
ebenbürtiger Pflegestätten der Wissenschaft lange keine Irrlehre
unaufgedeckt, keine Wahrheit verkannt, keine Einseitigkeit ohne
Gegenwirkung, keinen Übergriff ohne Zurechtweisung liels.
vom 18. März 1869, 971
Wenn es erlaubt ist, in der Geschichte aus der öfteren
Wiederkehr derselben Folge von Erscheinungen zu schliefsen
auf ein sie verknüpfendes, stets gleich wirkendes Gesetz, so
dürfte im Gegentheil während der kommenden Jahrzehnde ein
erneuter geistiger Aufschwung unserem Lande bevorstehen. Auf
die Machtentfaltung des Brandenburgischen Staates zu.Ende
des 17. Jahrhunderts folgte die Stiftung dieser Akademie mit
Leibnitz zum Präsidenten. Auf die Machtentfaltung Preufsens
unter Friedrich dem Grolsen folgte, unmittelbar durch ihn
heraufgeführt, eine Glanzepoche der Akademie, und wenigstens
mittelbar durch ihn erregt, eine gewaltige Bewegung der Geister
in Norddeutschland. Auf die dritte grofse Machtentfaltung Preu-
fsens in den Freiheitskriegen endlich folgte unter Friedrich
Wilhelm’s III. erleuchteter Regierung die Entwickelung der
Berliner Universität, und ihr entspriefsend eine Blüthezeit der
Wissenschaft in Preufsen, bei deren Andenken uns, die wir
damals zu den Fülsen der Meister safsen, das Gefühl nie verläfst,
ein Geschlecht von Epigonen zu sein.
Wäre die Hoffnung zu gewagt, so werde auch die jüngste
Entwickelungsphase Preufsens, welche mehr als alle früheren
für seinen weltgeschichtlichen Beruf entscheidend ward, noch
geistige Frucht tragen? Wie bisher in jeder aufsteigenden Pe-
riode unserer Geschichte werde auch diesmal in dem Maalfse,
wie dieser Beruf in den Vorgrund tritt, der wahre preufsische
Geist einen Sieg feiern? Das ist der Geist, der neben dem
preulsischen Heldenthum in Friedrich selber den höchsten
persönlichen Ausdruck fand; der, in anderen Zeiten in anderen
Formen wirkend, für Gewissensfreiheit den grofsen Churfürsten
wider den Dragonnadenkönig in die Schranken rief, und
durch Wilhelm von Humboldt und Altenstein Preu-
fsen zum Staate der Intelligenz erhob. Das ist der kühne freie
klare hochschwebende Geist voraussetzungsloser Kritik, der in
Preufsen nicht blofs in Akademieen sich verschlielst; der Geist,
dessen ungehemmtes Walten auf jeder Stufe der Volksbildung,
in ihr angemessener Erscheinungsweise, so wesentlich zu Preu-
fsens Gröfse beitrug. Gleich dem Blinkfeuer eines Leucht-
thurmes kann dieser Geist zeitweise an Glanz abnehmen, ja
verschwunden scheinen, doch er verlischt nicht; und nach dem
[1869.] 19
272 Öffentliche Sitzung vom 18. März 1869.
früheren Verlaufe der Geschichte zu urtheilen, mufs er jetzt
einem neuen Gipfel der Helligkeit entgegengehen.
So blicken wir für beide, für den Staat wie für die Wis-
senschaft, getrost in die Zukunft, und vertrauen der König-
lichen Weisheit und Stärke, denen schon so Grofses gelang,
und denen wir heute abermals für ein Jahr friedlichen Gedei-
hens zu danken haben. Sei es uns schliefslich vergönnt, sie
über die Schwelle des neuen für sie anbrechenden Jahres mit
unseren heifsen ehrfurchtsvollen Wünschen zu geleiten. Was
immer dies Jahr bringe, Alles was die Herzen in Norddeutsch-
land schlagen macht, findet auch in diesen, der Wissenschaft
geweihten Räumen einen Wiederhall.
Nachdem sodann der Vorsitzende den statutenmälsigen Be-
richt über die Thätigkeit der Akademie während des ver-
flossenen Jahres erstattet hatte, las Hr. Haupt in Abwesenheit
des Hrn. Mommsen eine Abhandlung über die Erzäh-
lung vom Gnaeus Marcius Coriolanus.
MONATSBERICHT
| KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
Aprıl 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.
5. April. Sitzung der philosophisch -histo-
rischen Klasse.
Hr. Riedel las über die Verbesserung der Brandenburgi-
schen Gerichtsverfassung durch den Kurfürsten Friedrich II.
Hr Bekker sprach über misbrauch des apostrophs,
Der apostroph wird im Grichischen gesezt zwischen zwei
wörter, deren erstes seinen endvocal aufgibt um nicht hiatus
zu machen mit dem anfangsvocal des zweiten: r«ür’ 2do£&’ dta0eg-
zevsıv. wie weit die scheu vor dem hiatus reiche, dürfte für
die prosa schwer sein fest zu stellen: handschriften wenigstens
geben darüber keine sicherheit, stimmen vielmehr in den mei-
sten fällen weder mit sich selbst überein noch unter einander:
in versen dagegen, zumal in Attischen, scheint apostrophirt zu
werden so oft irgend vocale. sich begegnen, bisweilen sogar auf
kosten der verständlichkeit. so lesen wir bei schauspildichtern
_pronominalformen in unzal elidirt: |
us 0 dmarraku boßw US ©’ OAcmevov arevw cbeü\zys
E) ); J NE J ’ 27 3.2.3 ’ [7] )
Avams' ws ©’ Emoreipw marcı ws a’ amazısy Ws
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[1869.] 20
274 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse
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Außdos WMooRANS ©’ aryırv tasgos ?Eorguvsı:
begreifen wir aber wie das schon in seiner volständigkeit win-
zige c&, nun gar noch beschnitten und eingeschnürt, seines vo-
cales verlustig und seinen consonanten von dem voraufgehen-
den selben consonanten kaum im stande abzulösen und zu un-
terscheiden, also zugleich entseelt und halb entkörpert, wie
solch ein dem or so gut wie ganz entzogenes wörtchen den-
noch habe gehört und verstanden werden können, und zwar
auf beträchtliche entfernung hin, von der büne bis in die äus-
sersten zuschauerreihen, oft noch überdis mit dem gewicht der
betonung das ein gegensaz darauf legt:
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4908.
dazu kömt dafs der apostroph sich schlecht verträgt mit der
interpunetion: wärend dise stilstand gebitet, langt er über die
grenzscheide hinüber:
vom 5. April 1869. 275
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das fält am meisten auf wo im gespräch die interlocutoren
wechseln: denn da wird one divination auf beiden seiten der
apostroph unmöglich:
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Sonach erheben sich mancherlei bedenken gegen derartige an-
wendung des apostrophes, und drängen zu der anname, es sei
der damit als ungesprochen bezeichnete vocal denn doch wol
gesprochen worden. dafs dis habe geschehn können one me-
trischen verstols, zeigt der Lateinische und der Romanische
vers. auch Shakspeare, und vermutlich mit ihm alle übrigen
Englischen dichter, schreiben mehr sylben als sie dem verse
anrechnen:
there where my fortune lives, there my life dies.
solte nicht ratsam sein so bewärtem vorgang in unsern
ausgaben der Grichischen autoren zu folgen und nirgend zu
apostrophiren auf gefar der deutlichkeit?
20*
276 Gesammtsitzung
8. April. Gesammtsitzung der Akademie.
| wi: Be vr
Hr. Haupt las folgende Abhandlung des Hrn. Parthey,
‘Die koptischen Handschriften in Rom.
Die Aufschliefsung der ägyptischen Hieroglyphen gelang
durch das Studium der koptischen Sprache, und verlieh diesem
Studium eine neue, nicht geahnete Wichtigkeit. Seitdem man
die Überzeugung gewonnen, dafs die Sprache der Denkmäler
aus den Zeiten der Cheops und Mykerinus zu der Sprache der
koptischen Bibelübersetzung ungefähr in demselben Verhältnisse
stehe, wie das Lateinische zum Italiänischen oder der Ulfilas
zum Neuhochdeutschen, seitdem betrat die Hieroglyphenforschung
den einzig richtigen Weg, aus dem Bekannten das Unbekannte,
aus den überlieferten koptischen Formen den Klang und die
Deutung der krausen hieroglyphischen Zeichen zu enträthseln.
Bis jetzt beschränkt sich der Sprachschatz des Koptischen
auf die theilweisen Übersetzungen des Alten und Neuen Testa-
mentes, sowie auf einige Heiligengeschichten und liturgische
Werke. Die umfangreiche Probe aus der Profanlitteratur der
ägyptischen Gnostiker, die Pistis Sophia, hat zur Bereicherung
der Sprache wenig beigetragen, und uns in Betreff des Inhaltes
nach ähnlichen Werken nicht eben lüstern gemacht. Von der
koptischen Übersetzung des A. T. fehlen immer noch mehrere
historische Bücher und die meisten Apokryphen. ‘
Es entstand die Frage, ob diese kirchlichen Schriften irgend-
wo in den Bibliotheken verborgen liegen, oder ob man an-
nehmen könne, dafs sie vielleicht von den Kopten der ersten
christlichen Jahrhunderte gar nicht übersetzt seien, ob man da-
her auf eine vollständige koptische Übersetzung des A. T. ver-
zichten müsse.
Zur Beantwortung dieser Frage schien mir in Rom, der
Stadt der Kirchen und Bibliotheken, eine günstige Gelegenheit
_ gegeben; ich benutzte einen längeren Aufenthalt daselbst, um
die verschiedenen Sammlungen durchzugehn, und die darin ent-
haltenen koptischen Handschriften theils nach den vorhandenen
Katalogen, theils nach eigner Ansicht zu verzeichnen. Die
nachfolgenden Blätter geben das Resultat dieser Bemühungen.
vom: 8. April 1869. 277
In vier römischen Bibliotheken finden sich koptische Hand-
schriften, 1. in der Propaganda, 2. in der Vaticana, 3. in der
Angelica, 4. in der Barberina. Die folgenden Sammlungen
besitzen nach den Versicherungen der vorgeordneten Biblio-
thekare keine koptischen Handschriften: 1. Aracoeli, 2. Collegid
Romano, wo A. Kircher die ersten Fundamente des Koptischen
legte, 3. Chisiana, 4. Corsiniana, 5. S. Isidoro, 6. Madonna sopea
Mineeva, 7, Bernie, 8. Vallicelliana.
I. Propaganda.
An Umfang nimmt die Sammlung des Collegio urbano di
propaganda fide unstreitig den ersten Platz ein. Sie stammt
gröfstentheils aus dem Nachlasse des Kardinales Stefano Borgia
(1731 —1804). Wir dürfen hier einen Augenblick bei den
Lebensereignissen dieses ausgezeichneten Mannes verweilen, da
sie mit den Schicksalen seiner Sammlungen verknüpft sind.
Borgia widmete sich früh dem geistlichen Stande, und erstieg
nach und nach alle Stufen der römischen hierarchischen Aristo-
kratie. Seinen Pallast in Velletri machte er zu einem Museum
für Kunst und Wissenschaft. Ihm verdankt man die Bekannt-
machung des ersten griechischen Papyrus durch N. Schow
(1788). Von befreundeten Missionaren erhielt Borgia fortwäh-
rend aus Aegypten Zusendungen von koptischen Handschriften;
G. Zoega lieferte ein Verzeichnifs davon, das allen ähnlichen
Publikationen zum Muster dienen kann (1810). Im Jahre
1770 zum Vorsteher der Propaganda ernannt, leitete Borgia 20
Jahre lang mit unverdrossenem Eifer dieses Institut, bis es
mit ihm von den Stürmen der französischen Revolution ver-
schlungen ward. Den Kardinalshut erhielt er im Jahre 1789.
Als im Jahre 1797 der französische General Duphot in Rom
ermordet ward, ernannte der rathlose Pius VI den Kardinal
Borgia zum Statthalter von Rom. Dies machte ihn zum näch-
sten Zielpunkte für die Brutalitäten der französischen Macht
haber, deren rücksichtslose Willkür nirgend gehässiger hervor-
tritt, als in dem Verfahren gegen den wehrlosen Kirchenstaat.
Unter einem nichtigen Vorwande ward Borgia von den Fran--
zosen verhaftet, in den Gefängnissen von Civitavechia, Livorno,
278 Gesammtsitzung
Florenz, Rovigo herumgeschleppt und endlich freigegeben. Auf
dem Conelave in Venedig (1799) vereinigte. Borgia 17 Stimmen
der Kardinäle für sich; die Majorität erhielt sein Freund Chia-
ramonti, der als Pius VII den wankenden päpstlichen Stuhl
bestieg. Borgia kehrte mit Pius VII nach Rom zurück, konnte
aber nicht hindern, dafs im Jahre 1800 das Gebäude der Pro-
paganda von dem aufgewiegelten römischen Pöbel geplündert,
und die berühmte Druckerei von den Franzosen nach Paris
entführt ward. Im Spätjahre 1804 begleitete Borgia den Papst
auf der Krönungsreise nach Paris, erkrankte unterweges und
starb in Lyon den 23. Nov. 1804 im 73. Jahre.
Seine reichen wissenschaftlichen Sammlungen fielen nach
seinem Tode gröfstentheils an die Propaganda, ein Theil ging
nach Neapel (Peyron gramm. copt. p. XIV). In der Propa-
ganda nimmt Borgia’s Nachlals ein besonderes Zimmer ein,
das die Aufschrift trägt: Museo Borgiano. Die von Zoega
verzeichneten 397 koptischen Handschriften sind nicht mehr
beisammen. Es fehlen über 200 davon, welche muthmafslich
nach Neapel wanderten.
Im Museo Borgiano fand ich zwei handschriftliche Ver-
zeichnisse der Sammlung, das eine angeblich um das Jahr 1830
gemacht, das andere aus dem Jahre 1856. Das erste ist in
zwei gleichlautenden Exemplaren vorhanden: Inventario del
Museo della Ch. M. Cardinale Stefano Borgia. Es enthält in
396 fortlaufenden Nummern alle vom Kardinale hinterlassenen
Gegenstände nebst einer Taxe der einzelnen Objecte in Seudi
und Bajocchi. Das eine Exemplar dieses Inventariums zeigt
die Summe von 6895 Scudi 10 Bajocchi, das andere Exemplar
giebt 6905 Scudi 10 Bajocchi. Dafs dieses alte Inventarium
von einem noch älteren herstamme, sieht man bei No. 366:
Venti Iscrizioni antiche, Cristiane, de’ Gentili, Greche e latine
di diverse grandezze con tre bassirilievi e sette bolli di figurine.
Hierunter steht von der Hand desselben Schreibers: Non ritrovate.
Die “Codici Cofti des Verzeichnisses von 1830 gehn von
No. 335— 349, und wurden zu 500 Seudi taxirt. Zusammen
sind es 24 nicht näher specifieirte Handschriften und 29 Papp-
kästen (Cassette) mit einzelnen Blättern. Diese Kästen ent-
halten die bei Zoega (pag. 139 — 168) abgedruckten Basmyrica,
vom 8. April 1869. 279
und von den sahidischen oder thebanischen Handschriften die
Nummern 1—168 (Zoega pag. 172— 2837) mit Ausnahme von
No. 11. 19. 24. 25. 46; die Nummern 99 und 141 sind beson-
ders eingebunden. Diese Pappkästen wurden später von einem
französischen Benutzer durchgesehn, der in manchem Kasten
die 4.oder 5 Umschlagbogen mit koptischen Fragmenten noch
einmal zusammen in einen Umschlag legte, und darauf schrieb:
Quatre Chemises, Cing Chemises u.s.w. Auch finden sich andre
französische Bemerkungen von derselben Hand auf den Um-
schlägen. :
Bei der Anfertigung des Verzeichnisses von 1830 fehlten
mithin nicht nur 58 memphitische Handschriften, sondern auch
die bei Zoega genannten sahidischen Abtheilungen: Patristica
_ et Monastica Aegypti, Scripta variorum auctorum, De re medica,
Miscellanea; 143 sahidische Handschriften, zusammen 201 Hss.,
die man nach Peyrons Bemerkung jetzt in Neapel zu suchen
hat. Gewils würden die Lebensbeschreibungen und Legenden
der ägyptischen Äbte, Mönche, Einsiedler und Märtyrer auch
nach den von Zoega gelieferten Auszügen noch manchen werth-
vollen Beitrag zur Geographie und Geschichte des christlichen
Aegyptens, so wie manche Bereicherung des koptischen Wort-
schatzes gewähren.
Da es jedoch immerhin nicht unmöglich schien, dafs ein
Theil jener fehlenden Hss. in Rom verblieben sei, so zeigte
sich eine Hoffnung zur Auffindung derselben, als mir gesprächs-
weise mitgetheilt ward, dafs im Jahre 1839 mehrere ägyptische
Gegenstände aus der Propaganda nach der Vaticana abgeliefert
worden seien; auf wessen Veranlassung blieb unerörtert. Allein
diese Hoffnung erwies sich bald als eine trügliche. Das über
die Ablieferung aufgenommene Schlufsprotokoll von der Hand
des Rektors Tiguri, welches sich auf frühere Verhandlungen
zu beziehen scheint, verdient wohl, hier ganz. eingerückt zu
werden.
“Il Sig. Cav. Fabris si presento un giorno al museo Bor-
giano, facendo ricerca degli oggetti Egiziani, per trasportarli
al Museo Pontificio: fu risposto, come era dovere, che nulla
_ poteva darsi senza ordine di 8. E. il Cardinale Prefetto:
frattanto il Sig. Drak fece la nota qui acclusa, e per qualche
280 Gesammtsitzung
tempo non si parlö piu di nulla. Domenica 27 Gen. 1839
Monsignor Segretario fu conforme al solito all’ udienza del
Santo Padre e fu richiesto degli oggetti Egiziani: Lunedi
mattina 28 Gen. il Sig. Radiei portö l’acchiusa nota seritta
di mano del Sig. Drak con ordine di fare la eonsegna ri-
chiesta al Sig. Cav. Fabris; per maggior sicurezza fui da
::8. E. il Card. Prefetto, dove trovai il P. N. Generale e
'Mons. Segretario: mostrai la nota: mi fü risposto, che vi
voleva pazienza, che eonsegnassi il tutto: in segnito a cio
chiamai i PP. Ryllo e Tessieri che disposero la roba richi-
esta in ordine: il giorno 29 alla mattina venne il Sig. Cav.
" Fabris con due faechini, ne fece la ricognizione, pose il tatto
in una canestra, e se la portö via, lasciando la ricevuta.
29 Gen. 1839.
L. X. Tiguri S. J.
Rettore del Coll. Urbano.”
Die beigeschlossene Note von der Hand des Herrn Drak
lautet;
“Oggetti egiziani esistenti nel Museo.
1. 4 figurine di bronzo, lunghe eirca un palme, di eui
due frammentate.
9. 9 id. terzo di palmo.
3. 1 frammento.
4. 1 sistro.
5. 1 campanello.
6... 7 mummiette di terra cotta.
7. 33 id. di smalto.
8. Anubis ben conservato.
9. 62 figurine e animalucci di collana, in smalto.
10. 1 sistro piecolissimo d’osso.
11. 21 frammenti varj di smalto.
12. 2 id. di terra cotta.
13. 3 frammenti di pietra.
14. 1 id. di lapislazzul.
15. 1 frammento di gufo in basalte.
16. 1 canopo di marmo nero.
17. 1 mummia d’animale aperta.”
vom 8. April 1869. 281
Darunter steht:
“Jo sotto seritto ho ricevuto dal Rmo Padre Rettore
di Propaganda i sopra indicati oggetti, questo di
29 Gennaro 1839.
Cav. Fabris Direttore Generale dei Musei e
Gallerie al Vaticano.” L
In dem Verzeichnisse vom Jahre 1830 ist bei den betref-
fenden Nummern bemerkt “al Vaticano.”
Man ersieht hieraus, dafs im Jahre 1839 keine koptischen
Handschriften in den Vatican gekommen sind.
An das ausführliche Inventar vom Jahre 1830 schliefsen
sich einige kleinere Verzeichnisse der koptischen Handschriften,
von denen es unentschieden bleibt, ob sie von Schülern der
Propaganda als selbständige Arbeiten nach den vorhandenen
Codices oder als Auszüge aus Zoega angefertigt sind.
1. "Codiei Cofti del Museo Borgiano, vide Cat. Cod.
Copticorum auctore Zoega. an. 1810.” — Hat nur 29
Nummern.
2. Ohne Überschrift; von derselben Hand, 20 Nummern.
3. Ohne Überschrift; von derselben Hand, 21 Nummern.
4. Ohne Überschrift; von andrer Hand, 172 Nummern.
Zuletzt wurde in den Jahren 1855 und 1856 ein neues
selbständiges Verzeichnils der im Museo Borgiano vorhandenen
Gegenstände angefertigt:
“Inventario generale del Museo Borgiano, preso in
consegna dal Rettore J. Tancioni il 24 Maggio
1356. Prineipiato li 21 Marzo 1855.”
Die Handschriften sind hier nach den Sprachen gesondert,
aber nur obenhin und ohne systematische Ordnung. Die von
dem Pater Tuki nach vatikanischen Codices genommenen kopti-
schen Abschriften bilden eine besondere Reihe, deren Nummern
hin und wieder angegeben und noch durch eine laufende Num-
mer vermehrt sind. Zoega bearbeitete seine Memphitica nach
diesen Abschriften, da die Originale aus der Vaticana sich da-
mals in Paris befanden.
Merkwürdig genug geschieht in aa Verzeichnisse von
1856 der 29 Pappkästen gar keine Erwähnung, die fast ein
Drittheil des Zoegaschen Materiales umfassen und die in dem
282 Gesammtsitzung
Verzeichnisse von 1830 aufgeführt sind; dagegen hat dieses
letztere nur 24 einzelne koptische Handschriften, während das
Inventar von 1856 deren 141 enthält. Ob in dieser Zahl die
bei Zoega verzeichneten Memphitica vollständig enthalten seien,
bleibt ungewils. Eine Verification im einzelnen liefs sich nicht
ausführen, da der anfangs im Museo Borgiano gestattete kurze
Aufenthalt dazu nicht ausreichte, später aber nur im Bibliothek-
saale der Propaganda gearbeitet werden durfte.
Weder in den Notizen über Borgia’s Wirksamkeit von
Millin und Paulinus a S. Bartholomeo, noch in Borgia’s Leben
von Baraldi (Modena, 1830) findet sich eine genauere Nach-
richt über die Schicksale und die Vertheilung seines wissen-
schaftlichen Nachlasses.
Diese Vorerinnerungen schienen nothwendig, um das Ver-
hältnifs des Zoega’schen Kataloges zu dem jetzigen Bestande
der koptischen Handschriften klar zu machen. Das folgende
Verzeichnifs ist ein Auszug aus dem Inventar von 1859. Die
laufenden Nummern sind der Übersicht wegen von mir hinzu-
gefügt, an der halblateinischen, halb italiänischen Orthographie
ist nichts geändert.
Inventario Generale del Museo Borgiano preso ın
consegna dal Rettore J. Tancioni il 24. Maggio 1856.
Principiato li 21 Marzo 1859.
(Querfolio. MS. 212 Seiten.)
p- 62. Manoscritti Copti. Scanzia 10. Fila 2.
1) Codice Bambacino. Consecratio novae Ecelesiae et altarum
(desunt 1. et 2. vol.) 4. 1
ia 2 Lectionaria et Responsoria maioris hebd.
1784. 2
3) Cod. cart. Rituale Copticum. pars a Tukio descripta una.
cum versione Arabica. (58 di Monsignor Tuki).
8. 3
4) Mss. copti di Mgr. Tuki No. 57. 59. rituale. 3. 4.5
5) Cod. cart.
SEE
E **p:'63:
2) God. cart.
8) 2) A
)ın »
10)» »
11) „ »
12) »
p- 64.
13) Cod. cart.
14) 5 n
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1E) snicılon
18) » N
19) N b>)
p- 69.
vom 8. April 1869. 283
Diurnum copt.-arabicum di Tuki 55. 8. 6
copt.-arab. Liturgiarum SS. Basilii, Gregorii et
Cyrilli. 8. 7
Rituale copt. 8. 5
Ms. copt. di Tuki 52. 8. 9
Continet homilias 53 officium diaconi et Litur-
' giam S. Basilii partim copt. partim arab. 53 di
Tuki. 10
Psalmodia copt. etc. copt. et arab. 48 di Tuki 11
Diurnum copt. 22 di Tuki. 12
Continet ordinem precum recitandarum die Pa-
rasceva magna arabice: serie lectionum ececlesia-
sticarum diei in quo incidit celebratio baptis-
matis Christi coptice: Lectiones Parascevae
magnae copt. et arabice: Hymnus in eamdem
diem copt.-arab.: Lectiones in feriam SS. A. Petri
et Pauli copt.-arab.: Orationes a pueris recitan-
das. etc. etc. 8. di Tuki 54. 13
Continet Doxologiae partieulam: Grammatic.
copt.-arab. et ritualis coptici varia commenta
(31. Tuki). „8... 14
Dietionarium copt.-arab. 8. 15
Brevis institutio una cum Vocabulario copt.-
arabico. 16
Grammatica et Vocab. linguae copt.-arab. apo-
graphum eiusdem Tuki. (di Tuki 87.) 4. 17
Vocab. copt. arab. voces phrasesque continens
Deuteronomii (di Tuki 95). 8. 18
Vocab. copt. arab. continet dietiones praecipuas
libri Numerorum et Exodi (di Tuki 90). 8. 19.20
Vocab. copt.-arab. continet voces dictionesque
libri Geneseos (di Tuki 89). 8. 21
20) Cod. bamb. Hymni coptiei qui in ecelesia Alexandrina
cantantur. 4. E32
284
21) Cod.
7) Dre
23) Cod.
24) Cod.
NN
26) Cod.
27)
BB). 4 5
29) Cod.
p. 66.
30) Cod.
ee
32) Cod.
33) Cod.
34) 9
35) Cod.
36) Cod.
a7) 5
38)
SIR m
40)
p- 67.
41) Cod.
42)
43)
44),
5) BR
Gesammtsitzung‘
' Elementa linguae Egyptiacae. 8. 2.3. 74. 75
Grammaticae copt. partieula. 8. 4. 76
Ritualis copt. particula. 8. 9. 38
Breviarii Alexandrini pars copt.-arab. 8.6. 20
Diurnum copt.-arab. 4. 2, KK
Fgmenta varia ad officium Missae pertinentia
copt.-arab. 12. 86
Officium temporis ieiunii pro Alexandrina Ec-
clesia copt. 12. 9. 21
Officium hebdomadae sanctae. 12. 10. 50
Euchologii Alexandrini particula copt. 8. 11. 62
Miscellanea sacra copt.-arab. continet officium
clerici, canones in adoratione crueis adorandos
et alios canones cum hymnis et cantieis. 8.
12. 56
Lectionarium copt.-arab. 4. 13. 60
Miscellanea copt.-arab. 4. 14. 2
” Sgunr > 4. 15. 86
Lectionarium copt. Tuki manu exaratum. 4.
16.18
Officii hebdomadae sanctae particulae. 4. 17. 62
Frgmta grammatica et lexicographica. 4. 18.85
Brevis manuductio linguae copt. 4. 19.71
Lectionarii copt. particula. 4. 20. 19
Dictionar. copt.-arab.-lat. 4. 21.85
Ecclesiastes; maxima pars libri Job et alia
frg. veteris test. dialecto Tebadea. 4. 22. 64
Frg. patristica et monastica copt. tebaica. 4.
23. 65
Anaphora minor S. Basilii M. copt. 4. 24. 36
Capita XV Geneseos prima. Graece. copt.-arab.-
lat. adiecta aliquando versione tebaica. 4. 25.31
Adnotationes grammaticales in psalmos. copt.-
arab.-lat. 4. 26. 84
Miscellanea copt.-arab. et primo Officium B. V.
Mariae: hymni in omnes Apostolos, Martyres,
46) Cod. cart.
7): 5 ”
#8) nn
D. 71,
49) Cod. cart.
50) N N”
Se
52) 2».
53) nn.»
Ben...
Sn
p.il2.
56) Cod. cart.
ei.
a
9) nn
p- 73.
60) Cod. cart.
My
2) mn
vom 8. April 1869. "a8
Monachos ete.: initium prophetiae Isaiae: for-
mulam Missae ad normam S$. Basilii et alia.
4. 27. 63
Dietion. copt.-arab. 4. 23. 40
” ä wei, 29. 70
Grammatiea copto-lat. 4. 30. 29
Scanzia 10. Filz 4°.
Epistolae S. Pauli, Petri, Joannis et Judae et
Actus Apost. copt.-arab. 4. 1. 4
Lectionarium et Evangeliarium copt.-arab. 4.
2. 13
Euchologia. copt. persiana. 4. 3.28
4. 26
N N N”
Frg. martyrii S. Coluthi sahidiei: frg. Evangelii
S. Joannis: frg. homiliae S. Joannis Krysosto-
mi, de iudicio futuro: vita S. Georgii. 4. 5. 66
Leviticus, Numeri et Deuteronomium copt. arab.
4. | 6.1
Canones Eusebii in novum testam.: vita SS.
Matthaei, Marci, Lucae et Joannis cum bre-
viario epistolarum Evangeliorum et Acta Apost.
4. 7.3
Offieium Missae in festis SS. Gregoriüi, Basilii,
Cyrillus. | 8. 12
Psalmi Davidis cum canticis Moysis, Habacuc
aliorumque copt.-arab. 4. 11. 2
Saggio di Dizion. copt.-arab. 8. 12.92; id.
13.14; id. 15. 49; id. 16. 45; id. 17. 46; id.
18. 44.
Prologus in Apocalypsin et alia. 12. 19
Fila .5%.
Thesaurus linguae egyptiacae, arab. et graece.
4. 1—4. 79—82
Dietion. copt. arab. 3. 5—6
Psalmodia saera, aliaque ad liturgia Alexandrinae
‚ecelesige spectantia. 4. 1.29
286
63) Cod.
64) Cod.
65) Cod.
6) »
67)
p. 74.
68) Cod.
69) Cod.
70)
72)
72) Cod.
73) Cod.
74) Cod.
75) Cod.
76): 4%
7)
p- 75.
78) Cod.
baımb.
Gesammtsitzung
Frg. orationis: oratio in laudem Salvatoris,
officia, doxologia, hymni etc. (cod. XVII se-
euli.) 4. 8. 28.
Observ. grammaticales in linguam copticam
cum adnotationibus ling. graecae. 4. 9. 78
Pontificale Aegypt. 4. 10
Encomium SS. Juni, Juli, Augusti. 4. 11—13
Eneomia mesum seu Augusti et quinque dies
inter Callares. 4. | 14
Martyrologium Coptorum. 4. 15—16
Euchologium egyptium. 4. 17
Rituale et liturgia Coptorum. 4. 18
Interpretatio linguae copticae, continens bre-
ves institutiones gramm. et vocab. secundum
ordinem librorum Novi Test. dispositum. fol.
19. 94.
Fila 6%.
Diurnum copticum, continens officium divinum
quotidie recitandum diebns jejuniis. copt. fol.
1. 10
Lectionarium copt. mensis Septembris. copt.
fol. 29
Psalmodia, hymni, doxolog. et officium clerici.
fol. 3. 23
Epistolae et Apocalypsis.- copt. arab. 4. 4. 5
Altera pars diurni Copt. 4. 5418
Diurni copt. pars. 4. 6. 16
Canones gramm. copt. utriusque dialecti, in
quibus edendis utitur ling. lat. (imperfeetum).
8. 7
Miscellanea sacra copt. arab. continet hymnos,
precationes in sanctos martyres: Rituale pro
ordinandis monacis: Pro foeminis religiosis:
De consecrando oleo sancto: Officium B. M.
| 8. 30
9. 34
Virginis etc. 4.
Ritualis copt. pars. copt. arab. 4.
81) Cod. cart.
2) nn
Buy
Bin, (ei
5) »
6) » »
p- 76.
87) Cod. cart.
88) N ”
89)
BBpIRy un’,
91) N ”
92) Cod. Perg.
3) nn»
p-"%7,;
94) Cod. cart,
95) n N
96) Cod. perg.
97) Cod. cart,
BB nn
vom 8. April 1869. 287
Ritualis copt. varia. 4. 10. 39
Genesis et Exod. copt. arab. 4. 11
Preces et lectiones eceles. Alexandrinae Tukii
' manu exarata. 4. | 12
Psalmodia pro eccles. Alexandr. 4. 13. 24
Elementa linguae copt. 4. 14. 68
Liber Jobi ab initio usque ad cap. xxxvıur v.16
et a cap. XL v.8 usque ad finem. 4. 15.72
Horarium sive lectiones et hymni in omnes
horas diei noctisque. 4. 16. 31
Elementorum ling. Egyptiacae pars 1?. 4. 17.69
Rituale copt. pro ordinatione archiepiscopo-
rum, episcop. copt. arab. 4. 18. 41
Officium hebdomadae sanctae iuxta ritum eccl.
Alexandr. 4. 19. 14
Officium S. Missae iuxta ritum eccl. Alexandr.
copt.-arab. Item cauita aliquot ex Psalmis
20. 35
Proverbia a cap. xx v.3 ad finem. Ecelesia-
stes integer. Job ab initio usque ad cap. xvım
selecta. copt.
v. 16. 21
Frg. copt. ex actis S. Coluthii MS. seculi
quinti. 22
Fila: 7a
Martyrologium per i due mesi coftici chiamati
Phamenoth e Pharmuthi: Inni e preci per le
feste e domeniche della quaresima. copt.-arab,
fol. 1
Commentaria in 8. Scriptura. 4. 208
Frg. Evangelii S. Joannis, seculi quarti graec,
copt.-teban, 4. 4
Prophetia Jsaiae et Jeremiae, copt.-memph.-
arab. 4. #)
Excerpta ex sermon. S. Joannis Chrysostomi:
homilia S. Basilii de jejunio: homilia Zacca-
riae episcop. Ihhou: et aliae homiliae et vitae
Sanctorum. 4. 6
288 Gesammtsitzung
99) Cod. cart. Liturgia ecel. Alex. copt.-memph. 4. 7
10) » 9» „Vitae Sanct. et acta martyrum. copt. 4. 8—13
p. 78.
301) m » Excerpta ex serm. S. Joannis Chrysost. 4. 14
102) „9. Psalmi Davidis cum cantieis Moysis, Annae,
Ezechiae etc. 4. 15
103) % »„ Apocalypsis, copt.-memph. 4. 16
KA): y „.. Vitae SS. et acta martyr. 4. 17
105). 5 » Prophetia Danielis et XII prophetae minores.
4. | 18 (ef. no. 279)
106) „ „ Liturgia copt. memph. 8. 19—20
Oro, »„ Vocabular. copt.-arab. 8. 21
Fila 8.
.108) Cod. perg. Continet aliqua capitula proverbiorum dialetto
saidico. 1
109, ru „ .. Frg. varia apocrypha de vita Jesu Christi et
B. Virginis: acta XH apostol.: frg. actus $.
Stephani et Josephi. 2
PB
140); cm „ . Martyr. SS. Simonis, Petri, Pauli, Andreae,
Barthol.: Vita S. Joannis. 3
111) 9%» Sermo de tentatione diaboli: de Theodosio
Alexandr. episc., aliisque qui restiterunt conc.
Chale.: frg. libri II Regum a cap. x v. 16 us-
que ad ec. xıv. 11: acta conc. Ephesini: frg,
historiae persecutionis sub Athanasio: acta
conc. Niceni etc. 4
112) » „De abbate Claudio: martyrium S. Leonti,
Vietoris, Theodori, Publii sauyeiuj: frg. acto-
rum $. abbatis Victoris: frg. act. 8. Jsidori
et XIX martyres: de $S. Cosma et Damiano:
de Gesio et Isidoro fratribus: de capite S. Jo-
annis collocato Emisiae: de septem dormien-
tibus: hist. S. Georgii martyris et aliorum. 5
113)aN, „. Frgmtum Ezechielis. 6
p. 8.
re a Diversa frg. prim. epist. Pauli ad Corinthios:
vom 8. April 1869. 289
epist. ad Galastas: ad Ephes. ad Thessal. et
‚ad Timoth.: item frg. Apocalypseos, 7
115) Cod. perg. Epist. ad Romanos frg.: prim. et sec. ad Co-
rinth. ad Hebr. ad Gal. ad Ephes. ad Philipp.
Ä ad Coloss. 8
EU TEE » . Liturgica graec.-copt.: frg. codieis diaconiüi:
frg. liturgica tebaice. I
11m 5 ” Frg. evang. S. Joannis: Psalmi cxxxı: evang:
S. Matthaei graec.: Marei graec. epist. Jacobi:
acta apost.: Psalmi xıv: evang. Math.: frg.
leetionarii: lectiones ecclesiast.: S. Lucae:
Psalmi Lxxxvnı: epist. I. ad Timoth.:; Psal-
mi xx: frg. Lucae: epist. ad Hebr.: frg. bom-
bycinum lectionis evang. secundum Lucam. 10
129), 1, 2 Acta SS. Theelae et Paisii: frg. aetor. S. Dia-
coni abbatis et Panionia: de S. Petro archiep.
Alexandr.: frg. actor. S. Jacobi et 8. Theo-
noie. 1
»“ n . Fig. evang. $. Joannis. | 12
5; „ . Fıg. ev. S. Joannis: act. apost. 13
r „ Jerem. frgmtum dialetto Basmurico: frg. pro-
phetiae Jsaiae: prim. epist. ad Corinth. 14
® 5 Frg. Geneseos, Exodi et Levit. 15
h „ Fıg. Levit. Num. et Deut. 16
a „ Frg. Lucae graec.-Thebaice.: Joannis. 17
a „ Fıg. Levit. Num. et Deut. 18
> „ Fre. lib. 1. II. Regum: Judieum: Danielis Jo-
sue. 19
u „ Frg. Jerem. Isaiae et Ezech. 20
nn. Frg. evang. S. Matthaei. 21
» » . Fre. prophet. Aggai, Zacch., Amos et Micheae:
frg. lectionum ecclesiast.: ex Genesi, Levit.
Exod. Ezech. Zacc. Jerem. Osea, Isaia. Da-
nielis. RE 22
p- 82.
Mr „ Frg. evang. Matthaei. | 123
a & „ Marei. 24
[1869.] 21
290 Gesammtsitzung
132) Cod. perg. Frg. evang. Matth. et Marci. 2
33) 8% e 5 » Iucae et prim. epist. Joannis. 26
134)U2', b N op ZTucae. 27
as), 5 „ „ Mareci, Lucae et Joannis. 28
136) Cod. cart. Pericope utriusque testamenti dial. Said. 4. 29
137) 2% „ Gramm. ling. copt. conscripta a P. Guillelmo
Boniour. fol. 30
18, »„ (sine nomine), 31.7
*
Scanzia XIV. Fila 5.
p. 137. |
139) Cod. cart. Frg. evang. S. Joannis. Graec.-copt.-tebaic.
4. | 34
* *
&
p. 159.
Credenza VI. Fila 3.
Copia di un Papiro trovato a Tebe.
Fand sich nicht vor, eben so wenig wie der von Schow
1788 herausgegebene, in Gizeh gefundene Papyrus.
p. 169.
140) Ms. di Msgr. Tuki sulla Pasqua dei Copti. (copt.) 1
p. 171. | |
Ä Credenza X. Fila 5.
141) Miscellanea copt. arab. di Msgr. Tuki. 2
Die nun folgenden 29 Pappkästen sind bei Zoega p. 139
—287 ausführlich verzeichnet, wir geben daher nur seine $y-
nopsis p. 196—203 mit Hinzufügung der Anzahl der Fragmente
jedes Buchs.
vom 8. April 1869.
142) Geneseos. 15 Fragmente.
143) Exodi. 7 Fre.
144) Levitici. 18 Frg.
145) Numerorum. 15 Fre.
146) Deuteronomii. 8 Fre.
147) Josue. 5 Frg.
148) Judicum. 2 Fre.
149) Ruth. 1 Fre.
150) Regum I. 4 Fre.
151) Regum II. 5 Frg.
152) Regum Ill. 1 Fre.
153) Tobiae. 2 Frg.
154) Jobi. 12 Fre.
155) Psalmorum. 86 Fre.
156) Proverbiorum. 12 Fre.
157) Ecclesiastes integer.
158) Cantici. 1 Fre.
159) Sapientiae. 1 Fre.
160) Ecclesiastiei. 1 Fre.
161) Jsaiae. 28 Fre.
162) Jeremiae. 5 Frg.
163) Ezechielis. 10 Frg.
164) Danielis. 7 Frg.
165) Osee. 6 Frg.
166) Joel. 1 Frg.
167) Amos. 5 Fre.
168) Abdiae. 1 Fre.
169) Jonae. 1 Fre.
170) Michaeae. 4 Fre.
291
171) Nahum. 1 Fre.
172) Habbacuc. 1 Fre.
173) Sophoniae. 1 Fre.
174) Aggaei. 3 Fre.
175) Zacchariae. 10 Frg.
176) Matthaei. 53 Fre.
177) Marci. 20 Fre.
178) Lucae. 62 Fre.
179) Johannis. 71 Frg.
180) Actorum. 4 Fre.
181) Ad Romanos. 3 Fre.
182) Ad Corinthios I. 12 Fg.
183) Ad Corinthios I. 1 Fg.
184) Ad Galatas. 6 Fre.
185) Ad Ephesios. 11 Fre.
186) Ad Philippenses. 4 Frg.
187) Ad Colossenses. 5 Fre.
183) Ad Thessalonicenses I.
1 Frg.
189) Ad Thessalonicenses II.
2 Fre.
190) Ad Timotheum I. 3 Fg.
ı91) Ad Timotheum U. 1Fg.
192) Ad Hebraeos. 6 Fre.
193) Jacobi. 2 Frg.
194) Johannis I. 1 Fre.
195) Johannis IH. 1 Fre.
196) Johannis III. integra.
197) Apocalypseos. 5 Frg.
IE. Watieania:
Die Anschaffung koptischer Handschriften für die vati-
kanische Bibliothek, datirt aus dem 16. und 17. Jahrh.
In
mehreren codices lielst man die folgenden gleichlautenden Be-
merkungen auf dem ersten Blatte:
21°
292 Gesammtsitzung
Portato da Egitto da me Girolamo Vecchioni (?)
l’Anno 1594;
darunter von anderer Hand:
Jo. Baptista Raimundus bibliothecae Vaticanae dono
dedit ex testamento anno 1614.
Es mögen darüber in den Katalogen der Bibliothek nähere
Angaben vorhanden sein. J. 5. Assemanni verzeichnete einige
wenige koptische Handschriften in seiner Bibliotheca ’orient.
vaticana. Romae 1719. fol. t. 1. p. 617. t.3 pars 1. p. 640644.
Ein ausführlicher Katalog von 80 koptischen Handschriften
ist abgedruckt in: Mai scriptt. vett. coll. vatic. 4to t. 5 pars 2.
p. 114—170. Von diesen 80 HSS. sind 22 aus der Propa-
ganda im Jahre 1723 nach dem Vatikan gekommen; es sind
dies die Nummern bei Mai 25. 27. 29 — 34. 36—41. 45. 46.
48. 50. 52. 53. 70. 73. In einigen dieser codices findet sich
auf dem ersten Blatte eine Notiz über den Preis des Buches:
| Valuta del libro un zecchino (tr& zecchini e un riale,
quattro zecchini) fuor della ligatura; |
darunter von andrer Hand:
Die 26. Nov. 1723.
S. Congregationis Propagandae Fidei decreto in Rom.
Apostolicam Bibliothecam illatus, ut non solum ad
Bibliothecae, sed ad eiusdem etiam S. Congregationis
usus asservetur.
Für unsern Zweck wird es genügen, einen kurzen Auszug
aus Mai’s Verzeichnifs hier einzurücken.
Mai, scriptorum veterum collectio vaticana. 4.
Tom V. Pars 2. Catalogus codieum copticorum LXXX.
p. 114—170.
198) 1. (Assem. bibli. or. t. In. 1). in folio, membran. folio-
rum 279. saeculi ut videtur decimi. coptice-arabice
scriptus a Salomone Babylon.
Pentateuchus.
vom 8. April 1869. 293
199—201) 2. 3. 4. (olim 7. 8. 9. J. B. Raymundi) in folio, bom-
207) 10.
208) 11.
209) 12.
210) 13.
211) 14.
byeinus, foliorum 159, 123, 60. coptico-arab. scripti
ante a. Chr. 1399.
Pentateuchus, in tres tomos divisus.
. (olim 2 Assem.) in fol. membran. foliorum 209. saec.:
ut videtur decimi.
1—18. Psalterium, cum canticis et oratio-
'nibus, ex eo expressum fuit Psalterium copticum
cura R. Tuki. 1744. 8.
. (olim 5 Petri de Valle) in fol. bombyeinus. paginarum
430. exaratus a. Chr. 13386. coptico-arab.
1—17. Psalterium cum cantiecis.
. (olim 10 Raym.) in fol. bombyc. foliorum 337. saeculi
ut videtur XIV. coptico-arab.
Psalterium et cantica veteris testamenti.
. (olim 1 Raym.) in fol. bombyc. foliorum 351 saec.
ut videtur XIV. coptico-arab.
Evangalia quatuor.
. (olim 4 Raym.) in fol. bombyc. foliorum 504. exara-
tus a. Chr. 1270 a Michaele Abu-Gelica. coptico-arab.
Evangelia quatuor.
(olim 6 Raym.) in 4to. bombyc. foliorum 563. saeculi
ut videtur XIV. coptico-arab.
Evangelia quatuor.
(olim 6 Valle) in fol. bombyc. foliorum 108 exaratus
a. Chr. 1346. coptico-arab.
Evangelium secundum Johannem.
(olim 2 Raym.) in fol. bombyc. foliorum 423. saeculi
ut videtur XIV. eoptico-arab.
Epistolae D. Pauli XIV, cum septem catho-
licis et Actis apostolorum.
(olim 3 Raym.) in fol. bombyc. foliorum 261. saec. ut
videtur XIII. coptico-arab.
Epistolae D. Pauli XIV.
(olim 5 Raym.) in 4to. bombyc. foliorum 350. scrip-
tus a. Chr. 1358 a Michaele, filio Abrahami. copt.-arab.
Epistolae D. Pauli XIV, cum septem catho-
licis et Actis apostolorum.
294
212) 15.
213) 16.
214) 17.
215) 18.
216) 19.
217) 20.
218) 21.
219) 22.
220) 23.
Gesammisitzung
(Assem. t. 3. p. 643) in fol. bombyeinus, foliorum 59.
saeculi ut videtur XIV. coptico-arab. |
l. Apocalypsis. 2. Ordo dominicae palma-
rum.
(olim 11 Raym.) in 4. bombyc. foliorum 103. exara-
tus a. Chr. 1345. coptico-arab.
Apocalypsis.
(olim 12 Raym.) in 4. bombyec. foliorum 129. exara-
tus a. Chr. 1288. coptico- arab.
Euchologium, sive missale, ad usum eccle-
siae Alexandrinae, et alia.
Tres anaphorae prodierunt Romae 1736.
(olim 4 Assem.) in 16. bombye. foliorum 259. exara-
tus aute annum Chr. 1318. coptico-arab.
1. Orde eorum, quae sacerdoti peragenda
sunt.. 2. Ordo ministerii missae S$. Basilii.
(olim 20 Assem.) in 4. chart. foliorum 144. exaratus
anno Chr. 1715. coptico-arab.
1. Anaphora seu liturgia S. Basilii. 2. Or-
do thurificationis ad vesperas et matuti-
num.
(olim 14 Raym.) in 8. bombyc. foliorum 156. scriptus
anno Chr. 1315. coptico-arab.
1. Euchologium. 2. Anaphora 8. Cyrilli.
3. Oratio pro patriarcha defuncto. 4. Ora-
tio fractionis hostiae. {
(olim 14 Raym.) in 8. bombyc. foliorum 67. scriptus
a. Chr. 1333. coptico-arab.
Anaphora seu liturgia S. Cyrilli.
(olim 20 Raym.) in 8 bombyc. foliorum 74. exaratus
ante a. Chr. 1580. coptico-arab.
Anaphora S. Cyrilli, fine mutila.
(olim 24 Raym.) in 8. bombyc. foliorum 33. saec. ut
videtur XIV. coptico-arab.
1. Oratio veli. 2. Fragmentum depreca-
tionis. ..... 8 Commemoratio vivorum et
defunctorum in missa.
281) 24.
222) 25.
223) 26.
224) 27.
225) 28.
226) 29.
227) 30.
228) 31.
229) 32.
230) 33.
231) 34,
vom 8. April 1869. 295
(olim 31 Raym.) in fol. bombye. foliorum 271. saec.
ut videtur XIV. coptico-arab.
1. Anaphora S. Basilii. 2. Anaphora S. Gre-
gorii. 3. Anaphora S. Cyrilli, et alia litur-
gica.
(olim 52 Propag.) in 16. bombyc. foliorum 229. ex-
aratus a. Chr. 1491. coptico-arab.
Anaphora S. Basilii et alia liturgica.
in 4to bombyc., foliorum 232, exaratus a. Chr. 1616.
coptico-arab.
Euchologium cum liturgia S. Basilii, S. Gre--
gorii, 8. Cyrilli.
(olim 37 Propag.) in folio, bombycinus, foliorum 130,
saeculi ut videtur XIII. coptico-arab.
1. Diaconale. 2. Canones XXXIV. 3. Psa-
liae.
(olim 5 Assem.) in 8vo, foliorum 100, scriptus a. Chr.
1307.
1. Diaconale. 2. Hymnus angelicus.
(olim 20 Propag.) in folio, chartaceus, foliorum 447.
scriptus a. Chr. 1712. coptice eum rubricis arabicis.
Katameros.
(olim 21 Propag.) in fol. chartaceus, foliorum 408. ex-
aratus a. Chr. 1714.
Katameros.
(olim 22 Propag.) in fol. chartaceus. foliorum 414.
exaratus a. Chr. 1711. coptico-arab.
Katameros.
(olim 28 Propag.) in fol. chartac. foliorum 271. de-
scriptus a. Chr. 1723.
Katameros.
(olim 29 Propag.) in fol. chartac. foliorum 326. de-
seriptus a. Chr. 1719.
Katameros.
(olim 30 Propag.) in fol. chartac. foliorum 298. ex-
aratus circa instium saeculi XVII.
Katameros.
296
232) 35.
233) 36.
234) 37.
235) 38.
236) 39.
337) 40.
238) 41.
239) 42.
240) 43.
241) 44.
242) 45.
- G@esammtsitzung '
(olim 3 Assem.) in fol. membranaceus, foliorum 57.
saeculi ut videtur XII.
Antiphonae et responsoria.
(olim 23 Propag.) in 4to. ehartac. foliorum 396. serip-
tus a. Chr. 1709. coptico-arab.
1. Psalmodia. 2. Doxologia.
(olim 40 Propag.) in 4to chartac. foliorum 264. de-
scriptus a. Chr. 1623. coptice cum arabicis rubricis.
Psaliae sive psalmodia.
(olim 48 Propag.) in 4to. partim membran. partim
chartac. foliorum 295. saeculi ut videtur XIV. coptico-
arabicus.
Psalm.odia.
(olim 49 Propag.) in 8vo bombyc. foliorum 302. sae-
culi ut videtur XIV. coptice, cum rubricis arabicis.
Psaliae.
(olim 51 Propag.) in 8vo bombyec. foliorum 254. ex-
aratus a. Chr. 1334. coptico-arab.
Horologion, seu septem horae canonicae per heb-
domadam.
(olim 50 Propag.) in 8vo bombyc. foliorum 153; sae-
culi ut videtur XIV. coptico-arab.
Paraphrasis theotociorum.
(olim 19 Vatie.) in 8vo bombye. foliorum 132. scrip-
tus a. Chr. 1316. coptico-arab.
Canon, sive officium adorationis in festo penike:
costes.
(olim 23 Vatic.) in 8vo bombye. foliorum 46. saeculi
ut videtur XV. coptice cum titulis arabieis.
Antiphonae et responsoria.
(olim 13 Caponi) in fol. bombye. foliorum 125. saeculi
ut videtnr XIII. coptico-arab.
1. Euchologium. 2. Ordo missae et alia litur-
gica.
(olim 33 Propag.) in fol. chartaceus, Per 128.
saeculi ut videtur XVII. coptico-arab.
Euchologium seu Pontificale.
243) 46,
244) 47.
245) 48.
246) 49.
247) 50,
248) 51.
249) 52.
250) 53.
251) 94.
252) 95.
vom 8. April 1869. | 297
(olim 26 Propag.) in fol. chartaceus, foliorum 220.
'exaratus a. Chr. 1719. coptico-arab.
Euchologium seu Pontificale et Rituale.
accedunt alia liturgica.
(olim 72 Carafa) in fol. bombycinus, foliorum 90. sae-
culi ut videtur XV. coptico-arab.
Ordo consecrationis chrismatis et alia litur-
gica.
(olim 35 Propag.) in fol. chartac. foliorum 69. exara-
tus a. Chr. 1638. coptico-arab.
1. Benedictio puerperae quae masculum pe-
perit. 2. Benedictio puerperae quae femi-
nam peperit. 3. Ordo baptismi.
(olim 25 Vatic.) in fol. bombyec. foliorum 100. exara-
tus inter a. Chr. 1526 et 1569. coptico-arab.
Euchologium et alia liturgica.
(olim 39 Propag.) in fol. bombyc. foliorum 85. sae-
euli ut videtur XVI. coptico-arab.
Absolutio seu benedictio puerperae etc.
(olim 71 Carafa) in 4to bombyc. coptice-arab.
Consecratio ecclesiae et alia liturgica.
[Hunc codicem desiderari ipse Assemanus monet in
catalogo ms.]
(olim 24 Propag.) in 4to, chartaceus, foliorum 223.
exaratus a. Chr. 1707. coptico-arab.
Ordo sponsalium et alia liturgica.
(olim 25 Propag.) in 4to, chartaceus, foliorum 158.
exaratus a. Chr. 1707. coptico-arab.
Liber exequiarum et alia liturgica.
(olim 18 Vatic.) in 8vo bombyeinus, foliorum 134.
saeculi ut videtur XV. coptico-arab.
Ordo benediectionis monachorum et alia li-
turgica.
(olim 21 Assem.) in 8vo, chartac. foliorum 56. serip-
tus a. Chr. 1709. coptico-arab.
1. Ordo lampadis seu extremae unctionis.
2. Ordo solutionis cinguli nuper baptiza-
torum,
298
253) 96.
254) 97.
255) 98.
256) 59.
257) 60.
258) 61.
259) 62.
260) 63.
261) 64.
262) 65.
263) 66.
264) 67.
Gesammtsitzung
(olim 22 Assem.) in 8vo bombye. foliorum‘ 58. sae-
culi ut videtur XIV. coptico-arab.
1. Pedum lotio. 2. Lectiones evangelicae.
(olim 6 Assem.) in fol. membran, foliorum. 279. sae-
culi ut videtur noni.
S. Johannis Chrysostomi sermones 37.
(olim 7 Assem.) in fol. membran. foliorum 194. sae-
culi ut videtur decimi.
Zachariae, Johannis Chrysostomi, Mennae
sermones et homiliae.
(olim 8 Assim.) in fol. membran. foliorum 167. serip-
tus a. Chr. 918.
Martyria et vitae Sanctorum.
(olim 9 Assem.) in fol. membran. foliorum 125. sae
culi ut videtur decimi.
Martyria Sanctorum aliquot Aegyptiorum.
(olim 10 Assem.) in fol. membran. foliorum 223. ex
aratus a. Chr. 962.
Vitae et martyria Aegyptiorum nonnullo
rum.
(olim 11 Assem.) in fol. membran. foliorum 298. sae:
culi ut viderur deeimi.
Vitae Sanctorum. Epistolae. Laudationes.
(olim 12 Assem.) in fol. membran. foliorum. 188. sae-
culi ut videtur decimi.
Laudationes. Acta et martyria Sanctorum.
(olim 13 Assem.) in fol. membran. foliorum 182. sae-
culi ut videtnr decimi.
Vitae et gesta Sanctorum.
(olim 14 Assem.) in fol. membran. foliorum 120. scrip-
tus a. Chr. 979.
Homiliae et laudationes.
(olim 15 Assem.) in fol. membran. foliorum 313 scrip-
tus a. Chr. 918 et 1025.
Martyria Sanctorum et sermones.
(olim 16 Assem.) in fol. membran. foliorum 139. sae-
culi ut videtur. decimi.
Vitae Sanctorum et homiliae.
265) 68.
266) 69.
267) 70.
268) 71.
269) 72.
270) 73.
271) 74.
272) 75.
273) 76.
vom 8. April 1869. 299
(olim 17 Assem.) in fol. membran. foliorum 198. ex-
aratus a. Chr. 957 et 1014.
Martyria, homiliae, laudationes.
(olim 18 Assem.) in fol. membran. foliorum 232. scrip-
tus a. Chr. 1153.
Vitae et martyria Sanctorum.
(olim 36 Propag.) in fol. chartaceus, foliorum 125.
scriptus a. Chr. 1684. coptico-arab.
1—5. Inst. ling. copt. 6. Abulbarkati ben-
Cabari, scala magna, seu lexicon coptico-ara-
bicum (edidit A. Kircherus).
(olim 7 Petri a Valle) in fol. bombyc. foliorum 170.
scriptus a. Chr. 1321. coptico-arab.
1—5. Institutiones linguae copticae. 6.7,
Lexica coptico-arabica.
(olim 8 Petri a Valle) in 8vo bombye. foliorum 131.
saeculi ut videtur XIV. coptico-arab.
1. Semannudi institutiones linguae copti-
cae. 2. Abulsaac fil. Abilmophdal Bennas-
sali, scala electa, sive lexicon sacrum cop-
tico-arabicum.
(olim 53 Propag.) in 8vo, chartaceus, foliorum 175.
saeculi ut videtur XVII. coptico-arab.
Abulbarkati ben-Cabari, scala magna, seu
lexicon coptico-arabicum, fine mutilum.
(olim 17 Raym.) in 8vo, bombyeinus, foliorum 150.
saeculi ut videtur XV. coptico-arab.
1. Semannudi instit. linguae copticae.
2. Abu-Isaac Bennassali, scala electa.
(olim 16 Raym.) in 8vo, bombyc. foliorum 113. sae-
culi ut videtur XV. coptico-arab.
1. Abu-Isaac Bennassali, scala electa. 2. Se-
mannudi, instit. linguae copticae.
(olim 22 Raym.) in 12mo, bombyc. foliorum 324. sae-
euli ut videtur XV. coptico-arab.
1. Semannudi, instit. linguae copticae.
2. Abu-Isaac Bennassali, scala electa.
300 Gesammtsitzung
3—6. Opuscula grammatica. 7. Ordo mini-
sterii sacerdotis; arab.
274) 77. Codex in 4to bombyc. foliorum 75. eneshtt ut videtur
XIII. copto-arab.
Lectiones et evangelia recitanda in die festo
S. Johannis baptistae.
275) 78. Codex assemanianus in 4. m. chartaceus, foliorum 143. -
scriptus a. Chr. 1722. coptico-arab.
Missale cum liturgia 8. Basilii magni. Ac-
cedit ordo elevationis incensi.
276) 79. Codex assemanianus in 4. chartaceus, foliorum 33.
scriptus a. Chr. 1722. coptico-arab.
Ordo lampadis sive extremae unctionis.
277) 80. Ecclesiastica quaedam dissoluta fragmenta
perexigua et vetustate variisque casibus consumpta.
Am Schlusse (p. 170) sagt Mai:
En quot subsidiis studiosos copticae linguae vaticana biblio-
theca iuvat! Sed et alia ferme copiosiora Romae sunt, mihi-
que percognita; quae sane non negligam; quandoquidem in
huiusmodi studiis mentem meam conquiescere iam exopto et
volo (Editor).
Alle Nachforschungen nach diesen noch reichlicheren kop-
tischen Hülfsmitteln, mit denen wohl kaum das Museo Borgiano
gemeint sein kann, sind vergeblich gewesen.
Il. Angelica.
Von den Codices der Bibliotheca Angelica, welche dem
grolsen Augustinerkloster angehört, ist ein vollständiger hand-
schriftlicher Katalog vorhanden:
Fr. Guilelmus Bartolomei, Bibliothecae Angelicae Theo-
logus hunc codicum indicem eiusdem Bibliothecae confeeit
et scripsit anno a Natwitate Dominica 1847. folio.
Er ist nicht nach den Sprachen, sondern alphabetisch nach den
Namen der Autoren geordnet. Die koptischen HSS. rühren
grölstentheils von dem französischen Augustinermönche Bon-
jour her.
vom 8. April 1869. 301
278) 1.a. Pentateuchus secundum LXXII Aegyptio- Ara-
bicus, iussu E®i DD. Hieronymi Casanatae ... .. descriptus e
MSS. Vaticanis et conversus in latinum una cum pentateucho
arabico .... descriptore ac interprete F. G. Bonjour..... „sed
est tantum liber Genesis“ pag. 1— 130.
Die lateinische Übersetzung hört pag. 9 auf, die arabische
pag. 16.
b. Psalmi XXI scripti in lingua coptica. pag. 1— 22.
c. Evangelii secundum Matthaeum VIII capita coptico-
arab. pag. 1— 30.
d. Chronologia a Diluvio usque ad ingressum in terram
Chanaam.... cum hebraica veritate concordata. p. 1—15.
e. Varia loca et capita libri Genesis coptico-arab. p. 1—26.
Codex chartaceus in folio.... Q. 1. 8.
279) 2. Daniel et XII Prophetae minores, translati in lin-
guam Copticam sive Aegyptiacam et descripti in hoc codice
anno martyrum 1415, aerae christianae 1699, pontificatus D.
N. Innocentii Papae XII octavo,
Prologus.
Cum anno proxime elapso .... cf. Zoega Catal. codd.
copt. p. 3. Am Schlusse steht: Finem faciebam huie codiei
anno aerae christianae 1699 .... cum natus essem annos vi-
ginti novem, dies viginti tres. F. Guillelmus Bonjour, Tolo-
sanus. Ord. Er. S. P. Augustini. 245 Seiten, grols 4to.
Es folgen noch 5 Seiten koptischer Gebete von Bonjours
Hand, mit derselben Ausführlichkeit unterschrieben . . B.3. 13.
280) 3.a. Psalterium copto-arabicum, ex praestantissimo
codice MS. eximii abbatis Nicolai Francisci de Valle, Romani,
olim monasterii Aegyptiaci S. Antonii abbatis, diligentissime
collatus cum duobus MSS Bibliothecae Barberinae, anno Do-
mini 1707, opera F. Guillelmi Bonjour, Tolosani, ordinis Ere-
mitarum 8. Augustini.
b. Observationes aliquot in Psalterium Aegyptiacum.
Observationes in Psalmos iuxta versionem Aegyptiacam.
Observationes in versionem Aegyptiacam ÖOseae,
Evangelium copt.-arab. secundum Matthaeum.
Versio latina prophetiae Oseae.
mm 8
302 Gesammtsitzung
g. Item Amos.
h. Versio quorundam Psalmorum. Codex chart. fol.
| A,6A8.
281) 4. Apocalypsis S. Johannis, coptico-arab. Schöne
Handschrift. Die Anfangs- und andre Buchstaben sind hin
und wieder mit Roth betupft.
114 Blätter in schmal -folio oder hochquart.
Davor stehn 6 Blätter mit arabischer Schrift: Fragment
einer Übersetzung der Apostelgeschichte. -
Codex bombye. saee. XV. fol... . Me &. 49:
282) 5.a. Pontificale Alexandrinum lingua Aegyptiaca.
pag. 1— 204.
Am Schlusse: Seriptum e codice Vaticano anno Domini
1707 per me Guillelmum Bonjour, Augustinianum. |
b. Liturgia S. Marci lingua Aegyptiaca e codice Vaticano
descripta. |
Nicht von Bonjours Hand. 30 Seiten. Zum Schlusse der
lateinische Brief eines ungenannten Freundes an Bonjour mit
grammatischen Bemerkungen über einige griechische Stellen,
wie es scheint, aus der Liturgie. 6 Folioblätter.
Gadexschart. Folio ... s:. .-andsis. sulzaas Da Au. 17,
288) 6. Bonjour, Elementa linguae copticae seu aegyptiacae,
iussu SS"i D. N. Clementis XI Pont. max. exantiquata studio
et opera F. G. Bonjour, Tolosani. Nach 6 Blättern folgt ein
neuer Titel: Elementa ling. eopt. iussu E”i ae Revri D. D.
Hieronimi Casanatae, S. R. E. Cardinalis et Bibliothecarii
Apostolici exantigata studio et opera Fratris Guillelmi Bonjour,
Ord. Eremit. S. Augustini.
Auf dem folgenden Blatte steht die mit dem päpstlichen
Insiegel versehene Druckerlaubnils vom 25. Sept. 1698.
Die Grammatik von 346 Seiten ist ganz vollständig, mit
Beispielen aus der koptischen Bibelübersetzung versehn. Am
. Schlusse stehn vier Seiten griechisch, der Anfang von Xeno-
phons Cyropädie, vielleicht als Übungsstück zum Übersetzen
in das Koptische.
Dann folgt ein Brief von Eusebius Renaudot, worin die
Grammatik gelobt und der Druck derselben empfohlen wird.
God. chart. 410. u ml) I a Rh RE Du. Weil.
vom 8. April 1869. 305
''284) 7. Grammaticalia linguae Coptae. p. 1—788.
Der ungenannte Verfasser hat mit grolsem Fleifse eine
Menge Stellen aus der koptischen Bibel im thebanischen und
memphitischon Dialekte gesammelt, und einzelne grammatische
Bemerkungen daran geknüpft.
Dem Papier nach ist die HS. vielleicht aus der Mitte des
18. Jahrhunderts.
DER. . este, ars ann den. B. 6. 13.
285) 8. Bonjour, lexicon copticum-aegyptium in tres tomos
distributum.
Umfafst nach der Vorbemerkung des Verfassers nur die
acht ersten kleinen Propheten und die 36 letzten Psalmen.
Eoarehantsefolonin. 502 na asiorned A. 6.2.3.4.
286) 9. Bonjour, Mercurius Aegyptiorum Iosephus patri-
archa, genealogice, chronologice, historice, geographice et hie-
roglyphice demonstratus ex, sacris paginis et exoticis veterum
monumentis. Auctore F. Guillelmo Bonjour, Tolosano, Ord.
Eremit. S. Augustini, aetatis suae vigesimo quarto. — Item
dissert. VI de dynastiis Aegyptiorum et Appendix de eorum
monarchia,
Cod, ehavt, mutilus in, fine. fol. .,.. v2... 14
IV. Barberina
Von den Handschriften der Barberinischen Bibliothek ist
‘ ein vollständiger Blätterkatalog, nach den Sprachen geordnet,
vorhanden. Unter den orientalischen Handschriften befinden
_ sich zwei koptische. |
287) 31. Psalterium‘ Pentaglotton, armenicum, arabicum,
coptum, chaldaicum, aethiopicum.
Papiercodex in folio von 236 Blättern, auf denen die Psal-
men in 5 Kolumnen neben einander stehn, in so schöner cha-
raktervoller Schrift, dafs man annehmen kann, sie sei von 5
verschiedenen Schreibern, je in ihrer Eigenthümlichkeit ange-
fertigt. Die armenische Kolumne wird zuletzt immer flüchtiger,
und hört fol. 945 ganz auf. fol. 2235 tritt eine schlechtere kop-
304 Gesammtsitzung
-
tische Hand auf, die aber nur bis 2245 reicht, dann folgen 10
Blätter nur mit arabischer Schrift. |
Rother Maroquinband mit dem Wappen der Barberini (drei
Bienen) in Golddruck; auf dem vorderen inneren Deckel „104*
und „1695.*
288) 46. Breviarium Copto-arabicum, scriptum anno Mar-
tyrum 1112, feria tertia terminante mensem Barmude sive Phar
muthi: hoc est anno aerae Christianae 1396, cyelo solis 5,
litt. Dom. B. A, die 25 mensis Aprilis, in ultimam Pharmuthi
et feriam tertiam incidente. |
Sauberer Papiereodex in 12”° von 270 Blättern. Rothe
Überschriften; hin und wieder rothe arabische Marginalien.
Die arabische Übersetzung nimmt nur einen schmalen Streifen
am äufseren Rande ein. Auf dem vorderen inneren Deckel:
Horae Canonicae Cophtitarum. Arabice et Cophtice. Auf dem
hinteren inneren Deckel: Officium ‚parvum, arabice et coptice.
scriptus hic codex anno martyrum sub Diocletiano 1133.
Übersicht.
Psalterium pentaglotton. 287.
— 202—204. 280.
Pentateuchus. 199— 201. Psalmi Davidis. 57. 102.
Genesis. 82. 278. — fragm. 91. 117. 159.
— fragm. 43. I22. 129. 142. as annotationes. 44.
Exodus. 82. Proverbiorum frgm. 92. 108. 156.
— _ fragm. 122. 129. 143. Ecclesiastes. 40. 92. 157.
Leviticus. 54. Cantici fragm. 58.
— fragm. 122. 123. 125. Sapientiae fragm. 159.
Altes Testament.
129. 144. Eeclesiastici fragm. 160.
Numeri. 54. Baruch. 97.
— fragm. 123..125. 145. Jesaias. 97.
Deuteronomium. 54. — frgm. 45. 121. 127. 129.
— fragm. 123. 125. 146. urn 61.
"Josuae fragm. 126. 147. Jeremias. 97.
Judiceum fragm. 126. 148. — threni. 97.
Ruth fragm. 149. Je
Regum frgm. 111. 126. 150—152.
Tobiae fragm. 153.
Job fragm. 40. 86. 92. 154.
epistolae. 97.
— frgm. 121. 127. 129. 162.
Ezechiel fragm. 113. 127. 129.
1623.
—
vom 8. April 1869.
- Daniel. 105. 279.
— _ frgm. 826. 129. 164.
Prophetae XII minores. 105. 279.
Oseae fragm. 129. 165.
Joel fragm. 166. j
Amos fragm. 129. 167.
Abdiae fragm. 168.
Jonae fragm. 169.
Micheae fragm. 129. 170.
Nahum fragm. 171.
Habacue cantica. 57.
— fragm. 173.
Sophoniae fragm. 172.
Aggai fragm. 129. 175.
Zacchariae fragm. 129. 175.
Neues Testament.
Evangelia quatuor. 2095— 207.
Matthaeus. 280.
— fragm. 130. 132.
176.
Marcus frgm. 131. 132. 135. 177.
Lucas fragm. 117. 124. 113—135.
178.
128.
Joannes. 208.
— 'frgm. 53. 96. 117. 119.
120. 124. 135. 139. 178.
Acta Apostol. 49. 55. 209. 211.
— fragm. 109. 120. 180.
Epistolae N. T. 75.
— Pauli, Petri, Joannis et
Judae. 49.
Epistolae VI catholicae. 209. 211.
Pauli epistolae XIV. 209—211.
frgm. 114. 115. 121.
— ad Romanos fragm. 181.
— III. ad Corinthios frgm.
182 183.
— ad Galatas fragm. 184.
— ad Ephes. fragm. 185.
— ad Philipp. fragm. 186.
— ad Coloss. fragm. 187.
[1869.]
——
305
— II. ad. Thessalon. frgm.
188. 189.
— ILH.ad Timotheum frgm.
Epistola ad Hebraeos. frgm. 192.
Jacobi epist. fragm. 193.
Joannis epist. I. II. III. frag. 133.
194—196.
Apocalypsis 75. 103. 212. 213. 281.
— fragm. 114. 197.
— prologus. 59.
Biblisches.
Moysis cantica. 57. 102.
Annae cant. 102.
Ezechiae cant. 102.
Cantica. 222—202.
Pericope utriusque testam. 136.
Commentaria in S. Script. 95.
Eusebii canones in N. T. 55.
Evangeliarium. 50.
Lectionarium. 31. 34.. 50.
— mensis Sept. 73.
— fragm. 33.
Lectionaria et Responsoria 2.
Lectiones Parascevae magnae, 12.
— in feriam Petri et Pauli.
} 12.
— evangelicae. 253. 274.
Kirchengeschichte.
Acta eoncilii Ephesini. 111.
Nicaeni. 111.
Historia persecut. sub Athanasio.
111.
De septem dormientibus. 112.
Heilige. Märtyrer.
Vitae et gesta Sanctorum. 67. 98.
.100.104.112.118. 259. 261. 264.
266.
Encomium Sanctorum Junii, Julii,
Augusti. 66,
22
306
Eusebii vitae SS. Matthaei, Marei,
Lucae et Joannis. 55.
Vita Jesu Christi fragm. 109.
— _B. V. Marie fragm. 109.
Acta S. Josephi fragm.: 109.
De abbate Claudio. 112.
Vita S. Georgii. 53.
— 8. Joannis. 110.
De capite S. Joannis. 112.
Acta martyrum. 100. 104. 110.
112. 260.
Martyria et vitae SS. 256 — 258.
263. 265.
Martyrologium Coptorum. 68.
_— mensium Phamenoth et
Pharmuthi. 94.
Coluthi -martyrii frgm. 53. 93.
Acta S. Stephani. frgm. 109.
Homilien. Gebete.
Basilii homilia de iciunio. 98.
Joannis Chrysostomi sermones. 254.
255.
fragm. 53. 98. 101.
Mennae sermones. 255.
Zacchariae homiliae. 98. 2595.
Homiliae. 9. 262. 264.
Laudationes. 259. 260. 262.
Orationes. 202.
Oratio in laudem Salvatoris. 695.
— pro patriarcha defuncto.
217.
— fraetionis hostiae. 217.
— veli. 220.
Orationes a pueris recitandae. 12.
Sermones. 263.
Sermo de tentatione diaboli. 111.
— de Theodosio Alex. 111.
Precationes in S. Martyres. 79.
Preces et lectiones. 12. 83.
Deprecatio. fragm. 220.
Gesammtsitzung
Liturgisches.
Anaphora seu liturgia S. Basilii. 6.
9. 42. 216. 221. 222.
— ‚Cyılli. 69217207218.
fragm. 219. 221. 223.
— 8. Gregorii. 6. 221. 223.
Liturgia S. Marei. 282.
— coptica. 106. 116.
— eccl. Alexandrinae. 99.
Euchologium. 69. 217. 223. 241.
246.
— sive missale Alexandr. 214.
fragm. 29. |
Euchologium seu Pontificale. 242.
243.
Euchologia copt. persiana. 51. 52.
Rituale. 3. 4. 7. 70. 243. frg. 13.
23. 80. 81.
— pro ordin. archiep. 89.
— pro ordinandis monacis.
79.
— pro foeminis religiosis. 79.
Diaconale. 224. 225.
Pontificale. 65. 282.
Ordo sacerdotis. 215.
— benedict. monach. 251.
— sponsalium, 249.
— _ solutionis einguli. 252.
245.
— _dominicae palmarum. 212.
— _ baptismi.
— _ consecrat. chrismatis. 244.
— elevationis incensi. 275.
— missae. 241.
S. Basilii. 215.
— thurificationis. 216.
— lampadis. 252. 276.
Katameros. 226— 231.
Diurnum. 5. 11. 72. frgm. 76. 77.
Doxologia. 63. 74. 233. frgm. 13.
Antiphonae etresponsoria. 232. 240.
Psaliae sive psalmodia. 10. 62. 74.
84. 224. 233— 236.
vom 8. April 1869.
Hymni. 20. 45. 63. 74. 79. 87. 94.
| 225.
Horarium. 87.
Horologion. 237.
Missale S. Basilii. 45. 275.
Epistolae. 259.
Canones XXXIV. 224.
Canon in festo pentecostes. 239.
Canones in adorat. erucis. 30.
Offiium B. V. Mariae. 45. 79.
— missae, fragm. 26.
SS. Gregorii, Basilii,
Cyrilli. 56.
— _cleriei. 30. 74.
_ diaconi. 9.
— hebdomadae sanctae. 28.
— _ fragm. 395.
— hebd. sanctae Alexandr.
90. 91.
— temporis ieiunii. 27.
—
Consecratio novae ecelesiae. 1.
— olei saneti. 79.
Pedum lotio. 253.
Benedicetio puerperae quae mascu-
lum (vel foeminam) peperit. 245.
247.
Liber exequiarum. 250.
Commemoratio vivorum et defun-
etorum. 220.
Paraphrasis theotociorum. 238.
Breviarium copt. arab. 288.
Breviarii Alexandr. pars. 24.
Fragmenta ecclesiastica. 277.
— _ patristica et monastica. 41.
Tuki, sulla pasqua dei Copti. 140.
Grammatiken.
Bonjour, gramm. coptica. 137.
— elementa ling. copt. 283.
Semannudi instit. l. copt. 269. 271.
— 273.
307
Canones gramm. copt. frgm. 78.
Elementa ling. copt. 21. 85. frgm.
88.
Grammatica ling. copt. 13. 16. 48.
284. frgm. 22.
Institutiones ling. copt. 15. 71. 267.
268.
Manuductio brevis ling. copt. 37.
Observationes grammat. 64.
Opuscula grammat. 273.
Fragmenta grammat. et lexicogra-
phica. 36.
Lexika.
Abu-Isaac Bennasali Scala clecta.
269. 271—273.
Abulbarkati Scala magna. 267. 270.
Bonjour, lexicon copt. 285.
Dietionarium copt. arab. lat. 14.
89. 46. 47. 61.
Lexica copt. arab. 268.
Saggio di dizion. copt. arab. 58.
a—f.
Thesaurus linguae aegypt. 60.
Vocabularium copt. arab. 15. 16.
107.
— N.T. 71.
— Geneseos. 19.
= Exodi. 18.
— Numerorum. 18.
— _Deuteronomii. 17.
Tuki, miscell. copt. arab. 141.
Miscellanca copt. arab. 32. 33.
Bonjour, Mercurius Ägyptiorum Jo-
sephus patriarcha. 286.
208
308 } Gesammtsitzung
Hr. EN las:
Über den am 24. März dieses Jahres mit Nord-Ost-
Sturm gefallenen rothen Passatstaub in den
Dardanellen und dessen Verbreitung
über Griechenland bis Krain.
Der Direktor der Sternwarte in Athen, Professor Julius
Schmidt, hat mir am 26. März d. J. folgende schriftliche Nach-
richt zugehen lassen, welche Anfangs April hier angelangt ist:
:„Ein Schreiben des Hrn. F. Calvert zu Tschanak-Ka-
„lessi am Hellespont bringt mir heute Kunde von einem
„Staubfalle, der sich dort am 24. März ereignete. Die bei-
„gelegte Probe sende ich Ihnen sogleich mit dem morgen
„abgehenden Loyd zu, da die mikroskopische Untersuchung
„vielleicht einiges Interesse darbietet. März 22. und 24. gab
„es hier und im östlichen Mittelmeere gewaltige Stürme aus
„SO., S., SW., und W. Am 24. März war in den Darda-
„nellen der Wind lebhaft NO. Morgens 10 Uhr der Himmel
„finster und gelblich (very overcast and of a gellow hue;
„the mud falling).. Um 114 Uhr Morgens drehte der Wind
„zu 8. und SSW. Barometer 29. 30. Über die enorme seit
„März 1. andauernde Barometer-Depression werde ich später
„das Nöthige veröffentlichen. Seit vier Wochen wird zu
„Athen der mittlere Stand niemals erreicht.“
„— 1860 März 10, bei Scirocco, fiel über ganz Grie;
„chenland ein gelber und z. Th. zimmetfarbiger sehr feiner
„Staub, der bestimmt nicht Blüthenstaub war. Was 1868
„April 13. den Schwefelregen zu Athen veranlafste, war
„nichts als Blüthenstaub von Pinus Halepensis. Genehmigen
„Sie u. Ss. w.*
J. F. Julius Schmidt,
Direktor der Sternwarte zu Athen.
Wenige Tage darauf erhielt ich vom Direktor des K. K.
meteorologischen Institutes in Wien, Professor Jelinek, fol-
gende Anzeige vom 5. April d. J. datirt:
„— Dagegen hat sich in letzter Zeit ein Staubfall in
„Krain (bei Weixelstein unweit Steinbrück) und in Dal.
„matien (in Lesina) ereignet, in der Nacht vom 24.—25. März
„und am Morgen des 24. März und ich habe von diesen
vom 8. April 1869. 309
„Fällen Staubproben erhalten, die ich nicht besser verwerthen
„kann, als indem ich dieselben E. H. übersende. Eine kurze
„Notiz über die Umstände des Falles wird in der Zeitschrift
„der österr. Gesellschaft für Meteorologie erscheinen. u. s. w.*
| Dr. C. Jelinek.
Diese mir so frisch und aus so wissenschaftlich sicheren
Händen zugekommenen Staubproben eines und desselben gleich-
zeitig über ganz Griechenland und das adriatische Meer bis
Krain fortschreitenden Naturereignisses, haben mich veranlafst
mit Beihülfe frischer Kräfte dieselben sofort einer mikroskopi-
schen Analyse zu unterwerfen, zumal die Farbe des Staubes
überall den lebhaft rothen Charakter des Passatstaubes über-
einstimmend trägt und mithin vom gewöhnlichen Ackerstaube
gänzlich abweicht. Wenn auch bis jetzt noch kein volles Re-
sultat über Östliche und westliche Verbreitung u. s. w. abzu-
schliefsen ist, so mag doch die vorgelegte Analyse dazu beitragen,
weitere Nachricht zu erlangen, so fern dieselben besonderes In-
teresse in Anspruch nehmen.
Mit meinem Danke für die gefällige Mittheilung des Hrn.
Prof. Julius Schmidt in Athen verband ich das Ansuchen, um
möglichst fortgesetzte Nachforschung über das Auftreten der
Erscheinung in östlicher Richtung und über die etwa zu beobach-
tenden Massenverhältnisse der gefallenen Substanz. So sind
mir noch folgende Mittheilungen aus Athen zugegangen:
„Indem ich Ihnen für Ihre beiden inhaltreichen Briefe
„meinen verbindlichsten Dank sage, will ich Ihnen heute
„nachträglich noch über den Staubsturm Mittheilungen machen,
„wie ich sie bis jetzt erhalten habe. Es thut sehr noth, alle
„Nebenumstände genau zu kennen. Von Hrn. F. Calvert
„zu Tschanäk-Kalessi habe ich neue Nachrichten erhalten.
„Calvert, den ich zur Zeit meines Aufenthalts in Bunärbaschi
„(Troja) kennen lernte, ist ein trefflicher kenntniflsreicher
„Beobachter. Für die etwaigen asiatischen Beobachtungen
„will ich noch an Koumborg in Constantinopel schreiben,
„und ihn um Angaben für Sie ersuchen.
„Hinsichtlich der folgenden Angaben sei bemerkt, dals
„überall durch das Minuszeichen (—) eine Vormittagsstunde
„bezeichnet wird. Am Hellespont stand Calverts (englischer)
310 Gesammtsitzung
„Barometer schwerlich höher als 30 Fufs über See. Der |
„dortige Therm. ist Fahrenheit; Calverts Briefe übersetze |
„ich aus dem Englischen.
„Zu Athen wurden die Beob. von mir selbst gemacht.
„Seehöhe —= 54 Toisen. Barom. —= pariser Linien. Therm.
„= Celsius. Regenhöhe nach Pariser Linien. —
Il. Tschanak-Kalessi (Dardanellen).
März 21. Tags mäfsiger S.Wind.. Nachts Regen, Wind
wächst zum Sturme an.
„ 22. früh Regen, Sturm wachsend, geht von $. zu SSW.
B. = 29')50. Max. des Sturms Mittags. Hagel und
Regen. 2“ Blitzen.
„ 23. Leichter S.Wind, dreht Nachts zu NO.
» 24. Früh lebhafter NO.Wind. —10% Himmel sehr dun-
kel, gelblich, es fällt Schlamm (mud. falling.). Zu-
nahme des Staubfalles bis —11%1, da der Wind
plötzlich zu S. und SSW. dreht. Mittags Max.
der gelben Farbe des Himmels, Wind noch wär-
mer als zuvor. 045 Regen von gelber Farbe, die
Fenster wie von Schlamm überzogen. 345 Regen
stärker, Luft kälter. Regen noch gefärbt. 5" Wind
mälsig SO. B. — 29,31 trüb; wenig gelb am
Himmel. 1135 Wind Süd. schwacher Regen; noch
Staubfall, doch schwach. B. = 29/20 T. = 17°.
Calvert taxirt den Staubfall zu 15 Tons auf
die englische Quadratmeile nach genäherter
Rechnung.
„25. —8" Wind leicht. :SSW.. B..—.23315, T..=56°,
bedeckt. —10425 SSW. leicht, klarer Regen noch
mit Spur des Staubes.. 3% noch Staubspur.
9u Wind West, bedeckt, kleiner Regen. B.—=29')25
T. = 175. Noch Spur des Staubes.
„ 26. Früh, Wind = NO., kleiner Regen, kein Staub
mehr. Calvert setzt die Dauer des Staubfalles auf
32 bis 33 Stunden.
II. Rhodos.
„ 24. Ausserordentlicher Sturm und schrecklicher Seegang.
vom &. April 1869. en!
III. Athen.
auf 0° red. Cels.
März2l. —8“ B.=330))'36 Luftemp. = 1150 gebrochen, still.
2" 3807.22 K- 15.9 bedeckt. Süd
stark. Parnes u.
Hymettosi.Wolk.
kl. Reg. = 0')’02.
gu 3293.96 Si 12.6 klar. SW. sehr
stark.
„ 22. —4U5 bis —54 gewaltiger SW.Sturm.
—8 B.—=328')'13 Luftemp. 1597 klar und dunst.
SW. lebhaft.
y 2 329, 97 n 14.7 meistklar. SW.
| stark.
9 331,'48 % 10.8 sehr klar, still.
„23. —8 331,73 = 10.8 klar mit Dunst,
still.
2 330/99 2 18.0 dichter Scirocco-
Dunst, Wind SW.
Abd. 6% Parnes u.
Hymettos Penteli-
kon mit Hauben.
9 330,03 S 15.1 klar. Wind O. u.
wieder W.
11 329','36 Dunst. Wind NO., dann wieder
sehr klar.
Abends 7 Uhr der erste grofse Windstols aus O.
oder NO., dann klar mit dickem Dunste rings am
Horizont. Seit 8 Uhr Wolken aus Osten, doch um
ll Uhr wieder klar nach oben.
. —2" 41’ brach ein gewaltiger Sturm los, vor wel-
chem vielleicht ein Erdstofs erfolgte. Sturm meist
aus SO., doch zuweilen auch aus NO. Gegen —5"
fand ich, dafs. die Maxima der Sturmstöfse im Mit-
tel in 4,5 Minuten aufeinander folgten. Um —3,3\
fand ich aus 8 Sätzen dies Intervall = 2,64 Minu-
ten. Von —4 Uhr hatte der Wind ab, die Verfin-
sterung der Luft sehr zugenommen. Bald vor —7
Uhr ward der Sturm wieder sehr gewaltig. Es wa-
ren 3 Intervalle von je 10 Minuten. Wind = SO.
u. ©. Zug der Wolken aber aus SW.
312 | Gesammtsitzung
—313 B.=327)"31 t—=1499 sehr dunstig, SO.-
Sturm.
—7,2 326,28 Ai
—8,0 326 ,85 14,8 meist bedeckt, SO. in |
Stöfsen. Regen.
—10,0 827,020 © 8. sehr stark.
2,0 226,24 14,1 bedeckt. Parnes und
Hymettos verhüllt. S.
sehr grols, klein. Reg.
2,9 326 ,07 | bedeckt. Regen. 8.
sehr stark.
340..20=825,91 13,6 id. Regen 0'095.
9,9 326 , 04 bedeckt. Wind schwä-
cher.
7,8 Erdbeben.
9,0 326,25 17,4 bedeckt. Regen.
Auch zu Athen fiel Staub, der aber erst später we-
gen seiner Farbe auf der Terrasse entdeckt ward.
März25. —8" B.=527')'03 t= 13,9 gebrochen. NW. stark.
Parnes und Hymettos
in Wolken.
2 328,03 14,9 gebrochen. NW. höchst
mächtig.
6) 329,16 12,1 klar. NW. sehr stark.
„26. —8 . 329,84 12,9 klar, radiale Dunst Cir-
x ri von NW—SO. Ber-
ge klar.
2 329,93 17,3 klar: W. sehr stark.
3 330 , 24 13,2 bedeckt, still.
IV. Malta nach Times April 6.
„ 23. Orkanartiger Sturm aus O., der Nachts zu S. u.W.
sich wendet.
Calvert bemerkt zu dieser Note, aber auf
frühere Jahre sich beziehend: „Ich bemerkte zu
Malta, wo ich lange lebte, dafs mit dem heifsen
drückenden Scirocco oft die Tische und Möbel in
den Häusern mit rothem Staube bedeckt waren,
welcher mit dem SW. u. S. von Afrika kommen
mulste. Der Staub von Malta ist weils.“
vom 8. April 1869. 313
Anm. 1860 März 10 hatten wir über ganz
Griechenland den Fall von zimmetbraunem Stau-
be; auch zu Athen fiel er sehr reichlich, und
stärker habe ich weder ihn, noch furchtbarer
das Aussehen des Himmels gefunden.
V. Neapel.
März23. Staubsturm bei sehr niedrigem Bar.; wie die Zei-
tungen melden.
„April 15 früh begann hier zu Athen ein noch stärke-
„rer S.-Sceirocco-Sturm, doch ohne Staub. Mittags 119 Erd-
„beben (ein stärkeres Erdbeben war April 16 —2%). April
„19 u. 20 sehr finster bei Landregen.
„(März 28 waren lebhafte Erdbeben zu Smyrna.)
„Von dem März 24 zu Athen gefallenen Staub habe ich
„erst April 22 einige zusammengeschwemmte Spuren gesam-
„melt, indem ich sie mit dem Messer von der braunen Öl-
„farbe der Terrasse losschälte.. Wenn ich auch glaube, dafs
„ich ganz Unnützes sende, lege ich doch die kleine Probe
„bei.“
„Mit erneutem Danke u. s. w.
J. F. Jul. Schmidt.“
Ich schliefse hieran noch einige mir später über denselben
Gegenstand durch gefällige Mittheilung des Hrn. Direktor Je-
linek zugekommene Nachrichten, welche sich ausführlicher in
der Zeitschrift der österreichischen Gesellschaft für Meteoro-
logie Band IV. verzeichnet vorfinden. Auch halte ich es im
Interesse der weiteren Aufklärung wichtiger Naturerscheinungen
nicht für unangemessen, die bis zum Druck des Monatsberichtes,
welcher erst jetzt Mitte Juni erfolgt hinzugetretenen Sachkennt-
nisse anzureihen. Im Bullettino meteorologico dell’ Osservatorio
del Collegio Romano Vol. VIII. sind neuerlich wieder rothe Pas-
satstaubfälle vom 10. März d. J. in Subiaco und vom 23.—24.
März in Neapel umständlich verzeichnet worden, die Zeit der
letzteren Erscheinung ist genau dieselbe mit der von den Dar-
danellen her kundgegebenen, und wenn dabei gesagt wird, dafs
nach meinen Beobachtungen der rothe Staub aus Afrika käme,
so ist das, wie so häufig in Publikationen, das gerade Gegen-
314 Gesammtsitzung
theil meiner Mittheilungen seit 25 Jahren. In den österr. me-
teorologischen Nachrichten (Bd. IV. p. 205) wird von diesen
italiänischen Staubfällen Nachricht gegeben, besonders aber auch
von der nämlichen Erscheinung in Lesina, über welche Hr.
Bucchich, der Beobachter derselben, sich pag. 305 folgender-
malsen äulsert:
„Am Abend des 23. März wich der mälsig starke SO-
Wind der Bora, jedoch war das Thermometer, welches um
2 Uhr Nachmittags 10.5° R. gezeigt hatte, nur um 0.4° herab
gegangen. Der ganze Himmel war von einem Cirro-Stratus
bedeckt und das Barometer sank rasch.“
„Um 6 Uhr Morgens am 24. März zeigte das Barometer,
welches zu dem dritten Minimum des Monates herabgesunken
war, 828.24 Par. Linien, die Bora wehte noch, jedoch mit
verminderter. Heftigkeit, die Temperatur war 11.10°R.; die
Feuchtigkeit der Luft 48 Percent. Bei einem Himmel, der mit
Cirro-Cumulo-Stratus bedeckt war, fing es langsam zu regnen an
und der Regen währte bis gegen 8 Uhr Morgens, die Quan-
tität des gefallenen Regens war 0.98'".*
„Etwas später bemerkte ich dunkelgelbe Flecken, welche
auf den Scheiben der gegen Norden gerichteten Fenster, aus
welcher Weltgegend der Regen herkam, deutlich die Begrenzung
der auf dieselben gefallenen Regentropfen zeigten. Da man
nicht annehmen konnte, dafs diese Flecken vom Staube her-
rührten, welchen der Wind von der Erde aufgehoben und mit
dem Regen gemischt hatte, indem der Boden fest („sodo“) und
feucht war, so wurde ich aufmerksamer auf die Erscheinung.
Ich untersuchte das Laub der Planzen, die Dächer, die Fenster-
scheiben anderer Häuser und fand, dafs in der That gleich-
zeitig mit dem Regen eine staubartige Masse herabgefallen war,
welche die äufseren Kennzeichen des bekannten „Passatstaubes*
darbot.*
„Diese ‚Erscheinung, verbunden mit dem Umstande einer
_ Temperatur, welche für den Charakter des dieselbe begleitenden
Windes zu hoch war, einer starken barometrischen Depression,
einer merklichen Trockenheit der Luft (denn es mufs bemerkt
‘werden, dafs die um 6 Uhr am 24. März beobachtete Luft-
Feuchtigkeit von 48 Percent gewils noch geringer gewesen
vom 8. April 1869. 315
wäre, wenn ‘es nicht geregnet hätte) scheinen mit der die:
trockenen Nebel („callina“) erzeugenden Ursache, über welche
sowohl Secchi als v. Vivenot geschrieben haben, im Zusammen-
hang zu stehen.*
„Wenn man mit Ehrenberg annimmt, dafs dieser Staub
aus den oberen Schichten der Atmosphäre herrührt, aus welchen
derselbe durch einen Wirbelsturm herabgetrieben wird, so würde
das rasche Sinken des Barometers ein Anzeichen eben dieser
Wirbelbewegung und ein Vorläufer des Staubfalles sein.*
„Bemerkenswerth ist es, dals sowohl der trockene Nebel
des Jahres 1861 als der Blutregen vom 24. März 1869 von
warmen Nordwinden herbeigeführt wurden.“
„Am Morgen desselben Tages (24. März) hatte man zu
Sign, einem Städtchen auf dem Festlande von Dalmatien, nörd-
lich von Lesina gelegen, Schneefall, und die Bora wehte da-
selbst sehr heftig.“
„Man kann vermuthen, dafs die erwähnten Erscheinungen
sich schon öfter ereignet haben; einer venetianischen Chronik
entnehme ich die folgende Anmerkung: „1508, Luglio. Non
voglio restar di scriver do cosse notade seguite questi Zorni,
una a Zara par piovesse aqua come sangue.
Lesina, 29. März 1969. G. Buechich.*
Ebenda wird weiter über den Staubfall in Krain pag. 200
folgendes bemerkt: „Hr. Oustos Deschmann in Laibach be-
richtet über denselben: In der Umgebung von Weixelstein
(Krain) bei Steinbrück fiel in der Nacht vom 24. zum 25. März
‚strichweise ein ganz kothiger Regen, der auf den Sträuchern
und Kleefeldern, besonders aber auf den Fensterscheiben ge-
deckter Gartenbeete sehr auffallende Spuren hinterliefs. Die
Substanz war eine röthliche Staubmasse, in der Färbung dem
hiesigen Gebirgsschiefer (Werfener Schiefer) sehr nahe kom-
mend. Da aber schon 14 Tage hindurch fortwährend nasse
Witterung herrschte, ist an eine Staubaufwirbelung und den
Niederschlag derselben durch den Regen nicht zu denken.“
Durch Hrn. Direktor Jelinek ist mir nun noch neuerlich
eine Probe des bei Cilly in Krain, zwischen Grätz und Lai-
bach gefallenen rothen Staubes vom 24. bis 25. März zugäng-
lich geworden, wobei am angeführten Orte noch bemerkt ist,
316 Gesammisitzung
dafs auch in Kärnthen, im Loibl-Thale gleichzeitig ein streifen-
weise braun gefärbter Schneefall sich ereignet hat, wovon mir
jedoch keine Probe zugekommen ist. Ebenso wenig sind mir
Materialien aus Sieilien und Calabrien zugänglich gemacht wor-
den, wo ein ähnlicher mit Sturm und Gewitter begleiteter, sehr
intensiv gelbrother Staubregen mit blitzenden Wolken und
srofsem Sturm beobachtet worden ist, den man aus der Rich-
tung von Afrika heranziehend meinte, wie in der Vossischen
Berlin. Zeitung am 16. April d. J. mitgetheilt wird. Dafs
er aber nicht aus Afrika stammen kann, vielmehr aus dem
atlantischen Dunkelmeer abzuleiten sein wird, möge nur ange-
deutet sein. |
Ich habe von den vier Hauptsubstanzen, welche mir zu-
gesendet worden sind, nämlich von den Dardanellen, von Le-
sina, Weixelstein und Cilly, eine Reihe von mikroskopischen
Analysen ausgeführt, deren Resultat ist, dals sie sämmtlich mit
dem vom mir schon so vielfach analysirten Passatstaubarten,
welche den sogenanten Blutregen bedingen, in der auffallendsten
Weise übereinstimmen. In diesen 4 Proben sind von mir nicht
weniger als 38 organische Lebensformen vorgefunden worden,
wie sie die vorliegende Tabelle in Übersicht bringt und die
vorgelegten Zeichnungen vor Augen stellen. Die meisten Formen
sind in der 1844 publicirten Abhandlung in den Schriften der
Akademie in Abbildungen vergleichbar.
Das Verfahren für die Beobachtung war ganz dasselbe
wie früher, indem nur je eine Drittel Kubiklinie der Masse
auf Glimmer unter destillirtem Wasser ausgebreitet, dann ge-
trocknet und mit kanadischem Balsam durchsichtig gemacht
worden ist. So wurden von den Dardanellen und Cilly je 10
und von Lesina und Weixelstein je 5 Analysen angefertigt,
welche in den Dardanellen 34, in der von Cilly 13, von Le-
sina 7, von Weixelstein 7, organische Formenarten erkennen
‚liefsen.
Nach diesem beiliegenden Verzeichnifs der mikroskopischen
Mischung ist dieser rothe Staub kein gewöhnlicher Staub, viel-
mehr verlangt derselbe die volle Aufmerksamkeit der Natur-
forschung.
vom 8. April 1869. 317
Die Hauptmasse des Volumens besteht, wie bei allem
Passatstaub, aus einem sehr feinen meist doppelt lichtbrechen-
den Sande, dessen gröbere Theilchen zuweilen doch bis zu
725 Linie reichen, die aber in einen überaus feinkörnigen
Mulm von eisenrostrother Farbe eingehüllt sind. Dieser feine
Mulm wird durch Salzsäure entfärbt weifslich, während die
letztere grünlich wird und durch Glühen wird der Staub
dunkler roth. Die organische Mischung dieses feinen Staubes
bildet nach Schätzung etwa 4 des Volumens oder 124 pro. Cent.
Ein leichtes Brausen mit Säure zeigt an, dafs kohlensaurer
Kalk in der Mischung ist. Entfärbung des Staubes durch Salz-
säure und die röthere Färbung durch Glühen lassen erkennen,
dafs die rothe Farbe von Eisen stammt. Die vorherrschenden
Formen des organischen Lebens sind Gallionella granulata
und decussata, welche in keiner Probe fehlen, oft aber sehr
häufig in jedem Sehfelde waren, Fragillaria striolata und Dis-
copleae mit pflanzlichen Kieseltheilen (Phytolitharien), wie sie
zumeist aus Gräsern gekannt sind.
Unter den 38 Formen sind Rotalia und Spong. uncinata
‚Meeresformen, die übrigen entschiedene Süfswassergebilde.
Ist nun in dieser Weise der Charakter der Substanz fest-
gestellt, so mag es erlaubt sein, einige Folgerungen daran zu
knüpfen. In meiner Abhandlung des vorigen Jahres über die
rothen Guinea-Erden habe ich die Unwahrscheinlichkeit, ja
Unmöglichkeit hervorgehoben, dafs Afrika den Seiroceo- Staub
Italiens liefern könne und durch die in der Mikrogeologie ge-
gebene Analyse der Oberflächen der Antillen-Inseln hat sich
auch anschaulich machen lassen, dafs die Antillen nicht den
Meteorstaub von Lyon (1846 u. s. w.) geliefert haben.
Durch die aus Athen gesandten Proben des Hellespont-
Staubes mit so gleichartiger Mischung, wie seit 1805 der Passat-
staub zu erkennen gegeben hat, wird jetzt plötzlich die Aus-
sicht auf jene bisher geheimnifsvolle befruchtende Erde des
Abdellatif nach Mittelasien gerichtet, wo räthselhafte Anhäu-
fungen rothen Staubes grofse Wüstenflächen erfüllen und er-
schreckende Orkane die fremde befruchtende, nach Burnes
1857 rothe Erde, über das Land von Beludschistan bis Kabul
und Kaschgar verbreiten sollen.
318 Gesammtsitzung
Die gemeldeten Nordost- und Süd- bis Südwest-Stürme
können sich nicht auf Afrika noch auf die Antillen beziehen,
sie geben vielmehr seit dritthalb Tausend Jahren die ersten
direkten Erläuterungen der Blutregen in Bagdad, Constanti-
nopel und des Homerischen Blutregens in Klein- Asien und
Griechenland selbst.
So reihen sich alle jene historischen dunklen asiatischen
Nachrichten vielleicht nun leicht an die von der oberen Atmos-
phäre periodisch sich herabsenkenden und durch ihr Fallen in
verschiedene Luftströme Wirbelorkane bildende, überall gleich-
artig gemischte und gefärbte, unfühlbar feine durchsichtige Staub-
nebel an, welche Alex. v. Humboldt 1803 in Süd-Amerika seiner
Aufmerksamkeit werth fand und die vor ihm Keppler sich als
Weltwolken theoretisch ausgeschmückt hatte, wie ich es 1847
und 1868 in den Abhandlungen anzudeuten für nützlich ge-
halten.
Die beiden schon im vorigen Jahre in der Abhandlung
über die Guinea-Erden besprochenen rothen Staubfälle aus Rom
“vom Jahre 1864 und 1866, werden hierbei ebenfalls zur Ver-
gleichung gebracht und ihre Übereinstimmung mit dem aus dem
Dunkelmeer abgeleiteten rothen Nebel nachgewiesen. Die unge-
heure Menge der Substanz, welche bei den Dardanellen ange-
geben wird, wird man freilich nicht in gleicher Intensität sich
bis Krain abgelagert denken dürfen, dafs es sich aber um
Tausende von Centnern einer gleichartigen, gleich organisch ge-
mischten Substanz wieder handelt, wie sie kein Oberflächen-
verhältnifs der Erde irgendwo geliefert hat, wie sie vielmehr
nur als zusammengehoben aus den Oberflächenverhältnissen aller
Erdtheile in der oberen Atmosphäre schwebend gedacht werden
kann, möge weiterer Erwägung anheimgegeben sein.
Ob jene Staub und Schlamm ablagernden Nordost-Stürme,
welche am gleichen Tage mit den süditaliänischen gleichartigen
.Südstürmen stattfanden, im Zusammenhange eines einfachen
cyclisch bewegten Wirbelsturmes stehen, oder ob gleichzeitige
Herabsenkungen grofser Staubmassen aus der oberen Atmos-
phäre im Westen und Osten stattgefunden haben, die dem Laufe
besondrer Luftströmungen der unteren Atmosphäre folgten, ist
für jetzt nicht zu entscheiden.
vom &. April 1869. 319
Bei der noch immer vielfachen Geneigtheit, den Seirocco-
und Fön.-Staub in nothwendigem Zusammenhange mit heifsen
Winden zu denken und deshalb besonders beides aus Afrika
abzuleiten, dürfte nicht unangemessen sein, folgendes noch zu
bemerken.
Ich war im vorigen Jahre 1868 in den Monaten Juli,
August und September in der Schweiz am Vierwaldstädter-See,
in Interlaken und im Rhonethale bei Bex stabil. Dieselbe Zeit
war ganz ungewöhnlich reich an Fönstürmen und zeichnete
sich dort durch furchtbare Verheerungen aus, welche durch die
ungewöhnlich zahlreichen Regengüsse, Schneeschmelzen und
Bergstürze hervorgebracht wurden. In dieser ganzen dreimo-
natlichen Zeit habe ich bei den mannigfachsten Nachfragen,
auch von den angesehensten Geologen der Schweiz so wenig
als von den vielen Reisenden, irgend einen Fall von rothem
Staubregen zur Erfahrung gebracht und die Versammlung der
Gesellschaft schweizerischer Naturforscher in Einsiedeln, wel-
che damals tagte, hat, soviel mir bis jetzt bekannt geworden,
keine Veranlassung gehabt ihre Aufmerksamkeit auf solche
Staubstürme zu lenken. In derselben Zeit war Dr. Parthey,
Mitglied der Akademie, in Rom und derselbe meldete mir in
einem Schreiben vom 24. März d. J., dafs er im Sommer 1868
nur zu viel Scirocco in Italien gehabt habe und besonders bei
Ariccia viel davon gelitten, ihm aber niemals ein rother Staub
dabei vorgekommen sei. Ich selbst habe in Italien bis Neapel
ebenfalls Seirocco ohne rothen Staub erlebt, und dafs rothe
Staubfälle bis in die neueste Zeit noch die Aufmerksamkeit des
Volkes dort erwecken, sollte wohl allgemein und definitiv er-
kennen lassen, dafs die heifsen Winde und der rothe Staub
keinen nothwendigen Zusammenhang haben und dafs, wenn
Afrika den heifsen Wind liefert, doch dieser Zusammenhang
ein nothwendiger sein würde.
In Bezug auf den hiermit bezeichneten so merkwürdigen
Staubsturm mag die Bemerkung hinzugefügt sein, dafs neuer-
lich zwar rothe Schneeflächen auch auf den Pafshöhen des
Kaukasus von Hrn. Baiern beobachtet worden sind, die rothe
Färbung aber nicht von gefallenem Passatstaub, sondern als
von der schön rothen kleinen alpinen Alge des abschmelzenden
320 Geesammtsitzung
liegenden Schnees, der Sphaerella nivalis herrührend, durch
von Hrn. Dr. Werner Siemens mir zugeführte Proben festge-
stellt worden ist (s. Sitzungsber. d. Berl. naturf. GER RBRE
Januar 1869).
Dafs in de Bulletino meteorologico von Palermo vom
Monat März am 23. u. 24. d. M. ein starker Nord-Ost- u. Nord-
West-Sturm angemerkt ist, verdient besondere Beachtung, wenn
auch von dem rothen Staube, dessen das „Giornale“* als beson-
dere Merkwürdigkeit lebhaft Erwähnung thut, keine Kenntnifs
genommen ist, vermuthlich doch, weil man an der, nicht mehr
möglichen, Vorstellung festhielt, dafs der Staub ein gewöhnlicher
Wüstenstaub aus Afrika sei. (23. März. Alle 9h. m. incomincia
un forte vento di N. E. che dura tutto il giorno, e a notte
tarda piega a NNO. il mare & molto agitato; nell’a sera pioggia.
24. Continua la burrasca e il mare & anche piu grosso di ieri
sera; il vento continua dal quarto quadrante; nella sera pioggia
e grandine.)
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. 20. Bd. 4. Heft.
Berlin 1868. 8.
Neunter Bericht des Offenbacher Vereins für Naturkunde. Offenbach
1868. 8.
Lotus. Zeitschrift für Naturwissenschaften. 18. Jahrg. Prag 1868. 8.
Arthur v. Oettingen, Meteorologische Beobachtungen. 2. Jahrgang.
Dorpat 1869. 8.
Cam. Heller, Die Zoophyten od Echinodermen des Adriatischen
Meeres. Wien 1868. 8.
W. Wackernagel, Voces variae animantium. Ein Beitrag zur Na-
turkunde und zur Geschichte der Sprache. 2. Aufl. Basel 1869. 8.
A. Neilreich, Die Vegetationsverhältnisse von Croatien. Wien 1868. 8.
Verhandlungen des k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien.
Jahrg. 1868. 18. Bd. Wien 1868. 8.
G.A.Maack, Die bis jetzt bekannten fossilen Schildkröten. Cass. 1869. 4.
zu p. 320.
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Mikroskopische Mischung der 6 Passatstaub - Proben.
zu p. 320,
- | Dardanellen
POLYGASTERN:
Campylodiscus ? Fragm.
Cocconema Lunula
Discoplea atmosphaerica
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—_ ?
_ 2
Eunotia amphioxys
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— ÖOygnus ?
Textrieula ?
St. Antoni ?
—_ _ 2
Fragilaria Rhabdosoma
— ?
striolata
—_ Venter
Gallionella decussata
—_ distans
—_ granulata
lineata
marchica
tenerrima
_ _ 2
_ crenata
Navieula Bacillum
Trachelomonas volvocina
_ 2
Pinnularia viridis ?
viridula ?
Rhaphoneis ?
Surirella ?
PHYTOLITHARIEN:
Amphidiseus truncatus
Lithodontium vostratum
Emblema
Lithosiylidium Catena n. sp.
crenulatum
biconcavum
_ hemicyclus n. sp.
denticulatum
Diceras n. sp.
—_ laeve
rude
sinuosum
unidentatum
perforatum n. sp.
—_ Serra
_ Ossiceulum
_ Amphiodon
Spongolithis acicularis
Clavus
—_ uncinata
POLYTHALAMIEN:
Rotalia aspera ?
Weiche Pflanzentheile:
Pflanzenhaare
Summe des Örganischen:
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Unorganisches:
kleine eubische Kalkkrystalle
quarziger Trümmersand
röthlich gelber Eisenmulm
thoniger farbloser Mulm
Summe des Ganzen 58
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wo | Lesina.
"++:
«= | Cilly.
+
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= | Weixelstein.
a | Rom 1866
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vom 8. April 1869. 321
Mittheilungen der k. k. Oentral-Commission zur Erforschung und Er-
haltung der Baudenkmale in Wien. 14. Jahrg. Wien 1869. 4.
Verhandlungen der phys.-medicin. Gesellsch. in Würzburg. Neue Folge.
1. Bd. 2. Heft. Würzburg 1868. 8.
Vierteljahrschrift der astronomischen Gesellschaft in Leipzig. 4. Jahrg.
1. Heft. Leipzig 1869. 8.
C. Sandhaufs, Über das Tönen erhitzter Röhren und die Schwin-
gungen der Luft in Pfeifen von verschied. Gestalt. Neisse 1869. 4.
Mit Begleitschreiben des Verfassers d. d. Neisse 3. April 1869.
Montagna, Nowelle theorie du metamorphisme des roches. Naples
1869. 8. Mit Schreiben des Verf. d. d. Napoli 30. 3. 69.
Aoust, Analyse iufinitesimale des courbes. Paris 1869. 8.
Bulletin de la societe geologique. 25, 2.3. Paris 1868. 8.
Annales des mines. Tome XIV, 5. Paris 1868. 8.
A. de Vertus, La langue primitive. Paris 1868. 8. Mit Schrei-
ben des Verf. d. d. Brecy par Courcy (Aisne) 23. Mz. 1869.
Fenicia, Libro decimoquarto della politica. Bari 1868. 8.
Atti del Istituto veneto. XIII. Disp. 8—10. Venezia 1868. 8.
Transactions and Proceedings of the Royal Society of Edinburgh. Edin-
burgh 1867—68. 8.
Philosophical Transactions. Vol. 158. London 1869. 8.
Proceedings of the Royal Society. no, 101—108. London 1868. 8,
Greenwich Observations in the year 1866. London 1868. 4.
Catalogue of scientifie papers. Vol. MH. London 1868, 4,
: Transactions of the Royal Society of Victoria. IX, 1. Melbourne
1868. 8.
Compte rendu de la commission imperiale archeologique pour 1865—66.
Petersburg 1866—67. 4.
(C. Priomis) Trattato di architettura civile e militare di Fr. di Giorgio
Martini. Torino 1841. 4. et fol.
Materiaux pour la carte geologique de la Suisse. Livr. 6. Berne
1869. 4.
Bigsby, Thesaurus silurieus. London 1868. 4.
W. W. Hunter, A comparative dictionary of the non-aryan languages
of India and High Asia. London 1868. 4. Mit Ministerialrescript
vom 2. April 1869.
[1869.] 93
322 Gesammtsitzung
15. April. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Borchardt las über einige Probleme des relativen
Maximums.
Hr. Poggendorff las:
Über eine Vereinfachung in der Construction und dem
Gebrauch der Holtz’schen Influenzmaschine
erster Art.
Diese gegenwärtig sehr verbreitete Maschine besteht, wie
bekannt, aus einer drehbaren und einer festen Glasscheibe,
von welchen die letztere mit Ausschnitten versehen ist, ent-
weder in Gestalt eigentlicher, nach dem Rande hin offener
Sectoren, oder in Gestalt kreisrunder oder ovaler Öffnungen
von beträchtlicher Gröfse. Die letztere Einrichtung ist die
bessere und daher auch jetzt allgemein übliche, weil man da-
bei die ruhende Scheibe mit Leichtigkeit in jede beliebige Stel-
lung versetzen kann.
Über den Nutzen und die Nothwendigkeit dieser Aus-
schnitte ist, meines Wissens, noch keine recht präcise Ansicht
ausgesprochen. Hr. Holtz äufsert beiläufig in seiner ersten
Abhandlung!) die Ausschnitte hätten den Zweck, den binden-
den Einflufs der auf der Rückseite der festen Scheibe ange-
häuften Elektricität zu unterbrechen und somit die Elektrieität
der rotirenden Scheibe frei zu machen. Diese Theorie ist mir,
mufs ich gestehen, niemals recht einleuchtend gewesen, und
vollends wurde ich irre an ihr als ich fand, dafs man die
Ausschnitte oder Fenster (wie die Franzosen sagen) unter ge-
wissen Bedingungen durch Glas oder Kamm-Masse verschlielsen
1) Ann. d. Phys. u. Chem. Bd. 126. S. 162.
vom 15. April 1869. 323
kann, ohne dadurch die Wirkung der Maschine sonderlich zu
beeinträchtigen. Da ich aber andrerseits auch keinen Vortheil
von diesem Verschlulse sah, so liefs ich die Sache liegen.
| Erst vor einiger Zeit, wurde ich wieder auf den Gegen-
stand zurückgeführt, indem ich mich gewifser Thatsachen er-
innerte, welche ich schon zu Ende des Jahres 1866 beobachtet,
zum Theil in der Klassensitzung vom Februar 1867 mitgetheilt,
und seitdem oftmals bestätigt gefunden habe.
Unter Anderem zeigte ich damals, dafs die Maschine auf
dreierlei Art erregt werden kann. Erstlich von der Rückseite
her, auf die gewöhnliche Weise, indem man einem der Belege
durch Vertheilung oder Mittheilung Elektricität zuführt. Zwei-
tens von der Vorderseite her, indem man aus einer anderen
Elektrieitätsquelle, entweder einer zweiten Maschine oder einer
geladenen Flasche, Elektrieität durch die Metallkämme auf die
rotirende Scheibe ausströmen lälst. Und drittens auf interme-
diäre Weise mittelst der ruhenden Scheibe, nachdem man die-
selbe durch vorherigen Gebrauch der Maschine in ihren beiden
Hälften entgegengesetzt elektrisch gemacht und die Ars ab-
leitend berührt hat.
Auf welche Weise nun auch die Maschine in Thätigkeit
gesetzt worden sein mochte: immer fand ich, dafs der Zahn
der Belege, dieser mysteriöse Theil der Holtz’schen Maschine,
der dieselbe wesentlich zu einem bis dahin unbekanten, ganz
neuen Instrumente macht, während der Rotation der beweg-
lichen Scheibe nicht einfach elektrisch ist, sondern sich in
einem polaren Zustand befindet, vermöge dessen er die eine
Elektrieität aus seiner Spitze und die entgegengesetzte aus sei-
ner Basis aussendet, wie denn auch das bei einem isolirten
Leiter, der influeneirt wird, nicht anders als in der Ordnung ist.
Wird der Spitze eines solchen Zahnes z. B. positive Elek-
trieität zugeführt, indem man sie mit dem positiven Knopf einer
geladenen Flasche oder dem Deckel eines Elektrophors be-
rührt, so. giebt diese Spitze während der Rotation nicht positive
Elektricität aus, sondern negative, und die positive Elektricität
wendet sich zur Basis des Zahns, welche dem benachbarten
Metallkamm, der in diesem Falle negative Elektricität ausströmt,
directer gegenübersteht.
23*
324 Gesammtsitzung
Umgekehrt, wenn man durch einen Metallkamm negative
Blektrieität auf die rotirende Scheibe ausströmen läfst, wird
der gegenüberstehende Beleg, so wie die Basis des Zahnes,
positiv und die Spitze des letzteren giebt negative Elektrici-
tät aus. | |
Schon hiedurch überzeugte ich mich, dafs der Papierbeleg,
auch wenn er gefirnifst worden, was man übrigens jetzt mei-
stens unterläfst, gleich dem Zahne, ein Leiter der Elektrieität
ist, und nothwendigerweise sein mufs, wenn die Maschine in
Wirksamkeit gelangen soll. Ein gezahnter Beleg von Glimmer,
also einem Isolator, dessen Anbringung an der ebenfalls isoli-
renden Glasplatte schon vorweg nichts erwarten läfst, giebt
auch keine Wirkung. Dagegen kann das Papier ganz füglich
durch Stanniol, also einen metallischen Leiter, ersetzt werden,
obwohl gerade nicht mit practischem Vortheil, weil dabei die
Wirkung, wegen der schnellen Eniweichung der Elektrieität,
viel schwächer ist und bald erlischt, wenn man die Elektroden
etwas weit auseinander zieht. Wie sehr die Blektrieität aus
einem solchen Stanniolbeleg entweicht, zeigt sich besonders
wenn er positiv, die Zahnspitze also negativ ist; dann sieht
man im Dunklen lange zarte Funken aus ihm hervor schiefsen.
Gewils war es ein glücklicher Griff, dafs Hr. Holiz gerade
einen solchen Halbleiter wie das Papier ist, zu den Belegen
wählte.
Diese und andere Erscheinungen, welche mich in der An-
sicht bestärkten, dafs die Papierbelege der Maschine nicht mit
dem Kuchen des Elektrophors parallelisirt werden können, ge-
währten mir auch einen deutlicheren Blick in die Function der
Ausschnitte der festen Scheibe.
Ich erkannte, dals diese Ausschnitte keinen anderen Nutzen
haben und haben können als den, die von der Basis der
Zähne ausströmende Elektricität zu den mit ihr über den Rand
. leitend verbnndenen Belegen zuführen und somit auf der Aufsen-
seite der festen Scheibe auszubreiten. Und damit war denn
auch alsbald eine Construction gegeben, welche die Ausschnitte
überflüssig macht.
Ich liefs nämlich in die feste Scheibe zwei diametrale Lö-
cher bohren, so grols wie ungefähr einen Silbergroschen (18 Mm.
vom 15. April 1869. 325
im Durchmesser), füllte jedes derselben durch eine Korkscheibe
aus, und klebte nun auf die innere Seite dieser Scheiben die
Papierzähne, und auf die äufsere die Papierbelege. Dadurch
war denn, ohne offene Ausschnitte in der Scheibe, eine leitende
Verbindung zwischen den Zähnen und den Belegen hergestellt.
Meine Erwartungen von dieser Construction wurden voll-
kommen erfüllt. Ich hatte vorweg keine gröfsere Wirkung von
ihr erwartet, als man mit der alten Construction bekommt, aber
sie wirkte auch um nichts schwächer als diese. Weder in der
Funkenlänge, noch in der Elektricitätsmenge, fand ich irgend
einen merklichen Unterschied mit der, welche dieselbe Ma-
schine versehen mit grofsen offenen Ausschnitten gab. Nur
war es nöthig, die Zähne so zu biegen, dafs sich ihre Spitzen
in der Mitte des Abstandes beider Scheiben befanden.
Diese Construction hat zunächst den practischen Nutzen,
dals sie die Maschine wohlfeiler macht; denn das Ausbohren
eines kleinen Loches ist minder kostspielig als das Ausschneiden
einer grofsen Öffnung mit dem Diamant, zumal dabei die Schei-
ben mitunter wohl zerspringen.
Allein sie gewährt auch noch andere Vortheile. Fürs
Erste kann man sich dadurch einen deutlichen Beweis ver-
schaffen, dafs die Belege an der Aufsen- und die Zähne an
der Innenseite der festen Scheibe befindlich sein mülsen, wenn
die Maschine soll in Thätigkeit gebracht werden können. Kehrt
man nämlich diese Scheibe um, so dafs die Belege nach Innen,
und die Zähne nach Aufsen zu liegen kommen, so giebt die
Maschine keine Wirkung, wenn man auch, was dann noth-
wendig ist, die bewegliche Scheibe in umgekehrter Richtung
rotiren läfst, damit sie sich gegen die Spitzen der Zähne be-
wege.!)
Fürs Zweite kann man nun mit derselben Maschine die
einfache und die doppelte Elektricitätsmenge erzeugen, ohne
mehr als eine feste Scheibe zu gebrauchen. Besonders leicht
1) Beiläufig bemerkt habe ich mich auch durch Versuche überzeugt,
dafs Zähne an der Innenseite der Ausschnitte ohne Belege an der Aulsen-
seite, oder umgekehrt die letzteren ohne die ersteren, keine Wirkung
geben.
326 . Gresammtsitzung
geschieht dasselbe, wenn die Maschine die ihr neuerdings von
Hrn. Holtz gegebene Einrichtung der einseitigen Axe besitzt.')
Um eine Maschine auf Erzeugung der doppelten Elektriei-
tätsmenge einzurichten, muls sie bekanntlich mit vier Metall-
kämmen versehen werden, und man hatte ihr zu dem Ende
aufser der gewöhnlichen festen Scheibe noch eine zweite mit
vier Ausschnitten und vier gezahnten Belegen beigefügt. Zu-
gleich hatte man sich darauf gesetzt, die Wirkung der so ab-
geänderten Maschine zwischen denselben Elektroden beobachten
zu wollen, welche man bei einer Maschine mit nur zwei Aus-
schnitten benutzt. Diefs machte aber eine sehr complicirte
Verbindungsweise der Kämme nöthig, die noch dazu überflüfsig
war, da die Schlagweite bei einer solchen Maschine, aus einem
bisher noch nicht recht aufgeklärten Grunde, immer nur sehr
gering ist, man also doch die Elektroden nie sehr weit, höch-
stens einen Zoll, aus einander ziehen kann.
Zum Laden von Flaschen, zur Hervorbringung langer Fun-
ken und Büschel, ist eine solche Maschine nicht tauglich; ihr
Nutzen beschränkt sich hauptsächlich auf die Licht-Erschei-
nungen in evacuirten Gasen, aber dabei hat sie wirklich Vor-
züge vor der einfachen Maschine.
Mein Verfahren, um den angedeuteten Zweck zu errei-
chen, ist nun folgendes. Zunächst versehe ich die feste Scheibe
mit vier gezahnten Belegen von der beschriebenen Einrichtung,
um einen Quadranten von einander abstehend. |
Ich habe mich überzeugt, dafs diefs der Benutzung von
nur zwei Belegen, zur Hervorbringung der einfachen Elektriei-
tätsmenge keinen Abbruch thut. Wenn ich nämlich jeden der klei-
nen horizontalen Belege durch einen ihm an Breite gleichen qua-
drantenförmigen Streif von dünem Postpapier nach oben und
unten um gleichviel, also um 45° verlängere und den schrä-
gen Hülfsconductor einsetze, bekomme ich dieselbe Funkenlänge
!) Eine Scheibe mit vier offenen Ausschnitten läfst sich allerdings
auch für zwei Metallkämme benutzen; allein es schien mir doch immer,
dafs dabei die Elektricitätsmenge und die Funkenlänge geringer sei als
die, welche man mittelst einer Scheibe mit nur zwei Ausschnitten be-
kommt.
vom 15. April 1869. 327
und dieselbe Elektrieitätsmenge wie im -Fall die feste Scheibe
unter gleichen Umständen nur zwei Belege mit offenen Aus-
‚schnitten besitzt.')
Um nun die doppelte Elektrieitätsmenge zu erhalten, mufs
man, nachdem die beiden bogenförmjgen Hülfsbelege entfernt
worden. sind, den schrägen Conductor senkrecht stellen, und
die horizontalen Elektroden dicht zusammen schieben, so dafs
die diametral gegenüber liegenden Kämme paarweise metallisch
mit einander verknüpft sind und vor den Belegen stehen. Wird
nun zwischen den beiden Metallbogen, d. h. zwischen dem ver-
ticalen Hülfsconductor und den horizontalen Elektrodenbogen
eine leitende Verbindung hergestellt, z. B. durch eine evacuirte
Röhre, so bekommt man in dieser die doppelte Elektrieitäts-
menge, sobald man die Maschine auf die gewöhnliche Weise
1) Zu den räthselhaften Erscheinungen, an welchen die Influenzma-
schine so reich ist, gehört unter anderen auch die, dafs wenn die beiden
bogenförmigen Papierstreifen, welche, wie eben erwähnt, die kleinen
horizontalen Belege verlängern, sich nnr einseitig bis zu dem schrägen
Conduetor erstrecken, also etwa bis zu einer Gröfse von 45,° Strom-Um-
kehrungen vorkommen, sobald die Elektroden sehr weit auseinander ge-
zogen werden. Zwar habe ich solche Umkehrungen nicht immer, und
nicht bei Flaschen - Entladungen bemerkt, sondern nur bei der Büschel-
bildung: allein die neue Einrichtung würde doch erheblich zurüeckstehen
gegen die alte mit offenen Ausschnitten, die von diesem Übelstande frei
zu sein scheint, wenn er sich nicht entfernen liefse. Glücklicherweise
ist diefs aber zu bewerkstelligen, und zwar dadurch, dafs man die hori-
zontalen Belege auch abwärts von dem schrägen Conductor um etwa 45°
verlängert, also ihnen im Ganze eine Ausdehnung von 90° giebt.
So sonderbar die Umstände zuweilen bei den Umkehrungen sind,
eben so sind sie es hinsichtlich der Funkenlänge.. Manchmal will es
weder bei der alten, noch bei der neuen Einrichtung, durehaus nieht
gelingen diese auf das Maximum zu bringen, und es zeigt sich, dafs dann
der Strom in dem schrägen Hülfsconductor eine grofse Stärke hat. Nun
ist es zwar begreiflich, dafs der Strom zwischen den Elektroden ab-
nehmen mufs, wenn er in jenem Conduetor zunimmt; aber weshalb es
hierin unter scheinbar gleichen Umständen nicht immer diese schädliche
Stärke hat, das ist schwer erklärlich. — Reinheit der Glasflächen hat
übrigens einen grofsen Einflufs auf diese Anomalien.
328 Gesammtsitzung
erregt. Diese Erregung erfolgt durch geriebene Kamm-Masse
oder durch den Deckel eines Elektrophors fast momentan, aber
erst dann, nach dem die letztere Verbindung hergestellt ist, d. h.
alle vier Kämme leitend mit einander verbunden worden sind.
Um die eben genannte Verbindung leicht zu bewerkstelligen,
ist der Hülfsconductor vorn, in der Verlängerung des Zapfens,
mittelst dessen er an der Axe der Maschine befestigt wird, ver-
sehen mit einen hohlen Fortsatz von etwa drittehalb Zoll Länge
und einen halben Zoll Dicke, der an seinem Ende eine Kugel
trägt. An diese wird die isolirte Kugel eines kleinen beweg-
liehen Stativs geschoben, und letzteres durch die zu unter-
suchende Geilslersche Röhre mit dem Elektrodenbogen ver-
knüpft. Diese Vorriehtung hat den Zweck, ganz nach Belie-
ben, den directen, den discontinuirlichen oder den explosiven
Strom benutzen zu können; im ersten Fall schiebt man die
eben genannten beiden Kugeln dicht zusammen, im zweiten
rückt man sie etwas auseinander, im dritten fügt man noch ein
Paar kleiner Flaschen hinzu, die man respeetive an den Fort-
satz des Hülfsconductors und an den Elektrodenbogen anlegt,
während sie äufserlich leitend mit einander verknüpft sind.
Alles dieses sieht in der Beschreibung weitläufiger aus,
als es in Wirklichkeit ist. In höchstens zwei Minuten ist die
Maschine von der einfachen Elektrieitätsmenge auf die doppelte
gebracht und eben so schnell wieder auf die einfache zurück-
geführt, ohne dafs man nöthig hat, sie auseinander zu nehmen,
wie es früher erforderlich war. Ich glaube daher, dafs es
zweckmäfsig sein wird, künftig alle Maschinen, namentlich die
mit einseitiger Axe, auf die beschriebene Weise vorzurichten.
Nur im Fall man die Absicht hätte, die Rolle der festen
Scheibe genauer zu untersuchen, wäre es vielleicht nicht über-
flüssig, der Maschine auch eine solche Scheibe mit nur zwei
‚gezahnten Belegen beizufügen.
Wie vorhin erwähnt und wie schon in der Klassensitzung
vom Febr. 1867 von mir gezeigt worden ist, kann nämlich
die Maschine auch durch die feste Scheibe, wenn sie zuvor in
ihren beiden Hälften entgegengetzt elektrisch gemacht ist, in
Thätigkeit versetzt werden.
|
ee =
vom 15. April 1869. 329
Läfst man nämlich die bewegliche Scheibe eine Zeitlang
rotiren, hält sie nun an, nimmt von den Belegen und Elektro-
- den durch ableitende Berührung alle Elektrieität fort, und er-
neut darauf die Rotation, so kommt die Maschine wiederum
zur vollen Thätigkeit. Diefs ist Wirkung der festen Scheibe,
was auch daraus hervorgeht, dafs wenn man diese Scheibe
während der Ruhezeit um 180° gedreht hat, der neu entste-
hende Strom in seiner Richtung dem anfänglichen entgegen-
gesetzt ist.
Auch wenn die (zuvor polarisirte) feste Scheibe während
der Ruhezeit nur um 90° verstellt worden ist, gelangt die Ma-
schine bei abermaliger Rotation wiederum zur Wirksamkeit.
Und dieser Fall ist besonders interessant, weil dabei die ge-
zahnten Belege, wenn deren nur zwei an der Scheibe vorhan-
den sind und sie die gewöhnliche Gröfse nicht überschreiten, ')
aulser Activität gesetzt werden.
Der entstehende Strom ist rein die Wirkung zweier aus
. der polaren Elektrisirung der festen Scheibe hervorgegangener
Elektrophore, eines positiven und eines negativen, vor welchen
die bewegliche Scheibe rotirt; und daher erhält man ihn in
gleicher Stärke und gleicher Richtung, welch eine Richtung
die Rotation dieser Scheibe auch haben mag; nur die Licht-
pinsel an der Scheibe kehren sich um bei einem Wechsel der
Rotation; sie sind dieser immer entgegengesetzt.
1) Werden dagegen diese Belege, wie es Hr. Holtz in neuerer
Zeit zur vermehrten Wirksamkeit des schrägen Cenductors gethan hat,
durch einen angelegten bogenförmigen Streif von dünnem Papier bis zu
einem Quadranten verlängert, so dafs ihre Enden bei der angegebenen
Stellung der festen Scheibe bis zu den horizontalen Metallkämmen hinan-
reichen, so sind die Escheinungen im Ganzen dieselben wie im Fall wenn
die feste Scheibe nicht um 90° gedreht hätte. Der entstehende Strom
ist aber wenig stabil und schwach, und der Hülfsconductor, wie er auch
gestellt sein mag, vernichtete ihn gänzlich.
Bei solchen quadrantenförmigen Belegen und der angegebenen Stel-
lung der festen Scheibe läfst sich übrigens der Strom, wenn diese Scheibe
noch gauz indifferent ist, auf die gewöhnliche Weise erregen. Nur ist
er viel schwächer als im Fall die Kämme den Zähnen näher stehen;
auch ist dabei der Hülfsconductor nicht anwendbar.
330 . Gesammtsitzung
Die Richtung dieses Elektrophorstroms hängt lediglich da-
von ab, in welchem Sinne die feste Scheibe verstellt worden
ist, da die Metallkämme immer die entgegengesetzte Elektrici-
tät von derjenigen auströmen, welche die ihnen gegenüber-
stehenden Hälften dieser Scheibe besitzen.
Die Stärke des Stroms ist ganz ansehnlich; ich habe mit-
telst seiner Funken von fünf Zoll Länge erhalten, und wenn
die Metallkämme blofs durch einen metallischen, flüssigen oder
gasigen Leiter verbunden sind, Beat er auch eine beträch-
liche Dauer. |
Dennoch aber kann er den eigentlichen Strom der Holtz-
schen Influenzmaschine weder ersetzen, noch wie Bertsch
glaubt, der ihn durch einen Kautschuck-Elektrophor hervorge-
rufen hat, erklären. Es mangelt ihm das sinnreiche Prineip
der steten Erneuung der Elektrieität, durch welches die Holtz-
sche Maschine, so lange sie in Rotation gehalten wird und die
Elektroden eine genügend ausgleichende Verbindung der Me-
tallkämme darbieten, zu einer unerschöpflichen Elektricitäts-
quelle wird.
Der Elektrophorstrom nimmt allmählig ab, nicht allein
weil die Elektrophore ihre Kraft nach und nach verlieren, son-
dern auch, weil sie von Seiten der rotirenden Scheibe und der
Metallkämme eine Rückwirkung erfahren, vermöge welcher sie
langsam in einem anderen Sinne elektrisirt werden. Beweis
davon giebt der Umstand, dafs wenn die feste Scheibe wieder
in ihre ursprüngliche Stellung zurück versetzt wird, man ent-
weder keinen Strom bekommt, oder einen, der dem anfäng-
lichen entgegengerichtet ist.
Wenn nun auch nach Allem diesem dem Elektrophorstrom
kein practischer Werth beigelegt werden kann, so hat er doch
andrerseits theoretisches Interesse genug, um es wünschens-
werth erscheinen zu lassen, der Maschine eine zur Beobach-
tung desselben geeignete Einrichtung zu geben. Man könnte
ihr zu dem Ende eine feste Scheibe mit zwei Belegen hinzu-
fügen; allein ich glaube, dafs diefs nicht gerade nothwendig
wäre, es vielmehr hinreichen würde, an der Scheibe mit vier
Belegen zwei der Zähne abnehmbar zu machen, was bei der
vom 15. April 1869. 331
vorhin beschriebenen Einrichtung jedenfalls keine Schwierigkeit
hätte. Versucht habe ich indefs noch nicht.
Schliefslich sei hier noch einer interessanten Combination
gedacht, durch welche man neben dem eigentlichen Strom der
Maschine, den ich den Hauptstrom nennen will, einen zweiten
Strom bekommt, der auch als Elektrophorstrom zu betrach-
ten ist.
Zu dem Ende mufs die feste Scheibe mit zwei gezahnten
Belegen von gewöhnlicher Grölse versehen sein, und so gestellt
werden, dafs der eine dieser Belege senkrecht unter dem an-
dern liegt. Bringt man nun vor ihnen den drehbaren Hülfs-
conductor ebenfalls in lothrechter Stellung an, so kann man sie
in gewöhnlicher Weise erregen'), und man erhält in diesem
lothrechten Conductor den Hauptstrom, und in den Elektroden
der horizontalen Kämme, denen keine gezahnten Belege gegen-
überstehen, den Elektrophorstrom.
Der letztere Strom geht offenbar von der rotirenden Scheibe
aus. Führt man nämlich dem oberen Beleg z. B. positive Elek-
trieität zu, indem man ihn mit dem Deckel eines Elektrophors
berührt, so strömt der gegenüberstehende Kamm, des senkrech-
ten Conductors negative Elektrieität auf die Scheibe. Durch
die Rotation wird diese negative Elektrieität an den rechtslie-
genden horizontalen Kamm geführt, der dem gemäls positive
Elektrieität ausströmt. In ähnlicher Weise giebt, bei der an-
genommenen Erregung, der untere Kamm des lothrechten Con-
ductors positve Elektricität aus, welehe von der rotirenden
Scheibe vor den links liegenden horizontalen Kamm geführt
wird und diesen zur Auströmung von negativer Elektricität ver-
anlafst.
Vom Negativen zum Positiven gerechnet, geht also der
Strom in dem lothrechten Conductor von oben nach unten, und
in den horizontalen Elektroden von links nach rechts. Würde
1) Zur Erregung des Hauptstromes ist jedoch nöthtg die Elektroden
des Nebenstroms etwas auseinander zu ziehen; sonst geschieht sie äufserst
schwierig, vielleicht gar nicht.
332 Gesammtsitzung
der letztere Strom von der festen Scheibe hervorgebracht, so
müfste er, da diese Scheibe durch die Belege umgekehrt elek-
trisirt wird wie die rotirende durch den lothrechten Conductor,
entgegengesetzte Richtung haben. Diefs bestätigt auch die Er-
fahrung. Denn wenn man den lothrechten Conductor fortnimmt,
bekommt man ebenfalls einen Elektrophorstrom, der aber schwä-
cher ist und entgegengesetzte Richtung besitzt.
Der Strom, den man bei Anwesenheit des lothrechten Con-
ductors beobachtet, ist also nur die Differenz zweier Elektro-
phorströme, und diefs erklärt wohl zur Genüge, weshalb dieser
complexe Strom verhältnifsmäflsig so gering an Elektricitäts-
menge ist. Die Funken, welche man durch Einschaltung von
Flaschen bekommt, folgen nur langsam auf einander, aber sie
haben dafür eine bedeutende Schlagweite. Wenn ich die nega-
tive Elektrode in einer zwei Zoll grofsen Kugel endigen lafse,
erhalte ich Funken von über sechs Zoll Länge. Und diese
Funken erhält man unausgesetzt, so lange die bewegliche Scheibe
in Rotation erhalten wird. Dadurch unterscheidet sieh dieser
Elektrophorstrom wesentlich von dem früheren, der übrigens
wie dieser keiner freiwilligen Umkehrung ausgesetzt ist.
Die letztere Eigenschaft und die relativ langsame Ent-
wicklung der Elektricität machen diesen Strom vorzugsweise
geeignet, Flaschen und Batterien zu einem festgesetzten Grade
zu laden, was bei der gewöhnlichen Anwendungsweise der In-
fluenzmaschine mitunter seine Schwierigkeit hat.
Hr. A. W. Hofmann las:
Über die dem Senföl entsprechenden Isomeren der
Schwefeleyanwasserstoffäther.
In einer früheren Arbeit, welche ich der Akademie!) vor-
‚gelegt habe, wurde bereits der Umbildung gedacht, welche die
Senföle bei hoher Temperatur unter dem Einflusse des Wassers
erleiden. Unter Entwicklung von Kohlensäure und Schwefel-
wasserstoff werden die Monamine zurückgebildet. Für diese
1) Monatsberichte für 1868. S. 481.
vom 15. April 1869. 338
Umwandlung sind 2 Mol. Wasser erforderlich, es ist aber nicht
unwahrscheinlich, dafs die Reaction in zwei auf einanderfolgen-
den Phasen verläuft und dafs zunächst nur 1 Mol. Wasser
fixirt wird. Bei dem Äthylsenföl würde im Sinne dieser Auf-
fassung der Spaltung in Kohlensäure, Schwefelwasserstoff und
Äthylamin, die Bildung einer ephemeren Säure
ei
ee ke
vorausgehen.
Läfst man statt des Wassers Alkohol auf das Senföl ein-
wirken, so erhält man in der That den Äther dieser Säure
ohne alle Schwierigkeit. Die Reaction erfolgt schon bei 100°,
Seht aber mit gröfserer Schnelligkeit bei 110—120° von statten,
Einwirkung des Äthylalkohols auf das Äthylsenfol.
Digerirt man eine Mischung von Äthylsenföl mit absolutem
Alkohol bei 110°, so ist schon nach einigen Stunden die Ver-
einigung beider Körper vor sich gegangen. Beim Öffnen der
Röhre entweicht kein Gas, der Geruch des Senföls ist ver-
schwunden und auf Zusatz von Wasser zu der Flüssigkeit fällt
ein wenig angenehm lauchartig riechendes Öl zu Boden, welches
nur mit Wasser gewaschen, über Clorcaleium getrocknet und
destillirt zn werden braucht, um im Zustande der Reinheit er-
‚halten zu werden. Der Siedepunkt liegt zwischen 204 und
208°, Bei der Analyse wurde die Zusammensetzung
ee eENSso (E90, ie
gefunden.
Dieser Äther, den man als halbgeschwefeltes Äthyl-
urethan auffassen könnte, entsteht also einfach durch Ver-
einigung von 1 Mol. Senföl mit 1 Mol. Alkohol,
II
und seine Entstehung ist der von Würtz') beobachteten Bil-
dung des Äthylurethan aus Cyansäureäther und Alkohol voll-
kommen analog.
1) Würtz, Ann. Chem. Phys. [3] XLI. S. 43.
334 Gesammtsitzung
Unter dem Einflusse des Wassers, zumal in der Gegenwart
von Säuren oder Alkalien, zerfällt das halb geschwefelte
Äthylurethan, wie dies nicht anders zu erwarten stand, in
Alkohol, Kohlensäure, Schwefelwasserstoff und Äthylamin
CCEDENo+2(1}0) = .ı 110400 +H,8+ 0235 Heim.
C,H, H 2 H
Bei Anwendung von concentrirter Schwefelsäure wird statt
Kohlensäure und Schwefelwasserstoff Kohlenoxysulfid erhalten.
Die eben beschriebene Verbindung kann auch durch die
Einwirkung alkoholischer Natronlösung auf das Äthylsenföl er-
halten werden. Die Identität der so gebildeten Verbindung mit
der durch die Einwirkung des Alkohols erhaltenen, wurde so-
wohl durch eine sorgfältige Vergleichung der Eigenschaften als
auch durch die Analyse festgestellt. Durch die Einwirkung
des Natriumhydrats entsteht aber stets auch das entsprechende
Natriumsalz, endlich wird ein Antheil Senföl unter Bildung
von Natriumcarbonat, Natriumsulfid und Äthylamin vollkommen
zersetzt.
Einwirkung des Äthylmercaptans auf das Äthyleyanat.
Bei der vollkommenen Analogie des Mercaptans mit dem
Alkohol einerseits und andererseits des Äthyleyanats mit dem
Senföle, liefs es sich nicht bezweifeln, dafs beide Körper sich
zu einem, mit dem eben beschriebenen halbgeschwefelten Äthyl-
urethan isomeren Körper vereinigen würden. Der Versuch
hat denn auch diese Veraussetzung bestätigt. Mercaptan und
Cyansäureäther mischen sich unter Wärmeentwicklung. Durch
mehrstündige Digestion beider Körper bei 120° verschwindet
alsbald der charakteristische Geruch des ersteren wie des letz-
teren; der entstandene Körper gleicht, was den Geruch anlangt,
dem halbgeschwefelten Äthylurethan, von dem er sich offenbar
nur in der relativen Stellung des Sauerstoff- und Schwefelatoms
. unterscheidet. Man kann dieser verschiedenen Stellung der
beiden Elemente in der Formel der Verbindung einen Aus-
druck geben:
H
Cop a
Auch was Volumgewicht und Siedepunkt anlangt, steht diese
C; I) SUHCOFUCHH,) a R
H C,H
Pe)
vom 15. April 1869. 335
Flüssigkeit dem halbgeschwefelten Äthylurethan sehr nahe; sie
ist schwerer wie Wasser und siedet zwischen denselben Tem-
peraturen, 204—208°. Bei der Einwirkung des Wassers, zu-
mal in Gegenwart von Säuren und Alkalien, tritt aber alsdann
die verschiedene Construction zu Tage, insofern der Körper,
seinem Ursprunge gemäls, in Äthylmercaptan, Kohlensäure und
Äthylamin sich spaltet
COJ(C,H,)H H C,H C,H
ge Ann ]s+Hj0- Hels +00, + Im.
ft)
Einwirkung des Äthylmercaptans auf das Äthylsenfol.
Um die Reihe dieser Verbindungen zu vervollständigen,
blieb es noch übrig, auch das Verhalten des Äthylsenföls zu
dem Äthylmercaptan zu untersuchen. In dieser Reaction stand
die Bildung des geschwefelten Äthylurethans zu erwarten.
Wirklich vereinigen sich auch beide Flüssigkeiten schon nach
mehrstündiger Digestion bei 120° zu einem Körper, welcher
ein höheres Volumgewicht als Wasser besitzt und in welchem
der charakteristische Geruch sowohl des Mecaptans als auch
des Äthylsenföls vollkommen verschwunden ist. Es läfst sich
nicht bezweifeln, dafs hier das geschwefelte Äthylurethan vor-
liegt: |
1
Es war indessen nicht möglich, die Substanz in einem für
die Analyse geeigneten Zustand zu erhalten da sie sich bei der
Destillation alsbald wieder in ihre Bestandtheile, Äthylmer-
_ captan und Äthylsenföl spaltet.
Einwirkung des Alkohols auf das Allylsenföl.
Die angeführten Untersuchungen dürften geeignet sein, die
Natur einer Verbindung festzustellen, deren Zusammensetzung
bisher zweifelhaft gebieben war.
In seiner grolsen Arbeit über das Senföl par excellence,
welche diesem Körper zuerst die noch heute von ihm einge-
nommene Stelle anweist, hat Will’) unter vielen anderen Ab-
2) Will, Ann. Chem. Pharm. LI. S. 30,
336 Gesammtsitzung
kömmlingen auch ein Öl beschrieben, welches aus dem Senföl
durch die Einwirkung alkoholischen Kalis entsteht. Will be-
rechnet für diesen Körper aus den von ihm angestellten Ana-
lysen, die indessen für den Stickstoff zu keinen übereinstim-
menden Zahlen führten, die Formel
CuH,N;3, 0;
Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich annehme,
das gedachte Öl sei die Verbindung des Äthylsenföls mit Äthyl-
alkohol, also das halbgeschwefelte Allylurethan
CS)U(C.EL)HN
KELNnso 09 go
welches dem durch die Einwirkung des Alkohols auf das Äthyl-
senföl entstehenden Körper entspricht. |
Die Kohlenstoff- und Wasserstoffprocente, welche dieser
Formel entsprechen (Kohlenstoff 49,65 und Wasserstoff 7,98)
stimmen in Wahrheit mit den von Will gefundenen (Kohlen-
stoff 49,92—50,35 und Wasserstoff 7,70—7,88) fast ebenso gut
als die theoretischen. Werthe der von ihm berechneten Formel
(Kohlenstoff 50,70 und Wasserstoff 7,53), während die Stick-
stoffprocente der umgebildeten Formel (9,65) mit einer der ver-
schiedenen von Will gefundenen Zahlen (9,73) nahezu zusam- |
menfallen.
Digerirt man in der That eine Lösung von Senföl in Al-
kohol einige Stunden lang bei einer die Siedhitze des Wassers
nur wenig übersteigenden Temperatur, so fällt alsdann Wasser
aus der Lösung ein lauchartig riechendes Öl, welches etwas
schwerer ist wie Wasser und gerade wie der von Will be
‚schriebene Körper bei 210-—215° siedet. Die Reaction bei
dem Allylsenföl verläuft also genau so, wie bei der äthylirten
Verbindung.
Einwirkung des Alkohols auf das Phenylsenföl.
Über das Verhalten beider Körper zueinander, konnte kein
Zweifel obwalten. Beim Versuche ergab es sich, dafs beide
bei einer Temperatur von 110—115° mit Leichtigkeit auf ein-
ander einwirken. Versetzt man die aus der Digestionsröhre
ausgegossene Flüssigkeit mit Wasser, so erstarrt sie zu einer
prachtvollen Krystallmasse, welche man nur mit Wasser zu
vom 15. April 1869. | 337
waschen und einmal aus Alkohol umzukrystallisiren braucht,
um sie vollkommen rein zu erhalten. Die Krystalle schmelzen
bei 65°. Die Analyse zeigte, dafs die Krystalle das halbge-
schwefelte Phenylurethan darstellen
u
0,5050 — CS HEN).
0,H,
Bei der Destillation zerlegt sich dieser Äther theilweise in
seine Bestandtheile; setzt man bei der Destillation Phosphor-
säureanhydrid zu, so wird der Alkohol fixirt und es destillirt
Phenylsenföl, dem aber stets eine nicht unerhebliche Menge
Phenyleyanat beigemengt ist.
Das halbgeschwefelte Phenylurethan kaun auch, obwohl
weniger vortheilhaft, direct aus dem Diphenylsulforcarbamid er-
halten werden, welches bekanntlich der Ausgangspunct für die
Darstellung des Phenylsenföls ist. Die Lösung des Phenyl-
sulfocarbamids in Alkohol mufs aber einen Tag lang bei 140°
—150° erhalten werden und selbst dann noch ist die Umwand-
lung niemals ganz vollständig, Der Urethan bildet sich be-
greiflich unter Ausscheidung von Anilin.
Einwirkung des Äthylmercaptans auf das Phenylsenfol.
Ich habe mich nur durch den Versuch überzeugt, dafs sich
die beiden Körper durch längere Digestion miteinander ver-
einigen. Es entsteht das geschwefelte Phenylurethan
C,H, CT... (OSIEE a
un + n)s - = OEL
Das Product ist ein schöner krystallinischer Körper, un-
löslich in Wasser, löslich in Alkohol und Äther. Sein Schmelz-
punkt liegt bei 56°.
Die beschriebene Untersuchung, bei deren Ausführung ich
' wieder die werthvolle Hülfe des Hrn. Dr. Bulk in Anspruch
nehmen durfte, hatte für mich ein besonderes Interesse, inso-
fern sie einige schon vor vielen Jahren angestellte Versuche,
die aber wegen Mangel an Material unvollendet geblieben waren,
' zu einem befriedigenden Abschlusse bringt.
Bei Gelegenheit meiner Arbeit über das Phenyleyanat')
1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIV. S. 17.
[1869.] 24
338 Gesammtsitzung vom 15. April 1869.
hatte ich gefunden, dafs sich dieser Körper mit den Alkoholen
lebhaft vereinigt, und dafs sich auf diese Weise schön krystal-
lisirte Verbindungen bilden, die ich wegen der Schwierigkeit,
sie in gröfserer Menge zu erhalten, nur unvollkommen unter-
suchen konnte. Ich hatte sie gleichwohl auf Grnnd einiger
Annäherungsanalysen als das Phenylurethan der Methyl- und
Äthylreihe
CO)Y(C,H,)HN
CHEND, WO 210 und
CO)U(C, H,)HN
GH, NO, 0, a
angesprochen.
Irgendwelche Zweifel über die Natur dieser Verbindungen,
welche noch hätten geblieben sein können, sind durch die im
vorhergehenden beschriebenen Versuche gelöst,
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
W. W. Hunter, 4A comparative dictionary of the languages of India
and High Asia. London 1868. 4.
Gümbel, Beiträge zur Foraminiferenfauna der nordalpinen Eocänge-
bilde. München 1868. 4.
Theophil Rupp, Aus der Vorzeit Reutlingens und seiner Umgegend.
Stuttgart 1869. 8.
— — Eddische Studien. Wien 1869. 8.
Schriften der südslavischen gelehrten Gesellschaft. Bd.6. Agram 1869. 8.
Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchatel. VII, 1.
Neuchatel 1868. 8.
Bijdragen tot de Taal-Land- en Volkenkunde. III, 3.4. Gravenhage
1869. 8.
Journal of the chemical Society. London, Jan.-March 1869. 8.
Archives du Musee Teyler. II, 1.2. Harlem 1869. 8.
Sitzung der phys.-math. Klasse vom 19. April 1869. 339
19. April. Sitzung der physikalisch -mathe-
matischen Klasse.
Hr. G. Rose las über die regelmäfsigen Verwach-
sungen der verschiedenen Glimmerarten untereinan-
der sowie mit Pennin und Eisenglanz.
Die Untersuchungen über die regelmäfsigen Verwachsun-
gen des Glimmers entstanden durch die merkwürdigen Unter-
suchungen von Reusch über die Schlagfigur des Glimmers,
d. h. der kleinen Spalten, die sich immer um das kleine Loch
' bilden, welches man mit einer feinen Stahlspitze in dem Glim-
mer machen kann.') Um die Lage der Schlagfigur in Bezug
auf die Krystallflächen des Glimmers mit Genauigkeit bestim-
men zu können, bat Hr. Prof. Reusch mich um Übersendung
von möglichst vielen Glimmerproben aus dem mineralogischen
Museum, an welchen noch die regelmälsige Begränzung zu se-
hen wäre. Ich sandte ihm an 30 solcher Proben von verschie-
denen Fundörtern, die später noch durch andere vermehrt wur-
den, und welche Hr. Reusch mir sämmtlich zurückschickte,
nachdem er an denselben die Lage der optischen Axenebene
durch eine eingeritzte Linie angegeben, die Schlagfigur und mei-
stentheils auch den Winkel der optischen Axen bestimmt hatte.?)
Die verschiedenen Übersendungen machten eine mehrfache Durch-
musterung der sämmtlichen Exemplare des Museums nöthig,
und hatten manche Umänderung zur Folge, da nun manche
Abtheilungen, die in dem Glimmer gemacht worden sind, mit
Sicherheit bestimmt werden konnten.
Da Reusch gezeigt hatte, dafs die Spalten der Schlag-
figur stets den Seitenflächen des Glimmers, also bei dem zwei-
axigen Glimmer den Flächen des rhombischen Prismas von
nahe 120° und der Längsfläche, und bei dem einaxigen den
1) Vergl. darüber die Monatsberichte der Akademie von 1868 $. 428
und von 1869 S. 84.
2) Die sämmtlichen Proben sind im mineralogischen Museum nieder-
gelegt, und bilden nun eine sehr schätzenswerthe Bereicherung desselben.
24*
340 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Flächen des hexagonalen Prismas parallel gehen, so hat man
durch die Schlagfigur ein vortreffliches Mittel um die Lage
der Seitenflächen des Glimmers zu bestimmen, wenn diese selbst
bei unregelmälsiger Begränzung des Glimmers nicht vorhanden
sind. Da nun ferner nach Senarmont bei dem optisch zwei-
axigen Glimmer die optische Axenebene theils der langen
theils der kurzen Diagonale des rhombischen Prismas parallel
geht, wodurch zwei Abtheilungen bei dem zweiaxigen Glim-
mer gebildet werden, so steht im erstern Fall die Spalte der
Schlaglinien, die der Längsfläche parallel geht, rechtwinklig auf
der optischen Axenebene, im letztern Fall ist sie ihr parallel.
Reusch nennt deshalb diese Spalte die charakteristische
Schlaglinie. Man hat also in der Untersuchung der Schlag-
figur nun auch ein Mittel zu bestimmen, zu welcher der beiden
Abtheilungen Senarmonts ein Glimmer gehört, wenn auch
die äufsere Form nicht bekannt und die Axenebene bestimmt
ist, oder wenn die äufsere Form gegeben, und die Lage der
Axenebene noch nicht bestimmt ist. Dies ist um so wichtiger,
da bei dem zweiaxigen Glimmer Spaltungsflächen vorkommen,
die parallel den Zuschärfungen (a:45b:coc) des rhombischen
Prismas (a:b:coc) gehen, die unter sich wieder ein rhombi-
sches Prisma von nahe 120° bilden, das wenn die Seitenflächen
des erstern Prismas nicht regelmäfsig ausgebildet sind, leicht
mit diesem verwechselt werden kann, und auch verwechselt
worden ist, wie dies selbst bei Senarmont der Fall war.)
Durch diese Beschäftigung mit dem Glimmer wurde meine
Aufmerksamkeit wieder auf die vielen regelmäfsigen Verwach-
sungen gerichtet, die bei dem Glimmer vorkommen. Ich hatte
deren schon mehrere bei früheren Gelegenheiten beschrieben;
diese waren nun genauer zu bestimmen, andere neu erkannte
zu beschreiben, und andere von andern Mineralogen angegebene
zu berichtigen, und es sind diese Untersuchungen, die ich mir
‘ erlauben werde, der Akademie hiermit vorzulegen. Da bei den
hier zu erwähnenden Glimmern die Lage der Ebene der opti-
schen Axen und die Winkel derselben genau bestimmt sind,
!) Vergl. diese Berichte von 1869, S. 85.
‘vom 19. April 1869. pn 341
so werde ich die Bezeichnung eines jeden Glimmers nach den
optischen Axen machen. Der zweiaxige Glimmer enthält nun
die Lithion-freien und die Lithion-haltigen Kaliglimmer von
Rammelsberg und den Theil seines Magnesiaglimmers, der
nur wenig oder gar kein Eisenoxydul enthält, welchen letzte-
ren Dana Phlogopit nennt, wie die beiden erstern Muscovit
und Lepidolith. Der einaxige enthält den gröfsten Theil des
Magnesiaglimmers von Rammelsberg, den nämlich mit grös-
serm Eisenoxydulgehalt, den Biotit von Dana.)
1. Regelmäfsige Verwachsung von zweiaxigem Glimmer
erster Art mit einaxigem Glimmer.
Wenn in einem Granite weilser und brauner Glimmer zu-
sammen vorkommen, so sieht man sehr häufig beide in regel-
mälsiger Verwachsung miteinander, und zwar stets so, dafs die
Spaltungsflächen des einen in unveränderter Richtung in den
andern fortsetzen. In der Regel umgiebt der weilse Glimmer
den braunen.”) Wenn der Granit kleinkörnig, der eingemengte
Glimmer also auch kleinblättrig ist, sieht man wohl kaum da-
von eine Ausnahme; bei grolskörnigem Granite und grolsblät-
trigem Glimmer dehnt sich wohl der innere braune Glimmer
unregelmäfsig aus, dringt stellenweise in den weifsen ein und
umschlielst Parthien weilsen Glimmers, wie dies auch von
Reufs beobachtet ist,’) zeigt aber auch hier im Allgemeinen
immer dasselbe Verhältnifs. Die Gränzen zwischen dem brau-
nen und weilsen Glimmer gehen, wo beide regelmälsig ausge-
bildet sind, den äufsern Rändern der Spaltungsflächen des weis-
sen Glimmers parallel; ich habe diesen Parallelismus bei dem
Glimmer des Granites vom Capellenberge bei Schönberg im
Sächsischen Vogtlande in ‘seiner Art sehr schön beobachtet;?)
er ist hier indessen selten wahrzunehmen, weil bei dem im
1) Vgl. Dana’s Mineralogie, 5. Aufl. S. 301.
2) Vgl. darüber meine Abhandiung über den Granit in der Zeit-
schrift der D. geolog. Ges. von 1849, S. 357.
3) Vgl. die Abhandl. der k. k. geol. Reichsanstalt Th. 1, S. 19.
IA O0. S. 357.
342 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Granit eingemengten Glimmer die Ränder desselben gewöhnlich
unregelmäfsig begränzt sind, und wo er wahrzunehmen ist, bei
der Kleinheit der Individuen, selten deutlich; das Berliner mi-
neralogische Museum ist indessen vor einiger Zeit in Besitz
einer gröfsern Glimmerplatte von Alstead in New-Hampshire
gekommen, an welcher sowohl der braune als der weilse Glim-
mer in grölsern Parthien enthalten, und beide wenigstens stel-
lenweise regelmäfsig begränzt sind, so dafs man sich deutlich
von dem angegebenen Verhältnifs überzeugen kann.
Der weifse Glimmer von Alstead ist optisch zweiaxig, der
braune einaxig. Der Winkel der optischen Axen ((p) des er-
stern beträgt ungefähr 60°.') Die charakteristische Schlaglinie
der Schlagfigur steht rechtwinklig auf der optischen Axenebene,
der Glimmer ist also erster Art. Der weilse Glimmer vom
Capellenberge ist von derselben Art wie der von Alstead,
$p = 71° 34‘. Die Verhältnisse sind also bei beiden Glimmern
wie sie in Fig. 1 angegeben sind, in welcher mmb die horizon-
tale Projection des rhombischen Prismas des weifsen Glimmers mit
dem innern braunen, der Pfeil die Lage der optischen Axenebene
und « die charakteristische Schlaglinie der Schlagfigur darstellt.
Wie bei dem Glimmer von Alstead und dem Capellenberge
so werden wahrscheinlich alle weilsen und braunen Glimmer,
die in dem in Massen vorkommenden Granit und Granitit ein-
gewachsen sind, zweiaxig erster Art und einaxig sein.
Da der braune Glimmer optisch einaxig, der weilse zwei-
axig ist, so ist nur das Sechseck, welches die Basis des er-
stern bildet, wirklich regulär, das des letztern ist symmetrisch.
Nach Senarmont ist auch der Winkel des rhombischen Pris-
mas des zweiaxigen Glimmers nur annähernd 120°, und wenn
dieser Glimmer wirklich rhombisch ist, so ist es auch gar. nicht
wahrscheinlich, dafs jener Winkel genau 120° beträgt. Der
1) Es ist schon oben angeführt, dafs alle Bestimmungen der Lage
der optischen Axenebene und der Schlagfigur, sowie der Winkel der
optischen Axen von Hrn. Reusch herrühren, daher dies im Einzelnen
nicht weiter erwähnt wird; ich habe aber hier noch zu bemerken, dafs
wenn ich in dem Folgenden diese Angaben von Reusch anführe, dies
mit seiner ausdrücklichen Erlaubnifs geschieht.
vom 19. April 1869. 343
Parallelismus der Seiten der Basis des braunen und weifsen
Glimmers ist daher nicht ganz scharf. Aus der regelmäfsigen
Verwachsung des braunen und weilsen Glimmers folgt ein
strenger Parallelismus aller Seiten auch nicht, es ist hierbei
nur nöthig, dafs gewilse Flächen und Kanten einander parallel
sind, also wahrscheinlich aufser den Spaltungsflächen eine Sei-
tenfläche des hexagonalen Prismas des braunen Glimmers mit
der Längsfläche des weilsen Glimmers. Etwas Ähnliches fin-
det auch bei der regelmäfsigen Verwachsung des Feldspaths
und Albits statt, wobei der letztere den ersteren bedeckt. Die
Krystallisationssysteme, zu welchen die Krystalle beider gehö-
ren, sind verschieden, der Feldspath ist monoklinisch, der Al-
bit triklinisch, die Winkel sind sich nur annähernd gleich, und
in genau paralleler Stellung befinden sich nur die Längsflächen
und die Hauptaxen beider.')
2. Zweiaxiger Glimmer erster Art und Lepidolith.
Eine solche Verwachsung habe ich bei dem Glimmer, der
mit dem rothen Turmalin in dem Granit von Schaitansk bei
Mursinsk im Ural vorkommt, beobachtet, und in meiner Be-
schreibung von Humboldt’s Sibirischer Reise aufgeführt.) Der
Lepidolith umgiebt in einem schmalen Saume den in sechssei-
tiger Tafel regelmälsig ausgebildeten zweiaxigen Glimmer; er
ist pfirsichblüthroth, der Glimmer gelblichweifs und durchschei-
nend, die Ränder beider sind parallel. Der Glimmer ist erster
Art, = 71°. Vor dem Löthrohr verhält er sich wie gewöhn-
licher lithionfreier Kaliglimmer. Die optischen Verhältnisse des
Lepidoliths waren bei seiner Kleinheit mit Sicherheit nicht aus-
zumachen; vor den Löthrohr schmilzt er aber unter starker
Röthung der Flamme zu einem wasserhellen nach dem Erkal-
1) Es ist aber möglich, dafs der Parallelismus doch genau wäre,
der zweiaxige Glimmer wäre aber dann nicht rhombisch, sondern hexa-
gonal, und nur auf eine eigenthümliche Weise hemiödrisch, was mir so
unwahrscheinlich nicht scheint.
2) Th. 1, S. 464.
344 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
ten schneeweifsen Glase, daher er wahrscheinlich zweiaxig und
erster Art ist.‘) Die Verhältnisse also wie in Fig. 9.
3. Zweiaxiger Glimmer zweiter Art und einaxiger
Glimmer.
Hierher rechne ich zuerst den Glimmer von South Burgels
in Canada, der einen so ausgezeichneten Asterismus zeigt, und
den ich schon vor mehreren Jahren beschrieben habe.?) Ich
wies als Ursache des Asterismus eine grofse Menge mikrosko-
pischer prismatischer Krystalle nach, die in dem Glimmer re-
gelmälsig eingewachsen sind, und deren Längsrichtung den drei
Seiten eines gleichseitigen Dreiecks parallel geht. Was für
einer Species diese Krystalle angehörten, muflste ich unbestimmt
lassen, und nahm nur wegen der Ähnlichkeit der Form an,
dafs die Krystalle Cyanit sein möchten. Hr. Descloiseaux
war gegen diese Annahme, und äufserte in einer brieflichen
Mittheilung darüber die Meinung, dafs die Krystalle vielleicht
einaxiger Glimmer seien, was mir nach der nähern Unter-
suchung der Form der Krystalle und ihrer Verbreitung in dem
zweiaxigen Glimmer nun nicht mehr zweifelhaft erscheint. Die
Krystalle liegen mit ihren breiten Flächen vollständig in der
Ebene ‘der Spaltungsflächen des Glimmers, worin sie einge-
wachsen sind, und scheinen ebenso deutlich spaltbar zu sein,
wie dieser. Ihrer Form nach erscheinen sie zwar selten in
ganz regelmälsig sechsseitigen Tafeln, sie sind in der Regel
langgezogen und haben dadurch ein ganz prismatisches Ansehen,
was vielleicht eine Folge ihrer Einmengung in dem zweiaxigen
Glimmer ist, auch bei dem in dem Carnallit eingewachsenen
!) Dies ist nur ein Schlufs, den ich vorläufig aus der Untersuchung
von Reusch über die Lage der Axenebene der Lithionglimmer, die ich
ihm sandte, zog. Dieselben waren hiernach theils erster Art, theils
zweiter Art, aber ich fand, dafs die ersteren sämmtlich vor dem Löth-
rohr unter Röthung der Flamme zu einem blasigen nach dem Erkalten
schneeweifsen Glase, die andern dagegen zu einem grauen mehr oder
weniger stark magnetischen Glase, wie namentlich der von Zinnwald,
schmelzen. Hiernach wären also die eisenfreien Lithionglimmer zwei-
axig und erster Art, die eisenhaltigen zweiaxig und zweiter Art.
2) Diese Berichte von 1862, S. 614.
vom 19. April 1869. 345
Eisenglimmer häufig vorkommt, und solche einfach in die Länge
gezogenen Krystalle liegen parallel all den drei ‚Seiten, zuwei-
len auch den Diagonalen des Sechsecks oft dicht nebeneinander,
wie in Fig. 8,«a. Nicht selten dehnen sich aber auch die Kıy-
stalle zugleich nach mehreren Richtungen aus, die unter Win-
keln von 120°, zuweilen auch unter Winkeln von 90° oder 150°,
aufeinander stofsen. Dabei kommen die verschiedensten For-
men zum Vorschein. Ich habe von diesen in Fig. 8,a,b,c
einige bei 5360 maliger Vergrölserung gezeichnet, ohne im min-
desten dadurch alle vorkommenden Verschiedenheiten bezeich-
net zu haben, denn nie ist eine Form dieser verzogenen Kry-
stalle wie die andere. Einige schwarze und rothe mikrosko-
pische Krystalle von Eisenglanz kommen auch vereinzelt in dem
Glimmer vor, und stets in paralleler Stellung mit ihm. Die
drei dunkler gehaltenen Sechsecke Fig. 8, c stellen solche
schwarze Eisenglanzkrystalle vor; sie sind hier in derselben
Stellung zu dem einaxigen Glimmer gezeichnet, wie sie in der
Natur beobachtet sind, nur dafs dazwischen und daneben noch
viele andere Glimmerkrystalle vorkommen, die weggelassen sind.
Zuweilen kommen einaxiger Glimmer und Eisenglanz mit ein-
ander verbunden vor.
Der zweiaxige Glimmer, worin die Krystalle liegen, gehört
zu Dana’s Phlogopit; der Winkel der optischen Axen ist sehr
gering und beträgt nur 15°.) Die Schlagfiguren, die man er-
hält, sind sehr deutlich, die charakteristische Schlaglinie ist
parallel der optischen Axenebene, der Glimmer also zweiter
Art. Man erhält ihn gewöhnlich in langen Streifen, deren
längere Seiten durch die Flächen 4m = (a:4b: oc), die
schmalen durch m = (a:b: coc) gebildet werden. Die einge-
wachsenen Krystalle liegen theils parallel den langen Seiten
dieser Streifen, theils machen sie damit Winkel von 60°; der
sechsstrahlige Lichtstern, den man sieht, wenn man durch den
Glimmer die Flamme einer Kerze betrachtet, steht senkrecht
1) B. Silliman giebt diesen Winkel zu ungefähr 10° an (Dana’s
Mineralogie S. 304), Descloiseaux zu 15° 57, wenn der Mica blond
du Canada derselbe ist. (Nouvelles recherches sur les prop. opt. d. cri-
staux, p. 79.)
346 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
darauf; kleinere Strahlen liegen dazwischen, da einige Krystalle
auch parallel den Flächen von 4% und der Querfläche liegen.
Die Verhältnisse sind also wie es in der Fig. 3 dargestellt ist,
worin die eingewachsenen Krystalle durch feine Striche, die
Lage des rectangulären Streifens in dem Glimmerkrystall durch
die punktirten und gestrichelten Linien, und die Strahlen des
Lichtsterns durch die blos punktirten Linien angegeben sind.
Sind die eingewachsenen Krystalle in der That einaxiger Glim-
mer, so hat derselbe in diesem Fali gegen den zweiaxigen
Glimmer zweiter Art eine andere Lage als gegen den Glimmer
erster Art.
Mit dem Glimmer von South Burgefs hatte das mineralo-
gische Museum andere über Fufs grofse sechsseitige Glimmer-
tafeln von Grenville in Canada erhalten, die wie die vorigen
zu dem Phlogopit gehören und wie diese in der ersten grofsen
Industrie-Ausstellung in London 1862 unter den Canadischen
Mineralien aufgestellt waren. Sie haben eine sehr regelmäfsige
sechsseitige Form, röthlichbraune Farbe, sind wie die vorigen
zweiaxig zweiter Art, der Axenwinkel nur klein, die Schlag-
figuren sehr schön und deutlich zu erhalten, die Verhältnisse also
wie in Fig. 4 Dieser Glimmer enthält nicht das Haufwerk
mikroscopischer Krystalle, die durch die ganze Masse vertheilt
sind, wie der Glimmer von South Burgefs; die kleinen und ein-
gewachsenen Krystalle sind hier sparsamer enthalten, oder nur
an einzelnen Stellen namentlich an dem Rande zusammenge-
häuft, wo sie eine lange dunkle Linie bilden, ungefähr einen
halben Zoll von diesem entfernt, ihm parallel und vollkommen
gerade, während der Rand des Glimmers selbst, wohl im All-
gemeinen geradlinig, doch im Einzelnen uneben und zerrissen
ist. Der äufsern dunkeln Linie gehen in geringer Entfernung
von dieser nach innen zu noch andere dunkle Linien parallel,
die aber nicht so aushaltend sind. Die Krystalle, aus welchen
‚diese Linien bestehen, sind einaxiger Glimmer, aber viel gröfser
als die mikroscopischen Krystalle von South Burgefs, und schon
mit der Lupe ganz deutlich zu erkennen, wenn auch besser
unter dem Mikroscop, und eignen sich daher noch besser, ihre
Form und Stellung in dem Glimmer, in welchem sie vorkommen,
zu bestimmen. Sie sind von lauchgrüner, mehr oder weniger
vom 19. April 1869. 347
dunkler Farbe je nach ihrer Dicke, oft unendlich dünn, und
dann ganz hellgrün, in andern Fällen dicker und dunkler; sie
liegen enge nebeneinander, doch in sehr verschiedenen Höhen,
und sind in diesen ungleichmäfsig verbreitet, so dafs sie sich
stellenweise decken, und auch dadurch an diesen Stellen dunkler
erscheinen. Die Krystalle haben die Form des ersten oder des
zweiten sechsseitigen Prismas, oder sind Combinationen beider
untereinander; aber sie zeigen grolse Unregelmäfsigkeiten
nicht allein in Rücksicht ihrer Ausdehnung, die oft nach den
verschiedensten Richtungen in der Ebene der Spaltungsflächen
des Glimmers geht, sondern auch in der Art, wie in den Com-
binationen die Flächen der beiden sechsseitigen Prismen, die
in diesen immer nur einzeln vorkommen, auftreten. Ich habe
nie einen Krystall gesehen, an welchem sämmtliche Flächen
beider Prismen vollzählig aufgetreten wären. Ein Krystall sieht
daher selten so aus, wie der andere, auf den ersten Anblick
glaubt man, es mit vielen verschiedenartigen Krystallen zu
thun zu haben. Die eingewachsenen Krystalle des einaxigen
Glimmers verhalten sich demnach hier ganz ebenso wie die
aufgewachsenen Krystalle vom Vesuv, wo, wie man aus den
Darstellungen von Hessenberg ersieht,') die Flächen der ein-
fachen Formen in den Combinationen auch sehr unregelmälsig
auftreten.
Ich habe um dies deutlich zu machen in Fig. 15 und 16
eine Reihe von Krystallen gezeichnet, von denen die erstern
in dem Theile der dunklen Linie beobachtet sind, die einer
Seitenfläche m des zweiaxigeu Glimmers, die letztern in einem
Theile, der der Längsfläche 5 parallel geht,”) ohne damit aber
im Mindesten die Zahl der vorkommenden Varietäten erschöpft
zu haben; und habe sie in der im Vergleich zu den Krystallen
von South Burgefs viel’ geringern, 140 maligen Vergröfserung
gezeichnet, da diese zur Erkennung ihrer Form hier voll-
1) Abhandl. der Senkenbergschen Ges. 1866, Bd. 6, S. 15.
2) Die Krystalle sind bei Fig. 15 so gezeichnet, wie sie unter dem
Mikroscop erscheinen, also verkehrt, bei Fig. 16 sind sie in die richtige
Lage gestellt. Die bei den Flächen gesetzten Buchstaben bezeichnen die
Seitenflächen des zweiaxigen Glimmers, denen sie parallel gehen.
348 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
kommen genügte. Die Krystalle sind ferner sämmtlich in der
Lage gezeichnet, die sie in dem Glimmer haben, was bei den
Krystallen von South Burgels, die ich vor jenen untersucht habe,
nicht geschehen ist, da ich erst bei diesen auf die Nothwen-
digkeit der Orientirung recht aufmerksam geworden war. Die
Gruppirung ist übrigens meistentheils nur zufällig, da ich immer
nur die gröfseren zur Zeichnung ausgewählt habe, so dafs man
also aus ihr nicht auf die Häufigkeit im Vorkommen einer
Varietät schliefsen kann.
Sechsseitige Tafeln in der Stellung des ersten sechsseitigen
Prismas (Fig. 15, ı) oder des zweiten (Fig. 15,2) erscheinen hier
oft dicht nebeneinander. Ich habe nun angenommen, dafs
diese nicht ein und dasselbe Prisma in zwei verschiedenen
Stellungen sind, sondern dafs das eine eine abgeleitete Form
des andern ist, das eine das erste, das andere das zweite sechs-
seitige Prisma; denn eingewachsene Krystalle, die alle einer
Fläche parallel sind, in 2 Stellungen durcheinander gemengt,
hat man bis jetzt noch nicht beobachtet. Ich habe dabei als
erstes Prisma das angenommen, welches eine parallele Stellung
mit der dunklen sechseckigen Linie bei dem grolsen zweiaxigen
Glimmer (Fig. 4) hat, und dessen Seitenflächen den Seiten-
flächen m und der Längsfläche b dieses parallel gehen.')
Am häufigsten sind nun die Krystalle nach den 3 Richtun-
gen ausgedehnt, die den Seitenflächen des ersten sechsseitigen
Prismas entsprechen, wie die Krystalle (Fig. 15, 3,4,5), und
von diesen findet sich überhaupt hier und an den übrigen Stel-
len am häufigsten diejenige verlängert, die der äufsern Begrän-
zung des Glimmers parallel ist, also an der in Fig. 15 gezeich-
neten Stelle der Richtung von m; in Fig. 16 der Richtung von b.
In diesen Richtungen sind die Krystalle oft so lang, dafs sie,
wenn auch mit gröfseren oder kleineren Lücken, sich über die
ganze Fläche des Glimmers hinziehen, wie in Fig. 15, 6, 7,s und
Fig. 16,1. Ähnliche lange Linien nach allen diesen drei Rich-
tungen finden sich auch im Innern des Glimmers, wenngleich
ganz fein und mit der Lupe kaum zu erkennen. Andere Kry-
1) Dies ist nun auch bei den eingewachsenen Krystallen von South
Burgefs anzunehmen. (s. oben $. 345.)
vom 19. April 1869. 349
stalle sind nach den Diagonalen des Sechseckes des ersten
Prismas verlängert, also nach den Flächen des zweiten Pris-
mas, die den Flächen 4m und @« des zweiaxigen Glimmers
entsprechen, und ‚hier vorzugsweise nach den Richtungen, die
senkrecht auf der äuflsern Begrenzung des Glimmers stehen,
also in Fig. 15 auf m wie Fig. 15,9. Auch nach diesen Richtun-
gen ziehen sich einzelne dünne Linien im Innern des zweiaxi-
gen Glimmers hin. Die nach diesen Richtungen verlängerten
Krystalle sind häufig an einem Ende mit den Flächen des ersten
und am andern Ende des zweiten Prismas begränzt (Fig. 15, 10),
oder einzelne Flächen des ersten Prisma treten nun ganz un-
regelmäfsig hinzu (Fig. 15,11). Ein und derselbe Krystall er-
scheint auch nach verschiedenen Richtungen verlängert, die
rechtwinklig aufeinander stehen (Fig. 15,12); was auch .oft bei
den zu längeren Linien verlängerten Krystallen der Fall ist
(Fig. 15,13). Die grünen Krystalle schliefsen Theile des zwei-
axigen Glimmers ein, der in dünnen Blättchen immer ganz
wasserhell erscheint; der eingeschlossene weilse Glimmer ist
regelmäfsig durch Flächen, oder wie man bei der Dünnheit der
grünen Krystalle zweckmäfsiger sagen kann, durch Linien be-
gränzt, die den äufsern Rändern des grünen Krystalls parallel
gehen (Fig. 15, a, 14), oder er ist ganz unregelmälsig begränzt
(Fig. 15,15); oft dringt der weilse Glimmer von aufsen hinein, sich
regelmäfsig begränzend (Fig. ı6) oder unregelmäfsig (Fig. ı7),
und nimmt zuweilen so vielen Raum ein, dafs der grüne Glimmer
nur wie ein dünner Umrifs erscheint (Fig. ıs u. 19). Im In-
nern des zweiaxigen Glimmers finden sich auch ganz unregel-
mälsig begränzte Parthien grünen Glimmers, oft wunderbar
gekrümmt und gewunden, und solche gewundene grüne Parthien
' kommen an einzelnen Stellen sehr zusammengehäuft vor. Auch
"einzelne regelmäfsig begränzte Krystalle von Eisenglimmer, ‚ge-
wöhnlich schwarz, seltener roth, kommen in diesem Glimmer,
wie in dem von South Burgels vor. Aber alle diese Ein-
mengungen finden sich doch nur im Ganzen sparsam, nur an
einzelnen Stellen mehr zusammengehäuft, daher auch dieser
Glimmer keinen Asterismus zeigt wie der von South Burgefs,
oder nur unvollkommen an den Rändern.
350° Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Dem Glimmer von South Burgefs sehr ähnlich findet sich
ein anderer Glimmer in West Chester in Pensylvanien, von
dem einzelne fufslange Streifen das mineralogische Museum
von Hrn. Wright in London erhalten hatte. Er ist wie der
Glimmer von South Burgefs mit kleinen mikroscopischen pris-
matischen Krystallen erfüllt, und zeigt deshalb einen schönen
Asterismus, nur sind die Krystalle noch feiner, und der sechs-
strahlige Lichtstern beim Durchsehen nach der Lichtflamme
nicht so hell und stark. Merkwürdiger Weise ist dieser Glim-
mer zweiaxig und erster Art. Die schmalen Streifen sind an
der einen kurzen Seite mit der Querfläche begränzt, die an-
dere ist verbrochen. Die Lage der eingewachsenen Krystalle,
der Schlagfigur, des sechsstrahligen Lichtsterns zu der äulsern
Begränzung des Glimmers ist wie bei dem von South Burgels,
aber die Lage der Axenebene davon abweichend, der Quer-
fläche parallel. Die Verhältnisse also so, wie sie in Fig. 5 dar-
gestellt sind. |
Vergleicht man bei den 3 letzgenannten Glimmern, dem
von South Burgels, Grenville und West Chester die Lage der
eingewachsenen Krystalle zu der optischen Axenebene, so er-
giebt sich, dafs sie sich in dieser Rücksicht alle 3 verschieden
verhalten. Man ersieht dies durch Vergleichung der Fig. 3, 4,
5, sowie der folgenden kleinen Tabelle, in welcher die Reihe
bei a die Lage der Axenebenen dieser Glimmer zur Schlag-
figur, also die Abtheilung angegeben ist, zu welchen der Glim-
ner gehört, und in der Reihe bei Db die Stellung der einge-
wachsenen Krystalle zum zweiaxigen Glimmer, in welchen sie
enthalten sind, ob ihre Lage der des zweiaxigen Glimmers
parallel, oder davon abweichend diagonal ist. /
Glimmer von South Burgels: Grenville: West Chester:
a.. zweiter Art zweiter Art erster Art.
b. diagonal, parallel, diagonal.
Man könnte nun wohl annehmen, dafs die eingewachsenen
Krystalle von South Burgefs und West Chester in paralleler
Stellung mit dem einschliefsenden Glimmern ständen und der
FREE,
vom 19. April 1869. 351
anscheinende Unterschied nur darin bestände, dals die Krystalle
vorzugsweise nach Richtungen ausgedehnt wären, die den
Flächen 4m und der Querfläche des zweiaxigen Glimmers ent-
sprechen, aber diese Richtungen der Krystalle sind in diesen
Glimmern die bei weitem ‘vorherrschenden, wie man schon aus
der Lage des Lichtsternes sieht, und von solchen vorherr-
schenden Richtungen mufs man doch bei der Beurtheilung der
Formen ausgehen. Auch bestände nun noch immer ein Unter-
schied in Rücksicht der Lage der Axenebene. Der Glimmer
von Grenville verhält sich in Rücksicht der Lage des einge-
wachsenen einaxigen Glimmers wie der von Alstead und dem
Capellenberge, doch sind diese wieder erster Art, der Glimmer
von Grenville zweiter Art. Vielleicht steht die Lage der ein-
gewachsenen Krystalle bei den Glimmern von South Burgefs
und West Chester, von denen beiden man in den Sammlungen
nur Streifen sieht, deren lange Seiten parallel den Seitenflächen
im gehen, mit der starken Ausbildung der Spaltungsflächen
noch 4m in Verbindung. Aber wenn beide darin sich gleich
verhalten, so ist bei beiden doch die Lage der Axenebenen
verschieden. Wovon diese abhängt, mufs weitern Untersu-
chungen überlassen bleiben.
4. Einaxiger Glimmer und Pennin.
Eine solche regelmäfsige Verwachsung findet sich in Magnet
Cove im Staate Arkansas der Ver. Staaten; das mineralogische
Museum besitzt davon eine sechsseitige Tafel von der Gröfse
und Gestalt wie Fig. 10. Der Pennin ist dunkel lauchgrün,
der Glimmer hell gelblichgrün, und dieser umgiebt den Pennin,
doch wiederholt sich die Verwachsung noch einmal. Der
Pennin ist ungeachtet der dunklen Farbe noch durchsichtig,
und zeigt im polarisirten Lichte das schwarze Kreutz sehr
schön und deutlich, ebenso wie der Glimmer,') Vor dem
1) Das mineralogische Museum erhielt den Pennin unter dem Na-
men Clinochlor. Wegen seines optischen Verhaltens, das sich von dem
des Clinochlors z. B. von Texas in Pensylvanien ganz verschieden zeigte,
habe ich nicht angestanden, ihn als Pennin aufzuführen, Dana führt
352 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Löthrohr im Kolben erhitzt giebt der Glimmer kein Wasser,
der Pennin sehr viel, letzterer verhält sich auch sonst: wie
Pennin. Beide Mineralien scheinen der Verwitterung sehr unter-
worfen zu sein, das mineralogische Museum besitzt mehrere
solcher verwitterten Exemplare, die zum Theil viel gröfser als
das in Fig. 10 dargestellte sind. Durch die Verwitterung wird
der Pennin braun und undurchsichtig, der Glimmer ebenso
nur heller braun.
5. Zweiaxiger Glimmer erster Art und Eisenglanz.
Diese Verwachsung ist sehr ausgezeichnet an mehreren
Orten in Pensylvanien vorgekommen, wie zu Pensbury, New
Providence etc. Ich erhielt schon vor mehreren Jahren grös-
sere unregelmälsig begränzte Platten von Glimmer mit solehen
Einmengungen zum Geschenk vom Prof. Chandler in New
York,'!) kleinere dicke regelmäfsig begränzte Krystalle erwarb
das mineral. Museum vom Dr. Krantz. Die letztern haben
die Form von einem etwa einen halben Zoll dicken symmetrisch
sechsseitigen Prisma, der Oombination des rhombischen Prismas
von ungefähr 120° mit der Längsfläche, bei welchem die Pris-
menflächen vorherrschen, und die längere Diagonale der Basis etwa
11 Zoll lang ist. Die optische Axenebene geht der längern
Diagonale der Basis parallel, die optischen Axen machen nach
Reusch einen Winkel von 59° 36'.”) Auf den Spaltungs-
flächen aller dieser Abänderungen sieht man kleine sternför-
mige Bildungen von Eisenglanz, die, wie man mit der Lupe
oder besser unter dem Mikroscop bei mälsiger Vergröfserung
sehen kann, aus lauter kleinen sechsseitigen oft in die Länge
gezogenen Tafeln bestehen, die untereinander und zugleich auch
diese Verwachsung weder bei dem Pennin (seinem Penninit), noch bei
.dem Clinochlor (Ripidolith) auf. Ich erhielt diese interessante Verwach-
sung durch Hrn. Prof. Shepard.
1) Ganz ähnliche schöne Platten befinden sich auch in der Samm-
lung der hiesigen Berg-Akademie, die mir durch Hrn. Dr. Eek zur Un-
tersuchung freundlichst mitgetheilt wurden.
2) Ebenso, nämlich zu 59°, giebt ihn B. Silliman.an. (Dana,
Mineralogie S. 312.)
vom 19. April 1869. 353
den Seitenflächen des zweiaxigen Glimmers, worin sie liegen,
parallel sind, so dafs die Lage des Eisenglanzes gegen den
Glimmer vollkommen dieselbe ist, wie die des einaxigen Glimmers
gegen den zweiaxigen, und dieselbe, die auch bei den kleinen
Tafeln von Eisenglanz stattfindet, die sich einzeln zerstreut in
dem Glimmer von South Burgefs und von Grenville finden.!)
Aber die Tafeln sind nicht blos nach geraden sich unter Win-
keln von 60° schneidenden Reihen zusammengruppirt, aus jeder
Reihe entwickeln sich mehr oder weniger regelmäfsig andere,
die auf diese auch unter Winkeln von 60° stofsen, gerade wie
bei den sog. regelmäfsig-baumförmigen Gestalten des Kupfers
und des regulären Systems überhaupt.) Fig. 7 zeigt einen
solchen Stern, wobei aber nur die Hauptstrahlen ohne die Aus-
biegungen an den Seiten angegeben sind,’) Fig. 6 einen einzel-
nen Strahl von einer andern Gruppe, beide nach der Natur und
bei 140maliger Vergrölserung gezeichnet.
Solche sternförmige Gruppirungen von verschiedener, immer
aber nur sehr geringer Grölse, und stets in derselben Lage zu
dem Glimmer, worin sie liegen, finden sich nun in mehr oder
weniger grolser Menge in demselben; sie liegen theils zerstreut,
theils in Linien aneinander gereiht, die den einzelnen Strahlen
und also auch den Seiten des Glimmers parallel sind. Die
Reihen von Sternen, die einer Richtung parallel gehen, schnei-
den sich mit andern, die den beiden andern Richtungen parallel
gehen, und an den verschiedenen Stücken oder auf den ver-
schiedenen Spaltungsflächen eines und desselben Stückes sind
bald die Reihen der einen Richtung, bald die der andern vor-
herrschend. Zuweilen beobachtet man noch eine vierte Rich-
tung, die die der optischen Axenebene ist, aber sich auch schon
bei den Strahlen der einzelnen Sterne findet. Der Strahl y
bei dem gezeichneten Stern Fig. 7 hat eine solche Lage. Die
!) Vgl. oben S. 345 und S. 349.
2) Vgl. G. Rose Reise nach dem Ural etc. Th. 1, S. 401.
3) Der Strahl x Fig. 7 müfste eigentlich das Ansehn von Fig. 7a
haben, in welcher er etwas gröfser und genau nach der Natur gezeich-
net ist, und ähnlich sind auch alle andern beschaffen.
[1869.] 25
354 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Lage der Sterne und ihrer Reihen ist also so wie es in Fig. 2
dargestellt ist. *
Die Farbe des Eisenglanzes in dem Glimmer ist braun
bis schwarz. Spaltet man von den dickern Glimmerblättern
dünnere Scheiben ab, so erscheint der Eisenglanz braun und
durchsichtig, zuweilen auch gelb und roth, die Farben scheinen
demnach ganz von seiner Dicke abzuhängen.') In dickeren_
Blättern wird er dunkler bis schwarz, er erscheint aber in der
Regel nur da so, wo die sternförmigen Gruppirungen, die in
den verschiedenen übereinander liegenden Blättern des Glim-
mers nie gleichmäfsig ausgebildet sind, sondern stets mehr oder
weniger verschiedene Figuren bilden, einander decken. Wenn
man den Glimmer so spaltet, dafs der Eisenglanz frei liegt, so
schillert er, schräg darauf gesehen, mit bunten Farben und
starkem metallischen Glanze.
Zuweilen sieht man auch kleine sechsseitige Tafeln einzeln
in dem Glimmer liegen; diese sind dann gewöhnlich ganz schwarz,
zuweilen aber auch ganz prächtig roth, oder theils schwarz,
theils roth.. Ein solcher Krystall aus einer der grölsern Glim-
mertafeln ist Fig. 11 nach der Natur und bei 360maliger Ver-
gröfserung gezeichnet. Der rothe durch hellere Schraffirung
bezeichnete Theil ist ganz regelmäfsig begränzt, und von dem
schwarzen grölstentheils umschlossen. Bei dem Contrast der
Farben gewährt der Krystall unter dem Mikroscop betrachtet
einen schönen Anblick.
Durch die beschriebene Gruppirung des Eisenglanzes ent-
stehen in demselben eine Menge Lücken, die mit dem weilsen
Glimmer ausgefüllt sind, eine bald mehr oder weniger regel-
mäfsige Form haben und bei einer obern Schicht oft kleiner
1!) Die Farben sind ganz übereinstimmend mit denen, die der Eisen-
elanz auch in andern Fällen zeigt, wo er in dünnen Blättchen (als Eisen-
‘ glimmer) in andern Substanzen eingeschlossen ist, wie z. B. in dem Car-
nallite von Stasfurt, aus dem er durch Auflösung desselben in Wasser
erhalten wird. Man kann dies sehr schön sehen an den Präparaten fürs
Mikroskop von den Substanzen, die in dem Carnallite von Stasfurt ein-
geschlossen sind, wie sie von der Pfefferschen Buchhandlung in Halle
versandt werden.
vom 19. April 1869. 355
oder gröfser sind, als bei einer unter ihr liegenden (Fig. 13).
Bei den einzelnen Blättern der oben erwähnten dicken Glim-
merkrystalle bemerkt man aber aufserdem noch mit der Lupe
oder besser noch unter dem Mikroskop ganz lichte röthlichweifs
gefärbte durchsichtige nadelförmige Krystalle, die meist einzeln,
aber siets nach 3 Richtungen liegen, die den Seiten der sechs-
seitigen Tafeln des braunen Eisenglanzes parallel sind, wie es
in Fig. 13 getreu nach der Natur dargestellt ist. Sie haben
die Form von ganz schmalen linienartig verlängerten Sechs-
ecken, doch ist von den zwei Flächen am Ende gewöhnlich
nur eine zu sehen. Zuweilen stofsen. auch 2 Krystalle unter
Winkeln von 60° zusammen. Sie finden sich am häufigsten
in dem Eisenglanz, wo er recht dunkel gefärbt ist, und sind
auch darin am besten zu erkennen. Sie erscheinen bei dem
grofsen Contrast in der Farbe mit ihrer Umgebung wie scharfe
Einschnitte in dem Eisenglanz, aber man kann sich deutlich
davon überzeugen, dafs es keine mit weifsem Glimmer ausge-
füllte Lücken von der angegebenen Form in dem Eisenglanz
sind, da sie oft mit ihren Enden in solche Lücken hinein-
reichen und dann sich bestimmt von dem weifsen, die Lücken
ausfüllenden Glimmer unterscheiden, auch öfter noch an den
Seiten Theilchen von weilsem Glimmer enthalten. In Fig. 12
sind einige von solchen Fällen bei stärkerer Vergröfserung als
in Fig. 13 dargestellt. Ich halte diese Krystalle für einaxigen
Glimmer, ähnlich wie die in dem Glimmer von South Burgefs
und West Chester eingewachsenen Krystalle. Sie sind noch
schwerer in Chlorwasserstoffsäure auflöslich als der umgebende
Eisenglanz, und sind noch zum Theil erkennbar, wenn dieser
schon aufgelöst ist, verschwinden aber bei längerer Digestion
ebenfalls. {
Dana beschreibt in seiner Mineralogie auch die regel-
mäfsigen Verwachsungen des Eisenglanzes mit dem weilsen
Glimmer von Pensylvanien,') hält aber den erstern für Magnet-
eisenerz und die Gruppirung für dendritische Bildungen. Beide
Annahmen halte ich nicht für richtig. Das Magneteisenerz ist
von solchen Farben, wie sie hier beschrieben sind, nicht be-
1) Vergl. 5. Aufl. S. 149.
25*
356 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
kannt; es er$cheint stets von einer merkwürdigen Undurchsich-
tigkeit, wenn es sich auch in den feinsten Theilen eingesprengt
findet, wie im Basalt und Melaphyr, denen es seine schwarze
Farbe ertheilt. Von einer gleichen schwarzen Farbe und Un-
durchsichtigkeit erscheint es auch in den feinen mikroskopischen
Krystallen, die man durch Schmelzen von Eisenoxyd oder
Eisenoxydoxydul mit Borax vor dem Löthrohr erhält,') dage-
gen das auf diese Weise dargestellte krystallisirte Eisenoxyd
in dünnen Blättehen eine schön rothe Farbe uud das Titaneisen
eine braune Farbe hat. Sollte es durchsichtiger dargestellt
werden können, so würde es auch wahrscheinlich eine grüne
Farbe zeigen, wie das grüne Bouteillenglas, das seine Farbe
nicht dem Eisenoxydul, sondern nach einer mündlichen Mitthei-
lung von Rammelsberg dem Eisenoxydoxydul verdankt. —
Das Magneteisenerz ist ferner von regulärer Krystallform, und
Formen dieses Systems kommen in tafelförmiger Ausbreitung
nur vor, wenn sie in Zwillingsformen erscheinen, wie beim ge-
diegenen Kupfer, wofür man wieder die durchsichtigen Kry-
stalle in dem Glimmer von Pensylvanien nicht nehmen kann.
Vielleicht hat nur der Umstand, dafs die Krystallgruppen in dem
Glimmer magnetisch sind, zu der Meinung Veranlassung gegeben,
dafs sie Magneteisenerz sind; aber der Eisenglanz ist ebenfalls
mehr oder weniger stark magnetisch.
Auch für Dendriten kann ich die Einmengungen nicht
halten; dagegen spricht ganz die so bestimmte regelmäfsige
Lage des Eisenglanzes sowohl gegen den Glimmer, als auch unter-
einander, auch wo die Gruppen ganz von einander getrennt
sind, und ferner der Umstand, dafs, wenn man den Glimmer
so spaltet, dafs der Eisenglanz an der Oberfläche zu liegen
kommt, und ihn dann in heifse Chlorwasserstoffsäure legt, das
Eisenerz sich auflöst, und in dem Glimmer, der davon nicht an-
gegriffen wird, nun scharfkantige Eindrücke hinterläfst, die
die Form des verschwundenen Eisonoxyds mit aller früheren
| Genauigkeit bezeichnen; was besonders unter dem Mikroskop
sehr bestimmt zu sehen ist. Von Salpetersäure wird der Eisen-
glanz, wie auch das Magneteisenerz nicht angegriffen. Bei der
1) Vergl. die Berichte der Akademie von 1867, S. 455.
vom 19. April 1869. 357
Feinheit des Eisenglanzes in dem Glimmer erleidet er aber eine
eigenthümliche Veränderung; er erscheint durch die Berührung
mit dieser nach einiger Zeit wie gestreift, und wie mit weilsen
Linien durchzogen, die den abwechselnden Seiten des äufseren.
Sechsecks, also den Seiten eines gleichseitigen Dreiecks pa-
rallel gehen. Farbe und Durchsichtigkeit haben sich dabei ver-
ändert, die Substanz, wenn sie früher braun und durchsichtig
war, erscheint nun schwarz und undurchsichtig. Ich habe in
Fig. 14 den so veränderten Eisenglanz dargestellt.
Wenn sonach alle Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dafs
die Krystalle Eisenglanz und nicht Magneteisenerz sind, so ist
doch zu erwähnen, dafs von Hrn. Prof. Finkener, der auf
meine Bitte sich mit der chemischen Untersuchung dieses Eisen-
erzes beschäftigt hat, in demselben Eisenoxydul nachgewiesen ist.
Eine geringe Menge des Glimmers mit dem Eisenerze wurde
mit Chlorwasserstoffsäure in einem oben zugeschmelzten Capillar-
röhrchen in einem Luftbade bis 120° erhitzt, wodurch es sich
auflöste; die Auflösung wurde dann in eine feinere Röhre auf-
gesogen, auf ein Uhrglas ausgeblasen und mit Kalium -Eisen-
Cyanid versetzt, wodurch sie blau gefärbt und also Eisenoxydul
in ihr nachgewiesen wurde. Es entsteht nun die Frage, wo-
her dasselbe kommt. Man könnte annehmen, der Glimmer
enthielte aulser dem Eisenglanz auch Titaneisenerz, das dieselbe
Form hat, wie der Eisenglanz, und welches Eisenoxydul ent-
hält, entweder als solches, oder in der Auflösung in Chlor-
wasserstoffsäure. Als aber eine wie oben erhaltene Auflösung
mit Zinn versetzt und die Röhre zugeschmelzt wurde, entstand
keine blaue Färbung. Rührt die erwähnte Reaction auf Eisen-
oxydul nun von der geringen Menge Eisenoxydul her, die sich
gewöhnlich in dem natürlichen Eisenoxyd finde? Rammels-
berg giebt in dem Eisenglanz von Elba 0,3 pCt., in dem vom
Vesuv 3,11 pCt. und 0,74 Magnesia an.'!) Die Menge des
Eisenoxyduls konnte bei der geringen Menge, mit welcher die
Versuche gemacht wurden, natürlich nicht bestimmt werden.
Ich mufs die Anwesenheit des Eisenoxyduls, wenn es sich bei
wiederholten Versuchen bestätigt, unerklärt lassen, kann aber
1) Mineralchemie S. 128.
358 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
bei den oben angegebenen und für mich überwiegenden Gründen,
darin keine Veranlassung finden, von meiner angegebenen Mei-
nung abzugehen, und das in dem Glimmer eiigeranhsene Eisen-
erz für Magneteisenerz halten.
Die regelmäfsige Verwachsung des Eisenglanzes mit dem
Glimmer ist nicht auf Pensylvanien beschränkt, sie findet sich,
wenn man erst darauf aufmerksam geworden ist, an vielen
Orten. Namentlich fand ich sie sehr schön und ausgezeichnet
und ganz von derselben Art, wie bei dem Glimmer aus Pen-
sylvanien bei einem Glimmer von Kassigiengoit am Ameragliks
Fiord in Grönland, den das mineralogische Museum schon vor
längerer Zeit durch Gieseke erhalten hat.!) Der den Eisen-
glanz umgebende Glimmer ist auch von derselben Art; er zeigt
bei dem Stück in dem Museum zum Theil noch regelmäfsige
Begränzung; man kann sich dadurch überzeugen, dafs die optische
Axenebene parallel der längern Diagonale geht. Dasselbe be-
weisen auch die Schlagfiguren. Dafs einzelne kleine Krystalle
von Eisenglanz in regelmäfsiger Verwachsung auch in dem zwei-
axigen Glimmer von Canada vorkommen, ist oben angegeben.
Nachtrag über den Lithionglimmer. »
Ich gebe hier noch die einzelnen Bestimmungen über den
Lithionglimmer, die den oben Seite 344 angegebenen Zusammen-
hang zwischen ihren optischen Eigenschaften und ihrem Ver-
halten vor dem Löthrohr darthun.
A. Lithionglimmer: zweiaxig erster Art, vor dem
Löthrohr ein blasiges, wasserhelles, beim Erkalten schneeweils
werdendes Glas gebend.
1. Von Alabaschka bei Mursinsk im Ural, in Drusen
des Granits. Die Krystalle sind in zollgrofsen dicken sechs-
seitigen Tafeln mit den Rändern aufgewachsen, röthlichweils,
perlmutterglänzend, durchscheinend. Mit ihm kommt vor: Feld-
‘ spath, ockergelb, an den Kanten durchscheinend in einigen
Zoll grofsen Krystallen, Albit weils, stark durchscheinend,
glänzend, in kleinen tafelartigen und kugelig zusammengehäuften
!) Die Fig. 6 ist nach einem solchen Exemplar aus Grönland ge-
zeichnet.
vom 19. April 1869. 359
Krystallen, Bergkrystall in grofsen nelkenbraunen Krystallen,
weilser Topas, schwarzer Turmalin und zuweilen der so seltene
Pyrrhit.') — Der Winkel der optischen Axen ( stellenweise
sehr veränderlich, der gröfste Werth 67°. |
2. Von Schaitansk bei Mursinsk. Der Lithionglim-
mer findet sich in einer grofsen Stufe des Berliner mineralogi-
schen Museums in 4 bis 6 Linien grofsen sechsflächigen Tafeln,
‚die, vielfach durcheinander gewachsen und locker zusammenge-
häuft, so dafs man die regelmälsige Begränzung bei ihnen oft
noch deutlich erkennen kann, ein körniges Aggregat bilden, das
auf derbem weifsen strahligen Albit und einem grofsen dicken
Krystall von Lithionglimmer, der bis 4 Zoll im Durchmesser
hat, und mit dem Rande dem Albite aufgewachsen ist, aufliegt.
Andere kleinere Stücke des Museums enthalten nur dies Ag-
gregat; pfirsichblüthroth, durchsichtig, vor dem Löthrohr noch
durch fast völlige Abwesenheit einer Manganreaction ausgezeich-
net d=5l.
3. Von Schaitansk bei Mursinsk. Hierher gehört
auch der oben S. 343 erwähnte zweiaxige gelbe Glimmer erster
Art (Muscovit), der den Saum von Lithionglimmer hat.
4. Die kleinkörnigen Aggregate von Paris in Maine,
Chursdorf bei Penig in Sachsen, Rozena in Mähren, die
alle vor dem Löthrohre weilse Gläser geben, gehören wohl
ebenfalls hierher.
Ebenso der Lithionglimmer, der in kleinen aufgewachsenen
Krystallen von röthlich weilser Farbe mit Feldspath und Tur-
malin in den Drusen des Granits von Elba vorkommt.
B. Lithionglimmer, zweiaxig, zweiter Art, vor
dem Löthrohr ein graulichschwarzes bis graulichweilses, im
ersten Fall magnetisches ‘Glas gebend.
1. Von Zinnwald im Böhmischen Erzgebirge, die be-
kannte Abänderung; graulichgrün in sechsseitigen Tafeln, auf
1) Vergl. meine Reise nach dem Ural, Th. 2, S. 383 u. 505 und
v. Kokscharow Materialien zur Mineralogie Rufslands, Th. 2, S. 138.
Nach Kokscharow erreichen die Krystalle von Lithionglimmer hier zu-
weilen einen Durchmesser von 7. Centimetern.
360 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse-
den Spaltungsflächen gestreift, die Streifung rechtwinklig auf
den Rändern. Schmilzt vor dem Löthrohr zu einem graulich-
schwarzen stark magnetischen Glase. & = 48° 30’; nach Se-
narmont 46—47°,.'!)
2. Von Alabaschka bei Mursinsk. Lithionglimmer
aus der derben Masse des Granits, worauf die Krystalle der
Seite 358 erwähnten Druse aufgewachsen sind. Sehr gerad-
blättrig, graulichgelb, und häufig mit dünnen, nadelförmigen
Krystallen von schwarzem Turmalin durchwachsen. Schmilzt
vor dem Löthrohr zu einem schwärzlichgrauen magnetischen
Glase. $ = 67. Der Winkel des aufgewachsenen Lithion-
glimmers erster Art (Seite 358) davon nur wenig verschieden.
3. Von Schaitansk bei Mursinsk. Der grofse auf-
gewachsene Seite 359 erwähnte Krystall von Lithionglimmer,
von derselben Farbe, wie die bedeckenden kleinern Krystalle.
Er ist auf den Spaltungsflächen stark gestreift, die Streifung
steht rechtwinklig auf den Rändern der sechsseitigen Tafel.
Vor dem Löthrohr ein graulichweilses schwach magnetisches
Glas, mit kohlensaurem Natron auf Platinblech sehr starke
Reaction auf Mangan gebend. $ = 71. Merkwürdiger Weise
giebt er aber nur in der Mitte das graulichweilse Glas, an
den Rändern dagegen ein vollkommen schneeweilses.
4. Von Juschakowa bei Mursinsk. Grolse. tafel-
. artige unregelmäfsig begränzte Krystalle in einem grobkörnigen
Gemenge von graulichschwarzem kleinkörnigen Quarz, schnee-
weilsen strahligem Albite und gelben Beryll eingewachsen.?) Vor
dem Löthrohr ein graulichweilses unmagnetisches Glas, mit
kohlensaurem Natron auf Platinblech eine starke grüne Fär-
bung und mit Borax in der Flamme ein amethystfarbiges Glas
gebend. p = 55° 8.
5. Von unbekanntem Fundort, derb in Granit vor-
kommend mit Feldspath, Quarz und Gadolinit, ziemlich grofs-
-blättrig, pfirsichblüthroth, perlmutterglänzend.. Vor dem Löth-
rohr ein grauliches schwach magnetisches Glas gebend.
pop = 71—75°.
!) Ann. de chimie et de phys. 1851, t. 34, p. 171, no. 42.
‘ ?) Vergl. meine Reise nach dem Ural, Th. 2, S. 505 u. Th. 1, S.457.
vom 19. April 1869. 361
6. Von unbekanntem Fundort, derb in Granit vor-
kommend, ziemlich grofsblättrig, Farbe und Glanz wie der
vorige. Vor dem Löthrohr ein grauliches unmagnetisches, und
mit Borax in der äufsern Flamme ein amethystfarbenes Glas
sebend.. & = 71°15'. Enthält wie der vorige rein einaxige
Stellen.
Alle die Lithionglimmer, die ein graulichweifses nur schwach
oder gar nicht magnetisches Glas geben, sind durch grofsen
Gehalt an Mangan ausgezeichnet, der den geringern Gehalt an
Eisen zu ersetzen scheint. Bemerkenswerth ist die Verschie-
denheit in dem Verhalten des Lithionglimmers von Alabaschka,
je nachdem er in den Drusen des Granits oder in dem derben
Granit vorkommt, und noch mehr des Lithionglimmers von
Schaitansk, der an den Rändern sich anders verhält wie in der
Mitte, und an jenen wie der bedeckende kleinblättrige eisenfreie
Lithionglimmer.
Erklärung der Figuren.
Fig. 1. Zweiaxiger Glimmer mit einaxigem von Alstead in
- New Hamshire. $. 342.
„ 2. do. mit Eisenglanz aus Pensylvanien. S. 354.
3. do. mit einaxigem Glimmer von South Burgels in Ca-
nada. S. 346.
„ 4. do. do. von Grenville in Canada. S. 346.
„ 5. do. do. aus Pensylvanien. S. 350.
„ 6. Eisenglanz aus dem zweiaxigen Glimmer aus Grön-
land. S. 358.
„ 7. do. do. aus Pensylvanien. S. 353.
„ 8 Krystalle von einaxigem Glimmer aus dem zweiaxigen
Glimmer von South Burgels. S. 345.
5 9 Zweiaxiger Glimmer mit Lepidolith von Schaitansk im
Ural. S. 343.
„10. do. mit Pennin von Magnet Cove in Arkansas. 8. 351.
„11. Eisenglanz-Krystall, schwarz und roth mit einem Kry-
stall von einaxigem Glimmer von Pensylvanien. S. 354.
„12u.13. do. mit eingewachsenen Krystallen von einaxigem
Glimmer und theils regelmäfsig theils unregelmäfsig
begränzten zweiaxigen Glimmer ebendaher. $. 355.
362 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Fig. 14. Eisenglanz ebendaher mit Salpetersäure geätzt. $. 357.
„ 15. Krystalle von einaxigem Glimmer aus dem zweiaxi-
gen Glimmer von Grenville (Fig. 4) von einer Stelle,
die einer Seitenfläche m des zweiaxigen Glimmers
parallel ist. S. 348.
„ 16. do. von einer Stelle, die der Längsfläche 5 parallel
ist. 8. 348.
Hr. A. W. Hofmann las Beiträge zur Kenntnils
des Methylaldehyds.
Unter diesem Titel habe ich vor anderthalb Jahren (am
14. October 1867) der Akademie der Wissenschaften!) einige
Beobachtungen mitgetheilt, welche gelegentlich eines Vorlesungs-
versuches über die Oxydation des Methylalkohols angestellt
worden sind. Ich hatte nämlich gefunden, dafs sich beim Auf-
treffen eines mit Holzgeistdämpfen beladenen Luftstroms auf
einer glühenden Platinspirale ein Körper bildet, den ich seiner
Entstehungsweise und Eigenschaften nach als den Aldehyd der
Methylreihe ansprechen zu dürfen glaubte. Diese Auffassung
stützte sich, da es mir nicht gelungen war, den in Rede stehen-
den Körper im reinen Zustande zu isoliren, zumal auf seinen
leichten Übergang in Ameisensäure sowie in eine schön kry-
stallisirte Schwefelverbindung von der Formel CH,S, welche
sich ihrer Zusammensetzung nach als ein we der Me-
thylreihe darstellte.
Meine Mittheilung schlofs mit den Worten: |
„Ich habe die Absicht, bei eintretender Winterkälte die
beschriebenen Methylaldehyde etwas genauer zu erforschen.
Zunächst wird es nothwendig sein, den sauerstoffhaltigen Kör-
‚per zu isoliren, um seine Dampfdichte zu nehmen, denn es
könnte hier möglicherweise ein Aldehyd von höherem Molecu-
largewichte vorliegen. Es verdient ferner bemerkt zu werden,
dafs ein Körper von der Zusammensetzung © H, S, dessen
!) Hofmann, Monatsberichte für 1867, S. 665.
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vom 19. April 1869. 363
Eigenschaften, soweit dieselben bekannt sind, von denen der
oben beschriebenen Verbindung nicht sehr wesentlich abweichen,
bereits vor einigen Jahren von Hrn. Aime Girard durch die
Einwirkung des Wasserstoffs auf den Schwefelkohlenstoff er-
halten, bis jetzt aber als Aldehydabkömmling nicht aufgefasst
worden ist. Vergleichende Versuche müssen entscheiden, ob
beide Körper identisch sind.“
In ganz ähnlichem Sinne hatte ich mich schon früher in
einem am 30. September der „Royal Society“ in London vor-
gelegten Aufsatze!) ausgesprochen.
„Eine eingehendere Erforschung des Methylaldehyds und
seiner Abkömmlinge,* so schliefst der Aufsatz, „bleibt noch
auszuführen. Es ist absolut nothwendig, die Sauerstoffver-
bindung zu isoliren und ihre Dampfdichte zu nehmen, damit
auf diese Weise ihr Moleculargewicht festgestellt werde. Wenn
man bedenkt, mit welcher Leichtigkeit sich die Aldehyde poly-
merisiren, so wirft sich die Frage auf, ob der bei der lang-
samen Verbrennung des Methylalkohols gebildete Aldehyd durch
die Formel CH,O oder ein Multiplum dieser Formel ausge-
drückt wird. Eine ähnliche Bemerkung gilt auch für den ge-
schwefelten Abkömmling desselben. Es verdient erwähnt zu
‚werden, dafs eine mit dem Methylaldehyd isomere Verbindung,
das Dioxymethylen C,H, O, des Hrn. Butlerow, bereits be-
kannt ist, und dafs auch eine Schwefelverbindung von der Zu-
sammensetzung CH,S von Hrn. Aime Girard dargestellt
worden ist.“
Für die Wahrscheinlichkeit der Identität des bei der Oxy-
dation. des Methylalkohols entsteheuden Körpers und der aus
demselben abgeleiteten Schwefelverbindug beziehungsweise mit
dem Dioxymethylen des Hrn. Butlerow und dem schwefel-
haltigen Reductionsproduct des Hrn. Aime Girard hat sich
auch später (28. Januar 1868) Hr. Geuther”?) ausgesprochen,
dem meine schon früher in diesem Sinne gemachten Andeu-
tungen unbekannt geblieben waren.
1) Hofmann, Proceedings of the R. Soc. Vol. XVI. S. 166.
2) Geuther, Zeitschrift für Chemie, N. F. IV, 159.
364 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Da die hier vorliegende Frage durch Versuche, die ich in
den letzten Monaten angestellt habe, zu einem zeitweiligen Ab-
schluls gekommen ist, so möchte ich einigen kurzen Bemer-
kungen über diesen Gegenstand, die ich vor einiger Zeit der
deutschen chemischen Gesellschaft!) vorgelegt habe, heute noch
eine Erweiterung geben.
Die ersten Versuche, den Methylaldehyd aus dem rohen
Product abzuscheiden, welches sich beim Überleiten von Luft
und Holzgeistdämpfen über eine glühende Platinspirale bildet,
schlugen gänzlich fehl. Destillirt man dieses Product selbst
bei sehr gelinder Temperatur, so hat man schliefslich einen
Theil des Silbersalze reducirenden Körpers in dem Destillate,
einen anderen Theil in dem Rückstande der Operation. Auf
den Siedepunkt der Flüssigkeit (Wasser und Holzgeist) scheint
die Gegenwart des in derselben aufgelösten Methylaldehyds
ohne allen Einfluls zu sein.
Zu einem etwas besseren Ergebnifs a man, als eine
grölsere Menge des Rohproducts unter dem Recipienten der
Luftpumpe über Schwefelsäure verdampft wurde. In diesem
Falle blieb eine kleine Quantität einer gelblich weilsen, amor-
phen Substanz zurück, deren Menge indessen gar nicht im
Verhältnifs zu dem Volum und der Concentration der ange-
wendeten Flüssigkeit stand.
Diese Substanz zeigte im Wesentlichen die Eipenschan
die Hr. Butlerow”’) dem Dioxymethylen beilegt. Namentlich
erwies sich dieselbe, obwohl durch Verdampfen einer wässrig
alkoholischen Lösung erhalten, dennoch in Wasser und Alkohol,
ebenso in Äther unlöslich. Um mit Sicherheit zu entscheiden,
ob hier derselbe Körper vorlag, welchen Hr. Butlerow unter
den Händen gehabt hatte, wurde die durch Oxydation des Holz-
geistes erhaltene Flüssigkeit mit Ammoniak versetzt und gleich-
falls in vacuo abgedampft. Enthielt dieselbe Dioxymethylen,
so mulfste die charakteristische unter dem Namen Hexame-
thylenamin von Hrn. Butlerow°) beschriebene Verbindung
1!) Hofmann, Berichte 1868, S. 198.
2) Butlerow, Ann. Chem. Pharm., CXI, 242.
3) Butlerow, Ann. Chem. Pharm., CXV, 322.
vom 19. April 1869. 365
_ erhalten werden. Beim Eindampfen verwandelt sich die Flüssig-
keit allmälig in einen braunen Syrup, aus dem sich in der
That nach längerem Stehen farblos durchsichtige, sehr gut aus-
gebildete Rhomboäder von grofsem Glanze absetzen, welche
alle Eigenschaften des Hexamethylenamins besitzen, wie sie
Hr. Butlerow beschreibt: Löslichkeit in Wasser, geringere
Löslichkeit in Alkohol, Unlöslichkeit in Äther, eigenthümlicher,
wenig angenehmer Geruch nach Methylamin, Bildung eines
krystallisirenden Chlorids und eines blafsgelben, schwach kry-
stallinischen Platinsalzes. Durch die Güte des Hrn. Butlerow
war ich in den Stand gesetzt, die so gebildete Base mit dem
von ihm dargestellten Hexamethylenamin zu vergleichen. Um
indessen jeden Zweifel zu verbannen, wurde das Platinsalz der
Base analysirt. Die erhaltenen Platinprocente entsprechen der
Formel
2(C,H,N,HCD,PtCl,
welche den untersuchten Körper als das Platinsalz des Hexa-
methylenamins charakterisirt.‘) Hr. Butlerow hat ein Chlorid
von der Zusammensetzung
C,H»N,, HCl
analysirt.
Nach diesem Ergebnils konnte die Identiät des aus dem
Oxydationsproducte des Methylalkohols, schliefslich durch Ab-
dampfen im starren Zustande erhaltenen Körpers mit dem Dioxy-
methylen wohl nicht länger beanstandet werden. Ich kann
gleichwohl noch einen weiteren Beweis für diese Identität an-
führen.
Behandelt man den Dioxymethylen mit Schwefelwasserstoff
und Chlorwasserstoffsäure, gerade so wie ich früher die Methyl-
aldehyd enthaltende Flüssigkeit behandelt hatte, so verwandelt
sich dieser Körper in dieselbe schön krystallisirte schwefel-
haltige Verbindung, die ich früher als den Sulfaldehyd der
Methylreihe bezeichnet habe.
1) Das Hexamethylenamin bildet auch eine wohlkrystallisirte Ver-
bindung mit salpetersaurem Silber, die sich beim Erwärmen schwärzt
und versetzt. Die Silberprocente schwanken zwischen 38,16 und 40,75.
366 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Das zu dem Versuche angewendete Material war theil-
weise nach dem von Hrn. Butlerow angegebenen Verfahren
aus Jodmethylen, theilweise nach der von Hrn. Heintz!) auf-
gefundenen Methode aus glycolsaurem Kalk dargestellt. Bei
dieser Gelegenheit will ich nicht unerwähnt lassen, dafs die
Leichtigkeit, mit der man sich gröfsere Mengen Monochlor-
essigsäure und mithin auch Glycolsäure verschafft, letztere
Säure als ergiebigste Quelle für den in Rede stehenden Körper
bezeichnet, obwohl die Ausbeute nur wenige Procente der an-
gewendeten Glycolsäure beträgt. Für meine Versuche mit dem
Dioxymethylen habe ich mich mit Vorliebe des von Heintz
angegebenen Verfahrens bedient.
Der aus dem Dioxymethylen dargestellte Schwefelkörper
besitzt denselben Schmelzpunkt (216°) wie der aus dem Oxyda-
tionsproducte des Methylalkohols entstandene. Derselbe Schmelz-
punkt gehört auch dem von Hrn. Aime Girard?) durch die
Einwirkung nascenten Wasserstoffs auf Schwefelkohlenstoff ge-
wonnenen Körper, sowie auch der Verbindung an, welche von
Hrn. Husemann°) durch Erhitzen von Jodmethylen mit Na-
triumsulfid erhalten worden ist. Ich habe um diese Unter-
suchung zu vervollständigen beide Körper dargestellt und kann
mich mit Bestimmtheit für ihre Identität mit den aus dem
Oxydationsproducte des Methylalkohols sowie aus dem Dioxy-
methylen erzielten Schwefelverbindungen aussprechen. Dafs
der Sulfaldehyd sich auch bei der Einwirkung von nascenten
Wasserstoff auf die Senföle und selbst auf Schwefeleyankalium
bildet, habe ich der Akademie bereits in einem früheren Auf-
satze*) mitgetheilt.
Dafs man einen Körper von den Eigenschaften des Dioxy-
methylens, welcher bei 152° schmilzt und bei noch höherer
Temperatur siedet, nicht als den normalen Methylaldehyd CH, O
ansprechen kann, dafs auch die bei 216° schmelzende Schwe-
felverbindung nicht durch die Formel CH,S ausgedrückt wird,
1) Heintz, Ann. Chem. Pharm. CXXXVIII, 40.
2) Aim& Girard, Ann. Chem. Pharm. C. 306.
3) Husemann, Ann. Chem. Pharm. CXXVI. 294,
4) Hofmann, Monatsberichte für 1868, S. 474.
vom 19. April 1869. 367
_ liegt auf der Hand. Diese Substanzen sind offenbar polymere
Methylaldehyde den in der Äthylreihe und anderen Reihen
beobachteten Aldehyden von höherem Moleculargewicht ent-
sprechend.
Wenn wir aber das Dioxymethylen ohne Bedenken als
einen polymeren Methylaldehyd gelten lassen, so folgt daraus
nicht, dafs sich dasselbe direct bei der Oxydation des Methyl-
alkohols bilde. Es sprechen ganz gewichtige Gründe dafür,
dafs dieser polymere Methylaldehyd ein secundäres Product ist,
entstanden aus dem Körper CH,O, dem Methylaldehyd par
excellence, welcher beim Auftreffen von Luft und Holzgeist-
dämpfen auf der glühenden Platinspirale erzeugt wird.
Man erinnere sich, dafs dieses directe Product ein in
Wasser und Alkohol vollkommen löslicher Körper ist, während
sich das Dioxymethylen in diesen Flüssigkeiten vollkommen
unlöslich zeigt. Es mag hier ferner erwähnt werden, dafs das
Dioxymethylen einen nur äufserst schwachen Geruch besitzt,
während die bei der Oxydation des Holsgeistes erhaltene
Flüssigkeit einen penetranten Aldehydgeruch zeigt.
Die Annahme, dafs das directe Oxydationsproduct des
Holzgeistes der normale Methylaldehyd sei und dafs sich der-
selbe erst später polymerisirte, um in Dioxymethylen überzu-
gehen, findet eine Stütze in der Gasvolumgewichtsbestimmung
des Dioxymethylens, welche ich gelegentlich einiger Bemer-
kungen über „Dampfdichtebestimmungen in der Barometerleere*
vor einiger Zeit der chemischen Gesellschaft kurz mitgetheilt
habe.!) Für diesen Körper hatte Hr. Butlerow in einer nach
dem Gay-Lussac’schen Verfahren ausgeführten Bestimmung
das Gasvolumgewicht 29,8 gefunden und darauf hin die Formel
C,H, 0,
aufgestellt, welche das theoretische Gasvolumgewicht 30 ver-
langt. Es ist dieses in der That die einzige experimentale
Grundlage für das angenommene Moleculargewicht des frag-
lichen Körpers und die Auffassung desselben als Dioxymethylen,
Bei einer erneuten Bestimmung des Gasvolumgewichtes bin
ich zu einem wesentlich verschiedenem Ergebnisse gelangt,
1) Hofmann, Berichte 1868. S. 201,
368 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
insofern drei Gasvolumgewichtsbestimmungen des bisher mit
dem Namen Dioxymethylen bezeichneten Körpers, die Zahlen
15,37 14,94 14,69
geliefert haben, welche unzweideutig darauf hinweisen, dafs
die Moleculargröfse desselben nur halb so grofs ist, als sie
sich aus dem Butlerow’schen Versuche ergeben hat, dafs also
dem Körper im Gaszustande die Formel
CH,O
zukommt, welche das Gasvolumgewicht 15 verlangt und den
normalen Aldehyd der Methylreihe darstellt.
Das Product, mit welchem die angeführten Versuche an-
gestellt worden sind, war aus Glycolsäure bereitet worden, und
es war also um einen letzten etwa noch vorhandenen Zweifel
zu beseitigen, nur noch nöthig, die Gasvolumgewichtsbestim-
mung auch noch mit dem aus Jodmethylen dargestellten Körper
zu wiederholen. Dieser Versuch ist seitdem vom Hrn. But-
lerow!) selbst ausgeführt worden. Durch die abweichenden
Resultate, welche ich erhalten hatte, veranlafst, hat derselbe
die Dampfdichte des von ihm dargestellten Körpers von Neuem
genommen und ich habe das Vergnügen gehabt die von mir
gefundene Zahl durch die Versuche eines so geschickten Ex-
perimentators bestätigt zu sehen. Auch Hr. Butlerow be-
zweifelt jetzt nicht, dafs der in Rede stehende Körper im gas-
förmigen Zustande den Normalaldehyd des Methylalkohols
darstellt. -
Da sich nun die Oxydation des Methylalkohols in dem
von mir zuerst beschriebenen Versuche, nämlich beim Zusam-
mentreffen von Luft und Holzgeistdämpfen auf glühender Pla-
tinspirale im gasförmigen Zustande vollendet, so war ich,
indem ich den gebildeten Körper als den normalen Methyl-
aldehyd auffafste, von der Wahrheit doch nicht ganz so weit
entfernt, als einige Chemiker anzunehmen geneigt gewesen sind.
Dafs wir den Methylaldehyd, jenachdem wir ihn in starrer
‘oder gasförmiger Form betrachten, ganz abgesehen von den
ungleichen Aggregatzuständen, in zwei wesentlich von einander
verschiedenen Molecularzuständen vor uns haben, dürfte nach
1) Butlerow, Zeitschrift für Chemie. N. F. IV, 90,
vom 19. April 1869. 369
den gegebenen Erläuternngen nicht bezweifelt werden. Übrigens
ist ja die Gruppe der Aldehyde vor allen übrigen Körperklassen
durch die Vorliebe ausgezeichnet, mit der sich ihre Glieder in
verschiedenen Molecularverdichtungen bewegen, und es kann
daher nur der etwas plötzlich mit dem Aggregatszustandswechsel
durch die Wärme bewirkte Übergang aus einer Molecularver-
fassung in die andere auf den ersten Blick überraschen. Allein
dieser Übergang erfolgt gar nicht so rasch, als man versucht
sein könnte zu glauben.
Es sei mir gestattet, hier noch eine Beobachtung anzu-
führen, welche ich bei den Volumgewichtsbestimmungen mehr-
fach Gelegenheit hatte zu machen. Wenn man die Dampf-
dichte eines Körpers in der Barometerleere genommen hat, so
kehrt das Niveau der Quecksilbersäule in der Regel, sobald
der Apparat erkaltet ist, also im Laufe von 1 bis 14 Stunden,
wieder zu dem Punkte zurück, den es vor dem Versuche ein-
genommen hatte. Als die Dampfdichte des Methylaldehyds
bestimmt wurde, stand das Quecksilber nach 10—12 Stunden
noch immer sehr viel niedriger und selbst nach zweimal 24
Stunden war der ursprüngliche Punkt noch nicht wieder er-
reicht worden, ein unverkennbarer Beweis, dafs der Aldehyd
nur langsam und allmälig von dem normalen in den poly-
molecularen Zustand übergeht.
Was ist nun aber eigentlich die Moleculargröfse des Me-
thylaldehyds im starren Zustande? Hierüber lassen sich vor
der Hand nur Vermuthungen aussprechen. Wahrscheinlich ist
der starre Methylaldehyd die trimoleculare Modification des
normalen. Hierfür sprechen einige Versuche mit dem aus dem-
selben gebildeten Schwefelkörper.
Der Sulfaldehyd bildet charakteristische ea mit
Silbernitrat und mit Platinchlorid.
Silbernitrat, der alkoholischen Lösung des Schwefelkörpers
zugesetzt, erzeugt schon in der Kälte einen weilsen krystalli-
nischen Niederschlag. Wenige Versuche waren hinreichend, den-
selben als ein Gemenge zweier Silberverbindungen zu cha-
rakterisiren, von denen sich jede leicht im reinen Zustande
‘darstellen läfst. Hat man einen grofsen Überschufs von Silber-
nitrat zur Fällung verwendet, und nachträglich noch den ent-
[1869.] 26
370 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
standenen Niederschlag aus einer siedenden Lösung von Silber-
nitrat umkrystallisirt, so schiefst die gebildete Verbindung in
feinen Nadeln an, welche bei der Analyse die Zusammen-
setzung
CH,S, AgNO,
zeigen. Ist dagegen der direct erhaltene Niederschlag aus
reinem Wasser umkrystallisirt worden, so erhält man denselben
in schön irisirenden Blättehen, welche die Zusammensetzung
3(CH,S), AgNO,
besitzen. Es ist daher wohl re dafs der Sulfaldehyd
C,H,S;
enthält, und dafs die beiden erwähnten Silberverbindungen durch
die Formeln
C,H,;,S; 3AgNO,
und C,‚,H,S, AgNO,
dargestellt werden.
Hierfür spricht auch die Zusammensetzung des Platin-
salzes. Versetzt man eine alkoholische Lösung des Schwefel-
körpers mit Platinchlorid in der Kälte; so bleibt die Lösung
klar, aber nach etwa vierundzwanzig Stunden hat sich ein
gelblicher Niederschlag gehildet, der sich unter dem Mikroskop
als ein Aggregat feiner Nadeln erweist. Durch Kochen der
mit Platinchlorid versetzten Lösung des Schwefelkörpers wird
dieser Niederschlag alsbald gebildet. Kohlenstoff- und Platin-
bestimmung zeigen, dafs dieses Platinsalz nach der Formel
20H: S;,; PoeH
zusammengesetzt ist.
Wird man nach diesen Versuchen kaum anstehen, für den
ern Methylmetaldehyd die Formel
GERIS,
gelten zu lassen, so erlangt hie die Formel
C,H,O;
für die starre Modification des Methylmetaldehyds selber einen
hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. |
Dem Aldehyd der Methylreihe, welcher Gegenstand dieser
Bemerkungen gewesen ist, und bei dessen Untersuchung mir
die Herren A. Pinner und G. Krämer werthvolle Hülfe ge-
leistet haben, gehen einige Eigenschaften ab, die man an den
vom 19. April 1869. 371
Aldehyden anderer Reihen zu beobachten gewohnt ist. Eine
Verbindung: von Methylaldehyd mit Ammoniak, analog dem ge-
wöhnlichen Aldehyd-Ammoniak, ist bis jetzt nicht erhalten
worden, ebenso wenig eine Verbindung mit den primären Sul-
fiten des Kaliums und Natriums. Auch die dem Thialdin
analoge Base habe ich mich vergeblich bemüht darzustellen.
Sollte aber das Fehlschlagen dieser Versuche nicht einfach
dem Umstande zuzuschreiben sein, dafs man es eigentlich fast
immer mit dem polymolecularen Condensationsproducte und
nicht mit dem Methylaldehyd selber zu thun hat, und dafs die
condensirten Aldehyde auch in anderen Reihen nur wenig oder
keine Neigung zeigen, die gedachten Abkömmlinge zu liefern?
Schliefslich mag hier noch auf die Thatsache hingewiesen
werden, dafs die stickstoffhaltige Base, welche durch die Ein-
wirkung des Ammoniaks unter Wasserausscheidung aus dem
starren Methylaldehyd entsteht, durch die Einwirkung von
Säuren unter Aufnahme der Elemente des Wassers wieder in
Ammoniak und Methylaldehyd übergeführt wird. Es ist dies
eine Eigenschaft der durch Ammoniak aus den Aldehyden ge-
bildeten Körper. Jedermann weils, wie leicht sich das aus
dem Benzaldehyd gebildete Hydrobenzamid durch Säuren wieder
in Ammoniak und Bittermandelöl zurückverwandeln läfst.
Auch die von Hrn. Heintz beobachtete Entstehung des
Methylaldehyds aus Glyeolsäure ist eigentlich nur die Wieder-
holung einer längst bekannten Aldehydbildung, weils man ja
doch, dafs die Milchsäure unter Kohlenoxydentwicklung in den
Aldehyd par excellence übergeht
C,H,0,=C0+H,0+0,H,0
Milchsäure Äthylaldehyd
GH,90;,=C0C0+H,0-+.CH,0.
Glyeolsäure . Methylaldehyd
Bei dem Zutreffen so vieler und so verschiedener Ana-
logieen, wird man wohl einem Gase, dem Analyse und Volum-
gewichtsbestimmung unzweifelhaft die Formel
CH, O
zuerkennen, einem Gase, welches sich durch Oxydation des
Methylalkohols bildet und durch weitere Oxydation in Amei-
sensäure übergeht, welches den charakteristischen Geruch der
26*
372 Gesammtsitzung
Aldehyde besitzt und Silbersalze mit noch gröfserer Leichtig-
keit und Sicherheit reduecirt als der Äthylaldehyd, einem solehen
Gase wird man seine Ansprüche auf Rang und Titel eines
Normalaldehyds der Methylreihe nicht länger bestreiten wollen,
selbst wenn es nicht gelingen sollte, die zugehörige Verbin-
dung mit einem primären Akalisulfit oder das Thialdin der
Reihe darzustellen. Ist es doch bisher Niemand eingefallen,
die Homologie der Ameisensäure mit der Essigsäure zu be-
zweifeln, obwohl man weder das Ameisensäure-Anhydrid, noch
die Thioameisensäure darzustellen im Stande gewesen ist.
22. Aprl. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Reichert las vergleichende anatomische Untersuchun-
sen über Zoobotryon pellucidus Ehr.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
J. de Witte, Recherches sur les empereurs qui ont regne dans les
Gaules. Paris 1868. 4. F
Günther, Die indische Cholera im Bezirk Zwickau. Leipzig 1869. 4.
Delesse, Etude sur le metarmophisme des roches. Paris 1869. 8.
— Revue de geologie. VI. Paris 1869. 8.
Numismatie Chronicle. no. 31. London 1869. 8.
Giornale di scienze naturali ed economiche. IV, 4A. Palermo 1868. 4.
vom 29. April 1869. 373
29. April. | Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Ehrenberg machte Mittheilung über mächtige
. Gebirgsschichten, vorherrschend aus mikrosko-
pischen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko.
In meiner im Jahre 1854 erschienenen Mikrogeologie hatte
ich pag. 373 auf eine Reihe von wahrscheinlich biolithischen
Mineralien des mexikanischen Gebietes aufmerksam gemacht,
welche aus den fernen Zeiten der Eroberung durch die Spanier
und besonders durch den kenninifsreichen Arzt und Chef des
Medicinalwesens Hernandez verzeichnet worden sind. Diese
von mir an Herrn Prof. Del Castillo abschriftlich übersandten
Nachrichten haben den erfreulichen Einfluss gehabt, dafs das
zu verwerthende mir übersandte Material, den biolithischen Be-
ziehungen gemäfs, zur Beachtung gekommen ist.
Ich möchte zwei Umstände besonders hervorheben, auf
welche hauptsächlich meine Aufmerksamkeit dabei verwendet
worden ist. Einer derselben betrifft die mehrfachen, unter der
Stadt Mexiko, wie unter einem Theile der Stadt Berlin, aber
noch weit umfangreicher dort liegenden Schichten jener früher
von mir als „Tisar“ analysirten schneeweilsen Lager von so-
genannten Infusorien oder polygastrischen Kieselschalen, welche
bis zu 240 Fuss Tiefe in sehr verschiedenen Mischungsver-
hältnissen und Besonderheiten der Formen zur Anschauung ge-
kommen sind. Der andere Gesichtspunkt bezieht sich auf eine
sogenannte Braunkohle, welche daselbst als Brennmaterial be-
nutzt wird und sich bei meiner Analyse als ein reich gemischtes
Lager von bituminösen Süfswasser-Spongolithen mit verhält-
nifsmäfsig wenig eingestreuten Polygastern mit thoniger Grund-
lage zu erkennen gegeben hat. Diese Braunkohle brennt mit
heller Flamme und die zurückgelassene weilse oder weilsgraue
Asche, welche mithin ohne Eisengehalt ist, besteht ihrem or-
ganischen Gehalte nach aus den eben genannten biolithischen
Süfswassergebilden. Sie erläutert auf eine sehr anschauliche
Weise die Phytolitharien-Tufe des Tuluca-Thales als Ablage-
rungen eines Wasserbeckens und entfernt die Vorstellung, dafs
es der Moya ähnliche Auswurfsstoffe gewesen sein mögen.
374 Gesammtsützung
Der Vortrag, welcher in den Abhandlungen der Akademie
mit Abbildungen zum Druck gelangt, schliefst mit folgenden
a
Der Boden der Stadt Mexiko und ihrer Umgebung zeigt
bis zur Tiefe von 240 Fuss und in meilenweiter Ausdehnung,
wie in weit geringerem Maalsstabe der der Stadt Berlin, mäch-
tige Lager einer grauen oder schneeweilsen Infusorienerde,
welche durch dünne Thonschichten in zwei bis drei Stockwerke
getheilt sind und mehrere Fuls, anscheinend zuweilen bis 33 Fuls
Mächtigkeit haben und nicht blos der Farbe nach, sondern auch
allen einzelnen Bestandtheilen nach, jener seit 1840 analysirten
Tiza-Erde zum Theil ganz gleichen.
2. Die oft reinen Ablagerungen dieser feinen organischen
Elemente bis 240 Fuss widerstreiten der Vorstellung, dafs das
grosse Becken der Hochebene von Mexiko durch tumultuarische
Einflüsse allmälig mit Erde und Schlamm angefüllt sei.
3. Da die Seeen des Hochthales von Mexiko salzig sind,
so ist das Resultat der Untersuchungen, nach dem die 146
mikroskopisch organischen Formen, welche jene Infusorien-
Lager zusammensetzen und Sülswasser-Bildungen sind, in einem
auffallenden Widerspruch mit dem Salzgehalt der Seeen.
4.. Aus mehrfachen Gründen scheint sich demnach heraus-
zustellen, dafs die bis zum massigen Porphyrgestein reichenden
Infusorien- Schichten Ablagerungen aus einer Erdperiode sind,
wo jene Seeen des Hochthales nur Süfswasser enthielten, während
ihr Salzgehält erst nach der Ablagerung jener Schichten durch
vulkanische Verhältnisse vermittelt worden sein mag.
5. Die Sülswasser- Phytolitharien- Tufe, 2000 Fufs höher
als Mexiko gelegen, im Toluca-Thale, erscheinen als eben solche
reine, in abgestuften Kesselthälern entstandene Sülswasser-
Bildungen einer früheren Zeit.
6. Die direkte Vergleichung des jetzigen mikroskopischen
Oberflächenlebens der mexikanischen Hochländer zeigt wesent-
liche Verschiedenheiten von jenen mächtigen fossilen Bänken
unter der Stadt Mexiko und in den höher gelegenen Hochthälern.
7. Die fossilen Lebensformen an den genannten Orten
enthalten, neben vielen auf der ganzen Erde weit VERTERNEIAEN
eine grofse Zahl ganz lokaler Gestaltungen.
vom 29. April 1869. 375
8. Nicht dieselben, aber ‘auffallend ähnliche lokale Ge-
staltungen sind ebenfalls im fossilen Verhältnifs in Neu-Seeland
erkannt worden. |
9,.. Unter ‘den mexikanischen fossilen Bänken haben sich
Campylodiscus Olypeus überwiegend führende Schichten gezeigt,
wie nur in Böhmen ein derartiges Lager sich früher vorgefunden
hat und am Serapis-Tempel bei Puzzuoli ein grösserer Reich-
thum solcher Art zu Tage getreten ist. |
10. Es giebt auf der Molukken-Insel Borneo ein formen-
reiches mikroskopisches Leben, welches ebenfalls reich an
charakteristischen Lokalformen ist. |
11. Die Massen-Verhältnisse des mikroskopischen En
als tief reichende, weit verbreitete und in sehr verschiedenen
Höhen bis zu 8000 Fuss Erhebung über das Meeres-Niveau
sich wiederholende Gebirgsarten von oft reinen kieselschaligen
Elementen stellen die organischen unsichtbaren Kieselgebilde
in immer nähere Parallele mit‘ den. polythalamischen Kalk-
gebilden der Kreide und zeigen einen mächtig wachsenden Ein-
fluss des unsichtbaren wenlimeianiien Lebens auf das Feste der
Erde, |
‘12. Es ist unzweifelhaft, dass die unermesslichen Massen
des unsichtbar kleinen selbstständigen Lebens, welche in Form
zierlicher Kieselschalen weit ausgedehnte und mächtige Gebirgs-
massen bilden, nicht ohne Gesellschaft mit anderen ehemals
wie, jetzt‘: gelebt haben. Es ist mithin bei diesen Formen-
Mengen und unsichtbarem Massenleben noch ein gleiehzeitiges
anderes immer zu denken, welches, weil es öfter weich und
schalenlos war, spurlos vergangen ist, das aber durch weitere
Beobachtung des jetzigen, sowohl thierischen als pflanzlichen,
Oberflächenlebens daselbst in’Gewässern und Sümpfen. einiger-
maalsen ergänzt werden wird.
15. Wenn es auffällig ist, dafs viele der in den Tabellen
aufgezählten Formen ganz dieselben sind, welche in der Mi-
krogeologie als über die ganze Erdoberfläche weit verbreitete
bereits angezeigt sind, so mag dies keine Gleichgültigkeit gegen
diese hervorrufen, vielmehr bemerkbar machen, dass ein sehr
gleichartiges unsichtbares Leben in allen Zonen und in ver-
schiedenen Tiefen der Erde eine mächtige noch. unerschöpfte
376 Gesammtsitzung
Wirkung äussert, wobei stets hervortritt, dafs auch eigenthüm-
liche Lokalformen ganz besonderer Gestaltung vorhanden sind.
14. Es ist bei diesen Untersuchungen von Neuem nöthig
geworden, den Bacillarien als Thieren und den Spongiaceen
als Pflanzen eine systematische Stellung zu geben. — Weit
entfernt, der weiteren Nachforschung vorzugreifen, bleibt dieses
Feld den Freunden und Kräften immer tieferer genetischer Nach-
forschung vorbehalten. Die leitenden Ansichten bei den hier
vorgetragenen Darstellungen beziehen sich darauf, dafs die vielen
bereits unläugbar dargestellten Eigenschaften der Schwärm-
sporen und Befruchtungs- Verhältnisse durch bewegliche Sper-
matozoidien bei den Pflanzen, der Wimper- und Wellen-Be-
wegung der weichen Substanz der Spongien kein allzugrolses
Gewicht für ihren Charakter als Thiere geben.
Es ist dies vielmehr nur eine mit dem Thierorganismus
übereinstimmende Eigenschaft der Pflanzen, deren es viele giebt,
während die eigentlichen Thier-Charaktere fehlen, wie ich in
den Monatsber. 1867, pag. 848 auseinanderzusetzen mich schon
veranlasst sah. Es bleiben freilich Olosterinen und Desmidiaceen
meiner völligen Entscheidung unzugänglich, allein auch Andere
sind der noch fehlenden Entwicklungs-Beobachtungen halber
zur Aburtheilung wohl noch unberechtigt.
15. Was die geologische Stellung der hier analysirten
organisch gebildeten Gebirgsmassen anlangt, so läfst sich wohl
dieselbe dadurch begrenzen, dafs sie unmittelbar über dem
massigen Porphyr und unter der, Mastodonten-Knochen ent-
haltenden, durch 25 Thon- und Mergel-Schichten schon von
Humboldt charakterisirten neuesten Bedeckung liegen.
16. Unzweifelhaft ergiebt sich aus den ganzen Mittheilungen,
dafs der Wunsch gerechtfertigt ist, dafs einheimische Natur-
forscher in Mexiko fortfahren und dazu in den Stand gesetzt
werden mögen, dem so auffallend massenhaften Wirken des
mikroskopischen organischen Lebens daselbst eine immer inten-
sivere Aufmerksamkeit zuzuwenden. |
17. Wichtiger als das geologische Element, welches bei
diesen Untersuchungen in den Vordergrund tritt, will mir end-
lich immer das physiologische Element der Lebenswirkung er-
scheinen. Ungern möchte ich den Boden der einfachen, müh-
vom 29. April 1869. 377
sam zu häufenden Thatsachen verlassen und Combinationen
nachgehen, welche das Mögliche dem wirklich Erreichten vor-
ziehen. Nicht die Kleinheit allein, auch die Durchsichtigkeit
setzen den physiologischen Forschungen zeitgemäfse Grenzen,
aber die Zeiten und ihre Kräfte haben sich schon oft erfahrungs-
mälsig geändert. Das Kleine hat sich durch künstliche Hülfe
vergröfsern und das der Durchsichtigkeit halber scheinbar Ein-
fache oft als ein noch sehr Zusammengesetztes wahrnehmbar
machen lassen. So wie mit diesen Untersuchungen die Aus-
breitung des unsichtbaren kleinsten Lebens und sein Einflufs
für die neuere Zeit durch Herrn Castillo ansehnlich gewachsen
ist, so ist es auch neuerlich für die ältere Zeit unerwartet ge-
fördert worden und es stellt sich immer von Neuem heraus,
dafs da, wo man an der Begrenzung der organischen Zusammen-
setzung baut, sich die Weiterverlegung der Grenzen vorbereitet,
welche die Vorstellung des Parasitismus oder der secundären
Stellung des organischen Lebens wissenschaftlich zu befestigen
und abzuschliefsen nicht erlaubt.
Hr. Weber gab einige Nachträge zu seiner in dem Januar-
heft der Monatsberichte (p. 14 ff.) enthaltenen Abhandlung über
eine „Episode aus dem Jaimini-Bhärata.*
Hrn. Dr. Reinhold Köhler in Weimar verdanke ich zu-
nächst folgende Mittheilung, welche einige weitere occidentali-
sche Parallelen dazu beibringt.
„Eine altfranzösche Erzählung (Li contes du roi Con-
stant l’empereur, in den Nouvelles frangaises en prose du
XIlIe. siecle, publiees d’apres les manuscrits par L. Moland
et ©. d’Hericault, Paris 1856, S. 3—32) erzählt: |
Muselin, ein heidnischer ') Kaiser von Byzanz und Griechen-
1) S. 4: paiiens estoit. S. 12: l’enpereres estoit sarasins.. Bekannt-
lich werden im Mittelalter auch die Muhamedaner Heiden genannt. S. 6
schwört der Kaiser bei Mahoames und Tiervagans. Ist der Name Muselin
aus Moslim etwa zu erklären?
378 ‚Gesammtsitzung
land’), ging eines Nachts mit einem Ritter in der Stadt Byzanz
umher. Da hörten sie, wie in einem Haus eine _ christliche
Frau in Kindesnöthen lag und ihr Mann auf einem Söller des
Hauses bald zu Gott betete, er möge seine Frau entbinden,
bald wieder, er möge sie nicht entbinden. Sie hörten lange
zu und gingen dann zu dem Mann, und der Kaiser fragte ihn,
warum er bald so, bald so gebetet habe. Der Mann erwiderte,
er verstebe sich auf den Lauf der Sterne und Planeten und
habe je nach dem wechselnden, für das Kind bald günstigen,
bald ungünstigen Stand der Gestirne zu Gott gebetet. Gott
habe sein Gebet erhört, das Kind sei zu guter Stunde zur
Welt gekommen und werde einst die vor acht Tagen geborene
Tochter des Kaisers heiraten und Nachfolger des Kaisers wer-
den. Der Ritter muls noch in derselben Nacht das Kind stehlen.
Der Kaiser läfst dem Kinde den Bauch vom Magen bis zum
Nabel aufschneiden und will ihm das Herz aus dem Leibe
reilsen, unterläfst letzteres jedoch auf Bitten des Ritters, der
nun das Kind im Meer ertränken soll, es aber vor einem Mönchs-
kloster aussetzt. Die Mönche, welche grade die Mette sangen,
hörten das Kind weinen und trugen es zum Abt, der die Wunde
des Kindes durch Wundärzte für 24 “besans ?) heilen und es
Constant taufen liefs, weil seine Heilung so viel gekostet hatte ?).
Constant wurde im Kloster sorgfältig auferzogen*) und wuchs zu
1). S. 3: emperes de Bisanche, ki ore est apielee Constantinoble.
S. 19: li empereres de Busance et sires de Grese. S. 24: empereres de
Grese et de Bisanche.
2) s. Ducange u. byzantius, Roquefort u. besan, mhd. Wb. u. bisant.
3) S. 11: et li mist & non Coustant pour cou k’il sanbloit k’il cou-
stoit trop au garir. $.16: et li mist non Coustant pour cou k’il cousta
tant d’avoir & garir. Coustant ist die picardische Form für Constant.
(Die Erzählung ist im picardischen Dialekt geschrieben.)
#4) Als er sieben Jahre alt war, kam er in die Schule (p. 12):
‘quand il ot vu ans, si le fist maitre li abes & l’escole (quand il avait vu
ans, l’abbe le fit mettre a l’ecole). Also ganz wie Candrahäsa. Auch
in der Erzählung der Gesta Romanorum, Graesse II, 202, kommt das
Kind mit sieben Jahren in die Schule. — Nun auf diesen Umstand ist
wohl aber, als in der Natur der Sache liegend, gerade kein besonderes
Gewicht zu legen.
vom 29. April 1869. 379
einem sehr schönen Knaben heran. Als er 15 Jahre alt war,
hatte der‘ Abt in Angelegenheiten seines Klosters eine Unter-
redung mit dem Kaiser Muselin. Der Kaiser sah bei dieser
Gelegenheit im Gefolge des Abtes auch Constant, der ihm
wegen seiner Schönheit auffiel, und befragte den Abt. Der
Abt erzählte ihm, wie Constant vor 15 Jahren vor dem Kloster
aufgefunden worden sei. Natürlich bezweifelte hiernach der
Kaiser nicht, dafs Constant jenes ihm zum Schwiegersohn be-
stimmte Kind sei, und bat deshalb den Abt, ihm den schönen
Jüngling zu überlassen. Abt und Mönche wagten die Bitte
nicht abzuschlagen, und so ward Constant dem Kaiser über-
geben. Nun geschah es, dafs der Kaiser an der 12 Tagereisen
von Byzanz entfernten Grenze seines Reiches zu thun hatte.
Er nahm Constant mit und schickte ihn von dort mit einem
Brief an den Kastellan von Byzanz zurück. In dem Brief
wurde dem Castellan befohlen, so lieb ihm sein eignes Leben
sei, den Ueberbringer sofort tödten zu lassen. Constant kam
grade während der Essenszeit in Byzanz an, stieg daher, da er
erst: nach dem Essen dem Kastellan sich vorzustellen dachte,
im Schlofsgarten ab, legte sich unter einen Baum und schlief
ein. Während dessen kam die Kaiserstochter nach Tische mit
‚den Gespielinnen in den Garten. Die Prinzessin bemerkte den
schlafenden Constant und zeigte ihn der vertrautesten der Ge-
spielinnen, nachdem sie die beiden andern weggeschickt hatte. |
Die Prinzessin gewahrte auch, dafs er einen Brief bei sich
habe, nahm denselben und las ihn. Da ihr Constant aufser-
ordentlich gefiel, so eilte sie ins Schlofs und schrieb auf ein
mit dem kaiserlichen Siegel versehenes leeres Pergamentblatt,
deren ihr der Kaiser vor seiner Abreise mehrere zurückgelassen
hatte, einen andern Brief an den Castellan mit dem Befehl,
dem Ueberbringer alsbald die Prinzessin zu vermählen. Nach-
dem sie diesen Brief an die Stelle des andern in die Briefbüchse
des noch immer schlafenden Constant gesteckt hatten, fingen
die Prinzessin und ihre Gefährtin zu singen an, so dafs Con-
stant endlich erwachte. Die Prinzessin führte ihn selbst zum
Castellan, der Brief ward gelesen, sein Inhalt den Baronen des
Reichs mitgetheilt und hierauf die Hochzeit gehalten. Der
Kaiser fügte sich bei seiner Rückkehr in das Geschehene. Nach
380 Gesammtsitzung
seinem Tode ward Constant sein Nachfolger, und Constants
Gemahlin und das ganze Reich bekehrten sich nun zum Christen-
thum. Byzanz erhielt nach Constant den Namen Constantinopel.
Sein Sohn und Nachfolger hiefs Constantin.
Diese französische Novelle steht der indischen Erzählung
näher, als die Sage vom Kaiser Heinrich, insofern die Kaiser-
tochter dem schlafenden Constant den Brief wegnimmt und mit
einem andern vertauscht, gerade so wie in der indischen Er-
zählung Vishayd dem schlafenden Candrahäsa den Brief weg-
nimmt und zwar nicht vertauscht, wol aber ihn abändert.
Es giebt nun auch eine hierher gehörige italienische
Dichtung, welche der französischen Novelle sehr nahe steht,
im Punkt der Briefvertauschung aber eigenthümlich gewendet ist,
jedoch so, dafs sie immerhin auch in diesem Punkt der fran-
zösischen und somit auch der indischen Erzählung näher steht,
als die Sage vom Kaiser Heinrich. Es ist dies die italienische
Volksdichtung ‘La Historia di Florindo e Chiarastella’, welche,
wenn nicht schon früher, sicher seit der Mitte des 16. Jahr-
hunderts vielfach als Volksbuch gedruckt worden ist (s. G. Pas-
sano I Novellieri italiani in verso, Bologna 1868, p. 57 ff.)
und mir in einem Bologneser Druck aus dem Anfang dieses
Jahrhunderts vorliegt. Gulisse, König von Spanien — so er-
zählt das Gedicht — trifft auf einer Reise nach Rom in der
Nähe Roms eines Nachts einen Landmann, der den Himmel
betrachtet. Auf die Frage des Königs erwidert der Landmann,
er sei ein Astrolog und habe jetzt das Geschick seines eben
geborenen Sohnes in den Sternen gelesen, und zwar sei diesem
Sohn bestimmt, einst Nachfolger des ihn fragenden Königs zu
werden. Der König stellt sich darüber erfreut und bittet, den
Knaben ihm zu überlassen, damit er ihn seiner Bestimmung
gemäfls erziehe. Der Sterndeuter erwidert, er wisse zwar wol,
dafs der König den Knaben nur verlangt, um ihn zu tödten,
‚aber trotzdem wolle er ihm denselben übergeben, denn was die
Sterne verkündet, werde doch geschehen. So erhielt der König
das Kind, welches er bald darauf im Wald in einen Graben
warf, nachdem er es vorher mit einem Messer am Hals verwun-
det hatte. Ein römischer Baron Fosco fand auf der Jagd das
verwundete Knäblein, liefs durch einen Arzt die Wunde heilen
vom 29. April 1869. 381
und nahm es an Kindesstelle an. Zum Jüngling herangewachsen,
erfuhr Florindo, dafs er ein Findelkind sei, und beschlofs, zum
grofsen Leidwesen seiner Pflegeältern, in die Welt zu ziehen,
um seinen Vater zu suchen. So kommt er nach Saragossa,
wo sich die schöne Prinzessin Chiarastella, die Tochter des
Königs Gulisse, in ihn verliebt und ihn zu ihrem campione und
scudiere macht. Bald aber kommt ein Abgesandter des Königs
Gabrino von Portugall, des Bruders des Gulisse, und ladet die
Prinzessin zu einem grolsen Fest in Portugall ein. Die Prin-
zessin muls der Einladung folgen, Florindo aber beim König
Gulisse zurückbleiben. Er ist über die Trennung von Chia-
rastella sehr betrübt und seine Betrübnifs fällt dem König so
auf, dals er ihn nach der Ursache derselben fragt. Florindo,
der den wahren Grund nicht gestehen will, erwidert, er sei
darüber betrübt, dafs er seinen Vater bisher vergeblich gesucht
habe, und erzählt dem König, wie er als Findelkind aufge-
funden worden sei. Natürlich ist der König sofort überzeugt,
den Sohn jenes sternkundigen Bauern vor sich zu haben. Er
schreibt alsbald einen Brief an seinen Bruder Gabrino, worin
er diesen bittet, den Ueberbringer des Briefes tödten zu lassen,
und übergibt dem Florindo diesen Brief. Florindo langt richtig
in Portugall an, als er aber den Brief abgeben will, schläft
der König grade. Indem Florindo nun indessen im Garten um-
herwandelt, trifft er auf die Prinzessin Chiarastella, die über
seine Ankunft freudig überrascht ist. Trotz seinem Wider-
streben öffnet sie den Brief und liest ihn. Rasch eilt sie in
ihr Zimmer und schreibt einen andern Brief, worin Gabrino
aufgefordert wird, ein grofses Turnier zu veranstalten und dem
Sieger — hoffentlich werde dies der Ueberbringer des Briefes
sein — die Chiarastella zu vermählen. Diesen Brief übergibt
Flerindo dem König Gabrino, das Turnier findet statt und Flo-
rindo wird als Sieger mit Chiarastella vermählt. Während der
Hochzeitsfeierlichkeiten trifft ein Bote aus Spanien mit der
Nachricht von dem plötzlichen Tode des Königs Guliss® ein.
So wird Florindo fast gleichzeitig. Gemahl der Chiarastella und
Naehfolger ihres Vaters.
In der indischen, der französischen und der italienischen
Erzählung ist es also die nachherige Gattin des Helden, welche
382 Gesammtsitzung
die Vertauschung oder Aenderung des verhängnilsvollen Briefes
vornimmt — in der italienischen Erzählung mit der Abweichung;
dafs dies nicht während des Schlafes des Helden geschieht —,
in der Sage vom Kaiser Heinrich ') und in verschiedenen Volks-
märchen, deren einige 8. 28, Anm. 4 angeführt sind, ist es
irgend eine andere Person, die den Brief verändert, die spätere
Gattin ist daran unbetheiligt.
Endlich noch eine Form, bei welcher zudem, wie im In-
dischen, beide Stoffe, der vom Schicksal bestimmte Schwieger-
sohn und „Wer andern eine Grube gräbt“, verbunden sind, frei-
lich in ziemlich absonderlicher Weise. Sie findet sich bei v. Hahn
Griechische und albanesische Märchen Nr.20 erzählt wie folgt:
„Einem alten Kaufmann wird geweissagt, der jüngste Sohn eines
gewissen armen Mannes werde sein Vermögen vergeuden.
Der Kaufmann läfst sich von dem armen Mann das Kind ab-
treten und wirft es in einen Flufs. Das Kind wird aber ans
Ufer getrieben und von einem Schäfer gefunden und auferzogen.
Als der Knabe 15 Jahre alt ist, kehrt jener Kaufmann einmal
bei dem Schäfer ein, bemerkt den schönen Knaben und erfährt
von dem Schäfer, dafs und wie der Knabe vor 15 Jahren von
ihm gefunden worden. Der Kaufmann bittet nun den Schäfer,
durch den. Knaben einen Brief an seine Frau schicken zu dürfen.
In dem Brief steht, die Frau solle den Knaben auf jede Weise
umzubringen suchen. Als der Knabe mit dem Brief unterwegs
ist, begegnet ihm ein heiliger Mann, läfst sich den Brief geben
und vertauscht ihn mit einem andern. In’ Folge dieses ver-
tauschten Briefes fand der Kaufmann bei seiner Heimkehr den
Knaben als Gattin seiner einzigen Tochter. Da schrieb er einen
Brief an seinen Weinbergswächter, er solle denjenigen erschielsen,
welcher um die und die Zeit in den Weinberg käme, und sagte
zu seinem Schwiegersohn, er solle um diese Zeit Trauben aus
dem Weinberg holen. Der Schwiegersohn machte sich sofort
1) Wilhelm Hertz in seinem anmuthigen Gedicht‘Heinrich von Schwa-
ben, Stuttgart 1868, läfst freilich die Kaiserstochter den Brief vertau-
schen; er ist aber zu dieser Abweichung ohne Zweifel durch die fran-
zösische Novelle, die ihm, -wie ich von ihm selbst weils, bekannt war,
veranlalst worden, 5
vom 29. April 1869. 383
auf den Weg, kam also vor der bestimmten Zeit, pflückte seine
Trauben und kehrte auf einem Umweg zurück. Inzwischen
ging der Kaufmann zum Weinberg, um zu sehen, ob sein Be-
fehl vollzogen worden, wie er aber eintrat, ward er vom Wächter
erschossen. So erbte der Knabe das Vermögen seines Schwieger-
vaters und brachte es in einiger Zeit richtig durch.“
Sodann bin ich unserm Collegen Hrn. Schott für den
Hinweis auf eine finnische und auf eine arabische Form
der Erzählung verpflichtet. Beide theilen mit der von v. Hahn
mitgetheilten Form zunächst zwei Züge, 1) nämlich den Zug,
dafs in ihnen ganz wie im Indischen beide Stoffe, die Brief-
vertauschung nebst der dadurch bedingten Gewinnung eines uner-
wünschten Schwiegersohnes sowohl wie die Bethätigung des
Sprüchwortes von der Grube, vereinigt sind, und 2) den andern,
dafs die Geschichte in ihnen von einem Kaufmann, nicht
von einem Fürsten oder Majordomus, erzählt wird. Und zwar
ist letzterer Umstand wohl charakteristisch für die Herkunft,
resp. Weiterverbreitungsart, der betreffenden Erzählungen, die,
danach zu schliefsen, eben wohl durch reisende Kaufleute
in der Welt umhergetragen worden sind. Auch im Übrigen
zeigen diese drei Berichte mehrfach 'noch ganz besonders nahe
Beziehungen zu einander.
Die finnische Erzählung findet sich in der 2ten Liefe-
rung der von Salmelainen unter dem Titel: Suomen kansan
satuja ja tarinoita herausgegebenen finnischen Märchen (Helsing-
fors 1854 p. 127 ff.) und ist von Schott in Erman’s Archiv
für wiss. Kunde von Rufsland 16, 236—47 (Berl. 1857) über-
setzt worden. Die Bestrafung des alten reichen Kaufmanns
(Fuehspelzhändlers) findet hier dadurch statt, dafs er an der
Stelle einer Alten „sein Sanzes übriges Leben hindurch ein ge-
plagter Fährmann sein mufs“, während der Schwiegersohn,
den er mit einem Auftrag in schwere Gefahr gesandt, dieselbe
glücklich besteht, heil heimkehrt, und das Gut des Schwieger-
vaters erbt, das er übrigens nicht, wie oben bei v. Hahn, ver-
geudet, sondern tüchtig verwaltet. Das Eigenthümliche dieser
finnischen Relation besteht in ihrer Verbindung mit dem Mär-
chen: von den verschiedenen Fragen, welche an ein (hier weib-
384 Gesammtsilzung
liches) Ungeheuer zu richten sind, und hat bereits auch der
finnische Herausgeber selbst auf die hergehörigen Parallelen bei
Grimm, Asbjörnsen & Moe (vom reichen Peter Krämer) etc.
s. oben p. 28 n. 4, hingewiesen: er gedenkt dabei u. A. auch
eines ungarischen Märchens gleichen Inhalts (Magyarische Sa-
gen von Joh. Graf Mailath, Stuttgart 1857, I, 172—183 „die
Brüder“).
Die arabische Erzählung findet sich in dem zweiten
Theile der aus Galland’s Nachlafs, obschon erst lange nach
seinem Tode (Paris 1798, Galland } 17/2. 1717) herausgege-
benen: ‘Nouvelle suite de mille et une nuits, contes arabes
II, 172—183 unter dem Titel „ceruautes de Mohallek“. Ein
reicher Kaufmann Namens Mohallek setzt den ihm von seiner
Sklavin geborenen Sohn aus Furcht vor der Eifersucht seiner
Frau, der er sein Vermögen verdankt und stete Treue geschwo-
ren hat, in der Wüste aus; das Kind wird durch einen Hirten
aufgefunden und aufgezogen, bei welchem es der Vater vier
Jahre darauf vorfindet und aus der Erzählung des Hirten als
‚sein eignes erkennt. Er kauft den Knaben in seiner Angst
vor möglicher Entdeckung durch seine Frau dem Hirten ab und
wirft ihn ins Meer, wo ihn ein Fischer auffängt und unter dem
Namen Kebal erzieht. Nach 11 Jahren aber kommt Mohallek
zufällig auch zu diesem Fischer, wird durch die Schönheit des
15jährigen Jünglings aufmerksam, erkennt ihn abermals an der
Erzählung des Fischers, und kauft ihn auch diesem wieder ab.
Die erwachende Vaterliebe hält ihn nun drei Jahre hindurch,
während deren der Sohn ihm treu auf seinen Reisen dient, da-
von ab, gegen dessen Leben etwas zu unternehmen. Endlich
aber siegt doch wieder die Furcht vor der Frau und er sendet
ihn nun mit einem Briefe heim, in welchem er den Ueber-
bringer zu tödten befiehlt. Seine Tochter Melahie indefs, die
diesen Brief in Empfang nimmt und liest, substituirt, von Ke-
bal’s Schönheit zur Liebe entflammt, einen andern, an ihre
Mutter gerichteten, des Inhalts eben, dafs dieselbe dem Ueber-
bringer Alles anvertrauen und überdem die Tochter vermählen
solle. Als Mohallek nun bei seiner Heimkehr sieht, was sich :
ereignet, macht er zunächst gute Miene zum bösen Spiel, beauf-
tragt aber nach einigen Tagen seinen Diener, einen Feind, der
vom 29. April 1869. 385
zu einer bestimmten Stunde der Nacht nach einem bestimmten
Orte im Hause kommen werde, sofort zu erdolchen. Kebal
wird indefs, als er Mohallek’s Auftrag zufolge sich gerade da-
hin begeben will, von seiner immer noch von Besorgnils er-
füllten Frau zurückgehalten, und Mohallek wird im Dunkel der
Nacht selbst ein Opfer seiner Anordnungen, nach deren Aus-
führung zu sehen er sich aufgemacht hat. Auf sein Geschrei
eilt Alles herbei, die Mörder werden ergriffen und mit dem zu
Tode Verwundeten vor den König gebracht, dem derselbe nun-
mehr, zu deren Rettung, den ganzen Sachverhalt mittheilt.
Einige Tage nachher stirbt er an den erhaltenen Wunden, während
Kebal, dem seine Geburt ein Geheimnifs blieb, mit seiner Gattin
nunmehr auch in den Besitz der Reichthümer des Vaters ge-
langte.
In dieser Darstellung ist zunächst die so völlig verschiedene
Motivirung der Nachstellungen des schliefslich selbst in die
Grube Fallenden bemerkenswerth; er handelt nur aus Feigheit
und Schuldgefühl, aus elender Furcht vor seiner von ihm be-
trogenen Frau. In allen den übrigen Relationen dagegen (auch
in der finnischen) ist es eine Prophezeihung, die als Motiv
dient, und ein Hauptzweck der ganzen Geschichte ist eben der,
zu zeigen, dafs gegen die Bestimmungen des Schicksals, wie
sie von klugen, darauf sich verstehenden Leuten aus den
Sternen etc. gelesen würden, Niemand aufzukommen im Stande
sei. Bei dem hohen Gewicht, welches auch die Araber auf die
Astrologie legen, ist daher jene, hiervon abstrahirende selbstän-
dige Wendung höchst auffällig. Um so weniger kann es aber wohl
bezweifelt werden, dafs die specielle Übereinstimmung, die sie
trotz dessen im Übrigen mit der indischen Relation zeigt, eben
auf direkten Beziehungen beruht. Diese Übereinstimmung
aber zeigt sich eines Theils eben in der schon berührten Ver-
‚werthung derselben beiden Stoffe und ihrer Verschmelzung zu
einer Erzählung, und andern Theils darin, dafs es auch hier
das dem unschuldig Verfolgten schliefslich zur Gemahlin wer-
dende Mädchen selbst es ist, welche die Veränderung des
Briefes hervorruft. Und wenn sie dies nun auch nicht, wie im
Jaimini-Bhärata, und oben in der französischen Novelle, durch
Umtausch des Briefes während des Schlafes des Boten,
[1869.] 27
386 Gesammtsitzung
auch nicht wie in der italienischen durch Änderung des Briefes
wider dessen Willen, vielmehr ganz ohne sein Wissen thut,
so ist doch klar, worauf Köhler oben bei der pikardischen Re-
lation mit Recht hinweist, dafs in diesem Umstande allein be-
reits eine weit nähere Zusammengehörigkeit dieser Relationen
zur indischen Sage, resp, zu einander bedingt wird, als dies
bei der Sage von Kaiser Heinrich in der Relation Gottfrieds
v. Viterbo etc. der Fall ist, wo die Änderung des Briefes durch
eine beliebige andere Person geschieht. Und hierin ruht denn
auch das Interesse und die Bedeutsamkeit dieser Berichte für
die Entscheidung der Frage nach der Geschichte der Erzählung
überhaupt. Wie weit auch ihre vorliegende Abfassung nach
der Zeit Gottfrieds von Viterbo liegen mag, so erscheinen sie
dennoch ihm gegenüber, auf Grund dieser ihrer directen Be-
ziehungen zur Relation des Jaimini-Bhärata als älter und ur-
sprünglicher. Wägen wir sie ferner gegenseitig ihrem Werthe
nach ab, so steht zunächst die arabische Kaufmanns-Geschichte
durch ihre gleiche Verwerthung der beiden auch im Jaimini-
Bhärata verschmolzenen Stoffe dem indischen Original zwar
näher als die pikardische Relation, andrerseits indessen doch
auch wieder hinter ihr mehrfach zurück, theils nämlich dadurch,
dafs sie die Scenerie des Ganzen aus dem fürstlichem Leben
in das Leben eines Kaufmanns verlegt hat, ferner dadurch, dafs
sie die Vertauschung des verhängnifsvollen Briefes durch das
junge Mädchen nicht während des Schlafes des demselben
vom Schicksal bestimmten Bräutigams ‘vor sich gehen lälst,
endlich aber, wie schon oben bemerkt, dadurch, dafs in ihr
die Macht des Schicksals nur äufserlich, nicht durch das Motiv
der Prophezeihung gefestigt, zur Geltung kommt. Die aibane-
sisch-finnisch-norwegischenKaufmanns-Relationen sodann
stehen zu der arabischen Erzählung in einem näheren, wohl eben
durch Handelsreisende vermittelten Bezuge, wogegen die italieni-
sche Darstellung sich der pikardischen näher anschliefst, wo-
bei sie freilich daneben durch den plötzlichen Tod des nachstellen-
den Königs Gulisse auch einen Anflug trägt, der an den zwei-
ten im Jaimini-Bhärata, wie in der arabischen ete. Kaufmanns-
Relation mit herangezogenen Stoff (von der Grube) leise er-
innert. Die pikardische Novelle hat nichts der Art, weist da-
vom 29. April 1869. 387
gegen durch den Namen des Muselin, den Köhler wohl mit
Recht auf Moslim bezieht, wie durch die Localität (Byzanz),
direkt auf den Orient als ihre Quelle hin.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
H. R. Göppert, Über Inschriften und Zeichen in lebenden Bäumen.
Breslau 1869. 8.
Fr. J. Lauth, Die geschichtlichen Ergebnisse der Aegyptologie. Mün-
chen 1869. 4.
Abhandlungen des naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen. 2. Bd.
1. Heft. Bremen 1869. 8.
Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1869. Jan. —
März. Wien 1869. 8.
Abhandlungen der math.-phys. Olasse der k. Bayrischen Akademie der
Wissenschaften. 2. Bd. 2. Abth. München 1868. 4.
Abhandlungen dsr philos.-philolog. Classe der k. Bayrischen Akademie
der Wissenschaften. 1. Bd. 3. Abth. München 1868. 4.
Publications de la section historique de Institut. I. Luxembourg
1868. 4.
Memoires de la societe des sciences physiques de Bordeaux. Vol. VL 1.
Paris 1869. 8.
Bulletin de la societe des naturalistes. XLI, no. 3. Moscou 1868. 8.
Memoires de l’academie royale de Belgique. Vol. 37. Brux. 1869. 4.
Bulletin. Vol. 25. 26. Bruxelles 1868. 8.
Collection des Chroniques belges inedites. (Cartulaire de Cambron, par
Smet.) Bruxelles 1869. 4.
Table chronologique des Chartes et Diplömes imprimes. Tome II. ib.
1868. 4.
Biographie nationale. Tome II. ib. 1868. 3.
Quetelet, Physique sociale. Tome 1. Bruxelles 1869. 8.
E. Mailly, Essai sur les institutions scientifiques de la Grande Bre-
tagne. Bruxelles 1867. 8.
— L’Espagne scientifique. Bruxelles 1868. 8.
del Rio, La Triseccion del Angulo, Lima 1869. 8. Nebst Begleit-
schreiben des hiesigen Peruanischen Consulats vom 27. April 1869.
Ängström, Le spectre solaire. Upsala 1868. 4.
Druckfehler -Berichtigung.
S. 275 Z. 12 lies:
m ’ 3 EB \
ZIATEwW vulabev ' WTwg yaa
MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
Maı 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Trendelenburg.
3. Mai. Sitzung der philosophisch-histo-
| rischen Klasse.
Hr. Haupt las über die Erklärung der Lustspiele des
Aristophanes. |
13. Mai. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Rudorff las über die Reform der Grundsteuer
_ unter Dioecletian. »
Die syrische Überlieferung der weltlichen Gesetze Con-
stantin’s, Theodosius und Leo’s, einer oströmischen Rechts-
sammlung des fünften Jahrhunderts (Monaisbericht 1866 No-
vember 29), enthält: über die Vermessung und Bonitirung in
den östlichen Provinzen des römischen Reichs, namentlich in
Syrien folgende neue Aufschlüsse. Das östliche Reich wurde
zur Zeit Diocletian’s neu vermessen und das Iugum festgestellt.
Das Flächenmals war der römische Actus, für den jedoch die
provinzielle Bezeichnung Plethron und das provinzielle Ruthen-
mals von zehn philetärischen statt zehn römischen Fulsen bei-
behalten ist, so dafs er ein Geviertes von zehn zehnfülsigen
philetärischen = zehn zwölffüfsigen römischen = zwölf zehn-
fülsigen römischen Ruthen in der Länge und Breite darstellt.
Die Bonitirung erfolgte nach fünf Klassen: 1) Weinberge,
[1869.] 28
390 Gesammtsitzung
2) Ölberge erster und zweiter Ertragsfähigkeit, 3) Ackerland
erster Güte, 4) Ackerland zweiter Klasse, 5) Gebirgsland, d.h.
Ackerland dritter Klasse, Weitzen- oder Gerstenboden, und
Weideland. Auf Grund dieser Abtheilung wurde der Kataster
in der Weise angelegt, dafs auf das Joch 5 Iugera Weinland,
20 Ackerland erster Klasse, 40 zweiter, 60 dritter Klasse ge-
rechnet wurden. In den Ölbergen entschied jedoch nicht der
Flächengehalt,; sondern die Zahl der Stöcke, in der zweiten
Kategorie sollten 450 auf das Joch kommen, in der ersten
wird daher die Hälfte als genügend anzusehen und die über-
lieferte Zahl 220 in 225 zu bessern sein. Als Urheber aller
dieser Reformen wird wie bemerkt Diocletian bezeichnet.
(Artikel 121).
Diese merkwürdigen Überlieferungen werfen auf die Ge-
schichte der Grundsteuer ein ganz neues und unerwartetes
Licht. Die damalige Reform betraf allerdings das ganze Reich
und ersetzte das veraltete Ausbeutungsystem der Provinzen
durch ein wenigstens nominell staatsbürgerliches Steuersystem,
die capitatio. Allein die Ausgleichung erfolgte nicht überall in
gleicher Weise. Die iuga beschränken sich auf den Orient,
in Africa kommen Centurien von 200, in Italien millenae von
1000 iugera als Steuerstufen vor. (Noy. 128 e.1). Die La-
tifundien gestatteten hier gröfsere Complexe, die alten lici-
nischen Maximalsätze eines caput, beizubehalten und die Boni-
tirung ganz fallen zu lassen. Das Land war nicht nur reicher,
sondern zum Theil senatorisches Besitzthum, zum Theil in
Plantagen bewirthschaftet. Die vermeinte Entdeckung Walters
und Anderer, der zufolge das iugum eine ideale Einheit von
1000 solidi darstellen sollte, nach welcher die Steuer, gleich
dem Servianischen Bürgertribut vom ganzen Vermögen erhoben
worden wäre, fällt hiernach gänzlich zusammen. In der ein-
zigen, späten und nur auf Italien bezüglichen Stelle, auf welche
sie sich gründete, der Novelle Majorians tit. 7 de curialibus
$. 16 vom Jahr 458 (Haenel p. 322) ‘'binos per iugum vel
millenos solidos remunerationibus deputatos compelli debere
praecepimus’ ist für millenos millenam zu lesen, weil ohne
dieses zu binos deputatos das Subject fehlen würde.
vom 13. Mai 1869. 391
Hr. Mommsen las über ein in Cles im Nonsthal (Tirol)
gefundenes Decret des Kaiser Claudius vom J. 46.
B
— Hr. W. Peters las Bemerkungen über neue oder
weniger bekannte Flederthiere, besonders des Pari-
ser Museums.
Die Osterferien während des Aprilmonats d. J. habe ich
zu einer Reise nach Paris verwandt, um die berühmten reichen
Sammlungen des Jardin des plantes zu untersuchen. In Bezug
auf die Säugethiere und Vögel wurde mir mit der gröfsten Li-
beralität und Gastlichkeit Alles von unserem Mitgliede Herrn H.
Milne-Edwards zur Disposition gestellt und hatte ich mich da-
bei der besonderen Unterstützung des bereits rühmlich bekannten
Hrn. A. Milne- Edwards zu erfreuen, während Hr. A. Du-
m&ril mir mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit hinsichtlich
der Untersuchung der Amphibien und Fische entgegenkam. Bei
der nur kurz zugemessenen Zeit habe ich vieles ununtersucht
lassen müssen, nur die Flederthiere, mit deren Monographie
‚ich seit Jahren beschäftigt bin, habe ich vollständig durchgehen
können, was besonders wegen der dort befindlichen typischen
Exemplare, welche den Publicationen von Geoffroy St. Hi-
laire, Fr. Cuvier, Gervais, H. de Saussure u. A. zu
Grunde liegen und die z. Th. noch nicht den neueren An-
forderungen entsprechend untersucht worden sind, von Wichtig-
keit war. Ich erlaube mir daher hierüber einige meine früheren
Mittheilungen über diesen Gegenstand ergänzende Zusätze vor-
zulegen.
1. Pteropus insularis HombronetJaquinot.
Pt. insularis Hombr. Jaqu., Voy. Pol Sud, pl.5.
Die beiden getrockneten Originalexemplare, von den Cä-
rolineninseln, welche sich in dem Pariser Museum befinden,
schliefsen sich"zwar durch die Behaarung, Form der Ohren,
Schädel- und Zahnbildung zunächst dem Pt. Keraudrenüi Quoy
et Gaimard, welchen wir durch Herrn Godeffroy ebenfalls
auch von den Carolinen besitzen, an, unterscheiden sich aber
28*
392 Gesammtsitzung
durch viel geringere Gröfse und die, allerdings bei den Fleder-
hunden als Unterscheidungsmerkmal wenig zuverlässige, Fär-
bung.
Rücken schwarzbraun, Kopf und Hinterbauch heller braun,
die Kopffarbe durch einen Nackenstreifen mit der Rückenfarbe
verbunden. Hals vorn und an den Seiten rostroth; vor der
Brust ein länglich ovaler gelber Fleck.
Malse eines ausgewachsenen Männchens:
Meter
Totellänge ungefähr. .. . „©. .„.'.. „00. 02 a
Kopf unnelahr . ...d4, „ .... '.. U2cR u EEE
Olirhöhe . .... Tun nn RAN RT Rn oe SE
Obrbreite ‚DWaisinu ux Balnuig 20h, BINTONE BSE BEE
Vorderarn®.. n..0000 0. Yes 0. „2 So
L.1.F. Mh. 0,0085. 1 Gl. 0,094; 2:Gl. 0011" 2.7. en N Eu
1.2.F., - 0,084, = 70.018597. -. 0,0005 3 Gl. Go Dee
L.3.F. - 0,055 - 0,0495 - 0,0605 Kpl. 0,015
DER. °- "0008; - "0,085. -” 0,045
1:0.P. - 0,00%. - . 0,0335 -. 0.053
Unterschenkel . . : ee nn Be
Fufs mit Kralle, nach er Kinn ne Brunn 11a Be
SPOTH@. 20. ee ee Et
Distanz der akt een 7 0,0092
2. Pteropusphaeops Temminck, Monogr.. Mammal.1.p.178
(exel. II. p.65. Pt. melanopogon) = Pteropus Edwardsii
Geoffroye.p.
In dem Pariser Museum befinden sich mehrere Exemplare
dieser Art, welche unzweifelhaft aus Madagascar stammen.
Eins dieser Exemplare habe ich direct mit den Temminck-
schen Originalexemplaren, als deren Fundort anfangs Madagas-
car, später (ohne Zweifel unrichtig) Macassar auf Celebes an-
gegeben wurde, vergleichen und identificiren können. Es sind
‚dieses aber nur grölsere Exemplare von derselben Art, welche ich
als Pt. Edwardsii (Monatsber.1867.p.325) bezeichnet hatte.
3. Pteropus molossinus Temminck.
Ein weibliches Exemplar dieser bisher nur nach dem Tem-
minckschen Originalexemplar bekannten Art, leider ebenfalls
ohne Angabe des Fundorts, befindet sich in dem Pariser Museum.
|
vom 13. Mai 1869. 393
4. Pteropus condorensis n. Sp.
Schliefst sich im Bau des Schädels, des Jochbeins und des
Gebisses zunächst an Pt. edulis und Edwardsii an, ist aber
merklich kleiner und hat verhältnifsmäflsig kürzere, breitere und
mehr abgerundete Ohren und der hinterste obere Backzahn liegt
fast ganz hinter der Wurzel des Oberkieferjochfortsatzes.
Der Rücken ist schwarzbraun und grau gemengt. Die
Haare des Kopfes und Halses sind rostfarbig mit schwarzer
Spitze, die Brust- und Bauchhaare sind an der Basis schwarz, in
der Mitte rothgelb und an der Spitze rostroth, mit Ausnahme
der Bauchseiten, deren Haare an der Spitze schwarz sind.
Malse eines ausgewachsenen Männchens:
Meter
else umestähr “2. ee ne er ee ONELTTED
U .2. 0.0 3 o Bl.
Schnauze ungefähr BARS. EEE RR DER 002
a RE ER OR
er an ee
A ee at en
Vorderarm BU a ne WO, 0,135
L.1.F. Mh. 0,012; 1 Gl. 0,033; 2 Gl. 0,016 . 3 0,060
L.2.F. - 090685 - 00145 - 0,0105 3 Gl; 0,006
Bu Re = 0.0985 =. ..00675 ° =: 05103
L.4.F. - 00915 - 00555 = 0,058
L.5.F. - v1; - 08045 - 0,044
ee ee Te Den I 08082
Be Rrummime nach : .... 4... 00
en re ui ei ee EN
Von dieser Art, welche aus Pulo Condore herstammt,
besitzt das Pariser Museum mehrere Exemplare und das voll-
ständige Skelet.
9. Pteropus luberculatus n. sp.
Im Schädel und Gebifs am nächsten mit Pt. Mackloti, ce-
lebensis und jubatus verwandt, zeichnet diese Art sich dadurch
aus, dafs im Verhältnifs die Schneidezähne und der erste falsche
untere Backzahn viel gröfser sind, der erste falsche obere Back-
zahn nicht hinfällig, der hinterste obere Backzahn viel kleiner,
der vorletzte Backzahn merklich schmäler ist und der zweite
394 Gesammtsitzung
und dritte obere Backzahn noch einen hinteren äufseren Höcker
mehr haben. Die Ohren sind auffallend kürzer als bei jenen
Arten und aufsen an der Grundhälfte behaart.
Die Behaarung ist ähnlich wie bei Pt. Mackloti und ver-
deckt in der Analgegend die Schenkelflughaut vollständig.
Rostbraun, Oberkopf und Schnauzenende blafs ockergelb,
Rückenhaare mit helleren Spitzen.
Mafse eines ausgewachsenen Weibchens:
N Meter,
Totalange ungeähr . . '. 2. Wr.
Kopf ungelaht 0. 2 SO VE EEE
Schnauze “o.w E
Ohrhöhe . . 19a, NORDEN BO RE
Obrbreite,: .. ...2.2.0 2. wu, 2,8 alien
Vorderarm . ee ee el, re =
Is:d4;F. Mh..o,011; 1.61.0035; 2 Gl. 0,012 , 7 daten Bere
- 00585, .-.0 00145 . -. 0,0085 3 Gl. 0,005 . .17.0,084
LR,F.
1.8:F. - 0,0805 _ - 00645 . - 0,103
L.4.F. - 00805 - 00535 - 0,056
DibaE.. >=. 00,0885. , - 0,0395 . -, 0,042
Unterschenkel '* #10: ABTEI era a rs
Fufs.nach der ‚Krümmung, .--.. zum.» =.) - Tan ee
Sporn, 2... ure Tell ie. => > ee
Das einzige mir bekannte Exemplar dieser Art von un-
bekannter Herkunft befindet sich im Pariser Museum.
6. Cynonycteris Grandidieri n. sp.
Wegen ihrer geringen Gröfse und der Kürze der Schnauze
scheint diese Art auf den ersten Anblick eher ein Cynopterus
zu sein, während die Zahl der Backzähne, °, sie mit den
Cynonycteris vereinigt. Die beiden hintersten Backzähne sind
aber, bei dem einzigen, nach dem abgebrauchten Gebifs sehr
alten Exemplar, ungewöhnlich klein.
Die Augen liegen den Ohren ein wenig näher als der
Schnauzenspitze, von welcher sie kaum um ihren doppelten
Durchmesser entfernt sind. Die ovalen Ohren sind merklich
länger als die Schnauze und bedecken, nach vorn gelegt, fast
ganz die Augen.
r Die Behaarung des Rückens und Halses ist viel länger
vom 13. Mai 1869. 395
als die des Bauches. Auf dem Unterschenkel zeigen sich nur
einige feine zerstreute Härchen, wie bei (©. collaris.
Die Saugwarzen sind so sehr entwickelt, dafs man das
Thier für ein Weibchen halten würde, wenn nicht die Ruthe
und die wohl entwickelten, aber in der Bauchhöhle liegenden
Hoden den Beweis lieferten, dafs es ein Männchen ist.
Der Schwanz liegt mit seinem freien Ende noch unter der
Schenkelflughaut.
Die Rückseite und der Hals sind verwaschen ockergelb,
während Brust und Bauch eine blassere ins olivengrünliche
übergehende Färbung zeigen.
Meter
a ech eenelsrtitennensclserch aha
ae ER lerne. era To
ee en age ne Fe ne
Ohrhöhe . . RE | et Be BE en a a et
Vorderer ioreind BE ar OT een ish re ae
ee le ne re
ee ae eu a ne Bi‘
re a a en ren 040335
Unterarm . . Sr a en TORTE
L.1.F. Mh. 0,0075; „1 &. 0,01155 2 Gl. BSD a ie ne
ee 0.04: -. 000 =: 0400355 3 GI..0,0037 . 0,038
DER 0.035855 - - _ 0,02655: - - 0,040
BER, E06 - 0,0805: - 0,022
BE, 00.0385; ,.,- 001825 - ,.0,019
ee een he Kanten a OT
Bee. 0. te el arten „050228
Beeren . ..,.. io 4mha.eLote ee. 0020
Pros... . i SR N N Re NE Ca0n
ekelfinshaut | in de Mitte ne: ei:
Das beschriebene Exemplar gehört dem Pal Museum
und ist im Jahre 1864 von Hrn. Grandidier, dem bekannten
Reisenden und Erforscher Madagascars, in Zanzibar entdeckt
worden, dem zu Ehren ich diese Art benannt habe.
7» Cynopterus marginatus Geoffroy—= P. Diardii, Duvauce-
lü et brevicaudatus G eoffroy.
Nach den Original- Exemplaren des Pariser Museums muls
ich die vorstehenden Arten für identisch halten, indem auch
396 Gesammtsitzung
©. brevicaudatus nur nach jüngeren Exemplaren derselben Art
aufgestellt ist. Dagegen ist die unter dem letztern Namen von
mir aufgeführte Art oder Varietät (Monatsber. 1868. p. ve als
Cynopt. brachyotus Müller zu bezeichnen.
8. Nycteris hispida Schreber.
Von dem Originalexemplar dieser Art (Buffon.X. Taf. XX.
fig. 1—2) ist nur der Schädel noch vorhanden, dessen Verhält-
nisse aber ergeben, dafs sie nicht, wie ich vermuthet hatte,
mit der von mir beschriebenen N. villosa identisch sein kann.
Meter
Länge des Unterkiefers . . . N ©
Länge der Stirngrube mit der mitderen Spitze SR 0,0115
Breite derselben unmittelbar hinter dem Postorbitalfortäät 0,008
Länge der oberen Zahnreihe ohne die Schneidezähne . 0,0073
Bänse der unteren -Zahnreike » „* ..." „u "Pr EEE
Distänz der oberen‘ Eekzahnspitzen :. ?. . .".r, Wil:
Distanz der untern Eekzahnspitzen . . 2.2... 0,0035
9. Vampyrus auricularis Saussure, Mammiferes du Me-
zique p. 75 = Mimon Bennettü Gray.
10. Phyllostoma elongatum Geoffroy.
Das Originalexemplar in Weingeist zeigt eine vollkommene
Uebereinstimmung in Bezug auf das Gebifs mit der von Hrn.
Gervais gegebenen Abbildung (Chiropteres. Castelnau. Voy.
Am. Sud. pl. 10. Fig.5), so wie mit der von mir gegebenen Be-
schreibung.
11. Tylostoma bidens Gervaisl.c. p.49 — V. bidens Spix
hat nicht 2—2, sondern $—? Backzähne und kann daher nicht
in die von ihm aufgestellte Gattung Tylostoma gehören, sondern
gehört, wie ich schon früher gezeigt habe, zu Lophostoma.
12. Tylostoma erenulatum Geoffroy.
Das einzige bisher bekannte Exemplar dieser merkwürdigen
Art befindet sich in Weingeist und in ziemlich schlechtem Zu-
stande. Es hat 2—2 Backzähne.
13. Schizostoma hirsutum n. sp.
Oben braun, unten weilsgrau, die Haare mit brauger Basis.
Ohren von Kopflänge, Mittelhandglied des Daumens auf der
Rückseite behaart und so lang wie die beiden Phalangen zu-
sammen. Vorderarm oben wie unten fast bis zur Mitte be-
vom 13. Mai 1869. 397
haart. Erstes und zweites Glied des dritten Fingers gleich
lang. Das erste Glied des vierten und fünften Fingers von gleicher
Länge. Zerstreute Härchen bis zu den Zehen herab und bis
zur Schwanzspitze. Flughaut bis zur Mitte des Mittelfulses
angewachsen. Sporn so lang wie der ganze Fulfs.
Meter
en Eeaeilanı) arummians -teohanneniis srl « Err05075
Kopie Hai ul: horise Gshsulasısr Idyia Aalbumd.0ä
Höhe des E Wiieitzes Dee Selle HeoTehTeikt Bo
Länge des Nasenbesatzes . ..... 20.200 82 200050055
Ohrhöhe . . toy Wrsna -arlolew Ahlen ah nahen Ainzs
Vorderer and als bat -adarslsadl BR W rk un old
Bean SU ee Es are
ee een ee nen eg
in ante Bere ee ho
lan Yes ennsosh inh Sera Bee
Enterasmt 4..,'% (|. reed San
L.1.F, Mh. 0,006; 1G1. 0,0045 2 GL Baron oh dh
Bee: - 0,055. - 0,034
re 507 90175 3 cı. 0,0095 u, 0,004
L.4.F. - 00355 - 00145 - 0,0105 1Kpl. 0,0025
L.5.F. - 003955 - 90145 =. 001055 = 0,0025
ee anolanno ie wiwerlsinh sion Bells
Bersehenkele } u 104% en an ar elaeulT are r0;gi
Fufs . . 0% 0,0115
SDOLE > wlcwiin- Ye. Bis il 9,0508
Distanz der en Ei aannlire ireren 20211042) SAN 0033
Dürch die Behaarung des Vorderarmes mit Sch. minutum über-
einstimmend, durch die bis zum Mittelfuls herabsteigende Flug-
haut sich dem Sch. megalotis mehr annähernd, mit beiden durch
die gleich langen beiden ersten Phalangen des Mittelfingers über-
einstimmend und dadurch von Sch. Behnii verschieden, unterschei-
det sie sich zugleich von beiden durch die ansehnlichere Gröfse.
Ein ausgewachsenes Männchen im Pariser Museum ohne
Fundort.
14. Glossonycteris lasiopyga Peters, Monatsb.1868.p.365.
Durch Untersuchung mehrerer Exemplare habe ich mich
überzeugen können, dafs der Jochbogen dieser Gattung wirklich
398 Gesammtsitzung
fehlt. Bemerkenswerth ist auch, dafs sich an einem Exemplar
ein kleiner unterer Lückenzahn zwischen dem 1. und 2. fand,
so dafs die Zahl der Backzähne bei dieser Gattung oben 6,
unten 7 jederseits ist.
15. Anura Wiedii Peters.
Dals die @Glossophaga ecaudata Geoffroys von seiner
Gl. caudifer nicht verschieden sei, darüber habe ich mich be-
reits im vorigen Jahre (Monatsbericht. 1868 p. 364) ausgesprochen.
Dagegen habe ich mich überzeugt, dafs es in Brasilien noch
eine andere Art gibt, welche zuerst von dem Prinzen Maxi-
milian zu Wied beschrieben und abgebildet worden ist und
welche er für identisch mit @I. ecaudata Geoffroy hielt, die
wirklich keinen äufseren Schwanzanhang hat. Der Prinz zu
Wied hat bereits einige Unterschiede seiner Art, namentlich
die stärkere Behaarung der Beine und Schenkelflughaut, so wie
die gröfsere Länge der Tibia bemerkt. Er schob die Abweichun-
gen der Geoffroyschen Abbildung indessen auf die Schuld des
Zeichners.
Die Wiedsche Art ist gröfser und stimmt äufserlich wegen
der stärkeren Behaarung der Schenkelflughaut und der Beine
mehr mit Glossonycteris lasiopyga überein, während der Zahn- und
Schädelbau ganz ähnlich wie bei Lonchoglossa caudifera ist. Die
Wagnersche Beschreibung (Säugethiere.1855.p. 620) scheint sich
auf diese Wiedsche Art zu beziehen, während die von ihm im
Wiener Museum als @Il. ecaudata bestimmten Exemplare zu @!.
caudifer Geoffroy gehören. Wenn man daher auch für die
Wiedsche Art den von Gray für dieselbe und für die mit ihr
confundirte GI. caudifer aufgestellten Gattungsnamen beibe-
halten könnte, so kann der Artname „@Geoffroyi* doch nicht er-
halten werden und schlage ich daher vor, die Art nach ihrem
ersten Beschreiber Wiedii zu nennen. ')
Meter
Botallänge tailarnaca ab drrnd aobind ao ıoiolguz Tas
Kopf musst. wall sul. uslounädl aamaadıs VORAB
Ohrhöhe' „er... is;ue au. je a ul eg u ı 0 0 EEE
1) Hr. Professor Reinhardt theilt mir mit, dafs diese Art auch
von ihm in Brasilien gefunden sei.
vom 13. Mai 1869. 399
Tasderer Oman 1: ray. ii „intel rad OR 05009
Deere a eloiam ar molar ni bed een 0083
ee a sed nn ot. Se tr
ER ke oa olrars Ati 2079 7
Unterarm N ne Er
Bar Mh. 00045 °1 Gl. 0,0035; .2 Gl. 0,0025, . + 000, =. 77 08009
D.2.8. 2,0843; ı- 0 - RE N. E00
L.3.F. - 0,8975 - 0,01275 - 0,0205 3G1.0,0115; Kpl.0,0036
L.4.F. - 0,0375 - 0,0085 - 0,0135 Kpl. 0,001
LE 3m = 70,03225° .- - 0,00855 - 0,0125 - = 0,0015
En a a 2.5
ee, ee RT SEE SH
Fufs een N ee oa
Sporn en mit len saw He EN 20000
PReskellushaut ın der Mitte . . - . . -. 0,2 .0.,, 050025
Diese Malse sind von einem ausgewachsenen Männchen
des Pariser Museums genommen worden, welches von Hrn.
Gaudichaud im Jahre 1833 bei Rio Janeiro gefangen wurde.
16. Histiops undatus nov. gen.
Artibeus undatus(Blainville) Gervais,l.c.p.35 pl.IX.Fig.
3. (Gebifs.)
Nur der Schädel dieser ausgezeichneten Art ist noch vor-
handen, während nach einer gütigen Mittheilung des Hrn. Ger-
vais das Thier längst verloren gegangen ist. Gebifls und Schädel
dieser Art beweisen, dafs dieselbe der Gattung Phyllops am
nächsten zu stellen ist, aber der Schädelbau weicht, namentlich
durch die tiefe Concavität der Vorderstirn zwischen den Supra-
orbitalleisten so auffallend von allen anderen bisher bekannten
Stenodermengattungen ab, dafs sie in eine besondere Gattung zu
stellen ist, für welche ich den Namen Histiops vorzuschlagen
mir erlaube.
17. Stenoderma rufum Geoffroy.
Nach dem getrockneten ziemlich schlecht conservirten Ori-
ginalexemplare und der Zeichnung des nicht mehr vorhandenen
Schädels habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dafs diese Art
zu der von mir aufgestellten Gattung Vampyrops gehört, welche
daher dem ältern Namen Stenoderma weichen mufs. Es leidet
keinen Zweifel, dafs das Exemplar wirklich fünf Backzähne
400 Gesammtsitzung
hatte, von denen der letzte sehr kleine aber aller Wahrschein-
lichkeit nach bei der Präparation sowohl oben wie unten verloren
gegangen ist. Von dem Vorderarm und dem Unterschenkel
ist nur ein Rudiment zurückgelassen.
EMFE.Mh. 0,0045 1-61: 0,0075% 2 G1.0,004 ". 7... Ep
L.2.F. - 0,855 - 0,006 N ee MN a 0,041
L.3.F. - 0025 - 00135 - 0,02355 3 Gl. 0,015; Kpl. 0,004
L.4.F. - 0045 - 0,0135 - 0,0155 Kpl. 0,003
L.5.8. - 0089 1A ae 2 sofa
Buls 0... 0 ee REN nie Ve
Beben.“ » 4. Wetım helm. een aa nal
ODE N a N ee EEE Kan Lande ee
Schenkelflughaut in der Mitte, . : .....” „2... un. 7 Dean
13. Phyllorhina diadema Geoffroy = Ph.nobilis Hors-
field, Temminck.
Nach Vergleich des Originalexemplars von Ph. diadema
in Weingeist mit Weingeistexemplaren von Ph. nobilis kann ich
diese Synonymie mit Bestimmtheit aussprechen.
19. Diclidurus scutatus n. Sp.
Schneeweils, nur die kleinen Härchen um die Augen herum und
die Krallen schwärzlich. Merklich kleiner als D. albus, mit densel-
ben relativen Proportionen der Glieder der Extremitäten, aber die
hornartig verdickten beiden blasigen Auftreibungen der Schenkel-
flughaut hinter dem Schwanze von einander entfernt, weils,
fischblasenähnlich und von anderer Gestalt. Die erste blasen-
artige Auftreibung, welcher, wie bei D. albus eine Concavität
an der Bauchseite entspricht, hat eine fast herzförmige Gestalt,
ist sowohl oben, wie unten mit einem mittleren Längskiel ver-
sehen, hat vor diesem Kiel ein Paar neben einander stehende
punctförmige Eindrücke, denen auf der Unterseite zwei Hervor-
ragungen entsprechen. Das freie aus der Rückseite der Schenkel-
flughaut hervorragende Ende des Schwanzes legt sich an die
Mitte der Basis des vorderen Randes dieser Auftreibung an.
Diese Auftreibung hat eine Länge und Breite von 4 Millimetern.
Nach einem Zwischenraum von drei Millimetern findet sich eine
. flachere Auftreibung, welche ein 0%0052 breites, 0%0017 langes
Hornstück enthält, von dessen vorderem Rande ein kurzer zahn-
vom 13. Mai 1869. 401
artiger Vorsprung ausgeht. Die Ohrklappe ist doppelt so hoch
wie breit, am Ende abgestumpft, am vorderen Rande convex,
am hinteren Rande fast grade.
Als eine bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit dei Gattung
Dielidurus habe ich die aufserordentliche Kürze der ersten Pha-
lanx des Daumens hervorzuheben, die so grols ist, dafs man
auf den ersten Anblick verleitet wird, zu glauben, dafs dieselbe
ganz fehle, da sie zum grolsen Theil noch von den Flughäuten
umfalst wird.
Das mir vorliegende Exemplar ist, nach der Beschaffenheit
des Skelets zu urtheilen, vollständig ausgewachsen und scheint
ein Weibchen zu sein. Es fehlt leider der Schädel, welcher
vielleicht nicht unwesentliche Unterscheidungsmerkmale darbieten
würde.
Ich füge hier zur Vergleichung die Mafse des Original-
exemplars von D. albus Wied unter B. hinzu.
Meter
ae Fotalläanse ungefähr... : onejrs ei. ER ELHLE, 0,075
B. - ee eh ee aan a 0 7 O5BRR
u ID NETADLLT A ee
B. - ee ee NN)
7.1. RE. Mh. 0,0036; 8 Gl. 0,0052; 2 Gl. 0,0065 . . . '. . "0,0005
‚B. - Sn, =: 000065 .- 0,0005... nn. 0,0
Be es: = 0 en 05046
2. - 980585: . -...’0,00
A. L.3.F. - 0,0455 - 0,009; - 0,0234
B. - - 0,06055 - 0,0095 - 0,0831
A. L.4.F. - 0,0995 - 0,01075 - 0,0093
B. - - 004655 - 0,0175 - 0,009
A. TL.5.F. - 0800 - 0065 - 0,006
B. - 0,038555 -.° 0,0175 - 0,006
u 2 EL EU TE ar a
B. - 47: 0,022
2 N 0,0088
a ah rakliin. or A or,
an re one ne Naila Ner re Dia
B. - . im: ah ymsw ine urteb oe
Das ende abe: Pariser FEIERN ist von Hrn. Bara-
quin in Südamerica gesammelt worden.
402 Gresammtsitzung '
20. Taphozous mauritianus Geoffroy = Taphozous leucop-
terus Temm.
21. Mops indicus Fr. Cuvier.
Im Pariser Museum befinden sich der Schädel: und zwei
Exemplare in Weingeist aus Sumatra durch Duvaucel. Diese
Art hat einen äufserst kleinen, oberen, vorderen falschen Back-
zahn, daher $ Backzähne wie Nyctinomus und stimmt auch im
übrigen Bau ganz zu dieser Gattung, von der sie. also nicht
getrennt werden kann.
22. Myopterus Daubentonü Geoffroy.
Nur der Schädel ist vorhanden und stimmt ganz überein
mit dem von Molossops, welcher so der älteren Benennung
weichen mufs. Die Art ist übrigens viel gröfser, als diejenigen,
welche ich zu untersuchen Gelegenheit gehabt habe, indem der
Schädel 0%022 lang, an den Jochbögen 0%013 breit ist, die
Länge der oberen Zahnreihe, ohne die Schneidezähne, 020083,
die der unteren Zahnreihe 0009 beträgt.
25. Molossus acetabulosus Commerson = Nyctinomus na-
talensis Smith = Mormopterus jugularis Peters.
Durch die besondere Güte des Hrn. Desnoyer habe ich
die Originalzeichnung und Beschreibung Commersons von
dieser Art vergleichen können. In den Velins der Bibliothek
des Museum d’histoire naturelle ist auf derselben Tafel mit
dieser Art der Kopf von Rhinopoma microphyllum abgebildet
worden, und unter diesen Abbildungen steht „Chauve-souris de la
Caroline“, während eine andere Abbildung, welche Nyetinomus
brasiliensis darstellt, ebenfalls in Bleistift die Unterschrift trägt:
„Chauve-souris du Port St.Louis“. Dieses mag die Veranlassung
gegeben haben zu der bekannten irrigen Aufstellung von „Räi-
nopoma carolinense* aus Nordamerica.
24. Molossus acuticaudatus Geoff. = M. obscurus Geoff.
25. Vespertilio Davidii n. sp. |
Diese Art ist sehr ähnlich dem V. mystacinus und unter-
scheidet sich äufserlich nur durch eine weniger breite Schnauze
und durch ein wenig längere und am äuflseren Rande schwächer
eingebuchtete Ohren. Dagegen weicht sie sehr ab durch das
Gebils. Der obere und untere zweite Prämolarzahn -sind ganz
vom 13. Mai 1869. 403
aus der. Reihe heraus nach innen gedrängt und sehr klein und
die inneren aus dem Cingulum ‚hervorgehenden Zacken der
Backzähne, welche bei V. mystacinus so. spitz und sehr ent-
wickelt sind, sind hier nur als stumpfe Höcker vorhanden.
Meter
een... an
2200 fer sr Js
Ohrhöhe ® . . ® . [ . °. . . . L} . . . L} 0,014
an 2 0,0
ee Fries ir
ee 0 nee an 51000
er. m. een 4 er“
er ea ae ee ne an A
I ee er BE et
BER 0000, 1 Gt. 0,00285 2 Gl. 0,005... ... ..,. . 0,007
ee. = 00T: ur arena ne. Bauen
L.3.F. - 0,0875 - 0,0855 - 0,0085 Kpl. 0,0046
L.4.F. - 0,0985 - 00075 - - 0,00655 - - . 0,0015
L.5.F. - 0,0985 - 000655 -" 0,0555 - 0,0015
Bnale. .. .. 0. ee u, ST
Bereenleel 2: rer eeir 0r.a AUERT
ee a ec
ee ar nn nee nr er eurer ARTE
Das einzige Exemplar dieser Art, ein ziemlich ausge-
wachsenes Männchen, stammt aus Peking (China) und ist von
Hrn. David, dem das Pariser Museum so viele neue inter-
essante zoologische Gegenstände verdankt, gesammelt worden.
26. Vespertilio (Leuconoe) pilosus n. Sp.
Die beiden oberen Schneidezähne sind zweispitzig, der erste
hat nach hinten, der zweite nach innen eine kleine zweite Spitze;
beide Zähne sind gleich grofs, oder der erste ist etwas kleiner;
die unteren dreilappigen Schneidezähne stehen quer zum Kiefer-
rande. Die beiden ersten oberen falschen Backzähne sind klein
‚und mehr nach innen gedrängt, so dafs der erste zum Theil
noch an den inneren Rand des Eckzahns,, der zweite um die
Hälfte kleinere an die innere Seite des grofsen dritten falschen
Backzahns sich anlegt. Der erste untere falsche Backzahn ist
viel gröfser als der entsprechende obere, der zweite ist ‘viel
404 Gesammtsitzung
kleiner, etwas nach innen gedrängt, aber mit seiner Spitze
deutlich von aufsen sichtbar. A e
Viel gröfser als V. Capaceinii schlielst diese Art sich dem-
selben durch die ganze Bildung am nächsten an, hat aber den
Ohrdeckel nicht so schmal und zugespitzt und den äufsern
Ohrrand der langen Ohren nicht eingebuchtet. Die Ohr-
klappe ist nach vorn gerichtet, am hinteren Rande convexer
als am vorderen, an der Basis des ersteren mit einem kleinen
Zacken. Die Flughaut geht nicht über das zweite Drittel des
Unterschenkels herab, der Sporn ist weich und fadenförmig
verdünnt und die Endspitze des Schwanzes ist frei. Die Rück-
und Bauchseite der Unterschenkel und die Schenkelflughaut
bis zur Mitte sparsam fein und lang behaart. Oben braun,
unten blasser, die Haare an der Basis schwarzbraun.
Meter
Fotallänge 2... 0... 20,250 aaa, rn
Kopf. :.. ‚amere or ps in 2 en Tre
Ohrhöhe..: is. +: femaWisn: *ooar wi Ve ee
Vorderer Ohbirand -.."seuwa "-- sn = . 7er
Ohchreite. 0... o, -0. +, eu em, Sa
©Ohrklappe ..- .. .= .: -.. =. 2.0 eu, one. 0 Po;
Schwanz. u. Au ee au nee re A:
Oberarm , 0... ou ae Sa en a et ei
Unterarm niiae Sch rain ep Ferner DE a
L.1.E. Mh. 0,002; ‚1 Gl. 0,0065 2,G1. 0,004 ,.. „odossttf sueasd. Bi
Bu, 2.:P 000, DIOA6: a > en En eh
L.3.E.,, :.,.0,0435... 4400125, f515.0,0135;, Kpl.m 0025
1.4.8.’ >. 008; 004557. -. 0,010 - 0,004
1.5.8. -. 00455 =. 0,0185, =. 0,0065. = 0.008
Oberschenkel 1 . 2. 000000
Unterschenkel .. ...cul0 v0 en ee
Be ee a VPS
Sporn ungefähr . „ . . 2... 0.0 Lumen
Ein ausgewachsenes weibliches Exemplar in Weingeist im
Pariser Museum, durch Hrn. Lassaux aus Montevideo.
27. Vesperugo Kreftü n. sp.
Der erste obere Schneidezahn ist grofs und einspitzig, der
zweite kaum aus dem Zahnfleische hervorragend, im Querdurch-
vom 13. Mai 1869. 405
schnitt viel kleiner als jener. Die unteren dreilappigen Schneide-
zähne stehen quer zum. Kieferrande. Von den beiden oberen
falschen Backzähnen ist der erste sehr klein, kaum aus dem
Zahnfleische hervorragend, von aufsen nicht sichtbar. Die
Schnauze ist breit und platt, die Ohren sind oval, an der
Spitze abgerundet, an der oberen Hälfte des Aufsenrandes ein-
gebuchtet, mit 4 bis 5 Querfalten versehen; die Ohrklappe ist
nach vorn gekrümmt, zugespitzt, unter der Mitte am breitesten,
an der Basis mit einem Läppchen versehen. Die Flughäute
sind nackt, bis zur Basis des Mittelfulses angeheftet. Die
Fufssohle ist querrunzelig, der Spornlappen schwach, der Sporn
dünn und knorpelig und ohne scharfe Grenze in den Sehnenrand
der Schenkelflughaut übergehend, der Schwanz ragt nur mit
seinem kleinen Endknorpel über die Schenkelflughaut hinaus.
Die Gaumenhaut bildet, aufser einer vordern rundlichen, acht
Querwülste, von denen die sechs letzten getheilt sind.
Oben dunkler, unten blasser rostbraun, die einzelnen
Haare an der Basis dunkler, schwarzbraun, die Analgegend
nebst dem ersten Drittel des Schwanzes mit einfarbig gelbbrau-
nen Haaren bekleidet.
Mafse eines ausgewachsenen Weibchens:
Meter
ee re an en are
re. Dt
Ohrhöhe _. . es a ee TE ma 532 Se arg
Vorderer N ee re a ae
N en u ee
Me ne sin ren er Dog
NEE ee ee EEE SE En.
I ee er ERARENEN
Balerarm .,... N a a ELBE Oma
L.1.F. Mh. 0,004; 1 6. 0,0046; 9 GE oma... ya 05012
uZ2PF - 00; EEE EN GEN Palau
173.8. - 0,043 - 00195 - 0,0135 Kpl. 0,012
DEE =: 004; ° - 00185." - 0,0095: - 0,002
Mr E00 ENT, EITUHO0E} ? 2005009
eekehi, Sartre rare
EEE el rel SERL ale, antenne 2 lg
Fuls der: BE RE RL 06125
Distanz der oberen Eekzahnspitzen en a al eng
[1869.] 29
406 Gesammtsitzung
Das einzige Exemplar dieser charakteristischen Art habe
ich durch Hrn. G. Krefft aus Neu-Süd-Wales erhalten.
28. Vesperus Bottaen. sp.
Schliefst sich durch die Form des Öhrdeckels und den
ganzen Bau zunächst dem V. serotinus an, ist aber viel kleiner.
Der obere erste Schneidezahn ist zweispitzig, doppelt so grofs
wie der zweite und hat seine Spitze nach aufsen gerichtet; die
unteren dreilappigen Schneidezähne stehen quer zum Kiefer-
rande. Die Backzähne verhalten sich in ihrer Grölse zu
einander wie bei V. serotinus. Form des Kopfes, der Ohren,
Flughäute und Behaarung ebenfalls ähnlich wie bei jener Art.
Oben bräunlich gelb, unten blafser, die Haare an der Basis
schwarzbraun; Flughäute dunkelbraun. |
Meter
Totallänge ee
KopEr een ee ee ea ee
Okrhöhe. -..%.. 0 1. ware ne ee
Vorderer -Obrrand: u 2.0.0000 0 uch Re a Eee
Ohcnrerte se, ee gan rn ee ee
Pragusen Te ae en er De
SCHWARZE es ae re ee Ne us Se a
Oberama- win mn N ee ee N =
Vorderarm ee Te Na Ta ae Ra ee Ne ee
1:92 F: Mh. 0,0022; 1:G1..0,00355-2.Gl: 0,0025 * - » - =. 2. Sa Ziege
1:2: FE, -- 90375 7.278008, 2 Wann Se ee
BIS: Fi - 908375. = 0,0135 - 0,0124; Kpl. 0,0055
Li Er - 060385 ..> ©0115 - 0,00855 - 0,0025
L.5.F. - 00355 ° - 0,0095 - 0,00565 - - - 0,002
Oberschenkel" #- Ja. Ze une ren 2 ne
Unterschenkel - -.-.- sen or er se mens user aa = SOEBEN
Pla een a dead an rd 2.
Ki 4 Bo
IPOs 3% rare Sn rs Er
Distanz“der oberen Eckzahnspitzen .: ..12°. 2
Länge der unteren "Zahnreibe ... =... u lu, 2 m
Das beschriebene Exemplar des Pariser Museums, ein aus-
gewachsenes Weibchen in Weingeist, stammt aus Arabien,
wo es von Botta im Jahre 1837 gefangen wurde.
vom 13. Mai 1869. 407
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
H. Nissen, Das Templum. Antiquarische Untersuchungen. Berlin
1869. 8. Mit Schreiben des Verf. d. d. Marburg 27. April 1869.
Mittheilungen d. k. k. geographischen Gesellschaft in Wien. Wien
1868. 8.
O. Böttger, Beitrag zur Kenntnifs der Fische der unteren Main-
gegend. Offenbach a. M. 1869, 4.
Verhandlungen des naturhistorischen Vereines d. preufs. Rheinlande und
Westphalens. 25. Jahrgang. Bonn 1868. 8.
Bibliothek des litterarischen Vereines in Stuttgart. 91—I5 Publikation.
Tübingen 1869. 8.
Zeitschrift des Königl. Preu/s. Statistischen Bureaus. 9. Jahrg. 1869.
Jan.—März. Berlin 1869. 4.
Monumenta Historiae Patriae. 12. Bd. Turin 1868. Folio. Mit
Ministerialschreiben vom 28. April 1869.
Coutumes du pays et duche de Brabant, Quartier de Bruxelles. Tome.
Brux. 1869. 4.
Coutumes du pays, duche de Luxembourg et Comte de Ching. Tome 2.
Bruxelles 1869. 4. Mit Ministerialschreiben vom 7. Mai 1869.
Nederlandsd Meteorologisch Jaarbock voor 1868. Utrecht 1868. 4.
Comptes rendus de l’academie des sciences. Tome 67. Paris 1868. 4.
Quarterly Journal of the geological Society no. 97. London 1869. 8.
Annali e Bulletino dell’ Instituto di corrispondenza archeologica. Roma
1868. 8.
Monumenta spectantia ad historiam Slavorum meridionalium. Vol. 1.
Agram 1868. 8.
Stari Pisei Hrvatski. Vol. 1. Agram 1868. 8.
Jean Sire de Joinville, Histoire de Saint Louis, publie par Natalis
de Wailly. Paris 1868. 8.
Recueil de chartes originales de Joinville, publie par N. de Wailly.
Paris 1868. 8.
Memoire sur la langue de Joinville par N. de Wailly. Paris 1868. 8.
Annuaire de Institut des provinces. Vol. 21. Caen 1869. 8.
Societe des sciences naturelles du Grand-Duche de Luxembourg. Tome
10. Luxembourg 1869. 8.
Bulletino di bibliografia e dio storia delle scienze matematiche e fisiche,
pubblicato la B. Boncompagni. Tomo 1. Roma 1868. 4.
Gruppe, Rede zur Feier des Geburtstags Sr. Majestät des Königs.
Berlin 1369. 4.
Catalogue of the officers and students of the Boston School for the
ministry (Unitarian) for the year 1868—69.
23°
408
Gesammtsitzung
J. Plateau, Recherches sur les figures d’equilibre d’une masse ti quide
sans pesanteur. Serie 8—11. Bruxelles 1868. 8.
Auf den von der philosophiseh-historischen Klasse geneh-
migten Antrag der vorberathenden Commission der Boppstif-
tung beschliefst die Akademie:
1)
2)
3)
nach $. 1 no. 2 dem Dr. Hermann Ebel in Schneide-
mühl als einen „Preis“ für seine neue Bearbeitung von
Zeus grammatica Celtica, deren erster Theil im No-
vember v. J. erschienen ist, die diesjährige Rate von
300 Thlrn. zu verleihen;
da der jährliche Zinsertrag bereits 458 Thlr. beträgt,
nach $. 5 eine zweite Rate von 150 Thlrn. zu bilden,
welche jedes Jahr je nach den vorliegenden Bedürfnis-
sen entweder der ersten Rate von 300 Thlrn. hinzu-
treten oder abgesondert verwendet werden kann;
nach $. 9 no. 2 diese zweite Rate im Betrage von
150 Thlrn. in diesem Jahre dem Dr. A. Leskien in
Göttingen zur Unterstützung seiner linguistischen Stu-
dien zu überweisen.
24. Mai. Sitzung der physikalisch - mathe-
Hr.
matıschen Klasse.
Dove las weitere Notizen über den Sturm vom 7. De-
cember v. J. und einen Nachtrag, dem sich die Berichtigung
eines Zeichenfehlers zu seiner Abhandlung über den Sturm vom
17. November 1866 anschlofs. In derselben ist nämlich die Ba-
-rometercurve von Upsala um einen Tag zurück zu verschieben,
so dals das Maximum auf den 18ten fällt. Ä
vom 27. Mai 1869. 409
27. Mai. Sammtsitzung der Akademie.
Hr. Kirchhoff las über zwei attische Votivin-
schriften aus Perikleischer Zeit.
I. Vor einiger Zeit erhielt ich durch Hrn. Köhler Mit-
theilung über ein auf der Burg zu Athen befindliches, bisher
unedirtes Bruchstück von pentelischem Marmor, welches sofort
‘mein besonderes Interesse in Anspruch nahm. Die Abschrift
sah so aus:
FENAI ON EP AMT
er a a
und es war die Bemerkung hinzugefügt, dals das Stück rechts
und links abgebrochen, oben der Rand erhalten, unten unter-
halb der zweiten Zeile leerer Raum sei; die Höhe der Buch-
staben war auf 24 Ct. angegeben.
Was sich in der ersten Zeile mit Sicherheit erkennen liefs,
nn / „ . . ge . . .. .
"Aylıvamv eoyne.., rief mir das Epigramm in das Gedächtnifs,
welches wir bei Herodot 5, 77 lesen. Nach dem milslungenen
Einfall der Peloponnesier unter Kleomenes wandten sich, so er-
zählt der Geschichtsschreiber, die Athener gegen die Chalkidier,
® .. .. \ 3 [a
denen die Böoter zur Hülfe kamen: ’ASrvararı ds idolcı rous
„ m m a m LY
BoySoüs dogs maoregov roisı Bowroisw 7 roisı Xadzıdaevcıw Emı-
[nt] 2 nn [ne] nn \ Er
Keıgei. sum@arrousi re 6% roisı Borwroisır oi Adyvalcı zaı MOAA)
3 , / \ q / c ‚2 :» m 3 N)
ERgeFNTRV, ARTE ds moAAoUs cboveusravres ENTEAOTIOUS KUTWV edun-
m \ m I [q m 3
yaysav. TuS de aurys raurns Hlaeons [ei "ASIrvaior] Sıaßavres eig
x „ /} \ m m 7 \ N
zyv Evfoav sunßarrousı zaı rosı Xarzıdeun, viryoavres de zau
7 / ’ \ Er J 5
FOUFOUS FTETFIRAITALNOUS AANDOUNOUS imı av immoßorzuv en Xen
U Y \ \ ’ E) / 4 m m 3
_Asımouoiw. 000UG ÖE Au: TOUTWV edwyorsav, ana roisı Bowrwv elw-
’ 5 > es > LEN , / N 5%
Yerlazvomsıv EiX,ov zv bVAazr, [2v meöcıs öysavrss]' Xgovu de ErU-
x u 3
av acbeas Öimvewg AmorıunFaWeEvor. TG ds medag aurwv, Ev syTıw
> J > > © „ \ SuNT,R
2dsdenro, AvErgepasenv eig Tv angomoAw" eiimeg er Aaı eis EHE YTCEV
regleourat, oEtMejLEV &2 TEINEWU megımedAzusjsevuv mug: Uno ro)
% \ m ’ m I
Midov, avriov de TOoU MEryarg9Y TOoU Moos Esmegonv FETOIAJAEVOU. zaL
En ’ \ ? EEK: 2 I ’
Fu Aurgwv TyV Öezaryv avsQyzav, MoImTalLEevor TeIgımmov Yamrneov:
\ Tl (72 = , 3 \
70 de agısreons Yeıgcs ETTNRE MOLTOV eirivri eis To meomUra Te
> m 6) T R > U I c J
Eu en argomort ET JEYDRTTO de oL Trade.
410 Gesammtsitzung
E9vsa Bowruv zaı Karzıdewv Önuasavrss
maidss Adyvarwv 20 ymacın Ev moAzmov,
ÖsruW Ev EyAvoevrı Sıöngew esrleran ußoı*
Tav Immous Ösxzaryv Harmadı rec” 2Ierar.
Ähnlich wird die Sache unter Anführung des Epigramms er-
zählt in den Excerpten aus Diodor 10, 55; letzteres ist aufser-
dem aus Herodot in die Anthol. Palat. 6, 343 aufgenommen
(#ö7Aov" “Hoodorov); den ersten und den halben zweiten Vers
eitirt Aristides 2, 512 Dind.
Man überzeugt sich hiernach leicht, dafs unser Bruchstück
von der Basis jenes Weihgeschenkes stammt und in ihm uns
jedenfalls ein Rest des Originals vorliegt, welches Herodot um
Ol. 87,2 auf der Burg zu Athen sah und abschrieb. Das
Epigramm war auf diesem Originale in zwei langen Zeilen
geschrieben, von denen eine jede einen Hexameter und den
dazu gehörigen Pentameter enthielt, in Folge wovon die beiden
Pentameter ungefähr unter einander zu stehen kamen. Die
Buchstaben waren nach Ausweis des erhaltenen Ausschnittes
sroıyndcv geordnet und man kann sich durch eine einfache Probe
leicht davon überzeugen, dafs bei Zugrundelegung dieser An-
ordnung nothwendig diejenigen Buchstaben unter einander zu
stehen kamen, welche unser Bruchstück unter einander stellt,
vorausgesetzt, dafs von den beiden Hauchzeichen, welche die
zweite Zeile in U@gıw und ?rrous enthielt, das eine nicht ge-
schrieben war, wie dies auf Inschriften der Zeit, der das Denk-
mal, wie sich zeigen wird, zugewiesen werden muls, nichts
Ungewöhnliches ist:
vom 27. Mai 1869. all
die zweite Zeile griff nach rechts um wenige Buch-
staben über die .erste hinaus.
In den Sammlungen wird das Epigramm gewöhn-
lich dem Simonides zugeschrieben: fragt man, auf welche
Autorität hin, so wird man auf die Stelle des Aristides
verwiesen; sieht man bei diesem nach, so findet man,
dafs die Worte desselben und der Zusammenhang, in
dem sie stehen, nicht den geringsten Anhalt für eine
solche Behauptung, wohl aber für das gerade Gegen-
theil bieten, wovon sich zu überzeugen ich getrost dem
Leser überlassen kann. Auch nennt der Scholiast zur
Stelle S. 351 Fromm. ausdrücklich einen uns freilich
ISINENTOLEMO-
PMOSAEKATENTALLAAITÄSAEOESAN
sonst nicht bekannten Agron als Verfasser: oUrws
"Aypuv ev Emıyanmarı em zu reYgimmu. Obwohl also
das Epigramm sicher nicht von Simonides ist und
auch Herodot uns nicht sagt, wann das Weihgeschenk
aufgestellt worden ist, sondern nur, auf welche Veran-
lassung, so scheint doch die Annahme nahe zu liegen,
dafs die Weihung des Zehnten nicht allzulang nach dem
Ereignisse, also Anfang von Ol. 68, erfolgt sei. Unter
dieser Voraussetzung würden wir in unserm Bruchstücke
einen sichern Beleg für den Charakter der attischen
Schrift in der genannten Olympiade haben und das
Fragment im Vergleich zu seinem geringen Umfange pa-
laeographisch von ganz ungewöhnlicher Bedeutung sein.
Es schien mir darum nöthig, der Sache weiter
nachzugehen, und ich ersuchte Hrn. Köhler einen Ab-
klatsch von dem Denkmal zu nehmen. Dieser Abklatsch
ist jetzt in meinen Händen und setzt mich in den Stand
auf der beigegebenen Tafel ein Facsimile der Inschrift
in der halben Gröfse des Originals mitzutheilen, welches
einem Jeden verstatten wird, sich über den Charakter
der Schrift ein eigenes Urtheil zu bilden.
Ein Blick auf diese Abbildung zeigt dem Kundigen,
dafs wir es mit einer Inschrift aus der Periode des völlig
ausgebildeten und gesetzten Schriftcharakters, aus den
letzten Decennien vor dem peloponnesischen Kriege, zu
thun haben; diese Inschrift kann wegen der Form des
O/JENAIONEPAMA
|
EONEABOIOTONKA IXALKIAE ONAAMASANTESTAIAESA
AESMOIENAXLYOENTISIAEPEOIESBESANHYBPINTONI
412 Gesammtsitzung
Sigma zwar nicht unter die 84. Olympiade herab, aber ihrem
allgemeinen Charakter nach auch nicht über die 82. hinauf
gerückt werden; sie stammt ohne allen Zweifel aus peri-
kleischer Zeit. Hierin liegt auch nichts Unerklärliches oder
Auffälliges; viel verwunderlicher wäre vielmehr, wenn ein be-
reits in der 68. Olympiade auf der Akropolis errichtetes Denk-
mal dieses Umfanges im Jahre 480 bei Gelegenheit der Occu-
pation durch die Perser der Zerstörung oder Verschleppung
entgangen wäre und sich bis auf Herodots Zeiten und noch
später erhalten hätte. Die Frage ist nur, ob das Denkmal,
welches Herodot sah und von welchem unser Bruchstück her-
rührt, als eine in perikleischer Zeit gefertigte Copie oder Nach-
bildung eines bereits 480 zerstörten oder entführten älteren
Originals zu betrachten ist, oder ob das Weihgeschenk zur
Verherrlichung einer älteren Grofsthat des athenischen Volkes
überhaupt erst in perikleischer Zeit errichtet worden ist und
vorher zu keiner Zeit und in keiner Form existirt hat. Ich
trage kein Bedenken mich für die letztere Möglichkeit zu ent-
scheiden; ich denke, dafs das ursprüngliche Weihgeschenk in
nichts anderem, als jenen Ketten bestand, welche Herodot an
dem vom persischen Feuer geschwärzten Mauerstück gegen-
über dem Opisthodomos des Parthenon hängen sah und welche
die Raubgier des Feindes nicht hatten reizen können; das viel
kostbarere Denkmal des ehernen Viergespanns sammt der In-
schrift auf seiner Basis gehört jener Zeit der im grolsartigsten
Style angelegten Restauration der Akropolis unter Perikles an,
welche auf der Brandstätte des eingeäscherten Hekatompedos
den Parthenon und später die Eingangshalle der Propylaeen ent-
stehen liefs. Ich neige mich zu dieser Ansicht um so mehr,
als sie mir durch die Analogie eines ganz ähnlichen Falles ge-
sichert zu sein scheint.
II. Denn auch ein anderes, sehr berühmtes Denkmal,
welches eine andere athenische Grofsthat aus den Zeiten vor
480 verherrlichte, verdankt nach sicherer Überlieferung erst der
perikleischen Zeit seine Entstehung. Ich meine die eherne
Colossalstatue der Athena Promachos, welche Pausanias 1, 28 2
mit unserem Denkmal zusammenstellt: Yuzıs Ö2 ya or@ zurereEr,
a, \ b) | j) \ 72 ’ „ > er m
Övo mev "Adyvalas Ei7ı Öeraraı moAsuyrecrw, ayarıa Ayyvas
Monatsber d. Berl. Akad. d Wissensch, 1869, Mar.
vom 27. Mai 1869. 415
Er N ’ Er an &) , ,
YErAoUV MO Mycwv zwv 8 M RERTWVR amolavruv, TEXUr
f ’ \ 42 m n be) \ m / \
Bardiov — zu aoue zeiraı Yarzovv amo Bowrur dezarn zaı Xar-
zıdewv rav &v Eußoe. Dals dieses Bildwerk in Beziehung zu
dem Siege bei Marathon gestanden, sagt zwar nicht ausdrücklich
Demosthenes de falsa leg. 272: @22 orns PETE iso@s TRS @ax90-
ToAswS FauryTı za: mormV EUoUYwnptav Ey,ourys map« Tyv Yarınv
\ I ee > Sn 9 u 3 n RE n
Tyv meyaryv Ayyvar £4 ÖsEıds EITHAEV, YV RSITTElOV N MoAIS ToU
mass Foug BagBaoous morsmov Hovruv Tuw "Errrvwv 7a Aorsarree
+aür aveSyzev, wohl aber von derselben Sache redend Aristides
2, 288 Dind.: za FaUryV Tv Frudyv 2 Qızouran "Ayyvalcı HM
Sen TAQRITHTRVTES Tu) ayaruarı rw MagaSwvoQev und der
Scholiast zu Demosthenes Rede w. Androtion 13. 2, 105® der
Züricher Ausgabe: 5 ya ayarıara Yu tv 77 drgomoRsı Tns
"ASyvas Ev Örecbegors Tomas‘ tv nev— | Ö8 ro ame YaAzoU ovov,
oneo emoimsav virysavrss [ot] Ev MagaTwvr Eradeiro de roUro
Hoouay,ov "AIyväs.
Dafs auf der Basis dieser Statue dem Herkommen gemäfs
eine Weihung in Prosa oder Versen gestanden habe, wird man
als selbstverständlich zugeben. Meiner Ansicht nach besitzen
wir sogar noch einen Theil des Epigramms in einem Bruch-
stücke, welches an der Stelle, wo es veröffentlicht worden
ist und wo man es nicht suchen sollte, nämlich bei Rangabe
784°, sich bisher der Aufmerksamkeit entzogen hat. Der Her-
ausgeber bemerkt dazu: je l’ai decouverte tout recemment dans
la maison du sieur Georgiades de la rue d’Adrien « Athenes, au
quartier dit Placa, audessous du pied oriental de !’Acropole, et &
l’est de la rue des Tripodes. Le proprietaire m’a assure l’avoir
retiree en dernier lieu d’une fouille qu’il avait faite dans sa cour
meme. Der Stein befindet sich jetzt im Museum der archäolo-
gischen Gesellschaft, wo ihn Hr. Köhler hat untersuchen
können, dessen genauere Abschrift ich hier mittheile.
414 Gesammtsitzung
Herr Köhler bemerkt dazu:
“der Stein ist oben und unten un-
verletzt, rechts und links abge-
brochen. Nach Zeile 2 ist nichts
getilgt, wie Rangabe& meint, sondern
ebenso wie nach Zeile 4. die Ober-
fläche des Steines leicht schraffirt,
als eine Art von Ornament. — Der
letzte Buchstabe der dritten Zeile
kann A oder M sein. Hinzuzufügen
2
=
=- OETVLON
NAMENEO
ist nur, dals Rangabe Zeile 3 in der
Mitte vollständiger TTPOSOE und zu
Anfang der letzten Zeile vor dem A
noch die Reste eines O hat. Über
die Mafse fehlen nähere Angaben.
Die Inschrift war also in vier
Zeilen geschrieben und enthielt ein
Epigramm, das, wie die Reste der
dritten und vierten bekunden, in
elegischen Distichen abgefafst war.
Da nun die drei letzten Zeilen nur
die Reste von nach rechtshin zu ver-
vollständigenden Pentametern erge-
ben, so ist die Annahme nicht zu
umgehen, dals auch auf diesem
Denkmale, wie auf dem vorher-
gehenden, Hexameter und Penta-
meter eines jeden Distichons in
einer Zeile geschrieben waren, die
einzelnen Zeilen also nach links durch den Bruch um ein
solches Stück ihrer ursprünglichen Ausdehnung verkürzt worden
sind, als ein ausgeschriebener Hexameter in Anspruch nahm.
Die Basis war sonach von sehr bedeutender Breite und das
Epigramm bestand aus vier Distichen, von denen das erste
bis auf geringe und vieldeutige Reste ganz verloren ist, die
folgenden um den Schlufs ihrer Pentameter und, mit Ausnahme
des dritten, um ihre Hexameter gekürzt erscheinen; nur vom
dritten ist der Schlufs des Hexameters auf unserm Ausschnitt
vom 27. Mai 1869. 415
erhalten. Der Charakter der Schrift weist auf eine etwas
frühere Zeit, als der das vorhergehende Denkmal angehört;
doch ist das Mafs des Abstandes nicht näher zu bestimmen.
Wenn nun in der zweiten Zeile von der Knechtschaft die Rede
ist, welche ganz Hellas bedrohte, in der dritten von Männern
gesprochen wird, welche eine Schlacht vor den Thoren aus-
fochten, in der vierten endlich das «srv, worunter doch nur
Athen verstanden werden kann, erwähnt wird, auf welches sich
eine Thätigkeit solcher bezogen habe, welche die Heeresmacht
der Perser zum Weichen gebracht, so ist, denke ich, klar, dafs
- diese Thätigkeit nur in der Rettung der Stadt vor dem An-
griff der Perser durch einen vor den Thoren derselben erfochte-
nen ‚Sieg bestanden haben kann, durch welchen eben nicht nur
Athen, sondern ganz Griechenland vor dem persischen Joche
bewahrt wurde. Dies pafst meines Erachtens nur auf die
Schlacht bei Marathon und kann nicht mit Rangabe auf die bei
Salamis bezogen werden. Da nun kein anderes auf die Schlacht
bei Marathon bezügliches Denkmal bekannt ist, aulser der Statue
der Promachos, so ist der Schlufs gerechtfertigt, den ich zu
ziehen kein Bedenken trage, dafs unser Fragment von der Basis
dieses Denkmales herrühre. Dafs es nicht auf der Burg selbst
gefunden worden ist, kann dagegen nicht eingewendet werden,
da Beispiele von Verschleppungen dieser Art nicht gerade zu
den Seltenheiten gehören. |
Übrigens scheint mir das -Ornament, welches die beiden
ersten Distichen zwischen der zweiten und dritten Zeile von
den beiden letzten trennt, darauf hinzudeuten, dafs die vier
Distichen auch ihrem Inhalte nach als in zwei Gruppen zer-
fallend aufgefalst waren, was in ihrer Fassung begründet ge-
wesen sein mufs. Unter dieser Voraussetzung wage ich folgen-
den Herstellungsversuch, der den ungefähren Zusammenhang der
erhaltenen Reste veranschaulichen soll:
“Erra[da my] vasav Sovr.o[v Alaceo ideiv].
416 Gesammtsilzung
15: / \ nu ’ e)
[IH Mara 09 zelvc raAazodıcı, 01 g@ rer ryayv
m DEN Er > m m
STYFRUTMEOTTE MUARV ay[goo er ErYarıas,
’ PSRC ’ > ,
Magvasevor 8 erawrav A>yvaioas morulovA]ov
„ I Er ’ L.
asru, Lie INsosov zrwepevol: Svvanır].
r. Braun theilte die folgende Abhandlung des Hrn. Dr.
L. Kny mit: Über den Bau und die Entwickelung
des Farrn-Antheridiums. |
Der Bau des Farrn-Antheridiums hat, trotz seiner grofsen
Einfachheit, die verschiedenartigsten Deutungen erfahren.
Nägeli, der Entdecker des Organes, beschreibt‘) dasselbe
als ein drüsenähnliches Gebilde, welches häufig scheinbar einzellig
ist, meist aber deutlich einen von einfacher Zellschicht um-
gebenen Sack darstellt, in dessen Innerem die Mutterzellen der
Spiralfäden entstehen. Seinen Ursprung nimmt es aus einer
Mutterzelle. Nachdem sich dieselbe über ihre Nachbarinnen
hervorgewölbt hat, theilt sie sich zunächst durch eine horizon-
tale Wand. Dieser ersten Wand folgt in der äufseren Zelle
eine zweite, ihr parallele Wand. Derselbe Procefs kann sich
in der je äufseren Zelle noch ein bis zweimal wiederholen.
Es geht aus diesen Theilungen ein confervenartiger Zellfaden
von 2—5 Gliedern hervor. Jedes Glied zerfällt in eine cen-
trale und 4 sie umschliefsende peripherische Zellen. Die pe-
ripherischen Zellen aller successiven Glieder bilden 4 senkrechte
Reihen und schlielsen. zu einer sackartigen Hülle zusammen;
die mittleren „Räume* stellen zusammen einen „Kanal“ dar,
in welchem die Mutterzellen der Spiralfäden entstehen. Nach
unten ist derselbe durch die Zelle des Vorkeimes, auf welcher
er festsitzt, nach oben durch die vier Zellen des letzten Gliedes
geschlossen, welche sich nicht vollständig von einander getrennt
haben. Endglied und Basalglied bleiben bisweilen ungetheilt.
Wo die Mutterzellen der Spiralfäden blos von einfacher
oder doppelter Membran umschlossen zu sein scheinen, ist
dies nach Nägeli stets die Folge der überwiegenden Volumen-
!) Zeitschrift für wissenschaftliche Botauik. Bd.I. (1844.) p. 168 ff.
Tal-Iy.
vom 27. Mai 1869. 417
zunahme des Antheridium-Inhaltes und einer hierdurch be-
wirkten Zusammendrückung der Hüllzellen. Nach Entleerung
der Spiralfäden dehnen sich letztere wieder aus.
Graf Leszezyc-Suminski ') läfst im Innern der über
ihre Nachbarinnen sich hervorwölbenden Antheridium - Mutter-
zelle eine freie Zelle entstehen, deren Inhalt, ein homogener
Schleim, wasserhelle Kügelchen oder deutliche mit Kernkörper-
chen versehene Kerne zeigt. Sobald diese Zelle im Wachsthum
so weit vorgerückt ist, dafs sie die Wände der ursprünglichen
Ausstülpung ausfüllt, schliefst sie sich gegen die Vorkeimszelle
ab. Oft bildet sich zwischen beiden noch eine dritte plattge-
drückte Zelle, welche dem einzelligen .Antheridium als Träger
dient. Die Mutterzellen der Spiralfäden entstehen innerhalb
desselben durch freie Zellbildung.
Graf Leszezyc-Suminski bildet (Taf. II., Fig. 15) zwar
aueh ein Antheridium mit besonderer zelliger Hüllschicht ab, be-
zeichnet dasselbe in der Figurenerklärung aber als krankhaften
Zustand.
Wigand’) tritt mit grofser Entschiedenheit für die Ein-
zelligkeit der Farrn-Antheridien ein, die er bei mehreren, zum
Theil nicht näher bestimmten Arten untersucht hat. Nach ihm
entstehen sie häufig aus der unmittelbaren Umbildung von Pro-
thalliumzellen, ohne dafs ein vorderer, emporgewölbter Theil
von der Hauptmasse der Zelle sich vorher abgetrennt hätte;
gewöhnlich aber sei letzteres der Fall. Auf welche Art die
Mutterzellen der Spiralfäden entstehen, ob durch Theilung oder
freie Zellbildung, läfst Wigand unentschieden.
Schacht °) fand die Antheridien bei den von ihm unter-
suchten Arten (Pteris serrulata, Asplenium Petrarcae, Adiantum
formosum und Aspidium violaceum) niemals einzellig, sondern
den Kern stets von einer einfachen Lage wasserheller Zellen
umkleidet. In der Schleiden’schen Ansicht von dem allgemeinen
Vorkommen der freien Zellbildung befangen, läfst er diese
1) Zur Entwickelungsgeschichte der Farrnkräuter (1848) p- 10.
2) Botan. Zeitg. 1849 p. 22.
3) Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Farrnkräuter; Linnaea
1849 Bd. 22 p. 758 ff.
418 Gesammtsitzung
Wandzellen als Bläs’chen im Innern der Mutterzelle entstehen.
Eines unter ihnen soll zur Urmutterzelle der Spiralfadenzellen
werden, welche letztere ebenfalls durch freie Zellbildung ent-
stehen. Am Schlufs seiner Darstellung läfst Schacht übrigens
selbst Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Beobachtung laut
werden.
Thuret') fafste den Bau der Antheridien von allen
früheren Beobachtern durchaus abweichend und, wie wir bald
sehen werden, zuerst richtig auf. Bei den meisten Polypodiaceen
bestehen sie nach ihm aus 3 übereinanderliegenden Zellen: einer
Stielzelle, welche das Organ an den Vorkeim befestigt; einer
ringförmigen Zelle, welche die Spermatozoiden-Mutterzellen all-
seitig umschliefst, und einer terminalen Deckelzelle. In manchen
Fällen reicht der Innenraum des Antheridiums bis zur Fläche
des Vorkeimes hinab, so dafs auch die basale Zelle zu einer
Ringzelle wird. Auf welche Weise diese Ringzellen entstehen,
ob sie gleich als solche angelegt werden oder der Verschmel-
zung mehrerer Zellen ihren Ursprung verdanken: diese Frage
läfst Thuret vollkommen unberührt.
Mercklin ?), dem unter allen bisher genannten Forschern
das reichlichste Material zu Gebote stand, schliefst sich in der
Deutung seiner Beobachtungen im Wesentlichen Nägeli an und
verwirft (pag. 18) die Thuret’sche Auffassung; während Met-
tenius °) der letzteren unbedingt zustimmt und in Betreff des
Antheridienbaues einfach auf Thuret verweist.
‚Nach Hofmeister *) tritt in der Mutterzelle des Anthe-
ridiums entweder sofort, oder nach einmaliger, sehr selten
mehrmaliger Theilung derselben durch Querwände, eine Theilung
durch eine geneigte Scheidewand auf. Die neugebildete Zelle
zweiten Grades theilt sich sofort durch eine radiale Längswand.
Nach einmaliger Wiederholung der Theilung der Scheitelzelle
1) Sur les antheridies des fougeres (Ann. sc. nat. ser. 3t. 11 1849
p- 7).
2) Beobachtungen an dem Prothallium der Farrnkräuter (1850)
pr PE
3) Beiträge zur Botanik (1850) p. 22.
4) Vergleichende Untersuchungen etc. (1851) p. 79.
vom 27. Mai 1869. 419
durch eine entgegengesetzt geneigte Wand erlischt das Längen-
wachsthum der Antheridie. Die zweite Zelle zweiten Grades
wird ebenfalls durch eine radiale Wand in zwei Theilhälften
_ von Form von Cylinderquadranten zerlegt. Jetzt theilt sich eine
der Zellen dritten Grades durch eine der Längsachse des Or--
ganes parallele, die Seitenwände unter 45° schneidende Wan-
dung. Die Antheridie stellt nun einen halbkugeligen Zellen-
körper dar, bestehend aus einer vierseitigen centralen Zelle, ge-
füllt mit körnigem Schleime, die getragen wird von einer ey-
‘lindrisechen oder zwei halbeylindrischen Zellen; umhüllt von
vier Zellen von Form von Oylinder- Abschnitten und bedeckt
von einer Zelle von Form eines Kugelabschnittes. ..... Die
Zellen der Antheridie, welche die centrale umschliefsen, ver-
mehren sich nicht weiter. Die letztere aber verwandelt sich
nach beträchtlicher Zunahme ihres Umfanges, in deren Folge
die sie umhüllenden Zellen zur Tafelform abgeplattet werden,
durch eine Reihe von Zweitheilungen in eine kugelförmige
Gruppe würfeliger Zellen ...... |
‘Henfrey'), welcher die Thuret’sche Arbeit nicht zu kennen
scheint, giebt nieht nur vom Bau der Antheridien eine mit der
seinen durchaus übereinstimmende Darstellung, sondern geht
einen Schritt weiter und sucht die Entstehung der Ring-
zellen zu ermitteln. Nach seinen Beobachtungen bildet sich
in der Mutterzelle des Antheridiums, entweder unmittelbar oder
erst nach vorhergegangener Abgliederung einer Basalzelle, eine
aufrechte, ringförmige Scheidewand, welche an allen Punkten
simultan auftritt. Die Antheridium-Anlage besteht nun aus
einer inneren cylindrischen und einer sie umschliefsenden, hohl-
eylindrischen Zelle. Der ringförmigen Scheidewand setzt sich
oberseits eine horizontale Wand rechtwinkelig auf; durch sie
wird die nach oben convexe Deckelzelle von der Centralzelle
abgetrennt. Ist letztere (oder sind deren Theilungsprodukte)
später von zwei Ringzellen umschlossen, so gehen dieselben
nach Henfrey stets aus der Theilung der erstgebildeten Ring-
zelle mittels einer horizontal herumlaufenden Scheidewand hervor.
1) On the development of Ferns from their spores (Transactions of
the Linnean Society vol. 21 p. 121).
420 Gesammtsitzung
Im Folgenden wird sich zeigen, dafe meine Beobachtungen
die von Henfrey gegebene Entwickelungsgeschichte nicht be-
stätigen. |
Wigand giebt, im Anschlufs an seine frühere Mittheilung,
in einer zweiten Arbeit‘) vergleichende Beobachtungen über
den Bau des Antheridiums bei zahlreichen Farrnspecies. Seine
frühere Ansicht von der Einzelligkeit des ganzen Organes hält
er für eine Reihe von Fällen aufrecht. Bei den meisten Arten
giebt er die Existenz einer besonderen Antheridienwandung zu,
welche die Mutterzellen der Spermatozoiden entweder allseitig
oder nur zum Theil umschliefst. Die geschlossenen Ringe,
deren Vorhandensein ihm nicht entgangen ist, beschreibt er als
„Kreise peripherischer Zellen“. Die Zahl der zu einem Kreise
vereinigten Zellen beträgt nach ihm meist 4, zuweilen 5 oder
6 (l.c.p. 46).
Hofmeister ?”) hebt Henfrey gegenüber hervor, dafs er
sich von der Richtigkeit seiner früheren entwickelungsgeschicht-
lichen Angaben wiederholt überzeugt zu haben glaube. Hohl-
cylindrische Zellen seien an der Reife nahen und an ent-
leerten Antheridien zwar erkennbar; dieselben seien aber aus
der seitlichen Verschmelzung mehrerer Zellen durch Resorption
ihrer Querscheidewände entstanden.
Die letzte Darstellung, welche Hofmeister in der Eng-
lischen Ausgabe seiner „Vergleichenden Untersuchungen“ ®) von
der Entwickelung der Farrn-Antheridien giebt, weicht von den
früheren nicht wesentlich ab. „The analogy to be derived
from the process of development of the antheridia of the Mus-
cineae renders it probable that the large central cell is formed
by the production of an excentrical, inclined, longitudinal sep-
tum in the young antheridium, followed by the production of
another excentrial septum cutting the latter at right angles, and
the subsequent formation of a longitudinal septum cutting both
1) Weitere Beobachtungen über die Keimungsgeschichte der Farrn
(Botanische Untersuchungen 1854) p. 44 fl.
2) Beiträge zur Kenntnils der Gefälskryptogamen II. p. 604 Anm.
3) On the germination, development and fructification of the higher
Cryptogamia (London 1862) p. 186.
vom 27. Mai 1869. 491
the above at an angle of 45°, such formation taking place after
the apical cell of the antheridium has been isolated by a strongly
inclined almost horizontal septum cutting the primary longitu-
dinal septum. Where the central cell is surrounded by two
zones of enveloping cells it is manifest that the two zones
originate in the transverse division of the primary single
zone.“
Zuletzt hat sich Strassburger ') mit dem vorliegenden
Gegenstande beschäftigt. Bei Pteris serrulata theilt sich nach
ihm die Antheridium-Mutterzelle zunächst durch zwei entgegen-
gesetzt geneigte Wände, welche dem Grunde des Antheridiums
schief aufgesetzt sind und die Seitenwände desselben etwa in
ihrer Höhe schneiden. „Diesen beiden ersten Scheidewänden
folgen alsbald entsprechend zwei andere entgegesetzte und schnei-
den dieselben unter 45°. Alle diese vier Scheidewände neigen
sich nach dem Grunde der Antheridie stark zusammen, ohne
jedoch dort völlig zusammenzustolsen, und es wird auf diese
Weise ein mittlerer viereckiger Raum abgeschieden, der sich
trichterförmig nach oben zu erweitert. Der obere Theil der
Antheridie ist immer noch einzellig; bald erfolgen aber auch
hier eine Anzahl Theilungen. Zunächst entstehen vier obere
Seitenzellen ganz in derselben Weise, wie die unteren entstanden;
sie sind diesen unteren aufgesetzt und neigen zusammen nach
dem Scheitel der Antheridie; zwischen diesen oberen Seiten-
zellen wird schliefslich vom Scheitel der Antheridie eine Deckel-
zelle abgeschieden, von Gestalt eines Kugelabschnittes. Sa
wird ein Zellkörper gebildet, der aus einer Centralzelle und
aus 8 Seitenzellen und einer Deckelzelle besteht. Die Central-
zelle ist, von oben gesehen, viereckig, in der Mitte ihrer Höhe
bauchig aufgetrieben , an ihren Enden, namentlich am unteren,
allmälig verjüngt und wird zur Urmutterzelle der Spermato-
zoiden. Sie führt reichlich‘ Protoplasma, einen deutlichen Zell-
kern, während die Seitenzellen alsbald nur noch spärliche Chlo-
rophylikörner enthalten.“
1) Die Befruchtung bei den Farrnkräutern (Mem. de l’Acad. d. se,
de St. Petersbourg 1868 p. 2).
[1869.] 30
422 Gesammtsitzung
Meine eigenen Untersuchungen beziehen sich bis jetzt nur
auf wenige Arten. Doch scheinen, nach den in der Literatur
enthaltenen Angaben und bildlichen Darstellungen zu urtheilen,
die wichtigsten Verschiedenheiten des Antheridienbaues durch
sie repräsentirt zu sein. Binnen Kurzem hoffe ich meine Beob-
achtungen für die meisten Gattungen der Filices vervollständigen
zu können. Es bedarf kaum der Erwähnung, dafs ich das
Untersuchungsmaterial nicht den verunreinigten Kulturen der
Farrnhäuser entnommen habe, sondern dafs die Aussaaten be-
sonders für meine Zwecke angestellt und sorgfältig gegen fremde
Eindringlinge geschützt wurden.
Aneimia hirta besitzt Antheridien, welche sich durch be-
deutenden Umfang und Einfachheit des Baues auszeichnen. Im
reifen Zustande (Fig. 5) bestehen sie aus einer flach- cylindrischen
Stielzelle, einer ihr aufgesetzten, verhältnifsmäfsig hohen Ring-
zelle, in welcher keine Andeutung einer Längswand sichtbar ist,
und einer niedrigen Deckelzelle von der Form eines Kugel-
abschnittes. Das Innere des von den drei Zellen umschlossenen
Hoblraumes wird von den Spezial-Mutterzellen der Spermato-
zoiden erfüllt.
An schmächtigen, sehr gedrängt neben einander gewachse-
nen Vorkeimen entspringen sie ohngefähr gleich häufig von der
Unterseite der Laubfläche und vom Rande. In der letztbe-
zeichneten Stellung ist ihre Entwickelung durch Vergleichung
verschiedener Stadien leicht zu ermitteln.
Die jüngsten beobachteten Anlagen, welche kaum als Halb-
kugel über den Rand hervortreten (Fig. 1) und in frischem Zu-
stande von trübem Plasma gleichmälsig erfüllt schienen, zeigten
sich bei näherer Untersuchung nicht nur durch eine Scheide-
wand von der Randzelle abgetrennt, sondern selbst schon aus
drei Zellen zusammengesetzt. Die untere, sanft einwärts ge-
bogene Stielzelle wird von zwei parallelen Wänden begrenzt,
deren obere die jüngste ist. Ihr setzt sich eine nach aufsen
gekrümmte, uhrglasförmige Scheidewand in einem mit der pe-
ripherischen Umgrenzung der Stielzelle concentrischen Kreise
auf, welche eine innere Zelle von der Gestalt einer biconvexen
Linse von einer sie bedeckenden, flachglockenförmigen Zelle
vom 27. Mai 1869. 423
abscheidet. Während sich die Stielzelle kaum merklich ver-
längert, wölben sich die beiden anderen Zellen gemeinschaft-
lich stark nach aufsen. Die sie trennende Scheidewand bleibt
dabei noch lange sehr zart, so dafs sie der unmittelbaren Beob-
achtung entgeht (Fig. 2a); nach Behandlung der Vorkeime mit
Kalilauge und Salzsäure tritt sie aber mit voller Deutlichkeit her-
vor (Fig. 2b). Etwa zur Zeit, wo die innere Zelle die Form
einer Halbkugel erlangt hat, entsteht in der sie bedeckenden
Glockenzelle eine nach oben sich erweiternde, trichterförmige
Scheidewand, welche sich der Innen- und Aufsenwand in ge-
schlossenem Kreise aufsetzt. Ihre Bildung scheint eine durch-
aus simultane zu sein. Es wird durch sie die Deckelzelle von
der hohleylindrischen Hüllzelle (Ringzelle) abgetrennt.
In allen 4 Zellen, welche das Antheridium in diesem Ent-
wiekelungszustande zusammensetzen, ist je ein Zellkern deutlich
erkennbar. In der Deckelzelle liegt er der unteren Scheide-
wand an und ist von zahlreichen Chlorophylikörnern umgeben;
in der Ringzelle schmiegt er sich einseitig der Innenwand an;
in der Centralzelle nimmt er eine genau mittlere Stellung ein
und erscheint wegen des reichen Gehaltes an Chlorophyll und
Protoplasma nur als. hellerer Fleck.
Centralzelle und Ringzelle wachsen überwiegend in die
Länge, weniger im Umfang. Dabei wird die Neigung der
Scheidewand, welche letztere von der Deckelzelle trennt, all-
mälig etwas geringer. Während alle übrigen Zellen ungetheilt
bleiben, zerfällt die Centralzelle durch eine Anzahl successiver
Theilungen in die Specialmutterzellen der Spermatozoiden. Die
Stellung der Scheidewände zur Längsachse des Organes und
untereinander ist hier eine ziemlich regellose, wie aus Fig. 3
und 4 ersichtlich.
Die Zellen letzter Generation runden sich in der für die
Specialmutterzellen charakteristischen Weise gegen einander ab,
bis sie sich vollkommen isolirt haben. Auf die zarte Cellulose-
membran folgt nach innen zunächst eine Schicht hyalinen Pro-
toplasmas; gegen die Mitte hin sind im Plasma zahlreiche
Körnchen eingebettet. Die Entleerung der reifen Specialmutter-
zellen erfolgt stets durch einen unregelmäflsigen Rifs der Deckel-
zelle. Die zerfetzten Membranstücke derselben schrumpfen zu-
307
424 Gesammtsitzung
sammen und werden bald unkenntlich. Mit dem allmäligen
Hervortreten des zelligen Inhaltes geht eine beträchtliche Deh-
nung der Basalzelle und Ringzelle nach innen Hand in Hand
(Fig. 6.). Es legt dies die Vermuthung nahe, dafs das Öffnen
des Antheridiums vorzüglich durch die Turgescenz dieser bei-
den Zellen bewirkt werde. In der Membran der Ringzelle,
welche sich gleichzeitig stark verkürzt, bilden sich dabei Falten
in gröfserer oder geringerer Zahl, welche, von oben gesehen,
meist nicht über die halbe Dicke des Ringes hinausreichen
(Fig. 7), bei seitlicher Ansicht aber echten Scheidewänden
zuweilen täuschend ähnlich sehen. Ich vermuthe, dafs dieselben
bei den unrichtigen Darstellungen des Baues und der Entwicke-
lung des Farrnantheridiums eine grofse Rolle gespielt haben.
Dafs die Ringzelle nicht, wie mehrere der oben genannten
Forseher annehmen, aus der Verschmelzung von vier oder
mehr ursprünglich getrennten peripherischen Zellen entsteht,
sondern dafs sie schon als solche angelegt wird, geht aus dem
konstanten Vorhandensein von nur einem Zellkern mit voller
Sicherheit hervor. Auch nach erfolgter Entleerung bleibt der-
selbe noch einige Zeit deutlich erkennbar (Fig. 6).
Die Antheridien von Ceratopteris thalictroides (Fig.
8 — 10) sind denen von Aneimia auf den ersten Blick
sehr unähnlich. Bei näherer Untersuchung zeigt sich, dafs die
Verschiedenheit mehr in den Dimensionen der einzelnen Theile,
als in abweichendem Bau liegt. Die meisten Antheridien neh-
men hier aus Randzellen des Vorkeimes ihren Ursprung; nur
wenige entwickeln sich auf der Unterseite der Laubfläche. Bei
ersteren, die ich allein näher verfolgte, vollziehen sich die Thei-
lungen der Mutterzelle schon zu einer Zeit, wo diese noch
kaum merklich über ihre Nachbarinnen hervorragt.
Die erste Scheidewand ist meist unsymmetrisch und stark
gekrümmt. Sie legt sich einerseits an die freie Aufsenwand
der Mutterzelle, andererseits an eine der Seitenwände an, welche
diese von ihren Nachbarzellen trennen. Die auf solche Weise
abgegliederte untere Zelle reicht natürlich nur einseitig bis an
den freien Rand des Vorkeimes (Fig. 9°, 10). Leider fehlt
mir für den nächsten Theilungsschritt die direkte Beobachtung.
vom 27. Mai 1869. 425
Aus dem fertigen Zustande, zusammengehalten mit dem zwei-
fellos ermittelten Entwickelungsgange bei Aneimia hirta glaube
ich schliefsen zu dürfen, dafs auch hier der zuerst gebildeten
Wand eine uhrglasförmige Membran sich aufsetzt, welche eine
innere Zelle von der Form einer biconvexen Linse von einer
äulseren flach glockenförmigen Zelle abtrennt. In letzterer
würde dann, ähnlich wie bei Aneimia, eine nach oben sich er-
weiternde trichterförmige Scheidewand entstehen, welche Deckel-
zelle und Ringzelle von einander isolirt. Letztere bleibt hier
stets kurz und dabei schwach abwärts gebogen. Dies, mit dem
Fehlen einer eigentlichen Stielzelle zusammengenommen, ist es,
was den Habitus des Antheridiums von Ceratopteris haupt-
sächlich bedingt.
Von der beschriebenen Bildung kommen nur selten Ab-
weichungen vor. Die gewöhnlichste besteht darin, dafs die
erste Theilungswand sich, statt nur an eine, symmetrisch an
beide Seitenwände anlegt (Fig. 9). Nur in den seltensten
Fällen habe ich reife Antheridien beobachtet, bei denen die
Sonderung von Ringzelle und Deckelzelle unterblieben war, wo
also die Specialmutterzellen in einen linsenförmigen Raum
zwischen zwei Zellen eingeschlossen waren.
Asplenium alatum besitzt Antheridien, deren Kern meist
von zwei übereinanderliegenden Ringzellen umschlossen
wird. (Fig. 14 und 15). Der Deckel ist ebenso, wie bei
Aneimia hirta und Ceratopteris thalictroides, einzellig. Eine
Stielzelle ist hier nicht immer vorhanden (Fig. 11, 14, 15).
An den schmächtigen, sehr gedrängt gewachsenen Vorkei-
men, welche ich untersuchte, entwickelten sie sich zum gröfseren
Theikauf der unteren Laubfläche, häufig so massenhaft, dafs
jede Zelle ein Antheridium trug. Weniger zahlreich gingen sie
aus Randzellen hervor. Am besten liefs sich ihre Entwicke-
lung an fädigen Adventivzweigen verfolgen, deren Verästelungen
häufig mit je einem Antheridium abschliefsen (Fig. 13).
Die jüngsten von mir beobachteten Anlagen waren etwa
halbkugelig. Die erste in ihnen auftretende Scheidewand be-
sitzt die Form eines Trichters; sie setzt sich der ebenen Ba-
salfläche in einem engen, mit ihrer peripherischen Begrenzung
426 Gesammtsitzung
concentrischen Kreise auf und erweitert sich nach oben, um
sich etwa in der Mitte der kugelig gewölbten Aufsenwand,
ebenfalls in geschlossenem Kreise, anzulegen (Fig. 11, 12).
Die untere (und gleichzeitig äulsere) der beiden Schwesterzellen,
welche schon bei ihrem Entstehen die Form eines an der Basis
verbreiterten, nach oben zugeschärften Ringes besitzt, behält
dieselbe im Wesentlichen bei; sie ist fortan keiner weiteren
Theilung mehr fähig. Die andere, am unteren Ende konisch
verschmälerte Schwesterzelle läfst in diesem unteren Theile
einen Zellkern deutlich erkennen. Ihr Längenwachsthum geht
ausschliefslich in der oberen, freien Hälfte vor sich. Behandelt
man ein junges Antheridium in diesem Entwickelungszustande,
wo sich der obere Theil auch in der Aufsencontour von der
ersten ringförmigen Hüllzelle soeben schwach abzuheben be-
ginnt (Fig. 13°) mit verdünnter Ätzkali-Lösung und, nach
einmaligem Auswaschen, mit Salzsäure, so bemerkt man bei
mittlerer Einstellung eine zarte Theilungslinie, der nach oben
und unten je ein Zellkern anliegt (Fig. 13°). Diese Scheide-
wand, welche eine obere, flach glockenförmige Zelle von der
Centralzelle (der Urmutterzelle der Spermatozoiden) abtrennt
setzt sich dem oberen Rande der erst entstandenen trichterför-
migen Zellwand allseitig auf und ist in Form eines Meniskus
schwach nach aufwärts gekrümmt.
Mit dem weiteren Längenwachsthum des jungen Antheri-
diums geht eine stärkere Emporwölbung dieser Scheidewand
Hand in Hand. Nachdem sie der freien Aufsenwand ohnge-
fähr parallel geworden, setzt sich ihr in allseitig gleicher Ent-
fernung vom Scheitel eine ringförmige, nach oben sich schwach
trichterförmig erweiternde Wand fast rechtwinkelig auf (Fig. 14).
Die glockenförmige Zelle wird dadurch in eine ringföfmige
untere und in eine obere Deckelzelle getheilt, welche die Form
eines gestutzten, mit der sphärischen Basalfläche nach oben
gekehrten Kegels zeigt. Damit ist die Entwickelung der Anthe-
ridienhülle in der grofsen Mehrzahl der Fälle beschlossen.
Beide Ringzellen sowohl, als die Deckelzelle lassen bei auf-
merksamer Betrachtung je einen Zellkern deutlich erkennen.
Auch nach Entleerung der Antheridien bleibt derselbe in den
Ringzellen noch einige Zeit erhalten (Fig. 17).
vom 27. Mai 1869. 427
Erst nach Anlage der Antheridienhülle treten in der Cen-
tralzelle eine Reihe von Theilungen auf, welche zur Bildung
der Specialmutterzellen führen. Die ersten Scheidewände sind
meist genau nach der Längsachse des Antheridiums orientirt
und einander nach drei Dimensionen rechtwinkelig aufgesetzt;
hierauf wechseln dann noch einige Mal radiale Wände mit
tangentialen ab. Die Zellen letzten Grades, deren Zahl nicht
konstant ist, runden sich gegen einander ab. Auf ihre sehr
zarte Membran folgt nach innen zunächst eine hyaline Plasma-
zone; der centrale Theil des Inhaltes ist deutlich körnig.
Das Öffnen des Antheridiums wird offenbar auch hier
durch die Turgescenz der beiden Ringzellen bewirkt. Nach-
dem die Deckelzelle unregelmäfsig durchrifsen und die Special-
mutterzellen entleert sind, dehnen sie sich, unter gleichzeitiger
geringer Verkürzung, nach innen. Es bilden sich hierdurch
radial-senkrechte Falten, welche bei seitlicher Ansicht oft täu-
schend den Anschein echter Scheidewände!) gewähren. Auch
hier, wie bei Aneimia hirta, überzeugt man sich bei Betrach-
tung von oben mit Leichtigkeit, dafs sie die äufsere Membran
nicht erreichen.
Als Ausnahme beobachtet man zuweilen Antheridien mit
nur einer Ringzelle.. Diese hat dann, soweit der fertige Zu-
stand einen sicheren Schlufs gestattet, ganz die gleiche Ent-
stehung, wie die obere Ringzelle in normalen Antheridien:
sie ist die Schwesterzelle der Deckelzelle.
Etwas häufiger wurden Antheridien mit drei Ringzellen
beobachtet (Fig. 17). Hier wird dann die mittlere wahrschein-
lich in derselben Weise durch eine trichterförmige Scheidewand
angelegt, wie die untere. Sicher war dies bei zwei abnormen
Antheridien der Fall, wo sich die zweite Ringzelle der unteren
seitlich und schief aufgesetzt hatte (Fig. 16).
1) In zwei Fällen glaube ich mich bestimmt von dem Vorhanden-
sein je einer echten radialen Längswand in einer der Ringzellen über-.
zeugt zu haben. Ich halte sie für nachträgliche Bildungen. Über die
Art ihrer Entstehung kann ich leider nichts Näheres angeben.
428 Gesammtsitzung
Cibotium Schidei schliefst sich unmittelbar an Asplenium
alatum an, zeigt aber einige bemerkenswerthe Eigenthümlich-
keiten. Die unterste der zwei Ringzellen, welche auch hier bei
der überwiegenden Mehrzahl der Antheridien vorhanden sind,
ruht meist auf einer nur einseitig entwickelten Basalzelle und
ist dann auf der einen Seite niedriger, als auf der anderen,
während die obere Ringzelle mehr regelmäfsig entwickelt ist.
(Fig. 19). Die Deckelzelle bleibt hier nicht ungetheilt, sondern
zerfällt durch eine auf der Aufsenwand senkrechte, gegen den
Mittelpunkt der Zelle stark convexe Wand in zwei ungleich
grofse Tochterzellen. Die gröfsere ist halbmondförmig; die
kleinere elliptisch, an beiden Enden zugespitzt (Fig. 18). In
der kleineren der beiden Schwesterzellen findet zuweilen noch
eine weitere Theilung statt. Entweder wird sie durch eine, auf
der letztentstandenen, senkrechte Wand halbirt; oder es Setzt
sich der ersten Wand eine entgegengesetztgekrümmte beider-
seits auf. Der Deckel ist dann aus einer centralen und zwei
peripherischen Zellen zusammengesetzt. Nur selten ist die
zweite Wand des Deckels der erstgebildeten parallel.
Beim Öffnen des Antheridiums wird der Deckel nicht un-
regelmäfsig durchbrochen, wie bei Aneimia hirta, Ceratopteris
thalictroides und Asplenium alatum, sondern es wird die kleinere
Zelle, oder, wenn er aus dreien besteht, eine der beiden klei-
neren aus dem Verbande der Nachbarzellen gelöst und zurück-
geklappt.
Die Bildung der Ringzellen ist, soweit ich beobachten
konnte, der bei Asplenium alatum beschriebenen durchaus ana-
log; auch hier ist die untere von wesentlich verschiedener Ent-
stehung, als die obere. Die untere wird durch eine trichter-
förmige Scheidewand von der Urmutterzelle des Antheridiums
direkt abgeschieden, während die obere neben dem (hier später
mehrzelligen) Deckel Theilungsprodukt einer glockenförmigen
Zelle ist.
Von den beschriebenen Fällen durchaus verschieden ist der
Entwickelungsgang der Antheridien von Osmunda regalis.
Geschlofsene Ringzellen kommen bei ihnen niemals vor. Die
Mutterzelle theilt sich zunächst durch eine schiefe, nach innen
vom 27. Mai 1869. 429
\
schwach concave Wand, der in der oberen und grölseren der
beiden Schwesterzellen eine zweite, entgegengesetzt geneigte
folgt; nur selten bilden sich drei aufeinanderfolgende Wände,
welche dann in Winkeln von 120° divergiren. Während sich
die peripherischen Zellen nicht weiter theilen, wird in der
inneren und gleichzeitig oberen Zelle eine zur Längsachse des
Antheridiums annähernd senkrechte, nach unten schwach con-
cave Scheidewand angelegt, die sich den erstentstandenen all-
seitig ansetzt. Die Centralzelle zerfällt nun durch eine Reihe
von Theilungen, in denen sich keine bestimmte Regel erkennen
liefs, in die Specialmutterzellen der Spermatozoiden; die Deckel-
zelle theilt sich während dessen durch mehrere in gleichem
Sinne über ihren Scheitel verlaufende Wände in drei bis vier
Zellen, deren Aufsencontour meist durch nachträgliche Dehnung
wellig wird. Sie setzen die Antheridienwandung zum gröfseren
Theil zusammen.')
Das Interesse der oben mitgetheilten Thatsachen geht weit
über die Entwickelungsgeschichte der Farrnkräuter hinaus. Zellen
von der Form geschlofsener Ringe sind, meines Wissens, nur
am erwachsenen Wedel mehrerer Aneimia- Arten beobachtet
worden, wo sie die. Schliefszellenpaare der Spaltöffnungen um-
geben. Über die Art ihrer Bildung besteht eine bisher noch
ungelöste Meinungsverschiedenheit zwischen Hildebrand?) und
Strafsburger;?®) darin aber kommen beide überein, dafs die
Ringzellen nicht als solche angelegt werden, sondern ihre eigen-
thümliche Form erst nachträglich erhalten. Die Antheridien
der Polypodiaceen und Schizaeaceen bieten demnach das erste
Beispiel für eine direkte Entstehung von Ringzellen
durch Bildung trichterförmiger Scheidewände; sie
1) Ausführlicheres über die Antheridien von Osmunda werde ich in
einem binnen Kurzem in Pringsheims Jahrbüchern erscheinenden Auf-
satze geben.
2) Über die Entwickelung der Farrnkrautspaltöffnungen. Bot. Zeit.
1866 p. 245.
3) Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Spaltöffnungen.
Pringsheims Jahrb. V p. 309.
430 Gesammtsitzung
zeigen gleichzeitig, dafs dieser im Gewächsreich bisher durch-
aus vereinzelt dastehende Vorgang zwei Modifikationen zuläfst,
indem die Ringzellen das eine Mal von einer halbkugeligen,
das andere Mal von einer glockenförmigen Mutterzelle ab-
gegliedert werden. Hoffentlich gelingt es mir an geeigneteren
Arten, als die bisher von mir untersuchten, den Procels der
Scheidewandbildung und das Verhalten des Zellkernes dabei
genauer zu verfolgen. Erst dann wird es möglich sein zu ent-
scheiden, ob diese neue Form der Zellbildung sich den bisher
beobachteten unmittelbar anreiht, oder ob sie wesentlich davon
verschieden ist.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Jüngster beobachteter Enwickelungszustand eines rand-
ständigen Antheridiums von Aneimia hirta. Die Cen-
tralzelle besitzt die Form einer biconvexen Linse.
(Nach Behandlung mit Atzkali und Salzsäure ge-
zeichnet.)
„ 2. Etwas älterer Zustand. Die Glockenzelle ist noch un-
getheilt (a. frisch -, b. nach Behandlung, wie 1. ge-
zeichnet).
„ 3. Halberwachsenes Antheridium. Die Hülle ist vollstän-
dig angelegt; in der Centralzelle sind die ersten Thei-
lungen bereits erfolgt. (a und b, wie bei 2.)
„ 4. Etwas älterer Zustand, als 3. (a. und b., wie bei 2.)
„9. Reifes Antheridium (es wurde während der Beobach-
tung entleert).
„ 6. Eben entleertes Antheridium. Rechts ist der Zellkern
der Ringzelle deutlich erkennbar.
»„ 7. Schon seit längerer Zeit entleertes Antheridium, von
oben gesehen. Die innere, gefaltete Wand der Ring-
zelle ist schon stark gebräunt; der Zellkern ist nicht
mehr erkennbar.
» 8. Halbentwickeltes Antheridium von Ceratopteris thalictro-
ides, von einer Randzelle des Vorkeimes schief ent- |
springend. Die Hülle ist vollständig angelegt; die
Centralzelle über’s Kreuz in 4 Zellen getheilt. (Nach
Behandlung mit Ätzkali und Salzsäure gezeichnet.)
„ 9. Zwei reife Antheridien derselben Art: a mit normal-
unsymmetrischer, b mit abnorm-symmetrischer Basal-
zelle.
Monalsbericht U K-AA.W. Mai 1869.
CH Schmid lv
U
inır ad nat. del.
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Fig. 10.
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Graph,
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alsugig:
vom 27. Mai 1869. 431
Entleertes Antheridium derselben Art. Eine Special-
mutterzelle ist im Innenraum zurückgeblieben.
Antheridium-Anlage von Asplenium alatum. Erst
die untere Ringzelle ist abgegliedert. Ihr Zellkern lag
links und war ohngefähr bei mittlerer Einstellung
deutlich.
. Wie vorige.
. Etwas weiterer Entwickelungszustand. Die obere Zelle
hat sich in eine flach - glockenförmige Aufsenzelle und
die Centralzelle getheilt (a und b, wie bei 2).
Die Glockenzelle ist schon in die zweite Ringzelle und
die Deckelzelle getheilt; die Oentralzelle ist noch un-
getheilt. (Nach Behandlung mit Atzkali und Salzsäure.)
. Etwas älterer Zustand. Die Centralzelle ist schon in
8 Zellen getheilt, von denen nur 4 sichtbar. (Behand-
lung, wie bei 14.)
. Reifes Antheridium mit 3 Ringzellen. Die mittlere
Ringzelle ist der unteren schief aufgesetzt, so dafs deren
eine Seite von der Umhüllung der Specialmutterzellen
ausgeschlolsen ist.
. Entleertes Antheridium mit 3 Ringzellen; in jeder der-
selben ist ein kugeliger Zellkern deutlich sichtbar.
. Junges Antheridium von Cibotium Schidei von oben ge-
sehen. Die Centralzelle ist in 4 Quadranten zerfallen,
von denen 2 schon wieder getheilt sind; der Deckel
besteht aus 2 Zellen. (Nach Behandlung mit Atzkali
und Salzsäure gezeichnet.)
Junges Antheridium, von der Seite gesehen. Die Cen-
tralzelle ist noch ungetheill. — Durch ein Versehen
des Lithographen ist der Kreis, in welchem sich die
untere trichterförmige Scheidewand an die Aufsenwan-
dung anlegt, etwas zu tief gerückt.
Sämmtliche Figuren sind mit der Camera entworfen und
325 mal vergröfsert.
432 ' Gesammtsitzung
v
Hr. W. Peters las über neue Gattungen und neue.
oder weniger bekannte Arten von Amphibien (Zremias,
Dicrodon, Euprepes, Lygosoma, Typhlops, Eryx, Rhynchonyx, Ela-
pomorphus, Achalinus, Coronella, Dromicus, Xenopholis, Anoplo
dipsas, Spilotes, Tropidonotus).
SAURI.
1. Eremias Brennerin. sp. .
Schnauze spitz abgerundet. Unteres Augenlid beschuppt,
undurchsichtig; Suborbitale tritt nicht an den Lippen-
rand, über dem 5. und 6. Supralabiale, welches letztere drei-
mal solang wie hoch ist. Nasenöffnung zwischen vier Schild-
chen, einem inneren, einem unteren, einem sehr kleinen hinteren
oberen und einem Frenonasale gelegen. Internasale hexagonal,
wenig breiter als lang. Interparietale kaum so grols wie das
Nasale superius. Die beiden Supraorbitalia wie bei Er.
lugubris innen, hinten und aufsen von kleinen ge-
kielten Schüppchen umgeben, während vor ihnen eine
gro[lse mittlere, und zwei kleine seitliche Schildchen
vorhanden sind. Sämmtliche obere Kopfschilder, von
dem Internasale an, sind sehr zierlich mit feinen er-
habenen wellenförmigen Längslinien geziert. Das
erste Frenale ist klein, das zweite sehr grofs, dop-
pelt so lang wie hoch. Sechs Supralabialia; sieben schmale
Infralabialia, von denen das 4., 5. und 6. sehr lang sind. Von
den vier Submentalia jeder Seite ist das letzte fast so lang,
wie die drei übrigen zusammen. Die Schläfenschuppen sind
vor der Ohröffnung länglich, hexagonal, gekielt. Die
Ohröffnung ist ganz ähnlich wie bei Er. lugubris, senkrecht,
am hinteren Rande grade. Der Rand des Halsbandes wird
von 6 Schuppen gebildet, von denen die beiden mittleren die
breitesten sind. Abdominalschilder in sechs Längsreihen. Unter
den Präanalschuppen ist eine mittlere durch ihre Grölse aus-
gezeichnet. Jederseits 20 Femoralporen. Gliedmafsen schlank,
die vorderen bis an die Nasenlöcher, die hinteren über das
Auge hinausreichend. |
Die Färbung ist ähnlich, wie bei gewissen Varietäten von Er.
lugubris. Fünf weilsliche Längslinien, von denen die mittelste sich
vorn gabelförmig theilt, auf hellbraunem Grunde; zwischen den
vom 27. Mai 1869. | 433
Linien einige unregelmäfsige weilse Flecke; die Extremitäten
‚mit hellen Flecken auf dunklem Grunde, eine dunkle Längs-
linie auf der Hinterseite der Oberschenkel, welche, so wie die
ganze Unterseite des Thiers, gelblichweifs ist.
Ein Exemplar von Hrn. Richard Brenner, einem der
Reisegefährten des Barons ©. von der Decken, aus Barava
im Somalilande.
2. Dicrodon celestis Peters (Monatsberichte d. J.p. 64).
Der genauere Fundort dieser Art ist Porto Alegre.
COnemidophorus lacertoides Dum. Bibr. ist nicht damit zu ver-
einigen, sondern wirklich ein Cnemidophorus und kein Dicrodon.
Dennoch möchte ich die von mir bezeichnete Art für diejenige
halten, welche d’Orbigny abgebildet hat, da sie der Abbil-
dung ähnlicher ist und ich kürzlich auch noch ein paar Exem-
plare aus derselben Gegend erhalten habe.
3. Euprepes (Euprepis) Grütznerin. sp.
Sehr nahe verwandt durch die ganze Gestalt, die Form
der Kopfschilder und die ebenfalls schwach dreikieligen Rücken-
schuppen mit E. homalocephalus Wiegm. (E. Smithü Gray).
Die Schuppen sind aber kleiner und bilden, anstatt 30, 36 Längs-
reihen. Der vordere Ohrrand ist nicht mit verlängerten zuge-
| spitzten, sondern mit (drei) kurzen abgerundeten Schuppen be-
deckt, ähnlich wie bei E. punctatissimus Smith, welcher ihm
ebenfalls nahe steht, aber sich sogleich durch andere Kopfform, viel
längeres Frontale medium und stark gekielte Rückenschuppen
unterscheidet.
Von dem Hinterhaupt gehen fünf schwarze Linien bis zur
Schwanzwurzel, welche vier goldgelbe Punktlinien einschlielsen;
über der Orbita entspringt eine goldgelbe Binde, welche, sich
auf dem Körper verbreiternd und undeutlicher werdend, jeder-
seits auf dem Schwanze verliert und von dem Auge entspringt
unter derselben eine breite schwarze Längsbinde mit einigen
gelben Pünktchen, welche bereits hinter der Schulter sich ver-
liert und in unregelmäfsige Fleckenlinien auflöst. Die oliven-
farbige Oberseite des Kopfes ist namentlich um das Interparietale,
um die Supraorbitalia und an der Spitze des Frontale mit
Schwarz geziert. Die olivengrünen Supralabialia haben jeder
einen gelben Fleck, und die Infraorbitalia sind hellgelb mit
434 Gesammtsitzung
Ausnahme ihres oberen scharf abgegrenzten schwarzen Randes.
Die Unterseite ist metallisch glänzend, grüngelb mit mehr oder
weniger deutlichen dunkleren zwischen den Schuppen verlau-
fenden Längslinien. Die Extremitäten sind an der Oberseite
olivenfarbig mit Schwarz und Gelb punctirt.
Zwei Exemplare aus Gerlachshoop (Südost- Afrika) von
Hrn. Missionar Grützner.
4. Euprepes (Mabuya) laevigatus n. Sp.
Die schmalen Supranasalia stofsen vorn aneinander, so
(dafs das Internasale, welches mit seinem hinteren Ende an das
Frontale medium stöflst, von dem Rostrale entfernt ist. Das
Frontale ist kaum länger als die Frontoparietalia und das In-
terparietale zusammen. Von den vier Supraorbitalia ist das
zweite das gröflste. Die Nasenöffnung liegt im hinteren oberen
Winkel des Nasale, an welches letztere ein sehr kleines Freno-
nasale stöfst. Beide Frenalia sind merklich länger als hoch.
Acht Supralabialia, von denen das sechste längste den gröfsten
Theil des unteren Augenrandes bildet. Die ovale durchsichtige
Scheibe des unteren Augenlides ist sehr grofs. Ohröffnung mäfsig,
schräg, vorn von drei Schuppen bedeckt. Die Körperschuppen
bilden 35 Längsreihen und lassen keine Spur von Kielen er-
kennen.
Olivengrün, mit 6 (am Nacken 7) unregelmäfsigen schwarzen
Längslinien; zwei weifsgelbe Längsbinden jederseits, von denen
die obere über dem Auge entspringt und an der Seite des
Schwanzes verläuft, die untere von der Oberlippe entspringt
und bis an die Schenkelbuge geht. Gliedmafsen mit schwarzen
unterbrochenen Längslinien und gelblichen Fleckchen. Unter-
seite glänzend grünlichgelb.
Die vorstehende Art liefert einen neuen Beweis, dafs eine
Trennung der Euprepes-Arten nach der gekielten oder glatten
Beschaffenheit der Schuppen allein nicht von generischem Werthe
sein kann,
| Das vorliegende Exemplar ward ebenfalls in Gerlachs-
hoop (Südost-Africa) von Hrn. Missionar Grützner ge-
sammelt.
5. Euprepes venustus Girard= Euprepes Delalandii Dum.
Bibr,
vom 27. Mai 1869. 435
Durch Hrn. Dr. Strauch hat unser Museum Exemplare
der vorstehenden Art von den Cap-Verdeschen Inseln er-
halten. Da A. Smith in seinen Illustrations of South Africa
nichts von dem Vorkommen dieser Art in Süd-Africa erwähnt,
sie auch von keinem neuern Reisenden dort gefunden worden
ist, so dürfte mit grofser Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein,
dafs auch das von Dumeril und Bibron beschriebene Exem-
plar nicht den von ihnen angegebenen Ursprung hat.
6. Lygosoma (Mocoa) nigrofasciolatum n. Sp.
Im Habitus sehr ähnlich dem E. (M.) samoensis Hombr.
Jacg., aber mit kürzeren Zehen. Nasale von der Gröfse des 1. Su-
pralabiale, mit grofser in der Mitte seines unteren Randes lie-
gender Nasenöffnung. Internasale stöfst mit seiner vorderen
Spitze an das Rostrale, hinten an das Frontale medium, wel-
ches letztere mit seiner Spitze an die beiden Frontoparietalia
stölst. Das vordere Frenale trapezoidal, länger als hoch, vorn
höher als das hintere um die Hälfte längere Frenale. Fünf
Supraorbitalia, von denen das letzte sehr klein ist. Interparie-
tale ein wenig kleiner als die Frontoparietalia. Neun Supra-
labialia, das 2. bis 4. von gleicher Form, halb so lang wie
das erste, das 6. grölfste bildet zugleich das Suborbitale und
die drei letzten schuppenförmig. Die durchsichtige Scheibe
des unteren Augenlides rund. Ohröffnung mälsig, am vorderen
Rande mit zwei vorspringenden Schuppen. Körperschuppen in
39 Längsreihen, die des Rückens und der Bauchseite gröfser
als die seitlichen.
Oben olivenbraun, metallisch glänzend, mit zahlreichen (auf
dem Körper etwa 13) unregelmäfsigen schmalen schwarzen, an
den Körperseiten hellgefleckten queren Fleckenbinden; zwischen
den Schultern eine schwarze Längsbinde; über der Schläfen-
gegend und hinter dem Ohr schwarz gefleckt. Augenlidränder
‘und vorderer Ohrrand gelblichweils. Unterseite metallisch grün,
Ein 22 Centimeter langes wohlerhaltenes Exemplar, ge-
kauft, angeblich aus Neu-Caledonien stammend.
SERPENTES.
7. Typhlops perditus n. sp.
Augen nicht sichtbar, Nasenöffnungen am Ende der
Schnauze stehend, Kopfschilder ganz ähnlich wie bei 7, reticu-
436 Gesammtsitzung
latus, nur ist das Nasorostrale hinten viel weniger eingebuchtet,
das Präoculare daher weniger vorspringend. Körperschuppen
in 18 Längsreihen. Schuppen der Oberseite olivenbraun mit
gelbgrünen Rändern, Unterseite und Kopfende grünlichgelb.
Totallänge 0285; Kopf 0010; Schwanz 09004; m.
dicke 090048.
Gekauft, angeblich aus Orizaba.
8. Erys conicus Schneider, var. laevis.
Ein Exemplar, welches ich im Jahre 1848 bei Goa fing,
hat nur die Schuppen des Vorderkopfes und einige Schwanz-
schuppen schwach gekielt, die übrigen ganz glatt, stimmt aber
sonst vollkommen mit E. conicus überein und scheint mir den
Beweis zu liefern, dass die von Gray aufgestellte Gattung Cu-
soria nicht haltbar ist.
Achalinus nov. gen.')
Oberkiefer, Gaumen-, Flügelbeine und Unterkiefer Beni
Zähne des Oberkiefers zahlreich, gleich lang und glatt. Kopf lang,
nicht vom Halse abgesetzt; Augen klein, mit runder Pupille;
2 Nasalia, Frenale mit dem Praeoculare, Postoculare mit den
Temporalia verschmolzen; Oberkopfschilder in gewöhnlicher
Zahl; Augen klein; Submentalia kurz; Körper eylindrisch, mit
langgestreckten, gekielten Schuppen (in 21] Längsreihen) bedeckt;
Anale und Subcaudalia einfach.
Gehört zu den Calamariformes aglyphodontes und schliefst
sich unter diesen zunächst der Gattung Haplocercus Gthr. an,
von welcher sie aber durch die Pholidosis des Kopfes, nament-
lich durch die ansehnlichen Nasalia und das grofse doppelte
Internasale abweicht. .
9, Achalinus spinalis n. sp. (Taf. Fig. 1).
Rostrale dreieckig zugespitzt, oben nicht vortretend. In-
ternasalia dreieckig zugespitzt, länger als breit. Nasenöffnung
in dem vorderen Nasale gelegen, dahinter eine bogenförmige
Vertiefung in dem hinteren Nasale, welches letztere über dem
“zweiten und dritten Supralabiale liegt und nach hinten an das
grofse doppelt so lange wie hohe Freno-praeorbitale stöfst. - Die
Praefrontalia sind nicht länger als die Internasalia, aber dop-
1) @, xahivds (Giftzahn).
vom 27. Mai 1869. 437
pelt so grofs, und so breit wie lang. Das Frontale ist breiter
als lang, pentagonal, hinten stumpfwinkelig, mit seinen kür-
zesten Seiten zwischen den Supraorbitalia gelegen. Die Parie-
talia sind sehr lang, hinten zugespitzt, länger als alle übrigen
Kopfschilder zusammengenommen. Sechs Supralabialia, das
erste sehr klein, das letzte länger als alle übrigen zusammen
genommen, das 4. und 5. stofsen ans Auge. Keine besonderen
Postorbitalia; Temporalia lang 2+2-+-3. Mentale breit und
sehr kurz, von den Submentalia durch das erste Paar der In-
fralabialia getrennt. 6 schmale Infralabialia, von denen vier
mit den Submentalia in Verbindung stehen; 3 Paar kurze Sub-
mentalia, von denen das erste Paar zusammen eine nach hinten
zugespitzte herzförmige Figur bildet. Körperschuppen lanzett-
förmig, deutlich gekielt und ohne Endgruben, ein und zwanzig
Längsreihen bildend. 149 Ventralia, 1 einfaches Anale und 62
Sceuta subeaudaliaa Braun mit einer schwarzen Linie längs
der Mittellinie des Rückens bis zur Schwanzspitze; Bauchseite
bräunlichgelb, die Halsschilder in der Mitte schwärzlich und eine
- schwarze mittlere Längsbinde unter dem Schwanze.
Totallänge 09360; Kopflänge 09090; Schwanz 0%0115;
Körperdicke 0%007.
Gekauft; angeblich aus Japan.
Rhunchonys nov. gen.')
Vordere Oberkieferzähne klein und gleichförmig, der hin-
terste gröfser und gefurcht; Zähne der Gaumenbeine und der
Unterkiefer klein. Schnauzenende sehr vorspringend, scheiden-
förmig von dem grofsen Rostrale eingehüllt. Augen klein mit
runder Pupille. Nasenlöcher im vorderen Ende des einfachen
Nasale gelegen. Körper drehrund, mit glatten rhomboidalen
(in 15 Reihen stehenden) grubenlosen Schuppen bedeckt. (Kein
Frenale, 1 Anteorbitale, 1 Postorbitale, keine Internasalia, 2 Paar
lange Submentalia, Anale und Subcaudalia doppelt.)
: Gehört zu den Calamariformes opisthoglyphi, durch das
sehr entwickelte Rostrale an Temnorhynchus, Rhinochilus und
Cemophora, durch die Körperform an Elapomorphus erinnernd.
e Puyx.os, evuE.
[1869.] 31
438 | Gresammtsitzung
"10. Rh. ambiniger n. sp. (Taf. Fig. 2).
Rostrale etwas breiter, als lang, viel niedriger als hoch,
vorn abgerundet, unten nach der Mundöffnung hin vertieft;
steht durch einen stumpfen Winkel mit den beiden Präfrontalia
und jederseits durch einen concaven Rand mit dem Nasale und
durch einen kurzen geraden Rand mit. dem 1. Supralabiale in
Verbindung. Die Präfrontalia sind ein wenig länger als breit,
ihr kürzester vorderer Rand stöfst an das Rostrale, ihr innerer
Rand, mit dem sie aneinander sto[sen, ist eben so lang, wie
der hintere untere, mit dem sie an das Anteorbitale und das
Supraorbitale stofsen; mit ihrem längsten unteren Rande sto[sen
sie an das Nasale und mit dem nächstlangen hinteren oberen
Rande bilden beide Schilder einen stumpfen Winkel, den das
vordere stumpfe Ende des hexagonalen Frontale ausfüllt. Die
Parietalia sind um ein Drittel länger als das Frontale. Das
Nasale ist sehr lang dreieckig zugespitzt und stöfst hinten an
das kleine Anteorbitale, welches ein wenig gröfser als das
Postorbitale erscheint. Sechs Supralabialia; das erste ist länger,
aber niedriger als das zweite, welches letztere an das Nasale,
das Anteorbitale und das Auge stölst, das dritte bildet vorzüg-
lich den unteren Augenrand und stölst an das Postorbitale; das
4. kleinste steht nach oben hin nur mit dem Postorbitale in
Verbindung; das 5. verbindet sich mit dem Parietale und mit
dem Postorbitale und das 6. legt sich mit seinem oberen Rande
an das Parietale und nach hinten und oben an das einfache
Temporale. Das dreieckige kleine Mentale .ist länger als breit
und wird durch das erste Paar der Infralabialia von den Sub-
mentalia getrennt. Es sind 7 Infralabialia vorhanden, von
denen 5 mit den Submentalia in Verbindung stehen, das 4. und
5. sehr grols, die beiden letzten schuppenförmigen dagegen
sehr klein sind. Die Submentalia sind gleich lang und dop-
pelt so lang wie breit. Körperschuppen in 15 Längsreihen.
224 Ventralia, 1 getheiltes Anale und 33 Paar Subcaudalia.
Oben olivenbräunlich, unten gelblich; Kopf und Nacken
schwarzbraun, mit Ausnahme des Oberlippenrandes bis zu dem
fünften Supralabiale und der Unterseite bis zum 6. Infralabi-
ale, welche gelblich sind. Schwanzende, mit Ausnahme der
äufsersten Schwanzspitze, ebenfalls schwarz.
vom 27. Mai 1869. 439
Totallänge 09395; Kopf 02010; Schwanz 0%033; Kör-
perdicke 0%0055.
Gekauft; angeblich. aus a
il. Elapomorphus nigrolineatus n. Sp.
Bräunlichgelb mit fünf schwarzen Längsstreifen, Ki beiden
breitesten jederseits auf der vierten und fünften, eine schmälere
längs der Rückenlinie, und eine linienförmige auf der zweiten
(oberen) Schuppenreihe jeder Seite verlaufend. Der Kopf oben
fast ganz schwarz, nur auf dem Rostrale, den Internaso-prae-
frontalia und dem ersten Supralabiale mehr bräunlichgelb und
an den Seiten ein dem 3. und 4. Supralabiale gemeinschaftlicher
gelber Fleck. Die ganze Unterseite mit Einschlufs der Unter-
lippe schmutzig gelb, nur das Schwanzende, mit Ausnahme der
äufsersten Spitze, schwarz.
Internasalia mit den Präfrontalia vereinigt. Das Frontale
wenig grölser als eins der Internaso-praefrontalia. Das ein-
fache Nasale stölst vorn an das Rostrale, hinten an das Prä-
orbitale, da das Frenale fehlt. 6 Supralabialia, das 2. und 3.
ans Auge stolsend, letzteres zugleich das kleine Postoculare
tragend; das 4. und 5. gehen bis zu dem Parietale hinauf,
während das 6. durch ein längliches Temporale von demselben
getrennt ist; hinter beiden letzteren ein zweites Temporale,
welches viel breiter als lang ist. Das Mentale von den Sub-
mentalia durch das erste Paar der Infralabialia getrennt. 7
Infralabialia, welche bis zum fünften gröfsten mit den Submen-
talia in Verbindung stehen. Zwei Paar Submentalia, von denen
die des ersten Paares die längeren sind. Körperschuppen in
15 Reihen. 260 Ventralia, 1 einfaches Anale, 26 Paar Sub-
caudalia. m
Totallänge 07375; Kopflänge 0%008; Schwanz 0%027;
Körperdicke 090045.
Gekauft; angeblich aus Guinea, wahrscheinlich aber aus
Südamerica, wie alle verwandten Arten, stammend.
12. Coronella melanocephala.
Homalosoma melanocephalum Jan, Calamaridae. 1862. p. 37.
Rhynchocalamus melanocephalus Günther, Proceed. Zool. Soc.
Lond. 1864. p. 491.
In einer kleinen Sammlung, welche Hr. Petermann die
Güte gehabt hat, mir aus Jerusalem zuzusenden, befinden sich
3l*
440 Gesammtsitzung
drei Exemplare dieser zierlichen Schlange, von denen eins be-
trächtlich gröfser als die anderen ist. Weder im Gebifls noch in
der Pholidosis kann ich, bei dem Vergleich mit Coronella austriaca,
irgend einen Unterschied finden, der zu einer generischen Tren-
nung von dieser Art berechtigen könnte und zumal in der Bil-
dung des Rostrale habe ich nicht den geringsten Unterschied
zwischen beiden Arten finden können. Die kleinen Exemplare
allein, und solche scheinen Hrn. Dr. Günther nur vorgelegen
zu haben, dürften allerdings leicht verleiten können, sie als zu
den Calamariae gehörig und dann als eine besondere Gattung
zu betrachten.
13. Dromicus unicolor Dumeril et Bibron = Dromicus
angulifer Bibron.
Dafs der in der Erpetologie generale vıı. p. 658 aufgestellte
Dromicus unicolor unbekannter Herkunft nichts weiter als das
Junge von Dr. angulifer aus Cuba ist, geht aus der Verglei-
chung mit direct aus Cuba erhaltenen Exemplaren hervor.
Auch aus den in der Jan’schen Iconographie gegebenen Ab-
bildungen beider Arten lassen sich keine Unterschiede erkennen.
Xenopholisnov.gen.')
Vordere Oberkieferzähne kürzer und glatt, der hinterste ver-
längert und gefurcht. Kopf oval, etwas abgeplattet, viel breiter
als der dünne Hals. Nasenloch vertieft in zwei grolsen Nasalia;
zwei Internasalia, drei Praefrontaliain einer Querreihe; Auge
klein mit runder Pupille; ein sehr grolses Anteorbitale; Supra-
orbitale klein; 1 Frenale; Submentalia mäfsig lang. Körper
nach der Mitte hin verdickt, mit verlängerten glatten gruben-
losen Schuppen (in 17 Reihen) bedeckt. Anale einfach, Sub-
caudalia doppelt.
Eine Gattung, welche sich den Dipsadomorphi vpleiee
anschliefst, durch den abgerundeten, nicht zusammengedrückten
Körper und das breite kurze Frontale dagegen mehr an O«y-
rhopus erinnert. Die ganz regelmälsige Theilung des Präfron-
tale in ein mittleres grolses und zwei kleinere seitliche Schil-
der ist sehr eigenthümlich und bisher bei keiner Schlange be-
obachtet worden.
. 1) Eivog, dokts.
vom 27. Mai 1869. 441
14. Xenopholis Braconnieri n. sp. (Taf. Fig. 3.)
Rostrale in seinem aufsteigenden Theile sehr verschmälert,
seine Spitze kaum von oben sichtbar. Nasenlöcher länglich,
von vorn sichtbar, nahe dem vordern Schnauzenende liegend;
vorderes Nasale vorn am höchsten, mit einem Winkel zwischen
dem Rostrale und ersten Supralabiale fast bis zum Lippen-
rande herabsteigend; hinteres Nasale am hintern Rande grade
abgestutzt, an das Frenale stofsend. Internasalia sehr kurz,
zweimal so breit wie lang, hinten zugespitzt, zusammen eine
Sichel bildend. Das mittlere Praefrontale ist so breit wie lang,
stölst mit seinem vordern convexen Rande an die Internasalia,
mit seinen concaven seitlichen Rändern an die seitlichen Prae-
frontalia, mit seinem hintern graden Rande an das Frontale
und mit seinen hinteren abgestumpften Winkeln an die Präor-
bitalia; jedes seitliche trapezoidale Praefrontale stöfst oben mit
seinem längsten convexen Rande an das Praefrontale medium,
unten mit seinem nächstlangen Rande an das Frenale, vorn an
das Internasale und das Nasale und hinten an das Praeorbitale.
Das Frontale ist breiter als lang, im Allgemeinen dreieckig,
stölst mit seinem vordern graden Rande an das mittlere Prae-
frontale, mit seinen abgestumpften vordern Winkeln jederseits
an das Praeorbitale und mit den Seiten seines hintern spitzen
‚Winkels an die Supraorbitalia und die Parietalia. Letztere sind
so lang wie die Frontalia zusammen und hinten abgerundet;
das rechte steigt bis zu dem untern Postorbitale herab, wäh-
rend die untere Spitze des linken als ein getrenntes Schildchen
erscheint. Das Frenale ist trapezoidal, länger als hoch und
liegt mit seinem längsten unteren Rande über dem 2. und 3.
Supralabiale. Das grofse Anteorbitale stölst unten an das 3.
und 4. Supralabiale und breitet sich oben so aus, dafs es die
vordere Hälfte des Supraorbitalrandes bildet und das Supra-
orbitale nur eine geringe Gröfse hat. Zwei Postorbitalia; 8 Su-
pralabialia, von denen das 4. und 5. unter dem Auge liegen,
das 5. und 6. an das untere Postorbitale stolsen. Temporalia:
ein vorderes langes, an das untere Postorbitale stofsend, dahin-
ter auf der linken Seite ein langes oberes und zwei kurze un-
tere, auf der rechten Seite fünf kurze in zwei Querreihen.
Das Mentale ziemlich klein dreieckig zugespitzt, durch das
442 Gesammtsitzung
verlängerte erste Paar der Infralabialia von den Submentalia
getrennt; 9 Infralabialia jederseits, von denen fünf die Submen-
talia berühren, welche von gleicher Länge und um die Hälfte
länger als breit sind. Die glänzend glatten Körperschuppen
bilden 17 Längsreihen. 137 Ventralia, 1 einfaches Anale, 39
Paar Subcaudalia.
Oben violetbraun, mit blauschwarzen weilslich geränderten,
unregelmälsig ziekzackförmig alternirenden oder zu einer Quer-
binde vereinigten und durch eine dunkle mittlere Rückenlinie
zusammenhängenden Flecken; Unterseite weils.
Totallänge 0%290; Kopf 0%010; Schwanz 0%055; Körper-
dicke 0%006.
Von dem Naturalienhändler Boucard als „Elapomorphus
Braconnierü“ gekauft, und obgleich diese Schlange, so viel ich
weils, nirgends beschrieben worden ist, behalte ich doch gern
den Species-Namen zu Ehren des Hrn. Seraphin Braconnier,
des wohlbekannten und geschickten Assistenten für die herpe-
tologische Abtheilung des Pariser Museums, bei.
Anoplodipsasnov. gen.')
Oberkieferzähne sämmtlich klein und ungefurcht; Zähne in
den Gaumen- und Flügelbeinen. Kopf breit, von dem dünnen
Halse abgesetzt; Pupille rund; Nasenöffnung weit; zwei Nasalia;
Kopfschilder in gewöhnlicher Zahl; vordere Submentalia länger
als breit; Körper langgestreckt, zusammengedrückt, mit verlän-
gerten, glatten, grubenlosen Schuppen, die der Mitte des Rückens
z. Th. verbreitert hexagonal; Bauchschilder seitlich winklig ge-
bogen, Anale und Subcaudalia einfach.
Diese Gattung gehört zu den Dipsadomorphi aglyphodontes,
unter denen bisher nur eine, Amblycephalus, durch Scuta sub-
caudalia ausgezeichnet ist und sich von der vorstehenden so-
wohl durch. die Beschildung des Kopfes wie die Körperform
leicht unterscheiden lälst.
15. Anoplodipsas viridis n. sp. (Taf. Fig. 4).
Rostrale das vordere Ende der etwas schräg nach hinten
und unten abgestumpften Schnauze bildend; Internasalia dop-
pelt so breit wie lang; Präfrontalia wenig breiter als lang und
1) Avomkog, dtbas.
u
vom 27. Mai 1869. 443
fast dreimal so lang wie die Internasalia, mit ihrem längsten
convexen Rande an das Internasale und das Postnasale, mit
ihrem kürzesten äulseren Rande an das Frenale, hinten und
unten mit einem concaven Rande an das Präorbitale und hinten
und oben mit einem graden Rande an das Frontale stolsend.
Das Frontale ist um ein Viertel länger als vorn breit, vorn
grade, hinten stumpfwinklig und steht durch einen vorderen
abgestumpften Winkel jederseits mit dem Präorbitale in Ver-
bindung. Das Supraorbitale ist vorn viel schmäler als hinten.
Die Parietalia sind merklich länger als breit, vorn so breit wie
das Frontale lang ist. Frenale trapezoidal, höher als lang.
Das einfache Präorbitale ist hoch, und stöfst unten an das
dritte und vierte Supralabiale.. Zwei Postorbitalia, das untere
mit einem langen Temporale in Verbindung stehend, auf wel-
ches noch 3 bis 4 Temporalia folgen. Acht Supralabialia, von
denen das 4. und 5. ans Auge stofsen und das 7. das gröfste
ist. Das spitzdreieckige Mentale wird durch .das erste Paar
‘ der Infralabialia von den Submentalia getrennt. Zehn Infrala-
bialia jederseits, von denen 6 mit den Submentalia in Berüh-
rung stehen, das 6. durch seine Grölse ausgezeichnet ist. Die
vorderen Submentalia sind doppelt so lang wie breit, die hin-
teren kaum länger als breit. Die Schuppen bilden 17 Längs-
reihen, unter denen die der mittelsten z. Th. breit und hexa-
gonal sind. 216 Scuta abdominalia, 1 einfaches Anale, 101 Scuta
subcaudalia.
Oben und an den Seiten grün, unten grüngelb.
Totallänge 0%720; Kopflänge 0%182; Schwanzlänge 0%015;
Körperhöhe 0%010; Körperbreite 0%005.
Gekauft; angeblich aus Neu-Oaledonien.
16. Spilotes fasciatus n. Sp.
Körper zusammengedrückt; Schuppen glatt, auf der Mitte
des Rückens schwach gekielt, mit einem undeutlichen Endgrüb-
chen, in 23 dachziegelförmig gelagerten Längsreihen. Kopf
breit und lang, fast doppelt so lang wie breit, vom Halse ab-
gesetzt; Augen grofs. Rostrale etwas breiter als hoch, oben
abgerundet und nicht zurückgebogen; Internasalia breiter als
lang, wenig kürzer als die Präfrontalia. Frontale vorn sehr
breit, jederseits an das Anteorbitale stolsend, mit seitlichen con-
444 Gesammtsitzung
caven Rändern, wenig länger als breit; Supraorbitalia hinten
eben so breit wie das Frontale in der Mitte; Parietalia wenig
länger als das Frontale, hinten abgestuzt; Nasalia grofs; Fre-
nale trapezoidal, länger als hoch; 1 grofses Anteorbitale, zwei
Postorbitalia; Supralabialia rechts acht, links neun, von denen
das letzte sehr lang ist, rechts das 4., 5. und 6., links das 5.
6. und 7. den unteren Augenrand bilden; Temporalia 2+2+
3. Das stumpfwinkelige Mentale wird durch das sehr ent-
wickelte erste Paar der Unterlippenschilder von den Submen-
talia getrennt; 12 Infralabialia jederseits, welche bis zum 9.
gröfsten mit den Submentalia in Verbindung stehen. Zwei
Paar Submentalia von gleicher Länge, jedes Schild nicht ganz
doppelt so lang wie breit. 191 Ventralia, 1 einfaches Anale,
132 Paar Subcaudalia.
Bräunlichgelb, schwarz besprengt; letzteres bringt auf dem
Rücken grofse schwarze Flecke hervor, welche verschmälert
und bogenförmig an der Seite bis zu schwarzen Flecken herab-
steigen, die sich auf dem Bauche über die Seitentheile von je
2 bis 3 Bauchschildern ausdehnen. Lippen gelb, mit schwarzen
Flecken auf den vorderen Lippenschildern und unter den Au-
gen, eben so schwarze Pulverung auf dem Mentale und den
ersten Infralabialia, so wie auf der Grenze des 8. und 9.
Bauchseite des Körpers und Schwanzes in der Mitte schwarz
gepulvert.
Totallänge 07390; Kopf 0 07018; lmaız 09105; Körper-
höhe 0%010; Körperbreite 09005.
Gekauft; angeblich vom Maroni (Surinam).
E Tropidonotus ruficeps n. Sp.
Oberseite des Kopfes und Hals rostroth, Präorbitale gelb,
ein schwarzer Querstreifen von dem vorderen Ende des ersten
Temporale zwischen das 6. und 7. Supralabiale herabsteigend.
Körper und Schwanz olivengrün, jederseits eine gelbliche
Binde auf der sechstuntersten Schuppenreihe und den Seiten
der angrenzenden Schuppen verlaufend; die ganze Unterseite
grünlichgelb. Kopf auffallend kurz. 8 Supralabialia, von denen
das 3., 4. und 5. unten ans Auge stolsen; 1 hohes Anteorbitale,
3 Postorbitalia; Internasalia und Präfrontalia gleich lang; Pa-
rietalia hinten abgestuzt, nicht länger als das Frontale; Tem-
}.Achalınus spinalis. 2 Rhunchonyx ambiniger. 3. Xenopholis Bracomnieri.
+ Anoplodipsas viridis. 5.Stvporhvnchus truncatus.
JDL franz Wagner gezu.lith. Druck vbebr Dehus
AO hr BR
BEN ER An
vom 27. Mai 1869. 445
poralia 1+2-+3. Infralabialia 10, davon 7 mit den Submen-
talia in Verbindung stehend. Körperschuppen, mit Ausnahme
der beiden untersten gröfseren Reihen, stark gekielt, in 19 Längs-
reihen. Anale getheilt.
Von Hrn. Dr. Schetelig aus Californien; geschenkt.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Achalinus spinalis Peters, Kopf von der Seite; la. von oben,
1b. von unten; lc. Analgegend.
2. Rhynchonyx ambiniger Peters.
3. Äenopholis Braconnierü Peters.
„ 4. Anoplodipsas viridis Peters.
5. Styporhynchus truncatus Peters (Monatsber. 1863.p.399).
Fig. 1—3 in doppelter, 4 u. 5 in natürlicher Gröflse.
Nachtrag.
1. Chamaeleo calcaratus n. Sp.
In der vorläufigen Übersicht der von mir gesammelten
Amphibien (Monatsberichte 1855. p. 615) habe ich auch C’hamaeleo
‚calyptratus Dum. aufgeführt, welcher mir damals nur nach der
in dem Catalogue meth. de la collect. des Reptiles. 1851 p. 31 gege-
benen Beschreibung bekannt war. Eine Vergleichung mit der
von Dumeril später gegebenen Abbildung (Archiv. du Museum.
vı. Taf.21. Fig.1) liefs mich sogleich die Verschiedenheit dieser
Art erkennen.
Auch wurde ich erst jetzt darauf aufmerksam, dafs Ch.
calyptratus in den Nilgegenden und nicht in Madagascar (wie
Hr. Gray noch neuerdings angibt) zu Hause ist.
Kopfform ähnlich wie bei Ch. calyptratus und verrucosus;
Kamm hinten jederseits mit einer schmalen Klappe, welche mit
grofsen polygonalen Schuppen bedeckt ist; Kinn, Kehle und
Anfang des Rückens mit einer Mittelreihe kurzer conischer Tu-
berkeln, welche am Hinterrücken, an der Brust und am Bauch
kleiner und meist ohne Spitze sind. Körperschuppen am Rücken
grofs und platt, quadrangulär oder rundlich, nach dem Bauche
[1869.] 32
446 Gesammtsitzung
hin kleiner und in Querreihen stehend, welche durch feine Körn-
chen von einander getrennt werden. Gliedmafsen überall mit
grofsen, meist platten, mehr oder weniger rhomboidalen Schup-
pen bedeckt. Hand- und Fuissohlen mit grofsen quadrangulä-
ren platten oder flach convexen Schuppen bekleidet; am Hacken
ein stumpfer mit grofsen polygonalen Schuppen bekleideter
Sporn. Krallen grols.
Gelb und braun, ein gelber Streif auf der Schulter vom
Halse ausgehend und eine unregelmäfsige gelbe Längsbinde,
welche von der Basis des Oberarms ausgeht.
Eine eingehendere Beschreibung und Abbildung dieser Art
werde ich in meinem Reisewerk geben.
Das einzige Exemplar stammt aus Bembatuka (West-
küste von Madagascar), wo es im November 1845 von meinem
Freunde F. Barnard gefangen wurde.
2. Diplodactylus furcosus Peters, Monatsber. 1865. p. 229
—= Diplodactylus ornatus Gray, Lizards of Australia and
New Zealand. Taf.16. Fig. 2.
Die Übereinstimmung dieser Arten habe ich erst erkennen
können, nachdem die eitirte Abbildung veröffentlicht worden
ist, während dieses mir nach den kurzen Angaben in dem Ca-
talogue of Lizards p. 149 nicht möglich war.
3. Heteropus rhomboidalis n. sp.
Schuppen glatt oder undeutlich mehr- (5-) kielig, in 32
Längsreihen. Ohröffnung rund, mäfsig, vorn mit einer vor-
springenden Schuppe. Nasalia ganz seitlich; Internasale fast
doppelt so breit wie lang; Präfrontalia getrennt; Frontale vorn
und hinten abgestutzt; das einfache Frontoparietale mit dem In-
terparietale zu einem einfachen rhomboidalen Schilde vereinigt.
Aufser den 4 Supraorbitalia hinten noch ein kleines fünftes.
Durchsichtige Scheibe des unteren Augenlides grols. 7 Supra-
labialia, von denen das 5. grölste unter dem Auge liegt. Vor-
dere Gliedmalsen reichen bis an den vorderen Augenrand, hin-
tere mit der 4. Zehe bis in die Achselgrube.
Oben braun, mit einer undeutlich begrenzten schwarzen
Binde jederseits, von der Ohröffnung beginnend; auf dem Rücken
jederseits eine Reihe schwarzer Fleckchen; Unterseite 'allent-
halben gelbgrün oder mit der Unterkinngegend bläulich.
vom 27. Mai 1869. 447
In der Sammlung des Hrn. Godeffroy befinden sich
mehrere Exemplare dieser Art von Port Mackay in N. O.
Australien.
4. Dromophis praeomatus n. gen.
Dendrophis praeornatus Schlegel.
Oxyrhopus praeornatus Dumeril et Bibron.
Chrysopelea praeornata Günther.
Hr. Dr. Günther hat bereits wiederholt die and Ver-
wandtschaft dieser zierlichen Art mit den Psammophis hervor-
gehoben und ich mufs ihm hierin vollkommen beistimmen. Da
jedoch sowohl die Bildung des Gebisses, wie die eigenthüm-
liche bogenförmige, mit einer hinteren Klappe versehene Nasen-
öffnung eine Vereinigung mit dieser Gattung nicht gestatten,
so scheint es mir nothwendig, für dieselbe eine besondere Gat
tung aufzustellen. |
9. Platymantis unilineata n. sp.
In der Körperform, Bezahnung und Proportion der Extre-.
mität mit Pl. vitiana übereinstimmend, nur verschieden dadurch,
dafs die beiden ersten Finger von gleicher Länge sind. Dun-
kelbraun mit einigen undeutlichen dunkleren Flecken und von
der Schnauzenspitze bis zur Analöffnung eine scharfbegrenzte
goldgelbe (oder rothe) Längslinie.
Von Grofs Viti in der Godeffroy’schen Sammlung.
Ich erlaube mir, bei dieser Gelegenheit anzuführen, dafs die
Artenzahl der Dairachia anura des Berliner Museums, welche
sich bei dem Anfang meiner Verwaltung nur auf 117 belief, ge-
genwärtig 325 beträgt, also noch um ein Geringes das British
Museum in dieser Beziehung übertrifft, da letzteres nach den
neuesten Mittheilungen (cf. Dr. Günther, Proc. Zool. Soc. Lond.
1868. p.478.) 315 Arten enthält.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt
Jahresbericht des physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M. für das
Rechnungsjahr 1867—1868. Frankfurt a. M. 1869. 8.
Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brünn. 6. Bd. 1867.
Brünn 1868. 8.
%
448 Gesammtsitzung vom 27. Mai 1869.
Dritter Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden. Dresden
1866. 8.
Annalen der Landwirthschaft in den k. preu/s. Staaten. 27. Jahrg. IV.
Berlin 1869. 8.
H. Fischer, Kritische mikroskopisch-mineralogische Studien. Freiburg
i. Br. 1869. 8.
Verhandlungen des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Ober-
schwaben. Neue Reihe. 1. Heft. Ulm 1869. 4.
Schweizerische meteorologische Beobachtungen. Juni — August 1868.
Bern 1868. 4.
Annalen der Münchener Sternwarte. Supplement 6 u. 7. München 1868. 8.
Annales des mines. Tome XIV, Livr. 6. Paris 1868. .8.
Atti_ della societa italiana di scienze natural. Vol. XI, no. 3.4. Mi-
lano 1869. 8.
Oversigt over det Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger.
1867, no. 7. 1868, no. 3. 4. 1869, no. 1.
Memorie della societa italiana di scienze natural. Tomo IV, no. 3.
Milano 1868. 4.
Bulletin de la societe vaudoise des sciences naturelles. TomeX, no. 61.
Lausanne 1869. 8.
Verhandlungen des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm. Neue
Reihe Heft 1. Ulm 1869. 4.
Henri Martin, Memoire sur la date historique d’un renouvellement de
la periode sothiaque. Paris 1869. 4.
— Memoire sur cette question: La precession des equinoxes a-t-elle ete
connue des Egyptiens ou de quelque autre peuple avant Hipparque?
Paris 1869. 4.
— Lee sciences et la philosophie. Paris 1869. 8. Mit Begleitschrei-
ben des Hrn. Verf., d. d. Rennes 19. Mai 1869.
Mittheilungen der k.. k. Central-Commision zur Erforschung und Erhal-
tung der Baudenkmale. 14. Jahrg. Mai—Juni. Wien 1869. 4.
Reise der österr. Frregatte Novara um die Erde in den Jahren 1857 —
1859. Anthropologischer Theil. Wien 1868. 4.
Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin. 21. Bd.
1. Heft. Nov.-Dec. 1868. Jan. 1869. Berlin 1869. 8.
Geognostische Karte des westl. Abhangs des Ural von C. Moeller (über-
geben im Namen des Departement des mines von Hrn. G. Rose).
Oeuvres de Lagrange, publiees par les soins de Mr. J. A. Serret.
Tomes 1. 2. 3. Paris 1867—68. 8. (Im Namen des Hrn. Serret
überreicht durch Hrn. Kummer.)
MONATSBERICHT
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
Juni 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Trendelenburg.
3. Juni. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. G. Rose las über Darstellung krystallisirter
Kieselsäure auf trocknem Wege.
Man hat in der neuern Zeit Kieselsäure mehrfach in kry-
stallisirter Form, wenn auch stets nur in sehr kleinen mikro-
skopischen Krystallen dargestellt, doch gelang dies stets nur
auf nassem, nie auf trocknem Wege. So stellte Senarmont!')
sie dadurch dar, dafs er eine Auflösung von Kieselsäure in ver-
dünnter Chlorwasserstoffsäure in einer verschlossenen Glas-
röhre einer Hitze von 200—300° aussetzte, worauf sich die
Kieselsäure als sandiges Pulver abschied, das unter dem Mi-
kroskop betrachtet aus lauter durchsichtigen deutlich erkenn-
baren Krystallen in der Form des Quarzes bestand. Daubree,
nachdem er früher schon Quarz in undeutlich krystallinischem
Zustande durch Zersetzung von Chlor- oder Fluorkieselgas
durch Wasserdämpfe in einer glühenden Porzellanröhre darge-
stellt hatte, erhielt später noch etwas grölsere, bis 2 Milli-
meter lange Krystalle auch in der Form des Quarzes, als er
gewöhnliches Glas durch Wasser bei erhöhter Temperatur und
Druck zersetzte.) Wenn man den Quarz für sich allein bei
1) Ann. de chim. et de phys. 1851, Bd. 32, S. 142.
2) Comptes rendus von 1857, B. 45, S. 792,
[1869.] 33
450 Gesammtsitzung
hoher Hitze schmelzt, so bildet er beim Erkalten ein Glas.
Da aber krystallisirte Kieselsäure wie Quarz als Gemengtheil
von Gebirgsarten vorkommt, die wie Trachyt, Granit, Quarz-
porphyr in Lavaströmen, oder, in Spalten anderer Gesteine
eingedrungen, als Gesteinsgänge vorkommen, also früher flüs-
sig gewesen sein müssen, so sollte man voraussetzen können,
dafs der Quarz sich auch durch Schmelzung, oder auf trock-
nem Wege bilden könne. Ich hatte deshalb in dieser Hinsicht
‘ schon früher Versuche angestellt und beschrieben!) die es wahr-
scheinlich machten, dafs sich Quarz oder wenigstens eine kry-
stallisirte Kieselsäure auf trocknem Wege bilden könne. Ich
zeigte, dafs die Kieselsäure, die sich beim Schmelzen der
Silicate mit Phosphorsalz vor dem Löthrohr ausscheidet, kry-
stallinisch und keine gewöhnliche amorphe Kieselsäure sei, da
sie sich in Kalilauge nicht auflöst; aber sie scheidet sich hier
bei in so kleinen, zusammengehäuften Krystallen aus, dafs ich
über ihre Form auch bei starker Vergröfserung unter dem
Mikroskop nichts ausmachen konnte. Auch selbst bei Schmel-
zungen gröfserer Mengen im Platintiegel über der Gasflamme
waren die Resultate nicht anders, und als ich ein Gemenge
von geschmolzenem Phosphorsalz mit Adular, beide gepulvert
und wohl gemengt im Platintiegel, dem Feuer des Porzellan-
ofens aussetzte, zersetzte bei der grofsen Hitze des Porzellan-
ofens das Platin des Tiegels das Phosphorsalz, der ganze
Tiegel flofs zu einem ganz krystallinischen Phosphorplatinre-
gulus im Innern der übrigen verschlackten Masse zusammen;
der Versuch gelang nicht.
Ich mufste diese Versuche unterbrechen, und habe sie
später wieder aufgenommen, ohne im Stande zu sein, sie jetzt
ganz zu Ende zu führen, was ich mir für eine spätere Zeit
vorbehalte. Sie haben indessen jetzt schon zu einem Resultate
geführt, das ich nicht unterlassen wollte, der Akademie vorzu-
legen. Ich habe die Schmelzversuche im Feuer des Porzellan-
ofens der hiesigen Königl. Porzellanmanufactur fortgesetzt, was
mir wie früher durch die grofse Bereitwilligkeit sowohl des
Directors der Manufactur, des Hrn. Geh. Raths Möller, als
1) Monatsberichte der Akademie von 1867, S. 140.
vom 3. Juni 1869. 451
auch der Arkanisten, der Hrn. Dr. Elsner und Herzog mög-
lich war. Zuerst wurde wieder Phosporsalz mit Adular ge-
schmelzt; wie früher drei Raumtheile des geschmolzenen und
zerriebenes Salzes mit einem Raumtheile des zerriebenen Adu-
lars, doch geschah diesmal die Schmelzung in einem Tiegel
von Biscuit. Die Masse war gut geschmolzen. Sie wurde in
dem Tiegel mit verdünnter Chlorwasserstoffsäure begossen,
und warm gestellt, wodurch sie sich nach einiger Zeit unter
Hinterlassung eines schneeweilsen erdigen Rückstandes auflöste,
welcher filtrirt und ausgewaschen wurde. Unter dem Mikro-
skop betrachtet, kann man sehen, dafs er aus lauter einzelnen
oder mit andern verbundenen durchsichtigen sechsseitigen Ta-
feln besteht, die regelmäflsig sind, da sie im polarisirten Licht
sich wie einaxige Krystalle verhalten; bei der Dünnheit der
Krystalle sieht man bei denen die mit der Hauptfläche der
Tafel horizontal liegen, kein Ringsystem und im Innern des-
selben keine Farben, aber’ sie erhellen nicht, oder nur wenn
sie in schiefer Lage liegen, das durch gekreutzte Nickols her-
vorgerufene Dunkel des Gesichtsfeldes. Ihr specifisches Ge-
wieht wurde in einem Versuche 2,311, bei einer Wiederhoh-
lung mit demselben Material 2,517 gefunden. Zu dem erstern
Versuche wurden 3,1004 Grammen, zu dem letztern zufällig
eine fast gleiche Menge 3,1028 Gr. genommen. Ich halte das
letztere Resultat für das genauere.
Die auf diese Weise erhaltene Kieselsäure hat also alle
Eigenschaften des Tridymits oder der Kieselsäure in der vom
Quarz verschiedenen Form, wie sie inzwischen von vom Rath
in den Drusen des Trachyts von Pachuca in Mexico entdeckt,')
und auch später von Sandberger in den Trachyten vom Mont
Dore und vom Siebengebirge aufgefunden ist. Vom Rath giebt
das speeifische Gewicht des natürlichen Tridymits nach 3 Ver-
suchen mit verschiedenen Mengen zu 2,316, 2,312 und 2,295
an; die beiden ersten Zahlen sind mit denen, die ich gefunden
fast übereinstimmend.
1) Vergl. die Monatsberichte der Akademie von 1868, S. 201 und
Poggendorffs Ann. von 1868, B. 135, 8. 437.
33*
452 Gesammtsitzung
Der von mir dargestellte Tridymit ist in Auflösungen von
Kalihydrat und kohlensaurem Natron nicht völlig unlöslich,
wie dies ja auch selbst der Quarz nach den Versuchen meines
Bruders nicht ist,') aber sie ist doch nur sehr schwer auflös-
lich. Ich habe den künstlich dargestellten, selbst schon als
feines Pulver erscheinenden Tridymit noch weiter im Achat-
mörser zerrieben, und eine Stunde mit einer concentrirten Auf-
lösung von kohlensaurem Natron gekocht, ohne dafs ich sah,
dafs sich die angewandte Menge merklich verminderte. Das
filtrirte kohlensaure Natron gab mit Chlorwasserstoffsäure gar
keinen Niederschlag; das entstandene Chlornatrium aber zur
Trocknifs abgedampft, liefs bei der Wiederauflösung in Wasser,
einen geringen Rückstand von Kieselsäure. Wenn daher vom
Rath angiebt, dafs der natürliche Tridymit in kohlensaurem
Natron vollkonmen auflöslich ist, so hat er offenbar nur kleine
Mengen feingeriebenen Tridymits mit vielem kohlensauren Na-
tron gekocht, was um so wahrscheinlicher ist, da der natür-
liche Tridymit bis jetzt nur in sehr geringer Menge vorge-
kommen ist; diese geringe Menge kann recht gut von dem
kohlensauren Natron aufgelöst sein, und der Tridymit auf
diese Weise auflöslicher erscheinen, als er in der That ist.
Ich habe nun statt des Adulars pulverförmige amorphe
Kieselsäure genommen, die aus kieselsaurem Natron durch
Zersetzung mit Chlorwassorstoffsäure dargestellt war, und ich
der Güte des Hrn. Rammelsberg verdanke. Es wurden wieder
3 Raumtheile geschmolzenen und zerriebenen Phosphorsalzes
mit einem Raumtheil Kieselsäure im Biscuittiegel dem Feuer
des Porzellanofens ausgesetzt; die Masse war wiederum gut
geschmolzen, und in ihr hatten sich wieder die Krystalle aus-
geschieden, die durch Auflösung in heifsem Wasser getrennt
wurden. Das erhaltene Pulver unter dem Mikroskop betrachtet
bestand aus noch gröfseren sechsseitigen Tafeln wie früher,
die auch häufig regelmälsig baumförmig oder auf eine Weise
gruppirt waren, die vielleicht der, die bei den natürlichen Kry-
stallen vorkommt, und worauf sich der dieser Kieselsäure von
!) Vergl. Poggendorfis Ann. von 1859, B. 108, S. 17.
vom 3. Juni 1869. 453
vom Rath gegebene Name bezieht, entspricht, was noch weiter
zu untersuchen ist.
Ich habe nun noch andere Auflösungsmittel für die Kie-
selsäure versucht; zuerst kohlensaures Natron. Da gleiche und
doppelte Gewichtsmengen von Kieselsäure mit geglühtem koh-
lensauren Natron im Platintiegel im Porzellanofen geschmolzen
wie ich fand, immer nur ein ganz klares Glas gaben, so wurde
nun ungefähr die dreifache Menge Kieselsäure 8,4580 Grammen
auf 2,9164 kohlensauren Natrons genommen. Ich erhielt wie-
der ein klares Glas, in welchem nun aber kleine etwas grau-
lichweilse schwach durchscheinende Kugeln porphyrartig ein-
gemengt waren; sie hingen gröfstentheils an der Oberfläche des
Glases, ragten hier aber nicht aus demselben hervor, sondern
waren an der ganz ebenen Oberfläche wie abgeschnitten. An-
dere im Innern waren ganz rund, wenn sie sich nicht berührt,
und dadurch in der Ausbildung gestört hatten. Im Bruch
sind sie dicht; kleine Bruchstücke unter dem Mikroskop er-
scheinen feinkörnig. Das Glas worin die Kugeln lagen, ist in
Chlorwasserstoffsäure unlöslich; mechanisch war es von ihnen
nicht völlig zu trennen; ich habe daher die Kugeln nur mög-
lichst vom Glase befreit, und sie mit dem nun noch anhängen-
den Glase, sowie auch dieses selbst gewogen. Ich fand so
das specifische Gewicht der Kugeln 2,373, das Gewicht des
Glases 2,591. Man kann hiernach wohl annehmen, dafs die
Kugeln Tridymit sind, und dafs das hohe specifische Gewicht
nur durch das anhängende Glas, welches schwerer als Ser Tri-
dymit, hervor gebracht ist.
Da ich schon früher gesehen hatte, dafs Wollastonit ge-
schmolzen, ein Glas giebt, so habe ich auch diesen als Schmelz-
mittel versucht. 4 Raumtheile des zerriebenen Wollastonits von
Perhenniemi in Finnland .wurden mit 1 Raumtheil amorpher
Kieselsäure gut gemengt, und im Biscuittiegel im Porzellan-
ofen geschmolzen. Es bildete sich ein grünliches Glas ganz
erfüllt mit grofsen mit blofsen Augen deutlich erkennbaren
tafelartigen Krystallen, die sich gruppweise radial verbunden
hatten, wie es schien ganz nach Art des natürlichen Tridymits.
Die sechsseitigen Tafeln stehen senkrecht zur Oberfläche des
Glases, doch liegen einzelne horizontal auf der Oberfläche zer-
454 Gesammtsitzung
streut. Sie erscheinen noch deutlicher in dünn geschliffenen
Platten unter dem Mikroskop, sind aber auch hier ungeachtet
ihrer Gröfse, ihrer Form nach nieht genauer zu bestimmen, da
sie von dem umgebenden Glase, das von Chlorwasserstoffsäure
nicht angegriffen wird, nicht getrennt werden können.') Des-
senungeachtet kann man wegen der Ähnlichkeit der Form nicht
zweifeln, dafs die Krystalle Tridymit sind, der Bio also auch
auf diese Weise gebildet hat.
Da die Titansäure sich bei der Schmelzung mit Borax
ganz anders verhält wie bei der Schmelzung mit Phosphorsalz,
und sich im erstern Falle beim Erkalten der geschmolzenen
Masse Krystalle von Titansäure in der Form des Rutils, im
letztern Falle in der Form des Anatases ausscheiden,?) so
schien es mir nöthig auch die Kieselsäure noch mit Borax
dem Feuer des Porzellanofens auszusetzen. Ich schmelzte da-
her Boraxglas zuerst mit der doppelten Menge Kieselsäure,
nämlich 4,4310 Grammen mit 8,2867 Gr. Kieselsäure, erhielt
aber auf diese Weise nur ein ganz klares wasserhelles Glas.)
Dasselbe wurde daher wieder fein zerrieben, und mit 5,0200
Grammen neuer Kieselsäure gemengt, so dafs also, wenn sich
bei der ersten Schmelzung von dem Borax nichts :verflüchtigt
hatte, 4,4310 Borax mit 13,3067 Kieselsäure geschmelzt wur-
den. Es entstand nun ein Glas, das voller kleiner Blasen ist,
1) Das Glas worin die Krystalle liegen ist. daher wahrscheinlich
kein neutrales Silicat mehr, wie der Wollastonit, doch ist zu bemerken,
dafs der im Porzellanofen zu Glas geschmolzene reine Wollastonit, wenn
auch fein zerrieben, von heifser Chlorwassersäure nur sehr wenig ange-
griffen wird, während doch der krystallisirte mit Leichtigkeit damit ge-
latinirt.
2) Vergl. die Monatsberichte der Akademie von 1867, S. 130 und
S. 450.
3) Die Kieselsäure verhält sich also gegen Borax ganz anders wie
die Thonerde. Um Krystalle von dieser zu erhalten, schmelzte Ebelmen
4 Theile zerriebenen Boraxglases mit 1 Theil Thonerde*) worauf sich
beim Erkalten sehr deutliche Krystalle in der Form des Corundes aus-
schieden. Bei früheren Versuchen hatte er weniger Borax genommen,
doch war dabei die Masse nicht zum völligen Flufs gekommen.
*) Vgl. Annales de chimie et de physique 1851, B. 33, S. 63.
vom 3. Juni 1869. 455
und deshalb etwas opalisirt; auf ihm hatte sich zum Theil
eine dünne schneeweilse Decke gebildet, die aus schmalen
Streifen besteht, welche wiederum aus fasrigen, horizontal lie-
senden Theilen zusammengesetzt ist, die auf den Rändern der
Streifen senkrecht stehen. Der äufsere Streifen ist dem Rande
der Decke parallel, die innern liegen unregelmäfsig. Das Glas
ist in Chlorwasserstoffsäure unlöslich oder wenigstens sehr
schwer löslich, doch konnte durch Kochen damit ein Theil
der Decke getrennt werden, wobei dieser in kleine Theile zer-
fiel. Unter dem Mikroskop betrachtet, zeigen sich nun die
Formen des Tridymits. Krystalle sind hier nicht einzeln zu
sehen, das was dem blofsen Auge als Fasern erscheint, be-
steht aus einer Gruppirung von Krystallen; aber diese Grup-
pirung und das was von der Form der einzelnen Krystalle zu
sehen ist, ist ganz dem ähnlich, was sich bei der Schmelzung
der Kieselsäure mit Phosphorsalz bildet, so dafs auch hier
nur Tridymit entstanden war.
Tridymit bildet sich aber nicht blofs iin Ausscheidung
aus einem Flufsmittel, sondern auch durch einfaches starkes
Glühen sowohl der amorphen wie auch der rhombo@drischen
Kieselsäure. Dies geht schon aus den Versuchen meines Bru-
ders bestimmt hervor. Mein Bruder hatte 1859 die merkwür-
dige Entdeckung gemacht, dafs der Quarz durch blofses star-
kes Glühen, ohne an absolutem Gewicht abzunehmen, sein
spec. Gew. bedeutend vermindere, während sich das des Opals
etwas vergrölsere.') Fein gepulverter Bergkrystall mit einem
specifischen Gewichte 2,651 dem Feuer des Porzellanofens aus-
gesetzt, sinterte zu einem Kuchen zusammen, der sich aber
leicht zerdrücken liefs; sein spec. Gew. war dadurch auf 2,394
und nach einem nochmaligen Erhitzen auf 2,329 gesunken.?)
Amorphe Kieselsäure, wie sie bei den Analysen der Silicate
gewonnen wird mit dem specifischen Gewichte 2,2 erhielt
durch das Brennen im Porzellanofen das höhere spec. Gew.
2,31l. Dieselbe durch Zersetzung von Fluorkieselgas ver-
1) Vergl. H. Rose über die verschiedenen Zustände der Kieselsäure
in Poggendorffs Ann. von 1859. B. 108, S.1.
Ana. OS. 7.
456 Gesammtsitzung
mittelst Wasser dargestellt, mit dem spec. Gew. 2,2 erhielt
durch anhaltendes Weifsglühen ein spec. Gew. 2,301 und dann
weiter dem Feuer des Porzellanofens ausgesetzt das spec. Gew.
2,291.') Infusorienerde aus der Lüneburger Haide mit Chlor-
wasserstoffsäure und Wasser gereinigt, von dem spec. Gew. 2,2,
im Feuer des Porzellanofens das spec. Gew. 2,303.) Da da-
mals der Tridymit noch nicht bekannt war, und man nur von
den beiden Zuständen der Kieselsäure, dem amorphen des Opals,
und dem krystallinischen des Quarzes, Kenntnifs hatte, so schlofs
mein Bruder aus seinen Versuchen, dafs durch blofses starkes
Glühen im Porzellanofen der gepulverte Bergkrystall sich in
amorphe Kieselsäure umändere, und das spec. Gew. der amor-
phen Kieselsäure bis zu 2,3 hinaufgehen könnte. Indessen ist
die im Porzellanofen geglühte amorphe Kieselsäure nicht mehr
amorph, und der geglühte Quarz noch krystallinisch, da beide,
eine Einwirkung auf das polarisirte Licht zeigen und bei ge-
kreuzten Nicols heller erscheinen als der verdunkelte Grund,
auch nach Beseitigung des Lichts durch reflectirende Flächen.
Beide sind ferner in kohlensaurem Natron nur sehr wenig auf-
löslich, und da auch das specifische Gewicht ganz. überein-
stimmend mit dem des Tridymits ist, so ist auch anzunehmen,
dafs alle diese Substanzen in der Hitze des Porzellanofens in
diesen Zustand übergegangen sind.?)
1) A. a. O©. S. 16.
2) A. a. 0. S. 14.
3) Feuerstein und Hyalith machen scheinbar eine Ausnahme, indem
ihr spec. Gew. nach dem Brennen nicht ganz das des Tridymits ist.
Feuerstein der Hitze des Porzellanofens ausgesetzt, wurde weils und
mürbe, so dafs er sich leicht im Mörser zerreiben liefs, und sein spec.
Gew. war dadurch bis auf 2,237 gesunken*) und beim Hyalith von
Waltsch in Böhmen mit einem spec. Gew. von 2,16 — 215 nach Graf
.Schaffgotsch (er enthält 3 Theile Wasser) stieg das spec. Gew. nur auf
2,20.) Indessen ist der Feuerstein wohl keine ganz reine Kieselsäure,
auch betrug sein spec. Gew. im ungeglühten Zustande nur 2,591, und
der Hyalith, der sich beim Glühen sehr aufbläht, bildete eine poröse
schwammige Masse mit glasartigen Stellen, war also nicht vollständig
verändert, und sein spec. Gew. deshalb und auch wohl wegen seiner
vom 3. Juni 1869. 457
Mein Bruder hatte auch die Veränderungen untersucht, die
der Quarz des Granits im Feuer des Porzellanofens erleidet.')
Ich hatte schon vor langer Zeit den Granitit von Warmbrunn
im Porzellanofen schmelzen lassen, und hatte dazu denselben
in kleine Stücke zerschlagen, und diese theils in einen Platin-
theils Kohlen- oder Biscuittiegel gethan. Es waren aber auf
diese Weise nur die Silicate des Granitites zu einem graulich-
schwarzen blasigen Glase geschmolzen; der Quarz war, in
seiner Form erhalten, und nur in seiner Beschaffenheit ver-
ändert, schneeweils und feinkörnig geworden, von dem Glase
wie früher von den übrigen Gemengtheilen umschlossen ge-
blieben. Mein Bruder hatte den so veränderten Quarz aus
dem Glase ausgesucht und sein specifisches Gewicht be-
stimmt; er fand es in Stücken gewogen 2,357, und zu
feinem Pulver zerrieben 2,3552. Auch diesen so veränderten
Quarz hielt mein Bruder für amorphe Kieselsäure; das hohe
specifische Gewicht zeigt, dafs es Tridymit sei. Ich habe von
dem im Porzellanofen geschmolzenen Granitit von Warmbrunn
ein dünnes Plättchen zur Untersuchung unter dem Mikroskop
schleifen lassen, und ebenso von einem im Porzellanofen ge-
schmolzenen eigentlichen Granit von Annaberg in Sachsen,?)
der im Feuer des Porzellanofens dieselben Veränderungen er-
litten hatte, nur war das Glas, wegen der fast völligen Abwe-
senheit des schwarzen Glimmers im Granit, nur lichte graulich-
weils geworden. Die Quarzstücke des geschmolzenen Granitits
und Granits erschienen unter dem Mikroskop nun eckig körnig,
und zeigten eine deutliche Einwirkung auf das polarisirte Licht.
In dem Glase des geschmolzenen Granits von Annaberg liegen
Porösität ungeachtet er als Pulver gewogen wurde, zu gering ausge-
fallen.
712.2.0.8.8.
AR! a. 0. 8 21:
!) Er ist durch die Abwesenheit des weifsen Glimmers ausge-
zeichnet, und enthält nur schwarzen Glimmer.
?) Der vorzugsweise weilsen Glimmer enthielt, und den ich der
freundlichen Theilnahme des Hrn. Dr. Elsner verdanke.
458 Gesammtsitzung
aber noch andere kleine 'nadelförmige wasserhelle Krystalle
theils einzeln zerstreut, theils sich um die Blasen des Glases
radial, zum Theil auch tangential verbreitend, "ohne aber in
dieselben hineinzuragen. Sie gleichen ganz den nadelförmigen
Krystallen, die in der Lava von Aphroessa bei Santorin in
grolser Menge eingewachsen sind und sich in den Dünn-
schliffen unter dem Mikroskop zeigen,') und von Zirkel auch
noch in vielen andern eruptiven Gesteinen beobachtet sind.
Man kann selten die Endigung der durchsichtigen Krystalle
deutlich erkennen, doch sieht man zuweilen hier eine Zuschär-
fung, und die Krystalle erscheinen so als langgezogene Sechs-
ecke. Da die sechsseitigen Tafeln von bestimmt hexagonalen
Krystallen wie z. B. von Eisenglanz und einaxigen Glimmer,
wenn sie eingewachsen vorkommen, sich oft zu langgezogenen
Krystallen ausdehnen,?) so konnte es wohl sein, dafs dies
auch hier der Fall wäre, und die Krystalle in dem geschmol-
zenen Granit von Annaberg wie in der Obsidian- oder Pech-
steinlava von Aphroessa Tridymit sind. Es wären diese dann
der Theil des Quarzes, der von dem Glase der Silicate auf-
gelöst und beim Erkalten wieder ausgeschieden wäre, während
der übrige unaufgelöst gebliebene Quarz nur mit Beibehaltung
der Form in Tridymit umgeändert ist.
Um zu bewirken, dafs der sämmtliche Quarz sich auflöse,
habe ich den Granitit von Warmbrunn zu einem ganz feinen
Pulver zerrieben, und ihn so im Biscuittiegel dem Feuer des
Porzellanofens ausgesetzt. Ich erhielt nun ‘ein schwarzes, an
den Kanten mit grünem Lichte durchscheinendes Glas, das
wenn auch noch voller Blasen, doch vollständig geschmolzen
war, und die gröfste Ähnlichkeit mit Obsidian hatte, der
ja auch nichts anderes als geschmolzener Trachyt, der Granit
der neuern Zeit ist. Der Quarz hatte sich vollständig aufge-
löst, aber die nadelförmigen Krystalle des geschmolzenen Gra
nits von Annaberg wie auch andere Ausscheidungen waren
‚auch in den Dünnschliffen unter dem Mikroskop nicht sichtbar.
1) Vergl. die Beschreibung und Zeichnung dieser Krystalle von
Zirkel in Leonhard’s und Geinitz Jahrbuch von 1866, S. 769.
2) Vergl. die Monatsberichte der Akademie von 1869, S. 345 u. 303.
vom 3. Juni 1869. 459
Sie hatten sich auch bei der ersten Schmelzung des Granitits
von Warmbrunn nicht gezeigt, und mit dem Granit von Anna-
berg habe ich die Versuche nicht wiederholt. Wenn nun
auch die ausgeschiedenen Krystalle in dem geschmolzenen
Granit von Annaberg Tridymitkrystalle sein sollten, so wäre
es doch nicht. unmöglich, dafs sich auf diese Weise unter Um-
ständen auch Quarzkrystalle bilden, denn sie finden sich, wenn
auch nur sparsam in dem Pechstein von Meissen, dem Perl-
stein von Tokey und zuweilen auch in dem Obsidian. In dem
Berliner mineralogischen Museum befindet sich ein solcher von
Humboldt gesammelter Obsidian von Zimapan in Mexico, in
dem Krystalle von glasigem Feldspath, Oligoklas und Quarz, und
letzterer in deutlichen Hexagondodeca@dern und in nicht unbe-
deutender Menge eingeschlossen sind, und ein anderer Obsidian,
angeblich aus Telkobanya in Ungarn, mit fast zollgrofsen
deutlich fasrigen Sphärulithkugeln ganz erfüllt, der kleine Dru-
sen von deutlichen durchsichtigen Quarzkrystallen enthält.
Die Umänderung in Tridymit erleidet der Quarz doch
nur wenn er gepulvert, oder wie beim Schmelzen des Granits
in kleinen Stücken angewandt wird. Grofse durchsichtige
Quarzkrystalle erleiden diese Veränderung unter denselben Um-
ständen nicht. Mein Bruder hatte einen wasserhellen Berg-
krystall dem Feuer des Porzellanofens ausgesetzt;') Form,
Durehsichtigkeit und spec. Gew., das vor dem Brennen 2,651
und nach demselben 2,650 gefunden wurde, waren gleich ge-
blieben, die ganze Veränderung, die wahrgenommen werden
konnte, bestand nur in einigen Sprüngen, die er erhalten hatte.
Kleinere Krystalle von derselben Druse, die nach unten zu,
wo sie aufgesessen hatten, nur durchscheinend waren, hatten
auch am obern Ende nur einzelne Sprünge erhalten, am untern
Ende waren sie undurchsichtiger, weils und sprüngiger gewor-
den, so dafs sie sich mit dem Finger leicht zerbröckeln liefsen;
sie waren: hier auch schon etwas in ihrer Beschaffenheit ver-
ändert worden, was das spec. Gew. anzeigte, welches nachdem
die zerbröckelten Stücke fein zerrieben waren, nur zu 2,613 ge-
funden wurde. Mein Bruder erklärt dies Verhalten durch die
) Ara. 0.8.6.
460 Gesammtsitzung
vielen Sprünge, die bei den aufgewachsenen Krystallen am un-
tern Ende vorkommen, und die Ursache ihrer Undurchsichtigkeit
an diesen Theilen wären, indem sie die Einwirkung der Hitze er-
leichterten, welche durch das Pulvern des Krystalls noch ver-
mehrt würde. Es ist indessen merkwürdig, wie verschieden
die verschiedenen Abänderungen des Quarzes sich in der Hitze
verhalten. Während kleine durchsichtige Quarzkrystalle von
Marmorosch im Platintiegel über eine Gasflamme 4 Stunde er-
hitzt, sich gar nicht verändern, wird ein klarer durchsichtiger
Quarzkrystall, wie -er auf Chalcedon aufsitzend, in den Höh-
lungen der Mandelsteine von Island vorkommt, und ein ebenso
vorkommender Amethyst aus Brasilien ganz schneeweifs, der
erstere durch und durch, der letztere nur auf der Oberfläche
und im Innern milchweifs. Ein grofser klarer Bergkrystall
mit noch etwas ansitzender Quarzmasse der Unterlage von
Jerischau in Schlesien, erlitt im Porzellanofen nur die Verän-
derungen, wie sie mein Bruder beschrieben hat; ein ganz klares
Bruchstück von einem grölsern Krystall aus der Schweiz blieb
ganz durchsichtig, und erhielt nur unbedeutende Sprünge, wäh-
rend ein Bruchstück eines grofsen Krystails von Amethyst
aus Brasilien, oder von dem Amethyst wie er auf stängligem
Quarz aufgewachsen in Wiesenbad bei Annaberg in Sachsen
vorkommt, oder durchsichtige Quarzkrystalle auf einer dicken
Lage von Chalcedon aus Island durch und durch schneeweils,
rissig, und in Tridymit umgewandelt werden. Bei dem Berg-
krystalle aus der Schweiz kann man aber deutlich sehen, wie
die Umänderung in Tridymit vor sich geht. Auf manchen
Sprüngen, die der durchsichtige Krystall erhalten hatte, kann
man beobachten, dafs sich schon deutliche Täfelchen von Tri-
dymit gebildet haben, die schon mit blofsen Augen zu er-
kennen sind. Auch im Innern sind aufser den grölsern, längere
Strecken durchsetzenden Sprüngen ganz kleine entstanden, bei
denen man zweifelhaft wird, ob es wirklich Sprünge oder
nicht ganz dünne Täfelchen von entstandenem Tridymit sind;
sie spielen Farben, was von Sprüngen wie von dünnen Kry-
stallen herrühren kann, zuweilen sieht man aber unter diesen
feine weilse Ringe, die wie eine anfangende Bildung von Tri-
dymit erscheinen. Wie dem auch sein mag, so entstehen immer
vom 3. Juni 1869. 461
erst vor der Bildung des Tridymits im Quarz Spalten, auf
_ denen nun der speeifisch leichtere Tridymit Raum erhält sich
zu bilden. Die leichte Umwandlung des Amethystes und des
' Quarzes auf Chalcedon in den Blasenräumen des Mandelsteines
erklärt sich nun auch dadurch, dafs dies sämmtlich Zwillings-
Krystalle sind, die aus Lagen von rechten und linken Kıy-
stallen bestehen, wodurch also wohl schneller Sprünge im
Innern entstehen, und so auch schneller Tridymit gebildet
werden kann. Dies Schneeweifswerden der durchsichtigen
Quarzkrystalle aus dem Mandelstein beim Glühen erfolgt aber
so sicher, dafs man dadurch leicht diese Quarzkrystalle von
den übrigen durchsichtigen Quarzkrystallen unterscheiden kann.
Aus dem Angeführten ergiebt sich, dafs die Darstellung
der Kieselsäure in ihren drei heteromorphen Zuständen, als
Quarz, Tridymit und Opal auf trocknem Wege bis jetzt nur
bei den beiden letztern gelungen ist; bei dem Opal durch Schmel-
zung der Kieselsäure, bei dem Tridymit durch blofse Glühung
derselben, oder durch Ausscheidung derselben aus einem Flufs-
mittel bei seiner Erkaltung. Ob nun der Quarz, der specifisch
schwerste, bei noch geringerer Temperatur oder durch viel
langsamere Erkaltung eines Flufsmittels sich darstellen läfst,
mufs weiteren Versuchen vorbehalten bleiben. Aber anzuneh-
men, dafs weil er bisher auf trocknem Wege nicht dargestellt
ist, er sich auf diese Weise nicht darstellen lasse, wäre doch
ein übereilter Schlufs.
Nachtrag: Über das Vorkommen des Tridymits in
der Natur.
Der Tridymit scheint häufiger in der Natur verbreitet zu
sein, als nach den bisherigen Erfahrungen angenommen werden
kann. Er findet sich nicht blofs in vulkanischen Gebirgsarten,
sondern auch in Mineralien, die auf nassem Wege gebildet
sind. Der Opal verschiedener Gegenden ist mit mikroskopi-
schen Krystallen von Tridymit oft ganz erfüllt; so der Opal
von Kosemütz in Schlesien, der in Gängen in verwitterten
Serpentin vorkommt, der Opal (Kacholong), der in geraden
Lagen mit Chalcedon wechselt aus Island, Hüttenberg in Kärn-
462 Gesammtsitzung
then, Kaschau in Ungarn und ferner der Opal von Zimapan in
Mexico. An den erstern Fundorten erscheint er in rundlichen
tafelartigen Krystallen, an dem letztern in kleinen sechsseitigen
Prismen mit geraden Endflächen, die sehr hübsch ausgebildet
sind, aber hohl oder mit Opalmasse ausgefüllt zu sein scheinen.
Der Opal verliert durch diese Einmengung mehr oder weniger
von seiner Durchsichtigkeit, der von Mexico ist ganz schnee-
weils und nur an den Kanten durchscheinend, enthält aber
ganz durchsichtige wasserhelle Stellen, die frei von einge-
mengten Krystallen sind und merkwürdiger Weise an den
schneeweilsen scharf abschneiden. Bei der Auflösung des
Opals in Kalihydrat bleiben die eingemengten Krystalle zu-
rück. Einen soleben Rückstand von Kieselsäure bei der Be-
handlung des Opals mit Kalilauge haben schon Fuchs, Ram-
melsberg') und andere gefunden und man hat daraus geschlossen,
dafs dem Opale Quarz beigemengt sei, die Untersuchung unter
dem Mikroskop zeigt, dafs dieser Rückstand Tridymit sei.
Hr. du Bois-Reymond legte folgende Mittheilung des
Hrn. Dr. Liebreich über das Verhalten des Chlorals und
der Trichloressigsäure im thierischen Organismus vor.
Bei den fortgesetzten Studien über die Substanzen, aus
welchen das Gehirn und die Nerven bestehen, wurde ich dazu
geführt, die Frage über die Umsetzung der einzelnen Stoffe im
Organismus in die Hand zu nehmen. Ich habe zu diesem
Zwecke das Neurin zu oxydiren versucht und bin zu dem salz-
sauren Salz einer neuen Base, dem Oxyneurin C,H,, 0, N, HCl,
gelangt. Dasselbe Salz kann man durch Einwirkung von Tri-
methylamin auf Monochloressigsäure darstellen. Diese Reac-
tion ist analog der von Hrn. Hofmann in den Proceedings
of the Royal Society vol. XI. p. 529 veröffentlichten, durch
welche das salzsaure Salz 0, H,, O, N, HCl dargestellt wurde.
1) Vergl. Poggendorff’s Ann. 1861, B. 112, S. 185 und 190.
vom 3. Juni 1869. 463
Der Darstellung des Oxyneurin im Harn zum gesicherten che-
mischen Nachweise haben sich bis jetzt erhebliche Schwierig-
keiten in den Weg gelegt. Es wird jedoch wahrscheinlich
gelingen, da wo sich Protagon in andern zelligen Gebilden
findet, den Nachweis jener Oxydation zu führen.
Diese Frage schien mir im Zusammenhange zu stehen mit
der Umsetzung der in den Organismus eingeführten chemi-
schen Körper überhaupt. Man kann jedoch in die grofse
Zahl der chemischen Körper nicht nach Belieben hinein greifen.
Die Reichhaltigkeit derselben allein würde die Untersuchung
zur Unmöglichkeit machen. Benutzt man die homologen Reihen
der Chemiker, so zeigt sich, dafs hier kein Zusammenhang in
der Umsetzung sich erkennen läfst. Ich habe daher versucht
von einer andern Seite her die Frage in Angriff zu nehmen.
Wenn man die toxische Wirkung eines Körpers kennt
und weils, dafs dieser Körper als Spaltungsproduct eines
andern Körpers auftritt, so dürfte man schliefsen, wenn man
die Wirkungen des Spaltungsproductes im Organismus erhält,
dafs sich dasselbe gebildet hat.
- Die Wirkung des Chloroform liefert hiezu einen Anhalt, zu-
mal dasselbe als Spaltungsproduct des Chlorals und der Tri-
chloressigsäure auftritt. Ich wendete deshalb beide Substanzen
bei Thieren an. |
0,1 Chloralhydrat kann in wässriger Lösung einem jungen
Kaninchen unter die Haut gebracht werden. Nach 10 Mi-
nuten tritt tiefer Schlaf und später Anästhesie ein. Der Schlaf
dauert 9 Stunden. Dieselben Erscheinungen zeigen sich bei
Menschen, denen eine grölsere Dose innerlich gegeben wurde.
Die Wirkung der dabei auftretenden Ameisensäure und die
anfängliche Wirkung des Chlorals als Aldehyd, kann der klei-
nen Dose wegen nicht zur Geltung kommen.
Ob das Chloroform weiter zu Kohlensäure und Salzsäure
oxydirt wird, läfst sich nicht direet nachweisen, da die Quan-
titäten des sich bildenden Chloroforms zu gering sind, um im
Harn eine Chlorvermehrung, die einen entscheidenden Schlufs
gestatten würde, anzuzeigen. Diese Frage läfst sich jedoch
am Jodoform mit Sicherheit entscheiden. Reines Jodoform,
das mit Stärke keine Jod-Reaction zeigte, wurde bei Thieren
464 Gesammtsitzung vom 3. Juni 1869.
eingeführt, und vor Verlauf einer Stunde liefs sich im Harn
freies Jod nachweisen.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
N.v. Kokscharow, Materialien zur Mineralogie Rufslands. 5. Bd.
St. Petersburg 1869. 8.
Schriften der Universität zu Kiel aus dem Jahre 1868. 15. Band.
Kiel 1869. 4. mei |
Sitzungsberichte der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften
in Prag. Jahrgang 1868. Prag 1869. 8.
Abhandlungen der königl. böhmischen Gesellschaft der Wisssnschaften
vom Jahre 1868. 6. Folge. 2. Bd. Prag 1869. 4.
Bulletin de la societe de geographie Paris, Mars-Avril 1869. 8.
Ch. Schoebel, Demonstration de l’authenticite mosaique du Levitique
et des Nombres. Paris 1869. 8.
G. E. Ellis, Memoir of Jared Sparks, LL. D. Cambridge (U. S.)
1869. 4.
Fragmenta Aristotelis. Üollegit disposuit iülustravit Aemilius Heitz.
Parisiis 1869. 8.
F. Unger, La sumergida isla de Atlantis. Traducido por G. A. Ernst.
Caracas 1867. 8.
Avelado, Öbservaciones meteorologicas en Caracas, anno de 1868.
(Caracas 1869). 8.
Die Akademie empfing durch Hrn. Braun von Dr. Jos.
Dalt. Hooker, Director des K. Gartens in Kew, das Bildnifs
seines verstorbenen Vaters Sir William Hooker.
Die" Akademie wählte Hin. Fer, Rene me
ihrem correspondirenden Mitglied in der phys.-math. Klasse,
Gesammtsitzung vom 10. Juni 1869. 465
7. Juni. Sitzung der philosophisch-histori-
| schen Klasse.
Hr. Weber las über das saptacatakam des Hdla.
10. Jun. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Curtius las über den religiösen Charakter
der griechischen Münzen.
Man hat die Münzen lange genug als Quellen der Religions-
geschichte und Kunstmythologie benutzt; worauf aber der reli-
eiöse Charakter der Münzen beruhe und welches überhaupt ihr
Verhältnifs zum Cultus sei, darüber hat man noch keine Unter-
suchung angestellt, auch die Frage noch nicht erwogen, welche
sich doch sofort aufdrängt, wenn man über diesen Gegenstand
nachdenkt, ob nämlich das Symbol der Gottheit als Stadtwappen
‚ und von Staatswegen auf die Münze gesetzt worden sei, oder
ob dieselbe in einem näheren und unmittelbaren Verhältnisse
zu dem Cultus stehe, von welchem das Symbol entlehnt ist.
Der Erstere entspricht der gewöhnlichen Ansicht; indessen
führen mancherlei Erwägungen zu einer abweichenden Auf-
fassung.
Die Gottheiten, deren Zeichen zu Münzbildern dienten,
) waren nicht immer die eigentlichen Stadt- und Staatsgottheiten.
" Wer kann z. B. der Aphrodite eine solche Bedeutung für Argos,
das Herrschaftsgebiet Pheidons, zuschreiben? Wir werden
vielmehr annehmen müssen, dafs ebenso wie Aigina als erster
Handelsplatz von Mittelgriechenland zur Münzstätte von Argolis
gemacht worden ist, so auch die dortige Aphrodite in ihrer
Eigenschaft als völkerverbindende Handelsgöttin Münzgöttin
wurde. Dann wird also die Benutzung ihres Symbols zum
Münzwappen nicht blofs eine gelegentliche und durch den Staat
vermittelte sein, sondern wir werden bei ihr die Initiative, in
ihrem Heiligthum den Keim des europäisch-griechischen Münz-
wesens zu suchen haben. |
[1869.] 34
466 Gesammtsitzung
Aphrodite Urania ist durch Böckhs Forschungen in den
Mittelpunkt der alten Culturgeschichte getreten. Ihr Heilig-
thum bildete den Kern aller sidonischen Faktoreien, und des-
halb finden wir ihren Dienst an allen zum Seeverkehre ge-
eigneten Gestaden des Archipelagus. Alle von den Ansiedlern
betriebenen Geschäfte standen unter ihrem Schutze, Handel und
Industrie, wie Fischerei und Bergbau. Durch sie sind die Edel-
metalle mit den in Babel geordneten Werth- und Gewichts-
bestimmungen nach Griechenland gekommen; ihre Priester
haben das Metall als Werthmesser eingeführt, denn bei ihrem
vorzugsweise überseeischen Verkehre mulste sich der Tausch-
handel, wie er sonst im Lande herrschte, am frühesten unge-
nügend erweiseu. Sie haben zuerst Vorräthe von edlem Metalle
gesammelt und die zum Tempelschatze gehörigen Metallstücke
mit dem Symbole der Gottheit gezeichnet, wie man in den
Apollotempeln das zum heiligen Inventar gehörige Geräth mit
dem Zeichen der Leier merkte'). Die abgewogenen und ge-
stempelten Metallstücke sind dann zur Förderung eines den
Priesterschaften gewinnreichen Verkehrs in Umlauf gesetzt
worden und so hat man sich neben dem Handel durch Tausch-
objekte und dem Barrenverkehre die Anfänge des Geldverkehrs
zu denken. |
Ich versuche diese Ansicht näher zu begründen, indem ich
auf das Verhältnils der Tempel zum Nationalwohlstande, auf
das Bedürfnis, welches in den Tempeln nach geprägten Metall-
werthen eintreten mufste, und endlich auf die Thatsachen auf-
merksam mache, aus denen man die Existenz einer Tempel-
münze folgern muls.
Die Götter waren die ersten Capitalisten in Griechenland,
ihre Tempel die ältesten Geldinstitute. Die durch regelmäfsige
Einkünfte, durch Weihungen und Vermächtnisse gebildeten
Tempelschätze standen unter Obhut der Priester, welche mit
überlegner Weltkenninifs dieselben auf alle Art zu mehren wuls-
ten. Sie benutzten die Heiligkeit der Tempelörter, um in Zeiten
1) Marmorschalen mit dem Symbole der Leier im knidischen Heilig-
thum des pythischen Apollo von Newton gefunden. Vgl. Gött. Gel.
Anz. 1864 S. 380.
vom 10. Juni 1869. 467
allgemeiner Unsicherheit werthvolle Deposita anzunehmen; sie
machten Vorschüsse an Gemeinden und Private, sie betheiligten
sich an gewinnbringenden Unternehmungen; von ihrer Unter-
stützung war die Möglichkeit überseeischer Ansiedelungen oder
auch einer nachdrücklichen Kriegführung abhängig, wie Letz-
teres noch zu Anfang des peloponesischen Kriegs die Ko-
rinther den Spartanern vorstellten. Wenn wir so ohne jede
Concurrenz die finanziellen Kräfte des Landes und die Macht
gefüllter Kassen in den Tempeln concentrirt sehen, so wird es
schon dadurch sehr wahrscheinlich, dafs alle wesentlichen Fort-
schritte in Verwerthung des Edelmetalls und Ausbildung des
Geldverkehrs von diesen Kreisen ausgegangen ist.
Neben diesen grofsen Geschäftsverbindungen, durch welche
die Tempel den Charakter von Bankinstituten erhielten, bestand
‚aber in vielen Heiligthümern ein Kleinhandel, welcher durchaus
dahin führen mufste, dafs man nicht bei Tausch und Barren-
verkehr stehen bleiben konnte, sondern zur Herstellung gepräg-
ter Metallwerthe übergehen mufste. So wissen wir von den
ansehnlichen Aphroditeheiligthümern, dafs dort ein fortwähren-
der Bazar bestand; in Paphos z. B. wurden geweihte Bildchen
der Göttin feil geboten, und die Schiffer stiegen vom Hafen
herauf, um sich davon einzukaufen '),. Wir kennen jetzt diese
Statuetten aus gelblichem Kalksteine, die in unzähliger Menge
aus dem Boden von Cypern zum Vorscheine gekommen sind.
Ein anderes Objekt des priesterlichen Kleinhandels bildeten ohne
Zweifel auch in sehr früher Zeit die zum Opfer gehörigen Dinge.
Es war den Pilgern bequem, dieselben an Ort und Stelle und
zwar in untadliger Beschaffenheit vorzufinden. Daher die Wal-
dungen und Weiden bei den gröfseren Tempeln und der reiche
Ertrag, welchen z. B. die Priesterschaft der Hera in Lakinion
von den heiligen Heerden im Tempelbezirke hatte?).
Zu diesem Geschäftsbetriebe, welcher ja auch mit den In-
teressen des Cultus auf das Nächste zusammenhing, kommen
andere im Cultus begründete Gebräuche, welche zur Geld-
prägung führen mufsten. So gehörte zum Dienste der Babylo-
1) Athen. 676.
2) Liv. 24, 3.
34°
468 Gesammtsitzung
nischen Mylitta die Prostitution der einheimischen Mädchen.
Vor dem Tempel sitzend, mufsten sie den Fremdlingen folgen,
welche ihnen Geldstücke in den Schoofs warfen. Das Geld
war heilig und kam in die Tempelkasse').
Dieser Cultus hat sich aber auf verschiedenen Wegen und
und in verschiedenen Formen den Wohnsitzen der Griechen ge-
nähert; als Dienst der Aphrodite-Mylitta ist er über Syrien in
Cypern eingedrungen; in Kappadocien und Pontus finden wir mit
denselben Gebräuchen die Anaitis. Mag nun die Hingabe an
die Fremden als eine religiöse Pflicht von Seiten der Landes-
töchter gefordert oder mag für diesen Brauch durch Tempel:
mägde gesorgt werden, immer verlangte der Cultus, dafs den
zuströmenden Pilgern die Möglichkeit gegeben werde, durch
kleine Werthstücke ihren Tribut an die Gottheit zu entrichten.
Es kamen aber auch aufserdem noch viele andere Arten von
Baarzahlungen vor, welche von Seiten der Pilger an die Tem-
pelkassen geleistet werden mulsten, sei es für Herberge und
leibliche Pflege oder für Rath und Weissagung. Bei dem Her-
mes in Pharai legte Jeder, der ein Orakel von ihm haben wollte,
rechts vom Bilde eine bestimmte einheimische Erzmünze auf
den Altar’).
Dazu kam ein Drittes, das sind die Wettkämpfe, welche
an den Tempelfesten zu Ehren der Tempelgottheit ausgeführt
wurden. Agone einzurichten, zu leiten und fortzubilden war
eine priesterliche Kunst und die Kosten der Agone wurden ur-
sprünglich alle aus der Tempelkasse bestritten, welche zu diesem
Zwecke auch über die Zinsen besonderer Vermächtnisse zu ver-
fügen hatte, wie z.B. die des Dionysosheiligthums in Korkyra
laut der uns erhaltenen Schenkungsurkunde’). Bei solchen
Gelegenheiten wurden auch Preise in Geld gegeben, und dafs
dazu eigene Münzen geprägt wurden, bezeugt u. A. die in mehr-
facher Beziehung merkwürdige Doppeldrachme von Metapont
mit der Inschrift ’AyeaAwov a9rov. Es war also eine Preis-
münze, welche gewissermalsen Acheloos selbst, zu dessen Ehren
13: Herod.’1;.199.
2) Pausan. 7, 22.
3) C. 1. Gr. n. 1845 Böckh Staatsh. d. Ath. I, S. 419.
vom 10. Juni 1869. 469
die Festspiele gefeiert wurden, austheilte'). Die terinäischen
Didrachmen, auf deren Rückseite NIKA neben der den Lorber-
kranz haltenden Stadtgöttin steht, werden wohl ähnlich aufzu-
fassen sein.
Hierher gehört eine grolse Reihe von Münzen, auf welchen
sich Embleme, Figuren und Inschriften finden, welche unver-
kennbare Beziehung auf öffentliche Feste enthalten, Binden,
Amphoren, Palmzweige, Epheuranken (auf Münzen von Phlius
an das Fest der zısroronc: erinnernd ?), bekränzte Opferstiere,
kranzhaltende Figuren, die im Namen der Gottheit zur Preis-
bewerbung auffordern oder dem Sieger entgegenschweben, wie
auf Münzen von Side, Perge, u. s. w., die Dreifülse als Neben-
stempel auf messenischen Münzen, welche an diejenigen Drei-
fülse erinnern, die von den Siegern in Ithome geweiht wurden.
Endlich die vielen Legenden, welche die Beziehung der
Münzen zu bestimmten Festen ausdrücken, wie ’EAssFeg« in
Kyzikos, "OgrıyoS7sa in Tarsos, HvSıc, vom Lorber eingefalst,
auf delphischen Münzen’). Es sind Gelegenheitsmünzen,
meist aus Kupfer geschlagen, zum Gedächtnisse solenn began-
gener Festlichkeiten, deren Hergang zuweilen in bildlicher
Darstellung veranschaulicht wird, wie auf dem Quinar von
Laodikeia, wo der Tempelhof, mit Bändern geschmückt, sicht-
bar ist und vor dem Tempel der einem Bürger den Kranz
reichende Kaiser *). Die Münze ist von dem Inhaber der höch-
sten priesterlichen Würde in Asien zum Andenken an die unter
seiner Leitung begangenen Festlichkeiten geprägt, ein laut In-
schrift von ihm gestiftetes Weihgeschenk (avs$y7zev), aber kein
im Tempelraum ruhendes, wie etwa einzelne Münzen nachträg-
lich mit eingeritzter Inschrift HAPON TO AMON u. a.°) einer
Gottheit dedieirt wurden, sondern ein im Volke von Hand zu
!) Millingen Ancient coins p. 12. O. Jahn in Gerhards Arch. Ztg.
1862 S. 321.
2) Leake Num. Hell. Eur. p. 92.
3) Millingen Ance. coins p. 71. Stark Mythol. Parnell. S. 41. Duc
de Luynes Et. Num. p. 100. Millingen Recueil p. 44.
4) Pinder Verz. der Münzen n. 379.
>) Didrachmen von Kroton. Bei Mionnet Suppl. 1, T. IX, 23.
470 Gesammtsitzung
Hand gehendes und zu diesem Zwecke geschaffenes Denkzeichen,
und es leidet wohl keinen Zweifel, dafs man solche Erinnerungs-
münzen unter das Volk vertheilte, wenn bei grofsen Festlich-
keiten der Reichthum der Tempelgottheit zur Schau gestellt
wurde. Eine Erinnerung daran finde ich in dem byzantinischen
Gebrauche, dafs der Kaiser auf der Schwelle der Kirchthüre sich
vom Kirchenvorstande die Münzen geben liefs, welche er unter das
Volk vertheilte!). Auch im Alterthum war die Tempelschwelle
der Platz der Auszahlungen, welche von Seiten der Tempel-
behörden erfolgten’). In die Kategorie der Festmünzen wird
ein grofser Theil des Kupfergeldes gehören, welches laut Um-
schrift unter Autorität eines Ay epeus, iegeus, orecbevndogos oder
anderer geistlicher Ämter geprägt worden ist?).
Endiich haben wir auch Münzen, welche nicht blofs an-
deutungsweise, sondern durch ausdrücklichen Wortlaut als solche
bezeichnet werden, welche aus einem Tempel hervorgegangen
sind. Hierher gehört vor Allem die milesische Münze 5 2%
Arduman icon *).
Nachdem wir also den Münzbedarf, welcher in den Heilig-
thümern eintreten mufste und die vielfachen Beziehungen zwi-
schen Münze und Tempeldienst erkannt haben, läfst sich nun
die Thatsache, dafs griechische Tempelbehörden aus ihrem Schatze
Münzen ausgegeben haben, auch durch urkundliche Beweise
aulser Zweifel stellen.
Dies kann aber keine vereinzelte Thatsache gewesen sein,
denn sonst würden sich unzweifelhaft Spuren eines Unterschie-
des zwischen staatlichen und heiligen Münzen nachweisen lassen.
Statt dessen haben sich aller Verschiedenheiten des Stils un-
geachtet durch alle Zeiten die speciellsten Beziehungen zwischen
Tempeldienst und Münzbild erhalten, und im Allgemeinen er-
scheint bei der unabsehlichen Mannichfaltigkeit örtlicher Präg-
sitte der religiöse Charakter als das Durchgehende und Ge-
. meinsame. Daher auch die Verbindung der städtischen Münzen
1) Constant, Porph. de cerem. 1, p. 18; ce. 23, p. 135 ed. Bonn.
Vgl. Henri de Longperier in Revue Archeol. 1869 p. 162.
2) Gött. Nachrichten 1864 S. 144.
®) Mionnet Tables geuerales. Magistrats locaux. Pretres p. 88.
*) Millingen Sylloge p. 71. }
vom 10. Juni 1869. 471
mit Heiligthümern. Die Argiver weihen ihr Stangengeld im
Heraion und prägen das neue Geld im Heiligthum der Aphro-
dite. In Athen ist Theseus oberster Münzherr und Rom hat
sich gewifs einer constanten Tradition angeschlossen, als es die
hellenische Münze bei sich in einem Tempel eröffnete.
Alles hellenische Geld ist sakral, das Münzfeld heiliger
Boden, einem Tempelhause gleich, welches ohne schwere Ver-
sündigung von keinem Sterblichen bewohnt werden darf, und
nirgends trat der Unterschied zwischen Hellenen- und Barbaren-
sitte handgreiflicher zu Tage, als wenn man auf ausländischem
Gelde die Gestalten des Grofskönigs und seiner Satrapen er-
blickte, während bei den Hellenen auch die eigenwilligsten
Tyrannen es nicht wagten, sich mit ihrer Person vorzudrängen,
und nachdem man schon einem Lysandros Päane gesungen
hatte, mulsten auf den Alexandermünzen noch die persönlichen
Beziehungen in der Weise eingeschwärzt werden, dafs man den
göttlichen Ahnen des Geschlechts ein Profil gab, welches dem
des regierenden Enkels ähnlich sah; und ebenso die Ruhm-
begier der meisterhaftesten Stempelschneider, wie hielt sie sich
auf dem heiligen Boden zurück! Erst als Göttliches und
Menschliches so vermischt wurden, dafs übermüthige Kriegs-
herrn in das Haus der Parthenos einzogen, ward auch das
Münzfeld durch Menschenbilder entweiht.
Der religiöse Charakter der alten Münzen ist eine allge-
mein bekannte, und, wenn auch immer wieder Versuche gemacht
werden, die Münztypen als profane rebus anzusehen und als will-
kürliche Anspielungen auf diese oder jene Stadtmerkwürdigkeit
zu deuten, eine im Prinzip allgemein anerkannte Thatsache.
Erklärt ist sie aber noch nicht, obwohl sie doch garwohl einer
Erklärung bedarf, denn nach gewöhnlicher Ansicht giebt es doch
nichts Profaneres als das Geld. Die didymäische Drachme
weist uns auf die richtige Lösung. Denn da wir im öffentlichen
Leben der Griechen, sowie es in den Bereich der Geschichte
eintritt, aller Orten einen Rückgang priesterlicher Macht wahr-
nehmen, von deren ursprünglichem Umfange nur einzelne Spuren
erkennbar sind, so werden wir auch in der heiligen Branchiden-
münze nur einen Überrest der alten Münzgerechtigkeit der
griechischen Heiligthümer erkennen, und da doch entweder
472 Gesammtsüzung
vom Staate oder von den Priestern der Anfang der Münzprä-
gung ausgegangen sein muls, zu der Ansicht kommen, dafs alle
hellenische Münze einmal eine heilige, alles Geld Tempelgeld
gewesen sei, dafs also, wie Mafs und Gewicht, Zeiteintheilung
und Kalender, so auch das Münzwesen von den Priesterschaften
ausgegangen und erst später in die Hände des Staats über-
gegangen sei.
Es fragt sich, ob diese Vorgänge, über welche keinerlei
Überlieferung vorliegt, sich durch Analogieen und Vereinigung
zerstreuter Thatsachen unter gemeinsame Gesichtspunkte noch
etwas klarer machen lassen.
Zunächst ist hier zu berücksichtigen, dafs zwischen reli-
giösen und politischen Einrichtungen im Alterthume nicht der
Gegensatz bestand, wie er uns geläufig ist; denn die Vereini-
gungen, aus welchen Staaten und Nationen erwachsen sind,
die ältesten Verbände (susrzuere, zow«) ruhen ja durchweg auf
religiöser Grundlage, wie sich das dort am deutlichsten zeigt,
wo Verbände dieser Art, ohne durch neuere Staatsbildung ver-
drängt zu sein, sich ausnahmsweise in alter Form erhalten
haben. Ich erinnere an das susryu« Xouscogewv — da bildete
der Dienst des Zeus Chrysaoreus den einzigen Mittelpunkt; von
ihm stammt der Name der Gaugenossen, ebenso wie die Lykier
in dem gemeinsamen Apollodienste sich als Gesanımtheit fühlen
lernten und von ihm ihren Namen hatten. In diesen Gauver-
bänden sind schon dieV orbedingungen des Münzwesens zu suchen;
denn man kaun sich dieselben nicht denken ohne Tempel-
schatz und ohne Vereinbarung über die für gemeinsame Zwecke
zu übernehmenden Leistungen und über Tempelbufsen. Aber
auch in der Zeit des ausgebildeten Münzwesens gab es Land-
schaften, welche keine andere Einheit hatten als eine gottes-
dienstliche, und wo es das Interesse der Priesterschaft war,
diese Einheit zu pflegen und zum Ausdruck zu bringen, und
zwar nicht blofs durch gemeinsame Jahres- und Festordnung,
‘sondern auch durch eine Landesmünze, welche aus dem Tempel-
schatze geprägt wurde und der Tempelgottheit Symbol an
sich trug.
Das deutlichste Beispiel ist die altarkadische Landesmünze
mit dem Bilde des Zeus Lykaios und der Umschrift “Arkadi-
vom 10. Juni 1869. 473
kon’, welche nur von der Behörde ausgegangen sein kann, die
den Schatz des auf dem arkadischen Olympos waltenden Landes-
horts hütete und zu seiner Ehre Festspiele mit Werthpreisen
veranstaltete!). Hier haben wir nachweislich eine Münze ohne
Staat, eine heilige Münze, wenn sie auch nicht, wie die mile-
sische, mit dieser Bezeichnung versehen war, ein Tempelgeld,
und dies Beispiel wird nicht allein gestanden haben, wenn sich
auch in andern Landschaften, Thessalien, Elis u. A., nicht mit
gleicher Sicherheit nachweisen läfst, dals keine weltliche Macht
als Träger der Münzgerechtigkeit vorhanden gewesen sei. Aus
römischer Zeit werden wir das Kupfergeld des zowcv Kuratwv
mit dem Tempel der paphischen Göttin in die Klasse der
Tempelmünzen rechnen können. Auf diese Weise wird sich
vielleicht eine Reihe noch unerklärter Thatsachen aufklären
lassen, namentlich das Vorkommen von griechischen Münzen
aus solchen Orten, welche entweder niemals selbständige Bürger-
gemeinden gewesen sind, wie Orthia in Elis’), oder ihre Selbst-
ständigkeit frühe verloren und dennoch fortgefahren haben, Geld
zu prägen, wie z. B. Kassiope in Korkyra, welches noch in
den späteren Kaiserzeiten seine eigene Prägstätte hatte’). Die
Legenden der kassiopeischen Münzen Zeus Kasıos u. a., weisen
auf ein bestimmtes Heilisthum hin, welches als Festort dieselben
hat ausgehen lassen und seine Münzgerechtigkeit sehr lange
bewahrt hat.
- Nach dem Gesagten können wir voraussetzen, dals die am-
phiktyonischen Heiligthümer aller Orten einen wesentlichen Ein-
flufs auf die Entwickelung des Münzwesens geübt haben und dals
sich die Spuren davon nachweisen lassen werden, auch dort,
wo die Amphiktyonien sich früh aufgelöst haben oder durch
politische Bildungen anderer Art verdrängt worden sind. So
namentlich in Grolsgriechenland; denn für Alles, was im grols-
griechischen Münzwesen gemeinsam ist und auf planvolle An-
ordnung hinweist, findet sich kein anderer Anknüpfungspunkt
1) Vgl. Pinder und Friedlaender Beitr. zur ältern Münzkunde S. 83.
?) Peloponessos II, 32, 102.
3) Postolaka Koridoyos av APXAlwv VOLLOHATWV TaVv vnowv Kerxu-
cu;, Acuxadog etc. 1868 p. 5l.
474 Gesammtsitzung
als der Heratempel auf dem lakinischen Vorgebirge, welcher
das religiöse Centrum aller Italioten war, mit allen Städten
derselben durch Prozessionsstrafsen verbunden, zugleich ein
Sitz des Reichthums, ein Kreuzpunkt des überseeischen wie
binnenländischen Verkehrs, ein Centrum des Gewerbfleilses und
wahrscheinlich auch der Ausgangspunkt für Ausbeutung der
Bergwerke am skylletischen und terinäischen Meerbusen.
Ein Zeugnifs dieses Einflulses ist der Herakopf auf den
Münzen von Poseidonia, von Neapolis und Uria, wie auf denen
von Kroton und Pandosia,') und wenn die Römer ihre Silber-
münze in einem Junotempel eröffneten, so darf man wohl ver-
muthen, dafs dies mit Beziehung auf die lakinische Juno ge-
schah, an deren Stelle man nun auf dem Capitole ein neues
Centrum des unteritalischen Geldverkehrs errichtete.
Hat aber das griechische Geldwesen nachweislich unter
priesterlichem Einflufs gestanden und sind von ansehnlichen
Tempelinstituten Münzprägungen und Münzordnungen ausge-
gangen, so müssen wir auch versuchen weiter zu gehen und
den Zusammenhang zwischen Münze und Tempeldienst aufzu-
spüren, um uns zu überzeugen, ob nicht etwa mit gewissen
Tempeldiensten vorzugsweise solche Einflüsse verbunden waren.
So führt die Betrachtung des Münzwesens auf das der Reli-
gionsgeschichte, und die Münzen werden sich noch in ganz ande-
rer Weise als bisher geschehen ist, für die Kenntnifs der Mytho-
logie verwerthen lassen, wenn man nachweisen kann, dafs ge-
wisse Tempeldienste vorzugsweise mit Ausbreitung des Münz-
wesens zusammenhängen.
Durch den Dienst der Urania ist mit dem Gebrauche der
Edelmetalle als Werthmesser auch die Wissenschaft des Zählens,
Messens und Wägens nach Europa gekommen. Wahrschein-
lich ist es also von vorn herein, dals denselben Kreisen auch
die Fortentwickelung dieser Wissenschaft, der Fortschritt vom
Barrenverkehre zur Münze zuzuschreiben sein wird.
Dieser Erwartung entspricht die Thatsache, dafs das
älteste europäische Geld ein Symbol trägt, durch welches die
zum heiligen Besitz der Aphrodite gehörigen Gegenstände ge-
!) Millingen Ane. co:ns. p. 27. Jul. Friedlaender Osk. Münzen S. 40.
vom 10. Juni 1869. 475
kennzeichnet zu werden pflegten, denn in ihren Tempelinstituten
hatten die hölzernen Fulsbänke die Gestalt von Schildkröten ')
und die Göttin selbst wurde auf dem Rücken des Thiers ste-
hend abgebildet, wie ein Bronzecandelaber unseres Antiquariums
zeigt, welcher zu einem Tempelinventar gehörte ?).
Auf dieselbe Gottheit führt die Taube von Sikyon, denn
sie begleitet dieselbe von Askalon nach Uypern, von Cypern nach
Griechenland und dem Eryx °). Sikyon aber war in alten und
unmittelbaren Beziehungen zu ÖOypern.
Um so überraschender ist es, dals wir zwischen Sikyon
und Aigina in dem alten unzweifelhaft von Phöniziern gegrün-
deten Emporium des Isthmus, sowie die Doppelprägung beginnt,
den behelmten Kopf finden, welchen wir, wo wir ihm begegnen,
mit dem Namen der Pallas Athene zu bezeichnen pflegen.
Da hätten wir also an Stelle der weltbürgerlichen Aphrodite,
die mit Industrie und Handel auf das Deutlichste verknüpft ist
und auf keinem Platze des diesseitigen Oontinents so augen-
scheinlich wie hier asiatische Sitten mit sich eingeführt hat,
die spröde, allem Sinnlichen abgeneigte, dem Handelsverkehre
fremde Jungfrau ?
Hier aber hat schon Francois Lenormant‘) mit vollem
Rechte geltend gemacht, dafs die herkömmliche Benennung eine
unbegründete sei. Die Tetrabolen und Diobolen von Korinth
zeigen an derselben Stelle einen unverkennbaren Aphroditekopf
und die neuen für Religions- und Kunstgeschichte gleich wich-
tigen Entdeckungen in Cypern haben unter den verschiedenen
Formen der einheimischen Gottheit auch den Typus der be-
helmten in vortreffllichen Exemplaren zu Tage gefördert; als
kriegerische, vollgerüstete und in dieser Form der Sphäre der
Sinnliebkeit entrückte wurde die Göttin in Sparta und Karthago
verebrt und für die Identität von Pallas und Aphrodite in Ko-
rinth haben wir aufserdem ein urkundliches Zeugnils in dem
Vasenbilde des. britischen Museums, wo die Göttin “Aphrodite
I) Athenaios p. 589. Polem. ed. Preller p.76.
2) Panofka Skiron IV, 12.
3) O. Jahn Berichte der S. Ges. d. Wiss. 1853. Febr.
#) Rev. Numism. 1866 p. 78.
476 Gesammtsitzung
mit der Aegis angetan neben dem isthmischen Poseidon auf
dem Wagen erscheint ').
So geht die numismatische Forschang mit der historischen
Mythologie Hand in Hand, denn auch die Anfänge des griechi-
schen Münzwesens werden nur verständlich, wenn wir unter
verschiedenen Namen und Attributen die eine Göttin er-
kennen, die in Babel einheimisch über Askalon und Cypern
in das Herz des griechischen Landes eingedrungen ist, die
Trägerin des ganzen merkantilen Verkehrs zwischen Abend-
und Morgenland. |
Sie ist aber nicht blofs auf dem Seewege nach Europa ge-
kommen; vielmehr hat man schon längst in den Teempelörtern
des obern Kleinasiens die Stationen erkannt, in welchen die-
selbe Göttin von Babel her schrittweise gegen Westen vorge-
rückt ist, und auf diesem Wege werden wir noch sicherer zu den
Plätzen gelangen, wo sich das hellenische Münzwesen aus asia-
tischen Tempeldiensten entwickelt hat. Wie in Syrien als
Astarte, so tritt sie hier als Anaitis auf, dieselbe bewaffnete
Göttin, die wir in Korinth wiederfinden, die Göttin, deren Cul-
tus im doppelten Komana uns durch Strabo bekannt ist, und
so grofs war die Übereinstimmung des Cultus, der vom Eu-
phrat bis zum Isthmus reichte, dafs Strabo das pontische Ko-
mana ein zweites Korinth nennt. An beiden Orten fand er
denselben ausschweifenden Dienst, dieselbe Begünstigung der
Fremden. Nur war, was in Mesopotamien die Landestöchter
thaten, auf demi Boden der arischen Völker Sache von Tempel-
sklavinnen; das Institut der Hierodulie ist deshalb das Charakte-
ristische für alle Tempelorte, welche die durch Cappadoeien
und Phrygien führende Handelsstrafse begleiten. Ein zweites
Kennzeichen ist die aus dem grolsen Sklaven- und Grundbesitze
sich entwickelnde Hierarchie, welche den Einflufs des ober-
priesterlichen Geschlechts den Landeskönigen gefährlich machte.
Endlich gehört zu demselben Cultus die Metallurgie; denn wie
der eyprischen Aphrodite die Bergwerke der Insel geweiht
1) Lenormant et de Witte Elite Cer. III pl. XI, vgl. die Eule neben
der Taube als Symbol der Aphr. IV, pl. VIII
vom 10. Juni 1869. 477
waren '), so folgen der kleinasiatischen Naturgöttin die Kureten,
Korybanten und Daktylen. Mit diesen Attributen finden wir
den Cultus in Pessinus, wo zu Strabos Zeit noch die Überreste
einer hierarchischen Dynastie vorhanden waren, und ähnliche
Verhältnisse werden wir auch bei der grofsen Göttin in Sardes
voraussetzen müssen.
Hier in der Hauptstadt des industriellsten Volks von Klein-
asien finden wir ein uraltes Heiligthum der Gottheit, einen
Tempel, an dessen Schwelle der Paktolos sein Gold ausspülte.
Wenn wir nun gelernt haben, dafs es Tempelmünzen gegeben
hat, welche voraussetzlich die älteste Gattung von Münze waren;
wenn wir hier einen Tempeldienst haben, welcher ebenso wie
der entsprechende in Babylon das Bedürfnifs nach handlichen
Werthstücken hervorrufen mufste, einen Dienst, der zugleich
mit Handel und Metallurgie zusammenhängt und mit ansehn-
licher Priestermacht ausgestattet war; wenn nirgends so mühe-
los wie hier ein Edelmetall sich darbot, das, seiner Farbe wegen
zum Geschmeide weniger geeignet, für Werthprägung dagegen
das bequemste war, welches gefunden werden konnte, wenn
endlich die ältesten Münzen von Sardes nachweislich Flufsgold-
münzen und durch das Löwenbild als etwas der Göttin Zuge-
höriges gekennzeichnet sind: so werden wir durch diese Er-
wägungen die Überlieferung von den Lydern als Erfindern des
Geldes bestätigt finden und dieselbe in der Weise ergänzen,
dafs wir uns diese älteste den Hellenen bekannte Münze als
eine von der Priesterschaft der sardischen Göttermutter aus-
gegebene vorstellen.
Sardes war für das vorliegende Küstenland die Metropole
dieses Cultus, welcher eine aufserordentliche Gewalt über die
Menschen hatte und durch die mannigfaltigen Beziehungen zur
Musik, zur Industrie wie zum Handelsverkehre eine so hervor-
ragende Bedeutung erlangt hat, dafs die ältesten Zustände
auf den Küsten des Archipelagus, von denen wir uns eine
Vorstellung bilden können, wesentlich unter seinem Einflufs
stehen. Er war zu Hause auf dem Sipylos, einem der wich-
tigsten Ausgangspunkte altgriechischer Cultur, und was wir
1) Ovid. Metam. 10, 64. Rofs Inselreisen 4, 160.
478 Gesammtsitzung
von den Pelopiden am Sichersten wissen, ist dies, dafs Ge-
schlechter dieses Namens die Träger des sardischen Gottes-
dienstes in Griechenland gewesen sind’). Den Hermos hin-
unter, welcher von dem heiligen Berge der Dindymene ent-
springt, verbreitete er sich nach Phokaia; in Smyrna, Magnesia,
Lampsakos, Kyzikos finden wir ihn, und zwar, wo uns ein etwas
genauerer Einblick vergönnt ist, als den herrschenden Stadt-
cultus, zum Zeichen, dafs bei Entwicklung des Gemeinwesens
die Priesterschaft der Göttin eine hervorragende Bedeutung ge-
habt hat. Sie war von Anfang an in eminentem Sinne Burg-
und Stadtgöttin.e Daher Metropolis als Name von Städten in
Phrygien und in Lydien unweit Ephesos, ein Name, den Alexan-
der Polyhistor mit Recht so deutet, dafs er die von der Götter-
mutter gestiftete (und wie Sardes unter ihrem Schutze stehende)
Stadtgemeinde bezeichne ’?).
Gab es also in Sardes heiliges Geld, so wird auch in
den Filialen des Küstenlandes Tempelmünze geprägt worden
sein. Hier gestalteten sich die sozialen Verhältnisse aber in
ganz andrer Weise; hier entwickelte sich ein Gemeindeleben
freier Bürger, welches sich von allen priesterlichen Einflüssen
frei machte. Die Priester waren die Geldmacht und von den
Tempelschätzen jede bedeutendere Unternehmung abhängig.
Sollte sich also das bürgerliche Wesen frei entwickeln, so
mufste es aus der finanziellen Abhängigkeit gelöst und die
Macht des Capitals den Priestern genommen werden. Von
einer zwischen Bürgerschaft und Priestern -getheilten Geldver-
waltung erkennt man eine Spur in solchen Urkunden, in wel-
chen Schenkungen an die Stadt und eine daselbst verehrte
Gottheit d.h. an ihre Priester enthalten sind (wie in der korky-
räischen Inschrift oreı za Arvusrw)°); denn mögen solche
Formeln im einzelnen Falle volle Wahrheit haben oder nicht,
so lassen sie doch auf solche Verhältnisse schlielsen, wo heilige
(selder unter gemischter Verwaltung standen.
Die Mitaufsicht städtischer Behörden führte aber zur Me-
diatisirung der priesterlichen Institute; der Staat legte Beschlag
!) Gerh. Arch. Zeitung 1855 S. 148.
2) Steph. B. MutgonoXu;.
2),0..1. Gr./BER 1.23;
en re 479
auf die priesterlichen Kassen, wie dies zur Tyrannenzeit in
Athen begonnen haben mufs, als die Priesterschaft auf Renten
gesetzt und von Staatswegen das grolse Tempelkassenhaus ge-
baut wurde, welches zugleich der Staatsschatz war.
Von solchen Vorgängen haben wir nur in Athen einige
Spuren; aber ähnliche Vorgänge müssen wir in allen griechi-
schen Städten voraussetzen, namentlich an der asiatischen Küste,
wo nicht, wie es mit dem Branchiden-Heiligthum der Fall war,
besondere Verhältnisse darauf hinwirkten, dem Tempel eine
dauerhaftere Selbständigkeit zu sichern.
Gingen aber die Tempelschätze in städtische Verwaltung
über, so wurde auch das Geld, das aus denselben geprägt war,
Gemeindegeld, d. h. der Staat nahm die Emission in seine
Hand und setzte an Stelle des priesterlichen Kredits den sei-
nigen. Wie man aber aller Orten beflissen war, den Übergang
so milde wie möglich zu machen (daher so wenig Überlieferung
von Conflikten zwischen Gemeinde und Priesterschaft), indem man
die Säkularisation der Sache nach vollkommen durchsetzte, aber
der Form nach versteckte, also dem Schatzgebäude Tempelform
gab, den Schatzbeanten priesterlichen Charakter verlieh und die
Gottheit scheinbar im Vollbesitze ihres Eigenthums beliefs, so
machte man es auch mit dem Tempelgelde; man liefs ihm den
religösen Charakter, als wenn es nach wie vor von den Prie-
stern ausgegeben wäre, aber zum Zeichen, dafs man jetzt nicht
mehr einem unter fremder Autorität geprägten Gelde den Un.-
lauf gestatte, sondern das Geld als Gemeindegeld anerkenne,
setzte man als profanes Münzzeichen die Initialen des Stadt-
namens auf die Rückseite. Sie dienten nach einem weitver-
breiteten Brauche als Stadtwappen auf Kriegs- und Friedens-
geräthen, wie das A der Lakedamonier, das 2 der Sikyonier u. w.
beweist. Die Schrift tritt mit solcher Sparsamkeit und in so
constanter Form auf, dafs sie durchaus den Charakter eines
Bildes oder Wappens hat. Sie ist die staatliche Contrasignatur
des priesterlichen Symbols, welches man unverändert liefs; ihr
Eintritt bezeichnet die Säkularisirung der Münze, am frühsten
wie es scheint, in Kyzikos und Teos.
Von der Küste erfolgte ein Rückschlag nach innen. Wie
in Pessinus, so ist auch in Sardes die dynastische Macht des
480 Gesammtsitzung
Priesterthums vor der königlichen Macht zurückgetreten, und
den vollen Sieg des Königthums können wir in die Zeit setzen,
da die Mermnaden mit den Traditionen des innern Asiens
brachen und sich im Anschlusse an hellenische Heiligthümer
segen die Macht der einheimischen zu sichern suchten. Kroisos
hat diese Politik durchgeführt, und wenn er die Elektronprä-
gung aufhob, so liegt die Vermuthung nahe, dafs dies die alte
Tempelmünze gewesen sei. Er schuf im Anschlusse an die
griechischen Küstenstädte eine neue Geld- und Silberwährung
und ging vom phönikischen Fufse auf das dem phokaisehen
Stater zu Grunde liegende Goldtalent über, aber das alte
Wappen behielt er bei, das Löwensymbol; es war kein könig-
liches, aber auch kein städtisches (denn als selbstständige
Bürgerschaft können wir die Einwohner der lydischen Residenz
nicht ansehen), sondern das Wahrzeichen der grolsen Göttin
deren Priesterschaft einst für die Währung verantworlich war.
Ich glaube kaum, dafs die uns vorliegenden Überlieferun-
sen und Thatsachen der alten Numismatik sich anders oder
wenigstens einfacher erklären lassen, als in der versuchten
Weise. So begreift man die Abhängigkeit der lydischen Münze
und zugleich ihre Priorität. Denn der neuerdings ausgesprochenen
Ansicht von Phokoia’ als dem Entstehungsorte des Geldes!)
gegenüber glaube ich doch geltend machen zu müssen, dafs
die frühe Verbreitung des phokaischen Staters noch nicht ge-
nügt, um so gewichtige Zeugnisse, wie die des Herodot und
des Xenophanes, zu entkräften. Denn wie sollte der Letztere,
ein Eleate und gründlicher Forscher auf dem Gebiete der
heimischen Alterthümer, den Phokäern den Ruhm der Erfindung
nicht zugesprochen haben, wenn die für Priorität der Lyder
vorliegenden Zeugnisse es erlaubt hätten!
Es schliefst sich aber, wie mir scheint, das bisher Er-
mittelte allen Ergebnissen früherer Untorsuchungen auf das
Natürlichste an; denn wäre es nicht auffallend, wenn der Ein-
_Aufs der nach Europa verbreiteten Gottesdienste Babylons
gerade auf dem Punkte, wohin Böckh ihn geführt hat, stehen
1) Vgl. Th. Mommsen in Grenzboten 1863 S. 389. Brandis Münz-
wesen Vorderasiens S. 172.
vom 10. Juni 1869. 481
geblieben und plötzlich von einer rein hellenischen und rein
politischen Einwirkung abgelöst worden wäre, wenn die Garan-
tirung der abgewogenen Metallstücke nicht von der Autorität
ausgegangen wäre, welche allein berufen war, dieselbe zu über-
nehmen? Ist aber über die Bedeutung der grofsen Göttin in
Sardes richtig geurtheilt worden, so ist nicht nur die Einfüh-
rung ‘der Edelmetalle und die Regulirung ihrer Werth- und
Gewichtverhältnisse, sondern auch die Ausprägung derselben zu
gangbarer Münze und deren Überführung aus dem Tempel-
gebrauche in das bürgerliche Leben von demselben Cultus und
zwar von der am meisten gegen lonien vorgeschobenen Station
desselben ausgegangen, und wir haben den Vortheil, die ver-
schiedenen, auf Metallverwerthung bezüglichen Erfindungen in
einem grolsen Zusammenhang zu erblicken, den religiösen Cha-
rakter der griechischen Münzen so wie ihre der orientalischen
Symbolik entlehnten Gepräge zu begreifen und die Münzen
selbst als geschichtliche Denkmäler in anderer Weise als bis-
her benutzen zu können. Denn sie sind jetzt nicht mehr nur
Denkmäler der Partikulargeschichte und des religiösen wie poli-
tischen Mikrokosmus der einzelnen Städte, sondern sie dienen
uns zugleich, die Göttin, in deren Dienste sie erfunden sind,
auf ihren Land- und Seewegen zu begleiten, sie unter den ver-
schiedensten Namen und Formen wieder zu erkennen und dann
die anderen Gottheiten, welche an ihre Stelle getreten sind,
kennen zu lernen.
"An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
M. S. Milojewitsch, Lieder und Gebräuche des gesammten serbischen
Volks. 1. Buch: Lieder heiliger Gebräuche. Gesammelt und heraus-
gegeben vom Verf. Belgrad 1869. 8. (In serbischer Sprache.)
Astronomische Nachrichten. 73. Bd. Altona 1869. 4.
Cleveland Abbe, Dorpat and Pulkova. (Washington 1867.) 8.
Archivio giuridico. III, 3. Bologna 1869. 8.
[1869.] 35
482 Gesammtsitzung
17. Juni. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Magnus trug eine Abhandlung über Emission und
Absorption der bei niederen Temperaturen ausge-
strahlten Wärme vor.
Die wesentlichen Ergebnisse derselben sind folgende:
1. Die verschiedenen Körper strahlen, bis 150° ©. er-
hitzt, verschiedene Arten von Wärme aus.
2. Es giebt Körper die nur eine Wärmeart anssenden)
andere die viele ausstrahlen.
3. Zu den ersteren gehört das Steinsalz wenn es ganz
rein ist. Ebenso wie der glühende Dampf desselben, oder des
einen seiner Bestandtheile, des Natriums, nur eine Farbe aus-
strahlt, ebenso sendet es selbst bei 150° C. nur eine Art von
Wärme aus. Es ist monothermisch wie sein Dampf mono-
chromatisch ist.
4. Das Steinsalz absorbirt die vom Steinsalz ausgestrahlte
Wärme in grofser Menge und stärker als die des Sylvins und
anderer Wärmearten. Es läfst daher nicht, wie Melloni und
Knoblauch behaupten, alle Wärmearten gleich gut durch.
5. Die Absorption durch Steinsalz nimmt mit der Dicke
der absorbirenden Platte zu.
6. Die grofse Diathermasie des Steinsalzes beruht nicht
auf einem geringen Absorptionsvermögen desselben für die ver-
schiedenen Wärmearten, sondern darauf dafs es nur eine ein-
zige Wärmeart ausstrahlt und folglich auch nur diese eine ab-
sorbirt, und dafs fast alle andern Körper bei der Temperatur
von 150° C. Wärme aussenden die nur einen kleinen Antheil
oder gar keine von den Strahlen enthält, welche das Steinsalz
aussendet.
7. Der Sylvin (Chlorkalium) verhält sich ähnlich wie das
Steinsalz, ist aber nicht in gleichem Maafse monothermisch.
. Auch bei diesem ist die Analogie mit seinen glühenden Dämpfen
oder denen des Kaliums vorhanden, das bekanntlich ein fast
continuirliches Spectum liefert.
8. Der Flufsspath absorbirt die reine Se fast
vollständig. Man sollte deshalb erwarten dafs die Wärme die
er aussendet auch stark vom Steinsalz absorbirt werde. Es
vom 17. Juni 1869. 483
gehn indefs 70 p. C. derselben durch eine Steinsalzplatte von
20”m Dicke. Mit Rücksicht auf die Summe der Wärme die
der Flufsspath aussendet, die mehr als drei mal gröfser wie die
vom Steinsalz ist, liefse sich diese Erscheinung wohl erklären,
doch bedarf dies noch weiterer Untersuchung.
9. Wenn es möglich wäre von der bei 150° ©. ausge-
strahlten Wärme ein Spectrum zu entwerfen, so würde, wenn
Steinsalz der ausstrahlende Körper wäre, dies Spectrum nur
eine Bande enthalten. Wäre Sylvin zur Ausstrahlung benutzt,
so würde das Spectrum ausgedehnter sein, aber doch nur
einen kleinen Theil von dem Spectrum einnehmen, das von der
Wärme entstehen würde, die vom Kienrufs ausgestrahlt wird.
Hr. Mommsen gab von den neuesten Ausgrabungen in
dem römischen Arvalhain im Winter von 1868 auf 1869 Nach-
richt.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen. 16. Bd. 6. Lfe.
17. Bd. 1. Lfg. Berlin 1868 u. 69. 4.
Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge 8. Bd.
2. Heft. Kronstadt 1868. 3.
Friedrich Schuler v. Libloy, Siebenbürgische Rechtsgeschichte. 3. Bd.
Hermannstadt 1868. 8.
Glasnik des Serbischen Gelehrtenvereins. 24. Bd. Belgrad 1868. 8.
Serbische Bicliographie. Belgrad 1869. 8.
Giornale degli Scavi di Pompei. Vol. III, Parte 3. Napoli 1869. 4.
Genocchi, Demostrazione d’una formula di Leibnizio e Lagrange.
Torino 1869. 4.
Hoüel, Sur une formule de Leibniz. Bordeaux 1869. 8.
A. v. Resö-Ensel, Helxnevel Magyasazoja. Heft 1. 2. Pest 1861. 8.
— Das Schwurgericht in Ungarn. Pest 1868. 8. Mit Schreiben des
Verf. d. d. Pest 27. April 1869.
39*
484 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse -
Die Akademie beschlofs, dem Hrn. Dr. Paul Krüger in
Berlin, dem die K. Bayerische Akademie zu München im Jahre
1867 die letzte Rate der Savignystiftung zu einem Reisestipen-
dium für Beschaffung eines kritischen Apparats zum justiniani-
schen Codex verliehen hat, zur Fortsetzung dieser Arbeit und
zur Ausdehnung auf das theodosianische Rechtsbuch die gegen-
wärtig.von dem Curatorium der Savignystiftung zur Verfügung
gestellte Rate von 2000 Thalern zu verleihen.
21. Juni. Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Dove theilte einige Notizen über die vorjährigen
Überschwemmungen in der Schweiz mit.
Hr. W. Peters legte eine Abhandlung von Hrn. E. Grube
in Breslau vor:
Beschreibungen neuer oder weniger bekannter von
Hrn. Ehrenberg gesammelter Anneliden des rothen
Meeres.
Die Anneliden, welche Herr Prof. Ehrenberg auf der mit
seinem Freunde,. dem in Masuah verstorbenen Dr. Hemprich
ausgeführten, damals schwierigen Reise nach Nordafrika und
dem Rothen Meer in reichlicher Zahl gesammelt und beobachtet,
waren bis jetzt ein für die Wissenschaft noch ungehobener
Schatz des Berliner Museums. Indem ich der Aufforderung
seines Directors Folge leistend, mich gern ihrer Bearbeitung
_ unterzog, ist bei der grofsen Bereicherung dieser Thierabthei-
lung durch neuere Forscher die dadurch hervorgerufene soviel
gröfsere Zahl von Vergleichungen wie auch vielfache Unter-
brechung die Veranlassung gewesen, dafs diese Arbeit längere
Zeit gedauert hat als ich wünschte, und jetzt erst ihr Abschlufs
erfolgt. Es ist nicht zu verwundern, dafs nach mehr als 40-
vom 21. Juni 1869. ’ 485
jähriger Aufbewahrung in Weingeist manches von jener Aus-
beute sich in einem wenig befriedigenden Zustande befand, aber
andrerseits um so erfreulicher, dafs noch so viele Exemplare
sich vollkommen zur Untersuchung geeignet zeigten. Einen
überaus wichtigen Anhalt fand ich an den von Hrn. Ehrenberg
selbst an Ort und Stelle entworfenen Beschreibungen, die jetzt
freilich nicht mehr zur Unterscheidung der 'Arten ausreichen,
mir aber ebensowohl wichtige Zusätze über die Färbung im
lebenden Zustande und den Fundort lieferten, als mich da
sicher zu leiten vermochten, wo die Etiquetten der Gläser offen-
bar zu deren Inhalt nicht pafsten, indem sie wahrscheinlich
beim Nachsehen und Nachfüllen des Weingeistes abgesprungen
und dann vertauscht waren. Zu mehreren der Beschreibungen
fanden sich die entsprechenden Thiere gar nicht vor, was na-
mentlich von einigen sehr winzigen Formen gilt, und andrer-
seits waren mancherlei Anneliden ohne Namen und Fundort
vorhanden, so dafs sich mit vollster Sicherheit wenigstens nicht
behaupten läfst, dafs sie aus dem Rothen Meere stammen, dessen
Fauna ohne Zweifel der bei weitem gröfste Theil dieser Aus-
beute angehört; von einigen wenigen giebt das Tagebuch selber
an, dafs sie in Alexandrien gesammelt wurden. Indem ich eine
Pflicht gegen den gefeierten Reisenden wie gegen die Akademie
zu erfüllen glaube, wenn ich das Wichtigste von den geretteten
Schätzen der Veröffentlicbung nicht länger vorenthalte, beehre
ich mich hiermit der Königl. Akademie die Beschreibungen
solcher Arten vorzulegen, welche entweder noch unbekannt
oder blofs noch in der Sammlung der Anneliden des Rothen
Meeres von Ritter v. Frauenfeld vorhanden sind, oder deren
Beschreibungen Zusätze zu Savignyschen Arten enthalten, und
erlaube mir die Bitte, diese Arbeit einstweilen ohne Hinzufügung
von Abbildungen in die Monatsberichte der Königl. Akademie
aufzunehmen.
PoLyno& Sav.
P. (Lepidonotus) trissochaetus Ehrb. Gr.
Corpus oblongum, posteriora versus minus attenuatum, ex car-
neo griseum, interdum sub aurantiacum, dorso medio figuris nigris,
maculas pallidas ambeuntibus distincto, elytris minus tecto, seg-
186 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
mentis 27, mediis 5-plo fere latioribus quam longis. Lobus ca-
pitalis ovalis antice attennatus, postice plica segmenti proximitec-
tus, oculis nigris parvis, anterioribus prope marginem frontalem
et exteriorem sitis. Tentacula media lobo capitali longiora,
ut impar e margine frontali orientia, ut cirri tentaculares et
dorsuales laevia, sub apice filiformi tumida, annulo nigro picta;
t. impar mediis longius, ceirris tentacularibus brevius; t. late-
ralia horum longitudine, papillis brevissimis minimis obsita.
Pinnae dimidium ventris latitudinem nondum aequantes, phare-
tra inferiore truncata, superiore humillima, penicillum setarum
erassum continente. Setae superiores duplicis formae, alterae
maxime numerosae laeves decolores tenerrimae capillares, sub
apice longo lineari paulo incrassatae, inferioribus paulo minus
prominentes, alterae circulo simplici eas ambeuntes, iis alterum
tantum cerassiores dimidio breviores, leniter curvatae, flavae,
dense transverse striatae, asperulae. Setae inferiores sub
apice incurvo simplici dilatatae, utrinque denticulis 5 acutis ser-
ratae. Cirri dorsuales iis minus prominentes, ventrales
marginem pinnae haud attingentes, subulatae. Cirri ani haud
conservati. |
Elytra utrinque 12 imbricata, medium dorsum plus minus
tegentia, suborbicularia, diametro segmenta 2 paulo superante,
tenacia, nigra parte exteriore alba, plerumque sinu medio reni-
formia, pustulis nigris minutis sparsis obsita, margine laevi.
Long. 12 ad 14 mill., lat. max. 5 mill., setis omissis 4 mill.
Dieselbe Art hat Hr. Godeffroy von Samoa und denViti-Inseln
erhalten: nach einem dieser Exemplare ist die Beschreibung des
unpaaren und der seitlichen Fühler gegeben, die an dem ein-
zigen, von Ehrenberg mitgebrachten Exemplar nicht beobachtet
werden konnten, jener weil er abgebrochen, diese weil sie, wie
ich annehmen muls, eingestülpt waren.
P. (Lepidonotus) quadricarinata Gr.
Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für 1867 p. 28, Ver-
handl. d. zool. botan. Gesellschaft in Wien 1868 p. 629.
Corpus ex carneo flavidum, splendidulum plus minus
iricolor. stria lata ventrali nunc quidem alba, lineis albis lon-
gitudinalibus utringue 2 distantibus per elytra omnia continua-
|
vom 21. Juni 1869. 487
tis. Lobus capitalis subquadratus, rotundatus ut tentacula
griseus. Tentaculum impar et media ex margine frontali
ejus orta, impar articulo basali brevi crasso sulphureo insidens,
mediis, raro lateralibus paulo magis prominens, ut media
sub apice annulo fuscius griseo munitum, ut cetera haud tumi-
dum, t. lateralia multo crassiora.. Oculi anteriores ad
marginem lateralem in medio positi, posteriores lobulo trans-
verso segmenti buccalis tecti. Pharynx exsertilis longitudine
segmentorum 7, papillae marginis anterioris 18, maxil-
lae in uncum simplicem exeuntes. Cirrorum tentacularium
superior tentaculo laterali modo magis modo minus prominens.
Pinnae setigerae utrinque 25, longitudine dimidiam fere ventris
latitudinem aequante. Elytra utrinque 12, cuti valde adhaerentia,
sese lineamque dorsi mediam margine paene extremo tegentia,
laevia, haud fimbriata, oblique subtetragona rotundata, margine
antico paene truncato obliquo, subpellucido-albida, splendida,
parte anteriore et; posteriore griseis albo punctatis, maculis
sulphureis mediis 2 vel 3 ornata, carinis costulisve linearibus
humillinis 2 a loco insertionis posteriora versus vergentibus, albis
serie striolarum nigrarum interruptis. Cirri dorsuales articulo
basali crasso longo insidentes, setas ventrales superantes, apice
filiformi seposito, hyalino-albidi stria media cretacea, sub apice
annulo griseo ornati, nec tumidi nec floccosi, posteriores haud
elongati, cirri ventrales pharetram ventralem haud superantes.
Papillae ventrales inde a pinna 7%? observatae. Setae
dorsuales flabellum horizontale componentes, ad 10-nas, bre-
vissimae tenerrimae leniter curvatae, utrinque serrulatae, s. ven-
trales rectae, ad 25-nas, flavae, sub apice simpliei utrinque
spinulis 6 ad 7 armatae. Cirri anales longitudine dorsualium
proximorum.
Long. fere 19, 5 ad 21, 5 mill., lat. max. ventralis 4 mill.,
setis adjunctis 6, 3 mill., long. cirrorum analium 2 mill.
Tor, inter corallia.
Die obige Beschreibung bezieht sich auf ein Exemplar, das
Frauenfeld im Rothen Meer gesammelt und das so frisch aus-
sah, dafs ich darnach die Färbung der Elytren angeben konnte.
In der Ehrenberg’schen Sammlung fanden sich dann später auch
noch einige Exemplare, von deren einem die Angabe über den
488 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Rüssel entlehnt ist, ihre Elytren sahen aber alle ‚eintönig gelb-
lichgrau aus, und waren nur die schwarzen Pünktchen auf den
Kielen derselben erhalten, Ehrenberg beschreibt diese auffallende
Art: Supra cinereo-olivacea, alba, maculata, subtus coerulescens
linea media rubra.
P. (Lepidonotus) carinulata Gr.
Corpus oblongum, alcohole servatum brunneum, segmen-
tis 27, plus 2-plo latioribus quam longis, supra macula trans-
versa fusca munitis, elytris omnino tectis. Lobus capitalis
ovalis, margine frontali tentaculum impar et media emittente,
oculis parvis ad marginem exteriorem sitis. Tentacula fron-
talia lobo capitali satis longiora, ut eirri tentaculares et dor-
suales sub apice filiformi vix tumida, laevia, brunnea, impar
mediis paulo iongius, eirro tentaculari superiore brevius, t. la-
teralia sensim attenuata, hoc haud ita longiora, laevia. Seg-
mentum proximum antice in processum parvum medium quasi
bilobum productum. Cirri dorsuales articulo basali alto
tumido, setas ventrales interdum superantes, ventrales breves.
Cirri anales haud conservati. Papillae ventrales nullae,
loco eorum tubercula 'ovalia, sese paene tangentia. Setae
flavae, superiores 'numerosae divaricatae, denticulis acutis
munitae, margine quasi ciliatae, inferioribus dimidio tenuiores,
eas paene attingentes, inferiores fere 24-nae apice graciliore,
simplici, sub eo vix dilatatae, dentibus 4 serratae, extremo
majore. Elytra ovalia, saepius introrsum attenuata, interdum
reniformia, brunneo-grisea, punctis nigris adspersa, macula
insertionis pallida subtrigona, extrorsum fusco cincta, margine
exteriore fimbriato, fimbriis longiusculis, clavaeformibus; 90-
fariam aucta quasi reticulata, cellulis, rete componentibus, partis
elytri posterioris et anterioris minoribus fuseis striola splendi-
dula, (carinula interdum spiniformi) obsitis.
Long. 8 mill., lat 4 mill., (setis adjunctis).
Diese Art erinnert sehr an Lepidonotus Jacksoni Kbg.,
doch ist bei dieser der unpaare Fühler länger als die seitlichen,
diese nicht glatt, die Oberfläche der Elytren glatt.
P. (Lepidonotus) impatiens Sav.
Corpus oblongum colore supra carneo, subtus ubique
aureo fusco, alcohole servatum griseum, dorso dense subtiliter
,
vom 21. Juni 1869. . 489
. transverse striato, segmentis 27. Lobus capitalis. medio
leviter dilatatus, margine frontali tentaculum impar et media
emittente, oculis anterioribus, quantum videre licuit, majoribus
ad marginem exteriorem sitis. Tentacula media impari
vix longiora, eirris tentacularibus satis breviora, longitudinem
lobi eapitalis multo superantia, ut eirri tentaculares et dorsuales
laevia, sub apice filiformi tumidula. Segmentum proximum antice
_ medio productum, processu lobo capitali adnato, postice tuber-
culis minutis 2 ornatum. Cirri dorsuales setas inferiores
superantes articulo basali alto tumido, ventrales breves, acu-
minati, anales breves.. Papillae ventrales tubulosae, in
pinna 6'* ineipientes. Setae brunneae, superiores ad 8-
nas, haud divaricatae, inferiores attingentes, laeves haud trans-
verse striatae, leniter curvatae, inferiores paene alterum tan-
tum crassiores, sub apice utringue spinis 4 dentatae. Elytra
utringue 12, orbicularia, speciminis unici observati inflata, sub-
globosa, grisea, papillis parvis sparsis, apice spinis 4 crucifor-
mibus munita, ad marginem multo majoribus brunneis conicis,
interdum bispinosis armata, corpus fuscum glandulosum con-
tinentia, segmenta 2-na tegentia.
Long. 41 mill., lat. max. 17 mill., pinnis omissis 8,5 mill.
Tor, inter corallia. | |
' An dem elnzigen vorliegenden Exemplar sieht man eben-
falls keine seitliche Fühler, wohl aber an der betreffenden Stelle
eine Öffnung, welche in eine Höhle führt, und da diese Höhle,
so weit sich der Eingang untersuchen läfst, mit einer Fort-
setzung der äufseren Haut ausgekleidet ist, mufs man wohl
annehmen, dafs die seitlichen Fühler einstülpbar sind.
P. (Harmotho& Kbg.) grisea Ehrb. Gr.
Corpus elongatum, alcohole servatum brunneum, poste-
riora versus attenuatum, dorso omnino elytris tecto, segmen-
tis 38, supra figura transversa linea alba circumscripta ornatis,
suleo ventris longitudinali violascente, mediis alterum tantum
latioribus quam longis. Lobus capitalis rotundato-trapezoi-
deus, fronte bieuspide, (oculi haud amplius distinguendi). Ten-
tacula intermedia eo haud longiora, impar eirrique tenta-
eulares et dorsuales papillis hispidi, sub apice filiformi haud
490 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
tumidi, t. lateralia laevia, paene cirri tentacularis superioris
longitudine, hie t. impari brevior. Segmentum proximum antice
processu acuto munitum. Cirri dorsuales setas inferiores supe-
rantes, ventrales breves. Setae pallidae, superiores leniter
curvatae, divaricatae, transverse striatae, margine ciliatae, medium
inferiorum attingentes, ad 20-nas, inferiores itidem tenerae,
sub apice bidente spinulis 8-nis vel 12-nis serrulatae, sub 14-nae.
(Cirri anales laesi)., Papillae ventrales inde a pinna fere
8Y% observatae.
Elytra utringue 16, imbricata, ovalia, anteriora latiora,
suborbiceularia, pallide grisea, macula anteriore et posteriore
fusca, illa ad locum insertionis sita minore biloba, margine
ciliato, papillis mollibus stiliformibus sparsis in parte libera
obsita, punctis nigris sparsis distincta.
Long. 12 mill., latit. 3, 5 mill., pinnis setisque omissis 1 mill.
Tor.
STHENELAIS Kbjg.
Sth. longipinnis Gr.
Alcohole servata pallide carnea, gracilior, segmentis 81
(postremis 11 reproductis). Lobus capitalis rotundato-
quadratus, oculis haud distinguendis. Tentaculum impar
haud conservatum, t. lateralia, articulo basali ejus affıxa,
eum haud superantia, articulus basalis fronte multo angustior,
t. inferiora longitudine segmentorum fere 8, laevia, haud
articulata. Cirri pinnae 1"? dupla fere lobi capitalis longi-
tudine, eirrus ventralis pinnae 24? longissimus, apicem illorum
paene attingens, duplici pinnae suae longitudine brevior. Pinnae
longae, humiles, longitudine latitudinem ventris superante,
pharetris brevibus sed satis separatis, utraque papillas 2 digiti-
formes ad marginem externum gerente, margo pinnae inferior
juxta pharetram inferiorem papilla majore, postremo acuminata,
et prope basin cirro ventrali munitus. Cirri dorsuales
brevissimi. Setae pharetrae superioris capillares tenuis-
simae, utrinque breviter eiliatae, ph. inferioris triplieis generis,
superiores simplices rectae anguste lanceolatae, utrinque
dentatae, inferiores crassiores compositae, alterae falciferae,
falce brevi bidente, alterae appendice flagelliformi articulata,
vom 21. Juni 1869. 491
artieulis 7 ad 10, apice bidente. Elytra membranacea albida,
pellucida, interdum macula pallida ochracea ornata, laevia,
subreniformia, altera haud ita latiora quam longa, altera trans-
versa, margine externo truncato, papillis brevissimis dentiformibus
fere 10 instructo.
Long. corp. 30 mill., tentaculorum inferiorum 2,5 mill., lat.
corporis 1,5 mill., pinnis setisque additis 4,7 mill.
n
Evnice Sav.
E. flaccida Gr.
Alcohole servata pallide carnea, leviter iricolor, supra basin
pinnarum macula rubella ornata, flaceida, pone segmentum buccale
eoaretata, latitudine a segmento 41° 28’"" versus iterum sensim
erescente, tum aequali, segmentis 43 tantum conservatis,
anterioribus fere 23 duplo tantum latioribus, sequentibus
triplo et quadraplo latioribus quam longis. Frons biloba, oculi
nigricantes 2, tentacula moniliformia, impar longitudine seg-
mentorum proximorum 3, articulis 22, media ab eo paulo
distantia et: breviora articulis 16, externa segmentum buccale
aequantia, artieulis 10. Segmentum buccale longitudine
proximorum 2 junctorum, anteriora versus haud attenuatum.
Cirri nihil articulati, ce. tentaculares marginem anteriorem
ejus attingentes. Cirri dorsuales jam ab initio branchiis
paulo breviores, c. ventrales breves, a pinna 6'* fere toro
brevi rotundato insidentes, a 31”? longiores, toris evanescenti-
bus. Setae tenerae ad 12-nas, capillares haud limbatae,
faleigerae paulo fortiores, falce longiuscula limbata apice
bidente; aciculae pallidae, pinnarum anteriorum 2 vel 3
superiores, posteriorum inde a 30”? fere 1 quoque inferior
uncinata, apice bidente limbato. Branchiae flaccidae, pectini-
formes, utrinque 36 vix multo excedentes, 1”2 pinnae 7mae,
filis 4, 32”2 et proximae 3 filis 2 vel 1, 5% et proximae 10
maxime compositae 9-files, eirris dorsualibus dimidio longiores.
Long. animalis mutilati segmentorum 43 fere 26 mill., tenta-
euli imparis 2,75 mill., segmenti buccalis 2 mill., branchiarunm
longissimarum 2 mill., latit. max. (ad segmentum 18’Y"®) 3 mill.,
pinnis additis 4 mill.
492 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
E. longicirris Gr.
Margaritaceo-grisea, leviter iricolor, segmentis 146, kaöda
fere latioribus quam longis. Frons biloba, tentacula, eirri
tentaculares, dorsuales, anales articulati, articulis lon-
giusculis vel elongatis. Tentaculum impar longitudine seg-
mentorum anteriorum 4, articulis longiusculis 10, t. media
paulo breviora articulis similibus 9, t. externa longitudinem
segmenti buccalis superantia, articulis 7. Segmentum buccale
longitudinem proximorum 3 aequans; maxillae principales (i. e.
paris 24) dentibus 6, m. lunatae (i. e. paris 5%) denticulis 8
armatae, cirri tentaculares perlongi, tentaculis externis
paulo breviores, non marginem anteriorem solum segmenti
buccalis sed frontem etiam lobi capitalis retracti superantes,
tenues, articulis inaequalibus elongatis fere 6. Cirri dorsua-
les. praelongi, anteriores fere 46 dimidia segmentorum lati-
tudine plerumque longiores, articulis elongatis inaequalibus,
haud semper satis distinetis 5.ad 7, longitudine deerescentibus.
Cirri ventrales brevissimi, semper satis distineti, anteriores
fere 32 ex toris ovalibus, paene subglobosis prodeuntes: Setae
capillares, haud limbatae, et faleigerae, multo fortiores, falce
brevi limbata, apice bidente, aciculae nigrae, pinnarum 29
anteriorum solae lineares, ceterarum 3, quarum inferior uncinata,
bidens limbata. Branchiae brevissimae, nunguam longitudi-
nem cirri dorsualis, plerumque dimidium tantum attingentes,
vel paulo superantes, filis summum 6 vel 7, pectiniformes,
br. 1m» 3-filis in pinna 3%, ultima in postrema, maxime
compositae a pinna 6'* usque ad 24m observatae, proxi-
mae fere 11 5-files, sequentes 11 4-files, postremae 11
omnino simplices: Cirri anales longitudine segmentorum
postremorum 7, articulis 5.
Long. 191 mill., tentaculi imparis plus 6 mill., eirrorum
dorsualium longiorum 5 mill., segmenti buccalis 3,5 mill., lat
max. 9 mill., pinnis additis 6 mill., segmenti buccalis 4 mill.
Suez.
E. pectinata Ehrb. Gr.
Habitu E. antennatae, ex rubello flava vel aurantiaca,
nunc quidem ex subfusco carnea leviter iricolor, cute densa,
dorsi anterioris subtiliter e longitudine sulcata, segmentis 212,
vom 21. Juni 1869. 493
auterioribus 4-plo, posterioribus duplo latioribus quam longis.
Frons biloba; tentacula haud articulata nunc quidem suleis
annularibus subtilibus munita, impar longitudine segmentorum
anteriorum 7, media triente, exteriora plus 'dimidio breviora,
segmenta 3 aequantia. Segmentum buccale anteriora versus
hand attenuatum, proxima 34 aequans; eirri tentaculares
marginem anteriorem ejus paulo superantes. Cirri dorsuales
ut tentaculares haud annulati, branchiis anterioribus 6 tan-
tum longiores, proximas 2 aequantes, ceteris breviores, cirri
ventrales, setae, aciculae cum Eunice flacceida congru-
entes. Tori pinnarum anteriorum 30 inde a 10% fusci,
tum evanescentes. Branchiac pectiniformes, a pinna 5#* in-
eipientes usque ad postremam patentes, 2 anteriores 1-files,
62 A-NSlis, 72 et 82 7-Alis, 1192 et proximae 20 Alis 9
vel 10, ne hae quidem dorsi medium attingentes, 33m% flis 6,
36'* et sequentes plerumque filis 4 vel 3, 94% usque ad 123jam
filis 2, ceterae 1-files, cirris dorsualibus longiores, postremae
aeque longae. Cirri ani haud annulati, longitudinem segmen-
torum postremorum 5 aequantes.
Long. corporis fere 161 mill., tentaeuli imparis 4,5 mill.,
segmenti buccalis paene 2 mill., lat. max. 3 mill., pinnis ad-
ditis 3,6 mill.
Bei einem kleinen Exemplar von nur 32 mill. Länge sah
ich blofs 35 Paar Kiemen, welche 1-fädig schon am 3!" Ruder
begannen und mit 4 und 3 Fäden aufhörten.
E. flavo-cuprea Ehrb. Gr.
Flavo cuprea, nitore iridis, nunc quidem aeneo-olivacea,
leviter iricolor, splendore maxime viridi, tentaculis, cirris, bran-
chiis pallide viridi-flavis, dorso convexo, posteriora versus
badio, segmentis 100, mediis 4-plo fere latioribus quam
longis. Frons minus profunde biloba; tentacula articulo basali
brevissimo affıxa, ut cirri haud articulata, media longitudinem
segmentorum anteriorum 5 paulo superantia, externa 4 fere
breviora (impar haud conservatum). Segmentum buccale
proxima 3 juneta aequans, cirri tentaculares marginem ejus
vix excedentes. Cirri dorsuales branchis 3-filibus et 4-
filibus breviores, ceteris raro paululum longiores, c. ventrales
494 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
breves, ubique satis distineti, toris inferioribus nullis. Setae
tenerae decolores haud°numerosae,. 10-nae ad 15-nas, capilla-
res haud limbatae, falcigerae haud ita crassiores, falce lon-
giuscula limbata apice bidente; aciculae pallidae. Branchiae
utringue 30, minus compositae, lineam dorsi mediam nunquam
attingentes, in pinna 4% ineipientes, 1”? ut 24 et 32 1-Nilis,
5t2 jam 4-filis, pectiniformis, proximae usque ad br. 27 "am
3-files, hie illie cum 4-filibus alternantes, postremae 4 2-
files et 1-files. Cirri ani segmenta postrema 6 juncta aequantes.
Long. ad 17,5 mill., tentaculorum mediorum fere 1,2 mill.,
branchiarum longiorum fere 6 mill., lat. max. (ad segmentum
gmum et proxima) fere 1 mill., pinnis additis 1,25 mill. +
E. collaris Ehrb. Gr.
Rubra punctis sive ocellis minimis densis albis, ‘parte
postrema albicante, aunulis rufis, nunc quidem carnea interdum
violascens, iricolor, ventre medio et lateribus albidis, segmentis
ad 150, 20”W® versus latitudine crescentibus, inde a 45° sensim
deerescentibus, latissimis fere 11-plo, anterioribus 7-plo
fere latioribus quam longis, posterioribus minus latis. Frons
biloba, oculi 2, tentacula fusca, apice alba, ut cirri tentacu-
lares, dorsuales, anales haud articulata, solo articulo basali
annulari insidentia, impar segmenta anteriora 4 longitudine
aequans, media paulo breviora, *exterioribus longiora, haec
longitudine segmenti buccalis. Segmentum buccale proxima
3 aequans macula longitudinali alba, 6" totum album. Cirri
tentaculares lobum capitalem attingentes. Maxillae paris
2 dentibus validis obtusis 5, p. 34 inaequales, dextra simplex
semilunaris denticulis 8, sinistra duplex, altera denticulis 6,
altera 3 armata, labium quod dicunt inferius margine in-
tegro. Cirri dorsuales anteriores } fere latitudinis ventris
aequantes, usque ad 7”"m paulo crescentes, a 14° deorescentes,
breves, ventrales brevissimi obtusi, toris brevibus insidentes.
'Setae capillares curvatae, sub apice paulo latiores ad 6-
nas, scalpratae, pectinatim ineisae, 2-nae, falcigerae ad 14-
nas falce breviuscula, lata, limbata, apice bidente, aciculae
fuscae, inde a pinna 26'% 2-nae, inferior apice uncinato bi-
dente, limbato. Branchiae a pinna 15% (14, 16) incipien-
vom 21. Juni 1869. 495
tes, usque ad postremam patentes, a 20”? usque ad 100mam
magis compositae, filis 4 vel 5, (in nonnullis 6) eirro dorsuali
alterum tantum vel 2-plo longiores, lineam dorsi mediam haud
attingentes, posteriores 3-files vel simpliciores. Cirri
anales breves.
Long. animalis segmentorum 150 ad 106 mill., tentaculi
imparis 3,5 mill., segmenti buccalis 2 mill.; lat. max. ad seg-
mentum 20mm et proxima (pinnis neglectis) 4,5 mill., segmenti
buccalis et posteriorum 3 mill.
Inter corallia ad Tor.
LysipDIcE Bav.
L. re Ehrb. Gr.
Colore carneo vel paulo cupreo, leviter iricolor, dorso valde
rotundato posteriora versus planiore, segmentis 164 ad 175,
anterioribus 7-plo posterioribus 5-plo latioribus quam
longis, sensim attenuatis. Lobus capitalis annulum segmenti
buccalis anteriorem longitudine et latitudine fere aequans, subtus
sulco longitudinali bipartitus, fronte biloba, haud dilatata, oculis
2 reniformibus. Tentacula frontem attingentia vel paulo su-
perantia, sensim aeuminata, triangulo angusto obtusangulo affıxa,
impar exterioribus paulo longius prominens. Segmentum
buccale biannulum, annulo anteriore longiore quam posteriore,
x
ad marginem anticum fissura transversa ad sacculum occultum,
interdum pulvinaris instar protractum, ferente munitum, segmenta
proxima fere 3 aequans. Maxillae paris 2“ dentibus obtusis
4, paris 3% inaequales, semilunares, dextra simplex denticulis
5, sinistra duplex, alterutra denticulis 3 armata, labium quod
dicunt inferius, submembranaceum iricolor ubique striatum,
margine anteriore extrorsum adcendente, haud dentato. Pinnae
breves, # fere, posteriores + fere latitudinis ventris aequantes,
eirrus dorsualis pharetram superans, per se ventrali longior,
setis capillaribus minus prominens, digitiformis. Setae ad 22-
nas vel pauciores, capillares leniter curvatae sub apice pau-
lulum latiores, ad 7-nas, faleigerae paulo crassiores, falce
brevissima limbata apice bidente, seta scalprata pectinatim
ineisa 1 in pinnis nonnullis observata, aciculae nigrae, pinnarum
posteriorum’ inde a 20”? fere 2-nae, superior apice recto, in-
496 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
ferior bidente, anteriorum 1-na (superior). Cirri ani 4, su-
periores brevissimi, inferiores paulo longiores.
Long. 63 ad 90 mill., tentaculi imparis 1,3 mill., Pe
buccalis 1,5 mill., lat. max. 2,5 ad 2,7 mill, ‚pinnis additis 3 mill.
LUMBRICONEREIS Blv.
L. versicolor Ehrb. Gr.
Praelonga, subteres dorso multo magis convexo utringue
valde attenuata rubella, viridi flavo et coeruleo nitens, nune
quidem ex violaceo carnea, laete iricolor, segmentis plus 500
ad 600, plerumque duplo et triplo, anterioribus et posterio-
ribus alterum tantum latioribus quam longis. Lobus capitalis
paene semiorbiculatus, paulo complanatus, supra foveola media
plana longitudinali. Segmentum buccale distinete biannulum,
eo vix latius nec longius, proxima 2 juncta aequans, annulus
secundus punctis 4 oculiformibus ornatus (oculis ex Ehrenbergi
deseriptione), nunce quidem haud conspieuis. Pinnae segmen-
torum proximorum 8 ad 18 minimae, setis solis prominentibus,
3-nis vel 2-nis tantum, tenerrimis, segmentorum ceterorum fere
4, postremorum fere 4 latitudinis corporis aequantes, pharetra
brevis, labium ejus posterius (inferius) digitiforme paulo com-
planatum, per se pharetra ipsa haud longius, posteriora versus
cum ea sensim elongatum. Setae-pinnarum solae capillares,
angustae limbatae, 5-nae vel 6-nae, praeter eas acıcula l- ur
decolor, apice recto.
Long. 256 mill., lobi capitalis 1 mill., lat. segmentorum
proximorum 1 mill., mediorum 1,5 ad 1,6 mill., pinnis additis
2 mill.
Tor, mense Ianuario, inter corallia.
L. nitida Ehrb. Gr.
Brevius vermiformis, subteres, anteriora versus minus at-
tenuata, rubella iricolor, nunc quidem ex subfusco carnea, haud
"ita laete iricolor, segmetis fere 150, plerumque 3-plo latioribus
quam longis. Lobus capitalis ex semicirculato ovalis, postice
paulo constrictus, tumidus, longitudine fere segmenti buccalis.
Segmentum buccale distinete biannulum, illo paulo latius,
proxima 2 juncta paene aequans, Maxillae paris 2@i Jongae
vom 21. Juni 1869. & 497
dentibus 4, paris 3% dentibus 2 armatae, 4# simplices. Pinnae
breves, # fere latitudinis segmentorum latissimorum aequantes,
pharetra brevissima, labium ejus posterius per se eadem longi-
tudine, breviter digitiforme, saepe posteriora versus spectans.
Setae tenerae, Subfuscae, plerumque labii apicem haud ita
longe excedentes, pinnarum anteriorum 24 ad 34 capilla-
res 2 -nae (vel 1 na) leniter curvatae, anguste limbatae, et unei-
natae 2-nae, Aue late limbato, ceterarum solae uncinatae
3-nae.
Long. fere 34 mill., lat. max. (ad segmentum 20m et
proxima) fere 1,5 mill., pinnis additis paene 2 mill.
Tor, mense Decembre, in coralliorum foraminibus habitat.
L. Hemprichü Gr.
Subteres, dorso multo magis convexo, gracilis, antice aeque
erassa, a segmento 10”° sensim attenuata, alcohole servata ex
flavo subbrunnea, splendens, iricolor, segmentis plus 91, alte-
rum tantum latioribus quam longis, anterioribus 10 ad con-
finia minus constrietis duplo latioribus quam longis, per se bre-
vioribus quam proximis. Lobus capitalis latus, semiovalis,
paulo complanatus, segmento buccali 4 longior. Segmentum
buccale antice eo haud latius, in confinio ejus aperturis angustis
2.munitum, lobulum absconditum forsan protractilem continentibus,
simplex, segmento proximo paulo longius. Maxillae paris
24 breves dentibus 5 sarmatae, p. 3Ü et 4 simplices angustae
acuminatae.e. Pinnae anteriores 10 brevissimae # fere,
ceterae 4 latitudinis segmentorum aequantes, pharetra
subquadrata, labium ejus posterius (inferius) per se ea haud
longius, vix angustius, obtuse rotundatum. Setae breves tenerae,
' pinnarum anteriorum fere 25 plerumque 3-nae vel 4-nae, capil-
lares sinuatae latius limbatae, labii apicem haud ita longe
superantes 2-nae, uncinatae apice rostrato simplici 2-nae vel
l-na, setae pinnarum ceterarum solae uncinatae, 3-nae,
Long. animalis mutilati segmentorum 91 fere 19,5 mill.,
lat. maxima (ad segmentum buccale) 1 mill., segmentorum
posteriorum 0,75 mill., pinnulis additis vix 1 mill.
[1869.] 36
498 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
NEREIS L. s. str. Aud. et Edw.
N. fasciata Ehrb. Gr.
Haud ita elongata, aequalis, segmentis 77, transverse
fusco lineatis, nunc quidem concoloribus, anterioribus lon-
gioribus, longitudine paene 4 latitudinis aequante; mediis et
posterioribus 3-plo vel 4-plo latioribus quam longis. Lobus
capitalis segmenti buccalis longitudinem dimidio superans,
e longitudine fascia ornatus, parte frontali satis seposita. Ten-
tacula frontalia illo 4 breviora, cum lateralibus aeque
prominentia. Oculi medicores approximati in macula obscu-
riore lineari positi. Segmentum buccale proximo haud
longius, lineis 3 transversis fuscis et arcu antico brevi 'muni-
tum. Cirrorum tentacularium longissimi segmentum
6m nondum attingentes. Pharyngis exsertilis maxillae
6-dentes; paragnathi (grana maxillaria) annuli posterioris
nulli, anterioris supra 1 medius, utrinque 7 ad 9 seriem
longitudinalem duplicem componentes, subtus medii 4, crueis
instar collocati, utrinque acervulus orbicularis (ad 11-nos con-
tinens). Pinnae omnes subaequales, anteriores supra ad
basin gibberulae, cirrus dorsualis lingulam suam plus minus
superans, ventralis sua vix brevior; lingulae anguste trian-
gulae, superior longitudine et latitudine ceteras paulo superans,
media inferiore paulo angustior et brevior, labium pharetrae
superioris angustum longiusculum, in pinnis posterioribus
evanidum, ph. inferioris duplex, longius illi simile, pha-
retra ipsa latior. Setae spinigerae et falcigerae, appendieibus
laevibus, falce longiuscula, acie recta. Rami pinnarum poste-
riorum paululum distenti, lingulae graciliores. Cirri anales
longitudine segmentorum posteriorum 4.
Long. 31,5 mill., lat. max. ad 2,5 mill., pinnis adjunetis
4 mill.
N. (Heteronereis) Ehrenbergi Gr.
Jahresbericht der Schles. Gesellsch. für 1867 p. 29.
Brevius vermiformis, nunc quidem carnea, segmentis 74,
anterioribus 17 paene trientem corporis componentibus, subte-
retibus, ceteris latioribus complanatis. Lobus capitalis
hexagonus, vix longior quam latus, segmenta proxima 4 lon-
Be tue
vom 21. Juni 1869. 499
gitudine aequans, oculis satis magnis nigricantibus. Tenta-
cula frontalia articulum lateralium basalem paulo superantia.
Segmentum buccale proximo haud ita longius, cirrorum
tentacularium longissimus segmenta anteriora 9 adaequans,
brevissimus 4 ejus minor. Pharynx exsertilis longitu-
dine segmentorum 84: maxillae edentulae, paragnathi an-
nuli anterioris supra medius 1 rotundus, utrinque acervus 1
multo subtiliorum angustorum longiusculorum, obtusorum,
subtus acervi 3 similium, p. annuli posterioris supra
striae breves transversae 2, ex granulis minutis 9 compositae,
subtus cingulum simplex multo majorum fere 12. Cirri
dorsuales pinnarum omnium lingulam superiorem multo su-
perantes. Pinnae anteriores 16 margine dorsuali minime
gibbero, lingulis crassis obtusis, media paulo breviore a pha-
retra inferiore superata, p. posteriores multo magis compo-
sitae, altiores, margine dorsuali citra cirrum in lobulum trans-
versum, basi constrietum, margine ventrali in majorem 3-lobum,
ecirrum ventralem ferentem producto, lingula superior et
"media longius triangulae, acutae, inferior obtusa, paulo
brevior, pharetra inferior lobo foliaceo bipartito, lingulam
mediam haud superante et ad basin marginis superioris foliolis
% minutis ornata. Setae pinnarum omnium spinigerae et falci-
gerae, (cultriferae nullae), fasciculi superioris spinigerae per-
paucae, setae inferioris haud ita numerosae. Cirri anales
longitudine segmentorum 14 postremorum junetorum.
Long. 21 mill., eirri tentacularis longissimi 3,5 mill., cir-
rorum analium 2,5 mill., lat. corp. anterioris ad pinnam 12mam
2,75 mill., pinnis additis 3,5 mill., corp. posterioris ad pinnam
Y5tam 3 mill., pinnis additis 3,5.
SYLLIS Sav.
S. picta Ehrb. Gr.
Brevius vermiformis, cute densiore, maxime depressa, lata,
posteriora versus sensim angustior, in segmento buccali lineolis
2 transversis mediis parallelis, in sequentibus faseia duplici
transversa rufa striata, parte corporis posteriore albicante, eirris
dorsualibus rubentibus; nunc quidem color ex hepatico luteus,
pharetris setarum ut cirris tentatulisque albidis; segmen-
36 *
500 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
tis plus 170, usque ad 224m Jatitudine paulo crescentibus,
proximis 12 fere S-plo, mediis 4-plo vel 5-plo, posterioribus
3-plo latioribus quam longis. Lobus capitalis parvus, lon-
gitudine segmentorum proximorum 3, subquadratus, latitudine
4 segmenti 4" aequante, sulco longitudinali bipartitus, utrinque
tumidus, pone oculos posteriores lineis eurvis 2 ornatus; oculi
figuram reetangulam componentes, posteriores paene medium
longitudinis tenentes, ab anterioribus et a margine diametro 1
distantes. Tori frontales (palpi auct.) marginem anteriorem
solum oceupantes, longitudine lobi capitalis, oblongi attenuati,
divergentes. Tentacula eos longe superantia, filiformia articu-
lata, eirris dorsualibus haud tenuiora, impar exterioribus longius,
cum eirro tentaculari superiore aeque prominens, 4-pla fere .lobi
capitalis longitudine, articulis 40. Segmentum buccale supra
perfectum, a latere lobum capitalem hbaud ambiens. Cirri
dorsuales duplam segmentorum latitudinem aequantes, articulis
numerosis, plerumque 60 ad 70, (c. segmenti 5# ceteris lon-
giores, tentaculares superantes articulis 90), singuli sparsi illis
dimidio breviores, articulis 50 ad 20; articuli dimidio, plerum-
que alterum tantum latiores quam longi, inferiores latiores.
Pinnae longae, angustae attenuatae, longitudine 4 fere latitu-
dinis segmentorum aequante. Setae omnes falcigerae 6-nae ad
10-nas, falce longiuscula bidente, acicula 1. Cirrus ventralis
medium marginis ventralis tenens, pharetram haud superans.
Cirri anales longitudine segmentorum proximorum 15, eirris
dorsualibus proximis multo longiores et crassiores.
Long. 21 mill., lat. max. 1,4 mill., pinnis additis 1,8 mill,,
lat. posterior 0,6 mill. (p. a. 1,4 mill.), long. eirrorum dorsualium
longissimornm 3,5 mill. seu segmentorum eireiter 30.
S, violacea Ehrb. Gr.
Gracilis, nune quidem ex carneo brunnea, splendore pau-
lulum violaceo, latitudine usque ad segmentum 30m crescente,
inde sensim decrescente, segmentis 103 ad 127, mediis 4-plo
fere latioribus quam longis, anterioribus brevioribus, pro longi-
tudine latioribus. Lobus capitalis transversus rotundato-tri-
gonus, oculi arcum vix curvatum componentes, exteriores
(anteriores) majores, subreniformes. Tori frontales longitudine
Pe Zu a
vom 21. Juni 1869. 501
_ lobi capitalis, lati obtuse trianguli, paralleli, sinu triangulo dis-
- tente. Tentacula cirris dorsualibus tenuiora, ut hi et tenta-
eulares articulata, impar ö-pla lobi capitalis longitudine, arti-
eulis fere 40 brevissimis, cirro tentaculari superiore paulo longius
prominens, exteriora impari breviora. Articuli cirrorum
dorsualium, paueis extremis exceptis, plerumque alterum tantum
vel duplo latiores quam longi, corpuscula fusca continentes,
numerosi, longiorum ad 50-nos et 60-nos. Cirri dorsuales
anteriores 24 et 6% exceptis longi, tentaculo impari longiores
sed minus prominentes, a 11”° cum brevioribus. alternantes,
longiores latitudinem corporis dimidio superantes, breviores
eam adaequantes. Pinnae breves, # latitudinis corporis adae.
quantes, setae 8-nae omnes falcigerae, falce brevi, apice bidente,
acicula 1-na, ut illae flava. Cirrus ventralis apicem pinnae
haud superans. Cirri ani dorsualibus proximis multo longiores.
Long. animalis 127 segmentorum 24 mill., lat. max. pinnis
additis 1,5 mill., long. cirrorum dorsualium longiorum fere 2,2
mill., breviorum alternantium 1 mill., c. analium 1,3 mill.
S. neglecta Ehrb. Gr.
Vermiformis, paulo depressa, nunc quidem grisea, utrinque
attenuata, cute firmiore, quantum videre licet, verruculis minimis
densissimis obtecta, paululum sericea, segmentis cireiter 190,
latissimis paulo ante medium sitis, 7-plo latioribus quam
longis, mediis per se haud brevioribus 4-plo vel 5-plo, poste-
rioribus 6-plo latioribus quam longis. Lobus capitalis
transverse ovalis, eadem latitudine qua segmentum buccale, 24°
paene dimidio angustior: oculi 4, trapezium latum componentes,
aegre distinguendi, anteriores latius distantes, pone tentacula
exteriora siti. Tori frontales lobo capitali longiores, graciles,
apicem versus attenuati, margine interno excavati, subparalleli.
Tentacula aeque longe torisque longius prominentia, ut cirri
dorsuales et tentaculares subtiliter annulata, vix moniliformia,
impar posterius ab exterioribus utrinque rima transversa separa-
tum. Segmentum buccule proximo paulo longius, angustius
margine anteriore producto. Cirri tentaculares superiores
tentaculis paulo longius, cirris dorsualibus segmenti 2 satis
minus prominentes, hi ut segmenti 5% et 7% Jongissimi, duplici
502 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
lobi capitalis et tororum frontalium longitudine, longiores quam
dorsum latum, ceteri plerumque dimidiam segmentorum latitu-
dinem aequantes vel ea paulo longiores, postremi per se haud
longiores. Articuli cirrorum longiorum 25-ni ad 30-nos, ex-
tremi quadrati, basales multo breviores. Pinnae graciles,
satis inter se distantes, 5 vel 5 latitudinis ventris aequantes,
labio inferiore : breviter digitiformi. Setae omnes falcigerae,
8-nae, minime prominentes falce brevissima, aequilatera, valde
excavata, apice simplici, stipite prope juncturam faleis in an-
gulum produeto. Cirrus ventralis pinnam paulo superans
vel brevior, Cirri anales crassi, 3-pla dorsualium erassitu-
dine, longitudine segmentorum postremorum 6 sive eirrorum
dorsualium postremorum.
Long. 23 mill., lat. max. plus 1 mill., pinnis additis
1,5 mill.
Tor, Januario.
S. moniliformis Sav.
Savigny Systeme des Annelid. p. 44 pl. IV f. 3, copirt in Guerin
Iconograph. Annelid. pl. 8 f£.1.
Longius vermiformis, ex griseo rubella (Sav.), nune quidem
pallide rubro brunnea, linea ventris media violascente, paulum
complanata, cute densiore sericea, segmentis valde numerosis
ad 300, eadem fere longitudine, latitudine usque ad 40”® m cres-
centibus, anterioribus et posterioribus alterum tantum vel duplo,
ceteris 4-plo fere latioribus quam longis. Lobus capitalis
transversus subtriangulus: oculi 4 arcum leniter curvatum com-
ponentes, exteriores (anteriores) paulo majores. Tori fron-
tales longitudine fere lobi capitalis, subovales antrorsum minus
attenuati, introrsum inclinati basi conjuncti. Tentacula paene
aeque longe prominentia, ut cirri dorsuales et tentaculares mo-
niliformia, impar 3-pla fere lobi capitalis longitudine, toros 5
. superans, articulis 15 ad 20, cirro tentaculari superiore paulo
brevius, inferiore longius, ut t. exteriora his tenuius. Cirri
dorsuales albidi validi, acuminati, moniliformes, anteriores
longiores, latitudinem segmentorum aequantes vel superantes,
articulis 26 ad 30, medii et posteriores breviores elongato-
fusiformes articulis 11 ad 14, basalibus magnis minus sepo-
vom 21. Juni 1869. 503
sitis, $ latitudinis segmentorum aequantes. Pinnae breves, ob-
tusae; setae anteriorum fere 37 faleigerae, tenerae, ad 8-
nas, falce plus minus brevi apice simplici, ceterarum multo
fortiores bicuspides, 2-nae, appendice nulla. Cirrus ventra-
lis longitudine pharetrae. Segmentum postremum quadra-
tum, longitudine proxima 3 adaequans, cirri anales 3, impar
brevissimus simplex acutus, exteriores moniliformes, longi-
tudine segmentorum 15.
Long. animalis segmentorum 207 ad 48,5 mill., lat. max.
plus 1 mill., pinnis adjunctis ad 2 mill.
Habitat sub tegmine gelatinoso-carneo-cinereo lineari lapi-
dibus affini inter corallia ad Tor. |
CIRRHATULUS Lam.
C. auricapillus Ehrb. Gr.
Vermiformis, saepius brevior, vivus fusco-olivaceus, alco-
hole servatus pallide carneus, utringque sed anteriora versus
citius attenuatus, quadrangulus, dorso convexo, latiore quam
ventre, altitudine parietis lateralis 4 fere latitudinis ventris
aequante, segmentis plus 200, anterioribus fere 50 inde a
6% brevissimis, 19-plo latioribus, ceteris (per se paulo longi-
oribus), fere 13-plo latioribus quam longis. Lobus capitalis
obtuse conicus paulo depressus foveola aperturave laterali
posteriore utringue l-na, paene aeque longus ac latus, dimidia
segmenti buccalis longitudine, oculis nullis. Segmentum
buccale 2-annulum (quasi 3-annulum) vix longius quam
latum, setis nudum, proxima 4 juncta aequans, antrorsum paulo
attenuatum; proxima 6 longitudine maxime decrescentia, seg-
mentum 7”=um (setigerum 6'"®) serie transversa simplici bran-
ehiarum confertarum fere 14 obsitum, cetera branchiis tantum
2-nis lateralibus munitä, nonnulla posteriorum branchiis
libera, saepius 1-num ad 3-na vel plura branchiferis interjecta.
Branchiae filiformes, longiores contractae etiam $ longitu-
dinis corporis aequantes, ob segmentorum anteriorum brevitatem
hie confertissimae, comam imitantes. Setae fasciculorum
superiorum ut inferiorum partim capillares, partim unci-
natae; capillares, ad 8-nas, posteriores minus numerosae,
minus pallidae apice leniter curvato, 5-nae vel 4-nae.
504 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Long. speeiminis majoris segmentorum fere 250 ad 63 mill.,
latit. maxima (ad segmentum 45” et proxima) 4,2 mill., ven-
tris 3,4 mill.
Habitat in muci vagina limosa in rimis lapidum et portus
ad Tor.
C. gracilis Ehrb. Gr.
Gracilis, subteres, nunc quidem olivaceo-subfuseus, seg-
mentum $vum yersus crassitudine crescens ‚„ a 15 sensim de-
crescens, postice acuminatus, segmentis fere 96, anteriori-
bus 2 nudis, ceteris setigeris, 3!° et proximis 30 branchi-
geris, 5t° serie branchiarum 10 ornato. Lobus capitalis
rotundato -triangulus subaequilaterus, segmento 24° longior,
oculis haud distinguendis. Setae faseiculorum superio-
rum capillares et breviores uneinatae, inferiorum in seg-
mentis anterioribus 36 utriusque generis, in ceteris solae bre-
viores uncinatae. Setae capillares tenerrimae, haud limbatae,
decolores, segmentorum auteriorum longiores, 4 latitudinis
corporis aequantes ad 7-nas, posteriorum 2-nae vel 1-na,
setae uncinatae apice simplici, tenerae, decolores, 2-nae vel
l-na, inferiores segmentorum posteriorum singulae, ceteris
longiores, duplo fortiores, corneae. Branchiae filiformes nunc
quidem albidae, 4 corporis breviores.
Long. 15 mill., lat. max. 1 mill., long. branchiarum lon-
giorum 4 mill.e. Segmenta anteriora latiora fere 8-plo, media
4-plo, posteriora 5-plo latiora quam longa.
Tor.
C. nigromaculalus Gr.
Brevius vermiformis, alcohole servatus e subbrunneo
carneus maculis nigris adspersus, linea funis nervei albida,
filis branchialibus nigro annulatis vel nigricantibus apice pallidis;
segmentis circiter 80, anterioribus fere 9-plo, posterio-
ribus 5-plo latioribus quam longis. Lobus capitalis semi-
ovalis, paulo longior quam latus, macula nigra transversa sub-
lunari postica ornatus. Segmentum lm (buccale) et 24um,
quantum videre licet, setis nuda, juncta illum longitudine ad-
aequantia, cetera setigera, singula filis branchialibus singulis
lateralibus, 7mum serie transversa filorum (utrinque 3) instruc-
vom 21. Juni 1869. 505
tum. Fila branchialia aequaliter tenuia, obtusa, longitudine
differentia, longiora . $ longitudinis corporis adaequantia.
Fascieuli setarum utrinque distichi, approximati, setae
tenerrimae decolores, anteriorum solae capillares ad 4-nas
mediorum et posteriorum capillaris 1-na, breviores fortiores
leniter uncinatae, apice simplici vix curvato 2-nae. |
Longit. 7,5 mill., lat. max. paene 1 mill., posterior 2 mill.
Ohne Angabe des Fundortes, lag aber mit kleinen Tere-
bellen zusammen, die aus dem rothen Meer zu stammen
scheinen.
DASYBRANCHUS Gr.
D. carneus Ehrb. (? an var. D. caduci Gr.)
Corpus plus minus elongatum, ex carneo rubellum ad
finem pectinum uncinorum inferiorem puncto flavo ornatum; a
medio posteriora versus sensim attenuatum, cute laevi, seg-
mentis 127 vel amplius.. Lobus capitalis obtusus, paene
semieircularis. Segmentum buccale eo multo latius, et 24um
setis nuda, illud ad basin lobi capitalis utrinque fissura trans-
versa munitum, ex qua in nonnullis lobus rotundatus provenit.
Segmenta proxima 12 faseiculos setarum utrinque distichos
gerentia, 3-plo vel 2-plo latiora quam longa, cetera plerum-
que dimidio breviora, utringue pectinibus uneinorum distichis
armata. Setae capillares haud limbatae, 20-nae vel magis
numerosae, uncini longi leviter sinuati, subtus acuminati,
apice subbidente, late limbato. Branchiae cirratae filis 4-nis
vel 6-nis, tum simplieibus tum bifureis, in segmentis posteri-
oribus observatae, saepissime absconditae.
Long. corporis fere 100 mill., seetionis anterioris 13 mill.,
lat. max. 4 mill.
Tor, inter corallia muco obvelatus.
Der Hauptunterschied von D. caducus Gr. würde darin
liegen, dafs das 2'° Segment keine Borsten trägt, allein noch
gröfsere Exemplare, wie sie Frauenfelds Sammlung vom rothen
Meer enthielt, zeigten an diesem auch Borstenbündel und die
gefelderte Haut der Exemplare vom Mittelmeer.
506 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
SIPHONOSTOMUM Otto.
S. tenerum Gr.
Grube Beschreib. einiger v. Frauenfeld gesamm. Annelid., Verh. d.
zool. botan. Gesellsch. in Wien 1868 p. 636.
Brevius vermiforme, subtus planum, triente corporis post-
eriore multo tenuiore, tereti, nunce quidem cinereum vel pallide
subcarneum, segmentis 44, fere alterum tantum latioribus
quam longis, papillas brevissimas ferentibus, papillae alterae
paulo majores, ovales in dorso cujusque segmenti series trans-
versas 2 componentes, quarum una in ventrem quoque producta.
Tentacula 2, branchiae, quantum videre licuit, 8. Setae
segmenti 1"i et 2di protentae, ceteris multo fortiores et lon-
giores, (longissimae dimidiam corporis longitudinem aequantes
vel superantes), transverse striatae magnifice splendentes, irieo-
lores, utringue seriem transversam componentes, pharetris
humillimis 2 vix separatis insertae, ad 8-nas, setae seg-
menti 3% capillares, ceteris paulo tantum longiores et crassiores
iricolores, antrorsum vergentes, 3-nae, setae ceterorum seg-
mentorum singulae, superiores capillares tenerrimae, deco-
lores, inferiores breves, subfuscae crassiores, apice paulo
incurvo, &a proximis ejusdem seriei intervallo alterum tantum
majore quam a superioribus ejusdem segmenti distantes.
Long. 14,5 mill., sectione corporis anteriore crassiore
segmenta 22 continente, long. setarum anteriorum protentarum
3 mill. ad 7,5 mill., tentaculorum 2 mill., branchiarum fere
1 mill., lat. max. ad segmentum 10” fere 2 mill., trientis
corporis posterioris 0,5 mill.
Die obige in der Publication der Frauenfeld’schen Anne-
liden gegebene Beschreibung ist hauptsächlich nach dem besten
der im Berliner Museum aufgestellten Exemplare von Ehren-
berg entworfen; das von Frauenfeld eingeschickte hatte zwar
ähnliche Dimensionen, war aber nicht so vollständig erhalten.
CLyYMENE S$ar.
Cl. diadema Ehrb. Gr.
Verh. d. zool. botan. Gesellsch. 1868 p. 637 Taf. VII. F. 4.
Longius vermiformis, utrinque paulo attenuata, nunc qui-
dem ex carneo grisea, segmentis 24, 24° et proximis 18
N vom 21. Juni 1869. 507
setigeris, postremo Subinfundibuliformi. Lobus capitalis cum
segmento 1”° (buccali) coalitus longitudinem segmenti 24 et
3 junetorum aequans: lamina capitalis oblonga, antice
truncata, ad latera et postice latius limbata, limbo reflexo
integro, lobulo anteriore medio nullo, striis latioribus dorsuali-
bus 3, a medio frontem versus vergentibus; media antice bifurca,
postice seusim dilatata, exteriores illi proximae, antice leniter
extrorsum curvatae, paulo attenuatae. Segmenta 11” versus
utringue longitudine crescentia, 2dum et Zium hreviora quam longa,
um quadratum, 11”WM alterum tantum longius quam latum,
proxima sequentium ratione latitudinis habita longiora per
se angustiora, postice tumida, proinde anterioribus magis sejuncta,
20mum jterum paene quadratum, sequentia 3 brevissima an-
nuliformia, s. postremum subinfundiliforme longitudine eorum
junctorum, ad basin haud coarctatum, ad exitum paulo dilata-
tum, neque intus neque extus striatum, margine denticulato,
eirros acutos distantes 18 subaequales, denticulis brevissimis
plerumque 2-nis (rarius 1”° vel 3"iS) interjectis, ferente. Setae
segmentorum pone 10”"” sitorum ad fines posteriores colloca-
tae, capillares tenerrimae, lineares, haud limbatae, ad 30-nas,
flabellum transversum componentes, uncini duplicis generis,
‚alteri (segmenti 2% 3 4) peculiares, vix sinuati, paene recti,
apice simplici haud seposito, serie transversa brevissima collo-
cati (segmenti 2% 2-ni tantum), alteri (segmentorum ceterorum)
toris albis inserti, multo magis numerosi, tororum postremorum
60-ni, pectines componentes, leniter curvati, apice rostrato,
rostro 5-dentato, scopula laterali ereeta munito.
Long. 77 mill., long. segmenti 11”! ad 7,5 mill., lat. max.
5.5 mill., lat. laminae capitalis (limbo reflexo) 2,5 mill., diameter
infundibuli 3 mill.
Diese Beschreibung bezieht sich auf das von Ritter von
Frauenfeld mitgebrachte Exemplar, in Ehrenbergs Sammlung
liegen nur Fragmente vor.
PHYLLOCHAETOPTERUS Gr.
Ph. arabicus Ehrb. Gr.
Brevius vermiformis, corpore antice latiore, depresso, poste-
riora versus multo graciliore subtereti, segmentis fere 395,
508 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
sectionis anterioris pinnulas laterales ferentis 9, mediae
brevissimae, lobis dorsualibus pinnulisque inferioribus munitae
2, posterioris processibus dorsualibus torisque dorsualibus et
ventralibus instructae fere 24. Sectio anterior quadrangula
antice rotundata, supra paulo excavata, subtus leniter convexa,
segmentis fere 7-plo latioribus quam longis. Tentacula utrin-
que 2, superiora brevissima, subulata, inferiora sulco lon-
gitudinali munita longissima. Pinnulae magnae triangulae serie
palearum plus 9 armatae, paleae lanceolatae pellueidae, seg-
menti 4% tum tales, tum fuscae aliquot (2 ad 4) multo latiores,
apice truncato. Segmentum 10” a 9”° minus quam a 11°
sejunetum, illo paulo longius, hoc brevius, cum eo fere trientem
sectionis anterioris aequans: lobi dorsuales foliacei, supra
latius rotundati bilobi, fasciculum setarum capillarium tenuissi-
mum continentes, pinnulae sinu ab iis separatae, arcu descen-
dentes subtus confluentes, uncinis pectiniformibus armatae. Seg-
menta 4 anteriora secetionis posterioris mediä vix an-
gustiora, alterum tantum latiora quam longa, cetera subquadrata,
sensim angustiora breviora, postrema brevissima. Processus
dorsuales clavaeformes, setas capillares perpaucas continentes,
tori superiores laterales, transversi, inferiores ventrales
subquadrati, inter se paululum distantes.
Long. animalis segmentorum 35, fortasse mutilati 14 mill.,
sectionis anterioris et mediae 3,5 mill., tentaculorum inferiorum
ad 7 mill., lat. sect. ant. (pinnis additis) 2,5 mill., corporis
postremi 1 mill.
Diese Art, von der zwar mehrere doch leider schlecht er-
haltene Exemplare vorlagen, steht dem Ph. gracilis Gr. sehr
nahe, hat aber 9 Segmente in der vorderen Abtheilung, ent-
schieden spitze obere Fühler und Polsterchen auf der Mitte des
Hinterrückens. | |
Tubi rudimentum tantum conservatum, hoc teres, corpore
vix amplius, membranaceum, frustulis calcareis obtectum.
TEREBELLA.
a. Branchiis utrinque 3, cirratis.
T. thoracica Ehrb. Gr.
Corpus anteriora versus subquadrangulum, dorso plano,
vom 21. Juni 1869. i 509
ventre initio convexo, rubellum, haud ita tumidum, segmentis
fere 80, anterioribus brevibus 3-plo, tum 2-plo latioribus quam
longis, mediis aeque latis ac longis, posterioribus brevibus, per se.
angustioribus, longioribus quam latis, postremis iterum breviori-
bus. Tentacula longa rubra, marginibus distinctius undulatis.
Segmentum buccale supra fascia oculorum munitum, pro-
xima 3 branchigera, lobis nullis dilatata. Scuta sectionis
anterioris ventralia fere 26, transversa, haud rotundata,
minus circumscripta, in toros uncinigeros transeuntia, latitudine
utrinque valde decrescentia, posteriora 9 fere sulco transverso
subdivisa, postremum quadratum. Fasciculi setarum ca-
pillarium numerosi utrinque 37 ad 41, lati, pharetra oblique
truncata, basi dilatata, a segmento 3° incipientes, tori incini-
geri a 9'° incipientes, laterales ubique serie uncinorum simplici,
posteriora versus in pinnulas breves, crassas, semiovales mutati,
multo longius inter se distantes, ultimi obsoleti. Setae capil-
lares ad 32-nas, aureae anguste limbatae, vix curvatae, uncini
plus 80-ni, rostrati, rostro simplici. Branchiae segmente 24°,
310, 41% affıxae cirratae, fasciculum filorum simplicium ex toro
transverso orientium referentes, tori paris po:tremi sese paene
tangentes, anteriorum vix magis distantes.
‘Long. corporis 56 ad 75 mill., tentaculorum longiorum ad
30 mill., filorum branchialium longiorum 4 mill., lat. max. (ad
segmentum 15'W®) paene 4 mill.
Tubus, ex parte tantum conservatus, 6 mill. latus, firmus,
flexilis, rudimentis conchyliorum et polythalamiis raris obtectus.
Tor, Octobre.
b. Branchiis utringue 3, ramosis.
T. vigintipes Ehrb. Gr.
Corpus rufescens parte anteriore maxime tumida, poste-
riore longiore valde attenuata, segmentis fere 68, 16! et
proximis duplo fere, anterioribus (per se brevioribus) 4-plo,
posterioribus per se multo angustioribus, 2-plo latioribus quam
longis. Tentacula rosea. Segmentum 24”, Zium, qtum hran-
chigera, ut buccale, lobis nullis dilatata. Scuta ventralia 17
transversa rectangula, nune quidem pallida, toris uncinigeris
dimidio angustiora, inde a segmento 18Y° quadrata haud ita bene
510 "Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
distinguenda, a 24% nulla. Fasciculi setarum capillarium
utrinque 20, a segmento 4%, tori uncinigeri a 5f° incipien-
tes, laterales, serie uncinorum duplici, inde a segmento 24t° ven-
trales, serie uneinorum simpliei. Unecini rostrati apice simplieci,
setae capillares haud limbatae. Branchiae utrinque 3,
ramoso-ceirratae, tota dorsi latitudine distantes, stirpe longiore,
serie ramorum brevissimorum distantium, in ramulos longissimos
saepe bifurcos exeuntium obsita.
Long. corporis 50 mill., branchiarum 2,5 mill.
Tor, Decembre, Januario.
T. variegata Ehrb. Gr.
Valida, medium versus incrassata, carnea albo conspersa,
nunc quidem griseo-carnea, segmentis fere 60, anterioribus
4-plo, mediis 2-plo, posterioribus (per se multo angustioribus)
inde a 24° alterum tantum latioribus quam longis. Segmen-
tum 2dum, Zium, tum branchigera, 2dum et Zium connata, lobo
laterali communi magno, longitudinem corporis prosequente,
| paulo obliquo, anteriora versus descendente, semiecirculato ornata.
Tentacula crebra, crassa, fusca, annulis nigro-fuscis variegata,
nunc quidem concolora. Scuta ventralia 13,1mum segmentis
tribus commune, anteriora 9 accuratius circumscripta, transversa,
zeum Jatitudinem tori uncinigeri adaequans, posteriora quadrata
vel paulo longiora. Fasciculi setarum capillarium satis
lati, aurei, utrinque 17, a segmento 4, tori incinigeri a 5"
incipientes, paene aeque lati, a segmento 20%° in pinnulas ven-
trales mutati. Uncini tororum serie dupliei collocati, rostro
simpliei, pinnularum pectiniformes dentibus 4. (
Branchiae utrinque 3 taeniae dorsi marginali incrassatae,
usque ad segmentum 9” patenti affıxae, confertae, haud ita
longe a linea dorsi media distantes, ecinnabarinae, basi punctulis
albis notatae, crassae arbusculiformes, ramosissimae ramis cre-
bris longiusculis, dense fasciculosis vel subeirratis, spira ad-
scendentibus, anteriores majores. | |
Long. 80 mill., branchiarum anteriorum 5 mill., tentaculo-
rum longiorum 18 mill., lat. max. ad segmentum 15'W® 8 mill.,
ad 2dum 6 mill., posteriora versus 3 mill.
Tubus ex fragmentis conchyliorum et arena confectus.
SE a ne
vom 21. Juni 1869. 511
T. virescens Ehrb. Gr.
Graeilis, anteriora versus tumidula, olivacea, segmentis
eireiter 72, anterioribus 4-plo, posterioribus alterum tan-
tum latioribus quam longis. Segmentum 2dum, Zium 4tum
branchigera, ut buccale, lobis nullis dilatata.. Tentacula
flava (plus 15). Scuta ventralia 15 transversa rectangula,
4-plo fere latiora quam longa, toris uncinigeris latiora, poste-
riora versus latitudine minus decrescentia. Fasciculi seta-
rum capillarium utrinque 17 (16 Gr.) a segmento 4° (5° Gr.)
incipientes, pharetris longiusculis, tori uncinigeri a segmento
5t° incipientes, pone 15" latiores, a 20%° in pinnulas mutatıi.
Setae capillares aureae partim fortiores, partim lineares,
uncini tororum serie duplici dispositi, rostro bidente. Bran-
chiae utrinque 3, pallide roseae, humiles, stirpe brevi, seriem
ramorum longitudine et numero ramulorum et surculorum valde
decrescentium mittente, postremae minimae.
Long. corp. 22 mill., lat. 2,5 mill.
Tor, Decembre.
T. Ehrenbergi Gr.
Graeilius vermiformis, anteriora versus tumidula, cute den-
siore splendidula, segmentis cireiter 157, anterioribus paucis
tantum 4-plo vel 3-plo latioribus quam longis, sequentibus lon-
gitudine crescentibus, 17”° jam paene aeque longo ae lato, ce-
teris similibus vel longioribus, postremis iterum brevibus, 2-plo
vel 3-plo latioribus quam longis. Tentacula, quantum videre
lieuit, haud ita numerosa. Segmentum 24um, Zium, 4tum pran-
chigera, lobis nullis dilatata. Scuta ventralia 12, latitudine
valde decrescentia, transversa rectangula, media duplo fere la-
tiora quam longa, latitudine tororum uncinigerorum affınium.
Faseiculi setarum capillarium tenues, jam a segmento
3'° ineipientes, paene per totam corporis longitudinem patentes,
segmentis 20 posterioribus exceptis; tori uncinigeri a seg-
mento 4° incipientes, haud ita lati, pone scuta ventralia omnino
ventrales. Uncini serie dupliei collocati, rostro simplici, Setae
tenerrimae, vix limbatae. Branchiae utringue 3, ramosae,
stirpe bifurca, utraque parte ramos aliquot distantes, ramulis
terminalibus brevioribus 2 vel pluribus obsitos, mittente.
512 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Long. corp. fere 43 mill., " branchiae ei (hujus
speciminis 3%), 1 mill., lat. max. 1,3 mill.
c. Branchiis utrinque 2, ramosis.
T. (Phyzelia) ochroleuca Ehrb. Gr.
Flava hie illic venis rubris picta, nunc quidem subbrunnea,
antice tumida, postice elongata, valde attenuata, segmentis
plus 80 brevibus, postremis haud satis distinguendis. Lobus
capitalis brevis. Tentacula cerassiuscula (7 tantum conser-
vata mutilata), flava aut hyalina.. Segmentum 2dum et Zium
branchigera, lobis lateralibus nullis.. Scuta ventralia trans-
versa brevia, minus seposita, latitudine paululum decrescente.
Fasciculi setarum utrinque 18, a segmento 4%, tori un-
cinigeri a 5'° incipientes, I”"® versus latitudine crescentes, a
16t° decrescentes, mox omnino ventrales, haud in pinnulas mutati.
Setae capillares vix limbatae, 12-nae, uncini serie simpliei
collocati, rostrati, rostro anteriorum certe simplici. Branchiae
utringue 2, humiles fruticosae, stirpe brevissima bifurca, ramo
altero seriem secundam contiguam ramulorum inaequaliter di-
chotomorum mittente, altero minus ramuloso, branchia ante-
rior posteriore paulo major.
Long. fere 27 mill., sectionis anterioris ad 9 mill., bran-
chiae anterioris 2,5 mill.
Tor, Decembre.
Obwohl mehrere Gläser mit dem Namen Terebella ochro-
leuca bezeichnet waren, kann ich doch nur auf dieses eine Thier
die Beschreibung von Ehrenberg beziehen und habe deshalb auch
seine Angaben über die Färbung hier aufgenommen; doch giebt
er 19 Paar Borstenbündel an, fügt auch hinzu, dafs auf dem
Kopflappen eine Reihe von Äugelchen vorkommen. Die T.
seylla Sav. kann nicht mit dieser Art identisch sein, da ihre
Färbung mit T. conchilega übereinstimmen soll, also sehr
abweichend ist, auch die hinteren Segmente ähnliche Haarbor-
sten wie die vorderen tragen sollen.
T. (Phyzelia) atricapilla Ehrb. Gr.
Brevius vermiformis, antice tumida, rubra, nunc quidem
subfusca; splendore paulo violascente, dorso tenerrime transverse
vom 21. Juni 1869. 513
striato, segmentis 50 ad 88, anterioribus 5-plo et 3-plo,
posterioribus plerumque paulo tantum vel vix latioribus quam
longis, 24° et 31° branchigeris, utrinque lobo laterali munitis,
lobi 2di magni, rotundati deorsum latiores, subtus confluentes,
3% minores, altius affiixi. Tentacula nigra crebra, plus 50,
contracta longitudine corporis dimidia vel breviora. Scuta
ventralia 12 transversa, a toris uncinigeris minus seposita,
juncta 4 animalis vivi aequantia. Fasciculi setarum capil-
larium utrinque 13 ad 22, a segmento 4, tori uncinigeri
a 5° incipientes, usque ad "WM Jatitudine (altitudine) crescentes,
tum deerescentes, posteriores ad marginem ventris siti, haud
in pinnulas mutati. Setae tenerrimae, haud limbatae, plus
15-nae. Branchiae utringue 2 pallidae ramosae, modo mini-
mae, modo anterior diffusa, altitudinem corporis interdum
superans, latitudine dorsi distantes, inaequaliter dichotomae,
surculis extremis bifurois, brevissimis.
Long. corp. ad 24 mill., lat. max. 3,5 mill.
In coralliis ad Tor foramina habitat muco vestita.
T. (Phyzelia) fasciata Ehrb. Gr.
Dendrophora fasciata Ehrb.
Vermiformis, antice minus tumida, lobis segmentorum prio-
rum dilatata, dorso inde a segmento 7'° fusco, dense transverse
striato, initio angusto (partibus lateralibus latioribus), sensim
latitudine erescente lateribus ventreque pallidioribus, fune nerveo
ventris satis prominulo, toris uncinigeris corporis anterioris parte
posteriore fascia laete rubra (nune quidem nigricante) ornatis,
fasciis posterioribus 4 latioribus, utringue subtus confluentibus;
segmentis fere 70, mediis duplo, posterioribus (angustioribus)
alterum tantum latioribus quam longis. Lobus capitalis
late ovalis, lobis segmenti 2% haud magis prominens. Tenta-
cula valde numerosa, pallide olivacea. Segmentum buccale
angustum, 2dum et Zium branchigera, 24m utrinqgue lobo maximo
anteriora versus spectante, semicirculato, subtus cum altero
taenia conjuncto munitum, 3!" plica ventrali transversa humili,
gtım utringue lobo angustiore quam 24°, 5tum fasciculum setarum
minimum lobumqgue lateralem humillimum ferens, 6m et pro-
xima 15 fasciculis setarum torisque uncinigeris sese tangentibus,
[1869.] N
514 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
qzmum et SYum praeterea ad latera dorsi organo brevi clavaeformi,
in fossa ampla recondito, instructa, segmentum 21”Um et cetera
solis pinnulis munita. Scuta ventralia 16 anteriora la-
titudine tororum uncinigerorum, 4-plo et 3-plo latiora quam
longa, cetera longitudine sensim crescentia, latitudine maxime
decrescentia, 13!"® rotundato-quadratum ut proxima parte poste-
riore e longitudine striata. Fasciculi setarum utrinque 17,
setae capillares ad 10-nas, nonnullae latiores, tori uncinigeri
sub fasciculo setarum papilla parva muniti, pinnulae subqua-
dratae, uncini tororum serie dupliei, pinnularum simpliei col-
locati, illi rostro paene simpliei, hi distinctius 3-dente vel
4-dente.
Branchiae utrinque 2, lineam dorsi mediam proximae,
ex basi quasi communi orientes, arbuseuliformes, ramis solo ex
apice stirpis radiatim prodeuntibus fere 6, longissimis, in ra-
mulos haud ita breves divisis, ramuli surculis minutis saepius
bifureis muniti; branchiae paris 1”! alteris multo altiores magis-
que compositae.
Long. corp. fere 73 segmentorum nunc quidem ad 70 mill.,
branchiarum paris 1”! ad 5 mill. i. e. longitudinem segmento-
rum anteriorum fere 9 aequans, tentaculorum longiorum 14 mill.,
lat. max. plus 4 mill., seetionis anterioris medio PiNen 3,9 mill.
Tubus frustulis lapidum confectus.
Tor.
TEREBELLIDES Sars. °
T, umbella Ehrb. Gr.
Brevius vermiformis, nunc quidem ex carneo fusca, ante-
riora versus tumida, sectione posteriore pinnuligera multo minus
crassa sensim attenuata; Segmentis plus 33, mediis a 1240
fere usque ad 17”"m minus brevibus quam ceteris. Lobus
capitalis satis magnus semieirculatus, supra tentaculis
.maxime numerosis obsitus. Tentacula filiformia, plerumque
longissima, apice incrassata clavaeformia, nonnulla breviora
paulo crassiora, magis aequalia. Segmentum buccale breve,
nudum, 2dum (branchigerum) et proxima 17, fasciculis setarum,
Gum et sequentia 13 cristis uneinigeris quogue, reliqua
solis pinnulis instructa. Setae capillares subrectae, tenerae
2 ee
% | vom 21. Juni 1869. 515
haud limbatae, ad 6-nas, eristae uncinigerae omnino late-
rales, proxime sub illis ortae, uncini earum manubrio elon-
gato, leniter sinuato, rostro, quod videre licuit, simpliei, erista-
rum anteriorum perpauci, ceterarum summum $-ni; pinnulae
angustissimae, uncini earum rostro pectinatim dentato, ad 12-
nas, dentibus fere 4-nis. Branchia dorso segmenti 24 affıza,
stipite angustiore, breviore, parte supera anteriora versus in
lobos 4 exiens, postice simplici subtriangula, serie tripliei pa-
pillarum obsita; lobi serie laminarum tumidarum dupliei quasi
peetiniformes, acuminati, superiores 2 inferioribus multo te-
nuiores et breviores.
Long. animalis postice paululum mutilati 8 mill., sectionis
anterioris (segmentorum 19) 6,5 mill., tentaculorum longiorum
6 mill., loborum branchialium majorum plus 1 mill., lat. max.
eorporis plus 1 mill.
Tor, inter corallia.
Diese Art ist T. Sieboldii Kbg. am ähnlichsten, doch
weicht namentlich Kinbergs Beschreibung der Kiemen ab.
POLYCIRRUS Gr.
P. (Leucariste Mgn.) coccineus Ehrb. Gr.
Terebella coccinea Ehrb.
Vermiformis anteriora versus tumidissimus, ad lobum ca-
pitalem angustatus, parte posteriore gracili, subteres, subtus sulco
medio longitudinali, coccineus, segmentis fere 100, anterio-
ribus quasi cingulo munitis 3-plo et 4-plo, posterioribus alterum
tantum, postremis 2-plo fere latioribus quam longis.. Lobus
capitalis supra reniformis, segmenta anteriora amplectens,
suleis linearibus striisque distantibus aliquot quasi areolatus,
subtus sinu longitudinali longiore, et utrinque brevissimo trans-
verso, ab ore exeuntibus plicatus. Tentacula maxime nu-
merosa, confertissima, comam crassam componentia, a limbo
lobi capitalis marginali et a parte inferiore orientia, plurima
extremitate elongato fusiformi, sulco infero exarvata, pauca tan-
tum filiformia, longiora dimidiam corporis longitudinem ae-
quantia. Scuta ventralia nulla. Fasciculi setarum capil-
larium utrinque 22, a segmento 22° incipientes, pharetrae elon-
gatae graciles, dimidiam ventris latitadinem aequantes, e margine
37°
516 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
ventris laterali prodeuntes, intervallis ‚utringue interjeetis satis
magnis, anteriora versus maxime decrescentibus, a segmento
24° in pinnulas mutatae.‘ Setae capillares marginem pha-
retrae posteriorem serie obliqua prosequentes, 6-nae ad 10-nas,
fortiores leniter curvatae, utrinque denticulatae, uneini pinnu-
larum tenerrimi rostrati apice simplici. Tori uncinigeri in parte
corporis anteriore haud distinguendi.
Long. corp. circiter 22 mill., tentaculorum fere 10 mill.,
lat. max. (ad segmentum 20”Wm et proxima) 1,5 mill., lat. lobı
capit. 1,5 mill., segmentorum postremorum plus 0,5 mill.
SABELLA L. Sav.
S. fusca Gr.
Brevius vermiformis, crassa, semiteres ventre plano, poste-
riora versus paulo attenuata, apice extremo rotundato anum
continente, nune quidem umbrina scutis ventralibus fuscioribus,
paene nigricantibus, segmentis fere 106. brevibus, longitudine
mediorum 1; latitudinis, posteriorum fere 7}; latitudinis aequante.
Mutatio setarum pone segmentum 7"U® yel 8’"m observata,
sectione corporis anteriore paulo latiore quam longa, 4 longitu-
dinis adaeguante. Scuta ventralia per se ubique eadem la-
titudine, 5-plo fere latiora puam longa, posteriora multo bre-
viora, 8-plo latiora quam longa. Collare humile, subtus medio
paulo incisum, utrinque integrum. Branchiae aeque longae,
utringue orbem componentes, longitudine 4 corporis adaequante,
filis utringue 34 ad 38, barbatis, ad basin membrana humillima
conjunctis, pinnulis dorsualibus oculisve nullis, lamina basali
humili, umbrinae vittis fuscis angustis 8, apex filorum nunc
quidem plerumque in spiram gyrorum 3 involutus; radii rigi-
duli, haud crispati, longitudine 3-plam rhachis cerassitudinem
aequante. Tentacula (utrinque 1) triente filorum paulo lon-
giora. Fasciculi setarum flavi, aeque breves, setae capil-
lares haud ita numerosae, leniter sinuatae, anguste limbatae,
pectines uncinorum simplices, sectionis anterioris latitudine
maxime decrescentes, posterioris initio multo minus lati, a scutis
ventralibus paene dupla latitudine distantes, sensim magis ad
ventrem extensi, uneini rostrati, apice simplici.
|
|
|
vom 21. Juni 1869. 517
Long. corporis 66 mill., branchiarum 36 mill., lat. max.
corp. 7,5 mill.
Tubus limo confectus, pariete crasso, postice geniculatus.
S. (Dasychone Sars) luctuosa Ehrb. Gr.
Corpus brevius vermiforme subteres, posteriora versus paulo
complanatum, ano extremo, fuscum, nunc quidem subfuscum
ventre collarique punctis fuscis adsperso, segmentis 69 ad 75,
anterioribus et mediis 7-plo, posterioribus 3-plo fere latioribus
quam longis. Mutatio setarum pone segmentum 8" obser-
vata, sectione corporis anteriore paulo latiore quam longa.
Collare humillimum erectum utrinque integrum, partibus ad
lineam ventris mediam sitis lobi rotundati instar reflexis. Scuta
ventralia pallidiora, anteriora 8 indivisa 3-plo fere, cetera
(inde a 10”°) sulco mediano bipartita 4-plo, tum 5-plo latiora
quam longa.. Branchiae aequales 4 fere totius longitudinis
(4 corporis longitudinis) aequantes, utrinque in orbem convolu-
tae, filis utringue 18 ad 24, animalis vivi atro-rubrae, lamina
basali humili, fila nunc quidem pallide grisea, annulis brunneis
angustis 24 ad 36 articulata, membrana basali paene nulla con-
juncta, radiis barbata, pinnulis dorsualibus munita, apice extremo
nudo; radii filiformes longitudine 6-plano rhachis crassitudinem
aequante, ad annulos prodeuntes brunnei, ceteri decolores,
pinnulae dorsuales obtusae, paribus 12-nis dispositae, in-
feriores brevissimae, rhachis crassitudinem aequantes, ceterae
apicem versus longiores, filiformes, radiis breviores. Tentacula
(utringue 1) brunnea, 4 fere longitudinis filorum aequantia.
Fasciculi setarum sectionis anterioris flavi, posterio-
ris fusciores, setae capillares numerosae limbatae; pectines
uncinorum simplices, sectionis anterioris latitudine decrescen-
tes, posterioris postremis illius satis minus lati, uneini
rostrati, apice simplici.
Long. corp. ipsius 32 mill., branchiarum 16 mill., lat. corp.
max. 4 ad 5 mill. |
Tubus flexuosus, cartilagineo-membranaceus, arena ad-
mixta scaber, dilute fuscus, coralliis affıxus.
Tor, Decembre.
518 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
SERPULA L. Sav.
S. (Pomatoceros) erucigera Gr. |
Serpula erucigera Gr. Jahresber. d. Schles. Gesellsch. für 1861
p- 66.
Corpus brevius vermiforme extremitate postica obtusa,
nunc quidem pallide carneum, segmentis plus 77, omnibus
setas capillares gerentibus, seetione anteriore 4 corporis
adaequante, segmenta 7 continente, lobis membränae pallialis
angustis alata. Collare, utrinque incisura laterali bilobum,
margine haud dentato. Branchiae aequales, nunc quidem ex
coeruleo cinerascentes, spira gyrorum 7 adscendentes; fila
branchialia usque ad dimidium longitudinis membrana con-
juncta utrinque fere 200, gyri infimi plus 40. Stylus oper-
culifer sinister, latus, supra excavatus, processibus nullis
armatus. Operculum lamina membranacea subovata paulo
excavata, posteriora versus angustior, supra prope basin pro-
cessu erecto crasso jam ad basin tricorni armata, cornua
deorsum curvata, lateralia simplicia, acuta, impar paulo
longius, nec vero marginem operculi superans, apice bifurco.
Fasciculi setarum sectionis anterioris, 1%° excepto,
latissimi, setae leniter curvatae, aureae, anguste limbatae,
fasciculi 1®i paucae (8), longiores earum magis curvatae
paene uncinatae; setae sectionis posterioris fasciculos
tenuissimos componentes, fere 6-nae, tenerae, geniculatae.
Long. totius animalis 31 mill., branchiarum (ut operculi)
plus 9 mill., filorum gyri infimi 5,5 mill.
Tubus haud conservatus.
Tor, Decembre.
Der Deckel dieser Art zeigt. die gröfste Ähnlichkeit mit
der von Mörch gegebenen Abbildung von Pomatoceros bu-
cephalus Mch.'), einer Art, die von Semper bei den Philip-
pinen gefunden, aber blofs nach dem Deckel und der Röhre
aufgestellt ist. Namentlich fehlen Angaben über die Beschaffen-
_ heit der Kiemen.
!) Mörch Revis. crit. Serpulidarum Naturh. Tidsskr. 1863 Tab. XI
12126.
uw
vom 21. Juni 1869. 519
S. (Pomatoceros) multicornis Gr.
Serpula multicornis Gr. Jahresber. d. Schles. Gesellsch. für
1861 p. 59. 66. |
Corpus brevius vermiforme, nunc quidem albidum, seg-
mentis fere 86, omnibus setas capillares gerentibus, sec-
tione anteriore 4 corporis superante, Segmenta 7 conti-
nente, lobis membranae pallialis angustis alata. Collare
utringue incisura laterali fissum, margine haud dentato. Bran-
ehiae aequales, nunc quidem pallide roseae, utringue orbem
simplicem componentes; fila branchialia usque ad dimidium
longitudinis membrana conjuncta, utrinque 20, usque ad apicem
barbata. Stylus operculifer sinister, latus, complanatus
utringue membrana angusta, supra latiore 6-fimbriata alatus,
operculum orbiculare, branchiis imminens, cornibus 6 ex
eirculo disci medii orientibus armatum, cornua marginem
operculi paulo superantia, conservata (3 tantum) paene a
basi bifurca, ramis furcae serie subulorum 4 obsita, apice ipso
bidente. Faciculi setarum sectionis anterioris 7, 1”°
excepto, latissimi, setae leniter curvatae flavae, anguste lim-
batae, faseiculi 1”i longissimi tenuissimi, partim capillares
anguste limbatae, partim fortiores, longiores inaequaliter bifur-
cae, setae sectionis posterioris tenerrimae, geniculatae vel
oblique scalpratae, ad 4-nas. Uncini minimi, pectinatim
dentati.
Long. totius animalis ad 18 mill., branchiarum 3 mill.,
opereuli 4 mill., corporis 14 mill., lat. max. corporis 2 mill.
Ein anderes Exemplar dieser Serpula mit etwas abwei-
ehenden Körperverhältnissen ist von mir in der Veröffentlichung
der von Frauenfeld gesammelten Anneliden des Rothen Meeres
beschrieben. (Verhandl. d. zoolog. botan. Gesellsch. in Wien
1868 p. 639). |
S. (Pomatostegus) sanguinea Ehrb. Gr.
Corpus brevius vermilorme nunc quidem ex griseo carneo
fulvescens, segmentis fere 90, mediis (ante 61”W® sitis) 5-
plo fere, posterioribus per se paulo latioribus 15-plo latio-
ribus quam longis vel etiam brevioribus fuscioribus, sectione
“ anteriore, segmenta 7 continente, } corporis excedente, lobis
n
520 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
membranae pallialis sub angustis sanguineis. Collare utrinque
semel leviter incisum, margine haud dentato.. Branchiae
aequales, utringue orbem simplicem componentes, plus 4 cor-
poris, # fere totius animalis longitudinis aequantes, laete san-
guineae, apice albo, parumper variegatae; fila branchialia
utringue 25, membrana nulla conjuncta, membrana basali spi-
raliter adscendente, longitudine maxime decrescentia, (postre-
ma 4 tantum longitudinis anteriorum aequantia), rhachi crassi-
ore, fuscius annulata, usque ad apicem extremum barbata,
longitudine radiorum 4-plam rhachis crassitudinem aequante.
Stylus operculiger sinister, latissimus, utringue mem-
brana integra alatus, ut operculum sanguineus, nunc quidem
pallidus vittis lillaceis transversis ornatus. Operculum ipsum
ex discis 2 parallelis columellaque superiorem ferente eamque
penetrante compositum, columella inter marginem dorsualem
centrumque disei inferioris nata, in mucronem liberum simplicem
excurrens, radios septem acutos in discum superiorem emittens,
radius impar longior ventralis bifurcus; disci orbieulares
patellae formes inferior margine integro, superior margine
partisdorsualis quasi radiatim costulato, paulo crenato, sub
mucrone fuscus. Fasciculi setarum sectionis anterioris
7, 19° excepto latissimi, setae aureae, capillares anguste
limbatae, curvatae, fasciculi 1”i tenuissimi 4 tantum vel 5, sub
apice longo gradum exhibentes; setae sectionis posterioris
brevissimae tenerrimae capillares limbatae, decolores 4-nae,
solis in segmentis postremis observandae. Uncini minimi
pectinatim dentati.
Long. totius animalis 22,5 mill., operculi 4 mill. superans,
branchiarum paulo minor, corporis 18 mill., lat. max. corp. 2mill.
Tubus postice quadrangulus, pariete crassissimo, carinis
dorsi humilibus undulatis 3.
S. (Eupomatus) albiceps Ehrb. Gr.
Corpus brevius vermiforme, membrana palliali laete rubra,
lobis lateralibus angustis, sectione posteriore dilute fusca; seg-
mentis plus 53, sectionis anterioris # corporis superan
tes 7. Collare utrinque semel incisum, margine haud dentato.
Branchiae aequales, albae, utrinque semiorbem componentes,
vom 21. Juni 1869. 521
lamina basali utringue medium versus altiore, fila branchi-
alia utringue 11, ad basin membrana nulla conjuncta, barbata,
radiis rhachis crassitudine paulo longioribus. Stylus oper-
culiger dexter, teres gracilis longus, inermis sinister, cras-
sius styliformis, dimidio fere brevior. Operculum album,
branchias superans, infundibuliforme, fundo vix excavato, sulcis
radiato, medio coronam ferente, margine dentibus brevibus
triangulis fere 30 armato, corona sub-infundibuliformis, in
spinas 7, dentibus multo longiores et laminam 1, in spinae 8”?
locum substitutam, excurrens, lamina dorsualis erecta, sub-
quadrangula, basi paulo coarctata, utringue processu spinae-
formi 1 munita, inde a dorso visa cruciformis. Fasciculi
sectionis anterioris 7, 1”° excepto lati, setae capillares
haud limbatae, fasciculi 1”! tenuissimi paucae, fere 10, par-
tim breviores, capillares, pallidae tenerrimae, partim multo lon-
giores, fortiores, inaequaliter bifurcae, ramo altero brevissimo,
dentiformi fisso, altero longissimo; (setae sectionis posterioris
haud observatae). Uncini sectionis anterioris minimi
pectinatim incisi, denticulis multis (fere 9).
Long. totius animalis vivi 6-linearis, nunc quidem 12,5 mill.,
sectionis anterioris corporis vix 2 mill., operculi 3,5 mill., lat.
max. corporis 1 mill. paulo major.
Tubus calcareus celeberrimo Ehrenberg auctore subqua-
drangulus, antice teres, coralliis adhaerens.
Tor. Animal observatum haud completum.
24. Juni. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Müllenhoff las über die Erd- und Gradmessung des
Eratosthenes.
[1869.] 38
522 Gesammtsitzung vom 24. Juni 1869.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Bd. 32. Berlin
1868. 8.
Mittheilungen der geschichts- und alterthumsforschenden Gesellschaft des
Österlandes. 7. Bd. 2. Heft. Altenburg 1869. 8.
Bulletin de la societe de geographie. Paris, Mai 1869. 8.
Annual Report of the Commissioner of patents, for 1866. Vol. 1—3.
Washington 1367. 8.
In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus den Jahrgängen
1868 und 1869 erschienen:
v. RANKE, Briefwechsel Friedrichs des Grossen mit dem Prinzen Wil-
helm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin, Anna,
geb. Princefs Royal von England.
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.
EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikro-
skopischen Baeillarien unter und bei der Stadt Mexiko.
Preis: 1 Thir. 15 Sgr.
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MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
Julı 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Trendelenburg.
2. Jul. Öffentliche Sitzung zur Feier des
Leibnizischen Jahrestages.
Hr. Haupt, an diesem Tage vorsitzender Sekretar, eröff-
nete die Sitzung mit einem einleitenden Vortrage über Leib-
nizens Beziehungen zur classischen Philologie.
Hierauf verlas Hr. du Bois-Reymond, Sekretar der
physikalisch-mathematischen Klasse, folgende Preisfrage, welche
aus dem Cotheniusschen Legate für das Jahr 1872 gestellt
wird:
„Es ist bekannt, dafs sich Weizenmehl und Roggenmehl
wesentlich durch das verschiedene Verhalten von einander un-
terscheiden, welches die in denselben enthaltenen stickstoffhal-
tigen Bestandtheile unter ‘dem Einflusse des Wassers zeigen.
Bei der Behandlung des Weizenmehls mit Wasser bleiben,
nach Absonderung der Stärke schlielslich erhebliche Mengen
einer stickstoffhaltigen Substanz, des sogenannten Klebers,
zurück, welche durch fortgesetzte Einwirkung des Wassers
nicht weiter verändert wird, während Roggenmehl unter ge-
nau denselben Bedingungen nur Spuren einer stickstoffhaltigen
Materie hinterläfst.
[1869.] 39
524 Öffentliche Sitzung
Es ist ferner bekannt, dafs sich bei der Behandlumg einer
Mischung von Weizenmehl und Roggenmehl mit Wasser die
Menge des aus dem Weizenmehle für sich abscheidbaren Kle-
bers wesentlich verringert, eine Erscheinung, die andeutet, dafs
in dem Roggenmehle eine den Kleber löslich machende Sub-
stanz enthalten ist. |
Die Zusammensetzung des stickstoffhaltigen Bestandtheils,
sowohl des Weizenmehls als des Roggenmehls ist, trotz vieler
schätzenswerther Untersuchungen, bis jetzt mit Sicherheit nicht
ermittelt. Die Natur des in dem Roggenmehl enthaltenen Kör-
pers, welcher das Löslichwerden des Weizenklebers bedingt,
ist ebenfalls unbekannt wie auch die Veränderungen, welche der
Weizenkleber unter diesen Bedingungen erleidet.
Die Akademie bietet einen Preis von 100 Ducaten für eine
neue eingehende chemische Untersuchung der stickstoffhaltigen |
Bestandtheile des Weizenmehls und des Roggenmehls, sowie
der Veränderung, welche der Weizenkleber erfährt, wenn er in
Gegenwart von Roggenmehl der Einwirkung des Wassers aus-
gesetzt wird. |
Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der Beant-
wortung dieser Aufgabe, welche nach Wahl des Verfassers in
deutscher, lateinischer oder französischer Sprache abgefafst sein
kann, ist der erste März 1872. Jede Bewerbungsschrift ist mit
einem Motto zu versehen, und dieses auf dem Äufseren des
versiegelten Zettels, welcher den Namen des Verfassers enthält,
zu wiederholen. - 2
Die Entscheidung über die Zuerkennung des Preises von
100 Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizi-
schen Jahrestage im Monat Juli 1872.“
Hr. Trendelenburg fügte folgenden Bericht hinzu:
Die Akademie der Wissenschaften hatte am Leibnizischen
Jahrestage 1866 folgende Preisaufgabe für das Jahr 1869 be-
kannt gemacht:
„Seit dem Erscheinen des Chronicon Gotvicense sind in fast
allen Theilen Deutschlands vielseitige Forschungen über die
vom 2. Juli 1869. i 525
ältere deutsche Geographie angestellt und, begünstigt durch die
erweiterte Kenntniss unserer Geschichtsquellen, nach und nach
einem vorläufigen Abschlusse angenähert worden. Es erscheint
thunlich und wünschenswerth die bisherigen Ergebnisse dieser
Forschungen zusammen zu fassen. Die Königliche Akademie
der Wissenschaften stellt daher als Preisaufgabe
eine Übersicht der Ergebnisse der über die Geographie
des deutschen Reiches bis auf die Zeit des Kaisers
Heinrich des Fünften angestellten gelehrten Untersu-
chungen, mit vorzüglicher Beachtung der einzelnen
Bestandtheile des Reiches, seine kirchliche und welt-
liche Eintheilung bis zu den Gauen und ihren Be-
zirken hinab. Ausgeschlossen bleiben die zum Lango-
bardischen Reiche gehörigen Länder.
Als Grundlage der Arbeit sind die Geschichtschreiber, die
Urkunden, die sonstigen Geschichtsquellen und die darauf ge-
stützten gelehrten Forschungen zu benutzen und Verzeichnisse
derselben beizufügen. Erläuternde Übersichtskarten werden
gewünscht, aber nicht als Bedingung der Preisertheilung ge-
fordert.“
‚Es ist keine Bearbeitung dieser Aufgabe eingegangen.
Indessen wird wegen der Bedeutung dieses Gegenstandes die-
selbe Preisaufgabe wiederholt.
Die Arbeit kann in deutscher, lateinischer oder französi-
scher Sprache abgefasft sein.
Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der dieser
Aufgabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1872. Jede
Bewerbungsschrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses
auf dem Äussern des versiegelten Zettels, welcher den Namen
des Verfassers enthält, zu wiederholen.
Die Ertheilung des Preises von Einhundert Ducaten ge-
schieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahres-
tage im Monat Juli des Jahres 1872.
Derselbe Sekretar brachte Folgendes zur Kenntnifs.
Das Statut der Bopp-Stiftung bestimmt in $ 11, dafs in
der öffentlichen Sitzung, welche die Königliche Academie der
397
526 Öffentliche Sitzung
Wissenschaften im Juli jedes Jahres zu Leibnitzens Gedächt-
nils hält, ein von der vorberathenden Commission der Stiftung
entworfener, kurzer Bericht über deren Wirksamkeit im ver-
flossenen Jahre und über ihren Vermögensstand erstattet
werde.
Dieser Bericht, unterzeichnet Lepsius, Weber, Kuhn,
Müllenhoff, Steinthal, lautet wie folgt:
Obschon das vergangene Jahr erst das zweite seit Grün-
dung der Stiftung war, so ist doch darin, auf Grund der noch
nachträglich, besonders aus dem Auslande so reichlich einge-
gangenen Beiträge, bereits ein Umstand eingetreten, welcher bei
Abfassung der Statuten noch als in ziemlicher Ferne liegend
erschien, der nämlich, dafs der jährliche Zinsertrag der Stiftung
aufser der bisherigen Rate von 300 Thlr. noch eine fernere
Summe von 150 Thlr. zur Disposition stellte. Auf Grund von
$ 5. des Statuts wurde daher die Bildung einer zweiten Rate
beschlossen, in der Weise, dafs es alljährlich von den Um-
ständen abhängen solle, ob diese zweite Rate von 150 Thlr.
zu der ersten Rate von 300 Thlr. hinzutrete oder ob sie selb-
ständig zur Verwendung komme. Es wurde sodann, dem ent-
sprechend, für den 16. Mai d. J. die Hauptrate von 300 Thlr.
dem Dr. Hermann Ebel in Schneidemühl zuerkannt, nach
$ 1,2 des Statuts als ein „Preis* für seine Bearbeitung der
Zeufs’schen grammatica Celtica, und die zweite Rate von
150 Thlr. dem Dr. A. Leskien, Privatdocent in Göttingen,
nach $ 1, 1 des Statuts, als eine „Unterstützung“ zur Fort-
setzung seiner Studien, besonders auf dem Felde der slavischen
Philologie.
Seit dem vorjährigen Bericht hat sich der Vermögens-
stand der Stiftung wieder erheblich vermehrt. Auf die Kunde
von Bopps Hinscheiden hatte sich im März v. J. in Caleutta
ein Comite gebildet, um ihm einen Tribut dankbarer, über das
- Grab hinausreichender Verehrung darzubringen. In dem Auf-
rufe, welchen ein hochgebildetes Mitglied der indischen Armee,
Major W. N. Lees, dieserhalb veröffentlichte, ist auch auf die
hohe politische Bedeutung, welche Bopp’s Forschungen für
Indien haben, in höchst charakteristischen Worten hingewiesen.
Es heifst darin:
vom 2. Juli 1869. ER
„es kann kein Zweifel sein, dafs auch politisch Bopp’s
Entdeckung bald reiche Früchte tragen wird. Durch
das Walten einer allweisen Vorsehung hat es sich so
getroffen, dafs das indische Volk, welches in der Ent-
wickelung geistiger Fähigkeit einer der edelsten Zweige
des indogermanischen Volksstammes ist, seit ungefähr
einem Jahrhundert durch eine Nation indogermanischen
Ursprungs beherrscht wird. Es ist der Fehler von
Beiden, den Regierern und den Regierten, dafs
bis jetzt das indische Volk die Stellung einer un-
terworfenen, eroberten Race eingenommen hat; seit
Kurzem aber, hauptsächlich auf Grund der Kenntnifs
der ursprünglichen Stammverwandtschaft, scheint ein
besseres Einverständnifs immer mehr Platz zu greifen.“
Es verdient die höchste Beachtung, dafs ein Aufruf, der
solche Worte enthält, von den höchsten Spitzen der indi-
schen Regierung wie Gesellschaft — der Vice-König selbst, da-
mals noch Sir J. Lawrence, steht an der Spitze der Liste, die
im Übrigen auch den Namen des Lordbischofs von Calcutta
enthält — warm und zustimmend aufgenommen und verbreitet
ward. Unter den 59 Namen der Liste befinden sich auch die
von 13 Hindu’s, welche damit ihrem Dank für das Verdienst,
das sich Bopp um Indien’s Gegenwart und Zukunft erworben,
Ausdruck gegeben haben.
Der durch Bäbu Räjendra Läla Mitra eingesandte Er-
trag der Sammlung beläuft sich auf Rupies 1454. 13, oder
£ 143. 19. 4., zum Werthe von 970 Thlr. 28 Sgr., auf Grund
folgender Liste:
Rupies
His Excellency the Viceroy and Governor Ge-
gerale of India”. ”. ... ae a
Honble G. N. Taylor B. C. S. a 50
Fuer m. Bemple RK. Ö.8:. 1... .. 30
Eat rl Maier UNE ME. LVO
Eitible' d). B-Trhear '.'. . un 90
Right Revd the Lord Bishop of Oaleutta ms 60
Babu Jugadanundo Mookeri . . 2.2... 10
Babu Kishen Kishore Ghose . . . 2...» 20
528 Öffentliche Sitzung
Babu Onucul Chundra Mookerji
Munshi Amer Ali Khan Bahadur .
A..Grote, Esqu. Bi, Suse nsake
W. 8. Atkinson Esqu.
Babu Romanath Tagore .
Babu Jotindromohun Tage . ;
Kumor Suttyanundo Ghosal Bahadur
Babu Digambur Mitra
Kumar Harendra Krishna Bahadır
Babu Debendranath Mullick .
John Boxwell Esqu. B. C.S..
Lieut. Col. G. Mainwaring
Col. J. C. Haughton .
Honble Rajah Sheoraj Sing.
Lieut. R. P. Jenkin
Rev. K. M. Banerji
G. M. Tagore Esqu.
C. Tawney Esqu.
A. M. Croft Esqu.
Babu Kristokumal Bhottacharji
Major W. N. Lees
Babu Gourdass Bysack !
E. C. Bayley Esqu. B-C.S..
Col. R. Maclagan R. E...
Robert Egerton Esqu. B. C. S. :
J. H. Thornton Esqu. B. C. S. D.C. S..
Captn. W. R. M. Hallroyd .
H. S. Griffin Esqu. B. C. S.
L. C. Stewart Esqu. M.D. ..
Honble Sir D. F. Macloud K. C. S. HL
Bäbu Räjendra Läla Mitra . eEeR
Total Rupees
Deduct for printing, advertising and postage
Total Rupees
Caleutta 6th February 1869.
Aufser dieser bedeutenden Summe ist dann ferner auch
noch ein Einzelbeitrag von einem Parsen aus Teheran, Manokjee
Rupies
10
‚30
‚ 20
20
‚32
32
32
32
16
32
50
20
25
90
20
100
25
25
25
10
200
20
1499
44.
Oo
oO
1454. 13
=
vom 2. Juli 1869. 529
Limjee Hatria, zum Betrage von £ 1 (6 Thlr. 20 Sgr.) einge-
gangen. |
Durch diese aus fernen Landen in dankbarer Hochachtung
vor Bopp’s Verdiensten eingesandten Beiträge hat sich das Ver-
mögen der Stiftung neuerdings wieder um 1000 Thlr. preuss.
Staatsanleihe von dem Jahre 1864 zu 44 pCt. (nro. 7741, an-
gekauft am 10 Mai d. J. mit Zinsen vom 1. April d. J. an, für
945 Thlr.) vermehrt.
Der Vermögensstand der Stiftung beträgt somit gegenwärtig
a. 11,100 Thlr. preuss. Staatsanleihe aus den Jahren
1854. 1859 und 1864 zu 44 pCt.
b. 100 Thlr. preuss. Prämien-Anleihe von 1855 zu 34 pCt.,
zusammen mit einem jährlichen Zinsertrage von 503 Thlr.
Berlin, den 15. Juni 1869.
Nach dieser Berichterstattung hielt Hr. Dove die auf den
Wunsch der Akademie für das Säcularjahr des Geburtstags
Alexander von Humboldts übernommene Gedächtnifsrede.
5. Juli. Sitzung der philosophisch-histo-
rischen Klasse.
Hr. Weber las die Fortsetzung seiner Abhandlung über
das saptagatakam des Hala.
8. Jul. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Mommsen las über die comites et amici Augusti der
früheren Kaiserzeit.
530 Gesammisitzung
/Hr. Dove legte die folgende Untersuchung des Hrn. Prof.
E. Reusch in Tübingen über Glimmercombinationen
vor. |
1. Wenn man eine gerade Anzahl dünner Plättchen zwei-
achsigen Glimmers in der Art über einander legt, dafs die
Hauptschnitte (Supplementarlinien) der Plättchen sich unter 90°
abwechselnd kreuzen, so erhält man schon bei einer mäfsigen
Zahl von Kreuzungen ein Präparat, das sich nahe wie ein
einachsiger Krystall verhält. Fallen die Glimmerhauptschnitte
mit den gekreuzten Polarisationsebenen zusammen, so ist die
Imitation vollständig; dreht man aber das Präparat in seiner
Ebene, so bleiben zwar die Farbenringe, aber die Arme des
schwarzen Kreuzes hellen sich auf und nach einer Drehung
um 45° bleibt nur im innersten Ring ein kurzarmiges Kreuz
übrig, Nörrenberg, von dem dieser Versuch stammt, wurde
dazu durch die bekannten Arbeiten Senarmonts über Glimmer
und Seignettesalz veranlafst. Quenstedts Mineralogie (2. Auf-
lage, pag. 239) ist meines Wissens die einzige Schrift, in der
dieser Versuch erwähnt wird. Übrigens liefert Hr. Steeg in
Homburg (Nr. 77 seines Katalogs von 1867) diese Präparate
in ausgezeichneter Schönheit.
2. In letzter Zeit habe ich neue Glimmercombinationen
versucht, durch welche die Wirkung rechts oder links drehen-
der einachsiger Krystalle nachgeahmt werden sollte. Mit Hülfe
der untenstehenden Figuren will ich vorerst eine Vorstellung
von diesen Combinationen geben.
Fig. 1. Fig. 2.
Auf zwei Glasplatten wurden Cartons geklebt, welche
vorher je drei unter 60° sich schneidende rechtwinkliche Aus-
vom 8. Juli 1869. 53l
schnitte zum Einlegen der länglichen Glimmerlamellen erhalten
hatten. Die Lamellen selber stammten von einem zweiachsigen
Glimmer von über 70° Achsenwinkel; sie waren möglichst
dünn und gleich dick, und in allen fiel die Supplementarlinie
(der Hauptschnitt) mit der längeren Dimension zusammen.
Angenommen man habe 48 Lamellen: die eine Hälfte wird
nun verwendet um nach Fig. 1 die Lamellen in der Ordnung
1, 2, 3 zu einer von links nach rechts ansteigenden
Treppe zu schichten; die andere Hälfte wird nach Fig. 2 zu
einer‘ von rechts nach links aufsteigenden Treppe
geschichtet. Vor dem Auflegen einer neuen Lamelle wird auf
die liegende ein Tropfen von dickflüssigem Kopalfirnils gegeben
und die neu aufgelegte Lamelle leicht angedrückt. Man erhält
so zwei Präparate, deren Lamellen in dem mit R bezeichneten
Stück (Fig. 1), für einen Beobachter, der die Treppe von der
Seite ansieht, nach Rechts, in Z (Fig. 2) nach Links ansteigen.
Der Botaniker, welcher zur Bestimmung der Windungsrichtung
eiuer Schraube sich in deren Achse stellt, wird allerdings und
vielleicht mit gröfserer Consequenz das Stück R ein linksge-
wundenes, und das Stück L ein rechtsgewundenes uennen;
im Folgenden werde ich aber an dem in der Technik und im
gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Begriff der rechten und
linken Schraube festhalten.
Die Präparate R und Z verhalten sich nun in der centralen
regulärsechseckigen Überdeckung sehr nahe wie ein rechts-
oder linksdrehender Bergkrystall.e. Schon bei vier bis sechs
_ Umgängen aus nicht übermäfsig dünnem Glimmer läfst sich
beim Drehen des oberen Nikols die Drehrichtung bestimmen;
im Nörrenberg’schen Instrument mit grolsem Sehfeld sieht
man das Ringsystem mit dem bläulichen Mittelkreuz und beim
Überdecken beider Präpärate sehr befriedigende URS
der Airy’schen Spiralen.
Ganz dieselben Wirkungen erhält man mit zwei Präpa-
raten, in welchen vier Lamellensysteme unter 45° zu einer
rechten und linken Treppe geschichtet sind.
Die von mir zuerst hergestellten Präparate bestanden theils
aus nicht sehr dünnen und nicht vollkommen gleich dicken
Lamellen, theils war die Zahl der Umgänge eine kleine (3—6);
532 . Gesammtsitzung
ich wandte mich daher an Hrn. Steeg und erhielt von dem-
selben nach kurzer Zeit zwei Paare 60grädiger Präparate
von überraschender Gröfse und aufserordentlicher Schönheit,
welche namentlich den Farbenwechsel bei Drehung des oberen
Nikols in brillanter Weise zeigen. Das eine Paar besteht aus
je 30 Lamellen von 4%, das andere gar aus je 36 Lamellen
von noch geringerer Dicke. Das erste Paar giebt für rothes
Licht eine Drehung von 150°, was einer Quarzdicke von etwa
gm entspricht.
Zum Beweis für die grofse Sicherheit und Kunstfertigkeit,
mit welcher Hr. Steeg den Glimmer zu behandeln weifs, führe
ich an, dafs die 72 Lamellen des zweiten Paares, 12 um breit
und 30”"” lang, aus derselben Tafel herausgeschnitten worden
sind. Aus einer dünnen Tafel (4%), die ich der besonderen
Güte des Hrn. Steeg verdanke, habe ich später Präparate mit
vier Lamellensystemen unter 45° hergestellt, welche die Airy-
schen Spiralen gaben, während meine ersten Präparate zwar
den Farbenwechsel beim Drehen des Nikols, beim Überdecken
aber ein confuses Bild der Ringe zeigten.
Wenn im convergirenden Licht bei gekreuzten Polarisa-
tionsebenen eine solche Glimmercombination in ihrer ‚Ebene
gedreht wird, so bleiben wohl die Ringe, aber die Arme des
schwarzen Kreuzes erfahren Änderungen; namentlich sieht man,
wie an den Enden der in die Polarisationsebenen fallenden
Durchmesser des innersten Rings abwechselnd schwarze Flecken
ein und austreten. Ebenso erfährt bei parallelem Licht die
Färbung kleine Wechsel beim Drehen des Nikols, jedoch mehr
in der Intensität, als im Farbton.
Ich habe gefunden, dafs man einem Quarze diese Eigen-
schaften einer Glimmercombination dadurch ertheilen kann, dafs
man über und unter demselben je eine Achtelundulationsglim-
merplatte mit rechtwinklich gekreuzten Hauptschnitten ein-
. schaltet. Die Glimmercombinationen sind daher aufzufassen
als elliptisch rechts und links polarisirende Medien, welche
sich dem Quarz wohl um so mehr nähern, je dünner die La-
mellen und je gröfser die Zahl der Umgänge.
Ebenso lassen sich die unter (1) besprochenen Modifica-
tionen des schwarzen Kreuzes der Nörrenberg’schen Combination
En Dr Dale
vom &. Juli 1869. 933
dadurch an einer zur Achse senkrecht geschnittenen Kalkspath-
platte hervorbringen, dafs man dieselbe in der angegebenen
Weise mit den Achtelundulationsplatten verbindet und das
Ganze in seiner Ebene dreht; man hat daher in der Glimmer-
combination die Erscheinung, wie wenn ein einachsiger nicht
drehender Krystall elliptisch polarisirt und analysirt würde.
3. Beim Schichten der Lamellen unter 60° ergeben sich
gleichseitige Dreiecke auf den Seiten des centralen Sechsecks,
in welchen nur zwei Lamellensysteme sich, abwechselnd unter
60° kreuzen. Man überzeugt sich leicht, dafs es sich bei diesen
Dreiecken, je nach ihrer Lage, um elliptische Rechts- oder
Linksdrehung handelt. Diefs hat mich veranlafst, zunächst die
Combination zweier Platten von beliebiger Dicke, deren Haupt-
schnitte einen von 90° verschiedenen Winkel bilden, zu unter-
suchen. Eine solche Combination giebt im Allgemeinen rechts
oder, links elliptisch polarisirtes Licht, d. h. es gelingt, beim
Drehen des oberen Nikols eine Drehrichtung‘ zu bestimmen,
aber beim Drehen der Combination in ihrer Ebene ändert sich
die Intensität und wohl auch die Nüance der Farbe. Der
Versuch gelingt sowohl mit zwei beliebigen Glimmer- als Gyps-
platten, oder bei Combinirung von Glimmer mit Gyps, wenn
nur deren Farben keiner zu hohen Ordnung angehören.
Fig. 3. Fig. 4.
Im Folgenden beschäftige ich mich blos mit Glimmer-
tafeln von gleicher Dicke. Zwei solche Tafeln, in wel-
chen wie früher die längere Dimension dem Hauptschnitt ent-
spreche, können nun entweder zu einer rechten Sufe A (Fig. 3)
oder zu einer linken Stufe B (Fig. 4) zusammengelegt wer-
den. Zwei solche Stufen haben jedenfalls entgegengesetzte op-
534 Gesammtsitzung
tische Drehung, aber der Sinn der Drehung ist durch die Dicke
der Platten mit bestimmt. Zeigen z. B. die Platten ein Grün
zweiter Ordnung, so giebt die rechte Stufe A auch Rechts-
drehung; bei Platten, welche ein Gelb erster Ordnung zeigen,
ist es umgekehrt. Der Winkel der Hauptschnitte ist ohne Ein-
flufs auf die Drehrichtung, nur mufs er von 0° und 90° gehö-
rig abweichen. Legt man zwei z. B. 60 grädige Stufen A und B
mit parallelen Hauptschnitten über einander, so bleibt immer
eine Drehung im Sinne der oben liegenden Stufe. Kreuzt man
die Stufen rechtwinklich, so findet in der mittleren Überdeckung
keinerlei Wirkung statt, was auch das Azimuth der Stufenver-
bindung sein mag; die zwei Arme des Sternkreuzes, welches
aus der Überdeckung der Platten verschiedener Stufen entsteht,
haben entgegengesetzte Drehung.
Von gröfserem Interesse ist aber der Fall, dafs viele
gleiche Stufen aus sehr dünnen Glimmerlamellen zu einer
rechten oder linken Stufensäule geschichtet sind: in die-
sem Fall dreht die rechte Stufensäule rechts, die linke links.
Hiermit begreift man sofort z. B. bei der 60 grädigen Combi-
nation Fig. 1 die Wirkungen der Dreiecke a, b, c; die zwei
ersten gehören zu einer rechten Stufensäule, das letztere zu
einer linken. Die Dreiecke a’, b', .c' wirken natürlich wie die
gegenüberliegenden gleicharmigen. Mit derselben Regel bestim-
men sich die Drehrichtungen in den äufseren Sternspitzen bei
der 45grädigen Combination von vier Lamellensystemen.
Solche Stufensäulen zeigen noch eine andere Eigenthüm-
lichkeit: im convergirenden Lichte sieht man durch die Über-
deckung ein zweiachsiges Ringsystem, dessen Supplementarlinie
den spitzigen Winkel der Hauptschnitte der Glimmerlamellen
halbirt und dessen Achsenwinkel kleiner ist als der des ange-
wandten Glimmers. Die schwarzen Hyperbeln erscheinen jedoch
nur, wenn die Supplementarlinie des Combinationsglimmers mit
den Polarisationsebenen 45° macht; fällt sie mit der einen oder
andern zusammen, so enthalten die innersten Ringe nur schwarze
Tupfen. | |
Die Wirkung einer Stufensäule läfst sich mit ziemlicher
Annäherung an einer dicken Glimmerplatte dadurch nachahmen,
dafs man sie zwischen zwei Achtelundulationsplatten mit recht-
vom 8. Juli 1869. 535
winklich gekreuzten Hauptschnitten in der Art einschaltet, dafs
der Hauptschnitt der Glimmerplatte 45° mit jenen macht; und
zwar hat diese Combination im parallelen Licht verschiedene
‚Drehrichtung, je nachdem der Hauptschnitt der Platte das eine
oder andere Paar der Scheitelquadranten halbirt, welche durch
die Hauptschnitte der Achtelundulationsplatten gebildet werden.
Es erinnert dies an eine von J. Müller (Lehrb. der Physik.
7. Aufl. I. p. 906) beschriebene Anordnung, bei welcher durch
eine analoge Verbindung einer Gypsplatte mit zwei Viertelun-
dulationsglimmerplatten, wenigstens im parallelen Licht die
Wirkung des Quarzes nachgeahmt wird.
4. Die optischen Wirkungen der bisher besprochenen
Glimmercombinationen lassen eine mathematische Behandlung
zu, welche für die Erscheinungen in parallelem Licht voraus-
sichtlich mit viel geringerer Schwierigkeit, als für die im con-
vergirenden Licht verbunden sein wird. Vielleicht findet sich
ein tüchtiger Rechner veranlafst, diese wohl nicht ganz undank-
bare Aufgabe anzufassen.
Ob diese Combinationen dazu angethan sind, uns Aufschlufs
oder wenigstens Andeutungen über den Verband der mit Cir-
eularpolarisation begabten Moleküle zu geben, das wird die
Zukunft lehren. Vor der Hand weils ich in dieser Beziehung
nur eine schwache Analogie und einige Vermuthungen beizu-
bringen, die ich der Nachsicht der Fachmänner empfehlen
möchte.
In einer früheren Mittheilung über die sogenannte Lamel-
larpolarisation des Alauns') habe ich nachzuweisen versucht,
dafs es sich hier um eine schwache Doppelbrechung in Folge
innerer Spannungen handle, die man sich in den Octaöderflächen
in der Art wirksam zu denken habe, dafs die optische Elasti-
eität in diesen Flächen nach allen Richtungen gleich, aber klei-
ner als senkrecht darauf sei. Ferner habe ich gezeigt, wie die
Wirkung eines optisch activen Alaunoctaöders oder eines Prä-
parats daraus nach zwei parallelen Würfelflächen, in den vier
distineten Quadranten durch vier dünne Glimmerplättchen voll-
1) Vom 11. Juli 1867. Gesammtsitzung der Akademie.
536 Gesammtsitzung
ständig nachgeahmt werden kann. Bei diesem Glimmerpräpa-
rate kommen aber keine Überdeckungen vor, während der Nerv
der neuen Präparate eben in den Überdeekungen liegt. Es
entsteht daher umgekehrt die Frage nach derjenigen Krystall-
structur, welche einer Glimmercombination mit Überdeckungen
entspricht.
Ein nahe liegender Gedanke ist nun wohl folgender: im
idealen activen Alaunocta@der reichen die irgend einer Octaöder-
fläche parallelen Spannungsebenen nur bis an die drei recht-
winklichen Achsenebenen heran; es ist aber auch denkbar, dafs
in einem Krystall die durch innere Spannungen und Contrac
tionen herbeigeführte Störung der ursprünglichen Structur, sich
auf eine oder mehrere von einander verschiedene, gegen die
Richtung des durchgehenden Lichtes geneigte Spannungsebenen
werde zurückführen lassen, welche den ganzen Krystall je in
constanter Richtung durchsetzen. Nun wissen wir zwar sehr
Weniges über die normale Krystallstructur und folglich noch
viel weniger über die factisch vorhandenen Störungen derselben;
will man daher die Sache überhaupt anfassen, so sieht man
sich vor der Hand auf einige instinetmälsige Vermuthungen be-
schränkt.
Im regulären System ist der Fall einzelner nicht durch-
gehender Spannungsebenen in dem Octaöder des activen Alaun-
octaöders verwirklicht. Die optischen Erscheinungen müssen
verwickelter werden, wenn andere Flächen, z. B. die des Leu-
citoöders als einzelne Spannungsflächen auftreten (Leueit. Anal-
cim?). Die von Marbach endeckte Circularpolarisation des
chlorsauren Natrons ist möglicherweise das Resultat von Span-
nungen nach den Dodekaöderflächen, verbunden mit secundären
Spannungen nach den Flächen des rechten oder linken Te-
traöders; die 4dgrädige Glimmercombination von vier Lamel-
lensystemen giebt vielleicht, bei aufserordentlich schwacher
Wirkung der einzelnen Umgänge, ein Bild hieran.
| Dieselbe Glimmercombination entspricht vielleicht auch Ko
Falle der Circularpolarisation im quadratischen System. Von
den vier Lamellensystemen würden 1 und 3 die Structur des
einachsigen nicht drehenden Krystalls einigermaflsen versinn-
lichen; die Lamellensysteme 2 und 4 wären das Äquivalent
vom 8. Juli 1869. 937
von durchgehenden Spannungen nach den Flächen des rechten
oder linken Hemiocta&ders. — Das Auftreten einer einzelnen
gegen die Achse geneigten Spannungsebenen, oder die ungleiche
Intensität der einzelnen Spannungen mülste sich durch zwei-
achsigen Habitus der optischen Erscheinungen kund thun (Dis-
location des schwarzen Kreuzes im Beryll, gelben Blutlaugen-
salz u. S. w.).
Die Circularpolarisation im rhombo&drischen System ist
wohl das Resultat von drei gegen die Achse gleich geneigten
durchgehenden Spannungsebenen, welche vielleicht den Flächen
des einen oder andern der zwei zusammengehörigen Halb-
skalenoöder folgen. Der Gedanke an die Möglichkeit solcher
innerer Spannungen liegt wohl bei keiner Substanz so nahe,
wie bei der Kieselerde. Sind die drei Spannungen vollkommen
gleichwerthig, so hätte man die normale rechts oder links
drehende Wirkung des Quarzes; fallen alle drei Spannungen
fort, oder gleichen sich dieselben gegenseitig aus, so bliebe,
wie man diefs an vielen Amethysten stellenweise beobachtet,
die rein einachsige Wirkung ohne Rotation. Noch bleibt aber
die Möglichkeit, dafs nach Umständen jene drei Spannungen
von ungleicher Intensität sind, oder sich auf zwei reduciren,
und dann hätte man die an manchen (uarzen so prägnant
auftredende zweiachsige elliptische rechts oder links drehende
Polarisation, wie man sie an den oben besprochenen Stufen-
säulen, oder an Präparaten beobachtet, an welchen absichtlich
eines der drei Lamellensysteme aus etwas dickerem oder dün-
nerem Glimmer besteht.
In Betreff der mannigfaltigen Erscheinungen am Quarz
und Amethyst erlaube ich mir auf die reichhaltigen und wohl-
geordneten Beobachtungen von Dove in seiner Farbenlehre
(pag. 247—260) zu verweisen.
Zum Schlufs bemerke ich noch, dafs die Kenntnifs der
Wirkungen der Glimmercombinationen auch von einigem Werth
sein dürfte für das: Verständnifs gewisser Erscheinungen am
Glimmer selber. Die Wandlungen des Ringsystems bei Zwil-
lingen, so wie die oft sehr erheblichen Änderungen im Winkel
der optischen Achsen an demselben Stücke begreifen sich eini-
germalsen, wenn man regelmäfsige Verwachsungen und Durch-
538 Gesammtsitzung
dringungen verschiedener Individuen annimmt. Die Kenntnifs
dieser Erscheinungen verdanke ich zum gröfsten Theil den
Mittheilungen und vielfachen gütigen Glimmersendungen von
G. Rose, und diese waren es auch, welche für mich ursprüng-
lich die Veranlassung zur Herstellung der neuen Glimmercom-
binationen geworden sind.
Tübingen, den 29. Juni 1869.
Hr. Magnus theilte folgenden Bericht über eine in dem
hiesigen physikalischen Laboratorium ausgeführte Untersuchung.
des Hrn. Dr. E. Warburg mit:
Über die Dämpfung der Töne fester Körper
durch innere Widerstände.
Es ist eine bekannte Thatsache, dafs die Tonschwingungen
fester Körper, wenn sie nicht durch eine äufsere Kraft un-
terhalten werden, allmählich erlöschen. Die Ursachen dieses
Erlöschens sind theils äufsere: Widerstand des umgebenden
Mediums, Reibung an Befestigungspunkten und Abgabe von
Bewegung an dieselben, theils innere, in der Natur der festen
Körper selbst begründete. Das Vorhandensein solcher innerer
Ursachen hat zuerst Wilh. Weber') bei Torsionsschwingungen
eines Seidenfadens nachgewiesen; er fand nämlich, dafs die-
selben auch im luftleeren Raum nach kurzer Zeit erlöschen.
Hier kann von einer merklichen Abgabe von Bewegung an den
Befestigungspunkt nicht die Rede sein, so dals die Kräfte,
welche das Erlöschen in diesem Falle herbeiführen, in der Be-
schaffenheit des schwingenden Fadens selbst zu suchen sind.
Die Kräfte, welche, im Innern der festen Körper thätig,
auf das Erlöschen der Schwingungen derselben hinwirken, sol-
len im Folgenden als innerer Widerstand der festen Kör-
per bezeichnet werden.
1) Comm. Soc. Gott. p. 50.
vom 8. Juli 1869. 589
‘In Bezug auf den inneren Widerstand der festen Körper
eherlgt ‚Helmholtz!):
„Die. vollkommnere. Elastieität a besonders ‚das
„Fortbestehen der höheren Töne zu begünstigen, 'da schnellere
„Schwingungen im Allgemeinen durch unvollkommne Elasti-
„eität und Reibung schneller gedämpft werden, als lang-
„samere.*
Ein sicherer experimenteller. Nachweis dafür, dafs höhere
Töne durch den inneren Widerstand stärker gedämpft werden,
als tiefere, ist dem Verfasser nicht bekannt, ebensowenig irgend
eine Untersuchung, der Ursache dieses Verhaltens.
Der erste Theil dieser. Arbeit enthält experimentelle Be-
lege für die erwähnte Erscheinung, der 'zweite Theil eine Un-
tersuchung der Ursachen, welche dieselbe herbeiführen,
1. Theil.
Wenn man mit einer festen Schallquelle .einen Stab aus
irgend einem. Material verbindet, so ‚gehen ‚Schallwellen auf
denselben über. Ist die Dauer der Töne, welche. die Schall-
quelle aussendet, im Verhältnils zu der Zeit, innerhalb deren
die Wellen den Stab durchlaufen, hinreichend (was in den fol-
genden Versuchen der Fall ist), so kreuzen. sich ‘öfter directe
Wellen mit reflectirten, und der Stab geräth in stehende Schwin-
gungen. Dabei. geht aus den Abständen ‚der auf dem .Stabe
wahrgenommenen Knotenlinien hervor, dafs der mit dem; Ohre
wahrgenommene Theil der Schallbewegung des Stabes in trans-
versalen Schwingungen besteht. Die hin- und. herlaufenden
Wellen werden aber durch: die dämpfenden Kräfte, ‘welche ‚auf
die schwingenden Theilchen einwirken, eine Schwächung ihrer
Amplitüden erleiden, und: in Folge dessen die Intensität der
Schallbewegung in dem Stabe mit wachsender Entfernung von
der Schallquelle abnehmen.
Demgemäfs hat der Verfasser, um die Wirkung der. däm-
pfenden Kräfte fester Körper auf Töne verschiedener: Höhe
1) Lehre von den Tonempfindungen. _p. 122.
[1869.] 40
540 Gesammtsitzung
kennen zu lernen, den Schall einer Schallquelle, welehe Töne
sehr verschiedener Höhe gleichzeitig ausgab, nämlich einer
Spieluhr, durch Stäbe aus verschiedenem Material dem Ohre
zugeleitet. Es mufste dabei vor Allem dafür gesorgt werden,
dafs der Schall der Uhr nur durch den leitenden Stab zum
Ohre gelangte. Dazu diente folgendes Isolationsverfahren.
Ein kreisförmig cylindrischer, 250%" hoher, oben offener,
bis zum Rande mit Wasser gefüllter Beutel aus dünner Kaut-
schukplatte wird in einem diekwandigen, eylindrischen Glasge-
fälse hängend gehalten, indem der obere Rand des Beutels über
den aufgeworfenen Rand des Glascylinders gezogen ist.
Wenn in diesen Beutel die durch ein Kautschukfutteral
geschützte, an Fäden hängende Spieluhr bis nahe an den Boden
eingesenkt ward, so hörte ein danebenstehender Beobachter den
Schall der Uhr garnicht; erst durch einen dicht über die Was-
seroberfläche gehaltenen Trichter hörte man ein wenig von den
höchsten Tönen, diese aber so schwach, dafs die Tonhöhe nicht
mehr deutlich zu unterscheiden war.
Der Schall der Spieluhr wird an das Wasser kräftig über-
tragen, was u. A. daraus hervorgeht, dafs dieselbe, in ein mit
Wasser gefülltes Glasgefäfs versenkt, durch Vermittlung von
Wasser und Glas den umgebenden Medien starke Bewegung
mittheilt. Auch die Seitenwände des Beutels werden ziemlich
kräftig erregt; denn hängt man den Beutel frei in der Luft
auf, so wird ziemlich viel Schall an dieselbe abgegeben. Wie
in diesem Falle die freie Luft, so wird, wenn der Kautschuk-
beutel sich in dem Glascylinder befindet, das Luftvolum zwi-
schen Glas und Beutel durch die Seitenwände des letzteren
stark erschüttert; da aber dieses Luftvolum mit der äufseren
Luft nicht ecommunieirt und ferner die dicken Glaswände nicht
merklich zu erschüttern vermag, so geht von der Bewegung
desselben nichts an den umgebenden Raum über.
Führt man bei frei hängendem Beutel, indem die Spieluhr
in der Tiefe schwebt, das Ohr an den Seitenwänden hinauf, so
bemerkt man eine starke Abnahme des Schalles von unten
nach oben. Dieser Versuch zeigt den Grund davon, dafs durch
die freie Wasseroberfläche so wenig Schall an die Luft gelangt.
Denkt man sich ein oben offenes Gefäls mit absolut starren
com 8. Juli 1869. 541
Wänden mit Wasser gefüllt, und an irgend einer Stelle des
Wassers einen Stofs auf dasselbe ausgeübt, etwa durch einen
tönenden Körper, so wird dieser Stofs zwar nach allen Rich-
tungen hin fortgepflanzt werden, aber wegen der Reflexion durch
die starren Wände sich vorzugsweise an der freien Oberfläche
äulsern. Sind aber die Wände nachgiebig, so werden dieselben
seitlich ausweichen, und nach Maafsgabe dieser Nachgiebigkeit
eine Quantität Bewegung an die Luft abgegeben werden. Ist
danach das Gefäfs tief genug, und wird der Stofs an einer
tiefen Stelle geführt, so wird nur wenig Bewegung an die
freie Wasseroberfläche gelangen.
Mit der in dem mit Wasser gefüllten Beutel befindlichen
Spieluhr werden die zu untersuchenden Leiter mit dem einen
Ende passend verbunden; das andere Ende ist an einem Re-
sonanzboden befestigt, an welchen man das Ohr anlegt.
In dieser Weise wurde der Schall der Uhr durch einen 460"m
langen, 6%” dicken Kautschukstab dem Ohre zugeleitet: es wurde
ausschliefslich die tiefe Begleitung des kleinen Musikstückes
gehört, welches die Uhr spielte. Untersucht man verschiedene
Stellen des Streifens, so findet man, dafs nur in der Nähe
der Schallquelle etwas von den höchsten Tönen wahrzuneh-
men ist.
Um zu untersuchen, ob der Luftwiderstand Einflufs auf
diese Erscheinungen habe, ward die Spieluhr in einem luft-
leeren Gefäfs an einem Kautschukstreifen aufgehängt. Es ge-
langten durch den Aufhängepunkt und das Gefäls nnr tiefe
Töne an die Unterlage; ersetzte man den Kautschukstreifen
durch ein Bleirohr, so wurden nun hohe wie tiefe Töne von
einem Beobachter wahrgenommen, der das Ohr auf die Unter-
lage legte.
Es ist daraus zu schliefsen, das die Ursache der Schwä-
chung der Töne bei der Leitung durch das Kautschuk nicht
vom Luftwiderstande herrührt, sondern in der Natur des Kaut-
schuks selbst begründet ist.
Stäbe aus Holz, Stahl, Glas, Blei, Wachs, von den Di-
mensionen des Kautschukstreifens pflanzten hohe wie tiefe Töne
merklich gleichmäfsig fort. Selbst bei der Leitung des Schalles
durch einen 30"langen, schwach gespannten Kupferdraht von 0"m2
40*
542 Gesammtsitzung
Durchmesser war ein Unterschied in der Fortpflanzung ‚höherer
und :tieferer Töne nicht zu .erkennen. Als aber ein 11% langer
Bleidraht von 14%” Durchmesser zwischen der Schallquelle und
dem Ohre eingeschaltet ward, war. von den höheren Tönen
nichts mehr. wahrzunehmen, während. die tiefe Begleitung voll-
kommen scharf. hervortrat.
Dasselbe Verhalten, wie die Kautschuk- und die längere
Bleileitung zeigte ein 45 langes, schwach gespanntes Hanfseil;
spannte man dasselbe ein wenig stärker, so traten sofort die
höheren Töne zu den tieferen ‚hinzu; der Kautschukstreifen hin-
gegen mulste sehr stark gespannt, nämlich auf etwa, die fache
Länge ausgezogen werden, damit die höchsten Töne sich auf
‚etwas weitere Strecken in ‚demselben fortpflanzten.
Mit diesen Versuchen hängt die ungleiche Schwächung zu-
sammen, welche 'Töne verschiedener Höhe bei der Leitung durch
Luft 'erleiden,; die in Kautschukröhren eingeschlossen ist.
Dem aus der Wasseroberfläche hervorragenden Ende, eines
mit der Spieluhr verbundenen Holzstabes ward, ohne dasselbe
zu berühren, das eine Ende einer offenen Glasröhre genähert.
Wurde das andere Ende in den Gehörgang eingesetzt, so. hörte
man das ganze Stück der ‘Spieluhr, nur dafs, besonders bei
kurzen Röhren, einzelne Töne durch Resonanz besonders her-
vorgehoben wurden. Ersetzte man hingegen ‚das Glasrohr
durch ein Kautschukrohr, so wurden bei hinreichender Länge
der Leitung nur die tieferen Töne wahrgenommen. Bei glei-
cher Wanddicke der Kautschukröhren nimmt die Schwächung
der Töne bei der Leitung, insbesondere die der 'hohen, mit ab-
nehmendem innern Durchmesser ab. Um dies zu zeigen, ge-
nügt es, zwei Röhren von verschiedenem innern Durchmesser
gleichzeitig in beide Ohren einzusetzen und die freien Enden
der Schallquelle zu nähern. Drückt man jetzt den einen oder
den andern Schlauch zu, so kann man den Unterschied in der
Stärke und Zusammensetzung des von beiden Leitungen fort-
gepflanzten Schalles beurtheilen und findet dabei, dafs durch
das engere Rohr die höheren Töne besser hindurchgehen, als
durch das weitere.
Dieses Verhalten zeigt, dafs man die Schwächung ' des
Schalles in diesen Versuchen in erster Linie der mangelhaften
vom 8. Juli 1869. 543
Reflexion der Kautschukwände zuschreiben mufs; denn diese
Wände geben um somehr ‘nach, je gröfser unter: übrigens
gleichen Umständen der innere Durchmesser des Rohres ist.
Es war danach zu erwarten, dafs eine beträchtliche Abgabe
_ von Schall ‘durch die Leitung an die äufsere Luft Statt finde;
wovon der Verfasser sich durch besondere Versuche über-
u hat.
Hiernach hat man sich den Vorgang bei der Treitsng durch
die Luft in Kautschukröhren so vorzustellen, dafs das Kaut-
schukrohr durch die Schwingungen der Luft in Transversal-
schwingungen versetzt wird. Diese Transversalschwingungen
des festen Kautschuk werden beim Fortschreiten geschwächt,
und‘ zwar die höheren Tonschwingungen nach den zuerst be-
schriebenen Versuchen viel rascher, als die tieferen. Es wer-
den sonach dem System die höheren Töne bei der Leitung
schneller verloren gehen, und die tieferen demselben länger er-
halten bleiben. Dabei bleibt ‘dahingestellt, ob vielleicht auch
ein Unterschied in der Stärke der Reflexion durch die Kaut-
schukwände für rer verschiedener Höhe Statt
finde. 3er
In ähnlicher Weise erklärt Helmholtz!) den Keee
Klang der Holzpfeifen im Verhältnifs zu den Metallpfeifen, „in-
dem die Wände der ersteren nicht so gut der Erschütterung
durch die Schallwellen widerstehen, wobei die höheren Ton-
schwingungen leichter durch Reibung vernichtet zu: werden
scheinen.“ ;
Es sind damit die Erscheinungen bei der: Leitung des
Schalles durch die Luft in Kautschukröhren :auf die Erschei-
nungen der Leitung des Schalles durch das feste Kautschuk
zurückgeführt, und es handelt sich nunmehr um die Erklärung
der 'ungleichen Schwächung von Tönen verschiedener Höhe
bei der Leitung durch feste Körper.
2. Theil.
Wenn Schwingungen einzig uud allein durch elastische
Kräfte unterhalten werden, so ist mit einer Verkleinerung der
1) Lehre von den Tonempfindungen. p. 153.
544 Gesammtsitzung
Schwingungsdauer in einem und demselben Körper stets eine Ver-
kleinerung der Wellenlänge (schwingenden Abtheilung) und da-
mit eine Vergröfserung der mittleren molekularen Verschiebung
bei gleicher Amplitüde in den Schwingungsmaximis, untrennbar
verbunden. Daher hat der Verf., um diese beiden Momente zu son-
dern, magnetische Kräfte mit den elastischen combinirt und
ist überdies zu passend verlangsamten Torsionsschwingungen
übergegangen, welche scharfen Messungen zugänglich sind.
Denkt man sich an einem Faden einen Magneten aufgehängt,
so kann man einzig durch Veränderung der Richtkraft des
Magneten mittelst eines passend gelegten anderen Magneten die
Oseillationsdauer der Torsionsschwingungen ändern, deren: dies
System fähig ist. Anderseits kann man den Faden verkürzen
und die dadurch entstandene Änderung der Schwingungsdauer
des Systems durch passende Verschiebung des äufseren Magne-
ten compensiren:
Diese Idee ward mit einer Art Drehwage ausgeführt. Um
die Länge der Fäden ändern zu können, wurden dieselben am
oberen Ende an einer Stange befestigt, die in der Röhre vertikal
verschiebbar war; das untere Ende trug einen Wagebalken, wel-
cher zur Aufnahme des Magneten die Form einer Rinne hatte und
aufserdem mit einem versilberten vertikalen Glasspiegel versehen
war. Dieses gegen Erschütterungen möglichst geschützte System
konnte durch äufsere magnetische Einflüsse zu Torsionsschwin-
gungen angeregt werden. Ein in das Gefäfs der Wage einge-
setztes, planparalleles Glas erlaubte die Beobachtung der Aus-
schläge durch Skale und Fernrohr. Es wurden Kautschuk-
fäden und feine Seiden-, Glas- und Metallfäden der Untersuchung
unterworfen.
Auf diese Weise hat sich zunächst ergeben, dafs innerhalb
der Elongationen von 6° und 2° aus der Gleichgewichtslage,
auf welche Gränzen die Beobachtungen beschränkt wurden, die
Reihe der Ausschläge sich sehr genau durch eine geometrische
Reihe darstellen läfst, ein Gesetz der Abnahme, welches schon
Gaufs und Weber für dünne Metall- und Seidenfäden gefunden
haben und welches durch des Verfassers Versuche auf Kaut-
schukfäden von 17"m Querschnitt ausgedehnt wird. Wenn der
Exponent der Reihe, (dessen Logarithmus das logarithmische
vom 8. Juli 1869. 545
Decrement ist) aus einer Anzahl beobachteter Ausschläge pas-
send hergeleitet und mittelst desselben eine andere Anzahl von
Ausschlägen berechnet ward, so hielten sich die Differenzen
der beobachteten und berechneten Werthe durchweg innerhalb
der Gränzen des möglichen Beobachtungsfehlers, welcher, 1 Ska-
lentheil entsprechend, bei den kleinsten Elongationen —4;, bei
den grölsten „4; der ganzen Elongation betrug.
Danach wird die Bewegung des Systems dargestellt durch
die Formel:
2—=.A,ert!.cosni, wo
x die Elongation aus der Gleichgewichtslage in Winkelgraden,
A die Elongation zur Zeit i = 0,
n die Schwingungszahl in der Zeit 2,
z eine Gröfse bedeutet, welche für jeden Versuch eine Con-
stante ist.
In dieser Formel ist die Gröfse e umgekehrt proportional
der Zeit, innerhalb welcher die Amplitüde von a auf La redu-
eirt wird, also Maafs der Dämpfung. Es setzt ferner jenes
Gesetz, wie bekannt, eine dämpfende Kraft voraus proportio-
nal und entgegengesetzt der Geschwindigkeit; Maals der däm-
pfenden Kraft bezogen auf die Einheit der Geschwindigkeit ist
das Product ze. M, wo M das Trägheitsmoment bedeutet. Da nun
bei den Versuchen nur die Länge der Fäden geändert ward,
der Wagebalken aber nebst Zubehör immer derselbe blieb, so
blieb auch das Trägheitsmoment bei allen Versuchen merklich
constant. Es kann danach die Gröfse = sowohl als Maafs der
Dämpfung, wie als Maafs der dämpfenden Kraft betrachtet
werden.
Man könnte die relative Grölse der dämpfenden Kraft, auf de-
ren Ermittlung die Versuche hinzielen, herleiten, indem man unmit-
telbar die Zeit beobachtet, innerhalb deren die Amplitüde von a
auf la reducirt wird. Sicherer findet man jene Gröfse aus
dem logarithmischen Decrement, nämlich durch Division des-
selben durch die Schwingungsdauer. In dieser Weise hat der
Verfasser die Bestimmung der Gröfse = ausgeführt.
Es war das erste Ziel des Verfassers, die Abhängigkeit
der Dämpfung von der Schwingungsdauer aufzusuchen, und
wurden zu diesem Zweck zuerst Beobachtungen im lufterfüllten
546 Gesammtsitzung
Räume angestellt. Diese Versuche ergaben folgende Resultate:
Für Kautschukfäden nimmt im Allgemeinen die Dämpfung mit
wachsender Schwingungsdauer bedeutend zu.
Nur für den längsten untersuchten Kautschukfaden (von
328"M) tritt für kleine Werthe der Schwingungsdauer keine Zu-
nahme mehr ein, sondern sogar eine kleine Abnahme. |
Wie dieser längste Kautschukfaden sich für kleine Werthe
der Schwingungsdauer verhält, so verhalten sich alle übrigen
untersuchten Fäden (feine Seiden-, Glas-, Metallfäden) für alle
untersuchten Werthe der Schwingungsdauer, nämlich bei allen
zeigt sich eine Abnahme der Dämpfung mit a. Pe
gungsdauer.
Diese Complication der Erscheinungen konnte davon her-
rühren, dafs die beobachtete Gröfse = eine zusammengesetzte
war. Die dämpfenden Kräfte, welchen das schwingende System
unterliegt, sind nämlich theilweise aufserhalb desselben, im Luft-
widerstand, theilweise innerhalb desselben, im Faden gelegen.
Es ist also die Gröfse = die Summe zweier ‘Gröfsen, deren
eine dem Luftwiderstand, deren andere, welche wir suchen, dem
Faden zufällt.e Es schienen nun die erhaltenen Resultate dar-
auf hinzudeuten, dafs die beiden Theile, aus denen die Dämpfung
zusammengesetzt war, sich im entgegengesetzten Sinne mit der
Schwingungsdauer änderten. Diese Vermuthung bestätigte sich,
als der Verfasser die Versuche im luftleeren Raume anstellte.
Der Versuchsapparat ward dazu in passender Weise umgeän-
dert, so dafs in demselben der Luftdruck auf 5"® erniedrigt wer-
den konnte und während eines Versuchs um höchstens 2m» stieg.
Mit diesem Apparat hat sich ergeben'): |
1. Für alle Fäden nimmt der von dem innern Widerstand
herrührende Theil der Dämpfung y mit wachsender
Schwingungsdauer r zu. Z. B. ward erhalten:
Metall
7 Du
877 0.000 606
SAN Pe 0.000 498
1) Die angewandte Methode, den Luftwiderstand zu eliminiren, ist
zwar nach O. E. Meyer (Pogg. 125, Fig. 184. ibid. p. 576 ff.) nicht
strenge, genügt aber für den hier verfolgten Zweck.
vom 8. Juli 1869. 547
Kautschuk 1
ER 0.000, 843 Be
RE 0.000 727. . .
Es werden also durch den: innern ‘Widerstand bei glei-
cher Fadenlänge die langsameren Schwingungen stär-
ker gedämpft, als die rascheren.
2. Der vom Luftwiderstand herrührende Theil der Däm-
pfung « nimmt mit wachsender Schwingungsdauer 7
ab. Z. B. ward erhalten:
zT [64
8" 7 0.000 309
3 0.000 535
Durch den Luftwiderstand werden also umgekehrt die
rascheren ‘Schwingungen stärker gedämpft, als die
langsameren.
Zu dem 2. Ergebnifs ist zu bemerken, dafs nach Stokes')
durch die innere Luftreibung schnellere Schwingungen fester
Körper in der Luft stärker gedämpft werden, als langsamere.
"In Bezug auf das 1. Ergebnifs erinnert der Verfasser an
die Ansicht, welehe W. Weber’) über diejenige Ursache der
Abnahme der Schwingungsamplitüden fester Körper aufgestellt
hat, die in der Natur der festen Körper selbst begründet ist.
W. Weber zeigt, dafs das von ihm entdeckte Phänomen der
elastischen Nachwirkung eine Verminderung der Schwingungs-
amplitüden herbeiführen mülse. Es ist nun a priori wahrschein-
lich, dafs die Nachwirkung einen um so stärkeren Effect
äufsern mülse, je langsamer die Schwingungen geschehen; was
mit des Verfassers Versuchen, nach welchen langsamere Tor-
sionsschwingungen eines Fadens durch den innern Widerstand
stärker gedämpft werden, als raschere, im Einklang ist.
Es ist im Vorigen nur von der Abhängigkeit der von dem
innern Widerstand herrührenden Dämpfung von der Schwin-
gungsdauer bei constanter Fadenlänge die Rede gewesen. Um
die Abhängigkeit dieser Dämpfung von der Fadenlänge zu er-
mitteln, hat man nicht nöthig, den Luftwiderstand zu eliminiren;
1) Transactions of the Cambridge Philos. Society. IX. part. u.
?) Pogg. Ann. 34.
548 Gesammtsitzung
denn eine Veränderung der Dämpfung bei Änderung der Fa-
denlänge, indem die Schwingungsdauer constant bleibt, kann
nur auf Rechnung des Fadens geschrieben werden. Es hat
sich nun ergeben, dafs die Dämpfung mit abnehmender Faden-
länge zunimmt, d. h. dafs bei gleicher Schwingungsdauer
kürzere Fäden eine stärkere Dämpfung hervorbringen, als
längere.
Wenn man die Schwingungsversuche auf die Schallleitungs-
versuche anwenden will, so mufs man die Annahme machen:
dafs die von dem innern Widerstand herrührende Dämpfung
bei den tönenden Schwingungen fester Körper in demselben
Sinne von der Schwingungsdauer und der Grölse der schwin-
genden Abtheilungen abhängt, wie es sich für die langsamen
Torsionsschwingungen herausgestellt hat.
Geht man von dieser Annahme aus, so kann die Ursache
davon, dafs die höheren Töne bei der Fortleitung durch feste
Conductoren stärker gedämpft werden, als die tieferen, nicht
darin liegen, dafs bei den höheren Tönen die Schwingungen
rascher geschehen; denn es werden nach den Schwingungsver-
suchen grade die langsameren Schwingungen bei gleicher Wellen-
länge durch den innern Widerstand stärker gedämpft, als die
rascheren. Diese Ursache kann vielmehr nur darin liegen,
dafs bei den höheren Tönen kleinere schwingende Abtheilungen
(Wellenlängen) gebildet werden; nach den Schwingungsversuchen
nämlich wird in kürzeren Wellen (bei gleicher Schwingungs-
dauer) eine gröfsere dämpfende Kraft entwickelt, als in län-
geren.')
Wie bei einem und demselben Körper höhere Töne klei-
neren Wellenlängen entsprechen, so entspricht bei zwei verschie-
denen Körpern die kleinere Schallgeschwindigkeit bei gleicher
!) Es kommt dazu, dafs die zu bewegende Masse einer kleinern
schwingenden Abtheilung kleiner ist, als die einer gröfsern, so dafs aus
doppeltem Grunde das Verhältnifs der dämpfenden Kraft zu der
bewegten Masse, von welcher die Dämpfung abhängt, für die kürze-
ren Wellen einen gröfsern Werth hat, als für die längeren.
vom 8. Juli 1869. 549
Tonhöhe kleineren Wellenlängen. Es mufs danach von 2 ver-
schiedenen Körpern bei gleichem specifischen innerem Wider-
stand und unter sonst gleichen Umständen die Dämpfung gleich
hoher Töne gröfser sein für den Körper mit der kleineren
Schallgeschwindigkeit. |
' Bei den Schwingungsversuchen haben alle angewandten
Fäden qualitativ gleiches Verhalten in Bezug auf die Däm-
pfung gezeigt; bei den Schallleitungsversuchen hat sich ein
Unterschied in dem Verhalten der verschiedenen angewandten
Leitungen in so weit ergeben, als nur bei einer beschränkten
Anzahl (Kautschukstab, schwach gespanntes Hanfseil, dünner
Bleidrath) ein Unterschied in der Dämpfung für die höheren
und tieferen Töne hervortrat. Dieses Verhalten könnte davon
herrühren, dafs der specifische innere Widerstand für die Kör-
per, aus denen die andern Leitungen gebildet waren, einen zu
kleinen Werth hatte. Es ist aber wahrscheinlich nur darin
begründet, dafs die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen
bei den anderen Leitungen eine zu grolse war. Es mufs näm-
lich mit wachsender Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen
in den Schallleitungsversuchen der Unterschied in der Inten-
sität des Schalles an den beiden Enden des Leiters aus dop-
peltem Grunde abnehmen: erstens nach dem oben Gesagten
deshalb, weil mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit die Wel-
lenlängen wachsen, zweitens deshalb, weil mit wachsender
Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei gleicher Länge der Schall
leitenden Strecke die Wirkungszeit der dämpfenden Einflüsse
abnimmt.
#
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt: ”
General-Bericht über die Europäische Gradmessung für das Jahr 1868.
Berlin 1869. 4.
Wissenschaftliche Begründung der Berechnungsmethoden des Central-
büreaus der Europäischen Gradmessung. Berlin 1869. 4.
Archiv für österreichische Geschichte. 40. Bd. 1. Hälfte. Wien 1868. 8.
Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathem.-
550 ‚Gesammtsitzung
naturw. Klasse, April— Juni.1868. Philos.-hist. Klasse, April —
Juni,1868. 8. | A
Fontes rerum austriacarum. XXVII, 2. Wien 1868. 8.
Dreizehnter Bericht der ÖOberhessischen Gesellschaft für Nakın. und
Heilkunde. Giessen 1869. 8.
Publicationen der Astronomischen Gesellschaft in Leipzig. IX. ers
zig 1869. 4.
Annales des mines. Tome XV. Livr. 1. Paris 1869. 8.
Rendiconto dell’ Accademia di scienze di: Napoli. Napoli, Jan. — Mai
1869. 8.
Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs Skrifter. Hist. Afd. :IIL, 2.
IV, 3. Math. Afd.. VIII, 2. . Kjobnhavn 1869. 4. luxcı
Jornal de sciencias mathematicas. no. 6. ' Lisboa 1869. 8.
De Wajangverhalen van Pälä-Särd, Pandoe en Raden Pandhi, door .-
‚Roorda. Gravenhage 1869. 8. hi
Par Catore, Flora italiana. IV, 1. Firenze 1868. 8.
Publikationen der Kaiserl. Universität in Petersburg vom Jahr 1869.
Petersburg 1869. 5 Hefte. 8. Mit Tauschantrag v. 27. Mai 1869.
J. A. H. de Caligny, Memoires inedito sur la milice des Romains.
Turin 1868. 8. Nebst einigen andern Broschüren. Mit Begleit-
schreiben des Verf. d. d. Versailles 26. Juni 1869.
15. Juli. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. A. W. Hofmann trug folgende Untersuchungen vor:
1. Über das Naphtalinroth.
Von den zahlreichen Anläufen, welche gemacht worden
sind, um die amidirten Abkömmlinge des Naphtalins für die
Zwecke der tinetorialen Industrien zu verwerthen, haben nur
wenige zu einem befriedigenden Ziele geführt. Die einzige
Naphtalinfarbe, welche als industrielles Product auf der letzten
Pariser Ausstellung figurirte, war das schöne von Hrn. Dr.
Martius entdeckte Naphtalingelb, das Dinitronaphtol,
dessen Anwendungen seit jener Zeit noch wesentlich zuge-
nommen haben. Im Laufe des verflossenen Jahres ist indessen
ein neuer, von: dem Naphtalin abstammender. Farbstoff, das
Naphtalinroth, aufgetaucht, welcher bereits die Aufmerk-
samkeit der Chemiker auf sich gezogen hat.
vom 15. Juli 1869. 551
‘Ich. verdanke meinem Freunde Hrn. Scheurer-Kestner
in Thann eine schöne Probe dieses merkwürdigen Körpers,
welcher, als er in meinen Besitz ' gelangte, bereits als eine
nahezu chemisch reine Verbindung angesehen werden konnte.
Wenn .daher ‘dem im. Folgenden beschriebenen Versuche die
Zusammensetzung; des Naphtalinroths. festzustellen irgend ein
Verdienst beiwohnt,. so. gehört. dies eigentlich meinem Freunde
an, der. den Farbstoff dargestellt und gereinigt hat und in dessen
Händen die weitere Erforschung desselben zu einem schnellen
und sicheren Absehlufs gekommen sein. würde,: wenn nicht
wichtigere Untersuchungen ihn. verhindert hätten, dem Gegen-
stande im ‚Augenblicke ungetheilte Aufmerksamkeit zu widmen.
Da die Analyse des neuen Farbstoffes gleichwohl auch für die
Fabrikation willkommene Aufschlüsse zu liefern versprach, so
bat mir Hr. Scheurer-Kestner mit dankenswerther Libera-
lität das werthvolle Material für die Ausführung dieser Arbeit
zur Verfügung stellen wollen.
Das bei der Darstellung des Naphtalinroths eingehältene
Verfahren ist, wie mir Hr. Scheurer-Kestner mittheilt, von
Hrn. Schiendl in Wien angegeben worden. Die ersten Ver-
suche, den Farbstoff im Grofsen zu erzeugen, wurden: von
Hrn. Durand in den Werkstätten des Hrn. Clavel in Basel
ausgeführt. Von diesen Versuchen. datirt: die industrielle Ge-
winnung. |
Das Naphtalinroth wird bereits von verschiedener: Seite
in. den Handel gebracht. In der Schweiz beschäftigt sich
Hr. Clavel in Basel mit der Fabrikation des Naphta-
linroths. In Frankreich ist es zumal das berühmte Haus
Charles Kestner in Thann, welches diese neue Industrie
aufgenommen hat, und zwar nicht. nur die Gewinnung des
Farbstoffs selbst, sondern auch die Darstellung des für das
Naphtalinroth als Rohmaterial dienenden Naphtylamins. In
den Werkstätten dieser Fabrik sind bereits viele Tausende von
Kilogrammen Naphtalin in Naphtylamin verwandelt: worden.
In England endlich, wo man den Naphtalin-Farbstoff zu
Ehren des abyssinischen Feldzugs mit dem Namen Magda-
laroth bezeichnet hat, sind es die Herren Brooke, Simpson
und Spiller, Nachfolger der Firma Nicholson und Maule
552 Gesammtsitzung
in London, welche der neuen Fabrikation ihre Aufmerksamkeit
geschenkt haben.
Über die industrielle Zukunft des Naphtalinroths läfst sich
im Augenblick noch nicht viel sagen; an Färbekraft steht er
den Anilinfarben nicht nach, übertrifft dieselben aber durch seine
bemerkenswerthe Beständigkeit. Leider verliert das Naphtalin-
roth in den dunkeln Tönen allen Glanz, es wird daher auch
ausschliefslich für helle Tinten verwendet, und deshalb ist der
Verbrauch bis jetzt ein sehr mäfsiger gewesen.
Das mir von Hrn. Scheurer-Kestner übersendete Prä-
parat stellt ein schwarzbraunes, undeutlich krystallinisches Pulver
dar. Wenige Versuche waren hinreichend, um in der Behandlung
desselben mit Alkohol den Weg zu erkennen, auf welchem eine
für die Analyse geeignete Substanz zu erhalten war.
Löst man das schwarzbraune Pulver in siedendem Alkohol,
so erhält man eine tiefrothe Lösung, aus der sich beim Erkalten
nur wenig absetz. Beim Abdampfen aber erscheinen hübsche
nadelförmige Krystalle von grüner Farbe und metallischem
Glanze. Diese Krystalle sind das Chlorid einer Base; beim
Übergiefsen mit concentrirter Schwefelsäure entwickeln sich
Ströme von Chlorwasserstoffsäure. Nach zwei bis dreimaligem
Umkrystallisiren der Verbindung aus Alkohol zeigte sich der
Chlorgehalt constant; dieselbe konnte deshalb als eine chemisch
reine Substanz betrachtet werden. Die Krystalle lösen sich
wenig in kaltem, reichlicher in heilsem Wasser, allein die
Lösung krystallisirt nicht; sie sind unlöslich in Aether; aus
der alkoholischen Lösung wird der Farbstoff durch Aether als
ein braunes kaum krystallinisches Pulver gefällt.
Die alkoholische Lösung des Chlorids zeigt ein sehr charak-
teristisches Verhalten, durch welche das Naphtalinroth alsbald
von allen Anilinfarben zu unterscheiden ist. Gielst man einige
Tropfen einer concentrirten Lösung des Farbstoffs in einen mit
‚Alkohol gefüllten Cylinder, so glaubt man, wenn die Flüssig-
keit im reflectirten Lichte betrachtet wird, die Bildung eines
Niederschlags zu beobachten, welcher sich in feuerrothen Wol-
ken durch die Flüssigkeit verbreitet. Betrachtet man aber die
Erscheinung im durchfallenden Lichte, so ergiebt es sich, dafs
man es mit einer vollkommen durchsichtigen, licht-rosenroth
vom 15. Juli 1869. 553
gefärbten Flüssigkeit zu thun hat, und dafs der vermeintliche
Niederschlag auf einer Fluorescenz beruht, welche verdünnte
Naphtalinrothlösungen in ganz bemerkenswerther Weise zeigen,
und welche zumal im directen Sonnenlichte einen überraschen-
den Anblick gewährt. Hält man eine verdünnte Lösung von
Naphtalinroth in Alkohol gegen einen dunklen Hintergrund, so
glaubt man eine frische: Fällung von Schwefelantimon oder
Quecksilberjodid vor sich zu haben.
Die auf dem angedeuteten Wege dargestellte Chlorverbin-
dung besitzt einen hohen Grad von Beständigkeit; man kann
sie mit Ammoniak und selbst mit Natriumhydrat zum Sieden
erhitzen, ohne dafs ihr das Chlor entzogen würde; es bedarf in
der That einer längeren Digestion mit Silberoxyd um die Base
in Freiheit zu setzen. Vielleicht beruht die Ächtheit der Farbe
gerade auf dieser Beständigkeit der Salze.
Da ich später in einer ausführlicheren Abhandlung auf das
Naphtalinroth zurückzukommen denke, so will ich der Akade-
mie heute nur das Ergebnifs der Analysen mittheilen, welche
ich mit dem neuen Farbstoff angestellt habe.
Diese Analysen, bei deren Ausführung ich von Hrn. Dr.
J. H. Buff und von Hrn. Karl Sarnow mit grofsem Ge-
schiek unterstützt worden bin, betreffen zunächst das Chlo-
rid, dann ein aus dem Chloride dargestelltes Platinsalz, endlich
ein von dem Chloride abgeleitetes Picrat.
Die Zusammensetzung des bei 100° getrockneten Chlorids
ist:
C,H, N;0Cl= C,,H;,,N;, HC1,H,O
Das Platinsalz, ebenfalls bei 100° getrocknet, enthält:
CoHsN,0,PtCl, = 2(C,,H3ı N; HCl), PtC1,,2H,O
Endlich ist die Formel des bei 100° getrockneten pierin-
sauren Salzes:
0,,H,,N,0,; = C,,H;,N;, C,H, (N0,),0 ,H,0
Sämmtliche Salze halten also bei 100° Wasser zurück,
und für den Augenblick mufs ich es unentschieden lassen, ob
sie bei höherer Temperatur wasserfrei zu erhalten sind. Im
Hinblick auf diese Ergebnisse wird es mehr als wahrscheinlich,
dafs auch die freie Base, die ich bis jetzt im reinen Zustande
554 Gesammtsitzung
nicht habe erhalten können, wie das Rosanilin, ein Wassermo-
lecul zurückhält, mithin durch .die Formel |
0,H,N,0= (0,H,,N,,H,0
ausgedrückt ist. |
Wie dem aber auch sei, die Bildung des Naphtalinroths
erfolgt offenbar in einer Reaction, welche derjenigen, in welcher
das Rosanilin entsteht, sehr ähnlich ist. Denkt man sich von
3 Mol. Naphtylamin 3 Wasserstoffmolecule abgespalten, so hat
man den neuen Farbstoff |
30.H,N— 3HH = C,„H,,N,
Die Gleichung; stellt aber nur das einfache Verhältnifs des
Farbstoffs zu dem Materiale dar, aus dem er’ sich bildet.‘ Die
wirkliche Umbildung findet in minder einfacher Weise statt.
Schon oben wurde der Verdienste gedacht, welche sich Hr.
Durand vom Hause Clavel in Basel um die fabrikmäfsige
Darstellung des Naphtalinroths erworben hat. Während ich mit
diesen Untersuchungen beschäftigt war, hat: mir Hr. Durand
mit grolsem Freimuthe einige Mittbeilungen über die Gewinnung
dieses Farbstoffs gemacht, die ich früher nur in sehr unvoll-
kommener Weise kannte. Nach diesen Mittheilungen wird’ das
Naphtalinroth in zwei gesonderten aufeinander folgenden Pro-
cessen gebildet. Zunächst wird ‚das Naphtylamin unter ge-
eigneten Bedingungen der Einwirkung der salpetrigen Säure
ausgesetzt, alsdann wird das in dem ersten Processe gebildete
Product mit Naphtylamin behandelt. Hr.. Durand hat die
Güte gehabt, mir eine Probe des in der ersten Phase der Um-
wandlung gebildeten Productes mitzutheilen. Wenige, Ver-
suche waren hinreichend, mich in dem übersendeten Körper
das Azodinaphtyldiamin der HH. Perkin und Church')
erkennen zu lassen, welches durch die Einwirkung der salpe-
trigen Säure auf das Naphtylamin entsteht. Bei der Behand-
lung mit Naphtylamin geht dieser Körper in Naphtalinroth über.
Die Genesis des Naphtalinroths vollendet sich demnach in
zwei scharf definirten Reactionen:
1) Perkin und Church, Chem. Soc. Qu. J. XVI. 207.
vom 15. Juli 1869. 555
L 2C,.H,N —- HNO, = C,H;,;N;, + 2H,0
Naphtylamin Azodinaphtyldiamin
MH. C„H,;N; + C,H, N = C5,H,N; + H;,N.
f | — mussen Sumenzur="
Azodinaphtyldiamin Naphtalinroth
Dafs sich in der letzten Phase der Reaction in der That
Ammoniak in reichlicher Menge entwickelt, läfst sich durch den
Versuch leicht constatiren.
Die hier zu Tage tretenden Verhältnisse sind für die
Theorie der Farbammoniake von nicht geringem Interesse. Zu-
nächst liegt der Gedanke nahe, auf das Azodinaphtyldiamin
statt Naphtylamin Anilin und Toluidin einwirken zu lassen.
Es müssen auf diese Weise gemischte Farbstoffe, dem Rosani-
lin noch näher stehend als das Naphtalinroth, welche gleich-
zeitig der Naphtylreihe und beziehungsweise der Phenyl- und
Tolylreihe angehören, gebildet werden. Ich habe diese Ver-
suche angestellt und mit Vergnügen unter Ammoniakausschei-
dung die Bildung von rothen Farbstoffen beobachtet, welche
offenbar beziehungsweise die Zusammensetzung
C,;H,N; und C,H,,N;
haben müssen. Beide Substanzen zeigen in alkoholischer Lö-
sung dieselben bemerkenswerthen Fluorescenzerscheinungen,
welche das Naphtalinroth bezeichnen. Ich hoffe, gelegentlich
auf diese Producte zurückkommen.
Allein die Reaction liefse sich noch nach einer andern
Richtung ausbeuten. Statt Naphtylamin, Anilin und Toluidin
auf Azodinaphtyldiamin einwirken zu lassen, könnte man um-
- gekehrt die Azodiamine der Phenyl- und Toluylreihe, sei es
mit Naphtylamin, Toluidin oder Anilin, behandeln. Es liegen
- sogar schon einige Beobachtungen vor, die ' eine einfache
- Deutung erlauben.
In ihrer keiten Abhandlung über das Amidodi-
‚phenylimid erwähnen die HH. Martius und Griefs!) am
"Schlusse eines blauen Farbstoffes, welcher sich beim Erhitzen
| des Amidodiphenylimids (Azodiphenyldiamins) mit chlorwasser-
2er oder salpetersaurem Anilin bildet. Es läfst sich
1) Martius und Grie(s, Monatsberichte d. Akademie. 1865. 640,
[1869.] 41
556 Gesammtsitzung
nicht bezweifeln, dafs dieser: Körper zu dem Anilin in dersel-
ben Beziehung steht, wie das Naphtalinroth zu dem Naphtyla-
min, dafs er in der That mit dem von den HH. Girard, De
Laire und Chapoteaud beschriebenen Violanilin identisch
ist. Seine Bildung wäre der des Naphtalinroths vollkommen
analog:
I. 2C,H,N ING, =
I. 20,H,N + HNO, C;H,N;, + 2H,O
Anilin Azodiphenyldiamin
: HN= ;
U. C HN; + 6GHN= C,H,N; + H,N
Azodinaphtylamin Violanilin
Von Hrn. Martius, der sich in neuester Zeit wieder mit
diesem Farbstoff beschäftigt hat, erfahre ich, dafs sich in der
That in der zweiten Phase des Processes reichliche Mengen
von Ammoniak entwickeln. Die Analyse des blauen Farbstoffs
wird die Frage schnell zur Entscheidung bringen,
Es bliebe noch ein interessanter Versuch anzustellen. Man
müfste das Azoditolyldiamin erzeugen und auf diese Verbin- |
dung Anilin einwirken lassen. Verliefe die Reaction in dem
aus den oben beschriebenen: Versuchen erschliefsbaren Sinne,
so würde sich Rosanilin erzeugen. Allein das Azoditolyldiamin
muls erst noch aufgefunden werden. Man kennt allerdings
einen gleichfalls von Hrn. Martius') entdeckten Körper
C,H,,N;,
allein diese Verbindung, welche bekanntlich das wahre Analo-
gon des Azodiphenyldiamins und des Azodinaphtyldiamin$ nicht
ist, liefert bei der Behandlung mit Monaminen keine Farbstoffe.
2. Über das Xylidinroth.
Die im Vorstehenden beschriebenen Versuche über das
Naphtalinroth haben mich lebhaft an die ersten Untersuchun-
gen erinnert, aus denen ich die Zusammensetzung des Rosa-
nilins ableitete.. Das Naphtalinroth wie das Anilinroth ent-
stammt 3 Mol. Monamin, welche eine gewisse Anzahl von
Wasserstoffmoleculen verloren haben, nur gehören diese 3 Mole-
1!) Martius, Monatsberichte der Akademie. 1866. 171.
vom 15. Juli 1869. 557
cule nicht verschiedenen Reihen, wie bei dem Rosanilin, sondern
derselben Reihe an. Die Bildung solcher höher gegliederten
Farbammoniake durch Verschmelzen dreier Monaminmolecule
scheint demnach wirklich eine allgemeine zu sein, wie dies
auch schon aus den Versuchen der Hrn. Girard, de Laire
und Chapoteaud hervorgeht. Leider sind die von den letzt-
genannten Chemikern erhaltenen Farbebasen noch nicht ge-
nauer untersucht worden; sie weichen jedoch, namentlich was
Färbekraft und Farbeton anlangt, von dem Rosanilin so we-
sentlich ab, dafs es wünschenswerth erschien, ein dem Rosanilin
möglichst analog construirtes Farbammoniak darzustellen und
zu untersuchen. Et
Eine erwünschte Gelegenhelt zu dieser Untersuchung bot
sich mir in dem Besitze einer gröfseren Menge von Xylidin,
welche ich der Güte meines Freundes, des Hrn. Dr. Martius
verdanke. Von der chemischen Reinheit des Präparates, wel-
ches constant bei 112° siedete, hatte ich mich mehrfach durch
die Analyse überzeugt. Für sich mit Oxydationsmitteln be-
handelt, liefert das Xylidin keinen rothen Farbstoff, ebenso
wenig, wenn dasselbe in Gegenwart von Toluidin der Ein-
wirkung der gewöhnlichen, bei der Darstellung des Rosanilins
verwendeten Agentien unterworfen wird.
Ganz anders gestaltet sich der Versuch, wenn man eine
Mischung von reinem Xylidin und reinem Anilin (welches
für sich keinen rothen Farbstoff erzeugt) mit einem der die
Bildung von Rosanilin bedingenden Agentien zum Sieden er-
hitzt. Augenblicklich nimmt die Mischung eine prachtvolle
gesättigt karmoisinrothe Färbung an, welche einem dem Ro:
sanilin homologen Farbstoff angehört. Das neue aus Anilin
und Xylidin gebildete Farbammoniak, welches Wolle und Seide
- kaum weniger lebhaft roth färbt, als Rosanilin selbst, hat.
wahrscheinlich die Zusammensetzung:
Eine eingehende Untersuchung dieses Farbstoffs, dem man
ein gewisses theoretisches Interesse nicht wird absprechen
wollen, hoffe ich der Akademie in einer späteren Sitzung mit-
theilen zu können.
41*
558 Gesammtsitzung
Hier werde nur noch erwähnt, dafs sich bei der Behand-
lung einer Mischung von Anilin mit dem dem Toluidin iso-
meren Benzylamin kein Farbstoff erhalten läfst.
3. Zur Kenntnifs der isomeren Xylidine.
(Gemeinschaftlich mit Dr. C. A. Martius.)
Aus einer eingehenderen Untersuchung über die Natur der
farbeerzeugenden aromatischen Basen, welche wir gemeinschaft-
lich unternommen haben, theilen wir der Akademie schon heute
ein Ergebnifs mit, welches uns nicht ohne Interesse scheint.
Wir haben, indem wir die höher siedenden Anilinöle des Han-
dels im grolsen Maafsstabe einer fractionirten Destillation, und
die einzelnen Fractionen in der Form von Salzen weiteren
Scheidungsprocessen unterwarfen, eine Reihe von Producten
erhalten, von denen sich einige bereits als chemisch reine
Körper charakterisiren.
Unter diesen befindet sich zumal eine nicht unerhebliche
Menge von völlig reinem, constant bei 212° siedendem Xylidin,
welches, wie der Eine von uns in einer der Akademie gleich-
zeitig vorliegenden Note!) bereits berichtet hat, weder für sich
allein noch mit Toluidin gemischt bei der Behandlung mit den
gewöhnlichen Oxydationsmitteln rothen Farbstoff liefert, sich
aber unter Mitwirkung von reinem Anilin alsbald in ein pracht-
volles Carmoisin verwandelt. j
Was ist die chemische Structur dieses farbegebenden Xy-
lidins? Indem wir die weiter abliegende Frage nach Isomerien
feinster Zuspitzung zunächst unberücksichtigt liefsen, schien es
vor allem interessant zu erfahren, ob die farbegebende Base von
einem dimethylirten oder äthylirten Benzol abstamme, ob sie als
C,H; (CH3;), C,H, (C,H,)
H N oder H N
H H
betrachtet werden müsse,
1) Hofmann, Monatsberichte 1869. 556.
vom 15. Juli 1869. 559
Wir haben diese Frage in der Art zu lösen gesucht, dafs
wir das Xylidin statt es aus den höher siedenden Anilinen
_ darzustellen, von dem Benzol ausgehend aufgebaut haben. Zu
dem Ende wurde das Benzol äthylirt, das äthylirte Benzol
nitrirt und das Äthylnitrobenzol amidirt. Die so erhaltene
Base besitzt einen eigenthümlichen an das aus dem Indigo
dargestellte Anilin erinnernden Geruch, sie siedet constant bei
212°. Durch die Analyse wurde festgestellt, dafs die auf die
angegebene Weise gewonnene Base dieselbe Zusammensetzung
hat, wie die aus den hochsiedenden Anilinen abgeschiedene.
Sie ist aber trotz der übereinstimmenden Siedepunkte weit
entfernt mit der letzteren, also der aus dem Kohlentheeröl
abstammenden, identisch zu sein. Sie unterscheidet sich von
derselben alsbald durch die ungleich gröfsere Löslichkeit aller
ihrer Salze: aber mehr noch, sie liefert bei der Behandlung
mit Oxydationsmitteln sowohl für sich als auch in Gegenwart
von Toluidin und endlich von Anilin nicht die geringste Spur
von rothem Farbstoff.
Wenn nun die beschriebenen Versuche feststellen, dafs
eine thatsächlich die Äthylgruppe enthaltende Base
C,H,N
zur Rothbildung nicht geeignet ist, läfst sich die Ansicht recht-
fertigen, dafs die Roth liefernde Base die zweifach methylirte
Verbindung darstelle? Diese Ansicht hat grofse Wahrschein-
lichkeit, wir beabsichtigen aber, die Frage auf dem Wege des
Versuches zur Entscheidung zu bringen. N
Zum Schlusse wollen wir noch anführen, dafs das aus
. Cuminsäure bereitete Cumidin
C,H, N
weder für sich noch mit Anilin zusammen oxydirt einen rothen
Farbstoff erzeugt. Die Darstellung der in den hochsiedenden
Anilinen existirenden isomeren Base im Zustande absoluter
Reinheit ist uns bis jetzt nicht gelungen.
4. Zur Kenntnifs des Chrysanilins.
Angesichts der wunderbaren Veränderungen, welche das
Rosanilin als Farbstoff erleidet, wenn sich seinem Wasserstoff
560 Gesammtsitzung
die Alkoholgruppen substituiren, lag der Gedanke nahe, auch
andere Farbammoniake in der angedeuteten Richtung zu erfor-
schen. Ich habe mich zunächst in diesem Sinne mit dem
Chrysanilin beschäftigt, und es schien diese Wahl um so mehr
geboten, als eine Untersuchung der Metamorphosen des Chry-
sanilins weitere Aufschlüsse über die Natur dieses immer noch
wenig gekannten Körpers versprach.
Wird eine Auflösung von reinem Chrysanilin (1 Mol.) in
Methylalkohol mit Jodmethyl (4 Mol.) 5 bis 6 Stunden lang
im Wasserbade erhitzt, so zeigt sich in den Digestionsröhren
eine reichliche Krystallisation von glänzenden Nadeln. Ihre
Reinigung bietet keine Schwierigkeit. Der Methylalkohol mit
etwa noch unverändertem Jodmethyl wird abgegossen, und der
krystallinische Rückstand ein oder zweimal mit siedendem Al-
kohol behandelt, in dem er nahezu unlöslich ist. Löst man
die so gereinigten Krystalle in siedendem Wasser, so schiefsen
beim Erkalten prachtvolle Nadeln von einer zwischen Orange-
gelb und Carmoisinroth liegenden Farbe an, welche voll-
kommen rein sind. Bei 100° getrocknet enthalten diese Kry-
stalle =
0,H,N,L,—= (,H,,(CH;), N;, 2HI
stellen also das Dijodhydrat des Trimethylchrysanilins
dar. Die Lösung dieses Salzes färbt Seide und Wolle tief
orangegelb mit einem Stich ins Scharlachrothe. a
Wird die heifsgesättigte wässrige Lösung des Dijodhy-
drates mit einem Überschuls von Ammoniak versetzt, so nimmt
sie eine lichtgelbe Färbung an und beim Erkalten der Flüssig-
keit scheiden sich verfilzte gelbe Nadeln aus. Es war kaum
zu bezweifeln, dafs hier ein Monojodhydrat vorlag; denn als
die Flüssigkeit längere Zeit zum Sieden erhitzt wurde, färbte
sie sich unter fortwährender Ammoniakentwicklung wieder tief
orangeroth und lieferte beim Erkalten von neuem das ursprüng-
‚liche zweifach jodwasserstoffsaure Salz. Als die gelben Nadeln
analysirt wurden, zeigte es sich in der That, dafs sie das
Monojodhydrat des Trimethylchrysanilin
0, H, N; I= 0, H,(CH;), N, HI
darstellen. Die bei der Jodbestimmung der beiden Salze er-
vom 15. Juli 1869. 561
haltenen Mütterlaugen wurden, eine jede für sich, zur Entfer-
nung des Silbernitrats mit Chlorwasserstoffsäure versetzt und
mit Platinchlorid niedergeschlagen. In beiden Fällen entstand
dasselbe in schönen verfilzten Nadeln krystallisirende Platinsalz
C,, H,, N, PtCl, = C,,H,, (CH,), N, 2HCl, Pt Cl,.
Erwärmt man die Lösung einer der Jodverbindungen mit Sil-
beroxyd, so wird die Base in Freiheit gesetzt. Sie stellt ein
braungelbes Pulver dar, welches wie das normale Chrysanilin
in Wasser unlöslich ist, sich dagegen in Alkohol auflöst; in
Krystallen habe ich die Base eben so wenig wie das Chrysa-
nilin selbst erhalten können. Ä
Das so gewonnene Trimethylchrysanilin bildet mit den
Säuren wohlkrystallisirte Salze, die aber meist sehr löslich
sind, so das chlorwasserstoffsaure und bromwasserstoffsaure.
Das Nitrat dagegen ebenso wie das Picrat sind schwer lös-
lich, wie die entsprechenden Chrysanilinverbindungen. Beide
sie durch ihre Schönheit ausgezeichnet." ) ’
Gegen Jodäthyl verhält sich das Chrysanilin wie gegen
Jodmethyl.e. Die Krystalle, welche sich nach mehrstündiger
Digestion einer alkoholischen Lösung von Chrysanilin mit
Jodäthyl abgesetzt hatten, wurden auf einem Filter gesammelt
und aus siedendem Wasser umkrystallisirt. ‘Diese Krystalle
sind das Dijodhydrat des Triäthylchrysanilins, welche
dem methylirten Jodhydrat in jeder Beziehung gleichen. Bei
100° getrocknet enthalten sie
!) Ich will hier erwähnen, dafs gelegentlich der Darstellung der oben
angeführten pierinsauren Verbindung auch die Picrate des Chrys-
anilins selber näher untersucht worden sind. Es giebt deren zwei,
von denen das Dipierat das -schwerer lösliche und am schönsten kry-
stallisirende ist. Man erhält es, wenn man ein Chrysanilinsalz mit einer
Lösung von Picrinsäure in Wasser fällt, den Niederschlag auswäscht
und in Alkohol löst. WVermischt man die kaltgesättigte Lösung des
Salzes mit einer kaltgesättigten Lösung von Picrinsäure in Alkohol, so
schiefsen nach längerem Stehem prächtige rubinrothe Nadeln des Dipi-
crats an. Bei 100° hält das Salz 1 Mol. Wasser zurück. Bei 110° ge-
trocknet wird es wasserfrei. Seine Zusammensetzung ist
032 H,; N, 014 = C30 Hı, Na, [C; Hz, (N 0,), O],.
562 Gesammtsitzung
GC; Haı N 1, = Cy Hy, (C; H,), N, 2HI. |
Unter dem Recipienten der Luftpumpe getrocknet, hält
das Salz Wasser zurück, und zwar 3 Mol. Wasser auf 2 Mol.
Salz.
Das dem Dijodhydrate entsprechende Chlorhydrat giebt
mit Platinchlorid einen in Nadeln krystallisirenden Nieder-
schlag, welcher in Wasser nur wenig löslich ist. Seine Zu-
sammensetzung ist |
C,H; N; PtCl, = C,H, (C5 H,), N, 2H Cl, PtCl,..
Ich habe auch das jodwasserstoffsaure Salz der triamy-
lirten Verbindung krystallisirt erhalten, bis jetzt ist dieses Salz
aber noch nicht analysirt worden. |
Schliefslich will ich noch bemerken, dafs auch die pheny-
lirten Abkömmlinge des Chrysanilins existiren. Mit einem
Überschufs von Anilin und Essigsäure, bis zum Siedepunkt
des ersteren erhitzt, entwickelt das Chrysanilin Ströme von
Ammoniak. Es entsteht eine tief braune Lösung, aus welcher
man nach Zusatz von Alkali das Anilin mittelst Wasserdampf
entfernt. Aus dem braunen Rückstande läfst sich ein tief-
braunes Chlorhydrat darstellen, welches in vierseitigen Tafeln
krystallisirt. Dasselbe ist bis jetzt nicht analysirt worden.
Über die Herkunft und Bildungsweise des Chrysanilins
ist noch immer ein unerquickliches Dunkel verbreitet. Alle
Versuche, diesen Körper in einer einfachen glatten Reaction
zu erhalten, sind bis jetzt fehlgeschlagen. Seit meiner ersten
Arbeit über das Chrysanilin haben die Hrn. Girard, de Laire
und Chapoteaud Versuche über die bei der Rosanilinfabrika-
tion als Nebenproducte auftretenden Farbstoffe veröffentlicht
und neben andern unter dem Namen Chrysotoluidin einen
Körper beschrieben, welcher in seinen Eigenschaften eine ge- _
wisse Ähnlichkeit mit dem Chrysanilin zeig. Wie das Ro-
sanilin aus 2 Mol. Toluidin und 1 Mol. Anilin entseht, soll das
.Chrysotoluidin aus 3 Mol. Toluidin gebildet, mithin durch die
Formel |
C,H, N;
dargestellt werden, während die für das Chrysanilin geltende
Formel
0,H,N;
vom 15. Juli 1869. 563
ist. Der Gedanke lag nahe, Chrysanilin und Chrysotoluidin
für identisch zu halten. In der That weichen beide Substanzen
in ihrer Zusammensetzung kaum um ein viertel Procent Koh-
lenstoff, wohl aber um ein ganzes Procent Wasserstoff von
. einander ab, so dafs sich meine für das Chrysanilin gefundenen
Versuchszahlen nicht wohl mit den von der Chrysotoluidin-
formel verlangten Werthen in Einklang bringen lassen.
Die Frage wird aber kaum durch die Analyse allein
entschieden werden können, vielmehr durch eine genaue Ver-
gleichung der beiden Substanzen zu lösen sein. Von der
Pariser Ausstellung her stand mir noch eine kleine Menge
Chrysotoluidin zur Verfügung; aus diesem Präparate habe ich
mich indessen vergeblich bemüht, das schöne so charakteri-
stische Nitrat darzustellen, durch welches das Chrysanilin aus-
gezeichnet ist. Dieser Mangel an Erfolg kann aber von der
unvollkommnen Reinheit des angewendeten Chrysotoluidins her-
rühren, und die Frage, ob beide Substanzen, das Chrysanilin
und das Chrysotoluidin, identisch sind, dürfte vor der Hand
noch eine offene bleiben müssen. |
Schliefslich ist es mir eine angenehme Pflicht, Hrn. Dr.
Sell und Hrn. Julius Jarmay für die mir bei Anstellung
dieser Versuche geleistete Hülfe meinen Dank auszusprechen.
5. Über die chemische Natur des Anilingrüns.
(Gemeinschaftlich mit Charles Girard.)
Die Fabrikation der Anilinfarben, obwohl noch so neuen
Ursprungs, hat sich gleichwohl schon nach so mannigfaltigen
Richtungen verzweigt, dafs die Wissenschaft nur mühsam und
aus der Ferne allen den zahlreichen Entdeckungen folgt, welche
sich auf diesem grofsen Industrie-Gebiete alltäglich vollenden.
Wenn es den Untersuchungen der Chemiker bisher gelungen
war, Schritt für Schritt Zusammensetzung und Bildungsweise
des Anilinroths und seiner blauen und violetten Abkömmlinge
aufzuklären, so hatte man sich bis jetzt vergeblich bemüht, _
auch die Natur der prachtvollen grünen Farbstoffe zu ermitteln,
mit denen die Reihe der aus der Steinkohle abstammenden
564 Gesammisitzung
tinetorialen Körper durch die Ausdauer und den Erfindungs-
geist der Fabrikanten in letzter Zeit bereichert worden ist.
Wir haben uns im Laufe des verflossenen Jahres vielfach
mit dem grünen Farbstoffe beschäftigt, welcher in dem Handel
unter dem Namen Jodgrün geht und dessen industrielle Ver-
werthung schnell einen aufserordentlichen Aufschwung genom-
men hat. Wir wollen heute der Akademie etwas ausführlicher
die Ergebnisse mittheilen, zu denen uns die Untersuchung die-
ses merkwürdigen Körpers geführt hat.
Der mit dem Namen Jodgrün (vert & l’iode) bezeichnete
Färbekörper entsteht als Nebenproduct in der Fabrikation der
durch Methylirung und Äthylirung aus dem Rosanilin gebil-
deten violetten Farbstoffe, welche der Eine!) von uns vor
etwa sechs Jahren in die Industrie eingeführt hat. Es ist zu-
mal bei der Darstellung des Methylvioletts, dafs das Jodgrün
gebildet wird. Die erste Beobachtung des Jodgrüns geht bis
zur Entdeckung der methylirten Violette zurück, allein sie be-
schränkte sich damals auf die Wahrnehmung der grünen Um-
randung, mit welcher sich ein violetter Fleck umzieht, wenn
man einen Tropfen des Rohproductes der Wechselwirkung
zwischen Jodmethyl und Rosanilin auf Fliefspapier fallen läfst.
Alle Versuche, diesen grünen Farbstoff zu isoliren, sind frucht-
los geblieben, so lange man im kleinen Mafsstabe arbeitete,
und es war wiederum der Industrie, die schon so oft den Fort-
schritt der Wissenschaft beschleunigt hat, vorbehalten, eine ge-
nauere Kenntnils des neuen Körpers anzubahnen, indem es ihr
gelang, zunächst das Grün von dem Violett zu trennen, dann
aber die Bedingungen seiner Bildung soweit zu ermitteln, dafs
man an seine Verwerthung in der Färberei denken konnte.
Schon im Laufe des Jahres 1866 war das Jodgrün Gegen-
stand einer regelmälsigen Fabrikation im Grofsen geworden,
welche seitdem eine aufserordentliche Ausdehnung gewonnen hat.
Fabrikation des Jodgrüns.
Zum bessern Verständnifs des Folgenden wird es zweck-
mäfsig sein, einige Worte über die Fabrikation des Jodgrüns
vorauszuschicken.
!) Hofmann, Proc. of the R. Soc. Vol. XIH. p. 13.
vom 15. Juli 1869. 565
Die Agentien, welche in der Regel in Anwendung kom-
men, sind Rosanilin- Acetat, Jodmethyl und Methylalkohol,
sämmtlich im Zustande völliger Reinheit. Die Mischungsver-
hältnisse wechseln innerhalb beträchtlicher Grenzeu. Die fol-
genden liefern ein befriedigendes Resultat:
] Th. Rosanilin- Acetat,
2 Th. Jodmethyl,
2 Th. Methylalkohol.
Man kann das Jodmethyl durch eine äquivalente Mengä
Brommethyl (1,3 Th.) ersetzen; in der Fabrikation giebt man
aber dem Jodmethyl den Vorzug.')
Die Reaction erfolgt in grofsen Autoclaven von emaillirtem
Schmiede- oder Gufseisen, welche einem Druck von 25 Atmo-
sphären zu widerstehen im Stande sind. Diese Apparate sind
von einer Wärmehülle umgeben, in welcher 8 bis 10 Stunden
lang ein Strom siedenden Wassers circulirt. Nach Ablauf die-
ser Zeit ist die Operation beendet und man lälst den Autoclaven
erkalten. Derselbe enthält nunmehr in Methylalkohol gelöst
ein Gemenge violetter und grüner Farbstoffe, aufserdem hat
1) Wenn man die niedrigen Preise bedenkt, auf welche das Brom
durch die grofsartige Bromfabrikation aus den Stafsfurter Abraumsalzen
herabgesunken ist, wenn man ferner das kleinere Äquivalent des Broms
in Erwägung zieht, so ist es befremdlich, dafs die Industrie noch keine
gröfseren Anstrengungen gemacht hat, das Jod in der Farbenfabrikation
durch das Brom zu ersetzen. Unter diesen Umständen verdienen einige
Erfahrungen Beachtung, welche wir im Laufe unserer Untersuchungen zu
machen Gelegenheit gehabt haben. Die Hauptschwierigkeit bei der Hand-
habung (des Brommethyls und Bromäthyls liegt offenbar in den niedrigen
Siedepunkten beider Verbindungen (13° und 40°), welche grofse Verluste
herbeiführen. Man kann diese Schwierigkeit sehr einfach umgehen, wenn
man das so leicht darstellbare Bromamyl, von dem wohlgelegenen Siede-
punkte 120°, in Gegenwart beziehungsweise von Methyl- und Äthylalko-
hol mit den zu methylirenden und äthylirenden Basen in den Autoclaven
bringt. In einer ersten Phase der Reaction entsteht unter Rückbildung
von Amylalkohol Brommethyl und Bromäthyl
C,„H,,Br+CH,HO=C,H,,H0O-+ CH,Br,
welche die Methylirung und Äthylirung fast ebenso gut besorgen, als rei-
nes Brommethyl und Bromäthyl.
566 Gesammtsitzung
sich in beträchlicher Menge Essigsäure-Methyläther und endlich
Methyläther selbst gebildet, welcher beim Öffnen des Autocla-
ven mit Gewalt ausströmt. Nachdem die flüchtigen Producte
durch Destillation entfernt sind, benutzt man die ungleiche
Löslichkeit der verschiedenen gebildeten Farbstoffe im Wasser
um sie von einander zu scheiden.
Zu dem Ende wird der in dem Autoclaven zurückge-
bliebene Farbenbrei in eine grofse Menge siedenden Wassers
gegossen. Das Grün löst sich vollständig, die violetten Farb-
stoffe bleiben ungelöst, mit Ausnahme einer kleinen Quantität,
welche durch die während der Reaction in Freiheit gesetzte
Säure in Lösung geht. Das unlösliche Violet wird durch Fil-
tration getrennt. Um die kleine Menge gelösten Violets nieder-
zuschlagen, fügt man zu der Flüssigkeit Kochsalz, indem man
gleichzeitig die freie Säure durch Natriumcarbonat’ abstumpft.
Um in der tiefgefärbten Flüssigkeit den Sättigungspunkt zu er-
kennen, filtrirt man von Zeit zu Zeit eine Probe ab, und taucht
statt des Lackmusstreifens einen dünnen Seidestrang in die Lö-
sung; sobald derselbe eine rein grüne Farbe annimmt, ohne alle
Beimischung von Violet oder Blau, hört man mit dem Zusatz
von Natriumcarbonat auf: die Fällung des Violets ist vollendet.
Die vollkommen erkaltete Flüssigkeit geht zur Abschei-
dung des zuletzt gefällten Violets nochmals durch ein Sand-
filter und wird alsdann durch eine kaltgesättigte Lösung von
Picrinsäure in Wasser gefällt. Da das Picrat des Grüns in Was-
ser nur wenig löslich ist, so wird es auf einem Filter gesammelt,
flüchtig mit Wasser gewaschen, und nach dem Abdampfen als
Färbebrei (päte) in den Handel gebracht. Die in dem be-
schriebenen Processe als Nebenproducte erhaltenen violetten
Körper sind begreiflich nicht verloren. Man verwandelt sie,
da sie als Jolide fallen, durch Einwirkung von Natriumhydrat
in die entsprechenden Basen, welche von Neuem unter geeig-
neten Bedingungen mit Jodmethyl behandelt werden, um weitere
Mengen von Jodgrün zu liefern.
Darstellung des krystallisirten Jodgrüns.
Um das Jodgrün im krystallisirten Zustande zu erhalten,
bedarf es nur einer leichten Modification des beschriebenen
vom 15. Juli 1869. 567
Ganges. Zunächst wird man das gefärbte Reactionsproduct in
eine weit geringere Menge siedenden Wassers eingielsen, dann
aber nach dem Zusatze des Kochsalzes die Flüssigkeit mit
einer gröfseren Menge von Natriumcarbonat versetzen, um der
vollständigen Ausfällung der violetten Materien sicher zu sein,
selbst auf die Gefahr hin, eine kleine Menge des grünen Farb-
stoffs, welcher durch einen Überschufs von Natriumcarbonat,
zumal beim Sieden, leicht verändert wird, zu opfern. Die fil-
trirte Flüssigkeit setzt beim Erkalten in beträchlicher Menge
Krystalle von Jodgrün ab, welche ein- oder zweimal mit kaltem
Wasser gewaschen werden, um kleine Mengen von anhängen-
dem Kochsalz zu trennen. Man trocknet die Krystalle schliefs-
lich bei gewöhnlicher Temperatur.
Um die so gewonnenen Krystalle in einem für die Ana-
lyse geeigneten Zustande zu erhalten, wurden sie in warmen
absoluten Alkohol gelöst, und die Lösung nach dem Filtriren
in einen grofsen Überschufs völlig trocknen Äthers gegossen;
es entstand ein glänzender krystallinischer Niederschlag, wel-
chen man auf einem Filter sammelte, mit kaltem Äther wusch
und nach dem Verdunsten des Äthers über Schwefelsäure
trocknete. Der krystallinische Niederschlag ward schliefslich
in warmem Alkohol gelöst; beim Erkalten schieden sich präch-
tige Prismen des chemisch reinen Jodgrüns ab. Diese Kry-
stalle, welche den eigenthümlichen Metallglanz der Flügeldecke
der Cantharide zeigen, sind das Jodid der Base.
Bei einer anderen Darstellung war die Abscheidung des
Violets mittest Kochsalz und Natriumcarbonat minder glück-
lich von Statten gegangen. Man fand es zweckmäfsig, die aus
der mit Kochsalz und Natriumearbonat versetzten Flüssigkeit
abgeschiedenen Krystalle in absolutem Alkohol zu lösen und
mit trockenem Äther zu fällen, diese Behandlung mit Alkohol
und Äther zu wiederholen, die letzte Ätherfällung in heifsem
Wasser zu lösen und die aus dem Wasser abgeschiedenen
Krystalle schliefslich aus warmem Alkohol umzukrystallisiren.
| Noch verdient bemerkt zu werdeu, dafs wir auch bis
weilen die Lösungen des Grüns, wie man sie nach Behandlung
der Rohlauge mit Kochsalz und Natriumcarbonat erhält, direct
mit Jodkalium gefällt haben. Das Grün, welches in concen-
BB. Gesammtsitzung
trirter Jodkaliumlösung nahezu unlöslich ist, fällt alsbald in
flimmernden Krystallen aus, welche nach den oben angeführten
Methoden weiter gereinigt werden. |
Sämmtliche auf den angegebenen Wegen erhaltenen Prä-
parate, mehrere Tage lang über Schwefelsäure getrocknet,
zeigten bei der Analyse dieselbe Zusammensetzung.
Die beschriebenen Reinigungsmethoden sind zeitraubend
und kostspielig, sie waren indessen, um zuverlässige analy-
tische Resultate zu erhalten, nothwendig, da einerseits dem
Grün hartnäckig eine kleine Menge des mit ihm gebildeten
Violets anhängt, andererseits das Grün selbst, wie sogleich
weiter unten gezeigt werden soll, mit Leichtigkeit wieder in
Violet übergeht.
Zusammensetzung der Jodverbindung. — Zahlreiche Ana-
lysen, welche wir mit Präparaten von verschiedener Darstel-
lung ausgeführt haben, zeigen, dafs das über Schwefelsäure ge-
trocknete Anilingrün nach der a
C,HN,01, — Os com, er A ‚4,0
zusammengesetzt ist.
Läfst man das schwefelsäure-trockene Salz etwa zweimal
vierundzwanzig Stunden im luftleeren Raume liegen, so erleidet
es einen Gewichtsverlust, welcher 1 Mol. Wasser entspricht.
Dafs das zurückbleibende Salz die wasserfreie Verbindung ist,
wurde überdiefs durch die Analyse festgestellt. Übrigens möge
schon hier bemerkt werden, dafs es nicht leicht ist, die wasser-
freie Jodverbindung im reinen Zustande zu erhalten. Das Ge-
wicht der Verbindung wird in vacuo nicht constant. Nach-
dem 1 Mol. Wasser ziemlich rasch entwichen ist, nimmt das
Gewicht des Körpers wochenlang Milligramm um Milligramm
im luftleeren Raume ab, indem eine langsame Zersetzung ein-
tritt. Dieser Umstand hat bei der Untersuchung viele Schmer-
zen verursacht.
Platinsal.. — Die Zusammensetzung. der Jodverbindung
ist durch die Analyse mehrerer anderer Salze controlırt wor-
den. Behandelt man die wässrige Lösung des jodwasserstoff-
sauren Salzes in der Kälte oder unter gelindem Erwärmen
mit Chlorsilber, so entsteht unter Ausscheidung von Jodsilber
vom 15. Juli 1869. 569
das entsprechende Chlorid. Alle Versuche, dasselbe im kry-
stallisirten Zustande zu erhalten, sind fehlgeschlagen. Das
Chlorid trocknet in vacuo über Schwefelsäure zu einer grü-
nen, durchsichtigen, spröden, glasartigen Masse ein. Die Lö-
sung desselben liefert mit Platinchlorid einen braunen, nicht
krystallinischen, in Wasser, Alkohol und Äther unlöslichen
Niederschlag, welcher im leeren Raume getrocknet die Zusam-
mensetzung
| Een CH,Cl
EI. NO —=0, ah: cj; Frl,
besitzt.
Picrat. —. Eine der schönsten und beständigsten Verbin-
dungen, welche dieser Reihe angehören, ist das picrinsaure
Salz. Es wurde bereits oben erwähnt, dafs die Industrie mit
der ihr eigenthümlichen Spürkraft sehr bald auf die Piecrin-
säure als Fällungsmittel für das Jodgrün gefallen ist und dafs
in der That ein nicht unbeträchtlicher Theil des im Handel
vorkommenden Farbstoffs die pierinsaure Verbindung darstellt.
Versetzt man eine wässrige Lösung der Jodverbindung
mit einer wässrigen Picrinsäurelösung, so entsteht alsbald eine
dunkelgrüne, scheinbar amorphe Fällung, die in Wasser fast
absolut unlöslich ist. Nach dem Auswaschen ist keine Spur
von Jod in dem Niederschlage zurückgeblieben. Unter dem
Mikroskop erscheint der Niederschlag krystallinisch, aber erst
beim Umkrystallisiren aus siedendem Alkohol, in dem das Salz
aulserordentlich schwer löslich ist, zeigt sich dieser Körper in
seiner ganzen Schönheit. Beim langsamen Erkalten der Lö-
sung setzen sich wohlausgebildete Prismen ab, gelbgrün im
durchfallenden Lichte, wie frisch angeätztes Kupfer im reflec-
tirten Lichte glänzend. Das Salz ist wasserfrei und kann
ohne die geringste Veränderung bei 100° getrocknet werden.
Seine Zusammensetzung entspricht der des Jodids und
wird durch die Formel
His. [(CHJC,H,(NO,),0
C;H,N,0,= 0% (CH,), N; co C,H, (N0,),0
ausgedrückt.
Auch das essigsaure und salpetersaure Salz des Grüns
sind auf weiter unten anzugebenden Wegen erhalten worden,
570 Gesammtsitzung
Das erstere krystallisirt in feinen Nadeln, letzteres in Prismen.
Noch verdient schlielslich eine aufserordentlich schön krystalli-
sirende und durch ihre Beständigkeit ausgezeichnete Doppel-
verbindung des Jodids mit Jodzink erwähnt zu werden, welche
durch Fällung der Jodverbindung mit Jodzink, Zinkacetat oder
Zinksulfat entsteht. Sie krystallisirt aus heilsem Wasser in
Prismen. Die trockne Substanz wird bei 100° nicht zersetzt.
Die Analyse dieses Salzes ist noch nicht zu einem befriedi-
senden Abschlufs gekommen. Die durch Tanninlösung gefällte
Verbindung haben wir gar nicht zu analysiren versucht.
Wenn die zahlreichen Analysen, die wir von dem Jodid
von dem Platinsalze und dem Picrat ausgeführt haben, über
die Zusammensetzung des Jodgrüns und seiner Abkömmlinge
erhebliche Zweifel nicht wohl lassen konnten, so hat doch
das Studium der Umwandlungen, welche der Farbstoff er-
leidet, weitere willkommene Belege für die. er der
aufgestellten Formeln geliefert.
Umwandlungen des Jodgrüns.
Es wurde bereits erwähnt, dafs das jodwasserstoffsaure Salz
im luftleeren Raume kein constantes Gewicht annimmt. Werden
Krystalle, welche einige Monate im luftleeren Raume gestanden
haben, mit Wasser übergossen, so färbt sich dasselbe schön grün;
übergiefst man sie dagegen mit Alkohol, so nimmt die Flüssigkeit
eine intensiv blaue Farbe an. Entfernt man die grüne wässrige
Lösung von den ungelöst gebliebenen Krystailen, so lösen sich
diese letzteren nunmehr in Alkohol mit schön violetter Farbe.
Diese Umbildung in Violet erfolgt weit vollständiger und schon
in einigen Stunden, wenn man die Krystalle des Jodids der
Temperatur des siedenden Wassers aussetzt; sie ist augenblick-
lich bei einer Temperatur von 130—150°. In siedendem Ani-
lin z. B. löst sich das grüne Jodid mit prachtvoll violetter
Farbe.
Der Übergang von Grün in Violet ist mit einem sehr be-
trächtlichen Gewichtsverlust verbunden. Als die schwefelsäure-
trockenen Krystalle, um die Natur dieses Verlustes zu ermit-
teln, in einem Destillirapparate erhitzt wurden, verdichtete sich
zunächst etwas Wasser, alsdann destillirten farblose das Licht
vom 15. Juli 1869. 571
stark brechende Öltropfen, welche in Wasser untersanken und
an ihren Eigenschaften als Jodmethyl erkannt wurden. Um
jeden Zweifel zu beseitigen, wurde das Destillat mit alko-
holischem Ammoniak vermischt. Beim Abdampfen bildeten
sich die charakteristischen Krystalle von Tetramethylammo-
niumjodid.
Die Ermittelung des Gewichtsverlustes zeigt, dafs sich bei
andauernder Einwirkung der Wärme (120°) von dem Molecule
des über Schwefelsäure getrockneten jodwasserstoffsauren Salzes
genau 1 Mol. Wasser und 1 Mol. Jodmethyl abspalten, dafs
mithin die Umbildung nach der folgenden Gleichung vor sich
geht:
| Hi CH;1
Co (CH,),N en:
Dafs der violette Rückstand in der That die ihm in dieser
Gleichung zugetheilte Zusammensetzung besitze, wurde über-
diefs durch die Analyse festgestellt, welcher sowohl der direct
erhaltene Rückstand, als auch eine aus demselben durch Be-
handlung mit Wasser und Alkohol dargestellte, in langen
dünnen Nadeln krystallisirende Verbindung unterworfen wurde.
Die Analyse ergab für die bei 120° getrocknete Substanz die
Formel
H,.
H,O=Cy.cH,), ° N,, CH,I+HLO+CH.L.
H
C„H,N,I= Ca (CH,),N3> CH, I
und es zeigte sich somit, dafs dieses violette Salz wesentlich
von dem bereits früher bekannten '), dem jodwasserstoffsauren
Trimethylrosanilin
ale
C3H,NI=Cy (CH, B N; ‚HI
‘verschieden ist, was auch die bestimmter ausgesprochene Kry-
stallform namentlich aber der viel blauere Ton andeutet, wel-
chen dieser Farbstoff der Seide und Wolle ertheilt.
| Der Übergang von Grün in Violet unter Ablösung von
Jodmethyl findet re statt, wenn der Farbstoff auf
1) Hofmann, Exposition universelle de 1867, Rapports du Jury
"international Vol. VII p. 263.
[1869.] %
572 Gesammtsitzung
einem Gewebe fixirt ist, als bei dem freien Farbstoffe. Inter-
essant ist es, dafs die grüne Farbe permanent wird, sobald
man. die Abspaltung des Jodmethyls auf die eine oder andere
Art verhindert. Krystalle des jodwasserstoffsauren Salzes kön-
nen in einer hermetisch geschlossenen Glasröhre im Wasser-
bade erhitzt werden, ohne dafs sich die grüne Farbe verändert.
Die Bildung des blauvioletten Farbstoffs aus dem jod-
wasserstoffsauren Grün findet noch unter anderen nicht minder
interessanten Bedingungen statt. Digerirt man eine methyl-al-
koholische Lösung des Grüns in zugeschmolzener Röhre 2—3
Stunden lang im Wasserbade, so haben sich in der Flüssig-
keit, welche eine tief-blauviolette Farbe angenommen hat, lange
cantharidengrüne Nadeln abgesetzt, welche sich, da sie in AL"
kohol, selbst in siedendem, aulserordentlich schwer löslich sind,
mit Leichtigkeit im Zustande der Reinheit erhalten lassen. Sie
werden am besten aus Methylalkohol, in dem sie etwas leichter
löslich sind, umkrystallisirt. Die Analyse dieser Krystalle
zeigt, dals sie die merkwürdige Zusammensetzung
H CH;I
C„H,N], = (0, ccH,,N je
3
besitzen. Dieselbe Verbindung haben wir bisweilen auch bei
der direeten Einwirkung des Jodmethyls auf Trimethylrosanilin
sich bilden sehen. Neben diesen schwer löslichen Krystallen,
deren Lösung violet mit einem vorwaltenden Stich ins Blaue
färbt, bildet sich noch ein zweites Salz eleichfalls von blau-
violettem, aber gleichwohl weniger bestimmt ins Blaue ziehen-
den Farbenton. Dieses Salz ist aufserordentlich löslich in
Alkohol, läfst sich aber durch langsames Abdampfen der al-
koholischen Lösung mit Leichtigkeit krystallisiren. Die Ana-
lyse desselben hat die Zusammensetzung bestätigt, welche die
Untersuchung der schwerlöslichen ‚Krystalle im Voraus ver-
muthen liefs. Das lösliche Salz ist das complementäre Product
des „unlöslichen; es ist dieselbe Verbindung, welche sich bei’
dem freien Erhitzen des jodwasserstoffsauren Grüns erzeugt,
nämlich:
OEEN,D ec RAT,
20 nz Sy;
vom 15. Juli 1869. 575
Ein Molecul des jodwasserstoffsauren Grüns erleidet in
methyl-alkoholischer Lösung beim Erhitzen unter Druck die-
selbe Veränderung, welche beim Erhitzen unter gewöhnlichen
"Bedingungen stattfindet, allein das abgespaltene Jodmethyl-
moleeul, welches früher in die Atmosphäre entweichen konnte,
wirft sich nunmehr auf ein zweites Grünmolecul und verwandelt
dasselbe in die schwerlösliche Verbindung mit 3 Mol. Jod-
methyl.
CH.I
POSSihn. CH;I Hie . Hs
er Son Cns1+Czocop,), No; CHsl
CH,I
Grün. Schwerlösliches Violet. Leichtlösliches Violet.
Neben den beiden Violetten wird in der beschriebenen
Reaction keine andere Verbindung gebildet; in den Digestions-
röhren ist kein Druck vorhanden, beim Öffnen derselben wird
keine Gasentwicklung beobachtet.
Nebenproducte bei der Darstellung des Jodgrüns.
Bei den vielen Versuchen, die im Laufe dieser Untersuchung
‚über die Bildung des grünen Farbstoffs angestellt worden sind,
haben wir häufig ein ungefärbtes Nebenproduct beobachtet, wel-
ches sich stets erzeugt, wenn man, sei es in den Mischungsverhält-
nissen, sei es in der Temperatur oder der Dauer des Erhitzens,
' sehr weit von den Bedingungen abweicht, welche wir im An-
fange dieser Abhandlung als günstige bezeichnet haben. Dieser
Körper, welcher auch bei der Darstellung im Grofsen nicht
selten in unliebsamer Menge beobachtet wird, so dafs manchen
Frabrikanten Tausende von Kilogrammen davon unbenutzt im
Wege liegen, läfst sich von den gleichzeitig gebildeten Farb-
- stoffen leicht in der Art trennen, dafs man das Product der
Reaction mehrfach mit heifsem Alkohol auszieht, in dem die
‚farblose Substanz fast unlöslich ist. Wird die an heissen Al-
"kohol nichts mehr abgebende Materie nunmehr in warmem
"Wasser gelöst, so bleiben die in Alkohol schwer löslichen
‚ Violette zurück, während sich die farblose Substanz leicht löst.
‚ Beim Abdampfen der wässerigen Lösung schiefsen Krystalle
- an, die man durch mehrmaliges Umkrystallisiren aus verdünn-
tem Alkohol leicht rein erhalten kann.
42*
574 Gesammtsitzung
Octomethylirtes Leucanilin. Der in Rede stehende Körper,
den man nicht selten in zolllangen prismatischen Krystallen
von lichtgelber Farbe erhält, ist ein scharf ausgeprägtes, aber
leicht oxydirbares Jodid, weshalb er, wie die meisten der hier
beschriebenen Verbindungen, im luftleeren Raum getrocknet
werden muls. Seine Zusammensetzung ist:
(CH,), CH,I
CHE N LEOICHTEL EN: (cm H,O.
(CH3); CH,;I
Diese Formel wird unzweideutig durch die Analyse einer
entsprechenden Platinverbindung getragen. Versetzt man die
mittelst Chlorsilber entjodete Lösung der ebenerwähnten Ver-
bindung mit Platinchlorid, so fällt ein hellgelber, undeutlich
krystallinischer Niederschlag, welcher, in vacuo getrocknet, die
folgende Zusammensetzung
| (CH,), .CH,Cl
C.H,.N,Pt,C1,0, = 21 0, Hi N; Ich, a. 3PtCl,, 2H,0
(CH;); CH, Cl
besitzt.
Man kann sich den Körper, dessen Jod- und Platinverbin-
dung hier beschrieben worden sind, entstanden denken durch
das Hinzutreten zweier Methylgruppen zu dem Molecul des
schwerlöslichen violetten Jodids. Zu dem leichtlöslichen Violet
steht diese farblose Verbindung genau in derselben Beziehung,
wie das jodwasserstoffsaure Leucanilin zu dem entsprechenden
Rosanilinsalz.
C.oH,N;, HI CoH,N;, CH;I
ann no mouse an”
Rosanilinsalz. (CH
Leichtlösliches Violet; Jodid.
H,...„HI (CH,), (CH,I
C.HN; I C.HyeNs (cm
HI (CH3); CH, I
Venen smnunee/
Leucanilinsalz. Farbloses Jodid.
Dafs dem farblosen Körper, der sich wenn man will, als
ein octomethylirtes Leucanilin auffassen läfst, wirklich
diese Stellung znkomme, läfst sich nicht wohl bezweifeln.
Man kann denselben in der That mit der grölsten Leichtigkeit
vom 15. Juli 1869. 575
hervorbringen, wenn man Jodmethyl direct auf Leucanilin ein-
wirken läfst. Zu dem Ende werden 1 Thl. Leucanilin, 24 Thl.
Jodmethyl und 2 Thl. Methylalkohol 10 Stunden lang in einem
Autoclaven auf 100° erhitzt. Beim Öffnen des Verschlusses
entweicht viel Gas und die ausgegossene Flüssigkeit zeigt sich
in zwei Schichten gespalten, von denen die untere Jodmethyl,
die obere eine methyl-alkoholische Lösung des jodwasserstoff-
sauren Salzes des octomethylirten Leucanilins ist. Letztere
liefert alsbald eine schöne Krystallisation des Salzes, welches
man nur noch ein Mal in Wasser aufzulösen hat, um beim Er-
kalten vollkommen reine Krystalle zu erhalten. Es könnte
auf den ersten Blick befremden, dafs sich bei den oben ange-
gebenen Proportionen noch eine Quantität unverbrauchten Jod-
methyls in dem Producte der Reaction wiederfindet, da in dem
zugeführten Jodmethyl kaum mehr als die halbe Summe der
Methylgruppen vorhanden ist, deren es bedarf, um das Leuca-
nilin-Molecul zu octomethyliren. Allein die von dem Jod-
methyl begonnene Methylirung vollendet sich offenbar mit Hülfe
des vorhandenen Methylalkohols, indem sich der zunächst ab-
geschiedene Jodwasserstoff wieder in Jodmethyl verwandelt,
um von neuem zu wirken. Nach dem angeführten Verfahren
erhält man fast die theoretische Ausbeute.
Die beschriebene Jodverbindung hat unser Interesse zumal
aus dem Grunde in Anspruch genommen, weil sich die ent-
sprechende Base mit Leichtigkeit in Freiheit setzen läfst, und
ihr Studium die etwas mangelhafte Untersuchung der freien
"Violet- und Grünbasen zu ergänzen versprach. Behandelt man
die gelinde erwärmte Lösung des Jodids mit Silberoxyd, so
entsteht alsbald eine farblose, stark alkalische, Kohlensäure
aus der Luft anziehende und Metalloxyde fällende Flüssigkeit,
welche sich selbst in Gegenwart von Natronlauge stundenlang
ohne Zersetzung im Sieden erhalten und schliefslich zu einem
'Syrup eindampfen läfst. Diese Flüssigkeit enthält offenbar die
freie Base
(CH;), CH, , HO
CE N, CH,, HO
(CH,),:.J.CH,,.HO,
576 Gesammtsitzung
Mit Jodwasserstoffsäure liefert sie wieder das Jodid, wel-
ches als Ausgangspunkt für ihre Darstellung gedient hat, mit
Salzsäure und Platinchlorid das beschriebene Platinsalz.
Das dem Rosanilin entsprechende Leucänilin verwandelt
sich bekanntlich unter dem Einflufs von Oxydationsmitteln mit
Leichtigkeit in Roth zurück. Der Gedanke lag nahe, die ana-
loge Veränderung bei der octomethylirten Verbindung zu be-
werkstelligen. Gelang es, die beiden Additionsmethylgruppen,
welche an Stelle des Additionswasserstoffs in dem Leucanilin
fungiren, eben so leicht zu oxydiren, so mufste man zunächst
auf Violet, dann aber, indem ein weiterer Methylabbau statt-
fand, auf Grün und schliefslich wieder auf Violet stofsen.
Diese Oxydation erfolgt aber nur schwierig, am schnellsten
und besten noch, wenn man das Jodid an der Luft auf 120°
erhitzt. Der Rückstand löst sich mit prachtvoller violetter
Farbe in Alkohol auf, allein wahrscheinlich ist hier auch bereits
Jodmethyl entwichen. Versucht man den atmosphärischen Sau-
erstoff durch Oxydationsmittel, selbst schwächere, wie Platin-
chlorid, Silberoxyd, Bleihyperoxyd, zu ersetzen, so entsteht ephe-
mer ein schönes Grün, alsdann eine violette Farbe, welche aber,
indem die Action weiter geht, bald einem unerquicklichen Gelb
Platz macht.
Wir haben uns viele Mühe gegeben, die den beschriebenen
Jodverbindungen entsprechenden Basen darzustellen, müssen
aber gleich bemerken, dafs die Ergebnisse unserer Unter-
suchungen in dieser Richtung viel zu wünschen übrig lassen.
Versetzt man eine concentrirte Auflösung des grünen Jo-
dids in Wasser oder Alkohol mit Kali- oder Natronlauge,
oder mit Ammoniak, so erhält man einen Niederschlag, der
sich schnell zu einer harzigen Masse zusammenballt. Auf Za-
satz von viel Wasser löst sich dieser Niederschlag wieder
vollkommen zu einer anfangs schieferblauen, später farblos
werdenden Flüssigkeit. Auf Zusatz von Essigsäure färbt sich
dieselbe wieder grün. Lösungen dieser Art hatten beinahe ein
Jahr lang gestanden; die Ammoniaklösung färbte sich selbst
nach so langer Zeit noch wieder grün, die Natronlösung da-
gegen zeigte eine violette Färbung, offenbar eine Zersetzung
. andeutend. Werden die beiden violetten Jodverbindungen in
=.
vom 15. Juli 1869. 977
Alkohol gelöst (in Wasser sind dieselben nahezu unlöslich)
und mit kaustischen Alkalien versetzt, so entfärben sich auch
diese Verbindungen. Auf Zusatz von Wasser trüben sich die
Lösungen, indem die Basen, welche, wie ihre Jodide in Wasser
unlöslich sind, als weifse Fällungen niedergeschlagen werden.
Wir haben bis jetzt eigentlich nur die Base des Grüns
einer etwas genaueren Prüfung unterworfen. Die durch starke
Natronlauge ausgeschiedene Harzmasse wird nach kurzer Frist
hart und spröde. Sie läfst sich alsdann zu einem rothbraunen
Pulver zerreiben, dem man auf einem Asbestfilter mittelst Na-
tronlauge alles Jod entziehen kann. Auch aus dem Picrat
läfst sich die Base gewinnen. Man löst das in reinem Alkohol
aufserordentlich schwerlöfsliche Salz in ammoniakalischem Al-
kohol, indem es sich leicht, offenbar unter Zersetzung, mit
gelber Farbe auflöst. Versetzt man diese Lösung mit starker
Natronlauge, so schlägt sich die Base ebenfalls nieder. Die
so gewonnene Grünbase hat zur Darstellung des im Vorher-
gehenden erwähnten Grün-Acetats und Grün-Nitrats gedient.
Es läfst sich kaum bezweifeln, dafs man auf ähnliche Weise
auch die Basen der beiden mit dem Grün in so naher Beziehung
stehenden Violette erhalten wird.
Wie dem aber auch sei, wir glauben uns gleichwohl, ob-
schon wir die Unvollständigkeit dieses Theils unserer Unter-
suchung gerne einräumen, auch jetzt schon zu dem Schlusse
berechtigt, dafs die durch Alkalien entfärbten Lösungen der
drei Jodide die diesen Salzen entsprechenden Basen enthalten.
Ihre Zusammensetzung würde sich in folgenden Formeln darstellen:
BR ehktöstichen Vieles a N; , CH,, HO.
3J3
| ’ CH dia CH. HO;
Base des Grüns An (CH,), N, { CH,, HO.
: H CH,, HO.
Base des schwerlöslichen Violets C ISEN CH,, HO.
20 (CH,), 3 3
CH,, HO.
Alle diese Basen, wie auch das octomethylirte Leucanilin,
würden der Klasse von Körpern angehören, deren erste Glie-
der der Eine!) von uns vor nahezu zwanzig Jahren entdeckt
1) Hofmann, Ann. Chem. u. Pharm. LXXVII, S. 253.
578 Gesammtsitzung
und unter dem Namen Ammoniumbasen in die Wissen-
schaft eingeführt hat. Zusammensetzung sowohl als Verhalten
der vielgenannten Verbindungen stimmen mit dieser Auffassung
vollkommen überein.
Die Reihe der durch Methylirung aus dem Rosanilin ent-
stehenden Körper ist durch unsere Arbeit um ein Wesentliches
erweitert worden. Dem jodwasserstoffsauren Rosanilin ent-
stammen in ununterbrochener Reihe die folgenden Methyl-
derivate:
Jodhydrat des Rosanilins em lgg = NyecHel
- - Methylrosanilins CH om N, Or
- - Dimethyrosanilins CC, (cas N
3J2
- - Trimethylrosanilins Cy Be N 381
Dijodmethylat - | - CH co ), ar ‚(CH,D),
Trijodmethylat - = CO; cr ; N, , (CH,D,
- - Pentamethylleucanilins C,, cu! ), °N,, (04.1).
Noch verdient bemerkt zu werden, dafs die Erscheinun-
gen, welche die im Vorhergehenden beschriebenen Versuche
für die Methylreihe constatiren, sich auch in der Äthylreihe be-
obachten lassen. Die Reactionen erfolgen aber langsamer und
weniger präcise; auch sind die gebildeten Produete minder kry-
stallinisch. Was die Farbe anlangt, so hat der grüne Ton der
dem Methyljodgrün entsprechenden Äthylbase einen Stich ins
Gelbe. Aus diesem Grunde 'sind auch die Äthylkörper bis
jetzt kaum Gegenstand einer regelmälsigen Fabrikation ge-
worden.
Wir können diese Arbeit nicht schliefsen ohne denjenigen
zu danken, welche uns bei derselben unterstützt haben. Die
Untersuchung hat viel Zeit und Mühe in Anspruch genommen.
vom 15. Juli 1869. 89
Obwohl wir schon vor etwa acht Monaten im Stande waren
in allgemeinen Zügen der deutschen chemischen Gesellschaft ihre
Hauptergebnisse mitzutheilen, so ist es uns doch erst im Laufe des
Sommers gelungen, auch der letzten Versuchszahlen, welche zur
experimentalen Feststellung unserer Auffassungen erforderlich
waren, uns zu versichern. Hrn. Dr. J. H. Buff aus Giefsen
danken wir für die Umsicht und Ausdauer, mit welcher er den
Gang der Versuche überwacht hat, sowie für seine Mitwirkung bei
den zahlreichen Analysen, bei deren Ausführung wir auch von
den Hrn. Dr. Bulk und Karl Sarnow freundlichst unter-
stützt worden sind. Endlich müssen wir mit lebhaftem Dank
der Liberalität gedenken, mit der uns Hr. Alexander Clavel
in Basel für mannigfaltige Versuche, welche in grösserem
Malsstabe angestellt werden mufsten, die reichen Hülfsquellen
seines schönen Etablissements zur Verfügung gestellt hat.
6. Neue Untersuchungen über die dem Senföl
entsprechenden Isomeren der Schwefelcyan-
wasserstoffsäureäther.
In einer der Akademie vor ungefähr einem Jahre vorgeleg-
ten Abhandlung') habe ich eine einfache Methode beschrieben,
um schnell — so dafs man den Versuch in einer Vorlesung
anstellen kann — die mit den gewöhnlichen Schwefeleyan-
wasserstoffsäureäthern isomeren Senföle zu erhalten. Sie be-
steht darin, dafs man die durch Behandlung der Monamine,
des Äthylamins z. B., mit Schwefelkohlenstoff gewonnenen sul-
focarbaminsauren Salze mit der Lösung eines Metallsalzes, des
Silbernitrats oder Quecksilberchlorids z. B., destillirt:
(CS) (C,H,)N, H
+ (C,H,)H,N, HNO,.
Die Senfölbildung erfolgt hier einfach durch Abspaltung
von Schwefelwasserstoff und Äthylamin, welche beide von dem
1) Hofmann, Monatsberichte der Akademie 1868. S. 465.
580 Gesammtsitzung
I
Pr
Metallsalze, also dem Silbernitrat oder Quecksilberchlorid
fixirt werden. |
Man erreicht denselben Zweck in noch eleganterer Weise,
zumal für den Zweck der Vorlesung,‘ wenn man in die Lö-
sung des sulfocarbaminsauren Salzes in Alkohol eine starke
alkoholische Jodlösung eingielst. Augenblicklich entfärbt sich
die Flüssigkeit unter Ausscheidung von Schwefel; sobald die
Reaction vollendet ist, d. h. sobald sich durch Stärke freies
Jod nachweisen lälst, wird die Flüssigkeit destillirt. Auf Zu-
satz von Wasser zu dem alkoholischen Destillat fällt Äthyl-
senföl aus der Flüssigkeit heraus; der Rückstand in der Re-
torte enthält jodwasserstoffsaures Äthylamin, Jodwasserstoffsäure
und Sehwefel:
(CS)IKC,H,)N,H
(C,H,)H,N jr HT=(OSO,HN+ (CHEN, HIEIMS.
ser) SING
Durch Destillation des Retorteninhalts mit Natronlauge
wird das zur Senfölbildung nicht verwendete Äthylamin, so
wie die ganze Menge des zugesetzten Jods in der Form von
Jodnatrium alsbald zurückgewonnen. |
‘ Die Abspaltung des Schwefelwasserstoffs aus dem Pro-
ducte der Einwirkung: des Schwefelkohlenstoffs auf das Mo-
namin mittelst Jod bietet aber noch ein weiteres Interesse.
Ich habe bereits in einer früheren Mittheilung darauf aufmerk-
sam gemacht, dafs sich die Senföle der aromatischen Reihe
durch Quecksilberchlorid nicht darstellen lassen, die Methode
also keine allgemeine ist. Die Ursache ist leicht verständlich.
In der aromatischen Reihe sind die sulfocarbaminsauren Salze
von sehr geringer Beständigkeit; unter Ausscheidung von
Schwefelwasserstoff entstehen, indem sich das in Freiheit ge-
setzte aromatische Senföl mit dem aromatischen Monamin ver-
einigt, alsbald die substituirten Schwefelharnstoffe, welche von
Quecksilbersalzen nur schwierig und dann stets unter Bildung
von sauerstoffhaltigen Harnstoffen angegriffen werden. Ganz
anders die Einwirkung des Jods.
Giefst man eine alkoholische Jodlösung in eine siedende
Alkohollösung von Diphenylsulfocarbamid so entfärbt sich die
Lösung augenblicklich unter Abscheidung von Schwefel. Läfst
vom 15. Juli 1869. 581
man die mit einem schwachen Überschusse von Jod behan-
delte Flüssigkeit einige Stunden stehen, so hat sich in der
völlig entfärbten Flüssigkeit eine schöne Krystallisation von
Schwefel ausgeschieden. Wird der nach dem Abfiltriren des
Schwefels und Abdunsten des Alkohols bleibende gelbe Harz-
kuchen, welcher bereits den intensiven Geruch des Phenyl-
senföls zeigt, mit Wasserdampf destillirt, so gehen reichliche
Mengen dieses Senföls mit dem Wasser in die Vorlage über.
Filtrirt man die in der Retorte zurückbleibende Flüssigkeit
siedend von einer kleinen Menge ausgeschiedenen Harzes ab,
so setzen sich beim Erkalten schöne Krystalle eines jodwasser-
stoffsauren Salzes ab, aus welchem auf Zusatz von Alkali eine
blendend weilse Base ausfällt, anfangs als weiche pflasterar-
tige Masse, bald aber zu harten Krystallen erstarrend. Aus
Alkohol krystallisirt diese Verbindung in prachtvollen zoll-
langen Nadeln, welche sehon nach einmaligem Umkrystallisiren
vollkommen rein erhalten werden. Die Analyse eines sehr
schönen Platinsalzes zeigt, dafs die Base nach der Formel
CO9H,,N;
zusammengesetzt ist, dafs mithin ihre Bildung aus dem Diphe-
nylsulfocarbamid neben Phenylsenföl nach der einfachen Glei-
chung \
2C;,H; NS + Il = C,H,NS + C,H,,N; + 2HI-+S
Be a ae een
Diphenylsulfo- Phenylsenföl Base
carbamid
stattfindet. |
Aus dem Gesagten erhellt, dafs man in der Einwirkung
des Jods auf die geschwefelten Harnstoffe ein ganz allgemeines
Mittel besitzt, welches sowohl in der fetten als auch in der
aromatischen Reihe die Senföle darzustellen erlaubt.
Übrigens verdient die auch schon früher in Anwendung
gekommene Einwirkung des Jods auf Substanzen, aus denen
sich Schwefelwasserstoff abspalten kann, die erneute Beachtung
der Chemiker. Es sei mir gestattet, von mehreren in dieser
Richtung bereits unternommenen, zumal einiger Versuche zu
gedenken, welche ich mit den Thioamiden angestellt habe.
Diese Körper, z.B. das von Hrn. Cahours entdeckte Thioben-
582 Gesammtsitzung
zamid, werden durch Jod augenblicklich entschwefelt, unter
Bildung von prachtvoll krystallisirenden Körpern, deren Unter-
suchung noch nicht vollendet ist.
Was nun schliefslich die bei der Einwirkung des Jods
auf das Diphenylsulfocarbamid entstehende Base anlangt, so
verdient zunächst bemerkt zu werden, dafs dieser Körper die-
selbe Zusammensetzung besitzt, wie das Carbotriphenyl-
triamin, welches ich vor einigen Jahren bei der Einwirkung
des Kohlenstoffchlorids auf das Anilin!) sich bilden sah. Es
bedurfte aber nur einer oberflächlichen Vergleichung der aus
dem Diphenylsulfocarbamid gebildeten Base mit dem aus dem
Chlorkohlenstoffe abstammenden Körper, von dem ich noch
eine Probe besals, um klar zu sehen, dafs beide Substanzen
nichts anderes als die Zusammensetzung gemein haben. Auf
die nahe Beziehung, welche zwischen der Zusammensetzung
des Carbotriphenyltriamins und des Melanilins stattfindet,
habe ich schon früher hingewiesen, insofern sich beide als
phenylirte Abkömmlinge des Guanidins oder mit denselben
isomere Körper auffassen lassen.
CIv
Melanilin Ha N, IC. 1.) N,
H;
cıv
Carbotriphenyltriamin CoH,N,;, = Cd) N,
H,
Nun steht aber die durch die Einwirkung des Jods auf
den geschwefelten Harnstoff gebildete Base dem Melanilin in
ihren Eigenschaften weit näher, als der aus dem Chlorkohlen-
stoff abstammende Körper. Namentlich zeigt sie in ihrem Ver-
halten gegen Cyangas, über welches ich der Akademie in einer
besonderen Mittheilung berichten werde, eine grofse Ähnlich-
keit mit dem Melanilin. Die Gründe, welche ich für die Auf-
fassung des Carbotriphenyltriamins als eines phenylirten Gua-
nidins vorgebracht habe, gelten daher auch a fortiore für den
durch Entschwefelung aus dem Diphenylsulfocarbamid erhal-
tenen Körper. Übrigens werden die hier mitgetheilten Beob-
!) Hofmann, Proceedings of the R. Society. Vol. IX p. 284.
|
vom 15. Juli 1869. 583°
achtungen wohl Veranlassung geben, diese ganze Körpergruppe
von Neuem in Angriff zu nehmen; es werden alsdann alle
diese Beziehungen im Versuche deutlicher hervortreten.
Schliefslich will ich noch bemerken, dafs ich die neben
Phenylsenföl aus dem Diphenylsulfocarbamid entstehende Base,
als ich zuerst mit derselben bekannt wurde, für einen neuen
Körper gehalten habe, ich bin aber später zu der Überzeugung
gelangt, dafs dieselbe mit einem von den Hrn. V. Merz und
W. Weith!) durch Entschwefelung des Diphenylsulfocarba-
mids erhaltenen und unter dem Namen Tricarbohexanilid
beschriebenen interessanten Körper identisch ist, welchem die
Entdecker desselben. allerdings eine andere als die von mir
gegebene Formel beilegen. Ich habe in der folgenden Note
die Gründe zusammengestellt, auf welche sich die Annahme
dieser Identität stützt, und welche mich bestimmen, den genann-
ten Körper in anderer Weise aufzufassen, als dies von den Ent-
deckern desselben geschehen ist.
7. Bemerkungen über die Entschwefelungsproducte
des Diphenylsulfocarbamids.
Im Laufe des verflossenen Jahres haben die Hrn. V. Merz
und W. Weith°) einige Versuche über die Entschwefelung des
von mir vor mehr als 20 Jahren?) endeckten Sulfocarbanilids
(Diphenylsulfocarbamids) angestellt, welche mein Interesse in
hohem Grade in Anspruch genommen haben. Ich hatte früher
sefunden, dafs sich der geschwefelte Harnstoff durch Behand-
lung der alkoholischen Lösung mit Quecksilberoxyd oder Blei-
oxyd in die entsprechende Sauerstoffverbindung verwandelt, in-
dem sich dem Schwefel einfach Sauerstoff substituirt.
C,;H>N;S + HgO = C,H ,N;0 + HgS
a a
Sulfocarbanilid Carbanilid.
1) V. Merz und W. Weith, Zeitschrift für Chemie. N. F. IV.
S. 519 und 609.
2) V. Merz und W. Weith loc. cit.
3) Hofmann, Ann. Chem. Pharm, LXX, S. 144.
584 Gesammtsitzung
Wenn das Diphenylsulfocarbamid statt mit Quecksilber-
oxyd oder Bleioxyd bei hoher Temperatur mit feinzertheiltem
metallischen Kupfer behandelt wird, so entsteht nach den An-
gaben der Hrn. Merz und Weith eine wohl charakterisirte
Base, welche von den genannten Chemikern mit grofser Sorg-
falt untersucht worden und als Tricarbohexanilid beschrie-
ben worden ist. Ihre Bildung erfolge nach der Gleichung:
3C,HaN,S + 6Cu = C,H, N, + 308
Namen ne mern une
Sulfocarbanilid Triearbohexanilid.
Das Tricarbohexanilid sei eine zweisäurige Base, welche
mit den Säuren wohl krystallisirte Salze von scharf definirter
Zusammensetzung bilde. Das salzsaure Salz, z. B. sei nach
der Formel
C,Hz,N,, 2HCI
zusammengesetzt.
Die von den Hrn. Merz und Weith beobachteten Er-
scheinungen gestatten eine andere, und wie es mir dünken
will, einfachere Auffassung.
In einem der Akademie gleichzeitig vorliegenden Auf-
satze') habe ich auf die Leichtigkeit hingewiesen, mit welcher
man durch die Einwirkung des Jods auf Diphenylsulfocar-
bamid Phenylsenföl darzustellen im Stande ist. Neben dem
Phenylsenföl entsteht in diesem Falle eine Base, welche alle
Eigenschaften des sogenannten Tricarbohexanilids besitzt.
Da über die Natur der neben dem Phenylsenföl auftreten-
den Base kein Zweifel obwalten konnte, insofern sich die Zu-
sammensetzung derselbeu einfach aus ihrer Entstehungweise
2C;,H,;N5S +11 = C,H,,N; + C,H,NS + 2HI+S
ableiten läfst, so war nur noch die Identität der durch Kupfer
erhaltenen Verbindung mit dem durch die Einwirkung des Jods
entstehenden Körper nachzuweisen, um der einfacheren Formel
auch für das Triearbohexanilid Geltung zu verschaffen.
1) Hofmann, Monatsberichte für 1869 S. 579.
vom 15. Juli 1869. 585
Ich habe die Eigenschaften der durch Jod gebildeten Base
mit Sorgfalt ermittelt; wollte ich die Ergebnisse meiner Beob-
achtungen mittheilen, ich würde nur die genaue Beschreibung
zu wiederholen haben, welche die Hrn. Merz und Weith von
ihrem Hexanilid gegeben haben. Ich will nur bemerken, dafs
ich den Schmelzpunkt zu 141° fand, statt 142°, welchen die
genannten Chemiker angeben. Übrigens konnte ich mich auch
noch durch directe Vergleichung von der Identität beider Kör-
per überzeugen, insofern mir ein sehr schönes, nach den An-
gaben der Hrn. Merz und Weith von Hrn. Friedrich Ho-
brecker, der sich für die Entscheidung der vorliegenden Frage
lebhaft interessirt hat, im hiesigen Laboratorium dargestelltes
Präparat zur Verfügung stand.
Die von mir vorgeschlagene Formel stimmt übrigens mit
den von den Hrn. Merz und Weith angestellten Analysen
eben so gut, vielleicht sogar noch besser, als ihre eigne. Es
handelt sich in der That nur um 4 Atomgewicht Kohlenstoff
und 1 Atomgewicht Wasserstoff, welche die neue Formel we-
niger enthält, als die von den Entdeckern gegebene.
Alte Formel (halbirt) Neue Formel
C;9,5 Hs Na CH,;N;.
Diesen Formeln entsprechen folgende Procente:
Alte Formel Mittel der Analysen Neue Formel
Kohlenstoff 193559 79,43 79,44
Wasserstoff 6,12 6,45 5:92
Stickstoff 14,28 14,60 14,63.
Man sieht unschwer, um zwischen diesen beiden Formeln
endgültig zu entscheiden, kam es nicht mehr auf Analysen, son-
dern auf Reactionen an. Im Grunde konnte man daher schon
die oben angeführte Entschwefelung des Diphenylsulfocarbamids
mittelst Jod als die neue Formel bestimmend betrachten, da
man die alte mit den beobachteten Erscheinungen gar nicht in
Einklang zu bringen vermag. Ich will aber gleichwohl noch
einige Erfahrungen mittheilen, welche auch die letzten Zweifel
in dieser Beziehung beseitigen dürften.
Wenn man den Mechanismus der Entschwefelung mit-
telst Jod näher betrachtet, so darf man denselben in der Art
586 Gresammtsitzung
fassen, dafs das Jod aus 1 Mol. Diphenylsulfocarbamid 1 Mol.
Schwefelwasserstoff abscheidet, und dafs sich gleichzeitig ein
zweites Molecul in seine näheren Bestandtheile Phenylsenföl
und Anilin spaltet. Das Phenylsenföl tritt in der Reaction zu
Tage, das Anilin aber verschwindet, indem es mit dem Reste
des ersten Moleculs zusammentretend die Bildung der neuen
Base vermittelt.
War diese Auffassung eine berechtigte, so mufste man
diese Base noch viel leichter und zwar ohne gleichzeitiges Auf-
treten von Senföl erhalten, wenn man dem zu entschwefeln-
den Harnstoff vor der Einwirkung des Jods 1 Mol. Anilin zu-
setzte. Der Versuch hat diese Schlufsfolgerung vollkommen
bestätigt. Die Reaction verlauft in diesem Falle nach der
Gleichung:
C,H3NS+#OHN+I= C,H, +2HI #8.
Aber mehr noch, die Bildung mulste sich ohne alle Mit-
wirkung des Jods bewerkstelligen lassen, wenn man geschwe-
felten Diphenylharnstoff und Anilin unter geeigneten Reactions-
bedingungen auf einander wirken lies. Auch diese Voraus-
setzung habe ich das Vergnügen gehabt, im Versuche sich
verwirklichen zu sehen. Läfst man bei der Siedetemperatur
des Anilins 1 Mol. geschwefelten Harnstoffs auf 1 Mol. Anilin
einwirken, so entwickeln sich Ströme von Schwefelwasserstoff-
gas. Wird die Flüssigkeit, welcher man zur Erlangung einer
gleichmälsigen Temperatur einen kleinen Überschufs von Anilin
zugesetzt hat, im Sieden erhalten, bis die Entwicklung von
Schwefelwasserstoff aufgehört hat, so erstarrt sie nach dem
Erkalten zu einer Krystallmasse der Triaminbase
C;sHasNsS + C,H,N = CaHıu N; + HS.
In einem ohne alle Sorgfalt ausgeführten Versuche wurden
nicht weniger als 75 pCt. der theoretischen Ausbeute erhalten.
Für die bequeme Darstellung des Triamins nimmt dieser
Versuch eine noch einfachere und elegantere Form an. Ge-
schwefelter Phenylharnstoff (1 Mol.) und Anilin (1 Mol.) wer-
den in Alkohol gelöst und die siedende Lösung mit Bleioxyd
oder Quecksilberoxyd versetzt. Augenblicklich scheidet sich
Bleisulfid oder Quecksilbersulfid ab und die filtrirte Lösung er-
vom 15. Juli 1869. 587
starrt auf Zusatz von Wasser zu einer blendend weilsen Kry-
stallmasse der gesuchten Verbindung.
Die angeführten Bildungsweisen dürften über die Natur der
in Rede stehenden Base keinen Zweifel lassen; allein auch die
Umwandlungen, welche dieselbe erleidet, sprechen nicht weniger
überzeugend für die Auffassung, welche ich befürworte.
Durch Behandlung mit concentrirter Schwefelsäure geht die
Base in Sulfanilsäure über; nach der von den Hrn. Merz und
Weith gegebenen Formel müfste der aufserhalb der Phenyl-
Sruppen vorhandene Kohlenstoff offenbar bei dieser Metamor-
phose als Kohlenoxyd austreten.
C,H; N, + 6H,80, = 6(C,H,N, 80,) + 3H,0 +3C0.
Im Sinne meiner Auffassung kann sich der neben den
Phenylgruppen existirende Kohlenstoff unter dem Einflusse der
Schwefelsäure nur als Kohlensäure abspalten.
CH, N; + 3H,850, = 3(0,H,N,S0,)+H,0+C0,.
Der Versuch zeigt nun, dafs sich in dieser Reaction keine
Spur von Kohlenoxyd entwickelt. Die Schwefelsäure wirkt
bei mäfsig gehaltener Temperatur ruhig, ohne die Masse zu
schwärzen, ohne Entbindung von schwefliger Säure, aber nnter
Entwicklung eines lebhaften Stromes von Kohlensäure.
Mit der neuen Auffassung der Base erscheint denn auch
‚ der Procefs, in welchem dieselbe ursprünglich aufgefunden
zu
' wurde, nämlich die Behandlung des Diphenylsulfocarbamids
mit Kupfer, in einem andern Lichte. Derselbe mufs einfach
als ein Destructionsprocels aufgefalst werden, indem sich das
anwesende Kupfer des Schwefels bemächtigt, neben anderen
Producten tritt die Base auf, deren Quantität der im Anfange
dieser Note gegebenen Gleichung bei weitem nicht entspricht.
Erhitzt man in der That Diphenylsulfocarbamid auch ohne
allen Zusatz einige Stunden lang auf 150—160°, so erhält
man eine durchsichtige harzartige Masse, welche ohne alles
krystallinische Gefüge erstarrt. Destillirt man dieses Product
mit Wasser, so entweichen Anilin und Phenylsenföl, welche
sich in der Vorlage vasch wieder zu Sulfocarbanilid vereinigen.
Der Rückstand mit Salzsäure behandelt, zeigt sich als ein Ge-
[1869.] 43
588 Gesammtsitzung
menge von unzersetztem Sulfoharnstoff mit triphenylirtem Triamin.
Man erhält auf diese Weise eine ganz erträgliche Ausbeute.
Es isi kaum nöthig, auf die zahllosen Verbindungen hin-
zuweisen, welche mit der geeigneten Verwerthung der im Vor-
hergehenden erschlossenen neuen Reaction zu Tage treten. Der
geschwefelte Diphenylharnstoff könnte statt mit Anilin mit To-
luidin und mit Xylidin behandelt werden, oder aber man könnte
die drei genannten Basen auf die geschwefelten Harnstoffe der
Tolyl- und Xylylgruppe einwirken lassen; in jedem Fall würde
ein Triamin entstehen, dessen Zusammensetzung von der Theorie
im Voraus bezeichnet wäre.
Einige der hier angedeuteten Versuche habe ich in der
That schon angestellt. Diphenylharnstoff wird mit Leichtig-
keit durch Bleioxyd in Gegenwart von Toluidin entschwefelt.
Es bildet sich eine sehr schöne Base, welche in ihrem Ver-
halten der triphenylirten Verbindung sehr nahe steht. Dieses
aus Anilin und Toluidin aufgebaute, in schönen vollkommen
farblosen Nadeln krystallisirende Triamin beansprucht ein
flüchtiges Interesse, da ihm die Theorie genau die Zusammen-
setzung des Rosanilins
iv |
ne N = C„H,N;
HD, }
zuertheilt.
Auch durch Behandlung des ditoluylirten Schwefelharn-
stoffs mit Monaminen werden basische Producte gebildet. Bei
der Einwirkung des Toluidins entsteht das von den Hrn. Merz
und Weith bereits beobachtete Triecarbohexatoluidid, wel-
ches jetzt als ein tritoluylirtes Triamin aufzufassen ist.
Schliefslich liegt der Gedanke nahe, diese auf dem Ge-
biete der aromatischen Verbindungen gesammelten Erfahrungen
- in der Methyl- und Äthylreihe, sowie in der Allylreihe zu ver-
werthen, und es scheinen sich für diesen Zweck ganz besonders die
zahlreichen neuen geschwefelten Harnstoffe der niederen Reihen,
deren Darstellung und Eigenschaften ich der Akademie in
früheren Mittheilungen dargelegt habe, sowie das längst be-
kannte Thiosinnamin zu empfehlen.
Ta TÜTE nn Bra
vom 15. Juli 1869. | 589
Man wird in diesen Versuchen, welche ich nach den Ferien
wieder aufzunehmen denke, möglicher Weise auf die schon mehr
oder weniger bekannten methylirten und äthylirten Guanidine stos-
sen. Verliefe die Reaction bei diesen einfacheren Verbindungen
wie bei den aromatischen, so würde die Umbildung des normalen
geschwefelten Harnstoffs bei der Entschwefelung mit Jod nach
der Gleichung:
2CH,S+II=CHNS+CH,N, +2HI+S
' bei der Behandlung mit Ammoniak nach der Gleichung:
CHN,S+H,N=CH.N,+H,S
erfolgen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dafs sich bei
geeigneter Handhabung dieser Reaction Guanidin oder wenig-
stens ein Körper von derselben Zusammensetzung bilden werde.
Noch ist es mir ein Vergnügen, Hrn, Reinhold Bense-
mann für die treffliche Hülfe zu danken, welche er mir bei
Anstellung der in dieser und der vorhergehenden Note be-
schriebenen Versuche geleistet hat.
Nachschrift. Während diese Blätter durch die Presse ge-
hen, habe ich noch einen Versuch angestellt, der Erwähnung
verdient. Eine Lösung von Diphenylsulfocarbamid in alkoholi-
schem Ammoniak wird durch Bleioxyd augenblicklich entschwe-
felt. Die Analyse des Platinsalzes zeigt, dafs die in schönen,
abgeplatteten Nadeln krystallisirende Base, welche sich in die-
ser Reaction bildet, durch die Formel
C,H,;N;
dargestellt wird, also mit dem Melanilin entweder isomer
oder identisch ist. Die Bildung erfolgt somit genau im Sinne
der bereits beobachteten Reactionen, beansprucht aber in die-
sem Falle ein erhöhtes Interesse, weil sich in ihr das eigent-
liche Wesen des Processes mit besonderer Klarheit spiegelt.
In einfachster Form gefafst, bietet die Reaction, um die es sich
handelt, ein Mittel, um Schwefel aus einem Molecul abzuspal-
ten und durch den secundären Rest des Ammoniaks zu er-
setzen.
C,H,N;(S) + H,(HN) = 0 ;H,N, (HN) + H,(S)
nn [u m mn
Diphenylsulfocarbamid Melanilin.
43°
90 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Die umgekehrte Reaction, nämlich die Substitution des
Schwefels an die Stelle des secundären Ammoniakrestes ist
mir bereits vor einigen Jahren gelungen, als ich das Melanilin
mit Schwefelkohlenstoff behandelte und unter Austreten ven
Schwefeleyanwasserstoffsäure sich in Diphenylsulfocarba-
mid verwandeln sah.
C;H, N, (HN) + 08S(S) = C,H,5N;(S) + CS(HN)
Melanilin Diphenylsulfocarbamid.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Correspondenzblatt des Naturforscher -Vereins zu Riga. 17. Jahrgang.
Riga 1869. 8.
Silliman American Journal of science. no. 141. New Haven 1869. 8.
Proceedings of the zoological Society. 1868. Part 3. London 1868. 8.
Annuaire de lassociation pour l’encouragement des etudes grecques.
Annee II. Paris 1869. 8.
Orlandini, Rivelazioni astronomiche. Bologna 1869. 8.
Revue de geologique. Paris 1868. 8. p. 483—639.
Sitzungsbericht der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften zu Mün-
chen. 1869. I. Heft 3. München 1869. 8,
19. Juli... Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Poggendorff. trug folgende zwei Mittheilungen vor:
I. Über elektrische Spitzenwirkung:
Es ist — so scheint es — ein allgemein zugegebener,
oder wenigstens nicht eigends widerlegter Satz, den namentlich
Saxtorph in seiner Elektricitätslehre, Bd. 1, S. 308 um-
ständlich behandelt hat, dafs eine geladene Flasche sich durch
eine Spitze, nicht in Funken entladen lasse, sondern durch die-
selbe nur eine stille Entladung in Büschelform erhalten wer-
den könne. Dieser Satz bedarf aber, nach meiner Erfahrung,
einer mehrfachen Einschränkung.
vom 19. Juli 1869. 591
Zunächst finde ich, dafs er nur richtig ist, wenn die ‘Spitze,
welche durch einen Draht mit dem äufseren Beleg der Flasche
verbunden worden, langsam dem Knopf derselben genähert
wird. Geschieht es einigermafsen rasch, so bekommt man
einen compacten Entladungsfunken und zwar einen recht an-
sehnlichen, wenn der Knopf der Flasche negativ elektrisch war.
Im umgekehrten Fall ist der Funke kleiner, kann auch wohl
manchmal ganz ausbleiben.
Besser und mehrfach modifieirt, läfst sich dieser Versuch
mit Hülfe der Holtz’schen Maschine anstellen. Jedoch ist da-
bei nicht zu übersehen, dafs wenn man, wie gewöhnlich, eine
oder zwei mit der Maschine verbundene Flaschen abwechselnd
ladet und entladet, der Procefs ein etwas verwickelter ist, in-
dem nicht allein die Entladung, sondern auch die Ladung
von der Gestalt und dem gegenseitigen Abstand der Elektroden
abhängt.
Endigen beide Elektroden in Spitzen und stehen sie etwa ,
15 Mm. auseinander, so bekommt man keine Funken zwischen
ihnen, nicht weil die mit ihnen verbundenen Flaschen sich un-
sichtbar entlüden, sondern weil sie so gut wie gar nicht
geladen werden, wovon man sich, wenn man sie einzeln
durch einen Metallbogen schliefst, leieht überzeugen kann. Die
Elektrieität der Maschine geht also in diesem Fall direct zwi-
schen den Elektroden über, ohne in die Flaschen einzutreten.
Je dünner die Glaswand der Flaschen ist, je eher werden
sie geladen; aber immer giebt es einen Abstand zwischen den
Elektroden, bei welchem sie ungeladen bleiben.
Überhaupt ist es wohl allgemeine Regel, dafs die Stärke
der Ladung, welche die mit den Elektroden der Maschine ver-
bundenen Flaschen annehmen, abhängig ist von einem gewissen
Widerstand, der sich dem Übergange der Electrieität zwischen
den Elektroden entgegenstellt, und davon rührt es ohne Zweifel
zum Theil her, dafs, wenn diese in grofsen Kugeln endigen,
die Entladungen kräftiger sind als bei kleinen Kugeln.
Bei Spitzen treten indefs noch eigenthümliche Erscheinun-
gen auf.
Wenn dieselben einen gegenseitigen Abstand von etwa
15 Mm. haben, so erfolgt, wie eben gesagt, keine Funken-Ent-
592 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
ladung. Schiebt man sie nun näher zusammen, so sollte man
meinen, man vermindere den Widerstand zwischen ihnen, be-
fördere also den büschelförmigen Übergang der Eleetrieität;
allein statt dessen bekommt man in schneller Folge hellleuch-
tende Fünkchen, die grofse Ähnlichkeit mit kleinen Inductions-
funken haben.
Andererseits wenn man die negative Spitze durch eine
kleine Kugel,. z. B. eine von 14 Mm. Durchmesser ersetzt,
sollte man meinen, man vergröfsere den Widerstand zwischen
den Elektroden, verstärke also die Ladung der Flaschen und
erhalte demgemäfs längere und kräftigere Entladungsfunken.
Allein gerade das Gegentheil ist der Fall. Die Funken
haben kaum eine Länge von 4 bis 5 Mm. Die Kugel mag die
positive oder negative Elektrode bilden.
Überhaupt habe ich auf diese Weise mittelst der Influenz-
maschine keine längeren, oder kaum so lange und kräftige
. Funken aus einer Spitze erhalten, als eine einzeln geladene
Flasche liefert, wenn man ihrem negativen Knopf rasch eine
mit dem äufseren Beleg verbundene Spitze nähert.
Ganz anders aber gestaltet sich die Sache, wenn man in
die Bahn des Stromes der Maschine noch eine zweite Luft-
strecke einschaltet, die durch Kugeln begrenzt ist.
Früher bediente ich mich dazu der in den Monatsberichten
von 1867 (S. 809) beschriebenen Hülfskugel, welche mittelst
eines Stiftes in dem Gestell der Maschine befestigt wurde.
Die neuere Maschine des Hrn. Holtz, die ich seit einiger
Zeit vorzugsweise zu meinen Untersuchungen gebrauche, erlaubt
diese Befestigungsweise nicht, da sie bekanntlich nur eine ein-
seitige Axe besitzt, welche vorn Alles frei läfst, bis auf die
beiden Stützen, welche die Elektroden tragen.
Ich habe daher die erwähnte Hülfskugel ersetzt durch ein
bewegliches Stativ, welches zwischen die Elektroden gestellt
werden kann.
| Dieses Stativ trägt auf einer isolirenden Säule, die sich
verlängern und verkürzen läfst, eine horizontal durchbohrte
Kugel und in dieser Durchbohrung einen kurzen Stift, auf
welchen, je nach Erfordernifs, spitze Hohlkegel oder Kugeln
aufgesteckt werden können. Mittelst dieser kleinen Vorrichtung
vom 19. Juli 1869. 595
lassen sich Einschaltungen aller Art mit grofser Leichtigkeit
bewerkstelligen.
Zu vorerwähntem Zweck stecke ich nun auf das eine Ende
des horizontalen Stiftes einen spitzen Hohlkegel und auf das
andere eine Kugel von 24 Mm. Durchmesser und gebe dem
Stativ eine solche Stellung, dafs der Kegel der ebenfalls in
einem Kegel endigenden positiven Elektrode, und die Kugel der
mit einer gleichen Kugel versehenen negativen Elektrode gegen-
übersteht, folglich in der ersten Luftstrecke Kegel oder Spitzen,
und in der zweiten, Kugeln einander zugewandt sind.
Bringt man nun zuvörderst die Kugeln mit einander in
Berührung und giebt den Spitzen einen gegenseitigen Abstand
von 12 bis 14 Mm., so erhält man zwischen ihnen, sobald man
die Maschine in Thätigkeit setzt, die kleinen Funken, von denen
vorhin die Rede war.
Zieht man hierauf die Kugeln langsam auseinander, so
sieht man, dafs diese Funken bedeutend an Helligkeit zunehmen
und darin fortfahren, bis die Kugeln, zwischen denen natürlich
auch Funken überspringen, einen gegenseitigen Abstand von
etwa einen Zoll erreicht haben. DBei fernerer Vergrölserung
dieses Abstandes sieht man die Funken zwischen den Spitzen
an Helligkeit abnehmen, sogar schwächer werden als sie an-
fänglich waren, und zugleich hört man an dem zischenden
Geräusch, dafs in beiden Luftstrecken die Funken untermischt
sind mit Büscheln.
Bei noch weiterer Vergröfserung des Abstandes zwischen
den Kugeln wechseln in beiden Luftstrecken Funken : und
Büschel mit einander ab; und endlich kommt ein Punkt, von
dem ab alle Funken verschwinden und nur noch Büschel und
Glimmlicht in beiden Luftstrecken auftreten.
Gröfsere Kugeln, z: B. von 39 Mm. Durchmesser, muls
man etwas weiter auseinander ziehen, um die Funken ver-
schwinden zu machen; sonst sind die Erscheinungen denen bei
kleineren Kugeln ähnlich. |
Immer sind dabei die Entladungsweisen in beiden
Luftstrecken einander gleich, man mag Funken erhalten oder
nicht, rein oder untermischt. Niemals habe ich den Fall be-
594 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
obachten können, dafs in der einen Luftstrecke Funken, und
in der anderen Büschel erschienen wären.
In dem eben beschriebenen Versuch wurde der Abstand
zwischen den Spitzen constant gehalten.
Man kann ihn aber auch vergröfsern, sobald man dem
Abstand zwischen den Kugeln eine entsprechende Grölse giebt,
und dabei zeigt sich dann, dafs die Funken eine ganz über-
raschende Länge erlangen können.
Ich habe nicht allein aus den erwähnten Hohlkegeln, son-
dern aus den feinsten Nadelspitzen Funken von drei Zoll
Länge hervorschiefsen gesehen, wenn zugleich die Kugeln
einen Abstand von einem Zoll besalsen. Sie waren heller als
die Funken zwischen letztere, aber ihr eigenthümlich knarrend
zischendes Geräusch zeigte, dals sie mit Büscheln untermischt
waren.
Die zweite, von Kugeln begränzte Luftstreecke hat bei
diesen Erscheinungen zunächst die Wirkung, dafs sie eine stär-
kere Ladung der Flaschen gestattet als zwischen blofsen Spitzen
möglich ist; und es ist wohl klar, dafs, wenn in dieser Luft-
strecke eine Funken-Entladung stattfindet, eine solche auch
nothwendig in der anderen Strecke, in der zwischen den Spitzen,
eintreten mufs, weil diese dadurch urplötzlich mit einer so
srolsen Elektrieitätsmenge versehen werden, dafs sie gewaltsam
ausbrechen muls.
Allein die Funkenbildung zwischen den Kugeln ist wie-
derum abhängig von der Gröfse der Luftstrecke zwischen den
Spitzen, und diese Abhängigkeit anzugeben, möchte wohl ein
schwieriges Problem sein.
Wie sehr die Funkenbildung bei diesen Versuchen von der
relativen und auch absoluten Grölse der beiden Luftstrecken
abhängt, läfst sich in recht anschaulicher Weise darthun, wenn
man den gegenseitigen Abstand der Elektroden, also die Summe
der beiden Luftstrecken constant läfst, und blofs ihr relatives
‘ Verhältnifs durch Verschieben des beweglichen Stativs verändert.
Setzt man zuvörderst die Spitzen mit einander in Berüh-
rung, und giebt den Kugeln einen gegenseitigen Abstand von
etwa drei Zoll, so erhält man zwischen den letzteren die ge-
wöhnlichen Funken.
vom 19. Juli 1869. | 1895
Rückt man nun, durch Fortschieben des Stativs, die Spitzen
etwas auseinander, auch nur eine halbe oder ganze Linie, so
verschwinden die Funken, und man erhält unter zischendem
Geräusch in beiden Luftstrecken nur Büschel- und Glimmlicht.
Dasselbe ist auch der Fall bei fernerer Vergröfserung des
Abstandes zwischen den Spitzen, bis dieser auf Etwas über
zwei Zoll angewachsen, der Abstand zwischen den Kugeln also
auf ungefähr einen Zoll herabgekommen ist. Dann treten wie-
derum helle Funken auf, und zwar, wie immer, in beiden Luft-
strecken, zwischen den Spitzen noch hellere und compactere
als zwischen den Kugeln.
Über diese Gränze hinaus verschwinden die Funken aber-
mals, um einem zischenden Büschel Platz zu machen, und
dieser hält sich bis endlich, durch das fortgesetzte Verschieben
des Stativs, die Kugeln mit einander in Berührung kommen
und folglich die eine Luftstrecke annullirt wird.
Diefs ist der Vorgang, wenn, wie gesagt, die eine der
Luftstrecken nur durch Spitzen, und die andere nur durch
Kugeln begränzt ist. Dreht man das Stativ um 180°, so dafs
in: beiden Luftstrecken der Spitze eine Kugel gegenübersteht,
so bekommt man in keinem Falle Funken, die Kugeln mögen
positive oder negative Elektrieität ausströmen.
Je nach der Grölse der Kugeln und der Gröfse des gegen-
seitigen Abstandes, den man ihnen anfänglich giebt, wenn’ die
Spitzen einander berühren, sind die Erscheinungen etwas ver-
schieden, jedoch in ihrem Gange ähnlich. Je kleiner dieser
anfängliche Abstand ist, desto mehr müssen die Spitzen aus-
einander gebracht werden, um die Funken zu vernichten.
Es macht auch im Allgemeinen keinen Unterschied, ob die
durch Kugeln begränzte Luftstrecke auf Seite der negativen
oder positiven Elektrode liegt.
Es ist indels zu bemerken, dafs wenn sie auf Seite der
positiven Elektrode liegt, diese Elektrode um ein Gewisses
kürzer gemacht ist als die negative, und der gegenseitige Ab-
stand der Kugeln für den anfänglichen Fall, dafs die Spitzen
sich berühren, eine gewisse Gröfse hat (etwa 14 Zoll), die son-
derbaren, bei Tageslicht kaum sichtbaren Funken zum Vor-
schein kommen, welche neuerlichst Hr. Riefs entdeckt, und
596 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
schwache Funken genannt hat, die aber sogleich in hell-
leuchtende übergehen, so wie man den gegenseitigen Contact
der Spitzen unterbricht. |
Offenbar kann aus einer Spitze kein Funke hervorbrechen,
wenn nicht zuvor das bekannte Zerstreuungsvermögen derselben
auf irgend eine Weise unterdrückt worden ist. In den eben be-
schriebenen Versuchen mit zwei Luftstrecken, die man übrigens
auch ohne Holtz’sche Maschine an einer gewöhnlich geladenen .
Leydner Flasche anstellen kann, wenn man derselben eine
isolirte, abwärts in einer Kugel endende Nadel gegenüber-
stellt und dieser Kugel eine zweite, mit dem äufseren Belage
verbundene Kugel nähert, wird diese Unterdrückung durch das
plötzliche Überschlagen der Funken zwischen den Kugeln be-
werkstelligt. |
Es giebt indefs noch andere Methoden, die zu demselben
Ziele führen. Eine der einfachsten und wirksamsten ist fol-
gende:
Nachdem man bei der vorhin angewandten Vorrichtung die
Luftstrecke zwischen den Kugeln annullirt hat, hält man eine
Tafel s. g. Kamm-Masse dicht vor der Nadelspitze, setzt die
Maschine in Thätigkeit und zieht die Tafel hierauf rasch hin-
weg. Jedesmal wenn dieses geschieht, giebt die Nadel einen
Funken, den ich auf diese Weise von mehr als drei Zoll Länge
erhalten konnte, sobald sie die positive Elektrode bildete. Eine
Glasscheibe, eine Holztafel, ja selbst eine isolirte Metallplatte
wirkt ähnlich; nur muls sie immer einige Augenblicke vor der
Spitze verweilen, ein blofses rasches Durchschlagen der Luft-
strecke mit der Tafel ruft in der Regel keinen Funken hervor.
Einleuchtend ist, dafs bei diesem Verfahren, sowohl das Vor-
halten der Tafel, als das rasche Fortziehen derselben zur Fun-
kenbildung mitwirken muls, ersteres, indem es die Electricität
auf der Spitze zurückhält, letzteres, indem es sie plötzlich der
anziehenden Wirkung der gegenüberstehenden Elektrode aus-
setzt.
Schon das blofse ruhige Vorhalten der Tafel, ohne Fort-
ziehen derselben, ruft Funken hervor, wenn sie dabei der Na-
delspitze nahe ist und zugleich nicht mehr als höchstens ein
Paar Zoll über die Linie hinausragt, welche die Spitze mit
vom 19. Juli 1869. 997
der gegenüberstehenden Elektrode verbinden würde. Es schla-
gen dann fortwährend Funken über den Rand, selbst bei einer
Metallplatte, jedoch bei dieser schwieriger als bei den übrigen
Tafeln.
Diese Methode, welche begreiflich auch auf die durch die
gemeine Elektrisirmaschine vereinzelt geladene Flasche anwend-
bar ist, bietet demnach den zweiten oder, wenn man will, den
dritten Fall dar, in welchem der von Saxtorph behandelte Satz
nicht gültig ist.
Was übrigens in dem Bisherigen von den Flaschen-Ent-
ladungen gesagt ist, das gilt im Ganzen auch von den Entla-
dungen, welche man bekommt, wenn man die Influenzmaschine
mit grofsen Conductoren versieht. Nur mufs man, da auf sol-
chen Conductoren die Elektricität keine Verdichtung erfährt,
also starke Neigung zum Entweichen hat, die Elektroden in
srofsen Kugeln (von 40 Mm. Durchmesser etwa) endigen las-
sen und wenigstens 1 bis 14 Zoll auseinander ziehen. Sonst
häuft sich wenig Elektricität auf diesen Conductoren an und
die Anwesenheit derselben hat nur geringen Einfluls auf die
Entladungsweise zwischen den Elektroden, welche fast in der-
selben Form wie ohne sie erfolgt.
Unter den genannten Umständen aber bekommt man mit
den Conductoren wahrhafte Funken, die sich gegen Spitzen ge-
nau so verhalten, wie die Entladungsfunken der Flaschen.
Man kann sie übrigens den Flaschenfunken beliebig nä-
hern, wenn man sich der linsenförmigen Conductoren bedient,
welche ich in den Monatsberichten von 1867 (S. 297) beschrie-
ben habe. Je näher man zwei solche Conductoren einander
gegenüber aufstellt, jemehr man also den auf ihnen angehäuf-
ten Elektricitäten Gelegenheit giebt, verdichtend auf einander
einzuwirken, desto mehr werden diese Funken den Bun
Entladungsfunken der Flaschen ähnlich.
595 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
I. Zur Frage, wie nicht-leitende Substanzen
influencirt werden.
In einer Abhandlung, die ich in der Klassensitzung vom \
18. Febr. 1867 vorgelesen habe, von der aber nur wenige
Worte in den Monatsbericht übergegangen sind, habe ich unter
anderen Versuchen auch den beschrieben, dafs ich dicht an
oder gegen die Scheibe einer Elektrisirmaschine, nachdem sie
einige Male herumgedreht worden, eine Franklin’sche Tafel
hielt, und derselben, an ihrer abgewandten Seite, einen Knöchel
näherte, erst während sie der influencirenden Wirkung der
Scheibe ausgesetzt war, und dann, nachdem ich sie aus dersel-
ben entfernt hatte. In beiden Fällen bekam ich einen stechen-
den Funken, im ersten einen positiven, im zweiten einen nega-
tiven. Dieselben beiden Funken konnte ich unter gleichen Um-
ständen aus der der Scheibe zugewandten Seite der Tafel zie-
hen, und eben so erhielt ich sie, wenn ich den Finger erst der
einen und dann der andern Seite näherte. Die angewandte
Tafel war nur eine halbe Linie dick; eine zwei Linien dicke
verhielt sich aber eben so; selbst Wachs- und Harztafeln von
drei Viertelzoll Dicke, die auf einer oder beiden Seiten mit
Stanniol belegt worden, gaben ein ähnliches Resultat,
Belegte Tafeln aus Isolatoren verhalten sich also bei die-
ser Influenz durchaus wie Metallplatten, und daher sagte ich
schon in der erwähnten Abhandlung, dafs sie ganz füglich
als-Schild beim Elektrophor dienen könnten, wenngleich ein
dicker metallner Schild mit abgerundetem Rande natürlich vor-
zuziehen ist.
Vor längerer Zeit wurde ich durch andere Betrachtungen
an diesen Versuch erinnert und veranlafst, ihn mit einem eigent-
lichen Elektrophor zu wiederholen. Der Kuchen dieses Elek-
trophors bestand aus gehärtetem Kautschuk oder Ebonit.')
1) Ich adoptire hier den Namen Ebonit, welchen die Engländer
der Substanz wegen ihrer äufseren Ähnlichkeit mit dem Ebenholz. gege-
ben haben, weil er mir besser zu sein scheint als Kamm-Masse,
Hartkautschuk, Hartgummi, Horngummi, oder, wie die Berli-
ner Fabrikanten sagen, hornisirtes Gummi.
vom 19. Juli 1869. 599
Eine auf denselben gelegte Franklin’sche Tafel zeigte ganz die
früheren Erscheinungen. Darauf liegend und mit der Form
des Elektrophors verbunden, gab sie an der Oberseite einen
negativen Funken, und, nachdem sie abgehoben worden, einen
positiven. Dieselben beiden Funken konnte ich auch von der
Unterseite erhalten, und eben so den einen von der oberen,
und den anderen von der unteren Seite. Um von letzterer
Seite den negativen Funken zu erhalten, mufste natürlich zwi-
‚schen Kuchen und Tafel ein herausragender Stanniolstreif ein-
geschoben worden sein, dem man den Finger nähern konnte.
Zwei, drei, vier und mehr Franklin’sche Tafeln auf ein-
ander gelegt als Schild des Elektrophors benutzt und gleich-
zeitig abgehoben, wirkten ähnlich, nur etwas schwächer. Auch
konnte ich aus der Oberseite einer einzigen Tafel schon die
beiden Funken erhalten, wenn ihre Unterseite nicht belegt war.
Und selbst diese unbelegte Seite gab, nach dem Abheben der
Tafel, kleine positive Fünkchen, wenn ich ihr an verschiedenen
Stellen den Knöchel näherte.
Als ich diesen Versuch vor längerer Zeit Hrn. Magnus
zeigte, und von den Schwierigkeiten sprach, welche die Erklä-
rung desselben nach der gewöhnlichen Theorie darbietet, nach
der Theorie nämlich, gemäfs welcher ein z. B. negativ elektri-
sirter Körper auf der ihm zugewandten Seite eines Isolators
positive, und auf der abgewandten Seite negative Elektricität
entwickeln soll, wie bei einem Leiter, — wenn dem nicht be-
sondere Umstände entgegentreten — äufserte Derselbe, diese
Theorie sei auch nicht richtig.
Vielmehr behauptete er, es werde bei der Influenz von
nichtleitenden Substanzen. die Null- Elektrieität auf beiden
Seiten derselben zerlegt. Jede Seite einer isolirenden Platte
erhalte positive und negative Elektrieität.
Einen genügenden Grund oder einen Beweis. für diese
Theorie wulste er nicht anzugeben; auch vermochte er mir
‚nicht zu sagen, von wem sie herstamme; er selbst machte auf
ihre Urheberschaft keinen Anspruch.
Diese, meines Wissens noch niemals öffentlich ausge-
sprochene, den Ansichten gewichtiger Autoritäten widerspre-
ehende Theorie erschien mir im ersten Augenblick, muls ich
600 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
gestehen, etwas paradox. Als ich indels ein wenig über sie
nachdachte, konnte ich nicht umhin, ihr beizupflichten, sie für
natürlich, ja für nothwendig zu halten.
In der That, der erste Act der Influenz auf eine isolirende
Platte kann füglich kein anderer sein, als dafs auf ihrer ganzen
Oberfläche, also auf jeder ihrer Seiten, die Null-Elektrieität in
ihren positiven und negativen Bestandtheil zerlegt wird.
Auch ist kein Grund zu der Annahme vorhanden, dafs
diese somit in jedem Punkt getrennten Elektrieitäten sich auf
oder in der Platte nach der einen und der andern Seite hinbe-
geben sollten, denn sonst mülste man für die Platte einen Grad
von Leitungsfähigkeit statuiren, den man ihr bei einer Dicke
von einer oder mehren Linien doch unmöglich zuschreiben
kann. Soweit also mülsten die getrennten Elektricitäten beide
an dem Orte ihrer Trennung verbleiben, und den Isolator, nach
Aufhebung der Influenz, unelektrisch erscheinen lassen, da sie,
wenn sie auch nicht zusammenflöfsen, wie auf einem Leiter,
doch vermöge ihrer gegenseitigen grofsen Nähe keine Wirkung
in die Ferne auszuüben vermöchten.
Allein es ist so gut wie unmöglich, diesen primären In-
fluenz-Zustand aufrecht zu halten, denn immer geht die eine
oder andere der getrennten Elektricitäten von der Platte auf
deren Umgebung über, in gröfserer oder geringerer Menge, je
nach der Dauer und Stärke der Influenz.
Dies gilt sowohl von Isolatoren als von Leitern; ich we-
nigstens habe keine Substanz, von welcher Art und Gestalt sie
auch sein mochte, nach der Influenz ganz unelektrisch finden
können. 3
Welche der beiden Elektricitäten hiebei entweicht, welchel
also zurückbleibt, das hängt von Umständen ab. F
Bei Leitern ist die entweichende Elektricität wohl ohne”
Ausnahme von gleicher Art mit der influencirenden, von wel-
cher sie abgestoflsen wird, und die zurückbleibende ist über die
ganze Oberfläche ausgebreitet. |
Bei Isolatoren können zwei Fälle eintreten. Entweder,
und zwar sehr häufig, ist auch bei ihnen die aus beiden Seiten
einer Platte entweichende Elektrieität gleichnamig mit der. in-
ducirenden, obschon dabei wohl selten gleich in Menge. Oder
vom 19. Juli 1869. 601
es bewirkt die Gestalt und Beschaffenheit der benachbarten
Körper, dafs von der dem inducirenden Körper zugewandten
Vorderseite die gleichnamige, und von der Hinterseite die un-
gleichnamige entweicht. Und so erscheint denn der Isolator
nach aufgehobener Influenz im ersten Fall auf beiden Seiten
mit ungleichnamiger Elektrieität begabt, und im letzteren auf
der Vorderseite mit ungleichnamiger, und auf der Hinterseite
mit gleichnamiger, wie ein Leiter während der Influenz.
Die überschüssige Elektricität, welche man nach aufgeho-
bener Influenz auf einem influeneirten Körper, namentlich auf
einem Leiter, antrifft und durch Wirkung von Spitzen u. s. w.
künstlich steigern kann, ist folglich, nach dieser Ansicht, nicht
das Resultat der reinen Influenz oder Vertheilung, sondern her-
vorgegangen aus einem gemischten Procefs, aus der Combina-
tion der Influenz oder Zerlegung der Null-Elektrieität mit der
Ausstrahlung oder Entweichung eines der Bestandtheile derselben.
Ich müfste mich sehr irren, wenn nicht die vorhin ange-
führten Beobachtungen eine Stütze für diese Ansicht geben
sollten. Fulng
In der That, legen wir die Franklinsche Tafel auf den
Elektrophor, so werden, dieser Ansicht gemäfs, durch influen-
eirende Wirkung desselben zunächst auf jeder Seite der Tafel
positive und negative Elektrieität entwickelt. Die negative
der Oberseite können wir bei dieser Lage der Tafel in Ge-
stalt eines Funkens entfernen. Heben wir nun die Tafel von
dem Elektrophore ab, so haben wir also an ihrer Unterseite
positive und negative, an ihrer Oberseite blofs positive Elek-
trieität.
Aus beiden Seiten der Tafel läfst sich jetzt ein positiver
Funke ziehen, aus der Oberseite, weil deren positive Elek-
trieität keine Einwirkung von den beiden Elektricitäten der
Unterseite erleiden kann, aus der Unterseite, weil deren nega-
tive Elektrieität von der positiven der Oberseite gebunden wird.
Allein das Resultat dieser Entfernung der positiven Elek-
trieität mufs in beiden Fällen ein verschiedenes sein. Ent-
fernen wir sie von der Oberseite, so mufs die Unterseite in
den indifferenten Zustand zurückgehen, indem ihre beiden
Elektrieitäten nun nicht mehr getrennt gehalten werden, also
602 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
zusammenfliefsen. Entfernen wir dagegen die positive Elek-
trieität von der Unterseite, so behält dieselbe ihre negative
Elektricität, und da die positive der Oberseite nicht fortge-
nommen wurde, mufs also im letzteren Falle die Tafel ge-
laden sein.
Begreiflich kam es darauf an, diesen Ladungszustand nach
zuweisen, und wirklich ist mir dasselbe gelungen, indem ich
die beiden Belege der Tafel durch einen Metallbügel mit ein-
ander verband. Hatte ich die positive Elektrieität von der
Oberseite entfernt, so war von einem Entladungsfunken nichts
zu bemerken; hatte ich sie dagegen von der Unterseite fort-
genommen, so erschien ein solcher, zwar klein, aber unverkenn-
bar. So weit wäre also die Theorie vollkommen gerechtfertigt.
Der Theorie nach hätte nun aber auch die Tafel indifferent
sein müssen; allein das war sie nicht; vielmehr erwies sie sich
positiv, und zwar auf beiden Seiten, was gewils kein Irrthum
war, da eine drei Viertelzoll dieke Wachstafel sich ganz eben
so verhielt. Diesen Rückstand von positiver Elektrieität halte
ich jedoch für keinen Einwand gegen die aufgestellte Theorie,’ )
betrachte ihn vielmehr als das Resultat einer stillen Entweichung
der vom Ebonit-Elektrophor abgestolsenen negativen Elektrici-
tät aus beiden Seiten der Tafel.
Was mich in dieser Ansicht bestärkt, ist die oft von mir -
beobachtete Thatsache, dafs -eine Glasplatte, die man, getragen
von drei Wachskügelchen, in geringer Höhe ruhig und unbe-
rührt, entfernt von allen Spitzen, über einem solchen Electro-
phor liegen läfst, nach wenigen Minuten ebenfalls positive Elek-
trieität auf beiden Seiten zeigt, selbst wenn sie eine Dicke von
drei und mehren Linien hat. Es macht dabei keinen Unter-
schied, ob die Glasplatte belegt oder unbelegt ist, wie ich denn
überhaupt glaube, dafs die Stanniolbelege, wegen ihrer gerin-
sen Dicke, keinen Einfluls auf die beschriebenen Erscheinungen
haben, sondern nur die Rolle spielen, die Beweglichkeit der
Elektricitätstheilchen auf der Oberfläche der Isolatoren zu er-
höhen.
1) Bei einem Glas-Elektrophor ist begreiflich die Tafel nach glei-
cher Behandlung auf beiden Seiten negativ. |
vom 19. Juli 1869. 603
Zusammengefalst kommt also die neue Theorie, wenn ich
sie so nennen darf, darauf zurück, dafs sie bei der Influenz in
distanz den ersten Act (die Zerlegung der Null-Elektrieität in
jedem Theilchen wenigstens der Oberfläche) als gleich annimmt
für Isolatoren und Leiter, und dafs sie keinen anderen Unter-
schied zwischen dem Verhalten beider Körperklassen in diesem
Processe statuirt als den, welcher aus der leichten Beweglich-
keit der Elektrieität in letzterer entspringt.
Im Grunde ist diese Ansicht sehr einfach, aber sie hat
einige Wichtigkeit für. die richtige Beurtheilung der mannig-
fachen Erscheinungen bei den Influenzmaschinen, deren voll-
ständige Theorie bis jetzt noch nicht gegeben sein möchte.
Schliefslich will ich noch einer nicht uninteressanten Mo-
dification der beschriebenen Versuche erwähnen, darin bestehend,
dafs man eine geladene Franklin’sche Tafel als Schild des
Elektrophores anwendet.
Legt man sie mit der negativen Seite auf den gleich-
falls negativen Ebonit-Elektrophor, so sind alle Erscheinungen
den vorhin beschriebenen gleich. Die Ladung der Tafel nimmt
keinen Theil daran, und behält selbst nach mehrmaliger Wie-
- derholung der Versuche ihre Stärke fast unverändert.
Anders ist es dagegen, wenn die Tafel mit der positiven
Seite auf den Elektrophor gelegt wird. Verbindet man nun die
negative Oberseite mit der Form des Instruments, so bekommt
man einen lebhaften Funken oder Schlag, je nachdem man die
Verbindung durch einen Drahtbügel oder mit den Händen voll-
zieht. Abgehoben giebt die Tafel keinen Funken; kehrt man
sie aber um, und legt sie mit der negativen Seite auf den
Elektrophor, so erhält man aus ihrer positiven Oberseite wie-
derum einen Funken, wenn man dieselbe mit der Form ver-
bindet. Diese Operation kann man unter jedesmaliger Umkeh-
rung der Platte wenigstens 4 bis 6 Male wiederholen; immer
erhält man einen Funken, aber freilich in abnehmender Stärke,
und wenn man nun die Ladung der Platte untersucht, findet
man sie auf ein Minimum redueirt.
Hierbei bleibt, wie leicht zu erachten, der Elektrophor auch
nicht unverändert. Nach jedem Schlielsungsfunken findet sich
seine Polarisation umgekehrt. Nach dem ersten ist er auf der
[1869.] 44
604 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Oberfläche positiv, nach dem zweiten negativ, nach dem dritten
wiederum positiv und so fort. |
Offenbar haben diese Erscheinungen ihren Grund darin,
dals die entgegengesetzten Elektrieitäten, welche auf den sich
berührenden Flächen des Elektrophors und der Platte ange-
häuft sind, mit einander in Verbindung treten, sobald die abge-
wandten Flächen beider leitend verbunden werden. Und es
ist auch klar, dafs dabei ein Überschufs von Elektrieität von
der Tafel auf den Elektrophor übergehen mufs, weil sonst die
Polarität desselben nur vernichtet, nicht umgekehrt werden
könnte. Der Erfolg des Versuches wird also davon abhängen,
wie stark der Electrophor erregt, und wie stark die Tafel ge-
laden war.
Hr. C. Rammelsberg las über die chemische Zu-
sammensetzung der Turmaline (zweite Abhandlung).
In der Sitzung der Akademie vom 22. Juli 1850 legte
Heinrich Rose eine Arbeit von mir vor: „Über die Zusam-
mensetzung der Turmaline*, deren Ausführung durch eine im
Jahre 1849 gewährte materielle Beihülfe seitens der Akademie
sehr wesentlich gefördert worden war'). Ich hatte damals den
Versuch gemacht, die Constitution einer grolsen und wichtigen
Mineralgruppe zu erforschen, einer durch das Auftreten der
Borsäure vor allen anderen ausgezeichneten Reihe, an deren
analytischer Untersuchung sich alle Früheren bis zu Chr. Gmelin
mit wenig Erfolg versucht hatten. Angesichts der ungewöhn-
lichen Schwierigkeiten, welche die Natur und die grofse Zahl
der Bestandtheile der Turmaline bei der Analyse darbieten,
glaubte ich nicht den gewöhnlichen Weg einschlagen zu dürfen,
der darin besteht, dafs man einige sogenannte Abänderungen
eines Minerals untersucht, und daraus die Zusammensetzung
aller übrigen folgert. Die alsbald sich ergebenden Variationen
in qualitativer und quantitativer Beziehung machten es wün-
schenswerth, das verschiedenartigste Material zu verwenden,
und Dank der vielseitigen Unterstützung, welche mir in dieser
1) Monatsbericht 1850 S. 273.
vom 19. Juli 1869. 605
Hinsicht zu Theil wurde, konnte die Arbeit auf dreifsig Tur-
maline ausgedehnt werden.
Die geometrischen und physikalischen Eigenschaften der
einzelnen Turmaline sind so wenig verschieden, dafs man glauben
durfte, auch für ihre chemische Constitution werde sich ein ge-
meinsamer Ausdruck ergeben, wenn die Resultate so zahlreicher
Versuche gleichzeitig berechnet würden. Diese Erwartung wurde
jedoch getäuscht, und ich mufste mich begnügen, die Existenz
von fünf stöchiometrisch verschiedenen Unterabtheilungen anzu-
nehmen, wenn die Turmaline als Borosilikate aufgefafst wurden.
Es waren Bi- oder Trisilikate der stärkeren Basen, in Verbin-
dung mit Singulosilikaten der schwächeren, aber es lohnt heute
nicht mehr, bei diesen Formeln zu verweilen, oder die Versuche
Anderer, meine Analysen zu interpretiren, hier anzuführen.
Niemand hat lebhafter die Mängel jener Arbeit empfunden
als ich selbst, und ich habe schon seit langer Zeit das Thema
von neuem in Angriff genommen, um das einfache Gesetz zu
finden, welches die Turmalin-Constitution beherrscht, und an
dessen Existenz wohl nicht zu zweifeln war. In der That ist
es mir gelungen, alle Turmaline auf eine Grundverbindung
zurückzuführen, sie durch eine Formel zu bezeichnen, welche
lediglich der Ausdruck der Thatsachen ist, mit einem Wort:
den Begriff Turmalin in chemischer Beziehung ebenso scharf
zu umschreiben, wie es längst für Granat, Augit, Feldspath
ete. geschehen ist.
Drei Punkte sind es, deren richtige Erkenntnifs dieses Re-
sultat herbeigeführt hat: 1, Das Verhalten der T. beim Glühen.
2. Der Verbindungszustand des Eisens. 3. Der wahre Gehalt
der T. an Bor.
Die T. verlieren in starker Glühhitze im Durchschnitt 3 p.C.
am Gewicht, und erleiden hierbei eine wesentliche Veränderung
nicht blos ihres Ansehens sondern auch ihrer Zusammensetzung.
' Wie man sich erinnern wird, hatte ich in allen T. Fluor ge-
‘funden, und das Entweichen von Fluorkiesel und Wasser in
‚der Glühhitze beobachtet. Allein ich hielt das Auftreten des
Wassers für unwesentlich, und glaubte den Glühverlust für einen
Malsstab des Fluorgehalts nehmen zu dürfen, wie dies beim
' Topas stattfindet. Man kannte damals noch nicht das erst viel
| 44.*
606 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
später von Damour am Euklas nachgewiesene Austreten von
chemisch gebundenem Wasser aus einem Silikat in starker
Glühhitze. Seitdem ich aber gefunden hatte, dafs die Kali-
glimmer und andere Silikate Wasser enthalten, welches zu ihrer
Constitution gehört, wurde es nöthig, auch bei den Turmalinen
das Fluor und das Wasser direkt zu bestimmen.
Wäre der im Mittel 5 p. C. betragende Glühverlust ledig-
lich Fluorkiesel, so würde er 2,2 p. ©. Fluor entsprechen. Allein
dies übersteigt den wirklichen Fluorgehalt der Turmaline um
das Vierfache, denn auf Grund von 19 vorliegenden neuen Be-
stimmungen schwankt derselbe von 0,15 bis 1,19, und ist im
Mittel nur = 0,54 p.C. Dies entspricht 0,74 p.C. Si Fl#, so
dafs also etwa 2,3 p. C. übrig bleiben, welche als Wasser in
Rechnung kommen. |
Ich habe versucht, dieses Wasser annährend direkt zu be-
stimmen, indem ich mehr als 30 Grm. des T. von Ramfossen
bei Snarum, in Form groben Pulvers, in einem Platinrohr nach
vorgängigem schwachem Glühen möglichst stark erhitzte und
das Wasser in einer Chlorcaleiumvorlage sammelte, Es betrug
1,33 p. C. und reagirte stark sauer infolge eines: Gehalts ven
Kieselfluorwasserstoff. Der Apparat erlaubte keine höhere Stei-
gerung der Temperatur, es wurde daher nicht die ganze Wasser-
menge erhalten, und eine Probe verlor nachher im Tiegel noch
1,4 p.C., aber der Versuch beweist den wesentlichen Wasser-
gehalt des Minerals, dessen Fluor in diesem Fall 0,55 p. ©.
ausmacht, so dafs, je nachdem der totale Glühverlust 2,39
(früher) oder 2,73 p.C. ist, die Menge des Wassers selbst zu
1,64 bis 1,98 p. C. geschätzt werden kann.
In der Constitution der T. mufs aber H?O dieselbe Funktion
haben wie K?O, ‚Na?O und Li?O.
Obwohl es nicht an eisenfreien T. fehlt, so ist doch die
grofse Mehrzahl, (braune, schwarze, blaue, dunkelgrüne) eisen-
haltig. Ich hatte in meinen frühern Versuchen die Auflösung
des durch Schmelzen mit Borax entstandenen Glases in der
Regel mit Goldchlorid zur Bestimmung des Oxyduls behandelt,
und müfste dann stets mit Rücksicht auf den ganzen Eisenge-
halt auch die Gegenwart von Eisenoxyd annehmen. Allein ich
äulserte schon damals Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser
vom 19. Juli 1869. 607
Bestimmungen, und spätere Erfahrungen haben bis zur Evidenz
gezeigt, dafs Goldchlorid kein brauchbares Reagens für FeO ist.
Vor einigen Jahren hat A. Mitscherlich sechs eisenhal-
tige T. durch Erhitzen mit Schwefelsäure in zugeschmolzenen
Röhren zersetzt und dabei nur Eisenoxydul gefunden. Es
' ist dies der einzige Versuch, welcher in den letzten zwanzig
Jahren von anderer Seite mit dem Mineral gemacht ist, und
ich brauche kaum zu sagen, dafs auch ich dasselbe Resultat
- erhalten habe, und nicht glaube, dafs irgend ein T. eine wesent-
liche Menge Eisenoxyd enthält. Auch dieser Umstand mufs
von merklichem Einfluls auf die Berechnung der Analysen sein.
Was endlich die wahre Menge der Borsäure betrifft, so
waren die früheren Versuche, sie direkt zu bestimmen, so un-
vollkommen, dafs z.B. ©. Gmelin nur 2 — 44 p.C. erhielt. Die
Zahlen, welche in meiner früheren Arbeit durch die Differenz
_ erhalten waren, und zwischen 64 — 10 p. C. liegen, kommen der
Wahrheit schon näher, sind aber oft, der Natur der Berechnung
nach, zu klein. Glücklicherweise gelingt es, die Borsäure in
Form von KBFlI* zu bestimmen, wenn man das Verfahren von
A. Stromeyer und H. Rose einhält, und ich habe von 7
verschiedenen T. auf diese Art 9,5 bis 11 p.C. B?O3 erhalten.
Mit der direkt gefundenen Menge stimmt in solchen Fällen aber
auch die aus der Differenz berechnete sehr gut überein, und es
ist daher jetzt allerdings gestattet, bei den übrigen T. den Bör-
gehalt auf diese Art zu berechnen.
Jedes einzelne Glied der Turmalingruppe ist eine isomorphe
Mischung gewisser Grundverbindungen, deren Elemente sind:
a) einwerthige: H, K, Na, Li (Fl).
b) zweiwerthige: Mg, Ca, Mn, Fe (OÖ).
c) drei-(sechswerthige): B, Al.
d) das vierwerthige Si.
Das allgemeine Resultat, zu welchem alle meine Analysen
führen, ist nun das:
er malıne sınd Drittelstlikate "Die conett
tuirenden Grundverbindungen sind die Moleküle
1 fi VI
RS Si0° — R3Si05 — RSiO°.
608 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse,
Die Verschiedenheit der einzelnen T. hängt ab:
1) von dem wechselnden Verhältnifs dieser Mol. in der
Gesammtverbindung;
2) von dem Wechsel der gleichwerthigen Elemente inner-
halb jedes einzelnen Mol.
Die Variation der ersten Art, bedingt durch das Atomver-
hältnifs der R, R und R, prägt sich zuvörderst in zwei grolsen
Abtheilungen aus, in welche die ganze Gruppe zerfällt.
Die erste Abtheilung der Turmalingruppe hat Al: Si
—=1:2, die zweite Abtheilung hat Al:Si= 2:3.
I. Die erste Abtheilung, welcher die Mehrzahl (25
unter 32) angehört, ist repräsentirt durch die allgemeine Formel
R3Al B S?01 — r'
oder
R> Al? B2Sj2020 — r"
Es sind die gelben, braunen und (scheinbar) schwarzen T., oder
die Magnesia-T., die Magnesia-Eisen-T., und die Eisen-T. Sie
alle geben bei der Analyse 30 — 32 p.C. us von 12
bis 0,6 Magnesia, 0,6 bis 17,4 Eisenoxydul.
Eine weitere Theilung ergiebt sich innerhalb derselben
durch das Verhältnifs der R und der R, oder, wenn man will,
durch das Verhältnifs R:Al, und zwar ist hier:
R:R R:Al
ay—ele,ıI 191 =r+r
b)=5: 2 2:3 — 5r' + 2r"
Oder es ist
a—= RRAIBSI2O10
b—= RSR2ABB> Si60%0
Zu a, den einfachst zusammengesetzten, gehören 21 Tur-
maline, zu b nur 4, nämlich die blauen von Saar, Sarapulsk
und Goshen und ein bräunlich durchscheinender von Elba.
Jeder weitere Unterschied ist durch das Verhältnifs der
R=H:K:Na und de R= Mg: Fe (Ca, Mn) gegeben, und
läfst die Übereinstimmung oder Ähnlichkeit der einzelnen T.
erkennen. Dieser Punkt bleibe vorläufig, weil untergeordnet,
auflser Acht,
vom 19. Juli 1869. 609
1. Die zweite Abtheilung entspricht der allgemeinen
Formel Ih
RS AISB:SjI 085 — r'
oder
R?AIS Bi? 065 — r"
Hierher gehören die früher sogenannten edlen T., d.h.
die auch in grölsern Krystallen durchsichtigen, farblosen, oder
schwach grünen oder röthlichen ‘oder rothen Arten. Es sind in
chemischer Hinsicht die lithionhaltigen und eisenfreien
Turmaline. Sie geben bei der Analyse 10 p. C. mehr Thon-
erde, als die früheren, nämlich 42 — 44 p.C. Die zweiwer-
thigen Elemente treten in ihnen sehr zurück (höchstens 1,6 MgO,
2,9 MnO); sie scheinen zugleich die fluorreichsten (0,7 — 1,2 p.C.)
zu sein. Ich habe 5 Turmaline dieser Abtheilung zu untersuchen
Gelegenheit gehabt.
Auch bei ihnen varlirt das Verhältnifs R:R oder das von
dd
R:Al, und zwar ist;
‘
[ii “«
R:R R:Al
a) 4:1 1: 6=2r-+r"
b)= 10:1 1:2 =5r+r
BR 22 1:24=11r + r",
entsprechend der Formeln
a — RRAISB1Sj? 045
b— RR All Bsgjis g%0
e R2 RAIL Bis 136 Q180,
Es gehören zu |
a) der blafsgrüne T. von Elba,
der rothe T. von Schaitansk; .
b) der rothe T. von Rozena,
der rothe T. von Paris (Maine);
c) der farblose oder röthliche T. von Elba.
Dafs auch hier die Einzelglieder in dem Verhältnifs der
R und R unter sich differiren, bedarf keiner besonderen Be-
merkung.
Vielleicht giebt es aber innerhalb der Gruppe noch eine
dritte Abtheilung. Die beiden dunkelgrünen T., der aus
610 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
Brasilien, und der von Chesterfield, stehen nämlich gleichsam
in der Mitte, denn sie enthalten Al und Si weder in dem Ver-
hältnifs 1:2 noch 2:3, sondern etwa wie 1:1,7. Beide zeich-
nen sich dadurch aus, dafs sie eisenhaltig sind (6 p. C. FeO),
danach also zur ersten Abtheilung gehören, dabei aber nur die
geringen Gehalte von Mg und Mn haben, welche die zweite
Abtheilung charakterisiren. Auch ihr Gehalt von Al ist ein
mittlerer. Ich bin geneigt, sie nicht sowohl als eine besondere
dritte Abtheilung bildend, sondern als eine isomorphe Mischung
jener beiden Hauptreihen zu betrachten. Die Analysen beider
T. sind sehr wohl mit der Ansicht-im Einklang, dafs äquiva-
lente Mengen
| 9 R3AIB SI2 010 I=\ 9 R3A12B2$j4 020
2 RSAlC BSP 04 4 R3AIS B2 890%
sich hier vereinigt haben, so dals
a1: 8er IE Tre
RUSS
Die Fähigkeit isomorpher Körper, über einander zu krystalli-
siren, welche bei künstlichen Verbindungen (Alaunen, Vitriolen)
zur Entstehung von Krystallen Anlafs giebt, die in ihren einzelnen
Schichten verschieden sind, zeigt sich bei Turmalinkrystallen
theils darin, dafs bisweilen Kern und Hülle verschieden sind
(rother T. in grünem oder umgekehrt), theils in der verschie-
denen Färbung eines und desselben Krystalls (Krystalle mit
wechselnden hellen uud dunklen Zonen). Die Analyse beweist,
dafs solche heterogen erscheinenden Theile auch anders zusam-
mengesetzt sind. Es ist deshalb die Annahme zulässig, dafs
jene beiden scheinbar homogenen dunkelgrünen T. eine innige
isomorphe Mischung zweier ähnlichen Verbindungsformen dar-
stellen.
Die Drittelsilikate bildeten bisher nur eine kleine Reihe der
- natürlichen Silikate, in welcher einerseits Andalusit (Topas) und
Cyanit (AlSiO5), andererseits Euklas und Datolith stehen. An
letztere schliefsen sich die Turmaline an, insbesondere an den
Datolith, der durch seinen Gehalt an Borsäure gleichsam den
Übergang zu ihnen vermittelt.
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Tabellarische Übersicht der Zus
\
1
IB Abtheilu ng:
R3A]BSi200 us RIALB2SILON
(Rammelsberg, 19. Juli 1369.)
nmmensetzung der Turmaline.
EB
Nr. Fundort. SR 120 |K?20 |Na20)C.0| MgO |MnO | FeO | AO: | B203 | SiO2 | Fi
1 fer
1) R:Al=1:1 = RRAIBSi?O10
1. | Gouverneur... ..2...., (1) | 331 | 0,26 | 1,28 1,60 | 14,89 — | 1,14 | 31,32 (8,35) | 38,85
2. | Windischkappel .. .... @) | 2305 | 0,47 | 2,37 | 1,25 | 11,79 | — | 0,66 | 32,90 | 11,15 | 38,09 | 0,64
3. | Eibenstock ... 2.2.2... (8) | 2,32 | 0,30 | 2,27 | 0,88 | 11,62 | — | 4,36 | 30,86 | (9,14) | 37,75
4. | Zilerthal © oc cc... (6) | 3,04 | 0,37 | 2,13 | 0,16 | 10,46 | 0,36 | 2,80 | 32,65 | (9,52) | 38,51 | 0,36
9.3 NOTkordE ee (@) | 2,81 1,52 O,77 | 10,89 | — | 2,88 | 33,15 9,86 | 38,33
GAlEResasya a re () | 2,80 | 0,73 | 2,00 | 0,71 | 9,11 | 0,09 | 2,98 | 34,56 | (8,57) | 38,45
Ta IE Monroe ee (6) | 2,82 | 0,44 | 1,82 | 1,81 | 9,90 | — | 4,07 | 31,18 | (8,95) | 39,01
8 KGolhanDe (@) | 2,61 | 0,43 | 2,00 | 1,25 | 9,51 | — | 4,42 | 34,26 | (7,82) | 37,70 |
IlUHavredali a see er (10) | 2,43 | 0,32 | 1,28 | 0,80 | 943 | — | 7,58 | 31,26 | (9,29) | 37,11
10. | Gotthardt .. 22.2.2... () | 2,75 | 0,28 | 143 | 131 | 727 | — | 7,23 | 31,41 | (10,32) | 38,00
11. | Haddam .....2..... (“) | 1,81 | 0,73 | 1,60 | 1,83 | 8,60 | — | 8,54 | 30,87 | (9,02) | 37,50
12. | Ramfossen . 2.2.2.2... (a) | 1,64 | 0,53 | 1,18 | 0,65 | 7,94 | — | 11,16 | 30,00 | (9,73) | 37,22 | 0,55
NERE INEe e 2,29 | 0,25 | 2,19 | 0,74 | 6,77 | 0,58 | 9,93 | 30,02 | (9,03) | 38,20 | 0,15
TA a En ya: (4) | 1,72 1,94 1,02 | 6,32 | — | 14,15 | 30,44 | (8,12) | 36,29
15. | Krummau. . 2. .2..... (0) | 2,11 | 0,30 | 1,36 | 0,44 3,84 — | 11,58 | 34,12 (9,82) | 36,43
169 DT ek 2,48 | 0,30 | 2,04 | — | 3,49 | 0,51 | 12,55 | 31,86 | (9,70) | 37,07 | 0,31
17. | Langenbielan . ....... (a) | 1,45 | 0,82 | 1,93 | 0,62 | 3,65 | — | 11,64 | 31,63 | (11,02) | 37,24
18. | Bovey-Traey . 2.2.2... (1) | 1,74 | 0,65 | 1,39 | 0,50 | 2,62 | 0,40 | 13,82 | 30,22 | (10,72) | 37,94 | 0,45
16 || Tem emo 2,34 | 0,46 | 1,43 | 0,40 | 2,32 | 1,50 | 12,82 | 32,21 | (10,27) | 36,25 | 0,64
0 | Eee (ws) | 111] 0,47 | 1,02 | — | 1,88 | 0,54 | 15,59 | 30,41 | (12,79) | 36,19 | 0,76
21. | Andreasberg .. ...... (u) | 154 | 0,58 | 1,36 | 0,72 | 0,28 | 0,11 | 17,40 | 30,34 | (11,11) | 36,06 | 0,85
u u
2) R:Al= 2:3 —= RSR?APB3SI6030
Saar ee (a) | 1,26 | 0,09 | 0,98 | — | 1,52 | 0,28 | 13,17 | 35,46 | 11,64 | 36,11 | 0,41
23. | Sarapulsk ... 2.2...» (@) | 181 | 0,33 | 2,37 | — | 1,06 | 2,68 | 10,30 | 31,53 | (11,62) | 38,30 | 0,80
Li5sO
5 1,25 | 11,95 | 33,35 | 10,65 | 36,22 | 0,82
| ehem eo oe | a) I | ; » »
95:1 LEIDR Se er 1,90 | 0,75 | 2,30 | 0,32 | 1,88 | 1,87 | 10,52 | 34,15 | (9,37) | 37,14 | 0,47
I. Abtheıilung.
30.
31,
KSAISBISO# und, RPAIBISIIO"
Fundort u H20 |K20 |Na20| Li?O | CaO | MsO |MnO |FeO|A103| B203 |SiO2| Fi
= Y. }
JE ER DE EEE need
3 Se er ee a
a) R:Al— 1:6 — R{RAISBISIOM
5 al — | 041 | 2851 |1,38|41,89] (9,99) | 37,74 | 0,50
Elba, grün ......... (23) | 2,60 | 0,34 | 2,40 0,74 3 > > 2 5
Se ET (es) | 2,49 | 0,21 | 1,53 | 0,48 0,62 1,62 | 1,53 | — 43,97 | (9,29) | 33,26
f wi
b) R:Al= 1:12 = RORAIEBSSIWON
1,94 | — |42,63| 9,97 |38,19 | 1,18
Re (23) | 2,00 | 0,68 | 2,60 ß H ; h 5
RE & 2,57 2,17 1,37 0,95 | — [41,83 | (8,93) | 41,16 | 1,19
0) R:Al= 1:24 — RPRA:BIS SIR QLN
Elba, röthlich und farblos | (2) | 2,41 | 1,30 | 2,00 0,92 | — |44,05| 9,52 | 38,85 | 0,70
III. Mischungen & .
(Grüne Tur :
1,13 | 5,83 | 37,81 |(10,09) | 38,06 | 0,70
Brasilien... 222020. (25) | 2,23 | 0,42 | 2,21 ’ | le aan aceanlar
earlklonasasner ie 2,31 | 0,47 | 2,47 ‚| 0,78 | 6,38 | 36, 9, ‚09 | 0,55
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vom 19. Juli 1869. 611
In der beigefügten Übersicht sind aufser der früher unter-
suchten und mit ihren Nummern in Parenthese bezeichneten
(unter Wegfall von Nr. 15 und 22) einige neue enthalten, nämlich:
16) Schwarzer T. von Dekalb, S. Lawrence-Co., N. Y.-
Pulver grau. V. G. 3,195.
19) Schwarzer (blau durchscheinender) T. von Krumbach
in Steiermark. Pulver blaugrau. V. G. 3,183.
24) Schwarzer (blau durchscheinender) T. von Goshen,
Massachusets. Pulver blaugrau. V. G. 3,203.
15) Schwarzer T. von Elba, in dickeren, bräunlich durch-
scheinenden Krystallen auf feinkörnigen Grauit aufge-
wachsen. Pulver grau. V.G. 3,059 (Magnesia-Eisen-
Turmalin).
25) Schwarzer T. von S. Pietro, Elba, in losen, dünnen,
theils bräunlich, theils gräulich durchscheinenden Kry-
stallen. Pulver grau. (Eisen-Turmalin).
Die indirekt bestimmte Borsäure ist e&ingeklammert.
Hr. Magnus machte eine Mittheilung über das Erlöschen
hoher Töne bei der Fortpflanzung in hanfnen Schnüren und in
Bleidraht, als Nachtrag zu der am 8. Juli vorgetragenen Ar-
beit des Hrn. Dr. Warburg.
22. Jul. Gesammtsitzung der Akademie.
Ef .
Hr. Auwers las über den Werth der Aberrations-
Constante nach den Beobachtungen von Molyneux.
Aus den bekannten von Rigaud wieder aufgefundenen und
1832 herausgegeben Beobachtungen von Molyneux am Zenith-
fernrohr in Kew und von Bradley am Zenithsector in Wanstead')
hat Busch (1836) für die Constante der Aberration und der
1) Enthalten in Rigaud’s Publication: Miscellaneous Works and Cor-
respondence of the Rev. James Bradley. Oxford 1832. (p. 93>—286.)
612 Gesammtsitzung
Nutation anscheinend sehr sicher begründete Werthe als Re-
sultate einer Discussion abgeleitet, durch die man eine, wenn
nicht völlig erschöpfende, doch sehr nahe genügende Dar-
stellung. der genannten Beobachtungsreihen bisher allgemein
erreicht geglaubt hat. Busch fand die Nutations- Constante
— 92320 (für 1800) und die Aberrations-Constante = 20'2116,
und die wahrscheinlichen Fehler dieser Zahlen = =& 00314
resp. 0.0261. Während der erstere dieser Werthe eine voll-
kommene Bestätigung durch neuere Bestimmungen erhielt, schien
der andere gegenüber dem Widerspruche des Resultats der Pul-
kowaer Arbeiten, nach welchen die Aberrations-Constante 20'45
oder noch einige Hundertel einer Secunde mehr beträgt, in der
schönen Übereinstimmung eine Stütze zu finden, mit welcher
die Beobachtnngen an zwei verschiedenen Instrumenten sich
dazu vereinigt hatten; aus den Wanstead - Beobachtungen allein
hatte Busch 20205 (w. F. 0'027) und aus den Kew-Beob-
achtungen 20250 (w.F. #0'079) gefunden.
Indem ich bei meiner neuen Bearbeitung der Bradley’schen
Beobachtungen an den Bird’schen Instrumenten der Green-
wicher Sternwarte, behufs der Beschaffung von ausreichenden
Hülfsmitteln zur Bestimmung der Zenithpuncte des Quadranten,
Veranlassung gehabt habe auf die Beobachtungen von Zenithal-
sternen in Kew und Woanstead zurückzukommen, habe ich die
Bemerkung gemacht, dafs die gekrönte Preisschrift,') in wel-
cher Busch jene Beobachtungen discutirt hat, derart mit Fehlern
in der Anlage und der Ausführung der Arbeit überfüllt ist,
dafs auch nicht ein einziges der darin abgeleiteten Resultate
als aus den Beobachtungen hervorgegangen bezeichnet werden
kann; die angeführten Werthe der Constanten müssen als
völlig unbegründet angesehen werden.
Von den neuen Untersuchungen, welche ich über diese
Beobachtungen in Folge dieser Bemerkungen angestellt habe,
.will ich hier diejenigen mittheilen, welche sich auf die Beob-
achtungen in Kew beziehen. —
1) Reduction of the Observations made by Bradley at Kew and
Wansted, to determine the quantities of Aberration and Nutation. By
Dr. Busch. Oxford 1833.
|
|
vom 22. Juli 1869. 613
Molyneux stellte sein von Graham verfertigtes Zenithfern-
rohr am 26. November 1725!) ‚auf; die letzten Correctionen
wurden an der Aufstellung indefs erst am 3. December vorge-
nommen, und am folgenden Tage beginnen die Beobachtungen,
deren letzte, durch eine einvierteljährige Lücke von der vor-
hergehenden getrennte, am 29. December 1727 gemacht ist.
Beobachtet wurden kleine Zenithdistanzen, die mit unbekannten
Collimationsfehlern behaftet und durch eine Schraube gemessen
sind, welche, in der Focalebene angreifend, das Fernrohr in
der Ebene des Meridians um eine durch den Mittelpunet des
Objectivs gehende Achse drehen sollte, im Ganzen 124, näm-
lich 92 von y Draconis, 9 von r Persei, 12 von 35 Camelo-
pardi, 5 von einem Stern 6%5 im grofsen Bären (Bonner Durch-
musterung 51°1488), und je 3 von zwei Sternen zwischen Her-
eules und Drache (75 B.D. 51°2115 und 779 B.D. 51°2141).
Die Bestimmung der Aberrations-Constante aus diesen
Beobachtungen wird also im Wesentlichen auf den Beobach-
tungen von y Draconis beruhen; die Zuziehung derjenigen von
35 Camelopardi und der Anonyma im grofsen Bären kann
‚das Gewicht derselben noch ein wenig, die der andern nicht
weiter vermehren. Man mufs diese Bestimmung zunächst auf
die Annahme der Unveränderlichkeit des Collimationsfehlers
gründen, und über die Zulässigkeit dieser Annahme durch Ein-
führung eines der Zeit proportionalen Gliedes oder eines weitern
periodischen in die Bedingungsgleichungen ein Urtheil zu ge-
winnen suchen. Das Resultat erhält man ausgedrückt in Thei-
len der Micrometerschraube des Instruments, also in brauchbarer
Form erst dann, wenn man den Übergang von diesen zu Bo-
gengrölsen zu finden vermag.
Molyneux gibt in seiner Beschreibung des Instruments in
Betreff dieses Punets nur an?): „this screw had 42 threads in
an inch, and the head thereof being divided into 17 equal parts,
each part was equal to one second, on the radius 24 feet 3.15
inch.* Unter den auf die Kew-Beobachtungen bezüglichen Pa-
pieren hat Rigaud noch zwei von Graham’s Hand beschriebene
!) Alle Daten sind hier nach altem Stil angegeben.
?) Miscell. Works... p. 98.
614 Gesammtsitzung
Blätter gefunden,') welche die Quelle der citirten Angabe bil-
den werden. Das eine derselben, von Molyneux „Mr. Graham’s
dimensions of part of the parallax instrument“ überschrieben,
enthält folgende Angaben:
Radius = 24 feet 34 inch. nearly ‚08477 + =!
Screw 42 threads in one inch ‚001413 + = 1"
One thread ‚0233 the plate to be divided into 17.
zz — ‚0014 = to one second nearly, not differing
one second in 100 divisions.
Dann folgen einige nicht hierher gehörige Angaben. Auf dem
andern Blatt steht:
From the middle of the object glass to the cross hairs,
24 feet 3,15 inch.
Hierneben hat Molyneux bemerkt: „this is exact.“ Die
andern Angaben dieses Blatts beziehen sich auf andere Ein-
zelheiten, nur auf der Rückseite findet sich noch, von Bradley’s
Hand, eine Ausrechnung des Werths einer Schraubenumdrehung
aus der Länge „4 Zoll und dem Radius 291.15 Zoll, in sieben-
stelligen Logarithmen; eine Umdrehung ist danach — 16'868
angegeben (der Logarithmus eine Einheit der fünften Stelle zu
grols).
Auf dieser Bestimmung beruht nun die von Busch berech-
nete Aberrations-Constante, indem derselbe 1% — 16'86785 an-
genommen hat (die obigen Dimensionen würden 1686782 ge-
ben). Ich bin aber der Ansicht, dafs hier, trotz der Anwen-
dung siebenstelliger Logarithmen zur Berechnung, nur eine
beiläufige Bestimmung des Werths einer Schraubenumdrehung
vorliegt. Wie das erste Graham’sche Blatt den Radius nur
„nearly* enthält, so wird es auch nur eine genäherte Angabe
der Anzahl von Umdrehungen machen, welche auf einen Zoll
giengen; beide Werthe sind auf diesem Blatt, wie auch aus
den andern Angaben desselben hervorzugehen scheint, augen-
scheinlich nur zu dem Zweck verglichen, danach die Einthei-
lung der Schraubentrommel so zu machen, dafs ein Theil dersel-
ben möglichst nahe =1" würde, also auch wohl nicht für genauer
1) Miscell.Works... p. 98.
*
vom 22. Juli 1869. 615
zu halten, also zu diesem Zweck nöthig war; man kann dem-
nach mit Sicherheit nur annehmen, dafs die Anzahl der auf
einen Zoll gehenden Umdrehungen näher an 42 gewesen ist
als an 41 oder 43, und es höchstens für ziemlich währschein-
lich halten, dafs die Abweichung von der angegebenen Zahl 4
nicht überstiegen hat.
Auf die Angabe 1% — 16'868 kann man sich hiernach
allerhöchstens innerhalb eines halben, vielleicht nur innerhalb
eines ganzen Procents verlassen. Molyneux ist offenbar der
Meinung gewesen, dafs eine bis auf ein Procent genaue Kennt-
nifs des Werths der Schraubentheile vollständig genügend sei,
indem weder er noch Bradley von vorn herein eine richtige
Vorstellung davon hatten, welche hohe Genauigkeit sie in ihren
Beobachtungen erreichen würden; er hat sich sogar damit be-
gnügt, einen Trommeltheil schlechtweg einer Secunde gleich
anzunehmen, und eine genaue Bestimmung der Höhe der
Schraubengänge selbst gar nicht ausgeführt. Es ist ihm: be-
kanntlieh nicht mehr vergönnt gewesen zu erfahren, wie hoch-
wichtig und welcher sorgfältigen Behandlung werth seine Be-
obachtungen waren, und nach seinem frühzeitigen Tode (im
April 1728) ist sein Instrument, als das Haus, in welchem es
aufgestellt war, in andere Hände übergieng, spurlos verschwun-
den, so dafs auch nicht nachträglich eine Bestimmung der
Constanten desselben hat erfolgen können.
Man mufs unter diesen Umständen versuchen, aus den
daran angestellten Beobachtungen selbst die Gröfse der Schrau-
bentheile abzuleiten.
Die Verschiebungen des Instruments durch die Schraube
waren auf einen Bogen von 8’ bis 9 beschränkt; in den Mes-
sungen kommen aber so grofse Bögen nicht einmal vor, indem
die beobachteten Sterne ‚folgende genäherte Declinationen für
1726 haben:
y Draconis 51° 32’ 4" An. 6.9, 0% 81 48"
r Persei 5l 36 50 Am.0.9- 931.93 .0
35 Camelop. 5l 32 53 AM 739:581%86 (16
Von diesen Sternen sind y Draconis und r Persei seit Brad-
ley’s Zeit so häufig beobachtet, dafs man ihre Deeclinations-
differenz für 1726.0 mit einer Sicherheit anzugeben vermag,
616 Gesammtsitzung
welche der Messung dieser Differenz durch Molyneux etwa
gleichkommt. Aus einer gröfsern Anzahl von Catalogen fand
ich dieselbe = 286''97, dagegen durch Vergleichung der 7 Mo-
Iyneux’schen Beobachtungen von r Persei zwischen 1725 Dee. 4.
und 1726 Jan. 15. mit den 10 zunächstliegenden Beobachtun-
gen von y Draconis (1725 Decbr. 5. — 1726 März 22.) nur
— 285.02, wenn ich den Werth einer Schraubenumdrehung
— 16'.87 setzte. Der wirklich durch die Schraube gemessene
Bogen betrug unter dieser Voraussetzung im Mittel 318'8, hier-
für fand sich also die Correction +1’95, oder der verbesserte
Werth einer Umdrehung = 169732.
Ich übergehe hier die Details der Ableitung dieser Zahl,
bei welcher ich einige Daten erst in provisorischer Form be-
nutzen konnte; weiter unten werde ich ein definitives Resultat
eingehend begründen.
Meinen Reductionen habe ich nun zunächst den Werth
18 — 16'973 zu Grunde gelegt, und damit aus den Abweichun-
sen der Schraubenablesungen bei den Einstellungen des Sterns
von den Schraubenablesungen bei den zugehörigen Einstellun-
sen des Loths die Werthe in Bogensecunden erhalten, welche
— wenn erforderlich auf den Meridian reducirt, wobei die Nei-
gung des Horizontalfadens = 0 angenommen wurde — in der
folgenden Tafel aufgeführt sind. Die Angaben der Schraube
nahmen ab, wenn die Declination des Sterns wuchs, ein posi-
tives Zeichen der betr. Zahlen gibt also an, dafs der Stern
südlich von demjenigen Punct des Meridians culminirte, auf
welchen die Absehenslinie des Fernrohrs bei der Einstellung
des Loths gerichtet war.
Die nächste Columne der Tafel enthält die Werthe
—8.00 +p!—p für y Draconis
—7.66 +p'— p für 35 Camelopardi
+7.96 +p'—p für An. Urs. maj.
p'— p für die drei andern Sterne
wenn p die mittlere Poldistanz eines Sterns für 1726.0 und p’
seine scheinbare Poldistanz zur Zeit der Beobachtung bezeich-
net; bei der Berechnung der Grössen p—p habe ich mich
einer Tafel bedient, welche dieselben Glieder enthält, wie meine
vom 22. Juli 1869. 617
Reductionstafeln für 1750—1840,') ausserdem aber noch das von
2« abhängige Glied (+0'0813 cos «sin 2 — 00886sin«cos2()
berücksichtigt, während Eigenbewegungen in den hier gege-
benen. Zahlen noch nicht enthalten sind. An einer spätern
Stelle habe ich für y Draconis die Eigenbewegung berück-
sichtigt, die ich zu jährlich 0018 nach Süden annahm; die
unbedeutende Eigenbewegung von 55 Camelopardi, die sich
nicht sehr sicher bestimmen läfst, in der Zeit, welche die Be-.
obachtungen Molyneux’s umfassen, aber jedenfalls nicht mehr
als 0'!05 betragen hat, habe ich überhaupt vernachläfsigt, ebenso
eine etwaige Eigenbewegung der Anon. Ursae maj., die auch
nur ganz unbedeutend sein kann.
Die dann folgende Columne gibt die Differenz der beiden
vorhergehenden (B.-R.) für y Draconis, 35 Camelopardi und
die Anon. Ursae maj.; addirt man zu den für y Draconis ge-
gebenen Differenzen noch —0”’19 —0'023 (t —1726), so er-
hält man die kleinstmöglichen Fehler, welche die Einführung
der jetzt allgemein angenommenen Werthe der Reductionscon-
stanten in diesen Beobachtungsreihen übrig läfst, wenn man
den Collimationsfehler des Instruments als unveränderlich an-
nimmt. — Die Tage sind in der Tafel ebenso angegeben, wie
bei Molyneux, und theilweise bürgerlich gerechnet.
!) Tabulae quantitatum Besselianarum pro annis 1750 ad 1840
computatae. Petropoli 1869.
Gesammtsitzung
613
800 30 . Pe ee Sl iur "9
93 8900- "IEOEF | 8805 i "De
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624 Gesammtsitzung
Von den 92 Beobachtungen von y Draconis hat Busch 28
stillschweigend ausgeschlossen (mit Ausnahme der ersten vier,
für deren Ausschlufs er einen, übrigens unzureichenden, Grund
angibt), seine Aberrations-Bestimmung also auf 64 ausgewählte
Beobachtungen gegründet und diese mit den m. F. einer Be-
obachtung = = 0'542 dargestellt. Ich vermag in seiner Aus-
wahl indefs ein Prineip nicht aufzufinden. Die Beobachtungen,
welche an beliebigen Puncten des Horizontalfadens angestellt
sind, ehe die Beobachter die Krümmung der Bahn der Sterne
im Gesichtsfelde bemerkten, sind vollkommen zuverlässig, so-
bald die Einstellungzeit sich ermitteln läfst. Die sonst zur
Beurtheilung der anscheinenden Sicherheit der Beobachtungen
dienlichen Angaben der Beobachter habe ich in die Tafel auf-
genommen. Danach werden nun von den von Busch ausge-
schlossenen Beobachtungen die folgenden durch gar nichts,
wenn nicht durch stärkere Abweichungen a posteriori, als
weniger zuverlässig gekennzeichnet, und sind daher mit vollem.
Gewicht mitzunehmen:
1725 Dee. 12, 1726 März 22, April 22, Oct. 11, Oct. 26;
1727 Juli 20, Sept. 23;
dagegen haben von den übrigen 21 wegen der dabei gemachten
Bemerkungen 16 ein geringeres Gewicht zu erhalten, während
die letzten 5 am besten ganz ausgeschlossen werden; ich habe
angenommen:
Gew. 4 für 1725 Dec. 5, 11; 1726 April 23, Mai 14,
Juli 15, Aug. 26.
Gew. 4 für 1726 April 13, Mail, 25, Juni 9, Juli 8,
Nov. 20; 1727 Febr. 5, Sept. 3, 27, Dec. 29.
Ir
und ausgeschlossen, mit Ausnahme der nur sehr stark ab-
weichenden letzten Beobachtung wegen des Zusammentreffens
starker Fehler mit der ausdrücklichen Bemerkung der Un-
_ sicherheit:
1725 Dee. 17; 1726 Juni 10, Juli 2; 1727 Juni 6, Aug. 1.
Von den 64 von Busch mit gleichem Gewicht benutzten
Beobachtungen müssen dagegen 11 der Bemerkungen wegen
ein geringeres erhalten; ich habe angenommen:
vom 22. Juli 1869. 625
Gew. 4 für 1726 Mai 31, Juni 6, 12, Juli 1, Sept. 11,
15, 25; 1727 Mai 8.
Gew. 4 für 1726 April 24, Sept. 8; 1727 Juli 31.
Von den Beobachtungen von 35 Camelopardi mufs die
letzte (1727 Febr. 11.) ausgeschlossen werden; die andern 11
geben Gleichungen von demselben Gewicht wie die guten Be-
obachtungen von y Draconis, und ebenso die fünf Beobach-
tungen der Anon. Urs. maj. Dagegen können die beiden an-
dern telescopischen Sterne und r Persei keinen Beitrag zur
- Aberrations-Bestimmung liefern. —
Eine Unterscheidung der Beobachtungen, je nachdem sie
von verschiedenen Beobachtern (die in der obigen Tafel mit
B. und mit G.- bezeichneten Beobachtungen sind von Bradley
resp. Graham gemacht), oder mit verschiedenen Blendungen
des Objectivs gemacht sind, habe ich nicht vorgenommen, da
sich eine Abhängigkeit von diesen Umständen nicht zeigt. —
Erfordert nun die Aberrations-Constante 204451 die Ver-
besserung #, und ist die Parallaxe von y Draconis — r, so
erfordern die berechneten p— p die folgenden Verbesserungen:
für y Draconis: + (9.9850) zcos(O + 1°59')
— (9.9850) sin(O + 1°59)
für 35 Camelopardi: — (9.6740)zc0s(O + 7° 8’)
für An. Urs. maj.: — (9.7800) zsin(& + 27°14’)
Die Coefficienten (b und c) von z und r, so wie die von 1726.0
an gerechnete Zeit (r), mit welcher eine weitere Constante A
- zu multipliciren wäre, finden sich in der folgenden Tafel, in
welcher die Tage sämmtlich nach astronomischer Rechnung
(jedoch nach altem Stil) angesetzt sind. Die Gröfsen „n“
sind die Grölsen „B.-—-R.“ der frühern Tafel, für y Draconis
nach Abzug der oben erwähnten Eigenbewegung.
626
Bedingungsgleichungen für y Draconis.
1725
Dee, ı9
20.
1726
Jans 24
Febr. 12.
März 5.
20.
Juni 1.
30.
Jul 2 0,
2
10.
Il.
16.
7
ts
— 0,47,
20.18
1.80
20.41
—+1.25
—0.21
—+0.06
—0.08
—0.08
+0.63
—+0.25
—0.33
—+1.37
—0.61
—1.35
—+0.65
—+0.20
—0.48
—+0.64
—+1.05
—+0.13
—+0.13
—0.33
—+0.10
+0.29
—0.14
—0.02
—+1.06
—+1.58
.—+1.23
—+0.46
—+0.28
—0.45
—+0.02
—0.07
—0.07
—0.31
+0.23
—0.09
—+0.81
—1.68
Gesammtsitzung
b
—0.057
—-0.044
—+0.061
—+0.146
—+0.214
—+0.423
—+0.895
—+0.966
—+0.940
—+0.937
+0.846
—+0.838
—+0.776
—+0.736
—+0.680
—+0.667
+0.656
—+0.568
—+0.450
—+0.387
—+0.250
—+0.219
—+0.189
—+0.123
—+0.108
—+0.029
—+0.012
—0.005
—0.020
—0.037
—0.052
—0.069
— 0.084
—0.101
—0.133
—0.179
— 0.273
—0.303
—0.354
— 0.349
— 0.363
—0,579
c
—+0.964
—+0.964
+0.964
—+0.955
—+0.942
—+0.868
—+0.370
—+0.027
022
— 0.237
—0.465
— 0.480
— 0.326
—0.626
—
—0.699
—0.709
—0.782
—0.865
—0.885
—0.933
—0.941
—0.947
—0.958
—0.960
—0.966
—0.966,
—0.966
—0.966
—0.966
—0.964
—0.964
—0.962
—0.962
—0.957
—0.949
—0.927
—0.917
—0.907
—0.901
—0.895
—0.889
T
2001
—0.025
—0.022
—0.009
—+0.002
0.038
0.150
10.207
.—+0.248
—+0.251
+0.291
+0.294
—+-0.313
—+0.324
—+0.338
—+0.341
+0.343
—+0.363
—+0.390
—+0.398
—+0.423
—+0.428
—+0.433
—+-0.445
—+0.447
—+0.461
—+0.464
—+0.466
—+0.469
+0.472
—+0.475.
—+0.477
—+0.480
—+0.483
—+0.488
—+0.496
—+0.513.
—+0.518
—+0.524
+0.526
+0.529
+0.532
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—0.05
—0.51
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+0.21
—+1.33
—+0.42
+0.77
—+0.59
—+0.51
—1.10
—0.59
—0.07
—+0.21
—0.47
—+1.05
—+0.58
—+0.44
—+0.75
—+0.14
— 0.82
—0.23
—+0.25
—+0.25
+0.38
—+0.44
1.08
—+0.70
—+1.24
= 1.01
—0.48
—0.44
—+0.62
—+0.39
—+1.62
—+0.65
—+0.60
+0.97
—0.66
—0.35
—+1.03
—+1.38
—0.10
b
—0.393
—0.437
—0.465
—0.479
—0.495
—0.520
—0.560
—0.599
—0.796
—0.832
—0.932
—0.937
—0.944
—0.947
—0.958
—0.963
—0.965
—0.966
—0.966
—0.966
—0.963
—0.962
—0.956
—0.933
—0.923
—0.9183
—0.901
— 0.828
— 0.772
—0.672
—0.311
—+0.292
—+0.830
—+0.925
—+0.178
—+0.032
—+0.015
—0.017
: —0.066
—0.607
—0.620
— 0.745
—0.756
— 0.804
vom 22. Juli 1869.
c
—0.832
—0.862
—0.846
—0.839
—0.831
—0.814
—0.787
—0.758
—0.523
—0.492
—0.253
— 0.237
—0.206
- 9189
—0.124
—0.076
—0.042
—0.027
—0.010
—+0.022
—+0.072
0039
—+0.138
—+0.252
—+0.284
+0.297
—+0.348
—+0.497
—+0.580
—+0.694
—+0.914
0.921
—+0.495
0.279
—0.950
—0.966
— 0,966
—0.966
—0.964
—04152
—0.741
—0.615
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628
Gesammtsitzung
1727 n b
Aug. 22. +0.10 —0.917
Sept. 3. -+1.70 —0.960
4. 0.55 —0.961
23. —0.55 —0.942
27. —0.09 —0.935
—1.17 +0.338
Bedingungsgleichungen
n
0.09
1726 Jan. 7.
Febr. 3. —0.92
12. —0.37
20.- —0.20
Sept. 27. —+0.73
Nov. 26. -+0.84
Dec. 26. —-0.43
3l. -+0.58
1727 Jan. 15. -+0.14
23, 702%
Febr. 5. -+0.01
Bedingungsgleichungen für Anon.
N
1726 März 20. —0.34
26.0005
27. +0.47
1721. .Jan.+292- 2084
Febr. 26. -+0.18
C
—0.303
—0.113
—0.096
—+0.216
—+0.279
+-0.905
b
—0.275
— 0.421
— 0.449
—0.465
—+0.435
—+0.059
—0.187
—0.225
—0.326
—0.399
—0.427
b
—0.571
—0.419
—0.426
+0.125
—0.166
T
—+0.050
—+0.124
—+0.148
—+0.170
—+0.771
—+0.935
—+1.017
—+1.030
+1.071
—+1.109
—+1.128
Pf ee
für 35 Camelopardi.
Ursae ma).
T
+0.247
+0.263
+0.266
—+1.110
—+1.186
vom 22. Juli 1869. | 629
Bezeichnet man noch die Verbesserungen der bei der Bil-
dung der „n“ angenommenen Abstände für 1726.0 (—8'00,
— 7.66 und -+7'96) mit x, « und &”, und die Coefficienten
dieser Unbekannten mit a, @ und a’, so erhält man mit Be-
rücksichtigung der oben angegebenen Gewichte:
aus den 87 Gleichungen für y Draconis
[eaa]=+-70.250 [dd]=-+31.070 [cc]=+34.460 [rr]=+-48.244
[ad] =— 16.976 [de]=-+ 3.078 [er)=—17.528 [n]=+ 8.333
[ac]=—24.698 [dr]=—20.384 [en]=— 1.465 [nn]= 25.9789
[ar]—=+-48.318 [dDn]=— 4.334
[ar]=+11.041
aus den 11 Gleichungen für 35 Camelopardi
[da] = +11.000 [dd]= -+1.396 [rr]= +7.278
[a'b’] = — 2.680 [dr] = —1.5513 [FR] = -+1.163
[a’r] = + 7.553 [bn] = +1.047 [nn] = 2.3838
[a’n] = + 0.020
aus den 5 Gleichungen für Anon. Ursae ma).
[aa] = +5.000 [dd] = -+0.539 [77] = + 2.838
[a"d] = — 1.257 [dr] = — 0.373 [rn] = —0.025
Pe 30723 [dr] = — 0.113 [rn] —= 0.4290
[@’n] = + 0.020
Damit ergeben sich folgende Werthe der Unbekannten: .
a—= 0.118 dd = —0!072 a’ —0\061
z = +0'0165 Gew. 24.026 |
z= +0.0980 „ 25.361
A='4+0.1128 „ 15.700
[nn.6] = 27.1225 m.F. für Gew. 1 = #+0'5288
Die Einführung der wahrscheinlichsten Werthe der Eigenbe-
wegungen würde den für A gefundenen Betrag etwa 0'005
verkleinern. Da die weiter unten abzuleitende Eigenbewegung
von y Draconis, auf welche es hier fast allein ankommt, nicht
wohl mehr als =0'005 fehlerhaft sein kann, so würde der
Werth von A eine der Zeit proportionale Änderung des Colli-
mationsfehlers anzeigen, welche in dem ganzen Zeitraum, den
die Beobachtungen umfassen, 022 erreicht hätte. Dieser Werth
ist aber nicht einmal so grols wie sein mittlerer Fehler, die
630 Gesammtsitzung
Beobachtungen deuten also eine Änderung des ara
fehlers von dieser Form nicht an.
Kehrt man daher wieder zu der Annahme der Unverän-
derlichkeit des Collimationsfehlers zurück, so gibt die Auflö-
sung ohne Berücksichtigung von A folgende Werthe: |
a= +0'186 ad = —0'002 a" = 0'000
z = —0'”0163 Gew. 27.609 m.F. =#0'1005
== 4-0,0919-- 4:5 25473 1. ,z=E0U1048
[nn.5] = 27.3223 m.F. für Gew. 1 = =0'5230
Der wahrscheinliche Fehler einer Beobachtung vom Gewicht 1
ist hiernach nır = =0'356. Diese Gröfse gibt den Ge-
sammtbetrag der Fehler in der Einstellung des Sterns an dem
nur 65 Mal vergröfsernden Fernrohr und der Einstellung des
Loths, und der, wenn auch wahrscheinlich in engen Grenzen
gebliebenen, doch ohne Zweifel vorgekommenen Schwankungen
des Collimationsfehlers; sie zeigt, dafs die Molyneux’sche Be-
obachtungsreihe eine Genauigkeit besitzt, die in Beobachtungen
absoluter Zenithdistanzen erst nach mehr als hundert Jahren
wieder erreicht worden ist.
Die Aberrations-Constante ergibt sich also aus den Be-
obachtungen in Kew = 20.4283 =0'0678 — Betrag und
wahrscheinlicher Fehler unter der Voraussetzung der Richtig-
keit des Werths einer Schraubenumdrehung = 16.973 — und
die Parallaxe von y Draconis = +0'0919 =0'0706.
Ich werde nun die genaue Bestimmung des Werths einer
Schraubenumdrehung vornehmen, und zunächst die für r Persei
und % Draconis beobachteten Declinationen zusammenstellen,
reducirt auf das System meines Normal-Catalogs vermittelst
der A. N. 1536 gegebenen Relationen, und auf das Aequinoc-
tium von 1835 vermittelst der Struve’schen Praecession.
631
vom 22. Juli 1869.
8T’0+r
01°0—
70°0+
860
11°0—
b 07
76'0r+
2 U:
860+r
070
07°0+
69°0+
670
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86'0+
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16° 1%
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6°G821
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Aojpeag,
Aojpeag
Aojpeag
'goag
-HNSÄHISST SO
“IN
Bemerkungen.
Aus den Sectorbeobachtungen in Wanstead (1727 — 1729)
und Greenwich berechnet (mit der Polhöhe 51° 28’ 38’2).
Declination der Fundamenta, corrigirt wegen des Fehlers in der
1, 2.4,
3.
Polhöhe und den Constanten der Aberration und der Nütation.
Auf den Normalcatalog reducirt mit Berücksichtigung des periodi-
3.
schen Gliedes (Vierteljahrsschrift der Astr. Ges. IL p. 17. 18).
632 Gesammtsitzung
Die Epoche genauer zu ermitteln habe ich bei der Geringfügig-
keit der Eigenbewegung für überflüssig gehalten.
8. Nach dem General Catalogue; der zweite Specialcatalog, der die
17 Beobachtungen sämmtlich enthält, würde 0733 mehr geben.
14. „Neue Folge“, mit derselben Reduction, wie der erste Rümker-
sche Catalog. |
16. Aus Beobachtungen am Verticalkreis, nach handschriftlicher Mit-
theilung von Hrn. Geheimrath Struve.
17. Nach „Observ. ope instr. transit. port. instit.“ p. (112), ohne Re-
duction.
Ich habe aus diesen 17 Bestimmungen folgende Resultate,
ohne Unterscheidung von Gewichten, abgeleitet:
Decl. x Persei 1835.0 = + 52° 4’ 51'.765 & 0'093
Jährliche Eigenbewegung = — 0''00509 = 000224
Damit bleiben die in der Col. B.-R. aufgeführten Fehler übrig,
welche den w. F. einer Bestimmung —= =0'343 ergeben. Die
Declination für 1726.0 wird hiernach für Aeq. 1835 —=52°4’52''52
und für das Aequinoctium der Epoche —= 51° 36’49'!99 & 0'020.
633
vom 22. Juli 1869.
08°07
1705
T2'0+
1607
cE0—-
70°0+
10 0
DU
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80°0+
810
86 0
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790%
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72'688
12'858
81'858
0688
69° 28
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97°08
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86'885
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06681
02,581
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(191119A9rJ)
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(AımeW)
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II 1 9 Auv
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SSPLIYWOOLZ
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ouAJoyseN
oudfogseN
Aajpeag
Aojpeag
kapeag
"qoog
SI.
ee
-
-"soso4son
Zu den Deelinationen Nr. 1—7 und 19 ist dasselbe zu be-
den entsprechenden von r Persei (Nr. 3 ist die
Quadranten-Declination), wegen der Ableitung einiger der an-
dern verweise ich auf A. N. 1549.
wıe zu
merken,
Man erhält aus den 27 Bestimmungen
055
„
.
+51° 30’ 4072110
— 002263 = 000142
Decl. y Draconis 1835.0
Jährliche Eigenbewegung
634 Gesammtsitzung .
und damit die vorstehenden Werthe B.-R., woraus der w. F.
einer Bestimmung = =#0\262 folgt. Die Deelination für 1726.0
wird hiernach für Aeg. 1835 — 51° 30’ 42/68 und für das
Aequinoctium der Epoche = 51° 32’ 364 &0'134,
Die Differenz der mittlern Declinationen von r Persei und
y Draconis betrug also am Anfang des Jahres 1726
286.35,.32.0255,
Für r Persei sind nun, zufolge der obigen Tafel, in Kew
die folgenden Abstände beobachtet, wenn man 1®— 16'973
annimmt:
Beob. p—p 1726.0 Abw.
1735 . Deeemhi: 4: —307. 512. 213.700 our
18.- =311.29° 415.65 %.2295.647 2.2070
24. —319.34 —+16.26 9296.08 114
27. :—310.40 +1659
1796 Januar: 3.2 230 BE As Fa
7. 31210 + +17208 oa ar
15. 313.80 -+17.07 29673 —1.79
(Novemb. 27. —320.65 -+30.38 —290.2° +4.67)
(Decemb. 25. —322.26 -+34.07 —288.19 -+6.75)
Ich habe hiernach den mittlern Abstand für 1726.0, nach
den Beobachtungen von 1725 December 4 — 1726 Januar 15,
— — 294.94 angenommen, indem ich der Beobachtung vom
24. Dec. 1725 halbes Gewicht gab. Es ist an diesem Tage
nämlich keine Einstellung des Loths vorgenommen, woraus
eine Unsicherheit in der Reduction dieser Beobachtung ensteht,
die jedoch nicht so grols ist, dafs sie zum gänzlichen Aus-
schlufs derselben nöthigte. Die Angaben der Schraube bei der
Einstellung des Loths waren an den zunächst liegenden Tagen
Dec. 17. 9P75 Dec. 27. 7P50
18. 8.60 Jan. 3. 9.00
21. 8.17 „ 10.45
und ich habe hiernach für Dec. 24. 7P80 angenommen. — Die
beiden letzten Beobachtungen mufsten dagegen völlig ausge-
‚schlossen werden, weil bei denselben der Stern so weit nörd-
lich stand, dafs die Absehenslinie des Fernrohrs ihn nicht
mehr völlig erreichen, derselbe vielmehr nur noch mit dem
Horizontalfaden in Berührung gebracht werden konnte, Bei
der letzten Beobachtung ist bemerkt, dafs der gemessene Ab-
vom 22. Juli 1869. 635
stand deshalb 2’ oder 1''5 zu klein sein möchte. Nach der
obigen Berechnung ist nun der Fehler bei beiden Beobach-
tungen viel grölser gewesen; wollte man dieselben, was ich
nicht für erlaubt halte, nach Anbringung einer Correetion —
die indefs, nach der Beschreibung dieser Beobachtungen und
den sonst über die Erscheinung der Sterne vorkommenden Be-
merkungen, gröfser zu schätzen wäre, als Molyneux am 25. De-
cember angibt, für die erste Beobachtung vielleicht zu —2”
und für die letzte zu —4’ — irgend ein Gewicht beilegen, so
würde ihre Vereinigung mit den übrigen die absolute Gröfse
des Mittels — 29494 verkleinern. Ebenso würde dieses Mittel
eine positive Correction erhalten müssen, wenn die erste Be-
obachtung, bei der die Zeit der Einstellung nicht angegeben
und die vor der Bemerkung der Krümmung im Wege der Sterne
durch das Feld angestellt ist, etwa nicht in der Mitte desselben
gemacht sein sollte. In keinem Falle kann also der Abstand
von 29494 für 1726.0, in welchem r Persei nördlich durch-
gegangen ist, aus den vorliegenden Beobachtungen mit dem
Schraubenwerth 16'973 gröfser herausgebracht werden.
Um den correspondirenden Abstand für y Draconis zu
finden, habe ich, um hier die Voraussetzung der Constanz des
Collimationsfehlers in längern Perioden zu vermeiden, mich auf
dje ersten 10 Beobachtungen dieses Sterns beschränkt, 1725
Dec. 5 — 1726 März 22. Von diesen ist früher die Beobach-
tung 1725 Dec, 17. ihrer starken Abweichung wegen, während
der Stern bei der Beobachtung sehr schwach und undeutlich
gesehen war, ausgeschlossen, und die Beobachtungen am 5. und
11. Dec, haben halbes Gewicht erhalten. Bleibt man auch
hier bei diesen Festsetzungen stehen, so hat man Folgendes:
Beob. p—p' 1726.0 Abw.
ee era 669. 2198
11. 0.00 erg 87 20087
12. Oz a 818 098
—-
21. + 3.63 —12.04 —8.41 —0.51
1726 Januar 3. + 9832 —16.57 —6.75 +1,15
Februar 13. -+18833 —27.09 —83.21 —0,31
März 6. +21.093 —28.97 —7.94 —0.04
21. +20.45 —283.53 —8.08 —0.,18
22. +20.33 —28.46 —8.08 —0.18
[1869.) 46
636 Gesammtsitzung
und im Mittel den Abstand für 1726.0 = —7'90. Die aus-
geschlossene Beobachtung weicht hiervon um —1’'90 ab. —
Den m. F. einer Beobachtung vom Gewicht 1 habe ich
oben = #0'528 gefunden. Berechnet man denselben aber
nur aus den Abweichungen der hier benutzten 7 resp. 9 Beob-
achtungen von ihren Mitteln, so findet man erheblich mehr,
nämlich für r Persei #&1'”13 und für y Draconis =0'59.
Werden diese Werthe angenommen, indem in der That die
Beobachtungen am Anfang etwas weniger genau ausgefallen
zu sein scheinen, als später, so sind die m. F. der beiden ange-
nommenen Mittel resp. #043 und #021, und ihre Diffe-
renz ist |
28704 & 0'321.
Diefs ist also die beobachtete Differenz für 1726.0, wenn man
den Schraubenwerth =16'.973 annimmt, und es ist im Ein-
zelnen gezeigt, dafs alle allenfalls möglichen von deu meinigen
abweichenden Annahmen über einzelne der benutzten Beobach-
tungen oder ihre Gewichte diese Differenz verkleinern wür-
den. Die Substitution des wahrscheinlichsten Mittels aus allen
Beobachtungen von y Draconis für den hier angenommenen
Abstand für 1726.0 würde dieselbe, man mag den Collima-
tionsfehler constant oder der Zeit proportional sich ändernd
annehmen, nur um einen geringfügigen Bruchtheil ihres w. F.
vergrölsern. |
Nach den absoluten Deeclinations - Bestimmungen mufs nun
diese Differenz die Correction
— 0.69 = 0'410
erhalten, welche für einen beobachteten Bogen von 3230 oder
19R0P5 anzubringen ist; die Correction des vorausgesetzten
Schraubenwerths beträgt also — 0'03626, oder es ist
1 > 16.985674. = 002155
Hiernach sind 42 Umdrehungen = 1.0041 engl. Zoll gewesen,
oder es sind auf einen Zoll 41.829 Umdrehungen gegangen,
Molyneux’s Angabe bestätigt sich also innerhalb plausibler
Fehlergrenzen. — |
Alle im Vorstehenden aus den Beobachtungen abgeleiteten
Grössen sind also mit dem Factor
0.99786 = 0.00127
vom 22. Juli 1869. 637
zu multiplieiren.') Die Resultate der Beobachtungen von y
Draconis, 35 Camelopardi und der Anon. Ursae maj. werden
damit: |
!) Der Correctionsfactor für den von Busch für eine Schrau-
benumdrehung angenommenen Werth ist hiernach = 1.00408.
Die Aberrations-Oonstanten, welche er als Resultate der Moly-
neux’schen Beobachtungen angibt, erfordern aber aufser der
Multiplication mit diesem Factor noch eine weitere Verbesse-
rung, indem die aus den Beobachtungen hervorgegangenen Glie-
der seiner Normalgleichungen („Reduction ...* pag. 16) ver-
kehrte Zeichen haben. Nach Verbesserung dieses letzten Feh-
lers erhält man mit © = 0.025733 statt der pag. 17 gegebenen
Zahl (202527): 20.2197, und statt der pag. 21 gegebenen
(20''2495) mit (—=0.029740 (der Endwerth, p. 22, ist /—=0.028391):
20.2167. Die Abänderung des Schraubenwerthes fügt hierzu
die Correetion +0'0825, so dafs also die Aberrations-Constante
20.2992 würde, 0'0859 weniger, als ich oben gefunden habe.
Ich habe nun noch eine Berechnung ausgeführt, bei wel-
cher ich ebenfalls nur die 64 von Busch benutzten Gleichungen
von y Draconis, und diese alle mit gleichem Gewicht genom-
men habe. Es wurden dann die Normalgleichungen:
—+ 64.000 2 — 17.6052 — 27.8217 = + 12.210
— 17.6052 + 28.3992 + 4.377 = — 2.990
— 27.3212 + 4.3772 + 31.2997 = — 4.793
und hieraus ergibt sich:
x = +0'2094 Gew. 32.50 m. F. =#0'0873
z = +0.0199 „7.28.00 0.1087
z = +0.0302 „4878 0.1204
also die Aberrations-Constante — 20.4650 mit dem Werth
18 — 16'973, und nach der definitiven Bestimmung dieses
Werths = 20'4212, oder 01220 gröfser, als nach Busch’s
Berechnung derselben Beobachtungen mit den obigen Verbesse-
rungen. — ’
Die Quadratssumme der übrig bleibenden Fehler beträgt
16.5812, also der m. F. einer Beobachtung =0'521. — Lälst
man x fort, so findet man aus diesen 64 Gleichungen =—+0'0157
(m. F. #0'1066), 27 = 16.5983, m. F. einer Beobachtung
0.517; mit z=z=0 würde 37 = 16.6041, der m.'F. einer
Beobachtung —= =0'513 werden. — |
Alle 92 Beobachtungen von y Draconis würden, ohne Un-
terscheidung von Gewichten, folgende Gleichungen geben:
+ 92.000 — 20.567 2 — 32.0267 —= + 17.400
— 20.5672 + 38.3512 + 3.5607 = — 8.046
— 32.0262 + 3.5602 + 47.4797 = — 8.128
46*
638 Gesammtsitzung
Aberrations-Constante = 203851 & 0'0725
Parallaxe von y Draconis = + 00917 = 0'0705
Mittlerer Abstand vom Nullpunet 1726.0:
y Draconis —= — 780
35 Camelopardi = — 7.65
Anon. Urs. maj. = + 7.94
Die beiden kleinen Sterne zwischen Drachen und Hercules
sind nach den Annahmen der frühern Tafel in folgenden Ab-
ständen vom Nullpunet beobachtet: |
Beob. PP 1726.0 Abw.
1726 April 22. —0’44753 —19!15 — 173768 —+095
23. —0 46.13 —18.84 — 14.97 —0.34
24. —0 46.73 —13.52 — 15.25 —0.62
1726: April221# 123’ 5959» BeiggV 127 ZU TeT
93.7 10272 EINEN TEE TI
24. —4 2.82 —19.52 —4 22.34 —1.49
Die Sterne waren eigentlich bereits etwas zu schwach für das
Instrument, namentlich der zweite, weshalb diese Beobach-
tungen weniger genau sind. Im Mittel geben sie die Abstände
für 1726.0 = —1’4'63 und —4'20'85, welche Werthe durch
die weitere Verbesserung des Schraubenwerths noch die Correc-
tionen +0”10 und +0'52 erhalten. Die Abstände für 1726.0
sind also für
Anon. 5 —= — 1’ 453
Anon. 729 —= — 4 20.33
Die Declination, auf welche die Absehenslinie des Fern-
rohrs bei der Einstellung des Loths gerichtet gewesen ist, er-
gibt sich aus den Beobachtungen von y Draconis mit der
oben abgeleiteten Declination dieses Sterns =51°31’55’84.
und daraus
2 = +0.1556 z= —0'/1506 = — 0.0699
[nn.3] wird hier aber = 50.3190, also der m. F. einer Beob-
achtung —= = 0'752, und die m. F. von = und von = resp.
=0”1301 und #0'”1254; das Resultat dieser Auflösung hat
nur den Werth, die im Text getroffene Festsetzung der Ge-
wichte zu rechtfertigen.
vom 22. Juli 1869. 639
Man erhält daher aus den Kew-Beobachtungen folgende wei-
tere Declinationen für 1726.01):
35 Camelopardi 51° 32’ 3!49 11 Beobb.
B. D. 51°?1488 51 3147.90 Hin Mt,
B.D431232115:» 51: 33).0.37 3
B. D. 51.2141 51 3616.17 3
Gegen die Bestimmung des Schraubenwerths aus den Be-
obachtungen von y Draconis und r Persei, auf welcher die
hier abgeleiteten Resultate beruhen, und auf welche man meines
Erachtens unabweislich recurriren mu[s, wenn man aus den
Kew-Beobachtungen ein nicht völlig in der Luft schwebendes
Resultat für die Aberrations-Constante ableiten will, lassen sich
einige Bedenken vorbringen, die ich nicht unterlassen darf so-
gleich zu entkräften, um den Nachweis, den ich als das eigent-
liche Ergebnils der hier vorgelegten Untersuchung betrachte,
dafs die Beobachtungsreihe am Zenithfernrohr in Kew sich
mit Struve’s Aberrations-Constante in vollständiger Überein-
stimmung befindet, völlig concludent zu machen.
Was zunächst die aus den absoluten Declinations-Bestim-
mungen gefundene Differenz zwischen den Declinationen von
* Persei und y Draconis für 1726 betrifft, so geht in dieselbe
eine empirische periodische Correction mit beträchtlichem Ge-
wichte ein, welche die Sector-Beobachtungen in Wanstead zu .
erfordern scheinen. Für die Differenz r P. — y Dr. habe ich
diese Correction — — 108 angenommen, und hauptsächlich
!) Eine Vergleichung der Declination von 35 Camelopardi
mit den sonst vorhandenen Beobachtungen findet sich weiter
unten. Die drei Anonymae kommen nur bei Lalande und in
Argelander’s Zonen vor; die Cataloge geben für 1726:
B. D. 51°?1488 Lal.(Fedor. 1446) 1790.1 51°31’47'35 1B.
A. Z. 86. 99.190. 1842,5 op ale ee
B. D. 51°2115 Lal. 30282 1790:5:519337,,043 1... BE
A.2.6. a ea WE
RER TEE
B. D. 51°2141 Lal. 30791 1790.4 51°36’24”6 1B.
A. 2.6. 18414 19 lbs
640 Gesammtsitzung
aus diesem Grunde jene Differenz für 1726.0 schliefslich 0.62
kleiner gefunden, als bei der an früherer Stelle erwähnten vor-
läufigen Bestimmung, bei welcher ich noch nicht meine Re-
duction der Wanstead-Beobachtungen benutzen konnte, Wollte
man diese Correction für nicht gerechtfertigt halten, so würde
die betr. Differenz für 1726 grölser angenommen werden
müssen, also auch der Schraubenwerh und die ee
Constante noch wachsen.
Berechnet man nun mit Annahmen, die hiernach, wenn
sie nach einer Seite hin sich von den wahrscheinlichsten ent-
fernen, diefs nur zu Gunsten des Molyneux’schen Schrau-
benwerths können, also aus der Declination des Nullpunets
—51°31’55'84 und der Declination von r Persei für 1726
—51°36’49”99 die Abstände dieses Sterns vom Nullpunet für
die einzelnen Beobachtungstage und vergleicht damit die von
Molyneux beobachteten unter der Annahme seines Schrauben-
werths, so erhält man:
Ber. Abs. Molyneux Abw.
1725 December 4. 307.87 305.61 —2.26
18. 5309.80 309.36 —0.44
24. 310.41 310.40 —0.01 (G. 4)
27. 310.74 308.48 —2.26
1726 Januar 3. 811.00 309.03 —1.97
Tall. 23 310.17 °°—1.06
15. 2311.22 311.86 +0.64
(November 27. 324.53 >318.68 —5.85+2"=+)
(December 25. 328.22 >320.26 „, —7.94+4")
Gegen den Schlufs, den ich aus der sich bier zeigenden
Differenz gezogen habe, dafs der Molyneux’sche Schrauben-
werth vergröfsert werden müsse, läfst sich nun einwenden,
dafs die beiden mit einander verglichenen Sterne zu ganz ver-
schiedenen Tageszeiten durch den Meridian gegangen sind, in-
dem ihre Rectascensionen sich um 9 Stunden unterscheiden, die
. Beobachtungen ihrer Deeclinationsdifferenz, die alle in dieselbe
Jahreszeit fallen, also durch eine tägliche Periode im Colli-
mationsfehler hätten entstellt werden können, wenn derselbe
sich mit der Temperatur geändert haben sollte. In diesem
Falle müfste aber auch eine jährliche Periode im Collimations-
a ZU
2 vom 22. Juli 1869. 641
fehler vorhanden gewesen sein, wovon sich in den Beobach-
tungen gar keine oder nur geringe Spuren zeigen. Die für
Parallaxe und Aberratiion — auch wenn man Molyneux’s
Werth einer Schraubenumdrehung annimmt — herauskommen-
den Gröfsen zeigen, dafs die Amplitude einer etwaigen jähr-.
lichen Periode einige wenige Zehntel einer Secunde in keinem
Fall überstiegen haben könnte. Noch erheblich Kleiner mülste,
zumal im Winter, diejenige einer täglichen Periode gewesen
sein, und der Einfluls einer irgend wie noch zulässigen auf
das Resultat der Vergleichung der 7 Winterbeobachtungen von
r Persei mit dem Mittel aller Beobachtungen von y Draconis,
welche bis auf 0'!09 oder 002 die von mir angewandte Diffe-
renz wiedergeben würde, kann nur wenige Hundertstel einer
Secunde erreichen.
Die Beobachtungen von 35 Camelopardi, welcher Stern in
Rectascension genau 12 Stunden von y Draconis entfernt ist,
während seine Declination zur Zeit der Beobachtungen weniger
‘als 1E von der Declination von y Draconis für 1726 abwich,
lassen es ebenfalls völlig unzulässig erscheinen, die Abweichung
von mehr als 1" von der wahrscheinlichsten Declination, welche
in den Beobachtungen von r Persei mit Molyneux’s Schrauben-
werth übrig bleibt, durch eine Änderung des Instruments zu
erklären. Die Declination von 35 Camelopardi für 1726 läfst.
sich aus den aufser den Molyneux’schen vorhandenen Beob-
achtungen nicht mit grolser Sicherheit berechnen — indem nur
wenige neuere Beobachtungen vorhanden sind, und die älteren
sich nicht in befriedigender Übereinstimmung befinden — so
dafs man eine Prüfung der Unveränderlichkeit des Collimations-
fehlers an der Differenz 35 C. — y Dr., bei welcher die Un-
sicherheit des Schraubenwerths so gut wie vollkommen elimi-
nirt werden würde, nicht vornehmen kann. Von der wahr-
scheinlichsten Declination für 1726 nach den Beobachtungen
von 1727 (Wanstead) bis 1354, wofür ich 51°32’1'77 finde'),
") Es sind folgende Bestimmungen der Declination von
35 Camelopardi vorhanden:
642 Gesammtsitzung
weicht das oben gegebene Resultat der Molyneux’schen Beobach-
tungen nicht weniger als +1’72 ab (bei einer Beschränkung
der Vergleichung mit y Draconis auf nahe gleichzeitige Beob-
achtungen des letztern Sterns würde man innerhalb 0’1 das-
selbe Resultat erhalten), um eine Quantität, die bei der ausge-
Nr. Beob. Epoche Red. Deel. Aeq.Z.d.B. Decl.1755.0 B.-R.
. Bradley 1728.6 51°32'8'!45 1730 32 51°32’4329 +0'80
. Bradley 1751.8 40.23 1755 12 40.23 —1.44
. Bradley 1752.9 42.00 1755 42.00 +0.37
.Maskelyne 1768.9 57.04 1768 40.64 —0.42
. Maskelyne 1777.1 35 7.33 1777 40.25 —0.52
44.20 +3.89
41.44 41.48
39:77.-0.10
. Piazzi 1800: 33.24 1800
1
2
3
4
5
6. Lalande 1790.1 25.7 1790
7
8. Grombridge 1808.1 41.17 1810
9
10
Porn Or > He
. Argelander 1842.1 34 4.0 1842 36.53 —1.94
. Johnson 1844.6 7.89 1845 33.52 —0.06
11. Oudemans 1849.1 11.24 1849 16 39.02 +0.80
12. Robinson 1852.1 3.571840 2 37.52 —0.59
13. Airy (G.6u.7) 1853.7 14.33 1855 4 38.30 +0.25
Nr. 1, 2, 4 und 5 sind Sector-Declinationen. Die (ohne ihre —
sehr kleine — Reduction angesetzten) Positionen Nr. 6, 9 und
11 habe ich erst verglichen, nachdem ich aus den andern die
Werthe
Decl. 1755.0 = 51° 32’ 41'555 # 0'241
Jährl. Eigenbewegung = — 003546 & 000416
abgeleitet hatte, welche die Fehler B.-R. übrig lassen.
Die Sector-Declination für 1751.8 scheint verfehlt zu sein.
Die starke hier übrig bleibende Abweichung hat zwar das Zei-
chen eines angebrachten nicht unbeträchtlichen Theilungsfehlers
(—0'78), indefs ist dieser für sicher zu halten; dagegen stim-
men die einzelnen Beobachtungen (1750 — 1754) sehr wenig
überein. — Ohne diese Declination erhielte man, aus den 9 an-
dern der vorhin benutzten Gleichungen, die Declination für Aegq.
1755 — 51° 33’ 41'891 — 003951 (*— 1755), wovon .die Decli-
nation für 1726 noch —+1'27 abweichen würde. —
Piazzi’s Declination habe ich ihrer ebenfalls starken Ab-
‘weichung wegen aus der Storia Oeleste neu berechnet, aber nur
noch abweichender erhalten. Es geben nämlich 4 Beobb. 1798
Jan. 31 — Febr. 3 die Declination für 1800 ohne Eigenbewe-
gung = 51° 33’ 3428 und 2 Beobb. 1810 Dec. 23 — 24 =
51° 33’ 30''70; das Mittel würde —= 51° 33’ 3309 (Ep. 1802.4)
oder noch 0''6 gröfser als die Angabe des Piazzi’schen Catalogs.
\
4
vom 22. Juli 1869. 5
zeichneten Übereinstimmung derselben gänzlich aufserhalb des
Bereichs der zufälligen Unsicherheit liegt und wohl zum grö-
fsern Theil einer Fehlerhaftigkeit der berechneten Declination
zugeschrieben werden muls. Sie ist aber nach der entgegen-
gesetzten Seite gerichtet, wie die bei r Persei mit Molyneux’s
Schraubenwerth übrig bleibende, soweit man ihr also eine Be-
weiskraft zugestehen will, bestätigt sie die Correctheit der für
diese Abweichung angenommenen Erklärung, dafs Molyneux’s
Schraubenwerth zu klein ist. —
Meine Bestimmung des Schraubenwerths gilt für den Winter.
Welchen Werth man der Strenge nach im Sommer anzuwenden
hätte, bleibt zweifelhaft, indefs nur innerhalb sehr enger Gren-
zen. Der Construction des Instruments nach war die Entfer-
nung des Angriffspuncts der Schraube von der Drehungsachse
abhängig von der Ausdehnung des Backstein-Mauerwerks, an
welchem das Instrument befestigt war. Wäre die Ausdehnung
dieses Mauerwerks =0 gewesen, so würde, da die lineare
Gröfse einer Schraubenumdrehung im Sommer 0.000215 länger
gewesen sein wird, als im Winter (im Falle einer Tempera-
turdifferenz von 20° C.) der Sommerwerth einer Umdrehung
000365 gröfser gewesen sein. Ich habe meine Reduction mit
einem constanten Werth ausgeführt, wollte man die angegebene
Differenz berücksichtigen, so würde die Aberrations -Constante
höchstens 0'001 verschieden, und zwar gröfser herauskommen.
Der Einflufs auf die Parallaxe wird noch geringer sein.
Da aber das Rohr des Molyneux’schen Instruments von
Zinn war, so wird sich die Entfernung der Fäden von der
Drehungsachse vom Sommer zum Winter, für eine Temperatur-
änderung von 20° C., um etwa 0.126 engl. Zoll geändert haben
— welchem Betrage auch die Änderung der Brennweite des
Objectivs wohl nahe entsprochen haben wird. Um eben so
viel mülste sich, im eben besprochenen Falle, der Angriffs-
punct der Schraube auf dem Ocularring verschoben haben,
während von einer solchen Verschiebung nichts gesagt wird.
Man nimmt daher vielleicht richtiger an, dafs das Mauerwerk
der Ausdehnung des Rohrs näherungsweise gefolgt ist. Bei
vollständiger Übereinstimmung der Ausdehnungen würde aber
der Sommerwerth einer Schraubenumdrehung gleich dem Winter-
644 Gesammtsitzung
werth multiplicirt mit (10.000215) x (1—.0.000433), also
nur fast genau so viel zu verkleinern, wie in der vorigen Vor
aussetzung zu vergrössern sein. —
Indem somit nicht daran gezweifelt Fe kann, dafs
der schliefslich adoptirte Werth einer Schraubenumdrehung
correct abgeleitet ist, und in Betreff der einzigen sonst nach
Bedenken unterworfenen Voraussetzung, der Unveränderlichkeit
des Collimationsfehlers, die Einführung der jährlichen Parall-
axe So wie eines der Zeit proportionalen Gliedes völlig be-
friedigende Resultate gegeben hat, wird man auch die Aber-
rations-Constante 203851 & 00725 (die von Struve’s Con-
stante, wenigstens in deren gewöhnlicher Lesart 204451, noch
nicht um den Betrag ihres wahrscheinlichen Fehlers abweicht),
als ein Resultat der Molyneux’schen Beobachtungen ansehen
dürfen, für dessen Sicherheit der angeführte wahrscheinliche
Fehler ein zuverläfsiges Maafs gibt. Dieser wahrscheinliche
Fehler ist gröfser, als dafs dieses Resultat neben den durch
die Pulkowaer Arbeiten erlangten noch einen selbständigen
Werth beanspruchen könnte. Nicht unwichtig erscheint es mir
trotzdem, den Nachweis zu besitzen, den ich deshalb in solcher
Ausführlichkeit begründet habe, dafs zwischen den Beobach-
tungsreihen von Kew und von Pulkowa nicht, wie man bisher
geglaubt hat, ein Widerspruch, sondern im Gegentheil eine
Übereinstimmung besteht, welche vollkommen genannt werden
muls.
Was die von Bradley an seinem Zenithsector in Wanstead
gemachten Beobachtungen betrifft, deren Abweichung von der
Pulkowaer Aberration zufolge den Rechnungen von Busch für
noch viel entschiedener gehalten worden ist, so kann ich das
wahrscheinlichste Resultat derselben für die Aberrations- Con-
stante gegenwärtig noch nicht angeben, indem die neue Re-
duction, welcher ich diese Beobachtungen unterworfen habe,
_ für jetzt nur die Ableitung sicherer Declinationen aus denselben
zum Zweck hatte. Ich glaube aber nicht unterlassen zu dürfen,
gleich im Anschlufs an die obige Darstellung der Resultate aus
den Kew-Beobachtungen die am Eingang gemachte Bemerkung,
dafs Busch’s Ableitungen als Resultate der Wanstead-Beob-
vom 22. Juli 1869. 645
achtungen angesehen zu werden keinerlei Anspruch machen
können, in Betreff der Aberrations-Constante durch einige
Zahlen zu rechtfertigen.
Aus den Beobachtungen von 13 Sternen in den Jahren
1727— 1729 habe ich genäherte Werthe der Aberrations-Oon-
stante abgeleitet, und folgende Abweichungen (z) von Struve’s
Constante (204451) gefunden:
Busch
Stern Z.d.B. nr Gew. x 2.d.B.
« Üassiopejae 88 0.040 82.30 —0.552 101
a Persei 65 —0.8317 11.56 —0.592 64
ö a 35 —1.578 13.99 -+0.469 3)
Capella 141 —.1.209 4.44 —1.278 202
: 18 Camelopardi 27 —+0.710 10.51 —-1.089 30
' & Ursae maj. 46... +0.435 . 51.75: —0.229 - „Al
& “ 24 +0.538 3.89 1.658 21
Y n n 52 0.162 42.24 —0.597 60
€ ® he 76 —0.069 53.833 —0.871 118
& » 5 75 —0.066 54.01 —0.984 125
ı Herculis 58 —0.068 25.33 —0.241 64
E Draconis 49° —0.045. 33.83 0.512 55
2 Cassiopejae 86 0.274 60.12 —1.064 99
Der Einheit der Gewichte entspricht der m. F. #1’. Das
Mittel dieser 13 Bestimmungen ist x —= +0'015, oder
Aberrations- Constante = 20'460 = 0'063
oder 0'175, wenn man den w. F. aus den Abweichungen
der einzelnen Resultate von einander berechnet.
Die angeführten Werthe von = sind, indem die Beobach-
tungen vor ihrer Behandlung nach der Methode der kleinsten
Quadrate erst gruppenweise zu Mitteln zusammengezogen wur-
den, nicht ganz strenge die wahrscheinlichsten Resultate, die
man aus den Beobachtungen dieser Sterne von 1727—1729
unter der Voraussetzung der Constanz des Collimationsfehlers
ableiten kann,') kommen denselben aber jedenfalls bis auf
geringfügige Quantitäten nahe. Sie differiren dagegen um enorme
!) Diese Voraussetzung trifft zwar bei Bradley’s Zenithsec-
tor keineswegs zu, der Fehler derselben hat aber die Ableitung
der Aberrations-Constante nicht merklich beeinflufst.
646 Gesammisitzung
Quantitäten von den zur Vergleichung oben bereits angegebenen
Werthen von Busch (nach „Reduction...“ p. 23 und 24). Zu einem
geringen Theile rühren nun diese Unterschiede, aufser von der
blofs genäherten Form meiner Ausgleichung, noch von der Ver-
schiedenheit des zu Grunde gelegten Materials her, zum gröfsern
Theil aber von der Vernachlässigung der Wärmewirkung auf den
Sector durch Busch, bei fünf der verglichenen Sterne endlich
hauptsächlich von dem Umstande, dafs Busch bei diesen Sternen
(ö Persei, 18 Camelopardi, : Herculis, E Draconis und £ Cas-
siopejae, so wie aulserdem bei y Persei, © Draconis und, wie
oben bereits bemerkt, bei den Kew-Beobachtungen von y Dra-
conis) die Grölsen B.-R. mit verkehrtem Zeichen genommen
hat. —
Die Bestimmnng der Aberrations-Constante aus den auf-
geführten 13 Sternen hat kein grofses Gewicht, indem diese
Sterne unter den häufig beobachteten gerade die zu dieser Be-
stimmung am wenigstens geeigneten sind. Immerhin ist es von
Interesse zu sehen, dafs die Beobachtungen dieser Sterne im
Mittel genau mit Struve’s Aberration übereinstimmen; und in
Betreff der Gesammtheit der Beobachtungen von 1727 — 1729
(nahe drei Viertel aller in Wanstead angestellten Beobachtungen)
kann ich wenigstens angeben, dafs sich dieselben durch Struve’s
Aberration viel besser darstellen lassen, als sie Busch seinen
Angaben zufolge mit seiner gänzlich abweichenden Aberration
‚dargestellt hat. Während derselbe nämlich den w.F. einer Beob-
achtung einer Zenithdistanz von z Grad = Y0'527? + 0/281?2z
übrig behalten hat, finde ich für diesen w. F. nur den Werth
VV.A872 + 0066?zz. Busch hat aber jenen Werth erst er-
halten, nachdem er von 2165 Beobachtungen nicht weniger als
214 ausgeschlossen hat, vermuthlich alle eine viel zu eng ge-
zogene Grenze der Abweichung überschreitenden; die Constanten
seiner Formel würden also, wenn sie übrigens correct abgeleitet
wären, eigentlich noch etwa um den achten Theil vergröfsert
_ werden müssen.
.
vom Tre 647
Hr. Pertz macht die folgende Mittheilung:
Über ein unbekanntes Gesetz des Ostgothischen
Königs Theodorich.
Wenn man die kurze Dauer erwägt, welche dem Reiche
des Ostgothischen Königs Theodorich in Italien beschieden war,
so wird man durch die grofse Seltenheit oder eigentlich durch
den Mangel an Handschriften seines Edietum nicht besonders
überrascht werden. In der That ist von alten Zeiten her nur
eine einzige Handschrift desselben aufgetaucht. Um so zahl-
reicher aber, besonders seit dem 135. Jahrhundert, treffen wir
in den verschiedensten Bibliotheken Europas die Abschriften
der Variae des Cassiodor, welche als Werk eines berühmten
Römischen Senators und Rechtsgelehrten, durch die Sprache,
worin sie abgefafst waren, wie durch die Mannigfaltigkeit der
darin behandelten Geschäfte eine bedeutende Anziehung übten,
und daher an den Sitzen der Römischen Rechtsgelehrsamkeit
fleifsig abgeschrieben wurden, so wenig vorzügliche Hand-
schriften darunter auch auf uns gekommen sind. Einer neuen
Bearbeitung derselben, mit Herbeiziehung aller irgend dafür
brauchbaren Hülfsmittel seit Jahren vorbereitet, dürfen wir von
der Hand unsers verehrten Collegen Hrn. Haupt entgegen-
sehen.
Neben diesen beiden Olassen Ostgothischer Gesetze, dem
Ediet und den Variae, ward bisher eine gesetzliche Einzelbe-
stimmung vermilst. Sie hat sich jedoch in einer sehr alten
Sammlung kanonischer Bestimmungen aus dem Anfange des
6. Jahrhunderts erhalten, in welcher ich sie ermittelte. Sie
ist überschrieben: Lex data a rege Theuderico contra illos
sacerdotes qui substantia ecelesiae iure directo aut vindere aut
donare praesumunt.
Es ist also ein Befehl, oder vielmehr ein Gesetz des Kö-
nigs Theodorich gegen diejenigen Geistlichen, welche das in
ihrem Besitz befindliche Eigenthum der Kirchen durch Verkauf
oder Schenkung veräufsern möchten.
Die Verordnung ist gegeben 5. Idus Martias. Ravenne.
Venantio Viro Clarissimo Consule.
Dieses Gesetz findet sich nicht in Cassiodors Variae. Seiner
Datirung nach könnte es, unter dem Consul Venantius, in drei
648 Gesammtsitzung
verschiedene Zeitpunkte fallen. Derselbe war nach den Fasten
Consul mit Theodorich im Jahre 486, im Jahre 507 mit dem
Consul Celer, und im Jahre 508 allein.
Die Wahl unter diesen drei Jahren ist nicht schwierig:
die Verfügung ward an den Römischen Senat gerichtet; im
Jahre 488 befand sich König Theodorich noch nicht in Italien,
wohin er erst 492 aufbrach; im Jahre 507 war Venantius mit
Celer, nur 508 allein Consul, in dieses Jahr fällt also der Er-
lafs des Gesetzes.
Seine Stellung in der Ostgothischen Gesetzgebung im
5ten Bande der Leges fällt mithin:
nach dem Edictum Theodorici
und vor Cassiodors Variae.
Hr. Braun sprach über eine neue in Neuseeland
entdeckte Art der Gattung I/soetes.
Als ich der Akademie im August v. J. eine Übersicht der
australischen /soetes-Arten vorlegte, war das Vorkommen die-
ser Gattung in Neuseeland noch nicht ‚bekannt, aber es war
zu vermuthen, dafs die zahlreichen Gebirgsseen, welche sich
namentlich auf der Nordinsel befinden, ebenso wie es von den
Hochgebirgsseen Tasmaniens bekannt ist, von Isoöten bewohnt
sein möchten. Diese Vermuthung hat sich bestätigt, indem zu
Anfang d. J. von Hrn. J. Kirk, der gegenwärtig mit der bo-
tanischen Erforschung Neuseelands beschäftigt ist, in der That
eine /soetes-Art gesammelt wurde, von der mir fast gleichzeitig
durch gütige Vermittlung von Dr. Hooker in London und
Dr. Ferd. v. Müller in Melbourne Exemplare zukamen. Als
Fundort wird von Hooker der Whangape-See, von Ferd. v. Mül-
ler Waikato angegeben. Der Waikato ist ein Flufs auf der
Nordinsel, der von dem über 9000’ hohen Berge Ruapehu ent-
springt, den grolsen Taupo-See durchströmt und in seinem wei-
tern Lauf von vielen kleineren Seen begleitet ist, deren einer
der Whangape sein mag. Die .dort gefundene /soetes- Art ist
dem ganzen Ansehen nach unzweifelhaft eine ganz unter Was-
ser wachsende Pflanze, schwächlicheren Formen unserer Is. la-
vom 22. Juli 1869. 649
custris in der Tracht und Farbe sehr ähnlich, aber bei genauerer
Untersuchung in allen wesentlichen Charakteren gänzlich von
derselben abweichend, der 7. Mülleri aus dem Nordosten Neu-
hollands, der sie habituell weniger gleicht, zunächst sich an-
reihend, doch hinreichend verschieden, so dals ich sie als neue
Art unter dem Namen 7. Kirkü aufstelle. Es zeigt sich auch
hier wieder, wie ungenügend in dieser Gattung die Beurtheilung
der Arten nach oberflächlicher Untersuchung ist, wie sehr die
wenn auch noch so grofse Ähnlichkeit der Tracht täuschen
kann.
In den 5 Schlüsseln, welche ich in der Abhandlung über
die australischen Isoöten gegeben habe, reiht sich 7. Kirkü in
folgender Weise ein:
I. Nach der An- und Abwesenheit der Spaltöffnungen
unter: Stomata adsunt mit dem Beisatz: Vegetatio aquatica,
submersa.
U. Nach der Gestalt des Stocks unter: Rhizoma trilobum,
Abtheilung: Aquaticae.
IH. Nach dem Schleier unter: Velum completum clausum
ans Ende mit dem Zusatz: Sporangium velo pallido oceultum,
cellulis incrassatis nullis.
IV. Nach der Beschaffenheit der Sporen unter: macro-
sporae majores, tuberctlis minutis crebris obsitae nach ]. Siuarti
mit dem Beisatz: Diam. 0,50—0,60 Mm.
V. Nach den vegetativen Characteren unter: Statura me-
dioeris nach I. Stuarti mit dem Zusatz: Color saturate viridis,
vaginarum subfuscus.
Es ist hieraus ersichtlich, dafs I. Kirkii sich von /. Mül-
leri durch folgende Merkmale unterscheidet: Kräftigerer Wuchs,
dickere nach oben weniger fein zugespitzte dunkler grüne Blät-
ter, bräunliche Scheidenränder, bleiches Sporangium ohne dick-
wandige Zellen, bedeutend gröfsere Macrosporen mit zahlreiche-
ren dichter gedrängten nicht zusammenfliefsenden Höckern. Die
Diagnose kann in folgender Weise gefaflst werden:
Isoetes Kirkii A. Br.
Vegetatio aquatica, submersa. Statura mediocris, fere /soe-
tis lacustris. Rhizoma trifurcatum, foliorum fasciculum basi
subopertum gerens. Folia versus apicem leniter attenuata, in-
650 Gesammisitzung
tense viridia, subdiaphana, stomatibus parce instructa, faseieulis
fibrosis peripherieis carentia. Velum completum, clausum, pal-
lidum. Lingula brevis, triangulari-ovata. Sporangium oceul-
tum, pallidum, cellulis sclerenehymatieis nullis. Macrosporae
diam. 0,50—0,60 (plerumque 0,55 — 0,57 Mm.), in sicco albae
vel glaucescentes, ubique tuberculis minutis numerosissimis in-
aequalibus non confluentibus obsitae. Microsporae laeves?
Die Beschaffenheit der Microsporen ist etwas zweifelhaft,
denn reife Microsporangien sind an den vorliegenden Exempla-
ren nicht vorhanden und in der das Rhizom umgebenden, meist
aus kleinen Kieseltheilchen bestehenden Erde konnte ich nur
eine einzige Microspore mit Sicherheit unterscheiden.
In Beziehung auf die von mir in der früheren Abhandlung
beschriebene, in den Hochgebirgsseen Tasmaniens von Gunn
entdeckte /soetes Gunniü bemerke ich nachträglich, dafs Ferd.
v. Müller dieselbe auf einer Exkursion nach Tasmanien zu An-
fang dieses Jahres in grofser Menge in dem 4000’ hoch gelege-
nen Lake Fenton am Mount Field angetroffen hat. Nach sei-
nen brieflichen Mittheilungen ist die Rigidität der Blätter die-
ser Art so grols, dafs seine Reisegefährten ihr sofort den Na-
men Water porcepine (Wasserstachelschwein) gegeben haben.
Er sah Exemplare, deren Rhizom im frischen Zustand faust-
srols war, abgesehen davon, dafs oft mehrere Individuen so dicht
beisammen wachsen, dafs sie zusammenzuhängen scheinen und
ein grolses Polster bilden. Von den mir übersendeten Exem-
plaren sind die Blätter des kurzblättrigsten‘nur 4 Centim. lang,
die der langblättrigsten 8—9 Centim. Die kaffebraunen unbe-
deckten Sporangien der langblättrigen Exemplare sind gleich-
falls verhältnifsmäfsig verlängert, 6—7 Mm. lang, 44 Mm.
breit.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Zeitschrift des Ferdinandeum für Tirol und Vorarlberg. Dritte Folge.
14. Heft. Innsbruck 1869. 8.
Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft. 23. Bd. 1. u.
2. Heft. Leipzig 1869. 8.
vom 22. Juli 1869. 651
Compte-rendu de la Commission Archeologique pour lannee 1867. Nebst
“ . Atlas.. Petersburg 1868. 4.
Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. 16. Bd. Ab-
theil. I. Heft 2. Abth. II. Heft 2. Zürich 1868. 4. |
Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft. 4. Jahrg. 2. Heft.
Leipzig 1869. 8.
Memoires de lacademie des sciences de Petersbourg. Tome XII, no. 4.
5. Tome XIII, no. 1—7. Petersbourg 1868. 4.
Memorie della societa italiana di scienze naturali. Tomo U, no. 32.
"Pomo III, no. 1. Milano 1868. 4. |
Atti. Vol. XL fasc. 2. ib. 1868. 8.
Journal of the Asiatic Society. no. 151. Calcutta 1868. 8.
Proceedings. Dez. 1868. Jan. 1869. 8.
Numismatie Chronicle no. 1. London 1869. 8. |
The Homilies of Aphraates. Edited from syriac Manuscripts in the
British Museum by William Wright. Vol. 1. The Syriac Text.
London 1869. 4.
The nomenclature of diseases. London, printed for the Royal College
of Physicians. 1869. 8.
W. Bleek, A comparative grammar.
Von dem aus der Kapstadt anwesenden Hrn. Verf. überreicht.
29. Juli., Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Droysen las eine Abhandlung, überschrieben:
Historischer Beitrag zu der Lehre von den
Congressen.
Congresse zur Verhandlung über internationale Angelegen-
heiten, namentlich Friedenscongresse mit oder ohne Mediatoren
hat es gegeben so lange Staaten in dem Verhältnifs gegenseiti-
ger Anerkennung neben einander bestanden haben.
Die Congresse unsres Jahrhunderts pflegen dafür zu gelten
besonderer Art zu sein und ein neues Stadium in der Entwicke-
lung des Völkerrechts zu bezeichnen. Als ihre unterscheiden-
den Merkmale hebt man hervor, dals sie nicht blofs entstan-
dene Störungen des Friedens, des Gleichgewichts, des öffent-
lichen Rechts abthun sondern den erst drohenden Störungen
[1869.] 47
652 Gesammtsitzung
vorbeugen wollen, dafs sich in ihnen nicht blofs die unmittel-
bar Betheiligten zusammenfinden, sondern vielmehr die Grofs-
mächte als Vertreter und Hüter der grolsen Gemeininteressen
aller Staaten und Völker die Initiative ergreifen und mit den
bei dem gegebenen Fall Betheiligten oder auch wohl ohne sie
und gegen sie ihre Beschlüsse fassen, deren Anerkennung dann
von ihnen fordern und nöthigen Falls selbst auf dem Wege be-
waffneter Intervention erzwingen,
Wie wichtig immer für die politischem Bewegungen und
Hemmungen seit 1815 die Doctrin und die Praxis dieser Con-
gresse gewesen sein mag, weder beruht ihre Bedeutung darin,
dafs mit ihnen der Grund zu einer neuen völkerrechtlichen In-
stitution gelegt ist, deren Idee, wie ein berühinter Völkerrechts-
lehrer sagt, eine grofse Zukunft hat; noch sind Congresse mit
so umfassenden Tendenzen erst ein Erzeugnifs des neunzehnten
Jahrhunderts und für dessen höhere politische Begabung oder
Entwicklung ein Beweis. Vielmehr haben frührere Jahrhun-
derte unter ähnlichen Verhältnissen in der Theorie und in der
Praxis ähnliche Wege und Irrwege eingeschlagen, ein. Um-
stand, den die neuere völkerrechtliche Literatur in der Lehre
von den Congressen nicht hätte unbeachtet lassen sollen.
Ich will im Folgenden von einigen Congressen sprechen,
die in den drei Jahrzehnten nach dem Frieden von Utrecht
gehalten worden sind, und zugleich die ihnen zur Seite gehen-
den doctrinären Vorschläge anführen ausgehend von einer Schrift,
die in der völkerrechtlichen Literatur auch jetzt noch genannt
zu werden pflegt. |
Der Utrechter Congrefs bezeichnet in der Geschichte des
europäischen Staatensystems den Abschlufs einer langen nnd
wechselreichen Periode; derjenigen, in der die Staatenfreiheit
von der Universalmonarchie, erst des Hauses Oestreichs, dann
der Frankreichs bedroht geglaubt wurde. Dafs mit der staunens-
würdigen Entwicklung des Handels zuerst in ‚Holland, dann
auch in England gleichsam ein neues Machtprincip neben beiden
empor kam, gab den Gedanken des Gleichgewichts zwischen
beiden; für die Seemächte galt es, sie gegen einander balanei-
rend sich das freie Meer und den grolsen Handel zu sichern,
dessen grölste Ressorts die baltischen Küsten und die west-
.E vom 29. Juli 1869. 653
j
indischen Häfen waren. Die Gefahr, dafs die spanische Suc-
cession Amerika und die Scheldemündung in gefährliche Hände
bringen könne, trieb die Seemächte zu unermefslichen Anstren-
| gungen. England nahm endlich die Anträge Frankreichs an:
die Theilung der Erbschaft, die bourbonische Succession in
Spanien und Amerika, den ewigen Verzicht der spanischen
Bourbonen auf die Nachfolge in Frankreich. Mit dem zwei-
fachen bourbonischen Thron und der Machtmehrung Oestreichs
schien das Gleichgewicht zwischen den beiden grofsen Mächten
hergestellt; es war damit erkauft, dafs man das Gleichgewicht
der baltischen Welt Preis gegeben, Rufsland dort übermächtig
hatte werden lassen, eine Wendung, die Holland ungleich
schwerer als England traf.
Nach dem furchtbaren Doppelkriege im Osten und Westen
war Europa auf das Tiefste erschöpft und todtmüde') ähnlich
wie nach den Kriegen von 1792—1815. Es begann eine Frie-
' densperiode, die der nach 1815 auch darin ähnlich ist, dafs
wie der Wiener, so der Utrechter Congrefs unter dem Titel des
Gleichgewichts, der „juste repartition des forces“ Staatsbildungen
geschaffen hatte, welche, mit der Natur der betroffenen Länder
und der Geschichte ihrer Völker in Widerspruch, Heerde neuer
Zerrüttungen wurden.
Unter den noch währenden Stürmen jenes Doppelkrieges
hatte sich ein französischer Academiker Castel de St. Pierre
Abt von Tiron, einer der merkwürdigsten Publieisten der Zeit,
damit beschäftigt eine Organisation des Staatensystems zu er-
sinnen, die der Welt den ewigen Frieden bringen sollte. Er
ging von einem Gedanken aus, mit dem sich nach einer un-
sicheren Tradition schon Heinrich IV. von Frankreich getragen
und dem Elisabeth von England, Jacob II., die Generalstaaten
ihre Zustimmung gegeben haben sollten. Seit 1708 arbeitete
St. Pierre an diesem Entwurf, der dann 1712 in Cöln anonym
gedruckt wurde. Schon 1713 erschien eine zweite erweiterte
Auflage, in der der Verleger den Autor nannte: Die Schrift
machte aufserordentliches Aufsehn; es folgten rasch neue, wei-
ter ausgearbeitete Editionen, 1716 eine in drei Theilen; spä-
ter überreichte der Autor das als abrege umgearbeitete Werk
Ludwig XV., und in dieser Gestalt ist es in die 1733 edirte
47°
654 Gesammitsitzung
Amsterdamer Sammlung der gesammten ‚Werdeei "St. Pierres
übergegangen ?).
Die Schrift — ich folge der Ausgabe von 1713 — geht
davon aus, dafs das bisherige System des Gleichgewichts wie
es die Seemächte vertreten, des Gleichgewichts zwischen den
Häusern Oestreich und Bourbon keinen dauernden Zustand,
keinen siehren Frieden begründen könne, vielmehr immer neue
Kriege hervorrufen werde. Er stellt dar, wie unermefslicher
Schaden aus dieser steten Unsicherheit den Staaten und Völkern
erwachse; niemand, sagt er, weder die Mächtigen, noch weniger
die Schwachen sind dessen sicher, was sie haben; Prätendenten
— er denkt an Stanislaus von Polen, an den Prinzen von
ÖOranien, an die Stuarts, an den Anspruch des Herzogs von
‘Gottorp auf Schweden — finden überall Anlehnungen und bei
den Völkern bereiten Willen zu Revolutionen; vor Allem der
Handel leidet; Frankreich das an inneren Erträgen 450 Mill.
hat, könnte durch den Handel wenn Frieden wäre noch 4 mehr
150 Mill. gewinnen; England rechnet auf den Handel das Dop-
-pelte seiner inneren Erträge, die 100 Mill. betragen; Holland,
das nur 50 Mill. bringt, mehr als das vierfache, über 200 Mill.
Solehe und gröfsere Summen der Wohlfahrt der Völker zu
sichern giebt es nur einen Weg. Er empfiehlt die sämmtlichen
Staaten der Christenheit zu einer grolsen Föderation zu einigen,
ähnlich der der souverainen Fürsten und Stände im Reich, dem
Bunde der Schweizer, dem der souveränen sieben Provinzen der
Niederlande; diese Föderation würde dann repräsentirt sein
durch einen immerwährenden Oongrefs von 18 oder wie später
vorgeschlagen wird 24 Stimmen: darunter einige Collectivstim-
men, so die der geistlichen Kurfürsten am Rhein, Genuas mit
einigen kleinen italienischen Staaten, Curlands mit Danzig und
etwa den Hansestädten. Dieser CGongrefs der vereinigten Staa-
‚en Europas hat als höchste europäische Aufsichtsbehörde und
- zugleich als souveraines völkerrechtliches Tribunal zu verfahren,
allem Kriege zwischen den Staaten, allen Revolutionen in ihrem
Innern, allen Eingriffen von Prätendenten durch rechtlichen
Spruch und nöthigenfalls durch bewaffnetes Einschreiten der
aufgebotenen föderirten Mächte zuvorzukommen; seine Aufgabe
ist: alle Rechte wie sie vertragsmälsig festgestellt sind zu be-
vom: ag Juli 1869. 655
' wahren; also wie Fürst. Metternich seiner Zeit es ausgedrückt
hat: la conversation de toutes les choses legalement existantes.
Begreiflich dafs ein solcher Plan auf den Beifall der schwä-
cheren Staaten und der wie Holland sinkenden Mächte, auf die
Kreise der, schon beginnenden Humanität und Aufklärung, auf
die FERNE des Grofshandels und der mit ‚dem Frieden
rasch 'erwachsenden industriellen Speculation rechnen durfte.
Aber besafs er in gleicheın Maafse die Elemente, practisch zu
werden? |
Auf dem Wiener :Öongrefs 1815 konnte es dafür gelten,
dafs das alte legitime Europa die Revolution, von der es in
fünfundzwanzigjährigem Kampf so furchtbar heimgesucht wor-
den war, mit vereinten Kräften endlich bewältigt habe und
' fortan alle Throne das gleiche Interesse hätten die Wiederkehr
- Ähnlicher Gefahr unmöglich zu machen. Es wurde das System
der Solidarität proclamirt, das in der „Acte der heiligen Allianz“
und in der Deeclaration von Aachen vom 15. November 1818
ihren Ausdruck fand. Von wissenschaftlicher Seite her wurde
alles Ernstes ausgesprochen, dafs der Menschheit „der Gottes-
friede* gegründet sei.
Und als die Christenheit nach dem Fall Constanstinopels
dem ungeheuren Andrang der türkischen Macht zu erliegen in
Gefahr schien, konnte Pabst Pius I. in dem Congrefs von
Mantua eine Einigung aller christlichen Staaten zum Kampf
gegen die Ungläubigen versuchen, eine Wendung, die vor allem
dazu diente, die mit dem Ausgang des Baseler Conciles ein-
geleitete Restauration der päpstlichen Gewalt zu vollenden.
Eine solche Basis der Solidarität bot der Entwurf St.
Pierres nicht. Wenn er den durch den Utrechter Frieden ge-
schaftenen Besitzstand zur Grundlage machte, so war eben
dieser Frieden dadurch ermöglicht worden, dafs England die
Sache der grofsen Allianz verliefs und hinter dem Rücken der
Alliirten mit Frankreich Präliminarien schlofs, denen’ sich Hol-
land, Portugal, Preufsen Sardinien zögernd anschlossen, wäh-
rend der Kaiser nach einem neuen Feldzuge mit Frankreich in
Rastadt auf anderen Grundlagen zum Frieden kam, zwischen
dem Kaiser und Spanien überhaupt ein Friede nicht geschlossen
wurde. Wenn St. Pierres Entwurf Schutz gegen Prätendenten
656 @esammtsitzung
und Revolutionen verhiefs, so hatte England, Schweden, Hol-
land, das östreichische Italien deren zu fürchten, aber eben diefs
war ihren Rivalen genehm so wie denen, die von den Ergeb-
nissen der letzten Friedensschlüsse wenig befriedigt waren
und sich keinesweges immer bei denselben zu beruhigen ge-
dachten. Wenn der vorgeschlagene europäische Congrefs die
künftigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden sollte, so waren ja
von einer diplomatischen Versammlung Entscheide mehr nach
dem droit de convenance, wie man zu sagen begann’), als nach
dem begründeten Recht vorauszusehen; und welcher Bethei-
ligte hätte sich solchen Beliebungen des europäischen Con-
erets fügen sollen, wenn er irgend die Mittel oder Allianzen
finden konnte sich dessen zu weigern. Wenn endlich St. Pierres
Entwurf auf die Commereien so grolsen Nachdruck gelegt hatte,
so waren diese wohl für die Seemächte, allenfalls für Frankreich
von Gewicht; aber alle anderen Staaten hatten nur Passiv-
Handel; die Tarife Frankreichs, die Navigationsacte Englands,
die unermelfslichen Capitalien Hollands verdrängten jede Con-
eurrenz. Mancher Orten ging man daran sich dieser commer-
ciellen Fremdherrschaft zu entziehn; Dänemark gründete eine
indische Handelscompagnie in Altona; Rufsland erliefs Handels-
verbote und verlegte, wie der Ausdruck- war, den persianischen
Handel von Archangel, wo ihn der englische Kaufmann inne ge-
habt hatte, nach Petersburg; trotz der geschlossenen Schelde
begann in den Niederlanden, seit sie östreichisch geworden,
der Handel wieder rege zu werden, dem der Kaiser demnächst
in der Compagnie von Ostende einen Mittelpunkt gab; und
Spanien lernte den Hebel gebrauchen, den es in dem Gewähren
und Versagen des Handels mit seinem amerikanischen Colonien
besafs, wenn auch dieser Hebel in der Hand der zweiten Ge-
mahlin des Königs, der herrschsüchtigen Elisabeth von Parma,
zwanzig Jahre lang nur dazu diente, bald Frankreich bald Oest-
reich bald die Seemächte zu gewinnen, damit sie für die Ver-
“ sorgung ihrer Infanten mit italienischen Fürstenthümern. sich
ins Zeug legten.
Aber unfruchtbar blieb auch für. die praktische Politik
St. Pierres Gedanke nicht. Warum sollten die leitenden
Mächte nicht ihren Einflufs damit mehren, dafs sie in der
rn une.
vom 29. Juli 1869. . 65%
Form von Congressen Conflicten, die ihnen nicht bequem waren,
vorbeugten und streitige Successionen, die minder Mächtigen
unerwünschte Vergröfserung bringen konnten, aus der Welt
schafften? sie konnten in dieser Form europäischer Verhand-
lungen ihr diplomatisches Gewicht anwenden, ihre starken Ri-
valen zu überholen und die kleineren „Potenzien“ in ihr Kiel-
wasser zu zwingen; sie konnten das im Norden Versäumte —
denn dem Kaiser und der Krone Frankreich so gut wie den
Seemächten war dieses staunenswürdige Emporkommen Rufs-
lands unerträglich — in diplomatischer Weise nachzuholen
hoffen. Sie gewannen die öffentliche Meinung wenn sie diesen
Weg „zum Generalfrieden zu gelangen* wie der technische Aus-
druck war, einschlugen, zum Generalfrieden, der allein einen
sichren und dauernden Ruhestand schaffen zu können schien.
Denn der nordische so wenig wie der Successionskrieg hatte
mit einer allgemeinen Pacification, mit einem gemeinsamen Ab-
schlufs aller Betheiligten geendet, sondern je drei, vier Parti-
eularfrieden waren geschlossen worden, und man war im Westen
wie im Norden nicht in der Lage gewesen den Nichtwollenden
den Frieden aufzuzwingen, wie 1815 mit Italien, mit Polen,
mit Norwegen geschehen ist. Es schien um so angemessener
auf einem europäischen Congrefs das Versäumte nachzuholen,
die particularen Friedensschlüsse um die europäische Sanction
und Garantie zu verstärken, so endlich die Summe der ver-
tragsmälsigen Anordnungen dem Codex des europäischen Völker-
rechts, wie man sich gern ausdrückte, einzuverleiben.
Natürlich dafs die nun folgenden Congresse in dem Maafse
weniger Erfolg hatten, als sie umfassendere Wirksamkeit in
Anspruch nahmen, gerade wie die Congresse des neunzehnten
Jahrhunderts unwirksam wurden, sobald sie mit dem System
der Solidarität Ernst zu machen versuchten: wie sich schon
gegen das Troppauer Protokoll vom 29. Nov. 1820 England
verwahrte, „weil diefs Protokoll die Grundlage eines allgemeinen
Systems zu bezwecken scheine“; oder wie dasselbe England
den eontinentalen Mächten, als sie nach dem Congrefs von Verona
auch die spanischen Colonien für die Legitimität zu retten beab-
sichtigten, positiv entgegentrat trotz der dringenden Erinnerung,
dals es gelte „einen grofsen Scandal zu vermeiden“; oder wie sich
658 Gesammtsitzung
die Congresse und Conferenzen der Grofsmächte, so 'oft, sie. die
orientalische Frage durch Protokolle zu ordnen unternahmen,
jedesmal in gröfserem: Zerwürfnifs trennten, davon die Vorgänge
von 1828 und 1840 Zeugnifs geben. Nur: die sogenannten Lon-
doner Üonferenzen: in Betreff Belgiens nach 1830 ergaben ein
günstiges Resultat, weil sich die Grolsmächte begnügten die that-
sächlich vollzogene ‚Kritik einer ihrer Schöpfungen von 1815
anzuerkennen und ‚die Ordnung des neugewordenen Zustandes
durch ihre Mediation zu erleichtern.
Es genügt an dieser ‚Stelle von den zahlreichen Congressen
der Zeit von 1713—1740 die wichtigsten zu nennen. Zuerst der
Braunschweiger Congrefs, den der Kaiser 1713 berief um
die nordischen Wirren theils als Vermittler theils kraft seines
oberrichtlichen Amtes in Betreff der deutschen Lande Schwedens
zum Schlufs zu bringen; der Congrefs tagte bis 1721, ohne zu
nennenswerther Wirksamkeit zu gelangen. Dann der Danziger
Congre[s von 1718, der kaum bis zur Eröffnung gelangte. Dann
der Congrefs von Cambray, der 1719 von Frankreich und
den Seemächten veranlafst wurde, um den zwischen dem Kaiser
und Spanien wieder begonnenen Krieg damit zu schlichten, dafs
den spanischen Bourbonen eine Secundogenitur in Italien mit
den Reichslehen Toscana, Parma und Piacenza, die auf den
Fall standen, zugesichert wurde; er ging nach vergeblichen
Unterhandlungen 1725 auseinander, da bekannt wurde, dafs
der Kaiser und Spanien sich ohne Vermittlung verständigt
hatten. >
Mehr noch, sie waren in ein sehr enges Bundesverhältnifs
getreten, dem sich sofort Rufsland anschlofs; und die erste
offenkundige Wirkung desselben war, dafs die kaiserliche Com-
pagnie von Ostende umfassende Privilegien für den amerikani-
schen Handel erhielt. England war in grofser Besorgnifs; es
eilte dieser Wiener Allianz gegenüber die hannöverschen Allianz
zu gründen, eine Goalition zunächst mit Frankreich und Preussen,
‘für die man Holland, Schweden, Dänemark u. s. w. zu gewinnen
hoffte. Europa theilt sich in zwei feindliche Kriegslager; ein
ungeheuerer Zusammenstofs schien unvermeidlich; England
wünschte ihn, drängte zum Angriff, forderte Preufsen auf sich
Schlesien zu erobern. Nach der Auffassung des preufsischen
R
x
H
vom 29. Juli 1869. 659
Hofes war die hannövrische Allianz nur defensiver Natur; Preus-
sens ruhige Haltung hinderte den Zusammenstols. Der ge-
schickten Hand des Cardinals Fleury gelang es einen neuen
Congrefs herbeizuführen, der in Aachen zusammentreten sollte
nach Cambray berufen, nach Soissons, um ganz in der Nähe
des französischen Hofes zu tagen, verlegt wurde. ‚Eine östreichi-
sche Staatsschrift*) die kurz vor Beginn des Congresses ver-
breitet wurde, erörtert die Aufgaben dieses Uongresses und die
Grenzen seiner Competenz; sie kam zu dem Schlufs, dafs nicht
Europa, sondern nur die beiden Alliancen zusammenträten, dafs
nur die zwischen diesen streitigen Fragen verhandelt werden
dürften, nicht Fragen des Reichs, nicht Religionsangelegenheiten.
Und in solehem Sinn äufserte sich der Hofkanzler Graf Sinzen-
dorff bei der Eröffnung in Soissons; Cardinal Fleury antwortete:
der Zweck, den man mit diesem Oongrefs verfolge, sei alle Inte-
ressen auszugleichen die streitig seien, und alles zu beseitigen
was zu einem Bruch führen könnte’). Und so wurden denn
alle möglichen Fragen an den Congrefs gebracht, gleich als
wenn er ein europäisches Tribunal sei; von Holland die ost-
friesische, von Kurpfalz die jülische Successionssache, obschon
in beiden der Fall noch nicht eingetreten war und obschon
Preufsen, das an beiden zunächst betheiligte, den Congrefs nicht
beschickt hatte; die gottorpische Sache d. h. der von England
und Frankreich der Krone Dänemarks garantirte Besitz Schles-
wigs, obschon Rufsland, das die Rechte des Herzogs von Hol-
stein vertrat, gegen Oongrefsentscheidung in dieser Sache pro-
testirte; ja das Corpus Evangelicorum in Regensburg. schickte
sich an, die deutschen Religionsbeschwerden an den Congrefs
zu bringen; die mecklenburgische Frage hoffte Hannover im
Interesse der Ritterschaft gegen den Herzog entscheiden zu
lassen u. s. w.
Der Congrefs endete damit, das bei der fortgesetzten Hart-
näckigkeit Spaniens, die namentlich den englischen Handel nach
Amerika schwer traf, Frankreich die Hand dazu bot, hinter
' dem Rücken des Üongresses durch den Vertrag von Sevilla
beide auszugleichen auf Kosten des Kaisers: für die Zusicherung,
den Infanten Don Carlos schon jetzt in den Besitz von Parma
zu setzen und des Kaisers Zustimmung nöthigen Falls zu er-
660 Gesammtsitzung
zwingen, gab der spanische Hof die Wiener Allianz auf und
gewährte den Engländern was sie wünschten.
Es stand 1730 hart zum Bruch zwischen den Sevillanern
auf der einen, dem Kaiser und Rufsland auf der andern Seite;
Preufsen war für den Fall der Defensive den beiden Kaiserhöfen
gewifs. Nur dafs England über die wachsende Vertraulichkeit
zwischen Frankreich und Spanien und die Folgen der bour-
bonischen Machtgründung in Italien besorgt, über die mit Eifer
betriebene Mehrung der französischen Marine und den. rasch
fortschreitenden amerikanischen und Levantehandel Frankreich
höchst eifersüchtig mit plötzlicher Wendung zu der Freundschaft
mit dem Wiener Hofe zurückkehrte, dort um so willkommener,
da es die Garantie der pragmatischen Sanction als Preis bot.
Und Holland blieb in der Gewohnheit dem englischen Hofe
wenn auch zögernd und mit sauersüfser Miene zu folgen. . Die
Schritte, die sich der Wiener Hof gegen Preufsen erlaubte,
zeigten, dafs er sich in Allianz mit den Seemächten und mit
Rufsland jeder Gefahr gewachsen fühlte.
Er wagte das kühnste Spiel. Es ist der Mühe werth die
Momente desselben, die in der tradionellen Auffassung der
grolsen Wendung von 1733 verdunkelt sind, kurz zu bezeichnen.
Der Kaiser hatte die Zukunft Oestreichs auf seine prag-
magtische Sanction gestellt; aber deren Grundlage war von
rechtlich sehr zweifelhafter Natur. In dem solennen Act vom
12. Septbr. 1703 hatte Kaiser Leopold mit seinen beiden Söhnen,
den nachmaligen Kaisern Joseph I. und Karl VI, ein Hausgesetz
errichtet, nach dem, wenn der Mannesstamm des Hauses aus-
sterbe, die josephinischen Erzherzoginnen und ihre Descendenz
den carolinischen vorausgehn sollten, indem ihnen die spani-
sche Suecession — denn Karl VI war damals bereits als König
von Spanien proclamirt so wie Joseph zum römischen König
gewählt — bleiben solle. Diefs Hausgesetz hatte Karl VI
nachdem er seinem Bruder als Kaiser gefolgt war und Wie
Krone Spanien verloren hatte, durch das Hausgesetz vom
19. April 1715, die sogenannte pragmatische Sanction, dahin
abgeändert, dafs seine Töchter und zwar zunächst die älteste
Maria Theresia den josephinischen Erzherzoginnen vorgehen
sollten. Von diesen war die ältere an den Kurprinzen von
)
N
vom 29. Juli 1869. Bet
Sachsen, die zweite an den Kurfürsten Karl Albert von Baiern
vermählt; dafs ihre Verzichtleistungen nicht ausreichen würden,
mufste man in Wien voraus sehen, nicht minder, dafs die Rivalen
des Hauses Oestreich und in erster Reihe Frankreich diese jo-
sephinischen Ansprüche zu benutzen suchen würden, die Macht
desselben durch Theilungen zu schwächen, dafs namentlich Spa-
nien mit allem Eifer hinzutreten werde, da der Kaiser die ge-
hoffte Vermählung der Erbtochter mit dem Infanten Don Carlos
durchaus nicht zugeben wollte, vielmehr, wie offenkundig war, den
Herzog von Lothringen zum Eidam wünschte. Eben diese Mög-
lichkeit beunruhigte Frankreich auf das Äufserste. Frankreich
hatte das Haus Lothringen auf alle Weise an sich zu ketten
gesucht, die Mutter dieses Herzogs war eine französische Prin-
zessin; wenn nun der Herzog sich mit der Erbin der östreich-
schen Macht vermählte, wenn Lothringen damit eine Proviuz
dieses mächtigen Hauses wurde, so war dies Land, mit den
östreichischen Niederlanden und der mächtigen Festung Luxem-
burg im. Rücken, ein Keil in das französische Gebiet hinein,
der den Elsafs von dem Körper des Staats trennte; das Ver-
theidigungssystem Frankreichs war an seiner verletzbarsten
Stelle Deutschland gegenüber gesprengt.
Der Wiener Hof mufste inne werden, dafs er die pragma-
‚tische Sanction nicht ohne einen grofsen Krieg werde durch-
führen können, dafs er erst Frankreich besiegen müsse, ehe er
der Sucession Maria Therisia’s sicher sei. Er wünschte diese
Entscheidung nicht aufzuschieben, bis der Fall da sei. Es bot
sich ihm eine günstige Gelegenheit, einen Krieg zu beginnen,
der, wenn er glücklich verlief, von selbst Lothringen und die
Geltung der Sanction als Siegespreis brachte, wenn unglücklich,
die eine Frage zu vertagen, die andre mit Ehren aufzugeben
stattete.
August Il war im Februar 1755 gestorben; die Wahl seines
Sohnes in Polen hatte bei seinen Lebzeiten nicht durchgesetzt
werden können. Der Wiener Hof gewann Rufsland für diese
"Wahl, die August III. zugleich und ausdrücklich als Entschädi-
gung für seine josephinischen Ansprüche angerechnet wurde.
Aber Polen hatte noch einen rechtmäfsig bestellten König, jenen
Stanislaus Lesczinski, der in Karl XII. Zeit gewählt worden
662 Gesammtsitzung
war und nie verzichtet hatte; und mit der Tochter dieses Königs
hatte sich Ludwig XV. vermält. Die Republik Polen wählte ihn
fast einstimmig von Neuem. Obschon nun Frankreich ausdrück-
lich erklärte, dafs es jeden Versuch zur Wahl des jungen Kurfür-
sten von Sachsen als Kriessfall ansehen werde, rückte ein russi-
sches Heer nach Polen ein und liefs durch eine Minorität August Ill.
wählen, zu dessen Unterstützung ein kaiserliches Heer in 'Schle-
sien bereit stand. Sofort gingen die Franzosen über den Rhein;
sie schlossen mit Spanien den Familientractat vom 7. Nov. 1733,
und die Spanier begannen den von ilınen längst ersehnten An-
griff in Italien; der König von Sardinien machte gemeine Sache
mit ihnen. Vergebens rief der Wiener Hof die Seemächte auf;
es hiefs: der Kampf gelte ja nicht die pragmatische Sanction.
Er mufste den Russen allein die Geschicke Polens überlasseu,
um den gleichzeitigen Angriff in Italien und am Rhein zu be-
stehen; er war demselben in keiner Weise gewachsen.
Er wäre es gewesen, wenn er nicht Preufsen auf uner-
hörte Weise vernachläfsigt, mifshandelt, ja eben in Beginn die-
ser polnischen Verwicklung mit Rufslaud gemeinsam durch den
Löwenwoldischen Vertrag hintergangen hätte; theils weil man
in Wien das Emporkommen dieser militärischen Macht, die
das evangelische Wesen im Reich mit höchst unerwünschter
Energie vertrat, fürchtete, theils weil man sich der gegen Preus-
sen eingegangenen Verpflichtungen in Betreff der jülich-bergi-
schen Succession mit guter Manier entziehen wollte.
Das zweite Kriegsjahr 1734 verlief für Oestreich ungünstig,
das dritte noch ungünstiger; statt der immer dringender gefor-
derten allianzmäfsigen Hilfe boten die Seemächte ihre Ver-
mittlung, schlugen (25. Februar 1755) Präliminarien vor, auf
Grund deren ein Congrefs berufen. werden sollte; sie hatten die
angenehme Hoffnung, die balance de l’Europe völlig wieder in
ihre Hand zu bringen und auf dem Congrefs allerlei sonst, was
ihnen am Herzen lag, namentlich die ostfriesische, jülische,
meklenburgische Sache, die Frage des amerikanischen und des
Östseehandels, nach ihrem Interesse zu regeln. Allerdings
lautete die Antwort Frankreichs (20. Juli 1755) günstig;
namentlich sagte sie: es sei nothwendig, solche Anordnungen
zu treffen, welche die allgemeine Ruhe dauernd sichern könnten,
| vom 29. Juli 1869. ..6635
die gegen den Kaiser vereinten Kronen seien gern bereit (ne
s’eloignent pas) auf einem Congrefs alle Sachen, die diesen
Zweck erfüllen könnten, zu verhandeln, indem sie dahin arbeite-
ten Allem zuvorzukommen, was dem Frieden hinderlich sein
oder ihn in Zukunft stören könnte.
Als ersten Schritt dazu schlugen die Seemächte ‚einen
Waffenstillstand auf den status quo vor. Dieser status quo wäre
für den Kaiser höchst unglücklich gewesen; ‚er lehnte ihn ab:
aber noch sei es Zeit, liefs er im Haag erklären, das Gleich-
gewicht Europas zu retten; an Mitteln dazu fehle es nicht, er
werde sie anzeigen, wenn man mit ihm die Maafsregeln ver-
abreden wolle, die man nicht verzögern könne, ohne die Repu-
blik der gröfsten Gefahr auszusetzen, die jemals über sie ge-
kommen.
Es gab noch andere Pacificationsprojecte, zwei von ihnen
sind besonders merkwürdig. Der eine, bisher ungedruckt, eine
von der heiligen Congregation der Cardinäle an den kai-
serlichen Hof übereichte Denkschrift“), empfahl innige Verbin-
dung zwischen Frankreich und dem Kaiser, wie sie Marschall
Villars namentlich seit seinen Verhandlungen mit Prinz Eugen in
Rastadt 1715—1714 im französischen Cabinet immer vertreten
hatte, Vereinigung aller katholischen Mächte zu einer heiligen
Liga, um endlich mit den Ketzern und den Ungläubigen ein
Ende zumachen; ein Project voll der kühnsten und radicalsten
Ideen. Ein zweiter Plan ist vom Cardinal Alberoni’); auch er
empfiehlt den Kampf gegen die Türken als das sicherste Mittel,
die Christenheit zu beruhigen; zu dem Ende soll der Kaiser
die Niederlande und Italien ganz aufgeben und seine Macht
gegen den Osten verwenden und erweitern; die Niederlande
soll der Herzog von Lothringen erhalten, damit Lothringen an
Stanislaus und nach dessen Tod an Frankreich komme; Ita-
lien soll nach Art des corps germanique eine Förderation von
Staaten bilden mit einer diete generale von gleicher Befugnifs
wie der Regensburger Reichstag; — also derselbe Plan, auf
den die Politik von 1859 zurückgekommen ist.
Nach den Niederlagen des Kaisers im August und Septem-
ber 17355 — sie waren den Seemächten erwünscht, da man
nun in Wien zur Besinnung kommen werde °) — verbreitete sich
664 Gesammtsitzung
aller Welt unerwartet die Nachricht, dafs der Kaiser und Frank-
reich am 3. October ihren Frieden geschlossen hätten ohne Ver-
mittler, ohne Zuziehung der Verbündeten. In den zwischen
ihnen vereinbarten Artikeln war festgestellt, dafs August III
Polen, Stanislaus als Entschädigung Lothringen und Bar er-
halten, dafs nach dessen Tode diese Lande an Frankreich
fallen, dafs der Herzog von Lothringen mit Parma und Pia-
cenza entschädigt werden, dafs der Kaiser dafür die König-
reiche Sicilien und Neapel an Don Carlos abtreten solle. “Zu-
gleich wurde ein Congrefs in Aussicht genommen, zu dem auch
Rufsland und August III. eingeladen werden sollten, ein Con-
srefs, der nur die auf diesen Krieg bezüglichen Fragen ver-
handeln werde’).
Also der Kaiser hatte mit der definitiven Preisgebung des
Reichslandes Lothringen und mit grofsen Zugeständnissen an
das Haus der Bourbonen in Italien die französische Garantie
der Sanction erkauft. Er glaubte fortan auf die sichere Freund-
schaft Frankreichs rechnen zu dürfen, des alten Rivalen, der
mit dem Gewinn Lothringens und der Gründung einer bourbo-
nischen Königskronen in Italien für immer ersättigt schien.
Aber die Verbündeten Frankreichs waren empört über diesen
Frieden, der ohne sie geschlossen war und sie in Mitten ihres
Siegeslaufes hemmte. Noch viel schmerzlicher empfand man
im Haag und in London den geschehenen Schritt: „es ist ein
förmliches Complott gegen die Seemächte“ sagte man im Haag.
Sie waren vor die Thür gestellt; was sollte aus dem europäi-
schen Gleichgewicht werden, wenn es Mode wurde, die allge-
meinen Angelegenheiten „von Hof zu Hof“, ohne die Theilnahme
Europas zu verhandeln. Rousset, der in seiner vielseitigen und
einflufsreichen publieistischen Thätigkeit fort und fort die Lehre
vom europäischen Concert, vom Generalfrieden und den Con-
gressen gepredigt hatte, schrieb: „die Union zwischen Frankreich
und dem Kaiser wird fortan die Stelle einer diete Europeenne
einnehmen, die Abb& St. Pierre als das höchste Tribunal für
den europäischen Frieden empfohlen hat“!°). Weder Frankreich
noch der Kaiser hörte vorerst auf solche Klagen. Angust Ill.
von Polen nahm mit Vergnügen den Frieden an; ebenso der
russische Hof, der sich, nun Polens gewils, sofort zu einem
vom 29. Juli 1869. 665
Türkenkriege anschickte, namentlich um Asow und das schwarze
Meer zu gewinnen. Spanien und Sardinien für den Frieden
zu bestimmen übernahm Frankreich; die Zustimmung des
Reiches einzuhohlen, dafs ja den Reichskrieg erklärt hatte, hielt
der Kaiser, da er Frankreichs sicher war, nicht für nöthig,
nicht einmal Anzeige von dem geschehenen Friedenschlüssen
wurde in Regensburg gemacht.
Europa war in einem unerhörten Zustande. Wie grofse
Opfer der Wiener Hof hatte bringen müssen, der Freundschaft
Frankreichs gewifs hatte er nichts mehr zu fürchten. Die
beiden Mächte, deren Rivalität bisher die Grundlage des euro-
päischen Gleichgewichts gewesen war, standen nun fest vereint;
ihre Allianz beherrsebte die politische Welt; um so Mehr, da
Rufsland mit ihnen im völligen Einvernehmen stand; — es
war der erste Versuch jener Verbindung, die dann 1756 zu
ihrer vollen Wirkung kommen sollte und ohne Friedrichs II.
kühne Initiative gekommen wäre.
Sie beherrschte Europa. Die Republik Polen war Dank
dem ‘östreichischen System politisch und militärisch in völliger
Dependenz von Rufsland; Rufsland hatte damit die türkischen
Stellungen am Pruth überhohlt, und im gegebenen Fall war mit
den Festungen der unteren Weichsel Ostpreufsen von Pommern
und den Marken durch russische Besatzungen getrennt. Hatte
der Wiener Hof den Norden und Osten an Rufsland, den Süden
und Westen Europas der bourbonischen Politik überantwortet, so
begann er in den deutschen Landen die kaiserliche Autorität in
hastig gesteigerter Weise zu handhaben, besonders gegen Preus-
sen, das mit seiner Kriegsbereitschaft den östreichischen Inte-
ressen äulserst unbequem war und demnächst mit dem Anfall
der jülischen und ostfriesischen Succession noch mächtiger wer-
den mufste; und der Häafs und Neid gegen Preufsen war bei
den Ständen im Reich, den geistlichen wie weltlichen, den
evangelischen wie katholischen so lebhaft und einig, dafs man
selbst willkührliche Schritte des oberrichterlichen und oberlehns-
herrlichen Gewalt willkommen hiefs, wenn sie Preulsen trafen.
Die italienischen Staaten, Sardinien und Spanien mit ein-
geschlossen, fühlten den Druck der vereinten ‘beiden Grols-
mächte, wenn auch Spanien noch den Wiener Präliminarien
ne Gesammtsitzung
Trotz bot. Wenn je so hätten jetzt die Seemächte eintreten
und mit ihrer ganzen Macht das zerbrochene Gleichgewicht
herzustellen versuchen müssen; aber Holland zitterte vor der
Möslichkeit eines Krieges, eines Zerwürfnisses mit Frankreich,
zumal da der Handelsvertrag mit Frankreich zu Ende lief; und
England war bereits in schweren Differenzen mit Spanien wegen
des Handels und Smuggels von Gibraltar aus nach Spanien
hinein und von Jamaica aus mit dem spanischen Amerika; jetzt
ein Krieg, und Spanien hätte die ganze Macht Frankreiehs auf
seiner. Seite gehabt, England hätte der vereinten Seemacht der
bourbonischen Höfe, die in staunenswerthem Aufschwung war,
wahrscheinlich ohne Holland gegenüber gestanden.
In dieser peinlichen Weltlage veröffentlichte Cardinal Al-
beroni ein zweites Project: „Vorschlag das türkische Reich unter
der christlichen Potentaten Botmäfsigkeit zu bringen.“!!) Er
empfiehlt die Eroberung der Türkei, Theilung derselben unter
die christlichen Mächte; der Kaiser soll die Donau bis zur
Mündung, die Provinzen bis an den Balkan erhalten, der Herzog
von Gottorp Kaiser in Constantinopel werden, Sardinien soll
Cypern, die Generalstaaten Rhodos und Aleppo, England Creta
und Smyrna erhalten u.s.w.; Preufsen wird, weil es alle-
zeit die eifrigsten Proben seiner Neigung für das gemeine Beste
darlegt, die fruchtbare Insel Negroponte erhalten; Spanien, Por-
tugal, Frankreich werden sich Tunis, Tripolis, Algier nehmen,
Rufsland Asow und die Krim’ besetzen und dafür den Theil
Finnlands, den es inne hat, an Schweden zurückgeben. Den
Krieg zu führen werden alle europäischen Staaten theils Land-
volk theils Schiffe stellen; die ganze Streitkraft des Christenheers
wird 370,000 Mann, 100 Schiffe und Fregatten betragen. Der
erste Schritt wird die Berufung eines europäischen Congresses
nach ‘Regensburg sein, der den Kriegsplan, die Vertheilung
der Eroberung u. s. w. feststellt; der Congref[s wird als immer-
. währender europäischer Reichtstag versammelt bleiben, er wird
alle Streitigkeiten zwischen den europäischen Staaten über Reli-
gion, Erbfolgen, Prätensionen u. s. w. nach Stimmenmehrheit
entscheiden, und wenn sich ein Staat nicht innerhalb 6 Monate
fügt, wird: dieser Reichstag mit europäischer Execution gegen
ihn verfahren, zu der die Staaten nach dem Maals der für den
vom 29. Juli 1869. 667
A u u ee
Türkenkrieg bestimmten Matrikel mitwirken u.s. w. Das Pro-
| jeet datirt aus den ersten Monaten des Jahres 1736, wie eine
Anmerkung der deutschen Übersetzung ergiebt (p. Alps „ehe
| noch die Russen nach Asow marschieret.“
| Auch die Seemächte arbeiteten auf das Eifrigste; sie be-
antragten in Wien und Versailles die Berufung eines General-
congresses, der alle Fragen die streitig seien oder demnächst
Streit veranlassen könnten, regeln und einen neuen traite regu-
latif ähnlich dem von Osnabrück und Münster aufstellen sollten;
der Kaiser, Frankreich und die beiden Seemächte sollten sich
vereinigen die Ruhe Europas aufrecht zu erhalten und sie gegen
jede Macht, die sie zu stören unternehme, vertheidigen; alle
andern Mächte sollten durch sie gezwungen werden, sagt der
mir vorliegende Bericht, sich ohne Murren den Dictaten der
vier Mächte zu unterwerfen (au dietamen d’un tribunal si re-
doutable).. Der Plan zu diesem diplomatischen Manöver war
vom Londoner Hofe ausgegangen, der, sagt jener Bericht, so die
Fäden der Direction der europäischen Angelegenheit wieder zu
erfassen hofft, die seit der Verständigung Frankreichs und des
Kaisers seinen Händen entfallen sind.
Allerdings warf sich der Kaiser auf Einladung Rulslands,
das schon 1736 Asow nahm, und auf den biedern Rath des
Card. Fleury 1737 in den Türkenkrieg, um die Verluste des
französischen Kriegs im Osten wieder einzubringen; nur dafs
er mit dem sich steigernden Unglück der drei Kriegsjahre um
desto abhängiger von Frankreich wurde.
| In dem chaotischen Taumel der europäischen Politik seit
dem Wiener Frieden stand nur Preufsen mit seiner festge-
schlossenen Macht noch abwartend und wie unbetheiligt zur
Seite; sie war bedeutend genug, um in Verbindung mit den
nun in at
Seemächten der furchtbaren Bewegung Halt gebieten zu können.
Der König suchte diese Verbindung; er machte in Holland und
England Anträge, er stellte nur als Bedingung, dafs sie ihm
‚seine Succession auf Ostfriesland und auf das Herzogthum Berg,
— denn er war bereit Jülich an Pfalz Sulzbach kommen zu
lassen — garantirten; er war entschlossen, „sich, wie er sagt,
sein Recht nicht über den Kopf nehmen und Andere über
seine Rechte und Befugnisse disponiren zu lassen.“
[1869.] 48
——
668 Gesammtsitzung
Die beiden Seemächte hatten vergebens in Paris und Wien
auf den Congrefs gedrängt; es war ihnen geantwortet: erst
mülsten die Einzelverträge zwischen den im Kriege gewesenen
Mächten abgeschlossen sein, auch könne man diese dem Con-
grefs nur zu einfacher Annahme vorlegen, und von Einmischung
anderer Fragen namentlich über den Handel dürfe nicht die
Rede sein. Da kamen ihnen nun jene preufsischen Eröffnun-
gen sehr gelegen. ‘Sie wufsten, dafs der Kaiser so gut wie
Frankreich dem Pfalzgrafen von Sulzbach die ganze jülische
Seccussion garantirt hatten; weder Holland noch England wollte
Preufsen sich vergrölsern lassen; England hoffte immer noch
Ostfriesland an Hannover zu bringen; Holland hatte einige
Truppen in Emden und damit die Möglichkeit, den deutschen
Handel in der Emsmündung auch des Ferneren niederzuhalten;
und wie hätte es den lästigen Besitz Preufsens am Rhein und
an der Maas — Cleve und Geldern — noch durch Berg und
Jülich sich verdoppeln, den Rhein- und Maashandel nnter die
preussischen Licenten kommen lassen sollen? Unter dem Vor-
wande, für die vertraulichen preulsischen Erbietungen die Zustim-
mung Frankreichs und des Kaisers zu gewinnen, erboten sich
ihnen die Seemächte zu einem Concert, um in der jülischen
Sache gegen die Prätensionen Preufsens einzutreten, wenn ihnen
dafür die beiden Höfe den ersehnten Congrefs und die Mit-
wirkung zur Herstellung des Generalfriedens gewährten.
Ich verfolge den merkwürdigen Gang dieser Verhandlungen
zwischen Preufsen und den Seemächten, der Seemächte mit
Frankreich und dem Kaiser nicht im Einzelnen. Cardinal Fleury
benutzte sie, die Seemächte wie mit der Degenspitze vor sich
her zu treiben; und der Wiener Hof war zufrieden, wenn Frank-
reich dafür sorgte, dafs die jülich-bergische Succession nicht in
ketzerische Hände falle. Durchaus nicht liefs es Frankreich zu
dem geforderten Oongrels kommen; schon darum nicht, weil es
Spanien an der Hand behalten und die wachsende Erbitterung
Spaniens gegen England, so lange der Türkenkrieg den Kaiser
in Athem hielt, zum Bruch treiben wollte, nicht um dann für
Spanien die Waffen zu ergreifen, sondern damit drohend die Hol-
länder von England zu trennen und den Kaiser von der Rück-
kehr zu dem alten System der Coalition mit England zurück
Ku En,
vom 29. Juli 1869. 669
zuhalten; zwischen England und Spanien vermittelnd erhob
sich dann die französische Politik um so dominirender, und
England sank in den Augen Europas noch eine Stufe tiefer.
Wenigstens irgend wie wünschten die Seemächte mit Frank-
reich und dem Kaiser einen grolsen Act zu vollziehen, gleich-
sam um den Schein zu retten, dafs sie noch innerhalb des
europäischen Concertes ständen, noch mitzusprechen hätten.
Der König von Preufsen hatte sich erboten, wegen der jülischen
Succession in gütliche Verhandlung zu treten und ein Arrange-
ment zu verabreden, bevor der Fall eingetreten sei; wenn aber
‘ der Kurfürst von der Pfalz sterbe, bevor es fertig geworden,
werde nichts ihn abhalten Besitz zu ergreifen und denselben mit
Daransetzung seiner ganzen Macht zu behaupten. Der Kur-
fürst war ein Siebenziger, kränkelte häufig; er war der Vor-
mund des jungen Pfalzgrafen von Sulzbach, der ihm in dem
Kurfürsenthum Pfalz folgen mufste; begreiflich, dafs er auch
seine jülich-bergischen Lande auf ihn zu vererben wünschte;
er hatte alle Erbietungen Preufsens von der Hand gewiesen.
So verabredeten die vier Mächte einen gemeinsamen Schritt;
es sollte gleichzeitig in Mannheim und Berlin angekündigt
werden, dafs die vier Mächte keine gewaltsamen Wege gestatten,
dafs sie die jülichsche Sache ih die Hand nehmen würden; sie
forderten von Preufsen und von Kurpfalz eine bindende Decla-
ration, der Entscheidung der vier Mächte sich fügen zu wollen;
sie drohten jeden Versuch eigenmächtiger Besitzergreifung mit
bewaffneter Macht niederzuschlagen. Schon waren 50,000 Mann
Franzosen an die Maas vorgeschoben; auch der Kaiser schickte
ein Paar Regimenter, die 10,000 Mann des Pfalzgrafen in und
um Düsseldorf zu verstärken; die Holländer zogen ein Lager
an der Yssel zusammen; England machte die hannövrischen und
hessischen Truppen mobil.
Monate lang haben die Vorverhandlungen zwischen den vier
Mächten gedauert. Am 10. Februar 17338 kamen ihre Gesand-
ten in Berlin einer nach dem Andern in das Conferenzzimmer
des auswärtigen Amtes, ihre identischen Noten mit der Abschrift
der gleichzeitig in Manheim überreichten Eröffnung zu ver-
lesen !?). Ein europäischer Act ähnlich denen, die in unserm
48*
670 Gesammtsitzung
Jahrhundert den Congressen von Troppau, Laibach und Verona
gefolgt sind. |
Preufsen stand den vier Mächten vollkommen isolirt gegen-
über; der Versuch, in Gemäfsheit früherer Allianzen die Unter-
stützung, ja auch nur die Neutralität Rufslands zu gewinnen, war
gescheitert. Es ist zu wenig beachtet was es bedeutete, dafs
Friedrich Wilhelm I. vor diesem europäischen Concert nicht
die Segel strich; er gab am 19. Februar in verbindlichen Formen
eine ablehnende Antwort: die vier Mächte hätten viele Monate
gebraucht sich über die eingereichten Schriftstücke zu verstän-
digen, es werde daher billig sein, dafs auch er sich Zeit zum
Überlegen nehme.
Das Einverständnifs der vier Mächte hatte nur eben bis
zu dieser Drohung gereicht; sie begangen lange und sehr leb-
hafte Erörterungen im Haag, was weiter zu thun sei.
Und während diese noch in ihren Anfängen waren, im
April liefs Cardinal Fleury im tiefsten Geheimnifs in Berlin
andeuten, dals er mit Preufsen gern in nähere Beziehungen
treten, dafs er soviel irgend möglich den Wünschen des Königs
entgegen kommen werde. Schon im Sommer 1738 waren die
Unterhandlungen darüber — um sie völlig zu verhüllen, wur-
den- sie im Haag geführt — zwischen Marquis Fenelon und
dem preufsischen Geh. Rath Luiscius im Gange. Mit Un-
geduld sahen die Herrn im Haag sowie die in London, dafs
die Conferenzen über die an Preufsen zu richtende Antwort
gar nicht in Gang kamen. Auch von London aus versuchte
man unter der Hand mit dem Berliner Hofe anzuknüpfen;
es wurde unterhandelt, mit gröfserem Eifer englischer Seits,
als der Krieg mit Spanien schon unvermeidlich war und eine
französische Escadre in die Ostsee segelte (Sommer 1739).
Weder im Haag noch in London hatte man eine Ahnung da-
von, dafs bereits im April 1739 zwischen Preufsen und Frank-
reich ein Vertrag über die jülische Succession abgeschlossen
“und in demselben ausdrücklich eine dauernde innige Allianz in
Aussicht genommen war.
Nicht in der jülischen Frage, sondern in der der pragmati-
schen Sanction sollten diese Anknüpfungen zwischen Preufsen
und Frankreich ihre Wirkung zeigen '*). Mit ihnen endete das
vom 29. Juli 1869. 671
Gleichgewichtsystem der Seemächte und die lange Reihe ihrer
| Versuche, durch Congresse und Interventionen die Bewegung
lebendig wirkender politischer Kräfte niederzuhalten. Die Re-
publik Holland hörte auf, in der Reihe der Gro[smächte zu
stehn, und um Preufsen unter Friedrich dem Grofsen entwickelte
sich ein völlig anders geartetes System der Ponderation der
Macht.
Anmerkungen.
!) Rousset Recueil hist. I. xı.: toutes les puissances etoient epuisees
par une guerre de 12 annees qui n’avoit pas moins coüte de tresors que
de sang et qui ayant succede & d’autres guerres qui n’avoient e&te inter-
rompues que par de courtes apparitions de paix, avoit reduit tous les
Potentats dans une espece d’impuissance de porter les armes plus long
temps et de faire plus de mal.
®
2) So in dem Avis du libraire au lecteur, das der Ausgabe des Pro-
jet pour rendre la paix perpetuelle en Europe, Utrecht. 1713. 8. 3 voll.
vorausgeschickt ist: il a et& lu et recherche par des gens d’esprit avec
une avidite ineroyable u. s. w. Der Herausgeber theilt zugleich Nach-
richten über die Familienverhältnisse des Verfassers mit, und es ist nicht
ohne Interesse, dafs derselbe dem Marschall Villars nahe verwandt war,
der namentlich seit 1713 die innigste Verbindung Frankreichs mit dem
Kaiser empfahl, im schärfsten Gegensatz gegen die Politik der Seemächte.
Nach der Anführung von Wheaton Histoire des progres du droit des
gens en Europe (Leipzig 1841) p. 194 ist St. Pierres Werk bereits 1713
zum zweiten Mal in 3 Quartbänden gedruckt worden.
3) Le sublime droit de convenance, sagt der Mercure hist. et pol.
1735. I. p. 21.
4) Die östreichische Staatsschrift aus dem Mai 1728 Sur la situa-
tion des affaires a traiter au congres de Soissons. 4. Wieder abgedruckt
in Rousset Recueil V. p. 45 ff.
5) Graf Sinzendorff sagt in der ersten Sitzung des Congresses 14.
Jan. 1728: „S. M.I. est tres satisfaite des soins que M. le Cardinal de
Fleury s’est donnes pour avancer une oeuyre si salutaire que celle d’une
pacification generale... nous ne saurious mieux faire que de nous con-
former aux avis d’un mediateur dont lintegritö est si generalement re-
eonnue. Il y avoit eu quelques considerations qui auroient pu faire ba-
laneer ’Empereur a donner les mains a la tenue d’un congr&s, mais son
672 Gesammtsitzung
desir pour une pacification generale l’a emporte sur tout autre avis.
u.s.w. Der Cardinal darauf: ... le but qu’on s’y propose est d’apla-
nir tous les interests qui sont en contestation et d’&carter
tout ce qui pourra tendre a une rupture... C'est dans ce meme
esprit de moderation que chacun doit representer ses griefs qui doivent
etre traites et aplanis au congres ... et que si l’on ne peut convenir
des moyens d’ajuster ces pretensions dans des negotiations amiables, les
ministres des puissances qui n’y auront point d’interes direct, employe-
ront leurs bons offices et ceux de leurs allies pour dissiper tout sujet
d’aigreur et porter les parties & un accommodement, et qu’enfin les r&-
ponses faites de part et d’autre sur chaque matiere seront raportees
au nom de tous les allies.
6) Das Project der Congregation, das handschriftlich in einer deut-
schen Übersetzung im Geh. Staatsarchiv zu Berlin aufbewahrt wird, heifst:
„Ireuherzig gemeinte Vorstellung und recht väterliche Admonition wie
nach dem wahren Sinn des Apostolischen Stuhles zu Rom die unter
den christlichen Potentien zeither obschwebende, Land- und Leute ver-
derbliche Müseligkeit nicht nur sehr leicht aus dem Grunde gehoben und
vollkommentlich abgethan u. s. w. werden könten.“ Eine Reihe von
Gegenbemerkungen aus dem Standpunkt der kaiserlichen Politik, die am
Schlufs beigefügt sind, zeigt, dafs das Actenstück dem Berliner Hofe aus
Wien zugekommen ist. König Friedrich Wilhelm I. sprach von demsel-
ben zu Manteuffel kurz nachdem ihm die identischen Noten der vier
Mächte vom 10. Febr. 1738 übergeben worden waren, und gab es ihm
zu lesen: vous verrez une piece assez sotte, mais vous conviendrez que tout
le monde semble conspirer a la faire ex&cuter dans tous les points (Man-
teuffel an Brühl 24. Feb. 1738). Manteuffel schreibt, nachdem er es ge-
lesen, an Brühl, 28. Feb., nachdem er den Inhalt summarisch angegeben:
voila en gros & quoi se reduit le Mst. que je erois l’ouyrage de quelque
‘ esprit oisif, mutin et ennemi personel de la cour de Rome, ne pouvant
m’imaginer, qu’un homme sense puisse avoir form& serieusement un plan
si peu raisonnable. Er habe dem König geantwortet: er habe Recht,
que c’etoil un livre sot, mais quil me sembloit d’ailleurs que l’auteur
avoit puise une partie de ses principes dans un livre publie par un Abbe
St. Pierre, explicant un projet pareillement fort ideal attribu& commune-
ment a Henri IV.
7) Das Project des .Cardinal Alberoni ist übersetzt mitgetheilt im
Mercure historique et politique 1735, p. 767, Systeme de Pacification
generale dans la presente conjoncture, traduit d’Italien. Der Cardinal
bezeichnet sein Project, wohl nicht ohne Seitenblick auf St. Pierres Be-
rufung auf Heinrich IV., als das System Kaiser Karl V., der ja während
vom 29: Tui 1869. 673
er die Kaiserkrone getragen seinen Bruder Ferdinand auf die östreichi-
schen Erblande und die Kronen Ungarn und Böhmen beschränkt habe
u. Ss. w.
8) In ihrem ersten Projet d’accommodement ou de pacification qu’en
suite de l’acceptation de leurs bons offices le Roy de la Grande Bretagne
et les Etats Generaux proposent aux puissances engagees dans la presente
guerre, d. d. 28. Jan. 1735, erklären die Seemächte in Betreff der pol-
nischen Frage que pour terminer ces brouilleries il est absolument neces-
saire d’eviter les diseussions de droit et de plusieurs difficultes de m&me
nature. Im Juni verbreitete sich ein zweites Project, das nach Aufzäh-
lung der als Präliminarien nöthigen Territorialveränderungen schlols: Art. 7.
Les autres articles seront regles dans un congres general, les etats media-
teurs garantiront les articles ci-dessus mentionnes. Art. 8. Enfin qui-
conque refusera la mediation ou s’opposera aux susdits pr&liminaires, sera
declare ennemi des me£diateurs. Der preufsische Gesandte in Wien,
Christian v. Brand, schreibt 16. Mai 1735: „Man ist hier nicht abgeneigt
nach völlig adjustirtem Frieden mit Frankreich und den andern
Alliirten unter Beitritt auswärtiger Puissancen die in und aufser
Reich überbleibenden Differenzen, die Anlafls zu neuer
Ruptur geben könnten, vorzunehmen, zu schlichten und per modum
appendicis dem Generalfrieden zu annectiren.“ Und ein Rescript des Kö-
nigs an Brand 9. Juni: „man versichert, dafs die Seemächte noch immer
im Geheim grofse Bemühnngen machen, um Wien und Paris für einen
Generaleongrefs zu gewinnen, um nicht allein die jetzigen Friedensnego-
tiationen, sondern alle andern Successionsgerechtigkeiten, Prätensionen
und Anwartungen, um deren Willen ein künftiger Krieg entstehn könnte,
zu reguliren“; der kaiserliche Hof, nicht aber Frankreich scheine darauf
eingehn zu wollen, „wie es denn dem französischen Hofe gar nicht zu
gefallen scheint, dafs die Seepuissancen sich auf solche Art der Direction
der Affairen Europas aufs Neue zu bemächtigen intendiren.“
9) In den Wiener Präliminarien vom 3. Oct. 1735, wie sie den
Seemächten mitgetheilt wurden, heifsen die Separatartikel 1. on invitera
au congres la Czarine et le Roy Auguste. 2. on ne traitera dans le
congres que des affaires qui concernent la presente guerre. 5. on envi-
tera les puissances maritimes de prendre part a ce traite et d’en faire
une affaire commune.
10) Für diese Stimmung der Seemächte ist besonders Roussets Ein-
leitung zum Mercur von 1737 lehrreich: ... linfluence que les puissances
maritimes avoient dans tous les deme£les, tous les arrangements, toutes les
negociations, les avoit mis en &tat de maintenir l’equilibre du pouvoir,
le reste des puissances s’etoient comme laisse entrainer & cet ascendant
et l’Europe s’en £toit bien trouv& en general; mais quelques cours parti-
674 Gesammtsitzung
culieres ont reflechi sur le passe et ont apparement conclu que pour
l’avenir ils trouveroient leur interest a netre pas si faciles 4 se livrer
a la mediation de ces puissances; en un mot il paroit qu'il s’est form&
un complot pour les exclure de toutes negociations ou elles
n’auroient point part personellement et directement.... quoi qu'il en soit
de cette remarque, l’experience a fait voir que la nouvelle maniere
de negocier de cour & cour sans congres et sans mediateur n'est
pas la plus courte et est sujetee a bien des embarras u. s. w.
11) Diefs Project liegt mir vor in einem Druck von 1736 „Des
weltberühmten Cardinals Alberoni Vorschlag das türkische Reich, unter
der christlichen Potentaten Botmälsigkeit zu bringen sammt der Art und
Weise wie dasselbe nach der Überwindung unter sie zu vertheilen. Aus
dem Italienischen nach dem Original, welches in eines vornehmen Mini-
sters Händen ist, übersetzt.“ Frankfurt und Leipzig 1736. 8. 46 Seiten.
12) Darüber berichtet der preufsische Gesandte im Haag, Geh. Rath
Luiscius 1. Juni 1736. Je viens de savoir que les deux puissances ma-
ritimes ont fait avec un grand secret proposer a Vienne et a Versailles
de faire tenir un congres general ou les pretentions de chaque puissance,
dont il pourroit arriver- quelque trouble, seroient examindes et reglees de
concert de m&me que tout ce qui reste a vuider de differences nees de
la derniere election de Pologne et de faire ensuite un nouveau traite
regulatif comme celui de Westphalie. Je suis informe que parmi
ces pretensions des puissances on vise principalement aux futures succes-
sions et expectations et que les maritimes se flattent qu’ayant porte les
choses a un tel congres il leur seroit facile en suite de regler et par-
tager ces successions et exspecetations a leur fantaisie.....
on s’est imaging sans donte que les affaires se traitant sous la direction
de l’Empereur, du Roy de France et des deux puissances maritimes, qui
se joindroient pour conserver le repos contre toute puissance qui le vou-
droit troubler pendant cette negociation, les autres seroient obliges
de souscrire et acquiescer sans grouiller au dietamen d’un
tribunal si redoutable.
13) Aus den identischen Noten der vier Mächte, die zugleich in
Berlin und in Manheim überreicht wurden, lauten die bezeichnenden
Stellen: Les dites puissances sont trop persuadees des droites intentions
de S. M. Pr. pour douter qu’Elle differe a se preter a cet arrangement
qui paroit necessaire et le seul practicable pour pouvoir commencer les
conferences pour un accommodement avec quelque esperance. Les mo-
ments sont si precieux qu’Elles ne penvent se dispenser de demander la
reponse la plus prompte quil sera possible. Dann in den zu Berlin
überreichten Noten die Versicherung: quil n’a ete neglige aucune des
vom 29. Juli 1869. 675
precautions possibles pour que les arrangements provisoirs, qui devien-
droient necessaires au cas de la mort prematuree du Seren. Electeur ne
puissent porter aucun prejudice a Ses (des Königs von Preufsen) droits.
Endlich der Schlufs, der in den in Manheim überreichten Noten um die
[] eingeklammerte Stelle verschärft ist; Elles se flattent egalement que
le Roy de Prusse (S. A. E. Pal.) ne se refusera point a l’engagement
que l!’on exige de Lui par prealable [de n’employer aucune voye de fait
en aucun cas et sous aucun pretexte suivant le memoire qui doit Lui etre
remis et dont la copie est ci-jointe] et qu’il (Elle) ne voudra pas s’atti-
rer de justes reproches de la part des quatres puissances aussi conside-
rables, qui se proposent de soutenir conjointement et avec fer-
mete les caracteres d’impartialite qu’Elles annoncent aujourd’-
hui & toute l’Europe par les prineipes qu’Elles ont: adoptes en commun.
14) Noch einmal tritt in den Anfängen dieser Verwickelungen, unter
dem mächtigen Eindruck des preufsischen Einmarsches nach Schlesien
der Gedanke des Congresses auf, wenigstens als diplomatisches Gerücht.
Es genüge dafür aus dem Bericht des preufsischen Gesandten in Wien
v. Borcke d. d. 28. Dec. 1740 seine Unterhaltnug mit dem englischen Ge-
sandten anzuführen. Borcke sagt zu Robinson: que le bruit n’etoit pas
sans fondement, que le Cardinal de Fleury avoit concu le dessein de pro-
poser un congres a Nurnberg, oü tous ceux, qui avoient des pretentions
sur l’heritage d’Autriche, devoient exposer leurs demandes et plaider leurs
causes. Robinson darauf ... qu'il reconnoissoit en ce dernier point l’es-
prit et la maniere de penser du Cardinal, qui tächoit de s’eriger en sou-
. verain arbitre de tous les differents en Europe, qu’il faudroit done, si
cela se eonfirmoit, proposer un autre congres a Brunswig, oü tous ceux,
qui auroient des griefs contre la France, pourroient exposcr leurs de
mandes et qu'il faudroit voir, lequel de ces tribunaux seroit le plus fre-
quente.
Hr. Magnus las über die Reflexion der Wärme an
der Oberfläche von Flufsspath und ändern Körpern.
Nachdem es gelungen war die Wärme von verschiedenen
bis 150° C. erhitzten Substanzen frei von den Strahlen der er-
hitzenden Flammen und anderer erwärmender Körper zu er-
halten, war es möglich gewesen in der der Akad. am 7. Juni
d. J. vorgelegten Arbeit nachzuweisen, dafs es Körper giebt,
die nur eine oder einige wenige Wellenlängen ausstrahlen,
676 Gesammtsitzung
andere, die eine gröfsere Zahl aussenden. Es schien hiernach
von Interesse, die Frage zu beantworten, wie sich die Körper
in Bezug auf ihr Reflexionsvermögen verhalten, ob ähnliche
Verschiedenheiten wie sie in Bezug auf die Absorption und
den Durchgang der Wärme bei Körpern, die sich gegen das
Licht ganz gleich verhalten, beobachtet sind, auch in Bezug
auf die Reflexion der Wärme vorkommen.
Unterschiede in dem Reflexionsvermögen können nur dann
bestimmt hervortreten, wenn man Strahlen reflectiren läfst, die
nur eine oder einige wenige Wellenlängen enthalten. Solche
Strahlen konnte man früher schon erhalten, entweder indem
man einzelne Theile eines, mit einem Steinsalzprisma er-
zeugten Spectrums benutzte, oder indem man die Strahlen einer
Wärmequelle, die viele Wellenlängen aussendet, z. B. die einer
Lampe durch Substanzen gehen liels, die eine Anzahl von
Wellenlängen absorbirten. Allein es giebt nur sehr wenig
Substanzen, welche Strahlen von nur einer oder von wenigen
Wellenlängen hindurch lassen, und aufserdem sind diese, auf
eine oder die andere Weise erhaltenen Strahlen, von nur ge-
ringer Intensität.
Trotz dieser Schwierigkeit haben die Hrn. La Provostaye
und Desains schon im Jahre 1849 gezeigt‘), dafs von der Wärme
einer Lacatellischen Lampe, je nachdem sie durch Glas oder
durch Steinsalz gegangen war, verschiedene Mengen von Spie-
gelmetall, Silber und Platin refleetirt werden, und zwar für
alle reflectirenden Flächen von der durch Glas gegangenen
weniger als von der durch Steinsalz.
Bald darauf haben dieselben, mit der, mittelst eines Glas-
prismas zerlegten Wärme einer Lampe, umfangreiche Versuche
veröffentlicht”), bei denen sich ebenfalls zeigte, dafs die Wärme
aus den verschiedenen Theilen des Speetrums verschieden re-
flectirt wird. Allein sie haben ohne Zweifel wegen der ge-
ringen Intensität der auffallenden Wärme, ihre Versuche auf
die Reflexion durch metallische Oberflächen beschränkt. Jetzt
!) Comptes rendus XXVIII, 501.
2) Annales de Chemie III Ser. XXX. 159. Pogg. Ergänz. B. II. 411.
vom 29. Juli 1869. 677
wo man in dem Steinsalz eine Substanz hat, die mur eine
oder einige wenige Wellenlängen aussendet, und auch andere
Körper kennt, die bei der Temp. von 150° C. eine beschränkte
Zahl von Wellenlängen ausstrahlen, war es möglich Versuche
über die Reflexion von nicht metallischen Oberflächen anzu-
stellen. Es hat sich dabei ergeben, dafs von diesen die ver-
schiedenen Arten der Wärme oder Wellenlängen in sehr ver-
schiedenem Maafse reflectirt werden. Es soll hier nur eines
der auffallendsten Beispiele angeführt werden. Dasselbe be-
trifft das Reflexionsvermögen des Flufsspaths.
Von der Wärme, welche sehr verschiedene Substanzen
ausstrahlen, werden unter einem Winkel von 45° zwar nicht
gleiche, aber nur wenig verschiedene Mengen reflectirt, und
zwar von
Silber zwischen 83 und 90 p. C.
Glas = Ag
Steinsalz „ SE
Fufsspath „ we 5
Von der Wärme des Steinsalzes aber reflectirt der Flufsspath
28 bis 30 p. C., während Silber, Glas und Steinsalz von dieser
Wärme nicht gröfsere Antheile als von den übrigen Wärme-
arten zurückwerfen.
Auch hier hat sich, wie bei den Versuchen über den
Durchgang der Wärme, bestätigt, dafs der Sylvin zwar eine
grolse Menge von Steinsalzwärme, daneben aber auch noch
andere Wärmearten aussendet. Denn der Flufsspath reflectirt
von der Wärme des Sylvins 15 bis 17 p. C. Also weniger
als von der des Steinsalz und mehr als von der der übrigen
ausstrahlenden Körper.
Wenn es ein Auge gäbe, das die verschiedenen Wellen-
längen der Wärme ebenso wie die Farben des Lichts zu unter-
scheiden vermöchte, so würde diesem, wenn die Strahlen des
Steinsalzes auf verschiedene Körper fielen, der Flufsspath heller
als alle andern erscheinen. Kämen die Strahlen vom Sylvin,
so würde der Flufsspath auch heller als alle übrigen Körper
erscheinen, aber nicht so hell wie bei Steinsalzbestrahlung.
678 Gesammtsitzung
Durch Melloni weils man, dals die verschiedenen Substan-
zen die Wärme in sehr verschiedenem Maafse durchlassen, und
dafs die Wärmequelle, von der sie stammt, von bedeutendem
Einflufs für die Durchlassung ist. Allein man unterschied die
Wärmequellen nur nach ihrem Wärmegrad und wulste, dafs mit
zunehmender Temperatur die Mannigfaltigkeit der ausgestrahlten
Wellenlängen zunimmt. Jetzt hat sich herausgestellt, dafs auch
bei einer und derselben Temperatur, und zwar bei einer, die sehr
weit von der Glühhitze entfernt ist, bei 150° C. die verschie-
denen Substanzen sehr verschiedene Wärmearten aussenden,
dafs also in jedem Raume eine aufserordentlich grofse Zahl
verschiedener Wärmestrahlen oder verschiedener Wellenlängen
sich beständig kreuzen. Diese mannigfaltige Kreuzung wird
noch besonders vermehrt durch die auswählende Reflexion, die
an den verschiedenen Oberflächen stattfindet.
Daher würde ein Auge, das die verschiedenen Wellenlängen
der Wärme wie die Farben des Lichts zu unterscheiden ver-
möchte, alle Gegenstände, ohne dals sie besonders erwärmt
wären, in den allerverschiedensten Farben erblicken.
Hr. Pertz legte den vollendeten 3ten Band der Lebens-
beschreibung des Feldmarschalls Grafen Neidhard von Gnei-
senau vor, berichtete über den Inhalt und theilte der Akademie
die der Gnade Seiner Majestät des Königs verdankten Auf-
schlüsse über die Aufnahme der welthistorischen Convention
von Tauroggen durch des hochseligen Königs Friedrichs Wil-
helms des Dritten Majestät mit.
Gesammtsitzung vom 29. Juli 1869. 679
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen‘ naturwissenschaftlichen
Gesellschaft während des Vereinsjahrs 1867—68. St. Gallen 1868. 8.
Annual Report of the Director of the Cincinnati Observatory. Cincin-
nati 1869. 8. =:
Mittheilungen der Central-Commission zur Erforschung der Baudenkmale.
14. Jahrgang, Juli-August. Wien 1869. 4.
Lamy et Cloizeaux, Etudes chimiques. Extrait. (Paris 1869.) 8.
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In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus den Jahrgängen
1868 und 1869 erschienen:
v. RAnke, Briefwechsel Friedrichs des Grossen mit dem Prinzen Wil-
helm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin, Anna,
geb. Princefs Royal von England.
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.
EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikro-
skopischen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko.
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.
Lepsivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen
und einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie.
Preis: 15 Sgr.
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MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
August 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Trendelenburg.
2. August. Sitzung der philosophisch-histo-
| rischen Klasse.
Hr. Parthey las über seine Ausgabe der Mirabilia
Romae nach den vatikanischen Handschriften.
Die Unerschöpflichkeit Roms zeigt sich unter andern in
der grofsen Ausdehnung, die das Studium der Topographie,
eines Zweiges der römischen Alterthumkunde, im Laufe der
Zeiten gewonnen. Nach den ersten Zerstörungen der Völker-
wanderung, nach dem Zusammenschrumpfen der Stadt selbst
zu einem wüsten Trümmerhaufen, nach dem Untergange aller
Kultur und Bildung in ganz Italien schien zwar niemand mehr
ein Interesse an den sonst hochberühmten Örtlichkeiten zu
nehmen. Aber der Zauber, den das Alterthum in Rom aus-
übt, läfst sich nicht bannen. Kaum war der ärgste Völker-
sturm vorüber gebraust, kaum hatte man sich von dem ersten
Schrecken erholt, kaum gewährte die aufkeimende päpstliche
‚Macht das Gefühl eines etwas gesicherten Zustandes, so empfand
man auch schon das Bedürfnifs, neben den officiellen und halb-
offieiellen Regionarien, dem Ouriosum ete. zunächst für die zahl-
reich herbeiströmenden Pilger ein Verzeichnifs der christlichen
Kirchen anzufertigen, dem gleichsam als Ergänzung eine An-
gabe der früheren antiken Lokalitäten beigegeben ward.
[1869.] 49
682 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse
Das älteste Dokument dieser Art scheint die Graphia
aureae urbis Romae zu Sein, von Ozanam zuerst aus einer
unvollständigen Florentiner Handschrift herausgegeben. (Do-
cuments inedits pour l’histoire d’Italie. Paris, Lecoffre. 1858.
8.) Ozanam setzt die Entstehung der Graphia mit vieler Wahr-
scheinlichkeit in das 6.—8. Jahrh. wo Rom unter der Both-
mäfsigkeit der oströmischen Kaiser stand: denn urmittelbar an
die topographischen Notizen über Rom schliefst sich in der
Graphia eine Beschreibung der kaiserlichen Hofceremonien, die
durchaus byzantinisch ist, und oft an Constantinus Porphy-
rogenitus erinnert. Es werden darin die Obliegenheiten und
Würden von Hofämtern angegeben, die damals gewils nicht in
Rom existirten. Ein Kapitel (p. 179) handelt ausführlich von
den verschiedenen Arten und Namen der Eunuchen.
Dafs diese Zusammenstellung keine zufällige sei, zeigt der
Verbindungssatz (p. 171): His itaque prelibatis, nomina et di-
snitates illorum qui in excubiis imperialibus perseverant de-
seribamus.
Die letzte Redaction der Graphia fällt jedoch erst in die
zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts: denn es werden darin die
Gräber der Päpste Innocenz II (f 1143) und Anastasius IV
(+ 1154) genannt. Die Handschrift in der Laurentiana, aus
der Ozanam den Text drucken liefs, gehört in das 13. oder
14. Jahrhundert.
Sehr grofse Verwandschaft mit der Graphia haben die
Mirabilia Romae, deren ersten Entwurf-Gregorovius (Gesch.
von Rom 4, 611 Anm.) in die Öttonenzeit setzt. Dafs sie
jünger sind als die Graphia läfst sich aus manchen Merkmalen
abnehmen. Die Graphia nennt die beiden Mausoleen des Au-
gustus und Hadrian memoriae, in den Mirabilien heifsen sie
castella; sie waren also damals schon in Burgen umgewandelt
(Ozanam p. 87). Auffallend bleibt es indessen, dafs die beiden
in der Graphia vorkommenden Päpste in den Mirabilien nur
als papa Innocentius und papa Anastasius ohne Angabe der
Ördnungszahlen genannt werden. Ein kleines Stück des byzan-
tinischen Hofceremoniels: Primicerius id est prima manus...
(Ozanam p. 171) ist aufser allem Zusammenhange auch in
einige Handschriften der Mirabilien gerathen. Dafs ein grofser
vom 2. August 1869. 683
Theil der Mirabilien wörtlich .mit der Graphia übereinstimmt,
dafs Stücke daraus sich unverändert beim Petrus Mallius, beim
'Martinus Polonus u. a. finden, darf nicht Wunder nehmen; sie
fallen in eine Zeit, wo die Schriftsteller weder den Stolz der
Originalität, noch den Skrupel des ‚Plagiates kannten. (Oza-
nam p. 84.)
Jünger als die Mirabilien, doch von ähnlichem Inhalte ist
der Anonymus Magliabecchianus, von Merklin aus einer
Florentiner Handschrift zuerst herausgegeben. (Universitätspro-
sramm von Dorpat. 1852. 4.) Es werden darin 6 Päpste ge-
nannt, von denen Johann XXII. von 1410—1415 regierte.
Es findet sich hierin auch ein Verzeichnifs der Strafsen und
der 14 Regionen von Rom.
Eine noch jüngere Beschreibung von Rom, die vielleicht
den Arbeiten von Franeiscus Poggius und Flavius Blondus
ganz nahe steht, fand ich auf der Biblioteea Barberina in
einer Handschrift des 16. Jahrh. (N. 812. lat. fol. 59%? — 87®.)
Diese Beschreibung folgt auf den Pomponius Mela, den Sextus
Rufus, den Aurelius Victor. Sie trägt die Überschrift: De
Roma antiqua, und umfast 53 Folioseiten. Die späte Ent-
stehung des Werkes zeigt sich unter andern auch in der grofsen
Menge von Citaten aus den uns bekannten Klassikern, während
in den älteren Kompilationen nur sehr wenige, und meist mis-
verstandene Citate stehn. So wird in der Graphia und in den
Mirabilien das martyrologium Ovidii de fastis angeführt, wozu
Montfancon richtig bemerkt, die Verwechselung könne nur da-
durch entstanden sein, dafs man beim Ovid auch eine Erwäh-
nung der Kalenden, Nonen und Jden gefunden.
Seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften tritt die Er-
haltung der antiken Monumente in ein umgekehrtes Verhältnifs
zu ihrer Beschreibung. Je mehr nach und nach die alten
Reste vor den Neubauten dahinschwinden, desto ausführlicher
werden die Untersuchungen über alle einzelnen Theile der
Stadt. Wir erhalten Monographien über die Mauern, die Fora,
die Wasserleitungen etc. Es war hier die Aufgabe gestellt,
die fragmentarischen Nachrichten der Klassiker an die Monu-
mente selbst anzuknüpfen, und aus den vorhandenen Über-
49*
684 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse
bleibseln durch Combination die Lage und Gestalt der ver-
schwundenen Denkmäler wiederherzustellen. |
Hiebei kamen auch die unkritischen Arbeiten des Mittel-
alters zur Geltung. Wenn die zerstreuten Angaben der Klas-
siker nur in den wenigsten Fällen einige Sicherheit über die
gegenseitige Lage der Bauwerke gewähren, so geben die späteren
Kompilationen manchen guten Fingerzeig über die Folge und
Nachbarschaft der antiken Gebäude.
In allen diesen Sammlungen, in der Graphia, den Mira-
bilien, dem Anonymus Magliabeechianus ete. stehn zuerst die
gleichartigen Monumente der Stadt, die Thore, Brücken, Tri-
umphbogen etc. dann geht die Beschreibung zu einzelnen be-
deutenden Gebäuden, dem Pantheon, das Kapitol u. a. über,
und umrankt die ehrwürdigen Reste mit dem Epheuschmucke
der wunderbarsten sagenhaften Erzählungen. Selten findet sich
ein Citat aus den damals fast vergessenen Klassikern.
Da die Lage der meisten genannten Kirchen feststeht, so
würde sich daraus die Stelle vieler alten Denkmäler mit grofser
Sicherheit ergeben, wenn die Angaben jener alten Wegweiser
auf etwas mehr als einer schwankenden Tradition beruhten.
Jndessen auch in ihrer unvollkommenen Form sind sie von
vielem Werthe für die römische Topographie.
Einer sehr grofsen Verbreitung erfreuten sich im Mittel-
alter die Mirabilia Romae, welche uns hier beschäftigen. Die
zahlreichen Handschriften des Werkes in fast allen europäischen
Bibliotheken bezeugen das Bedürfnifs der Menge nach einer
kirchlich historischen Beschreibung der ewigen Stadt. De’ Rossi
(Roma sotter. t. 1. p. 158) setzt ihre erste Redaction in das
12. Jahrh. Die ältesten Handschriften reichen nicht über das
13. Jahrh. hinauf. Preller (die Regionen von Rom. 1846. p. 43)
fand merkwürdiger Weise in Florenz eine Handschrift der Mi-
rabilien im neapolitanischen Dialekte. Jm Ordo Romanus (Ma-
billon, Museum ital. t. 2. p. 151 sq.) wird sehr genau der Weg
des Papstes bei einer grofsen Procession beschrieben; er stimmt
mit den bezüglichen Stellen in den Mirabilien überein. Dafs
der Ordo Romanus älter sei als 1143 erhellt aus der Zueig-
|
vom 2. August 1869. 685
nung an den Kardinal Guido de Castello, der im Jahre 1143
‚als Coelestin II. den päpstlichen Stuhl bestieg.
[ Die Chronik des Martinus Polonus, bis zum Jahre 1320
reichend, ist (wie p. 18. der Antwerpner Ausgabe 1574. 8. be-
enthält als Einleitung zu der synchronistischen Papst- und
merkt wird) aus den Chroniken des Methodius kompilirt. Sie
Kaisergeschichte mehrere Stücke aus der Graphia oder aus
den Mirabilien.
Eine vollständige kritische Ausgabe der Mirabilien dürfen
wir von De’ Rossi nach Vollendung seines grofsen Katakomben-
werkes erwarten. Als Beitrag dazu sei es mir erlaubt, einen
Abdruck der Mirabilien hier vorzulegen, den ich nach den va-
tikanischen Handschriften besorgt habe. Es sind deren, wenn
man die Fragmente von Martinus Polonus hinzurechnet, nicht
weniger als 10, deren Verzeichnifs ich der Güte des Hrn. Gre-
gorovius verdanke. Über den Charakter derselben habe, ich
in meiner Vorrede p. VII—XV ausführlicher berichtet, es mag
hier nur im allgemeinen bemerkt werden, dafs. De’ Rossi zwei
Hauptrecensionen des Werkes unterscheidet. Den älteren, aber
verdorbenen und lückenhaften Text giebt die Ausgabe in den
Effemeridi letterarie di Roma, vom Jahre 1820, aus einem
codex des 15. Jahrh. in der Bibliothek Colonna von Nibby
besorgt. Diesen Text liefs der Graf Alberti im Jahre 1864
von neuem abdrucken. (Mirabilia Romae. Roma, dalla tipo-
grafia Forense. 1864. 12.) Die zweite Recension des Textes
„indet sich bei Montfaucon (Diarium italicum. Parisiis. 1702.
4. p- 283— 297) nach einer Handschrift des 13. Jahrh. aus
der Sammlung des Kardinales Nicolaus von Aragonien in der
Bibliothek von 8. Isidoro.
Beide HSS. habe ich in Rom vergeblich gesucht, aber
beide BRecensionen sind unter den vatikanischen codices ver-
treten. Aulserdem ist noch eine dritte Recension. vorhanden,
in der die späteste und ausführlichste Gestalt des Textes sich
zeigt. Cod. Vatic. 4265 lat. Papierhandschrift von 238 Quart-
blättern aus dem 14. Jahrh.; mit vielen schwer aufzulösenden
Ligaturen. Die Vergleichung dieser Handschrift verdanke ich
Hrn. D. Hinck in Rom. Sie enthält hinter dem Tractate des
Nyeolaus de Lyra contra Iudeos, die Mirabilien in einer dritten,
686 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse
von Montfaucon und Alberti abweichenden Anordnung des Textes.
Die Reihenfolge der Abschnitte ist nach unseren Paragraphen
mit mehr oder weniger Vollständigkeit $$. 1. 2. 6. 3.8.5.9. |
4. 10. 12. 42. 37.52. 14. 31.32. 34. 25. 39.188. 153..29.130.
54-—102. Die letzten Paragraphen 54—102 beziehen sich
zwar mehr auf die christlichen als auf die heidnischen Alter-
thümer, zeigen indessen recht deutlich, wie das Interesse der
Reisenden mehr und mehr von den klassischen Resten auf die
kirchlichen Reliquien abgeleitet ward. Es befanden sich im
Jahre 1575 in den römischen Kirchen nicht weniger als 7 Bil-
der von der Hand des Evangelisten Lucas. Die beiden Stühle,
auf denen der Papst geprüft wurde, „an masculus sit, an fe-
mina“ standen damals im Lateran (58). Die Fabel von der
papissa Johanna wird zwar damit nicht in Verbindung ge-
bracht, erhält sich aber im vollen Glauben (70). Ganz neu
ist das Monument für die Gänse, welche das Kapitol gerettet;
es stand, wie es scheint, nicht weit von den Thermen des
Diokletian (68). Man könnte dabei zunächst an irgend ein
Bildwerk mit dem Schwane der Leda denken. Auch erfährt
man, dals damals unter den römischen Reliquien das „pre-
putium Christi* (58) das abgelassene Fett des heiligen Lau-
rentius (89) und das Kinn des Jacobus maior (85) gezeigt
wurden.
Die Indulgenzen des Papstes Gregorius (wohl Gregorius XI.
1370—1378), welche im codex beinahe 2 Seiten füllen, sind
weggelassen. Es verdient nur daraus angeführt zu werden,
a
dafs in der Peterskirche vom Himmelfahrttage an bis zum
1. August täglich 15000 Jahre Ablafs bewilligt werden.
Bis zum Erscheinen der vollständigen Ausgabe von De’
Rossi werden die Archäologen in unsrer Arbeit alles das zu-
sammen finden, was über Topographie, Stadtlegende und Kir-
chenchronik Roms in den vatikanischen Handschriften der Mi-
rabilien vorkömmt.
Betrachtet man nun den mythologischen und historischen
Gehalt der Mirabilien, so zeigt es sich, dafs die Erinnerung
an die grolse römische Vorzeit auch in den dunkelsten Jahr-
hunderten des Mittelalters nicht ganz im Volke erlöschen konnte.
FE
vom 2. August 1869. 687
Die hier folgende Reihe von Götternamen aus den Miırabilien
giebt den Beweis, dafs der ganze heidnische Olymp in den
christlichen Kirchen vertreten war:
Apollo. Phebus. Sol. Gorgo. Pax.
Asclepius. Esculapius. Hercules. Phebus.
Bacchus. Honos. Pietas.
Bellona. Janus. Saturnus.
Carmenta. Juno. Serapis.
Beres: ., Jupiter. Sibilla.
Cibele. Latona. Sol.
Concordia. Luna. Sospita.
Cratieula. Mars. ‚Splen.
Diana. Mercurius. Tellus.
Esculapius. Asclepius. Minerva. Pallas. Venus.
Faunus. Moneta. Vesta.
Flora. Neptunus. Ysis.
Fortuna. Pallas.
Die Reminiscenzen aus der römischen Geschichte gewäh-
ren auch in ihrer sagenhaften Verdunkelung ein eigenthüm-
liches Interesse. Aus der Königszeit finden wir die Namen
des Romulus, Remus, Tarquinius Priscus und anonym die Hel-
denthat des Marcus Curtius. Aus der langen Epoche der Re-
publiek ist nur der Sieg des Marius über die Teutonen, der
Name des Cicero und seines Widersachers des Catilina, so
wie der des Pompejus lebendig geblieben. Caesars Andenken
ist in seinem grolsartigen Grabmale und an vielen andern
Stellen erhalten. Von den römischen Schriftstellern wird Ovid
öfter, Salust einmal eitirt, Virgil ist schon mythisch geworden.
Die Legende, wonach die Sibylle dem Octavianus das unter
seiner Regierung geborne Christkind zeigt, knüpft die abster-
bende heidnische Welt an das aufblühende Christenthum, da-
gegen ist die Erzählung von Kleopatra’s Verhalten in der
Schlacht bei Actium und von ihrem Tode ganz historisch.
Agrippa, der Schwiegersohn des Octavianus, blieb unvergessen
durch das von ihm erbaute Pantheon. Die darauf folgende
Kaiserreihe hatte sich durch vielerlei noch vorhandene Pracht-
bauten dem Gedächtnilse der Römer eingeprägt: Tiberius, Clau-
dius, Nero, Vespasianus, Titus, Domitianus, Nerva, Traianus,
Adrianus, Antoninus, Commodus, (Septimius) Severus, Elioga-
688 Gesammtsitzung
balus, Alexander (Severus), Gordianus, Volusianus, Lieinius,
Diocletianus, Maximianus, Constantinus und seine Mutter He-
lena, Julianus, Gratianus, Valentinianus, Focas, Archadius und
Eudoxia, Theodosius. Endlich wird noch Karl der Grosse genannt.
Neben diesen zahlreichen Notizen aus der heidnischen Ge-
schichte darf es nicht Wunder nehmen, dafs der Päpste nur
spärlich Erwähnung geschieht. Sie gehörten noch nicht zu de-
nen, die durch bewundernswerthe Bauwerke die Fremden in
Erstaunen setzten; ihr gröfstes archäologisches Verdienst be-
stand darin, dals sie durch Umwandlung der antiken Tempel
in christliche Kirchen manches alte Monument vor .dem gänz-
lichen Untergange bewahrten.
5. August. Gesammtsitzung der Akademie.
Fa
Hr. Kummer las die Abhandlung des Hrn. Kronecker
über Systeme von Functionen mehrer Variabeln.
Wenn man mit F, eine reelle Function der n reellen Va-
riabeln: 2552551%.22, und mit. is: Ho) „aufn deren partielle
Ableitungen bezeichnet, so kann man auf das System der n
Functionen: (Fi, Foıs Foa> --- Fon) die Betrachtungen anwenden,
welche ich in meiner Mittheilung vom 4. März d. J. erörtert
habe. Es knüpft sich an dieses specielle System ein eigen-
thümliches Interesse, weil man darauf geführt wird, wenn man
die Theorie der Krümmung von Flächen auf.Functionen mehrer
Variabeln ausdehnt. Ich behalte die Ausdrücke und Bezeich-
nungen des im Monatsberichte vom März d. J. abgedruckten
Aufsatzes bei und setze für den speciellen Fall, welcher den
Gegenstand der vorliegenden Mittheilung bildet,
FF EEE
und auch der Gleichförmigkeit wegen, da wo es passend er-
scheint, A), für Ay. Ferner bezeichne ich wie in meinem Auf-
‚satze über bilineare Formen (Monatsbericht vom October 1366)
mit:
| Ayn |
die aus (n + 1)? Grölsen:
4,
gh (und NEE ER)
| vom 5. August 1869. 689
gebildete Determinante und mit: ö,, die „Null“ oder die
„Eins“, je nachdem gZh oder g=h ist. Alsdann ist die
Charakteristik des Systems: (Fy For Fass: Fin) durch:
1 dw
(K) a
ausgedrückt. In der Determinante unter dem Integralzeichen
nehmen die Indices 9 und Ah alle Werthe von 0 bis n an, und
Fon sowohl als F,, übereinstimmend mit 77, bedeutet die Ab-
leitung von F, nach 2,, während mit F,,, wenn g und Ah von
Null verschieden sind, die Ableitung von F, nach 2, oder also
die zweite Ableitung von F, nach z, und z, bezeichnet ist.
Scheidet man sämmtliche Werthsysteme (z), welche den Be-
dingungen:
F,<0, Kn=Fa=:...=Fun=0
genügen, in zwei Gattungen, je nachdem die Hessische Determi-
nante von F, einen positiven oder negativen Werth erhält, so
giebt das Integral (K) nach der Bedeutung des Wortes „Cha-
rakteristik“ den Überschufs der Anzahl von Werthsystemen
erster Gattung über die der zweiten an. Andrerseits hat aber
für die Fälle n—= 2 und 3 das Integral (K) eine bekannte geo-
metrische Bedeutung und es bedeutet namentlich für n—=3 die
über die ganze geschlossene Fläche: F, = 0 ausgedehnte „cur-
vatura integra*, durch 4” dividirt; es ist also hiermit die
Übereinstimmung der „ceurvatura integra“ und der mit 47 mul-
tiplieirten Charakteristik des Systems: (Fo, For» Foa> Fos) er-
wiesen und dadurch auch eine einfache Methode für die Be-
stimmung der totalen Krümmung einer beliebigen geschlossenen
Oberfläche gewonnen.
Die Untersuchung des obigen Integrals der Charakteristik
eines Systems: (Fü, Fürs Fog> -: : F9n) hat mich darauf. geleitet,
die Theorie der Krümmung auf Functionen von n Variabeln zu
übertragen. Dabei habe ich gefunden, dafs die für Oberflächen
gebräuchlichen Betrachtungen sich in sehr einfacher und ele-
ganter Weise verallgemeinern lassen und dafs die bekannten
analytischen Resultate durchaus erhalten bleiben, wenn man
690 Gesammtsitzung
an die Stelle der. drei Raumcoordinaten n Variable einführt.
Ich behalte mir die ausführlichere Mittheilung meiner bezüg-
lichen Untersuchungen vor und will hier nur einige vorläufige
Andeutungen darüber geben.
Ich nenne eine ebene vfache Mannigfaltigkeit eine solche,
welche durch (n—v) lineare Gleichungen aus der gesammten
nfachen Mannigfaltigkeit ausgeschieden wird, welche also bei
Einführung von v neuen Variabeln « durch n Gleichungen:
y
i=v |
2, — 2% a a
definirt werden kann. Eine ebene einfache Mannigfaltigkeit
oder also eine „ebene Linie“ kann hiernach durch die Form:
AN —ia;t en
dargestellt werden, wo Za? = 1 ist und die Variable t so zu
sagen die Entfernung des variabeln Punktes (z) von dem festen
Punkte (2°) bedeutet. Für zwei solche ebene Linien entspricht
der Ausdruck:
> a,a, (sm 152%...2%)
dem Cosinus des Richtungs-Unterschiedes der beiden Linien.
Ferner ist wie in meinem Aufsatze vom 4. März d. J. die
Linie:
die Normale an A, im Punkte (2°), und p die Entfernung des
Punktes (2) vom Punkte (2). Mit Hülfe dieser Bestimmungen
läfst sich offenbar auch der Begriff des Unterschiedes der Rich-
tungen zwischen einer Linie und einer (n—1)fachen Mannig-
faltigkeit festsetzen.
Die (n—1)fache ebene Mannigfaltigkeit, welche die (n— 1)
fache Mannigfaltigkeit: 7, = 0 im Punkte (2°) berührt, ist:
>, —- A)A=0;, ar=2115233. Um)
wo in Z, für die Variabelu 2 die entsprechenden Werthe 2 ein-
vom 5. August 1869. 691
zusetzen sind; eine zweifache ebene Mannigfaltigkeit, welche
durch denselben Berührungspunkt geht, ist:
(a,b) 2, — = a,u + b,v (k=1,2,...mM 5
wo u und vo zwei Variable bedeuten. Hier können nun durch
lineare Umformung von u und v die Werthe von a so gewählt
werden, dafs die Linie:
(a) 2, — = at KE2,...0
in jener berührenden Mannigfaltigkeit liegt und dafs die Linie:
(b) 2 — A=bt (k=1,2).:.7)
zu der Linie (@) normal ist. Alsdann finden also die Glei-
chungen statt:
ist. Denkt man sich nun in der Mannigfaltigkeit (a,b) und
‘zwar im Punkte (2°) eine Normale an die von der Mannig-
faltigkeit (a,db) aus F, ausgeschnittene Linie bestimmt und
bezeichnet mit:
o(a, b)
die Länge derselben vom Punkte (2°) bis zum Durchschnitts-
punkte der benachbarten Normale, so ist diese dem Krüm-
mungsradius entsprechende und von den Üoeffieienten @ und 5
abhängige Gröfse 9 durch die Gleichung:
e(a, b) .>a,0, Fi, = "bi F, ( all 9 2.00)
gegeben. Da nun die Linie:
F,
Bu
oa
die Normale an F, im Punkte (2°) darstellt, so ist die rechte
Seite der obigen Gleichung nichts Anderes als der mit S mul-
692 Gesammtsitzung
tiplicirte Cosinus des Richtungs - Unterschiedes zwischen der
Normale und der Linie (d). Wenn also die Linie (5) mit der
Normale zusammenfällt d. h. also für einen Normalschnitt
(a, 5) ist:
e(a) ‚244, =S,
und folglich analog dem Meunier’schen Satze:
o(a,b) = o(a).Zb,fr >
wo zur Abkürzung f, für den Quotienten: - geschrieben ist.
Sucht man diejenigen Werthe der Function o(a), für welche
die ersten Ableitungen derselben sämmtlich verschwinden, vor-
ausgesetzt dafs diese Ableitungen unter Berücksichtigung der
beiden zwischen den Grölsen (a) bestehenden Relationen ge-
bildet werden, so ist es vortheilhaft die n Gröfsen a durch
(n—1ı) Gröfsen «x zu ersetzen, welche durch folgende Glei-
chungen definirt werden:
a2 >05, (le)
wo die Summation in Bezug auf r — wie durchweg im Fol-
genden — auf die Werthe 1,2,...n—1 zu erstrecken ist.
Die Coefficienten c,, sind dabei so zu bestimmen, dafs durch
die Substitution:
0. — > CykYr
die Bedingungen:
ea y 2 u oe
27, =0 , Zah =>, u =Eyf
erfüllt werden, in welchen die auf © und % bezüglichen Sum-
mationen stets auf die Zahlen 1 bis n auszudehnen sind. Man
erhält hiernach für die Coeffiecienten e die folgenden bestimmen-
den Gleichungen:
= M
Pe NE Sep y EEE
CE = 1 9 — (y, Fon =0 ’ = Cyn Fin Ta ArCyi ’
D D
wo Ah die Werthe 0,1,...n, aber © und % nur die Werthe
En al u JE SEE ur zu 2
vom 5. August 1869. 693
1,2,...n annimmt und wo A, irgend eine der (n—1) Wur-
zeln der Gleichung;
| An —%- Om | = 0 (g, BDA ae)
bedeutet. Diese Wurzeln sind sämmtlich reell, und man über-
zeugt sich hiervon leicht, wenn man von den (n-+1)? Gröfsen
7 die n? letzten d. h. also die Gröfsen:
Fi, Rn Re)
durch Gröfsen: «P, ersetzt, welche bei der orthogonalen Trans-
formation:
> zu, 2 SS PAR
"Ma; =3dy, umty
auftreten.
Da nach den angegebenen Bestimmungen:
2(a). 22,02 ey Su Ie2 =1
wird, so verschwinden sämmtliche Ableitungen von o(a), wenn
alle (n— 1) Gröfsen « mit Ausnahme einer einzigen («,) gleich
Null und demnach: «®—= 1 gesetzt wird. Jrgend eines dieser
besonderen Werthsysteme der Grölsen @ ist also einfach durch
die Gleichungen:
Ar = Cyk (k—= 1; Ayası 7)
gegeben und der entsprechende Werth von > ist:
S
A
72
Hiernach werden die den Hauptkrümmungsradien entsprechen-
den (na—1) Werthe von :(a), nämlich:
= 7. Gen; een
durch die Gleichung:
0-22. — S-Sgn| — A)
bestimmt, die zweifache ebene Mannigfaltigkeit, welcher irgend
ein o, als Krümmungsradius der aus A, ausgeschnittenen ein-
fachen Mannigfaltigkeit angehört, ist:
694 | Gesammtsitzung
TON
2 — im Ort rd;
und die in der berührenden Mannigfaltigkeit hiervon ausge-
schnittene ebene Linie:
Uz-
Alle diese (n—1) den verschiedenen Werthen des Index r ent-
sprechenden Linien sind zu einander normal, d. h. es besteht
für je zwei Linien:
Zr BEL ie
die Relation:
> =>
7 Orr Osk 07
und es wird analog der Eulerschen Formel:
en
2
DD
ela) 7 ©
wo «, durch die Gleichung:
Be
A —rr@r
definirt ist, also den Cosinus des Richtungs-Unterschiedes zwi-
schen den beiden Linien:
ur gu
1) nl) a 170 SE 7 7 a 7
darstellt. Man sieht hieraus, wie die Grölsen g,, 89, .»- 9, in
den wesentlichsten Beziehungen den Hauptkrümmungsradien
der Oberflächen entsprechen und es findet sich auch folgende
Grundeigenschaft derselben wieder: i
„Es giebt auf der Normale: |
2, — = IP
(n—1) Punkte (2), in denen dieselbe von einer benach-
barten Normale geschnitten wird, und die zugehörigen
Werthe von p sind jene Gröfsen: 97, 093 = &n-ı-"
Der reciproke negative Werth des Productes der (n—1) Werthe
von o, welche der Gleichung:
vom 5. August 1869. e 695
2-25 =, S.d,n| E20
genügen, ist offenbar identisch mit dem Ausdrucke, welcher
unter dem Integrale (K) mit dem Elemente dw multiplieirt
ist. Die Charakteristik des Systems:
(Fr > Fi» Fe: Sa Fon)
kann also auch durch:
dargestellt werden, und der reciproke Werth des Productes:
&129 *** &nı entspricht dem Gaufs’schen Krümmungsmaafse.
Denn wenn man die Gaufs’sche Bestimmung des Krümmungs-
maafses auf (n—1)fache Mannigfaltigkeiten: F, = 0 ausdehnt,
indem man die Normalen einer solchen mit denjenigen von:
N.2 —
vergleicht, so erhält man als die dem Krümmungsmaafse ent-
sprechende Gröflse eben jenen Ausdruck, der unter dem Inte-
grale (K) mit dem Elemente dw multiplicirt ist, negativ ge
nommen, d. h. also den reciproken Werth des Productes:
&169 «En Hieraus geht hervor, dafs in der That der-
jenigen Zahl, welche das Verhältnils der „curvatura ıntegra“
einer geschlossenen Oberfläche zur Kugel-Oberfläche angiebt,
für eine Function von n Variabeln (F,) die Charakteristik des
aus der Function F, und ihren n partiellen Ableitungen gebil-
deten Systems entspricht. Da diese Charakteristik durch den
Überschufs derjenigen im Innern von F\, liegenden Punkte (z)
gegeben wird, für welche:
Fi > be ee Fun 0, Fu lhE>.0r;
über diejenigen wofür:
Fı=Fa='=-fFa=2%, |Fa|< 0
ist, so kann sich dieselbe für verschiedene Mannigfaltigkeiten:
yet
696 Gesammtsitzung
bei Variation der Constante ce nur dann ändern, wenn bei einer
solchen Veränderung des inneren Bereiches (7,<.c) Punkte,
wofür: | |
z' — —
Zu Een
ist, in denselben aufgenommen oder von demselben ausge-
schlossen werden.
Die geometrische Beziehung der Charakteristik von Func-
tionen-Systemen ist nicht auf die speciellen hier behandelten
Systeme beschränkt. Für allgemeine Systeme (A), F}, Fa, ... 7.)
tritt aber in den geometrischen Beziehungen an Stelle des Gaufs-
schen Krümmungsmaalses das Kummersche Dichtigkeitsmaals
auf. Betrachtet man nämlich das (n—1)fach unendliche Sy-
stem ebener Linien:
u in ea Aastnpi Sm, golsugge pi dam,
N ;
wo F,(2,29,..,20)= 0 und M,# «.- F„ irgend welche ein-
deutige Functionen der n Variabeln 2 bedeuten, also die obige
Voraussetzung, dafs dieselben mit den Ableitungen von F,
übereinstimmen, fallen gelassen ist, so entspricht jeder ebenen
Linie des Systems ein Punkt (2°) -der (na—1)fachen Mannig-
faltigkeit: Ay—= 0 und auch ein Punkt (£):
2 er P,(2:; 22 RT 2)
ae
der (n—ı)fachen Mannigfaltigkeit:
2 gr Hiel.
Bei der hierdurch entstehenden Beziehung der beiden (n— 1)
‚fachen Mannigfaltigkeiten:
0 °,0 2 SS Z2re
auf einander wird aber das Verhältnifs der Elemente beider
Mannigfaltigkeiten seinem absoluten Werthe nach durch:
vom 5. August 1869. 697
1
Sn NR RE)
‚ausgedrückt, wo
Fo=#
F F,;
RER 3 iu IE
02; 02%
ee iiy2,:on'und:
&=Farfattfo
=-mR+r +-."+7
zu nehmen und überall unter den Functionszeichen F die durch
die Gleichung:
Pd, 3,...2)= 0
mit einander verbundenen Variabeln 2° einzusetzen sind. Da
nun nach der in meinem oben erwähnten Aufsatze vom März
d. J. angenommenen Bedeutung von R:
R.S = | Fon]
ist, so wird jenes Verhältnifs der Elemente durch:
2
sr
dargestellt d. h. durch eben den Ausdruck, welcher in dem
Integrale der Charakteristik mit dem Elemente dw der Man-
nigfaltigkeit: F, = 0 multiplieirt ist. Wenn man also im Falle:
n=3 den Variabeln: 2,, 25,2, die Bedeutung rechtwinkliger
Raumcoordinaten beilegt, so wird das Element des Integrals
der Charakteristik eines allgemeinen Functionen-Systems:
(Fo Fi» Fa, #3)
für das durch die Gleichungen:
(20; 20; 20
u
S (21, 225 23)
F (21, 23, 23) = 0
[1869.] 50.
x —- 2—-
698 Gesammtsitzung
definirte Strahlensystem „das auf die Normalebene des zu-
gehörigen Strahls projieirte Element der Fläche (F, = 0),
multiplieirt mit dem Kummerschen Dichtigkeitsmaafs* oder
„das Element der Fläche (F, = 0) selbst, multiplieirt mit der
auf dasselbe bezogenen Dichtigkeit des Strahlensystems.* Hier-
durch zeigt es sich, dafs die Theorie der Charakteristik von
Functionen Systemen ebenso nahe mit geometrischen Theorieen
zusammenhängt wie mit der Potentialtheorie; und man darf
wohl in diesen Beziehungen des ursprünglich aus rein analyti-
schen Prineipien entwickelten Begriffs der Charakteristik zu
anderen bekannten Theorieen eine Probe für die Echtheit des-
selben erkennen, einen Beweis dafür, dafs die Einführung die-
ses Begriffes in die Wissenschaft durchaus naturgemäfs und
nothwendig ist.
Hr. du Bois-Reymond las über die aperiodische
Bewegung gedämpfter Magnete. (Erscheint in einem der
nächsten Hefte.)
Hr. Braun machte eine Mittheilung über zwei bei dem
Gewitter vom 26. Juli d. J. vom Blitz getroffene Eichen.
Es war ungefähr 44 Uhr Nachmittags, als der Blitz an
dem genannten Tage in eine kräftige Eiche des botanischen
Gartens, in südwestlicher Richtung nicht weit vom Vietoria-
hause entfernt, einschlug. Wenige Minuten später wurde eine
Eiche am Rande des Thiergartens, dem Eingange der Bendler
stralse gegenüber, getroffen.
Die Eiche des botanischen Gartens ist über 70’ hoch, hat
am Grunde des Stammes ungefähr 4, in 3’ Höhe über dem
Boden, ungefähr 3’ Durchmesser. Der Blitz falste den Stamm
in einer Höhe von beinah 36’, an einer Stelle, wo derselbe
eine aus zwei fast gleichstarken Theilen bestehende Gabel bil-
det. Ein ungefähr 8’ über der Gabel abgehender dünner Seiten-
zweig ist eine Strecke weit, jedoch nicht bis zum Stamme, ein-
a
vom 5. August 1869. ; 699
seitig entrindet; von da scheint der Blitz nach der erwähnten
- Gabelstelle des Stammes übergesprungen zu sein, wenigstens
kann man äufserlich Spuren seines Laufes von dem entrindeten
un ee Be
Zweig bis zur Gabelstelle nicht wahrnehmen. Von der Gabel-
stelle aus geht die Blitzspur auf der Ostseite des Stammes in
schiefer Richtung zur Erde herab. Sie erscheint zunächst als
ein entrindeter Strich von wechselnder Breite, an einer Stelle
nur 2” breit, an anderen bis zu 1’ Breite sich erweiternd, im
Ganzen genommen von oben nach unten an Breite zunehmend.
Die Rinde ist jedoch, besonders an den engen Stellen, über die
Grenzen dieses Streifens hinaus auf eine Breite von F—,
keineswegs aber im ganzen Umfauge des Stammes, gelockert.
Der fehlende Rindenstreifen fand sich nach dem Blitzschlag in
grölseren und kleineren Stücken zum Theil bis auf 30 Schritte
Entfernung umher gestreut; die abgelösten Rindenstücke in sich
zusammenhängend, nicht in Splitter zermalmt. Längs der Mitte
des von Rinde entblölsten Streifens befindet sich eine regel-
mäfsige, in die sonst’ unverletzte Oberfläche des Holzkörpers
eingefurchte Rinne von 14 — 1#" Breite und #" Tiefe. Sie er-
streckt sich ununterbrochen von der Gabelstelle bis zum Grunde
und setzt sich selbst noch an dem unterirdischen Theile des
Stammes fort. Die durch Ausfurchung dieser Rinne abgelösten
Späne des oberflächlichen Holzes (Splintes) zeigen ein merk-
würdig zerfetztes und zerfasertes Ansehn und wurden in locker
zusammenhängenden biegsamen Streifen, die zum Theil eine
Länge von 6 — 8' besafsen, ebenso wie die Rindenstücke weit
hinausgeschleudert. Das Holz erschien übrigens frisch und
hellgefärbt und zeigte nirgends eine Spur von Verkohlung.
Die schiefe Richtung der Blitzfurche entspricht dem schiefen
Verlauf der Holzfaser, welche in dem vorliegenden Falle eine
- rechts um den Baum herumgehende, sehr wenig geneigte
- Schraubenlinie bildet, von der senkrechten Richtung nur unge-
fähr um 6 Grade abweichend.
Die Eiche an der Bendlerstrafse ist etwas weniger dick
als die des botanischen Gartens und mag kaum 70’ hoch sein. |
Der Blitz hat sie in den obersten Verzweigungen erfalst und
| man sieht die Spur desselben in stärker schiefer Richtung am
- Hauptstamme herabgehen, um den sie an mehreren starken
50*
700 Gesammtsitzung
Zweigen vorbeigehend, drei volle Umläufe beschreibt, bis sie
unterhalb der untersten Zweige in 13 — 14’ Höhe über dem
Boden plötzlich endigt. Etwa 14’ unter dem Ende derselben
geht auf der Thiergartenseite ein Telegraphendraht nahe am
Baum vorbei, zu welchem der Blitz ohne Zweifel übergesprun-
gen ist. Die streifenartige Entrindung und die schmale rinnen-
artige Ausfurchung des Holzkörpers in der Mitte des Streifens
verhalten sich im Wesentlichen ebenso, wie an dem Baume des
botanischen Gartens, nur ist die Richtung der Schraubenlinie,
welche die Blitzspur in Übereinstimmung mit der Holzfaser
beschreibt, die entgegengesetzte, nämlich links. Der Winkel
den sie mit der senkrechten bildet, beträgt etwa 15 Grad.
Nach den mir in der botanischen Litteratur bekannten
Beschreibungen vom Blitz getroffener Baumstämme, scheint
streifenartige Entrindung und rinnenartige Ausfurchung des Holz-
körpers und zwar in Übereinstimmung mit dem Verlaufe der
Holzfaser in mehr oder minder schiefer, den Stamm schrauben-
artig umwindender Richtung die häufigste Wirkungsweise des.
Blitzes auf Bäume zu sein, gänzliche Zersplitterung des Stam-
mes dagegen, wie sie Cohn von zwei im Jahre 1855 bei Char-
lottenbrunn getroffenen Weilstannen (Verhandl. d. Leop. Car.
Akad. Band XXVlI. 1.) beschreibt, ein seltneres Verhalten; der
von Caspary beschriebene Blitzschlag in eine Canadische
Pappel (Schr. d. physik. ökon. Gesellschaft zu Königsberg,
2. Jahrg., 1861, S. 41) weicht von den hier beobachteten da-
durch ab, die Entrindung und Aussplitterung des Holzes in
gleicher Breite zusammenfallen. Rinde und Holz wurden in
diesem Falle in einem gradlinig nicht schraubenartig verlaufen-
den Streifen von 6 — 11” Breite und 1-- 6” Tiefe heraus-
geschlagen und in kleinen merkwürdig zerfetzten Splittern bis
zu 70’ Entfernung herumgestreut. Unter den von Buchenau
(Verhandl. d. Leop. Car. Akad. Band XXXIIl) beschriebenen
unweit Bremen von einem und demselben Blitzschlag getroffe-
nen vier Eichen stimmen die unter no. 1 und 2 aufgeführten
in der Art der breiteren streifenartigen Entrindung und schmä-
lern furchenartigen Aussplitterung des Holzkörpers mit den hier
beobachteten Eichen wesentlich überein. Bei no. 1 ist die Wir-
kung sehr stark, in dem der Entrindungsstreif beinahe 2 des
vom 5. August 1869. 701
Stammumfanges einnimmt, während die Furche im Splint nur
1" Breite und 4— 2" Tiefe zeigt. Die Blitzspur geht links,
wie bei dem Baum an der Bendlerstrafse, und beschreibt unter
_ einem Winkel von ungefähr 20° beinahe 3 Umläufe um den
- Stamm. Bei no. 2 ist die Wirkung viel schwächer; der ent-
rindete Streif hat nur 14 — 22’ Breite, die Aussplitterungsfurche
#" Breite und 2'”' Tiefe. Die Richtung ist nur schwach schief
und war rechts, wie bei dem Baum des hiesigen botanischen
Gartens. Am schwächsten zeigt sich die Wirkung bei dem
Baum no. 4; die (linksläufige) Furche im Splint ist 6" breit
und 2’ tief, nur stellenweise von Rinde entblöfst, während an
anderen Stellen die Rinde nicht abgesprengt wurde. Auch
Cohn führt einen Fall an und zwar von einer an der Heu-
scheuer im schlesischen Gebirge im Jahr 1856 vom Blitz ge-
troffenen Fichte, bei welcher die Blitzspur eine zollbreite, den
Stamm vom Wipfel bis zur Wurzel umwindende Furche unter
der nicht abgeworfenen Rinde bildet.
Die in den angeführten Fällen, welche ohne Zweifel das
gewöhnlichste Verhalten vom Blitz getroffener Bäume bezeich-
nete, zu beobachtende scharf begrenzte rinnenartige Ausfurchung
des Holzkörpers, in Verbindung mit dem Umstande, dafs die
Rinde, wenn auch in breiterer Erstreckung, doch nur in der
Richtung dieser Furche und keineswegs im ganzen Umfang des
Stammes abgelöst oder aufgelockert ist, wodurch allein auch
das ungestörte Fortleben in solcher Weise beschädigter Bäume
Erklärung findet, sprechen gegen die von Cohn (am angef.
Ort, so wie in der Denkschr. z. Feier des 50j. Best. der Schles.
Ges. für vat. Cult. 1853, S. 26) ausgesprochene Ansicht, dafs
der Blitz im ganzen Umfange des Stamms durch das Cambium
geleitet werde und die Ablösungsrichtung eines Rindenstreifens
nicht die Bahn des Blitzes, sondern nur die Stelle bezeichne,
in der die Rinde der Explosion den geringsten Widerstand
leistet. Die Bahn des Blitzes ist allerdings zunächst nicht durch
den Rindenstreifen, wohl aber durch die Furche im Splint be-
zeichnet, während die Kraft des auf seiner Bahn durch das
feuchte Gewebe des jungen Holzes gebildeten Dampfes die
Rinde in einer gewöhnlich über diese Furche hinausgehenden
Breitenerstreckung absprengt.
702 Gesammtsitzung
In Beziehung auf die entgegengesetzte Richtung der Schrau-
benlinie, in welcher der Blitz bei den beiden am 26. Juli ge-
troffenen Eichen seinen Weg am Stamm beschrieber hat, er-
innere ich schliefslich noch an eine von mir schon früher ge:
machte Mittheilung über die Unbeständigkeit des schiefen Ver-
laufs der Holzfaser bei der Eiche (Monatsb. d. Ak. d. Wiss.
1854, 8. 455). Ob eine von beiden Richtungen die häufigere
ist und welche, kann ich mit Sicherheit auch jetzt nicht ent-
scheiden, da ich nie Gelegenheit hatte eine gröfsere Menge ge-
schälter Eichstämme in dieser Beziehung zu vergleichen. An
der Aussenfläche der Borke ist nämlich die Drehung durchaus
unbemerkbar und nur Blitzspuren oder Frostrisse können sie,
bei lebenden Bäumen verrathen. Cohn führt an, dafs nach
forstmännischen Erfahrungen die Eichen meist links gedreht
seien und die wenig zahlreichen von mir verzeichneten Fälle
scheinen dies zu bestätigen. Von zwei am angef. Orte von
mir näher bezeichneten Eichen des Thiergartens, welche in
früheren Jahren (die eine im Jahre 1812) von Blitz getroffen
wurden, geht die Blitzspur bei der einen links, bei der anderen
rechts; von den 4 von Buchenau beschriebenen geht sie bei
zweien links, bei einer (schwach) rechts, bei einer senkrecht.
Von 8 mit Frostspalten versehenen Eichen, welche Caspary
(bot. Zeit. 1855, 8.455) beschreibt, ist die Richtung der Spalte
in 5 Fällen links, in einem Fall rechts, in einem Fall unten
rechts, oben links, in einem Fall endlich ohne Neigung. Es
kommen somit (der Fall mit wechselnder Drehung ausgeschlossen)
auf 10 Fälle mit Linksdrehung nur 4 mit Rechtsdrehung.
Hr. Jacobi, correspondirendes Mitglied aus St. Peters- |
burg, sprach über die wissenschaftlichen Zwecke seiner Reise.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
B. Studer, Erläuterungen zur zweiten Ausgabe der geologischen Karte
der Schweiz. Winterthur 1869. 8.
Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bonn aus dem Jahre
1868. Bonn 1869. 8.
vom 9. August 1869. 703
Verhandlungen der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft in Ein-
siedeln. 52. Jahresversammlung. Einsiedeln 1868. 8.
Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die
gesammten Naturwissenschaften. 23. Bd. Zürich 1869. 4. |
Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit. 8. Bd.:
Geschichte der Sprachwissenschaft von Th. Benfey. München
1869. 8. |
Atti dell! Accademia de' Nuovi Lincei. Anno 21. Roma 1868. 4.
Memorie dell’ Istituto veneto. XIV, 2. . Venezia 1868. 4.
Atti dell’ Istituto veneto. Vol. 14, 2—5. ib. 1868. 8.
G. Leveöque, Recherches sur l'origine des Gaulois. Paris 1869. 8.
Beltrami, Sulla teorica generale dei parametri differenziali. Bologna
1869. 4.
12. August. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Bonitz las über Platons Kratylus mit Beziehung auf
die Bestreitung des platonischen Ursprungs.
Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über neue oder
weniger bekannte Fische des Berliner zoologischen
Museums.
1. Pteroplatea crebripunctata n. Sp.
Scheibe doppelt so breit wie die Entfernung von der Schnau-
zenspitze bis zur Analöffnung; Schnauze stumpfwinklig vor-
springend, die vorderen Scheibenränder wellenförmig, vorn und
hinten convex, in der Mitte flach eingebuchtet; der äulsere
Winkel spitz abgerundet; die hintern Scheibenränder flach con-
vex, der hintere Winkel abgerundet, die äulsere Hälfte der Ba-
sis der Bauchflossen bedeckend. Spritzlöcher ohne Tentakel.
Rand der Nasenklappe fein gekerbt. Der Schwanz ist an dem
einzigen männlichen Exemplar abgehauen, wie es scheint, un-
_ mittelbar vor dem Stachel; vor dieser Stelle befindet sich auf
der obern Schwanzseite eine niedrige Hautfalte.
Die Farbe der Oberseite ist braun, überall mit dichtstehen-
den schwarzen Punkten bedeckt; auf dem vordern Scheibenrande
704 G@esammtsitzung
eine Reihe kleiner gelber Flecke, welche 1 bis 14 Centimeter von
einander entfernt stehn. Die ganze Unterseite gelblich.
Gröfste Breite . 2 ae ae: a a
Schnauzenspitze bis Maulspalte . . 2 2 22.2..2....0%045
» bis Analöffnunig .„.;..,. ‚zn. See aau DEI
Maulbreite a. a: 28 SIR Rene
Gekauft; angeblich aus Mazatlan.
2. Mesoprion Ehrenbergü n. sp.
B.7.D.10,13; A. 3,8. Lin.lat. 48; tr. 6/13.
Höhe zur Totallänge wie 1:32, Kopf zu derselben wie 1:34.
Schnauze kürzer als der Augendurchmesser, letzterer nicht ganz
dreimal in der Kopflänge enthalten. Interorbitalraum 2 des
Augendurchmessers; Höhe des Infraorbitale 4 des Augendurch-
messers. Zunge bezahnt.
In der Färbung, den goldnen Längsstreifen und der Lage
des schwarzen Flecks ganz übereinstimmend mit M. fulviflamma
unterscheidet sie sich, mit gleichgrolsen Exemplaren dieses letz-
tern verglichen, durch das viel gröfsere Auge und den viel nie-
drigern Suborbitalbogen, so dafs das Auge dem Mundwinkel
fast einmal so nahe liegt, wie bei jener Art.
Unser Museum besitzt zwei Exemplare dieser Art, von
07205 und 0%125 Länge, welche Hr. Ehrenberg bei Mas-
saua gesammelt hat.
3. Mesoprion argentiventris n. Sp.
B.7.D.10,14; A.3,8. Lin.lat.43; tr.6/13.
Körperhöhe gleich der Kopflänge, zur Körperlänge (ohne
Schwanzflosse) wie 1:2%. Schnauze um die Hälfte länger als
das Auge; Augendurchmesser vier Mal in der Kopflänge, # in
der Interorbitalbreite enthalten. Obere Eckzähne stark; Zunge
mit starker Zahnplatte. Oberkieferende fast bis unter den vor-
dern Augenrand reichend. Präoperkel fein und regelmälsig ge-
zähnelt, über dem Winkel schwach eingebuchtet. Analstacheln
stark, 2. und 3. gleich lang. Schwanzflosse am Rande einge-
buchtet, bis zu $ beschuppt. Rücken- und Analflosse an der
Basis beschuppt und zwischen den Weichstrahlen bis zur Hälfte.
Am Rücken bräunlich, die Basis der Schuppen mit einem
dunklern Fleck, unten silberig, die Basis der Schuppen mit
einem silberigen Fleck.
vom 12. August 1869. | 705
Gekauft; Mazatlan.
4. Mesoprion inermis n. sp.
B.7.D.10,14; A.3,10. Lin. let. 54; tr. 9/14.
Körperhöhe zur Länge (ohne Schwanzflosse) wie 1:32,
Kopf zu derselben wie 1:3. Schnauze etwas länger als das
Auge, dessen Durchmesser 34 Mal in der Kopflänge enthalten
ist. Interorbitalraum gleich einem Augendurchmesser. Hinteres
Oberkieferende in gleicher Verticallinie mit dem vordern Augen-
rande. Höhe des Suborbitalknochens 2 des Augendurchmessers.
Obere Eckzähne klein, nach hinten gerichtet; Gaumenbeine,
Vomer und Zunge mit sammetförmigen Zähnen. Nasenlöcher
klein, Vordeckelrand ganz glatt, am Winkel mit einem vor-
springenden abgerundeten Hautrande. Kiemendeckel mit einem
sehr schwachen platten Dorn. Stachelstrahlen der Rückenflosse
dünn. Analstacheln dünn und kurz; der zweite längste nur
halb so lang, wie die Weichstrahlen der Flosse. Senkrechte
Flossen zum gröfsten Theil beschuppt.
Violetbraun, die Mitte der Schuppen mit einem silberglän-
zenden Flecke, wodurch über der Seitenlinie schräge nach
hinten aufsteigende, unter derselben Längslinien gebildet wer-
den; Bauch silberig; oberer und hinterer Theil der Basis der
Brustflosse braun. |
| Gekauft; Mazatlan.
5. Therapon brachycentrus.
Therapon brevispinis Ptrs. Monatsbr. 1858. p. 256.
Da Hr. Dr. Steindachner, wie ich aus den erst später
erhaltenen Sitzungsberichten der Wiener Akademie von 1867 er-
sehe, bereits früher eine Datnia brevispinis aufgestellt hat, habe
ich den Namen für meine Art in Th. brachycentrus umgewandelt.
6. Haemulon maculosum n. sp.
B.7.D.12,17; A.3,9. L.lat.52; tr. 7/15.
Körperhöhe zur Länge (ohne Schwanzflosse) wie 1:24,
Kopflänge nicht ganz 3 Mal in der letzteren enthalten. Schnauze
spitz, doppelt so lang wie das Auge. Interorbitalraum convex,
4 breiter als der Augendurchmesser. Oberkiefer endet unter
dem hinteren Nasenloch. Die Zähne der äufsern obern Reihe
grade und gröfser als die entsprechenden des Unterkiefers.
Vordeckel am hintern Rande flach concav, etwas grobgezähnelt.
706 Gesammtsitzung
Die Schuppenreihen schräg zur Seitenlinie. Der vierte Rücken-
stachel länger als die Schnauze, 44 Mal so lang wie der 1.,
welcher den l11ten an Länge gleichkommt. Senkrechte Flossen
dicht beschuppt. Der zweite Analstachel viel dicker, aber
kaum länger als der zweite. Silberig mit breiten braunen
Querbinden, von denen die erste vom Nacken auf den Kiemen-
deckel, die 3 folgenden von dem Stacheltheil der Rückenflosse,
die 4. von der Mitte des Weichtheils dieser Flosse herabsteigen und
die letzte von der braunen Farbe, welche die obern zwei Drittel
des Schwanzes ziert, wenig geschieden ist. Die Basis der Schup-
pen der obern zwei Drittheile des ganzen Körpers, so wie des
Kopfes mit einen schwarzen Fleck, der auf den grofsen Schup-
pen des Kiemendeckels besonders grols ist. Auch die Schup-
pen der Brust zwischen Brust- und Bauchflosse haben einen
solchen, aber kleinern Fleck. Flossen dunkel, nur die Brust-
flossen und die Basis der Bauchflossen gelblich.
Totallänge 07301.
Gekauft; angeblich aus Mazatlan.
7. Pristipoma notatum n. Sp.
B.7.D.18—1,15; A.3,13. Lin.lat. 60; tr. 12/23.
Körperhöhe nicht ganz 4, Kopflänge fast 4 der Körper-
länge. Schnauze von der Länge des Augendurchmessers; letz
terer zur Kopflänge wie 1:3$2. Mundspalte klein, kaum bis
zum vordern Augenrande reichend; eine äuflsere Reihe stärkerer
Zähne. Hintere Nasenöffnung kaum halb so lang wie die vor-
dere. Breite des Anteorbitale gleich 3 des Augendurchmessers.
Präoperkel hinten leicht eingebuchtet, mit spitzen discreten Zähn-
chen, die des Winkels doppelt so stark wie die andern. Die
Schuppen bedecken die Basis des weichen Theils der senkrech-
ten Flossen und setzen sich zwischen den Strahlen noch bis
zur Mitte der Flossenhöhe fort. Die Rückenflosse ist tief aus-
geschnitten; die Stacheln sind dick, die beiden längsten, der
‚5. und 6., kürzer als die längsten Gliederstrahlen, 14 Augen-
durchmesser lang. Die dicken Stacheln der Analflosse haben
nur $ der Länge ihrer längsten Weichstrahlen.
Gekauft; angeblich aus Mazatlan.
vom 12. August 1869. 707
8. Pimelepterus elegans n. Sp.
B.7.D11,12; A.3, 12. Lin.lat. 56; tr.11/21.
Höhe zur Totallänge wie 1:24, Kopflänge zu derselben
wie 1:44. Schnauze concav, etwas länger als das Auge, Ober-
kiefer bis zur Verticallinie des vorderen Augenrandes reichend.
Die Breite des Interorbitalraums ist fast gleich dem doppelten
Augendurchmesser. Zähne oben wie unten 38. Schuppen fest
anliegend, die senkrechten Flossen bis zum Rande bedeckend.
Braun mit röthlichbraunen Längslinien, unter der Seitenlinie
etwa 15 bis 16. Rand der Kiemendeckelhaut und Fleck un-
mittelbar hinter dem unteren Theile der Brustflosse schwarz.
Ein silberner Streif auf dem Präorbitale.
Totallänge 0%290.
Gekauft; angeblich aus Mazatlan.
9. Doydixodon laevifrons.
B.6.D.13,14!; A.3, 12.
Pimelepterus laevifrons Tschudi, Fauna Peruana Pisc. p.18.
Vielleicht wegen der Zahl der Rückenflossenstacheln, 13,
und (etwas unregelmälsiger) Zähnelung des Präoperkels von
D. Fremenvillei zu unterscheiden. Hat weder Zähne am Vomer,
noch an den Gaumenbeinen, während ein Exemplar der letzte-
ren Art, von Meyen aus Chile, weder Zähne am Vomer noch
an dem linken Gaumenbein und den Vordeckel glattrandig hat.
Totallänge des Originalexemplars 0'230 (Mus. Berol.
Nr. 1357): “
10. Siromateus medius n. sp.
D.7,41; A.6,27.
Höhe zur Totallänge wie 1:24, Kopflänge zu derselben
wie 1:5. Schnauzenlänge $ des Augendurchmessers. Keine
Bauchflossen, Stachelstrahlen der Rücken- und Analflosse in
den Schuppen verborgen. Seitenlinie gekielt; Schuppen sehr
klein. Keine Porenreihe unter der Rückenflosse. Silberig, die
Flossen mit äufserst kleinen schwarzen Puncten bestreut; die
innere Seite der Basis der Brustflossen braun; Rand der Schwanz-
flosse dunkel.
Totallänge 0%190.
Gekauft; Mazatlan.
708 | Gesammtsitzung .
11. Opisthognathus punctatus n. Sp.
D.283; A.18. e
Gröfste Körperhöhe zur Länge (ohne die Schwanzflosse)
wie 1:33, Kopflänge zu derselben wie 1:3. Oberkiefer reicht
bis zur Basis der Brustflossen. Schnauze sehr kurz abschüssig,
die grofsen Augen ein Drittel des Augendurchmessers von ein-
ander entfernt. Zwischenkieferzähne in der vorderen und hin-
teren Reihe ziemlich stark, eben so die vorderen, hinteren und
seitlichen Zähne des Unterkiefers.
_Hellbraun, der Kopf schwarz punctirt, Körper punctirt und
gefleckt. Brustflossen oben und unten punctirt; Bauchflossen
dunkel, klein gefleckt. Senkrechte Flossen dunkelgerandet; die
abgerundete Schwanzflosse mit gelben schwarzgerandeten Flecken,
welche nach dem Flossenrande hin immer kleiner werden.
Rücken und Analflosse an der Basis gelbgrün mit gröfsern schwar-
zen Flecken, sonst schwarz punctirt, nach dem Ende hin mit gel-
ben schwarzgeränderten Flecken. Hinter dem Mundwinkel auf
der innern Seite der den Ober- und Unterkiefer verbindenden
Membran zwei schwarze Vförmige Binden.
Totallänge 02270.
Diese Art ist offenbar sehr nahe verwandt O. megasioma
Gthr., unterscheidet sich aber sogleich durch den Mangel eines
grofsen schwarzen Fleckes auf der Rückenflosse.
Gekauft; angeblich aus Mazatlan.
12. Plesiops meleagris n. Sp.
B.6. D.12,11; A.3,11; P.18;V. 1,4. L.1lat. 48; tr. 6/19.
Körperhöhe zur Länge wie 1:23, Kopflänge zu derselben
wie 1:3. Schnauze convex, kürzer als das Auge, Interorbital-
raum etwas breiter als der Augendurchmesser. Letzterer etwas
mehr als 4 der Kopflänge. Oberkiefer endigt hinter der Mitte des
Auges. Breite Zahnbinden auf den Kiefern, den Gaumenbeinen,
der Zunge und dem Vomer, auf letzterem nach vorn winkelig
zugespitzt. Obere und untere Schlundzähne rundlich. Senk-
rechte Flossen an der Basis beschuppt. Caudalflosse abgerun-
det. Dorsal- und Analflosse sind durch die Verlängerung des
5., 6. und 7. Strahls in eine lange Spitze ausgezogen, welche
die Schwanzflosse noch überragt. Die Wangen sind mit sehr
vom 12. August 1869. ‚ara 709
kleinen Schuppen bedeckt, nur die Kiemendeckelstücke haben
- grofse Schuppen, am Operculum in drei Reihen. Die Körper-
- schuppen sind rauh und am Rande sehr fein gezähnelt; zwi-
schen dem Anfang der Rückenflosse und der Seitenlinie 6, vom
Anfang der Analflosse bis zu derselben 19 .Schuppenreihen.
Braun, Kopf, Körper und Flossen mit zahlreichen bläu-
lichen perlmutterglänzenden Puncten, die meisten Schuppen mit
2 bis 3 derselben nicht weit von ihrem hintern Rande; auf dem
stacheligten Theil und auf der Basis des weichen Theils der
. Rückenflosse sind diese Punkte meist zu kurzen schräg nach
hinten aufsteigenden Linien vereinigt.
Totallänge (mit der Schwanzflosse) 0%335.
Von Hrn. R. Schomburgk in Adelaide, Südaustralien.
‘Am nächsten verwandt mit Pl. Bleekeri Gthr., welche,
nach der Beschreibung zu urtheilen, verschieden von der vor-
stehenden ist durch die längere Schnauze, den schmälern Inter-
orbitalraum und ganz verschiedene Färbung.
13. Solea (Monochir) pilosa n. sp.
D.54; A.41.
Körperhöhe zur Totallänge wie 1:2. Rechte Brustflosse
klein, linke fehlend. Linke Kopfseite gefranzt. Oberes Auge
ragt ein wenig weiter vor als das untere. Seitenlinie fast grade,
am Anfange mit einer flachen Krümmung. Schuppen rauh, an
den Strahlen der senkrechten Flossen aufsteigend. Braun mit
etwa 8 senkrechten dunkleren Linien, Flossenränder hell; einige
zerstreute weilse Flecke auf dem Körper, am Kopfe und auf
der Rückenflosse. Auf der rechten Seite Büschel von schwar-
zen fadenförmigen Anhängen, die z. Th. in unregelmäfsigen
Querreihen stehen.
Totallänge 02095.
Gekauft; Mazatlan.
Sehr nahe verwandt mit S. (M.) reticulata Poey aus Cuba.
14. Apionichthys nebulosus n. Sp.
D.74; A.54.
Körperhöhe zur Länge (ohne Schwanzflosse) wie 1:22.
Das obere Auge weiter nach vorn als das untere, welches gleich
hinter und über dem Mundwinkel liegt. Unterlippe mit 16 Ten-
NS
710 Gesammtsitzung
takeln. Seitenlinie fast grade, einen flachen Bogen nach unten
bildend. Schuppen des Oberkopfes doppelt so grols, wie die
des Körpers, welche rauh sind und über der Seitenlinie bis 18
Reihen bilden. Schuppen steigen an den Strahlen der Flossen
hinauf. Die einfache fünfstrahlige Bauchflosse bildet eine con-
tinuirliche Flosse mit der Analflosse, die so wie die Rücken-
flosse mit der spitzen Schwanzflosse zusammenhängt.
Braun, mit dunkleren Flecken, welche undeutliche Quer-
binden und Längslinien bilden. |
Totallänge der beiden gleich grofsen Exemplare 0%193.
Surinam.
15. Hippocampus breviceps n. Sp.
D:19.
Schnauze um die Hälfte länger als das Auge, mit diesem
zusammen so lang wie die Entfernung vom Auge bis zur Brust-
flosse. Die Kopfhervorragungen ähnlich wie bei HZ. comes, aber
weniger entwickelt; Operkel mit strahlenförmigen erhabenen
Linien; Hinterhauptshöcker so hoch, wie die Schnauze in der
Mitte, am Ende kaum verdickt, fünfhöckerig., Rumpf aus zehn
Gürteln gebildet, wobei das Brustsegment einfach. gerechnet ist;
die dorsolateralen Höcker des 1., 3., 5., 9. u. 10. Gürtels am
meisten hervorragend. Der Schwanz hat 40 bis 41 Gürtel, von
denen nur der ]1., 5. u. 8. einen hervorragenden dorsolateralen
Höcker haben und unter diesen ist der 1. der grölste am
ganzen Körper. Die Rückenflosse steht auf den beiden letz-
ten Rumpf- und den beiden ersten Schwanzsegmenten und hat
19 Strahlen.
Graubraun, der Körper mit zahlreichen perlmutterglänzen-
den schwarzeingefalsten Pünctchen geziert, welche meist in
Querreihen geordnet sind. Kopf und Auge mit ähnlichen Ocel-
len oder ganz schwarzen Puncten dicht besät. Die fadenför-
migen Höckeranhänge und zwei Längsbinden der Rückenflosse
‚schwarz.
Adelaide; durch R. Schomburgk.
16. Trachyrhamphus cultrirostris n. Sp.
P.17; D.28; A.4; C.9.— Cing. 24+43.
Schnauze um 4 Augendurchmesser kürzer als der übrige
vom 12. August 1869. il
Kopf. Körper aus 24 Hauptgürteln zusammengesetzt, von de-
nen die beiden ersten Brustgürtel mit einander verwachsen sind.
Der Körperseitenkiel ist auf dem vorletzten Körpersegment nach
unten gebogen und hier unterbrochen, beginnt aber aufs neue
auf dem Analsegment, um sich mit dem untern Schwanzkiel zu
vereinigen. Der Seitenrückenkiel setzt sich bis zum Ende des
zweiten Caudalsegments, der obere Schwanzkiel unter demsel-
ben bis zum. Anfang des vorletzten Körpersegments fort. Der
Schwanz wird aus 43 Hauptgürteln zusammengesetzt. Die
Rückenflosse steht auf den 3 letzten Körper- und den 2 ersten
Schwanzsegmenten.
Braungrau mit braunen zwei Gürtel breiten Querbinden,
welche durch drei bis vier Gürtel von einander getrennt sind.
Kiemendeckel silberglänzend. |
Malse des einzigen vorliegenden weiblichen Exemplars:
Totallänge . . OR 4 Kopfhche 2.5.5! 020035
Bis zur Analöffnung . 02053 Rumpfhöher,.......1..-020027
Länge des Kopfes . 0920114 Rumpfbreite . . . 020027
Länge der Schnauze. 03005 BRückenflosse . . . 0%008
Schwanz (ohneFlosse) 0%078 Schwanzflosse . . 0%003
Gekauft; angeblich aus Siam.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien. Jahrg. 1869,
zes. Wien 1869. 8.
Verhandlungen der AmeaFOr schenden Gesellschaft in Basel. 5. Theil.
Basel 1869. 3.
Abhandlungen für die Kunde des Morgenlands. 5. Bd. 2. Heft. Leip-
zig 1868. 8.
Zeitschrift der deutschen Morgenländischen Gesellschaft. XX,4. Leip-
zir 1868. 8.
Annales des mines. XV, 2. Paris 1869. 8.
Recueil des anciennes Contumes de la Belgique. Philippeville, tome 1.
Bruxelles 1869. 4. Mit Ministerialrescript vom 5. August 1869,
712 Gesammtsitzung vom 12. August 1869.
Brosset, Etudes de chronologie technique. 1. 2. Petersb. 1868. 4.
— Histoire chronologigue, par Mkhitar d’ Airivank. Traduite de lar-
menien. Petersburg 1869. 4. %
Oppert, Le fils de Tabeel. (Paris 1869.) 8.
Merian, Über die Grenze zwischen Jura und Kreideformation. Basel
1869. 8.
MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
- ZU BERLIN.
September und October 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt.
Sommerferien,
11. October. Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Magnus las über die Veränderung der Wärme-
strahlung durch Rauheit der Oberfläche.
Leslie'), der zuerst beobachtet hat dafs ein Körper bei
rauher Oberfläche mehr Wärme ausstrahlt als bei glatter,
sprach schon die Vermuthung aus, dafs dies Verhalten durch
die Dichtigkeit der Oberfläche bedingt werde. Er äulsert jedoch
selbst sogleich wieder Bedenken gegen diese Ansicht, indem er
darauf hinweist, dals die Grenze zwischen harten und weichen
Körpern sich nicht feststellen lasse.
Später hat Melloni’) die Behauptung erneut, dafs die
veränderte Ausstrahlung nur auf einer Änderung der Dichtig-
keit der Oberflächen-Schicht beruhe. Er stützt diese Behaup-
tung darauf, dafs er bei gewissen Körpern, wie Glas, Marmor
1) An-Inguiry into the nature of Heat. p. 89.
2) Comptes rendus VI. 238. Pogg. XLV. 57.
[1869.] 51
714 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
und Gagat keine Änderung in der Ausstrahlung beobachtete,
ihre Oberfläche mochte rauh oder polirt sein, und nur bei metal-
lischen Körpern eine Steigerung eintrat, wenn sie rauh ge-
macht wurden. Da diese sich nicht nur bei leicht oxydirbaren
Metallen zeigte, sondern auch bei Gold und Platina, so dafs
der Gedanke, eine Oxydschicht möchte die Ursache dieses Ver-
haltens sein, ausgeschlossen war, so führt Melloni die Er-
scheinung darauf zurück, dals die Metalle zusammendrückbar
seien, Gagat, Elfenbein, Marmor aber nicht. Die Erfahrung
lehrt, sagt er, dafs Platten von Metall, die durch Hämmern
oder Walzen dargestellt sind, eine gröflsere Dichte an ihrer
Oberfläche besitzen als im Innern. Wirft man nun einen Blick
auf die Tafel über das Ausstrahlungsvermögen der Körper, so
sieht man, dafs dies im Allgemeinen sich umgekehrt wie ihre
Dichtigkeit verhäit; wenn man daher annimmt, dafs dasselbe Ge-
setz auch für die verschiedene Verdichtung einer und derselben
Substanz gilt, so erklärt sich die grölsere Ausstrahlung. Denn
durch das Ritzen wird die Oberfläche weniger dicht oder es
werden die inneren, weniger harten Stellen entblöfst.
Zur Bestätigung dieser Ansicht führt Melloni folgenden
Versuch an. Er liefs vier Platten aus recht reinem Silber fer-
tigen, zwei stark gehämmert und zwei gegossen und in ihren
Sandformen sehr langsam erkaltet. Aus diesen bildete er die
Seiten eines viereckigen Kastens mit metallischem Boden, und
damit die Platten nicht in ihrer Dichte und Härte geändert
würden, löthetete er sie mit leichtflüssigem Loth zusammen.
Vor der Vereinigung waren sie mit Bimstein und Kohle polirt
ohne Hammer und Glättstahl. Darauf wurde eine der gegos-
senen und eine der gehämmerten Platten mit grobem Schmir-
gelpapier in einer Richtung stark gerieben. Die Seiten, welche
ihren Glanz behalten hatten, spiegelten scharfe Bilder, die ge-
riebenen dagegen nur matte und streifige. Das so zubereitete
Silbergefäfs wurde mit heifsem Wasser gefüllt. Die Ablenkun-
gen, welche die vier Seiten hervorbrachten, waren:
die gehämmerte und polirte Seite 10°
N 5 3. geriizte: „. 10
„ gegossene und polirte „ 13,7
“ = „. ‚geritzie „ıSi.kl4s
vom 11. October 1869. 715
Bei den gehämmerten Platten hatte folglich das Ritzen eine Stei-
gerung bei den gegossenen eine Verminderung der Ausstrahlung
_ hervorgebracht. Diese unerwartete Thatsache schien ihm die
Richtigkeit seines Satzes zu beweisen.
| Mit demselben Recht aber und vielleicht noch mit grösse-
rem als Melloni den Satz ausspricht, dafs die Oberfläche
durch das Ritzen lockerer wird, kann man behaupten, dafs sie
fester werde; denn während des Ritzens findet ein Druck auf
die Oberfläche statt, und selbst wenn man annehmen wollte,
dafs die einzelnen Vertiefungen nicht eingedrückt, sondern her-
ausgeschabt wären, so findet auch bei diesem Schaben ein
Druck auf die stehenbleibenden Theile statt, der, wenn er
auch nur seitlich wirkt, doch eine Verdichtung zur Folge ha-
ben mufs.
Noch hat Melloni'!) folgenden Versuch angestellt. Aus
einer Platte von Spiegelglas von 11” Dicke liefs er 4 Stücke
schneiden, die bis zum Rothglühn erhitzt wurden und von de-
nen zwei langsam erkalteten, die andern beiden schnell abge-
kühlt wurden. Eine von jeder der beiden Arten wurde geritzt
und dann aus den vier Platten die Seitenwände eines Kastens
gebildet, der mit heifsem Wasser gefüllt wurde. Die beiden
langsam erkalteten zeigten gleiche Ausstrahlung. Von den
abgekühlten gab die gerizte einen Ausschlag von 2937, die nicht
geritzte von 28°. Daraus folgert Melloni, dafs die Rauheit
der Oberfläche nur dann von Einflufs sei, wenn die inneren
Theile der Masse eine geringere Dichte besitzen als die aus-
strahlenden Schichten an der Oberfläche.
Später hat Hr. Knoblauch?) Versuche ausgeführt um
die Ansicht Melloni’s noch auf andere Weise zu bestätigen.
Zunächst hat er gegossene und gewalzte Bleiplatten angewen-
det. Die eine der ersteren, der gegossenen, die glatt eine Ab-
lenkung der Nadel von 49° hevorbrachte, zeigte, nachdem sie
geritzt worden, nur eine Ablenkung von 48925. Die Ausstrah-
lung hatte folglich abgenommen, freilich nur um 0975, und '
1) Thermochrose p. 88 Anmerk.
2) Pogg. Ann. LXX. 343.
51*
716 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
nahm durch nochmaliges Ritzen in der Querrichtung noch um
1° ab, denn die Ablenkung betrug nur 47725.
Von den gewalzten Platten zeigte eine, welche glatt eine
Ablenkung von 50%5 hervorgebracht hatte, nach einmaligem
Ritzen gleichfalls eine Abnahme der Ausstrahlung, denn der |
Ausschlag betrug nur 4895. Nachdem sie aber auch in der
Quere gerizt worden, fand wieder eine Vermehrung der Aus-
strahlung um 195 statt, denn der Ausschlag der Nadel betrug
49°75. Hr. Knoblauch meint, dafs die Zunahme der Aus-
strahlung durch das zweite Ritzen davon herrühren könne, dafs
das Blei zwar an den Stellen des eigentlichen Strichs verdich-
tet, aber an den Pnnkten, an welchen die aufgeworfenen Rän-
der der Furchen zusammentrafen, aufgelockert wurde.
Sodann nahm Hr. Knoblauch einen Würfel aus gewalz-
tem Kupferblech und verglich zunächst die Ausstrahlung einer
glatten Seite mit einer in zwiefachem Sinne gerizten. Die er-
stere gab einen Ausschlag von 29°, die andere von 47975.
Als darauf beide mit Kupfer galvanoplastisch überzogen wur-
den, gab die erstere 49925, die gefurchte 5195.
Gewifs ist dieser Versuch sehr interessant, allein er be-
stätigt nach meiner Ansieht nicht, wie Hr. Knoblauch be-
hauptet'), den von Melloni aufgestellten Satz, „dals das
Ritzen der Oberfläche nur insofern auf das Ausstrahlungsver-
mögen der Körper von Einflufs sei, dafs es ihre Dichtigkeit
und Härte modificire, und zwar dasselbe steigere oder vermin-
dere, jenachdem es die betrefienden Stellen auflockere oder
verdichte.* |
Denn Hr. K. sagt selbst, wie oben erwähnt, dafs durch
das Ritzen die Stellen des eigentlichen Strichs verdichtet, die
aufgeworfenen Ränder aber aufgelockert seien. Melloni hin-
gegen behauptet, dafs das Ritzen überhaupt nicht auflockere,
sondern nur die inneren lockeren Stellen blos lege.
Unter solchen Umständen schien es wünschenswerth, zu-
- nächst die Erscheinung selbst etwas näher kennen zu lernen,
und zu dem Ende hat der Verf. einige Versuche angestellt, bei
denen statt des Kupfers und anderer leicht oxydirbarer Metalle
) a.a. 0. p. 349.
vom 11. October 1869. 717
Platinplatten angewendet wurden, bei denen auch andere Ver-
änderungen der Oberfläche, wie sie beim Silber durch kleine
Mengen von Schwefelwasserstoff leicht entstehen, nicht zu be-
"fürchten waren.
| Eine Platinplatte, die durch Auswalzen möglichst hart ge-
macht worden, strahlte, nachdem sie stark ausgeglüht war,
eben so viel Wärme aus als zuvor. Die Härte konnte hier-
nach die Ausstrahlung nicht bedingen.
Eine andere Platinplate war unter sehr starkem Druck
zwischen zwei Walzen gegangen, von denen die eine fein gra-
virt war, so dafs die Platte nach dem Walzen auf ihrer einen
Seite kleine Erhöhungen zeigte, während die andere glatt war.
Die erstere strahlte unbedeutend mehr als die andere aus.
Nachdem aber die Platte stark geglüht worden, war auch dieser
Unterschied nicht mehr bemerkbar. Es geht daraus hervor,
dafs bei sonst gleicher Beschaffenheit der Oberfläche Uneben-
heiten und selbst regelmäfsig wechselnde Erhöhungen und Ver-
tiefungen vorhanden sein können, ohne dafs dadurch eine Ver-
mehrung der Ausstrahlung entsteht.
Wurde dagegen eine ebene Platinplatte, welche mittelst
der Glasbläserlampe ausgeglüht und ganz weich war, mit feinem
Schmirgelpapier rauh gemacht, so steigerte sich ihre Ausstrah-
lung auf das Doppelte.
Um einen solchen Vergleich anstellen zu können, geschah
die Erwärmung der ausstrahlenden Platte mittelst eines klei-
nen Apparats aus Messing, der durch Dämpfe auf 100° C.
erhalten wurde. Er bestand aus einem horizontal liegen-
den Cylinder von 50% % innerm Durchmesser und eben so viel
Länge, dessen eine Basis von der zu untersuchenden Platte
gebildet wurde. Um diese leicht mit einer andern vertauschen
zu können, war der Cylinder mit einem breiten Rande ver-
sehen, gegen den die Platte durch einen Messingring mittelst
dreier Schrauben angedrückt wurde. Zur Dichtung dienten
dazwischen gelegte Ringe aus starkem Papier, die vollkommen
dampfdicht schliefsen.
Um sicher zu sein, dafs bei Behandlung der Platte nicht
irgend eine fremde Substanz auf derselben zurückgeblieben sei,
z. B. Spuren von dem Leim des Schmirgelpapiers, obgleich
718 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
dasselbe ganz trocken angewendet worden war, wurden die
Platten, bevor man sie in den Apparat befestigte, eine Zeit
lang in concentrirter Salpetersäure erhitzt, sodann mit destillir-
tem Wasser so lange abgespühlt, bis alle Säure entfernt war,
und darauf getrocknet ohne sie mit einem Tuch oder andern
Gegenständen zu berühren. |
Man kann sich schwer vorstellen, dafs durch die leichte
Behandlung mit Schmirgelpapier die Dichtigkeit der Oberfläche
sich in solchem Maafse geändert haben sollte, dafs die Aus-
strahlung sich verdoppelte. |
Wurde eine Platinplatte mit einer dünnen Schicht von
Platinschwamm überzogen, indem Platinsalmiak in dünner Schicht
darauf gebracht und sie dann stark erhitzt wurde, so zeigte sie,
ohne mit Salpetersäure behandelt zu sein, etwa die siebenfache
Ausstrahlung von der, die sie vor dem Aufbringen des Platin-
schwamms geliefert hatte.
Der Platinschwamm ist lockerer als die Platte, auf der er
befestigt ist, allein jedes einzelne Theilchen desselben ist ohne
Zweifel eben so hart wie ein Theilchen der ausgeglühten Platte.
Die Wirkung des Schwamms beruht daher, wie es scheint nur
darauf, dafs er mehr Spitzen und Ecken darbietet. Es ist dies
um so wahrscheinlicher, als die Ausstrahlung einer solchen, mit
Schwamm überzogenen Platte abnimmt, wenn sie öfter und an-
haltend geglüht wird. Möglich, dafs bei jedem neuen Erhitzen
etwas von dem Schwamm sich loslöst, aber jedenfalls runden
sich die äufsersten Spitzen und Ecken zugleich ab. Härter
können sie nicht werden.
Der Verf. ist der Ansicht, dafs die Vermehrung der Aus-
strahlung bei rauher Oberfläche wesentlich von der Brechung
abhängt, welche die Wärme bei ihrem Austritt aus der Ober-
fläche des strahlenden Körpers erleidet. Er erläutert diesen
Einflufs für die verschiedenen Gestalten der Oberfläche und
kommt dabei zu folgendem Schlufs. Je gröfser der Brechungs-
exponent der Wärme zwischen der ausstrahlenden Substanz und
der Luft ist, um so geringer ist die Ausstrahlung aus der ebe-
nen Oberfläche, und dann nimmt die Menge der nach Innen re-
flectirten Wärme zu. Ohne Zweifel haben die Metalle einen
sehr grolsen Brechungsexponenten. Deshalb reflectiren sie die
En
=
|
|
vom 11. October 1869. 719
von Aufsen kommenden Strahlen und lassen nur wenig davon
eindringen, und deshalb reflectiren sie auch die aus dem Innern
kommenden nach Innen und lassen nur wenig davon austreten.
Gröfsere Unebenheiten der ausstrahlenden Fläche haben nur
unbedeutende Änderungen der Ausstrahlung zur Folge. Eine
solche tritt nur ein, wenn die Krümmungsradien sehr klein sind
und sich sehr stark ändern, und wenn die ausstrahlende Sub-
stanz wenig diatherman ist. Im Allgemeinen kann zwar die
Rauhigkeit der Oberfläche sowohl eine Steigerung als eine Ver-
minderung der Ausstrahlung bewirken, aber wenn die Uneben-
heiten sehr fein und sehr tief sind, so tritt bei wenig diather-
“ manen Substanzen, wie die Metalle, fast stets eine Steigerung
ein. Ist ein sehr feines Pulver derselben Substanz auf der
ausstrahlenden Fläche befindlich, so steigert dies die Ausstrah-
lung bedeutend; nicht nur bei wenig diathermanen Körpern
wie die Metalle, sondern auch bei stark diathermanen z.B. beim
Steinsalz.
Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über eine neue
Eidechsenart, Phyllodactylus galapagensis, von den
Galapagos-Inseln.
Man kannte bisher von den Galapagos-Inseln nur fünf
Reptilien, von denen vier, Testudo nigra, Amblyrhynchus sub-
cristatus, A. cristatus und Liocephalus Grayi denselben eigen-
thümlich sind, eins, Dromicus Chamissonis') auch auf dem ame-
1) Hr. Dr. Günther hat (Proceed. Zool. Soc. Lond. 1860. p.97) eine
Herpetodryas biserialis als die wahrscheinlich einzige auf den Galapagos-
Inseln vorkommende Schlange beschrieben. Ein Exemplar ebendaher aus
dem Stockholmer Museum stimmt ganz mit Dr. Chamissonis Wiegmann
(1834. Dr. Temminckü Schleg. 1837) überein. Es ist aber dabei zu be-
merken, dafs die beiden hintersten querstehenden Oberkieferzähne nicht
länger als der vorhergehende Zahn sind (wie bei Herpetodryas), jedoch
kommt dieses auch, wie ich mich überzeugt habe, bei einzelnen Exem-
plaren von Dr. Ohamissonis von dem Continente vor. Zwar zeigte das
von Hrn. Günther beschriebene Exemplar drei Postocularia bei son-
720 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 11. October 1869.
ricanischen Continent verbreitet ist, während nach Darwin
u. A. Batrachier gar nicht auf denselben vorkommen. Die
Vermehrung der Fauna dieser merkwürdigen Inselgruppe um’
eine sechste Art aus der Classe der Amphibien und zwar aus
der über alle Welttheile verbreiteten Familie der @Geckones
dürfte daher nicht ohne Interesse sein.
Phyllodactylus galapagensis n. Sp.
Graubraun, schwarz punctirt und kleingefleckt. Fünf La-
bialia jederseits oben und unten aulser einigen kleinen hinteren
Schuppen. Das Mentale sehr grofs, vorn am breitesten, hinten
abgestutzt, und an drei polygonale Schuppen, zwei seitliche
und eine mittlere, stofsend.. Die Schüppchen des Hinterhaupts
fast doppelt so klein wie die der Schnauze, auf dem Körper
zwischen den Schuppen kleine Tuberkeln, welche jederseits 6
Längsreihen bilden. Die glatten Bauchschuppen klein, zwischen
der vordern und hintern Extremität etwa 56 Querreihen bildend.
Ohröffnung schief, klein.
Das einzige, nicht gut erhaltene Exemplar dieser Art ver-
danke ich der Güte des Hrn. Sundevall.
Diese Art schliefst sich dem PA. tuberculatus aus Californien
und dem Ph. Reifsit aus Guayaquil (Monatsberichte. 1862. p.626)
zunächst an, ist aber von beiden durch die Form des Mentale,
die Zahl der Lippenschilder, so wie durch die feinere Beschup-
pung und die kleineren Tuberkeln leicht zu unterscheiden.')
stiger Übereinstimmung, während das mir vorliegende zwei Postocularia
hat. Es wäre ja möglich, dafs zwei verschiedene, einander aber in
Färbung, Habitus und sonstiger Pholidosis täuschend ähnliche Schlangen-
arten auf den Galapagos-Inseln vorkämen, was nur durch die Unter-
suchung einer Reihe von Exemplaren sich würde entscheiden lassen.
1) Nach Vergleichung mehrerer Exemplare des Acrantus viridis bin
ich zu der Überzeugung gekommen, dafs der im d’Orbigny’schen Werke
abgebildete Onemidophorus (Dierodon) celestis (cf. Monatsberichte 1869 p. 64.
u.433) nicht davon verschieden ist, dafs man dieser Figur aber eine sehr
entwickelte fünfte Zehe zugesetzt hat. Diese fünfte Zehe ist im rudi-
mentären Zustande stets bei A. viridis vorhanden, tritt aber in den mei-
sten Fällen nur wenig hervor. Sonst stimmt er, bei directem Vergleiche,
vollkommen mit Dicrodon überein.
Gesammtsitzung vom 14. October 1869. 721
14. October Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Pringsheim las über Paarung von Schwärm-
sporen, die morphologische Grundform der Zeugung
im Pflanzenreiche.
Die Untersuchungen, deren Resultat ich in dieser vorläufi-
gen Mittheilung kurz zusammenfasse, bilden eine Fortsetzung
und Erweiterung meiner ersten Arbeiten über das Geschlecht
der Algen.
In einer Reihe von Beobachtungen an einigen Gattungen
aus der grofsen Abtheilung der Zoosporeen konnte ich damals'),
wie bekannt, den Beweis führen, dafs diejenigen ihrer Fort-
pflanzungszellen, welche man früher als ruhende Sporen be-
zeichnete, die weiblichen Geschlechtsproducte dieser Pflanzen
darstellen. Die befruchtenden, männlichen Elemente fand ich bei
einigen Gattungen unter der Form kleinerer, von den Schwärm-
sporen mehr oder weniger abweichenden Bildungen; bei anderen
Gattungen dagegen fand ich sie in ihrer Gestalt so sehr mit
den Schwärmsporen derselben Gattungen übereinstimmen, dafs
sie nur noch als eine kleinere Form dieser Schwärmsporen er-
schienen. )
Die hieraus für die Vermehrung und Zeugung dieser Ge-
wächse gewonnenen Vorstellungen liefsen sich dann ohne
Schwierigkeit auf alle diejenigen Zoosporeen ausdehnen, bei
welchen neben ruhenden Sporen noch zweierlei Schwärmsporen-
formen, grössere und kleinere, bekannt waren, oder bei denen
doch mindestens die Existenz ruhender Sporen erwiesen oder
zu vermuthen war. |
Allein bei der Mehrzahl der Algengattungen, welche
Schwärmsporen besitzen, hat man bisher trotz der eifrigsten
Nachforschungen neben den Schwärmsporen ruhende Sporen
nicht auffinden können und unter diesen giebt es überdiefls Gat-
tungen, bei welchen zwar schon zweierlei Schwärmsporenformen
bekannt sind, von welchen jedoch angegeben wird, dafs beide
1) Monatsberichte d. Berl. Acad. 1855, 56, 57 und Jahrbücher für
wiss. Bot. L u. II.
722 Gesammtsitzung
gleichwerthig sind und dafs die einen, wie die anderen ohne
Zwischentreten des Geschlechtsactes in gleicher Weise unmittel-
bar keimen. Endlich habe ich selbst noch von einigen anderen
Gattungen mit zweierlei Schwärmsporenformen, bei welchen
ruhende Sporen ebenfalls unbekannt waren, nachgewiesen !),
dafs bei ihnen die kleinen Schwärmer in einen Dauerzustand
übergehend selbst zu ruhenden Sporen werden und dafs es diese
aus den sogenannten Microgonidien entstandenen Ruhesporen
sind, welche bei ihrer späteren Entwickelung die Mutterpflanze
wieder erzeugen. |
Diese verschiedenen Angaben, welche zum Theil wenig-
stens scheinbar auseinandergehen, deren Richtigkeit jedoch
nichtsdestoweniger unangefochten und unzweifelhaft ist, ver-
langten offenbar eine ausgleichende Erklärung, wenn man nicht
etwa geneigt war sehr wesentliche Differenzen in der Vermeh-
rungs- und Fortpflanzungsweise dieser unter sich so nahe ver-
wandten Pflanzen anzuerkennen. Wollte man nun nicht an-
nehmen, dafs alle diese Pflanzen ohne ruhende Sporen ge-
schlechtslos sind — ein Ausweg, der allerdings den bequemsten
aber zugleich sicher den unfruchtbarsten Abschluss brachte —
so mufste man entweder voraussetzen, dafs bei ihnen die ruhen-
den Sporen noch gefunden werden würden — was bei der sorg-
samen Durchforschung des Gebietes in den letzten Jahrzehnten
für eine grolse Anzahl von Gattungen kaum glaublich erschien —
oder man war zu der Annahme genöthigt, dals auch noch
innerhalb der Abtheilung der Zoosporeen und zwar an den be-
reits bekannten Organen derselben der Sexualact in einer be-
sonderen, bisher noch nicht unterschiedenen Modification auf-
treten möchte, durch deren directe Beobachtung die mangelnde
Übereinstimmung in dem Entwickelungsgange der Zoosporeen
mit ruhenden Sporen und derjenigen ohne ruhende Sporen sich
herstellen würde.
Wo dieser unbekannte Sexualact zu suchen sei, dafür schien
mir, wie ich bereits in früheren algologischen Aufsätzen aus-
sprach, in der nachgewiesenen Existenz von zweierlei Schwärm-
sporenformen an derselben Pflanze schon eine genügende An-
1) Monatsberichte d. Berliner Acad. d. Wiss. 1860.
vom 14. October 1869. 228
deutung zu liegen und ich habe deshalb auf die genauere Erfor-
schung der Umstände, unter welchen die Microgonidien ent-
stehen und keimen, meine Untersuchungen wiederholt hingelenkt,
auch den Gegenstand bei jeder sich mir darbietenden Gelegen-
heit stets von Neuem wieder aufgenommen.
So gelang es mir endlich zunächst bei einer Pflanze aus
der Familie der Volvocineen den Befruchtungsact in einer Form
wiederzufinden, welche einen neuen Ausgangspunkt für die Auf-
suchung des Sexualactes bei den nur mit Schwärmsporen ver-
sehenen Zoosporeen darbietet und welche zugleich nicht nur als
eine neue Modification des Befruchtungsactes von Interesse ist,
sondern noch vielmehr deshalb, weil sie eine Zwischenstufe
zwischen den bekannten Formen der Zeugungsvorgänge darstellt
und die verschiedenen Geschlechtsproducte als eine Reihe in
einander übergehender Abweichungen derselben Form erscheinen
läfst.
Diese besondere Modification der Zeugung der Zoosporeen
ist ein Vorgang, den ich als Paarung von Schwärmsporen
bezeichne und dessen wesentlichste Differenz von anderen Zeu-
gungsvorgängen in dem Auftreten schwärmender Oosporen oder
vielmehr beweglicher Befruchtungskugeln liegt, die in
ihrer äufseren Gestalt mit Schwärmsporen völlig überein-
stimmen.
Die Pflanze, auf welche sich diejenigen meiner Untersuchun-
gen, die ich hier zunächst veröffentlichen will, beziehen, ist eine
der verbreitetsten Volvocineen, allein sie ist vielfach in ihren
verschiedenen Entwickelungsstadien mit einer zweiten, ihr nächst
verwandten Volvocinee verwechselt worden. Zudem sind die
einzelnen Entwickelungsstufen beider Pflanzen unter unhaltbaren
und incorrecten Diagnosen als verschiedene Gattungen unter
den Namen Pandorina, Eudorina, Botryocystis, Spondylomorum
und Synaphia beschrieben und von den Beobachtern überdies
noch in nicht übereinstimmender Weise bald hier, bald dorthin
gezogen worden. Hieraus entstand eine fast unlösbare Ver-
wirrung in der Nomenclatur der hierher gehörigen Formen
und man geräth, wenn man die Confusion nicht noch durch
neue Namen vermehren will, in Verlegenheit, welchem der
vorhandenen man den Vorzug geben soll. Ohne an dieser
724 Gesammtsitzung
Stelle dies weiter auszuführen, will ich hier nur bemerken, dafs
ich von den beiden mir bekannten Pflanzen für die eine den
Namen Pandorina Morum für die andere den Namen Eudorina
elegans festhalten werde.
Von Pandorina liegt mir der Entwickelungskreis in seinen
wesentlichsten Momenten vollständig vor. Für Eudorina kann
ich den älteren Beobachtungen einige neue Erfahrungen über
die Keimung ihrer Oosporen, die hier in etwas anderer Weise
als bei den übrigen Volvocineen stattfindet, hinzufügen; so dafs
es auch bei Zudorina möglich wird den Entwickelungskreis zu
schliessen, wodurch dann die bestehenden Zweifel über die gegen-
seitige Abgrenzung beider Formen sich heben.
In einem besonderen Aufsatze über die Entwickelung von
Pandorina Morum in einem der nächsten Hefte meiner Jahr-
bücher für wissenschaftliche Botanik, beabsichtige ich die Er-
gebnisse dieser meiner Untersuchungen an Pandorina und Eu-
dorina mit der Ausführlichkeit, die sie verlangen, mitzutheilen.
Dort werde ich auch die Nomenclatur beider Pflanzen zu be-
richtigen suchen und ihre specifischen Differenzen, die erst im
ganzen Verlaufe der Entwickelung am schärfsten hervortreten,
eingehender nachweisen. Hier dagegen, wo es mir darauf an-
kömmt, die Vorgänge die bei dem Sexualacte der Pandorina ein-
treten, genauer zu schildern und ihre Beziehungen zu den. an-
deren Zeugungsphaenomenen der Pflanzen vergleichend hervor-
zuheben, wird es zur Orientirung über die Form, die ich Pando-
rina Morum nenne, und zu ihrer besseren Unterscheidung von
Eudorina elegans genügen mit einigen Worten auf den verschie-
denen Bau beider Pflanzen im erwachsenen Zustande aufmerk-
zu machen.
Bis zum Eintritt der Erscheinungen in ihnen, welche die
Vermehrung einleiten, sind beide Pflanzen schon durch die Form
und die Anordnung ihrer grünen Zellen leicht zu unterscheiden.
Pandorina (Fig. 1.) hat etwa keilförmige Zellen, die mit der
Basis des Keiles nach Aussen gerichtet in engem, gewebeartigem
Anschlusse an einander den eiförmigen Raum, den die Ge-
sammthülle der Pflanze umschliefst, völlig ausfüllen. Eudorin«
(Fig. 8.) dagegen hat kugelrunde Zellen, welche in regelmäfsigen,
ungefähr gleichen Abständen von einander an der Peripherie
vom 14. October 1869. 125
-
der Gesammthülle in einer einschichtigen. Lage angeordnet
sind. Der eigentliche Bau der Zelle ist bei beiden Pflanzen
völlig gleich und dem aller übrigen Volvocineen conform.
Pandorina besteht ferner typisch aus 16 Zellen. Mehr als
16zellige Pandorinen sind mir nie vorgekommen; dagegen kön-
nen auch hier, wie bei allen Pflanzen, die in Coenobien oder
Familien vereinigt sind, durch Unterbrechung der Theilungen
auf früheren Entwickelungsstufen regelmälsige oder unregelmä-
fsige Formen von geringerer Zellenanzahl entstehen.
Bei Eudorina wiederum scheint die Zahl 32 die gesetz-
mälsige für die Anzahl der vereinigten Zellen zu sein. Neben
den 32zelligen kommmen jedoch vielleicht kaum minder häufig
16zellige vor und unter den ersten aus der Keimung der Oo-
sporen unmittelbar hervorgehenden Exemplaren scheinen die
16zähligen sogar zu überwiegen. Solche von geringerer Anzahl
entstehen wie bei Pandorina Morum. Mehr als 32zellige sah
ich nicht.
Die geschlechtslose Vermehrung von Pandorina erfolgt
nach Art der mehrzelligen Volvocineen’und Hydrodietyeen — wie
dies in seinen Hauptzügen auch schon für Pandorina bekannt
ist — durch Bildung einer vollständigen jungen Pflanze in jeder
Zelle der Mutter. In einer 16zelligen Pandorina entstehen da-
'her bei der Vermehrung, wenn der Vorgang ganz regelmäfsig
und in allen Zellen der Mutter gleichartig geschieht, 16 junge
Pandorinen, die mit Ausnahme der Gröfse in allen Stücken der
Mutter völlig gleichen. Durch die allmälige, schon während
der Bildung der Jungen eintretende, gallertartige Aufquellung
und Verflüssigung der Gesammthülle der Mutter und der be-
sonderen Membranen der Mutterzellen der entstehenden jungen
Pflanzen werden diese endlich frei und entschlüpfen. Auch
über die Einzelstadien dieses Vorganges, die noch mancherlei
bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten darbieten, muls ich das
Nähere dem besonderen Aufsatze über die Entwickelung der
Pandorina vorbehalten.
Die sexuelle Vermehrung der Pandorina endlich geschieht
unter den folgenden Erscheinungen.
Wie bei der geschlechtslosen Vermehrung werden aus den
Zellen der Mutterpflanze 16 junge Pflanzen unter Aufquellung
726 Gesammtsitzung
der Membranen der alten Pflanze gebildet (Fig. 2.). Die ent-
stehenden jungen Pflanzen sind jedoch mindestens zum Theil
nicht sächliche, sondern geschlechtliche und zwar entweder
männliche oder weibliche. Ob hierbei die Mutterpflanze mo-
noecisch oder diöcisch ist, läfst sich deshalb schwer bestimmen,
weil männliche und weibliche Pflanzen äusserlich gleichgebaut
sind und kaum während der Zeugung mit Sicherheit unterschie-
den werden können. Auch von den ungeschlechtlichen Pflan-
zen zeigen die geschlechtlichen im Bau keine auffallenden Ver-
schiedenheiten; nur sieht man bei der Entstehung der Geschlechts-
pflanzen häufiger weniger als 16zellige, namentlich oft Szellige
Pflanzen auftreten. Ein fernerer, scheinbar nur geringer Unter-
schied, der aber in seinen Folgen wichtig wird, macht sich
darin geltend, dafs die Auflösungsphaenome der Membranen
der Mutterpflanze bei der Bildung der Geschlechtspflanzen lang-
samer vorschreiten, als dies bei der Bildung der sächlichen Pflan-
zen der Fall ist. Es nehmen deshalb während der langsame-
ren Aufquellung der Membranen der Mutterpflanze und während
ihrer gallertartigen Umbildung in eine schleimig-flüssige Sub-
stanz diejungen Geschlechtspflanzen in sehr verschiedenem Mafse
an Gröfse zu und da ferner die schleimige Substanz, in der sie
in Folge jener Auflösungserscheinungen eingebettet sind, ihrer
Zerstreuug in hohem Grade hinderlich ist; so bleiben sie noch
lange nach ihrer Entstehung in Gruppen vereinigt, die von
mehr oder weniger Pflänzchen gebildet werden, je nach dem es
in dem besonderen Falle einer gröfseren oder geringeren Anzahl
gelungen ist sich zu befreien.
Da die einzelnen Pflänzchen dieser Gruppen bei ihrer Ent-
stehung zuerst noch bewegungslos sind und da auch ihre Mutter-
pflanze während der Umbildung ihrer Zellen in junge Pflanzen
unter Verlust ihrer Cilien ihre eigene Bewegungsfähigkeit ver-
liert, so liegt die ganze Gruppe in den ersten Stadien ihrer
Entstehung völlig regungslos und ruhig da.
Allein später entwickeln die jungen Geschlechtspflänzchen
ganz so, wie die neutralen, an jeder ihrer Zellen 2 schwingende
Cilien und diese beginnen, sobald nur die Consistenz des um-
gebenden Schleimes es gestattet ihre Bewegungen. Zuerst an
einzelnen Cilien und Pflänzchen sichtbar (Fig. 2) ergreift die
vom 14. October 1869. TEN
- Bewegung, während die einzelnen Geschlechtspflanzen schon an
Gröfse zunehmen, in gleichem Schritt mit der vorschreiten-
den Auflösung des Mutterzellmembranen nach und nach alle
Pflänzchen der Gruppe und so geräth endlich die ganze,
noch zusammenhängende Gruppe in eine gemeinsame und
lebhafte Ortsbewegung und Rotation. Unter günstigen Um-
‚ ständen kann man derartige in continuirlicher, lebhafter und
gemeinsamer Bewegung begriffene Gruppen (Fig. 3; 4.) von we-
nigen oder zahlreicheren Geschlechtspflanzen gebildet und in
eine dünnschleimige Masse eingebettet in grofser Anzahl zu-
gleich nebeneinander unter dem Gesichtsfelde beobachten. Nicht
immer jedoch werden diese Gruppen ausschliefslich von
Schwesterpflanzen gebildet, denn man sieht häufig einzelne Ge-
schlechtspflanzen, die sich von irgend einer Gruppe losgerissen
haben, an. andere Gruppen herantreten (a Fig. 4). Diese
bleiben dann meist an der Gruppe, auf die sie gestossen sind,
haften und bewegen sich mit ihr gemeinsam weiter.
Während dieser oft stundenlangen Begwegungen der Grup-
pen wiederholt sich nun an den Membranen der Geschlechts-
pflanzen derselbe Aufquellungs- und Verflüssigungs-Vorgang,
durch welchen bei deren eigenen Entstehung die Membranen ihrer
gemeinsamen Mutterpflanze zerstört wurden (Fig. 3»); allein der
Inhalt ihrer Zellen geht hierbei nicht so, wie dort, vorher eine
Theilung ein, sondern gestaltet sich in jeder Zelle sämmitlicher
Geschlechtspflanzen zu einer einzigen Schwärmspore, die durch
die soeben erwähnte, hier aber sich rascher vollziehende Ver-
flüssigung der Membranen frei wird. Indem dieser Vorgang
nach und nach alle Pflänzchen der Gruppe ergreift und so aus
jedem einzelnen Geschlechtspflänzchen je nach der Anzahl seiner
Zellen 16 oder 8 Schwärmsporen frei werden, sammeln sich
diese um und zwischen ‘den noch nicht aufgelösten Pflänzchen
der Gruppe in grosser Anzahl an (Fig. 3.) und bewegen sich,
da sie an ihrer Zerstreuung gleichfalls durch den mehr und mehr
sich anhäufenden Umbildungsschleim der Membranen gehindert
werden, gemeinsam mit der ganzen Gruppe weiter.
In ihrem allgemeinen Bau zeigen die so entstandenen Schwär-
mer keinen Unterschied von anderen Schwärmsporen. An ihrer
farblosen Spitze, die wie bei anderen Schwärmsporen gestaltet und
728 Gesammisitzung
namentlich weder länger ausgezogen noch contractiler ist, als dies
bei den gewöhnlichen, keimenden Schwärmsporen der Fall ist, be-
sitzen sie — wie andere Schwärmsporen auch — ein seitlich
gelegenes rothes Körperchen und 2 lange, schwingende Cilien,
mit denen sie sich gleichfalls in der gewöhnlichen Weise der
Schwärmsporen bewegen können (Fig. 3 und Fig. 45).
Auch wenn man die einzelnen Pandorina-Schwärmer un-
ter einander vergleicht, so zeigen sie aufser Dimensions-
Unterschieden sonst keine in die Augen springenden Verschie-
denheiten. Namentlich nicht solche, durch welche etwa zweier-
lei verschiedene Formenreihen unter ihnen kenntlich würden,
und dies gilt, wie ich ausdrücklich bemerke, auch bezüglich
ihrer Gröfse; denn man sieht zwar kleinere und grölsere unter
ihnen, allein durchaus nicht blofs solche von zweierlei ver-
schiedenen Gröfsen. Vielmehr können, wie die Fig. 3 und 4
zeigen, sowohl die Schwärmer als auch die Geschlechtspflanzen,
aus denen sie hervorgehen, sehr verschiedene, zwischen zwei
ziemlich weiten Grenzen schwankende Dimensionen erreichen.
Unter diesen in der Gruppe befindlichen, isolirten Schwärm-
sporen von verschiedener Gröfse sieht man nun endlich fort-
während solche, die gleichsam sich suchend sich paarweise
einander nähern (Fig. 3. 4.). Diese berühren sich, wenn sie
sich treffen, ganz vorn an ihrer hellen Spitze (Fig. d3a;a und an-
dere), verschmelzen hier (Fig. 3 an verschiedenen Stellen. Fig.4b.
Fig. 5a. db.) mit einander und nehmen in ihrer Verbindung so-
gleich eine biscuitartige Gestalt an. Die vorhandene Kerbung
(z. B. Fig. 3.c. c. c.), die noch ihre frühere Trennung verräth,
schwindet nach und nach ganz und die gepaarten Schwärmer
bilden schliefslich nur eine einzige, grofse, grüne Kugel (z. B.
Fig. 3d und Fig. 5i), an deren Umrifs man ihre - Entstehung
aus zwei ursprünglich getrennten Schwärmern nicht mehr er-
kennen kann. Wohl aber noch daran, dafs die entstandene
Kugel (Fig. 5c—h) grölser ist, als die einzelnen in der Nähe
befindlichen Schwärmer, dafs sie ferner eine auffallend ver-
sröfserte farblose Mundstelle hat, an welcher rechts und links
zwei rothe Körperchen befindlich sind, und dafs sie endlich
vier noch schwingende Cilien besitzt, die paarweise in der
Nähe der beiden rothen Körperchen entspringen. Jedoch schon
j vom 14. October 1869. 729
kurze Zeit nach der Annahme der Kugelgestalt werden auch
‚die 4 Cilien starr und verschwinden später endlich ebenso, wie
ie beiden rothen Körperchen völlig (Fig. 53).
| Dieser ganze Paarungsact der Schwärmsporen dauert in
Eden einzelnen Falle von der Berührung der beiden Schwärm-
‚sporen mit ihren Spitzen an bis zur schliefslichen Annahme der
Kugelgestalt mehrere — bis 5 — Minuten, und läfst daher
seine Einzelstadien mit der gröfsten Genauigkeit verfolgen.
Die aus der Paarung hervorgegangene, grüne Kugel wird
zur Oospore, welche, wie ich noch zeigen werde, unter nur
geringem Wachsthume und unter Röthung ihres Inhalts nach
längerer Ruhe keimt und eine neue Pandorina hervorbringt.
‘Der zunächst auffallende Umstand bei diesem Paarungs-
acte ist offenbar der schon hervorgehobene Mangel einer er-
kennbaren Differenz der sich paarenden Schwärmer. — Nur
ihre Gröfse giebt einen geringen Anhaltspunkt für die Beur-
theilung ihres geschlechtlichen Werthes, aber auch diese läfst
den Beobachter in vielen Fällen im Stich. Allerdings sieht man
überwiegend häufig einen kleinen Schwärmer sich mit einem
gröfseren paaren, aber oft genug vereinigen sich zwei gleich grofse
und zwar sowohl zwei gleich grofse der kleineren als der gröfse-
ren Formen. Aus diesem Verhalten, welches die Deutung der
Erscheinung auf Abwege zu verirren geeignet ist, scheint mir
nothwendig zu folgen, dafs hier sowohl die weiblichen, als die
männlichen Geschlechtsproducte in sehr verschiedenen Gröfsen
auftreten können. Da nun in einzelnen Fällen die Paarung
zwischen einem relativ sehr kleinen und einem sehr grofsen
Schwärmer eintritt und da ferner, wenn die sich paarenden
Schwärmer gleich sind, beide immer entweder zu den kleineren
und mittleren gehören, niemals aber, soweit meine sehr zahl-
reichen, direeten Beobachtungen des Paarungsactes reichen, zwei
der gröfsten sich mit einander paaren, so folgere ich hieraus
weiter, dafs die Grölsenschwarkungen der einen Art — der
Analogie nach der weiblichen — Schwärmer bedeutender sind,
als die der anderen Art — der männlichen.
Dasselbe gilt nun auch für die ganzen männlichen und
weiblichen Pflanzen, aus denen die sich paarenden Schwärmer
hervortreten. Bei der Beurtheilung des geschlechtlichen Werthes
[1869.] 52
750 Gesammisitzung
dieser Formen kann man daher von den kleinen und mittel-
grofsen Geschlechtspflanzen und Schwärmern nie mit Bestimmt-
heit sagen, ob sie weiblich oder männlich sind; dagegen möchten
die gröfsten Geschlechtspflänzchen, sowie die grölsten Schwär-
mer wohl unbedenklich als weiblich gelten dürfen.
Die Keimung der aus der Paarung hervorgegangenen Oo-
spore, die ich, bevor ich weitere Schlüsse ziehe, noch beschrei-
ben mufs, gleicht der der anderen Volvocineen. In ihren er-
sten Anfängen zeigt sie aber auffallender Weise sogar noch eine
grössere Ähnlichkeit mit der Keimung der ruhenden Sporen,
welche aus den Microgonidien des Wassernetzes entstehen.
Werden die eingetrockneten Oosporen, die sich am Rande
der Tümpel, in denen die Pandorina lebt, als kleine Haufen
rother Kugeln ansammeln, unter Wasser gebracht, so beginnt
ihr Keimung schon nach 24 Stunden (Fig. 6—7). Die Oo-
spore bricht, wie beim Wassernetze unter Bildung eines Bruch-
sackes (65) auf und entlälst (6c,d) normal eine einzige grosse
Schwärmspore — in seltneren Fällen durch unregelmäfsige
Theilung dieser einen 2 bis 3. —
Ebenso wie der Inhalt jeder einzelnen Pandorina-Zelle — die
sg. Primordialzelle, die selbst nur als eine Schwärmspore zu be-
trachten ist, — Sich bei der Vermehrung verhält, so zerfallen
auch diese nackten und grofsen Schwärmer, nachdem sie aus
der Oospore hervorgetreten sind, durch succedane Theilung in
16 Zellen, die sich nach Art der Pandorina-Pflänzchen anordnen,
Cilien erhalten und an ihrer Peripherie eine Gesammthülle bil- |
den, kurz zu jungen Pandorina-Pflänzchen werden (Fig.7a,b,c,d) |
Werfen wir nun einen vergleichenden Blick auf die ana-
logen Entwickelungsphaenomene der anderen Pflanzen; so bieten
diejenigen Gattungen der Volvocineen, deren Sexualact schon als
bekannt gilt, die nächsten Vergleichungsmomente dar. Hier
aber tritt uns sogleich als ein wichtiger Unterschied der Um-
stand entgegen, dafs Cohn für Volvox, Carter für Vovox und
Eudorina die Saamenkörper in ihrer Form von den Schwärm-
sporen sehr abweichend darstellen und dafs sie namentlich die
Befruchtungskugeln entsprechend den damals bekannten Er-
scheinungen an Vaucheria und Oedogonium als kugelige, ruhende
Zellen beschreiben.
N
4
j
vom 14. October 1869. 731
‘0 Diese Differenzen würden sich jedoch zum Theil heben,
‘wenn man voraussetzen dürfte, dafs die Zellen, welche bei Vol-
vox und Eudorina für ruhende Befruchtungskugeln gehalten
‘wurden, nicht ruhende Zellen, sondern grofse aus ihrer Mutter-
zelle nicht ausschlüpfende Schwärmsporen sind. Die Möglich-
keit dieser Annahme ist offen, da beide Beobachter den Be-
fruchtungsact dort nicht gesehen haben, ihn also nicht nach
/directer Beobachtung der Vereinigung der Geschlechtsproducte
beschreiben, sondern die vorhandenen Organe nur nach den bei
Vaucheria und Oedogonium bekannten Erscheinungen deuten.
Für diese Vermuthung spricht auch eine beiläufige Bemerkung
von Carter, in welcher dieser Beobachter bei Eudorina nach
ausführlicher Beschreibung des Volvox-artigen Zeugungsvorganges
dieser Pflanze schliefslich noch kurz von einem Vorgange spricht,
der vielleicht dem Processe ähnlich ist, «den ich bei Pandorin«
auffand, dem Carter dort aber eine sonderbare Deutung giebt,
indem er ihn für eine nebensächliche und abnorme Vereinigung
einer zweiten Form von Spematozoiden mit vegetativen Zellen
‚erklärt. Es ist freilich möglich, dafs hier die Verwechselung
mit einer zweiten Pflanze vom anatomischen Bau der Eudorina
vorliegt; es wäre aber auch denkbar, dafs auch bei Volvoxr und
"Eudorina die Befruchtungskugeln unter der Form von Schwärm-
sporen auftreten, die bald in bald aufserhalb ihrer Mutter-
zelle befruchtet werden. Dieser Auffassung würden gleichfalls
die früher unbeachteten und mir erst jetzt verständlich gewor-
denen Beobachtungen von Carter an Cryptoglena lenticularis und
‚orbicularis entsprechen. Ob diese Organismen, die ich aus
eigener Anschauung nicht kenne, hierhergezogen werden dür-
‚fen, ist allerdings fraglich. Die eigenthümliche Einkerbung
ihres Vorderendes scheint auf eine Verwandschaft mit Euglenen
hinzuweisen. |
Andrerseits könnte aber freilich der Unterschied von be-
'weglichen und unbeweglichen Befruchtungskugeln eben so gut
schon innerhalb der Gruppe der Volvocineen auftreten. Jeden-
falls müssen neuere Untersuchungen an Volwvox und Eudorina
' dies erst ins wahre Licht setzen.
| Suchen wir nun weiter die Beziehungen dieser Befruch-
tungsform bei Pandorina Morum zu den Zeugungsvorgängen
52*
732 Gesammtsitzung
der anderen Pflanzen auf; so eröffnet die Kenntnifs der Einzel-.
stadien des Vorganges, die ich im Vorhergehenden beschrieben
habe, ferner die Auffassung desselben als einer besonderen.
Modification des Zeugungsvorganges der Zoosporeen und als
der eigentlichen, formellen Grundlage der Zeugungungsvorgänge.
überhaupt, sowie endlich die Unterscheidung zwischen beweg-
lichen und unbeweglichen Befruchtungskugeln, wie mir scheint,
eine volle Einsicht in die schrittweisen Abänderungen der Ge-
schlechtsproduete und des Geschlechtsactes der Pflanzen. — |
Hierüber möchte ich meinen Beobachtungen noch die fol-
genden, kurzen Andeutungen hinzufügen.
Bisher erschien die Copulation der Zygosporeen als ein
Vorgang, der sich nicht unmittelbar an den Zeugungsprocels
der anderen Algen anreihen liefs und die ganze Abtheilung der
Zygosporeen erschien»hiedurch als eine in sich abgeschlossene, |
namentlich gegen die Zoosporeen scharf abgegrenzte Gruppe. |
Gegenüber der überall sonst sichtbaren und so scharf aus-
geprägten Differenz der Geschlechtsproducte in Form und Gröfse Ä
mufsten natürlich die von den anderen Zeugungsphaenomenen
so abweichenden Erscheinungen bei der Copulation nicht nur
auffallen, sondern haben — wie dies ja bis in die neueste Zeit
geschah — zu berechtigten Zweifeln an der Bedeutung der
Copulation überhaupt Veranlassung gegeben. Die Paarung der
Schwärmsporen, wie sie bei Pandorina mit kaum beginnender
Differenzirung der Geschlechtsproducte auftritt, erscheint nun als |
eine Wiederholung des Copulationsactes bei’den Pflanzen mit be-.
weglichen Geschlechtsprodueten und bildet daher eine Brücke‘
zwischen Zygosporeen und Zoosporeen; und wenn meine Ver-
muthungen über die Verbreitung des Paarungsactes unter. den
Zoosporeen mich nicht trügen, so wird man bei genauerer Kennt-
nifs der Umbildungsvorgänge der Microgonidien. in ruhende
Sporen in den Chaetophoreen und namentlich in Draparnaldia
das eigentliche Verbindungsglied zwischen diesen beiden Ab-
theilungen der Algen erkennen. Die Correlation zwischen re-
productiven und vegetativen Phaenomenen und die mir bekann-
ten Erscheinungen bei der Entstehung ‚jener ruhenden Sporen
aus denjenigen Microgonidien, die ich früher Dauerschwärmer
vom 14. October 1869. ‚133
genannt habe, weisen wenigstens bereits mit Entschiedenheit
hierauf hin. — |
"0 Während so die Paarung der Schwärmsporen einerseits an
‚die Copulation der Zygosporeen anknüpft, schliefst sie sich ander-
seits noch enger an die bekannten Befruchtungsvorgänge bei den
Zoosporeen an. — | |
: ’ Vergleichen wir den Paarungsact von Pandorina mit dem
Zeugungsact von Oedogonium (Fig. 9) und fassen wir die Gestalt
und die Beschaffenheit der Schwärmspore, der Befruchtungskugel
und des Spermatozoids von Oedogonium, welches letztere ja
gleichfalls unter der Form einer kleineren Schwärmspore auf-
tritt, näher ins Auge; so lehrt die directe Beobachtung, dafs
die vordere, farblose Protoplasmamasse der Befruchtungskugel
von Oedogonium, an welcher ganz vorn wie bei Pandorina, die
Vermischung mit dem Spermatozoid stattfindet, ganz identisch
ist mit der sogenannten Mundstelle der einen der beiden’ Schwärm-
sporen, die bei Pandorina die Paarung eingehen und ebenso mit
der sogenannten Mundstelle der unmittelbar keimenden Schwärm-
spore von Oedogonium selbst. Hierdurch erhält nun der Bau der
ruhenden Befruchtungskugeln und die Beschaffenheit ihrer farb-
losen Vorderstelle die einfachste Erklärung und man erkennt
unleugbar, dafs die ruhenden Befruchtungskugeln von Oedogonium
ferner von Vaucheria (Fig. 10. 11) und Coleochaete, an welche
sich alsdann die der andern Algen mit minder ausgesprochenem
oder kaum angedeutetem Befruchtungs- oder Keimfleck un-
mittelbar anschliefsen nur cilienlose und ruhende Modifi-
cationen der Schwärmsporen sind.
Allein die Analogie des Baues der Befruchtungskugel und
der Schwärmspore läfst sich, wie mir scheint,’ noch weit
über die Algen hinaus verfolgen.
Wenn man die vorhergehenden Schlüsse, die den beob-
achteten Erscheinungen unmittelbar entsprechen, zulälst, so
wird man sich kaum den weiteren Folgerungen entziehen kön-
nen, dafs auch diejenige Bildung am Embryobläschen der
Phanerogamen, welche Schacht unter dem Namen des Faden-
apparates unterschied, ein Analogon der farblosen Befruchtungs-
stelle an den Befruchtungskugeln der Algen ist und somit
auch das analoge Organ der sogenannten Mundstelle oder des
754 Gesammtsitzung
Keimfleckes der Schwärmsporen ihre natürlichste Auffassung
findet. Dieser Bildung entspricht aher wieder bei den höheren
Cryptogamen das Gebilde, welches ich in meinen Untersuchun-
gen über Embryobildung der Gefälseryptogamen in der Central-
zelle des Archegonium von Salvinia auffand und als Canalzelle
unterschieden habe'!). Schon dort?) habe ich wiederholt auf
die Ähnlichkeit dieser Bildung mit dem Fadenapparate der
Keimbläschen der Phanerogamen aufmerksam gemacht. Da
nun auch meine damaligen Andeutungen über das allgemeinere
Vorkommen dieser Canalzelle bei’ Moosen und Farren durch
spätere Untersuchungen ihre Bestätigung erhalten haben, so
kann über das constante Vorkommen derselben wohl kein
|
Zweifel mehr stattfinden. Die durchgreifende Analogie der
weiblichen Geschlechtsprodukte der Pflanzen würde sich dem-
nach schon äufserlich durch die ähnliche Erscheinung der Stelle,
wo an ihnen der eigentliche Befruchtungsaet ausgeübt wird, zu
erkennen geben. Für diese Stelle schlage ich unter Berück-
sichtigung der morphologisch gleichwerthigen Stelle der keimen-
den Schwärmsporen als allgemeine Bezeichnung den Ausdruck
„Keimfleck* vor. Sie entspricht der sogenannten Mundstelle der
Schwärmsporen, der farblosen Protoplasmasse an dem Vorderende
der Befruchtungskugeln, der Canalzelle der höheren Cryptogamen
und dem Fadenapparate an den Keimbläschen der Phanerogamen.
Bei den Einen in die Bildung der Embryonalanlage mit ein-
gehend, bleibt sie bei den Anderen von ihr ausgeschlossen
und von den Fällen bei den Algen, wo,. wie bei Oedogonium
und Pandorina, die gesammte Masse der Befruchtungskugel mit
Einschlufs des ganzen Keimflecks zum Aufbau des Embryo
verwendet wird, führt die Zeugung von Vaucheria (Fig. 10.11),
wo ein Theil des Keimflecks vor der Befruchtung abgestos-
A nn
5
00
sen und ausgeworfen wird, durch die analogen Bildungs-
vorgänge bei Coleochaete’) unmittelbar zu der Erscheinung der
Canalzelle und des Fadenapparates hinüber, welche gleichfalls
1) Monatsberichte d. Berliner Academie 1863 p. 175 und Zur Mor-
phologie der Salvinia natans, Jahrb. f. wiss. Bot. III. S. 520 u. 521.
2) Jahrbücher f. wiss. Bot. III. 8. 521 u. 536 unter IV. 5.
3) Jahrb. f. wiss. Bot. U. p.15 u. f.
2 Te.
vom 14. October 1869. 735
nur Ablösungsproducte des Keimfleckes der Befruchtungskugeln
‚darstellen. So erscheint die Schwärmspore als die Gruudform der
'Embryonalanlagen im Pflanzenreiche und bei der Bildung dieser
wiederholen sich zugleich unter dem vorher angedeuteten Gesichts-
puncte in wahrhaft überraschender Analogie die Erscheinungen,
‘die bei der Embryobildung der Thiere als totale und partielle
‚Furchung unterschieden werden. Auch mag noch Erwähnung
“verdienen, dafs die Richtung der Wurzel des Embryo bei den
Pflanzen, bei welchen als Product der Zeugung ein Embryo
auftritt, bei dieser Parallelisirung der Embryobläschen und
der Schwärmspore schon durch die Lage der Befruchtungsku-
gel vor der Befruchtung erklärt wird, indem ja der Keimfleck,
welcher von Oedogonium bis zu den Phanerogamen ohne Aus-
nahme der Geschlechtsöffnung zugekehrt ist, wie die Schwärm-
sporen zeigen, dem Keimfusse entspricht.
Da aber endlich auch die Formenunterschiede, die man
früher zwischen Samenkörper und Schwärmspore festhalten
wollte — wie dies die Samenkörper von Oedogonium und Pan-
dorina zeigen — nur relativen Werth als Modificationen der-
selben Grundform haben, so wird man die Form der Schwärm-
spore, in welcher schon die ältesten Beobachter eine Anknüpfung
des Pflanzenreichs an das Thierreich erblickten, als die allge-
meine Grundlage sämmtlicher Reproductionskörper der Pflanzen,
die unter bestimmten Formen auftreten, anerkennen dürfen und
so liefse sich schon jetzt eine embryologische Einheit innerhalb
des Gewächsreiches nachweisen, wenn nicht Florideen und Pilze
eine schon mehr abweichende Form der Copulation zu bilden
schienen, über welche noch spätere Untersuchungen eine Auf-
klärung bringen müssen.
Kehren wir nun von diesen morphologischenn Betrachtun-
gen, die sich ja leicht noch weiter ausspinnen und ausführen
lassen, wieder zu den Erscheinungen des Paarungsactes selbst
‚zurück, so ist es nicht gar schwer schon jetzt die Gattungen ver-
muthungsweise zu bezeichnen, bei welchen ein gleicher oder doch
ähnlicher Befruchtungsact vorausgesetzt werden darf. Vielerlei
Andeutungen, deren Ausführung an dieser Stelle mich jedoch
zu weit führen würde, liegen mir hierfür theils in eigenen, älte-
ren Beobachtungen, theils in litterarischen Angaben vor. Eine
736 Gesammtsitzung
Reihe früher unverständlicher Erscheinungen und unaufgeklärter
Widersprüche in den Angaben zuverlässiger Beobachter über
die Form und Farbe der Microgonidien, über die Zahl ihrer
Cilien, über ihr Verhalten nach dem Aufhören ihres Bewegungs-
stadiums und endlich wohl auch über Doppelsporen — die
allerdings in den meisten, vielleicht aber nicht in allen beob-
achteten Fällen, wie man sie bisher allein aufgefafst hat, un-
vollendete Entwicklungsstufen d. h. unvollständige Trennungen '
sein möchten — finden so durch die jetzt begründete Annahme
einer Paarung ihre vollständige Aufklärung.
Ich habe bereits im Vorhergehenden meine Vermuthungen
nach “dieser Richtung in Betreff derjenigen Gattungen ange-
deutet, deren Microgonidien ich früher als „Dauerschwärmer*
bezeichnet habe und ich füge dem hier nur noch hinzu, dafs
ich unter diesen Microgonidien schon damals zweierlei durch
Farbe und Grösse und auch durch ihr Verhalten zum Licht
verschiedene Reihen unterscheiden konnte, allein nicht im Stande
war die Bedeutung dieser Verschiedenheiten aufzuklären.
Meine Vermuthungen für die verschiedenen Gattungen im
Einzelnen auszuführen kann ich füglich unterlassen; um so eher als
es Jedem, der sich mit der Entwickelung der Algen beschäftigt,
jetzt nahe gelegt ist den Paarungsact oder doch schwärmende
Befruchtungskugeln bei allen denjenigen Zoosporeen zu suchen,
hei welchen man bisher nur Schwärmsporen hat auffinden
können. Aufserdem sollen ja auch die obigen Angaben nur
Andeutungen für weitere Untersuchungen bilden, die ich selbst
vorzunehmen die Absicht habe, sobald sich mir die Gelegen-
heit dazu darbieten wird und wenn andere Beobachter mir die
Zeit dazu lassen sollten. —
Die allgemeineren Resultate der vorliegenden Untersuchung
fasse ich schlie(slich noch in folgenden Sätzen kurz zusammen.
1) Es giebt in der Abtheilung der Zoosporeen beweg-
liche Befruchtungskugeln, d. h. Eianlagen, die
als Schwärmsporen auftreten. |
2) Die ruhenden Eianlagen (Befruchtungskugeln) sind
cilienlose, nähere oder entferntere Formenab-
weichungen der Schwärmspore.
3)
4)
5)
vom 14. October 1869. 737
Das farblose Vorderende der Befruchtungskugeln der
Algen, die Canalzelle der höheren COryptogamen und
der Fadenapparat der Phanerogamen sind Bildungen,
welche morphologisch der s. g. Mundstelle d. h. dem
Keimflecke oder, was dasselbe ist, dem Fufse der
Schwärmspore gleichwerthig sind.
In Analogie der Erscheinungen totaler und partieller
Furchung der thierischen Eier wird auch bei den Pflan-
zen bald die ganze Masse der Befruchtungskugel zur
Embryobildung verwendet, bald nur ein Theil dersel-
ben; in letzterem Falle unter gänzlicher? oder theil-
weiser Abstolsung des farblosen Fufses der Befruch-
tungskugel, die jedoch hier bald vor (Vaucheria, Co-
leochaete, Salvinia) bald nach ? der Befruchtung (Pha-
nerogamen) stattfindet.
Die bedeutsame Erscheinung, dafs die Schwärmspore
die morphologische Grundlage der Fortpflanzungskör-
per bildet, spricht für die embryologische Einheit des
Pflanzenreiches und bildet neben dem anerkannten, hi-
' stologischen einen neuen, morphologischen Anknüpfungs-
punct desselben an das Thierreich.
Erklärung der Abbildungen Tafel.
(Sämmtliche Original-Figuren von Pandorina und Eudorina sind bei
Fig. 1.
n
2.
gleicher, 480facher Vergrösserung gezeichnet.)
Pandorina Morum im erwachsenen Zustande.
Dieselbe nach Umbildung der Zellen in Geschlechtspflänzchen,
während der Aufquellung der Membranen der Mutterpflanze.
. Gruppe von Geschlechtspflanzen mit zahlreichen, bereits freien
männlichen und weiblichen Schwärmsporen vor, während und
‚nach der Paarung.
Eine sehr grofse, weibliche Geschlechtspflanze in Auflösung ihrer
Membranen begriffen. Unter den sich befreienden, grofsen, weib-
lichen Schwärmern 2 in der Paarung mit ganz kleinen begriffen ;
daneben andere frei bewegliche, kleine, männliche Schwärmer.
. Bilder des Paarungsactes. a.d. Schwärmer unmittelbar und
kurz nach der Berührung. c.d.e. f. aus der Paarung entstan-
dene Oosporen mit noch beweglichen Cilien; g. Ah. desgleichen
mit bereits starren Cilien; z. desgl. nach Verlust der Cilien.
738 Gesammtsitzung
Fig. 6. Oosporen nach der Vegetationspause und ihre Keimung. ---
a. ausgetrocknete und ins Wasser gebrachte Oosporen, von denen
2 bereits angeschwollen sind; 5. Bildung des Bruchsackes und Um-
bildung des Inhalts in eine Schwärmspore. — c. Schwärmsporen
während des Austrittes aus der Spore in den Bruchsack; d. ent-
leerte Spore und Bruchsack mit der ausgeschlüpften Schwärm-
spore.
» 7. a. d.c. einige 'Theilungszustände der ausgeschlüpften Schwärm-
spore; d. die junge Pandorina-Pflanze.
»„ 8. Eudorina elegans im erwachsenen Zustande zur Vergleichung mit
Pandorina Morum. j
»„ 9-10. Einige Figuren zur Vergleichung des Paarungsacts und der
Geschlechtsphaenomene bei anderen Pflanzen.
9. Befruchtung von Oedogonium.
10 und 11. Ablösung einer Partie des Keimflecks bei
Vaucheria sessilis.
12 u. 13. Befruchtungskugel nnd Canalzelle von Salvinia
(Jahrbüeher £. wiss. Bot. III. Taf. XXVD.
14. 15. 16. Embryolbläschen mit Fadenapparat von San-
talum nach Schacht (Jahrbücher f. w. Bot.
IV. Taf. I). — In den Figuren 15 und
16 sind die Embryobläschen aus dem Em-
bryosack frei gelegt gezeichnet.
Hr. Braun theilte Bemerkungen mit über eine Miflsbil-
dung von Podocarpus Chinensis, von welcher ein frisches
Exemplar vorgelegt wurde. Von den zahlreichen Arten der
Gattung Podocarpus, welche im hiesigen Garten cultivirt wer-
den, haben bis jetzt .erst zwei Arten Blüthen getragen, P. sali-
cifolia Kl. et Karst. und P. Chinensis Wall., letztere Art so-
wohl an männlichen als weiblichen Exemplaren. Die männ-
lichen Blüthen haben die Form verlängert-walzenförmiger, straff
aufrechter Kätzchen, an welchen die mit deutlicher Connectiv-
spitze versehenen zweifächerigen Staubblätter 8 genau senk-
rechte, durch 3 St. bedingte Zeilen bilden. Unterhalb der
Staubblätter befinden sich an dem etwas verlängerten Stiel der
Blüthe mehrere zerstreute linienförmige Hochblättchen, von de-
nen die 2 untersten grundständigen je eine Seitenblüthe aus
ihrer Achsel hervorgehen lassen, so dafs je 3 sogenannte
N
IQ
N
ER ENDEN v 2, rn n
.Laue hfh.
Innulsbericht d.W Ad WE October 18693
1.
Drmesthem ad nat del
Vbmute hith
vom 14. October 1869. 139
Kätzchen in der Achsel eines Laubblattes sich beflnden. Zuwei-
len finden sich durchwachsene Blüthen, welche oberhalb der Staub-
blätter einen Schopf ungewöhnlich kleiner Laubblätter tragen. An
der Übergangsstelle zu den letzteren überzeugt man sich, dafs das
Connectiv zur Spreite des Laubblattes auswächst, während die
Autherenfächer stufenweise kleiner werden und verschwinden.
Es ist unbegreiflich, wie selbst neuere Autoren, z. B. Parlatore,
die alte, aus der oberflächlichen Ähnlichkeit der kätzchenför-
migen männlichen Blüthen der Coniferen mit den aus vielen
Blüthen gebildeten männlichen Kätzchen der Amentaceen ent-
nommene Vorstellung von der männlichen Blüthe der Coniferen
festhalten und noch immer von Bracteen reden können, mit
welchen eine achselständige aus 2 oder mehreren Staubblättern
bestehende männliche Blüthe verwachsen sein soll. Die von ver-
schiedenen Kiefern- und Tannen-Arten mehrfach beschriebenen
Übergänge männlicher Blüthen (Kätzchen) in weibliche Blüthen-
stände (Zapfen) hätten doch längst alle Zweifel in dieser Be-
ziehung heben sollen.
Die weiblichen Blüthenstände (oder wenn man lieber will
Blüthen)') stehen einzeln in den Achseln der Laubblätter. Das
zur Zeit der Reife fleischig werdende sogenannte Receptaculum
wird von einem dünnen Stiel getragen, der etwas kürzer ist
als es selbst und an seinem oberen Ende, dicht an der Grenze
der Anschwellung, 2 seitliche, gegenständige, linienförmige, ab-
stehende Hochblättchen (Vorblätter) trägt, welche bei manchen
anderen Podocarpus-Arten nicht sichtbar sind, wiewohl wegen
1) Wenn man zugiebt, dafs bei augiospermischen Phanerogamen der
Fall vorkommt, dafs das Eiknöspchen in der Achsel eines Fruchtblattes
steht, ein Fall, der mir übrigens noch nicht ganz festgesellt zu sein
scheint, so kann man in gewissem Sinn auch die Deckblätter der Conife-
ren, in deren Achsel die Eiknospen sitzen, als Fruchtblätter und somit
eine mit mehreren solchen Deckblättern besetzte Achse als eine weib-
liche Blüthe betrachten. So bei den Oupressineen, bei Dammara und bei
einigen Taxineen, namentlich bei Podocarpus. Einfacher jedoch erscheint
es, die weibliche Blüthe der Coniferen als eine auf das blofse Eiknösp-
chen reducirte zu betrachten, welche Betrachtung eine einheitliche Auf-
fassung aller Fälle, auch derjenigen, in welcher die Eiknospe terminal
ist (Taxus), zuläfst. Vergl. Eichler in Martius Flor. Brasil. Fasc. 34.
/
740 . Gesammtsitzung
der gleichartigen Stellung der nachfolgenden’ Theile bei allen
als der Anlage nach anwesend angenommen werden müssen.
Hierauf folgen 2 Paare von den Vorblättern abgerückter, unter
sich genäherter Hochblätter, das untere (äufsere) in medianer,
das obere (innere) in transversaler Stellung. Beide Paare haben
eine in Beziehung auf den freien Theil sehr kümmerliche
Entwicklung, ja bei denen des inneren Paares fehlte bei den
untersuchten Exemplaren die freie Blattspitze ganz, die jedoch
bei anderen Arten derselben Abtheilung, z. B. P. Chilina und
P. coriacea (Rich. Conif. T. I.) deutlich sichtbar ist. Dagegen
zeigen die Blattkissen dieser 4 Blättchen eine eigenthümliche
Entwickelung; sie schwellen bis zu den Vorblättern herab an,
werden zur Zeit der Reife fleischig, färben sich schön roth und
bilden den länglichen, nach oben in 2 deutliche und 2 undeut-
liche Zähne ausgehende Körper, der bei den Autoren bald Re-
ceptaculum (Endlicher), bald Diseus (Hooker) ‘genannt und
durch Verwachsung fleischiger Bracteen mit der Achse erklärt
wird. Die Blattkissen der beiden äufseren medianen Blättchen
sind breiter, die der beiden inneren sind als schmälere seitliche
Striemen zwischen diese eingefügt. Von den beiden äufseren
Blättchen steht das vordere (dem Tragblatt der Inflorescenz
zugewendete) stets etwas, zuweilen selbst bedeutend tiefer, das
hintere, höher stehende ragt meist sogar über die 2 inneren
Blättchen empor. . Dieses hintere Blättchen trägt in seiner
Achsel regelmäfsig ein Eispröfschen (Oculum), dessen kurzer
Stiel von dem Blattkissen, unter welchem er hervorkommt, wie
von einem nach innen offenen Ring eng umfalst wird. Das
tiefer stehende vordere Blättchen trägt nicht selten gleichfalls
einen achselständigen Eispro[s, häufiger jedoch fehlt derselbe.
Die beiden inneren seitlichen fand ich stets unfruchtbar und ihre
Blattkissen schmelzen über der Spitze der Achse des Recepta-
culums so vollkommen zusammen, dafs die Verbindungsstelle
nur zuweilen als Furche erkennbar is. Bei den Arten, bei
welchen die 2 inneren Blättchen des Receptaculums deutliche
zahnartige Spitzen haben, wird wohl auch das Zusammenflies-
sen über der Spitze der Achse weniger vollständig sein. |
Wie bei Pod. Chinensis verhält sich im Wesentlichen die
weibliche Inflorescenz aller Arten der Abtheilung Eupodocarpus,
Fe
vom 14. October 1869. 741
wenn nicht vielleicht, nach den Abbildungen zu urtheilen, bei
manchen Arten die 2 inneren sterilen Blättchen des Recepta-
culums ganz fehlen. So z.B. bei Pod. elongata nach Richard’s,
bei Pod. Thunbergii nach Hooker’s Abbildung (Journ. of Bot.
I..t. 22). In der Abtheilung Nageia ist das Receptaculum
durch die Anschwellung der Blattkissen zahlreicherer, wie es
scheint spiralig geordneter Hochblätter gebildet, von denen ge-
wöhnlich nur eines der obersten fruchtbar ist. Bei der Abthei-
lung Stachyocarpus fehlt dagegen die Anschweliung der Blatt-
kissen ganz; mehr oder minder zahlreiche, wohlentwickelte
Hochblätter an meist verlängerter dünner Achse tragen die
anatropen Eiknöspchen genau in ihrer Achsel. So namentlich
bei Pod. taxifolia, Andina, spicata. Die Arten aller Abtheilun-
gen stimmen darin überein, dafs die Raphe dem Deckblatt zu,
die Micropyle vom Deckblatt abgewendet ist, ein Richtungs-
verhältnifs, welches, abgesehen von allen anderen Schwierig-
keiten einer solchen Annahme, die noch immer beliebte Auf-
fassung der Raphe als einer Schuppe,') welcher das Ovulum
oder die weibliche Blüthe (wie bei den Abietineen) aufsitzen
soll, als unzuläfsig darzustellen geeignet ist.
Auf die Bildung des so eben beschriebenen fleischigen Re-
ceptaculums, nicht aus angewachsenen Bracteen, sondern durch
‘ Anschwellung der Blattkissen derselben, wirft nun eine im
hies. botanischen Garten mehrmals beobachtete, in den letzten
Tagen in einem besonders schönen Exemplar aufgefundene
Monstosität ein besondres Licht. Ein kleiner, ungefähr 2 Zoll
langer vegetativer Zweig mit 21 entwiekelten, nach $ Stellung
geordneten, normal gebildeten Laubblättern zeigte mit Ausnahme
der 3 untersten und der 3 obersten an allen übripen Blättern
stark angeschwollene, saftig-fleischige und sich schön röthende,
nach den einzelnen Blättern scharf begrenzte und scharf geson-
derte Blattkissen. Die am stärksten entwickelten der mittleren
Region erschienen verlängert herzförmig, mit dem unteren spi-
tzen Ende sich zwischen die vorausgehenden einkeilend, mit dem
oberen ausgebuchteten den Blattstiel ohrartig umfassend. Einige
minder regelmälsig ausgebildete waren nach oben nur einseitig
1) Vergl. Sperk, die Lehre von der Gymnospermie, S. 69.
742 Gesammtsitzung
angeschwollen und dadurch schief. Bei den obersten dichter
zusammengedrängten Blättern war die Anschwellung unterhalb
des Blattes geringer, erstreckte sich dagegen in den Blattstiel
und stieg auf der Unterseite des Blattes selbst 1— 14 Linien
hoch an der Mittelrippe der Blattspreite hinauf. Die in scharf
begrenzte Gebiete vertheilte Anschwellung des Rindenparemsyms
der Achse entspricht der Eintheilung der Stengeloberfläche nor-
maler Laubsprosse in linienförmig-herablaufende, jedoch nicht
angeschwollene Blattkissen oder Blattfelder, ziemlich ähnlich
denen von Larix. Denkt man sich an einem auf die beschriebene
Weise modifieirten Zweig die grünen Blätter weg und an ihre
Stelle kleine farblose Hochblätter, so hat man ziemlich das
Bild des Receptaculums einer Nugeia.
In Hooker’s bot. Magazin ist auf Tafel 4655 eine der hier
beschriebenen ähnliche Monstrosität abgebildet. Ich halte die
auf dieser Tafel unter dem Namen Pod. nerüfolia abgebildete
Pflanze!) nicht für die Don’sche Art dieses Namens, sondern
für einerlei mit unserer ohne Zweifel richtig bestimmten Pod.
Chinensis, die in den Gärten auch unter dem Namen P. Maki,
P. Makoyi, P. Koreana u.s.w. vorkommt. Es ist demnach wahr-
scheinlich, dafs auch in anderen Gärten die besprochene Mils-
bildung öfter vorkommt.
Über die Beschaffenheit des Samenknöspchens kann ich,
da ich nur fast reife Samen untersucht habe, nichts Entschei-
dendes mittheilen; namentlich läfst sich im reiferen Zustande
kaum noch sicher entscheiden, ob dasselbe mit einfachem oder
doppeltem Integument versehen ist. - Nach den Darstellungen,
welche Eichler von Pod. Sellowü in v. Martius brasilianischer
Flora (Fasc. 34, Tab. 114) giebt, ist jedoch unzweifelhaft eiu
doppeltes Integument vorhanden, womit auch die Abbildung
von Sperk (Taf. IV, Fig. 96'), der nach seiner Auffassungs-
weise das äufsere Integument Involucrum, das innere Ova-
rium, den Kern Ovulum nennt, wohl übereinstimmt. Nach
der Oharacteristik, welche Parlatore (Prodr. XVI, p. 507)
von Podocarpus giebt, sollte man sogar glauben, es seien 3 In-
1) Parlatore im 16. Bd. von De Candolle’s Prodromus eitirt die
Hooker’sche Abbildung weder bei P. neritfolia, noch bei P. Chinensis.
vom 14. October 1869. 743
tegumente vorhanden, indem er von 2 das Pistill umgebenden
Hüllen redet; allein ich zweifle nicht, dafs der Theil, den er
bei Podocarpus als das Pistill betrachtet, nichts anderes als der
Eikern ist, wiewohl er in anderen Fällen (z. B. bei Taxus,
Pinus) das Integument als Pistill, den Eikern als Ovulum be-
zeichnet. Es ist zu bedauern, dafs wir von Podocarpus sowohl,
wie von den verwandten Gattungen Dacrydium, Cephalotaxus,
Phyllocladus, die Entwicklungsgeschichte der Eiknospe noch
nieht kennen, dafs wir namentlich nicht wissen, in welcher
Folge die zwei Integumente zur Ausbildung kommen. Auch
ist noch genauer zu ermitteln, wie sich die beiden Integumente
bei der Ausbildung des fleischigen und steinartigen Theiles des
Samens, von denen der erstere bei einigen Arten, namentlich
bei Pod. Andina (Prumnopitys elegans Phil.) eine mächtige Ent-
wicklung hat, betheiligen. Ehe wir über diese Punkte im Kla-
ren sind, läfst sich auch nicht entscheiden, ob das äufsere In-
tegument von Podocarpus dem sogenannten Arillus von Taxus
homolog ist oder nicht.
Was die letztgenannte Gattung betrifft, so bin ich im Hin-
blick auf die normale und abnorme aufserordentliche Anschwel-
lung der Blattkissen bei Podocarpus geneigter den fleischigen
Samenmantel für eine Anschwellung des zu dem Integument
‘ gehörigen Internodiums oder mit anderen Worten der vereinig-
ten Blattkissen der das Integument darstellenden Blätter zu
halten als für ein äufseres Integument mit verspäteter Ent-
wickelung, also für einen besonderen Blattkreis. Die Entschei-
dung hierüber erwarte ich von der genauen Beobachtung der
Lage, welche die 2 oder mehreren sich zum Integumente ver-
einigenden Schwielen gegen die vorausgehenden Blattgebilde
(schuppenförmigen Hochblätter) einnehmen.') Nach Baillon
1) Bei Torreya steht das mit einfachem Integument versehene Ovu-
lum zwischen 2 Paaren schuppenartiger Vorblätter; das Integument ent-
steht nach Baillon (Adansonia I. Tab. II. f. 1—11) aus 2 halbmond-
förmigen Schwielen, von denen man erwarten sollte, dafs sie sich mit
den 2 inneren, zunächst vorausgehenden Vorblättern kreuzen; allein nach
Baillon’s Figuren sind sie diesen opponirt! Ist dies ein Irrthum oder
ist die Darstellung richtig? Wenn letzteres der Fall, so mülste noch
744 Gesammtsitzung
entsteht nämlich das Integument von Tazus, ebenso wie das
vieler anderer Coniferen, aus 2 Anfangs getrennten, bald aber
am Grunde ringförmig zusammenfliessenden halbmondförmigen
Schwielen; Sperk hat bei Taxus tardiva (parvifolia) sogar eine
Bildung des Integuments aus 4 Höckern beobachtet. Es wäre
dies also eiu Vorgang ähnlich wie bei gamophyllen Kelchen,
Corollen, Pistillen. Ich habe keinen Grund dies zu bestreiten,
aber ich bestreite die Folgerung, dafs das auf diese Weise ent-
stehende Gebilde ein Pistill sein müsse. Mit demselben Recht
könnte man es für einen Kelch erklären und mit demselben
Recht kann man es für ein Integument halten, wenn man In-
tegumente überhaupt für ringförmig sich entwickelnde Blattge-
bilde hält, die nicht nothwendig den Werth nur eines einzigen
Blattes zu haben brauchen, wie es bei den höheren Phanero-
gamen, nach den Mifsbildungen zu urtheilen, allerdings anzu-
nehmen ist. Für die Bildung des Integuments aus 2 oder meh-
reren Blättern spricht bei Taxus die Gestalt des reifen Samens,
der bei T. baccata gewöhnlich zweikantig, zuweilen dreikantig
ist, ja bei T. tardiva') nicht selten sogar 4 bis 5 Kanten zeigt.
Bei der dieser Gattung zukommenden terminalen Stellung der
Samen sind diese Unterschiede nicht etwa durch Druck zu er-
klären, sie scheinen vielmehr auf eine wirkliche Verschieden-
heit der Zusammensetzung hinzuweisen. Auch bei Ginko sind
die Samen normal zweikantig, zuweilen dagegen sehr regelmä-
(sig dreikantig.
ein Kreis dazwischen liegen und es mülste dies der „Urceolus carnosus*
sein, der den reifen Samen einschliefsen: soll. Ich habe Torreya selbst
untersucht, aber blühend, und von einem besonderen Urceolus nichts ge-
sehen; aus den Beschreibungen von Endlicher und Parlatore ist
durchaus nicht zu entnehmen, ob dieser Urceolus ein besonderes Gebilde
ist oder ob er aus dem Integument selbst sich bildet.
1) Ich mache bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, dafs die
männlichen Blüthen dieser Art unbekannt sind. Im hiesigen botanischen
Garten, so wie in anderen, in denen ich nachgefragt habe, sind nur
weibliche Sträucher vorhanden, die aber allenthalben reichlich vollkom-
mene, mit Keimlingen versehene Samen tragen, die tausendweise im Sa-
menhandel zu haben sind. Wie es sich damit verhält, ob Parthenogene-
sis, ob Befruchtung durch Taxus baccata stattfindet, ist noch nicht ermittelt.
vom 14. October 1869. 745
Hr. Magnus legte die folgende Mittheilung des Hrn. Dr.
K. Schultz-Sellack vor, über Diathermasie einer Reihe
- von Stoffen für dunkle Wärme.
Für die Wärme, welche der Kohlenrufs bei 100° ansstrahlt,
sind die meisten Stoffe, selbst in Schichten von weniger als
jmm Dicke, vollkommen opak. Nur wenige Stoffe sind bekannt,
welche auch in dickeren Schichten einen gröfseren Antheil
dieser Wärme hindurchlassen, nämlich: Steinsalz, Flufsspath,
Schwefel, Schwefelkohlenstoff, Jod in Auflösung, Brom, Syl-
vin. Diese Stoffe sind zum Theil Elemente, anderentheils
Chlor-, Fluor-, Schwefelverbindungen. Ich habe gefunden,
dafs nicht nur alle Chlorverbindungen, sondern auch
Brom-, Jod-, Fluorverbindungen der einfachen Stoffe,
und auch eine Anzahl Sulphide, welche in dem für diese
Untersuchung erforderlichen Zustande erhalten werden konnten,
dieselbe Eigenschaft besitzen, einen beträchtlichen Theil
der Kohlenrufswärme hindurchlassen. Diese Stoffe ha-
ben also in Bezug auf ihre Durchlafsfärbung etwas Gemein-
games.
Die Zahlen geben die durchgelassene Wärmemenge pro-
centisch auf den Werth der directen Strahlung aus den Ab-
lenkungen des Spiegelgalvanometers berechnet.
Durchgehende
Wärmemenge.
Durchstrahlte Substanz. DickeMm. nö Aal Piekentm.| "90°" |gastamme
Chlorsilber (AgCl) 3 ae Be 46p.C.| 30p.C.
Bromsilber (AgBr) 3 45 42
Bromkalium (KBr) | 3 16 13
Jodkalium (KJ) 3 11 10
Kryolith (Al,Na,Fl,,) 10 3 23
Zinkblende (ZnS) 5 29 23
- Schwefelarsen mit Schwefel (As, S;) 0,8 21 26
a 8 12
Glasiges Selen 0,4 50 36
Are : 5) 16 d
[1869.] 53
746 Gesammtsitzung
Die meisten Substanzen waren nicht völlig homogen, so |
dafs ein Theil der Wärme auch durch Diffusion und ‚Reflexion
verloren gehen mulste.
Chlorsilber und Bromsilber werden durch Schmelzen im
Chlor-, respective Bromdampfstrom als vollkommeu glasklare
Massen erhalten, denen man durch Umschmelzen zwischen
dünnen Glasplatten glatte Oberflächen geben kann. Die Salze
haften an dem Glase aulserordentlich fest; erwärmte concen-
trirte Salpetersäure, welche die Salze selbst nicht merklich an-
greift, zieht sich aber capillar zwischen das Glas und das
Silbersalz und bewirkt die Trennung. Das Chlorsilber er-
scheint vollkommen farblos, das Bromsilber hell bernsteingelb.
Chlorkalium, Bromkalium, Jodkalium geben geschmolzen
glasklare Massen, wenn die Substanzen in klaren Krystallen
angewendet werden, wie man dieselben durch sehr langsames
Verdunsten der Lösungen bei gewöhnlicher Temperatur erhält.
Von Zinkblende wurde eine klare, hellgelbe Platte angewendet,
welche Hr. Prof. Rose mir zur Untersuchung übergab; die
angewendete Kryolithplatte war durch zahlreiche feine Risse
und Sprünge getrübt.
Glasiges Selen wird durch Schmelzen und Pressen zwischen
Glasplatten in ebenen Tafeln erhalten; Platten von weniger als
j"mm Dicke lassen von dem leuchtenden Spectrum des directen
Sonnenlichts nur eine schmale Bande im alleräufserten Roth
hindurch, Platten von mehr als 2%® Dicke lassen auch das
intensive Sonnenlicht nicht mehr wahrnehmbar durchdringen.
Ebenso werden Platten aus Mischungen von Schwefelarsen mit
Schwefel erhalten. Diese Mischungen, wenn sie nicht mehr als
höchstens 3 Th. Schwefel auf 1 Th. Dreifach-Schwefelarsen ent-
halten, erstarren zu amorphen weichen Massen, welche erst
nach Wochen hart und spröde werden. |
Eine Anzahl flüfsiger Verbindungen und Auflösungen von
Stoffen, welche fest nicht in geeignetem Zustande erhalten
- werden konnten, wurden in einem mit planparallelen, 2% dicken
Steinsalzplatten verschlossenen Glasgefäls in 8”® dicker Schicht
untersucht. |
Die Zahlen geben die durch das gefüllte Gefäls hindurch-
sehende Wärme in Procenten von der durch das leere Gefäfs
vom 14. October 1869. 747
| hindurchgehenden Menge, ergeben also so wenig wie die in
der ersten Tabelle aufgeführten absolute Werthe der Absorption.
Durchgehende
Wärme.
Rufs von | Leucht-
Durchstrahlte Substanz. 100° |sasflamme
Zinnchlorid (SnCl1,) 44 p.C.| 80p.C.
Schwefelchlorid (SC],) 41 95
Schwefelkohlenstoff (CS,) 50 51
Phosphor in Schwefelkohlenstoff 52 57
Zinnjodid (SnJ,) in Schwefelkohlenstoff 44 47
Dreifachchlorkoblenstoff (C,Ol,) in CS B) 38
Chloroform (CHC1,) 2 30
Äthylenchlorid (C,H, C1,) 0 13
Äthyljodid (C,H, J) 0 12
Die Phosphorlösung enthielt auf 10 Th. Phosphor nur 1 Th.
Schwefelkohlenstoff, die Lösung von Zinnjodid 1,5 Th. SnJ,
und 1 Th. CS,, die Lösung von Chlorkohlenstoff 1 Th. C,Cl,
und 4 Th. CS,. Aus der Diathermasie der Lösungen darf
man wohl auf die Diathermasie der gelösten Stoffe schliefsen.
Hiernach ist es wahrscheinlich, dafs die Haloidverbin-
dungen aller Elemente in fester oder flüssiger Form für
die Kohlenrufswärme von 100° theilweise diatherman
sind; ebenso viele Sulphide. Die Haloidverbindungen complexer
Radicale, von Ammonium, Äthyl u. s. w. scheinen die Eigen-
schaft der Verbindungen der Elemente nicht zu theilen. |
Man hat früher angenommen, dafs alle Stoffe die Wärme
von dunklen Wärmequellen stärker absorbiren als die von leuch-
“tenden, ausgenommen der Kohlenrufls') in sehr dünner Schicht,
welcher umgekehrt die Wärme von leuchtenden Quellen stärker
absorbirt als die von dunklen. Ebenso verhalten sich eine An-
zahl der in der ersten Tabelle aufgeführten Stoffe: Selen, Zink-
blende, Chlorsilber.
1) Melloni, Ann. chim. 72. 40.
748 Gresammtsitzung |
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. 1. Bd.
Erlangen 1869. 8.
Howard, John Elliott, The Quinology of the East Indian plantations.
London 1869. fol.
Scacchi, Sulla efficacio delle 3oluzioni dei tartrati. Napoli 1866. 4.
Moriz Schmidt, The Lycian Inscriptions after the accurate copies
of the date Augustus Schoenborn. Jena 1868. 4.
— Neue Iykische Studien, und das Dekret des Pixodaros, von W. Pertsch.
Jena 1869. 8.
— Pindar’s Olympische Siegesgesänge, griechisch und deutsch. Mit
Schreiben des Hrn. Prof. Schmidt, d. d. Jena 18. Sept. 1868.
Washington Astronomical and Meteorological Observations,. dering the
year 1866. Washington 1868. 4.
Memorial of the great central fair for ihe U. St. Sanitary Commission,
by R. Stille. Philadelphia 1864. 4.
Ch. Stille, The history of the U. St. Sanitary Commission. New
York 1868. 8.
Transactions of the medical, Society of the State of New York,. for
1866—1868. Albana 1866—68. 8.
The U. St. Sanitary Commission. Boston 1863. 8.
Occasional Papers of the Boston Society of natural history. Boston
1869. 8.
Gould, Investigations in the military and anthropological statisties of
american soldiers. New York 1869. 8.
Report of the 48th. Meeting of the British Association, for the advan-
cement of science. London 1869. 8. +
Observations made at the Observatory ad. Trinity College, Dublin., Vol.
I. Dublin 1869. 4.
Results of Observations made at the Radclife Observatory, Oxford.
Vol. 26. Oxford 1869. 8.
Smithsonian Report for 1867. Weshington 1868. 8.
Von der Kgl. Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stock-
. holm:
Handlingar. Vol.V,2. VI,1.2. VIO,1. Stockholm 1864—67. 4.
Öfversigt. Vol. 22—25. ib. 1865—68. 8.
Meteorologiske Jakttagelser. Vol. 6. 7. 8. ib. 1864—66. 4.
Freg. Eugenies Resa omkring Jorden. Häft 12. ib. 1868. 4.
Lefnadsteckningar. 1, 1. ib. 1869. 8.
vom 21. October 1869. 749
Sundevall, Conspectes avinen picinarum. ib. 1866. 8.
Stäl, Hemiptera africana. Vol. 1—4. ib. 1864—66. 8.
Nordenskiöld, Geologische Skizze von Spitzbergen. Stockholm
1867. 8.
Journal of the Royal Geographical Society. Vol. 38. London 1868. 8.
Transactions of the Edinburgh Geological Society. Vol. 1, Part 1. 2.
Edinburgh 1868. 8.
Memoires de la societe des sciences naturelles de Cherbourg. "Tome 14.
Paris 1869. 8.
Annales des sciences physiques et naturelles. III, Tome 11. Paris
1867. 8.
Oomptes rendus des seances de l’academie des sciences. Vol. 69, no. 1
—11. Paris 1869. 4.
Vierteljahrschrift der naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Jahrg.
12.32. 2 Zürich, 1867, 1869. 8.
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 46. Görlitz 1869. 8.
Promis, Storia dell’ antica Torino. Torino 1869. 8.
21. October. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Weber las: Zur Kenntnils des vedischen Opfercultus
(über das agnicayanam).
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Relation authentique du voyage du Capt. de Gonville es nouvelles terres
des Judes (1503—1505) public par Mr. D’Avezac. Paris 1869. 8.
Jahresbericht und Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft für vater-
ländische Kultur. Breslau 1868—69. 8.
Bidrag till Kännedom af Finlands Natur och Folk. Häftet 13. 14.
Helsingfors 1868, 1869. 8.
Öfversigt af Finska Vetenskaps Societetens Förhandlingar. XI. Hel-
singfors 1869. 8.
Hjelt, Gedächtnifsrede auf Alexander von Nordmann. Helsingfors
1868. 8.
750 Sitz. d. phil.-hist. Kl.v. 25. Oct. — Gesammtsitz. v. 28. Oct. 1869.
25. October. Sitzung der ya histo-
rischen Klasse.
Hr. Rödiger las den ersten historischen und litterarischen
Theil einer Abhandlung über einige ältere arabische Gedicht-
sammlungen, insbesondere die Mufaddalijät.
28. October. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. v. Ranke las über den Fall des brandenburgischen
Ministers Eberhard von Dankelmann (1697 und 1698), vor-
nehmlich aus englischen Berichten.
In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus den Jahrgängen
1868 und 1869 erschienen:
v. RANKE, Briefwechsel Friedrichs des Grossen mit dem Prinzen Wil-
helm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin, Anna,
geb. Princefs Royal von England.
Preis 1 Phey1 Bee:
EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikro-
skopischen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko.
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.
Lepsivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen
und einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie.
Preis: 15 Sgr.
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MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
November 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt.
4. November. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Ehrenberg berichtete über eine von Hrn. Georg
Gladstone in London an die Akademie eingesandte Mitthei-
lung, betreffend das mikroskopische Leben in der Nahe bei
Münster am Stein.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Sitzungsberichte der k. bayer. Akademie der Wissenschaften für 1869.
II. Heft 1. München 1869. 8.
Annales des mines. Tome XVI. Paris 1869. 3.
L. Lortet, Deux ascensions au Mont-Blanc. Paris 1869. 8.
A. de Senepart, La postulation d’Euchide demonstre. Maestricht
1869. 8. |
Proceedings of the London Mathematical Society. no. 19. London
1869. 8.
Linder, Du röle de lattraction universelle. (Paris 1869.) 4,
‚November. Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Hagen las über die Bewegung des Wassers in verti-
kal abwärts gerichteten Röhren.
[1869.] 54
752 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 8. November 1869.
Hr. Ehrenberg theilte aus einem Schreiben des Hrn.
Dr. Julius Haast in Canterbury, Neu-Seeland vom 2. Sep-
tember d. J., welches heut am 8. November hier eintraf, mit,
dafs derselbe sich mit weiterer Untersuchung der ehemaligen
Lebensverhältnifse der straufsartigen Riesenvögel fortdauernd
glücklich beschäftigt hat. Er giebt in seinem Schreiben fol-
gende Nachrichten darüber, deren weitere Kenntnilsnahme em-
pfehlenswerth schien:
— „Es dürfte nicht ohne Interesse für Sie sein zu hören,
dafs ich vor wenigen Wochen ein altes Moa-Jäger-Lager ent-
deckt habe, welches wohl 40—50 englische Acres (Morgen)
Grund bedeckt. Die Kochplätze mit Steinen gepflastert sind
oft 9 Fufs im Durchmesser und daneben liegen die theils ver-
brannten aber stets zerbrochenen Moa-Knochen verschiedener
Arten, ebenfalls Hunde- und Seehunde-Knochen, nebst mehreren
Steinwerkzeugen, meistens aus Flint bestehend, und den in
Amiens gefundenen sehr ähnlich. Sie sind nie geschliffen wie
die der Maories. Ich werde, sobald ich die Zeit finde, eine
Beschreibung der Lokalität etc. veröffentlichen. Die dort ge-
machten Beobachtungen bestätigen mich in der bereits früher
ausgesprochenen Theorie, dafs die Rasse, welche die Dinornis-
Arten jagte und als, eine ganz andere war, als die der Maories,
welche keine Traditionen in Betreff der ausgestorbenen gigan-
tischen Vögel haben.* —
Diese Mittheilung erweitert jene in den Monatsberichten
des Jahres 1868 pag. 551 von Dr. J. Haäast in Aussicht ge-
stellten dortigen Landeskenntnifse mit einem förmlichen Lager-
platz zur Zeit der Moa-Straufsen-Jäger.
11.November. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Mommsen las über ein ungedrucktes Bruchstück aus
dem 20. Buche des Livius.
Derselbe legte die Pommersfeldener Bruchstücke einer
Digestenhandschrift auf Papyrus vor.
Gesammtsitzung vom 18. November 1869. 753
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Transactions of the Linnean Society. Vol. XXVI, 2. 3. London
1869. 4.
Journal of the Linnean Society. Vol. XII. Botany, no. 48—51.
Zoology, no. 43>—46. ib. 1869. 8.
Report of the 38. Meeting of the British Association. London 1869. 8.
Annalen der Münchner Sternwarte. 8. Supplementbd. München 1869. 8.
Regel und Herder, Plantae Raddeanae et Semesovianae. Moscou
1869. 8,
Bijdragen tot de Taal- Land- en Volkenkunde van Nederlandsch Indic.
IV, 1. 8 Gravenhage 1869. 8.
Flora batava. Heft 208—210. Leyden 1869. 4.
Astronomische Beobachtungen auf der Sternwarte zu Bonn. VII, 2.
Bonn 1869. 4.
18.November. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Dove gab eine Übersicht des dritten Theiles seiner
Darstellung der Wärmeerscheinungen durch fünftägige Mittel.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Bibliotheca indica. New Series. no. 155—158. 160—163. Calecutta
Pi9I. 8
Journal of ihe asiatic Society of Bengal. no. 153. 155. Calcutta
1869. 8.
Journal of the American Oriental Society. IX, 1. New Haven 1869. 8.
Scalia, L’ontologismo riformato nelle essenze eterne delle cose. Ca-
tania 1869. 28.
Hoguet, Expose de medicine homoeodynamique. Paris 1869. 8.
Mit Schreiben (des Verf. d. d. Paris 10. August 1869.
Annales de lobservatoire physique de Russie. Annde 1865. Peters-
bourg 1869. 4.
O. Boettger, Beitrag zur Kenntni/s der Tertiärformation in Hessen.
Offenbach 1869. 4.
Du Cange, Les familles d’outre-mer, publiees par E. G. Rey. Paris
1869. 4.
Lavoisier, Oeuvres.. Tome IV. Paris 1868. 4,
Fresnel, Oewvres. Tome Il. Paris 1869. 4,
54*
754 Gesammisitzung
Scharrath, Constructionen für die practische Ausführung der Po-
ren - Ventilation in geschlossenen Räumen. Bielefeld 1869. 8.
und fol.
22. Novemb. Sitzung der philosophisch-histo-
rischen Klasse.
Hr. Droysen las: Beitrag zur Kritik der Memoiren des
Baron von Poelnitz. |
25. November. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Poggendorff las über das.Holtz’sche Rota-
tionsphänomen.
Im J. 1867 veröffentlichte. ich ein Paar kurzer Notizen,
in welchen ich ein vereinfachtes Verfahren zur Hervorbringung
eines wenige Monate früher von Hrn. Holtz entdeckten elek-
trischen Rotationsphänomens beschrieb. Ich bediente mich da-
bei einer seiner Elektrisirmaschinen erster Art, aus welcher
ich die ruhende Scheibe entfernt hatte. Seitdem habe ich mir
einen eigends auf das Studium dieses Phänomens eingerichteten
Apparat anfertigen lassen, um dasselbe, was bisher noch nicht
geschehen ist, in seinen einzelnen Phasen eingehender zu un-
tersuchen. Es schien mir diefs keine überflüssige Arbeit zu
sein; denn wenn auch dieses Phänomen lediglich durch die be-
kannten elektrischen Attractionen und Repulsionen hervorge-
rufen wird, so weicht es doch durch die Art und Weise, wie
bei ihm diese Anziehungen und Abstofsungen zur Wirksamkeit
gelangen, wesentlich von allen bisher dargestellten elektrischen
Rotationen ab, und dabei sind die Vorgänge nicht nur unge-
mein mannigfaltig, sondern auch zum Theil so verwickelt und
räthselhaft, dafs ich offen bekennen muls, selbst nach einer
zweijährigen Beschäftigung mit demselben nicht im Stande zu
sein, über jeden einzelnen Punkt genügende Rechenschaft zu
geben.
vom 25. November 1869. 35
| Der erwähnte Apparat hat die Gröfse einer gewöhnlichen
. Holtz’schen Elektrisirmaschine. Er ist darauf berechnet, eine
Scheibe von Glas oder Ebonit (Kamm-Masse) mit Leichtigkeit
in einer Verticalebene rotiren zu lassen. Die horizontale Axe
derselben ruht mittelst Stahlzapfen von 1,5 Lin. Dicke auf
V-förmigen Pfannen aus Rothguls. Das Gestell, welches diese
Pfannen trägt, ist auf beiden Seiten versehen mit einem Kreuz
aus Ebonitstäben, die an den Enden konisch durchbohrt sind,
um metallene Spitzenkämme aufzunehmen. Es können dem-
nach vier derartige Kämme gegen jede Seite der Scheibe ge-
richtet werden, zwei an den verticalen Armen des Kreuzes, und
zwei an den horizontalen. An ihren Stielen haben diese Kämme
Einbohrungen und Schrauben, um die Drähte aufzunehmen und
zu befestigen, welche sie entweder unter sich oder mit der
Elektrisirmaschine verbinden sollen.
Aufserdem ist dem Apparat ein verticaler, verschiebbarer
Rahmen beigegeben, um mittelst desselben Platten verschie-
dener Art neben der Scheibe aufstellen zu können, entweder _
auf der einen oder auf der andern oder auch auf beiden Seiten,
und zwar in verschiedenen Abständen. Der Rahmen ist dazu
mit Nuthen versehen, in welche die Platten eingeschoben wer-
den können.
Die zur Rotation bestimmten Scheiben, möglichst gut ae-
quilibrirt, hielten 15 Zoll im Durchmesser. Glasscheiben wur-
den von verschiedener Dicke angewandt, gefirnifst und unge-
firnifst, belegt und nicht belegt. Vom Ebonit wurde nur eine
Scheibe benutzt, da es sich in jeder Beziehung wie Glas verhielt.
Ohne Zweifel würde der Apparat bedeutend an Beweg-
lichkeit gewonnen haben, wenn ich die Scheibe an einer ver-
ticalen Axe auf Spitzen hätte rotiren lassen, wobei auch ihre
Aequilibrirung weniger nothwendig gewesen wäre. Allein ich
würde den Vortheil verloren haben, beide Seiten der Scheibe
mit gleicher Leichtigkeit untersuchen zu Können, und darum
wählte ich die senkrechte Stellung. Überdiefs ist die Kraft,
welche hier in Betracht kommt, grofs genug, um die Scheibe,
in sehr lebhafte Rotation zu versetzen, selbst wenn die Zapfen
ihrer horizontalen Axe 3,5 Linien dick sind und in runden
Pfannen laufen.
756 Gresammtsitzung
Die zahlreichen Elemente des beschriebenen Apparats ge-
statten begreiflich eine noch ungleich gröfsere Zahl von Com-
binationen, und lassen somit alle Umstände erforschen, unter
welchen eine Rotatiou erfolgt oder nicht, unter welchen sie
nur in einer bestimmten Richtung stattfindet und in der entge-
gengesetzten ausbleibt, unter welchen sie eines anfänglichen
Impulses bedarf oder trotz der Reibung an der Axe freiwillig
beginnt.')
Nur die genaue Kenntnils aller dieser Particularitäten
kann der Hoffnung Raum geben, dafs es dereinst gelingen
werde, von dem interessanten Bewegungsphänomen eine. voll-
ständige Theorie aufzustellen, zu welcher ich für jetzt nur
Material zu liefern vermag.
I.
Die einfachste Gebrauchsweise des Apparats besteht darin,
dafs man der Scheibe auf der einen Seite zwei Spitzenkämme
diametral bis auf ein Paar Linien nahestellt, und ihr mittelst
dieser Kämme Elektricität zuführt, am Besten aus einer Holtz-
schen Maschine. Ertheilt man dann der Scheibe einen kleinen
Impuls, entweder in der einen oder anderen Richtung, so fährt
sie fort in dieser Richtung zu rotiren, und steigert ihre Ge-
schwindigkeit in kurzer Zeit bis zu dem Grade, dafs sie 80
bis 100 Umgänge in der Minute macht, unter günstigen Um-
ständen (bei Trockenheit der Luft, Reinheit der Scheibe, u. s. w.) .
wohl noch mehr. .
Ich beobachtete diefs sowohl an einer gefirnifsten Scheibe
von dünnem Fensterglase, die mit ihrer Axe 24 Pfd. wog und
für gewöhnlich angewandt wurde, als auch an einer ungefir-
nilsten dicken Scheibe Spiegelglas, deren Gewicht mit dem der
Axe 44 Pfd. betrug.
1) Im dem ideellen Fall, dafs an der Axe keine Reibung statt-
fände und die Mittellinie derselben genau durch den Schwerpunkt der
Scheibe ginge, würde die Rotation begreiflich allemal eine freiwillige
werden, wenn die Elektricität entweder nur in einer Richtung wirkte,
oder in der einen stärker als in der anderen.
Von diesem ideellen Fall kann hier natürlich nicht die Rede sein.
vom 25. November 1869. 157
Die beiden Kämme brauchen übrigens nicht nothwendig
eine diametrale Stellung zu haben. Es genügt schon ein qua-
drantaler Abstand, nur. ist dann die Rotationsgeschwindigkeit
geringer.
Statt zwei Kämme kann man auch deren vier an einer
Seite der Scheibe anbringen, zwei am verticalen, und zwei am
horizontalen Stabe des Kreuzes. Sie müssen jedoch so unter
sich und mit der Maschine verbunden werden, dafs die an
einem und demselben Stabe befestigten gleiche Elektrieität aus-
strömen, sie also, im Kreise herum gezählt, abwechselnd po-
sitiv und negativ sind. Dann erhält man, nach einem Impuls,
eine Rotation in beiden Richtungen, deren Geschwindigkeit wo
nicht gröfser, doch wenigstens eben so grofs ist, als die be-
reits genannte. Hat man aber die Verbindung so gemacht,
dafs auf zwei positive Kämme zwei negative folgen, so ist die
Wirkung der Elektrieität, wenn auch nicht ganz Null, doch
jedenfalls sehr schwach. ')
!) Um mit voller Sicherheit zu entscheiden,.ob in einem gegebenen
Falle die auf die Scheibe strömende Elektricität keine Wirkung habe oder
nur eine schwache, müfste man der Scheibe zwei Mal einen ganz glei-
chen Impuls ertheilen, erst während der Wirkung der Elektricität, und
dann nach Aufhebung derselben. Beobachtete man nun die Zeiten, in-
nerhalb deren die Scheibe in beideu Fällen vermöge der Reibung auf
der Axe und des Widerstandes der Luft zur Ruhe gelangte, so würde
die Gleichheit oder Ungleichheit derselben die Frage entscheiden. Allein
zur Hervorbringung zweier völlig gleichen Impulse wäre ein besonderer
Apparat erforderlich.
In Ermangelung eines solchen könnte man freilich auch dadurch
zum Ziele gelangen, dafs man der Scheibe in den bezeichneten Fällen
zwei ungefähr gleiche Impulse ertheilte, und die Momente abwartete, wo
sie eine gleiche Anzahl von Rotationen innerhalb einer gewifsen Zeit
hervorbrächten. Von diesen Momenten an mülste man dann die Zeiten
beobachten, die in beiden Fällen bis zur völligen Ruhe verstrichen.
Dies Verfahren ist aber auch umständlich und schwerlich von einer
Person, welche zugleich die Elektrisirmaschine gleichmäfsig umdrehen
soll, mit Genauigkeit ausführbar. Ich habe mich daher auf eine blofse
Schätzung beschränkt, und es wäre also wohl möglich, dafs die Wirkung
in einigen Fällen, wo ich sie für Null ausgab, in der That nur sehr
schwach war.
758 Gesammtsitzung
In welcher Weise hier die Rotation zu Stande kommt,
oder vielmehr unterhalten und gesteigert wird, habe ich für
den einfachen Fall mit zwei diametralen Kämmen schon in
einer meiner früheren Notizen angedeutet.')
„Nach dem anfänglichen Impuls — heiflst es daselbst —
bekleidet sich die Scheibe mit den von den Kämmen ausströ-
menden Elektricitäten, auf der einen Hälfte mit der positiven,
auf der anderen mit der negativen; und so wie die von dem
einen Kamm auströmende Elektrieität zu dem anderen gelangt,
wird sie von diesem angezogen, und nicht blofs sie allein,
sondern auch die Scheibe, an welcher sie adhärirt. Es ist
aber auch einzusehen, dafs die beiden Hälften der Scheibe
nicht dauernd entgegengesetzt elektrisirt sein könnten — (wie
sie es wirklich sind) — wenn die von dem einen Kamme aus-
strömende Elektricittätsmenge vollständig zu dem anderen ge-
langte, weil dann die Elektrieität des letzteren gänzlieh zur Neu-
tralisation des ersteren verbraucht werden würde. Es mufs also
entweder ein Theil der von der Scheibe aufgenommenen Elek-
trieität verloren gehen, oder die von jedem Kamme ausströ-
mende Elektrieität in der Weise zerfallen, dafs nur ein Theil
an die von ihm fortgehende Hälfte der Scheibe übergeht, und
der andere die entgegengesetzte Elektricität der an ihn heran-
tretenden Hälfte neutralisirt.*
Wiewohl ohne Zweifel ein ansehnlicher Theil der auf die
Scheibe ausströmenden Elektricitäten ungenutzt für die Rotation
in die Luft entweicht, so bin ich doch gegenwärtig der Mei-
nung, dafs der fortdauernd entgegengesetzt elektrische Zustand
beider Hälften der rotirenden Scheibe (der sich so leicht mit
einem Elektrometer nachweisen läfst) nicht von einer solchen
Entweichung hergeleitet werden kann, sondern seinen Grund wirk-
lich in der supponirten Halbirung der Elektricität haben muls.
Jeder Kamm, so scheint es mir natürlich anzunehmen,
strömt, unbeschadet der vor ihm rotirenden Scheibe, fortwäh-
rend gleichviel Elektrieität nach beiden Seiten aus, und so
gelangt die eine Hälfte zu dem anderen Kamme, während
!) Ann. d. Phys. u. Chem. Bd. 131 S. 655.
vom 25. November 1869. 759
die zweite die von diesem herkommende Elektrieität neutra-
lisirt.!)
Möglicherweise kann übrigens zur Rotation auch die Ab-
stolsung mitwirken, welche jeder Kamm auf die von ihm aus-
gesandte und an der fortgehenden Scheibenhälfte adhärirende
Elektrieität ausüben muls.
Mag nun die Rotationskraft auf die eine oder andere Weise
entstehen, so ist doch kaum zweifelhaft, dafs sie mit der Ge-
schwindigkeit wachsen müsse, weil mit vergröfserter Geschwin-
digkeit die Elektrieität weniger Zeit hat von der Scheibe zu
entweichen. Es ist das vielleicht mit ein Grund, weshalb in
einigen Fällen die andauernde Rotation nach einem schwachen
Impuls nicht zu Stande kommt, wohl aber sehr gut nach einem
stärkeren. Es könnte übrigens auch sein, dafs die Reibung
eine Function der Geschwindigkeit wäre, sie mit derselben
abnähme. Ich habe darüber keine Angaben gefunden.
II.
In dem Bisherigen wurde nur eine Seite der Scheibe be-
nutzt; man kann aber auch beide Seiten benutzen und hat da-
bei Gelegenheit einen theoretischen Punkt zu berichtigen.
Es ist nämlich die Ansicht ausgesprochen worden, das in
Rede stehende Rotationsphänomen verwirkliche die Umwandlung
der Elektrieität in mechanische Kraft. Ich will die Möglichkeit
einer solchen Umwandlung nicht bestreiten, mufs aber doch
bemerken, dafs dies Phänomen complicirter ist, als es auf den
ersten Blick zu sein scheint. Denn die von der Maschine aus-
strömende Elektricität leistet nicht blofs mechanische Arbeit,
sondern erzeugt auch wiederum neue Elektricität. |
Einen ersten Beweis davon erhält man, wenn man den
anfangs beschriebenen Versuch dahin abändert, dafs man die
beiden diametralen Kämme nicht an einer und derselben Seite
der Scheibe anbringt, sondern den einen an dieser und den an-
deren an jener Seite. Unter den genannten Umständen bekommt
man dann eine Rotationsgeschwindigkeit, die der früheren durch-
aus nicht nachsteht.
!) An den Kämmen der Holtzschen Elektrisirmaschine findet of-
fenbar eine ähnliche Halbirung der ausströmenden Elektricitäten statt.
760 Gesammtsitzung
Diese Rotation entspringt offenbar daraus, dafs die einer
jeden Seite der Scheibe zugeführte Elektrieität durch Infuenz
die gleichnamige auf der anderen Seite frei macht. Die direct
von dem einen Kamm ausströmende Elektricität und die durch
Influenz von dem anderen Kamm entwickelte wirken dann ebenso,
wie im früheren Falle die beiden ausströmenden Elektricitäten.
Nur sind jetzt die positiven Lichtpinsel nicht parallel der Scheibe,
sondern rechtwinklig gegen dieselbe gerichtet.
Dafs die der einen Seite der Scheibe zugeführten Elektri-
citäten auf der anderen Seite die gleichnamigen frei machen,
ist wohl selbstverständlich; doch aber möchte es nicht über-
flüssig sein, hier noch einige darauf beruhende Erscheinungen
beizubringen.
Vor der einen Seite der Scheibe (ich will sie die Vorder-
seite nennen) befestige man zwei Kämme am verticalen Stabe
und vor der anderen (der Rückseite) zwei Kämme am horizon-
talen. Verbindet man nun die ersteren mit der Maschine und
die letzteren unter sich durch dicke Drähte, die in Kugeln en-
digen, bis so weit, dafs noch eine kleine Luftstrecke zwischen
den Kugeln bleibt, und legt über die Stiele dieser Kämme eine
kleine Röhrenflasche, so wird diese, wenn die Soheibe in elek-
trische Rotation versetzt wird, geladen, und die Entladungen
derselben liefern ein hör- und sichtbares Maafs für die ent-
wickelten Influenz-Elektrieitäten. Gebe ich den Kugeln einen
gegenseitigen Abstand von 6 Lin., so erhalte ich in der Minute
wohl an 100 Entladungen, und verkürze ich ihn auf 4 Lin.,
sogar an 200.
Verbindet man die hinteren Kämme durch eine Geifsler-
sche Röhre, so wird dieselbe leuchtend, und zeigt dabei zu-
gleich die Richtung des Influenzstromes an.
Am stärksten ist begreiflich diese Entwicklung von In-
fluenz -Elektricität gerade vor den Spitzen der auströmenden
Kämme. DBefestigt man demnach die Kämme an der Vorder-
seite der Scheibe ebenfalls am horizontalen Stabe, so dafs sie
den Kämmen an der Rückseite gerade gegenüberstehen, und
lälst nun die Scheibe elektrisch rotiren, so hat man das über-
raschende Schauspiel eines ununterbrochenen Funkenstroms
zwischen den Entladungskugeln der Röhrenflasche, selbst wenn
vom 25. November 1869. . -#61
diese einen gegenseitigen Abstand von zwei Zoll und mehr
- besitzen.
Hält man die Scheibe an, so verschwindet der Funken-
strom, trotz ununterbrochener Zuleitung der Elektricität. Er
kommt aber sofort wiederum zum Vorschein, sowie man die
Rotation der Scheibe erneut. Da hierbei die Spitzen der ein-
ander gegenüber stehenden Kämme entgegengesetzte Elektrici-
täten ausströmen, so sieht es täuschend aus, wie wenn die
Glasscheibe, ungeachtet ihrer ansehnlichen Dicke, während der
raschen Bewegung die Elektricität durchliefse oder ein Elek-
trieitätsleiter würde.
Die Möglichkeit, dafs ein Isolator durch rasche Bewegung
. zu einem Leiter werde, obwohl weniger wahrscheinlich als
umgekehrt die Verwandlung eines Leiters in einen Isolator,
könnte wohl gerade nicht bestritten werden, indem Thatsachen,
die dagegen sprächen, meines Wissens nicht vorhanden sind.
Es wäre aber wohl mehr als voreilig, diese Umwandlung ohne
Weiteres zuzugeben, zumal sich eine andere Erklärung auf-
stellen liefse, die viel weniger gewagt ist.
Män könnte nämlich sagen, dafs bei einem ruhenden Iso-
lator die Influenz auf seine Hinterseite nothwendig bald eine
Grenze haben müsse, nämlich dann, wenn er auf der Vorder-
seite keine Elektrieität mehr aufzunehmen im Stande ist; wo-
gegen sie in einem bewegten unausgesetzt fortdauere, da stets
neue noch nicht influeneirte Theilchen an die ausströmenden
Spitzen der Kämme herantreten.
Wenn diese Ansicht richtig ist, so würde damit auch die
Erklärung einer anderen paradox aussehenden Thatsache ge-
geben sein.
Die Drähte nämlich, welche bei den eben beschriebenen
Versuchen, so wie überhaupt bei allen Versuchen mit dem Ro-
tationsapparat, die Verbindung desselben mit der Elektrisir-
maschine herstellen, zeigen immer, auch wenn sie, wie bei
mir, fast eine Linie dick und mit Seide übersponnen sind, viel
freie Elektrieität, welche sie in die Luft ausstrahlen, oder, falls
man ihnen einen Finger nähert, gegen diesen in kleinen Fun-
ken entlassen.
Verbindet man die vor der Scheibe angebrachten Kämme
762 Gesammtsitzung
metallisch mit einander, indem man z. B. einen Messingstab
quer über sie legt, so verschwindet diese freie Elektrieität auf
den Dräthen. Das ist wohl sehr natürlich. Sie verschwindet
aber auch oder wird auf ein Minimum reducirt, wenn man
zwischen den beiden hinter der Scheibe befindlichen Kämmen
eine metallische Verbindung herstellt, ungeachtet dann der
Schliefsungskreis der Elektrisirmaschine zwei Mal durch Glas
unterbrochen ist. Und wohl zu merken: dies Verschwinden findet
ebenfalls nur statt, wenn die Scheibe rotirt, nicht wenn sie ruht.
Stellt man den Versuch im Dunklen an, so kann man
wahrnehmen, dafs, so lange die Scheibe ruht, wenig oder kein
elektrisches Licht auf den Spitzen der Kämme erscheint, dafs
dieses Licht aber sehr lebhaft wird, so wie die Scheibe rotirt.
Jedenfalls geht also auf die rotirende Scheibe mehr Elektri-
cität über als auf die ruhende, und diels giebt wohl von dem
Verschwinden der freien Elektricität auf den Dräthen genügen-
den Aufschlufs, mag übrigens dieselbe durchgelassen oder durch
Influenz ausgeglichen werden.
Trotzdem aber ist unter diesen Umständen, d. h. wenn
die hinteren Kämme metallisch mit einander verknüpft sind,
das Rotationsvermögen der Elektricität viel schwächer als im
Fall eine solche Verknüpfung nicht stattfindet. Denn wenn
auch die Scheibe nach einem anfänglichen Impuls eine Weile
lebhaft rotirt, kommt sie doch allmählig zum Stillstand.
Ich möchte mir diese Erscheinungen folgendermaflsen er-
klären. Strömt der Vorderkamm «a positive Elektrieität aus,
so wird die von ihm fortgehende und zum diametralen nega-
tiven Vorderkamm b gelangende Scheibenhälfte mit positiver
Elektricität bekleidet und zwar nicht blofs auf ihrer Vorder-
seite, sondern durch Influenz auch auf ihrer Hinterseite. Be-
finden sich nun auf dieser Hinterseite ebenfalls Kämme in an-
gegebener Lage und unter sich metallisch verknüpft, so wird
der Kamm «, welcher dem Vorderkamm «a gegenübersteht, ne-
gative Elektrieität ausströmen und mit ihr die von ihm fort-
gehende Scheibenhälfte bekleiden. Diese Hälfte ist aber die-
selbe, welche auf derselben Seite durch den Kamm «a mit
positiver Influenz-Elektrieität versehen wurde. Es wird also
diese Elektrieität neutralisirt werden, oder wohl noch ein Über-
vom 25. November 1869. 763
schufs von negativer Elektricität hinzutreten. Aus beiden Grün-
den wird demnach der Vorderkamm b wenig oder gar nicht
anziehend auf die zu ihm gelangenden Scheibentheile wirken
können. Ebenso wird der Vorderkamm a keine oder eine nur
geringe Anziehung auf die zu ihm gelangenden Scheibentheile
ausüben, da sie von dem Vorderkamm 5 und dem gegenüber
stehenden Hinterkamm 2 mit entgegengesetzten Elektricitäten
versehen worden sind.
Ich sagte soeben, dafs der dem’ positiven Vorderkamm «
gegenüber stehende Hinterkamm « negative Elektricität aus-
ströme. Dies ist keine Hypothese, sondern eine sichere, im
Dunklen leicht erkennbare Thatsache, welche beweist, dafs der
letztere Kamm seine Thätigkeit unmittelbar von dem ersteren
empfängt, und nicht von der Scheibe. Denn wenn er sie von
der Scheibe empfinge, mülste er statt der negativen Elektrieci-
tät positive aussenden, da die zu ihm gelangende Scheibenhälfte
durch ihren Vorübergang vor dem negativen Vorderkamm Db
an beiden Seiten mit negativer Elektricität versehen worden ist.
Es giebt noch mehr Fälle, welche augenscheinlich darthun,
dafs die Elektrieität bei diesem Rotationsphänomen nicht blofs
mechanische Arbeit verrichtet, sondern zugleich neue Elektriei-
tät erzeugt; allein ich will sie für jetzt übergehen, um mich
einer anderen Klasse von merkwürdigen Erscheinungen zuzu-
wenden.
Ill:
Die auf beschriebene Weise hervorgebrachte Rotationsge-
schwindigkeit der Scheibe ist gewils schon eine recht ansehn-
liche; allein sie lälst sich noch bedeutend vergrölsern durch
Anwendung zweier Hülfsmittel: durch die Stellung der Kämme
und durch die Hinzuziehung von Nebenplatten.
Was die Kämme betrifft, so waren sie in den bisherigen
Versuchen entweder am verticalen oder am horizontalen Stabe,
entweder vor oder hinter der Scheibe angebracht, jedoch immer
so, dafs sie ihrer Länge nach mit dem vor ihnen fortgehenden
Radius der Scheibe zusammenfielen.
Diese radiale Stellung, welche man als die normale be-
trachten kann, ist jedoch nicht die wirksamste. Ihre gröfste
Wirksamkeit erhalten die Kämme, wenn man sie aus ihrer ra-
764 Gesammtsitzung
dialen Lage um einen Winkel von etwa 45° dreht, und zwar
in dem Sinn, dafs die rotirende Scheibe sich gegen die ihrer
Mitte zugewandte Seite des Kammes bewegt. Rotirt sie in der
entgegengesetzten Richtung, so ist die Wirkung am schwächsten.
Von der gröfseren Wirksamkeit dieser schiefen Stellung
der Kämme kann man sich durch jeden der bereits angeführ-
ten Versuche überzeugen, am untrüglichsten durch diejenigen,
bei welchen hinter der rotirenden Scheibe Inductionsfunken er-
zeugt werden. Giebt man nämlich den Kugeln, zwischen wel-
chen die Röhrenflasche sich entladet, einen solchen Abstand
von einander, dafs bei radialer Stellung der Kämme keine Fun-
ken mehr zwischen ihnen überschlagen, so kommen sie sogleich
zum Vorschein, sowie man die Kämme in die angegebene
schiefe Stellung versetzt.
Dasselbe thun andere Versuche dar und selbst der aller-
einfachste mit zwei diametralen Kämmen an derselben Seite
der Scheibe liefert einen Beweis dafür.
Am entschiedensten aber tritt die grölsere Wirksamkeit
der schiefen Kammstellung hervor, wenn man mit derselben
noch Nebenplatten verbindet, wie ich dies weiterhin näher aus-
einander setzen werde.
Ich habe mich vielfach bemüht, zu ermitteln, weshalb die
Kämme bei schiefer Stellung eine ungleiche Wirkung an bei-
den Seiten ausüben, bin aber leider nicht so glücklich gewesen,
einen Grund dafür aufzufinden, der mir genügt hätte.
Indefs habe ich bei dieser Gelegenheit beobachtet, dafs Abe
Lichtpinsel, welche man im Dunklen am positiven Kamm er-
blickt, und welche, wie man das schon von der Holtzschen
Maschine weils, bei radialer Stellung dieses Kammes recht-
winklig auf ihm stehen, entgegen der Rotation der Scheibe,
diese Rechtwinklichkeit bei allen übrigen Stellungen beibehal-
ten, so dafs, wenn man den Kamm im Kreise herumdreht, sie
ihm darin folgen. Nur werden sie um so schwächer und kür-
zer, je mehr sich der Kamm der tangentiellen Lage nähert, und
sowie er diese erreicht, verschwinden sie wohl ganz, bis auf
einige, die aus seinen Enden hervorschiefsen. Bei der vortheil-
haften Stellung des Kamms von 45° sind sie caeteris paribus
am längsten, und da sie dann um einen gleichen Winkel ein-
vom 25. November 1869. 765
wärts abgelenkt sind, liegen sie nicht in der tangentiellen Rich-
tung, in welcher, wie man glauben sollte, dem positiven Kamm
die negative Elektrieität zugeführt wird.
Auf welche Weise dies mit der mechanischen Wirkung der
Kämme zusammenhänge, mufs ich für jetzt dahingestellt sein
lassen.
IV.
Sehr mannigfaltig und zum Theil sehr räthselhaft sind die
Erscheinungen, welche auftreten, wenn man zum zweiten Ver-
stärkungsmittel übergeht, d.h. neben der beweglichen Scheibe
feste Platten aufstellt, zu welchem Behufe eben dem Appa-
rat der anfangs erwähnte verschiebbare Rahmen beigefügt ist.
Die angewandten Platten bestanden entweder aus Glas
oder Pappe oder Zink, also entweder aus einem Isolator oder
Halbleiter oder metallischem Leiter. Glas und Pappe verhiel-
ten sich in allen Stücken gleich, und Zink nur in einigen ab-
weicheud.
Was die Gestalt dieser Platten betrifft, so bildeten sie ent-
weder Quadrate von der Grölse der Scheibe oder halb so grofse
Rectangel. Die ersteren hatten in der Mitte eine runde Öf-
nung, weit genug, um nicht allein die Scheibenaxe durchzulas- .
sen, sondern auch einen der 6 Lin. dicken Wülste, zwischen
welchen die Scheibe auf der Axe eingeklemmt ist. Sonst hät-
ten sie der Scheibe nicht hinreichend genähert werden können.
Zu gleichem Zweck waren die Halbplatten an einem ihrer Rän-
der mit einem Ausschnitt versehen.
In den meisten Fällen habe ich vertical stehende Halb-
platten angewandt, da sie die gröfste Bequemlichkeit gewähren,
indem man sie gegen einander vertauschen kann, ohne nöthig
zu haben, die Scheibe von ihren Lagern abzuheben.
Im Allgemeinen äufsern die Nebenplatten ihre Wirkung
dadurch, dafs sie die Rotationsgeschwindigkeit der Scheibe
aufserordentlich steigern und sehr rasch auf ihr Maximum er-
heben. Ohne sie kann die Scheibe freilich auch eine grofse
Geschwindigkeit erlangen, aber es bedarf dazu eines viel stär-
keren Impulses und einer viel länger fortgesetzten Einwirkung
der Elektricität. Auch müssen die Spitzenkämme relativ der
\
766 Gesammtsitzung
Scheibe sehr nahe gestellt werden, während sie bei Anwendung
von Nebenplatten schon aus einer Entfernung von 1 bis 14 Zoll
ihre Wirkung ausüben. Stehen andrerseits die Kämme nahe,
so wirken die Nebenplatten schon in einem Abstand von 1 bis 2
Zoll von der Scheibe ganz merklich.
Als specielles Beispiel mag Folgendes dienen.
Wenn ich vor der Scheibe zwei Kämme am verticalen
Stabe in radialer Lage anbringe und hinter derselben zwei
Halbplatten von Glas oder Pappe aufstelle, macht die Scheibe
nach einem anfänglichen Impuls aller wenigstens 300 Umgänge
in der Minute, ohne Abnahme, so lange man Elektricität auf
sie einströmen lälst. Die Rotationsgeschwindigkeit ist so grols,
dafs sie sich, ohne eine besondere Vorrichtung eigentlich gar
nicht genau bestimmen lälst. Um einen Begriff von ihr zu
geben, will ich nur anführen, dafs ein weilses Papierscheib-
chen von 34 Lin. Durchmesser, welches als Marke auf einen
der die Scheibe auf der Axe festklemmenden Wülste von
schwarzer Ebonitmasse geklebt ist und mit seinem Mittelpunkt
14 Zoll von der Centrallinie der Axe absteht, während der
Rotation fast wie ein zusammenhängender weifser Ring er-
scheint. Nach aufgehobener Wirkung der Elektrieität, setzt
die Scheibe ihre Rotation noch zwei bis drittehalb Minuten
fort, ehe sie zur Ruhe gelangt.
Vor der Scheibe, also auf Seite der Kämme aufgestellt,
wirken die Nebenplatten ebenso stark. Allein es ist doch ein
bemerkenswerther Unterschied, zwischen ihrer jetzigen Wirkung
und der früheren vorhanden.
Stellt man nämlich die Platten hinter der Scheibe auf
und giebt den Kämmen die schiefe Lage, so erhält man eine
dauernde Rotation nur in der einen, mehrmals bezeichneten
Richtung, manchmal von selbst, manchmal erst nach einem
leisen Anstofs; und wenn man sie in entgegengesetzter Rich-
tung mechanisch eingeleitet hat, kommt die Scheibe bald zur
Ruhe und beginnt dann umgekehrt, d. h. in dem ersten Sinn
zu rotiren. |
Stehen die Platten aber vor der Scheibe, so rotirt die
Scheibe, nach einem Impuls, gleich gut in beiden Richtungen,
vom 25. November 1869. 767
die Kämme mögen radial oder schief, ja sogar tangentiell ge-
stellt sein.) | |
Zu diesen Effeecten sind zwei Halbplatten durchaus nicht
_ unumgänglich; man erhält sie auch, wenig oder gar nicht
schwächer ausgebildet, schon mit einer einzigen Halbplatte.
Selbst kleinere Platten von Glas, Ebonit oder Pappe,
Quadrate von 5 Zoll Seite, die also lange nicht die halbe
"Scheibe bestreichen und, neben derselben aufgestellt, weit von
den Kämmen entfernt bleiben, mit ihrer Mitte um einen Qua-
dranten, verstärken nicht nur die Rotationsgeschwindigkeit in
angegebenem Grade, wenn die Kämme radial stehen, sondern
geben auch bei schiefer Stellung derselben den characteristi-
schen Unterschied, je nachdem sie vor oder hinter der Scheibe
angebracht sind.
Eben solche verstärkende Wirkung zeigen die Nebenplatten
falls zwei Kämme entweder quadrantal an einer Seite der Scheibe,
oder diametral diefs- und jenseits derselben aufgestellt sind.
Selbst eine Halbplatte ist dazu ausreichend, sobald sie nur im
ersten Fall dem Kamm am horizontalen Arm gegenübersteht.
Ähnliches beobachtet man, wenn man zu vier Kämmen
übergeht.
Vier Kämme gestatten eine zweifache Combination. Ent-
weder kann man sie unter sich und mit der Maschine so ver-
binden, dafs der obere und untere die eine Elektricität, z. B.
die positive, und der rechte und linke die andere Elektrici-
tät ausströmen, oder aber auf die Weise, dafs z. B. der obere
und der rechte Kamm positiv werden und die beiden anderen
negativ.
Im ersteren Fall, wo also, im Kreise herum gezählt, die
Kämme abwechselnd positiv und negativ. sind, findet schon
ohne Nebenplatten nach einem Impuls eine ganz lebhafte Ro-
tation in beiden Richtungen statt, wenn die Kämme die
radiale Lage haben, und eine blos in der vortheilhaften
Richtung, wenn sie schief gestellt sind. Allein beide Wirkun-
1) Die Rotation bei tangentieller Stellung der Kämme bekommt
man übrigens auch, wenn die Platten hinter der Scheibe stehen, aber
nicht ohne dieselben.
[1869.] 55
768 Gesammtsitzung
gen treten ungleich stärker hervor, sobald Platten hinter der
Scheibe stehen. |
Im zweiten Fall sind beide Wirkungen ohne Hinterplatten
so schwach, dafs man sie für Null halten könnte, werden aber
mit denselben eben so stark wie im ersten Fall.
Bemerkenswerth sind die Licht-Erscheinungen, die bei die-
sen Combinationen im Dunklen sichtbar werden.
Im ersten Fall sieht man an den beiden positiven Käm-
men lange Lichtpinsel, im zweiten dagegen kurze, und zwar
nur an demjenigen positiven Kamm, der, im Sinne der Rotation
gesprochen, der vordere ist und negative Elektrieität vom nächst
vorangehenden Kamm zugeführt bekommt. Der hintere posi-
tive Kamm zeigt dagegen nur Lichtpunkte, gleichwie wenn er
negative Elektricität ausströmte. Trotz der Kürze der positi-
ven Lichtpinsel ist in diesem Fall die Rotationsgeschwindigkeit
eben so grofs wie im vorhergehenden.
Überhaupt habe ich bemerkt, dafs, wiewohl die Länge der
positiven Lichtpinsel bei einer und derselben Combination mit
der Rotationsgeschwindigkeit wächst, sie doch derselben bei
verschiedenen Combinationen keineswegs proportional ist.
Noch auffallender ist die Wirkung der Nebenplatten bei
Anweudung von vier Kämmen, wenn diese nicht auf einer
und derselben Seite der Scheibe angebracht sind.
Man befestige vor der Scheibe zwei Kämme am verticalen
Stabe, und hinter derselben zwei am horizontalen, alle vier in
radialer Lage, und verbinde sie solchergestalt unter sich und
mit der Maschine, dafs von den vorderen Kämmen der obere,
und von den hinteren der links liegende (von vorn gesehen)
positive, und die beiden anderen negative Elektrieität auf die
Scheibe ausströmen.
Unter diesen Umständen bekommt man keine Rotation,
weder in der einen, noch in der anderen Richtung.
| Schiebt man aber zwischen den hinteren Kämmen und der
Scheibe Halbplatten von Glas oder Pappe ein, die also die
Elektricität dieser Kämme auffangen, so beginnt die Scheibe
von selbst zu rotiren, und zwar (von vorn gesehen) in Rich-
tung der Bewegung eines Uhrzeigers. Die Geschwindigkeit,
vom 25. November 1869. 769
welche sie in kurzer Zeit erlangt, ist aufserordentlich grofs,
möchte wohl 300 Umgänge in der Minute noch übersteigen.
Stellt man nun die Halbplatten vor der Seheibe auf, ohne
sonst etwas an der Combination zu ändern, so bekommt man
eine Rotation in umgekehrter Richtung, deren Geschwin-
digkeit der der früheren wenig nachsteht.
Hat man den oberen der vorderen Kämme mit dem (von
vorn gesehen) rechts liegenden der hinteren verbunden, so ist
die Rotation eben so stark wie vorhin, aber in beiden: Fällen
von entgegengesetzter Richtung.
Eine Vertauschung der Pole, also eine Umkehrung des
Stroms, ändert dagegen an dem Sinn der Rotation nichts.
Eben so ist es gleich, ob die Kämme die radiale, schiefe
oder tangentielle Lage haben.
Glasplatten eignen sich zu diesem Versuch am besten. Er
gelingt aber auch ganz gut mit Papptafeln, und, freilich minder
gut, selbst mit Metallplatten, wenn sie der Scheibe nur nicht
zu nahe stehen, eben so wie mit belegten Glasplatten, deren
Belege der Scheibe zugewandt sind.
Vier Kämme sind nicht unumgänglich nothwendig für
diesen Versuch; es genügen schon drei. Von den hinteren
kann der positive oder der negative fehlen, kann auch durch
eine Halbplatte von Glas, Pappe und selbst Metall, wenn sie
der Scheibe nur nicht zu nahe steht, ersetzt werden. Doch
ist in allen diesen Fällen das Phänomen weniger intensiv.
Nicht zu übersehen ist, dafs die Versetzung der Platten
aus der hinteren Stellung in die vordere, welche bei dem eben
beschriebenen Versuch eine Umkehrung der Rotation zur Folge
hatte, zugleich mit einer andern Modification verknüpft war,
indem die Platten in der vorderen Stellung frei standen, ohne
dafs ihnen Kämme anlagen. Versetzt man auch die hinteren
Kämme nach vorn, so dafs sich also alle vier Kämme und
die Platten an der Vorderseite der Scheibe befinden, so erhält
man, wie im ersten Fall, wo die Platten und die Kämme des
horizontalen Stabes hinter der Scheibe befindlich waren, eine
zeigerrechte Rotation von der angegebenen Geschwindigkeit.
Bringt man nun wieder die Platten nach hinten, ohne
sonst an der Combination etwas zu ändern, so kommt man
59°
770 Gesammtsitzung
auf den schon behandelten Fall zurück, hat bei radialer Stellung
der Kämme Rotation in beiden Richtungen, und bei schiefer
blofs in einer. |
V.
Metallplatten, obwohl im Ganzen wie Platten von Glas
oder Pappe wirkend, verhalten sich doch, wie schon gesagt, in
einigen Beziehungen abweichend.
Eine volle Glas- oder Papptafel ist so wirksam wie zwei
Halbplatten desselben Materials. Eine volle Zinkplatte aber,
isolirt oder nicht, hinter der Scheibe aufgestellt, etwa 5 bis 6
Linien von ihr entfernt, hat wenig Einfluls auf die Rotation,
vielleicht gar keinen.
Bringt man sie indessen näher, so hat man die Erschei-
nung, dafs aus der Rückseite der Scheibe, in der Nähe der
Kämme, kleine Funken in Unzahl unter lautem Geprassel auf
die Zinkplatte überspringen.
So lange die Scheibe ruht, erscheinen diese Fünkchen
nicht, trotz unausgesetzter Hinzuleitung von Elektrieität; so:
wie man aber die Scheibe in Bewegung setzt, kommen sie so-
gleich zum Vorschein, und dabei zeigt sich der Umstand, dafs
sie bei langsamer Rotation kräftiger und zahlreicher sind als
bei schneller. Bei einem gewissen Abstand der Zinkplatte von
der Scheibe können sie wohl ganz verschwinden, wenn letztere
schnell rotirt.
Diese Fünkchen haben einen verzögernden Einflufs auf die
Rotation, und es bedarf daher eines ziemlich starken Impulses,
um die Scheibe dauernd in Bewegung zu setzen. Hat sie aber
einmal eine gewisse Geschwindigkeit erreicht, so hemmen die
Fünkchen die Rotation nicht mehr, wenngleich sie dieselbe
immer noch etwas verzögern mögen.
Sehr eigenthümlich ist der Einflufs, den diese Fünkchen
‚an der Hinterseite der Scheibe auf die Licht-Erscheinungen an
den Kämmen der Vorderseite ausüben. Dieselben erhalten eine
ganz ungewöhnliche und unregelmäfsige Gestalt, erscheinen un-
ruhig und zeitweise hell aufsprühend.. Wenn man den posi-
tiven Kamm näher betrachtet, so findet man, dafs an dem-
selben zweierlei Lichter auftreten, lange schwach leuchtende
vom :25. November 1869. 771
Pinsel und helle Punkte an der Spitze des Kammes. Es sieht
fast aus, wie wenn dieser Kamm gleichzeitig oder rasch ab-
wechselnd beide Elektricitäten ausströmte. Ähnliches zeigt der
negative Kamm. R
Um nicht durch die Funken an der Hinterseite der Scheibe
in der Beobachtung dieser sonderbaren Erscheinung gestört zu
sein, habe ich den Versuch mit der Ebonitscheibe wiederholt,
die, weil sie schwarz und undurchsichtig ist, blofs die Vor-
gänge an ihrer Vorderseite zeigt. Das Phänomen, auf dessen
Erklärung ich hier übrigens nicht eingehen will, trat aber
ziemlich in derselben Weise auf.
Statt der ganzen Zinkplatte können nun auch zwei verti-
cale Halbplatten desselben Metalls genommen werden. Stellt
man sie zunächst hinter der Scheibe auf, isolirt oder nicht,
und getrennt von einander durch einen zollbreiten Raum, so
beobachtet man Folgendes.
"Mit zwei Kämmen in radialer oder in tangentieller Lage
am horizontalen Stabe, die also der Mitte der Platten gegen-
überstehen, hat man eine sehr verstärkte Rotation. Dasselbe
ist der Fall bei schiefer Lage derselben, und merkwürdig ge-
nug, rotirt die Scheibe, nach einem Impuls, beinahe gleich gut
in beiden Richtungen.
Bringt man nun die Kämme am verticalen Stabe an, so
dafs sie dem Zwischenraum beider Halbplatten gegenüberstehen,
so hat man ihrer radialen und selbst in ihrer tangentiellen
Lage ebenfalls Rotationen in beiden Richtungen, begleitet von
Funken zwischen Scheibe und Platten.
Versetzt man hierauf die Kämme in die schiefe Lage, so
zeigt sich das interessante Schauspiel, dafs die Scheibe ent-
weder ganz von selbst oder nach einer sanften Erschütterung
des Apparats in Rotation geräth, und zwar nur in der mehr-
mals bezeichneten Richtung. In der entgegengesetzten findet
selbst nach einem Impuls keine andauernde Rotation statt. In
beiden Fällen wird übrigens die Bewegung der Scheibe von
einem lebhaften Funken-Übergang zwischen ihr und den Platten
begleitet, wenn lelztere ihr etwas nahe stehen.
. Statt der Zinkplatte kann man auch Glasplatten anwen-
den, die einseitig mit Staniol belegt worden. Ich bediente
772 Gesammtsitzung
mich einer ganzen Platte, deren Belegung in horizontaler und
verticaler Richtung durch einen unbelegten Streifen von Zoll-
breite in vier Theile zerfällt worden. Wollte ich diese qua-
drantale Belegung, in eine hemiale verwandeln, so füllte ich.
zwei der freigelassenen Streifen durch Staniol aus. |
Werden der Scheibe die Belege dieser Platte zugewandt,
so sind die Erscheinungen nicht viel anders als bei soliden
Zinkplatten; werden sie ihr aber abgewandt, so treten einige
Verschiedenheiten auf.
So z.B. bei der quadrantal belegten Platte. Stellt man
sie hinter der Scheibe auf, und vor derselben zwei diametrale
Kämme, entweder am verticalen oder am horizontalen Stabe,
so ist der Einflufs der Lage der Kämme so gut wie vernichtet.
Die Scheibe rotirt, nach einem Impuls, in beiden Richtungen
mit bedeutender und ziemlich gleicher Gesehwindigkeit, die
Kämme mögen die radiale, die schiefe und selbst die tangen-
tielle Lage haben, ungeachtet im letzteren Fall die positiven
Lichtpinsel kaum wahrzunehmen sind.
Stellt man aber vier Kämme vor der Scheibe auf, und
eombinirt sie zu zweien, gleich viel auf welche Weise, so ist
der erwähnte Einflufs wieder hergestellt. Die Scheibe rotirt
bei der schiefen Lage am schnellsten und nur in der einen
mehrmals bezeichneten Richtung, während bei tangentieller
Lage der Kämme gar keine anhaltende Rotation erfolgt.
Ein Fall, in welchem die Wirkung der Nebenplatten sehr
in die Augen springt, ist noch der, wo man vor der Scheibe
zwei Kämme in quadrantalem Abstand anbringt.
Für sich geben die so 'gestellten Kämme, wie schon an-
fangs bemerkt, nur eine schwache Rotation in beiden Rich-
tungen. Hat man aber Nebenplatten hinter der Scheibe ange-
bracht, so bekommt man eine starke Rotation in der einen
Richtung, und keine in der andern. Befindet sich der eine
Kamm oben und der andere (von vorn gesehen) rechts, so rotirt
die Scheihe schraubenrecht oder wie ein Uhrzeiger, wogegen die
Rotation in umgekehrter Richtung erfolgt, wenn er sich an der
linken Seite befindet. Dabei ist es gleichgültig, ob die Kämme
die radiale oder tangentielle Lage haben, aber am stärksten ist
der Unterschied ihrer Wirkung nach beiden Seiten in der
vom 25. November 1869. 213
schiefen Lage. Auch die Richtung des Stroms ist ohne
Einflufs.
Papptafeln und unbelegte Glastafeln zeigen diese Wirkung
nicht, wohl aber belegte, die Belege mögen der Scheibe zu-
oder abgewandt sein. Am besten jedoch wirken Zinktafeln,
wenn sie isolirt sind.
Andere Particularitäten übergehe ich hier, um nicht zu
weitläuftig zu werden.
Dagegen muf[s ich noch erwähnen, dafs es bei Anwendung
von Zinkplatten oder belegten Glasplatten, ganz wie bei An-
wendung von Isolatoren, gar nicht nöthig ist, sie von solcher
Gröfse zu nehmen, dafs sie die ganze oder halbe Glasscheibe
bestreichen.
Zinkscheiben von 6 und selbst von 4 Zoll Durchmesser,
die also respective nur # und „5 des Flächeninhalts der dreh-
baren Glasscheibe besitzen, isolirt oder nicht, am horizontalen
Stabe befestigt, während der verticale zwei Kämme trägt, ge-
währen eine sehr bedeutende Rotationsgeschwindigkeit. Selbst
eine einzige solcher kleinen Scheiben wirkt nicht viel schwächer.
Vl.
Die Wirkung der Nebenplatten brachte mich auf die Idee,
die Spitzenkämme, von welchen man für gewöhnlich die Elek-
trieität ausströmen lälst, zu ersetzen durch kleine, der dreh-
baren Glasscheibe parallel gestellte Metallscheiben. Ich habe
solche Scheibchen, aus dünnem Zinkblech geschnitten, von zwei
und von vier Zoll Durchmesser angewandt.
So lange die grolse Glasscheibe frei auf ihrer Axe schwebt,
haben diese Metallscheibchen wenig oder keine Wirkung auf
sie. So wie man aber Halbplatten von Pappe oder Glas vor
oder hinter ihr aufstellt, bekommt man, nach einem kleinen
Impuls, eine audauernde Rotation in beiden Richtungen, so leb-
haft wie sie kaum besser bei Anwendung von Spitzenkämmen
zu erlangen ist.
Volle Nebenplatten, hinter‘ der Scheibe aufgestellt, haben
dagegen diese Wirkung nicht. Es ist nothwendig, dafs die
Scheibehen entweder zwischen den Halbplatten stehen oder de-
ren Zwischenraum gegenüber.
774 Gesammtsitzung
Recht artig ist die Licht-Erscheinung, welche im ersteren
Fall die Rotation begleitet. Statt der parallelen Lichtpinsel,
die vom positiven Spitzenkamm rechtwinklig gegen dessen Länge
hervorbrechen, hat man nämlich fächerartig ausgebreitete, gleich-
sam einen Heiligenschein bildend, hauptsächlich an derjenigen
Seite des Scheibenrandes, welche der Bewegung entgegen liegt;
doch fehlen sie auch an der anderen Seite nicht. Ähnlich
verhält es sich mit den Lichtpunkten am Rande des negativen
Scheibehens. Dabei ist ein fortwährendes Zischen hörbar, wel-
ches aus dem Überspringen kleiner Funken von dem Metall
zum Glase entsteht.
Ich habe die Spitzenkämme auch durch Blechstreifen
ersetzt, die, an den Hülsen dieser Kämme befestigt, rechtwink-
lich gegen die Ebene der Scheibe aufgestellt wurden.
Für sich allein bewirken diese Bleche keine Rotation, we-
der in radialer, noch in schiefer Lage.
Waren aber Glasplatten hinter der Scheibe angebracht, so
erfolgte bei schiefer Lage der Bleche eine sehr starke Ro-
tation in der oftmals angegebenen Richtung, während bei radia-
ler Lage derselben die Rotation ausblieb.
Standen endlich die Glasplatten vor der Scheibe, so trat
zwar wiederum bei radialer Lage der Bleche keine Rotation
ein, aber dafür erfolgte sie sehr stark in beiden Richtungen, -
wenn die Bleche schief gestellt _waren.
VI.
Wenn man nun nach allen diesen Einzelheiten die Frage
aufwirft, was denn die Ursache der beschriebenen, die Rotation
bald einseitig, bald doppelseitig verstärkenden Wirkung der
Nebenplatten sei; so scheint es natürlich darauf die Antwort
zu geben, dals es die Elektrisirung sei, welche diese Platten
seitens der rotirenden Scheibe und auch der Kämme erfahren.
Wirklich läfst sich auch diese Elektrisirung in re
Fällen ganz entschieden nachweisen.
Stehen isolirte Halbplatten von Zink hinter der rotirenden
Scheibe, hinreichend entfernt von dieser, um keine Funken von
ihr zu erhalten, so geben sie doch bei der Berührung kleine
Funken, und, wenn sie einander hinreichend nahe stehen, sprin-
vom 25. November 1869. 273
gen solche in ununterbrochener Folge zwischen ihnen über.
Aufserdem werden sie von der Scheibe angezogen.
Ein anderer Fall ist dieser. Man stelle der Glasscheibe
am verticalen Stabe zwei Kämme in radicaler Lage und an
derselben Seite am horizontalen Stabe zwei kleine Zinkscheiben
etwa von 6 Zoll Durchmesser gegenüber, lasse durch den oberen
Kamm positive und durch den unteren negative Elektricität
ausströmen. Ertheilt man nun der Scheibe durch einen Impuls
eine schraubenrechte Rotation, so wird, (von vorn gesehen)
ihre linke Seite mit negativer, und ihre rechte mit positiver
Elektricität bekleidet.
Die isolirt davorstehenden Zinkscheibchen steigern diese
Rotation bald sehr ansehnlich, und prüft man sie mit dem
Elektrometer findet man das Scheibehen linker Hand po-
sitiv, und das andere negativ (indem aus seinem Stiel das
erstere negative und das letztere positive Elektricität entlälst,
was man durch gegenseitige Verbindung beider Scheibchen be-
fördern kann).
Sie haben also entgegengesetzte Elektricitäten in Bezug
auf die sich ihnen nähernden Scheibentheile, müssen folglich
dieselben anziehen und somit die Rotation verstärken. Diese
Erklärung würde vollständig sein, wenn man zugleich nach-
weisen könnte, weshalb die von den Zinkscheibchen fortge-
henden Glastheile die Rotation nicht hemmen. Man kann nur
vermuthen, dafs diese letzteren entweder in schwächerem Grade
ungleichnamig mit den Zinkscheibchen elektrisirt sind oder schon
gleichnamig mit denselben. Bestimmter liefse sich darüber nur
urtheilen, wenn man die Vertheilung der Elektrieität auf der
rotirenden Scheibe genau kennte, die aber sehr schwer zu er-
mitteln ist.
Ein dritter Fall, in’ welchem die erwähnte Elektrisirung
in ganz interessanter Weise auftritt, ist folgender.
Ich besitze eine quadratische Glasplatte von 17 Zoll Seite
und 1 Lin. Dicke, die ein sehr guter Isolator ist. Stelle ich
diese hinter die Scheibe, die darauf durch zwei diametrale
Kämme in horizontaler Lage und durch einen Impuls zur Ro-
tation gebracht wird, so übt sie anfangs so gut wie keine Wir-
kung aus; nach und nach beginnt sie aber zu wirken und in
‘
716 Gesammtsitzung
kurzer Zeit steigert sich ihre Wirkung dermafsen, dafs die Ro-
tation fast ihr mögliches Maximum erreicht. Halte ich nun die
Scheibe an und lasse sie nach einer Weile wieder los, so be-
ginnt sie freiwillig in derselben Richtung zu rotiren; ja wenn
ich ihr durch einen mechanischen Impuls die umgekehrte Be-
wegung einpräge, kommt sie bald zum Stillstand und erneut
darauf die Rotation im anfänglichen Sinne.
Hier ist also die ursprünglich indifferente Glasplatte durch
die rotirende Scheibe zu einer Wirksamkeit gebracht, die jener
der eben erwähnten Zinkscheiben noch übertrifft, da man mit
letzteren keine einseitige und freiwillige Rotation erhält.
‚ Eine Prüfung mit dem Elektrometer zeigt übrigens, dafs
die Glasplatte hinter der positiven Scheibenhälfte negativ und
hinter der negativen Hälfte positiv ist, und zwar in der Mitte
beider Hälften am stärksten.
Die Erklärung der Rotation, würde hier also wie bei den
Zinkscheiben ausfallen, aber eben so mangelhaft sein wie bei
jenen.
Wie wohl nun in diesen und ähnlichen Fällen die Elektri-
sirung der Nebenplatten ganz unzweifelhaft ist, so habe ich
doch auch andere Fälle beobachtet, wo ich sie trotz aller Sorg-
falt platterdings nicht nachzuweisen vermochte.
Es gilt dies zunächst von Papptafeln, ungeachtet sie eine
ebenso grofse Rotationsgeschwindigkeit hervorbringen wie Glas-
platten.
Es gilt dies aber auch bisweilen von letzteren. Bei der
S. 768 beschriebenen automatischen Rotation, bei welcher zwei
Kämme vor, und zwei Kämme hinter der Scheibe standen und
Halbplatten von Glas eiugeschoben wurden, erwiesen sich diese,
unmittelbar nach der Rotation geprüft, ganz unelektrisch, sie
mochten gefirnifst sein oder nicht.
Ich mufs gestehen, dafs ich durch diese Thatsachen einiger-
mafsen zweifelhaft geworden bin, ob in der That die Neben-
‘platten ihre grofse Wirksamkeit alleinig oder hauptsächlich
durch die Elektrisirung erhalten. Es könnte z. B. sein, dafs
sie auch dadurch wirkten, dals sie das Entweichen der Electri-
cität von der rotirenden Scheibe verhinderten oder verringerten.
Möglich wäre es übrigens, dafs die Platten, in Fällen, wo ich
vom 25. November 1869. BIT
sie nicht elektrisch finden konnte, es dennoch während der Ro-
tation waren. Die Anziehung, welche selbst Papptafeln seitens
der rotirenden Scheibe erfahren, scheint dafür zu sprechen,
wenn sie nicht andererseits Folge der Luftverdünnung ist, die
durch die Centrifugalkraft zwischen den Tafeln und der Scheibe
entstehen muls.
Über diese und andere Zweifel können nur fernere Ver-
suche entscheiden, die auch die Frage zu beantworten hätten,
ob die Influenz unabhängig sei von der Bewegung der Körper
oder nicht.
vl.
Es ist nicht blofs die Richtung und Stärke der Rotation,
in deren Abänderung sich die Wirkung der Nebenplatten aus-
spricht: sie äufsert sich auch in anderer Weise z. B. in den
Erscheinungen, welche eintreten, wenn man die drehbare Scheibe
auf der Rückseite mit Stanniol belegt.
Dehnt sich diese Bewegung über die ganze Rückseite aus,
so bekommt man keine Rotation. Gleiches ist der Fall, wenn
sie einen geschlossenen Ring bildet, dessen Breite gleich ist
der Länge der Spitzenkämme. Hat dieser Ring aber zwei dia-
metrale Unterbrechungen, so erfolgt eine Rotation, die freilich bei
Anwendung von nur zwei Kämmen auch nur eine mäfsige ist.
Wendet man aber vier Kämme an, vorn zwei am verti-
calen Stabe und hinten zwei am horizontalen, schiebt zwischen
den beiden letzteren und der Scheibe zwei Glasplatten ein und
verbindet sie nun in der Weise mit dem vorderen und der
Maschine, dafs der obere und der (von vorn gesehen) links
liegende positive, und die beiden anderen negative Elektrieität
ausströmen, so erhält man eine lebhafte Rotation im Sinne der
Bewegung eines Uhrzeigers.
Hiebei werden nun die beiden Halbringe von Stanniol
auf der Rückseite der Scheibe durch Influenz abwechselnd mit
positiver und negativer Elektrieität versehen, und es springen
demgemäls, wenn der Abstand zwischen ihnen nicht zu grofs
genommen ist, hell leuchtende Funken in schneller Folge von
einem zum anderen.
778 Gesammtsitzung .
So lange die Rotationsgeschwindigkeit eine mäfsige ist,
hat die Erscheinung nichts Ungewöhnliches. Man sieht nur
die beiden Funkenorte im Kreise herumgehen.
So wie aber die Geschwindigkeit einen solchen Grad er-
reicht hat, dafs die Scheibe in der Zwischenzeit des Über-
springens zweier Funken um ein Beträchtliches vorgerückt ist,
erblickt man jeden Funken gesondert an einem anderen Orte,
und vermöge der bekannten Dauer der Lichteindrücke auf unser
Auge hat man dann das interessante Schaupiel eines ganzen
Ringes von hellleuchtenden Funken.
Auf solche Weise können wohl an 50 Funken in Gestalt
kurzer und gegen die Circumferenz etwas geneigter Lichtlinien
zur gleichzeitigen Anschauung gebracht werden, so lange man
die Wirkung der Elektricität unterhält. Alles hängt dabei von
dem Verhältnifs der Rotationsgeschwindigkeit zur Geschwindig-
keit des Aufeinanderfolgens der Funken, also zur Elektricitäts-
menge ab; bei gleicher Rotation, vermehrt oder vermindert,
erscheinen auch die Funkenlinien mehr oder weniger zusammen-
gedrängt und zahlreich.
Deutlich sieht man hiebei, dafs die Nebenplatten nicht
allein die Rotationsgeschwindigkeit vergrölsern, sondern auch
den Glanz der Funken beträchtlich erhöhen.
Papptafeln statt der unbelegten Glastafeln zu diesem Ver-
suche angewandt, ändert an der Erscheinung wenig oder nichts.
Nimmt man aber Glasplatten, die an der der Scheibe zuge-
wandten Seite belegt sind, so erweist sich die Intensität der
Funken bedeutend verstärkt. Die Rotation ist aber nur eine
schwache, und sie bedarf einer mechanischen Nachhülfe, um
das Funkenphänomen in seiner vollen Ausbildung zu zeigen.
Auch dürfen die besagten Tafeln der Scheibe nicht zu nahe
stehen, weil sonst Funken von ihnen zu dieser überspringen,
welche die Funken zwischen den Stanniolbelegen, um die es
hier sich handelt, beeinträchtigen und unterdrücken.
| Übrigens ist noch zu bemerken, dafs, so lange die Scheibe
ruht, keine Funken zwischen ihren Belegen überspringen, un-
geachtet diese der influencirenden Wirkung der Kämme, welche
Electricität auf die Vorderseite ausströmen, fortdauernd aus-
vom 25. November 1869. 779
strömen, fortdauernd ausgesetzt sind. Erst bei der Bewegung
der Scheibe kommen die Funken zum Vorschein.
IX.
Zum Studium des in Rede stehenden Rotationsphänomens
ist der zu dieser Untersuchung benutzte Rotations-Apparat nicht
gerade unumgänglich nothwendig; man kann statt seiner auch
eine gewöhnliche Holtz’sche Elektrisirmaschine anwenden.
Dieselbe gestattet freilich nicht alle die Combinationen, welche
der beschriebene Apparat zuläfst, zeigt aber dafür Anderes, auf
dessen Beobachtung ich diesen Apparat wenigstens bis jetzt
nicht eingerichtet habe. Ich meine die Wirkung der gezahn-
ten Belege und des schrägen Conductors.
Wendet man die Maschine in der einfachsten Gestalt an,
d. h. versehen blos mit kleinen Belegen und zwei Kämmen in
radialer Lage, so kommt die Scheibe, nach einem anfänglichen
Impuls, in dauernde Rotation, wenn man Elektricität auf sie
einströmen läfst. Ein Unterschied in den Richtungen ist kaum
zu bemerken, wiewohl es scheint, als ginge die Rotation im
Sinne der Zähne der Belege etwas leichter und schneller von
Statten als in umgekehrter Richtung, gegen diese Zähne.
Ist ja ein Unterschied in dieser Beziehung vorhanden, so
wird er vollends verwischt, wenn man den schrägen Conduc-
tor anlegt, also vier Kämme auf die bekannte Weise gegen
eine Seite der Scheibe in radialer Lage aufstellt.
Wesentlich anders gestaltet sich aber die Erscheinung, so-
wie man, mit Beibehaltung des schrägen Conductors, die Be-
lege der ruhenden Scheibe bis ihm gegenüber verlängert. Dann
rotirt die Scheibe nur in einer Richtung, in Richtung der
Zähne der Belege, manchmal sogar ohne anfänglichen Impuls.
Setzt man sie mechanisch in entgegengesetzte Rotation, so
kommt sie nach wenigen Umgängen zur Ruhe und kehrt dann
wohl ihre Bewegung freiwillig um.
In angegebener Richtung ist die Rotation relativ sehr kräf-
tig, denn sie kommt, freilich erst nach einem Impuls, noch
ganz gut zu Stande, wenn auch die Schnurläufe der Maschine,
deren die angewandten zwei auf drei wenig beweglichen Rol-
len besitzt, nicht entfernt worden sind. Nur dürfen diese Schnur-
780 Gesammtsitzung
läufe nicht zu stark gespannt sein. Nach Entfernung derselben
ist aber die Rotation nicht allein eine automatische, sondern
auch ihre Geschwindigkeit eine ungemein viel grölsere, so grols
wie sie überhaupt auf irgend eine andere Weise nur zu erlan-
gen ist.
Offenbar haben die Zähne der Belege einen vorwalten-
den Antheil an der Entstehung der einseitigen Rotation. In-
defs sind sie nicht unumgänglich nothwendig. In schwächerem
Grade habe ich diese Rotation auch zu Stande kommen sehen,
als die ruhende Platte zwar Belege, aber keine Zähne hatte.
Andrerseits hat der schräge Conductor einen wesentlichen
Einflufs auf den Sinn der Rotation. Ich machte diese Erfah-
rung, als ich die beiden Holtz’schen Maschinen, die zu die-
sem Versuche benutzt wurden, gegeneinander vertauschte.
In dem Bisherigen war nämlich die getriebene Maschine
eine der älteren Art, an welcher der schräge Conductor eine
feste Lage besitzt, und zwar so, dals er, von vorn gesehen,
nach der linken Seite hin einen Winkel von 45° mit der Ver-
ticalen macht. |
An der Maschine neuerer Art ist der schräge Conductor
drehbar, und als ich sie zur getriebenen Maschine nahm,
zeigte sich, dafs das Resultat des Versuches wesentlich von der
Stellung dieses Conductors abhängt.
Gab ich demselben die eben bezeichnete Lage, so erfolgte
die Rotation, wie vorhin im Sinne mit den Zähnen, d.h. von
vorn gesehen, entgegen der Bewegung eines Uhrzeigers. Neigte
ich ihn aber nach der anderen Seite um 45° gegen die Verti-
cale, so vermochte die Scheibe in beiden Richtungen zu rotiren.
Defsungeachtet ist es aber nicht die Stellung des Con-
ductors an sich, welche diesen Unterschied hervorruft, sondern
seine Stellung zu den Belegen an der Hinterseite der ruhenden
Platte. | |
Haben diese Belege nur die Breite von einem Paar Zoll,
‚so ist die Stellung des Conductors ganz gleichgültig, weil sie
ihm nie gegenüber zu stehen kommen; stets erhält man. die
Rotation in beiden Richtungen. Sind sie aber durch angeleg-
tes Papier bis zu einem Octanten oder Quadranten verlängert,
so stehen sie dem Conductor bei seiner links geneigten Lage
vom 25. November 1869. 781
gegenüber, bei der rechts geneigten nicht, und demgemäls er-
hält man bei der ersten Lage eine einseitige Rotation und bei
der zweiten eine beiderseitige. Haben die Belege die Gröfse
eines Quadranten, so giebt selbst die lothrechte Stellung des
Conductors eine einseitige Rotation.
In ähnlicher Weise, wie sich eine Holtz’sche Maschine
der ersten Art durch eine andere derselben Art in Rotation
versetzen läfst, kann es auch mit einer Maschine der zweiten
Art geschehen, wobei denn die interessante Erscheinung ein-
tritt, dafs beide Scheiben derselben in entgegengesetzten Rich-
tungen rotiren. Es war gerade dieser Fall, bei welchem
Hr. Holtz das neue Rotationsphänomen entdeckte.
Ich habe diesen Fall nicht näher untersucht, weil ich bei
Wiederholung desselben die Beobachtung machte, dafs mitunter
auch beide Scheiben, wenn Funken zwischen ihnen über-
springen, in gleichem Sinne rotiren, und dafs, um diese Stö-
rung zu vermeiden, es nöthig ist, den gegenseitigen Abstand
beider Scheiben zu vergrölsern, ‘worauf aber meine Maschine
nicht eingerichtet ist.
X.
Dagegen habe ich die Untersuchung nach einer anderen,
nicht uninteressanten Seite hin erweitert, indem ich die Frage
zu beantworten suchte, ob das in Rede stehende Rotations-
phänomen auf eine einzige Scheibe beschränkt sei oder nicht.
Der Versuch entschied für den letzteren Fall, zeigte näm-
lich, dafs durch einen und denselben Strom gleichzeitig mehre
Scheiben in ganz kräftige Rotation versetzt werden können, und
zwar auf zweierlei Weise, entweder indem man den Strom ver-
zweigt und jeder Scheibe einen Bruchtheil der von der Ma-
schine gelieferten Elektricität zuführt, oder indem man sie hin-
tereinander der Wirkung des Stromes aussetzt,
Im ersten Fall kann die Zahl der gleichzeitig in Rotation
versetzten Scheiben vermuthlich eine ziemlich beträchtliche sein,
Alles hängt von der Beweglichkeit der Scheiben, nnd von der
Stärke des Stromes ab.
Im zweiten Fall, welcher der interessanterce ist, ist aber
wahrscheinlich diese Zahl auf zwei beschränkt, weil dann nur
182 Gesammtsitzung
zwei Scheiben direct mit der Maschine verbunden werden kön-
nen, die übrigen ihre Verbindung blos durch Zwischendrähte
erhalten würden. |
Wenn man den Versuch mit zwei Scheiben anstellt, also
der einen positive und der anderen negative Elektricität zuführt,
und die zweiten Kämme dieser Scheiben unter sich verbindet,
so kommen beide Scheiben, entweder freiwillig oder nach
einem Impuls, in andauernde Rotation, ganz nach Belieben
entweder in gleichen oder Richtungen, und
zwar sehr lebhaft.
Es rotirt aber auch schon. die eine Scheibe, obwohl
schwächer, wenn man die andere anhält; ja es rotiren sogar
beide, wenn man auch die Verbindung zwischen ihnen unter-
bricht, so dafs es den Anschein hat, als genügte schon eine
Elektrieität um die Rotation hervorzurufen.
Dennoch sind die zweiten Kämme, welche keine Elektri-
cität von der Maschine empfangen, nothwendig. Denn entfernt
man sie, hört die Rotation auf.
Sie hört selbst auf, wenn man diese Kämme an ihren
Orten läfst, ohne in ihren Stielen einen Draht einzuklemmen.
Hat man aber einen Draht eingeklemmt, der frei in der Luft
endet, so kommt die Rotation wiederum zum Vorschein. Be-
sonders lebhaft ist dieselbe wenn das freie Ende des Drahts
mit einem Spitzenkamm versehen oder ableitend mit dem Boden
verbunden ist.
Der Grund dieser Erscheinungen ist unschwer einzusehen.
Gesetzt, man habe zwei diamentrale Kämme an der Scheibe.
Empfängt der Kamm a positive Elektrieität, während der an-
dere 5 abgeleitet ist, so wird die Scheibe nach einem Impuls,
der unter diesen Umständen nothwendig ist, mit positiver Elek-
tricität bekleidet. Diese influencirt den Kamm 5, lockt nega-
tive Elektricität aus ihm hervor, die nun in derselben Weise
wirkt, wie wenn sie direct von der Maschine geliefert worden
wäre. Ohne Fortschaffung der positiven Elektrieität aus dem
Stiele des Kammes kann diese Influenz begreiflich nicht wirk-
sam zu Stande kommen, und darum ist die Einsetzung eines
ableitenden Drahtes nothwendig.
vom 25. November 1869. 783
Da übrigens der Kamm a auch auf der Rückseite der
Scheibe positive Elektrieität frei macht, so kann der Kamm
b auch dort angebracht werden, aber die Rotation ist dann
schwächer.
Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Scheibe, wenn
ihrem Kamme « negative Elektrieität zugeführt, und die Hülse
ihres Kammes & mit einem ableitenden Draht versehen wird.
Verbindet man nun die Kämme 5 und £ beider Scheiben
durch einen Draht, so ist klar, dafs die Wirkungen einander
unterstützen müssen, indem der eine Kamm die Ableitung für
den andern bildet, sobald beide Scheiben rotiren.
Nun kann zwar, wie schon gesagt, die eine Scheibe ange-
halten werden, ohne dadurch die Rotation der anderen sonder-
lich zu beeinträchtigen, allein dabei ist doch nöthig, dafs der
festgehaltenen Scheibe Elektrieität aus der Maschine zugeführt
werde. Geschieht das nicht, so kommt die andere Scheibe
bald zum Stillstand.
Dies beruht wohl darauf, dafs z. B. der Kamm £ die vom
Kamm b empfangene positive Elektrieität nur dann gegen die ru-
hende Scheibe dauernd auszuströmen vermag, wenn dieselbe mit
negativer Elektrieität bekleidet wird, und das mufs also von dem
mit der Maschine verbundenen Kamm « aus selbst bei Ruhe
der Scheibe stattfinden.
Was diese Ansicht unterstützt, ist der Umstand, dafs der
Verbindungsdraht zwischen 5 und £, welcher, während a und «
mit der Maschine verbunden sind, sich nur schwach elektrisch
erweist, sogleich sehr stark elektrisch wird, sowie man einen
der letzteren Kämme von der Maschine abtrennt.
Endlich sei hier nach einer interessanten Abänderung der
eben beschriebene Versuche gedacht. Verbindet man nämlich
die erste Scheibe direct mit der Maschine durch zwei diame-
trale Kämme, denen gegenüber man auf der Rückseite dieser
Scheibe zwei andere diametrale Kämme aufgestellt hat, welche
durch Drähte zu den Kämmen einer zweiten Scheibe führen,
so gerathen, nach einem Impuls, beide Scheiben in anhaltende
Rotation.
Hier ist es also die secundäre Elektrieität der ersten
Scheibe, welche die zweite in Bewegung setzt. In ähnlicher
[1369.] 56
784 Gesammtsitzung
Weise könnte man eine dritte Scheibe durch die ternäre
Elektricität der zweiten, eine vierte durch die quaternäre
der dritten u. s. w. in Rotation versetzen, könnte also, ideell
genommen, fast die ganze Menge der von der Maschine ge-
lieferten Elektricität in mechanische Arbeit verwandeln.
XI.
Aus der Gesammtheit der hier mitgetheilten Thatsachen,
die noch lange nicht alle von mir beobachteten umfalst, wird,
glaube ich, zur Genüge hervorgehen, welche Mannigfaltigkeit
von verwickelten und zum Theil räthselhaften Erscheinungen
mit dem beschriebenen Rotationsphänomen verknüpft ist. Schon
jetzt eine vollständige Theorie derselben aufstellen zu wollen,
wäre meiner Meinung nach, ein vergebliches Bemühen. Ich
habe deshalb auch keinen Versuch der Art gemacht, sondern
mich darauf beschränkt, das Thatsächliche festzustellen und
Einzelnes zu erläutern, so weit ich es vermochte.
Dagegen kann ich nicht u hier noch eine Schlufsbe-
merkung anzureihen.
Ohne Widerrede ist das Holtz’sche Rotationsphänomen
das kräftigste, welches man bisher durch sg. Reibungselektrieität
hervorgebracht hat. Dennoch wäre es eine sanguinische Hoft- -
nung, wollte man glauben, es könne damit irgend ein nutz-
barer mechanischer Effect erzielt werden. Dafs das nicht mög-
lich sei, ergiebt sich schon aus der Betrachtung, wie klein die
hier ins Spiel gesetzte Elektrieitätsmenge ist im Vergleich zu
der, welche die Volta’sche Batterie entwickelt, mit der man
defsungeachtet, selbst unter Mitwirkung des durch sie erzeug-
ten Magnetismus, doch auch noch nichts Erkleckliches ausge-
richtet hat.
Mit um so gröfserem Rechte kann man daher die Behaup-
tung aussprechen, dafs die älteren Rotationsapparate dieser Art
. noch weniger im Stande waren, eine irgend erhebliche mecha-
nische Kraft zu erzeugen. Franklin freilich wollte an seinem
elektrischen Bratenwender einen Truthahn braten, aber
er wollte es nur; nirgends sagt er, dafs er es gethan habe.
Hätte er den Versuch gemacht, würde er sich bald von der
Erfolglosigkeit desselben überzeugt haben.
vom 25. November 1869. 785
Die Elektrieitätsmenge, die zur einmaligen Ladung seines
Bratenwenders — einer drehbaren Glasscheibe mit einer Bele-
gung von 13 Zoll Durchmesser — erforderlici: ı>t, ist nicht nur
an sich eine so geringe, dafs sie von der Holtz’schen Ma-
schine wenigstens 30 bis 40 Mal in der Minute geliefert wird,
sondern mufs auch im Laufe der successiven Entladungen der
Scheibe bald auf eine so winzige Gröfse herabsinken, dafs sie un-
möglich einen bedeutenden mechanischen Nutz-Effeet gewähren
kann. Was Franklin selbst von der Leistungsfähigkeit sei-
nes Apparates anführt, widerspricht dem nicht. Eine horizon-
. tale Scheibe, selbst beschwert mit 100 Piastern, auf einer
Spitze 20 Mal in der Minute umzudrehen (noch dazu vermuth-
lich nicht ohne Beihülfe eines anfänglichen Impulses), erfordert
nur eine sehr geringe Kraft, die sich nicht messen kann mit
der, welche auf horizontaler Axe eine ungefähr gleich grofse
Scheibe und selbst ein halbes Dutzend derselben automatisch
zu 300 Umgängen in der Minute zwingt, und zwar ohne Ab-
nahme, so lange es dem Experimentator beliebt. Überdies
kommt in dem Franklin’schen Apparat die Rotation auf eine
so plane Weise durch das Spiel der elektrischen Anziehungen
und Abstolsungen zu Stande, dafs er heutigen Tages ganz
ohne wissenschaftliches Interesse ist.')
1) Franklin’s Glasscheibe hatte eine Belegung von etwa 117 Qua-
dratzoll auf jeder Seite und wurde ein Mal geladen. Zwei Flaschen,
jede von 75, zusammen also von 146 Quadratzoll äufserer Belegung, wer-
den von meiner Holtz’schen Maschine zwischen Kugeln von 10 Linien
Durchmesser in zwei Zoll Abstand 40 Mal in der Minute geladen, und
in einem Zoll Abstand sogar 60 Mal. Sie würden also in der halben
Stunde, welche der Franklin’sche Versuch dauerte, respective 1200
und 1800 Entladungen geben. Dafs eine solche Elektricitätsmenge eine
bei Weitem gröfsere Kraft entwickeln mufs als die im „elektrischen
Bratenwender“ thätige, ist wohl selbstverständlich und würde heutzutage
von Franklin selber nicht geläugnet werden. — Mit einem Loth Schiefs-
' pulver läfst sich nicht so viel ausrichten wie mit einem Centner.
96°
786 Gesammtsitzung
Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über neue Saurier
(Chaunolemus multicarinatus, Tropidolepisma Richar-
di und Gymnodactylus Steudneri) und Batrachier (Cy-
clorhamphus fasciatus und Hyla gracilenta).
1. Polychrus (Chaunolemus) multicarinatus nov. subgen.etnov.sp.
Die vorliegende Art unterscheidet sich von Polychrus durch
die grofsen ovalen Schuppen des Unterkinns und der Kehle,
den Mangel eines mittleren Unterkinnkammes und durch die,
besonders an der Bauchseite und an den Extremitäten deut-
liche, mehrkielige Beschaffenheit der Schuppen. Alle diese
Merkmale zusammengenommen dürften vielleicht die Aufstellung
einer besonderen Untergattung begründen.
Die Bezahnung, die Gestalt des Kopfes, die zusammenge-
drückte Körperform, die Proportionen der Gliedmafsen und die
Bildung des Schwanzes sind ganz ähnlich wie bei Polychrus
marmoratus.
Die Schnauze ist so lang wie breit, auf der Oberseite mit
grolsen, längsgestreiften, etwas unregelmäfsigen Schildern be-
deckt. Die polygonalen Schuppen der Supraorbitalbögen sind
wenigstens eben so grofs wie die seitlichen Oceipitalia, während
die Oberaugenlidschuppen und die mittleren Ocecipitalschuppen
kleiner sind. Die nach hinten gerichteten Nasenlöcher liegen
der Schnauzenspitze kaum näher als den Augen; zwischen dem
Nasale und dem breiten Rostrale befindet sich ein vorn zuge-
spitztes trapezoidales Schild; zwischen jenem und der Orbita
zwei senkrechte Reihen von Frenal- und Frenoorbitalschildern.
Die Schläfengegend wird von acht bis neun Reihen polygonaler
feingestreifter Schuppen bedeckt, welche vom Auge bis zur
Ohröffnung an Gröflse abnehmen. Der Ohrrand ist frei und
die Membrana tympani etwas kleiner als bei P. marmoratus.
Zwei Infraorbitalia, sieben Supralabialia und fünf Infralabialia,
von denen das 3. das längste ist. Die Submental- und Kehl-
schuppen, welche den Kehlsack bekleiden, sind eiförmig, längs-
gestreift, und doppelt so grofs, wie die Bauchschuppen; die
Haut zwischen den grofsen Schuppen des Kehlsacks ist mit
viel kleinern Schüppchen bekleidet. Die Körperschuppen bilden
in der Mitte 65 bis 66 Längsreihen und sind an den Seiten
vom 25. November 1869. 187
kaum kleiner als am Rücken und Bauche, an letzterem deut-
lich drei- bis fünfkielig, am Rücken weniger deutlich und an
den Seiten am undeutlichsten gekielt. Die vordere Extremität
erreicht $ der Entfernung zwischen ihr und der hintern Extre-
mität; der erste Finger ist der kürzeste, der 2. ist wenig län-
ger als der 5. und die längsten 3. und 4. sind gleich lang;
sämmtliche Schuppen der Extremität sind drei- bis fünfkielig;
die Schuppen der Handfläche und die breiten Schuppen der
Unterseite der Finger am Rande kurz bedornt. Die Hinter-
extremität erreicht vier Fünftel der Entfernung von der vor-
dern Extremität; die fünfte Zehe ist wenig länger als die zweite
und die 3. und 4. sind gleich lang; unter dem rechten Ober-
schenkel tritt eine Reihe von 18, unter dem linken von 16 Po-
ren deutlich hervor; die Schuppen sind wie an der vordern
Extremität gekiel. Die scharfen, spitzen Krallen sind etwas
sröfser als die vordern, und ihre Basis ist eben so wie bei die-
sen von einer oberen und unteren langen Scheide eingehüllt.
Der lange hinter der etwas zusammengedrückten Basis dreh-
runde Schwanz ist von grolsen rhomboidalen oder hexagonalen
Schuppen bekleidet, welche durch einen, deutlichen mittleren
Längskiel ausgezeichnet sind.
Olivenbraun, an der Unterseite olivengrün, an der Hinter-
seite des Hüftgelenkes und der Basis der Schwanzes ein unre-
gelmäfsiger ochergelber Längsstreif. Schwanz heller braun mit
unregelmäfsigen dunkleren Querbinden.
Länge (ohne Schwanz). 0%150 Vordere Extremität ... 09063
Kopllanee,.. 7. „mis. 0033,,1, Vierter +imger „.... ar; 07014
Mofbreite, :. . 2.» . 0%022 Hintere Extremität . . 09078
Schwanz (verletzt). .. 00333 Vierte Zehe ...... 02020
Das einzige Exemplar, welches unser Museum bereits seit
mehreren Jahren besitzt, stammt aus der Sammlung des ver-
storbenen Dr. ©. Hoffmann in Costa Rica.
2. Tropidolepisma Richardi n. sp.
Körper und Schwanz abgeplattet. Vorderer Ohrrand mit
drei Schuppen, von denen die mittelste die gröfste ist. Kör-
perschuppen iu 30 Längsreihen; Rückenschuppen mit drei
schwachen Kielen, in acht Längsreihen. Die Schuppen. der
beiden mittelsten Reihen sind die gröfsten, die der folgenden
788 Gesammtsitzung
werden allmählig nach den Seiten hin kleiner und nach dem
Bauche hin allmählig wieder gröfser. Schuppen der Extremi-
täten glatt, mit Ausnahme der Schuppen der Hinterseite der
Hinterextremität, von denen die des Oberschenkels zwei-, die
des Unterschenkels dreikielig sind.
Oben olivenfarbig mit schwarzen Flecken in unregelmäfsi-
gen Längsreihen. Halsseite mit einer unregelmäfsigen schwar
zen, olivenfarbig gefleckten, allmählig an der Körperseite sich
auflösenden Längsbinde. Lippenschilder gelb mit schwarzen
Rändern. Unterkinn und Kehle gelbgrün; Bauch graugrün.
Totallänge a Erna 0%185 Vordere Extremität . . 09031
Kopflängen.. vuisir) 383 0%025..; Vierter Finger 5. 22302008
Köpfbreite,.. «rs 3", 0%017 Hintere Extremität . . 09041
Koprbohes 7 2 4 02009, - Vierte-Zehe. 3.22.08 0%012
DELHI LE RE ee 07084
Ein einziges Exemplar von Hrn. Richard Schomburgk,
demzufolge es aus Nordaustralien, von dem Alligator-River
stammt.
3. Gymnodactylus Steudneri n. sp.
Körper und Schwanz mit dachziegelförmig geordneten glat-
ten Schuppen bedeckt, welche am Rücken und Bauche von
gleicher Gröfse sind. Kopf und Unterkinn granulirt; auf der
Schnauze sind die Schüppchen etwas gröfser und polygonal.
9 Supralabialia, 7 Infralabialia jederseits; der hintere Winkel
des Mentale wird eingeschlossen von zwei trapezoidalen Sub-
mentalia, auf welche jederseits noch ein grölses und ein kleines
unregelmäflsiges dreieckiges Submentale folgt. Nasenlöcher je-
derseits unmittelbar über dem vorderen Ende des 1. Suprala-
biale, vorn und oben von dem Rostrale, hinten von zwei klei-
nen Schuppen umgeben. Pupille senkrecht. Ohröffnung sehr
klein. Finger und Zehen sämmtlich wohl entwickelt und be-
krallt, von ähnlichen Proportionen, wie bei @. scaber.
Bräunlichweifs. Eine Binde vom Nasenloch durch das
Auge oberhalb der Ohröffnung bis zur Mitte des Halses, drei
Reihen unregelmäfsiger Flecke auf dem Körper, eine Querbinde
auf dem Halse, eine zweite auf der Schultergegend und andere
Querbinden am Schwanze, sowie unregelmäfsige Flecke auf der
Aufsenseite der Extremitäten von dunkelbrauner Farbe.
vom 25. November 1869. 189
Das einzige mir vorliegende Exemplar, an welchem das
Schwanzende reproducirt ist, mifst von der Schnauzenspitze bis
zur Analöffnung 30 Millim. Es befand sich in der Sammlung
des Dr. Steudner, welcher seinem Eifer zur Erforschung des
afrikanischen Continents zum Opfer fiel und zu dessen Erin-
nerung ich diese Art benannt habe. Aus dem Sennär, ohne
nähere Angabe des Fundorts.
4. Cyclorhamphus fasciatus n. sp.
Vomerzähne stehen auf zwei nach hinten ee
Höckern, etwas weiter zurück als der hintere Rand der Choa-
nen, welchen letzteren die Öffnungen der Tubae Eustachü an
Gröfse gleich kommen. Die Zunge ist ganzrandig, die Körper-
haut ganz glatt und ohne Seitendrüsen. Finger und Zehen frei,
nur die Mittelfulsknochen der letzteren durch eine Schwimmhaut
. verbunden. Der zweite Finger ist kürzer als der vierte und
die Handsohle hat keinen Ballen. Die 5. und 5. Zehe sind
fast gleich lang; an der Sohle ein innerer vorspringender und
ein äufserer flacher Höcker.
Braun, mit dunkleren Querbinden, von denen die vor-
derste, am vorderen Rande gezackte die hintere Hälfte der
Augenlider verbindet; eine schwarzbraune hellgesäumte Binde
unter dem Canthus rostralis, ein oder zwei Flecke unter dem
Auge, ein dreieckiger Fleck in der Schläfengegend, ein anderer
(zuweilen mit dem vorhergehenden zusammenfliefsender) an der
Körperseite und ein dritter vor und über dem Oberschenkel
von schwarzbrauner Farbe mit hellem Saum. Die Aufsenseite
der Gliedmafsen mit dunkeln Querbinden. Die Unterseite grau-
braun, an der Kehle dunkler, hier mit Weils besprengt und
mit undeutlichen Längsbinden.
volasse....... 0%028 Vorderextremität. .. . 0%018
Kanne ie... 0%010 Hinterextremität ... . . 02046
Zwei Exemplare aus Puerto Montt (Chile), durch Hrn.
Dr. Fonck.
5. Ayla gracilenta n.sp.
Vomerzähne auf zwei queren Höckern zwischen dem hin-
tern Theil der Choanen. Letztere kaum gröfser als die Tuben.
Zunge herzförmig, hinten flach eingebuchtet. Äufserer Mund-
790 Gesammtsitzung
winkel unter der Mitte des Trommelfells. Augen mit horizontaler
Pupille, um ihren doppelten Durchmesser von einander und um
einen von den Nasenöffnungen entfernt. Die Nasenlöcher lie-
gen seitlich, ganz nahe dem Ende der abgestutzten Schnauze,
einander ein wenig näher als den Augen. Die Zügelgegend ist
abschüssig. Trommelfell kaum halb so grofs wie das Auge,
oval. Der Kopf erscheint sehr abgeplattet und ist so breit wie
lang. Die ganze Oberseite des Thiers, einschliefslich der seit-
lichen Theile der Unterlippe, die Aufsenseite des Vorderarms
bis zum vierten Finger, die Aufsenseite des Unterschenkels bis
zur Spitze der 5. Zehe sind feiner, die Bauchseite und die Un-
terseite der Oberschenkel gröber granulirt, während der übrige
Theil der Gliedmafsen glatt ist.
Der Oberarm erscheint auffallend dünn. Der erste und
zweite Finger sind zur Hälfte, die drei übrigen über zwei Drit-
tel durch Sehwimmhäute mit einander verbunden und die Haft-
scheiben derselben sind grols. Die Schwimmhäute der hinteren
Extremität sind fast vollständig und gehen bis an die Basis
des vorletzten Gliedes der vierten Zehe.
Die ganze Oberseite bis zum seitlichen Unterkieferrande,
mit Einschlufs des Trommelfells, und die granulirten Theile
der Extremitäten sind dunkelblau, die Oberseite des Oberschen-.
kels ist rosenroth und die Körperseiten, die ganze Unterseite,
so wie der übrige Theil der Gliedmafsen sind gelblichweils.
Iris am Rande goldglänzend.
Totalänge .... 4... 02058... „Mord. Krir.n re 02021
Keoprlanve 2... 0m014 Hana. 2 PR 02008
Augendurchmesser . . 020035 Hint. Extr. ....... 02057
Augendistanz ..... 02007 Balsih see 0%025
Diese schöne Art stammt aus Port Mackay (Nordost-
Australien); durch Hrn. Godeffroy.
a November 1869. 291
Hr. A. W. Hofmann las: Zur Geschichte der ge-
schwefelten Harnstoffe.
In einer der Akademie am Schlusse des Sommersemesters
vorgelegten Fortsetzung !) meiner Studien über die Senföle habe
ich erwähnt, dafs mich die Untersuchung der Einwirkung des
Jods auf das Diphenylsulfocarbamid zu einer einfacheren Auf-
fassung des von den Hrrn. Merz und Weith ?) entdeckten so-
genannten Tricarbohexanilids geführt habe. Zu dieser Auf-
fassung, welche das Tricarbohexanilid als triphenylirtes
Guanidin bezeichnet, bekennen sich nunmehr auch die Hrn.
Merz und Weith °), wie ich aus einer seit Veröffentlichung
meiner Arbeit erschienenen Abhandlung über diesen Gegenstand
ersehe, so dafs die Frage über die Natur des in Rede stehen-
den Körpers zu einem befriedigenden Abschlusse gelangt ist.
Die elegante Methode für die Darstellung der substituirten
Guanidine, zu welcher die Erkenntnils der wahren Natur des
obengenannten Körpers mich alsbald geführt hat, und welche
einfach darin besteht, die Entschwefelung eines Harnstoffs in
Gegenwart eines Ammoniaks vorzunehmen, ist Veranlassung
gewesen, eine ganze Reihe von Körpern darzustellen, welche
der Guanidingruppe angehören. Über diese Körper, welche
‚sich zumal von dem Anilin und seinen Homologen ableiten,
habe ich der Akademie theilweise wenigstens berichtet *). Es
schien indessen von Interesse, auch die geschwefelten Harn-
stoffabkömmlinge der gewöhnlichen Alkohole mit in den Kreis
der Untersuchung zu ziehen, und ich habe deshalb die Ent-
schwefelungsproducte der methylirten und aethylirten Sulpho-
harnstoffe studirt, deren Darstellung und Eigenschaften in einer
früheren Abhandlung beschrieben sind °). Diese Studien haben
zu mehrfachen neuen Ergebnissen geführt, von denen ich der
Akademie schon heute einige vorlegen will.
1) Hofmann, Monatsberichte 1869, S. 579 — 583. f
2) Merz und Weith, Zeitschrift für Chemie, N. F., IV, S. 519—609.
3) Merz und Weith, Zeitschrift für Chemie, N. F., V, S. 583.
*) Hofmann, Monatsberichte 1869, S. 583 — 590.
5) Hofmann, Monatsberichte 1868, S. 24— 31.
792 Gesammtsitzung
Entschwefelung der Äthylsulfoharnstoffe.
Ich habe sowohl die Entschwefelungsproducte des monoäthy-
lirten, als auch des diäthylirten Sulfoharnstoffs untersucht. Weil
das Verhalten des letzteren das einfachere ist, will ich es zuerst
beschreiben.
Entschwefelung des Diäthylsulfoharnstofs. Dieser Harn-
stoff, den man mit grofser Leichtigkeit durch die Einwirkung
von Äthylamin auf Äthylsenföl erhält, entschwefelt sich nur
langsam. DBleioxyd ist ohne Wirkung auf die Lösung des
Körpers in Wasser oder Alkohol, selbst bei der Siedehitze.
Frischgefälltes Quecksilberoxyd entfernt den Schwefel aus der
siedenden Flüssigkeit. Wird die, von dem Quecksilbersulfid
abfiltrirte, vollkommen neutrale Lösung verdampft, so bleibt ein
kaum gefärbter Syrup zurück, der nach kurzer Zeit krystalli-
nisch erstarrt. Die Krystalle wurden aus siedendem Wasser
umkrystallisirt. So gereinigt stellten sie lange, farblose, bieg-
same Nadeln dar, mit allen Eigenschaften, welche Hr. Wurtz
dem Diäthylharnstoff zuschreibt. Der Schmelzpunkt wurde bei
107° gefunden; der Schmelzpunkt des aus Cyansäure- Äther
und Äthylamin dargestellten Körpers wird zu 106° angegeben.
Zum Überflusse wurde noch die Verbrennung ausgeführt; ihr
Ergebnifs entsprach genau der Formel:
C,H,N;0 = CH;(C,H,),N,0.
Die Reaction war also in der Äthylreihe genau so ver-
laufen, wie ich sie vor vielen Jahren für die diphenylirte Ver
bindung angegeben habe: dem Schwefel war Sauerstoff substi-
tuirt worden.
Entschwefelung des Diäthylharnstoffs in Gegenwart von Äthy-
lamin. Der Versuch hat genau zu dem Ergebnisse geführt,
welches die Theorie im Voraus bezeichnete. Die Entschwefe-
lung wurde ebenfalls in alkoholischer Lösung mittelst Queck-
silberoxyds bewerkstellist. Nach dem Abdestilliren des über-
schüssig angewendeten Äthylamins und Abfiltriren des Queck-
silbersulfids bleibt eine stark alkalische Flüssigkeit, welche bei
längerem Stehen an der Luft durch Kohlensäure- Anziehung
krystallinisch erstarrt.
vom 25. November 1869. 195
Mit Salzsäure und Platinchlorid versetzt lieferte der alka-
lische Rückstand ein schön krystallisirtes Platinsalz; ebenso
mit Goldchlorid ein Goldsalz.
Das in Platten krystallisirende, in Wasser leicht, in Al-
kohol weniger lösliche, bei 100° getrocknete Platinsalz gab bei
der Analyse Zahlen, welche mit der Formel des triäthylirten
Guanidinplatinchlorids
C,.H;, N,PtCl, = 2[CH, (0,H,),N„HCI,PtCl,
übereinstimmen. Die Reaction war also in demselben Sinne
verlaufen, wie die Entschwefelung des Diphenylsulfocarbamids
in Gegenwart von Anilin.
CH, (0,H,,N,;,S + (5,H,)H,N = CH,(C,H,),N,; + B3S.
. Das triäthylirte Guanidin, welches sich auf dem angege-
benen Wege bildet, hat die gröfste Ähnlichkeit mit dem äthyl-
substituirten Guanidin, welches ich vor mehreren Jahren !) bei
der Behandlung des cyanursauren Äthyläthers mit Natrium-
äthylat erhalten habe, ebenso mit dem Körper, welchen man,
wie ich vor Kurzem gefunden habe, durch die Einwirkung des
Äthylamins auf Chlorpikrin gewinnt.
Ich nehme aber gleichwohl im Augenblicke Anstand, die
. drei in so verschiedenen Reactionen entstandenen Körper für
identisch zu erklären; ich beabsichtige auf diese Frage zurück-
zukommen.
Entschwefelung des Diäthylsulfoharnstofs in Gegenwart von
Ammoniak. Nach dem einfachen Erfolge des im vorhergehen-
den Paragraphen beschriebenen Versuches durfte dei der Ein-
wirkung des Ammoniaks auf Diäthylsulfoharnstoff die Bildung
eines diäthylirten Guanidins erwartet werden. Die Reaction
verläuft aber nicht ganz so einfach. Es stellen sich hier, offenbar
in Folge der Einwirkung des Ammoniaks selbst auf den diäthy-
lirten Sulfoharnstoff, secundäre Umsetzungen ein, welche die
in diesem Processe auftretenden Erscheinungen trüben. Noch
ist es mir nicht gelungen, die verschiedenen, neben einander
sich vollendenden Umbildungen mit befriedigender Schärfe zu
entwirren.
1) Hofmann, 'BR. Soc. Pros XI. 281.
794 Gesammtsitzung
Entschwefelung des Monoäthylsulfoharnstoffs. Der Monoäthyl
sulfoharnstoff entsteht mit grofser Leichtigkeit bei der Einwir-
kung einer alkoholischen Lösung von Ammoniak auf Äthylsenföl.
Die Flüssigkeit erwärmt sich beim Zusammentreffen der beiden
Componenten. Wenn der Geruch nach Äthylsenföl verschwun-
den ist, so wird die Flüssigkeit verdampft. Der Sulfoharnstoff
bleibt als krystallinische Masse, welche, aus heilsem Wasser
umkrystallisirt, in schönen, ziemlich löslichen Nadeln erhalten
wird. Diese Nadeln schmelzen bei 106° !).
Der Monoäthylsulharnstoff wird ebenso leicht in wässriger
als alkoholischer Lösung, sowohl durch Bleioxyd, als auch durch
Quecksilberoxyd entschwefelt. Verdampft man die schwefelfreie
Lösung auf dem Wasserbade, so bleibt eine syrupdicke Flüssig-
keit zurück, welche nach einiger Zeit zu einem Hanfwerk weilser
verfilzter Krystalle von stark alkalischer Reaction erstarrt.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs der alkalisch reagirende
Körper nicht das directe, aus der Entschwefelung hervorgehende
Product ist. Zum Öfteren zeigt die Flüssigkeit, zumal wenn
sie verdünnt ist, unmittelbar nach dem Entschwefeln entweder
gar keine oder eine nur äulserst schwache alkalische Reaction.
Nach dem Abdampfen zur Trockne, namentlich nach länge-
rem Verweilen des rückständigen Syrups auf dem Wasser-
bade, macht sich die Alkalinität in ihrer vollen Intensität gel-
tend. Die weilsen Krystalle, obwohl sehr löslich, lassen sich
sowohl aus Wasser als aus Alkohol umkrystallisiren.
Die kalte Lösung derselben in möglichst wenig Chlor-
wasserstoffsäure lieferte auf Zusatz von Platinchlorid ein wa-
wellitartig krystallisirendes Platinsalz. Das Salz ist leicht lös-
lich in Wasser, weniger löslich in Alkohol; es läfst sich aus
Wasser umkrystallisiren, aber nicht ohne eine theilweise Zer-
setzung zu erleiden. Gewöhnlich sind dem umkrystallisirten
Salze schon kleine Octaöder von Platinsalmiak beigemischt.
!) Vor dem Umkrystallisiren aus Wasser schmilzt dieser Körper
schon unter 100°. Unvollkommener Reinheit schreibe ich es zu, dafs
ich den Schmelzpunkt des Monoäthylsulfoharnstoffs früher, als mir eine
äufserst geringe Menge dieses Körpers zur Verfügung stand, zu 87° an-
gegeben habe.
vom 25. November 1869. 795
Die Analyse des bei 100° getrockneten Salzes führte zu
der Formel:
Ban ErCl. — 0.1,(6,4.,N.„2HCHPiCl.
Die Bildung der in diesem Platinsalze vorhandenen Base
erklärt sich ohne Schwierigkeit. Ohne Zweifel entsteht durch
Entschwefelung des Monoäthylsulfoharnstoff zunächst Äthyl-
cyanamid:
CH, (C,H,)N,$S = H,S + (CN)(C,H,)HN.
Drei Molecule Athyleyanamid treten alsdann zu der neuen
zweisäurigen Base zusammen:
3[(CN) (O, H,) HN] = (C N); (C, H,); H, N; == C, H; (C, H,),N;.
Der Körper kann, dem Melamin an die Seite gestellt, als
ein triäthylirtes Melamin aufgefafst werden.
C,H,.N H H,),N
3 a 6 C, 3 (0; >)3 6
Melamin Triäthylmelamin.
Der monoäthylirte Sulfoharnstoff verhält sich also bei
der Entschwefelung wesentlich anders als der diäthylirte. Wäh-
rend letzterer diäthylirten Harnstoff liefert, indem Sauerstoff
gegen Schwefel ausgetauscht wird, spaltet sich von dem er-
steren 1 Mol. Schwefelwasserstoff ab, indem eine Cyanverbin-
dung entsteht. Der monoäthylirte verhält sich also wie der
monoallylirte Harnstoff, das Thiosinnamin, welches wie aus
Hrn. Will’s schönen Untersuchungen ') die mir bei dieser Ar-
beit gar oft als Anhaltspunkt gedient haben, bekannt ist, unter
Schwefelwasserstoffaustritt in Sinnamin übergeht.
Bei der Atomgewichtsbestimmung des Sinnamins haben
sich Schwierigkeiten ergeben, und Will hat deshalb, indem er
der von ihm beobachteten Reaction den einfachsten Ausdruck
lieh, das Sinnamin mit der Formel
C,H,N,
als Cyanallylamin angesprochen. Die oben mitgetheilten Beobach-
tungen lassen indessen auch das Sinnamin als ein höher ge-
1) Will, Ann. Chem. Pharm. LI. 1,
796 Gesammtsitzung
gliedertes Polyamin erscheinen. Einige Versuche, welche ich
über die Entschwefelung des Thiosinnamins angestellt habe, die
aber noch nicht abgeschlossen sind, machen es wahrscheinlich,
dafs das Sinnamin in der That als ein triallylirtes Melamin auf-
zufassen ist.
Ich habe bereits angeführt, dafs sich das triäthylirte Me-
lamin mit Leichtigkeit zerlegt. Längere Berührung mit kalter
Chlorwasserstoffsäure, kurzes Aufsieden mit derselben ist hin-
reichend, um eine vollständige Umbildung des Körpers zu be-
dingen. Die Lösung enthält nunmehr reichliche Mengen Sal-
miak und das Chlorhydrat einer neuen Base, welche ein von
dem des triäthylirten Melamins ganz verschiedenes Platinsalz
bildet. Um das Ammoniak zu entfernen wurde die Flüssigkeit
mit Natronlauge übersättigt, auf dem Wasserbade zur Trockne
verdampft und der Rückstand mit Äther ausgezogen. Beim
Verdampfen des Äthers hinterblieb ein Syrup, welcher, mit
Salzsäure und Platinchlorid versetzt, ein in prachtvollen vier-
seitigen Prismen krystallisirendes, in Wasser sehr leicht, in
Alkohol weniger lösliches Platinsalz lieferte. Die Zusammen-
setzung dieses Salzes, welches eine Temperatur von 100° ohne
Zersetzung verträgt, wird durch die Formel
C,,Hss N 05 PtCl, = 2[C,H, (C,H,),N,0,HC1],PtCl,
ausgedrückt. Die Bildung der in ihm enthaltenen Base ist
mithin in der einfachen Gleichung
C,H,(C,H,), N; + H,O = (C,H, (0,H,),N,0 + H,N
gegeben, und der sauerstoffhaltige Körper, der hier entstanden
ist, läfst sich als triäthylirtes Ammelin auffassen.
CG; H,N,O C,H,(C,H,),N,O
mn ummcee? Nom nennen: » en nee?
Ammelin Triäthylammelin.
Durch Behandlung mit Basen und Säuren erleidet das
triäthylirte Ammelin weitere Veränderungen. Gern hätte ich
diese verführerischen Metamorphosen weiter verfolgt, allein die
Nothwendigkeit, neues Material zu beschaffen, hat mich vor der
Hand gezwungen, auf diese angenehme Beschäftigung zu ver-
zichten. Es sei mir indessen gestattet, schon heute kurz an-
nz
vom 25. November 1869. 197
zudeuten, in welcher Weise die Umbildung des Triäthylammelins
aller Wahrscheinlichkeit nach verlaufen wird. Man kann kaum
bezweifeln, dafs auch das Triäthylammelin von neuem 1 Wasser-
molecul fixiren wird, um unter Ammoniakabspaltung in Triäthyl-
ammelid überzugehen, welches sich schliefslich unter ähnlichen
Umbildungserscheinungen in Cyanursäure-Äthyläther verwan-
deln wird, dessen Abbau bis zu den letzten Spaltungsproducten
Äthylamin und Kohlensäure bekannt ist.
Die Reihe der Metamorphosen, welche das Triäthylmelamin,
genau entsprechend dem normalen Melamin, in vollendeter Sym-
metrie durchlaufen wird, ist in folgenden Gleichungen ange-
deutet.
Eee een, +8,0=H,NF0,8,(,H,),N,0 en
Teäyl- 0,H,(0,H,),N,0 -HH,O=H,N-+C,H (O,H,),0,0, Tan
NO OH ,N+C, (HNO
re C; (C;H,);N,0;,+H,0=C0,-+C,H,(C;H,),;N;0, ee
a: C,H,(C,H,)3N,0,-FH,0=00,+0,H, (C,H) N,0 Sal iam
ee BE .N.O +H.0—C0,r HICH.N, a
Der einzige noch hypothetische Körper, welcher in diesem
Diagramm figurirt, ist in der That das triäthylirte Ammelid,
auf dessen Entdeckung ich bei der Fortsetzung dieser Unter-
suchungen mit Sicherheit rechne.
Es braucht kaum erwähnt zu werden, dafs ich hier mit
dem Namen Ammelid den Körper
C;H,N,O,
bezeichne. Bekanntlich glaubte Gerhardt als solchen die von
Liebig aus dem Ammelin erhaltene und Ammelid genannte
Verbindung ansprechen zu dürfen. Liebig hat indessen darauf
hingewiesen, dafs die Zusammensetzung des von ihm darge-
stellten Productes die oben angeführte Auffassung nicht zuläfst.
Es ist gleichwohl nicht unwahrscheinlich, dafs sich unter ge-
eignet gewählten Bedingungen ein Körper
798 Gesammtsitzung
C;H,N,O,
aus dem Ammelid wird darstellen lassen. Jedenfalls ist eine
Verbindung von dieser Formel, nämlich die aus dem Harnstoff
dargestellte Melanurensäure, den Chemikern bekannt.
Ich habe in der Hoffnung, Monoäthylguanidin zu er-
halten, den Monoäthylharnstoff in Gegenwart von Ammoniak
entschwefelt. Das Ergebnifs des Versuchs hat indessen meinen
Erwartungen nicht entsprochen; es entsteht auch in diesem
Falle Triäthylmelamin.
Entschwefelung des normalen Sulfoharnstoffs.
Angesichts des eigenthümlichen Verhaltens des Monoäthyl-
sulfoharnstoffs unter dem Einflufs entschwefelnder Agentien,
schien es von Interesse, auch den normalen Sulfoharnstoff, wel-
cher Anfangs dieses Jahres von Hrn. E. Reynolds!) entdeckt
worden ist, mit in den Kreis der Untersuchung zu ziehen.
Hr. Reynolds giebt an, durch Entschwefelung seines Sulfo-
harnstoffs mit Silberoxyd den gewöhnlichen sauerstoffhaltigen
Harnstoff erhalten zu haben, allein er begnügt sich, diese Be-
hauptung auf einige qualitative Reactionen zu stützen, die, wie
er sie beschreibt, allerdings mit denen des Harnstoffs par ex-
cellence zusammenfallen. Der Körper, der sich durch Entschwefe-
lung des Sulfoharnstoffs erzeugt, ist gleichwohl kein Harn-
stoff. Ich habe den Versuch mit Silberoxyd, den Hr. Rey-
nolds beschreibt, genau in derselben Weise wiederholt, ich
habe den Sulfoharnstoff mit Bleioxyd und mit Quecksilberoxyd
entschwefelt, allein niemals bin ich im Stande gewesen, auch
nur eine Spur von Harnstoff nachzuweisen. .
Wird die Lösung des Sulfoharnstoffs mit Silber-, Blei-
oder Quecksilberoxyd bis zur völligen Entschwefelung im Wasser-
bade digerirt und die von den Metallsulfiden abfiltrirte Flüssig-
keit auf dem Wasserbade concentrirt, so schiessen beim Er-
kalten blendend weilse Prismen oder vierseitige Tafeln an,
welche man durch einmaliges Umkrystallisiren aus siedendem
!) E. Reynolds, Chem. Soc. J. XXIJ, p.1.
vom 25. November 1869. 799
Wasser im Zustande vollkommener Reinheit enthält. Die Lö-
sung dieser Krystalle giebt allerdings mit salpetersaurem Queck-
silber eine weisse Fällung, die von Kochsalzlösung gelöst wird;
allein die Krystalle unterscheiden sich in vielen Beziehungen
vom Harnstoff.
Die Analyse derselben führte zu der Formel des Cyanamids
CH,N,,
für die ich nach dem Verhalten, welches der monoäthylirte
Sulfoharnstoff gezeigt hatte, in der That vorbereitet war. Es
hatte sich also von dem Molecule des Sulfoharnstoffis einfach
1 Mol. Schwefelwasserstoff abgespalten.
CH,N,S=CH,N,+H,8
Allein die erhaltenen Krystalle waren kein Cyanamid, von
dem sie sich alsbald durch ihre geringere Löslichkeit unter-
schieden. Sie waren aber auch kein Cyanuramid oder Melamin,
wie man nach den bei der Untersuchung des monoäthylirten
Sulfoharnstoffs gewonnenen Resultate wohl hätte erwarten kön-
nen. Das Melamin ist viel weniger löslich als die bei der
Entschwefelung des Sulfoharnstoffs auftretenden Krystalle. Allein -
es ist noch ein zwischen dem Cyanamid und dem Melamin in
der Mitte stehender Körper, das Dieyandiamid, bekannt,
welches ursprünglich von Hrn. Strecker beobachtet, später
von Hrn. J. Haag ') eingehender studirt worden ist. Eine
genaue Vergleichuug der Eigenschaften der von mir erhaltenen
Krystalle mit denen des Dicyandiamids, wie sie Hr. Haag
beschreibt, läfst keinen Zweifel, dafs das krystallinische Ent-
schwefelungsproduct des Sulfoharnstoffs in der That aus Dicyan-
diamid- besteht. Schon die Schmelzpunktsbestimmung und die
Analyse einer schön krystallisirten Silberverbindung lassen in
dieser Beziehung keinen Zweifel. Nach Haag’s Angabe schmilzt
das Dieyandiamid bei 205°; die aus dem Sulfoharnstoff dar-
gestellte Verbindung zeigt den Schmelzpunkt 204°. Mit sal-
petersaurem Silber bildet das Dieyandiamid eine in langen Na-
deln krystallisirende, in heifsem Wasser leicht, in Salpetersäure
schwer lösliche Verbindung von der Formel
1) Haag, Ann. Chem. Pharm. CXXIL. S. 22.
[1869.] 57
\
800 | Gesammtsitzung
C,H,N,,AgNO,.
Eine Verbindung von genau denselben Eigenschaften und
genau derselben Zusammensetzung bildet auch das Entschwefe-
lungsproduct des Sulfoharnstoffs. Die Analyse wurde sowohl
mit dem durch Quecksilberoxyd als auch mit einer durch Silber-
oxyd erhaltenen Verbindung angestellt. Schliefslich ist auch
noch die merkwürdige von Haag beschriebene Umbildung des
Dicyandiamids unter dem Einflusse von Säuren an den aus
dem Sulfoharnstoff erhaltenen Krystallen beobachtet worden.
Eine Lösung dieser Krystalle in Chlorwasserstoffsäure lieferte
beim Abdampfen grolse Tafeln von chlorwasserstoffsaurem Di-
cyandiamidin, aus welchem auf Zusatz einer concentrirten
Platinchloridlösung sich ein krystallinisches Platinsalz ausschied.
Aus siedendem Wasser krystallisirt dieses Salz in büschelförmig
vereinigten Nadeln von der Zusammensetzung
2(C,H,N,0,H;Cl), PtC]..
Die angeführten Beobachtungen dürften hinreichen, den
aus dem normalen Sulfoharnstoff durch Entschwefelung erhal-
tenen Körper mit dem aus dem Cyanamid durch Polymerisation
. entstandenen Dicyandiamid zu identifieiren.
Nachdem ich gefunden hatte, dafs sich der Monoäthylharn-
stoff auch bei Gegenwart von Ammoniak in Triäthylmelamin
verwandelt, war nur geringe Aussicht vorhanden, dafs der nor-
male Schwefelharnstoff, wie ich früher gehofft hatte, bei der
Entschwefelung im Beisein von Ammoniak in Guanidin über-
gehen werde. Ich habe den Versuch gleichwohl angestellt, in-
dessen in der That nichts anderes als Dieyandiamid erhalten,
welches durch eine Vergleichung der Eigenschaften und durch
eine Schmelzpunktbestimmung identifieirt wurde.
Schliefslich sei bemerkt, dafs die Untersuchung der Pro-
ducte, welche sich bei der Entschwefelung des normalen Sulfo-
harnstoffs in Gegenwart von substituirten Ammoniaken bilden,
- noch nicht zu einem endgültigen Abschlufs gekommen ist.
Bei Anstellung der im Vorstehenden beschriebenen Ver-
suche bin ich von den Hrrn. R. Bensemann und Fr. Ho-
brecker mit ebenso grolsem Eifer als Geschick unterstützt
worden.
vom 25. November 1869. 801
Derselbe las ferner: Über die Einwirkung des Jods
auf das Thiobenzamid.
Das Studium der Umsetzung des Diphenylsulfocarbamids
unter dem Einflusse des Jods, über welche ich der Akademie
in einer früheren Sitzung Mittheilung gemacht habe '), ist Ver-
anlassung gewesen, einige andere Schwefelverbindungen nach
derselben Richtung hin zu erforschen. Im Allgemeinen sind
diese Untersuchungen nicht so ergiebig ausgefallen, als ich ge-
hofft hatte, sie haben gleichwohl zu einigen Beobachtungen ge-
führt, welche der Aufzeichnung werth erscheinen.
Wird ein Schwefelwasserstoffstrom in eine ammoniakalische
Alkohollösung von Benzonitril geleitet, so scheiden sich be-
kanntlich nach Verlauf einiger Stunden schöne gelbe Nadeln,
das von- Hrn. Cahours entdeckte Thiobenzamid
C,H,S
GCH.NS=,.H Im
H
aus der Flüssigkeit ab, welche durch einmaliges Umkrystalli-
siren aus siedendem Wasser rein erhalten werden.
Versetzt man eine kalt gesättigte Lösung dieses Körpers
in Alkohol mit einer alkoholischen Jodlösung, so wird letztere
alsbald unter Ausscheidung von Schwefel entfärbt. Hat man
mit dem Zusatz von Jodlösung fortgefahren, bis sich selbst
nach kurzem Aufkochen freies Jod durch Stärkekleister nach-
weisen läfst, so erstarrt die vom Schwefel abfiltrirte Flüssigkeit
beim Eingiessen von Wasser zu einem Brei weilser verfilzter
Nadeln, welche sich durch Waschen mit kaltem Wasser leicht
von anhängender Jodwasserstoffsäure befreien lassen.
Durch mehrmaliges Umkrystallisiren aus siedendem Alkohol
erhält man den Körper völlig rein. In diesem Zustande stellt
er lange, glänzende, schneeweilse Nadeln dar, welche bei 90°
schmelzen und bei sehr hoher Temperatur ohne Zersetzung
destilliren. Auch in Äther, Chloroform und Benzol löst sich
die Verbindung auf. Ich habe dieselbe im Anfange für schwefel-
frei gehalten. Man kann die alkoholische Lösung derselben
stundenlang in Gegenwart fixer Alkalien mit einem Bleisalze
1) Hofmann, Monatsberichte 1869, S. 581.
Di
802 Gesammtsitzung
zum Sieden erhitzen, ohne dafs sich Bleisulfid bildet. Erst nach!
mehrtägigem Kochen mit alkoholischer Natronlauge tritt der:
Schwefel in der Form von Natriumsulfid, und, wie es scheint, Na-
triumhyposulfit aus. Auch beim Erhitzen mit Salpetersäure
von mälsiger Concentration bleibt der Schwefelgehalt des Kör-
pers unverändert. Die Schwefelbestimmung bietet aber keine
Schwierigkeiten, wenn man den Dampf der Verbindung über.
ein glühendes Gemenge von Salpeter und Natriumcarbonat leitet.
Die sorgfältige Analyse der neuen Krystalle führt zu der
Formel: |
C,,H4oN >,
sie sind mithin aus 2 Moleculen des Thiobenzamids entstanden,
von denen sich 1 Atom Schwefel und 4 Atome Wasserstoff,
letztere in der Form von Jodwasserstoffsäure, getrennt haben.
2C,H,NS+2II = 0,H,N58 +4HI +8.
Wie das Jod wirkt auch das Chlor, das Brom und mäfsig
verdünnt auch die Salpetersäure auf das Thiabenzamid; indessen
sind diese Agentien für die Darstellung der neuen Verbindung
nicht zu empfehlen, weil deren Wirkung leicht zu weit geht,
die Bildung chlorirter, bromirter und nitrirter Producte ver-
anlassend, welche sich der normalen Verbindung beimischen.
In der That hat bereits Hr. Richard Dunklenberg, der sich
während des verflossenen Sommers im hiesigen Laboratorium
mit dem Studium des Thiobenzamids beschäftigte, den neuen
schwefelhaltigen Körper in Händen gehabt, allein, da er sich
zur Darstellung des Broms bediente, so wurde der Körper min-
der rein erhalten; und die Interpretation der Reaction wollte
damals nicht gelingen.
Was nun die Constitution des neuen Körpers anlangt, so
kann man sich denselben als aus 2 Mol. Benzonitril bestehend
denken, welche direct durch Schwefel zusammengehalten wer-
den. Es lassen sich über die Anordnung der Atome in dem
Molecul verschiedene Ansichten aufstellen ; wahrscheinlich. hän-
gen die aulserhalb der Phenylgruppe befindlichen Kohlenstoff-
atome durch Schwefel zusammen, und es findet alsdann auch
Bindung zwischen den Stickstoffatomen statt. Letztere Auf-
vom 25. November 1869. 803
fassung, wird durch das weiter unten anzuführende Verhalten
der Krystalle unter dem Einflufs des Wasserstoffs in condicione
nascendi bekräftigt. Ich will aber auf diese Frage hier nicht
näher eingehen, da mir die beabsichtigte Verwerthung der be-
Schriebenen Reaction in einigen anderen Reihen weitere expe-
rimentale Grundlagen für eine gewinnverheilsende Erörterung
‘der Frage zu liefern verspricht. Aus demselben Grunde unter-
lasse ich es auch schon jetzt für die schwefelhaltige Verbindung
einen Namen vorzuschlagen.
Bemerkenswerth ist die ausserordentliche Stabilität der
neuen Verbindung. Man kann sie mit Chlorwasserstoffsäure,
mit verdünnter Salzsäure, ja mit mäfsig concentrirter Salpeter-
säure in zugeschmolzener Röhre längere Zeit auf 150° erhitzen,
ohne dafs eine Zersetzung eintritt. Im concentrirter Schwefel-
säure löst sie sich bei gelindem Erwärmen auf; Wasserzusatz
scheidet sie aus dieser Lösung unverändert wieder ab. Etwas
leichter zersetzt sich die Verbindung durch die Alkalien, ob-
wohl auch hier, wie bereits bemerkt, tagelanges Kochen noth-
wendig ist. Unter langsamer Ammoniakentwickelung wird Ben-
zo&säure zurückgebildet. Offenbar trennt sich in diesem Falle
von dem Molecule zunächst der Schwefel, welcher von dem
Alkali in bekannter Weise gelöst wird; das sich gleichzeitig
abspaltende Benzonitril liefert Ammoniak und Benzo&säure. Ich
habe die hier auftretende Säure, welche sich schon an der
Schwerlöslichkeit des gebildeten Natronsalzes als Benzo&säure
zu erkennen giebt, überdies durch die Bestimmung des Schmelz-
punktes, so wie durch die Analyse des Silbersalzes identificirt.
Eine ganz interessante Verwandlung erfährt der Schwefel-
körper durch die Einwirkung des Wasserstoffs im statu nascendi.
Ich habe bereits früher ') darauf aufmerksam gemacht, wie viel
leichter die Thioamide in die entsprechenden Aminbasen über-
gehen, als die Nitrile. Diese Erfahrung hat sich auch wieder
bei dem neuen Körper bewahrheitet. Versetzt man die alko-
holische Lösung desselben mit Zink und Salzsäure, so entwickelt
sich der Schwefelwasserstoff in Strömen. Nach 10 bis 12 Stun-
den erkennt man aus dem Umstande, dals Zusatz von Wasser
1) Hofmann, Monatsberichte 1868, S. 281.
8304 Gesammtsitzung
zu der Alkohollösung keine Fällung mehr bewirkt, die totale
Zersetzung der schwefelhaltigen Verbindung. Sammlung und
Reindarstellung des neugebildeten Productes gelingt leicht auf
dem schon zu öfterem eingeschlagenen Wege; Zusatz von Al-
kali bis der zunächst gebildete Niederschlag von Zinkhydroxyd
sich gelöst hat, liefert die Base in einer obenauf schwimmien-
den Alkoholschicht. Die nach dem Verdampfen des Alkohols
zurückbleibende fixes Alkali enthaltende Base wird in Äther
aufgenommen und demselben durch Chlorwasserstoffsäure wie-
der entzogen, wobei eine kleine Menge unerquicklichen braunen
Harzes im Äther gelöst bleibt. Die salzsaure Lösung liefert
beim Abdampfen auf dem Wasserbade ein zunächst ölförmig
sich ausscheidendes Chlorhydrat, welches in kurzer Frist zu
unvollkommen ausgebildeten Krystallen erstarrt. Versetzt man
die Lösung dieses Salzes in Wasser mit Ammoniak, so schei-
den sich alsbald ölartige Tropfen aus, welche zu Boden sinken
und am nächsten Morgen krystallinisch erstarrt sind. Die über
der krystallinisch erstarrten Base stehende Flüssigkeit ist mit
irisirenden Blättchen erfüllt.
Die Analyse des durch Umkrystallisiren aus Wasser ge-
reinigten salzsauren Salzes, welches sich ohne Veränderung
bei 100° trocknen läfst, führt zu der Formel:
C„H,N,Cl= C4H4N.„,HO.
welche durch die Untersuchung eines krystallinischen, ebenfalls
bei 100° getrockneten Platinsalzes |
C,H, N, PtCl, = 2(C,HN,,HCD,PtC],
in unzweideutiger Weise bestätigt wird.
Es sind also bei der Bildung der hier vorliegenden Base
4 At. Wasserstoff an die Stelle von 1 At. Schwefel getreten.
C.HuN:sS + 5HH = H,S + C,HuN:-
Läfst man die oben angedeutete Auffassung des Schwefel-
körpers gelten, so würde bei der Einwirkung des Wasserstofis |
die Schwefelverkettung zwischen den Kohlenstoffatomen gelöst
und durch gleichzeitige Lockerung des Bandes zwischen diesen’
s
”
Kohlenstoffatomen und den Stickstoffatomen die Anlagerung
}
7
vom 25. November 1869. 805
von zwei Wasserstoffatomen an ein jedes der Kohlenstoffatome
ermöglicht; die beiden Stickstoffatome würden alsdann doppelt
verkettet werden. Dafs dieselben in der That sehr kräftig
gebunden sind, dafür spricht jedenfalls der Umstand, dafs sich
die neue Base auch unter dem fortgesetzten Einflusse des
Wasserstoffs nicht weiter verändert. Ich hatte in der That
gehofft, dieselbe durch andauernde Behandlung mit Wasserstoff
in condicione nmascendi unter Aufnahme weiterer vier Wasser-
stoffatome in Benzylamin zerfallen zu sehen:
C.HuN, + 2HH = 2C,H,N.
Bisher hat mir indessen diese Überführung, die ich auch
jetzt noch keineswegs für unmöglich halte, nicht gelingen
wollen, obwohl ich die Einwirkung von Zink und Salzsäure
mehrere Tage lang fortgesetzt habe.
Noch verdient bemerkt zu werden, dafs die hier beschrie-
bene Base, für welche ich, so lange ihre Constitution nicht
näher ermittelt ist, einen Namen vorzuschlagen ebenfalls unter-
lasse, mit einem früher von mir!) aufgefundenen Körper isomer
ist. Das durch Behandlung mit Phosphorchlorid aus 1 Mol.
Essigsäure und 2 Mol. Anilin unter Abspaltung von 2 Mol.
Wasser gebildete Äthenyldiphenyldiamin:
III
Cr)
C.H, 1% — (,H,N,
H
hat nicht nur dieselbe Zusammensetzung und dasselbe -Molecu-
largewicht, sondern ist auch wie die aus dem Schwefelkörper
entstehende Base einsäurig. Es bedarf aber kaum mehr als
einer eursorischen Vergleichung beider Substanzen um die Über-
zeugung zu gewinnen, dafs hier in der That nur Isomerie nicht
Identität stattfindet. Die Krystallformen der beiden Basen so-
wohl, als auch ihrer Salze, weichen wesentlich von einander
ab. Aufser den schon genannten Salzen habe ich namentlich
‚auch noch das nicht ganz leicht in sechsseitigen Tafeln kry-
stallisirende Nitrat der neuen Base mit dem schönen sal-
1!) Hofmann, Monatsberichte 1865, 649.
806 Gesammtsitzung vom 25. November 1869.
petersauren Salze der alten verglichen. Das Äthenyldiphenyl-
diamin ist vollkommen neutral, während die unbenannte Base
in alkoholischer Lösung eine deutlich ausgesprochene alkalische
Reaction zeig. Auch die Schmelzpunkte der ‘beiden Basen
liegen weit auseinander; die alte schmilzt bei 137°, die neue
schon bei 71°. Schliefslich kann das Verhalten der beiden
Körper zu concentrirter Schwefelsäure keinen Zweifel über ihre
vollkommene Verschiedenheit lassen; das Äthenyldiphenyldiamin
verwandelt sich in diesem Falle ohne Schwärzung in Sulpha-
nilsäure und Essigsäure; die von dem Thiobenzamid abstam-
mende Base wird unter Entbindung von schwefliger Säure
verkohlt.
Hrn. K. Sarnow bin ich für werthvolle Hülfe bei An-
stellung der beschriebenen Versuche verbunden.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften und der @.
A. Universität zu Göttingen. no. 21. Göttingen 1869. 8.
Zeitschrift des Kgl. Preu/s. Statistischen Bureaus. 9. Jahrg. Nr. 7,
8 u. 9. . Berlin. 4869. | 4. |
Die Fortschritte der Physik im Jahre 1866. Dargestellt von der Phy-
sikalischen Gesellschaft in Berlin. 22. Jahrg. Berlin 1869. 8.
Jahrbuch der K. K. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1869. 19.Bd.
Wien 1869. 8.
Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt. no. 10. 1869.
Wien 1869. 8.
Mittheilungen der K. K. Central-Commission für Erforschung und Er-
haltung der Baudenkmale. 14. Jahrg. Nov.—Dec. Wien 1869. 4.
v. Haidinger, Das K. K. Montanistische Museum und die Freunde
der Naturwissenschaften in Wien in den Jahren 1840—1850. Wien
1869. 8. &
Plantamour, Resume meteorologique. Anne 1868. Geneve 1869. 8.
Archives du Musee Teyler. II, 3. Harlem 1869. 8.
: Catalogus codicum manu scriptorum bibliothecae Menacensis. IH, 1.
Monachii 1868. 8.
Nachtrag.
5. August. Gesammtsitzung der Akademie.
ww
Hr. du Bois-Reymond las über die aperiodische
Bewegung gedämpfter Magnete.
8.1. Einleitung.
In seiner „Anleitung zur Bestimmung der Schwing-
ungsdauer einer Magnetnadel“') stellt Gauss für die
Bewegung eines in dämpfender Umgebung schwingenden Magne-
tes die Fundamentalgleichung auf
d’x
oil:
dx
RED NE 7, AHA
dit
wo z den dem Stand des Magnetes zur Zeit t, p den seinem
Ruhestand entsprechenden Scalentheil, n? die magnetische
Richtkraft (für die Einheit der Ablenkung) und 22 die ver-
zögernde Kraft der Dämpfung (für die Einheit der Geschwin-
digkeit), beide mit dem Trägheitsmoment des Magnetes dividirt,
bedeuten. Das Integral dieser Gleichung giebt Gauss unter
der Form
z=p+ 4e“tsin [Yn’ —e’.t—B)},.. (MW
wo e die Basis der natürlichen Logarithmen ist, A und B die
beiden durch die Integration eingeführten willkürlichen Con-
stanten vorstellen. Ohne die verzögernde Kraft der Dämpfung
ist nach Gauss das Integral
©=p-+ A. sin In (t— B)) ar. ar. GERGERL)
1) Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins im
Jahre 1837. Göttingen 1838. S.58; — C.F. Gauss Werke u. s. w.
Göttingen 1867. 4°. Bd.V. S. 374,
808 Nachtrag.
Nachdem Gauss aus Gleichung (I) die Theorie der
Schwingungsbewegung gedämpfter Magnete hergeleitet hat, sagt
er: „Bei allem, was bisher entwickelt ist, liegt die Voraus-
„setzung zum Grunde, dals = kleiner sei als n; im entgegen-
„gesetzten Fall nimmt das Integral der Fundamentalgleichung
„eine andere Form an. Man erhält nämlich anstatt des Glie-
„des Ae“* sin [Yn? — =? .(t— B)}, in dem Fall, wo e grölser
„ist als n, zwei Glieder von der Form
Actertenjt Dee te ae
„und in dem Fall, wo e = n ist, von dieser
(A +: Be Tore Se
„In beiden Fällen findet also in der Bewegung gar nichts
„periodisches mehr Statt, sondern der Stand nähert sich asymp-
E €
„totisch dem Ruhestande. Für unsern Dämpfer ist on 0,22152,
„und es mülste also ein mehr als 44mal stärker wirkender
„Dämpfer angewandt werden, um solchen Erfolg hervorzu-
„bringen. Offenbar aber würde es dazu nicht hinreichend sein,
„die Metallmenge nur in demselben Verhältnils zu vergröfsern,
„in sofern diese Vergrölserung nach auflsen angebracht werden
„mülste, und die äufsern Schichten des Metallrahmens verglei-
„ehungsweise weniger zur Inductionswirkung beitragen als die
„innern. Allein es würde nicht einmal anzurathen sein, eine
„Dämpfung von einer solchen Stärke anzuwenden, dafs die Be-
„wegung aufhörte periodisch zu sein, theils weil, sobald = den
„Grenzwerth n überschreitet, die Annäherung an den Ruhestand
„wieder langsamer geschieht, theils weil man dann den we-
„sentlichen Vortheil verlöre, aus zwei beliebigen, um 7,“ — die
Schwingungsdauer des gedämpften Magnetes — „von einan-
„der entfernten Aufzeichnungen den Ruhestand auf eine be-
„queme Art berechnen zu können.“
So weit Gauss. Er hat den aperiodischen oder
schwingungslosen Zustand gedämpfter Magnete, wie man
ihn nennen kann, mit geistigem Auge gesehen, ohne ihn wirk-
lich zu beobachten, und seine Andeutungen darüber sind meines
Wissens mehr als dreilsig Jahre unbeachtet geblieben, obschon
Nachtrag. 809
sie, wie sich zeigen wird, den Keim einer interessanten Theo-
rie und, Gauss Meinung zuwider, eines praktisch wichtigen
Verfahrens enthielten. Ich habe gefunden, dafs jener Zustand
sich leicht verwirklichen läfst; und noch Jedem, der von der
aperiodischen Bewegung meiner Bussolspiegel Zeuge war, sprang
der Vortheil in die Augen, der daraus bei vielen Arten galva-
nometrischer Versuche erwachsen müsse.
Da die Darstellung, deren sich Gauss im Obigen en
den Punkt, auf den es hier ankommt, nicht mit voller Klarheit
hervortreten läfst, so wird es angemessen sein, die Theorie der
aperiodischen Bewegung gedämpfter Magnete zunächst etwas
ausführlicher zu entwickeln.
8. II. Allgemeine Gleichung der Bewegung gedämpf-
ter Magnete, und periodische Bewegung solcher
Magnete.
Der Einfachheit halber nehmen wir an, dafs die Ruhelage
des Magnetes dem Nullpunkt der Theilung entspreche, also
p=0 Sei. Indem man sonst die Gauss’schen Bezeichnungen
beibehält, aber zur. Abkürzung einen der beiden Werthe von
ee? —n =r
setzt, erhält man als allgemeines vollständiges Integral der
Differentialgleichung (I) die Gleichung
Jette Be) ‚se el
deren rechte Seite mit (IV) identisch ist.
Zur Bestimmung der Oonstanten A und DB dienen Annah-
men über Anfangslage und Anfangsgeschwindigkeit des Magne-
tes. Denken wir uns den Magnet durch eine äufsere Kraft,
z.B. durch einen beständigen elektrischen Strom, in der Ab-
lenkung £ gehalten, die aber nicht gröfser sei, als dafs nicht
die Proportionalität zwischen Ablenkung und Richtkraft noch
angenommen werden dürfe, und die Dämpfung merklich den.
gleichen Werth behalte. Im Augenblick ?{= 0 werde die
Kette geöffnet, und der Magnet gleichsam seiner Ruhelage
zu fallen gelassen. Für {= 0 haben wir dann = und
— —= 0. Man findet
810 Nachtrag.
RR un
ar i
ar ;
und Gleichung (VI) wird
E
S 5 r —r
Eee !f(e + rn) e!— (e—r)e . sr 6 a Va
Die Art der Bewegung des Magnetes, welche durch die
Gleichungen (VI) und (VII) dargestellt wird, ist verschieden
je nach der Beschaffenheit der Wurzelgröfse r.
Ist e<n, so ist r= io, wenn wir = mit i, und einen
der beiden Werthe von 1% n? — e? mit eg bezeichnen. Gleichung
(VI) geht dann unmittelbar über in
x = e*!{(A-+B) cos (st) —i(A— B)sin(si)!, (VID)
oder, wenn den Constanten A und B ihr Werth ertheilt wird, in
meldung}. HER
Diese Gleichungen zeigen eine Schwingungsbewegung des
Magnetes an, bei der die Amplitude der Schwingungen in einer
geometrischen Reihe abnimmt, die bekannte Bewegungsart ge-
dämpfter Magnete. Der Magnet geht durch den Nullpunkt je-
desmal dafs x
we)=—-,
und erreicht seine grölste Elongation jedesmal dafs
sin (gt) = 0.
Bestimmt man eine Winkelgröfse d durch die Gleichung
tg@P)= ——
=
so wird Gleichung (IX)
aef.e | nen] I... 00
>
Nachtrag. sıl
Der von der eckigen Klammer umfafste Factor in dieser Glei-
. chung entspricht dem periodischen Factor in (IX), verschwin-
det für tg ()= — — und wird = 1 für sin (ei) = 0.
Abgesehen von der von uns vorgenommenen Üonstanten-
bestimmung, ist Gleichung (X) einerlei mit (II), oder von
der Form, in welcher Gauss das Integral der Fundamen-
talgleichung unter der stillschweigenden Voraussetzung hinge-
stellt hat, dafs e <n sei; während er der allgemeinen und
ursprünglichen Form des Integrals, nämlich der Gleichung
(VI), aus der (II) erst durch eine allerdings geläufige Um-
formung hervorgeht, erst später bei Erwägung der Mög-
lichkeit, dafs <> n werde, gedenkt. Was Gauss bewog, die
umgeformte Gleichung (II) voranzustellen, ist sichtlich der
Umstand, dafs in dieser Gestalt die Gleichung sich an die
(IH) anschliefst, welche die Bewegung des Magnetes ohne
Dämpfung darstellt. Setzt man in der Fundamentalgleichung
e=0, wodurch der die Dämpfung ausdrückende Term ver-
schwindet, so erhält man als allgemeines vollständiges Integral
den von. Gauss gegebenen Ausdruck: (III), und unter densel-
ben Annahmen über Anfangslage und Anfangsgeschwindigkeit,
die wir für den Fall der Dämpfung gemacht haben, und für
Pr 0,
7
ae ten gel en
=. .0n (5 — nt) = £.co Kos .. SEN
wo z in üblicher Bedeutung genommen ist. Die Vergleichung
der Ausdrücke (II) und (III), oder (X) und (XD), läfst den
Einflufs der Dämpfung auf die Schwingungsbewegung klar über-
sehen, der sich theils in dem Auftreten des die Amplituden ver-
mindernden Factors e°‘, theils in dem langsameren Wachsen
des Argumentes der periodischen Function ausspricht, wo-
durch eine grölsere Schwingungsdauer angezeigt wird. Da es
Gauss zunächst auf diesen Vergleich ankam, der Falle>n
ihm dagegen nur als theoretisches Curiosum vorschwebte,
durfte es ihm gleichgültig sein, dafs bei seiner Darstellung
812 Nachtrag.
der unmittelbare Einblick in den Übergang der periodischen
zur aperiodischen Bewegung, der bei = = n stattfindet, verlo-
ren ging.
8. III. Aperiodische Bewegung gedämpfter Magnete.
In dem Falle e>n, wo also r reell ist, gilt Glei-
chung (VII), wie sie dasteht. Die Bewegung ist nicht mehr
periodisch, sondern die Ablenkung als Function der Zeit
wird dargestellt durch den Unterschied der Ordinaten zweier
Exponentialeurven, die sich der Abscissenaxe asymptotisch
nähern. Der Werth t= oo ist der einzig mögliche, der 2= 0
macht. Fällt also der Magnet von der Ablenkung E, welche
beliebig grofs gedacht werden kann, ohne Anfangsgeschwindig-
keit herab, so wird der Nullpunkt nicht überschritten, sondern
erst nach unendlicher Zeit erreicht. Die Curve der Ablenkungen
bezogen auf die Zeit hebt bei £= 0 mit der Ordinate & und
mit horizontaler Tangente an, und hat zuerst einen gegen die
Abscissenaxe concaven Verlauf. Die Curve der Geschwin-
digkeiten
d En?
Er = = Et (g er. 2
ist am Ursprunge concav gegen die Abscissenaxe, und erreicht
ein negatives Maximum für
€
1 rt
= log nat Sarnen Mose (XIII)
€
welchem t also ein Wendepunkt der Curve der Ablenkungen
entspricht. Nach genau der doppelten Zeit folgt der Wende-
punkt der Curve der Geschwindigkeiten, die sich gleichfalls
der Abscissenaxe asymptotisch anschliefst. Die Ordinaten bei-
der Curven sind für gleiche Zeiten & proportional.
Eine bemerkenswerthe Vereinfachung tritt in vielen Be-
ziehungen ein für den Grenzfall, dafs n = e, oder dafs r = 0
wird. Das Integral der Differentialgleichung ist alsdann [vergl.
oben 8.808 (V)]
s—(ALBHe“,
A findt man =£&, B=e£, und man hat
s=E£E.c"'(1 + ei) a A & (XIV)
nn
Nachtrag. | 813
Diese Gleichung, und die davon abgeleitete
Ds IE Tan ee re
lassen sich leichter discutiren als die allgemeineren (VII)
und (XII). Einige der sich dabei ergebenden Beziehungen
sind in Fig.1 dargestellt, in welcher E=2,e=n=1 gesetzt
sind. Die oberhalb der Abscissenaxe verlaufende Curve (Ewit)
ist die der Ablenkungen, die unterhalb (Omw,t) die der Ge-
schwindigkeiten. Die punktirte Curve (£, —, — £) ist die
Sinuscurve der Ablenkungen ohne Dämpfung, und stellt Glei-
chung (XI) für n= ı dar. Der Wendepunkt der Ourve der
Ablenkungen und das Maximum der Curve der Geschwindig-
keiten treten ein zur Zeit
gie > (XvD
In der doppelten Entfernung vom Nullpunkt, also zur Zeit
ee a
€
tritt auch hier der Wendepunkt der letzteren Curve ein. Die
Ordinaten der Curven sind für gleiche Zeiten E proportional.
Figur 1.
ei
j
P°----- - - - - - - -- - 22000.
53
ui
814 Nachtrag.
Wird endlich = im Vergleich zu n so grofs, oder, was
völliger Astasie des Magnetes entspräche, n im Vergleich zu
e so klein, dafs n gegen e verschwindet und r merklich =:
ist, so nimmt das allgemeine vollständige Integral unserer
Fundamentalgleichung abermals eine andere Gestalt an. Setzt
man nämlich n? = 0, so wird jenes Integral
Ära SER N
wo A und B die beiden willkürlichen Integrationsconstanten
bedeuten. Unter denselben Annahmen über Anfangslage und
Anfangsgeschwindigkeit wie früher, findet man
A—=0,B=- 5, r=£. 2
Der Magnet bleibt also bei E stehen, und die der Abseissen-
axe parallele Gerade, welche & zur Ordinate hat, ist die
Grenze, der sich die Curven der Ablenkungen bezogen auf die
Zeit nähern, wenn n im Vergleich zu = immer kleiner wird.
‘* Erhält aber unter diesen Umständen der Magnet im Augenblick
{=0 bei E einen Stols, der ihm eine Geschwindigkeit = c
ertheilt, so wird
e c SBUBE:
= ı — B=-E +3 — zei Zi — ei
a A BTnde Ba Ne
Der Magnet bewegt sich also mit abnehmender Geschwindigkeit
en Ge
dt
C 2 . .
dem Punkte E # 5, Zu, wo er nach unendlicher Zeit stehen
€
bleibt. Der Vorgang ist der Form nach genau der nämliche
wie in dem Falle, wo ein Körper nach erhaltenem Stofse sich
in einem Mittel bewegt, das ihm einen seiner Geschwindigkeit
proportionalen Widerstand entgegensetzt; und dies ist die höch-
ste Stufe des Arago’schen Phänomens des Rotationsmag-
netismus.
$.IV. Übersicht der Bewegungsformen u,
und gedämpfter Magnete.
Je nach den Werthen von e und n nimmt also das Integral
der Fundamentalgleichung die fünf verschiedenen Formen an,
welche folgende Übersicht nochmals im Zusammenhange zeigt.
Nachtrag.
Ber Ewa 3. ee I lHAX)
(IIA) hu (4—2) —,2 (4+ s)} A) 5 a
near es a: Se +da23-
& ö < es
TU " 16 e) uns or (10) sod 1.03 —=
9 2 [tens o].3=
(7u) 509°
IP <
= = — pn =?
1) 3 ın] O0 =»? S
ur
I
) 8 . y ° IT t,,Vy =%
ae
GBEI+FVy):>2=%
(IILA) (a9) us (T—-Y)2--GH)so(g-+y)},o=x
(III)
. : (g-duley—r
®
ı =
IRUISRU.
Mi.
Dans
nn m
"yasıporiode Suns9nog
"asıporiod Suns9nag
8
[1869.]
816 Nachtrag.
Aus (IX) wird durch e=0 (XJ), durche=n (XIV); aus
(VID durch e=n (XIV), durch n=0 (XIX). Dieser Über-
gang der verschiedenen Formen in einander ist das analytische
Abbild des allmählichen Überganges, der in Wirklichkeit von
den Schwingungen des ungedämpften Magnetes bis zur völligen
Astasie des gedämpften Magnetes führt.
Die Schwingungsdauer des gedämpften Magnetes ist nach
Gauss |
= —— .. 0.0.0. (&M
ae |
Wird also = oder >n, d.h. die Bewegung aperiodisch, so
spricht sich dies darin aus, dafs der Ausdruck für die Schwin-
gungsdauer unendlich grofs, beziehlich imaginär wird.
Der Ausdruck für das in natürlichen Logarithmen ange-
gebene logarithmische Decrement der Schwingungen des ge-
dämpften Magnetes ist
27
N
Vr’ _- .°
Für e=n ist ? unendlich, schon die zweite Amplitude ver-
schwindet im Vergleich zur ersten. Für = >n ist % imaginär,
und auch so giebt sich die eingetretene Schwingungslosigkeit
zu erkennen. i
$.V. Aperiodische Bewegung mit Anfangs-
geschwindigkeit.
Wir wollen jetzt einen Fall betrachten, dessen Behandlung
wesentlich dazu beitragen wird, unsere Kenntnifs der aperio-
dischen Bewegung gedänipfter Magnete zu vervollständigen.
Dies ist der Fall, wo die Anfangsgeschwindigkeit nicht Null
ist, sondern einen negativen Werth — c, also im Sinne der
Richtkraft, besitzt. Die Constanten A und B werden bezieh-
lich in Gleichung (V])
use
27 x 27 i
und in Gleichung (V)
Nachtrag. 817
E, ——I@ —+ € E;
die Gleichungen selber
a, E —£E(e— r)} et — [e — £E(+ r)} e| ‚ &XXD)
Mr et lE—t(e— ed)! .:. (X&XIH)
Die Bewegung ist aperiodisch; übersteigt aber c in jedem
der beiden Fälle (XXII) und (XXIII) einen gewissen Werth, den
wir bald näher betrachten wollen, so wird der Nullpunkt über-
schritten. Noch ehe c diesen Werth erreicht, werden die Curven
der Ablenkungen und der Geschwindigkeiten von t=0 ab
convex gegen die Abscissenaxe. Im Falle ea tritt dies
z.B. ein bei c>14zE für erstere, beic > 4=£ für letztere Curve,
während, wie wir sehen werden, erst von c>e£ ab der Null-
punkt überschritten wird. Dies Überschreiten geschieht im
Falle (XXIlI) zur Zeit
1 c—£(e—r)
en log c—E£E(e+r)’
im Falle (XXIII) zur Zeit
£
co ze
Jenseit des Nullpunktes kehrt der Magnet in seiner Bewegung
um, im Falle (XXII) zur Zeit
un, ) ermäe in)
mar — 5, | 08 (—r)je—5 ( + rn)’
im Falle (XXIII) zur Zeit
c
maz 56 ®(c- DIR, mE
zu welchen Zeiten “= durch Null geht. Die Curve der Ab-
lenkungen ist vom Nullpunkt der Scale ab concav gegen die
Abseissenaxe der Zeiten; es erfolgt aber ein positives Maxi-
mum der Geschwindigkeit, sowie ein Wendepunkt der Curve
der Ablenkungen im Falle (XXII) zur Zeit
58°
318 Nachtrag.
} BER be .+nN’fe—Elte—n}
REIT (e — r)? je — &(e +n))’
im Falle (XXIII) zur Zeit
ae ee
Be
W e (c— ed s (e—e&)
Darauf nähert sich der Magnet von der anderen Seite her
asymptotisch dem Ruhestande. Auch die Öurve der Geschwin-
digkeiten nähert sich schliefslich asymptotisch der Abseissenaxe,
nachdem sie im Falle (XXII) zur Zeit
G+nNje-Ee nn)
erg (e—r)’ er)’ le—E(e-+n)’
im Falle (XXIHI) zur Zeit
ua 0 2:£
2 B (ce—e£)
einen Wendepunkt gehabt hat.
Die Zeiten to, tyanı tot, bilden also in beiden Fällen
Glieder einer arithmetischen Reihe, deren beständiger Unter-
schied im Falle (XXI)
im Falle (XXI) 1 beträgt [vergl. oben $. 812. 813, (XII,
€
XVL XV).
In Fig. 2 zeigt Et,mwt die durch (XXIII) dargestellte
Curve der Ablenkungen bezogen auf die Zeit, nebst der zuge-
hörigen Curve der Geschwindigkeiten (22£,t,m,w,t), unter
sonst denselben Annahmen wie in Fig. 1; die Curve der Ab-
lenkungen ist von ihrem negativen Maximum m ab dieselbe wie
in Fig. 1, nur mit verkleinerten Ordinaten. Die Anfangsge-
schwindigkeit ce ist in der Figur = 22 — 4 gesetzi.
Nachtrag. 819
Figur 2.
Da die Zeit in ihrem Fortschritt nicht negativ werden
kann, haben die Ausdrücke für t, eine wirkliche Bedeutung nur
wenn in dem auf den Fall (XXII) bezüglichen Ausdruck die
Gröfse unter dem Logarithmus positiv und > 1, also
a al ee
wo r, wie stets von hier ab, einen positiven Werth hat; oder
wenn in dem auf den Fall (XXIII) bezüglichen Ausdruck
EHE EN REN 9.3.0
ist. Noch für c=&(e-+r) im ersien, c=e£&; im. zweiten
Falle wird der Nullpunkt erst nach unendlicher Zeit erreicht,
und zwar nehmen dabei die Gleichungen (XXII) und (XXIII)
beziehlich die einfachen Formen an
820 Nachtrag.
a 00
ee ee
Ist r=:, oder gilt Gleichung (XX), so muls c= 2:
sein, damit der Magnet den Nullpunkt erreiche, und > 2:5,
damit er ihn überschreite Ist e=2:£2-+-ö, so bleibt er bei
Ö
— — stehen.
2
Zu
$. VI. Herleitung der Bedingung für die zum Über-
schreiten des Nullpunktes nöthige Anfangs-
geschwindigkeit.
Der Sinn der Bedingung für die zum Überschreiten des
Nullpunktes nöthige Anfangsgeschwindigkeit in den durch die.
Gleichungen (XXII) und (XXIII) dargestellten Fällen ergiebt
sich aus folgender Betrachtung. Es ist offenbar gleichgültig, ob
dem Magnete zu einer Zeit !,, wo er aus einer Ablenkung x,
fallen gelassen wird, eine Geschwindigkeit — c, ertheilt werde,
oder ob er zur Zeit t, bei x, anlangend, dieselbe Geschwindig-
keit — o= = durch Fallen aus einer höheren Ablenkung Z,
gleichsam als Fallgeschwindigkeit, erlange. Keine Fall-
geschwindigkeit —. die der Magnet bei x, durch Fallen von
einem beliebig hohen £ hätte erlangen können, würde also,
wenn sie dem Magnete beim Fallenlassen von x, zur Zeit ty
als Anfangsgeschwindigkeit — c, ertheilt würde, ihn über den
Nullpunkt führen. Denn obschon in Wirklichkeit die Anwen-
dung unserer Formeln der oben 8.809 erwähnten Beschränkung
unterliegt, gelten sie in der Idee für jeden denkbaren Werth
von £, und wenn also der Magnet die Geschwindigkeit
N durch Fallen von jenem beliebig hohen & erlangt
hätte, würde er sich asymptotisch der Ruhelage nähern.
| Die Rechnung bestätigt diese Schlüsse. Der Einfachheit
halber sei die Bewegung nur eben aperiodisch, d.h. e=n,
und demgemäfs ihre Gleichung [s. oben S. 812 .(XIV)]
2 Eh er
Nachtrag. 821
x, eine Ordinate zu tu. Indem wir den Coordinatenursprung .
von t= 0 nach t= t, verlegen, verwandeln wir der Form nach
den Vorgang in den durch Gleichung (XXI) dargestellten, und
haben also
ame kt) 120 page — oe eu) (XXVIM)
Es ist aber, nach Gleichung (XIV) und (XV),
Io = Eee 27 (1 — ty),
—= eig,
Diese Werthe in (XX VII) eingesetzt liefern wieder die ursprüng-
liche Gleichung (XIV), d.h. der Nullpunkt wird nicht überschrit-
ten, wenn dem Magnete bei x, eine Geschwindigkeit ertheilt
wird, wie er sie dort durch Fallen von einem beliebig hohen &
hätte erlangen können. x kann erst Null werden, wie Glei-
chung (XXVIHI) uns abermals vorführt, wenn
dxo
TE > EI; d.h. CH ZN
Dieselbe Schlufsfolge führt unter der Annahme => n zur Be-
dingung
— = nn .che,;, (ei ra,,
entsprechend der Ungleichheit (XXIV) auf S. 819. So: werden
wir darauf hingewiesen, dals ex, (e+ r)x vielleieht allgemein
die Grenzgeschwindigkeiten seien, die beziehlich für e=n,
<> n der Magnet bei x durch Fallen aus einer beliebig hohen
Anfangslage erlangen könne. Es handelt sich darum, die
Richtigkeit dieser Vermuthung zu prüfen.
Dazu müssen wir von der Betrachtung der Geschwindig-
d »
keit als Function der Zeit und Anfangslage = —e rl une
gehen zur Betrachtung der Geschwindigkeit als Function der
da ö
Ablenkung und Anfangslage Era (x, &). Letztere Function
nn
822 Nachtrag.
”
läfst sich nun zwar nicht explieit darlegen; dies verhindert
aber nicht, den Verlauf der entsprechenden Curve soweit fest-
zustellen, als für unsere Zwecke nöthig ist. Aus Gründen, die
bald einleuchten werden, berücksichtigen wir zunächst nur den
Fall == n, oder die Bewegungsgleichung (XIV).
Der Kürze halber setzen wir
dx dx dx
r " m
U a WI Ze un) — |
dt (eig dt |
Wir haben dann die Gleichungen
= +&E ei -+ ei
ee
PR E net. 5
Ei ecträee heile)
nn, DER EN
Eger RW:
Nun ist allgemein
dx’ gt d’x ta?
—m —, ——ı ———.
ER da? 2’?°
Hieraus ergeben sich, durch Einsetzen obiger Werthe für «', x”,
x", folgende Beziehungen:
ED rn N 1
a, bo a De
Mit Hülfe dieser Gleichungen läfst sich der Verlauf der gesuch-
ten Curve x’ —= f(x) zwischen den Grenzen «=0, 2 = des-
halb diseutiren, weil, während t von Null bis oo stetig wächst,
x stetig von £ bis Null abnimmt.
d? a!
Aus dem Werthe von EFE folgt zunächst, dafs die Curve
Ip
zwischen den angegebenen Grenzen keinen Wendepunkt hat,
sondern der Abseisse stets ihre Concavität zukehrt. Aus dem
U
Werthe von z folgt ferner, dafs die Curve bei x = 0 aus der
| E
Abscissenaxe herabsteigt unter einem Winkel, dessen Tangente
et
den absoluten Werth z hat. Sie hat dann für = -&VD
oder &—=-£ ein Maximum im’absoluten Betrage von —&, und
a|w
a|o
die Curve mit E ändert.
Nachtrag. 825
kehrt bei £ zur Abseissenaxe zurück mit darauf senkrechter
Tangente; denn für t = 0 ist
dx!
— oo EN
dz
Unter denselben Annahmen, wie den bei Fig. 1 gemachten, sieht
daher unsere Curve etwa aus, wie die ausgezogene Curve 0m&
in Fig. 3, in welcher die Geschwindigkeiten, obschon analy-
tisch negativ, der Anschaulichkeit halber über der Absceissenaxe
aufgetragen, und 08, &#, die Tangenten an den letzten Ele-
menten der Curve bei 0 und £ sind. Da wir in der Figur
: = 1 gemacht haben, ist der Winkel do£ = 45°.
%
x
U
Dies ist der allgemeine Verlauf der Curve für jeden Werth
von £. Es erübrigt sich ein Bild davon zu machen, wie sich
Sowohl die Ordinaten als die Ab-
scissen der Curve sind für ein gegebenes t# proportional £
(s. oben S. 813); die den verschiedenen Werthen des Parame-
ters £ entsprechenden Curven sind also einander ähnlich.
Da die Curven vom Nullpunkte sämmtlich unter dem Winkel
824 Nachtrag.
ausstrahlen, dessen Tangente = ist, während der £-Punkt auf
5
der Abscissenaxe weiter hinaus verlegt wird, so bilden die
durch Vergröfserung von £ aus 0m£ entstehenden Curven eine
Schaar, wie Fig. 3 in den punktirten Curven 0m1&1, Oma&5, ...
zeigt. Yalst man einen Punkt einer der Curven in’s Auge, so
rückt in dem Mafse, wie £ wächst, der Punkt auf der durch
ihn und den Nullpunkt gelegten Geraden
et
PT zer ini oe
weiter fort; denn alsdann wachsen Ordinaten und Abseissen
des Punktes proportional £ Z.B. das Maximum unserer Curve
i 1
x'=d(x,£) bewegt sich wegen t= n (XVI) auf der Geraden
n 1
a ah
9)
27
(s. Omm, my; m, in der Figur); der dem Wendepunkte der Curve
x = f(t,E) (s. oben $S. 821) entsprechende Punkt wegen t = a
e €
(XVII) auf der Geraden
: 2
=——:%
3
u.s. w.; endlich der dem Nullpunkte nächste Punkt wegen
t—= auf der Geraden
(s. 09 in der Figur).
Macht man zuletzt Z unendlich, und soll Gleichung (XIV)
für ein endliches x erfüllt sein, so muls auch ? unendlich sein.
Erst nach unendlicher Zeit trifft der aus dem Unendlichen fal-
lende Magnet im Endlichen ein, wobei seine Geschwindigkeit
für endliche Zeit unendlich ist. Im Endlichen aber besteht, wie
wir eben sahen, wegen {= ® in Gleichung (XXIX), zwischen
seiner Geschwindigkeit und Ablenkung in jedem Augenblicke
die Relation
Die durch diese Gleichung dargestellte Gerade 0% in der
Figur ist somit die Grenze, der sich im Endlichen
Nachtrag. 825
unsere Öurven nähern, wenn Zin’s Unendliche wächst; .
was schon aus ihrer Ähnlichkeit ohne Weiteres erhellt, übrigens
sich den Gleichungen (XIV) und (XV) auch unmittelbar ent-
nehmen läfst. Der durch Division beider Gleichungen erhal-
tene Werth von t in (XIV) eingesetzt giebt
a)
SE — (2-88) e 2’ +Ex;
eine Relation, die für E= ®» nur stattfindet, wenn «’ = — ew
ist. |
Damit sind wir am Ziele. In jeder für uns in Betracht
kommenden Entfernung vom Nullpunkte können wir die Ge-
rade 09 für die Curve selber nehmen, in der die Geschwin-
digkeit des aus verhältnilsmäfsig sehr grolser Ferne fallenden
Magnetes abnehmen würde; diese Abnahme geschähe den Ab-
lenkungen proportional. Die Ordinaten der Geraden 09 geben
folglich für jedes x die gröfste Fallgeschwindigkeit an, welche
der Magnet dort erlangen könnte, und mit der er also noch
nicht den Nullpunkt überschreiten würde. Setzen wir = £,
so folgt — :£ als gröfste bei £ erreichbare Fallgeschwindig-
keit. Es mufs also im Fall <= n dem Magnete bei £, da-
mit der Nullpunkt überschritten werde, eine Anfangsgeschwin-
digkeit c> 2 (XXV) ertheilt werden; und so hat in diesem
Fall unsere Vermuthung sich bestätigt.
Setzt man wie in Fig.2c=2:2=4, so zeigt die Ourve
(22£, + £',0) in Fig. 3, wie etwa die Curve der Geschwin-
digkeiten bezogen auf die Ablenkungen sich gestaltet, wenn
der Magnet in Folge einer ihm bei Z ertheilten Anfangsge-
schwindigkeit den Nullpunkt überschreitet. Das Stück (—£', 0)
der Curve ist natürlich nach demselben Gesetze gebildet wie die
Curven 0m&,0m,&,,..., und das verkleinerte Gegenstück dazu.
Die Gleichung F
ae (ce — ed))
[CXXITI) S. 817], welche im Fall z= n die Bewegung des
Magnetes mit der Anfangsgeschwindigkeit — c vorstellt, geht
für c = _c über in
[XXVI) S. 820]. Anstatt als Anfangsgeschwindigkeit, können
826 Nachtrag.
wir uns c=s£ jetzt aber auch als Fallgeschwindigkeit, durch
Fallen aus dem Unendlichen entstanden, denken, indem wir
annehmen, dafs die Zeit von dem Augenblick an, wo der aus
dem Unendlichen fallende Magnet durch die Lage £ hindurch-
ging, neu gezählt werde. Der aus dem Unendlichen nach un-
endlicher Zeit im Endlichen angelangte Magnet würde den
Nullpunkt also erst nach abermals unendlicher Zeit erreichen.
Übrigens stöfst hier die Umkehrung der Gleichung zwischen
x und t auf keine Schwierigkeit mehr, daher in diesem Falle
die Gleichung «’ = »p(x,&) selber darstellbar wird. Man hat
ZI ZEce et,
und indem man für e”°! seinen Werth aus (XXVII) setzt, er-
hält man dem Obigen entsprechend
Er Ent,
wie umgekehrt Gleichung (XXVII) aus der Integration des letz-
teren Ausdruckes hervorgeht, wenn man zur Oonstantenbestim-
mung. — &fürt —i0: Setzt:
Wendet man dieselben Betrachtungen auf den Falle>n
an, so findet man
GR. NET
Zu! r)
d&z et
d’.x' il Ir 3
da? Emmi slide, et
Die Curve = (x,£) ist also auch in diesem Fall ohne Wende-
punkt, concav gegen die Abscissenaxe, mit einem Maximum für
den oben (XIII) gefundenen Werth von t; die Tangente des Win-
kels am Nullpunkte beträgt <— r; am &-Punkte ist der Win-
kel ein rechter. Die Curven für verschiedene E sind einander
ähnlich. Für E= muls auch hier {= sein, wenn & end-
lich sein soll; als diesem Fall entsprechende Grenzgestalt der
- Curvenschaar erhält man aber hier die Gerade
a = — (e—r)a;
(e—r)E ist die bei & erreichbare Grenzgeschwindigkeit. Auch
hier folgt dasselbe unmittelbar aus dem durch Eliminiren von
t zwischen (VII) und (XII) erhaltenen Ausdruck
Nachtrag. 827
dessen rechte Seite für & = — (e— r)x unendlich wird.
Als obere Grenze der Anfangsgeschwindigkeit, welche dem
Magnete bei & ertheilt, ihn für 2> n noch nicht über den Null-
punkt führt, fanden wir oben S. 819 (XXIV) den Werth (e-+r)£.
In diesem Falle trifft also unsere Vermuthung hinsichtlich der
Bedeutung dieser Grenze in etwas anderer Form zu, als in dem
Fall=—=n. Es mufs die dem Magnete bei £ ertheilte Anfangs-
geschwindigkeit die bei £ erreichbare höchste Fallgeschwindig-
keit, unstreitig der stärkeren Dämpfung halber, noch um mehr
als 2r& übertreffen, damit der Nullpunkt überschritten werde.
Eliminirt man mit Hülfe von Gleichung (XXVI]I) { in der
durch Differenziren derselben Gleichung erhaltenen Gleichung
a = — E(e+nNettnt,
so ergiebt sich
«= —(e+r)a
als Gleichung der auf die Scale aufgetragenen Anfangsgeschwin-
digkeiten, welche den Magnet noch nicht über den Nullpunkt
führen. Als Gleichung der ebenso aufgetragenen Grenzge-
schwindigkeiten beim Fall aus dem Unendlichen fanden wir
so eben
"= —(e—r)e.
Die Integration dieser Gleichung liefert, wenn man für t—= 0
abermals x = E macht, zwischen x und i die Relation
D — RT
Für r=s hat man "= 2: (£—x)—c. Eırhielte der
völlig astatische Magnet bei & die Geschwindigkeit — 22£, so.
nähme diese in der Geraden «’ = — 2ex ab (s. S.8314(XX), 820).
$. VII. Verhalten aperiodisch sich bewegender Mag-
nete bei kurzer Einwirkung eines Stromes.
Setzen wir jetzt den Fall, zur Zeit Null wirke ein con-
stanter Strom von der Stärke 7 eine sehr kurze Zeit + auf
828 Nachtrag.
den in seiner Ruhelage befindlichen Magnet. Der Strom wird
dem Magnet eine, diesmal positive Geschwindigkeit
Be ulz
e=
7 ea
ertheilen, wenn wir mit M sein TTrägheitsmoment, mit u» das
Drehungsmoment bezeichnen, welches der Strom von der Stärke
Eins in dem Multiplicatordraht auf den Magnet in seiner Ruhe-
lage übt. Die Constanten A und B in der allgemeinen Glei-
chung (VI) findet man, wenn man für {= r (sehr nahe) = 0,
= — 0 und = = c setzt, beziehlich (sehr nahe)
C C
== — — und En ee
27 2r
und man erhält als Gleichung der Bewegung
C
a ER UI Noel
2 — —_ (e € )
.IRRRE
Der Magnet kehrt also um zur Zeit .
ii e-+r
t — — Jo
Max. 7 ar
Se
und nähert sich wieder asymptotisch der Ruhelage. Einfacher
gestalten sich ‚auch hier die Dinge für den Grenzfall e=n.
In der allgemeinen Gleichung (V) wird unter den eben ge-
machten Voraussetzungen A=0 und B=c, die Gleichung sel-
ber wird
w—tie 2. 0120 RR SR
Die Curve der Ablenkungen ist am Ursprunge concav gegen
die Abseissenaxe, ihre Ordinate erreicht bei
Ir
t
na = (XXX)
ein Maximum im Betrage von
RB 0e .,
dem bei
Nachtrag. 829
ein Wendepunkt folgt. Der Ausdruck für .t,,.. erlaubt durch
einen beliebigen dem Magnet ertheilten Stromstols = = n nume-
risch zu bestimmen. Die Curve der Geschwindigkeiten hebt bei
— 0 mit der Ordinate c an, und ist convex gegen die Abseis-
senaxe, bis sie diese bei £,,.„. Schneidet. Sie erreicht zur Zeit
t, ein negatives Maximum und hat einen Wendepunkt bei
s o
) =
Le
In
Die oben S. 818 bemerkte arithmetische Reihe der Zeiten kehrt
also hier wieder.')
$. VIII. Verhalten aperiodisch sich bewegender Mag-
nete bei Ablenkung durch einen beständigen Strom,
und bei Stromschwankungen.
Bewegt sich der Magnet unter dem Einflufs eines ihn auf
dem Nullpunkte zur Zeit Null treffenden beständigen Stromes
von der Stärke /J, aber von längerer Dauer, einer neuen Gleich-
gewichtslage unter dem vereinten Einflusse dieses Stromes und
der Richtkraft zu, so wird die Differentialgleichung der Bewegung
d’a dı r
Tone be.
wo die Constante k die innerhalb derselben Grenzen, welche
für die Proportionalität der Richtkraft und der Ablenkung gel-
ten, von der letzteren unabhängige ablenkende Kraft, dividirt
durch das Trägheitsmoment, vorstellt. Das allgemeine voll-
ständige Integral heifst jetzt
A
4
2
Rn
0 (Acta Bet)... 2 ARX
!) Für den Fall e<n hat Hr. W. Weber die Formel entwickelt
F
T
2 arct 2
’ — Te EN ig
Unax 7 € er 2 A
wo 7 die Schwingungsdauer ohne Dämpfung, X das logarithmische De-
crement bedeuten (Elektrodynamische Mafsbestimmungen n.s. w. Leipzig
1850. S. 346. Anm.), Diese Formel ist für e = n identisch mit unserer
Formel (XXXIV).
830 Nachtrag.
N | dx
Indem man, für =0,2r=0 und Zen 0 Setzt, erhält man
a ee
n” 97 n” 27
Bezeichnet man mit H die horizontale Componente der Erd-
kraft, mit m das magnetische Moment des Magnetes für parallele
Kräfte, und bemerkt man, dafs
5 mH
Er er dari (XXXV)
so findet man
C MI 5
n? mH
Durch Einsetzen der Werthe für A, B und & in (XXXV) wird
n
Be MI
""mH
: <= = (e-+ net (er) ey, (XXXVII)
Die Bewegung erfolgt also, wie zu erwarten, nach demselben
Gesetze wie beim Fallenlassen des Magnetes, nur dafs an die
Stelle von £ der Nullpunkt, an die des Nullpunktes die be-
Tas
ständige Ablenkung - jr tritt, welche, ohne überschritten zu
werden, schwingungslos und in der Theorie erst nach unend-
licher Zeit erreicht wird. Ä
Für ==n kommt in Gleichung statt des von
ı abzuziehenden Termen
Er)
zu stehen. |
$. IX. Sonstige Combinationen von Lage und Ge-
schwindigkeit des Magnetes und von ihn treffenden
Kräften.
Trifft ein positiver Stromstols den Magnet im Augenblicke
des Fallenlassens, so gelten die Formeln (XXII) und (XXIII),
nur dafs c sein Zeichen ändert. Der Magnet schlägt weiter
aus, kehrt um und nähert sich asymptotisch denı Nullpunkte.
Wird der im Fallen begriffene Magnet bei x, zur Zeit t,
von einem Stofse getroffen, der ihm eine Geschwindigkeit = €
Nachtrag. 831
ertheilt, so tritt eine Discontinuität der Bewegung ein. Je
nachdem = > oder = n, gelangt man zu den Gleichungen
u n ((e br r) Bar r) (ı + Kr. (e en r) al
N ne ORRIEN)
27
ee re td FEetet . . (XRXDO
Hier ist t die vom Augenblicke des.Stofses an neu gezählte Zeit.
Das rechte Glied von Gleichung (XXXVIII) und (XXXIX) ist
die algebraische Summe der rechten Glieder beziehlich von
Gleichung (VII) und (XXXI), Gleichung (XIV) und (XXXII),
nur dafs im ersten Term t, + t für t steht: es findet, wie dies
nicht anders sein kann, Superposition der Bewegungen statt.
Ist c negativ, so kann hier wieder der Nullpunkt über-
schritten werden; doch mufls im Falle (XXXVIII)
> lehnen,
im Falle (XXXIX)
En EX
dt ;
sein (vgl. oben $. VI).
Schwankt ein beständiger Strom, der den Magnet abgelenkt
hält, so dafs seine Stärke von / sich plötzlich zu 7, ändert,
so erhält man, je nachdem e> oder =n, die Gleichungen
7
ei
Tr + (I — ee re l
14
mH
we ra nera-+a);
der Magnet geht schwingungslos in die neue Lage über.
Ein Hin- und Hergang des aperiodischen Magnetes ist nur
möglich, wie man jetzt auch ohne Rechnung sicher schliefsen
kann, wenn die Gleichgewichtslage selber bei positiver Schwan-
kung der Stromstärke wieder zurück-, bei negativer Schwankung
wieder vorspringt, und wenn entweder dieser zweite Sprung
die Gleichgewichtslage wieder auf die andere Seite des Magnetes
[1869.] 59
832 Nachtrag.
verlegt, oder der zweite Sprung zu einer Zeit geschieht, wo in
Folge des ersten Sprunges der Magnet noch eine dem zweiten
Sprunge entgegengesetzte Geschwindigkeit hat; im letzteren
Falle darf aber, soll die neue Gleichgewichtslage überschritten
werden, diese Gleichgewichtslage höchstens in solcher Entfer-
nung £, vor dem ihr entgegenkommenden Magnete stehen blei-
ben, dafs seine Geschwindigkeit, je nachdem => oder =n,
beziehlich noch > (e+r) £E, oder >s£, ist (vgl. oben $. VI).
$.X. Nähere Bestimmung der experimentellen Be-
dingungen, unter denen die Bewegung gedämpfter
Magnete aperiodisch wird.
Es wird jetzt nützlich sein, in den Ausdruck
r— (rn
statt der von Gauss aus analytischen Gründen angenomme-
nen und bisher auch von uns benutzten Symbole 2: und n? die
wirklichen Gröfsen zu setzen, die darin eingehen. Für n?
haben wir schon oben seinen Werth u eingeführt (XXXVI]I),
den wir aber noch näher so bestimmen wollen, dafs wir für m
schreiben (: ++,A)m', wo ı die permanente, + die durch 7
indueirte'!) Intensität des Magnetes, m’ sein Moment für parallele
Kräfte bei der Intensität Eins bedeuten. Man hat also
RR
N W .
Bezeichnen wir sodann mit m’ das Drehungsmoment, wel-
ches für die magnetische Intensität Eins auf den Magnet aus-
geübt wird durch eine Strömung im Dämpfer, wie sie der
Magnet bei seiner Winkelbewegung erzeugt, und mit = eine
Constante, welche unter anderen die Inductionsconstante und das
Leitvermögen des Dämpfers zu Factoren hat, so ist |
1!) Lamont im Repertorium der Physik. Berlin 1846. Bd. VI.
S.LIV. — Vergl. meine Untersuchung über den Einflufs, den die tem-
poräre Magnetisirung der einzelnen Nadeln einer astatischen Doppelnadel
durch die Erde auf die Gleichgewichtslage des Systemes übt. Poggen- |
dorff’s Annalen u.s.w. 1861. Bd. CXL. S.1.
|
|
Nachtrag. 833
23 zw ?’( +,H)’
a A a
M
Durch Einsetzen dieser Werthe wird
= = + yH V+’w*(. ++,H)’— 4m HM »-
Bei gleicher Dämpfung wird also r um so eher = 0
oder reell, d.h. die Bewegung des Magnetes um so eher ape-
riodisch, je kleiner M, und je kleiner 7. Zwar nimmt, durch
Verkleinern von 7, auch der erste Term unter dem Wurzel-
zeichen ab, doch ist z so klein, dafs diese Abnahme neben der
des zweiten Termen hier nicht in Betracht kommt.
Da es Gauss bei seinen Zwecken, wie wir sahen (vergl.
oben S. 808), nicht daran lag, den aperiodischen Zustand her-
beizuführen, so hat er nicht daran gedacht, statt durch Ver-
gröfsern von zw’, dies durch Verkleinern von ZM zu thun,
wozu sich zunächst das einfache Mittel bietet, die Wirkung der
Erdkraft auf den Magnet zu schwächen, und so Z zu vermin-
dern. Dazu wird im Prineip jede der drei Methoden des Asta-
sirens taugen: die Verbindung zweier Magnete zur Doppelnadel,
die Aufstellung der Drehungsaxe des Magnetes in der Richtung
der Inelinationsnadel, endlich das Hauy’sche Verfahren, bei
dem ein verkehrt genäherter Magnetstab der Erde entgegenwirkt,
aus einleuchtenden Gründen jedoch am besten die letztere Me-
thode, deren ich mich zu meinen thierisch-elektrischen Versuchen
längst ausschliefslich bediene. Bei dieser wird, wenn $ die hori-
zontale Componente der Kraft des Hauy’schen Stabes bezeichnet,
m? + y(H —S)?
eur on ae ee (X)
1 Vo afor
OR a Bu S) Vr’w® .+r(H—S)} ® — 4m’(H—S)M.
| An der Wiedemann’schen Buüssole, welche mit einem
| ‚starken Dämpfer versehen ist!), gelingt es daher ohne jede
!) In den von Hrn. Sauerwald vortrefflich gebauten Exemplaren
besteht der Dämpfer aus einem kupfernen Cylinder von 60mm Durch-
messer und 30mm Länge Dieser Cylinder ist seiner Axe nach von
59°
834 Nachtrag.
Schwierigkeit, durch fortgesetzte Annäherung des von mir daran
angebrachten Hauy’schen Stabes den Magnetspiegel in den
aperiodischen Zustand zu versetzen. Um bequem darüber zu
experimentiren, leitet man von dem Strom einer beständigen
Kette mittels des Compensators ') einen Zweig durch die Rol-
len der Bussole und unterbricht den Stromzweig mittels eines
Schlüssels im Bussolkreise. Indem man den Magnet stets aus
der nämlichen Ablenkung ohne Anfangsgeschwindigkeit fallen
läfst, sieht man zuerst in dem Malse, wie man den Hauy’schen
Stab nähert, das logarithmische Decrement wachsen. Dann kommt
ein Punkt, wo zwar der Magnet noch über den Nullpunkt hinaus-
schwingt, aber keine dritte Elongation mehr unterschieden wer-
den kann. Die zweite Elongation wird endlich auch unmerk-
lich, und nun ist das logarithmische Decrement unendlich
geworden, und der aperiodische Zustand da. Dieser Punkt
läfst sich natürlich nicht mit vollkommener Schärfe bestimmen,
wegen der Schwierigkeit zu unterscheiden, ob eine rückgängige
Bewegung des Magnetes um wenige Zehntel eines Scalentheiles,
welche mehrere Secunden dauert, wirklich als Rückkehr zur
Gleichgewichtslage aufzufassen sei. Übrigens handelt es sieh
hier zuletzt um ziemlich kleine Verschiebungen des Hauy’-
schen Stabes. Scheint der aperiodische Zustand eben erreicht
und entfernt man den Stab wieder auch nur um 1”” bei
etwa 300”m Abstand seiner Mitte von der des Spiegels,
so wird bei gröfseren Fallhöhen der Nullpunkt sogleich wie-
der um 1— 2° überschritten. Es wird sich daher fortan em-
pfehlen, den Stab auch in der Richtung nach dem Magnete zu
mit einer mikrometrischen Bewegung zu versehen.
Läfst man jetzt den Magnet aus sehr hohen Ablenkungen,
weit über die Grenzen der Theilung hinaus, fallen, so wird
einer concentrischen, cylindrischen Höhlung von solcher Weite durchbohrt,
dafs der 20mm jm Durchmesser haltende Magnet-Spiegel oder -Ring
darin eben frei spielt. Vergl. übrigens Wiedemann, Die Lehre vom
Galvanismus u.s.w. Braunschweig 1863. Bd. II. S. 198. 8.181.
1) S. meine: Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen
u.s.w. Aus den Abhandlungen der Akademie 1862. Berlin 1863. 4°.
110%
Nachtrag. 835
der Nullpunkt noch mehr oder weniger überschritten. Man
bringt es aber, durch ferneres Annähern des Stabes, leicht
dahin, dafs auch der von 90° fallende Spiegel sich schwin-
gungslos auf den Nullpunkt einstellt. Jenes Überschreiten
erklärt sich vermuthlich so, dafs bei weit über die Scale
hinausgehenden Ablenkungen zwar die Richtkraft langsamer
wächst als die Bögen, noch schneller aber die Dämpfung durch
die cylindrische Kupferhülse abnimmt, daher der Magnet bei
dem £, wo unsere Gesetze merklich zu gelten anfangen, mit
einer Geschwindigkeit anlangt, die ihn befähigt, den Nullpunkt
zu überschreiten, so lange nicht r einen gewissen Werth über-
trifft (vergl. oben $. VD. Bei einer sphärischen Hülse würde
aller Wahrscheinlichkeit nach kein solehes Überschreiten statt-
finden.
Nähert man den Stab dem Magnet immer mehr, so schlägt
der Magnet um. Vorher kommt natürlich der Punkt, wo er
völlig astatisch, n= 0 und r =: ist, wo er also durch den
oben 8.814 theoretisch abgeleiteten Zustand hindurchgeht, in
welchem er sich gleich einem Körper bewegt, dem das um-
gebende Mittel einen seiner Geschwindigkeit proportionalen
Widerstand entgegensetzt. Aus Gründen, die keiner Ausführung
bedürfen, vermag die Beobachtung diesen Zustand nicht zu er-
fassen. Darüber hinaus gehorcht die Bewegung wieder dem
durch Gleichung (VII) ausgesprochenen Gesetze, um schliefslich
durch den Grenzfall (XIV) hindurch von Neuem periodisch zu
werden.
Wir werden im Folgenden den Begriff der Beruhigungs-
zeit des Magnetes brauchen. Es ist die Zeit, welche verfliefst
vom Augenblicke, wo der abgelenkte Magnet fallen gelassen wird,
bis zu dem, wo seine Ablenkung unmerklich, d.h. kleiner als
eine bestimmte kleine Gröfse, etwa ein Zehntel Scalentheil,
wird. Die Umstände zu kennen, welche diese Zeit verkleinern,
ist von praktischer Wichtigkeit. Zu wahrhaft scharfer Mes-
sung eignet sich übrigens die Beruhigungszeit nicht; nament-
lich bei hoher Astasie ist schwer zu sagen, wann die Bewe-
gung ein Ende hat. Da bei gleichem £ die Ablenkung des
schwingungslos zum Nullpunkte zurückkehrenden Magnetes &
proportional ist (s. oben S. 812.813), so wächst auch die Be-
z
836 Nachtrag.
ruhigungszeit mit &£ Der unten näher zu beschreibende Mag-
netspiegel I z. B. brauchte bei 298"M5 Abstand des Hauy’schen
Stabes, wo seine Bewegung zuerst aperiodisch schien, von
E = 25“ fallend 4,2, von & = 500° fallend 5,2 Secunden zur
Beruhigung. Deutlicher wird der Unterschied bei höherer Asta-
sie, wie sie durch Annähern des Stabes erreicht wird, und wo-
bei, wie wir bald näher sehen werden, die Beruhigungszeit auch
absolut gröfser ist. Bei 282"m5; 2772m5 Abstand des Stabes
betrug die Beruhigungszeit des von £ = 25° fallenden Spie-
gels beziehlich 10,0; 20,0, die des von E = 500° fallenden
17,6; 29,6 Secunden.
Wir kehren zu den Bedingungen zurück, unter welchen
die Bewegung gedämpfter Magnete aperiodisch wird. Eine
zweite Art, unter übrigens gleichen Umständen r = 0 oder reell
zu machen, wäre nämlich die Verkleinerung des Trägheits-
momentes M. Es liegt in der Natur der Dinge, dafs man,
ohne besondere Einrichtungen, diese nicht stetig und nicht
am sonst fertigen Apparate vornehmen kann. Aber je klei-
ner M, je dünner z. B. bei sonst gleicher Gestalt ein Mag-
netspiegel ist, bei um so kleinerem S, d.h. bei um so ge-
ringerer Astasie wird seine Bewegung aperiodisch. Dies ist
einer der Gründe, aus denen weder Gauss, noch sonst Einem
der vielen Beobachter, die an gedämpften Magneten mit Spie-
gelablesung thätig waren, der aperiodische Zustand aufge-
stolsen ist, da an den nach Göttinger Vorschrift eingerichteten
Magnetometern Stäbe von sehr grofsem Trägheitsmomente an-
gewendet wurden, und man überhaupt Magnete von kleiner
Masse wenig gebraucht hat, weil man die schnellere Abnahme
ihrer Intensität fürchtete. Der Gebrauch leichterer Magnete
empfiehlt sich aber für gewöhnlich hier deshalb, weil, ganz als
ob der Magnet noch schwänge, durch Verkleinerung des Träg-
heitsmomentes die Beruhigungszeit des aperiodisch sich bewegen-
. den Magnetes verkürzt wird. Setzt man in Gleichung (XIV)
[04
os
eo
c
wo « eine Constante, und differenzirt man nach M,
so erhält man für —— einen positiven Werth: » ist für gleiche
dM
Zeiten um so kleiner, je kleiner M.
Nachtrag. 837
Die Erfahrung bestätigt diesen Schlufs. Ich habe den
aperiodischen Zustand bisher an drei Magneten beobachtet.
Zwei davon sind kreisrunde Stahlspiegel von 20%" Durchmes-
ser, deren einer, der schon erwähnte Spiegel I, nur etwa 0W8,
der andere, III, etwa 4”®% dick ist; I wiegt 25414, III 10%°994.
Der dritte Magnet, I, ist ein kreisrunder Stahlring von gleich-
falls 20” äulserem Durchmesser, der gleichsam aus einem qua-
dratischen Prisma von 2”” Seite gebogen ist. Ein Schildpatt-
stäbehen verbindet ihn mit einem dünnen Glasspiegel, dessen
dünne Messingfassung sich um die Senkrechte drehen läfst. Das
ganze System wiegt 2%917; sein Trägheitsmoment hält noth-
wendig die Mitte zwischen dem von I und III. Zwar gehört
der Ringmagnet zu einer anderen Bussole als die beiden Mag-
netspiegel, da aber die Dämpfer beider Bussolen. wesentlich
gleich sind, lassen die Beobachtungen in beiden sich wohl ver-
gleichen. In der folgenden Tabelle ist 7 = ?.m das logarithmische -
Decrement in Briggs’schen Logarithmen, deren Modul m; Z,
und &,, sind in Secunden die Beruhigungszeiten der Magnete
beziehlich ohne Hauy’schen Stab und mit Stab; 4’ ist in
Millimetern die Entfernung des Stabes, bei der die Bewegung
aperiodisch wurde: bei dieser Bestimmung wurde in beiden
Bussolen derselbe Stab angewendet.
5 —=.450°%,
Magnet Ohne Stab Mit „Stab, a.=ın A, 8-8,
SER Fe
I 72.408.858 oo ee
u 0,45 11,2 & 8,8 280,5 2,4
III 0:38 929,1 oo PASTE TIAEE
Das logarithmische Decrement des Magnetes I ist das
gröfste, welches meines Wissens bisher beobachtet wurde. Wie
man sieht, wächst auch an der Grenze der periodischen und der
aperiodischen Bewegung die Beruhigungszeit der Magnete schnell
mit ihrem Trägheitsmoment, und in einem umgekehrten Verhält-
nils zu diesem steht die Entfernung, bis zu welcher der Hauy’-
sche Stab genähert werden muls,. um die Schwingungslosigkeit
herbeizuführen.
838 Nachtrag.
$. XI. Die Beruhigungszeit des gedämpften
Magnetes in ihrer Abhängigkeit von dessen ver-
schiedenen, im Vorigen betrachteten Zuständen.
Über den Einflufs der Dämpfung auf die Beruhigungszeit
des Magnetes lernten wir schon eine Andeutung von Gauss
kennen. Er sagt (s. oben S. 808), dafs „die Annäherung an
„den Ruhestand wieder langsamer geschieht, sobald z den Grenz-
„werth n überschreitet.“ Setzt man in Gleichung (IX) oder (X)
t—= NT,, wo N die Zahl der Schwingungen, 7, die Schwin-
gungsdauer des gedämpften Magnetes bedeuten, so ist
ei ee
Imax 7 Ge 2
der Ausdruck für die mit wachsendem N abnehmenden Ampli-
7
Vn’— :?
XXI, S. 816], und wächst mit «. Denkt man sich zwei
solche Werthe von N und von s, dals NT, = N’T,, so wird
die kleinere Amplitude zum gröfseren e und kleineren N gehö-
. ren: die Beruhigungszeit des noch schwingenden Magnetes nimmt
mit wachsendem ze ab. Differenzirt man ferner Gleichung (VII)
tuden des von &£ fallenden Magnetes.. 7, ist —
dx SSR.
nach &, so findet man Te positiv für jeden Werth von t>0:
die Beruhigungszeit des schwingungslosen Magnetes nimmt also
mit wachsendem e zu; und somit ist die Gauss’sche Bemer-
kung erwiesen. ,
Diese Bemerkung pafst jedoch nicht auf unseren Fall.
Denn während Gauss nur an ein Wachsen von e durch Ver-
grölserung der dämpfenden Metallmenge dachte, verkleinern wir
n, zugleich aber in geringerem Mafse e, ohne das Verhältnifs
zu kennen, in welchem letzteres geschieht. Betrachten wir zu-
nächst den aperiodischen Zustand, und berücksichtigen wir allein
die durch Verkleinern von n bewirkte Vergröfserung von r,: in-
‘ dem wir Gleichung (VII) nach r differenziren, so ergiebt sich
= für jeden Werth von 2>0 als positiv. Von dem Grenz-
falle r = 0 an also bis zur=e wächst x für ein gegebe-
nes t, oder es findet die Annäherung an die Ruhelage um so
langsamer statt, je kleiner n, bis endlich der völlig astatische
Nachtrag. 839
Magnet überall stehen bleibt (vergl. oben S. 814). Berück-
sichtigen wir nun auch die Verkleinerung von s, so wird zwar
durch diese den Einflufs des Wachsens von .r insofern etwas
vermindert, als r selber dadurch langsamer wächst. Setzen wir
aber * constant, und differenziren (VII) nach z, so ergiebt sich
- diesmal als negativ für jeden Werth von 2>0. Die mit
der Verkleinerung von n verbundene Verkleinerung von e, so-
weit es nicht unter dem Wurzelzeichen steht, wirkt also mit
jener in gleichem Sinne, d.h. vergröfsernd auf x, und demge-
mäfs lehrt die Erfahrung, -dafs mit abnehmender Entfernung A
des Hauy’schen Stabes die Beruhigungszeit schnell‘ zunimmt.
So war z.B. bei Magnet I für Z = 450° und
m 0er
kun, d. —=.293,5% eye ;0
le Ah Au 1280
ee he
EEE RE N
33 3
nn 2785 nn 40,05
bei weiterer Annäherung wurde der Magriet unstet und schlug
um. Bei Magnet III war
urn, AN=77, 00 EHTT,5
funnl)=t272,08 EN 4050
Darüber hinaus war keine Messung mehr ausführbar. Diese
Zahlen zeigen auf’s Neue, wie der leichte Spiegel schon bei
geringer Astasie aperiodisch wird, während beide Spiegel bei
ungefähr derselben Nähe des Stabes aufhören brauchbar zu
sein; woraus sich für den leichten Spiegel ein ungleich gröfse-
rer benutzbarer Spielraum aperiodischer Astasie ergiebt als für
den schweren.
Ist die Bewegung Soc periodisch, so kann man dieselbe
Betrachtung anstellen, wie oben. Die abnehmenden Amplituden
haben wieder zum Ausdruck
eNr
—eNT
2 —= £e ı— ee
5 & Vn2-e2 er
allein der Exponent verändert sich jetzt so, dafs n kleiner
wird, während auch , nur in viel geringerem Mafse, abnimmt.
Denkt man sich wieder zwei solche Werthe von N, und von n
840 Nachtrag.
und e, dafs NT, = NT! ‚ so wird diesmal die kleinere Am-
plitude dem gröfseren N entsprechen. Annäherung des Stabes
mülste zur Folge haben, dafs der Magnet langsamer schwänge,
und dafs zugleich seine Amplituden etwas langsamer abnähmen:
seine Berubigungszeit mülste durch den Einfluls des Stabes
etwas grölser werden.
So sicher dieser Schlufs erscheint, so straft ihn doch die
Erfahrung Lügen. Die Spalte 2, — 23,, der Tabelle auf S. 837 - |
zeigt, dafs vielmehr die Beruhigungszeit des eben schwingungs-
los gewordenen Magnetes um keinen geringen Bruchtheil klei-
ner ausfällt als die des nicht astasirten. Den Grund dieser
Abweichung suche ich in dem Widerstand der Luft. Da die-
ser mit der Geschwindigkeit wächst, so mufs die dadurch be-
wirkte Verzögerung im Falle von Schwingungen grölser sein
als bei schwingungsloser Rückkehr zum Nullpunkte, gleiche
Beruhigungszeit in der Luftleere und gleiche Fallhöhe voraus-
gesetzt. Man könnte einwenden, dafs dann der Unterschied
2, — %, bei dem schweren Spiegel verhältnilsmäfsig kleiner
sein mülste als bei dem leichten, wovon eher das Gegentheil
zutrifft. Allein der Hauptsitz des Luftwiderstandes ist unstrei-
tig der ringförmige Spalt zwischen Spiegelrand und Dämpfer,
und dieser Spalt ist bei dem schweren, dicken Spiegel, wenn
auch nicht überall gleich eng, fünfmal so lang als bei dem
leichten, dünnen Spiegel. Trotz der gleichen Gröfse und Ge-
stalt der Flächen beider Spiegel erfährt also der dickere einen
srölseren Widerstand, und der Unterschied der Widerstände ist
vermuthlich so grols, dafs er den Unterschied der Massen über-
wiegt. Versuche zur Prüfung dieser Hypothese habe ich noch
nicht angestellt. Wie dem auch sei, für den Gebrauch ergiebt sich,
dafs der Zustand der eben eingetretenen Schwingungslosigkeit
des Magnetes zugleich den Vortheil der kleinsten Beruhigungszeit
gewährt, welche die angewandten Vorrichtungen gestatten.
$. XII. Bestätigung der für den Fall einer Anfangs-
geschwindigkeit theoretisch gefundenen Bewegungs-
gesetze aperiodischer Magnete.
Läfst man auf den aperiodisch sich bewegenden Magnet
einen beständigen Strom von längerer Dauer wirken, der ihn
Nachtrag. 841
innerhalb der Grenzen der Theilung, d. h. bei 2300”"m Abstand
der Scale vom Spiegel um etwa 7° ablenkt, so sieht man ihn
in derselben Art, wie er beim Fallen sich auf den Nullpunkt
begiebt, sich der neuen Gleichgewichtslage zu bewegen und
schwingungslos dort einstellen. Doch ist zu bemerken, dafs
wenn = nur eben = n und die Ablenkung sehr grofs ist, der
Magnet sie um 2—3°° überschreitet, obschon er von ihr herab-
fallend den Nullpunkt ohne Schwingung erreicht. Auch dies
rührt wohl, wie das Überschreiten des Nullpunktes bei über-
grolsen Fallhöhen (s. oben S. 835) von der Verminderung der
Dämpfung mit steigender Ablenkung her.')
Um die Anfangsgeschwindigkeit c sowohl wie die Ablen-
kung E gehörig abstufen zu können, traf ich die in Fig. 4
sichtbare Anordnung. Hier ist M der Magnetspiegel an seinem
Faden und in seiner im Durchschnitt gezeichneten dämpfenden
Kupferhülse DD’, HS der Durchschnitt des Hauy’schen Sta-
bes, X die Grove’sche Kette, Sch ein Schlüssel, RA ein Rheo-
chord, 7 die Haupt-, N die Nebenrolle eines Schlitteninducto-
riums gröfserer Art, R, eine der Thermorollen, endlich R, eine
der gewöhnlichen feinen Hydrorollen der Bussole. Die Theile
der Anordnung, die eine merkliche Fernwirkung auf einander
übten, sind durch punktirte gerade Linien verbunden. Die von
Mitte zu Mitte gemessene Entfernung zwischen 7 und N nen-
nen wir B. Bei geschlossenem Schlüssel Sch hält die Rolle
R, den Magnet abgelenkt; durch Öffnen des Schlüssels läfst
1) Da das Überschreiten der Ablenkung nieht mehr stattfindet, wenn
e merklich > n, so wird es wenigstens sehr unwahrscheinlich, dafs die
Erscheinung auf einer Unbeständigkeit der angewandten Grove’schen
Kette beruht, woran man nach den Erfahrungen der HH. Edlund und
Rijke (Poggendorff’s Annalen u.s.w. 1849. Bd. LXXVIL. S.182; —
1857. Bd. CH. S. 508) über die gröfsere Stärke der Schliefsungs- im
Vergleich zur Öffnungs-Induction auch bei den sogenannten beständigen
Ketten deshalb hätte denken können, weil meine Hülfsmittel gestatten,
durch die Ablenkung der Magnetnadel den Zustand der Kette nach der
Schliefsung früher zu beobachten, als dies wohl je möglich war. Für
diese Deutung liefse sich freilich noch immer sagen, dafs bei e>n die
Zeit, innerhalb der die Beobachtung geschieht, vergröfsert wird (s. oben
S. 839).
842 Nachtrag.
Fig. 4.
EREUIBEERATSTIRRT: ©
©iBEEiGe
3
Rh
‘ man den Magnet fallen, und ertheilt ihm zugleich eine An-
fangsgeschwindigkeit im Sinne der Richtkraft durch den in
N indueirten Nebenstrom, dem dazu die passende Richtung zu
geben ist. Die Ablenkung sowohl wie der Stromstols läfst
sich auf doppelte Art regeln, jene durch das Rheochord und
durch Verschieben der Rolle R,, diese durch Verschieben der
Nachtrag. 843
Rollen N und R,;; abgesehen von dem Einlegen von Drähten
in H, welches aus gleich zu erwähnenden Gründen zu vermei-
den ist. So gelingt es leicht, eine hinlängliche Anfangsge-
schwindigkeit zu erzeugen, damit auch bei e>n der Null-
punkt überschritten werde; von der jenseitigen Ablenkung kehrt
der Magnet schwingungslos zum Nullpunkte zurück. Aufserdem
bietet die dargestellte Anordnung auch Gelegenheit, unsere For-
meln etwas schärfer auf die Probe zu stellen.
Dazu bringt man zuerst die Rolle R, in solche Lage,
dafs der Magnet keine merkliche Wirkung mehr von ihr er-
fährt, wie dies in der Figur durch die punktirte Leitung
und Rolle Sch R, K angedeutet ist. Die Rolle Z hat gleich-
falls, diese aber dauernd, solche Lage, dafs sie nicht merk-
lich auf den Magnet wirkt. Zweitens entfernt man N von H
so weit, dafs beim Schliefsen und Öffnen bei Sch der Spiegel un-
bewegt bleibt. Jetzt bringt man R, wieder in solche Lage,
und ertheilt dem Strom durch das Rheochord solche Stärke,
dafs der Spiegel bis an die Grenzen der Scale abgelenkt wird.
Indem man ihn aus stets gleicher Höhe durch Öffnen bei ‚Sch
öfter fallen läfst, sucht man die Entfernung des Hauy’schen Sta-
bes A’ auf, bei der die Bewegung des Magnetes eben aperiodisch,
oder e=nist. Diese Entfernung muf[s nach Herstellung der
beschriebenen Anordnung von Neuem bestimmt werden, auch
wenn z schon früher =n gemacht worden war, weil zur Däm-
pfung durch die Kupferhülse jetzt noch die durch die Rolle R,
tritt, daher fortan die Rolle ?%, nicht mehr von der Stelle ge-
rückt werden darf. Auch die Rolie R, erhält von hier ab,
sofern sie nicht in die unwirksame Lage gebracht wird, eine
unveränderliche Stellung, und die Veränderung der Ablenkung
& wird allein mittels des Rheochords bewirkt. Dämpfung so-
wohl als secundäre Induction im Hauptkreise sind zwar da-
durch ausgeschlossen, dafs man, der Natur der Dinge nach,
mit dem Öffnungsschlage arbeitet; jene Mafsnahme hat aber
ihren Grund darin, dafs die Ablenkung £ die Stromstärke in
dem Kreise KR, SchHRhK messen soll.
Sind diese Vorbereitungen getroffen, so kann man zu fol-
genden zwei Versuchen schreiten.
844 Nachtrag.
Versuch I.
Bei irgend einer, durch das Rheochord willkürlich bestimm-
ten Ablenkung & nähert man die Nebenrolle zuerst der Haupt-
rolle soweit, dafs beim Öffnen der Kette der Magnet den Null-
punkt nur eben um die kleinste bemerkbare Gröfse überschrei-
tet; diese Entfernung der Nebenrolle von der Hauptrolle heifse
B'. Alsdann gilt sehr genau (s. oben S. 819 ff.) die Gleichung
Es ist aber in unserem Falle e sichtlich proportional £; denn die
Elektrieitätsmenge, die sich in einem voltaälektrischen Neben-
strome abgleicht, ist der Stärke des Hauptstromes proportional),
und für eben dieser Stärke merklich proportional dürfen wir
die Ablenkungen des Magnetes nehmen. Man hat also auch
c= aE, wo a eine Constante, folglich a = z unabhängig von
£, und demgemäls kann man, wenn einmal B’ für ein be-
liebiges £ gefunden ist, £ durch das Rheochord fortan beliebig
verändern: gleichviel von wo der Magnet falle, stets überschreitet
er den Nullpunkt nur eben um die kleinste bemerkbare Grösse.
Es versteht sich beiläufg von selbst, und Rechnung wie
Beobachtung ergeben, ‘dafs dabei die Beruhigungszeit kleiner
wird als ohne Anfangsgeschwindigkeit.
Versuch 1.
Nachdem dieser Zustand erreicht ist, bringt man, bei einem
beliebigen &, R, in die unwirksame, in der Figur punktirte
Lage, und wiederholt den Versuch. Jetzt trifft der Inductions-
stofs, der vorher den Magnet bei £ traf, den Magnet auf dem
Nullpunkt; es erfolgt ein Ausschlag im umgekehrten Sinne
von der Ablenkung £; die Gröfse dieses Ausschlages heisse x.
Man hat
1) Es dürfen sich deshalb keine Drähte in der Hauptrolle befinden.
Versuche, die ich in dieser Art mit einem kleineren Schlitteninduetorium
| angestellt hatte, mufsten verworfen werden, indem sich dabei von dem
erwarteten, und wie man sehen wird, richtigen Gesetze Abweichungen
ergaben, welche sich aus der Annahme erklären liefsen, dafs die in den
Inductionsströmen sich abgleichenden Elektricitätsmengen schneller wuch-
sen als die Stärken der inducirenden Ströme. Vergl. Wiedemann,
Die Lehre vom Galvanismus u. s. w. Braunschweig 1863. Bd. II. S. 297.
Nachtrag. 845
C
xa=rXt
AN E
[(XXXIV), S. 328]. Abermals ist c proportional Z, also E =
const x x, gleichviel wie £ gewählt wird.
. Die folgenden Tabellen zeigen das Ergebnifs der Versuche,
die ich zur Prüfung dieses Schlusses anstellte. Die Zahlen £&,
in der ersten Spalte jeder Tabelle sind erhalten, indem ich
mittels des Rheochords die Ablenkung von 25° bis 500° stets
um 25° steigerte; sie sind das Mittel aus zwei Ablesungen
vor und nach zehn Ablesungen von x,; die abgelesenen Tan-
genten der doppelten Ablenkung sind in die doppelten Tan-
genten der einfachen Ablenkung verwandelt. Die Zahlen
X„c Sind das ebenso corrigirte Mittel aus jenen zehn x,;
die Spalte x, — x, zeigt die grölste, positive oder negative
Abweichung des beobachteten nicht corrigirten x, vom
mittleren nicht corrigirten x,„, welche in einem solchen
Satze vorkam. Man sieht, dafs diese Abweichung sich höch-
stens auf 0°%°85 beläuft. Die Constante ist nach der Methode
der kleinsten Quadrate berechnet; die Zahlen x, sind durch
Division von £, mit der Constanten erhalten. Obschon x bis
zu 183° hinaufgeht, belaufen sich die Abweichungen x, — x.
nie auf mehr als den Bruchtheil eines Scalentheiles, mit einer
einzigen Ausnahme (Versuch 15 in Tab. 1), wo ein gröfserer
Fehler durch irgend einen Zufall begangen wurde, wie er bei
einer Versuchsreihe, die sich über viele Stunden erstreckt,
wohl vorkommen kann. Erwägt man die Fehler der ge-
druckten Theilung, die Unbeständigkeit der Kette und die Er-
wärmung der Drähte, die Schwankungen der Ruhelage des
Magnetes und der Länge des ihn tragenden Fadens, die mangel-
hafte Einstellung des Fernrohrs bei grölseren Ablenkungen und
die Schwierigkeit des Ablesens grölserer Ausschläge, den Wi-
derstand der Luft, endlich die unsichere Aufstellung meiner
Apparate in dafür ganz ungeeigneten Räumen, so darf die er-
langte Übereinstimmung gewils für höchst befriedigend gelten.
Die Regelmäflsigkeit in der Vertheilung der Zeichen der Fehler,
wonach die gröfseren x,,. im Allgemeinen zu klein sind, rührt
wohl davon her, dafs die Ablenkungen nicht unserer Voraus-
setzung entsprechend den Stromstärken genau proportional sind,
Nachtrag.
846
nn
Tabelle I. A'— 296mm; , B' — 47mm
| & | Kme Ku % X, X, — Xpe
1 25.00 | 9.30 0.00 9.27 | —0.03
2 49.99 | 18.67 | —0.60 18.53 | —0.14
3 1910172794 | =-0:14 27.84 | —0.10
4 99.95 | 37.30 | +0.30 37.04 | —0.25
5 | 125.10 | 46.80 | =0.20 46.36 | —0.43
6 | 150.19 | 56.23 | +0.45 55.67 | —0.57
7 Sl132982| 265.242 °=E0:95 64.95 | —0.29
8° 1199.60 | .-74.70:| —+0.22 73.98 | —0.72
9 | 295.46 | 83.73 | +0.35 83.56 | —0.17
10 | 249.26 | 92.89 0.00 92.38 | —0.51
11 | 275522102067] &-0492 | 101.74 | =-0.32
12 | 300.20 | 111.64 | —0.85 | 111.26 | —0.38
13 | 324.63 | 120.96 | —0.56 | 120.32 | —0.64
14 | 349.77 | 129.20 | 0.50 | 129.63 | +0.44
15 | 370.46 | 135.99 | —0.23 | 137.30 | +1.31
16 | 397.02 | 146.82 | +0.17 | 147.15 | +0.33
17 | 421.86 | 156.42 | +0.47 | 156.35 | —0.06
18 | 447.28 | 165.88 | —0.55 | 165.78 | —0.11
19 | 470.91 | 174.05 | 0.70 | 174.53 | +0.48
20 | 494.47 | 183.21 | 0.50 | 183.27 | +0.06
Const = 2.698120
Tabelle II.
A — 297mm} , B' — 52mm
| = Knıe Kr Xp X, X, — Xone
1 | 25.00 | 9.00 | 0.00 8.90 | —0.10
2 = 50.50 = 13,92. 6.9 17.98 | +0.06
8 5 79.20 |” 272.00 0.00 26.77 | —0.23
4 | 99.65.) 35.42 | 0.38 35.47 | +0.06
5 | 124.91 | 44.66 | +0.16 44.46 | —0.19
6 149.67 2 53.30. 2 0,58 53.28 | —0.02
7 EI TAABe| 62.75 0,46 62.10 | —0.65
8 | 199.47 | 71.67 | +0.60 71.01 | —0.66
9.4.9224,99 17 80.38 120.58 80.09 | —0.28
10 | 249.11 | 89.05 | +0.28 88.68 | —0.37
11.274.397 98.01 |-=E0.26 97.68 | —0.33
12 | 299.48 | 106.85 | —+0.71 | 106.61 | —0.24
13 | 324.70 | 116.09°| =E0.85 | 115.59 | —0.50
14 | 349.28 | 125.01 | =E0.26 | 124.34 | —0.67
15 | 372.79 | 132.87 | —0.22 | 132.71 | —0.16
16 | 398.64 | 141.69 | +0.52 | 141.91 | +0.22
17 | 422.22 | 149.63 | 40.38 | 150.30 | +0.67
18 | 447.48 | 159.22 | +0.50 | 159.29 | +0.08
19 | 469.57 | 166.56 | +0.78 | 167.15 | +0.59
20: 12493,07. 12174.772, 220.20 | 1725:59 1.20.76
Const = 2.809127
Nachtrag. 847
sondern ein etwas abweichendes, und zwar für die beiden Rol-
len R, und R,, wegen ihrer verschiedenen Entfernung vom
Spiegel, verschiedenes Gesetz befolgen. Nicht einmal die Richt-
kraft verändert sich genau proportional dem Sinus der Ablen-
kung, weil der Hauy’sche Stab, wenn auch um beinahe 300"
entfernt, den Magnet doch nicht mit strenge parallelen Kräften
‚angreift.
Wir wollen jetzt noch der Constanten selber in unserer
durch den Versuch bewiesenen Gleichung E = const>xx unsere
Aufmerksamkeit zuwenden. Aus c=:£ und x= — folgt
const = e, und man hat also die merkwürdige Beziehung
F AT
x
Würde E=e” gemacht, so mülste sich x = e ergeben; man
würde unmittelbar die Basis der natürlichen Logarithmen ab-
lesen. Dies bestätigt sich in der That.
In unserer Versuchsreihe I ist die Constante = 2,69812,
in Reihe II ist sie 2,80913;
Mittel = 2,75362.
Es ist e = 2,71828;
der Fehler des Mittels ist also nur = 0,03534.
e? ist 7,3890; wählt man als Einheit das Centimeter — 10°°,
und macht man & = 7,39, so mufs x = 2,72 sein.') Ich stellte
eine Anzahl solcher Prüfungen an, indem ich jedesmal von
Neuem 4’ und das zugehörige B’ bestimmte. Die Ergebnisse
dieser Versuche, nach abnehmenden Entfernungen des Hauy’-
schen Stabes geordnet, zeigt folgende Tabelle in den Ver-
suchen 1—4; Versuch 5 und 6, wo der Stab absichtlich zu nah
war, wurden hinzugefügt, um das in der Reihe sich kundgebende
Gesetz noch deutlicher hervortreten zu lassen.
|
1) Da man die Tangente der doppelten Ablenkung abliest, ist
eigentlich & = 7,39095 zu machen, und sollte x = 2,71838 sein, doch
fällt der Unterschied, wie nicht bemerkt zu werden braucht, weit inner-
halb der Grenze der Beobachtungsfehler.
[1869.] 60
848 Nachtrag.
Nr. 4' B' x const
298,563. 2,26 8270
297,3»553542463.052,810
297,0 48 2,372 2,717
296,5 46 2,74 2,700
A
5 295,0 28 3,12 2,369
6 293,5 4. 3,938 2,094
PO m
Bei den Versuchen 2 und 4 hatte ich fast genau die Be-
dingungen der in Tabelle II und I enthaltenen Versuchsrei-
hen wieder getroffen. Man sieht, dafs ich von dem äufsersten
Werthe von A, wo mir schien, als sei die Bewegung aperio-
disch, den Stab nur um anderthalb Millimeter mehr, d. h. um
745 seines Abstandes, zu nähern hatte, um das theoretisch
vorhergesehene Ergebnis zu erhalten. Erwägt man, dafs bei
diesen Versuchen die oben S. 834 besprochene Schwierigkeit zu sa-
gen, ob der Nullpunkt noch überschritten werde oder nicht,
zweimal auftritt, zuerst bei der Bestimmung von A’, dann bei
der von B', so wird man die erlangte Übereinstimmung ge-
wils als genügend anerkennen.
Die Tabelle zeigt, dafs je kleiner A, oder je näher der
Stab dem Magnete, um so gröflser fällt x, und um so kleiner B’und
die Constante aus. Der Sinn hiervon ist, dafs je weniger Richt-
kraft dem Magnete gelassen ist, um so gröfser kann die ihm
ertheilte Anfangsgeschwindigkeit sein, ohne dafs er den Null-
punkt überschreitet.
Dieser Zusammenhang spricht sich deutlicher aus, wenn
man, anstatt A und B zugleich, nur die eine oder die andere
Entfernung ändert. Läfst man A=4' beständig, und verkleinert
BD, so wird bald der Nullpunkt merklich überschritten, x wächst,
die Constante nimmt ab. Verwickelter ist der Vorgang, wenn man
B=B' beständig läfst, und A ändert. Wegen x = = (XXXIV)
ist zwar x von A nur insofern abhängig, als mit A Intensität
des Magnetes, folglich auch Dämpfung und, obschon der Induc-
tionssto[s derselbe bleibt, Anfangsgeschwindigkeit sich ein wenig
ändern; allein dies ist nicht zu vernachläfsigen. Für /r in dem
oben 8.827 (XXX) gegebenen Ausdruck
Nachtrag. 849
3 uIr
a;
wollen wir P setzen, welches den Integralwerth des Induc-
tionsstromes nach Stärke und Zeit vorstellen soll. Den
Werth von u entwickeln wir, wie wir dies oben $. 832 mit
m und m gethan haben, zu Wfe+r(H— 8)!. Dann ist
e= wi +n(H— 9. Es ist (XL)
zm?lı #n(H—S)}?
IE 2M ’
und folglich
C A 2;
—
eat em? 4% (H — 8)!
Wenn man also, bei beständigem B= B', A von 4’ aus ver-
grölsert, wird x wegen des abnehmenden S etwas kleiner, und
der Nullpunkt überschritten. Umgekehrt der Nullpunkt wird
nur eben erreicht, und x wächst um ein Geringes, wenn A
von A’ aus verkleinert wird. Dies trifft im Versuch ein; als
ich bei DB’ = 48" A von A’ —= 297" folgweise auf 292; 287;
277» verkleinerte, stieg x von dem ihm willkürlich ertheilten
Werthe 40°°3 beziehlich auf nur 41,2; 42,7; 46°°5.
Übrigens ist zu bemerken, dafs das c in unserem Versuch II
(s. oben 8.845) dem c in Versuch I nicht genau gleich ist. Denn
in Versuch I, wo man c—= z£ macht, wird der Inductionsstols er-
zeugt nicht allein durch die Induction von HZ auf N, sondern auch
durch die Induction von AR, auf R, und auf den Dämpfer, welche
in R; und dem Dämpfer die verkehrte Richtung hat von dem
durch die Induction von Z auf Nin R, erzeugten Strome. Man
kann also setzen c=eE = ip — (9-+3)) &, wo p,q,s die Ge-
schwindigkeiten sind, welche, für die Einheit der die Stärke des
inducirenden Stromes messenden Ablenkung &, die beziehlich
von H auf N, von R, auf R,, und von R, auf den Dämpfer aus-
| geübten Inductionen dem Magnet ertheilen. In Versuch II da-
gegen erhält der Magnet. die Geschwindigkeit c' — p&, und man
hat somit statt
DR
60*
850 Nachtrag.
E
—= e , vielmehr 2 — (1-2),
x »-.)
Mayr
d. h. die Constante mufs kleiner als e ausfallen.
Indessen geht aus den Umständen des Versuches hervor, dafs
der Bruch Er nur sehr klein sein konnte. Die Rolle Z
hat mehrere hundert, die Rolle N 9845 Windungen, während
R, nur 53 und R, nur 6000 Windungen besitzt. B’ war bei
dem Versuch 3 der letzten Tabelle, wo sich const=e ergab,
— 48mm, während von Mitte zu Mitte gemessen der horizon-
tale Abstand zwischen R, und R, 400, zwischen R, und dem
Dämpfer 380”"® betrug. Die Axen von %, und die von A,
und dem Dämpfer lagen aber nicht einmal, wie in der Figur,
in einer Geraden, sondern waren einander parallel um etwa
110"® verschoben. Das Potential der Rollen Z, und R,, und
‘das der Rolle R, und des Dämpfers aufeinander, mufsten: also
gegen das Potential der Rollen HZ und N aufeinander nahe ver-
schwinden.
Für die Induction von R, auf Ry, ist dies leicht zu zei-
gen. Dazu wird in den Kreis von N und R, eine dritte Rolle
R,; von gleicher Beschaffenheit mit ZA, (die andere Hydrorolle
der Bussole) aufgenommen, und gegenüber der Rolle R, in
deren unwirksamer Lage so aufgestellt, wie R, gegenüber der-
selben Rolle in deren wirksamer Lage aufgestellt ist. Indem
man für ein bestimmtes B und & die Induction von H auf N
mit und ohne Rolle R,, dana die Induction von R, auf R;
beobachtet, hat man alle Daten, um g als p, wo $ eine Con-
stante, auszudrücken. Es fand sich aber, dafs auch bei der
srölsten inducirenden Stromstärke, welche die Anordnung zu-
hefs, d.h. bei völlig gestöpseltem Rheochord, g neben p un-
wahrnehmbar blieb. Was s betrifft, so läfst sich dies nicht ex-
_ perimentell bestimmen, doch kann man sicher schliefsen, dafs,
obschon grölser als q, s in Bezug auf p mit q von gleicher
Ordnung sei. Der Bruch ir mufste also, wie auch aus der
Übereinstimmung unserer Ergebnisse mit der Theorie folgt,
nahe = 0 sein.
|
Nachtrag. f 851
$. XIII. Vorzüge der Beobachtung an aperiodischen
Magneten.
Man erreicht mittels des hier beschriebenen Verfahrens
vollständiger, bequemer und ohne alle Nachtheile dasselbe,
was frühere Experimentatoren, Mohr,!) Schilling von Can-
stadt und Lenz,?) Draper,’) sich vorsetzten, als sie an die
nach unten verlängerte Axe des Magnetes Flügel von Platin
oder Stanniol hefteten, welche in Öl oder Wasser einen die
Schwingungen hemmenden Widerstand erfuhren. Keiner, der
einmal am aperiodischen Magnete beobachtet hat, wird ohne
besondere Gründe zum schwingenden Magnete zurückkehren,
und die klare und ruhige Spiegelung der Vorgänge im Multi-
plicatorkreise, welche jener gewährt, für das verwirrende Schau
spiel des bei jeder Veränderung der Stromstärke hin- und her-
schiefsenden Scalenbildes wieder aufgeben, aus dem sich der
Sachverhalt stets erst nach lästiger Ungewifsheit entwickelt.
Indem man mit der Verminderung der Richtkraft möglichst ge-
nau da stehen bleibt, wo n = :, oder die Bewegung des Mag-
netes eben aperiodisch geworden ist, genielst man, wie schon
bemerkt, zugleich den Vortheil der schnellsten Beruhigung des
Magnetes, welche die angewandten Vorrichtungen gestatten.
Von ganz besonderem Nutzen ist der aperiodische Zustand bei
dem Compensiren des Stromes zum Zwecke der Messung der
elektromotorischen Kraft nach der Poggendorff’schen, von
mir abgeänderten Methode, oder des Widerstandes mittels der
Wheatstone’schen Brücke. Der schwingende Magnet geräth
in Schwankungen, sobald man die Gleichgewichtslage schneller,
als der Magnet zu folgen vermag, vor ihm her dem Nullpunkte
zu bewegt; der schwingungslose Magnet kann höchstens unter
den oben S.831 bezeichneten Umständen Einen Hin- und Her-
gang machen, so dafs man ohne jedes Tasten, mit stetiger Be-
wegung, den Nullpunkt auf den Faden einstellen kann. Gute
1) Poggendorffs Annalen u. s. w. 1836. Bd. XXXIX. S. 131.
2) Ebendas. 1843. Bd. LIX. S. 207; — 1849. Bd. LXXVL. S.499.
S. 500.
3) Philosophical Magazine etc. 1839. 3rd Ser. vol. XV. p. 266.
o
852 Nachtrag.
Dienste wird auch diese Methode leisten bei Demonstrations-
versuchen vor einer gröfseren Versammlung, unter Anwendung
des von mir beschriebenen Verfahrens, die Ablenkungen durch
einen vom Spiegel zurückgeworfenen Lichtstrahl sichtbar zu
machen.') Dies Verfahren wurde bekanntlich von Hrn. Wil-
liam Thomson angewandt, um die schwachen Signale des
ersten atlantischen Kabels bequem zu beobachten, und noch
heute werden die atlantischen Kabel mit sogenannten Thom-
son’schen Galvanometern bedient, an denen die Ablesung auf
jene, zuerst von mir in England gezeigte Art geschieht. Hier,
wie überhaupt wo in der Telegraphie Galvanometer in Gebrauch
sind, wird die Beseitigung der Schwingungen sich als höchst
'vortheilhaft erweisen. |
Nützlich können endlich in ihrer überraschenden Einfach-
heit die Formeln (XXXII) und (XXXIV) werden. Letztere
kann an sich dienen, den Integralwerth kurz dauernder Ströme
relativ zu bestimmen. Aber auch zur Messung kleiner Zeit-
räume nach der von Hrn. Helmholtz verbesserten Pouillet’-
-schen Methode”) bieten jene Formeln bequeme Gelegenheit,
wenigstens wenn man sich eines Magnetes von solchem Träg-
heitsmomente bedient, dafs er eine scharfe Messung von
1
= Inar =
zuläfst. Ist F die Ablenkung durch den zeitmessenden Strom
in beständiger Grölse, x der Ausschlag durch denselben Strom
während der kleinen Zeit r, so findet man für diese leicht den
Ausdruck
1) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1855. Bd. XCV. S. 607; —
Philosophical Magazine ete. 1856. 4th Ser. vol.XI. p. 109.
2) Joh. Müller’s Archiv für Anatomie u. s. w. 1850. S. 299; —
Wiedemann, Die Lehre vom Galvanismus u. s. w. Braunschweig 1863.
- Bd. Il. S. 236. 8. 212.
In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus den Jahrgängen
1868 und 1869 erschienen:
v. RANkE, Briefwechsel Friedrichs des Grossen mit dem Prinzen Wil-
helm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin, Anna,
geb. Princefs Royal von England.
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.
EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikro-
skopischen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko.
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.
'Lepsivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen
und einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie.
Preis: 15 Ser.
Roru, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine.
Preis: 3 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf.
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A f u ind
MONATSBERICHT
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
December 1869.
Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt.
2. December. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Weierstrafs las über die allgemeinsten ein-
deutigen und 2nfach periodischen Functionen von 2
Veränderlichen.
Nimmt man zwischen 2n veränderlichen Grölsen
Be a U Ga
‚ die nachstehenden Gleichungen an, in denen
Y (z,) 9 Y,(e,) Ks v„(&,)
Functionen bedeuten, deren erste Ableitungen algebraische Func-
tionen von x, sind:
Ur = 2. (&,)
:e
(a) Wo, —
' so werden im Allgemeinen zu jedem Systeme der Gröfsen
| % 1, Ug,...u, unendlich viele Systeme der Gröfsen x,, x;
..2, gehören. Es lassen sich aber, wie die Theorie der
' Abel’schen Transcendenten lehrt, die Functionen U so be-
[1869.] 61
854 Gesammtsitzung
stimmen, dafs jeder rational und symmetrisch aus &, , 23... 2,
zusammengesetzte Ausdruck eine eindeutige Function von
U, %Ug ... u, Wird, welche dann die ausgezeichnete Eigenschaft
besitzt, 2nfach periodisch zu sein, und durch ®-Functionen
von n Argumenten ausgedrückt werden kann.
Indessen sind die ®-Functionen, die man auf diesem
n(n +1)
Wege erhält, nur specielle; zwischen den wesent-
lichen Constanten (Moduln), die in ihnen vorkommen und bei
allen dieselben sind, besteht eine Anzahl von Relationen, so dafs
nur 3n — 3 derselben willkürlich anzunehmende Werthe erhal-
ten können. In Folge davon sind auch die durch diese @-
Functionen ausdrückbaren 2n fach periodischen Functionen von
n Argumenten nicht die allgemeinsten ihrer Art.
Ich habe deshalb, um möglicherweise zu den letztern zu
gelangen, mir die Aufgabe gestellt, die Functionen / so zu
bestimmen, dafs zu einem Systeme der Gröfsen u, , ug... u
eine endliche Anzahl von Systemen der Grölsen &,, 43 ... 2,
gehöre. Denn es läfst sich zeigen, dafs alsdann x, ...x, die
Wurzeln einer Gleichung nten Grades werden, deren Coefficien-
ten algebraisch durch die partiellen Ableitungen einer ein-
deutigen und 2nfach periodischen Function von u, , 42... u,
sich ausdrücken lassen.") Nun habe ich zwar die algebraischen _
Schwierigkeiten, welche sich der allgemeinen Lösung der an-
gegebenen Aufgabe entgegenstellen, bis jetzt nicht überwinden
können; ich habe mich jedoch überzeugt, dafs man auf dem
bezeichneten Wege wirklich zu den allgemeinsten eindeutigen
und 2n fach periodischen Functionen von n Argumenten gelan-
gen muls. Ist nämlich / (u, ... w,) irgend eine derartige Func-
tion, und
Flur) — —— \
so gelten folgende Sätze:
!) In besondern Fällen kann diese Function in eine, die weniger
als 2» Systeme von Periodicitäts-Moduln besitzt, entarten.
EEE EG
1)
2)
3)
vom 2. December 1869. 855
Zwischen f und fı , fa --- f„ besteht eine algebraische
Gleichung, deren Coefficienten von den Grölsen u,,
Ug ... u, unabhängig sind. |
Jede eindeutige Function von u,,Uus a u,, welche
dieselben Systeme von Periodieitäts-Moduln wie f be-
sitzt, läfst sich rational durch f, fı -.. /„ ausdrücken.
Namentlich ist also f(w, + vı ... u, + v,) rational
durch
ACH N) Sn LE A Kult re« %,)
Ce er 2 0)
darstellbar.
Da hiernach die höhern Ableitungen von f rational
durch f, fı -.. /, ausdrückbar sind, so werden, wenn
man du,,duz .... du, auf die Form
du, ==
(b) Du, —=
a 80 0 2 0 ee 0 0 oe 8 0 8 0 0
bringt, die Coefficienten F',, ebenfalls sämmtlich ratio-
nale Functionen: von f, fı --- f„- Nimmt man nun
zwischen f, fı ... /, noch irgend (n—1) andere algebrai-
sche Relationen an, so kann man sämmtliche alsdann
noch möglichen Werthsysteme dieser&röfsen darstellen
in der Form
(e) = Fe, px), Jı=F, 6 P&) a e- 20);
wo x eine unbeschränkt veränderliche Gröfse, px eine
algebraische Function derselben und F, F',,... F, ra-
tional aus x und px zusammengesetzte Ausdrücke be-
deuten; und es erhält dann der Ausdruck von du, die
Gestalt
G,(a,da)de,
wo @,„ ebenfalls eine rationale Function von z und dx
ist. Setzt man dann
I?
856
4)
5)
Gesammtsitzung
(a) Gl, da) de = dvb,(),
so werden bei gehöriger Constanten-Bestimmung die
Gleichungen
Flö,b2) =,J (u,,u3 > u,)
(e) F,(&,$#2) = fı(uı , %: ... u.)
25 NE) —.J, Urs Une
befriedigt, wenn man
fh) sy =V4b(@),. wel)... w=Y/,(@)
Setzt.
Jedes System coordinirter Perioden der Integrale
Yı(), Ya(l@) ... d,(x) ist auch ein System von Pe-
riodicitäts-Moduln der Function f(u, ,%z....w,). Man
kann aber die Fnnctionen &, F}, Fy... F, Stets so
bestimmen, dafs auch das Umgekehrte gilt. Un-
ter der Voraussetzung, dafs dies der Fall sei, ergiebt
sich dann weiter:
Die Functionen f, ... /„ verwandeln sich, wenn man
Mr
UT 2,Y1(%,)
(g) | Ä a0 er — 2,0, (@,)
.0 2 0 9 2 0 0 ee 8 00.
setzt, in rationale Functionen von
Loy Baar DD Di dB
unter denen keine Abhängigkeit von einander besteht.
Daraus folgt, dafs den vorstehenden Gleichungen bei
gegebenen Werthen von u,,%z... u, — wenn unter
diesen nicht eine bestimmte Relation stattfindet — nur
durch eine endliche Anzahl von Systemen der Grös-
sen &ı, &g ... 2, Genüge geschehen kann, und dafs die
zu einem solchen -Systeme gehörigen Werthe dieser
vom 2. December 1869. 857
Gröfsen als Wurzeln einer Gleichung nten Grades,
deren Coefficienten algebraische Functionen von
tn 2 U) Sean day War susW,)
sind, erhalten werden können.
Aus jeder ®©-Function von n Argumenten ergeben sich un-
zählig viele 2n fach periodische Functionen, unter deren 2n.n
(n— 1)
2
Periodiceitäts-Moduln nicht mehr als Relationen statt-
finden. Durch das Vorstehende ist also bewiesen, dals es
Gleichungssysteme von der Form (a), die allgemeiner sind als
die bisher in der Theorie der Abel’schen Transcendenten be-
trachteten, und gleichwohl einer ganz analogen Behandlung fä-
hig sind, wirklich giebt. Ob 2nfach periodische Fnnetionen
von n Argumenten existiren, die nicht durch ®-Functionen
ausgedrückt werden können, ist eine Frage, deren Erörterung
ich mir vorbehalte.
Hr. Magnus legte einen Aufsatz des Hrn. Dr. E. War-
burg vor, über den Einflufs tönender Schwingungen
auf den Magnetismus des Eisens.
Matteucci'!) und später Villari?’) haben die Verände-
rungen untersucht, welche das magnetische Moment eines Eisen-
oder Stahlstabes erleidet, wenn derselbe durch eine Zugkraft
verlängert wird. Die zahlreichen Versuche Villari’s bewei-
sen, dafs der Magnetismus eines Eisendrathes, der sich in einer
Magnetisirungsspirale befindet, wenn ein stabiler, durch Er-
schütterungen nicht mehr veränderlicher magnetischer Zustand
des Drathes eingetreten ist, durch Ausdehnungen und Zusam-
menziehungen des Drathes in entgegengesetztem Sinne verän-
dert wird.
Nach den herrschenden Ansichten über die Natur des Mag-
netismus ist es wahrscheinlich, dafs die Änderungen der Länge
1) Ann. de Chim. et de Phys. T. 58. p. 416. 1858.
2) Pogg. Ann. 126. Monatsberichte d. Berl. Akad. 1865. p. 380.
858 ... Gesammtsitzung
und des magnetischen Momentes sehr nahe gleichzeitig erfolgen.
Ist dieses richtig, so müssen, wenn Ausdehnungen und Zusam-
menziehungen hinter einander in sehr kurzen Zeitintervallen
vor sich gehen, die Änderungen des Magnetismus in gleicher
Weise einireten.
Ein Eisenstab von 1890®" Länge, welcher die longitudi-
nalen Schwingungen des Grundtones vollführt, macht in der
Sekunde ungefähr 1300 ganze Schwingungen. Es geschieht
folglich in den Knotenpunkten des Stabes in 73659 Sekunde
der Übergang von der gröfsten Verdiehtung zu der gröfsten
Verdünnung. |
Der Vrf. hat nun in der That gefunden, dafs, wenn nur
das Eisen hinreichend weich ist, auch in diesem Falle, trotz
der Kleinheit der Elongationen und trotz der Schnelligkeit der
Schwingungen mit den periodischen Dichtigkeitswechseln sehr
merkliche Oscillationen des magnetischen Momentes verbunden
sind. r
Eine Änderung des Magnetismus wird am leichtesten durch |
die von ihr erzeugten Inductionsströme nachgewiesen. Wenn
aber hinter einander gleiche und entgegengesetzte Änderungen
des Magnetismus Statt finden, so werden alternirende Induc-
tionsströme erzeugt, welche mit gewöhnlichen Galvanometern
nicht wahrgenommen werden können. Solche alternirende
Ströme können indefs nach W. Weber durch das Electro-
dynamometer nachgewiesen werden, welches gegen die Rich-
tung der Ströme, die dasselbe durchfliefsen, indifferent ist.
W. Weber') hat bereits das genannte, von ihm erfundene In-
strument benutzt, um die alternirenden Inductionsströme nach-
zuweisen, welche durch die periodischen Bewegungen der
freien Enden eines transversaltönenden magnetischen Stahl-
stabes in einer Inductionsspirale erzeugt werden. Ich habe
mich desselben Instrumentes bedient, um die Inductionsströme
nachzuweisen, welche durch die periodischen Änderungen
des magnetischen Momentes im Knotenpunkte eines longitudinal
tönenden, von einer Magnetisirungsspirale umgebenen Eisen-
‚drathes in einer Inductionsspirale erzeugt werden.
!) Electrodyn. Maafsbest. I. $. 16.
vom 2. December 1869. 859
Ein 1890"® langer Eisendrath von der käuflichen Sorte
ward in der Mitte fest eingeklemmt, so dafs derselbe, mit einem
harzigen Lederlappen angerieben, den longitudinalen Grundton
von etwa 1300 Schwingungen in der Sekunde erklingen liefs,
bei welchem sich in der Mitte ein Knoten bildet. Die eine
Hälfte des Drathes war fast ganz von einer Magnetisirungs-
spirale umgeben, auf der andern Hälfte befand sich am Knoten
eine kurze Inductionsspirale aus feinem Kupferdrath, während
der Rest dieser Hälfte frei blieb, um däs Anreiben des Drathes
zu gestatten. Die kurze Inductionsspirale ward in den Schlies-
sungskreis eines Spiegeldynamometers eingeschaltet, und die
Bewegungen .des Spiegels mittels Skale und Fernrohr beob-
achtet. Der magnetisirende Strom ward durch 2 Bunsen’sche
Elemente geliefert. Als der Stab anhaltend kräftig angerieben
ward, erhielt man am Dynamometer einen Ausschlag von 30
— 50 Skalentheilen. Wenn die Inductionsspirale auf das
freie Ende des Drathes geschoben ward, welches auf Seiten
der Magnetisirungsspirale lag und von dieser noch frei ge-
lassen ward, so erhielt man gar keinen Ausschlag am Dynamo-
meter. Es ist daraus zu schliefsen, dafs die Inductionsströme
in dem ersten Fall nicht durch das Hin- und Hergleiten der
magnetischen Eisentheilchen erzeugt wurden, welches Hin- und
Hergleiten an der Mitte, nämlich am Knoten, in geringster
Stärke, an den freien Enden, den Bäuchen, hingegen in gröfs-
ter Stärke stattfindet, sondern durch Änderungen des Magnetis-
mus durch die abwechselnden Verdichtungen :und Verdünnun-
gen, welche an den Knoten am gröfsten, in den freien Enden
hingegen Null sind.
Als das Dynamometer durch ein Galvanometer ersetzt
ward, zeigte die Nadel des letzteren beim Tönen des Drathes
keinen Ausschlag, sondern nur unregelmäfsige Bewegungen.
Diese rührten von den mit dem Anreiben unvermeidlich ver-
bundenen Schwankungen ‘des magnetischen Eisendrathes her;
denn jene Wirkungen fanden in gleicher Weise Statt, wenn
solche Schwankungen des Drathes ohne Ton hervorgebracht
wurden. Es ist daraus zu schliefsen, dafs die Wirkung auf
das Dynamometer abwechselnd entgegengesetzt gerichteten In-
ductionsströmen von gleicher Stärke zuzuschreiben ist, welche
860 . . Gesammtsitzung
; i ”
abwechselnd entgegengesetzte, gleiche Änderungen des Magne-
tismus anzeigen. L
Von andern käuflichen Eisendräthen ähnlicher Dimen-
sionen, wie die des bisher benutzten Drathes, zeigten zwei
beim Tönen. die beschriebenen Erscheinungen gar nicht; einer
dieselben äufserst schwach. Diese Eisendräthe wurden nun in
der Mitte, wo sich beim Grundton ein Knoten bildet, ausge-
glüht und der Versuch wiederholt. Es zeigten jetzt alle 3 Eisen-
dräthe die in Rede stehenden Erscheinungen und zwar zwei
dieselben so stark, dafs ein Ausschlag von 2—300 Skalentheilen
am Dynamometer erhalten ward; der zu den ersten Versuchen
benutzte Eisendrath gab, im Knoten ebenfalls ausgeglüht, bei
anhaltendem kräftigen Anreiben einen Ausschlag von 5— 600
Skalentheilen. Ein Stahldrath hingegen zeigte auch nach star-
kem Ausglühen die erwähnten Erscheinungen nicht. Ent-
sprechend diesen Resultaten giebt schon Matteucci an, dafs
das magnetische Moment weicher Eisendräthe durch das Ziehen
stärker verändert wird, als das der harten.
Zur Beurtheilung der Stärke des erhaltenen Effects diene
die Angabe, dafs beispielsweise in einem Versuch beim Öffnen
der Magnetisirungsspirale, also durch das Versehwinden bei-
nahe des ganzen Magnetismus des Eisens, in der Inductions-
spirale ein Strom indueirt ward, der nur einen Ausschlag von
3 Skalentheilen am Dynamometer hervorbrachte, während die
Wirkung der durch anhaltendes Tönen in der Inductionsspirale
erhaltenen Ströme sich so weit im Dynamometer summirte,
dafs die Bifilarrolle um einen 460 Skalentheilen entsprechenden
Bogen ausschlug.
Eine Verstärkung des Magnetismus der weichen Dräthe,
sei es durch Vermehrung der stromerzeugenden Elemente, sei
es durch Anwendung mehrerer Magnetisirungsspiralen, gab durch-
aus keine entsprechende Verstärkung der magnetischen Oseil-
lationen beim Tönen. Entsprechend hatte in Villari’s Ver-
suchen eine Verstärkung des magnetisirenden Stromes nicht
immer und nur bei gewissen Dimensionen der Dräthe eine
stärkere Änderung des magnetischen Momentes durch das Ziehen
zur Folge. |
Als anstatt zweier Elemente nur eines angewandt wurde,
vom 2. December 1869. 861
erhielt man schwächere Wirkungen; aber selbst als der mag-
netisirende Strom geöffnet ward, genügte der remanente Mag-
netismus des weichen Drathes, um, wenn der Stab zum Tönen
gebracht wurde, einen Ausschlag von 50—60 Skalentheilen am
Dynamometer hervorzubringen.
Bedeutend schwächere Oscillationen des magnetischen Mo-
mentes wurden in einem Knoten des ersten Obertones des
Stabes von 2600 Schwingungen p. Sek. vom Dynamometer an-
gezeigt.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Memoirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester.
Third series. Vol. 3. Manchester 1868. 8.
Proceedings. Vol. 5. 6. 7. ib. 1866—1868. 8.
Rendieonti dell’ Istituto lombardo. Vol. U. Milano 1869. 8.
Memoires de la societe des sciences physiques. Tome VII. Bordeaux
1867. 8.
Memoires de physique de Geneve. XX, 1. Geneve 1869. 4.
Giornale di scienze naturali. V, 1.2. Palermo 1869. 4.
John Tebbutt, Meteorological Observations. Sydney 1868. 8.
Verslagen en Mededelingen der Kgl. Akademie van Wetenschappen.
Tweede Reeks. Deel III. Amsterdam 1868. 8.
Verhandelingen .... Afdeling Letterkunde. Deel IV. ib. 1869. 4.
“Publications de Poulkova publiees par OÖ. Struve. Vol. 1.2. Peters-
bourg 1869. 4. |
Bijdragen tot de Dierkunde. Aflering IX. Leiden 1869. 4.
6. December. Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Klasse.
Hr. Rie[s trug den folgenden Aufsatz vor:
Vergleichung des Elektrophors mit der Elektrisir-
maschine und Elektrophormaschine.
Bei Einführung der Elektrophormaschine und auch später
ist das theoretische Prineip des Elektrophors besonders hervor-
gehoben worden gegenüber dem Principe, das der Elektrisir-
maschine zu Grunde liegen soll. Habe ich auch lange zuvor
862 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
bestimmt darauf hingewiesen, dafs beide Appärate Ein und das-
selbe Princip benutzen (Elektr.-Lehre 1. 247), so scheint es mir
doch an der Zeit, Dies weiter zu begründen, zur Beseitigung
einer Unklarheit, welche durch die Vorstellung hervorgerufen
worden, dafs die an der Elektrisirmaschine benutzte Elektrieität
direkt durch Reibung erzeugt wird.
Die zu Versuchen nöthigen gröfseren Elektrieitätsmengen
werden nur selten unmittelbar durch Reibung gewonnen. So
an der Dampf-Elektrisirmaschine, wenn die Elektricität des Kes-
sels benutzt wird. Ein hohler Metallkörper, der Kessel, ist mit
einer hölzernen Ausflufsröhre versehen. Der feuchte Wasser-
dampf reibt die Röhre, macht sie negativ elektrisch, und diese
Elektrieität pflanzt sich zum Kessel fort und sammelt sich dort
zur Benutzung an. Oder wenn man an der Elektrisirmaschine
die Elektrieität des Reibzeugs gebraucht. Es ist ein Metall-
körper (der Conduktor), der in weiche Platten endigt (die Reib-
kissen). Diese Platten werden, von der rotirenden Glasscheibe
gerieben, elektrisch und ihre Elektrieität geht zum Conduktor.
In allen andern, den bei Weitem häufigsten Fällen, ist eine
solche unmittelbare Benutzung der durch Reibung hervorge
rufenen Elektricität nicht vorhanden.
Bei dem gewöhnlichen Gebrauche der Elektrisirmaschine
dient die Reibung dazu, einen eigenthümlich construirten Elektro-
phor in Gang zu setzen auf eben die Weise, wie es bei dem
einfachen Elektrophore geschieht. Die geriebenen Flächen bilden
an beiden Apparaten die Elektrophorkuchen; der Schild ist an
dem gewöhnlichen Elektrophor eine Metallplatte, an der Elektrisir-
maschine ein gewölbter Metallkörper, der in der Nähe des
Kuchens mit einem Metallkamme endigt. Diese verschiedene
Form des Schildes war durch den Gebrauch bedingt, von den
beiden Influenz-Elektricitäten am Elektrophore nur die der erre-
genden ungleichnamige, an der Elektrisirmaschine die gleich-
namige Elektrieität zu benutzen. Es mulste defshalb am Elektro-
phore die gleichnamige, an der Elektrisirmaschine die ungleich-
namige Elektricität fortgeschafft werden, und Dies wird auf die
einfachste Weise geleistet, indem der Elektrophorschild ableitend
berührt wird, der Metallkamm der Elektrisirmaschine die un-
gleichnamige Elektricität ausströmen lälst. Diese Ausströmung
vom 6. December 1869. 863
geschieht gegen die geriebene Glasfläche und neutralisirt ihre
Elektricität, ein zusammengesetzter Vorgang, der mit dem kur-
zen Ausdrucke bezeichnet wird, der Metallkamm nehme die
Elektricität der Glasfläche auf, oder er sauge sie ein. Diese
sogenannte Aufnahme oder Einsaugung gibt die einfachste Ein-
richtung der Elektrisirmaschine, aber wesentlich gehört sie nicht
zur Theorie der Maschine, ebensowenig als die Benutzung nur
der ungleichnamigen Elektrieität zum Wesen des Elektrophors
gehört. Ein Elektrophor, an dem man beide Influenz -Elektri-
eitäten benutzt, und eine Elektrisirmaschine, an der die soge-
nannte Einsaugung von Elektrieität vermieden ist, wie sie neuer-
dings mehrfach construirt wurden, sind bei aller Verschiedenheit
ihrer Einrichtung und ihres Aussehns theoretisch dasselbe
Instrument. Das Princip, das diesem Instrumente zu Grunde
liegt, wird dadurch nicht modificirt, dafs an dem einen Apparate
gewöhnlich nur die eine, an dem andern die andere Influenz-
Elektrieität benutzt wird, aber in praktischer Beziehung entsteht
dadurch eine wichtige Verschiedenheit. Weil ‘die gleichnamige
Influenz-Elektrieität fortgeschafft wird ohne Änderung der Elek-
trieität des erregenden Kuchens, so bleibt die Art unberücksich-
tigt, auf welche der Kuchen elektrisch gemacht worden ist.
Niemand denkt bei dem Gebrauche eines Elektrophors an die
Reibung, durch die er vor Monaten den Harzkuchen elektrisirt
hat. Die leichteste Art hingegen der Fortschaffung der ungleich-
namigen Influenz-Elektrieität zieht die Zerstörung der Elektri-
eität des erregenden Kuchens nach sich, der Kuchen mufs
andauernd aufs Neue elektrisirt werden, und deshalb wird bei
dem Gebrauche der Elektrisirmaschine die Aufmerksamkeit auf
die Reibung gelenkt, durch welche diese Elektrisirung ausge-
führt wird. |
Der erste Versuch am Elektrophor und an der Elektrisir-
maschine ist völlig identisch; er verlangt die Elektrisirung einer
isolirenden Platte und die Annäherung derselben an einen
Metallkörper. Erst der zweite Versuch ist verschieden, weil
der Kuchen am Elektrophor elektrisch geblieben ist, nicht der
an der Elektrisirmaschine. Je öfter dieser zweite Versuch in
gegebener Zeit wiederholt wird, desto ergiebiger an Elektricität
erscheint der Apparat, und dabei zeigt es sich freilich, dafs die
864 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
schnelle Wiederholung des Versuchs an dem einen Apparate
mechanisch weniger Schwierigkeit macht, als an dem andern.
Der Elektrophor verlangt nur die Ortsveränderung einer Platte,
die Elektrisirmaschine Ortsveränderung und dabei Elektrisirung 4
;
d
f
“
I
|
der Platte durch Reibung. Der ersten Bewegung ist daher
leichter eine grofse Geschwindigkeit zu geben, als der zweiten;
doch ist sie auch bei dieser, wie die folgenden Anführungen
lehren, erreicht, dann aber aufgegeben worden.
Bei der Einführung der Elektrisirmaschine, in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts, wurde der dazu gebrauchte Glas-
körper (Kugel oder Cylinder) nur an Einer Fläche gerieben
und man vollzog die Reibung gegen das Kissen durch Rolle,
Schnur und Rad oder ein Räderwerk, um in der Zeiteinheit
eine grölsere Fläche dem Einsauger vorbeizuführen. Ingen-
housz, der um 1764 die Scheibenmaschine einführte, hat dabei
die schnelle Drehung beibehalten. Er spricht zwar nicht von
der Art des Drehens, hat sie aber durch den Ausdruck whirl
round, den er überall dafür gebraucht, deutlich genug bezeich-
net, und berichtet von einer Maschine mit zwei Scheiben von
18 Zoll Durchmesser, dafs sie eine leydener Flasche von zwei
Quart Inhalt in weniger als 5 Sekunden vollgeladen habe, ')
was nur bei einer schnellen Drehung ausführbar ist. Auch
Ramsden scheint zuerst an seinen Maschinen die Drehung mit
Schnur und Rad gebraucht zu haben, da Ingenhousz diese
Maschinen ohne Bemerkung erwähnt. Erst Cavallo?) be-
schreibt 1777 die Scheibenmaschine, wie sie von Adams iu
London verfertigt wurde, mit einfacher Kurbelbewegung und
Cuthbertson?) gibt 1782 die Construktion zweier Maschinen
mit gleicher Bewegung an. Ebenso gebrauchte derselbe 1785
die einfache Axenbewegung bei der grofsen Maschine des Tey-
ler’schen Museums (zwei Scheiben von 65 engl. Zoll Durch-
messer), die er unter van Marum’s Leitung verfertigte*), und
v. Marum selbst benutzte sie 1791°) an der kleinen Maschine
1) Phil. transact. 1779 abridg. by Hutton etc.“ 14. 598.
2) Treatise on el 1777. Deutsch* 1779. S. 109. |
3) Eigenschappen van d. elect. 1782. Deutsch* 1786. S. 14..
4) v. Marum descript. d’une grande machine.” Haarlem 1785.
5) Seconde continuation.“ p. 292.
vom 6. December 1869. 865
(Scheiben-Durchm. 32 Zoll), die bis auf den heutigen Tag häufig
ausgeführt worden ist. Die schnelle Axenbewegung mit Schnur
und Rad ist bei der Scheibenmaschine aufser Gebrauch gekom-
men, wahrscheinlich um die kostbare Scheibe nicht zu gefähr-
den und in Erwägung, dafs auch bei der direkten Bewegung
durch die Hand, die in bestimmter Zeit wirkende Scheibenfläche
durch Gröfse der Scheibe und Anbringung vou zwei Reibzeugen
und Einsaugern hinlänglich grofs erhalten werden kann. Eine
Elektrisirmaschine mit 30zölliger Scheibe, zwei Reibzeugen und
Einsaugern von 8 Zoll Länge ist bei einfacher Kurbelbewegung
zu den nöthigen Versuchen der Elektricitätslehre völlig aus-
reichend. |
Um eine gröfsere Wirksamkeit zu erhalten, ist man öfter
zu der beschleunigten Axendrehung durch Schnur und Rad zu-
rückgekehrt. So construirte 1780 Graf von Brilhaec eine
Maschine mit zwei Scheiben von 30 Zoll Durchmesser, deren
Axen Rollen von 8 Zoll Durchmesser trugen, die durch ein
2 Fuls breites Rad mit Schnurlauf umgetrieben wurden. Nach
60 bis 70 Umdrehungen des Rades war eine grofse Batterie so
stark geladen, dafs ihre Entladung ein Schwein oder einen
Hammel tödtete..') Gerard und van Mons berichten von
einer sehr wirksamen Maschine, *) die nur eine kleine Scheibe
besafs und mit Schnur und Schwungrad in Bewegung gesetzt
wurde. Cuthbertson und Singer luden 1811 durch eine
24zöllige Scheibe eine Batterie von 17 Quadratfuls Belegung
zu einem beträchtlichen Grade durch 19 Kurbelumdrehungen,
welche die Scheibe 76mal um ihre Axe drehten.°) Die Beobach-
ter glaubten, die Wirksamkeit der Maschine noch darüber hinaus
steigern zu können, aber die mechanische Schwierigkeit, eine
Glasscheibe schnell und sicher zu drehen, während ihre beiden
Flächen bis nahe zum Rande von Lederkissen geprefst werden,
hat die Anwendung dieses Mittels in der Folge verhindert.
Am Elektrophor,.wenn er drehbar eingerichtet worden,
ist diese Schwierigkeit nicht vorhanden, weil eine Scheibe frei
1) Rozier observ. s.1. phys.1780. d’Inarre. Von derEl.* 1784. 8.34.
2) v. Mons journ. d. phys. 1802. Gilbert Annalen.“ 24. 310.
3) Nicholson journ. of nat. phil. 1811. Gilbert Annal.* 39. 252.
866 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
um ihre Axe rotirt, und daher auch für kleine Scheiben die
nöthige Geschwindigkeit leicht zu erreichen ist. Dies ist der
Hauptvorzug des Elektrophors vor der Elektrisirmaschine, der
also nicht in einem bessern theoretischen Principe, sondern in dem
Fortfallen einer mechanischen Schwierigkeit besteht. Am dreh-
baren Elektrophore rotirt entweder der Schild oder der Kuchen.
Am einfachsten ist der erste Fall. Eine Glasscheibe rotirt nahe
über dem elektrisirten Kuchen, der einem Segmente der Scheibe
an Gröfse gleich und ihm parallel nahe gelegt ist. Entweder
ist das Segment der Scheibe metallisch belegt, und dann wird
es von einem ersten ruhenden Conduktor berührt, während es
den Kuchen deckt, und von einem zweiten Conduktor, während
es vom Kuchen am weitesten entfernt ist. Oder die Scheibe
ist nicht belegt, und dann ist dem Kuchen gegenüber an der
von ihm abgewandten Scheibenfläche ein Metallkamm mit Stiel
festgelegt und ein zweiter Metallkamm dem ersten diametral
gegenüberliegend.. Wie man sieht, können hier beide Influenz-
Elektrieitäten benutzt werden, die der erregenden Electricität
gleichnamige an dem ihr nächsten, die ungleichnamige am ent-
fernten Metallkamm oder Conduktor, was indefs nur in seltenen
Fällen einer wissenschaftlichen Untersuchung Vortheil gewährt.
Der häufigste Gebrauch, den man von Elektrieitätsquellen macht,
verlangt nur den unmittelbaren Zuflufs Einer Elektrieitätsart.
Ergiebiger wird der Apparat dadurch, dafs man einen
zweiten Kuchen dem freistehenden Conduktor oder Metallkamm
gegenüber anbringt und die beiden Kuchen mit den entgegen-
gesetzten Elektricitäten versieht. Dies ist der drehbare Doppel-
Elektrophor, an dem jeder Conduktor oder Metallkamm zwei
Portionen Elektrieität erhält, die gleichnamige Influenz-Elektri-
eität des nächsten, die ungleichnamige des entfernten Kuchens,
welche beide derselben Art sind. Der Mangel des Doppel-
Elektrophors besteht darin, dafs er nur so lange wirkt, als
seine sich selbst überlassenen Kuchen elektrisch bleiben, also
nur kurze Zeit, nach welcher jene aufs Neue elektrisirt werden
“ müssen. Kundt'!) hat deshalb an der einen Fläche einer
rotirenden Glasscheibe zwei diametral gestellte Metallkämme,
1) Poggend. Annalen.* 135. 484,
vom 6. December 1869. ‘ | 867
an: der andern, einem Kamme gegenüber, ein isolirtes, mit
Amalgam bekleidetes Lederkissen angebracht, das die Glas-
scheibe bei ihrer Rotation reibt. Dies Kissen bildet den negativ
elektrischen, die geriebene Glasscheibe den positiv elektrischen
Kuchen des Doppel-Elektrophors und beide Kuchen bleiben
elektrisch, so lange die Scheibe rotirt.
Am vollkommensten leistet die dauernde Elektrisirung eines
Elektrophorkuchens die Elektrophormaschine. Während
die Influenz bei dem Elektrophor und der Elektrisirmaschine
nur Einem Zwecke dient, zur Beschaffung der verwendbaren
Elektrieität, wird sie bei der Elektrophormaschine auch dazu
benutzt, den erregenden Kuchen stärker zu elektrisiren und in
einem constanten Zustande zu erhalten. Schon im vorigen Jahr-
hundert ist eine solche Maschine construirt worden. Nicholson
befestigte 1788 zwei Metallscheiben von 2 Zoll Durchmesser
isolirt in einer Ebene und liefs vor ihnen eine gleiche dritte
Scheibe rotiren, die bei jedem Umlaufe jeder der ruhenden
Scheiben in kleiner Entfernung parallel gegenübertrat.') Im
Augenblicke, wo die rotirende Scheibe einer bestimmten ruhen-
den Scheibe gegenübersteht, sind (durch an der Drehungsaxe
befestigte Drähte) die beiden ruhenden Scheiben metallisch mit
einander verbunden. War also die rotirende Scheibe elektrisch,
so ist sie der Kuchen eines Elektrophors, dessen Schild von
den beiden ruhenden Scheiben gebildet wird: die nächste Scheibe
erhält die mit der erregenden Elektrieität ungleichnamige, die ent-
fernte gleichnamige Influenz-Blektricität. Bei weiterer Drehung
werden die ruhenden Scheiben von einander isolirt, und durch
eine zweite und dritte zeitweilige Drahtverbindung wird die
gleichnamige Elektricität der zweiten Scheibe zuerst zu einer
Metallkugel, dann zu der rotirenden Scheibe übergeleitet. Diese
Scheibe tritt also stärker elektrisch als zuvor der ersten ruhenden
Scheibe gegenüber und das Spiel des Apparats beginnt von
Neuem. Nach wenigen Umdrehungen hat auch bei schwächster
vorläufiger Elektrisirung der rotirenden Scheibe ihre Rlektricität
so zugenommen, dafs sie sich durch einen Funken mit der
' Elektrieität der ersten ruhenden Scheibe ausgleicht. Die nach
1!) Phil. transact. 1788 abridged.“ 16. 505.
868 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
dem Funken in der rotirenden Scheibe zurückgebliebene Elektri-
eität reicht hin, die Maschine in Gang zu erhalten. Wir haben
also einen einfachen Elektrophor, an dem beide Influenz-Elektri-
citäten verwendet werden, dessen rotirender Kuchen, wie der
eine Theil des ruhenden Schildes, durch das Spiel des Apparates
stärker und stärker bis zu einem Maximum elektrisirt wird.
Diese Verstärkung ist so grols, dafs Nicholson vom Apparate
Funken erhielt, ohne absichtlich eine Scheibe elektrisirt zu
haben, weil die von früheren Versuchen rückständige Elektricität
genügte, den Apparat in Gang zu setzen.') Daher die selt-
same Überschrift seiner Abhandlung: Beschreibung eines Instru-
ments, das durch Drehung einer Kurbel beide Elektrieitäten
hervorbringt ohne Reibung oder Verbindung mit der Erde.
Als Elektrieitätsquelle ist der Apparat, der sich dazu in dieser
Form wenig eignet, nicht gebraucht worden, wohl aber als
Multiplicator, um geringe Elektrieitätsmengen 'bemerklich zu
machen. Volta hat denselben unter dem Namen dupkcatore
a molinello di Nicholson gerühmt und häufig benutzt. °)
Einfacher als an dem Kuchen Eines Elektrophors ist die
dauernde Elektrisirung auszuführen an den beiden Kuchen zweier
Elektrophore, was von Belli °) in folgender Weise geschehen
ist. Jeder Kuchen der beiden Elektrophore besteht aus einer
isolirten vertikalen Metallplatte von 5 Zoll Höhe und etwas
gröfserer Breite, die in der Mitte vertikal umgebogen ist zu
einer Tasche, deren Wände am Ende 14 Zoll von einander
stehen. Die beiden Kuchen sind einander gegenübergestellt,
so dafs die Enden eines Glasstabes, der winkelrecht an eine
horizontale Axe befestigt, um diese durch eine Kurbel gedreht
wird, in den innern Raum der Kuchen zugleich eintreten und
1) Auch Töpler fand neuerdings bei einem Apparate, der aus 2
um dieselbe Axe drehbaren Elektrophoren bestand, dafs er wirkte, ohne
vorläufig elektrisirt zu werden. Nach wochenlanger Ruhe war dazu eine
4 bis 5 Minuten währende Drehung nöthig. Ein ähnlicher Apparat kam
“nach tagelanger Ruhe in wenigen Sekunden zu voller Thätigkeit. Pog-
gend. Annalen 125. 479 u. Bd. 127. 196.
2) Collezione dell’ opere di Volta” IL,. 47.
3) Belli corso di fisica sperimentale. Milano 1838.* 3. 395.
vom 6. December 1869. 869
ihn zugleich verlassen. An jedem Ende des Glasstabes ist
eine 15 Zoll breite Metallscheibe befestigt. Wenn diese Schei-
ben sich in der Mitte der Kuchen befinden, berühren beide die
Contactfedern eines isolirten Metallstabes, sind also mit einan-
der verbunden und bilden den Schild beider Elektrophore. Es
sei der eine Kuchen elektrisirt, die in ihm befindliche Metall-
scheibe erhält die ungleichnamige, die entfernte Scheibe die
gleichnamige Influenz-Elektrieität. Bei Drehung der Kurbel
tritt jede Scheibe elektrisirt aus ihrem Kuchen, und wenn sie
in den gegenüberstehenden Kuchen ganz eingetreten ist, berührt
sie eine an diesem Kuchen befestigte Contactfeder und gibt
ihm ihre ganze Elektrieität ab, mit welcher er auf die bis zur
Mitte vorgerückte Scheibe wirkt. So wird in kurzer Zeit die
ursprünglich dem einen Kuchen mitgetheilte Elektrieität in
hohem Grade verinehrt, Elektricität entgegengesetzter Art im
zweiten Kuchen zu gleichem Grade angehäuft, und beide können
zu Versuchen benutzt werden. Der Apparat wirkt als Doppel-
Elektrophor mit rotirendem Schilde, an dem aber nur die von
jedem Kuchen erregte ungleichnamige Elektricität gebraucht
wird, da die beiden gleichnamigen Elektricitäten sich im Metall-
stabe ausgleichen. Belli bestimmte den Apparat nur zum Mul-
tiplicator und gab ihm, um als Elektricitätsquelle zu dienen, 1)
die folgende Einrichtung und den Namen macchina ad attuazione
(Influenz -Maschine).
Eine durch Rolle und Rad um eine vertikale Axe schnell
gedrehte horizontale Glasscheibe, auf der drei gleiche Sektoren
mit Stanniol belegt sind, bildet den Schild des Apparats. Die
Scheibe rotirt in einem niedrigen Kasten, der vertikal in zwei
von einander isolirte Hälften getheilt ist. Jede Hälfte ist aus
doppelten, durch eine dicke Harzschicht von einander getrennten
Eisenplatten zusammengesetzt und trägt einen vertikalen Con-
duktor, der, isolirt in das Innere des Kastens tretend, daselbst
mit einem Pinsel aus Stahlfäden endigt, der auf den Stanniol-
Sektoren schleif. Die inneren Eisenplatten der Hälften des
Kastens bilden die beiden Elektrophorkuchen der Maschine und
1) Annali delle scienze del regno lomb-venet 1831. Corso di fisica,*
3, 436,
[1869.) 62
870 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
haben Metallfortsätze nach aufsen. Man beginnt damit, einen
Kuchen zu elektrisiren, z. B. durch ein an den Kuchenfortsatz
angelegtes Silberstück, leitet den Conduktor dieser Hälfte zur
Erde ab und verbindet den zweiten Conduktor mit dem dazu
gehörigen Kuchen, der durch Drehung der Glasscheibe in kurzer E
Zeit elektrisirt wird. Dann ladet man bei verwechselten Ver- R
bindungen den ersten Kuchen zu gleicher Stärke, fährt so fort,
bis beide Kuchen hinlänglich stark elektrisch sind, läfst dann j
beide Kuchen isolirt, und verwendet die von den gleichfalls j
isolirten Conduktoren aufgenommene El. zu Versuchen. Die
Maschine liefert nach Belli’s Angabe in sehr kurzer (brevis-
simo) Zeit eine sehr grofse (grandissima) Elektrieitätsmenge.
Dies ist erklärlich, da jeder Conduktor zwei Portionen Elektri-
eität liefert: die daselbst erregte gleichnamige und die vom
entfernten Kuchen erregte ungleichnamige Influenz -Elektricität.
Diese Elektrophormaschine mufs, wie beschrieben worden,
zur Elektrisirung ihrer Kuchen benutzt werden, ehe sie zu
Versuchen dient, ihr Gebrauch verlangt zwei verschiedene An-
ordnungen der Maschine. Ist auch dafür gesorgt, dafs die
Kuchen ihre Elektrieität nicht allzu schnell verlieren — jene
bilden, wie die Beschreibung gezeigt hat, die inneren Belegun-
gen zweier Franklin’schen Tafeln — so wird doch bei län-
gerem Gebrauche der Maschine die veränderte Anordnung zur
Elektrisirung der Kuchen nöthig sein, und Dies ist wol der
Grund, dafs die sinnreiche Maschine völlig unbeachtet geblie-
ben ist.
Vor wenigen Jahren hat Töpler eine Elektrophormaschine
erfunden, 1) die ebenfalls auf der einfachen Influenz beruht,
aber vor der eben beschriebenen den Vorzug hat, dafs die
Kuchen ohne Aenderung der Einrichtung, während des Gebrauchs
fortdauernd elektrisirt werden. Die Maschine benutzt mehre
drehbare Scheiben.
Holtz hat zuerst bei den Elektrophormaschinen die Doppel-
Influenz benutzt, indem er die Kuchen auf Metallkämme wirken
liefs, die von den Kuchen durch eine rotirende Glasscheibe
!) Eine kurze Beschreibung dieser und der folgenden Maschine in
den Monatsberichten 1867 S. 195 flgd. und Poggend. Annal. 131. 228.
vom 6. December 1869. 871
Setrennt sind, und die Kuchen, die aus Papier bestehen, mit
einer an die rotirende Scheibe tretenden Cartonspitze versah.
Dadurch wird die Construktion der Maschine, einfacher, als die
der vorher genannten und man behält, unbeschadet der dauern-
den Elektrisirung der Kuchen, die volle, in kürzester Zeit wie-
derholte Wirkung zweier Elektrophore zur Verfügung. Diese
Blektrophormaschine hat eine grofse Verbreitung erlangt und
bezeichnet einen bedeutenden Fortschritt der elektrischen Ap-
parate. Die erste von Holtz construirte Maschine mit Einer
drehbaren Scheibe leistet so gute Dienste bei Ladung einer -
Batterie, dafs sie, wie ich glaube, ihren Platz in den Samm-
lungen elektrischer Apparate behaupten wird, ohne indefs die
zu anderen Zwecken nützlichen Apparate, den Elektrophor und
die Elektrisirmaschine, zu verdrängen.
Das Wesentliche der vorangehenden Vergleichung läfst
sich kurz so zusammenfassen. Alle drei betrachteten Apparate
sind auf dasselbe theoretische Princip gegründet: die Elektri-
sirung eines Körpers durch Influenz einer elektrischen Platte,
des Kuchens. Der Elektrophor ist gewöhnlich so eingerichtet,
dafs nur die der Elektricität des Kuchens ungleichnamige, die
Elektrisirmaschine so, dafs nur die gleichnamige Influenz-
Elektrieität benutzt wird. Gibt man dem Elektrophor und der
Elektrisirmaschine eine solche Einrichtung, dafs an jedem Ap-
parate beide Influenz-Elektrieitäten verwendbar sind, so werden
sie zwar, theoretisch betrachtet, völlig identisch, unterscheiden
sich jedoch in Rücksicht auf die Leichtigkeit ihrer Anwendung.
Der Elektrophor ist schnellbeweglich, erlaubt darum die
häufige Wiederholung seines Gebrauchs in gegebener Zeit, und
ist leicht doppeltwirkend zu erhalten; dagegen bleibt die Elek-
trieität seines Kuchens nicht constant und mufs häufig aufs
Neue erregt werden. An der Elektrisirmaschine bleibt
die Elektrieität des Kuchens constant, aber die Maschine wird
sehr complieirt, wenn sie schnellbeweglich und mit doppelter
Wirkung hergestellt werden soll. Die Elektrophormaschine,
die gleichfalls beide Influenz-Elektricitäten zur Verwendung
_ liefert, vereinigt die bezeichneten Vorzüge beider Apparate: sie
ist schnellbeweglich, doppelt wirkend und nach vorläufiger
Elektrisirung Eines Kuchens werden ihre beiden Kuchen fort-
62°
872 Gesammtsitzung
in einem constanten Zustande erhalten. Dagegen freilich hat
sie Mängel, welche den vorher genannten Apparaten fehlen:
grofse Empfindlichkeit für den Zustand der sie umgebenden
Luft und Wandelbarkeit der Elektrieitätsart ihrer Elektroden.
9. December. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Schott las eine Fortsetzung seiner altajischen (tura-
nischen) Studien.
Hierauf legte Hr. du Bois-Reymond eine Mittheilung
des Hrn. Dr. Oscar Liebreich vor, über das Strychnin
als Antidot bei Chloralvergiftung.
Bei Anwendung des Chloralhydrates sah ich einen bereits
8 Tage bestehenden Kinnbackenkrampf rheumatischer Ursache
innerhalb 5 Minuten, bevor die Schlafwirkung eintrat, sehwin-
den. Diese Beobachtung führte naturgemäfs zu dem Versuch,
das Chloralhydrat als Antidot bei Strychninvergiftung zu be-
nutzen. Es tritt jedoch die Chloralwirkung nicht so schnell
ein, um Thiere, die tödtliche Dosen Strychnin erhalten haben,
vom Tode zu retten. Nur wenn man unmittelbar nach der
Einführung des Strychnin’s das Chloral verabreicht, gelingt es,
die Anfälle zu mildern.
Umgekehrt ist die Wirkung des Strychnin’s bei Thieren,
die mit Chloral vergiftet sind, höchst bemerkenswerth.
Von den vielfach modificirten Versuchen sind folgende
charakteristisch.
1) Ein Kaninchen erhält 2,0 Grmm. Chloralhydrat subeu-
. tan, d. h. eine tödtliche Dose.
2) Ein zweites Kaninchen erhält ebenfalls 2,0 Grmm.
Chloralhydrat. |
3) Ein drittes Kaninchen erhält 0,0015 Grmm. Strych-
niumnitricum subcutan injicirt.
vom 9. December 1869. 873
Bereits nach 7 Minuten beginnt ein heftiger Tetanus. Die
Anfälle wiederholen sich schnell auf einander. Dies Thier
stirbt in wenigen Minuten.
Die ersten beiden Thiere sind eine halbe Stunde nach der
Verabreichung in der tiefsten Narcose. Die Muskelerschlaffung
ist so grofs, dafs die Thiere beim Aufheben sich wie Cadaver
verhalten. Die Respiration wird langsamer. Die Cornea rea-
girt auf Reize ganz schwach.
Dem zweiten Kaninchen wird eine Dose von 0,0015 Grmm.
Strychn. nitric. subcutan injieirt. Schon 10 Minuten später be-
ginnt die Respiration lebhafter zu werden. Auf Reize beginnt
das Thier ohne Krampf zu reagiren. Der Muskeltonus beginnt,
beim Abziehen der Pfoten zieht das Thier dieselben wieder
an sich. Schon nach Verlauf von 2 Stunden sitzt das Thier
aufrecht, nach 4 Stunden ist dasselbe wieder vollständig in
seinem normalen Zustand, ohne dafs Tetanus und Trismus auf-
getreten wäre. Nur während des Schlafes liefs sich nach hef-
tigem Reizen eine leichte Zuckung auslösen.
Das erste Thier war bereits 24 Stunden nach Verabfol-
gung des Chloralhydrates todt. -
Es geht aus diesen Versuchen hervor, dafs das Strychnin,
während der tiefsten Chloral-Narkose angewandt, die
tödtliche Wirkung des Chloralhydrats aufhebt, den Schlaf
um Bedeutendes verkürzt ohne selbst schädlich zu wirken.
An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:
Sitzungsbericht der Wiener Akademie, phül.-hist. Klasse. 60. Bd. Heft
1. 2.3. — 61. Bd. Heft 1. Math.-naturw. Kl. 1868. I. Abth. Nr.
6—10, H. Abth. Nr. 7—10. 1869. I. Abth. Nr. 1—2, I. Abth.
Nr. 1—3.
Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen. 40.Bd. 2.Heft. Wien 1869. 8.
Fontes rerum austriacarum. Bd. 29. Abth. I. Wien 1869. 8.
Tschermak, Porphyrgesteine. Wien 1869. 8.
Urkundenbuch des Landes ob der Enns. 5. Bd. Linz 1869. 8.
Bulletin de la societe des naturalistes de Moscou. Moscou 1869. 8.
Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchatel. VIIL, 2.
Neuchatel 1869. 8.
z sich
Dr.
874 \Gesammtsitzung
Memorie‘ dell’ Istituto lombardo. XI, 2. Milano 1869. 4.
Rendiconti dell‘ Istituto lombardo. II, 11—16. Milano 1869. 8.
Boncompagni, Intorno all’ opera d’ Albiruni sul!’ India nota. _
(Estratto.) Roma 1869.: 4. |
16.December. Gesammtsitzung der Akademie.
Hr. Hagen las über Bewegung des Wassers in eylindri-
schen nahe horizontalen Röhren.
‚Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über mexica-
nische Amphibien, welche Hr. Berkenbusch in BPue-
bla auf Veranlassung des Hrn. Legationsraths von
Schlözer dem‘ zoologischen Museum zugesandt hat.
Hr. Berkenbusch hat dem zoologischen Museum eine
Sammlung von drei Säugethieren, von Amphibien, Mollusken,
Insecten, Myriopoden und Krebsen in Weingeist zugesandt, un-
unter denen besonders die aus den wärmeren Gegenden Mexi-
cos (Matamoros u. a. OÖ.) herstammenden Amphibien bemerkens-
werth sind, wie aus der Übersicht hervorgehen wird, welche
ich mir hier mitzutheilen erlaube. Diese Sammlung liefert nur
einen neuen Beweis, wie wenig die Fauna Mexicos erschöpfend
untersucht ist und wie viel noch eine sorgfältige Erforschung °
jener reichen, klimatisch so verschiedenen Gegenden erwarten
läfst. Zu bedauern ist nur, dafs eine Angabe über die speciel-
len Fundorte der eingesandten Arten fehlt.
SAURN.
1. Spheriodactylus anthracinus Cope, Proc. Academ. Philad.
1861. p: 200. |
2. Anolis leviventris Wiegmann.
Ein Exemplar, welches weit besser erhalten ist, als das
Originalexemplar und die Kiele der Kopfschilder und Bauch-
‘schuppen viel deutlicher zeigt, so dafs der gewählte Species-
name wenig passend erscheint.
3..Sceloporus microlepidotus Wiegmann.
4. Sceloporus spinosus Wiegmann.
vom 16. December 1869. 875
5. Sceloporus @neus Wiegmann.
6. Sceloporus scalaris Wiegmann.
7. Phrynosoma orbiculare Wiegmann.
8. Gerrhonotus lichenigerus Wagler.
OPaipir.
9. Stenostoma dulce Baird & Girard.
10. Boa imperator Daud.
11. Geophis semidoliatus D. B.
12. Streptophorus SebaeD.B.
13. Conopsis nasus Günther.
Oxyrhina varians Jan.
Mehrere Exemplare, von denen einige an beiden Seiten
ein Frenale, eins rechts ein Frenale, links keines und andere
an beiden Seiten kein Frenale haben. Alle diese sind mit
zwei besondern Internasalschildern versehen, während bei an-
deren Exemplaren unseres Museums dieselben mit den Prae-
frontalia verschmolzen sind. Alle diese Variationen haben zu
der Aufstellung von Nominalgattungen Veranlassung gegeben.
Denn Toluca Kennicot- ist jedenfalls identisch mit dieser Art
und Gattung und Chionactis Cope (Lamprosoma Hallowell)
so wie Cemophora Cope (Colub. coccineus Blumenbach) dürf-
ten generiseh nicht zu trennen sein.
14. Ficimia olivacea Gray.
Amblymetopon variegatum Günther, Cat. Snakes. 1858.p.2.
? Gyalopion canum Cope, Proc. Acad. Philadelphia. 1860.p. 243.
Auch diese Schlange ist äufserst variabel und hat daher
zur Aufstellung von Nominalgattungen nach der Kopfbeschil-
dung Veranlassung gegeben.
Die von Gray beschriebenen beiden Exemplare haben
beide das Rostrale nach hinten weit verlängert und breit mit
dem Frontale medium zusammenstofsend, jederseits das Inter-
nasale mit dem Präfrontale vereinigt. An dem einen Exemplar
ist das Nasale mit dem 1. Supralabiale vereinigt, an dem ande-
ren getrennt.
Von den beiden mir vorliegenden Exemplaren hat nur das
eine das Rostrale mit dem Frontale in Verbindung stehen, das
Nasale mit dem 1. Supralabiale vereinigt, aber das Internasale
ist jederseits von dem Präfrontale getrennt.
876 Gesammtsitzung
Bei dem andern, im ganzen Körperbau und in der Färbung \
ganz mit dem ersten übereinstimmend, ist das Rostrale oben
durch die Internasalia und die Präfrontalia von dem Frontale
getrennt, daher nicht verlängert und auch das Nasale ist nicht
mit dem Supralabiale verwachsen. |
Die von Hrn. Cope als Gyalopion canum beschriebene
Schlange, welche das Rostrale, die Internasalia trennend, nur
bis zu den Präfrontalia verlängert hat, scheint mir ebenfalls
hierher zu gehören und das Übergangsglied zwischen den von
mir beschriebenen beiden Varietäten zu bilden. n
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man auch die Gattun-
gen Ficimia und Conopsis nicht von einander trennen dürfen.
Es liefern diese Schlangen nur den Beweis, bis zu wel-
chem Grade in einzelnen Fällen die Kopfbeschildung derselben
variren kann und dafs eine systematische Vertheilung der
Schlangen nach diesen Merkmalen allein, wie sie von verschiede-
nen Seiten versucht worden ist, mehr als bedenklich erscheint.
15. Pliocercus elapoides Cope.
Elapochrus Deppei Ptrs. Monatsber. 1860. p. 294. var.
Liophis tricincetus Jan, Iconographie Ophid. 18.IV.Fig.5.
16. Phimathyra Bairdi Jan.
17. Pityophis Deppei D. B.
18. Tachymenis') melanocephala n. sp.
Ein ganz junges Exemplar, welches vielleicht zu 7. bipunc-
tata Gthr. gehört, mit der es in der Pholidosis übereinstimmt,
!) Hr. Cope unterscheidet Tachymenis Wiegm. von Coniophanes
Hallow. dadurch, dafs erstere 2 Anteorbitalia und Schuppenporen,
letztere nur 1 Anteorbitale und keine Schuppenporen habe. Wir haben
neuerdings eine Schlange, T. taeniata n. sp.?, ebenfalls aus Mexico er- |
halten, welche ganz ähnlich gezeichnet ist, wie die im Jan schen Werke
abgebildete Varietät von T. fissidens Gthr. (18. Livr. Taf. 5 Fig.3b.), wel-
che aber zwei Anteorbitalia uud fünfundzwanzig Schuppenreihen
hat. Im der Pholidosis des Kopfes und in der Bezahnung stimmt sie sonst
ganz mit T. fissidens überein, so dafs ich Zweifel hege, ob sie wirklich als
eine von dieser verschiedene Art zu betrachten ist. Es würde eventuell
wieder ein Beispiel einer so grofsen Variabilität in der Zahl der Schup-
penreihen bei derselben Art sein, wie sie bei den Colubrinen bisher
noch nicht beobachtet worden ist. Cf. auch Monatsbericht. 1863 p. 275.
vom 16. December 1869. 877
eben so in der Punktirung der Kopfschilder und der Zeichnung
der Infralabialschilder. Der ganze Kopf hat aber mit Ein-
schlufs des Nackens bis zur 10. Schuppenreihe eine schwarz-
braune Grundfarbe, hinter welcher ein vier Schuppenreihen
breites gelbliches Halsband folgt, während der übrige Körper
oben gelbbraun, die Unterseite gelblich ohne schwarze Puncte ist.
19. Tropidonotus sirtalis Linne.
20. Dipsas biscutata Dum. Bibr. var. latifascia.
Körperschuppen in 21 bis 22 Reihen, Abdominalschilder
206 bis 210. Sonst nur in der Färbung verschieden: 13 bis 14
breite Querbinden auf dem Körper, 5 bis 6 auf dem Schwanze,
von graubrauner Farbe, vorn und hinten schwarz gesäumt.
Keine deutlichen Vförmigen Zeichnungen auf dem Kopf, eine
helle Hinterhauptsbinde, welche auf den Parietalia Vförmig ein-
springt, und den gröfsten Theil der Schläfengegend nebst den
3 hintern Supralabialia mit umfalst.
21. Dipsas cenchoa Linne.
22. Elaps corallinus L. var. crebripunctatus.
Kopf schwarz mit Einschlufs des vordern Drittels der Pa-
rietalia. Eine gelbe Binde auf den Parietalia, welche sich nach
vorn und unten verbreiternd über die untere Hälfte des 4. Su-
pralabiale ausdehnt, dahinter eine breitere'schwarze Binde, wel-
che die 6 ersten Schuppenreihen, die hintere Spitze der Parie-
talia und die hintere Hälfte des letzten Supralabiale einschliefst,
und hinten von einem 1 Schuppenreihe breiten gelben Ringe
umsäumt wird. Durch 22 Schuppenreihen getrennt folgt ein 3 |
Schuppenreihen breiter schwarzer gelbgesäumter Ring. Auf
diesen folgen dann noch 9 eben solche Körperringe und dann
noch 4 breite durch schmale goldgelbe Ringe getrennte schwarze
Schwanzringe. Die Schuppen der breiten rothen Zonen haben
jede einen schwarzen Endfleck und auch die entsprechende
Bauchgegend ist gefleckt.
23. Elaps Marcgraviü Wied, var. laticollaris.
Kopf schwarz mit Einschlufs des vorderen Theils der Pa-
rietalia, so dafs die hintere Spitze des Frontale frei bleibt.
Auf dem Hinterhaupt ein gelber Ring, welcher sich über die
zweite Schuppenreihe ausdehnt; hierauf ein breiter über 12 bis
13 Schuppenreihen ausgedehnter schwarzer Ring, dann ein gel-
878 Gesammtsitzung
ber 3 bis 4 Schuppenreihen breiter und hinter diesem ein 4 bis
5 Schuppen breiter schwarzer Ring. Nun folgt ein 6 bis 9
Schuppen breiter rother Ring, in welchem die Schuppenspitzen
schwarz sind. Dann folgen zu dreien durch gelbe getrennte
schwarze Ringe, von denen der mittlere mehr oder weniger
doppelt so breit wie die beiden anderen ist. .Je drei Ringe
sind wieder durch einen breiten rothen schwarzgefleckten Ring
getrennt. Solcher Triaden finden sich, die des Kopfes, mitge-
rechnet, 7 bis 8 auf dem Körper. Der Schwanz hat drei breite
schwarze durch schmälere gelbe getrennte Ringe.
BATRACHIA.
24. Rana halecina Kalm.
25. Rana Montezumae Baird.
26. Liuperus nitidus n. Sp.
Diese Art weicht durch ihre schlanke Form sehr von der
typischen Art (Z. marmoratus) ab und hat so mehr den Habi-
tus eines Phryniscus. Jedoch zeigen die Oberkiefer Zähne und
die schlanken Querfortsätze des Sacralwirbels keine Verbreiterung.
Die Körperhaut ist ganz glatt oder zeigt nur auf dem
Rücken einige wenige ganz kleine Granula. Der Canthus ro-
stralis ist abgerundet, die Schnauze spitz abgerundet. Die
Entfernung der Augen von der Schnauzenspitze gleich ihrem
Durchmesser. Die Nasenlöcher befinden sich seitlich, doppelt
so weit von den Augen wie von der Schnauzenspitze entfernt.
. Das Trommelfell, kaum durch die Haut erkennbar, ist im
Durchmesser gleich 4 Augendurchmesser. Die Zunge ist lang
und fast rhomboidal, die inneren Nasenöffnungen sind rund und
stehen jederseits ganz am Gaumenrande; die Öffnungen der
Tuben sind äufserst klein. Der erste Finger ist ein wenig
kürzer als der zweite; nicht allein die Finger und Zehen, son-
dern auch die Unterseite der Mittelhand- und Mittelfufsglieder
sind mit vorspringenden Ballen versehen; unter dem Mittelfuls-
knochen der 4. Zehe stehen vier solcher Ballen in einer Reihe.
Grünlich, mit duukleren Zeichnungen, unter denen ein mit sei-
ner Spitze nach hinten gerichteter dreieckiger Fleck zwischen
den Augen; an jeder Körperseite vor dem Schenkel ein läng-
lich ovaler schwarzer, hellgrün marmorirter Fleck. Lippenrän-
vom 16. December 1869. 879
der grün gefleckt. Extremitäten braungebändert. Unterseite
bräunlich, undeutlich hell punctirt.
Totallänge 55h! 5102020, -:8. ‚Finger: 1.1 1,090085
Boing, 2... .. 02007 - Hint. Bxtr..ı.. 3. ,.,00026
Ber, 0. 7000075 Fuß... -.....2..00012
0014 A, Zehe ’ . .' . 2.000055)
es. 0005
27. Hylodes Berkenbuschiü n. sp.
In der Gestalt dem H. (Leiula) Güntheri Keferstein ähat
lich, Schnauze zugespitzt, etwas länger als der Augendurch-
messer, mit deutlichem Canthus rostralis, unter welchem das
Nasenloch fast doppelt so weit vom Auge als von der Schnau-
zenspitze entfernt liegt. Trommelfell ganz frei, grofs, im Durch-
messer gleich 2 Augendurchmesser. Choanen kleiner als die
- Tuben; Vomerzähne ziemlich weit hinter den Choanen, auf
2 kleinen queren, einander genäherten Höckern stehend. Zunge
herzförmig, hinten kaum eingebuchtet. Auf der glänzenden
Körperhaut einige seitliche Längswülste und eine starke von
der Schulter zum Schenkel gehende Seitenfalte.e. Bauchscheibe
glatt, vor der Brust eine Querfalte. Finger frei; der erste Fin-
ger etwas kürzer als der zweit. Auf der Handsohle zwei
glatte Wülste. Die Basalglieder der Zehen sind durch Schwimm-
häute mit einander vereinigt, wie bei ZH. laticeps Dum., von denen
schmale Säume bis zu den Haftscheiben ausgehen. Eine Haut-
falte längs dem inneren Tarsalrande, die an dem einzigen inneren
Tarsalhöcker endigt. Die fünfte Zehe reicht bis an die Haft-
scheibe der dritten. Haftscheiben der Finger und Zehen wohl
entwickelt.
Oben bräunlich mit dunkleren Flecken, von denen ein
dreieckiger zwischen den Augen liegender scharf gegen die
helle Schnauze abgesetzt ist. Weichen mit schwarzen Flecken
und gelber Marmorirung. Lippenränder mit hellen Querbinden. _
1) Hr. Dr. Günther hat (Proc. Zool. Soc. Lond. 1868. p. 479) die
Vermuthung geäulsert, dafs der von mir beschriebene L. elegans kein
Liuperus sondern ein Phy yllobates sein möchte. Ich kann nur darauf er-
widern, dafs diese Art allerdings die Zehenspitzen etwas breiter hat, als
L. marmoratus, ohne dafs man darin Haftscheiben erkennen könnte und
dafs die Proportionen der kurzen Zehen die von Liuperus und nicht die’
der bekannten Arten von Phyllobates sind.
EEE
830 Gesammtsitzung
Gliedmafsen mit dunkeln Querbinden. Hinterseite der Schen-
kel mit kleinen hellen und schwarzen Flecken. WUnterkinn
bräun mit hellern Punkten, Bauch heller gelblich braun mit
verwaschenen dunkeln Flecken.
Totallänge‘." 00045 3. Ringer 7 u VE0DE
Kopflänge ....,%:.x.0%0I5: Hant.JExte..), Sen
Kopfbreite. ....)...,.,, 02017. Eula,. . 2 00 Mo
Vord, Extr. „=. .. , .0x0257'4, Zehe „See
Hand 1193873172 105102012
28. Hyla eximia Baird.
Hyla eximia Baird, Pr. 4.N. Sc. 1851. p.61; Rept. Mexic. Bound.p.29.
Taf. 38. Fig.8— 10.
HylaeuphorbiaceaGünther, Cat. Batr. Sal.1858.p. 109. Taf. 10. Fig.C.
Mehrere Exemplare mit schwarzen Rückenstreifen (H. exi-
mia) und andere ohne dieselben (7. euphorbiacea).
29. Hyla microtis n. sp.
Vomerzähne auf zwei Querhöckern, welche von der innern
vorderen Seite der Ohoanen ausgehen, ein wenig nach hinten
convergiren nnd um die Breite eines derselben auseinanderstehn;
Choanen viel gröfser als die sehr kleinen Tubenöffnungen;
Zunge herzförmig, hinten kaum eingebuchtet. Schnauze dop-
pelt so breit wie lang und etwas länger als der Augendurch-
messer; Nasenlöcher quer, unter dem Canthus rostralis, eben
so weit von einander als von dem Auge entfernt. Trommel-
fell nicht halb so grofs, wie die Haftscheiben, kaum sichtbar
durch die Haut. Rückenhaut ohne bemerkbare Granula; Bauch
und Unterseite der Schenkel dicht gedrängt granulirt; Granula-
tionen des Unterkinns sparsamer. Der 1. und 2. Finger sind an
der Basis, der 2. mit dem 3. zur Hälfte und der 4. auf 3 mit
dem 3. durch Schwimmhäute verbunden. Die Zehen sind bis
zu den wohlentwickelten Haftscheiben durch Schwimmhäute
verbunden, welche indefs am letzten Gliede der 4. Zehe nur
einen schmalen Saum bilden; an der Basis der 1. Zehe ein
kleiner Metatarsalhöcker.
Die Oberseite des Körpers und der Gliedmafsen ist blän-
lich- oder violetgrau; dort wo sie sich absetzt gegen die gelb-
liche Bauchseite befindet sich eine schmale Linie oder eine
Punktreihe von schwarzer Farbe. Hinter- und Vorderseite der
Oberschenkel farblos.
vom 16. December 1869. 881
ae ie or -00037.,:8. Fingssntson. 110007
Kopflänse +. „n..r0%010 ‚Hint.,Extr. „..u...0.,0.0%060
Be. .... 02013 EFuls ... ......,..:. 02028
Bern... 02026 4 Zelle . ... . . 09010
nd we ß 0m012
30. Bufo TERBEREN Wiegmann.
Bufo compactilis Wiegmann, Isis. 1833. p. 661.
Bufo anomalus Günther, Cat. Batr. Sal. p. 87.
31. Engystoma mexicanum n. Sp.
In der Gestalt und Färbung sehr ähnlich dem E. caroli-
nense, aber mit zwei vorspringenden Höckern am Hacken, von
denen der innere der gröfsere ist, mit vorspringenden Höckern
unter den Finger- und Zehengelenken und mit merklich kür-
zeren Fingern und Zehen.
otallanger 2..2.%5 ..:'.00026 ,..3.1,Finger..;). .si0:..09003
Bosimeer , ..., 02008 .Hint. Extr..., .„:... 02031
Be ne... .0500% Fuls . .» . ... 02016
ern... 0154. Zehe .. . .. +02006%)
Bmaszsn na 2.0, 2150 09015 ‘
Hr. Weierstrafs legte eine Mittheilung des Hrn. Gust.
Robert Kirchhoff, correspondirenden Mitgliedes der Aka-
demie vor:
Über die Kräfte, welche zwei unendlich dünne,
starre Ringe in einer Flüssigkeit scheinbar auf
einander ausüben können.
Auf einen starren Körper, der in einer bewegten Flüssig-
keit sich befindet, werden von dieser Druckkräfte ausgeübt,
die im Allgemeinen sich nicht aufhehen. Ist in der Nähe des
Körpers ein zweiter vorhanden, so wird dieser von Einfluls auf
die Bewegung der Flüssigkeit, also auch auf die Druckkräfte
sein, die auf den ersten wirken. In einem Falle, in dem diese
Druckkräfte sich aufheben, sobald der zweite Körper in die
1) Der von mir (Monatsberichte d. Js. p. 786) beschriebene Cyclorkam-
phus fasciatus hat zwar in den kürzeren Proportionen der Zehen viel
gröfsere Ähnlichkeit mit den in diese Gattung gestellten Arten als mit
den brasilianisch-surinamischen Oystignathus, dürfte aber wegen der man-
gelnden Zehenschwimmhäute in die letztere Gattung zu stellen sein und
beweist, dafs diese beiden Gattungen viel eher mit einander als mit den
Ranae zusammenzustellen sind.
TEN
832 Gesammtsitzung
Unendlichkeit gerückt ist, sonst aber von Null verschiedene
Resultanten haben, wird man sagen dürfen, dafs der zweite
auf den ersten scheinbar Kräfte ausübt, die diesen Resultanten
gleich sind. Ein solcher Fall findet statt, wenn die beiden
Körper unendlich dünne Ringe sind und die Flüssigkeit die
allgemeinste Bewegung hat, die sie haben kann, während sie
in der Unendlichkeit ruht. |
Genauer präcisirt sind die Voraussetzungen, welche hier
zu Grunde gelegt werden sollen, diese: die Flüssigkeit ist un-
zusammendrückbar und ohne Reibung; sie ist vollständig be-
grenzt durch die Oberflächen der beiden Ringe und eine im
Unendlichen liegende geschlossene feste Fläche; auf ihre Theile
wirken keine Kräfte; diese Theile rotiren nicht und haben Ge-
schwindigkeiten, die sich überall stetig im Raume ändern. In
Bezug auf die Gestalt der Ringe wird angenommen werden,
dafs ein jeder von ihnen eine Mittellinie hat, die eine beliebig
gestaltete geschlossene Curve ist, und dafs die auf dieser Mit-
tellinie senkrechten Querschnitte Kreise von einem unendlich
kleinen, constanten Radius sind, deren Mittelpunkte in der
Mittellinie liegen. Be
Unter diesen Voraussetzungen lälst sich beweisen, dafs die
beiden Ringe scheinbar Kräfte auf einander ausüben, die den-
jenigen gleich sind, mit welchen sie anf einander wirken wür-
den, wenn zwei elektrische Ströme in ihnen flössen.
Bei den gemachten Festsetzungen giebt es für die Bewe-
gung der Flüssigkeit ein Geschwindigkeitspotential; es möge
dieses durch & bezeichnet werden, die Zeit durch t, die recht-
winkligen Coordinaten eines Punktes des zur Zeit £ von der
Flüssigkeit erfüllten Raumes durch x, y,2, der Druck durch »,
die Dichtigkeit durch 9; dann sind
99,30 90
da.dı oz
die Componenten der Geschwindigkeit zur Zeit i im Punkte
%,y,2 und es ist
R) on? Odbı2 Ob \
-- FH)
vo IS
vom 16. December 1869. 883
Dabei ist $ eine in dem ganzen Gebiete seiner Argumente
stetige, aber im Allgemeinen vielwerthige Funktion von z,%,
z,t. Sind d' und $" zwei Werthe von & für dieselben Werthe
von &,Y,2,t, und ist
di p" —k,
so ist k unabhängig von x,y,2, da die Geschwindigkeiten ein-
werthig sind, und auch unabhängig von t, da der Druck ein-
werthig ist.
Dafs $ mehrwerthig sein kann, ist eine Folge davon, dafs
der von der Flüssigkeit erfüllte Raum ein mehrfach, und zwar
dreifach zusammenhängender ist. Man denke sich diesen Raum
in einen einfach zusammenhängenden durch zwei Querschnitte
verwandelt; als solche mögen zwei Flächen genommen werden,
von denen die erste vollständig begrenzt wird durch eine Linie,
die auf der Oberfläche des ersten Ringes der Mittellinie dieses
parallel verläuft, die zweite durch eine Linie, die in gleicher
Weise auf der Oberfläche des zweiten Ringes gezogen ist.
In dem so gebildeten, einfach zusammenhängenden Raume ist
ı einwerthig, hat aber auf beiden Seiten eines jeden Quer-
schnitts im Allgemeinen verschiedene Werthe. Für den ersten
Querschnitt sei die Differenz dieser Werthe k,, für den zwei-
ten k,, wobei dann nach der vorher gemachten Bemerkung %k,
und %k, Constanten sind.
Die Bedingungen, denen die Funktion p nun zu genügen
hat, sind diese:
1) In dem ganzen Gebiete von x,y,2 ist
Bee
2) Bei dem Durchgange durch den ersten Querschnitt än-
dert sich $ sprungweise um k,, bei dem Durchgange durch
den zweiten um k&..
3) Bedeutet N die nach dem Innern der Flüssigkeit ge-
richtete Normale eines Elementes der Grenzflächen derselben,
Ar
oN
— der Componente der Geschwindigkeit des anliegenden Thei-
les des Ringes nach der Richtung von N.
so ist für alle Punkte der Oberfläche eines jeden Ringes
834 Gesammtsitzung
4) Für die Punkte der im Unendlichen liegenden Grenz- \
fläche der Flüssigkeit ist _ N = (.
Diese Bedingungen bestimmen die Funktion b vollständig
bis auf eine additive von x,y,2 unabhängige Gröfse, sobald
die Lagen und Geschwindigkeiten der beiden Ringe und die
Werthe der beiden Constanten k, und %k, gegeben sind. Es
folgt das durch eine bekannte Schlulsweise aus der bekannten
Gleichung
SI +6) + +) + (@ ))- m
in der dS ein Element der Grenze des Gebietes von x2,%y,2
bedeutet, wenn man erwägt, dafs der Theil des nach dS zu
nehmenden Integrals, der sich auf die beiden Seiten eines der
beiden Querschnitte bezieht,
CK
ON’
Jr;
ASaN
ist, wo dem & der Index 1 oder 2 zu.geben und die Integra-
tion nur über die eine Seite des Querschnitts auszudehnen ist.
Um einen Ausdruck zu finden, der den für «» aufgestellten
Bedingungen genügt, bezeichne man mit U, und D, die Po-
tentiale zweier elektrischen Ströme, die die Mittellinien der
k k
beiden Ringe mit den Intensitäten >= und E durchflielsen, in
Bezug auf einen Magnetpol, der sich im Punkte x, y, 2 befindet
und eine Menge magnetischer Flüssigkeit, die der Einheit gleich
ist, enthält. Es sind dann bekanntlich U, und U, die schein-
baren Grölsen zweier von den Mittellinien der beiden Ringe
begrenzten Flächen, von dem Punkte x,y,2z aus gesehen, multi-
k
plieirt mit ı und —. Setzte man $d = U, + U,, so würde
4r Ar
man den Bedingungen l und 2 genügen. Man mache nun
o= U, +0D:-+4V,
so ist V ein Potential von Massen, welche theils auf den Binz
oberflächen, theils auf der äufseren Grenze der Flüssigkeit an-
vom 16. December 1869. 885
geordnet sind, das an diesen Flächen gewissen Bedingungen
zu genügen hat. Es läfst sich nachweisen und soll hier als
nachgewiesen angenommen werden, dafs, wenn man über die
additive Constante, die in V willkührlich bleibt, passend ver-
fügt, V überall unendlich klein ist und die Differentialquotien-
ten von V nach x, y,z in endlicher Entfernung von den Ringen
unendlich klein sind.
Der für p angegebene Ausdruck soll nun benutzt werden,
um die, lebendige Kraft der Flüssigkeit, die 7’ genannt werden
möge, zu ermitteln. Es ist
2 /; (fe Zu (52) Su +5 en +(@ )
oder
SER ERTZ a
es : Jasu5%,
ah
_ _ efası, Ui 2 2 fasın!® _.fasvy
v3 ZN 2 IN 2 IN
ne, av | IV
— gs JASU 5 — gfASU a — efASU
wo die Integrationen nach dS über die Oberflächen der beiden
Ringe und die beiden Seiten der Querschnitte auszudehnen sind,
durch welche der von der Flüssigkeit erfüllte Raum zu einem
einfach zusammenhängenden gemacht ist. Die beiden ersten
dieser 6 Integrale sind unabhängig von der Lage und der Be-
wegung der beiden Ringe; ihre Summe bezeichne man durch
K; das dritte, das fünfte und das sechste sind unendlich klein,
da - nur auf unendlich kleinen Theilen der Flächen, über
die zu integriren ist, endlich, sonst unendlich klein ist, da V
überall unendlich klein ist und O, und U, überall endlich sind.
Mithin ist
ou,
T—=K— R
; '9N
Über die Oberflächen der beiden Ringe genommen ist das al-
lein übrig gebliebene Integral auch unendlich klein, da ee
N
[1869.] 63
386 ‚Gesammtsitzung
an der Oberfläche des ersten Ringes endlich, an der des zwei-
ten = 0 ist; über die beiden Seiten des zweiten Querschnitts
U;
oN
gegengesetzte und U, gleiche Werthe. Es braucht also die
Integration nur über den exsten Querschnitt ausgedehnt zu wer-
den. DBezeichnet man durch d,S, ein Element desselben und
durch N, die eine Normale dieses, so ist hiernach, da auf bei-
ausgedehnt ist dasselbe Integral —= 0, denn hier hat ent-
den Seiten von dS, — entgegengesetzte Werthe und U, Wer-
the hat, die um &,. verschieden sind, |
00,
T=K-ok, dSıay, 5
Da die Grenzlinie des Querschnitts von der Mittellinie des
Ringes nur unendlich wenig absteht, so kann man hier dS,
auch definiren als das Element einer durch die Mittellinie des
ersten Ringes begrenzten Fläche. Nach dem Ampere’schen
Satze, nach dem für einen geschlossenen elektrischen Strom
eine gewisse Vertheilung magnetischer Flüssigkeiten gesetzt
werden kann, ist dann das in der letzten Gleichung vorkom-
mende Integral nichts Anderes, als das Potential zweier elek-
trischer Ströme, die die Mittellinien der beiden Ringe durch-
fliefsen, in Bezug aufeinander. Sind ds, und ds, zwei Ele-
mente dieser Mittellinien, r ihre Entfernung, (ds,, ds,) der
Winkel, den ihre Richtungen mit einander bilden, so ist das
Potential zweier Ströme, die mit der Intensität 1 die Mittel-
linien durchfliefsen, in Bezug auf einander
d
= fr eos (ds, ,dsz)
kık ds, ds
T= R— Et (ER os (ası,ası).
_ Hieraus folgt nun unmittelbar der zu beweisende Satz. Denkt
man sich nämlich die Ringe durch Kräfte, die auf sie wirken,
irgend wie bewegt und bezeichnet durch 67 den Zuwachs, den
dabei 7 in einem Zeitelement erfährt, so ist ö7 gleich dem
und
vom 16. December 1869. 887
Moment der Druckkräfte, welche die Ringe auf die Flüssigkeit
ıusüben, für die Verrückung, die in dem Zeitelement stattge-
unden hat, und also — 87 das entsprechende Moment der
Druckkräfte, welche die Flüssigkeit auf die Ringe ausübt.
Nach dem für 7 gefundenen Ausdrucke ist dieses Moment so
srofs als das der Kräfte, mit welchen zwei elektrische Ströme
auf einander wirken, die die Mittellinien der Ringe mit den
Intensitäten %, / . und k, N — durchfliefsen, für dieselbe Ver-
7 7
rückung; d.h. die Ringe üben scheinbar dieselben Kräfte auf
einander aus als diese Ströme, oder auch als die Ströme, die
mit den genannten Intensitäten die Ringe selbst durchfliefsen.
Derselbe Satz gilt auch, wenn die Querschnitte der Ringe
nicht Kreise sind, sobald sie nur unendlich kleine Dimensionen
haben.
An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden
vorgelegt:
Jahrbuch für die amtliche Statistik des Preu/sischen Staats. 3. Jahrg.
Berlin 1869. 8.
Archiv für die Naturkunde von Liv-, Ehst- und Kurland. 1. Serie.
Dorpat 1868. 8.
Wilh. Wackernagel, Johann Fischart von Stra/fsburg und Basels
Antheil an ihm. Basel 1870. 8.
Robert Rösler, Johanna die Wahnsinnige, Königin von Oastilien.
Wien 1870. 8.
Mittheilungen des historischen Vereins f. Steiermark. 17. Heft. Graz
1869. 8.
Beiträge zur Kunde steiermärkischer Gesehichtsquellen. 6. Jahrg. Graz
1863, 8. 7
Mittheilungen aus dem naturwissenschaftlichen Verein von Neu-Vorpom-
mern und Rügen. 1. Jahrg. Berlin 1869. 8.
Astronomische Nachrichten. 74. Bd. Altona 1869. 4.
Jules Marion, Cartulaire de Saint Hugues de Grenoble. Paris 1869.
4. Mit Ministerialschreiben vom 7. Dec. 1869.
Turbiglio, Z’empire de la logique. Turin 1870. 8.
Gar
Berichtigung.
In der Abhandlung: Über die regelmäfsigen Verwachsun-
gen der Glimmerarten u. s.w. 8.340 Z.17 u. 18 von oben
sind die Worte von „oder wenn“ an bis „bestimmt ist“ zu
streichen. | | AN | en
Namen -Resister.
(Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind im Monatsbericht nicht
aufgeführt.)
Auwers, *Vorzeigung von Photographien, 55. — Über den Werth der
Aberrations-Constante nach den Beobachtungen von Molineux, 611.
Bekker, Über Mifsbrauch des Apostrophs, 273.
Beyrich, *Über Engeniacrinus und Rhizocrinus, 66.
du Bois-Reymond, Festrede, 262. — Über die aperiodische Bewe-
gung gedämpfter Magnete, 807.
Bonitz, *Über Platons Kratylus mit Beziehung auf die Bestreitung des
platonischen Ursprungs, 703.
Boppstiftung, 527.
Borchard, *Über einige Probleme des relativen Maximums, 322.
Braun, Über eine neue in Neuseeland entdeckte Art der Gattung
Isoötes, 648. — Über zwei vom Blitz getroffne Eichen, 698. — Be-
merkungen über eine Mifsbildung von Podocarpus chinensis, 738.
Buschmann, *Zusätze zum Verzeichnifs aztekischer Wörter, 159.
Christoffel, Über die Transformation ganzer homogener Differentialaus-
drücke, 1.
Curtius, Über den religiösen Charakter der griechischen Münzen, 465.
Dove, Über das barometrische Maximum im Januar 1869, 118. —
*Über die meteorologischen Verhältnisse des Sommers 1868, 215.
— *Über den Sturm vom 7. December 1868, 408. — *Über die
vorjährigen Überschwemmungen in der Schweiz, 494. — *Gedächt-
nifsrede auf A. v. Humboldt, 529. — Darstellung der Wärmeer-
scheinnngen durch fünftägige Mittel, 753.
890 Namen-Register.
Droysen, Historischer Beitrag zu der Lehre von den Congressen, 651.
— *Beitrag zur Kritik der Memoiren des Baron von Poelniz, 754.
Ehrenberg, *Über mikroskopische Süfswasserorganismen von Spitz-
bergen, 149. — Über die von Jenzsch aufgefundenen Einschlüsse
im Melaphyr, 244. — Über die vom Schiffe Germania gehobenen
Grundproben, 253. — Mikroskopische Lebengverhältnisse von Spitz-
bergen, 257. — Über den am 24. März 1869 gefallenen rothen
Passatstaub, 308. — Über mächtige Gebirgsschichten aus Bacillarien
unter und bei der Stadt Mexico, 373. — *Über Gladstone’s mikros-
kopische Beobachtungen, 751.. — Eine Mittheilung von Haast über
die Dinornis von Neuseeland, 752.
Ewald, *Über Faserkalkbildungen, 83.
Groth, Über Crystallform und Cireularpolarisation, 140.
Grube, Beschreibungen neuer oder weniger bekannter von Ehrenberg
gesammelter Anneliden des rothen Meeres, 494.
Hagen, *Über die Bewegung des Wassers in vertikal abwärts ge-
richteten Röhren, 731. — *Über Bewegung des Wassers in eylin-
drischen nahe horizontalen Röhren, 874.
Haupt, *Über ein griechisches Excerpt geographischen Inhalts, 1. —
*Über. des Diaconus Marcus Leben des Porphyrius, Bischofs von
Gaza, 1. — *Über die Erklärung der Lustspiele des Aristophanes,
389. — Festrede, 524.
Hensel, Reinhold, 79.
Hofmann, Über die dem Senföl entsprechenden Isomeren der Schwefel-
cyanwasserstoffäther, 332. — Beiträge zur Kenntnifs des Methyl-
aldehyds, 362. — Über das Naphtalinroth, 550. — Über das Xyli-
dinroth, 556. — Zur Kenntnils der isomeren Xylidine, 558. — Zur
Kenntnifs des Chrysanilins, 559. — Über die chemische Natur des
Anilingrüns, 563. — Neue Untersuchungen über die dem Senföl
entsprechenden Isomeren der Schwefeleyanwasserstoffsäureäther, 570.
Bemerkungen über die Entschwefelungsproducte des Diphenylsulfo-
carbamids, 583. — Zur Geschichte der geschwefelen Harnstoffe, 791.
Humboldtstiftung, 78. 5
Kiepert, Über älteste Landes- und Volksgeschichten von Armenien, 216.
Kirchhoff ‚ Über zwei attische Votivinschriften aus Perikleischer Zeit, 409.
Kirchhoff, G. R., Über die Kräfte, welche zwei uuendlich dünne
starre Ringe in einer Flüssigkeit scheinbar auf einander ausüben kön-
.nen, 881.
Kny, Über den Bau und die Entwicklung des Farn Antheridiums, 416.
Köhler, Vorläufige Berichte über eine neue Bearbeitung der attischen
Tributlisten, 149.
Kronecker, Über Systeme von Funktionen mehrer Variabeln, 159. 688.
Namen-Register. 891
Kummer, Festrede, 67.
Lepsius, *Über ägyptische Kunst, 82.
Liebreich, Über das Verhalten des Chlorals und der Trichloressig-
säure im thierischen Organismus, 462. — Über das Strychnin als
Antidot bei Chloralvergiftung, 872.
Lipschitz, Untersuchungen in Betreff der ganzen homogenen Funk-
tionen von n Differentialen, 49.
Magnus, Über Emission und Absorption der bei niederen Temperaturen
ausgestrahlten Wärme, 482. — *Über das Erlöschen hoher Töne
bei der Fortphlanzung in hanfenen Schnüren und in Bleidraht, 611.
— Über die Reflexion der Wärme an der Oberfläche von Flufs-
spath und andern Körpern, 675. — Über die Veränderung der
Wärmestrahlung durch Rauheit der Oberfläche, 713.
Meyer, Über den Giftapparat der Schlangen, 193.
Mommsen, *Über die Erzählung vom Gnaeus Marcius Coriolanus, 149.
272. — *Über ein in Claes in Tirol aufgefundenes Dekret des Kai-
sers Claudius, 391. — *Nachricht von den neuesten Ausgrabungen
in dem römischen Arvalhain, 483. — *Über die comites et amiei
Augusti der früheren Kaiserzeit, 529. — *Über ein ungedrucktes
Bruchstück aus dem 20. Buch des Livius, 752.
Müllenhoff, *Über die Erd- und Gradmessung des Eratosthenes, 521.
Parthey, die koptischen Handschriften in Rom, 276. — Über seine
Ausgabe der Mirabilia Romae nach den vatikanischen Hand-
schriften, 681.
Pertz, Über ein unbekanntes Gesetz des ostgothischen Königs Theodo-
rich, 647.
Peters, Über die Gehörknöchelehen der Schildkröten, Eidechsen und
Schlangen, 6. — Neue Gattungen und Arten von Eidechsen, 57.
— Über neue oder weniger bekannte Flederthiere, besonders des
Pariser Museums, 391. — Über neue Gattungen und neue oder
weniger bekannte Arten von Amphibien, 432. — Über neue oder
weniger bekannte Fische des Berliner zoologischen Museums, 703.
— Über eine neue Eidechsenart, Phyllodactylus galapagensis, 719.
— Über neue Saurier und Batrachier, 786. — Über mexikanische
Amphibien, 874.
Pinder, “*Über Conservation und Restauration von Kunstdenkmälern,
83. — *Über die Trümmer von Sanchi Tope, 243. |
Poggendorff, Vorläufige Notiz über anomale elektrische Erscheinungen,
55. — Über das galvanische Verhalten des Palladiums, 116. —
Über Vereinfachung der Holtz’schen Influenzmaschine erster Aıt,
322. — Über elektrische Spitzenwirkung, 590. — Über das Holtz-
sche Rotationsphänomen, 754.
892. Namen-Register.
Pringsheim, Über die Bildungsvorgänge am Vegetationskegel von Utri-
cularia vulgaris, 92. — Über Paarung von Schwärmsporen,. 721.
Rammelsberg, *Über die Construction einiger natürlicher Tantal- und
Niobverbindungen, 86. — *Über natürliche Tantal- und Niobver-
bindungen, 262. — Über die chemische Zusammensetzung der Tur-
maline, 604.
Ranke, *Über den Fall des PIE Ministers E. v. Danckel-
mann, 750.
Reichert, Über Zoobotryon pellucidus Ehr., 372.
Reusch, Über die -Körnerprobe am. zweiachsigen Glimmer, 83. —
Über Glimmercombination, 530.
Riedel, *Über die Verbesserung ‘der Brandenburg’schen Gerichtsver-
fassung dureh ‚Kurfürst Friedrich I., 273. .
Riefs, Vorgleichung des Electrophors mit der Electrisirmaschine und
Electrophormaschine, 861.
Rose, Über die regelmäfsige Verwachsungen: der verschiedenen Glimmer-
arten, 339. — Über Darstellung krystallisirter Kieselsäure auf trock-
nem Wege, 449.
Roth, *Beiträge zur Kenntnifs der tertiären und posttertiären Eruptiv- _
gesteine, 54. — *Beiträge zur Petrographie der plutonischen Ge-
steine, 140.
Rudorff, Über die Reform der Grundsteuer unter Diocletian, 389.
Rühlmann, Über Höhenmessungen mit dem Barometer, 264.
Schott, *Altajische Studien, 872.
Schultz-Sellack, Über Diathermasie einer ‘Reihe von Stoffen für
dunkle Wärme, 745.
Schweinfurth, Georg, 79.
Warburg, Über die Erwärmung fester Körper durch das Tönen, 86.
— Über die Dämpfung der Töne fester Körper durch innre Wider-
stände, 538. — Über den Einflufs tönender Schwingungen auf den
Magnetismus des Eisens, 857.
Weber, Über eine Episode im Jaimini-Bhärata, 10. 377. — *Über das
Saptacatakam des Häla, 465. 529. — *Zur Kenntnifs des vedischen
Opfercultus, 749.
Weierstrafs, Über die allgemeinsten eindeutigen und 2nfach periodi-
schen Funktionen von » Veränderlichen, 853.
Sach -Register.
Acanthodactylus dorsalis Ptrs., 62.
Achalinus spinalis Ptrs., 436.
Agama Hartmanni Ptrs., 65.
Amphibien, 6. 7. 57. 193. 432. 445. 719. 786. 874.
Anilingrün, 5692.
Anneliden, 494.
Anoplodipsas viridis Ptrs., 442.
Apionichthys nebulosus Pitrs., 709.
Apostroph, 273.
Aristides (2, 288), 413.
Armenien, 216.
Astronomie, Werth der Aberrationsconstante nach den Beobachtungen
von Molyneux, 611.
Bacillarien, 373.
Boppstiftung, 525.
Botanik, Über die Bildungsvorgänge am Vegetationskegel von Utricu-
laria vulgaris, 92. — Bau und Entwicklung des Farn-Antheridiums,
416. — Neue Art von Isoötes aus Neuseeland, 648. — Zwei vom
Blitz getroffene Eichen, 698..— Paarung von Schwärmsporen, die
morphologische Grundform der Zeugung im Pflanzenreiche, 721. —
Mifsbilduug von Podocarpus chinensis, 738.
Centropyx Renggerii Ptrs., 69.
Chamaeleo calcaratus Ptrs., 445.
Chemie, Über die dem Senföl entsprechenden Isomeren der Schwefel-
cyanwasserstoffäther, 332. — Beiträge zur Kenntnifs des Methylal-
dehyds, 362. — Darstellung krystallisirter Kieselsäure auf trocknem
Wege, 449. — Naphtalinroth, 550. — Xylidinroth, 556. — Iso-
mere Xylidine, 558. — Chrysanilin, 559. — Anilingrün, 563. —
894 Sach-Register.
Verhalten des Chlorals und der Trichloressigsäure im thierischen
Organismus, 462. — Entschwefelungsproducte des Diphenylsulfocar-
bamids, 583. — Chemische Zusammensetzung der Turmaline, 604.
— Zur Geschichte der geschwefelten Harnstoffe, 791.
Chloral, Verhalten im thierischen Organismus, 462.
Chloralvergiftung, 872.
Chrysanilin, 559.
Cnemidophorus mexicanus Pirs., 62.
Colopus Wahlbergii Pirs., 57.
Congresse, 651.
Cyclorhamphus fasciatus Pirs., 789. 881.
Demosthenes (def. leg. 272), 413. — Schol. zu Dem. Andr. (13), 413.
Dierodon ceoelestis Ptrs., 64. 433.
Diocletianus, Reform der Grundsteuer, 389. f
Diphenylsulfocarbamid, Entschwefelungsprodukte, 583.
Dromophis praeornatus Pitrs., 447.
Elapomorphus nigrolineatus Ptrs., 439.
Electricität, siehe Physik, 55. 322. 590. 698, 754. 861.
Eremias argus Ptrs., 61.
Eremias Brenneri Pitrs., 432.
Euprepes Grützneri Pirs., 433.
Euprepes laevigatus Ptrs., 434.
Farn-Antheridium, 416.
Festreden, 67. 266. 529. 523.
Fische des Berliner Museums, 703.
Flederthiere, 391.
Galvanismus, siehe Physik, 116.
Gehörknöchelchen, 6.
Glimmer, Körnerprobe am zweiachsigen, 83.
Glimmerarten, regelmäfsige Verwachsungen, 339.
Glimmercombinationen, 9980.
Grundsteuer, römische, 389.
Gymnodactylus Steudneri Pirs., 788.
Haemulon maculosum Ptrs., 705.
Harnstoffe, geschwefelte, 791.
Herodotus (5, 77), 409.
Heteropus rhomboidalis Pirs., 446.
. Hippocampus breviceps Ptrs., 710.
Höhenmessungen mit dem Barometer, 264.
Humboldtstiftung, 78.
Hyla gracilenta Pitrs., 789.
Hyla microtis Ptrs., 880.
Sach-Register. 895
Hylodes Berkenbuschii Ptrs., 879.
Jaimini-Bhärata, 10. 377.
Influenzmaschine von Holtz, ihre Vereinfachung, 322.
Inschriften, griechische, 149. 409.
Iso&tes Kirkii A. Br., 648.
Kieselsäure, krystallisirte, 449.
Koptische Handschriften in Rom, 276.
Liuperus nitidus Ptrs., 878.
Lygosoma (Mocoa) nigrofasciolatum Ptrs., 435.
Magnetismus, siehe Physik, 807. 857.
Mathematik, Untersuchungen in Betreff der ganzen homogenen Funk-
tionen von n Differentialen, 49. — Über die Transformation ganzer
homogener Differenzialausdrücke, 1. — Über Systeme von Funktio-
nen mehrer Variabeln, 159. — Systeme von Funktionen mehrer
Variabeln, 688. — Über die allgemeinsten eindeutigen und 2nfach
periodischen Funktionen von n Veränderlichen, 853.
Melaphyr-Einschlüsse, 244.
Mesoprion argentiventris Pirs., 704.
Mesoprion Ehrenbergii Pirs., 704.
Mesoprion inermis Pitrs., 705.
Meteorologie, siehe Physik, 116. 264. 308.
Methylaldehyd, 362.
Mikroskopie, Einschlüsse im Melaphyr, 244. — Grundproben aus dem
nordischen Meere, 253. — Mikroskopische ' Lebensverhältnisse auf
der Oberfläche der Insel Spitzbergen, 257. — Rother am 24. März
1869 in den Dardanellen gefallener Passatstaub, 308. — Gebirgs-
schichten aus Bacillarien unter und bei der Stadt Mexico, 373.
Mineralogie, Über die Körnerprobe am zweiachsigen Glimmer, 83. —
Über Krystallform und Circularpolarisation und über den Zusammen-
hang beider beim Quarz und überjodsauren Natrium, 140. — Ein-
schlüsse im Melaphyr, 244. — Über die regelmäfsige Verwach-
sungen der verschiedenen Glimmerarten, 339. — Darstellung kry-
stallisirter Kieselsäure auf trocknem Wege, 449. — Über Glimmer-
combinationen, 530. — Chemische Zusammensetzung der Turma-
line, 604. ’
Mirabilia Romae, 681.
Müla, Gestirn, 15.
Münzen, griechische, religiöser Charakter, 465.
Naphtalinroth, 550.
Öffentliche Sitzungen, 67. 266. 523.
Opisthognathus punctatus Pirs., 708.
Palladium, sein galvanisches Verhalten, 116.
896
Passatstaub in den Dardanellen, 308.
Pausanias (1, 28, 2), 412.
Phyllodactylus galapagensis Ptrs., 780.
Physik, Anomale elektrische Erscheinungen, 55. —. Über die Erwär-
mung fester Körper durch das Tönen, 86. — Über das galvanische
Sach-Register.
Verhalten des Palladiums, 116. — Über das barometrische Maxi-
mum im Januar 1869, 118. — Über ‚Höhenmessungen mit dem
Barometer, 264. — Über den am 24. März 1869 in den Darda-
nellen gefallenen rothen Passatstaub, 308. — Über Vereinfachung
der Holtzschen Influenzmaschine, 322. — Über Glimmercombination,
530. — Dämpfung der Töne fester Körper durch innre Wider-
stände, 538. — Emission und Absorption der bei niederen Tempe-
raturen ausgestrahlten Wärme, 482. — Über elektrische Spitzen-
wirkung, 590. — Reflexion der Wärme an der Oberfläche von
Flufsspath, 675. — Zwei vom .Blitz getroffne Eichen, 698. — Ver-
änderung .der Wärmestrahlung durch Rauheit der Oberfläche, 713.
— Über Diathermasie einer Reihe von Stoffen für dunkle Wärme,
745. — Über das Holtzsche Rotationsphänomen, 754. — Über die
aperiodische Bewegung gedämpfter Magnete, 807. — Einfluls tönen-
der Schwingungen auf den Magnetismus des Eisens, 857. — Ver-
gleichung des Elektrophors mit der Elektrisirmaschine und Elektro-
phormaschine, 861. — Über die Kräfte, welche zwei unendlich
dünne, starre Ringe in einer Flüssigkeit scheinbar auf einander aus-
üben können, 881.
Pimelepterus elegans Ptrs., 707.
Platymantis unilineata Ptrs., 447.
Plesiops meleagris Ptrs., 708,
Podocarpus chinensis, 738. _
Polychrus (Channolaernus) multicarinatus Pirs., 786.
Preisfragen, 523. 2
Pristipoma notatum Ptrs., 706.
Pteroplatea crebripunctata Pirs., 703.
Rhoptropus afer Ptrs., 59.
Rhynchonyx ambiniger Ptrs., 438.
Riesenvögel Neuseelands, 752.
Sage vom Gang nach dem Eisenhammer, 10. — von Kaiser Hein-
rich IIL, 10.
Saurites (Eremias) cuneirostris, 60.
Schwefeleyanwasserstoffäther, 332.
Solea pilosa Pirs., 709.
Spilotes fasciatus Ptrs., 443.
Stromateus medius Ptrs., 707.
Sach-Register. 897
Strychnin als Antidot bei a ne 872.
Theodorich, Gesetz, 647.
Trachyrhamphus eultrirostris Ptrs., 710.
Tachymenis melanocephala Pitrs., 876.
Tributlisten, attische, 149.
Trichloressigsäure, 462.
Tridymit, sein Vorkommen, 461.
Tropidolepisma Richardi Pirs., 787.
Tropidonotus ruficeps Ptrs., 444.
Turmaline, 604.
Typhlops perditus Ptrs., 535.
Utricularia vulgaris, Vegetationskegel, 92.
Varanus (Odatria) semiremex Ptrs., 695.
Wärmelehre, siehe Physik, 86. 482. 675. 713. 745.
Xenopholis Braconnieri Ptrs., 441.
Xylidine, Isomere, 558.
Xylidinroth, 556.
Zoologie, Über die Gehörknöchelchen der Schildkröten, Eidechsen und
Schlangen, 6. — Über die Höhlen des Unterkiefers der Krokodile,
7. — Über den Giftapparat der Schlangen, 193. — Neue oder
weniger bekannte Flederthiere, besonders des Pariser Museums, 391.
— Neue Gattungen und Arten von Amphibien, 432. — Beschrei-
bung Ehrenberg’scher Anneliden des rothen Meeres, 494. — Neue
oder weniger bekannte Fische des Berliner Museums, 703. — Neue
Eidechsenart, Phyllodactylus galapagensis, 719. — Riesenvögel Neu-
seelands, 752. — Neue Saurier und Batrachier, 786. — Siehe Mi-
kroskopie, 244. 253. 257. 373.
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
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HARRWITZ UND GOSSMANN.
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Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
*HauPpT, Über ein griechisches Excerpt geographi-
sches Inhalts
*HaAuPT, Über des Discodus Mae Tpe des
phyrius Bischofs von Gaza
ÜHRISTOFFEL, Über die Transformation ganzer ho-
mogener Differentialausdrücke . :
PETERS, Über die Gehörknöchelchen der Schildknö-
chelchen der Schildkröten, Eidechsen und Schlan-
gen, so wie über die Höhlen des Unterkiefers
der Crocodile m:
WEBER, Über eine Enidde im em Ehdier
LipscHItz, Untersuchungen in Betreff der ganzen ho-
mogenen Functionen von n Differentialen .
“RorH, Beiträge zur Kenntnifs der tertiären und
posttertiären Eruptivgesteine .
*AUWERS, Vorzeigung von Preiighen ;
POGGENDORFF, Vorläufige Notiz über ein Paar ano-
male elektrische Erscheinungen
PETERS, Über neue Gattungen u. Arten von Yadecheen
*BEYRICH, Über Eugeniacrinus und Rhizocrinus
Lersius, Über Aegyptische Kunst .
Kunmuer, Festrede 5
Öffentliche Sitzung zur er RE Tales
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Humboldt-Stiftung
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
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Mit 2 Tafeln.
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Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
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*PinDER, Mittheilungen über Conservation und Re-
stauration von Kunstdenkmälern .
*EwALn, Über Faserkalkbildnngen .
Reusch, Über die Körnerprobe am zweiachsigen
Gimmer' '.. UN RR |
*RAMMELSBERG, Über die Coreörsehan einiger na-
türlicher Tantal- und Niobverbindungen . . »
WARBURG, Über die Big nmımg fester Körper durch
das Tönen . .
PRINGSHEIM, Über die Bildanasrordahee am Veroti, /
tionskegel von Utricularia vulgaris
POGGENDORFF, Über das galvanische Verkolien hen
'Palladiums
Dove, Über das N. ann im J anuar
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*RoTH, Beiträge zur Deirögiäphie a bahn
Gesteine . . . : a
GroTH, Über Ellen rd Oele
*MOMMSEN, Über die Erzählung vom Gnaeus Mareius
Coriolanus Re ah uehlulen . 5
*EHRENBERG, Über viele in Berlin. ebene beobach.
tete mikroskopische Sülswasser-Organismen der
Insel Spitzbergen NLRR REN
KönHrer, Vorläufiger Bericht über eine neue Bear-
beitung der Attischen Tributlisten
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140— 148
149
149-156.
148. 157.
In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus den Jahrgängen
1868 und 1869 erschienen:
Mommses: Livii codex Veronensis. Preis 2 Thlr. 20 Ser.
G. Rose: Über die im Kalkspath vorkommenden hohleu Kanäle.
Preis 20 Sgr.
PaArruev: Die thebanischen Papyrusfragmente im Berliner Museum.
Preis 12 Sgr.
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i KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
März 1869.
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Mit 3 Tafeln.
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Inhalt.
Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
®BUSCHMANN, Zusätze zum Verzeichnifs der azteki-
schen Wörter in den sonorischen Sprachen
KRONECKER, Über Systeme von Funetionen mehrer
Variabeln . |
MEYER, Über den ee ve Se
*Dove, Mittheilung über die meteorologischen Ver-
hältnisse des Sommers 1863
KIEPERT, Über älteste Landes- und Volksgeschichte
von Armenien ar
*PInDER, Mittheilung über die Trominer von Seuechi
Tope in Bhopal in Central-Indien
EHRENBERG, Drei schriftliche Mittheilungen
*RAMMELSBERG, Fernere Mittheilung über die natür-
‘lichen Tantal- und’ Niob-Verbindungen .
RÜHLMANN, Über Höhenmessungen mit dem Baro-
MMEIETT .. En Eee ge
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Monysen, Über die ran vom Gnaeus Mareius
Coriolanus
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Eingegangene Bücher
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159
159—193
193— 215
215
216—243
243
244-263
262
. 264-265
. 266-272.
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266-272
216. 243
In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus dem Jahrgange
1868 erschienen:
CHRISTOFFEL, Allgemeine Theorie der geodätischen Drdiecke,
Preis 1 Thlr,
Runorrr, Über die Laudation der Murdia.
Preis 20 Sgr.
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Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
PP: Seite
"RIEDEL, Über die Verbesserung der Brandenbirar
-schen Gerichtsverfassung durch den Kurfürsten '
Beednieh 1... . ee 213
BERKER, Über Mifsbrauch de FE ie a Ale
Pırruey, Die koptischen Handschriften in Rom . 276-307
EHRENBERG, Über den am 24. März dieses Jahres
mit Nord-Ost-Sturm gefallenen rothen Passatstaub 308—320
*BORCHARDT, Über einige Probleme des relativen
Se. el en 322.
POGGENDORFF, Über Vereinfachung in der Con- |
struction und dem Gebrauch der Holtz’schen In-
fluenzmaschine erster Art . . . | .. 922—332
HoFMANnN, Über die dem Senföl en Ta
meren der Schwefeleyanwasserstoffäther . . . 332-338
Rose, Über die regelmäfsigen Verwachsungen der
verschiedenen Glimmerarten . . 339 —362
HorMmann, Beiträge zur Kenntnifs 2 Möthylalde-
ek h ; ..362—372
*REICHERT, no leieliende anal Unkorsuehg. SR
Bennuber Zoobotryon pellueidus Ehr. . 2... 0. 002
EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten, vor-
herrschend aus mikroscopischen Bacillarien unter
und bei der Stadt Mexiko . . . . . 373— 877
WEBER, Nachträge zu der im race die Mo
natsberichte enthaltenen Abhandlung über eine
Episode aus dem Jaimini-Bharata . . . . . 377-387
Eingegangene Bücher . . . 320. 321. 338. 372. 387.
In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuer-
dings folgende akademische Abhandlungen aus dem Jahrgange
1868 erschienen:
RuporFF, Über den Ursprung und die Bestimmung der Lex Dei. Preis
14 Ser.
v. RAnkeE, Briefwechsel Friedrichs des Grossen mit dem Priuzen Wil-
helm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin, Anna, geb. Prin-
eefs Royal von England. Preis 1 Thlr. 15 Sgr. ’
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KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
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Mit 3 Tafeln.
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BUCHDRUCKEREI DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT)
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Inhalt.
Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
*Haupt, Über die Erklärung der ee des
Aristophanes N ; ,
RUDORFF, Über die En ae Grundsteuer unter
Diocletian 5
*MoMMSEN, Über ein in he im None (Tirol)
gefundenes Decret des Kaiser Claudius v. J. 46.
PETERS, Bemerkungen über neue oder weniger be-
kannte Flederthiere, besonders des Pariser Museums
*Dove, Weitere Notizen über den Sturm vom 7. De-
eemberiv: J.. 0 2°; . .
KIRCHHOFF, Über zwei altinche Volreinschrifteni: aus
Perikleischer Zeit .
Kxny, Über den Bau und die eine des Hier
Antheridiums ; PN Ä
PETERS, Über neue Ganzen ind neue der weni-
ger bekannte Arten von Amphibien .
Ernigeoangene Bücher. .. ... ......,407.
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389—390
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391—406
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416-431
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445. 446
| In Ferd. Dümmiler’s Verlagsbuchhandlung ist neuer-
dings folgende akademische Abhandlung aus dem Jahrgange
1869 erschienen:
EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikro-
skopischen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko.
‚Preis 1 Thir. 15 Sgr.
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HARRWITZ UND GOSSMANN,
Inhalt.
Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Rose, Über Darstellung krystallisirter Kieselsäure _
auf trocknem Wege
_ LIEBREICH, Über das Verhalten des Chlorals und
der Trichloressigsäure im thierischen Organismus
*WEBER, Über das saptagatakam des Hala
Currius, Über den religiösen Charakter der griechi-
schen Münzen e a Sach,
Masnus, Über Emission und Absorption din bei nie-
deren Temperaturen ausgestrahlten Wärme
*Mommsen, Nachricht von den neuesten Ausgrabun-
gen in dem römischen Arvalhain im Winter von
1868 auf 1869 . ;
*DoveE, Notizen über die vojährigen ee
mungen in der Schweiz . ı \
GRUBE, Beschreibungen neuer oder weniger bern
ter von Hrn. Ehrenberg a Anneliden
des rothen Meeres .
*MÜLLENHOFF, Über die Erd- nd Gradmessun der
Eratosthenes
Eingegangene Bücher . ae. un 464. 481.
Seite
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
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HARRWITZ UND GOSSMANN.
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Inhalt
. Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
"Wener, Über das vaptayatakam des Hala re
setzung) BR
=MOoMMSEN, Über die comites et amiei Ausnahi de
früheren Kaiserzeit
REuSscH, Über Glimmercombinationen
WARBURG, Über die Dämpfung der Töne fester Kör-
per durch innere Widerstände .
Hormann, Über das Naphtalinroth
‚ Über das Xylidinroth
‚„ Zur Kenntnifs der isomeren Xylidine
‚ Zur Kenntnifs des Chrysanilins
‚ Über die chemische Natur des Anilingrüns-
- , Neue Untersuchungen über die dem Senföl
entsprechenden Isomeren der Schwefel-
cyanwasserstoffsäureäther . -
-, Bemerkungen über die Finca
producte des’ Diphenylsulfocarbamids .
POGGENDORFF, Über elektrische Spitzenwirkung .
RAMMELSBERG, Über die chemische ar
der Turmaline
*MAGNUSs, Mittheilung über Has Essen bee Töne
bei der Fortpflanzung in hanfnen Schnüren und
in Bleidraht . le
AUWERS, Über den Werth der Abs onel Be
nach den Beobachtungen von Molyneux
PERTZ, Über ein unbekanntes Gesetz des Ostgonr
schen Königs Theodorich
BRAUN, Über eine neue in Neuseeland entdeckte A
der Gattung Isoetes
Droysen, Historischer Beitrag zu a Fähre von a |
Congressen
Masnuüs, Über die Berfexion dr ne an dr Obär
fläche von Flufsspath und andern Körpern
*PERTZ, Vorlegung eines Buches
Öffentliche Sitzung
Eingegangene Bücher .
529
599
530—538
538—549
550-556
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IN COMMISSION IN FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
HARRWITZ UND GOSSMANN.
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Inhalt.
Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
PARTHEY, Über seine Ausgabe der Mirabilia Romae
nach den vatikanischen Handschriften ;
KRONECKER, Über Systeme von Functionen mehrer
Variabeln . ;
*pu Boıs-REYMOND, Öb: die Ar nlische Boyesane
gedämpfter Magneten u...»
Braun, Über zwei vom Blitz E Boßfene Eichen .
Bonitz, Über Platons Kratylus mit Beziehung auf
die Bestreitung des platonischen Ursprungs
PETERS, Über neue oder weniger bekannte Fische
des Berliner zoologischen Museums -
Eingegangene Bücher .
Seite |
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Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
MAGNUS, Über die Veränderung der Wärmestrahlung
durch Rauheit der Oberfläche . u
PETERS, Über eine neue Eidechsenart, Pu ul
galapagensis, von den Galapagos-Inseln .
PrinssHeim, Über Paarung von Schwärmsporen
BRAUN, Bemerkungen über eine ı von Po-
docarpus Chinensis . NR, AR
SCHULTZ-SELLACK, Über Dielen einer Reihe
von Stoffen für dunkle Wärme
“WEBER, Zur Kenntnils des vedischen Garrel ;
*RÖDIGER, Über einige ältere arabische Gedichtsamm-
lungen
®y. RAnkE, Über den Fall a ansehen
Ministers Eberhard von Dankelmann
Eingegangene Bücher .
Seite
713—719
7119-720
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Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug. nik
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Br *EHRENBERG, Über eine an die Akademie eingesandte
A Berlitheilung: .....:.. . 0.0 u
*HagEn, Über die Bewegung des Waren in ver Wan
tical abwärts gerichteten Röhren . . . . . .
EHRENBERG, Mittheilung aus einem Schreiben des
Rn. Hans ‚as il. a a
=MoMMSEN, Über ein ungedrucktes Bruchstück aus
Dem 20, Buche des Livius... .. 2.0... 2.2.
-*DoveE, Übersicht des dritten Theiles seiner Darstel-
lung der Wärmeerscheinungen IN fünftägige A
Bl. une. 0
"DROYSEN, Beitrag zur Kritik der Mesioimen. des. m
Prcan an Poelnitz 1... Sean
‘ POGGENDORFF, Über das Holtz’sche Rotationsphä-
Be ee 785
PETERS, Über neue Saurier und Batrachier . . . 786-790
Hormann, Zur Geschichte der geschwefelten Harn-
Be. = tan lkeinee ln. Be a 791806
pu Bois-Revmonp, Über die a Bewegung |
sedämpiter Magnete’. "nu 806 959
Eingegangene Bücher .. .. ... u... 751. 753. 806
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UNIVERSITÄTSSTR. 8.
IN COMMISSION IN FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
HARRWITZ UND GOSSMANN.
Inhalt.
Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
WEIERSTRASS, Über die allgemeinsten eindeutigen
und 2nfach periodischen Functionen von n Ver-
änderlichen \ i
WARBURG, Über den Einflufs once in
gen auf den Magnetismus des Eisens
Rıess, Vergleichung des Elektrophors mit der Elek-
trisirmaschine und Elektrophormaschine
*SCHOTT, Fortsetzung seiner altajischen (uranischin)
Studien S
®HAGEN, Über Bewer des Warez in le
schen nahe horizontalen Röhren .
PETERS, Über mexicanische Amphibien N
KiIRCEHOFF, G. R., Über die Kräfte, welche zwei
unendlich denne, starre Ringe in einer Flüssigkeit
scheinbar auf einander ausüben können
Namen-Register .
Sach-Register . se ae a
Bessesansene Bücher ‘ .... un... 808
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