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Full text of "Monatsberichte der Königlichen Preussische Akademie des Wissenschaften zu Berlin"

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| JUL 3.0 1958 


MONATSBERICHTE 


DER 


KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 


ZU BERLIN. 


Aus dem Jahre 1870. 


Mit 13 Tafeln. 


BERLIN 1871. 


BUCHDRUCKEREI DER KGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT) 
UNIVERSITÄTSSTR. 8. 


IN COMMISSION IN FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 
HARRWITZ UND GOSSMANR. 


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MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


Januar 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr Kummer. 


3. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Mommsen las über einige bei Assuan aufgefundene rö- 
mische Inschriften. 


6. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Riefs las über die Theorie der neuesten Elek- 
trophormaschine und der überzähligen Conductoren. 

Bei der Beurtheilung von Influenzmaschinen herrscht noch 
grolse Verwirrung. Während im Laufe der letzten Jahre drei oder 
vier Influenzmaschinen als wesentlich neue beschrieben wurden, in 
welchen leicht alte Apparate zu erkennen sind;, ist die neueste 
Elektrophormaschine vom Erfinder, dem Dr. 'Holtz, als ‚eine alte 
Maschine in neuer Gestalt eingeführt: worden, ') ‚obgleich sie mir 
wesentlich neu erscheint. — Das von mir vor drei Jahren ange- 
wandte Prineip zur Unterscheidung solcher Maschinen besteht 
darin,?) dafs man die durch Influenz erregten Elektrieitäten in 


1) Poggend. Annalen 136. 171. 
2) Akad. Monatsb. 1867 203. 
[1870] | | ' 


2 Gesammtsiützung 


Betracht zieht, und die Maschinen nach den Combinationen dieser 
Elektrieitäten ordnet, welche sie benutzen. Eine Maschine also 
von noch so ungewöhnlichem Aussehn, welche eine bereits be- 
nutzte Combination der Influenzelektricitäten anwendet, ist als we- 
sentlich alte, und eine Maschine, einer bekannten im Aussehn noch 
so ähnlich, ist als wesentlich neue Maschine anzusehn, wenn sie 
eine Combination benutzt, die noch keine Anwendung gefunden 
hat. In diesem Sinne habe ich meine Meinung über die neueste 
Elektrophormaschine zu begründen. 

Die Elektrophormaschinen zeigen im Allgemeinen einen Pa- 
pierkuchen, davor einen Metalleconductor, der mit einem Metall- 
kamm endigt, und eine Glasscheibe, die zwischen beiden rotirt. 
Nachdem der Papierkuchen elektrisirt worden, kommen durch Dop- 
pel-Influenz drei nachweisbare Portionen von Elektricität zum 
Vorschein: im Conductor die Menge + m, auf der (dem Kuchen 
zugewandten) Vorderfläche der Glasscheibe die Menge — p, auf 
ihrer Hinterfläche die Menge — m. Ich erinnere daran, dals m 
und p ächte Brüche sind, wenn der erregende Kuchen die Elek- 
trieitätsmenge 1 besitzt und dafs hier die Vorzeichen die Elek- 
trieitätsart in Bezug auf die der Kuchen angeben. Vom positiv 
elektrischen Kuchen erregt, bezeichnet + m positive — m und — p 
negative Elektricität, vom negativen Kuchen erregt, —m und —p 
positive, + m negative Elektricität. 

Die vor drei Jahren bekannten drei Elektrophormaschinen 
mit Doppel-Influenz habe ich am angeführten Orte folgendermaafsen 
geordnet, wobei ich hier noch äufsere Kennzeichen hinzusetze: 

Töplers Maschine benutzt die Elektricitätsmenge — m und 
besitzt in einfachster Einrichtung drei drehbare Glasscheiben. 

Holtz erste Maschine benutzt die Combination der Mengen 
(+ m) (— m) (— p) und besitzt nur Eine drehbare Scheibe. 

Holtz zweite Maschine benutzt die Combination (+ m) (— m) 
und besitzt zwei Scheiben, die in entgegengesetzter Richtung ge- 
dreht werden und abwechselnd die Rolle der Papierkuchen über- 
nehmen. | 

Als zu neuen Maschinen brauchbar hatte ich die Combi- 
nationen (+ m) (— p) und (— m) (— p) bezeichnet. 

Die neueste von Holtz construirte Elektrophormaschine, deren 
Theorie hier folgt, gebraucht neben der Combination, (+ m) (— m) 
(— p) die Combination (— m) (—p) und besitzt Eine drehbare 


vom 6. Januar 1870. 3 


Scheibe. Ich will diese Maschine, des leichteren Verständnisses 
wegen, zuerst in der einfachen Form beschreiben, in der ich sie 
benutzt habe, bei welcher nur (— m) (— p) zur Anwendung kommt, 
und dann die Einrichtung anführen, die ihr Holtz gegeben hat. 
Eine vertikale drehbare Glasscheibe von 15 Zoll Durchmesser 
befindet sich zwischen einer ihr parallelen ruhenden mit 2: Aus- 
schnitten versehenen Glasscheibe und 2 horizontalen, der Mitte der 
Ausschnitte gegenüberliegenden Metallkämmen, deren Stiele in ge- 
wöhnlicher Weise mit 2 verschiebbaren Metallstäben, den Elek- 
troden, verbunden sind. An der freien Fläche der ruhenden Scheibe, 
entfernt von den Ausschnitten, ist in einem gegen den Horizont 
geneigten Durchmesser, über und unter der Ebene der Kämme, 
ein etwa 4 Zoll langes $ Zoll breites Papierstück (der Kuchen) 
befestigt, von welchem ein 13 Linie breiter, nahe 5 Zoll langer 
Papierstreifen zum nächsten Ausschnitte geht und mit einer in den 
Ausschnitt hineinragenden Cartonspitze endigt. Jede Cartonspitze 
tritt etwa 1 Zoll vor den Metallkamm ihrer Seite hervor. Den beiden 
Papierkuchen stehen zwei Metallkämme (zur Unterscheidung die 
schrägen genannt) gegenüber, die dauernd mit einander metallisch 
verbunden sind. Die Scheibe wird, wie an der alten Maschine, 
in der Richtung von einer Cartonspitze zu dem mit ihr verbun- 
denen Kuchen schnell umgedreht. Zur bequemen Darstellung der 
Figur denke man sich, wie es Hr. Bertin gethan hat,!) statt 
der beiden Glasscheiben einen hohlen Glaseylinder um seine Axe 
drehbar, in einen ruhenden Cylinder gesteckt, nnd zeichne deren Quer- 
schnitt. Die Metallkämme kommen dann in der Bildebene zu liegen. 


Fig. 1. 


12? 


) Annal, de chimie (4) 13. 190, 
1 % 


4 Gesammtsitzung 


Der innere Kreis entspricht der rotirenden, der äufsere punk- 
tirte der ruhenden Glasscheibe der Maschine. Die schrägen mit 
einander verbundenen Metallkämme sind bei A und A, die horizon- 
talen Kämme mit den zum Experimente dienenden Elektroden bei 
e und e deutlich, die Papierkuchen bei a und 5 nebst ihren Ver- 
längerungen bis zu den Ausschnitten der ruhenden Scheibe, vor 
welche die Cartonspitzen m und n hervortreten. 

An der alten (ersten) Holtz’schen Maschine sind nur zwei 
Metallkämme mit gegenüberliegenden horizontalen Papierkuchen vor- 
handen, und jeder Kamm hat eine zwiefache Bestimmung: er em- 
pfängt Elektriecität von der gedrehten Scheibe durch sogenannte 
Einsaugung!) zur Abgabe an die mit ihm verbundene Elektrode 
und er elektrisirt die Scheibe mit entgegengesetzter Art. Diese 
Elektrisirung ist abhängig von der Elektrieität, welche die Elektrode 
bereits besitzt, nimmt mit zunehmender Menge dieser Elektricität 
schnell ab und hört bald auf. Die sogenannte Einsaugung von 
EI. durch den Metallkamm nimmt zwar gleichfalls ab mit steigen- 
der Elektrisirung der Elektroden, aber bei Weitem langsamer, weil 
die elektrische Glasfläche dem Kamme näher steht, als die elektrische 
Papierfläche. Entfernt man die Stelle der Elektrisirung der Scheibe 
von der Stelle der Einsaugung, so läfst sich eine grölsere Dichtigkeit 
in den Elektroden erlangen. Diese Trennung der beiden Stellen 
ist bereits in Töpler’s Maschine und in Holtz’ zweiter Maschine 
vorgenommen und jetzt in der hier betrachteten Elektrophorma- 
schine. Die horizontalen Kämme e dienen als Einsauger, während 
die schrägen Kämme A die Glasscheibe mit Elektricität versehen, 
also mit den ihnen gegenüberstehenden Papierkuchen die Rolle der 
Reibzeuge an der gewöhnlichen Elektrisirmaschine übernehmen. 


1) Einsaugung bezeichnet den Erfolg der Erregung eines Metallstückes 
durch Infuenz, die sich von der gewöhnlichen Erregung dadurch unterschei- 
det, dafs dabei die erregende Elektricität zerstört wird. Der Metallkamm 
der Maschine wird von der Elektrieität der rotirenden Scheibe ebenso in- 
fluencirt, wie von dem elektrischen Papierkuchen, aber die Elektrieität des 
Kuchens bleibt erhalten, während die der Scheibe durch die vom Kamme 
elektrisirte Luft vernichtet wird. In beiden Fällen erhält der mit dem Kamme 
verbundene Metallstab Elektricität derselben Art, die der erregenden gleich- 
namig ist, aber bei der Erregung durch den Papierkuchen wird nebenbei die 
Glasscheibe mit der ausströmenden (ungleichnamigen) Ei. geladen. 


vom 6. Januar 1870. 5 


Da diese schrägen Kämme mit einander verbunden sind, so kön- 
nen, während die Maschine in Gang gesetzt wird, die Elektroden 
unverbunden bleiben. Dies ist auch bei Holtz’ zweiter Maschine 
der Fall, während an seiner ersten Maschine die Elektroden in 
Berührung sein müssen. 

Die neue Maschine wirkt in folgender Weise. Es sei der 
Papierkuchen d negativ el. gemacht; der ihm gegenüberstehende 
‚Metallkamm % erhält durch Influenz negative El., die aber sogleich 
verschwindet, weil jener mit dem diametralen Kamme verbunden 
ist. Die Glasscheibe vor dem Kamme wird auf beiden Flächen 
positiv elektrisch und, in der Richtung. des Pfeiles rotirend, zu der 
Cartonspitze m des zweiten Kuchens geführt, den die Vorderfläche 
der -Scheibe mit positiver Elektrieität versieht, wonach der hori- 
‚zontale Kamm e-+ die Elektrieität der Hinterfläche aufnimmt. Der 
-Papierkuchen a ist nun positiv elektrisch, er erregt in seinem 
Metallkamme positive Elektricität, die wiederum verschwindet, und 
versieht beide Flächen der vor ihm befindlichen Glasscheibe mit 
negativer El., die zur weiteren Elektrisirung des Kuchens 5 und 
zur Verstärkung der El. der Elektrode e— verwendet wird. Diese 
Verstärkung wird länger fortdauern, als an der alten Maschine, 
‚weil die Doppel-Influenz stets an den nicht elektrischen Kämmen % 
wirkt. Der die Kämme verbindende Metallstab erhält nämlich von 
den Kämmen ziemlich gleiche Mengen entgegengesetzter El. und 
‚soll neutral bleiben; man kann ihn mit Vortheil zur Erde ableiten. 
Es wird sich daher an dieser Maschine eine Flasche zu höherer 
‚Dichtigkeit laden, ein längerer Entladungsfunke erhalten lassen. 

Eine alte (erste) Holtz’sche Maschine ist in wenigen Minuten 
in die hier beschriebene zu verwandeln, indem man die ruhende 
Glasscheibe durch eine mit andern Papierbelegungen versehene er- 
‚setzt, und zwei schräge mit einander metallisch verbundene Metall- 
kämme anbringt. Zu einer Zeit, als meine alte Maschine Funken 
‘von nur 24 Zoll Länge lieferte, gab sie nach Verwandlung in die 
neue Maschine, bei Anwendung derselben rotirenden Scheibe, der- 
selben Ladeflaschen und Elektrodenendigungen (Kugeln von 82 Lin. 
Durchmesser) Funken von 54 Zoll Länge. 

Vergleicht man in dieser Weise die erste Holtz’sche Maschine 
_ mit der neuen und erzeugt Funken gleicher Länge, so findet man 
‚den Funkenstrom der alten Maschine ungleich dichter als an der 
neuen, eine Folge davon, dafs an der ersten Maschine jede Elek- 


6 Gesammtsitzung 


trode zwei Portionen Elektrieität, an der letzten nur Eine davon 
empfängt. Die in der Elektrode selbst erregte Elektrieität fügt sich 
in der alten Maschine zu der durch die el. Glasfläche erregten El., 
während in der neuen der Funke nur von der letzten Erregung 
herrührt. Auch tritt an der neuen Maschine ein Polwechsel häu- 
figer ein, als an der alten, weil den Elektroden keine Kuchen ge- 
genüberliegen, die mit ihnen die gleiche Elektricitätsart besitzen und 
dadurch das Austreten der in den Elektroden angesammelten El. 
erschweren. 

Beide Mängel hat Holtz vermieden, indem er an dem Rande 
jedes Auschnittes (bei m und n der Figur) einen horizontalen Pa- 
pierkuchen angebracht hat, welcher die Cartonspitze trägt'). So 
habe ich die Maschine ausgeführt gesehen, die also 2 Ausschnitte, 
2 Paare von Metallkämmen und ihnen gegenüber 2 Paare von Pa- 
pierkuchen besitzt und als die Verbindung der alten Elektrophor- 
maschine, welche die Combination (+ m) (—m) (—p) mit der 
neuen, die nur (— m) (— p) benutzt, anzusehen ist. Das Spiel 
dieser zusammengesetzten Maschine zeigt bei geöffneten Elektroden 
drei Phasen. 

So lange die von einander entfernten Elektroden nicht oder 
schwach elektrisch sind, geht die Doppel-Influenz von den horizon- 
talen Papierkuchen aus, und jede Elektrode erhält Influenzelektri- 
cität sowol durch die auf ihrem Kuchen, wie durch die auf der 
rotirenden Glasscheibe befindliche Elektrieität, oder, wie man be- 
quemer sagt, jeder Elektrodenkamm wird durch seinen Kuchen 
elektrisirt und saugt die El. der Scheibe ein (siehe Anmerk. S. 4). 
Aber nicht alle der Scheibe mitgetheilte Elektrieität wird eingesaugt. 
Weil nämlich die Scheibe, ehe sie an einen Elektrodenkamm tritt, 
einem schrägen Kamme vorbeigeht und diesem näher steht, als der 
auf der ruhenden Scheibe befindliche Kuchen, so wirkt die Elek- 
trieität der rotirenden Scheibe stärker auf den schrägen Kamm, 
als die ihr entgegengesetzte Elektricität des Kuchens, und in Folge 
davon wird ein Theil der Elektricität der Scheibe vernichtet. Mit 


!) In der Abbildung der Maschine, Poggd. Annalen Bd. 136 Taf. 5 
obere Figur, hangen die beiden Papierkuchen jeder Seite nicht durch einen 
schmalen Papierstreifen, sondern in ganzer Breite zusammen, eine spätere 
anwesentliche Änderung. 


vom 6. Januar 1870. 7 


steigender Ladung der Elektroden tritt die zweite Phase ein: die 
Doppel-Influenz der horizontalen Kuchen nimmt ab, auf die roti- 
rende Scheibe strömt vom Elektrodenkamme weniger Elektricität, 
die Doppel-Influenz der schrägen Kuchen wird merklich, vermehrt 
die El. der Scheibe und nimmt so lange zu, bis sie zuletzt, wenn 
die Elektroden nicht mehr erregbar sind, allein vorhanden ist. In 
dieser, dritten Phase wirken die horizontalen Kämme nur als Ein- 
sauger, die schrägen nur als Erreger. 

Ist der Funke ausgebrochen, die Elektroden demnach nur 
schwach elektrisch, so beginnt das Spiel von Neuem. Man sieht, 
dafs die Maschine sowol bei offenen wie geschlossenen Elektroden 
erregt werden kann, und dafs sie bei geschlossenen oder abgelei- 
teten Elektroden bei der ersten Phase stehen bleibt und weniger 
El. zum Gebrauche liefert, als die alte Maschine, welche die Com- 
bination (+ m) (— m) (— p) allein benutzt, hingegen bei geöffneten 
Elektroden mehr El. liefert, wenn sie die zu den drei Phasen nö- 
thige Zeit hindurch wirkt. Im Finstern wird das beschriebene 
Spiel der Maschine dadurch sichtbar, dafs je zwei einander nächste 
Kämme (zusammenhängenden Kuchen zugehörig) bei weit geöffne- 
ten Elektroden die gleiche Lichterscheinung zeigen, bei geschlosse- 
nen Elektroden die entgegengesetzte (Garben und Sterne). 

Der Vorzug der neuen zusammengesetzten Maschine vor der 
neuen einfachen besteht nicht nur darin, dafs sie, wie oben erörtert 
wurde, an Elektrieität ergiebiger und dafs bei ihr der Polwechsel 
erschwert ist, sondern auch darin, dafs sie eine gröfsere Ansamm- 
lung von El. erlaubt. Die horizontalen Papierkuchen unterstützen 
nämlich die Einsaugung der El. der Scheibe durch die Elektroden- 
kämme; wenn die Kämme der einfachen Maschine so stark elek- 
trisch sind, dafs sie von der Scheibe keine El. mehr aufnehmen, 
so werden sie es an der zusammengesetzten Maschine thun, weil 
die ihnen gegenüberliegenden Kuchen El. derselben Art besitzen, 
von der die aufzunehmende El. ist. Da nun die Länge der Fun- 
ken von der Dichtigkeit der angesammelten El. abhängt, so wird 
die zuletzt beschriebene Maschine die längsten Funken liefern. An 
meiner nicht dazu gebauten sondern nur eingerichteten Maschine, 
deren rotirende Scheibe 15 Zoll breit ist, erhielt ich Funken von 
6 Zoll, und an einer eigens für lange Funken gebauten Maschine 
mit 14zölliger Scheibe habe ich Funken von nahe 7 Zoll Länge 
gesehen. 


8 Gesammtsitzung 


Ein Polwechsel der Maschine wird in den häufigsten Fällen 
dadurch herbeigeführt, dafs die Elektrodenkämme bei zu grolser el. 
Dichtigkeit ihre Elektricität auf die rotirende Scheibe ausströmen. 
Die von einer Elektrode mit ihrer El. geladene Scheibe geht dem 
zur Elektrode gehörigen Kuchen nahe vorbei, der Elektrieität der- 
selben Art besitzt, und in Folge davon diese Elektrieität durch die 
Cartonspitze auf die von der Elektrode abgewandte Scheibenfläche 
strömen läfst. Die Scheibe bringt bei der Rotation an die Carton- 
spitze des diametralen Kuchens die entgegengesetzte Elektrieität 
von der, die sie ihm früher zugeführt hatte und entladet ihn. Um 
ein Beispiel zu geben: die negative Elektrode ströme negative Elek- 
trieität auf die ihr zugewandte Scheibenfläche, diese geht an dem 
negativen Kuchen vorbei, der in Folge davon negative El. auf die 
 abgewandte Scheibenfläche strömen läfst; die erste Fläche verliert 
ihre Elektrieitäit am schrägen Kamme, die zweite bringt ihre ne- 
gative El. zur Cartonspitze des positiven Kuchens, der dadurch 
entladen wird. Besitzen beide Kuchen Elektrieität in nahe gleicher 
Menge, so werden sie entladen, die Maschine erlischt; sind die 
Mengen ungleich, so behält Ein Kuchen die ihm zugeführte Elek- 
4rieitätsart und die Maschine kommt mit vertauschten Polen wieder 
in Wirksamkeit. Aufser dieser Veranlassung des Polwechsels tritt 
‚noch eine andere ein, wenn die Elektroden eine starke el. Dichtig- 
keit plötzlich verlieren. Dies zeigt ein auffallender Versuch. Man 
errege die Maschine bei geschlossenen Elektroden; sie wird, so 
lange die Scheibe gedreht wird, ohne Polwechsel in Thätigkeit 
bleiben. Öffnet man aber die Elektroden, nimmt eine Anzahl langer 
Funken, schliefst die Elektroden oder bringt ihre Enden einander 
nahe und setzt die Drehung der Scheibe fort, so erlischt (unter 
Umständen) die Maschine oder wechselt ihre Pole. Bei schlechter 
(leitender) Beschaffenheit der rotirenden Scheibe geschieht Dies 
‚immer, bei guter Beschaffenheit zuweilen, aber auch bei dem befs- 
ten Glase habe ich es eintreten sehen, wenn die Luft sehr feucht 
war. Der Versuch ist ein gutes Prüfungsmittel für die rotirende 
Scheibe. Die Ursache dieser Erscheinung ist, wie früher, das 
Ausströmen der Elektricität der Papierkuchen auf die rotirende 
Scheibe. Früher wurde es durch die von den Elektroden ausge- 
‚strömte Elektrieität veranlafst, hier dadurch, dafs die Elektroden- 
kämme, so lange sie stark elektrisch sind, das Ausströmen der 
gleichnamigen Elektricität aus den ihnen nahestehenden Carton- 


vom 6. Januar 1870. 9 


spitzen hindern, und dafs ‘diese Hinderung aufhört, wenn die 
Kämme unelektrisch werden. Natürlich erfolgt die Ausströmung 
um so leichter, je dichtere Elektrieität der Kuchen besitzt und je 
besser leitend die ihr naheliegende Glasfläche ist. 

Je längere Funken von einer Elektrophormaschine genommen 
werden, desto mehr Gelegenheit wird zu einem Polwechsel gegeben. 
Die Elektroden und die mit ihnen verbundenen Flaschen müssen 
zu grofser Dichtigkeit geladen werden, leicht strömt, vor dem 
‚Ausbruche eines Funkens, die Elektrieität der Flaschen und danach 
die der Kuchen auf die Scheibe, oder nach dem Ausbruche des- 
‚selben, der die Elektroden schwach elektrisch zurückläfst, die 


Elektrieität der Kuchen allein, und in jedem von beiden Fällen 


erfolgt das Erlöschen oder der Polwechsel der Maschine. Die 
‘gröfste Länge, bis zu welcher man die Funken ohne diese Störung 
‘bringen kann, ist nicht nur nach der Maschine verschieden, die 
man benutzt, sondern auch bei derselben Maschine nach dem Zu- 
stande der Luft. Zur Erlangung einer Reihe von Funken gleicher 
Richtung und bedeutender Länge wird daher die Elektrisirmaschine 
ein besseres Mittel bleiben als die Elektrophormaschine. 


Die überzähligen Conductoren. 


Das erörterte Spiel der Maschine mit zwei Paaren von Papier- 
kuchen gibt Rechenschaft über den bisher unerklärten Nutzen 
der überzähligen Conductoren an der ersten Holtz’schen 
Maschine. So werden von Holtz zwei diametral gestellte Metall- 
kämme vor der rotirenden Glasscheibe genannt, unbelegten Stellen 
der ruhenden Scheibe gegenüber. Jeder Kamm ist entweder mit 
der ihm in der Richtung der Drehung folgenden Elektrode ver- 
bunden, oder beide Kämme sind mit einander verbunden.') Hat 
die Maschine lange geruht, so verhindern die überzähligen Con- 
ductoren ihre Erregung, ist sie aber kurz zuvor längere Zeit in 
Gang gewesen, so wirkt die Maschine weiter fort und die Conduc- 
toren erschweren die Umkehrung der Polarität der Elektroden. 
Diese Wirkung ist folgendermaafsen abzuleiten. : 

Die rotirende Scheibe wird, wie ich bei der Beschreibung der 
alten Maschine gezeigt habe, durch ihren horizontalen Durchmesser 


1) Poggd. Annal. 127. 323. 


10 Gesammtsitzung 


in entgegengesetzt elektrische Hälften getheilt.') Die obere Hälfte 
der rotirenden Scheibe Fig. 2 sei auf beiden Flächen negativ, die 
untere positiv, es seien die überzähligen Conductoren a und 5 
nicht vorhanden. Bei der gebotenen Richtung der Drehung der 
Scheibe erhält die Elektrode wie der Papierkuchen zur rechteu 
Hand negative El., die zur linken positive. Nun seien die Elek- 
troden so stark elektrisch geworden, dafs sie durch ihre Papier- 
kuchen nicht mehr erregt werden. Die rotirende Scheibe tritt 
unelektrisch an die Elektroden; es strömt von jeder Elektrode die 
auf ihr angesammelte El. und in Folge davon, wie oben angegeben 
wurde, auch die El. der Kuchen auf die Scheibe. Durch die Ro- 
tation wird positive El. znm negativen Kuchen gebracht, negative 
zum positiven, und die Maschine erlischt oder wirkt mit verwech- 
selten Polen weiter fort. Dies wird erschwert durch Anbringung 
der überzähligen Conductoren a und b, von welchen jeder mit der 
in der Drehungsrichtung der Scheibe folgenden Elektrode metal- 
lisch verbunden ist. 

Fig. 2. 


Wie ich nämlich am angeführten Orte angegeben habe, liegt der 
negativ elektrischen Hälfte der rotirenden Scheibe die durch Influenz 
positiv gewordene Hälfte der ruhenden Scheibe parallel nahe, und 
der positiven Hälfte die negativ gewordene.”) Indem die elektrisch 


1) Akad. Monatsber. 1867. 193. 

2) Es ist ein bekannter Versuch dafs wenn die Maschine (auch ohne 
überzählige Conductoren) längere Zeit gewirkt hat, und die ruhende Scheibe, 
der Drehungsrichtung der beweglichen entgegen, so weit verschoben wird, dafs 
die Elektrodenkämme unbelegten Stellen der ruhenden Scheibe gegenüber- 


vom 6. Januar 1870. 11 


gewordene ruhende Scheibe auf die überzähligen Conductoren er- 
regend wirkt, verhindert sie, dafs die rotirende Scheibe unelek- 
trisch an die Elektrodenkämme tritt, hebt also diesen Grund des 
Polwechsels der Maschine auf. Indem z. B. die linke Seite der 
rotirenden Scheibe an den überzähligen Conductor a tritt, wird sie 
auf beiden Flächen negativ elektrisch und theilt dem negativen 
Kuchen und der Elektrode e— negative El. mit. Wenn nämlich 
die Elektrode e + so stark positiv elektrisch ist, dafs sie vom 
positiven Kuchen nicht mehr erregt wird, so kann die positiv 
elektrische ruhende Scheibe dennoch den Conductor a erregen, weil 
dieser negativ elektrisch ist. Die Elektrode e— erhält aber hier- 
durch keine Verstärkung ihrer Elektrieität. Der Conductor a kann 
nämlich, nach dem Grundgesetze der Influenz, auf die Scheibe nur 
gerade so viel negative Elektricität strömen lassen, als er selbst 
positive El. zurückbehält, und diese Elektricität gibt er der mit 
ihm verbundenen Elektrode e—, zerstört also die zugeführte ne- 
gative El. 

So lange die Elektrodenkämme noch erregbar sind und die 
Scheibe mit El. versehen, wird diese Elektrieität nutzbar, da ein 
Theil derselben von je einem Conductor aufgenommen zu einer der 
Elektroden geführt, das Übrige von der Elektrode direkt aufge- 
nommen wird. Die elektrische Dichtigkeit in den Elektroden wird 
durch die Conductoren theils dadurch verstärkt, dafs diese die 
Ausdehnung der mit ihnen verbundenen Elektroden vergröfsern, 
die Zeit also verlängern, während welcher die Elektroden erregbar 
bleiben, theils dadurch, dafs durch sie die Kuchen stärker elek- 
trisirt werden, die nun länger auf die Elektroden zu wirken ver- 
mögen. Die Figur macht nebenbei deutlich, weshalb die Conduc- 
toren die Erregung der Maschine verhindern. Es sei der positive 
Kuchen elektrisch; die zolene Scheibe gibt ihre ganze negative 
El. an den Conductor a ab, weil die ruhende Scheibe noch nicht 


stehn, die Maschine kürzere oder längere Zeit fortwirkt, ganz so, nur mit 
geringerer Elektricitätsmenge, als ob die Papierkuchen den Kämmen gegen- 
überständen. Daraus folgt, dafs die ruhende Scheibe unterhalb des nega- 
tiven Kuchens in der Figur negativ, und oberhalb des positiven Kuchens po- 
sitiv elektrisch ist. Diese Elektrieität der ruhenden Scheibe unterstützt die 
Aufnahme der El. der rotirenden Scheibe durch die Elektrodenkämme. 


12 Gesammtsitzung 


elektrisch geworden ist, die rotirende Scheibe tritt unelektrisch an 
den Kuchen der Elektrode e— und kann ihn nicht elektrisiren. 
Ist der Conductor a kurz und nicht mit der Elektrode e — ver- 
bunden, so nimmt er nur wenig Elektrieität von der Scheibe auf 
und läfst so viel davon zurück, um die Maschine in Gang zu 
setzen. 

Die in den überzähligen Conductoren erregte Elektrieität wird 
fortgeschafft, wenn man ihre Verbindung mit den Elektroden (nach 
Holtz: Seitenverbindung) aufhebt und beide Conductoren durch 
einen Metall-Drath oder Stab mit einander verbindet (direkte Ver- 
bindung)'); dann gleichen sich die beiden entgegengesetzten Elek- 
trieitäten der Conductoren aus, die von ihnen auf die Scheibe aus- 
geströmte Elektrieität gelangt nutzbar in die Elektroden, und diese 
können zu höherer Dichtigkeit geladen werden, weil die Erregung 
der Conductorenkämme unabhängig von der Elektricitätsmenge ist, 
welche die Elektroden besitzen. Es entsteht aber der Nachtheil, 
dafs in gleicher Zeit eine viel geringere Tlektrieitätsmenge von der 


Maschine geliefert wird, als früher. Wenn die Conductoren fehlen 


oder mit den Elektroden verbunden sind, so tritt die von jeder 
Elektrode der Scheibe mitgetheilte El. (abgesehn von der Zer- 
streuung in die Luft) vollständig in die diametrale Elektrode ein, 
bei unter einander verbundenen Conductoren nur zum Theil. Um 


ein Beispiel zu geben: Wenn die Conducteren a und 5b in Fig. 2 


mit einander verbunden sind, so geht von der negativen El., welche 
die Elektrode e + der Scheibe mittheilt, ein grolser Theil auf den 
Conductor a über, weil die ruhende Scheibe, a gegenüber, noth- 
wendig weniger dichte positive Elektricität besitzt, als der positive 
Papierkuchen. Die von a aufgenommene negative Elektrieität gleicht 
sich im Verbindungstabe mit der vom Conductor b aufgenommenen 
positiven El. aus und geht für den Effekt verloren. Erst wenn 
die Elektroden aufgehört haben, erregt Zu werden, verstärken die 
Conductoren die El. der Elektroden, erlauben also längere Funken 
und erschweren den Polwechsel der Maschine. Weniger Elek- 
trieität wird durch die Conductoren vernichtet, die Maschine wird 


1) Dafs behufs langer Funken die direkte Verbindung vortheilhafter ist, 
als die Seitenverbindung, hat Poggendorff gezeigt, und dabei die über- 
zähligen Conductoren nicht normal, sondern schräg gegen die Verbindungs- 
linie der Elektroden gestellt. Pogg. Annal. 136. 171. | 


vom 6. Januar 1870. 13 


ergiebiger, wenn man die den Conductoren geßenüberliegenden 
Stellen der ruhenden Scheibe ebenso stark elektrisch macht, wie 
die Kuchen es sind, was geschieht, wenn man auf der ruhenden 
Scheibe, jedem Conductor gegenüber, ein Papierstück anbringt und 
durch einen Papierstreifen mit dem in der Drehungsrichtung vor- 
angehenden Kuchen der Maschine verbindet, in andern Worten: 
indem man die neue Maschine herstellt, die oben betrachtet wurde. 
Dies ist, nach meiner Erfahrung, stets gerathen, wenn man lange 
Funken erhalten will. Die überzähligen Conductoren allein sind 
von unsicherm Gebrauche, da ihre Wirksanıkeit verlangt, dafs die 
»uhende Scheibe stark elektrisch sei, was erst nach längerer 'Thä- 
tigkeit der Maschine, nicht bei jeder rotirenden Scheibe und bei 
derselben Scheibe nicht zu jeder Zeit in gleichem Maafse der Fall 
ist. Die beschriebene neue Elektrophormaschine mit zwei Kuchen- 
paaren ist dagegen stets leicht und sicher aus der alten Maschine 
mit zwei Kuchen herzustellen!) und sogleich erregbar. 


Hr. Mommsen legte die von den Herren Bormann, Hen- 
zen, Hübner und Renier erstatteten Berichte über den Fortgang 
der Arbeiten am Corpus insceriptionum Latinarum während des 
Arbeitsjahrs 1. Nov. 1868 — 31. Oct. 1869 nebst seinem eigenen 
Berichte vor. 


Hr. Henzen zeigt an, dafs der erste Theil des Manuscripts 


der urbanae, den gröfseren Theil der sacrae umfassend, zum Ab- 
druck nach Berlin abgesendet und das übrige für den ersten Band 
der urbanae erforderliche Material ebenfalls im Wesentlichen druck- 
fertig sei. In Folge dessen ist sofort das nach Berlin gesandte 
Manuscript hier durch Hrn. Henzens bisherigen Gehülfen bei der 
Ausarbeitung dieser Abtheilung, Hrn. Bormann, einer schliefs- 
lichen Druckrevision unterzogen und unter dessen Leitung der 
Druck derselben — der sechsten des ganzen Werkes — in Angriff 
genommen worden. — Hr. Hübner hat den Druck des zweiten 
Bandes, der Spanien und Portugal umfafst, beendigt und ist der- 


1) Es genügt,. die schrägen Papier-Kuchen und -Streifen an der ruhen- 
den Scheibe mit Wachs zu befestigen. 


14 Gesammtsitzung 


selbe zu Michaelis 1869 erschienen. Die Vorarbeiten für die sie- 
bente, Britannien, Gallien und Germanien umfassende Abtheilung 
sind so weit vorgeschritten, dafs zu Anfang des J. 1870 mit dem 
Druck der britannischen Inschriften begonnen werden kann. — 
Hr. Renier hat im Herbst 1869 einen grofsen Theil derjenigen Pro- 
vinzen des mittleren Frankreichs besucht, die noch nicht von ihm 
durchforscht worden waren, und denkt im Laufe des nächsten Jahres 
diese Reisen abschliefsen zu können, während gleichzeitig die littera- 
rischen Vorarbeiten für Frankeich von ihm energisch gefördert werden. 
Der Druck der französischen Inschriften wird sich also an den der 
englischen und deutschen ohne Unterbrechung anschliefsen können. 
Gleichzeitig hat Hr. Renier seine Collectaneen für Africa nicht 
blos durch Einreihung alles neu Gefundenen ergänzt, sondern auch 
für die bisher von ihm nur unvollkonmmen durchforschte Provinz 
Oran neue und werthvolle Grundlagen gewonnen. — Der Druck 
der von Hrn. Mommsen bearbeiteten Bände ist in Band III von 
S,456 bis S. 640, in Band V von $. 88 bis S. 168 vorgeschritten; 
es ist ferner theils durch eine Reise des Hrn. G. Wilmanns, jetzt 
Professors in Dorpat, eine für Steiermark gebliebene Lücke aus- 
gefüllt, theils durch eine Reise Hrn. Mommsens das für Piemont 
und den östlichen Theil der Lombardei noch mangelnde Material 
herbeigeschafft und gesichtet worden. — Der Druck des von Hrn. 
Zangemeister übernommenen vierten Bandes, die pompeianischen 
Wand- und Griffelinschriften enthaltend, ist in diesem Jahr nicht 
vorgeschritten. — Die finanzielle Lage des Unternehmens konnte 
als durchaus befriedigend bezeichnet werden. Ob durch den Über- 
gang des Drucks auf eine andere mit gröfseren Räumlichkeiten 
versehene Offiein die angestrebte raschere Förderung des Erschei- 
nens erreicht werden wird, läfst sich zur Zeit noch nicht sagen, 
da der Wechsel erst in den Sommermonaten ausgeführt worden ist. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vor- 
gelegt: 
Bartolomeo Borghesi, Oeuvres completes. Vol.5.6. Paris 1868. 1869. 4. 
Catalogue of scientifie Papers. Vol. HI. London 1869. 4. 
Recueil des ordonnances de la principaute de Liege. Deuxieme Serie. 
Vol, 1. Bruxelles 1869, 4. Mit Rescript vom 23, Dec. 1869, 


vom 13. Januar 1870. 15 


- F. de Botella, Deseripcion geologico-minera de las provincias de Murcia 
y Albacete. Madrid 1869. fol. 

Greenwich Observations in the year 1867. London 1869. 4. 

Bulletin of the Museum of Comparative Zoology. no. 9—13. Cambridge 
1869. 8. 

Schriften der südslavischen Akademie. Heft 9. Agram 1869. 8. 

Hugueny, Le coup de foudre de l’ile du Rhin. Strasbourg 1869. 4. 

Peters, Die Burgkapelle zu Iben. Bonn 1869. 4. 

Naphegyi, The grand review of the dead. (Poem.) New York 1869. 8. 


13. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Pertz las über den 21sten Band der Scriptoren der mo- 
numenta Germaniae und die Octavausgaben des Helmold, Arnold, 
Monumenta Welfica und Gisleberti chronicon Hannoviae. 


' An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Abhandlungen der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft. 7. Bd. 
1. u. 2. Heft. Frankfurt a. M. 1869. 4. 

Berliner Astronomisches Jahrbuch für 1872. Berlin 1870. 8. 

Atti della societa italiana delle scienze naturali. Vol. XII, 1. Milano 
1869. 8. 

Annales academici, 18664—1865. Lugd. Bat. 1869. 4. 


17. Januar. Sitzung der physikalisch-mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. W. Peters las über den Ductus pneumaticus des 
Unterkiefers bei den Crocodilen. | 
Eine der wichtigsten Aufgaben der wissenschaftlichen Zoologie 
ist die Erforschung der homologen oder genetisch gleichen Organe 
bei den Thieren desselben Typus. Die äufserst mannichfaltige Form 
und Entwickelung der bei den verschiedenen Thieren vorkommen- 
den identischen Theile, ihre wechselnden mehr oder weniger inni- 


16 Gesammtsitzung 


sen Beziehungen zu den sie umgebenden Theilen und die Modifi- 
cationen dieser letzteren machen solche Untersuchungen oft äufserst 
schwierig und führen bei den verschiedenen Forschern zu den ver- 
schiedensten Resultaten. 

In der Geschichte der Wirbelthiere finden wir in dieser Hin- 
sicht nichts, was zu der Aufstellung so verschiedener Ansichten 
Veranlassung gegeben hätte, wie das Bestreben, die den Gehör- 
knöchelchen der Säugethiere homologen Theile bei den anderen 
Wirbelthieren und das diesen zukommende Quadratbein bei den 
Säugethieren aufzufinden. Ich selbst bin angeregt worden, der 
Akademie mehrere auf diesen höchst interessanten Punkt bezüg- 
liche Mittheilungen zu übergeben') und hatte geglaubt, das für 
diesen Gegenstand mir vorliegende sparsame Material erschöpft zu 
haben. 

Eine neuere Abhandlung von Hrn. Huxley über denselben 
Gegenstand?) hat mich indessen veranlafst, meine Untersuchungen 
noch einmal sorgfältig zu wiederholen. Wenn ich dabei auch nicht 
zu einem anderen Endresultat habe gelangen können, so habe ich 
doch einige Berichtigungen und Erläuterungen hinzuzufügen, wel- 
che zur Vervollständigung meiner früheren Mittheilungen nicht un- 
wichtig sein dürften. 

Hr. Huxley hat an einem jungen Crocodilus biporcatus die 
Beobachtung gemacht, dafs das Quadratbein zwei grolse Luftzellen 
enthält, welche durch einen ganz kurzen pneumatischen Gang (den er 
für ganz identisch mit dem von Stannius beobachteten hält) mit 
dem Gelenktheil des Unterkiefers unmittelbar hinter und über dem 
Gelenk in Verbindung gesetzt werden und hiervon eine bildliche 
Darstellung gegeben.°) Er hat ferner einen nicht mit dem Ham- 
mer in Verbindung stehenden länglich dreieckigen Knorpel gefun- 
den, welcher zwischen jenem und dem Ductus pneumaticus gele- 
gen ist und er hat keine Grenze (kein Gelenk und keinen Zwi- 
schenknorpel) zwischen Hammer und Columella finden können und 
schliefst nun, dafs überhaupt keine ursprüngliche Knorpelverbindung 
zwischen dem Hammer und dem Meckelschen Knorpel des Unter- 


1) Monatsberichte. 1867 p. 725u.779; 1868p.592; 1869 p.9. 
2) Proceed. Zoolog. Society. Lond.1869.p.391. 
3). 1; 6. 2.394. Fig.1. 


vom 17. Januar 1870. 17 


kiefers existire, sowie, vorzüglich nach dem Verhalten dieser Theile 
bei Sphenodon,!) dafs der von mir als Hammer (identisch mit dem 
von Breschet bei Vögeln entdeckten) gedeutete grofse Knorpel 
ein doppelter Auswuchs des Stapes (Columella) sei, den er mit 
dem Ambos der Säugethiere vergleicht, während er als Homologon 
des Hammers nun nicht mehr den Gelenktheil des Unterkiefers, 
sondern das Quadratbein betrachtet. 

Dafs diese von Hrn. Huxley durchgeführte Deutung meiner 
Vorstellung nicht fern lag, ehe ich an die Untersuchung des Cro- 
codils ging, wird man leicht aus meiner ersten?) und zweiten?) 
Mittheilung ersehen und ich kann hinzufügen, dafs mein Freund, 
Hr. Flower, in der mit ihm über diesen Gegenstand geführten Oor- 
respondenz schon am 11. December 1867 die Vermuthung aussprach, 
es wäre vielleicht der Hammer allein das Quadratbein. Es dürfte dar- 
aus hervorgehen, dafs wenn ich bei der Untersuchung des Croco- 
dils und der Vögel schliefslich zu einem ganz anderen Resultat 
kam, dieses nicht die Folge einer vorgefalsten Meinung war, son- 
dern trotz der letzteren geschah. 

Vielleicht würde es mir ebenso ergangen sein mit Hrn. Hux- 
ley’s Arbeit, wie es ihm mit der meinigen ergangen ist, wenn ich 
nicht glücklicherweise neuerdings Crocodilfötus (merkwürdigerweise 
in den meisten europäischen Sammlungen eine grofse Seltenheit!) 
erhalten hätte, die ungefähr in demselben Alter stehen, wie der 
von Hrn. Huxley untersuchte. Ich fand sogleich ohne Schwie- 
rigkeit den von ihm dargestellten Gang zwischen dem Gelenktheil 
des Unterkiefers und dem Quadratbein so wie letzteres ganz pneu- 
matisch und oben offen mit der Trommelhöhle communicirend. 
Von dem hinteren Ende des äufseren beilförmigen Hammerfort- 


1) Ich mufs mich jeder Vermuthung über eine anderweitige Deutung 
der in Rede stehenden Theile bei SpAenodon enthalten, da es mir nicht ge- 
lungen ist, ungeachtet vieljähriger Bemühungen ein Exemplar dieses neusee- 
ländischen Sauriers zu erhalten. 

2) Monatsbericht. 1867. p.729. „Es ist möglich und erscheint mir sogar 
wahrscheinlich, dafs der Hammer bei den Vögeln mit zur Bildung des Qua- 
dratbeins beiträgt.“ 

3) Ibid. p. 780. „Auffallend ist ferner die aufserordentliche Gröfse des 
langen Hammerfortsatzes, der im Verhältnifs zu der Gröfse des ganzen Thie- 
res. eine so riesige Entwickelung zeigt, wie bei keinem anderen Säugethier.“ 


[1870] 2 


18 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


satzes geht ein gekrümmter dünner Knorpelfaden aus, der bald et- 
was dicker und platter (Stylohyoid-Knorpel Huxley’s) wird 
und dann sich zuspitzend fadenförmig dünn in der Richtung nach 
dem Foramen pneumaticum des Unterkiefers hin sich verliert. 
Eine Continuität der Columella und des Hammerknorpels an den 
mir vorliegenden Exemplaren verschiedenen Alters muls ich dage- 
gen entschieden bestreiten, denn derselbe (der extrastapedial und 
suprastapedial cartilage Huxley’s zusammen) setzt sich mit seiner 
kurzen Basis durch eine regelmäfsige Convexität gegen das verschie- 
den aussehende äufsere Columellen-Ende ab,') dessen Deutung als 
rudimentären Ambos ich aber längst aufgegeben habe, nachdem ich 
mich wiederholt von dem Mangel desselben bei den Vögeln über- 
zeugt habe. Aber dafs ein Organ, welches, wie der Ambos, bei 
den Säugethieren gradatim von den höheren zu den niederen all- 
mählig abnimmt, indem es bei Tachyglossus?) zu einer kleinen plat- 
tenförmigen Epiphyse des Hammers wird, bei den Vögeln aber 
spurlos verschwunden ist, nun auf einmal bei den noch niedriger 
stehenden Crocodilen in Form einer grofsen, wenigstens 8 bis 10 
Millim. langen und breiten Platte aufs Neue auftreten sollte, dürfte 
wenig Wahrscheinlichkeit für sich haben. Hr. Huxley hat bei 
dem Tachyglossus ebenfalls den grolsen Hammermuskel beschrie- 
ben und die interessante Beobachtung gemacht,‘ dafs der Muse. sta- 
pedius bei den Schnabelthieren ganz fehlt. Trotzdem nun das 
Aufsehen des Amboses in den Hammer bei dem Tachyglossus die eng- 
sten Beziehungen dieser beiden Gehörknöchelchen zu einander noch 
mehr beweist, hebt Hr. Huxley im Gegentheil die Beziehungen zwi- 
schen Ambos und Stapes als engere hervor und trotzdem der Sta- 
pediusmuskel bei den Schnabelthieren bereits ganz verschwindet, 
ist ihm der bei den Crocodilen äuftretende Muskel’) nicht der 
Hammermuskel, sondern der Stapedius oder vielmehr, da er den 


1) Bei den Vögeln liegt der bereits von Breschet „Hammer“ genannte 
entsprechende Knorpel anfangs lose vor der Columella, während von dem 
äufsern Ende dieser letzteren ein Fortsatz ausgeht (Monatsber. 1868. pag. 598 
Taf.1Fig.4u. 4a), welcher sich mit dem Zungenbeinbogen verbindet. 

2) Echidna ist ein viel früher von Forster an eine Aalgattung ver- 
gebener Name. 

3) Dieser Huxley’sche Muskel ist übrigens ganz verschieden von dem 


von mir beschriebenen M. malleus. 


Ba 17. Januar 1870. 19 


grofsen von mir als Hammer gedeuteten Knorpel als den aus 
dem Stapes hervorsprossenden Ambos betrachtet, ein ganz 
neuer Ambosmuskel. 

Ich hatte bisher nur jüngere Embryonen in Weingeist und 
allerdings für die Untersuchung leicht täuschende Schädel gröfserer 
Exemplare zur Disposition. 

Bei dem ganz jungen Embryo des von mir abgebildeten!) 
Crocodilus biporcatus bin ich durch die grofse Ähnlichkeit, die das 
knorpelige Quadratbein in diesem Stadium mit dem Hammerknor- 
pel hat, und aus zu grofser Schonung für das seltene Object zu 
einer Verwechselung beider verleitet worden und so in denselben 
Fehler verfallen, auf den ich früher selbst?) ebenso wie Hr. Hux- 
ley jetzt?) aufmerksam gemacht haben. Wenn dieses auch an dem 
ganzen Sachverhalt nichts ändert, so bin ich doch gern bereit, einen 
Irrthum einzugestehen, auf den ich durch die belehrende Abhand- 
lung des Hrn. Huxley aufmerksam gemacht worden bin. 

In diesem Stadium nun ist der Meckelsche Knorpel bis zu 
seinem hinteren in dem Articulare gelegenen Theile ganz solide. 
Die nächstfolgenden Stadien fehlen mir und es wäre sehr erwünscht, 
wenn die Naturforscher in den krokodilreichen Gegenden Suiten 
von Crocodilembryonen für diese so wichtigen Untersuchungen sam- 
meln wollten. In einem bedeutend älteren Embryo von Crocodilus 
vulgaris, ebenfalls bereits von mir in natürlicher Gröfse abgebil- 
det,*) der aber jünger als der von Hrn. Huxley abgebildete von 


1) Monatsber. 1868.p.598. Taf.1 Fig.1. 

2) Monatsber. 1867.p.727. „Ohne namentlich auf diesen letzten Um- 
stand Rücksicht zu nehmen, ist aus der Ähnlichkeit, welche zwei aus dem 
Meckelschen Fortsatz hervorgehende oder mit demselben zusammenhängende 
Theile, der Gelenktheil des Unterkiefers der Vögel und Amphibien und der 
hinter dem Unterkiefer liegende Hammer der Säugethiere zu einer gewissen 
Entwickelungszeit mit einander haben, auf die Homologie dieser Theile ein 
Schlufs gemacht u. s. w.“ ’ 

®) 1. c.p.403. — — — „and as the incus and the malleus ossify, no- 
thing can seem closer than the resemblance which they bear to the guadratum 
and the articulare respectively. Hence Reichert conceived that the guadratum 
was the homologue of the incus, and the malleus that of the articulare, and 
I have fallowed him. But the study of Sphenodon and of the Crocodile has 
led me to believe’ that we have fallen into an error.“ 

*) Monatsber. 1868. p.598 Ta£.1. Fig. 2. 


IR 


20 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Cr. biporcatus ist, bildet der Knorpel des Artieulare noch ein Con- 
tinuum mit dem vorderen Ende des Meckelschen Knorpels. Er bil- 
det aber auch bereits eine Höhle und diese Höhle hängt durch 
einen ganz kurzen Gang, der noch kürzer ist als in dem Huxley- 
schen Falle, mit dem ganz hohlen Os quadratum zusammen. Die- 
sen letzteren habe ich nun in Verfolgung des dünnen Knorpelstrangs, 
welcher Hammer und Articulare verbindet, übersehen, indem ich, 
wie man sehen wird, nur die Richtung des bleibenden Ductus pneu- 
matieus und nicht die des von Hrn. Huxley beschriebenen provi- 
sorischen (das Endstück des bleibenden) vor Augen hatte. 

Zur Orientirung über diesen Gegenstand möge das isolirte 
Quadratbein (Taf. I Fig.1) eines, 50 Centimeter langen, gespreng- 
ten Schädels von Crocodilus porosus Schneider (Cr. biporcatus 
Cuv.) dienen, also von derselben Art, an welcher Hr. Huxley 
seine Untersuchung gemacht hat. 

Durch den an der oberen inneren Seite des Quadratbeins ge- 
legenen Lufteanal (dp.) ist zuerst eine Sonde hindurchgeführt. 
Darauf ist derselbe in der Art aufgemeifselt worden, dafs der An- 
fang und das Ende, an welches letztere sich der fibröse Ductus 
pneumaticus anschliefst, so wie zwei mittlere kleine Brücken ste- 
hen geblieben sind, um ein deutliches Bild von dem Verlaufe und 
von dem Durchmesser der verschiedenen Gegenden des Canals zu 
haben. Von keiner Stelle dieses Canals geht irgend ein Neben- 
canal ab in das Innere des Knochens und auch an anderen Schä- 
deln, wo das hintere Ende des Canals blosgelegt ist, findet sich 
keine Spur eines in das Innere des Quadratbeins eindringenden 
Canals. Auch ist hierzu um so weniger irgend eine Veranlassung, 
als die inneren Luftzellen des fötalen Quadratbeins, wie mitten 
durch diesen Knochen in verschiedener Richtung geführte Schnitte 
lehren, nun, verschwunden sind und an deren Stelle sich nur mehr 
oder minder grolse ringsum geschlossene Markzellen finden. Auch 
das Os articulare ist bei demselben Exemplare von Croc. porosus 
nun fast ganz solide und der feine Luftcanal ist äufserst eng und 
führt durch ein langes nach innen, unten und vorn gerichtetes Ua- 
nälchen in eine dreizellige Knochenhöhle. 

Es dürfte hieraus hervorgehen, dafs der von Hrn. Huxley 
beschriebene provisorische Luftkanal zwischen dem Articulare und 
Quadratbein sehr verschieden ist von dem hier beschriebenen blei- 
benden Luftcanal, welcher das Articulare direct mit der Trom- 


Monatsber d Berl Akad.d Wiss 1870 p2l. 


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vom 17. Januar 1870. 21 


melhöhle in Verbindung setzt und welcher auch von Stannius 
offenbar nicht seinem ganzen Verlauf nach verfolgt worden ist.') 
Dieser bleibende Luftcanal hat in den früheren Entwickelungssta- 
dien dieselbe Richtung wie der embryologische Knorpelfaden, von 
dem der von Hrn. Huxley beschriebene „Stylohyoidknorpel“ ein Ru- 
diment ist. Der Canal für den Knorpelstrang liegt aber oberfläch- 
licher und fällt nachher mit dem für den Nervus facialis zusam- 
men, wird daher verhältnifsmäfsig immer kürzer und der Knorpel in 
seinem Endtheile nur durch einen Bindegewebsstrang repräsentirt, 
während jener Luftkanal an Länge mit dem Wachsthum des Schä- 
dels immer zunimmt. 

Die Entwickelungsstadien zu verfolgen, welche zwischen die- 
sen verschiedenen Bildungen (der vollkommenen Pneumaticität des 
Quadratbeins und der Reduction auf den feinen Luftcanal) liegen, 
dazu werden ganze Reihen von Exemplaren erforderlich sein. Die 
vorliegenden Mittheilungen dürften jedoch genügen, um zu zeigen, 
wie viel uns noch fehlt an einer erschöpfenden Kenntnifs der bekann- 
testen Thiere und wie fern wir daher noch sind von einer Erkennt 
nils der für das Thierreich allgemein gültigen Gesetze. 


!) Er würde sonst (Handbuch der Zootomie. 1856.1I. p.58) nicht gesagt 
haben, dafs die Unterkieferzellen durch den Canal mit „den Luftzellen 
der Schädelknochen“* communiciren. 


Erklärung der Abbildungen. . 

Taf.I. Fig. 1. Quadratbein von einem 50 Centimeter langen Schädel 
des Crocodilus porosus Schneider, durchsägt, von oben gesehen. dp. Luft- 
canal; c. c. Markzellen. In natürlicher Gröfse. 

Fig. 2. Os articulare desselben, durchsägt. dp. Luftcanal; cp. Luftzel- 
len. In natürlicher Gröfse. 

Taf. II. Fig. 1. Meckelscher Knorpel (/, !), geöffnete Höhle desselben 
(cav.), knorpeliger Verbindungsstrang (x, x) mit dem Hammer (m) von Cr. 
vulgaris, dessen Kopf Monatsberichte 1868 p. 598 Taf.1 Fig.2 in natürlicher 
Gröfse abgebildet ist. dp. Luftgang; g. Quadratbein; md. Unterkieferknochen. 
Viermal vergröfsert. 

Fig. 2. Längsdurchschnitt des Quadratbeins und der angrenzenden Theile 
von Alligator lucius (total 82 Centim., Kopf 144 Cent. lang), um den Verlauf 
des Ductus pneumaticus und die Lage des (auf Huxley’s Stylohyoid- 
Knorpel) reducirten, zu dem Zungenbeine beziehungslosen, Knorpelstranges 
mit dem umgebenden Sehnengewebe von der Seite zu zeigen. o. Auge; 


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22 Gesammtsitzung vom 20. Januar 1870. 


m. Hammer; t. Membran tympani; c. Columella; x. Rest des knorpeligen 
Verbindungsstranges zwischen Hammer und Meckelschem Knorpel; x. sehnig 
gewordener Theil des Verbindungsstranges; /. Meckelscher Knorpel; nd. Un- 
terkiefer; sm. Oberkiefer; q. Quadratbein; oc. Oceipitale laterale; ms. Kau- 
muskel. In natürlicher Gröfse. 

Fig.3. Obere Ansicht von denselben Theilen nach Abtragung eines 
Theils des Quadratbeins. Bezeichnung wie in Fig. 2. In natürlicher Gröfse. 

Fig. 4—7. Hammer und Knorpelstrang in verschiedenen Stadien; Be- 
zeichnung wie in Fig. 1 u. 2. 

Fig.4. Seitliche Ansicht dieser Theile von einem 35 Mm. langen Kopf 
eines Crocod. acutus, an welchem der -Knorpelstrang an einer kleinen Stelle 
bereits sehnig geworden ist. Sechsmal vergröfsert. 

Fig. 4a. Dasselbe von oben und hinten gesehen. 

Fig. 5. Seitliche Ansicht derselben Theile von dem 43 Mm. langen Schädel 
eines Crocodilus acutus, wo der Knorpelstrang sich vom Hammer abzulösen 
beginnt und der untere Theil ganz sehnig geworden ist. Fünfmal vergrössert. 

Fig.6. Dasselbe von einem 8 Centim. langen Schädel von Alligator lu- 
cius, an welchem der Verbindungsstrang deutlich vom Hammer getrennt ist 
und in den unteren $ sehnig geworden ist. Dreimal vergröfsert. 

Fig. 7. Dasselbe von einem 144 Centimeter langen Schädel eines Allı- 
gator lucius, bei welchem nur ein kleiner von dem Hammer entfernt liegen- 
der Knorpel (Huxley s Stylohyoidknorpel) von dem knorpeligen Verbindungs- 
strange übrig geblieben ist. Anderthalbmal vergröfsert. 

Fig. 8. Columella mit einem Theil des Hammers von einem 39 Millim. 
langen Schädel des Crocodifus acutus, um den Gelenkkopf des Hammers zu 
zeigen. Bezeichnung wie oben; 4. Knorpeliges, noch nicht verknöchertes 
Stück der Columella. Achtmal vergrölsert. ? 

Fig.9. Columella des auf Taf.1 abgebildeten Croc. porosus, um die 
Gelenkgrube derselben an ihrem äufsern Ende zu zeigen. In doppelter Grösse. 

Die Fig. 2 bis 8 sind nach Präparaten und Zeichnungen des Hrn. Dr. 
Max Fürbringer abgebildet worden. 


90. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Trendelenburg las zur Geschichte des Wortes Person. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 

H. Gradl, Lieder und Sprüche der beiden Meister * Spervogel. Prag 
186927 8. 

Mittheilungen der K. K. Central- Commission für Erforschung der Baudenk- 
Yale: XMitJahre. © Tan.-PebriO Wien 1870. 4 


Öffentliche Sitzung vom 27. Januar 1870. 23 


Nova Acta Reg. Soc. Sc. Upsaliensis. Ser. II. Vol. VII. Fase. I. 
Upsala 1869. 3. 

Upsala Universitets Ärsskrift for 1868. Upsala 1869. 8. 

Rapports de la commission hydrometrique. Annee 24. 25. Lyon 1867. 


1868. 8. 
Palombo, Della proprieta e degli ordinamenti sociali Studi. Napoli 
1869. 8. 


27. Januar. Öffentliche Sitzung der Akademie zur 
Gedächtnilsfeier Friedrichs 1. 


Ihre Majestät die Königin und Seine Königliche Hoheit der 
Kronprinz geruhten der Sitzung beizuwohnen. 

| Zur Einleitung las Hr. Curtius folgenden Vortrag des per- 

sönlich verhinderten Secretars Hrn. Trendelenburg: 


Aus Friederichs des Grofsen politischen 
Vermächtnissen. 


Friederich der Grofse schrieb im Jahre 1752, also in jenem 
Jahrzehnt erfolgreichen Schaffens, das zwischen den Dresdener 
Frieden und den Anfang des 7jährigen Krieges fällt, das Schrift- 
‚stück, an das wir heute in dankbarer Erinnerung einige Betrach- 
tungen anknüpfen. Es war die Zeit, da er im Frieden sein durch 
Siege neu befestigtes Land anbaute, da er der deutschen Welt das 
Beispiel der ersten Justizreform gegeben hatte, da er für den freien 
Handel der Neutralen im Seekrieg gegen das mächtige England 
stritt und das Recht der Vernunft gegen die Willkühr der alten 
Seerechte wahrte; es war die Zeit, da er eben seine „Kunst des 
Krieges* und andere Gedichte und seine Geschichte des Hauses Bran- 
denburg unter dem Titel der Werke des Philosophen von Sanssouci 
veröffentlicht hatte. In dieser Zeit schrieb er, die Gegenwart und die 
Zukunft seines Staates bedenkend, ein „politisches Testament“ (testa- 
ment politique), das er mit dem Datum des 27. August 1752 versah 
und in das Archiv niederlegte. In einer späteren Zeit seines Le- 
bens kam der König auf dies Vermächtnils zurück. Nach dem 
siebenjährigen Kriege, da die Weltstellung verändert war, schrieb 
er ein zweites politisches Testament und datirte es vom 7. No- 
vember 1768. In den Grundgedanken ist es mit dem ersten das- 


24 Öffentliche Sitzung 


selbe, in allgemeinen Betrachtungen sparsamer, in den Einzelheiten 
von Nachrichten und Entwürfen reicher. 

Um dieselbe Zeit schrieb der König, wie jene politischen Testa- 
mente, mit eigener Hand einen letzten Willen, vom 8. Januar 1769 
datirt, in welchem er über seinen gesammten Nachlafs verfügte; 
er schrieb diese letzte Verfügung, die Geldeswerth und Eigenthum 
betraf, nach den Landesgesetzen auf einen Stempelbogen, wie zum 
letzten Zeichen, dafs er die kleinsten Gesetze des Staates, wie die 
gröfsten gleich achte. 

Dieses sogenannte Privattestament ist in die Ausgabe der Werke 
Triederichs des Grofsen, welche die Akademie der Wissenschaften 
leitete, aufgenommen !); jedoch nicht jene ersten. 

Andere Befehle, welche der König für den Fall seines Todes 
erliefs, haben mehr eine Bedeutung für den Augenblick; sie fassen 
die Wechselfälle des Krieges ins Auge, wie z. B. der Brtef an den 
Prinzen von Preufsen, seinen Bruder, vom 8. April 1741, den er 
zwei Tage vor dem Zusammenstols bei Mollwitz schrieb”), jene 
„geheime Anweisung“ (instruction secrete), die der König unter 
dem 10. Januar 1757 seinem Minister, dem Grafen Fink von 
Finkenstein gab, oder der Befehl, den er 3 Tage vor der Sehlacht 
von Zorndorf unter dem 22. Aug. 1758 erliefs”) und mit den Worten 
überschrieb: Ordre an meine Generale.dieser Armee, wie sie sich 
im Fall zu verhalten haben, wenn ich sollte todt geschossen wer- 
den, und in dem sich, nach der Anordnung des sofort seinem Neffen 
zu leistenden neuen Eides und der Bestellung des Prinzen Heinrich 
zum Vormund, die ergreifenden Worte finden: „Ich will, dafs nach 
meinem Tode keine Umstände mit mir gemacht werden“; ein Jahr 
später nach der Niederlage bei Kunersdorf, da der König den Ver- 
lust des Vaterlandes nicht glaubte zu überleben, die Instruction 
vom Tage der Schlacht, 12. Aug. 1759, für den General-Lieute- 
nant von Fink *), in welchem die Worte: — indessen, was mein 
Bruder befehlen wird, das mufs geschehen; an Meinen Neveu mufs 
die Armee schwören. Diese Befehle versetzen uns in die Lage 


1) Werke Ausg. 1846. ff. VI, p- 215 f. 

2) Werke XXVIJ, p. 85. 

3) Werke XXVI, p. 533 £. 

4) Werke XXVIL, 2, p. 305, vgl. Brief an den Prinzen Heinrich vom 
16. August 1759. XXVI, p. 19. 


vom 27. Januar 1870. 25 


des Augenblickes, der sie entsprangen, und bewegen unsere Mit- 
empfindung für die entschlossene Hand, die sie schrieb. 

Jene politischen Testamente, aus denen bereits Leopold von 
Ranke’s neun Bücher Preufs. Geschichte charakteristische Züge mit- 
getheilt haben '), sind so vielseitig, wie die weise und kluge Kunst 
zu regieren, die sie behandeln. 

Bei der mir gestatteten Durchsicht fiel mein Blick auf die 
bleibenden Gedanken, die nach Friederichs des Grofsen Anschauung 
seinem Staate zum Grunde liegen und darum seine Zukunft bedingen. 
Ein Historiker wird andere Seiten finden, namentlich wird es ihn 
anziehen, wie Friederich die politische Lage Preufsens im Jahre 
1752 und im Jahre 1768 ansah; denn ungeachtet der weit aus- 
sehenden Gedanken, in welche die Zukunft eines strebenden Staates 
führt, ist in dem politischen Vermächtnils die Sorge für den näch- 
sten Tag und das nächste Jahr sichtbar. 

Es mag mir erlaubt sein, die bezeichneten Seiten, auf die ich 
achtete, herauszuscheiden. Wir werden darin keinen neuen Ge- 
danken begegnen, keinen Gedanken, die nicht Friederich der Grofse 
in seinen Abhandlungen und in seinen Denkwürdigkeiten oder in 
seinen Briefen ansgesprochen hätte. Aber es hat vielleicht einen 
Reiz zu sehen, wie er sie auf seinen Staat anwendet und sie in 
ihm als Grundsätze fortzupflanzen wänscht. 

Während des Aufenthaltes auf dem Schlosse zu Rheinsberg 
hatte sich der König als Kronprinz in edler Vorbereitung auf sein 
königliches Amt mit den Grundsätzen der Staatsweisheit beschäf- 
tigt. Von Machiavell hatte er die nüchterne Klugheit gelernt, die 
dem Mann der Geschäfte nöthig ist, aber von dem Unedeln in den 
Maximen, die Machiavell in dem Musterbilde seines Fürsten zeichnet, 
zurückgestofsen, hatte er eine Widerlegung von Machiavells Fürsten 
geschrieben. Gedanken, die er in dieser Schrift, seinem Antima- 
chiavell, ausspricht, leiten ihn sein Leben hindurch. In Rheins- 
berg, hatte er (1738) seine Betrachtungen über den gegenwärtigen 
Zustand des Staatenkörpers von Europa geschrieben und darin je- 
nen politischen Blick und Überblick geübt, mit dem er später um 
die Mitte der vierziger Jahre des Jahrhunderts das bewunderungs- 
würdige erste Kapitel in der „Geschichte seiner Zeit“ entwarf, das 


‚einleitende Kapitel, in dem er den Zustand Preufsens und Europa’s 


!) z.B. Bd. IH, p. 476, 402, 419. 


26 Öffentliche Sitzung 


zur Zeit seiner Thronbesteigung, die Charaktere der Fürsten Euro- 
pa’s, ihre Minister und Feldherrn, die gegenseitige Machtstellung 
der Staaten, in die er eingetreten, zusammenfassend darstellte. In 
den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg, die der König im 
Jahre 1747 und 1748 durch Darget, seinen Privatsecretair, einen 
wissenschaftlichen Mann aus seinem vertrauteren Kreise, in dieser 
Akademie lesen liefs, hatte er den grofsen Kurfürsten in gro[sen 
Zügen gezeichnet, und man sah darin ein Vorbild, dem er nach- 
eiferte, dagegen hatte er die Regierung des ersten Königs mit offe- 
nem Freimuth und unverhaltener Schärfe beurtheilt, und man er- 
kannte darin das Gegentheil dessen, was er wollte und erstrebte. 
In dem Geiste dieser Schriften schrieb Friederich der Grofse seine 
politischen Vermächtnisse, mitten in den Zuständen und Bedürf- 
nissen Preufsens seine Stellung nehmend. 

Der König will mittheilen, was ihn als Steuermann des Staats 
die Erfahrung gelehrt hat. Ohne in das Kleine des Besonderen 
einzugehen will er die Dinge im Grofsen fassen. Darnach be- 
trachtet er die vier Hauptpunkte, mit welchen die Regierung zu 
thun hat, die Rechtspflege, den klugen Haushalt der Finanzen, 
die kräftige Erhaltung der militairischen Zucht und endlich die 
Kunst, die richtigsten Mafsregeln zur Förderung der politischen 
Interessen zu ergreifen. Wie in den Denkwürdigkeiten des Hauses 
Brandenburg ') falst er dabei den Fürsten als den ersten Diener 
und die erste Obrigkeit des Staates auf. 

Vor Allem will der König seinen Staat in Gerechtigkeit ver- 
fafst wissen. Mit Befriedigung sieht er auf die Reform der Ge- 
setze und des Prozefsverfahrens, die er eingeleitet hat, und wie in 
dem Eingang zu seiner Geschichte des siebenjährigen Krieges °) 
erwähnt er dankbar der Verdienste des Grofskanzlers Cocceji, der 
sich mit Kraft und Einsicht der mühevollen Arbeit der Rechtsver- 
besserung unterzogen habe. Wenn es im Testament aus dem Jahre 
1768 so scheint, als habe der König schon wahrgenommen, dafs 
es mit der Justizreform Cocceji’s nach dessen Tode zurückgegangen, 
so beharrt er doch in derselben Richtung. Für sich selbst betont 
er den Grundsatz, dals es dem Fürsten nicht zieme, zur Entschei- 
dung der Prozesse sein Ansehn ins Mittel zu legen. Es müssen, 


1) Werke I, p. 123. 
2) Werke IV, p. 1£., vgl. IS, p- 30 £., IX, p- 232. 


vom 27. Januar 1870. 27 


sagt er, die Gesetze allein regieren, und die Pflicht des Fürsten 
beschränkt sich auf ihren Schutz. 

Friederich der Grofse hat ein Gefühl für das, was in dem 
Staate, dem der grofse Kurfürst seine Wege wies und dem sein 
Vater die Mittel der Macht zusammenhielt, an Bedingungen der 
Zukunft angelegt ist, und wiederum für das, was ihm fehlt, um, 
ein Staat unter Staaten, diese Anlage zu erfüllen. Er fühlt den 
Widerspruch zwischen dem Staat, der erstehen soll und seinen 
beschränkten Mitteln sammt seiner ungünstigen gefährlichen Lage, 
zwischen dem Beruf, den jeder wirkliche Staat in sich trägt, und 
der drohenden hemmenden Macht der Nachbaren, die den gesunden 
Keim zu ersticken trachten. An der Lösung dieses Widerspruchs, 
an der Bewältigung dieses Widerstreites, arbeitet sein ganzes Leben. 

Als die Grundbedingung eines Staates, der Staat ist, erkann- 
ten die alten Philosophen die Zulänglichkeit, das Wort im edelsten 
Sinne genommen. Der Staat, führten sie aus, müsse zulänglich 
und dadurch in sich selbst gegründet sein: zulänglich an Macht, 
um die Gesetze zu schützen, zulänglich in den rechten Quellen 
aller Kraft, in den Erzeugnissen des Landes, in der Erziehung 
eines gesunden Nachwuchses, in der. Bildung guter und tapferer 
Bürger, zulänglich nach aufsen in genügender Macht zur Abwehr 
des Angriffs, zur Hut seiner Freiheit, zur Wahrung seiner unab- 
hängigen Bewegungen. Wir dürfen diesen alten Begriff anwenden 
und mit ihm sagen, dafs Friederich der Grofse auf eine solche 
sittlich gedachte Autarkie seines Staates alle Gedanken und alle 
Fürsorge richtete; und er weils, dafs er sie nirgends schöpfen kann, 
als aus der Kraft seines Landes und der Tugend seines Volks und 
der Weisheit seiner Regenten. Dies Gefühl geht ausgesprochen 
und unausgesprochen durch seine Schriften wie durch seine beiden 
politischen Vermächtnisse und, was mehr ist, durch seine Thaten. 

In ‘diesem Sinne bedenkt er in seinem politischen Testament 
den Mangel an Hülfsquellen im eigenen Lande, die zerrissene geo- 
graphische Lage, die bedrohten langen Grenzen, die Eifersucht der 
europäischen Mächte, und denkt auf Mittel ihnen zu begegnen. 

In diesem Sinne nennt er sein Land arm, das ungeachtet dreier 
zwischenliegender Regierungen, ungeachtet des Friedens während 
einer derselben noch die Spuren der Verwüstung aus dem ver- 
heerenden 30jährigen Kriege an sich trage. Er sucht die Mittel 
auf, das Land zu heben, und führt mit Befriedigung an, was in 


28 Öffentliche Sitzung 


dieser Richtung schon von ihm gethan sei, die Entwässerungen 
von Landstrichen, die Einführung des Seidenbaues, die Förderung 
von Wollenspinnereien, von Seiden- und Wollen-Manufacturen, die 
asiatische Handelsgesellschaft zu Emden, die Seeverbindung von 
Emden und Stettin, die Hebung des Stettiner Handels u. s. w. Der 
König sieht in dem Geschehenen nur die Anfänge zum Anbau des 
Landes; er empfielt einen weiteren Plan, der durch alle Provinzen 
geht; und was er im Jahre 1752 in seinem Vermächtnifs als nützlich 
empfielt, das hat er später die Freude gehabt, zu einem grolsen Theil 
selbst auszuführen und ausgeführt zu sehen, wie die Urbarmachung 
der Oderbrüche noch vor dem siebenjährigen Kriege und nach dem- 
selben die Urbarmachungen in Hinterpommern, die Austrocknungen 
auf Usedom. So hat er sich früh in grofsem Plan die Unternehmun- 
gen zum Besten des Landes vorgezeichnet. Derselbe Scharfblick, 
der das Grofse erspähte, sah in das Kleine. So bemerkt er, was 
an Manufacturen seinem Lande noch fehle; es bedarf mehr Messer- 
schmiede, als sich in Neustadt- Eberswalde angesiedelt haben, mehr 
Knopfmacher, mehr Handschuhfabriken, mehr Buchdruckereien. 
„Wenn er bis in die kleinsten Dinge herabstieg“, sagt einmal der 
König!) von seinem Vater, „so that er es, weil er überzeugt war, 
dafs das Vielfache des Kleinen die grofsen Dinge bilde.“ Den 
Geist des Details, den Friederich an seinem Vater hochhält, hat 
er von ihm geerbt, aber immer spiegelt sich ihm in dem Kleinen 
das Grofse. So macht er, um eine Kleinigkeit hervorzuheben, im 
Blick auf das erworbene Ostfriesland, darauf aufmerksam, dafs die 
Friesen ihre Lumpen zur Papierfabrication nach Holland verkaufen; 
es müsse dafür gesorgt werden, dafe sie künftig über Stettin nach 
einer in Pommern anzulegenden Papiermühle gehen. Es ist ein 
Zug, wie der König, wo es immer angeht, die getrennte neue Pro- 
vinz mit den alten, die ihm den Körper. des Landes ‚bilden, zu 
verknüpfen bedacht ist, und wie er im Sinne jener Zulänglichkeit 
nicht will, dafs selbst das Geringste aus dem Lande gehe, was 
dem Lande selbst zu Gute kommen kann.  Friederich der Grofse 
sagt in einer Abhandlung 2), die er schon im Jahre 1749 in der 
Akademie lesen liefs, von der vorangehenden Verwaltung: „Unser 


1) In den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg. Werke I, p. 125. 
2) Über die Sitten und Gebräuche unter der Dynastie der Hohenzollern. 
Werke I, p. 236. 


vom 27. Januar 1870. 29 


Handel war noch nicht geboren; die Regierung erstickte ihn in 
Folge von Grundsätzen, welche seinen Fortschritt geradezu hinder- 
ten.* So will er in seinem politischen Vermächtnifs den Zwischen- 
handel fremder Völker vermieden wissen und empfielt directen 
Handelsverkehr einzuleiten; er will durch Eingangszölle auf aus- 
ländische Erzeugnisse und durch Befreiung von Auflagen und durch 
zweckmäfsige indirecte Steuern den Gewerbfleils des Landes heben 
und zugleich die Einnahmen des Staates mehren. Der König kennt 
in dieser Richtung das Eigenthümliche der einzelnen Provinzen und 
will darnach die Verwaltung für jede eigenthümlich. So sagt er 
im Vermächtnifs von Schlesien: „der Handel mit Leinen und Tuch, 
welches diese schöne Provinz erzeugt, verdient von den Fürsten 
ermuntert zu werden. Das Leinen bringt Schlesien fast ebenso 
viel ein, als Peru dem König von Spanien einträgt.® 

Indem Friederich der Grofse die Anleitung giebt, das Land 
anzubauen, wird ihm die Volkswirthschaft zur Staatswirthschaft, 
der zulängliche Erwerb im Volk zum Mittel für die zulänglichen 
Finanzen des Staats. In ihnen sieht er die Bedingung politischer 
Selbstständigkeit; und der bürgerliche Grundsatz der Sparsamkeit, 
auf dem der Einzelne sein Haus sicher bauet, ist ihm, wie dem 
grolsen Kurfürsten und seinem Vater, ein Grundgesetz des Staates. 
Das Urtheil, das er in den Denkwürdigkeiten des Hauses Branden- 
burg über den prachtliebenden König Friederich I gefällt hatte, hat 
dieselbe Wurzel. 

In die Beispiele der Geschichte blickend schreibt der König 
im politischen Vermächtnifs von 1752: „Soll das Land glücklich, 
will der Fürst geachtet sein, so muls er nothwendig Ordnung in 
seinen Finanzen halten. Niemals hat sich eine arme Regierung 
Ansehn erworben. Enropa lachte über die Unternehmungen des 
Kaisers Maximilian; denn dieser Fürst, zwar begierig Schätze zu- 
sammenzubringen, aber in seinen Ausgaben verschwenderisch, hatte, 
wenn es darauf ankam einzusetzen, nie Geld; die Italiener, die ihn 
kannten, nannten ihn den Maximilian ohne Heller (Maximiliano 
senza denari). Wir haben erlebt, dafs die Zerrüttung, in der Kaiser 
Karl VI seine Finanzen hinterliefs, die Königin von Ungarn nö- 
thigte, von England Hülfsgelder zu nehmen, was sie in Abhängig- 
keit von König Georg brachte und ihr einige schöne Provinzen 
kostete, die sie theils uns, theils dem Könige von Sardinien abtrat. 
Diese weise Fürstin, die es erfahren, wie sehr der Mangel an baa- 


30 Öffentliche Sitzung 


rem Gelde ihrer Sache Eintrag gethan, arbeitet mit unablässigem 
Fleifse die gestörte Ordnung herzustellen. Wären die Finanzen 
Sachsens wohl verwaltet gewesen, so hätte es in dem Kriege, der 
1740 begann, eine Rolle spielen können, aber da es verschuldet 
war, gab es sich den Meistbietenden bin und hatte nach allen 
Seiten Unglück. August gewann nichts an unserer und der Fran- 
zosen Seite; und er wurde vernichtet, als die englischen Hülfs- 
gelder ihn gegen Preufsen kehrten. Hätte er seine Koffer voll 
gehabt, so brauchte er seine Interessen nicht für so mäfsige Sum- 
men zu verkaufen. Dasselbe Holland, welches das Joch seiner 
Zwingherrn abschüttelte und früher bis nach dem Erbfolgekriege 
eine so grofse Rolle in Europa spielte, dieser selbe Freistaat wird 
heute kaum unter die grofsen Mächte gezählt, und zwar weil seine 
Regierung mit Schulden belastet, und, was schlimmer, ohne Credit 
ist. Wenn Frankreich fortfährt schlecht zu wirthschaften, wie es 
heute thut, so wird es trotz seiner grolsen Macht von seiner Höhe 
sinken und seinen Nebenbuhlern ein Gegenstand der Verachtung 
werden können.“ 

In derselben Beziehung sagt der König im Vermächtnifs des 
Jahres 1768 von Preufsen: 

„Wir haben weder ein Mexico noch ein Peru und keine solche 
auswärtige Niederlassung, deren Handel die Besitzer bereichert. 
Preufsen hat seine Hülfsquellen nur in sich selbst, ziemlich un- 
fruchtbaren Boden, arme Einwohner. Dessenungeachtet ist dieses 
Land durch grofse Ordnung und Gewerbfleifs im Stande gewesen, 
einen harten verderblichen Krieg gegen die gröfsten Monarchen 
Europa’s zu führen; und nach sieben Jahren der Unruhe fanden 
sich Österreich, Frankreich und England von Schulden belastet, 
während wir keine hatten, und uns noch Mittel genug blieben, die 
zerstörten und halb verödeten Provinzen wieder herzustellen.“ 

So darf der König mit seltener Befriedigung die eigene Er- 
fahrung Preufsens zum Zeugen nehmen und durch sie den Grund- 
satz des Haushalts seinem Staate einprägen und der Verwaltung 
und den Ausgaben die Richtung vorzeichnen. 

Wie in den Finanzen, so hat Friederich der Grol[se nach allen 
Seiten im Auge, dafs der Staat auf Macht als auf seine Grundfeste 
gegründet ist. Da sich die Macht in der Wechselwirkung der 
Staaten mifst und erprobt, so führt dies auf die Lage des Landes 
unter den andern Ländern. 


vom 27. Januar 1870. 341 


Friederich der Grofse betrachtete die Landkarte, auf welcher 
seinem Lande die Bedingungen zu einem zulänglichen, in sich ab- 
geschlossenen, in sich selbst gegründeten Staate nicht gegönnt wa- 
ren, mit nüchternem Blicke. 

Ähnlich wie in dem einleitenden Kapitel zur „Geschichte seiner 
Zeit“ !), sagt der König im politischen Testament vom Jahre 1752: 

„Die Provinzen der preufsischen Monarchie sind fast alle von 
einander getrennt. Der Körper des Staates, in dem seine Kraft 
ihren Sitz hat, ist das Kurfürstenthum, Pommern, Magdeburg, Hal- 
berstadt und Schlesien. Diese Provinzen, das Herz des König- 
reichs, verdienen hauptsächlich die Aufmerksamkeit des Fürsten, 
weil man hier sowol für das Innere wie für die Vertheidigung dieser 
Provinzen sichere Anordnungen treffen kann. Preufsen, durch das 
polnische Preufsen von Pommern getrennt, ist mit Polen und mit 
Rufsland benachbart, dessen Kaiserin in Curland allmächtig ist. 
Das Herzogthum Cleve und Friesland berühren Holland. Schlesien 
grenzt an Böhmen, Mähren und sogar an Ungarn. Das Kurfürsten- 
thum und das Gebiet von Magdeburg liegen um Sachsen herum. 
Pommern ist nur durch die Peene von den deutschen Besitzungen 
des Königs von Schweden getrennt, und das Fürstenthum Minden 
ist mit Land von Hannover, Münster, Kassel, Hildesheim und Braun- 
schweig untermischt.“ 

„Ihr seht, dafs wir durch diese geographische Lage Nachbaren 
der grölsten Fürsten Europa’s sind; alle diese Nachbaren sind 
ebenso viele eifersüchtige oder ebenso viele geheime Feinde unserer 
Macht. Die örtliche Lage ihrer Länder, ihr Ehrgeiz, ihre Inter- 
essen, alle diese verschiedenen Verbindungen bilden die Grundlage 
ihrer mehr oder weniger versteckten Politik je nach Zeit und Um- 
ständen.* 

In diesen Zügen empfinden wir die Unmöglichkeit, die der 
König überkommen hatte, die Lage zu lassen, wie sie war. Ent- 
weder mulste der Staat des grofsen Kurfürsten mit seinen Keimen 
sich selbst aufgeben, oder er mufste vorwärtsdringen und sich nach 
aufsen wie nach innen fester gründen. Zwischen beiden gab es 
für Friederich den Grofsen keine Wahl. Er weils, was er wol- 
len mufs. 


!) Werke II, p. 47. 


32 Öffentliche Sitzung 


Bezeichnend schreibt der König in dem Vermächtnifs: 

„Machiavell sagt, dafs eine uneigennützige Macht, welche sich 
mitten zwischen ehrgeizigen Mächten befände, zuletzt unfehlbar 
untergehen würde. Es thut mir sehr leid, aber ich mufs einge- 
stehen, dafs Machiavell Recht hat. Daher müssen die Fürsten 
nothwendig Ehrgeiz haben, aber er mufs weise, gemäfsigt und von 
Vernunft durchleuchtet sein.* Der Ehrgeiz Friederichs ist die Macht 
und die Wohlfahrt seines Staats, die in ihm, dem Könige, bewulst 
und zur Springfeder alles Strebens werden. 

Wenn die Eichel, die den mächtigen Baum in sich trägt, in 
dürrem Erdreich der Bedingungen entbehrt, dafs sich entwickele, 
was in ihr liegt: so strebt sie, ehe sie sich in ihren Untergang fügt, 
zu erreichen, was ihr fehlt; keimend streckt sie darnach ihre Wur- 
zeln und treibt sie ihre Schossen. So arbeitet der Same im Kampf 
um das Dasein. In ähnlicher Arbeit steht der Staat Friederichs 
des Grofsen nach aufsen und nach innen. Je edler der Keim ist, 
der in ihm liegt, desto edler ist sein Kampf um das Dasein, sein 
Kampf um die Bedingungen seiner Entwickelung. 

In diesem Sinne stellt der König der Politik des Fürsten die 
Aufgabe, neben der Verwaltung des Innern und der Förderung der 
Interessen und neben der Handhabung und Aufrechthaltung des 
Regierungssystems die Sicherheit des Staats zu befestigen und so 
weit es geht, auf üblichem und erlaubtem Wege die Besitzungen 
und die Macht und das Ansehen der Fürsten auszudehnen. 

Für den Staat, der zwar einen Körper hatte, aber Theile von 
dem Körper getrennt und in die Ferne hinausgeworfen, war es ein 
natürlicher Trieb, diese Theile zu wirklichen Gliedern zu machen; 
cs war daher eine Bedingung der Sicherheit gegen Angriffe und 
eine Bedingung zur gegenseitigen Hülfe und zum Austausch der 
Kräfte, die zerstückten Theile des Landes mit dem Ganzen zu 
einigen, und daher das Gebiet abzurunden und in seinen offenen 
Seiten zu schützen. Friederich der Grofse ist, so weit es an ihm 
liegt, in dieser Richtung unablässig thätig, wie z. B. in den Mitteln, 
das Land zu sichern, Festungen zu bauen, oder, wo er noch nicht 
zu bauen im Stande ist, den Plan zum Bau zu entwerfen. An- 
deres hat er nicht in seiner Gewalt und mufs die Erfüllung des 
nothwendigen Bedürfnisses der Geschichte überlassen. In dieser 
Richtung bewegen sich des Königs Wünsche, die er seinen poli- 
tischen Traum nennt. Einige sah er selbst erfüllt, andere seine 


vom 27. Januar 1870. 33 


Nachkommen. Es ist im Vermächtnifs von 1752 sein Wunsch, dafs 
sich einst der stetige Zusammenhang von Pommern und Preufsen, 
der durch das zwischenliegende polnische Preufsen unterbrochen 
war, zur innigern Verbindung mit dem Hauptlande herstellen lasse. 
Es erschien ihm für den Staat nothwendig und dieser Gedanke 
leitete seine spätere Politik in den Wirren Polens, welche die 
Theilung herbeiführten. 

In der gefährlichen Lage, in der Friederich seinen Staat wulste, 
ist es für seine Weisheit und seinen Willen bezeichnend, dafs er 
die schwierige Aufgabe allein auf die Kraft seines Staates stellt, 
einem tapfern geschulten Heere, der Bereitschaft der ersparten Mittel 
und der Treue und dem Geiste seines Volkes vertrauend. 

„Hütet euch wohl,“ sagt er, „euer Vertrauen auf die Zahl 
und die Treue euerer Verbündeten zu setzen; zählet nur auf euch 
selbst.“ i 
| Und ebenso sagt er an einer andern Stelle, im Vergleich mit 
deutschen Fürsten und Städten, die sich in fremde politische Ab- 
hängigkeit verkauft haben, mit Befriedigung: „wir (wir Branden- 
burger) haben niemals von irgend jemanden Hülfsgelder empfangen“ 
und streng tadelt er, wie in den Denkwürdigkeiten des Hauses 
Brandenburg, den ersten König, der im spanischen Erbfolgekrieg 
anders verfahren war. Wer Subsidien nimmt, Dindet sich die Hände 
und spielt nur eine zweite Rolle. 

Der König verliefs wenige Jahre später diesen Grundsatz. 
Zwei Tage vor der Schlacht bei Kunersdorf, in der er mit Leib 
und Leben um das Dasein kämpfte, gegen das halb Europa sich 
erhoben hatte, am 10. Aug. 1758 schreibt er, ungewils was ihm 
selbst zustolsen könne, vorsorgend an seinen Bruder den Prinzen 
Heinrich'): „Was die Finanzen betrifft, so glaube ich Euch unter- 
richten zu müssen, dals mich alle die Verlegenheiten, die uns zu- 
letzt trafen, und vornehmlich die, welche ich noch voraussehe, ge- 
nöthigt haben die englischen Hülfsgelder anzunehmen, die indessen 
erst im Monat October zahlbar sein werden.“ Man hört es den 
Worten an, wie ungern der König sich dazu entschlossen hatte. 
Aber in Wahrheit hatte er den Grundsatz nicht gebrochen. Es 
war keine Gefahr in Englands Abhängigkeit zu gerathen; es galt 
vielmehr der Unabhängigkeit Preufsens. Die Feinde sogen damals 


!) Werke XXVI, p. 180. 
[1870] | 3 


34 Öffentliche Sitzung 


Preufsen und Westphalen aus. In dieser Noth mufste der König 
Geldhülfe annehmen und er nahm sie von dem für den Helden- 
könig begeisterten England. Es waren heifsere Tage, als die Tage 
des Königs Friederichs I., den Friederich der Grofse angeklagt 
hatte '), dafs er mit dem Blut seiner Völker Handel getrieben habe 
in Verträgen mit den Holländern und Engländern. 

In der Lage des Landes, das Feinde ringsum und selbst zwischen 
seinen Grenzen hatte, legt der König das gröfste Gewicht auf ein 
geschultes, schlagfertiges, tapferes Heer. Immer hat er den Krieg, 
der ausbrechen kann, im Auge. Für ihn hält er die Mittel bereit. 
Die Kriegskasse muf[s immer einen Fonds von 680000 Thlrn. hinter 
der Hand haben, um dem Heere, wenn e$ ins Feld rücken soll, 
den Sold eines Monats vorstrecken zu können, und dieser Fonds, 
sagt der König, muls unantastbar sein. 

Dafs sein Adlerblick schon im Jahre 1752 die Möglichkeit 
eines langen Krieges voraussah, beweist eine Stelle seines Ver- 
mächtnisses. Nachdem er gezeigt hat, wie der Fürst in den Aus- 
gaben zugleich sparsam und grofsmüthig sein solle, fährt er fort: 
Wir brauchen ungefähr 5 Millionen zu einem Feldzug, also 20 Mil- 
lionen geben vier. Diese 20 Millionen zu sammeln und die andern 
Kassen zu füllen, ist eine Pflicht des Monarchen; es ist eine Sorge, die 
er sich nicht erlassen darf und die das Volk ihm Dank weils, wenn 
es sich in Kriegszeiten von keinen neuen Auflagen gedrückt sieht.“ 

Da der König die Erfahrung des siebenjährigen Krieges hinter 
sich hat, da er die Wahrscheinlichkeit bedenkt, dafs sich noch ein- 
mal die Kräfte von Österreich und Rufsland, von Frankreich und 
Schweden, gegen ihn vereinigen können und dann mit äufserster 
Anstrengung .den Krieg führen werden, sagt er in seinem Testa- 
ment vom Jahre 1768: „wenn ich noch einige Jahre lebe, werde 
ich die Zahl des Heeres auf 166000 Mann bringen können.* Da 
aber die Feinde mehr Truppen aufbringen können, so will er, dafs 
die preufsischen durch Tüchtigkeit mehr vermögen. 

Den Geist und die Zucht des Heeres, in dem der Fürst sein 
eigener Kronfeldherr sein soll, stellt der König in erste Linie; die 
Verdienste des Adels im Heere hält er hoch und bedauert es im- 
mer wieder, für tapfere Offiziere und Soldaten nicht Belohnungen 
genug zu haben. Er will den eigenen Adel zum Heeresdienst, 


1) Werke I, p. 121. 


vom 27. Januar 1870. 35 


keinen fremden; denn die Fremden, sagt er, gehen leicht in andere 
Dienste über und bereichern dann die Fremden mit unsern Kennt- 
nissen. 

In der Geschichte sieht der König mit dem Verlust der Dis- 
ciplin den Staat sinken. So in Schweden, so in Holland. 

„Das zweite Beispiel, das ich erlebt habe,“ sagt der König im 
Vermächtnifs von 1752, „betrifft die Holländer. Ihre Truppen 
waren unter dem Fürsten von Oranien das Vorbild der europäi- 
schen Landwehr; und die Preufsen haben von ihnen die Ordnung 
und die Kunst des Krieges gelernt. Nach dem Tode des Königs 
Wilhelm regierten die Kaufleute von Amsterdam, mit den Titeln 
von Stadtschreibern, Rathspensionären und Generalstaaten geziert, 
den Staat. Sie machten ihre Ladendiener zu Offizieren, und ver- 
achteten die Vertheidiger des Freistaats. Alter und Tod nahmen 
‚ihnen ihre guten Offiziere. Die Obersten wurden die Pächter ihrer 
Regimenter; die Subalternen verweichlichten sich; die Hefe des 
Volks, der Auswurf der Nation ergriff das Kriegshandwerk und 
wegen Mangels an Mannschaft warb man Söldner an. Niemand 
hatte das Auge auf die Truppen. Der Krieg überkam sie und 
der verächtliche Haufe dieser republicanischen Miliz wurde gefan- 
gen genommen. Man bedeckte sich durch Feigheit mit Schmach. 
Flandern wurde von den Franzosen genommen und Holland fiel 
auf Gnade und Ungnade in Ludwigs XV. Hand, wenn er seine 
Vortheile benutzen wollte oder konnte.“ „Ihr seht also, wie wich- 
tig es für jedes Reich ist, besonders aber für eine heranwachsende 
Macht, dafs der Fürst sein Feldherr sei, auf die Strenge der Zucht 
seine Hand halte, und dafs ihn dabei auch das Kleinliche in den 
Einzelheiten nicht verdriefse.* „Ich bin“, schliefst er, „von Kind 
auf im Heere aufgezogen.“ 

Wie die Strategie des Krieges, denkt sich der König die 
Klugheit der äufsern Politik. Daher verlangt er in ihr, verschwie- 
gen zu Sein, sich selbst zu beobachten, der eigenen Affecte Herr 
zu sein, seine Absichten zu verdecken, seinen Charakter zu ver- 
hüllen und nichts sehen zu lassen, als eine gemessene und durch 
die Gerechtigkeit gemilderte Entschlossenheit. !) Und wie Polybius 
von dem Feldherrn verlangt, dafs er die Affeete in dem Charakter 
seines Gegners kenne und in die Berechnung seines Planes auf- 


N 


.!) une fermete mesuree et temperee par la justice. 


z* 


— | —— ——— 


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I 
| 


36 Öffentliche Sitzung 


nehme: so will Friederich der Grofse, dafs in den äulsern Ver- 
handlungen die Staatskunst es verstehe, die fremden Affecte, wie 
die Eitelkeit, Eigenliebe, richtig zu benutzen. Es ist überhaupt, 
als ob zwischen den Staaten mitten im Frieden die Listen des 
Krieges gelten sollen. Friederich hat in der nach seinem Tode 
(1788) herausgegebenen Geschichte des siebenjährigen Krieges') 
von dieser dunkeln Seite seines Verfahrens kein Hehl gehabt. Es 
mag sein, dafs die Staatskunst zwischen Staaten erst offener wer- 
den wird, wenn mehr und mehr friedliche Bande, durch die Ver- 
schlingung der Interessen in gegenseitigen Verträgen befestigt, die 
Völker mit einander verketten. 

Der König hat immer wachsam seine Gegner im Auge und 
bezeichnet die politische Lage der Staaten in ähnlicher Weise, 
wie im 2. Kapitel seiner Geschichte des siebenjährigen Krieges, 
nur nackter, und die Linien gehen immer zu dem Augenpunkt hin, 
der in Preufsen seinen Standort hat. 

Dabei ist sein Urtheil gerecht und entbehrt der offenen An- 
erkennung für den Gegner nicht, das Zeichen des freien, in der 
Wahrheit gegründeten Charakters. 

So schreibt der König in dem Vermächtnifs von 1768: 

„Die Macht Oesterreichs verdient hesondere Beachtung. Dies 
Haus der Cäsaren hatte sich seit der Zeit Karls V.. mehr und 
mehr geschwächt. Unter der Regierung Karls VI. hob es sich 
wieder; aber nach dem Tode dieses Kaisers und dem Erlöschen 
des Mannsstammes glaubte Europa, e8 sei verloren. Eine Frau 
erhob es wieder und behauptete es mit Festigkeit. Sie wurde der 
Abgott eines vor Kurzem noch anfrührerischen Volkes, das sie für 
ihre Sache in den Kampf führte. Diese Frau regiert noch jetzt. 
Wenn sie die verlorenen Provinzen noch nicht durch andere er- 
oberte ersetzt hat, so hat sie doch, ihre Finanzen ordnend, Schätze 
sefunden, und ihre Einkünfte belaufen sich so hoch, wie die des 
Kaisers Karl VI. selbst zu der Zeit, da er Neapel besals. Man 
berechnet ihre jährlichen Einkünfte auf 26 Millionen. Wirklich 
unterhäli sie 140000 Mann und kann diese Zahl, wenn Zeit und 
Umstände es erfordern, auf 200000 steigern. Ihre Macht würde 
noch furchtbarer sein, wenn sie nicht jährlich 8 Millionen Thaler 
abrechnen müfste, theils um die Dividende zu zahlen, theils für 


1) Werke IV. S. 34 f S. 83. 


vom 27. Januar 1870. 37 


einen Fonds zur Tilgung der während des letzten Krieges gemachten 
Schulden. Sie hat die Kunst verstanden fähige Minister zu finden 
und zu wählen; und ihr Ministerrath ist durch Weisheit und syste- 
matisches Verfahren dem aller andern Könige überlegen; sie han- 
delt aus sich selbst. Ihr Sohn läfst sich von ihr in den Geschäften 
belehren und folgt ihren Antrieben.* „Die Königin von Ungarn,“ 
sagt Friederich an einer andern Stelle ehrend, „gehört zu den we- 
nigen Fürsten, die sich über die schlechte Erziehung ihrer Jugend 
erhoben haben. Ihr Geist hat über diese triumphirt.“ „Der Fürst 
Kaunitz und Hatzfeld,* fährt der König in jenem Zusammenhang 
fort, „sind ihre besten Minister. Die Generale, die den gröfsten 
Namen haben, sind Lasci und Loudon; wenn sie diese verlöre, 
würde es ihr schwer werden, unter der grofsen Zahl der übrigen 
ihres Gleichen zu finden. Indessen ist bis jetzt die österreichische 
Kavallerie schlecht, die Infanterie taugt mehr, besonders als Posten; 
und ihr Korps der Artillerie ist so gut als möglich. Prägt es 
euch wohl ein, dafs es keinen grofsen Fürsten giebt, der nicht den 
Gedanken mit sich herumtrüge, seine Herrschaft zu erweitern. 
Die Kaiserin-Königin hat ohne Zweifel ihr Eckchen Ehrgeiz, wie 
die andern. Die Politik verlangt, dafs solche Vorhaben mit un- 
durchdringlichem Schleier verhüllt bleiben und dafs man die Aus- 
führung verschiebt, weil die Mittel zum Erfolge fehlen. Man darf 
also das System des Friedens, welches der Wiener Hof zur Schau 
trägt, nur den 180 Millionen Thalern, die er schuldet, zuschreiben. 
Sie würden ihn, wenn ein Krieg zustielse, ehe er einen ansehn- 
lichen Theil dieser Summe getilgt hätte, zu einem Bankerott nö- 
thigen.“ ') 

So sehr auch der König auf den Krieg gerichtet und gerüstet 
ist und seinem Staat gebietet, immer auf dem Wachtposten zu sein, 
so wenig will er den Krieg als solchen. „Ein Fürst,“ sagt er in 
dem Vermächtnifs von 1768, „der aus Unruhe, aus Leichtsinn, aus 
schlechtem Ehrgeiz?) Krieg beginnt, ist so verwerflich, wie ein 
Richter, der sich des Schwertes des Gesetzes bedient, um einen 
Unschuldigen zu verderben. Dann ist der Krieg ein guter Krieg, 
wenn man ihn unternimmt, um das Ansehn eines Staates aufrecht 
zu halten, um seinen Verbündeten zu Hülfe zu kommen, um die 


ı) Vgl. Werke IV, p. 8. 
?). une ambition desordonnee. 


33 Öffentliche Sitzung 


Entwürfe eines ehrgeizigen Fürsten, der unseren Interessen schäd- 
liche Eroberungen vor hat, im Zaum zu halten.“ 

Wie Friederich selbst ein ritterlicher König ist, so will er 
sein Heer mit edler Gesinnung erfüllen. „Die Ehre,“ schreibt er 
(1768), „das Verlangen nach Ruhm, das Beste des Vaterlandes, 
müssen alle die beseelen, welche sich den Waffen widmen und 
keine niedrige Leidenschaft darf so edle Gesinnungen beflecken.“ 
Der Fürst, der mitten im Heere steht, soll ihm mit seinem Bei- 
spiel diese Empfindungen einflöfsen. Denn „alle Welt,“ sagt Friede- 
rich, „hat in monarchischen Staaten ihre Augen auf den Monarchen. 
Die öffentliche Meinung folgt seinem Geschmack und scheint be- 
reit, die Eindrücke, die er giebt, in sich aufzunehmen.“ In dem 
Adel sieht der König den Träger des militairischen Geistes. „Es 
ist nöthig,* schreibt er im Vermächtnifs von 1752, „zu verhindern, 
dafs der Adel in fremde Dienste trete, und seinen Sinn für Ge- 
meinschaft und Vaterland zu wecken. Daran habe ich gearbeitet 
und im Laufe des ersten Krieges habe ich alles Mögliche gethan, 
um den Namen Preufsen durchzuführen, und um die Offiziere zu 
lehren, dafs sie alle, aus weleher Provinz sie seien, als Preufsen 
gelten und dafs alle Provinzen, wenn auch zerschnitten, zusammen 
Einen Körper bilden.“ So pflanzt damals der König durch das 
Heer das Gefühl des Einen Ganzen in das Volk, schmilzt die 
spröde Gaugesinnung in Vaterlandsliebe und pflegt das Bewulst- 
sein des zusammengehörigen Ganzen in den Einzelnen. Dem sich 
aufopfernden Muthe giebt er dadurch einen gröfseren Gegenstand 
und dem in die Heimat zurückkehrenden Soldaten eine Bedeutung 
für die Empfindung im Volk. 

Friederich der Grofse kennt den Vorzug der Monarchie, der 
es leichter wird, Jeden an die Stelle zu bringen, für die er am 
fähigsten ist. „Wenige Menschen,“ sagt er, „sind ganz ohne Ta- 
lent geboren. Jeden nun an seine Stelle setzen, das heiflst, aus 
allen zusammen einen doppelten Vortheil ziehen; es heifst, sich in 
keinem täuschen und dem Ganzen der Regierung mehr Kraft und 
Nachdruck geben, weil Alles dient und Alles im Stande ist, nütz- 
lich zu dienen.“ 

Die strenge Pünktlichkeit in der Pflichterfüllung, die er vom 
Militair fordert, fordert er ebenso von den Beamten. Die Offiziere 
hält er zum Dienst im Staat geschickt, weil sie es verstehen, zu 
gehorchen und sich selbst Gehorsam zu verschaffen. Über die Staats- 


vom 27. Januar 1870. 39 


diener ist er wachsam, besonders im auswärtigen Amte; „denn,“ 
sagt er in seiner düstern Anschauung, „das Milstrauen ist die Mutter 
der Sicherheit und nur der, der die Menschen nicht kennt, darf 
ihnen trauen (1768). Treue Dienste behält er in dankbarem An- 
denken, wie z. B. den Eifer und die Anhänglichkeit der märkischen 
„Landschaft,“ die ihm im Feldzuge von 1744 auf ihren Credit 
Summen vorgestreckt, um den Krieg weiter führen zu können, 
Summen, ohne welche er aus gänzlichem Mangel an baarem Gelde 
verloren gewesen wäre. Wiederholt spricht der König die Hoch- 
achtung für sein Volk aus, dergestalt, dafs er sich es zur Ehre 
rechnet, ein solches zu regieren'). „In diesem Staate,“ schreibt 
er, „sind weder Parteiungen noch Empöruugen zu fürchten. Man 
braucht in der Regierung nur Milde anzuwenden und keinen Ver- 
dacht zu hegen, als etwa gegen einige verschuldete oder unzufrie- 
dene Edelleute oder einige Domherrn oder Mönche in Schlesien, 
welche jedoch, weit entfernt, sich offen zu erklären, ihre schlechten 
Umitriebe darauf beschränken, sich zu Kundschaftern unserer Feinde 
herzugeben.* „Ich habe gesagt und wiederhole es,* schreibt der 
König an einer andern Stelle, „in diesem Lande kommt man mehr 
in Verlegenheit hinreichende Belohnungen für die guten Handlungen 
zu finden, als dafs man genöthigt wäre, böse zu bestrafen. Man 
kann nicht genug die Tugend schätzen und die, welche sie üben, 
ermuntern. Es ist das Interesse des Staats, dafs sich seine Bürger 
alle zu ihr bekennen. Darum mufs man sie hervorheben, ja die 
guten Handlungen selbst gröfser erscheinen lassen, um ihnen, wo 
möglich, gröfseren Glanz zu verleihen und edeln empfänglichen 
Seelen Nacheiferung einzuhauchen. Gesetzt auch, dafs ein Mann, 
der von Natur nicht die Erhebung der Seele hätte, welche den 
höher angelegten Geistern eigen ist, eine gute Handlung aus Hunger 
nach Ehre und Belohnungen thäte, so ist damit doch viel gewon- 
nen; und obschon der Beweggrund der Handlung an sich niedrig 
wäre, so ist die schöne Handlung darum doch dem Gemeinwohle 
nicht weniger nützlich, Die nützlichsten Tugenden des Bürgers 
sind: Menschlichkeit, Billigkeiß Tapferkeit, Wachsamkeit und Liebe 
zur Arbeit. Diese bilden nützliche Menschen, sei es für die bürger- 


lichen Geschäfte oder den Dienst im Heere.* 


!) S. das Testament über den Nachlafs in den Werken VI, p. 215. 


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AU "Öffentliche Sitzung 


Wenn Friederich der Grofse in diesen und andern Stellen 
die Springfeder des Ehrgeizes in Bewegung setzt, und die aus Ehr- 
geiz vollzogene Tugend um ihres Nutzens willen lohnt: so vergilst 
er das Wort eines ihm wohlbekannten alten Geschichtsschreibers, 
der, den Ehrgeiz der Römer betrachtend, ihn einen Fehler nennt, 
wenn auch einen Fehler in der Nähe der Tugend. Friederich der 
Grofse selbst ist von der Tugend, die ihre Lust in sich hat und 
nicht von Ehre und Lohn abhängt, beseelt. Von dem Edelsinn 
im Geben sagt er an der Stelle, wo er von dem Fürsten beides 
fordert, Sparsamkeit und Grofsmuth: „Die grofsmüthige Freigebig- 
keit ist eine hellsehende Tugend, weil sie mit Kenntnifs der Ur- 
sache handelt. Wenn dieser Edelsinn aufrichtig ist, so ist er be- 
scheiden, sanft, fordert keine Erkenntlichkeit und ist nicht bemüht 
den Ruf seiner Wohlthaten zu verbreiten.“ 

Man hat oft Friederiehs des Grofsen Bestreben, der seinem 
Volke die Strenge der Pflicht einprägte, mit Kants Lehre verglichen, 
der gleichzeitig die Pflicht zum Mittelpunkt der Sittenlehre machte, 
aber doch nicht die Pflicht um der Ehre, sondern die Pflicht um 
der Pflicht willen. 

In unserm gemeinsamen Leben liegt die Quelle einer solchen 
Gesinnung, die dem Menschen an sich Werth und Würde giebt, 
in der Religion, die das Gute um Gottes willen, oder, was un- 
gefähr denselben Sinn hat, das Gute um Christi willen zu wollen 
und zu thun gebietet. 

Friederich der Grofse setzt in seinem Vermächtnifs diese Seite 
des menschlichen Lebens hintan, obgleich er sich der Rechts- 
pflichten gegen die Kirchen bewufst ist. „Ich bin neutral,“ sagt 
er, „zwischen Rom und Genf. will Rom in Genf eingreifen, so 
zieht es den Kürzern; will Genf Rom unterdrücken, so wird Genf 
verurtheilt. Auf diese Weise kann ich den Religionshals mindern, - 
indem ich allen Theilen Mäfsigung predige und versuche sie zu 
vereinigen, indem ich ihnen vorhalte, dafs sie alle Bürger Eines 
Staates sind, und dafs man einen Menschen ebenso lieben kann, 
der einen rothen, als einen andern? der einen grauen Rock trägt. 
Ich habe versucht mit dem Papst gute Freundschaft zu halten, 
um dadurch die Katholiken zu gewinnen und ihnen begreiflich zu 
machen, dafs die Politik der Fürsten dieselbe ist, mag auch die 
Religion, nach der sie genannt werden, verschieden sein. 


| 
| 


vom 27. Januar 1870. 41 


Der Gedanke an die Zukunft seines Staates verbindet sich 
dem Könige mit dem Gedanken an die Zukunft seiner Regenten. 
„Die Königreiche,“ sagt er, „sind von den Männern abhängig, die 
sie regieren. Erinnert euch, dafs England unter Cromwell geachtet, 
unter Karl II. verachtet wurde.“ 

Indem der König nach dieser Seite die Geschicke der Staaten 
überdenkt, beunruhigt ihn der Gedanke an eine Minderjährigkeit, 
die im Laufe der Zeit eintreten könne. „Wenn die Gottheit, 
schreibt er, „sich um das menschliche Elend kümmert, wenn die 
schwache Stimme des Menschen bis zu ihr gelangen kann, so darf 
ich dieses unbekannte und allmächtige Wesen anrufen, es wolle 
diesen Staat vor der Geifsel einer Minderjährigkeit bewahren. Es 
giebt kein Beispiel, dafs die Regierung eines Vormundes eine glück- 
liche gewesen wäre. Alle Beispiele, von denen uns die Geschichte 
berichtet, sind durch die Mifsgeschicke des Volkes, durch Spal- 
tungen und oft durch äulsere und innere Kriege bezeichnet. Nicht 
Bürgerkriegehat Preufsen während einer Minderjährigkeit zu fürch- 
ten, aber eine schwache Regierung, schlechte Verwaltung der Fi- 
nanzen, eine schwankende Politik, eine Erschlaffung der militai- 
rischen Zucht und den Verfall in der Ordnung der Truppen, welche 
sie bis jetzt unbesiegbar gemacht hat. Was wir besonders in die- 
ser Zeit der Schwäche zu fürchten hätten, wäre ein Krieg.“ 

Es ist an uns, an dieser Stelle nicht schweigend vorüberzu- 
gehen, sondern dankbar zu gedenken, dafs die Fügung, die in 
keines Menschen Hand steht, bis dahin unserm Vaterlande ge- 
währte, was Friederich der Grofse hier für seinen Staat von der 
Vorsehung erbittet; — wolle Gott, dafs das unschätzbare Gut, das 
in der durch keine Minderjährigkeit unterbrochenen Kette starker, 
selbst denkender, selbst wollender Fürsten liegt, bis in die fernsten 
Zeiten sein Erbtheil sei. 

Friederich dem Grofsen trat alsbald, da nach wenigen Jahren 
sein Bruder, der Prinz von Preufsen, unerwartet starb, die Sorge 
näher, die diese Stelle ausspricht. Man sieht es aus dem Briefe 
voll Liebe, den er aus dem Felde nach der empfangenen Nachricht 
unter dem 25. Juni 1758 an seinen Bruder, den Prinzen Heinrich 
schrieb '). Ähnliche Gedanken liegen in seiner Seele, da zu einer 


‚Zeit, in welcher der Mannsstamm des königlichen Hauses auf we- 


!) Werke XXVI, p. 172£. 


42 Öffentliche Sitzung 


nigen Augen stand, 20 Jahre alt, der blühende Prinz Friederich 
Heinrich, der zweite Sohn des verstorbenen Prinzen von Preulsen, 
durch den Tod dahin gerafft wurde, und der König an seinen 
Bruder, den Prinzen Heinrich, unter dem 27. oder 28. Mai 1767 
einen Brief schrieb, auf den seine 'Thräne fiel. „Ich habe dies 
Kind, wie meinen eigenen Sohn geliebt; der Staat verliert an ihm 
viel; meine Hoffnungen schwinden mit ihm“ '). 

Für den Fall der Minderjährigkeit empfiehlt der König in dem 
Vermächtnifs den nächsten Verwandten und keine Frau zum Vor- 
inund einzusetzen, und ihm allein die volle Macht in die Hand zu. 
geben, ohne seine Beschlüsse an die Genehmigung eines ihn um- 
gebenden Raths zu binden. „So wenig es Newton möglich gewesen 
wäre,“ fügt er hinzu, „sein System der Anziehung zu gestalten, 
wenn er im Verein mit Leibniz und Descartes gearbeitet hätte, 
ebensowenig kann ein System der Politik gebildet und durchge- 
führt werden, wenn es nicht aus Einem Kopfe entspringt.“ 

Der König, der in dem Regenten die Zukunft: des Landes 
sieht, befielt vor Allem Sorgfalt der Erziehung, und während einer 
Minderjährigkeit fürchtet er vornehmlich Schmeichler, die das Junge 
Gemüth verderben. Er vertrauet den richtigen Einwirkungen, wie 
in seiner spätern Abhandlung über die Erziehung. Er will die 
Erziehung der Fürstensöhne ebenso weit von Härte als von 
Schmeichelei entfernt wissen. Schon im Antimachiavell hat er das 
Gift der Schmeichelei geschildert, welche sophistisch Mängel be- 
schönige und verkleinere, und die Fehler mit dem Schein von Tu- 
genden umkleide, indem sie Rauhheit und Rohheit Strenge der 
Gerechtigkeit, Verschwendung Freigebigkeit nenne und Ausschwei- 
fungen mit dem Schleier des Vergnügens umhülle. Vor Allem will 
der König eine richtige Gewöhnung zur Pflicht. „Die Gewohn- 
heit,“ sagt er, „hat eine herrschende Gewalt über die Menschen; 
sie kann sie zum Guten führen, wie zum Bösen; und es ist ein 
vorzügliches Verdienst einer weise geleiteten Erziehung, dafs die 
Kinder in der Gewohnheit ihrer Pflichten aufwachsen. Man kann 
hierdurch dem Mangel der natürlichen Anlagen nachhelfen.“ Wie- 
derum fordert er, dafs man den Fürstensohn an ein arbeitsames, 
thätiges und mäfsiges Leben gewöhne und in ihm den Samen der 
Tugenden, welche die Natur ihm zugetheilt hat, pflege.“ Damit 


1) XXVI p. 307. Vgl. memoires de 1763 iusqu’ & 1775 VI, p. 28. 
& 


vom 27. Januar 1870. 43 


er sie eigenthümlich entwickele, will der König ihm Freiheit ge- 
währen; er soll die Menschen selbst kennen lernen, selbst hören, 
selbst urtheilen. Indem der König die Tugenden von Geschlecht 
zu Geschlecht fortpflanzen möchte, die sein eignes Wesen sind, 
lenkt er die Erziehung besonders auf die Menschlichkeit hin, die 
Humanität, die menschlich heifse, weil sie in unserer Natur liege 
und jedem Sterblichen gleichsam jinnewohne, das Mitgefühl des 
Menschen mit dem Menschen. 

Wie in dem Fürstensohn, liegen ihm die Sitten des Volks am 
Herzen. Da er nach dem siebenjährigen Kriege einen gröfseren 
Luxus bemerkt hat, warnt er dagegen in seinem Vermächtnifs vom 
Jahre 1768. Wo er einreilse, wolle keiner dem andern in Aus- 
gaben etwas nachgeben und die Ausgaben gelten als Mafs des An- 
sehens. So sei es in Frankreich und England, in Rufsland und 
selbst in Österreich. „Halten wir uns“, sagt er, „an Einfachheit; 
bewahren wir unsern Adel und unsere guten Eigenschaften, oder, 
wenn ihr wollt, unsere deutschen Tugenden. Ahmen wir nach, 
was die Nachbarn Gutes haben, und hüten wir uns ihre Fehler 
nachzuahmen.* 

So möchte Friederich die Fürstensöhne und ‘das Volk, den 
Adel und das Heer durch Bildung und Tugenden für die Zukunft 
seines Staates erzogen wissen; und im Sinne eines solchen Ver- 
mächtnisses hofft er, dafs sein Preufsen einst eine der angesehen- 
sten Mächte Europa’s werde. 

Friederich der Grofse schliefst das Testament über seinen 
Nachlafs mit den Worten: „In dem Augenblick, wo ich das Leben 
aushauchen werde, sollen meine letzten Wünsche für die Wohl- 
fahrt dieses Reiches sein. Möge es immer mit Weisheit, Gerech- 
tigkeit und Kraft regiert werden, der glücklichste der Staaten durch 
die Milde des Gesetzes sein, der in billigster Gleichheit verwaltete 
in Bezug auf die Finanzen, der am tapfersten vertheidigte durch 
ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm atlımet, und möge es 
dauern und blühen bis an das Ende der Zeiten.“ 

Wir danken Allen, die auf dem so gelegten Grunde während 
des inzwischen verflossenen Jahrhunderts in guten und schweren 
Tagen treu dafür gearbeitet, dafs sich bis dahin mit Gottes Hülfe 
des grolsen Königs letzter Wunsch erfüllte. 


44 Öffentliche Sitzung 


Hr. Haupt, Secretar der philosophisch-historischen Klasse, 
gab hierauf Bericht über die seit dem 28. Januar voriges Jahres, 
als dem Tage der vorjährigen öffentlichen Sitzung zum Andenken 
Friedrichs des Grofsen vorgekommenen Veränderungen im Perso- 
nalstande der Akademie. 

Derselbe verkündigte sodann das Folgende. 

Die durch das Allerhöchste Patent vom 18. Juni 1844 ange- 
ordnete Commission, welche Seiner Majestät dem Könige das beste 
in den Jahren 1863 bis Ende 1867 erschienene Werk über deut- 
sche Geschichte behufs Ertheilung des zum Andenken an den Ver- 
trag von Verdun gestifteten Preises zu bezeichnen hatte, ist, nach- 
dem von deren Einberufung im Jahre 1868 mit Allerhöchster Ge- 
nehmigung Abstand genommen war, nach erfolgter Ernennung der 
Mitglieder im vorigen Jahre vorschriftsmäfsig zusammengetreten. 
Dieselbe hat zufolge Berichtes vom 24. November v. J. dem 
Werke von Dümmler, Professor zu Halle, “Geschichte des 
Ostfränkischen Reichs, 2 Theile, Berlin 1862. 1865” den Preis 
zuerkannt. Seine Majestät der König haben geruht diesen Beschlufs 
der Commission mittels Allerhöchsten Erlasses vom 29. v.M. und 
J. Allergnädigst zu bestätigen und dem Professor Dümmler für 
das gedachte Werk den stiftungsmäfsigen Preis von Eintausend 
T’halern Gold nebst einer goldenen Denkmünze auf den Vertrag 
von Verdun zu ertheilen. 

Auf Grund der Bestimmung in der Allerhöchsten Ördre vom 
92. December 1862 wird dies durch die Akademie hiermit öffent- 
lich bekannt gemacht. 


Hierauf las Hr. du Bois-Reymond, als Vorsitzender des 
Curatoriums der Humboldt-Stiftung für Naturforschung und Reisen, 
folgenden Bericht, zu dessen Erläuterung Hr. Kiepert eine Wand- 
carte der Länder zwischen Chartum und dem Äquator angefertigt 
hatte. 

Das Curatorium der Humboldt-Stiftung für Naturforschung 
und Reisen erstattet statutenmäfsig Bericht über die Wirksamkeit 
der Stiftung im verflossenen Jahre. 

Die bei Gelegenheit der Säcularfeier der Geburt Alexan- 
der’s von Humboldt am 14. September v. J. neuerwachte Theil- 


vom 27. Januar 1870. 45 


nahme für dessen Andenken ist auch der Stiftung zu Gute ge- 
kommen. Es sind der Stiftung zugegangen: 1) Von Hrn. Pri- 
vatdocenten Dr. Kny hierselbst 80 Thlr.; 2) Von Hrn. Dr. Hei- 
depriem in Üöthen 82 Thlr. 7 Sgr. als Ertrag einer an der 
landwirthschaftlich-chemischen Versuchsstation für das Herzogthum 
Anhalt-Cöthen veranstalteten Sammlung; 3) von Hrn. Professor 
Dr. H. Knoblauch in Halle 110 Thlr. als Ertrag einer dort ver- 
anstalteten Sammlung; 4) von Hrn. Professor Dr. Ed. Grube in 
Breslau 312 Thlr. als ein Theil des Kassenbestandes des ehema- 
ligen akademischen Zirkels daselbst, der bei seiner Auflösung 
diese Verwendung jener Summe beschlofs. Das Capital der Stiftung 
ist somit seit vorigem Bericht um 584 Thlr. 7 Sgr. gewachsen. 

Hrn. Dr. Reinhold Hensel sind für das Jahr 1869 500 Thlr. 
zum Zweck der weiteren Bearbeitung des von seiner Reise mitge- 
brachten, die Wirbelthiere betreffenden Materiales ausgezahlt wor- 
den. Diese Bearbeitung schreitet stetig vor, und liefert viele 
werthvolle Ergebnisse, welche sich aber ihrer Natur nach nicht zu 
einer Zusammenfassung an dieser Stelle eignen. 

Die laut vorigem Bericht im Jahr 1869 zu Stiftungszwecken 
verwendbare Summe von 2500 Thlrn. ist auf Beschlufs der Aka- 
demie Hrn. Dr. Georg Schweinfurth aus Riga, zur Fortset- 
zung seiner mit den Mitteln der Stiftung begonnenen botanischen 
Reise in den südwestlichen Nilländern, überwiesen worden. 

Die letzten Nachrichten, welche der vorige Bericht über 
Hrn. Dr. Schweinfurth gab, waren aus Chartum vom 10. De- 
cember 1868. Sie zeigten den Reisenden im Begriff mit einer 
Handelsexpedition des dortigen koptischen Grofshändlers Ghat- 
tas nach dem oberen weilsen Nil aufzubrechen, und rühmten 
die wohlwollende und energische Unterstützung, welche Seine 
Excellenz der Vicekönigliche General-Gouverneur des Sudans, 
Dschiaffer Pascha, Hrn. Dr. Schweinfurth hatte angedeihen 
lassen. 

Das Curatorium hat in Verbindung mit der Akademie die An- 
wesenheit Seiner Hoheit des Khedive in Berlin während des 
vorigen Sommers dazu benutzt, um Höchstdemselben eine Dank- 
adresse für die von ihm Dschiaffer Pascha gnädigst ertheilten 
"Weisungen zu überreichen und Seine Hoheit um die Erlaubnils 
zu bitten, auch Dschiaffer Pascha ein Dankschreiben über- 
senden zu dürfen. 


46 Öffentliche Sitzung 


Die nächsten seit vorigem Bericht eingetroffenen Briefe des 
Reisenden waren von Faschoda (Denab), dem äufsersten ägyp- 
tischen Militärposten am Bahr el Abiad, am 2. und 3. Februar 
geschrieben, und am 5. April hier eingetroffen. Sie geben ein 
lebendiges Bild der dreiwöchentlichen Nilfahrt bis Faschoda. Die 
Barke des Ghattas, in welcher der Reisende Chartum am 5. Januar 
verliefs, trug aufser ihm, seinen 6 Dienern und einer zur Besorgung 
der Küche angekauften schwarzen Sklavin noch 15 dem Ghattas ge- 
hörige sogenannte Soldaten, d. h. mit Büchsen bewaffnete Nubier, 
8 Schiffer und eine Köchin für diesen Theil der Gesellschaft. Der 
weilse Nil fliefst durch ein weites Flachland; grasreiche Steppen oder 
Buschwald bilden die Ufer, erst südlicher tritt stellenweise üppiger 
Urwald auf. Unzählige Zebuheerden, der Reichthum der Anwohner, 
beleben das Land, Schaaren von Wasservögeln, darunter ganze 
Flottillen von Pelikanen, bevölkern den Strom; Krokodil und Nil- 
pferd werden immer häufiger. Am 5. Tage der Fahrt kommt 
westlich das durch Kotschy den Botanikern bekannte Felsenge- 
birge Araschkol in Sicht. Am 6. Tage gelangt man oberhalb el Es 
in das inselreiche Gebiet der Schilluks, eines kräftigen Neger- 
stammes, der sich, nur hie und da durch die Baggara-Araber un- 
terbrochen, bis Faschoda erstreckt. Hier trat zuerst das in den 
oberen Gegenden immer reichlichere Schwimmholz Ambatsch, (Her- 
miniera elaphroxylon) auf, ein im Strome wurzelndes Holzgewächs 
mit zartgefiederten Blättern und grofsen hochdottergelben Schmetter- 
lingsblüthen,‘ aus dessen überaus leichtem Holze Flösse gezimmert 
werden, die acht Mann über Wasser halten und leicht von Einem 
getragen werden. 

Am 24. Januar landete die Barke in Faschoda. Hier, am 
Halteplatz aller Chartumer Handelsschiffe, mufste die Ankunft der 
von Chartum nachfolgenden Barken erwartet werden, da am oberen 
weifsen Nil einzelne Fahrzeuge Überfällen ausgesetzt sind. Die 
Rastzeit wurde zur Verpackung der bis dahin gemachten Samm- 
lungen benutzt. Bei dem ägyptischen Gouverneur, den Hr. Dr. 
Schweinfurth am 1. Februar in seinem Lager oberhalb Faschoda 
aufsuchte, fand er eine sehr zuvorkommende Aufnahme, und lernte 
er den König der Schilluks kennen. 

Nach Eingang dieser Nachrichten, welche zu den besten Hoff- 
nungen für den Fortgang des Unternehmens berechtigten, blieb 
acht Monate (vom 5. April bis 6. December) jede Kunde vom 


vom 27. Januar 1870. 47 


Reisenden aus, und die Besorgnifs um ihn wurde gesteigert durch 
ein im October eingetroffenes Schreiben des um die Schweinfurth’- 
sche Reise sehr verdienten norddeutschen Viceconsuls in Chartum, 
Hrn. Duisberg, wonach in Folge der durch Sir Samuel Baker’s 
Expedition unter den Negerstämmen verbreiteten Aufregung ein An- 
griff auf Factoreien der Chartumer Händler erfolgt sei und mit deren 
Vernichtung geendet habe. Glücklicherweise war diese Besorgnifs 
unbegründet, und das Ausbleiben der Briefe erklärte sich dadurch, 
dafs die Handelsbarken des Ghattas, zum Theil, wie es scheint, 
allerdings wegen jener Unruhen, die Rückkehr nach Chartum unge- 
wöhnlich spät angetreten hatten. Eine Reihe von Briefen des 
Reisenden, vom 24. März bis 31. August reichend, gelangte so 
erst am 23. October nach Chartum und am 6. December nach 
Berlin. 

Wir ersehen aus diesen Briefen, dafs auch der zweite Theil 
der Stromfahrt in der Zeit vom 5. bis 22. Februar glücklich zu- 
rückgelegt wurde. Es ist dieser Theil der Fahrt der beschwer- 
lichere wegen der oberhalb der Sobat-Mündung beginnenden sumpf- 
artigen Ausbreitung des Stromes und seines durch eine üppige Vege- 
tation gehemmten labyrinthartigen Laufes. Hier, wo stellenweise die 
Barken durch die Sumpfpflanzen hindurchgeschleppt werden müssen, 
ist die wahre Heimath des Papyrus, der mit seinen 15 Fufs hohen 
Halmen und riesigen Dolden undurchdringliche Dickichte bildet. 
Eine von dem Reisenden angelegte Sammlung von Dolden, Halmen 
und Wurzelstöcken wird die Entscheidung des Streites ermögli- 
chen, ob der einst in Ägypten gebaute Papyrus des oberen 
Nils einerlei sei mit dem syrischen und sieilianischen oder nicht. 
Zuletzt führte die Fahrt durch den an dem Zusammenfluls des 
weilsen Nils, der oberhalb von hier Bahr el Djebel heifst, mit dem 
Bahr el Ghasäl gelegenen See No, den Bahr el Ghasäl hinauf 
nach der Meschra el Req (auf älteren Karten Port Reg), dem 
Hafenplatze für die Barken aller Handelsunternehmungen in den 
Ländern südlich vom Bahr el Ghasäl. 

In der Meschra verweilte der Reisende einen Monat (vom 
22. Februar bis 25. März), theils um seine Sammlungen zu ver- 
packen, theils um die Ankunft der Träger zu erwarten, die von 
der grolsen Seriba des Ghattas zum Abholen des Gepäckes ver- 
tragsmälsig gesandt werden mulsten. Die Umgegend zeigte sich 
minder ergiebig für Botanik als für Zoologie, es wurden nament- 


48 Öffentliche Sitzung 


lich viele Wasservögel erlegt, auch interessante Menschenschädel 
erbeutet. Bei der dortigen Bevölkerung war Fräulein Tinne, die 
1863 nicht weit von hier ihre Mutter durch den Tod verlor, und 
seitdem selber dem Martyrologium der Afrika-Reisenden ihren 
Namen hinzugefügt hat, noch in lebhaftem Andenken. 

Nach anstrengender sechstägiger Landreise kam Hr. Dr. 
Schweinfurth mit seiner Dienerschaft, 70 ihm entgegengesand- 
ten Trägern und zwei Eseln am 31. März wohlbehalten auf der 
grolsen Seriba des Ghattas an, wo dessen Hauptagent, der seine 
sämmtlichen Seriben befehligt, ihn auf das Freundlichste aufnahm. 
Die grofse Seriba liegt ziemlich unter 7° N. B., zwischen dem 
Dsehur- und Tondiflusse, von welchen der erste für den haupt- 
sächlichsten unter den vielen Flüssen gilt, die. in der Ge- 
gend der Meschra sich zum Bahr el Ghasäl verbinden. Die 
Seriba zählt etwa 2000 Bewohner, von denen 200 Soldaten sind. 
Sie leben sämmtlich in dicht gedrängten, korbähnlichen, aus Bambus 
erbauten und mit Stroh gedeckten Hütten. Hr. Dr. Schwein- 
furth liefs sich in zwei eigens für ihn erbauten Hütten häuslich 
nieder, indem er sich aus mitgebrachten Brettern Tische und an- 
deres Hausgeräth verfertigte. Ein Hühnerhaus und eine Schaaf- 
hürde vervollständigten die wirthschaftliche Einrichtung. 

Die Umgegend der Seriba wird als ein leicht ansteigendes 
Hügelland beschrieben, hie und da von Felsreihen aus einem rothen 
porösen Thoneisenstein unterbrochen. Steppen und Grasniede- 
rungen von mannshohen Gräsern wechseln mit Buschwald, Hoch- 
wald und Bambushorsten; auch Sümpfe und Regenteiche fehlen 
nieht. Die Flora ist sehr reich und im Allgemeinen auffallend 
verschieden von der des ägyptischen Sudans und der abessinischen 
Tiefländer, während sie mit der westafrikanischen entschiedene 
Ähnlichkeit zeigt. Besonders zahlreich sind die Gattungen der 
Bäume, von denen viele elsbare Früchte tragen; zu den ansehn- 
liehsten gehören die äthiopische Fächerpalme Deleb (Borassus 
Aethiopum), die Ölpalme, die Mimosengattung Parkeria, der Butter- 
baum (Butyrospermum), der afrikanische Fieberrindenbaum (Crosso- 
pteryx) und mehrere breitkronige Ficus-Arten. Der Milchsaft von 
Carpodinus, einem Baum aus der Familie der Apocyneen, im 
frischen Zustande klebrig, und zu einer der Guttapercha ähnlichen 
wasserdichten Masse eintrocknend, bot dem Reisenden ein will- 


vom 27. Januar 1870. | 49 


kommenes Mittel, um Pakete getrockneter Pflanzen vor Regen und 
Insecten zu schützen. 

In gegenseitigen Entfernungen von 4 bis 6 Stunden liegen am 
Dschur- und Tondiflusse zahlreiche kleinere Seriben zerstreut, von 
denen der Reisende schon viele besucht hat, wobei er stets gut auf- 
genommen wurde. Ohne jede Gefahr konnte er in Begleitung we- 
niger Bewaffneter mehrtägige Ausflüge von seinem Wohnort aus 
unternehmen. Ungeachtet der Regenzeit, deren gröfseren Theil er 
bei Absendung der letzten Briefe bereits überstanden hatte, war 
seine Gesundheit stets gut, während seine Diener ab und zu von 
Fieber litten. 

Auch äufsere Gefahren, die ihn zuweilen bedrohten, gingen 
glücklich an ihm vorüber. So am 14. Januar, wo bei Landung 
auf einer der Schillukinseln ein im Röhricht aufgescheuchter Büf- 
 fel in seiner unmittelbaren Nähe einen Diener erheblich ver- 
letzte; am 22. Januar, wo ein Schwarm grofser Bienen seine 
Barke überfiel, vor deren furchtbaren Stichen er und die Mann- 
schaft sich nur dadurch retteten, dafs sie sich mit Tüchern 
und Fellen bedeckt mehrere Stunden lang auf dem Boden der 
Barke niederlegten; endlich am 22. Mai in der Seriba, wo der 
Blitz in eine von der seinigen nur wenige Schritt entfernte 
Hütte einschlug, sechs Menschen tödtete, und die Hütte in Brand 
steckte. 

Die Briefe des Hrn. Dr. Schweinfurth sind in der Zeit- 
schrift der hiesigen geographischen Gesellschaft und in Hrn. Pe- 
termann’s „Mittheilungen“ abgedruckt. Mit den jüngsten Briefen 
sind auch wissenschaftliche Manuseripte angelangt: geographische 
von einer Karte begleitete Mittheilungen, die nach des Reisenden 
Wunsch Hrn. Professor Koner übergeben wurden, meteorolo- 
gische Aufzeichnungen und eine Handschrift botanischen Inhalts, 
welche nach dem Leben entworfene Beschreibungen der in den 
Ländern südlich vom- Bahr el Ghasäl bis zum 7. Grade N. B. 
beobachteten neuen oder zweifelhaften Pflanzen enthält. Die Zahl 
der in diesem Bereiche vom Mai bis Juli aufgefundenen Pflanzen- 
arten beträgt 660, die Zahl der auf der ganzen Reise bisher ge- 
sammelten Arten 2322. 

Von den Sammlungen des Reisenden sind schon zwei Ab- 

theilungen, die erste im April vorigen Jahres, die zweite im Laufe 

dieses Monats angelangt; sie enthalten die auf der Reise bis Fa- 
[1870] 4 


50 Öffentliche Sitzung vom 97. Januar 1870. 


schoda gesammelten Naturalien, und sind in den betreffenden Kö- 
niglichen Museen niedergelegt. 

Was Hrn. Dr. Schw einfurth’s weitere Pläne betrifft, so haben 
die bisher so günstigen Erfolge seiner Reise und das gute Ein- 
vernehmen mit der Handelsgesellschaft des Ghattas ihn ermutbigt, 
sich einer von diesem beabsichtigten, Anfangs November nach 
beendigter Regenzeit zu unternehmenden grofsen Expedition in das 
Hochland der Njam-Njam anzuschliefsen, das die Scheide zwischen 
den dem Nil und den dem Niger zufliefsenden Gewässern zu bil- 
den scheint: eine naturgeschichtlich völlig unbekannte Gegend, die 
erst von einem einzigen Europäer, dem Italiäner Piaggia, betreten 
wurde. Diese Expedition, auf welcher allem Vermuthen nach 
Hr. Dr. Schweinfurth gegenwärtig begriffen ist, war auf 4—6 
Monate veranschlagt. 

Ist auch keinen Augenblick zu vergessen, dafs Hr. Dr. 
Schweinfurth in einer Gegend weilt, die auf die Länge sich 
noch jedem weilsen Eindringling in der einen oder anderen Art 
verderblich erwies, SO darf man andererseits behaupten, dafs so 
acclimatisirten und doch ungeschwächten Leibes, bei geringen 
Mitteln so gut ausgerüstet, bei aller Verwegenheit so besonnen 
und in Allem, was Erfolg sichern kann, schon so erfahren wie er, 
vielleicht noch kein Reisender in das Herz des gefürchteten Conti- 
nentes drang; während sein vielseitiger F orschungstrieb und seine 
rastlose Arbeitskraft, in Ländern fast so neu als werde, um mit 
Darwin zu reden, ein anderer Planet betreten, eine des Na- 
mens der Humboldt-Stiftung würdige wissenschaftliche Ausbeute 
hoffen lassen. 

Die im laufenden Jahre zu Stiftungszwecken verwendbare 
Summe beläuft sich, abgeseben von 375 Thlrn., die für Hrn. Dr. 
Hensel, und von 600 Thlen., die für Hrn. Dr. Schweinfurth 
reservirt werden, ordnungsmäfsig abgerundet auf 2200 Thlr. 


Siüzung der philosoph.-kistor. Klasse vom 31. Januar 1870. 51 


31. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Kirchhoff las: über eine jüngst publicirte, ver- 
muthlich lakonische Urkunde. 

Unser Vorratl griechischer archaischer Inschriften auf Bronze 
ist in der letzten Zeit durch zwei Cabinetstücke vermehrt worden, 
eine lokrische gröfseren Umfanges und eine weniger umfangreiche 
von Tegea, welche man zunächst für arkadisch halten sollte. 
Was mich veranlafst, hier einige Bemerkungen über die letztere 
mitzutheilen, ist lediglich der Umstand, dafs die Erklärung des 
Denkmals durch die im Übrigen durchaus sachgemäfse und ein- 
sichtige Besprechung des ersten Herausgebers, Hrn. Eustratiades 
(E.pruegis Roy amorRoyızy N. F. n. 410, T£f. 50«, 5), noch nicht so 


_ weit gefördert erscheint als es möglich und nothwendig ist, um 


die Bedeutung der Urkunde für unsere Kenntnils in ihrem ganzen 
Umfange erkennen zu lassen. 

Ich constatire zunächst, dafs das Alphabet der Insehrift aller- 
dings in allen Punkten genau der Vorstellung entspricht, welche 
auf Grund der wenigen bisher bekannten altarkadischen Inschriften 
von dem Character des Alphabets dieser Gegend sich hatte bilden 
lassen. Dagegen bieten die sprachlichen Formen der Urkunde eine 
Reihe von Abweichungen von denen einer bekannten jüngeren Te- 
geatischen Steinschrift (Jahrb. f. Phil. u. Pädag. 1861. S. 585 ff.), 
auf welche wir bisher für die Erkenntnifs der Eigenthümlichkeiten 
des arkadischen Dialektes wenn nicht ausschliefslich, doch vor- 
nehmlich angewiesen waren. Ich gebe im Folgenden eine Zu- 
sammenstellung dieser Abweichungen. 

1. Die Bronze schreibt im Anlaut der Worte das Vau, wo 
es erwartet werden darf, die Steinschrift bietet keine Spur 
desselben, auch da, wo man es erwarten sollte. 

2. Der Verbalendung -vrı, wie sie die Bronze hat, steht auf 
der Steinschrift -vsı gegenüber. Desgleichen lauten die 
Zahlwörter von Hundert bis Neunhundert auf jener auf 
-srıor, auf dieser auf -«sıcı aus. Im Zusammenhang da- 
mit steht auch, dafs die Präposition, deren attische Form 
eos ist, auf der Steinschrift vos lautet, während der Dia- 
lekt der Bronze zor! festgehalten zu haben scheint (roS- 
izovTec). 


4* 


[eb | 


12) 


Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Der Nominativ des Artikels im Plural lautet auf der Bronze 
ro rei (ra), auf der Steinschrift or («t za). 

Gegen «ro der Bronze steht «zu der Steinschrift. 

In der dritten Person des Singulars im Medium und Pas- 
sivum bietet die Bronze in der Endung -ra:, die Stein- 
schrift regelmäfsig -roı. 

Die Partikel & wird auf der einen (Vorder-) Seite der 
Bronze consequent «i, auf der anderen (Rück-) Seite fünf- 
mal e? und nur einmal noch «ai geschrieben. Die Stein- 
schrift hat durchgängig «t. 

Der Infinitiv des Verbum Substantivum lautet auf der 
Bronze Zusr, auf der Steinschrift zvaı. 

Vergleicht man mediale Imperativformen, wie anussOw 
(Sing.) und !rera«s«sSwv (Plural) der Steinschrift mit ar- 
2225>w (Sing.) und dverosSw (welches viermal begegnet 
und dem Zusammenhange nach in allen diesen Fällen die 
dritte Person Plur. des Imperativs sein mufs, obwohl es 
als solche noch ungelöste Schwierigkeiten darbietet) der 
Bronze, so zeigt sich auch in diesen Bildungen eine nicht 
unerhebliche Divergenz. 

Die Bronze bedient sich ausschliefslich der Partikel »« 
in den Verbindungen « (&) z« und &re z«, die Stein- 
schrift hat ebenso regelmäfsig «v in der Verbindung ei- av 
und den conjunctivischen Relativsätzen: ro, r@ av; orı ori 
dv; dse av, so wie in dem räthselhaften u27r7 a. In be- 
stimmten Fällen erscheint vereinzelt EIKAN, was man sich 
 zav zu lesen gewöhnt hat, das aber wohl richtiger als 
& z&v d.h. & za @v zu deuten ist. 


Es liegt auf der Hand, dafs mit Ausnahme etwa von n. 3. 
8. 9, in allen übrigen Fällen die Formen der Bronze entweder die 
ursprünglichen sind, aus welchen die der jüngeren Urkunde sich 
entwickelt haben, oder wenigstens jenen näher stehen, als die letzte- 
ren, und dafs, da beide Denkmäler zeitlich weit von einander ab- 
liegen, die Möglichkeit nicht bestritten werden kann, dafs beide dem- 
selben Dialekte angehören, wenn sie auch verschiedene Entwicke- 
lungsstadien desselben vertreten mülsten; n. 6 zeigt sogar den Über- 
gang bereits in der Epoche des älteren Denkmales in Vollzug be- 
oriffen. Dagegen ist es ebensowohl möglich, ja in Anbetracht der 
oben ausgeschiedenen Fälle sogar wahrscheinlich, dafs wir Denk- 


vom 31. Januar 1870. 53 


mäler verschiedener Dialekte vor uns haben, also das Idiom der 
Bronze nicht das von Tegea ist. Weder der Fundort, wie sich 
zeigen wird, noch das Alphabet, welches in dieser Gestalt nicht 
etwa blos in Arkadien, sondern im ganzen Peloponnes, mit Aus- 
nahme von Argos, Korinth und der Insel Ägina, das gemeinübliche 
war, sind geeignet die Frage endgültig zu entscheiden. Ich komme 
auf diesen Punkt weiter unten zurück. 

Zu bedauern ist, dafs der Graveur seine Arbeit sehr nach- 
lässig gethan, und sich mehrfach Buchstabenversetzungen und Aus- 
lassungen hat zu Schulden kommen lassen. Die meisten dieser 
Fehler sind von dem Herausgeber berichtigt worden, auch seine 
Lesung verdient im Allgemeinen Billigung, obwohl an einzelnen 
Stellen eine Änderung nöthig scheint. Ich setze daher den Text 
der Urkunde her, wie ich glaube, dafs er gelesen werden mufs, 
bemerke darunter die Fehler des Originals und begründe die mir 
nothwendig scheinenden Abweichungen von der Lesung des Heraus- 
Sebers in der Kürze. 


| 
" 
\ 
l 
| 


frei. 


a. b. 
, n Ü \ a, ’ > 
Bovdıe ro BrAayalı dın- Movlıa - mapza9yaa To 1 
’ m j} Ü 
2  zarıla nvai. Prayalın rergazarıcı 2 
„ P) ’ N 6) ’ 
3 RR nenn. . avderitw, Mval agyvpiu. 
' 3 SE »9 Sc er ’ > ’ ’ DR E 
ai ÖdE 2 amoDary, TWV TeH- ei nlev zu Quwn, auros av- 3 
5 > ’ ’ U J ® , \ ’ \ 
4 vwv | YMEV, EmEIı HR MevTs FE- EAETOUW, al de | un Cwn, To 4 
en» »19 ’ \ ’ N) 
9 ..7E8 | vBuvri. vior aveAocTw Tor yor|rıor, ETEL b) 
> Sy \ y ’ N, y ’ A 
6 a 0E 2a N yeryrelı mevrs za Hlaswvrı mevre Ferele. 6 
Er 3 \ 5 ’ \ m \ 
1 Ferwv, Emieisarov nlaev’ | dıa- ei ÖE 28 an Cwvru, Tal SUu- 17 
m \ \ ’ J > ’ \ J 
yuausv de TWG Teyeorels] | Yarspzs | MVEROTIUW Ta yvy- 
IN Ü 
8 . zarcv Seduov/ Fiat. 
NO J \ or a \ 
frei. ei öde za m | Slälrı, vu 8 
/ > Ü 
voor AveAorTu. 
> J \ IQ m 
si de ze | un voDa davr, 9 
\ B)] AI e) 
TO ATTTTE moTırovrles cv- 10 
’ 
EOTTW. 
’ 6) b) ’ \ 
ei de. avıbıreyuvrı, rloı 11 
m Ö / \ 
Teysaraı Oayvovrw zaroV | 
’ 
SJeSuov. 12 


mama 


54 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


a. 2. in der Lücke vTOEHITO || 6. TETNETON || d. 2. TIE 
TPAKATIAI \ 9— 10. TOIZAZI£TATOOIK|EX | 10—11. ANOIAE- 
coNTJo!. 

In der zweiten Zeile der Seite « liest der Herausgeber wi 
edros [ef 76 (oder Fe) Aver2rSo. Weder 7% im Sinne des sonst 
auf der Bronze durchweg gebrauchten &uy ist wahrscheinlich, noch 
das Adverbium +5 oder gar 5 für reüro glaublich; dazu kommt, 
dafs unter allen Umständen «uros falsch bezogen erscheint. Die 
Schrift ist auf dieser Seite der Platte absichtlich getilgt und darum 
schwer zu lesen; ich glaube, dafs eine nochmalige genaue Prüfung 
der Stelle ergeben wird, dafs auch hier nichts Anderes gestanden 
hat, als was die analoge der anderen Seite erwarten läfst, nämlich 
ar 26 eur; auros avererTw. 

In der sechsten Zeile hat sich der Herausgeber damit begnügt 
das verschriebene werverov in mivr’ irav zu ändern. Da die Bronze 
aber wiederholt Firs« schreibt, so war ein weitergreifender Fehler 
anzunehmen. 


a 


In derselben Zeile liest der Herausgeber Imidizerov Nuev und 
versteht unter Zrıdizaror die Verwandten, welche in Ermangelung 
von Kindern Erbansprüche erheben konnten. Dies würde sich hören 
lassen, wenn das Wort seiner Bildung nach aktiven Sinn haben 
könnte, was nicht der Fall ist. Die Lesung, welche ich vorschlage, 
bedarf keiner Rechtfertigung; höchstens bleibt zweifelhaft, ob auch 
hier wieder ein Irrthum des Graveurs anzunehmen und Zmıidızasrov 
herzustellen ist; Zrıdızau neben Zridızulwn wülste ich wenigstens 
sonsther nicht zu belegen. Jedenfalls ist der Sinn: Sind keine 
Kinder am Leben, so soll Epidikasie verstattet sein, natürlich für 
diejenigen, welche auf Grund ihrer Verwandtschaft mit dem De- 
ponenten glauben Ansprüche auf das Depositum geltend machen 
zu können. 

In der ersten Zeile der anderen Seite accentuirt Hr. Eustra- 
tiades magRaTyA als Verbalform und wundert sich mit Recht, 
dafs der somit in erster Person von sich redende Deponent nicht 
bei Namen genannt sei, da Xuthias dann nothwendig-als die Person 
zu betrachten wäre, bei der das Depositum hinterlegt wurde. Es 
genügt zu bemerken, dafs die Unterdrückung des Augmentes, welche 
diese Lesung voraussetzt, ganz unzulässig ist. Vielmehr ist mit 
anderem Accente vagzeI(I)yze als Substantivum zu nehmen und 


vom 31 Januar 1870. 55 


Xuthias dann die Person, in deren Interesse das Depositum hinter- 
legt worden ist, d. h. der Deponent selbst. 

Die Bronze war auf beiden Seiten beschrieben; jede Seite 
enthält eine besondere selbstständige Urkunde über die geschehene 
Hinterlegung eines Depositums von resp. 200 und 400 Minen Silbers. 
Zweifellos sind Minen äginäischen Fufses zu verstehen, so dafs 
jene Ziffern die ansehnlichen Beträge von etwa 7250 und 14500 
Thalern repräsentiren. Der Deponent ist in beiden Fällen dieselbe 
Person, Xuthias, des Philachäos Sohn, die Urkunden liegen also 
zeitlich höchstens um einige Decennien auseinander, worauf ohne- 
dem die Gleichartigkeit des Schriftcharakters hinweist. Auf der- 
jenigen Seite, welche die Urkunde über 200 Minen enthält, ist die 
Schrift absichtlich, wenn auch nicht bis zu völliger Unleserlichkeit, 
getilgt, woraus, wie der Herausgeber richtig bemerkt, zu schliefsen 
ist, dafs diese Seite zuerst beschrieben war: als später Xuthias 
das Depositum um weitere 200 Mine vermehrte und auf die Höhe 
von 400 brachte, wurde die ältere Urkunde kassirt, und eine neue 
über 400 Minen auf der anderen Seite ausgestellt. Hierzu stimmt 
cs, dafs auf a noch regelmäfsig «i, auf b bereits überwiegend & 
geschrieben ist. Beiden Urkunden sind Bestimmungen über die 
eventuelle Aushändigung des Depositum an den Deponenten oder, 
nach dessen Tode, an seine Erben angehängt; diese Bestimmungen 
sind in beiden dem Wesen nach identisch, auf der jüngeren Ur- 
kunde nur genauer detaillirt, als auf der älteren, welche sich mit 
einer mehr summarischen Fassung begnügt. Neu ist in jener nur 
die durchaus nicht selbstverständliche Verfügung, dafs in Erman- 
gelung chelicher Kinder die etwa vorbandenen unehelichen vor 
den ayyırreis zur Erhebung des Depositums berechtigt sein, also 
in Bezug auf dieses Erbenqualität besitzen sollen. 

An dieser Verordnung hat der Herausgeber mit Recht An- 
stofs genommen, da sie mit einem bekannten Grundsatz des helle- 
nischen Familienrechtes unvereinbar ist und die 400 Minen doch 
auch nicht als voSei« betrachtet werden können, weil im Falle des 
Vorhandenseins einer ehelichen Descendenz letztere vor den voSce 
ausdrücklich zu Erben berufen wird. Eine Lösung dieser Schwie- 
rigkeit ist nicht versucht worden; vielleicht wird es den folgenden 


Erwägungen gelingen darzuthun, dafs sie nur scheinbar ist. 


Auf den ersten Blick wird Mancher geneigt sein, in dem De- 
ponenten Xuthias des Philachäos Sohn einen Bürger von Tegea 


56 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


voraüszusetzen. Allein die gleichlautende Schlufsbestimmung bei- 
der Urkunden, der zufolge in auf das Depositum bezüglichen Rechts- 
händeln ‘die Tegeaten nach dem Gesetz’ d. h. Tegeatische Richter 
nach dem in Tegea geltenden Rechte entscheiden sollen, beweist 
unwiderleglich, dafs Xuthias ein Ausländer war, weil nur in diesem 
Falle ihre Hinzufügung nothwendig, im anderen, weil selbstver- 
ständlich, rein überflüssig sein mufste. Durch Unterbringung sei- 
nes Vermögens, soweit es in baarem Gelde bestand, oder eines 
Theiles desselbrn im Auslande hatte er nun das Depositum der 
Einwirkung des heimischen Rechtes und der Entscheidung der 
richterliehen Behörden seiner Heimath, deren Urtheile für das Aus- 
land wirkungslos waren, entzogen und sich völlig freie und will- 
kürliche Disposition über dasselbe gesichert; der Modus der Aus- 
händigung wurde durch ein Privatabkommen mit der Stelle, bei 
welcher deponirt worden war, geregelt und letztere an die Bestim- 
mungen desselben gebunden. Dieses Übereinkommen war für die 
Erben des Deponenten unanfechtbar, weil der Depositar die Ent- 
scheidungen ausländischer Gerichte nicht zu respectiren hatte, die 
Gerichte von Tegea aber in Sachen der Erben als Ausländer nicht 
competent waren, aufser in. den Fällen, in denen sie das Über- 
einkommen selbst als competent anerkannte und dadurch auch die 
Erben nöthigte, sich ihrer Entscheidung zu unterwerfen, weil der 
Depositar vertragsmäfsig nur der Entscheidung tegeatischer Richter 
Folge zu geben gehalten war. Bei dieser Lage der Sachen begreift 
es sich vollkommen, wie der Deponent Verfügungen über einen 
"Theil seines Vermögens zu treffen im Stande war, durch welche 
die ayyırreis in ihren Rechten benachtheiligt wurden, ohne be- 
fürehten zu müssen, dafs die Vollstreckung seines Willens durch 
deren Einspruch werde behindert werden. Die Motive, welche ihn 
dazu veranlafst haben, vermögen wir natürlich nicht zu beurtheilen, 
allein die faktische Möglichkeit von etwas der rechtlichen Theorie 
nach Unmöglichen ist darum nicht minder erwiesen. 

Es kann auffallen, dafs der Depositar, dessen Wohnsitz zu 
Tegea gewesen sein muls, in keiner der beiden Urkunden genannt 
oder bezeichnet wird. Es folgt daraus aber eben nur, dafs der- 
selbe nicht ein Privatmann gewesen kein kann, weil in diesem Falle 
die Urkunde ihn unbedingt zu nennen gehabt hätte; für den Fall aber, 
der dann als allein möglich noch übrig bleibt, war eine Nennung 
oder Bezeichnung des Depositars überflüssig. Wir wissen, dals 


vom 31. Januar 1870. 57 


die Hellenen ihre Tempel, sowohl die der engeren, wie der wei- 


teren Heimath, im letzteren Falle namentlich die von ausgebrei- 
tetem Rufe und Einflusse, wie den delphischen u. a. als Depositen- 
banken zu benutzen pflegten, und dafs dies ebensowohl von Staaten 
als von Privatleuten geschah. Die auf solche Depositionen be- 
züglichen Urkunden wurden natürlich in den Tempeln selbst auf- 
bewahrt und ausgehängt, und dieser Umstand machte auf ihnen 
eine besondere Angabe über den Depositar oder den Ort der De- 
position entbehrlich, wenn er sie auch nicht unbedingt ausschlols. 
Jedenfalls deutet das Fehlen einer solchen Angabe auf den vor 
liegenden Urkunden darauf hin, dafs Xuthias sein Capital bei einem 
"Tempel in Tegea hinterlegt hatte, der zugleich die Urkunde darüber 
bewahrte. Ohne Zweifel war es der berühmte, im ganzen Pelo- 
ponnes und auch über die Grenzen desselben hinaus hochange- 
 sehene Tempel der Athene Alea, dessen Asylschutz selbst von 
spartanischen Flüchtlingen wiederholt in Anspruch genommen und 
auch von dem Vororte des peloponnesischen Bundes stets respectirt 
worden ist. Bekanntlich wurde der alte Tempel Ol. 96, 2 durch 
eine Feuersbrunst zerstört und dann durch den Neubau des Skopas 
ersetzt (Pausanias 8, 45. 4); allein es können durch diesen Unfall 
nicht alle Urkunden und Weihgeschenke, die der alte Tempel barg, 
verloren gegangen sein. Wenigstens waren die Fesseln der Lake- 
dämonier, welche Herodot (1, 66) im alten Tempel sah, im neuen 
noch zu Pausanias Zeiten (8, 47. 2) vorhanden, wenn auch vom 
Rost zerfressen; auch das bronzene Pallasidol, welches in Tegea 
gefunden sein soll und sich jetzt in Athen befindet (BDulletino dell’ 
inst. arch. 1865. p. 131), und dessen Basis die Aufschrift trägt: 


ANE®EKENTA®BENAÄIAI 


mu[s aus dem Inventar des alten Tempels stammen, da die Buch- 
stabenformen der Widmung auf die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts 
v. Chr. hinweisen '). Unsere Bronze wäre das dritte nachweisbare 
Beispiel dieser Art; ein viertes bietet eine weiter unten zu berüh- 
rende Steinschrift, welche wenigstens im Temenos des Tempels vor 
Ol. 96, 2 aufgestellt gewesen sein muls. 


1) zaSyvala nöthigt zu der Annahme, dafs der Stifter des Weihgeschenkes 
ein Athener war. 


ee 


TE en 


58 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Man wird den Umstand, dafs die Nationalität des Xuthias 
in den Urkunden keine ausdrückliche Bezeichnung gefunden hat, 
nicht gegen die oben verfochtene Annahme geltend machen wollen, 
dafs er nicht von Tegea, sondern ein Ausländer war; aber nicht 
unerwünscht wäre es, zu wissen, in welcher Gegend von Hellas 
seine Heimath zu suchen ist. Posidonios bei Athenaeos 6, 233 
berichtet, dafs die Spartaner, um das Verbot des Privatbesitzes 
von Gold oder Silber zu umgehen, gewohnt gewesen seien, ihre 
Baarschaften bei den benachbarten Arkadern zu deponiren: Awze- 
Smımorıoı Öumo rwv Evuv ZunAverevor sircpegsiw eig vr Zragrıv, ws 6 
auros irroger Iorsıdwnıos, zu zrarTan eegryugov ze ygurcv EHTRVFO 
nev oudev Yrrov, magazursriIevro Ö: rois Gmogoıs ’Agzasın, 
und ich halte es auch aus andern Gründen für sehr wahrschein- 
lich, dafs Xuthias ein Spartiate war. Das Alter der Bronze, welche 
nach dem allgemeinen Charakter der Schrift unzweifelhaft der ersten 
Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. angehört, steht einer solchen 
Annahme nicht entgegen; denn wenn man auch der Überlieferung, 
wonach jenes Verbot des Besitzes von Gold und Silber bereits 
von Lykurgos erlassen sein soll, keinen Glauben schenkt, so wird 
man doch auch nach der andern Seite die entgegengesetzte An- 
gabe, der Besitz von Gold und Silber sei in Sparta den Privaten 
kurz nach dem Ende des peloponnesischen Krieges bei Todesstrafe 
verboten worden, nicht so verstehen dürfen, als habe vor dieser 
Zeit ein solehes Verbot überhaupt nicht existirt; vielmehr ist an- 
zunehmen, dafs um diese Zeit auf die bekannte Veranlassung hin 
das ältere Verbot nur von Neuem eingeschärft und die Strafe der 
Übertreter erhöht worden ist. Auch die Schrift der Bronze kann 
ebensowohl lakonisch als arkadisch sein, da die Alphabete beider 
Gegenden vollkommen identisch waren. Entscheidend aber scheint 
mir die Sprache der Urkunden zu sein. 

Denn war, wie bemerkt, Xuthias ein Ausländer, so fällt da- 
durch auf die oben besprochenen dialektischen Abweichungen der 
Bronze von den sonst bekannten Formen des tegeatischen Idioms 
ein neues Licht und es läfst sich die Vermuthung nicht leicht ab- 
weisen, dafs zwischen jener Thatsache und diesen Erscheinungen 
ein ursächlicher Zusammenhang Statt finde. Es scheint zwar 
natürlich, anzunehmen, dafs dergleichen Urkunden von der Behörde 
des Tempels, bei welchem deponirt worden war, ausgestellt wur- 
den; dafs dies aber thatsächlich wenigstens nicht immer der Fall 


vom 31. Januar 1870. 59 


war, beweist unwiderleglich eine Steinschrift gerade derselben 
Fundstätte. Das an der Stelle des alten Tegea gefundene Frag- 
ment C. I. @. 1511, welches den Anfängen des peloponnesischen 
Krieges angehören muls, enthält ein Verzeichnifs von Beiträgen in 
Gold und Silber, welche von verschiedenen Staaten und Privaten 
an die Lakedämonier zu Kriegszwecken gezahlt worden waren; 
die Aufstellung der Urkunde in Tegea kann aus keinem andern 
Grunde erfolgt sein, als weil die auf ihr verzeichneten Summen 
eben an diesem Orte hinterlegt waren, aller Wahrscheinlichkeit 
nach gleichfalls beim Tempel der Athene Alea, wie wir denn 
wissen, dafs die Spartaner Staatsgelder z. B. beim Tempel zu 
Delphi zu deponiren pflegten; in den Zeiten des peloponnesischen 
Krieges bedingten die Verhältnisse die Nothwendigkeit, einen näher 
gelegenen Ort zu wählen, und eignete sich für die Aufbewahrung 
_ von Geldern, welche für Zwecke des peloponesischen Bundes ver- 
wendet zu werden bestimmt waren, kaum ein anderer Tempel 
mehr, als der im ganzen Bereiche des Bundesgebietes angesehene 
tegeatische. Ohne Zweifel war auch diese Urkunde im Temenos 
des Tempels aufgestellt. Gleichwohl weicht auch ihre Sprache 
von der jener tegeatischen Steinschrift in folgenden Punkten ab: 

1) Das Vau ist im Anlaute verschiedener Worte noch le- 
bendig. 

2) Die Namen der Zahlwörter von zweihundert an endigen 
auf -«rıo, nicht -@sıoı; dem wos der tegeatischen Urkunde steht 
hier #=crı gegenüber; vgl. das häufige rorcu oder zorren 0).81.0V. 

3) Die männliche Form des Artikels im Plural lautet rc, 
nicht ot. 

4) Der Genetiv der Einheit von männlichen Stämmen der 
ersten Declination zeigt die gemeindorische, durch Contraction aus 
-«o entstandene Endung -« (in Ar[z]zd« vice), während tegeatische 
Inschriften (C. I. G. 1513. 1514) ihn auf -«v endigen lassen 
(Eiuy?ıdav, "Arorruvdav), ja diese Endung sogar auf die weib- 
lichen Stämme derselben Declinationsklasse übertragen; vgl. dawev, 
Zoyuwiev, Erdozeö der mehrerwähnten Steinschrift. 

Von dieseu Abweichungen lassen sich 1, 2 und vielleicht auch 
noch 3 unter der Voraussetzung erklären, dafs der Dialekt der 
Inschrift nichtsdestoweniger der von Tegea sei, allein Nr. 4 schlielst 
diese Möglichkeit aus; denn von dem aus «o entstandenen « der 
älteren Urkunde ist zu dem «u der jüngeren tegeatischen In- 


60 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


schriften kein Übergang denkbar. Mit Recht hat daher Ahrens 
geleugnet, dafs der Dialekt unserer Urkunde der tegeatische sein 
könne, und die Behauptung aufgestellt, welche, wenn jene Fol- 
gerung zugegeben wird, unausweichlich wird, dafs er als lakonisch 
in Anspruch zu nehmen sei; auch ich habe daher seiner Zeit kein 
Bedenken getragen, die Inschrift als einen Beleg lakonischer Schreib- 
weise zu verwenden. Ist dem aber so, und es kann nicht anders 
sein, so ist auch erwiesen, dafs die Urkunde nicht von dem De- 
positar, der Tempelbehörde zu Tegea, sondern den Deponenten, 
den Lakedämoniern, ausgestellt worden ist. 

Das Gleiche für unsere Bronze anzunehmen, unterliegt also 
gar keinem Bedenken. Dann aber dürfte es auch schwerlich zu- 
fällig sein, dafs, abgesehen von den Fällen, in denen eine Ver- 
gleichung nach der Lage der Überlieferung nicht möglich ist, die 
Bronze und die als lakonisch erkannte Steinschrift in dialektischen 
Eigenheiten überall da übereinstimmen, wo beide vom tegeatischen 
Idiom, so weit es uns bekannt ist, abweichen, wovon sich zu 
überzeugen ich den Lesern überlassen kann'). Ich wage also die 
Behauptung aufrecht zu erhalten, nicht nur, dafs Xuthias ein Spar- 
tiate war, sondern auch, dafs die ihn betreffenden Urkunden von 
ihm und in seinem, d. h. dem lakonischen Dialekte ausgestellt 
sind. Was dagegen bei oberflächlicher Betrachtung vom sprach- 
lichen Standpunkte etwa noch vorgebracht werden könnte, dient 
bei genauerer Prüfung meiner Annahme nur zu weiterer Unter- 
stützung. < 

1) Nach der gemeinen Überlieferung setzte der lakonische 
Dialekt » für $ im An- wie im Inlaute; unsere Bronze schreibt 
dagegen ZovSie (bis), aroTavn, SeSuov (bis), FagAu Sir, Suyarzgss, 
voSo: (bis), moSizovrec, der verschiedenen dverirOw und averosIw 
gar nicht zu gedenken. Allein nicht nur die Tafeln von Heraklea 
kennen kein » für $, sondern auch alle altlakonischen, im nationalen . 
Alphabet geschriebenen Inschriften ohne Ausnahme halten das I 
fest und schreiben za Ieigur, aveIyze (öfter), ’ASavaig, TeIgimmu, 


1) Die Vergleichung mit anderen lakonischen Sprachdenkmälern ergiebt, 
dafs aufserdem die Verbalendungen -vrı, -raı, die Infinitivform Anev, die Form 
der Präposition uno, die Partikeln al und x« dem lakonischen Sprachgebrauche 
gemäfs sind; ebenso die Endung des Imperativs in Jıayövrw, welche freilich 
auch arkadisch und gemeindorisch ist. 


vom 31. Januar 1870. 61 


Barassınv, S[e]o, ASavator, KogivSior, TiguvSucr, Ozsmins, KuSvio; 
keine einzige von ihnen bietet ein « für $. Letztere Schreibart 
gehört den Zeiten nach dem Ende des peloponnesischen Krieges 
an und kann nur für sie urkundlich belegt werden. Wenn daher 
die Überlieferung des Textes der Alkmanischen Fragmente und der 
lakonischen Stellen bei Aristophanes und Thukydides diese Ortho- 
graphie befolgt, so mufs geurtheilt werden, dafs hierin die Ein- 
wirkung einer grammatischen Recension zu erkennen ist, welche 
die Schreibweise einer späteren Zeit zum Maflsstabe nahm. 

2) Die Bronze schreibt Oaswvr:, bewahrt also inlautendes r 
zwischen Vokalen, welches doch nach der Überlieferung der Gram- 
matiker im lakonischen Dialekte in den-Spiritus asper überzugehen 
pflegte. Und in der That bieten die altlakonischen Inschriften in 
Übereinstimmung damit Formen wie &woirs, Zvizas, VIraas, “Ayyisroaros 
und sogar Hoc:davos. Aber keine von denen, auf welchen sich 
diese Schreibung findet, kann über den Anfang des peloponnesischen 
Krieges hinaufgerückt werden und die lakonischen Stellen bei 
Aristophanes, in denen die Überlieferung sie gleichfalls (wenn 
auch ohne Consequenz) bietet, sind eben auch nicht älter. Da- 
gegen zeigen nicht nur die Tafeln von Heraklea, sondern auch die 
Fragmente des Alkman durchaus keine Spur dieses Überganges, 
sondern bewahren regelmäfsig das v. Es folgt hieraus, dafs die 
Verflüchtigung des « zwischen Vokalen erst in der Zeit zwischen 
dem Ende des 7. Jahrhunderts und den Anfängen des peloponnesi- 
schen Krieges in den Dialekt einzudringen begonnen haben kann, 
und dafs auf Urkunden, welche diesem Zeitraum angehören, nicht 
ohne Weiteres der Spiritus statt des « erwartet oder gar verlangt 
werden darf. Vielmehr ist aus den Urkunden wo möglich zu 
lernen, bis zu welchem Zeitpunkte sich das & behauptet hat. Nun 
schreibt das platäische Weihgeschenk, aus der Zeit unmittelbar 
nach den Perserkriegen, welches als eine lakonische Urkunde zu 
betrachten ich das Recht zu haben glaube, noch ®rearıoı; bis 
wenigstens in diese Zeit also war das « zwischen Vokalen fest 

geblieben. Kann also die Bronze als dem platäischen Weihge- 
schenke gleichaltrig oder gar als älter betrachtet werden, so ist 
eine Schreibung wie 7Carwvr: auf ihr nicht nur unanstölsig, son- 
dern sogar die allein mögliche und darum zu erwartende. In der 
That stammt sie aus derselben Zeit wie jenes. Um dies zu erwei- 


sen, wird es vollkommen genügen, die Buchstabenformen beider 
Fr 


62 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Urkunden einander gegenüber zu stellen; ich füge die Varianten 
der übrigen lakonischen Inschriften hinzu und bemerke nur noch, 
dafs die Richtung der Schrift auf beiden wie auf den meisten der 
übrigen rechtsläufig ist, während die wenigen älteren meist ent- 
weder linksläufig oder in furchenförmig geordneten Zeilen geschrie- 
ben sind. 


Das Platäische Die Bronze: 
Weihgeschenk: a. b. 
REN A A 
FRE B B 
3. 7G C C 
A sd D D 
WE E EEE 
ad ze F F 
ee : ne 
Bude B 1 
9». 8 © ® © 
10. I | | 
1m iK K K 
12 A AN 
13. M M M 
34. N N N 
15. O 0) OÖ 
1693 n n 
LER : RR 
I zZ zZ 
19:7, 18 T 
DOM V V 
21. ® ® ® 
ER (&) ri m @ 
23. V (x) Vo VM) 


1. Später A || 2. Auf anderen Inschriften B || 3. Auf einer 
älteren Urkunde < || 5. Aufälteren & || 6. Auf älteren F || $. Auf 
anderen E bis in den Anfang des peloponnesischen Krieges, später 


P 


vom 31. Januar 1870. 63 


geöffnet H. Das Weihgeschenk schreibt "Egmovns, wie die Bronze 
„Baswvrı || 9. Später, doch noch neben Hi, in vereinfachter Form 
© || 12. Später A || 17. Auch eckig R und auf anderen die ein- 
fachere Form P || 18. Auf den älteren Urkunden dreistrichig $ || 
20. Auf anderen auch Y || 23. Auf anderen auch Y || 


Die Übereinstimmung kann nicht gröfser sein. Ich glaube 
daher an meiner Annahme, dafs Xuthias ein Spartiat war und die 
von ihm ausgefertigten Urkunden, obwohl in Tegea aufgestellt, nach 
Sprache und Schrift als lakonisch zu betrachten sind, so wie, dafs 
sie aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. herrühren, 
unbedenklich festhalten zu können. 

Aber, wird man fragen, wie kam ein Spartiat dazu "Achäer- 
freund’ zu heifsen !), da doch das Verhältnifs der herrschenden 
Spartiaten zu ihren Unterthanen und Leibeigenen achäischer Ab- 
kunft notorisch zu allen Zeiten ein keineswegs freundliches war? 
Ich erwidere darauf, dafs auch diese Regel ihre Ausnahme hatte 
_ und dafs nachweislich diejenigen Elemente im Schoofse der spar- 
tanischen Bürgerschaft, welche sich in Opposition zu den beste- 
henden Zuständen befanden, im Besonderen die Glieder der beiden 
Königsfamilien, es mitunter nicht verschmähten sich auf die Sym- 
pathien der achäischen Unterthanenschaft zu stützen und als Ver- 
treter ihrer Interessen zu geriren; wollte doch König Kleomenes I. 
lieber als Achäer, denn als Dorer gelten (Herodot 5, 72), woraus 
meiner Ansicht nach noch keineswegs folgt, dafs die Königsfamilie 
der Agiaden wirklich achäischer Abkunft war, wie man wohl an- 
zunehmen pflegt. Wem indessen diese Auskunft nicht genügt, mag 
meinetwegen annehmen, dafs Xuthias nicht Spartiat, sondern La- 
kedämonier, d. h. achäischer Periöke war. 

Ich füge zum Schluls noch eine Bemerkung hinzu. Wenn in 
beiden Urkunden übereinstimmend verordnet wird, dafs die Söhne 
des Deponenten nach dessen Tode zur Erhebung des Depositums 
berechtigt sein sollen, sobald sie das fünfte Jahr vom Beginn der 
+Cu zurückgelegt, so ist damit offenbar der Zeitpunkt bezeichnet, 
mit welchem nach dem in der Heimath des Deponenten geltenden 


!) Dafs der Name des Sohnes, Xuthias, Verwandschaft mit dem des 
Vaters des mythischen Schaegs, Xuthos, zu verrathen scheint, ist wohl nur 
zufällig zu nennen. 


64 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Rechte sie befähigt wurden, die selbstständige Verwaltung ihres 
ererbten Vermögens anzutreten. Ist, wie es allen Anschein hat, 
einer Angabe, welche sich unter den Herodotischen Glossen findet, 
zu trauen, so dauerte in Sparta das Alter der Ephebie vom 14. 
bis zum 20. Jahre: &prBevs: de mag alrois 6 mals ame Erwv TO Mey gt 
zo) 2. War also Xuthias, wie ich annehme, Spartiat, so erläutert. 
sich jene Bestimmung dahin, dafs seine Söhne mit dem vollendeten 
18. Jahr, d.h. um die Zeit, zu der sie in die Altersklasse der so- 
genannten Werr.sigeves eintreten würden, den Besitz des deponirten 
Vermögens antreten sollten, und würde dadurch unter den ange- 
deuteten Voraussetzungen der Zeitpunkt des Eintritts der civilrecht- 
lichen Mündigkeit in Sparta für uns bestimmt sein. 


Hierauf kam zum Vortrage der folgende 


Bericht über die Handschriften von Arborea. 


Die Frage über die Authenticität der in Oristano auf der 
Insel Sardinien in den letzten Decennien zum Vorschein gekom- 
menen, unter dem Namen der Handschriften von Arborea bekann- 
ten Pergament- und Papierhandschriften ist seit dem Jahre 1846, 
wo das erste derartige Document veröffentlicht wurde, vielfältig 
verhandelt worden, ohne dafs doch, wenigstens in Deutschland, 
viel mehr dafür geschehen wäre, als dals man sich, ohne weiteres 
Eingehen in die Sache, theils dafür, theils und häufiger dagegen 
entschied. Auch die grofse mit einer Reihe sorgfältiger Tafeln 
ausgestattete Gesammtpublication derselben durch Hrn. Pietro 
Martini!) rief keine genauere Untersuchung der Echtheitsfrage 
hervor. WHiedurch veranlafst sprach Hr. Baudi di Vesme, Mit- 
glied der Akademie der Wissenschaften von Turin und, wie auf 
anderen wissenschaftlichen Gebieten, so auch auf dem der sardini- 
schen Geschichte und Sprache seit längerer Zeit thätig, gegen den 
mitunterzeichneten Hrn. Mommsen bei dessen Anwesenheit in Turin 


1) Pergamene, codici e fogli cartacei di Arborea. Cagliari 1863. 4. 
pp. 544. Dazu Appendice 1865. pp. 250. 


vom 31. Januar 1870. 65 


im März v. J. den Wunsch aus, dafs die hiesige K. Akademie 
die Frage einer sorgfältigen Prüfung unterziehen möge, und erbot 
sich zu diesem Ende die Übersendung einer genügenden Anzahl 
dieser jetzt sämmtlich in der öffentlichen Bibliothek von Cagliari 
aufbewahrten Handschriften nach Berlin zu veranlassen. Die phi- 
losophisch-historische Klasse der Akademie, von dieser Aufforderung 
in Kenntnils gesetzt, verkannte nicht die ernstlichen Bedenken, 
welche der Übernahme einer solchen Prüfung sich entgegenstellten, 
glaubte aber dennoch ein für den Auffordernden selbst sowohl wie 
für die Akademie gleichmäfsig ehrenvolles Vertrauen nicht anders 
erwiedern zu dürfen als durch Annahme des Auftrags. Selbst- 
verständlich konnte nicht davon die Rede sein eine wissenschaft- 
liche Frage durch einen akademischen Beschlufs entscheiden zu 
wollen; es lag der Klasse nur ob diejenigen ihrer Mitglieder, die 
für die verschiedenen hiebei in Betracht kommenden Fragen die 
fachkundigsten erschienen und die zugleich zu der Übernahme 
dieses Auftrages sich bereit fanden, zu einer solchen Prüfung zu 
veranlassen und deren Ergebnisse, welcher Art sie immer sein 
mochten, als Beitrag zur Klärung der keineswegs unwichtigen 
Frage der Öffentlichkeit zu übergeben. In diesem Sinne wurden 
in der Klassensitzung vom 7. Juni v. J. die Unterzeichneten mit 
der Prüfung der sardinischen Handschriften beauftragt und die- 
selben zugleich ermächtigt andere geeignete Gelehrte, die nicht 
der Akademie angehören, bei dieser Prüfung mit zuzuziehen. 
Nachdem Hr. Vesme von diesem Beschlufs in Kenntnifs gesetzt 
war, übersandte er versprochener Mafsen sechs dieser Documente 
im Original'), woneben andere in photographischen Nachbildungen 
oder in den Martinischen Stichen ebenfalls zur Beurtheilung vor- 
lagen. Die Beschreibung jener sechs Handschriften gab Hr. Vesme 
in dem folgenden, an den mitunterzeichneten Hrn. Mommsen ge- 
richteten Schreiben. 


Quod tibi ante paucos menses versanti in hac nostra civitate 
sum pollieitus, impetraturum a Rectoribus Athenaei Caralitani, ut 
selectas quasdam e chartis manuscriptis Arboreensibus, de quibus 
magna inter doctos contentio est, concederent, ad vestram Scientia- 


!) Nachträglich kam zu diesen noch ein siebentes hinzu. 


[1870] 


on 


66 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


rum Academiam transmittendas, vestroque examini subjiciendas, id 
prospere successit. Chartas eas a me accepisti; jam eas tu ipse 
et nonnulli e collegis tuis, aliique docti viri, manibus tractaverunt; 
si quas insuper desideratis, eas me, ut priores illas, impetraturum 
confido. Ipse quidem e magna chartarum Arboreensium copia eas 
delegi, quas ad judieium de ipsarum palaeographica sinceritate fe- 
»endum utiliores futuras existimavi, et vobis argumenti ratione ac- 
ceptiores; tum quas, ipsa rerum de quibus agerent novitate aut 
gravitate, magis dubias, atque ideo examine vestro digniores exi- 
stimavi. 

En nune chartarum quas misi enumerationem; cui interseram 
adnotationes quasdam meas; rationes insuper afferam, quibus ad- 
ductus singulas quasque potissimum delegerim. 


I. Membrana palimpsesta, cujus vetustior scriptura est sae- 
culi VII ineuntis. Qui primus hanc membranam, et plerasque e 
chartis Arboreensibus edidit, vir elarissimus et honestissimus, idem- 
que dum viveret mihi amieissimus, nunc jam ferme ante triennium 
patriae et amicis immaturo fato ereptus, Petrus Martini, opinatus 
est, vetustiore scriptura exhiberi fragmentum chroniei de Sarrace- 
norum incursionibus, aliisque rebus Sardicis, ineunte saeculo VII. 
Mihi alia sententia est: habere nos prae manibus fragmentum auto- 
graphum epistolae Caralitani cujuspiam, enarrantis ea quae notatu 
digniora acciderant in sua civitate et finitimis locis, nec temporis 
nee locorum servato ordine, sed ut epistolam sceribenti singula 
quaeque se offerebant. De anno etiam quo litterae conscriptae 
sint, dubitari vix potest; cum enim duodecim anni elapsi dicantur 
a prima Arabum invasione, hanc autem esse ad annum DCCX re- 
ferendam jam satis constet, scripta epistola dicenda erit anno 
DCCXXI; quo nempe ipso anno sancti Augustini Hipponensis 
episcopi corpus redemptum fuit a Luitprando Langobardorum rege, 
et in Italiam advectum. 

Ad vetustiorem elutam et evanidam scripturam resuscitandum 
Petrus Martini, seu verius Ignatius Pillito, a quo universae hae 
Arboreenses chartae primum lectae et transscriptae sunt, usus fue- 
rat galla diluta; sed parum prospero Successu, ita ut ejus editio 
multis adhuec lacunis hiet. Postea, antecessore quodam Caralitano 
docente, Ignatius Pillito atque ipse ego usi sumus parte una acidi 
gallici cum novem partibus aquae distillatae; cujus efficacioris re- 


vom 31. Januar 1870. 67 


medii ope, et quod membranam non corrumpit ac vix foedat, la- 
cunae aliquot suppletae sunt; reliquae etiam, ni fallor, suppleri 
possunt. 

Recentior scriptura, quam ad priorem saeculi XV partem re- 
ferendam esse, mihi sententia est, exhibet fragmentum, prineipio 
tamen et fine mutilum, pervenustae narrationis, antiquissimo italico 
nostro idiomate, amorum Helenae filiae Gonnarii Judieis Arbore- 
ensis, cum Constantino Judice Gallurensi; cui etiam ode inest, sive 
ipsius Constantini, sive, quod verius existimo, ejus nomine, qua 
obduratum Helenae animum flectere conatur. — De aetate et auc- 
tore narrationis et carminis videndus Martini, Pergamene d’Arborea, 
ecc. pag. 114; tum quae ipse disserui in Commentatione Di Gherardo 
da Firenze e di Aldobrando da Siena, poeti del secolo XII, e delle 
origini del volgare illustre italiano, $. 39. 

Hane autem membranam vestro examini subjiciendam delegi, 
primum quia omnium antiquissima, post unam eam paucis annis 
antiquiorem, sed jam et accurate editam, et Academiae nostrae 
Taurinensis judicio comprobatam, quae Deletonis hymnum de Ja- 
leto servavit; vide Memorie della R. Accademia delle Sceienze di To- 
rino, Serie II, Vol. XV, Parte II, pag. 305 e seguenti. Quin et eo 
ipso quod sit palimpsesta, non una ratione conferre ad sincerum 
de hisce chartis ferendum yudicium videbatur. Accedit, quod hac 
una membrana duo, et argumento, et longo temporis intervallo in 
ter se dissita, antiqua monumenta uno intuitu vestris oculis sub- 
Jieiuntur. Me movit etiam rerum, quae tum vetustiore tum recen- 
tiore scriptura exhibentur, gravitas et praestantia. Epistolae enim 
fragmentum multa habet notatu digna de Caralitanae civitatis anti- 
quis monumentis et historia; et Jalus seu Jaletus ibi memoratur; 
ut sic quae priore membrana traduntur, haec quoque jam sua auc- 
toritate confirmet: tum sancti Ignatii, veteris illius Ecclesiae Pa- 
tris, patriam fuisse Noram Sardiniae („quod ejus cocives Nuran.“); 
cf. Martini, Pergamene ecc. d’Arborea, pag. 531 e 540. — Recentior 
autem scriptura servavit insigne antiquitate et praestantia, et vel 
nunec post alias plures cognitas chartas Arboreenses unicum soluta 
oratione, si minuta quaedam excipias, specimen nascentis tunc ita- 
licae linguae. Sed de hujusmodi antiquissimis italici sermonis re- 
liquiis pauca infra adnotabo oportuniore loco. 

II. Membrana saeculi XIII, exhibens partem epistolae viri 
inter Sardos aetatis suae longe doctissimi Georgii de Lacono ne- 


63 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


poti suo (puto fratris filio) Petro de Lacono. De hac membrana 
conferendus Petrus Martini, Nuove Pergamene d’Arborea, Cagliari, 
Timon, 1849, pag. 101 e seguenti; et Pergamene ecc. d’Arborea, Pag. 
139158 e 530-534. Membrana inferiore parte mutila est; supe- 
riore parte non quidem mutila, ut priori Editori visum, sed, quod 
nemo hactenus animadvertit, superstiti huic aliam praesutam fuisse, 
suturae vestigia manifesto produnt. Gravius est ad rem nostram, 
quod, meo quidem judicio, non hoc est epistolae Georgi de Lacopo 
exemplum serius confectum, sed ipsa epistola nepoti Petro missa, 
et ab co cum aliis chartis quampluribus ad historiam Sardicam 
pertinentibus (vide Martini, Pergamene ecc., Pq9. 93, 103, 130, 139), 
guarum maximam partem procul dubio ipse Georgius collegerat, 
religiose asservata. Non tamen esse hoc ipsum Georgii de Lacono 
autographum ea significatione contendo, quasi integram membranam 
ipsius manu perscriptam affirmem; fieri enim facile potuit, ut quae 
ipse in schedis digessisset, et forte diuturno studio retractasset, 
amanuensi describenda in hac membrana mandaverit. Üerte ab 
ejus mann sunt verba quaedam passim postmodum adjeeta, quae 
non sunt seribae corrigentis si quae per incuriam erraverat, sed 
ipsius auctoris, quae prius scripserat accuratius et plenius expla- 
nantis. Confer Martini, Pergamene ecc. d’Arborea, pag. 531, lin. ult. 
_-532, lin. 7; pag. 932, lin. 11; lin. 6 —27; lin. 31—32; pag. 533; 
lin. 1-2 e lin. 9. 

Scripta autem est epistola vivo adhue et regnante Comita Ju- 
dice Arboreae, atque ideo inter annum MCOXXXVIH et MCCLHI. 
Sub initium ejus regni scriptam puto; Comita enim extremis regni 
sui annis „bonis initiis malos eventus habuit“. 

Delegi Academiae vestrae mittendam hane membranam, primum 
quia sinceritatem suam ipso adspectu proditura mihi videbatur; 
dein ob ea quae versu nono leguntur de Tigellio: „suis nobis 
transmissis poesibus, quas autem vorans tempus wagna ex parte 
paullatim confecit“; unde apparet, quod neutiguam mireris, Tigellii 
carmina diu in Sardinia lectitata fuisse, et saeculo XIII ineunte 
nondum prorsus interlisse. Movit etiam, quod huic epistolae insertae 
sint quinque stanliae cantionis (ita cum Dante appellabo) poetae 
Caralitani Bruni de Thoro; ita ut ejus carminum antiquitas et 
sinceritas, quae se carmina ipsa legenti jam satis prodit, novo 
veteris hujus membranae et Georgii de Lacono testimonio con- 


firmetur. Exemplar photographicum maxımae partis hujus mem- 


vom 31. Januar 1870. 69. 


branae, mea cura ante aliquot annos perfectum (vide Martini, 
Pergamene ecc., pag. 530) ad vos nuper misit Michael Martini, 
Petri frater. 

Ad membranas Arboreenses notandum, omnes, una excepta 
quinta (nam membranae laeinia quam sub numero VIII edidit 
Martini, Pergamene ecc., pay. 217—218 e 539 —540, non est 
Arboreensis, sed Polae a Pillito reperta, suturae veteris cujusdam 
libri firmandae apposita), in usum tegendorum librorum adhibitas 
fuisse; quod uti mutilandarum causa fuit, ita earum saltem partem 
ab interitu vindicavit. | 

III. Codex chartaceus, saeculi XV ante medium, integer, 
foliorum 158; exhibet vitas illustrium Sardorum collectas a Sertonio 
Phausaniensi saeculo IV, sed refectas et corruptas, primum exeunte 
saeculo VII aut ineunte VIII, a Deletone et Narcisso jussu Jaleti 
regis; dein iterum ab Antonio, ut videtur, episcopo Ploacensi sub 
finem saeculi XIII; prae ceteris pristinam formam servare mihi 
videtur vita Tigellii. Occasione alicujus personae aut loci in 
singulis vitis memorati, adjecta passim sunt excerpta nonnulla ex 
aliis Sardis scriptoribus, a Bus per Sertonium collectarum 
corpore prorsus aliena. 

De hoc codice videnda quae primus tradidi in Bollettino Archeo- 
logico Sardo, Vol. X (1864), pag. 99; tum quae Martini, Appendice 
alla Raccolia delle Pergamene ecc. d’Arborea, pag. 3e seguenti. 

Eum examini vestro commendat rerum quae exhibet novitas 
et gravitas, et ipsarum veritas detectis longo demum tempore post 
'scriptum codicem monumentis confirmata. 

IV. Codex chartaceus ejusdem aetatis, foliorum 24, integer; 
quo exhibetur Contio habita ab oratoribus quarumdam Sardiniae 
eivitatum coram Stephano novo Praeside, imperante Constantinopoli 
Constantino Pogonato; adjectae sunt, et praecipuam codieis partem 
constituunt, amplae ac maximi ad historiam momenti Notae seu 
explanationes, Severino adscriptae, Caralitano, monacho et trivii 
magistro; cujus inter chartas Arboreenses superest etiam breve 
Chronicon eorum, quae memorabilia in Sardinia acciderunt ab 
anno DOCLXXVIII ad annum DCCCXIII, quod editum primum, 
uti et haee ipsa Contio cum suis Adnotationibus, a Salvatore De 
Castro (Nuovi Codici d’ Arborea, publicati dal Canonico cav. Salvator 
Angelo De-Castro; Cagliari, 1860, pay. 59—79), et denuo a Petro 


70 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Martini, Pergamene ece. d’Arborea, pag. 244 — 251. De hoc codice 
videndus Martini, Pergamene ece., pag. 221 e seguenti. 

V. Codex chartaceus, ejusdem aetatis, foliorum item 24; utrum 
integer sit an fine mutilus, affirmare non ausim; vide quae hac de 
re tradidi in Commentatione Di Gherardo da Firenze ece., $. 15, 
sub finem. Deseriptum videre est apud Martini, Appendice alla 
Raccolta delle Pergamene ece., pag. 138 segg.; et & memet ipso in 
Commentatione Di Gherardo da Firenze ecc., $. 11—15. Exhibet 
excerpta carmina poetarum saeculi XII Bruni de Thoro Caralitani, 
et Aldobrandi Senensis, tum breve fragmentum Gherardi Florentini; 
demum quaedam carmina Sardoa ejusdem Bruni. Ex his maximam 
partem unus hie codex servavit; sunt tamen quaedam Bruni, quae 
prostant etiam in membrana Arboreensi auctori coaeva (judicio 
etiam Caroli Milanesi, Palaeographiae olim Professoris, quem ea 
potissimum inspecta movit, ut de sinceritate harum reliquiarum 
nascentis tunc italicae linguae omnem dubitationem abjiceret), de 
qua videndus Martini, Pergamene ecc., 130 segg., et Appendice alla 
Raccolta ecc., pag. 149—153; tum Vesme, Di Gherardo ecc., $. 21; 
ac praeterea, ut supra monuimus, quinque stantiae cantionis Bruni 
ad Pretiosam leguntur in membrana saeculi XIII, quam supra 
descripsi sub numero U. At praeterea carminum Aldobrandi 
Senensis quae hoc codiee habentur pars servata est duplici alio 
manuscripto codice, supparis aetatis, Florentino altero, altero Senensi, 
utrisque ex Panormo transmissis. Senensis codieis Berolinum misi 
paginam photographice expressam. Et sane Aldobrandi nomen 
et aetas primum innotuere non € chartis Arboreensibus, sed per 
Adolphum Bartoli e codice Florentino;. sed tum invento fides non 
stetit. Qua ‘de re videndi Martini, Appendice alla Raccolta delle 
Pergamene ecc., pag. 142—144; et Vesme Di Gherardo da Firenze 
ecc., $. 3. 

VI. Ejusdem ferme aetatis folia undeecim, quorum duo dimidiata 
(pauca praeterea alia adhuc sunt apud inventores) avulsa e codice 
item chartaceo; quorum prioribus continentur carmina italica, ceteris 
Sardoa carmina: illa quidem saeculi XII, Bruni et Gherardi; haee 
vero diversorum poetarum et aetatum. Egi de hoe manuscripto 
codice in Commentatione Di @herardo da Firenze ecc., $. 16 et 75, 
tum in Nuove Notizie intorno a Gherardo ecc. Si perpauca excipias 
quae ipse edidi, ea quae his foliis continentur nondum. in lucem 
prodierunt; imo carmina italica, ob seripturae difficultatem, nondum 


vom 31. Januar 1870. | ‘1 


exscripta sunt. E Sardois carminibus nonnulla sunt codiei ipsi 
coaeva, et ea quidem tum maximi momenti ad historiam Sardiniae 
illustrandam, tum ad hanc ipsam quaestionem de chartarum Arbore- 
ensium origine et Sinceritate. 

Nobis Italis vix quidpiam majus et insperatius in re litteraria 
accidere poterat, quam ut Italiei scriptores in lucem prodirent, 
tum iis qui pro antiquissimis in hanc diem habiti sunt, integro 
saeculo antiquiores, tum non uno respectu praestantiores. Hine 
quamvis nunc Italorum plerique aut otio torpentes (pudet dicere!) 
aut aliis distrieti curis bona studia passim negligant, non defuere 
tamen, qui magni momenti quaestionem agitarent. Inter eos qui, 
veteris nostrae italicae linguae studio insignes, inspectis codieibus, 
et poesibus perpensis, earum sinceritatem propugnarunt, principem 
procul dubio locum tenet Caesar Guasti, in Archivio Oentrali 
Florentino a supremo Rectore Francisco Bonaini secundus, Aca- 
demiae quam della Orusca vocant Socius, et editis operibus de 
antiquis nostris scriptoribus clarus; cujus sententiae accessere plures 
docti viri, inter quos memorasse sufficiat Fransciscum Zambrini, 
Bononiensem, et Lucianum Banchi, Senensem. Adhuc aversantur 
nonnulli, inter quos insignis sane vir Alexander D’Ancona, Ante- 
cessor Pisis, et Adolfus Borgognoni, Ravennae; neque id mirum; 
nee enim quae teneris ab unguiculis quispiam didieit ac pro veris 
et certissimis habuit, facile rejiciat, ut novis atque ob id-ipsum 
suspectis fidem accommodet. Quibus vero nitantur argumentis, 
‘qui inter Italos antiquissimorum carminum quae nuper in lucem 
prodierunt sinceritatem respuunt, et quaenam illis de origine ac 
aetate chartarum Arboreensium, tum codicum Florentini et Senensis, 
sententia sit, nec ipsi nec alius quispiam adhuc prodidit; omnes 
tamen fatentur, non hujusmodi esse quaestionem quae silentio et 
contemptu solvi possit, quo uno litterariae fraudes plerumque 
corruunt, sed validis argumentis et diligenti ipsorum monumentorum 
examine. — Mihi ea sententia est, praeter rei novitatem et ipsam, 
si ita loqui fas sit, ejus molem, nullum alicujus momenti argumentum 
contra harum chartarum fidem et antiquitatem posse afferri; sed 
ob hanc ipsam rei novitatem et inventi praestantiam non defuturos 
e coaevis nostris, qui in eis rejiciendis aut saltem pro dubiis 
habendis perdurent, vel si, ut mihi fert animus, earum sinceritas 
‚Academiae vestrae et aliorum qui eas perpenderint doctorum virorum 
 Judieio firmetur; tanta est longae et inveteratae opinionis vis, et 


72 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


mutandae sententiae diffieultas! Credent et recipient, nullo jam 
adversante, filii nostri; et temporis lapsu, qui fraudes et spuria 
monumenta quamplurima in dies contemptui et oblivioni tradit, 
sinceris hisce veritas fidem adstruet, ac, quem in re nova ac nuper 
inaudita frustra speres, diu cognita consensum faciet. 

Sed antequam longae huic epistolae finem faciam, unum hoc 
monitos adhuc velim te et reliquos vestrae Academiae Socios: me, 
chartarım Arboreensium sinceritatem propugnantem, de sola palaeo- 
graphica earum fide loqui. Rerum quae chartis ipsis exhibentur 
auetoritas longiore disputatione tractanda est tun demum, cum 
ipsa manuscriptorum sinceritas sit extra dubitationem posita; et 
de singulis quae in is libris narrantur, non de tota simul, tum 
aetate, tum origine, tum ipsa rerum indole haudquaquam parl, 
ehartarum Arboreensium congerie ferendum erit judicium. 


Scribebam Taurini, pridie nonas novembres, anno MDCCCLXIX. 


Die Unterzeichneten fanden es angemessen, die HH. Alfred 
Dove, Philipp Jaffe und Adolf Tobler um ihre Mitwirkung 
bei der Prüfung der Handschriften zu ersuchen, die demgemäfs 
bereitwillig gewährt ward. 

Die paläographische Untersuchung erschien der Commission 
als die hauptsächliche, insbesondere deshalb, weil die Vertheidiger 
der Fragmente sich stets vorzugsweise auf die Autopsie der Ori- 
ginale gestützt hatten und weil ja überhaupt die Intervention der 
Akademie zunächst für diese Prüfung angerufen worden war, da 
über die anderen einschlagenden Fragen auch auf Grund der Mar- 
tini’schen Publication hin jeder Sachverständige im Stande war zu 
urtheilen. Das unter A angeschlossene Gutachten des Hrn. Jaffe 
erledigt diese Frage in definitiver Weise, indem es in den ersten 
14 Zeilen der oben mit II. und den ersten zwei Seiten der 
oben mit III. bezeichneten Handschrift eine wohl selbst im Ge- 
biet der Fälschungen bisher unerhörte Reihe von paläographi- 
schen Unmöglichkeiten aufweist. Die Commission hielt es für 
angemessen die förmliche Motivirung des Urtheils auf diese wenigen 
‚Abschnitte zu beschränken, da die Fortsetzung der gleichen undank- 
baren Arbeit zu nichts geführt haben würde; während andererseits 
die sämmtlichen Documente von Arborea sachlich in dem Grade 
unter einander connex und correlat sind, dafs schon aus diesem 
Grunde die nachgewiesene Fälschung eines derselben den Nach-. 


vom 31. Januar 1870. Ta 


weis für alle in sich trägt. Die Commission erklärt aber aus- 
drücklich, dafs unter allen Stücken, die im Original oder in Ab- 
bildung ihr vorgelegen haben, nicht ein einziges sich befindet, 
dessen Echtheit irgend einem ihrer Mitglieder auch nur wahr- 
scheinlich erschienen wäre, und dafs, nach der gewissenhaften 
Überzeugung der Unterzeichneten, die gesammte Masse der soge- 
nannten Fragmente von Arborea, bei aller ihrer Verschiedenheit 
unter einander, dennoch von einem Fälscher oder mindestens einer 
Fälschergruppe angefertigt worden ist. 

Obwohl hiermit die Commission die ihr gestellte Aufgabe a 
als erfüllt ansah, erschien es ihr doch angemessen, die Prüfung 
nicht auf die Paläographie der Documente zu beschränken, sondern 
die naheliegende Frage, wie die Documente von Arborea in sprach- 
licher wie in sachlicher Hinsicht zu den sonstigen wissenschaftlich 
gesicherten Thatsachen sich verhalten, wenigstens in einer Anzahl 
von Beispielen zu erörtern. Denn es leuchtet ein, dafs diese 
mannichfaltigen und inhaltreichen Urkunden durch die Beschaffen- 
heit des in ihnen gebrauchten Lateinischen und Altitalienischen, 
durch ihr Verhältnifs zu dem, was anderweitig über die ältere und 
neuere Geschichte der Insel Sardinien und Italiens überhaupt fest- 
steht, ebenso sehr, wenn sie echt waren, vielfältige und deutliche 
Beweise der Echtheit in sich tragen mulsten, wie im umgekehrten 
Fall ebenso vielfältige und ebenso deutliche Beweise der Unecht- 
heit. Aus diesen Erwägungen sind die weiteren, diesem Bericht 
unter B. C. D beigefügten Specialuntersuchungen hervorgegangen. 
Sie haben, jede unabhängig angestellt, durchaus zu demselben 
Ergebnifs geführt wie die paläographische des Hrn. Jaffe: so- 
wohl diejenige des Hrn. Adolf Tobler über die in dem Akt- 
italienischen dieser Documente auftretenden sprachlichen Eigen- 
thümlichkeiten (Anl. B), wie diejenige des Hrn. Alfred Dove 
über das Verhältnifs derselben zu den gesicherten Thatsachen 
der mittelalterlichen Geschichte (Anlage C), wie endlich die- 
jenige des mitunterzeichneten Hrn. Mommsen über die von dem 
Urheber dieser Documente mitgetheilten oder benutzten römischen 
Inschriften (Anl. D). Alle diese Untersuchungen ergaben zugleich 
sichere Anzeichen dafür, dafs hier eine Fälschung neuesten Datums 
vorliegt, angefertigt mit Benutzung von Büchern und Inschriften, 
die erst in den letzten Decennien veröffentlicht worden sind. 

Das Ergebnifs der Untersuchung ist also dahin zusammen zu 


74 Sitzung der philosophisch-historischsn Klasse 


fassen, dafs die sämmtlichen unter dem Namen der Documente 
von Arborea publieirten Urkunden falsch sind und dafs gegen die- 
selben, ebenso wie gegen die ligorischen Inschriften oder die 
simonideischen Handschriften, die Vertreter des ganzen einschlagen- 
den philologisch - historischen Forschungsgebiets gleichmäfsig Ein- 
spruch erheben. Haupt. Mommsen. 


Anlage A, 


Von den zahlreichen, in Arborea zum Vorschein gekommenen 
und zumeist durch Pietro Martini stattlich edirten Handschriften, 
deren Echtheit aus inneren Gründen angefochten und aus äufseren 
in Schutz genommen wird, haben mir zur Prüfung ihres paläogra- 
phischen Charakters im Ganzen sieben Stücke vorgelegen: zwei 
Membranen (eine gröfsere und eine kleinere) und fünf Papier- 
codices. 

Eine vorläufige Betrachtung zeigte, dafs die Schriftart der 
gröfsern Membran’) dem 15ten Jahrhundert angehört und, indem 
ich an der kleinern?), die einen Palimpsest darstellt, die primäre 
— in jüngerer römischer Cursive gehaltene — Schrift aulser Acht 
liefs, dafs ebensowohl ihre secundären Züge wie die Formen der 
übrigen Handschriften etwa dem löten Jahrhundert zuzurechnen seien. 

Nachdem dann die Untersuchung, von der anfänglich verwir- 
renden Mannigfaltigkeit der Stücke und ihrer Schriftsorten unbeirrt, 
den Erzeugnissen einzeln und mit schärferer Aufmerksamkeit sich 
zugewandt hatte, gewährte ihr Gesammtergebnifs mir die volle 
Überzeugung, dafs mit diesen Handschriften der gelehrten Welt 
ein Betrug gespielt worden ist. 

Am augenfälligsten ist die Unechtheit in der scheinbar dem 
13ten Jahrhundert angehörenden Schrift der grölsern, 104 Zeilen 
enthaltenden Membran, von welcher auch ein Facsimile hier ein- 
getroffen ist und deren Inhalt Pietro Martini herausgegeben hat, 
Pergamene codici e fogli cartacei di Arborea p. 139— 157. 

Schon die Grundstriche der einzelnen Buchstaben verrathen 
den modernen Schreiber, der von der eigenthümlichen und unver- 


1) Sie ist in dem oben abgedruckten Brief Vesmes mit II bezeichnet. 
2) Vesmes n. I. 


vom 31. Januar 1870. 75 


rückbaren Federhaltung einer mittelalterlichen Hand keine sichere 
Kenntnifs besafs. Sie entbehren daher der Gleichmäfsigkeit nicht 
allein in verschiedenen Buchstaben, sondern verlaufen auch einzeln 
genommen ungleichmäflsig. Hierdurch erhält das Document ein 
höchst verdächtiges Aussehen, wie es unter gewissen Verhältnissen 
ausreichen müfste, die Glaubwürdigkeit einer Urkunde zu er- 
schüttern. 

Allein diese allgemeine Wahrnehmung — welche, für sich 
hingestellt, natürlich Gegner gefunden hätte — wird noch von an- 
deren Merkmalen mehr als unterstützt. 

Bekanntermafsen ist der Consonant ö im Mittelalter durch das- 
selbe Zeichen sichtlich gemacht worden wie der Vocal i. Man 
kannte zwar ein nach unten verlängertes i, jedoch nicht als Conso- 
nanten, nicht als Jod. Der Fälscher aber vermag sich dieses mo- 
dernen Buchstabens nicht zu erwehren, wie’ die folgenden Beispiele 
zeigen, denen ich die Nummern der sie enthaltenden Zeilen in 
Klammern hinzufüge: 


1j9 — huius (3. 24), juuenili, juvenis (5), Jactabatur, deje- 
cit (7), judicem (8), major (10), jucunde (11), Jocunditatem, 
cujus (12), jus (19), ejusque (24) u. Ss. w. 


Entscheidender als diese unmittelalterliche Verwendung des 
Jod fallen gegen den Schreiber seine Abbreviaturen ins Gewicht, 
durch die wir belehrt werden, dafs er nicht einmal die Anfangs- 
gründe der Paläographie inne hatte. Schon die ersten 14 Zeilen 
dieses umfassenden Stücks auf die ich mich beschränken will — 


gewähren in dieser Beziehung hinlängliche Proben. 


Das Jedem wohlbekannte unten durchstrichene p, das p ver- 
wendet er zwar einigemal richtig für per, zugleich aber auch wider 
alles Herkommen und wider die allgemeine Regel, dafs jeder Ab- 
kürzung ein feststehender Werth zukommt, für prae, pri, prin, pru 
und pur. 


1) für prae: pcepia = praecepta (3); pditus — praeditus (omni 
virtute) (5); pstans = praestans (5); pbedi = prae- 
bendi (7). 

2) für pri und prin: pmus — primus (12); ppes = principes (6). 

3) für pru: pdetiam = prudentiam (6). 

4) für pur: expg*e = expurgare (13). 


76 


Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Ebenso wenig hatte er eine Ahnung davon, dafs das über- 


strichene p, D oder p unabänderlich die Bedeutung prae hatte. 


Ihm gilt es auch für par, per und por: 


1) für par: pi = pari (3). 


2) für per: psoa = persona (3); recupavit —= recuperavit (3); 


2 5 2 R 2 
despans —= desperans (5); opa — opera (6); excepunt 
— exceperunt (6). 


3) für por: lepibs — leporibus (11). 


Er verwendet zum Überstreichen des p eine nach unten ge- 
öffnete Schleife. Eine Bildung, die ihm noch wider allen und je- 
den Brauch in vielen anderen Fällen hilft. Denn die übergesetzte 
Schleife heifst ihm ar, er, ir, or, ori, ra, re, ri, ro und ur. 


1) ar: 
2) er: 


3) ir: 
4) or: 


5), 91: 
6) ra: 


Dre: 
S)ert: 
9) ro: 


10) ur: 


c&mibs — carminibus (4); b*bar9 — barbarus (14). 

$moe — sermone (1); genosa — generosa (2); pat — pa- 
ter (2). 

itute = virtute (5). 

robzati — roborati (2); lab*es = labores (2); intem = 
mortem (5); exnare = ewornare (5); pribs ac lepibs = 
floribus ac leporibus au 


memam — memoriam (4). 

mi&ri = mirari (1); Juia = gravia (2); jta = grata (3); 
ins = trans (6); fier — frater (7). 

insftavit — iransfretavit (6). 

patä — patriam (1); »9 — prius (14). 

co&nam = coronam (1); iniduci = introduei (9). 


Q 
expositus = expositurus (4); Cant = curant (13). 


Wie ns nunc heifst und te tunc, so wurde für hunc im Mittel- 
alter hc geschrieben. Jedem, der schreiben gelernt hatte, war 
diese Kategorie geläufig. Der Falsarius kennt sie so wenig, dals 
er ha einige Male für haec setzt (3. 4), dann wieder für hac (7) 
und drittens für hoc (10). Dagegen erfand er sich für hune eine 
eigene Abkürzung, die im Mittelalter Niemand kannte: häc (9. 12). 


vom 31. Januar 1870. 77 


Mit diesen Beispielen ist die Fluth paläographischen Wider- 
sinns, der schon die erwähnten ersten 14 Zeilen des Schriftstücks 
überströmt, lange nicht erschöpft. Da kommen noch Abbreviatu- 
ren vor wie: mhi = mihi (1.3); ti = tibi (4.9); maga —= magna (3); 
pt = praeter (4); pst = post (5); quü = quum (1.2); alig —= ali- 
quod (1); glriam = gloriam (4) und vieles Andere noch, das die 
Unwissenheit des Schreibers auf Schritt und Tritt zu erkennen 
giebt. 

Nachdem die ganze Armseligkeit des Unternehmens an dem 
einen Stück zur Evidenz gelangt war, erstaunte ich nicht, als in 
der einen Papierhandschrift!) (edirt von Martini, Appendice alla 
raccolta delle pergamene, dei codici e fogli cartacei di Arborea, 
Cagliari 1865) genau derselbe Schreiber sich kundthat. Schon die 
ersten zwei Seiten — die ich ausschliefslich berücksichtige — lehr- 
_ ten das zur’ Genüge. 

Da erscheint wieder jene vielbedeutende Schleife als ar, er, 
ON NAQ,.Fae, 10. 


1) als ar: mia —= carmina; bäb2e = barbare (vergleiche oben 
Seite 76 Zeile 13). 


& 
2) als er: pat = pater; integrima = integerrima; potu*unt = Po- 
tuerunt. 


Laer ® 

3) als or: memie = memorie. 
2 Ss ee Ä £ 
4) als ra: gt —= contra; guati = gravati; ilustuit — ilustravit. 


2 
5) als rae und re: jco = graeco; frat — Jratre. 


Ein ähnlicher Wirrwarr wie von der Schleife wird hier auch 
von dem überschriebenen i erzeugt. Da heifst p wohl einmal rich- 
tig pri aber auch schon zweimal auf der ersten Seite fast unglaub- 
licher Weise post; glo’osa heifst gloriosa; m’a = mira; m’acula — 
miracula; sat'is = satiris; clisma = clarissima; plu'es = pluries. 

Daneben wuchern auch hier allerorten noch besondere Selten- 
heiten, wie cäa — causa; süs = suis; archppo = archiepiscopo; Mago 
— magno; retult — retulit; esst = esset; alis = alüs; idm = idem; 
: fidm = fidem; eadm = eadem; orbaim —= orbatam. 


1) Vesmes n..II. 


73 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


So wenig also jene Membran im 13ten Jahrhundert beschrie- 
ben worden ist, ebensowenig gehört diese Papierhandschrift ins 
15te Jahrhundert. Das heifst, die Schriftstücke sind damals nicht 
entstanden, als die Kunst zu lesen und zu schreiben gleicherweise 
auf der Kenntnifs der Abbreviatur beruhte wie auf der des Alpha- 
bets. Sie sind Erzeugnisse einer Zeit, da — wie in unseren Ta- 
gen — die Abkürzungen nicht mehr dem Lehrkreis der Schulen 
angehörten, und stammen von einem Autodidakten, der von den 
Gesetzen, die auf dem Felde der mittelalterlichen Abkürzungen 
herrschen, sich falsche Begriffe gebildet hatte. 

Schwerlich aber mit Erfolg dürfte man die Behauptung wa- 
gen, in Sardinien sei das Schreibwesen so eigenthümlich entwickelt 
worden, dafs in jenen Abbreviaturen sich nur ein besonderes, der 
Insel ausschliefslich angehöriges System geltend mache'). Denn 
was wir da wahrnehmen, ist überhaupt nicht System sondern Con- 
fusion. 

Es ist nicht denkbar, dafs in den Sardinischen Schulen gelehrt 
worden wäre, das unten durchstrichene p: 9 könne man setzen für 
per, prae, prin und pur, das überstrichene p: p dürfe benutzt wer- 
den für prae, par, per, por, man könne eine und dieselbe Schleife 
anwenden für ar, er, ir, or, ori, ra, Te, ri, ro und ur u. S. W. 
Eine solche Lehre würde ungefähr dieselbe Wirkung gehabt haben, 
wie wenn gestattet worden wäre, dafs man das Schriftzeichen 5 
auch setzen dürfe für c, ©, r, u und ? und zu gleicher Zeit auch 
den Buchstaben e zur Bezeichnung von d, f, 9, k, I, m u. Ss. w. 

Der Zweck des Schreibens ist, den Gedanken lesbar machen; 
mit jenem Durcheinander von Abkürzungen wäre erreicht worden, 
dafs der Sardinische Priester in einem aus Rom kommenden Mis- 
sale sich nicht zurecht gefunden hätte, dafs ein Brief aus Arborea 
in Pisa räthselhaft erschienen wäre, dafs in Sardinien weder eine 
unzweideutige Rechtsurkunde aufgesetzt noch überhaupt von einem 
Menschen des Nachbars Schrift sicher hätte verstanden werden 
können. . Diese Folge wäre eingetreten, ‚ wenn man —— um einige 


1) Wenn aus einem nachträglich von Baudi de Vesme eingeschickten 
Document erhellt, dafs in sardinischen Schriftstücken des 16. und 17. Jahr- 
hunderts das j als Consonant auftritt, so beweist dies nur, dafs man in Sar- 
dinien an der allgemeinen Entwicklung der Schrift theilgenommen hat; denn 
in jenen Jahrhunderten war der Buchstabe überall in Geltung. 


ee 
I 


vom 31. Januar 1870. 19. 


Beispiele zu geben — beim Schreiben nicht unterschieden hätte 
parco, praeco und porco; prius und purus; princeps und praeceps; 
portio und pretio; permittere und praemittere; pergere und purgare; 
carminis, criminis und cur minis; dare, dire, dure und de re; Tro- 
ianus, Traianus, Turianus, ter Janus und tori anus; flore, flare und 
Jlere; frater, fratri und fratre u. S. w. 

Nicht die eigenen Städtenamen Sardiniens hätte man bei sol- 
chem Schreiben vor Mifsdeutungen bewahrt. Denn *b2ea hätte al- 
lerdings gelesen werden können Arborea, aber auch orba rea, ro- 
borea, robur ea und urbi rea. Und Calis konnte man zwar lesen: 
Caralis, zugleich jedoch auch cera lis, cura lis, coralis. Ebenso 


a2 
konnte tris heilsen Turris, aber auch terris und torris. 


Welcher Sardinier aber wird zugeben wollen, seine Vorfahren 
seien so thöricht gewesen, wie zu eigener Verunchrung eine beson- 
dere Methode zu erfinden und zu üben, vermittelst deren man $dus 
beliebig lesen konnte: Sardus oder surdus; absdis: ab Sardis oder 
absurdis; sdi: Sardi oder sordi; sdidiwini: Sardi divini oder sor- 
didi vini; sdi dati: Sardi dati oder sordidati? — 


Zu den voranstehenden Bemerkungen sind die ersten 14 Zei- 
len der einen Membran und die ersten zwei Seiten einer der Pa- 
pierhandschriften herangezogen worden. Bedarf es noch eines Wei- 
teren? Wäre es nöthig, für dasselbe Resultat auch aus den an- 
deren hierhergelangten Handschriften die Beweise aufzuhäufen, oder 
gar alle übrigen Stücke zu durchforschen, die in den letzten 
24 Jahren in Sardinien ans Tageslicht gebracht wurden, die in 
der Bibliothek zu Cagliari aufbewahrt werden und die allesammt 
so harmonisch zusammenwirken, die Geschichte Sardiniens durch 
Thatsachen, Helden und Dichter zu beleben, und zu gleicher Zeit 
seine Literatur mit Inschriften, Annalen, Historien und Gesängen 
zu bereichern ? 

Würde es ferner der Mühe lohnen, mit vielen Worten darzu- 
stellen, was bei einer unmittelbaren Betrachtung mit wenigen Fin- 
gerzeigen erwiesen werden kann: in wie augenfällig artificieller 
Weise das schmutzige Ansehen erzeugt ist, welches neben den er- 
borgten Schriftzügen die Bestimmung hat, die jungen Werke alt 
erscheinen zu lassen? wie die Blätter ganz oder nur ihre Ränder 
in mannigfache Flüssigkeiten eingetaucht, wie über gröfsere und 
kleinere Partieen fliefsender oder zäher Schmutz sei’s ergossen, sei’s 


80 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


angespritzt, sei’s auf- und niedergestrichen worden ist? Diese 
Merkmale fügen zu den paläographischen Kriterien der Fälschung 
nur noch einige sehr äufserliche Momente, die hier erwähnt zu 
haben genügen mag. 

Pbilipp Jaffe. 


Anlage B. 


Dafs die romanischen Sprachen, in bewufstem Unterschiede 
von der lateinischen, schon in früherer Zeit bestanden haben als 
diejenige ist, in welche die ältesten bis jetzt bekannten zusammen- 
hängenden Denkmäler hinaufreichen, wird Niemand bezweifeln, und 
so ist denn auch nicht ohne Weiteres auf die Aussicht zu verzichten, 
es werde der Wissenschaft noch der eine oder andere Fund vor- 
behalten sein, welcher altromanische Sprache noch vor dem 9. Jahr- 
hundert, in mehr als ein Wort oder eine Phrase umfassender Aus- 
dehnung durch die Schrift festgehalten, der Gegenwart zur Kennt- 
nifs bringe. Dafs gerade die Insel Sardinien die Heimat solcher 
Aufzeichnungen sein würde, war dagegen nicht eben wahrscheinlich; 
wir erwarten sie eher aus denjenigen Theilen des romanischen 
Gebietes, wo schon in früher Zeit die Volkssprache hinsichtlich 
ihres lautlichen Verhaltens so bedeutende Verschiedenheit von der 
lat. Sprache der Kirche, des Gesetzes, der Schule zeigt, dafs das 
Verständnifs dieser Letzteren dem Ungeschulten nicht mehr zuzu- 
muthen ist; und erwarten sie zuletzt aus solchen Theilen des Ge- 
bietes, deren Sprache noch heute, wie die sardinische Mundart es 
thut, mit verhältnifsmäfsig viel gröfserer Treue als die Schwester- 
idiome an Sylbenzahl, vocalischen und consonantischen Lauten der 
lateinischen Wörter fest gehalten hat. Diese Verhältnisse sind 
freilich nicht das allein Entscheidende; es kommt dazu, dafs die 
gesammte Culturlage, politische Ordnung, geistige Bildung u. 8. w. 
Aufzeichnungen in der Landessprache begünstigen, und dafs anderer- 


seits die Erhaltung des Niedergeschriebenen durch eine gewisse Stä- 


tigkeit der Interessen erleichtert werde. Auch in dieser Beziehung 
schien Sardinien zum mindesten in nicht günstigerer Lage als irgend 
ein Theil des romanischen Gebietes, die Donaufürstenthümer etwa 
ausgenommen. 


N 


vom 31. Januar 1870. sl 


‚Indefs liegen nun einmal Denkmäler der besprochenen Art 
von sardinischer Herkunft vor; allerdings nicht blofs solche, die 
über alle bis jetzt bekannten romanischen Aufzeichnungen hinauf- 
steigen, sondern auch, aber nicht weniger erwünscht, solche, die 
blofs für die Geschichte der italiänischen Literatur und Sprache 
von Bedeutung sind; aber von nicht geringer; denn ganze Jahr- 
hunderte literarischer Verwendung sowohl der italiänischen Sprache 
als der sardinischen Mundart, kunstliebende Fürsten, dichterisch 
thätige Kreise sind der Forschung gewonnen, und, was Italien be- 
sonders erfreuen mulfs, dieses älteste literarische Treiben: ist gleich- 
zeitig mit dem der Provenzalen oder reicht über dasselbe hinauf, und 
da die zahlreichen biographischen Notizen, welche die Denkmäler 
begleiten, keineriei Hinweisung auf provenzalische Vorbilder enthalten, 
so ist der italiänischen Dichtung einheimischer Ursprung erwiesen. 

Aber gerade die Massenhaftigkeit und das Gewicht des so 
plötzlich und so durchaus unvermuthet Gefundenen erregt Besorg- 
nils und mahnt, zu untersuchen, ob die Ächtheit der Denkmäler 
anzunehmen sei, oder ob man in den sämmtlichen Schriftstücken 
ein Werk der Fälschung zu sehen habe. Im Folgenden soll dar- 
gelegt werden, was dem Unterzeichneten die Denkmäler hinsicht- 
lich der in denselben vorliegenden Sprache und ihres Inhaltes, so- 
weit er die Literaturgeschichte interessirt, als unächt erscheinen 
läfst. — Was die Herkunft derselben betrifft, so mag hier zuerst 
der Umstand berührt werden, dafs der ganze Schatz, so sehr ge- 
wisse Theile desselben literarisches Eigenthum der Halbinsel sind 
und in Toscana bekannt gewesen und gelesen worden sein müssten, 
in dem Einen Arborea gehoben ist, mit alleiniger Ausnahme einiger 
(4) Blätter, die im Florentiner Staatsarchiv liegen und über deren 
früheren Standort nichts mitgetheilt wird; denn ein zweites, in 
Siena befindliches Manuscript von 22 Blättern, kann nicht in Be- 
tracht kommen, da es erst 1862 durch Schenkung eines anonym 
gebliebenen Palerınitaners dahin gekommen ist. Auch der That- 
sache ist gleich hier zu gedenken, dafs die Documente zum gröfsten 


Theile im Allgemeinen den Charakter der Schrift des 15. Jahr- 


hunderts zeigen, während sie im 12. oder im 13. Jahrhundert ver- 
falst sein sollen, und dafs schwerlich ein einziger Abschreiber des 
15. Jahrh. der Urheber der für das Werk einer unverstellten Hand 
unter sich doch allzu verschiedenen Züge auf sehr mannigfach 


markirtem Papiere ist. Es würde dieser Umstand Auf ein in jener 
[1870] | 6 


82 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Zeit rege gewordenes Interesse (mindestens Eines Sammlers, wahr- 
scheinlieh aber verschiedener Liebhaber) für die ältesten litera- 
rischen Denkmäler der engeren und der weiteren Heimat hin- 
weisen, welches mit der Thatsache der vollständigen Verschollen- 
heit jener Schriften sich nieht leicht vereinigen läfst. Insbesondre 
ist schwer zu begreifen die Art, wie der Hirtenbrief eines Bischofs 
“n sardinischer Prosa vom Jahre 740 auf uns gekommen sein soll: 
dieses Document (Pergam. 184) von keineswegs schr wichtigem 
Inhalte — ein Bischof ermahnt seinen Clerus und vielleicht auch 
die Laien seines Sprengels zum Beharren im Glauben und nennt 
am Schlufs ein paar Prälaten, mit denen er in nächster Zeit 
kommen werde um seinen Bruder zu weihen, wegen des Todes 
des Felix, der in einem Kriege erfolgt sei, darin 1500 Sarazenen 
und 80 Sarden in Einer Nacht den Tod gefunden hätten — war 
schon zur Zeit des judex Saltaro, dessen Regierung 1079 begonnen 
haben soll, in dem nämlichen trostiosen Zustande, in welchem es 
jetzt vorliegt, d. h. 'so voller Lücken, dafs es weder irgend wem 
zur Erbauung gereichen, noch als Beweismittel in irgend welchen 
Rechtsfällen dienen Konnte; gleichwohl liefs Saltaro es auf Fol. 
167 einer Actensammlung eintragen, die er veranstaltet hatte, und 
sein Notar fügte der Abschrift ein Zeugnifs bei des Inhaltes, das 
Original habe sich in einem solchen Zustande der. Zernagung be- 
funden, dafs nichts als das abschriftlich Mitgetheilte ihm zu ent- 
nehmen gewesen sei. Die Lücken der Abschrift zeigten verschie- 
dene Länge, ohne Zweifel in genauer Wiedergabe der Vorlage. 
Jene Actensammlung kam im 14. Jahrhundert in die Hände eines 
Torbeno, der seinem Halbbruder, dem judex Mariano IV, von der- 
selben eine sehr genaue Beschreibung nebst Auszügen lieferte, die 
Foliozahlen zu jedem Stücke angab, die Lücken bezeichnete und 
‚dabei eine: Sorgfalt an den Tag legte, die zwar ihm alle Ehre 
macht, die aber in diesem Falle ebenso wenig zu begreifen ist, 
wie das: Interesse, welches die ganze Mittheilung für Mariano 
haben konnte. Seinen Brief copirte 1385 ein Unbekannter aus un- 
bekannten Gründen, und diese Abschrift ist in Arborea ‚gefunden; 
es ist eine Handschriftbeschreibung, wie män sie ‚heutzutage etwa 
in einer gelehrten Zeitschrift zum Abdrucke bringt. 

Nicht minder. unglaublichen Umständen ‚ verdanken wir die 
Erhältung einer Reihe altitaliänischer Sprachproben, (Append. 115), 
welche an Vollständigkeit für die verschiedenen Jahrhunderte und 


vom 31. Januar 1870. 83. 


an genauer Datirung der einzelnen Bestandtheile wenig zu’ wün- 
schen läfst. Im Jahre 1271 wurde ein sardinischer Kaufmann von 
einem Römer seiner Sprache wegen angegriffen; da er sicli dem 
Gegner nicht gewachsen fühlte, wandte er sich an einen gelehrten 
Landsmann, Comita de Orru, und der setzte für ihn eine Denk- 
schrift auf, deren Inhalt sich der Gekränkte nur: einzuprägen 
brauchte, um Argumente in Menge zur Verfügung zu haben, welche 
geeignet waren, ‚den Römer zur Achtung vor der sardinischen 
Sprache zu zwingen. Comita brauchte sich das Material für seine 
Schrift nicht erst zu sammeln; ihm lag, von’dem Neffen des Ver- 
fassers geborgt, ein: leider: seither verschwundenes Werk vor, das 
alles Nöthige in bester Ordnung und Vollständigkeit bot, die „Ge- 
schichte der sardinischen Sprache“ von Giorgio. von: Lacon (geb. 
1177, gest. 1267)., Unter diesem Titel (historid de ssa lingua sar- 
desca) hatte der gelehrte Verfasser der ebenfalls noch nicht wieder 
gefundenen „Mater Sardinia cognita“ ein Werk geschrieben, in wel- 
chem ‚er, gestützt auf zahlreiche selbstgesammelte sprachgeschicht- 
liche Documente, ‚Inschriften, Briefe, Gedichte u. s. w. und auf 
Beobachtungen, die er, zu diesem Zwecke kostspielige Reisen 
nicht scheuend, in Italien, Frankreich und Spanien gemacht hatte, 
über die Identität der sardinischen Sprache mit der rustiken Sprache 
der Römer und über ihr. Verhältnifs zur italiänischen, spanischen, 
französischen und provenzalischen allen wünschbaren Aufschlufs gab. 
Aus dieser Fundgrube zog Comita soviel ihm nothwendig schien, und 
da auch von seiner Denkschrift im 15. Jahrhundert eine Copie an- 
‚gefertigt wurde, die nach Arboreä gelangt ist, so besitzen nun auch 
wir nicht blofs den Kern von Giorgio’s sprachgeschichtlichem Wissen, 
welches Martini.den Ausruf thun läfst: Bello ravvicinamento delle opi- 
nioni d’un dottissimo Sardo del XIII secolo eon quelle dei grandi filo- 
logi del XIX!, sondern auch wenigstens einen Theil der von ihm ge- 
sammelten Materialien. ‚So viel als Beispiel, auf wie wunderlichen 
Wegen die alten Sprachproben zu uns gelangt sein sollen. 

Fassen wir nun die Sprache der ältesten aus Arborea gewon 
nenen Denkmäler ins Auge, so befremdet bei fast allen die geringe 
‚Verschiedenheit. des Sprachzustandes von demjenigen, welcher in 
den früher bekannten ältesten Denkmälern, die doch um Jahrhun- 
derte jünger sind, sich kund gibt. Nirgends z. B. zeigt sich die 
geringste Spur einer Unterscheidung des Nominativs der Nomina 
6* 


54 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


vom Casus obliquus in den sardinischen Denkmälern des 8. Jahr- 
hunderts, während die beiden romanischen Sprachen Galliens bis 
ins 14. Jahrhundert diesen Rest der lat. Nominalflexion festge- 
halten haben; und doch wäre gerade im Sardinischen, welches das 
auslaut. s sonst duldet und in der Verbalflexion bis auf den heu- 
tigen Tag aufweist, ein ähnliches Festhalten am lat. Vorbilde 
durch kein lautliches Hindernifs unmöglich gemacht worden, wie 
etwa im Italiänischen. Spuren der Erhaltung des auslaut. m in 
tonlosen Endungen zeigen sich freilich in dem Liebesliede des 
Schäfers Gitilinus vom Jahre 800 (Pergam. 466); aber einmal er- 
scheint dieses m in zahlreichen Wörtern des nämlichen Denkmals, 
welehe es nach Analogie ebenfalls haben müssten, nicht, so dafs 
man annehmen mufs, es danke sein Vorkommen in einzelnen Fällen 
nur einer Gewöhnung des Schreibers an lat. Texte, unı so mehr, 
als der früher erwähnte Hirtenbrief von 740 dasselbe auch nicht 
kennt; sodann ist gerade das auslautende m derjenige lateinische 
Laut, der in tonlosen Sylben in keiner romanischen Sprache eine 
Spur hinterlassen hat. Dafs vielfach ipsu geschrieben ist, hat 
ebenfalls kein Gewicht, denn die Formen mit assimiliittem p und 
die gekürzten ohne i, wie sie die Mundart Sardiniens jetzt ver- 
wendet, stehn überall gleichberechtigt daneben. In einer Beziehung 
stehn die ältesten sardinischen Denkmäler aus Arborea der jetzigen 
Mundart sogar näher als dasjenige, welches bisher für das älteste 
gehalten wurde und dessen Ächtheit aufser Zweifel steht, die Sta- 
tuten von Sassari aus dem Jahre 1316 (Hist. Patr. Monum. X). 
Das alte Perfectum des Indicativs (1. conj. cantdi, dsti, dit; da- 
neben andre, die lat. Formen getreu wiederholende Perfeeta, wie 
fechit, fuit, ‘deit u. del.) ist das in jenen Statuten allein vor- 
kommende; von den in der gegenwärtigen Mundart dafür einge- 
tretenen Formen cantesi, cantesti, cantesit; factesit und dgl. zeigt 
sich dort noch keine Spur; aber gerade diese Formen treten nun 
in den Pergamene als älteste auf, naresint im Hirtenbrief, moresit 
ebenda; auch Comita de Orru in seiner linguistischen Denkschrift 
von 1271 sagt eunservesit, cantesit, ponesit und dgl. und schreibt 
doch, wie er selbst sagt, die alte Mundart der Berggegenden 
(App. 120); er untermischt dann allerdings diese Formen mit eitarit, | 
usarit, furit und dgl., welche aber ebenfalls denen der Statuten an 
Alterthümlichkeit nachstehn und nach Analogie der Pluralformen 
auf arunt gebildet scheinen. 


vom 31. Januar 1870. 85 


Auch die neugefundenen Denkmäler der eigentlichen italiäni- 
schen Sprache, wie sie, in Toscana ursprünglich heimisch, von alten 
Florentinern, Senesen, aber auch Genuesen und Sarden in literari- 
schen Werken verwendet erscheint, zeigen eine bei ihrem hohen Alter 
überraschende Übereinstimmung mit denjenigen, welche man bisher 
für die ältesten gehalten hat. Kaum eine Form findet sich, die 
nicht bei Guittone ihre Parallele hätte. Der altit. Conditionalis auf 
ara, era, ira (ruhend auf dem lat. Plsqpf. Ind.), den man in neuster 
Zeit bei Vincenzo d’Alecamo und schon früher auch bei zahlreichen 
Dichtern aus anderen Gegenden Italiens nachgewiesen hat (Nan- 
nucci, Verbi, 1843 p. 323), tritt hier sogar nur sehr selten auf. Auch 
gewisse Wörter, welche bei den altitaliänischen Dichtern auffallen, 
weil sie eine den ital. Lautgesetzen zuwiderlaufende Behandlung 
der lat. Laute zeigen, welche aber bei diesen notorischen Nach- 
ahmern der provenzalischen Trobadors ihre Erklärung in dem Um- 
stande finden, dafs die Nachahmung des dichterischen Verfahrens 
eines fremden Volkes auch in der Einführung nicht nationaler Wörter 
sich kund zu geben pflegt, begegnen schon bei dem neuentdeckten 
alten Gherardo da Firenze und seinen Schülern, die mit den älte- 
sten Trobadors gleichzeitig gelebt haben und bei denen sonst 
keinerlei Bekanntschaft mit provenzalischer Dichtung bezeugt ist; 
sie brauchen lausor, zambra, ciera, bealtate (pr. lauzor, fz. chambre, 
chere, beaute) u. dgl., welche alle nur im prov. und im französ. 
Sprachgebiete heimisch, in Italien nur Fremdwörter sein können. 
Hier und da erscheinen dagegen allerdings Wörter, welche sonst 
noch kein romanisches Denkmal aufgewiesen hat und die man 
daher unter die von der Volkssprache früh aufgegebenen zu zählen 
gewohnt gewesen ist; so ore der Mund, more die Sitte, (dieses 
wenigstens im Französischen seit lange, aber nur im Plural, vor- 
handen); conquerere sich beklagen, (dieses allen romanischen Spra- 
chen unbekannt und schon darum nicht recht passend, weil conqueri 
oder romanisch conquerere mit con-queerere, das aufser Italien an die 
Stelle von conguirere trat, zusammenfallen musste); audere wagen 
(ebenfalls überall aufgegeben, vermuthlich, weil es von audire sich 
kaum unterschied, und durch ausare ersetzt). Die beiden letzt- 
genannten Wörter hat man freilich auch an je einer Stelle des 
Guittone gefunden; aber diejenige, wo das Erstere vorzukommen 
scheinen möchte, ist kaum zu verstehn, immer aber noch eher, 
wenn man concherere gleich dem fz. conquerir oder prov. conquerer 


86 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


setzt; diejenige wo Guittone aude — audet vielleicht verwendet — 
verständlich ist auch sie nicht — und die des G&. Guinicelli , wel- 
chem Guittone auf die nämlichen Reime antwortet, und der es un- 
zweifelhaft — lat. audet verwendet, gehören überkünstlichen Reime- 
reien an, deren Anlage ‚einen Latinismus erlaubt scheinen lälst, 
während die Pergamene (122) die Form in Prosa und im Munde 
einer Amme vorführen. 

Bei andern Wörtern erheben sich Bedenken anderer Art: da 
begegnet z. B. oft plusor; das Wort ist allerdings altit. oft ver- 
wendet, nie aber anders als adjectivisch, wie das ihm entsprechende 
prov. plusor und fz. plusieurs; hier nun steht es ohne Weiteres 
wie das it. Adverbium piü@, auch bei Verben. Sollte hier. eine 
zu sorglose Benutzung der Commentare zu altitaliänischen Dich- 
tern, in welchen allerdings plusor durch pi“ erklärt werden mufste, 
da die ital. Sprache jetzt zur Wiedergabe des alten Adjectivs kein 
anderes Wort mehr hat als dieses Adverbium, an einem, Fälscher 
sich rächen?  Aehnlich scheint es sich mit adesso zu verhalten. 
Dieses Wort heifst altit. nicht. blofs „jetzt“, sondern, gleichwie 
prov. ‚und afz. ades, ganz gemäls seiner Herkunft von «ad ipsum, 
auch „zugleich, alsbald“; es ist daher mehrfach von Commentatoren 
mit „allora* erklärt worden, so namentlich oft von ‚Salvini. zu 
Guittone, (dessen Sprachgebrauch überhaupt dem Leser der .arbor. 
Denkmäler in Versen und in Prosa’ so oft in Erinnerung ge- 
bracht wird). Nun zeigt sich aber mehrfach in den arbor. Denk- 
mälern adesso .da verwendet, wo zwar allora ganz gut stehen 
würde, 'adesso aber gar nicht gesagt werden kann, z. B. ne voi 
rimarr& adesso (d. h. wann ihr einmal alt und verblüht sein wer- 
det) lo voito conforto u. 8. f., Pergam. 120. —. Canto una poesid „ein 
Gedicht“ lesen wir in einem Prosa-Roman, der dem 12. Jahrh. 
angehören soll (ebenda 122); barbaro wird. ein Gärtner ‚ebenda 
genannt, der sich weigert, eine Blume herzugeben, so lange. sie 
noch frisch ist; dasselbe Prosa-Werk braucht in einer Weise, die 
sicher nie statthaft gewesen ist, den Ausdruck mischiatamente 
etwa für „qua. e 14“, in der Verbindung nämlich: „es wird Euch 


dann keine Freude mehr gewähren di. correre mischiatamente infra. 


le zambre a vostri mirador*, (zu Einer Person gesagt). 
Auffallender noch sind ‚einige Erscheinungen der Syntax der 

arbor. Denkmäler: Es war bekannt, dafs Vergleichungssätze, die 

sich an einen Comparativ, d. h. ein von ‚piü oder meno begleitetes 


71 


‘vom 31. Januar. 1870. 37 


Adjectiv anschliefsen, des einleitenden che entrathen, dafs sie.gleich 
mit dem non. beginnen ‚können, welches in solchen ‘Sätzen. das 
Verbum zu begleiten pflegt (Diez III, 384); es war nicht auffal- 
lend, wenn das Gleiche hinter den einfachen Comparativen (maggiore, 
minore, pia, meno, peggiore u. dgl.) sich zeigte, wenn z.:B. Guit- 
tone I, 16 sagte: maggio (= majus) & cominciare, non & seguire, oder 
II, 98: tw paghi pie, non fa quello u. dgl.; aber dafs auch hinter 
Adjectiven oder Adverbien im Positiv gleich gestaltete Vergleichungs- 
sätze in gleichem Sinne möglich ‘seien, war bisher unerhört; 
die Denkmäler von Arborea bevorzugen diese Construction, von 
der man nicht recht begreift, wie sie verstanden werden konnte: 
la bocca pande (d. h. si apre) a dolei e piacenti camti, non furon 
delle Sirene, Pergam. 119; amador[i] forte allumati dai suoi raggi, 
non fere vetro, ebend.; la pelle (einer Frau). piana e lucente, non 
e il. piano del mare, u luna fere, 120 (auch stylistisch bemerkens- 
werth!), und so unzählige Male. — Es war bekannt, dafs auch 
im Italiänischen unter Umständen (ähnlich wie im Englischen) das 
Relativpronomen entbehrlich ist, wie denn , Guittone L,. 37 sagt: 
non vive alcun uom, dicesse che in voi manca alcuna cosa u. dgl., 
ebenso, dafs die Alten blofses che = quod) brauchen, wo jetzt ciö 
che gesagt werden mufs; dafs man aber sowohl ciö als che, nicht 
blols das. Relatirpronomen, sondern. auch das,.,worauf sich: der 
Relativsatz bezieht, streichen und dem Leser  zumuthen kann, 
gleichwohl zu verstehn, zeigen wohl ganz allein die Dichter von 
Arborea; hier lesen wir: vo: sta. catun desia, und das heifst: in voi 
sta ciö che ciascun desidera, 490b. Es werden nämlich auch 
Präpositionen in fast unbeschränkter Ausdehnung nach Belieben 
oder Bedürfnifs gesetzt oder unterdrückt. Da altfrz. und prov. der 
Unterdrückung der Präposition « (= .ad) vor einem Nomen, das 
eine Person bezeichnet, nichts im Wege steht, wofern das Nomen 
die Stellung eines lat. Dativobjeetes einnimmt und nicht etwa 
zur Bestimmung ‚des Zieles dient, da ferner auch ‚altitaliänisch, 
wenigstens, beim betonten '-Personalpronomen, die nämliche Er- 
scheinung vorkommt, . wie der Herausgeber des Guittone fast auf 
jeder Seite seines ‚Dichters besonders notirt,; so kann das häufige 
Vorkommen; der 'nämlichen. Unterdrückung der Präposition a in 
den arbor. ‚Denkmälern keinen Anstofs erregen. Man wird aber 
sich schwer entschliefsen zu glauben, es sei zu irgend einer Zeit 


möglich ‚gewesen, zu, sagen: Poi- legate stanno, || Voi vertu statt. 


88 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


legate a voi, Pergam. A91a, oder: menan vita, se morenti für menan 
a vita, ebend. 119, oder vollends: prodezza di proe guerrier pugnate 
in ver Comono für proderza di prode 9. colla quale pugnate, 
ebend. 491a. Wer würde dergleichen je verstanden haben! Frei- 
lich Gherardo aus Florenz, das Haupt der Dichterschule, welcher wir 
die Mehrzahl der poetischen Erzeugnisse aus Arborea zuschreiben 
sollen, muthet seinen Lesern, denn an Hörer kann da nicht gedacht 
werden, ein Mafs des Scharfsinns zu, mit welchem ausgerüstet man 
der Präpositionen und der Relatirpronomina nicht mehr bedurfte; 
er erlaubt sich — doch wohl in der Voraussetzung, irgend wer 
werde ihn verstehn — Inversionen in der Art der folgenden: 

Scolar neseiente di mio sento punto || Da te für 

Nesciente di mio punto sento scolar da te, d. h. 

‚Ungewils über mein Lebensende gedenke ich zu scheiden von dir. 
Das Verständnifs auch dieser Stelle verdankt man Herrn Pillito. 

Einige der Thatsachen, welche sich aus der Ächtheit der 
Denkmäler von Arborea ergeben würden und sich für die Heraus- 
geber auch wirklich ergeben haben, mögen zum Schlusse noch 
angeführt sein, jedoch ohne dafs weitere Erörterungen daran ge- 
_ knüpft werden. 

Im 7. Jahrhundert hat der König Jaletus die Verwendung 
der auf ipse beruhenden Formen des bestimmten Artikels in Sar- 
dinien eingeführt, nachdem bis dahin (wie in den andern romani- 
schen Ländern) auf :lle zurückgehende Formen in solcher Stellung 
gebraucht worden waren. 

Im 13. Jahrhundert arbeitet ein Sarde eine Geschichte seiner 
Sprache aus, nachdem er, um sich dafür zu befähigen, lange und 
kostspielige Reisen auf dem Continente gemacht und Sprachdenk- 
mäler gesammelt hat, die er unter Angabe des Jahres ihrer Ab- 
fassung seinem Werke einverleibt; er spricht darin die Ansicht aus, 
die italiänische, die französische, die provenzalische und die spa- 
nische Sprache seien mit der sardinischen Eines Ursprungs und 
im Grunde Eins mit der römischen lingua rustica. 

Zu Anfang des 12. Jahrhunderts hat in Florenz eine Schule 
der Kunstdichtung bestanden, aus welcher fruchtbare Dichter her- 
vorgegangen sind; ein Sarde unter ihnen hat abwechselnd in der 
Sprache seines Meisters und in derjenigen seiner Heimat gedichtet; 
ein sehr gelehrter, d.h. mit dem Alterthum vertrauter Senese, der 


vom 31. Januar 1870. 89. 


ebenfalls der Schule angehört, hat „amore exarsus ob suam linguam 
italicam“ und „carmina latina spernens“ sich ausschliefslich der ital. 
Dichtung gewidmet; namentlich er hat in formvollendeten, kunst- 
reichen, an Kraft des Ausdrucks und Bedeutung der Gedanken bis 
auf Dante nicht erreichten Gedichten eine glühende Liebe zum 
italiänischen Gesammtvaterlande, einen tiefen Schmerz über die 
odii ver cittadi germane niedergelegt, zur Verbrüderung gegenüber der 
Fremdherrschaft aufgerufen. Weder von ihm jedoch, noch von der 
ganzen Dichterschule hat bis 1847 irgend ein Mensch das Geringste 
gewulst mit Ausnahme jener Liebhaber des 15. Jahrhunderts, 
welche schweigend abschrieben, was damals noch aufzutreiben war. 
Es ist namentlich Dante die Existenz jener Dichterschule durchaus 
unbekannt geblieben, ihm, der so eifrig nach Allem forschte, was 
an Kunstdichtung in romanischer Zunge vor ihm geschaffen wor- 
den war, der das Gedicht des Vincenzo d’Alcamo, der die Werke 
der sieilischen Schule, die der bolognesischen Dichter, der die 
Mundarten aller Landestheile kannte und mit stolzer Freude hin- 
wies auf die vor ihm oder neben ihm gemachten Versuche, eine 
Sprache italiänischer Kunstdichtung zu pflegen. Wenn indessen 
Dante jener trefflichen Vorgänger nicht ausdrücklich gedenkt 
und keine Stelle ihrer Werke anführt, so soll er nach der Ansicht 
der Herausgeber, welche sich die Beredsamkeit seines Schweigens 
nicht zu verhehlen scheinen, dieselben doch im Sinne gehabt haben, 
wenn er Vita Nova c. 25 sagt, weiter als 150 Jahre aufwärts 
könne man die Spur der Dichtung in lingua volgare nicht ver- 
folgen. Da nun von den bisher bekannten ital. Gedichten keines 
um 150 Jahre älter sei als die Vita Nova von 1291, so müsse Dante 
beim Niederschreiben dieser Worte an jene älteste, erst jetzt wie- 
der bekannt gewordene Dichterschule seiner Heimat gedacht haben. 
Der Dante’sche Satz: noö non troviamo cose dette anzi il presente 
tempo per CL anni, darf jedoch nicht ohne seinen Vordersatz eitirt 
werden, welcher lautet: se volemo cercare in lingua d’oco e in 
lingua di si, und welcher ihm die ganze ihm zugeschriebene Be- 
weiskraft nimmt. 

Das Vorstehende dürfte genügen, um die Verwerfung der 
arbor. Denkmäler vom Standpunkte der Sprachbetrachtung und der 
literar- historischen Erwägungen zu rechtfertigen. Dafs die Sar- 
dinier sich in diesen Zeugnissen ihrer Cultur als ein Volk dar- 
stellen, welches Interessen hegt, für die dem gesammten übrigen 


90 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Abendlande in der nämlichen Zeit jeder Sinn abgeht, als ein Volk, 
welches andererseits unberührt, geblieben ist von dem, was die 
übrigen Völker des Mittelalters erfüllt, dafs nirgends eine naive 
Anschauung, vorherrschend moderne Gedanken in künstlich. unge- 
lenkem Ausdruck ‘sich darin wahrnehmen lassen, würde nicht 
schwierig darzuthun sein, würde aber mehr Zeit und eine  ausführ- 
lichere Darlegung erheischen, als man solchem Gegenstande gern 
zuwendet. 


Adolf Tobler. 


Anlage.C. 


Wenn es leicht erscheint, den Inhalt der sogenannten „Perga- 
mente und Papiere vou Arborea*, was die Geschichte Sardiniens 
im. Mittelalter anlangt, als einen einzigen grolsen Anachronismus 
zu erkennen, durch. welchen der Insel ein vormaliger Kulturzustand 
beigelegt wird, wie er selbst heute höchstens als Ziel patriotischer 
Wünsche vorhanden ist, so fällt es doch schwer, die Erdichtungen 
nn Einzelnen als; solche zu erweisen. An ‚eigentlichen Urkunden 
gebricht es in dem ‘Funde; ‚gleichzeitige, wohldatirte, sich für 
authentisch gebende Aufzeichnungen sind überhaupt selten; das 
auswärtige Element der sardischen Geschichte, wo eine Kontrole 
bald ausführbar wäre, tritt völlig in Schatten gegen das einheimische. 
Wer aber den bisher so lückenhaften Zustand. des letzteren kennt, 
wird einräumen, dafs es einer positiven Gesammtdarstellung des 
historisch : Echten  bedürfte, um ‚das Falsche nachhaltig. zu ver- 
drängen. : Zudem ist, wie Freund und Feind bekennen muls, die 
Stellung der Papiere von Arborea eine solche, dafs, wenn sie eine 
Fälschung sind, dieselbe nur auf Grund von Manno’s. ‚storia di 
Sardegna und der früher. schon bekannten, zum Theil. aber erst 
jetzt in Toia’s Codex diplomaticus abgedruckten Urkundenschätze 
von Cagliari gemacht sein. kann.. Wie .oft. hebt; nieht der fleilsige 
und durchaus ehrlich für seine pergamene begeisterte Herausgeber 
Pietro Martini die Übereinstimmung derselben sogar. mit Manno’s 
blofsen Vermutbungen freudig hervor! Meine Aufgabe soll ‘es hier 
sein, die Unechtheit. der Documente, die Ja bekanntlich mit einan- 
der stehen und fallen, an einem auffallenden Beispiele darzuthun, 
an einem andern aber den, Grad der von dem Verfasser bei Be- 


vom 31. Januar 1870. 91 


nutzung Seiner modernen Materialien angewandten Kritik aufzu- 
zeigen. ‚Ich greife in die Zeit der Saracenenkriege des 11. Jahr- 
hunderts, weil eben’ für diese neuerdings durch die Publicationen 
Amari’s von arabischer und Bonaini’s von pisanischer Seite her 
neues, von Manno ungeahntes Licht gewonnen ist. 

Unter den auf die Saracenenkämpfe nach. dem Jahre 1000 
bezüglichen Stücken macht, aufser der sardischen Marseillaise des 
Ilfredico vom Jahre 1001, Anspruch auf Gleichzeitigkeit dem In- 
halte nach nur die Instruktion seines Bruders Umberto, Erzbischofs 
von Cagliari, für seinen Gesandten nach Genua und Rom (Per- 
gamene p. 475), ein um so interessanteres Document, als dadurch 
beiläufig die Abstammung des Hauses Savoyen von den alten Kö- 
nigen Italiens uns offenbart worden. Die Datirung desselben durch 
Martini ‚auf circa 1020 ist nach dem Gesammtinhalt der pergamene 
unwiderleglich: es muls den ersten Lustren des 11. Jahrhunderts 
angehören; die Entzifferung der unerhörten Abbreviaturen durch 
den gewandten Pillitu ist ebenso überzeugend wie überraschend. 
Leider findet sich 'jedoch ‘unter den wenigen 'für Jedermann les- 
haren Stellen der Passus: reliquis. vero consulibus distincte salutem 
dic cum ‚amoris vinculo, woraus sich gleichzeitig für das vorauf- 
gehende Co. Raineum unzweifelhaft die Lösung consulem Rainerium 
ergiebt. Mit einem Worte: die Consularverfassung, deren Entstehung 
in Genua bekanntlich in die letzten Jahre des 11. Jahrhunderts 
fällt, ist hier um 70 Jahre vorausdatirt. Ich beziehe mich neben. 
dem 5. Abschnitt, Bd. II, von Hegel’s Geschichte der Städtever- 
fassung besonders auf die neuere Arbeit von Ad. Pawinski: „Zur 
Entstehungsgeschichte des Consulats in den Communen Nord- und 
Mittel-Italiens* (Berlin 1867), wo gerade die genuesischen Ver- 
hältnisse sorgfältig erörtert sind und insbesondere auch die Irr- 
thümer Raggio’s in den Anmerkungen zu den. Statuta Consulatus 
von 1143 (Mon. Hist. Patr. Leg. Muncp. T. I, p. 254, 262, 263, 
289) ihre Erledigung finden. Vielleicht hat eben der. Vorgang 
Raggio’s unseren Schreiber von Arborea sicher gemacht; denn, 
gab man einmal: für 1039 Consuln in Genua zu, so kam es auf 
20 Jahre früher auch nicht an; oder er folgte dem Beispiele des 
‚Breviar. Pisan. 'histor. (Muratori SS. VI, 'p. 167), das ihm auch 
sonst unverfänglich erschienen. ist und das sich hier ebenfalls bei 
der Anführung pisanischer Consuln und des Bischofs Lambert 
unter 1017 um 70. Jahre vergriffen hat. 


92 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Wenn dies Beispiel ein falsum darthut, welches doch auch 
dem 15. Jahrhundert zugesprochen werden könnte, so wird die 
folgende Kritik der Geschiehte des Königs Museto, wie sie aus 
den Papieren von Arborea hervorgeht, die Zeit ihrer Abfassung 
näher bestimmen lassen. Ich befinde und befand mich hierbei fast 
in völliger Übereinstimmung mit Amari, noch ehe seine treffliche 
Darstellung zuerst in der Nuova Antologia, Maggio 1866, erschien; 
zugleich mache ich im Folgenden Gebrauch von brieflichen Mit- 
theilungen des rühmlich bekannten Kenners pisanischer Geschichte, 
Herrn Theodor Wüstenfeld in Göttingen. Leider muls ich weit 
ausholen, um zum Ziele zu treffen. 

Dafs Fälschungen in der Geschichte Mog£hid-ibn-Abd-Allah's, 
Herrn von Denia, des den Italienern als König Museto bekannten 
Eroberers von Sardinien, schon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts 
sich finden, dafs sie nachher von Jahrhundert zu Jahrhundert in’s 
Enorme wachsen, ist natürlich: seine Vertreibung von dort durch 
Pisaner und Genuesen 1015—16 legte den Grund zu dem rivali- 
sirenden Streben beider Communen nach der Herrschaft über die 
Insel. Mit dem wachsenden Kampfe beider darüber mufste patrio- 
tische Tradition und patriotischer Betrug immer emsiger jene grund- 
legende That auszuschmücken, deren Verdienst sich allein beizu- 
messen, die vorwiegende oder ausschliefsliche Berechtigung der 
Vaterstadt daraus abzuleiten suchen. Eine vergleichende Betrach- 
tung der pisanischen Quellen, wie sie erst jetzt durch Bonaini’s 
Editionen (Archiv. stor. VI.) möglich ist, thut das überzeugend dar. 
Die ältesten beiden Quellen, Lorenzo Vernese’s Gedicht von 
ce. 1114 und Marangone’s Chronik aus der zweiten Hälfte des 
12. Jahrhunderts sind durch eine weite Kluft von den späteren 
getrennt. Jener schrieb über König Musetus gerade ein Jahrhun- 
dert später aus mündlichen pisanischen und sardischen Traditionen; 
Marangone nahm seine Notizen für die ältere Zeit, wie sich auf 
den ersten Blick ergiebt, aus älteren, vor 1135 verfalsten Auf- 
zeichnungen. Wer aber die Jahre 1004—1136 bei ihm mit den 
bei Baluze Miscell. I, 130 und bei Muratori VI, 107 abgedruckten 
Chroniken vergleicht, wird gewifs mit Wüstenfeld, was sich dort 
übereinstimmend über Pisa selbst für die Jahre bis 1099 findet, 
auf gleichzeitige, authentische, überall pisanisch datirte, um 1099 
abgeschlossene Aufzeichnungen zurückführen, welche dann mit einer 
Reihe von Kaisern und irgend einer beneventanischen Chronik in 


vom 31. Januar 1870. 93 


eine Art Annalen verarbeitet, einmal von einem Kanonikus in Lucca 
abgeschrieben und dort deponirt (daher Baluze), ein andermal in 
Pisa selbst durch Notizen bis 1135 erweitert worden (daher Mura- 
tori). Demnach dürfen wir also Marangone’s Daten von 1004—99 
als älteste, sicher dem 11. Jahrhundert selber angehörige Nach- 
richten ansprechen. 

Nun finden sich aber Lorenzo’s Gedicht wie Marangone in 
Bezug auf die beiden Kriegszüge Pisa’s nach Sardinien gegen Mo- 
gehid von Denia von 1015 u. 16 (denn dafs Lorenzo diese Jahre 
meint, hat nie Jemand bestritten) mit den arabischen Quellen über 
dieselben Ereignisse, die uns Amari kennen gelehrt, vornehmlich 
mit Ibn-el-Athir, in einer Harmonie, wie man sie bei gegnerischen 
Schreibern zu finden erstaunen mufs. Wie sollte man ihnen da 
nicht auch darin Glauben schenken, dafs nach 1016 weder ein 
fernerer Kampf mit Mogehid, noch überhaupt ein Saracenenkrieg 
auf und um Sardinien stattgefunden hat? Marangone zwar sch weigt 
nur, aber sein Schweigen ist gewichtig, da er sowohl jene Züge 
von 1015 u. 16 wie die späteren Exkursionen nach Afrika und 
Spanien von 1035, 1087, 1113—14 treulich berichtet. Ibn-el-Athir 
jedoch läfst nicht nur, wie seine Landsleute alle, Mog£hid in Spa- 
nien weiter leben und sterben, sondern versichert kurz und bündig, 
dafs seit 1016 Sardinien niemals wieder von Saracenen angegriffen 
worden sei. Zum selben Resultate führt uns Lorenzo, wenn er 
‚ von jenem Kampfe die Sicherheit der Sarden und die Unterthänig- 
keit ihrer Könige unter Pisa datirt und wenn er andrerseits die 
Rückgabe des gefangenen jungen Ali an den Vater und das von 
daher durch Generationen fortlebende höchst freundschaftliche Ver- 
hältnifs zwischen den Albizoni von Pisa und Mogehid sammt sei- 
nem Hause beschreibt. Dies ist so gewils wie irgend ein Theil 
der Darstellung Lorenzo’s, denn hiervon geht er aus; die ganze 
Geschichte Mog£hid’s dient nur zur Erläuterung der eben jetzt 
1113 dem Pietro Albizoni seitens des Herrschers von Majorka ge- 
machten Eröffnung. Doch genug: aus der Vergleichung unserer 
drei trefflichen Quellen ergiebt sich für Jedermann mit Sicherheit, 
dafs 1016 der letzte Streit um Sardinien mit Mog£hid ausgefochten 
ist. Was andererseits die Ereignisse vor 1015 betrifft, wo Maran- 
gone zu 1004 (ich vulgarisire stets die era pisana) lakonisch die 
Einnahme Pisa’s durch Saracenen, und zu 1011 die Zerstörung 
der Stadt durch einen spanischen Heereszug erwähnt, so könnte 


94 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sich "hier fragen, ob nicht diese Unthaten, besonders die letztere, 
dem nämlichen Mog£hid zur Last zu legen, und ob. nicht auch 
Sardinien dabei berührt worden sei? Beides ist ebenso  wahr- 
scheinlich, als eine persönliche T'heilnahme Mog£hid’s daran uner- 
weislich, während eine wirkliche Eroberung der Insel in jenen 
Jahren aus unseren drei Gewährsleuten entschieden verneint wer- 
den muls. 

Das 11te Jahrhundert über befand sich Pisa im wenig bestrit- 
tenen Besitze des sardinischen Handelsmonopols (denn von andrer 
Herrschaft kann damals keine Rede sein); erst mit dem Beginne 
des 12ten tritt ernste Concurrenz von Seiten des aufblühenden 
Genua ein. Was man sich erkämpfen wollte,' suchte man sich 
auch historisch zu vindieiren; daher die erste ruhmredige Lüge der 
Genuesen gegen Barbarossa 1164 über die Gefangennahme Muse- 
to’s durch ihre Väter. Ganz andere tendenziöse Erdichtungen ent- 
hält dann schon das von Michael de Vico 1371 copirte Breviarium 
Pis. hist.; das jedoch seinem Inhalte nach, da es! vor. 1270 abbricht, 
dem dritten Viertel des 13ten Jahrhunderts, einer Zeit erneuten 
heftigen Streits um Sardinien angehört! In welchem Sinne hier 
der zu Grunde liegende Text Marangone’s gefälscht ist, leuchtet 
ein, wenn man die Jahre 1015 u. 16 betrachtet. : Die Schenkung 
der Insel an Pisa durch Papst Benedikt ist eine sehr unglückliche 
Nachbildung der geistlichen Unterwerfung Sardiniens unter das pi- 
sanische Bisthum durch Urban IH., die Kreuzpredigt' auf Geheils. 
Benedikts ist nach der echten des Paschalis von 1113 ‚ersonnen; 
“der imaginirten Consuln und’ des Bischofs Lambert ist schon oben 
gedacht worden. Dafs die Genuesen 1016 den Streit begonnen 
haben, nimmt dann nicht Wunder zu lesen. Wenn so die wirklich 
beglaubigte Unternehmung jener Jahre verunstaltet ist, so richtet 
sich die Wiederkehr und abermalige Vertreibung Mog£hid’s 1020 
und die zweite Rückkehr und Gefangennahme desselben Mannes, 
der doch in Wahrheit 1044 in Spanien starb, im Jahre. 1049. von 
selbst als: baares Märchen. Es ist einfache Multiplikation, wie 
denn.zw.1049 auch: noch einer.neuen päpstlichen Schenkung ge 
dacht wird, während den Centesen zu 1020 diesmal Habsucht an- 
gehängt wird, vermöge deren sie sich vorher den Schatz des Fein- 
des ausbedingen, den sie auch erhalten. Dies alles wie auch den 
‚von. den  Pisanern bekämpften Araberzug über Cagliari bis. vor 
Rom von 1001 wird ‚der Urtheilsfähige; die echten Quellen im 


vom 31. Januar 1870. 95 


Auge, nicht etwa für halb wahre, anderweit entlehnte Kunde, son- 
dern für freie Dichtung oder bewufste Erschleichung halten müssen. 

Ich mufs es mir versagen, den von Jahrhundert zu Jahrhun- 
dert vergröfserten und vergröberten Mythos vom 'Könige Museto 
weiter durch Ranieri Sardo und Benvenuto da Imola bis zu Ron- 
cioni und Tronci oder bis zu Lorenzo Bonincontro zu verfolgen; 
es ist eine der prächtigsten historischen Staublawinen, die man 
fallen sehen kann, bis denn am Ende die Wahrheit ganz verdun- 
kelt, ein halbes Jahrhundert von 10001050 mit dem Namen 
Mog£hid’s erfüllt, durch das in’s Ungeheure verzerrte Bild zweier 
kurzer Sommerfeldzüge bedeckt wird. 

Heut freilich nach Bonaini’s Publikationen, nach Amari’s Ar- 
beiten, durchschauen wir die Sache leicht; früher aber war es an- 
ders. Bewundern mufs man hier wie überall Muratori, der ohne 
unsere Hülfsmittel in seinen Annali schon hie und da seine Be- 
denken über die Wiederholungen des Breviarium äufsert, das für 
ihn doch noch fast originalen Werth besitzen mulste.. Auch Manno 
verfährt nicht‘ ‘ohne Vorsicht, allein er schwankt döch unentschie- 
den zwischen Glauben und Zweifeln dahin; das Verhältnifs seiner 
Quellen zu studiren hat er unterlassen. Und auf dem Standpunkte 
blieben dann die sardischen Gelehrten so ziemlich stehen. Was 
sie nach Muratori’s und Manno’s Vorgang eifrig und glücklich be- 
kämpften, waren ‘die Theorieen Benvenuto’s u. Andrer über den 
pisanischen Ursprung der Judikate und die damit eng zusammen- 
hangende Vorstellung einer vorhergehenden längeren Araberherr- 
schaft etwa vom 9ten bis ins -L1te Jhdt.; überhaupt ermäfsigten 
sie die ‚Überschätzung der pisanischen Oberhoheit mit Erfolg. In 
Bezug auf die Saracenenkämpfe aber verfährt noch 1861 Tola im 
Codex p. 139 ganz eklektisch, arglos Tronci und Folieta. neben 
den alten Chroniken citirend. Und so vertheidigt auch im selben 
Jahre Martini in seiner storia delle invasioni degli Arabi den Inhalt 
der pergamene d’Arborda mit unbefangenem Gleichmuth aus Bonin- 
contro wie aus Marangone, aus Tronei und Roneioni nicht minder 
als aus Ibn-el-Athir; jeden Beleg begrüfst ‚er mit gleicher Freude, 
‚jeden Widerspruch mit der Quelle ersten oder letzten Grades hält 
‚er für gleich unerbeblich. Kein Wunder denn also, dafs mit. glei- 
‚cher Naivetät wie. der hochverdiente aber verblendete. Vertheidiger 
"auch der unbekannte Verfertiger der 1845 — 64 hervorgezogenen 
pergamene verfahren ist. Ein Dokument wird hinreichen, das zu 


96 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


erhärten; wir wählen die „Breve historia de su ree Musetu in ssa 
Africa* (cd. cart. 5). Sie ist angeblich ein Auszug aus dem be- 
rühmten Geschichtswerk Mater Sardinia cognita des Jorgiu de La- 
con, welches dieser in der zweiten Hälfte des 13ten Jhdts. und 
zwar aus sardischen gleichzeitigen Chroniken und andern Aufzeich- 
nungen zusammengestellt hatte. 

Schon die Überschrift erregt unser Erstaunen. Wie? Museto 
König in Afrika? In der That wird er auch in der Geschichte 
selber als Afrikaner behandelt. Die gleichzeitigen Sarden lebten 
also alle im Irrthum über die Heimath ihres Drängers! Mit vor- 
sorglicher Angst sahen sie zwar mehrere Male richtig seiner Wie- 
derkehr entgegen, von wannen er aber wiederkommen mulste, blieb 
ihnen verborgen! Lorenzo Vernese giebt völlig genau die Heimath 
Museto’s als Denia und die Balearen an; die sardischen Fürsten, 
die 1113—14 mit den Ihrigen den pisanischen Zug nach den 
Balearen mitmachten, mufsten da so gut wie Lorenzo die Wahr- 
heit erfahren, mufsten sie daheim mittheilen — sie war wichtig 
genug — mindestens einige der vielen sardischen Chroniken, welche 
Jorgiu de Lacon durehstudirte, mufsten sie aufnehmen. Doch wozu 
ein Weiteres? Die Sache liegt einfach: Marangone schon und 
überhaupt die kurzen pisanischen Noten lassen Mog£hid 1016 nach 
Afrika fliehen. Gewifs ein Irrthum, aber zum Afrikaner ward er 
so doch noch nicht, das geschah erst dadurch, dafs sein Name von 
einigen später mit dem Zuge der Pisaner von 1035 gegen das 
afrikanische Bona in Verbindung gebracht ward. Von Sardo aber 
bis auf Manno, ja bis Tola blieben die Neueren bei dem Irrthume, 
nur Roncioni entnahm aus seinem Lorenzo Vernese die wahre 
Heimath Museto’s und vor Amari wies schon 1845 Wenrich (Res 
ab Arabibus gestae) nach den Balearen. Diesen kannte der Ver- 
fasser der pergamene wohl nicht, oder er hielt sich an seinen 
Manno und verachtete selbst die Autorität Lorenzo’s. So hat er 
durch eigenen verzeihlichen Irrthum seinem angeblichen Autor 
einen unverzeihlichen in die Schuh geschoben. Doch weiter! Über 
den Inhalt kann ich mich sehr kurz fassen. Sechs Einfälle Mo- 
gehid’s in Sardinien werden aufgezählt, 1000, 1002, —1012, 107, 
1022, 1050—52 (?), fünf Mal wird er verjagt, das sechste gefangen. 
Die Pisaner sind bei den fünf letzten Feldzügen betheiligt, die 
Genuesen nur beim vierten und fünften; anno 1000 kämpfen die 


sardischen Heroön allein, beim letzten Strauls dagegen auch sogar 


vom 31. Januar 1870. 97 


christliche Spanier, die wir sogleich näher untersuchen wollen. 
Rachezüge gegen Pisa unternimmt Mog£hid nach 1002 und nach 
1012; der Papst (immer ungenannt) fordert zum dritten, vierten 
und sechsten Zuge auf. Während es nach der von uns gewonnenen 
Anschauung der Quellen keinen Augenblick zweifelhaft ist, dafs 
wir es mit einer Compilation verschiedener pisanisch datirter Ereig- 
nisse zu thun haben, welche aus Zeiten bereits hoch entwickelter 
Museto-Fabel stammt, müssen wir jedoch gleich bemerken, dafs 
nichts von päpstlichen Privilegien für Pisa bei unserem Autor zu 
lesen ist und dafs bei aller Anerkennung pisanischer Hülfsleistung 
doch die Thaten und Leiden der Insulaner den Hauptstoff der 
Erzählung bilden und natürlich darunter viel bisher aus auswär- 
tigen Quellen gänzlich Unbekanntes zum Vorschein kommt. Wenn 
Jorgiu de Lacon hierin Farbe bekennt, so erscheint doch die Auf- 
nahme eines Zuges rein pisanischer Überlieferung in die sardische 
Erzählung als höchst ungereimt, ich meine die des Vertrages zwi- 
schen Pisanern und Genuesen wegen Tiheilung der Beute. Im 
Breviarium steht zuerst die Nachricht, dafs die Genuesen den 
Schatz des Königs erhalten, weil sie anders nicht hätten mitziehen 
wollen; offenbar sind sie hier als habsüchtig gebrandmarkt gegen- 
über den Pisanern, die ohne Beutegier in den heiligen Kampf 
gehen. Bei Sardo und Benvenuto ist diese Geschichte so umge- 
wandelt worden, dafs die Städte vorher einen Vertrag schliefsen, 
wonach Genua die bewegliche Beute, Pisa der Besitz des Landes 
selber zufallen sollte. Diese Anekdote des 14. Jahrhunderts, die 
besonders bei Benvenuto vortrefflich zu der von ihm erzählten 
sofortigen Besitznahme und Eintheilung des Landes durch die Pi- 
saner palst, steht mit den erlogenen päpstlichen Schenkungen völlig 
auf einer Linie, nur dafs sie zugleich thörichter und boshafter 
ausgedacht ist. Es gewährt eine deutliche Vorstellung von der 
kritischen Gabe des Erzählers von Arborea, wenn er die Vertrags- 
fiktion ebenso ausführlich seinem Fabrikate eingeflochten, wie er 
die päpstlichen Schenkungen daraus ferngehalten hat. Das Motiv 
jedoch leuchtet ein: die letzteren thaten der Idee der sardischen 
Unabhängigkeit Eintrag, auch sind sie längst ernstlich bestritten 
worden; der Vertrag schien weniger bedenklich, ja durch eine neue 
Motivirung, welche die pisanische, von den Genuesen niemals aner- 
kannte Fabel zum genuesischen Produkt umstempeln müfste, wird 
sogar Anlafs gegeben, die sardische Tapferkeit und ihren Ruf zu 


[1870] | 7 


98 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


verherrlichen. Der Vertrag wäre danach eine pfiffige List der 
Genuesen, um Pisa in gefährlichen Krieg mit den Sarden zu stür- 
zen und so ganz leer ausgehen zu lassen. 

Doch ich eile zum Schlusse. Der sechste Einfall Mog£hid’s 
aus der Mitte des 11. Jahrhunderts (1050 oder 51) soll mir dienen, 
unserm Fälscher noch mehr in die Karten zu sehen. Die Erzählung, 
die er hier giebt, basirt durchaus auf der des sogenannten Lorenzo 
Bonineontro, eines angeblichen Schriftstellers des 15. Jahrhunderts, 
‚den Gaietani zuerst 1638 bekannt machte; wir finden den betreffen- 
den Passus dann wieder abgedruckt bei Muratori SS. IH, 1, p. 401. 
Bonineontro erzählt den zuerst im Breviarium auftauchenden Museto- 
Krieg von 1049 (50 oder 51) in origineller Weise: nicht der Staat 
Pisa, sondern eine Anzahl pisanischer Nobili unternehmen wegen 
Ermattung der Gemeinde auf Privatfaust den Zug und theilen nach 
dem Siege die Insel unter sich und ihre Genossen von Genua efc.; 
die Eintheilung wird genau verzeichnet. Schon Manno wies auf 
die viel, zum Theil Jahrhunderte spätere Festsetzung der einzelnen 
edlen Häupter in den bezeichneten Distrikten hin. Das ganze 
Machwerk ist interessant, weil das Prinzip, späteren Besitz durch 
erdichtete historische Rechtsansprüche zu bekräftigen, das man so 
lange für den Staat Pisa hatte walten lassen, hier auf die einzelnen 
Familien übertragen ist. Unser Chronikant hat sich, durch Manno 
gewarnt, vor der Wiedergabe der ihm ohnehin fatalen pisanischen 
Familien-Legenden gehütet, alles Andere aber nimmt er ruhig von 
Bonincontro herüber, begeht dabei aber böse Fehler. Der Wjährige 
Musettus, seine Gefangennahme und sein Tod im Kerker zu Pisa 
macht ihm keine Sorgen, weil er die arabische Notiz von Mog£hid’s 
"Wode 1044 nicht kannte. Wenn aber Bonincontro sagt: Musettus 
Africae rex ingenti navium apparatu e& Hispania movens, so erkennen 
wir darin eine schlechte Combination der wahren spanischen Hei- 
math und der falschen afrikanischen des Saracenen. Was macht 
der Arborese daraus? Ihm ist Museto zweifellos Afrikaner, er 
verändert daher den Aufbruch von Spanien in Hülfsleistung spani- 
scher Mauren. Aber noch mehr: unter den erlauchten Theilnehmern 
an der Eroberung und Theilung Sardiniens erscheint bei Lorenzo 
ein Bernardus Centilius Comes Modicae Hispani generis, der nach- 
her in dem Theile Sardiniens juxta Sawerim angesiedelt wird. 
Christliche Grafen von Modica im Val di Noto gab es 1050 lange 
vor der normannischen Eroberung überhaupt nicht; eine spanische 


vom 31. Januar 1870. 99 


Familie kann die sicilische Grafschaft erst unter den Aragonesen 
erhalten haben. Im-15. Jahrhundert wird dann unter der arago- 
nischen Herrschaft über Sardinien das ehemals spanische Grafen- 
geschlecht von Modica Grundbesitz in der Gegend von Sassari 
erworben haben. Dem zu Ehren ist dann sein Ahn Bernardo 
Centilio neben die der Gherardeschi, Malaspina u. s. w. in’s Jahr 
1050 hineingedichtet worden. Seine Person erschien unserm Fäl- 
scher weniger bedenklich, als die Nobili Pisa’s und Genua’s. Aber 
die spanische Abstammung des sieilischen Grafen verdreht er aus 
Willkür oder gar aus Unkenntnifs der Lage Modica’s so, dafs 
Graf Bernhard ein wirklich spanischer Graf wird und mit Ispaniolos 
bemannte Schiffe herbeiführt, mit denen er auf die Saracenenjagd 
ausgezogen war. 

Ein frappantes Zeugnifs für die Benutzung Manno’s legt end- 
lich, um anderer zu geschweigen, die Schlufsnote ab, die unserer 
historia de su ree Musetu angehängt ist. Manno hatte besonders 
gegen den Zug von 1050 überhaupt die stärksten Zweifel nicht 
unterdrückt; die 50jährige Dauer der Raubzüge Mog£hid’s schon 
allein entlockte ihm dann wenigstens die zaghafte und freilich sehr 
unglückliche Vermuthung, dafs hier von einem andern Museto die 
Rede sei, Sohn oder Enkel, ‘wie auch Martini meinte (vgl. storıa 
delle invas. pag. 154). Hätte Manno damals die echten Quellen 
der Geschichte des Königs gekannt, die uns vorliegen, er würde 
freilich um der Erklärung eines Märchens willen keine Conjektur 
gemacht haben. Unser Arborese nun adoptirt beides, die Zweifel 
wie die Ausflucht Manno’s; in der Anmerkung aus dem 15. Jahr- 
hundert legt er dem sardischen Historiker Ferdinandus de Fonte, 
einer unbekannten Figur vielleicht des 14. Jahrhunderts, den Zweifel 
in den Mund, einer gelehrten arboresischen „comissio deputata 
super tramsumptis chronacarum“ aber aus dem 15. Jahrhundert die 
Vertheidigung des Y0jährigen Museto, der im Texte figurirt; zu- 
gleich aber hat die Commission auch die Frage wegen eines zweiten 
Museto ventilirt, ist aber so wenig wie 500 Jahre später Manno 
zur Entscheidung gekommen. 

Wenn man diese wenigen Bemerkungen über die historia de 
su ree Musetu zusammenfafst, ergiebt sich klar, dafs dieselbe ein 
ganz modernes Machwerk ist, das ohne Kritik die nun durch 
neuere Forschungen weit überholten Ansichten Manno’s zur Grund- 
lage hat, zum Theil aber auch, wie in der Benutzung einzelner 

ne 


100 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


spätpisanischer Erdichtungen, die Besonnenheit des verdienten sar- 
dischen Historikers ganz aufser Acht lälst, hierbei aber mit mehr 
oder weniger Geschick die pisanischen Elemente der Fabel durch 
nationale zu ersetzen sucht; eine Tendenz, welche die gesammten 
pergamene d Arborea gleichmäfsig beherrscht, auf Kosten der con- 
tinentalen Eroberer Römer, Germanen, Byzantiner, Araber, Italiener, 
Aragonesen den sardischen Ruhm zu verherrlichen. 


Alfred Dove. 


Anlage D. 

Die Unechtheit der Inschriften, welche Martini aus den 
angeblichen Notizbüchern eines im J. 1510 verstorbenen Notars 
Michael Gilj $. 429 fg. abgedruckt hat, ist.schon von dem er- 
sten Herausgeber derselben, dem verdienten Alberto la Marmora, 
späterhin zugegeben und ebenso von mehreren anderen der ein- 
siehtigsten Turiner Gelehrten, unter denen ich Domenico Promis 
nenne (das. $. 521), ausdrücklich anerkannt worden. Dafs spätere 
Funde den Inhalt derselben bestätigten und weiter ausführten, so 
Martinis Papierhandschrift N. 4 die Inschrift N. 3 (Martini S. 434) 
und Martinis Papierhandschrift N. 3 die Inschrift N. 6 (Martini 
S. 436), kann nur auf diese Papierhandschriften selbst ein ungün- 
stiges Licht werfen; an der Thatsache der Fälschung selbst wird 
dadurch nichts geändert. Dieselbe steht sachlich und sprachlich 
vollständig fest. Namenbildungen wie Marcus Florus Sem. J 
Marcus Restitutus — dieser ein Statthalter von Sardinien! —, 
Atilius Luei f., welcher zugleich ein Freigelassener des Servius 
Secundus ist; eine Orthographie wie moerentes; Redewendungen 
wie orator Cornensis, qui in Tonalum Turr(itanum)  oratio(nem) 
hab(uit); wie suae uxoris cineribus se iunzit; cuius erat libert(us) ae 
in suis (soll heilsen eius) negot(üs) geren(dis) fidus proc(urator); 
praeci(bus) suae sponsae Nerinae chrilstijanae in rest[itutio]ne templ& 
[Fo]rtunae die[ati o]peram suam praestalre recjusans zeigen auf das 
Evidenteste, nicht blofs dafs dies moderne Fabricate sind, sondern 
auch, dafs sie von einem Fälscher herrühren, der von römischer 
Sitte und römischer Sprache nicht das geringste Verständnifs hatte 
_ charakteristisch dafür ist insbesondere das durchaus nach dem 


vom 31. Januar 1870. 101 


modernen Italienisch angewandte Possessivum. — Sind sie aber 
falsch, so können sie nicht vor dem J. 1820 verfertigt sein. Denn 
obwohl wenigstens diejenigen Steine, die aus römischer Zeit sein 
sollen, so vollständig verkehrt sind, dafs im Ganzen genommen 
bei diesem Falsar nicht einmal von echten Mustern die Rede sein 
kann, so ist doch evident, dafs der Statilius von Turres, der auf 
Bitten seiner frommen sposa Nerina sich weigerte bei dem Wieder- 
aufbau des Fortunatempels mit Hand anzulegen, gefälscht ist in 
Veranlassung der bekannten Turritaner Inschrift über den Wieder- 
aufbau des templum Fortunae cum basilieis et columnis durch den 
Statthalter von Sardinien unter den Philippi M. Ulpius Victor. 
Diese Inschrift aber (della Marmora voy. en Sard. 2,479 n. 34) 
wurde zuerst bald nach ihrer Auffindung von Baille im J. 1820 in 
den Schriften der Turiner Akademie bekannt gemacht. Dafs der 
im J. 1510 verstorbene Notar Gilj bereits Gelegenheit gehabt hat 
sie zu lesen und sie für seine schlechten Scherze auszubeuten, ist 
schwer zu glauben. 

Noch in einer andern Hinsicht ist die .‚Epigraphik bei den 
Handschriften von Arborea betheilig. Die ehemals Garnerische 
als Anhang zu seiner Gesammtpublication von Martini im Jahre 
1865 herausgegebene Handschrift enthält acht der zwölf Biographien 
berühmter Sarden, welche angeblich Sertonius aus Phausanias (so!), 
der im Jahre 441 n. Chr. achtzigjährig starb, verfalst hat, die dann 
wieder aufgefunden wurden unter dem König Jaletus von Sardinien 
zu Anfang des achten Jahrhunderts und uns erhalten sind in einer 
Abschrift des funfzehnten. Die Masse der Ungereimtheiten und 
Unmöglichkeiten aller Art auseinander zu setzen, welche dieser 
sardinische Suetonius enthält, würde zu nichts führen, um so mehr, 
da die Ausrede ja vorgesehen ist, dafs hier am Ende des 5. Jahr- 
hunderts aus dem Volksmunde gemachte Aufzeichnungen vorliegen. 
Aber das Verhältnifs dieses Products zu den Inschriften neuester 
Findung darf nicht übergangen werden. Unter zahlreichen bisher 
unbekannten römischen Statthaltern Sardiniens, von denen die meisten 
schon durch die gänzlich unrömischen Namen (z.B. Marcus Elio, 
Jurgius Susinius, Gaius Nestor) sich hinreichend charakterisiren, 
“treten hier auch verschiedene bereits bekannte auf, insbesondere 
in der Biographie des Siphilio, eines dem Sertonius zufolge sehr 
berühmten sardinischen Philosophen, Vipsanius Laenas, der nach 
Taeitus (ann. 13,30) im Jahre 56 n. Chr. wegen Erpressungen in 


102 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


der Provinz Sardinien verurtheilt ward. Es heifst hier von ihm 
also (p. 25): habetur de Siphilione, quod ea tempestate, qua popularis 
tumultus Karali excitatus fuit, causa avaritie cuwiusdam Vipsani Lene 
(Genetiv!) presidis ipse, iuvenis licet annorum XXX VII, atamen suorum 
concivium animos sedavit, spondens se ad consulem Quintum Volusianum 
amicum suum rescripturum — Dies ist Q. Volusius, Consul aller- 
dings in demselben Jahr nach Angabe desselben Taeitus 13,25. 
Nee spem fefellit eventus, fährt Sertonius fort, nam ut Nero rescivit, 
exilio Vipsanium damnavit, worauf dann Siphilio einen Tractat 
schrieb unter dem eleganten Titel de modo quo iniurie reparande. 
Als Nachfolger dieses Vipsanius wird weiter genannt C. Caesius 
Arpius, und zwar in folgender Randnote: guod (die genannte Schrift) 
©. Cesio Arpio iustissimo ac omestissimo Sardinie proconsule, qui balnea 
portus itinera teatra ac similia alia restauravit ac auwit teste Marcobo 
ac Melchiade, dicavit. Ohne Zweifel ist kein anderer gemeint als 
C. Caesius Aper, der nach Inschriften im Jahre 60 Cohortenpräfeet 
und später kaiserlicher Statthalter (legatus pro praetore) von Sar- 
dinien gewesen ist. Dies wies Borghesi in: Bullett. del!’ Instituto 
1356 $. 140 f. nach, wo die Inschrift von Sestinum, aus der Apers 
Statthalterschaft von Sardinien uns .bekannt ist, zum ersten Male 
gedruckt ward; Borghesis Aufsatz wurde bald darauf von dem 
verdienten Spano Bull. archeol. sardo IV (1355) p. 181 wieder- 
holt. — So liegt der Thatbestand, auf den man sich häufig berufen 
hat zum Beweise dafür, dafs positive Angaben der Handschriften 
von Arborea durch später gefundene Inschriften bestätigt worden 
sind 1). Es kommt dabei nur darauf an, dafs man sich über das 
‘später gefunden’ verständigt. Allerdings ist die Inschrift unstreitig 
um Jahrhunderte später gefunden, als die fragliche Handschrift nach 
Angabe ihrer Vertreter geschrieben ist, das heilst als das funfzehnte 
Jahrhundert. Indefs ist dies eben diejenige Handschrift — Vesmes 
n. III —, deren paläographische Beschaffenheit Hr. Jaffe oben S. 77 
gewürdigt hat; und ebenso unstreitig mangelt jeder Beweis dafür, dals 
die fragliche Randbemerkung vor dem Jahre 1856 von irgend einem 
glaubwürdigen Mann gesehen worden ist. Zwar sagt Vesme?): jino 


1!) Zunächst hierauf geht die defsfällige Äufserung Vesmes (oben 
S. 69). 


2) Nuove notizie intorno a Gherardo da Firenze. Bologna 1869 8. 10. 


vom 31. Januar 1870. 103 


dal 1850 era noto, e stato visto da parecchi, quel codice, che, acquistato 
poco dopo dal Signor Cesare Garneri, fu poscia da wi donato alla 
Biblioteca di Cagliari. Es ist in hohem Grade zu bedauern, dafs 
in einem solchen Fall, wo es sich um eine Fälschung handelt und 
dieselbe gewissenhafte Genauigkeit und strenge Feststellung der 
Thatsachen, wie sie im Criminalprozefs erfordert wird, auch von 
den an einer solchen literarischen Fehde Betheiligten gefordert 
werden darf und muls, die Vertheidiger der Pergamente über die 
wichtigsten Daten sich auf so allgemeine und so oberflächliche 
Angaben beschränken, wie beispielsweise dies 'visto da parecchi ist. 
Indefs dies ist ein Versehen mehr in der Form als im Wesen der 
Sache; in die Thhatsache selbst setze ich keinen Zweifel und bin 
überzeugt, dafs der — allerdings erforderliche —£ Beweis nachgeholt 
werden kann. Aber auch die Thatsache als vollständig bewiesen 
angenommen, so wird ihr jede Beweiskraft dadurch entzogen, dafs 
der fragliche Satz am Rande der Handschrift steht und von dem 
gewissenhaften Herausgeber selbst ausdrücklich als späterer Nach- 
trag bezeichnet wird. Nun steht aber keineswegs fest, dafs, wenn 
auch die Handschrift bereits 1850 vorhanden war, nicht noch nach- 
her es dem Fälscher möglich gewesen ist einzelne Blätter dersel- 
ben zu vertauschen oder wenigstens Nachträge an den Rand zu 
schreiben. Die wie fast alle diese Documente schwer zu lesende 
Handschrift hat sich längere Zeit in den Händen von Abschrei- 
bern befunden; wer bürgt uns dafür, dafs nicht einer von diesen 
der Fälscher ist oder mit dem Falscher in Verbindung stand? 
und was beweist die Existenz der Handschrift im Jahre 1850 
dafür, dafs damals auch schon jene Randbemerkung in derselben 
stand? Wenn am Rande eines Kaufbriefes ein ähnlicher Zusatz 
sich vorfände, welches Gericht würde darauf hin entscheiden? — 
Notorisch ist nur, dafs die Inschrift zuerst 1856, die handschrift- 
liche Notiz zuerst 1865 gedruckt worden ist und der Urheber der 
letzteren also gar wohl im Stande gewesen sein kann von jener 
Gebrauch zu machen. — Es wird hienach kaum noch erforderlich 
sein darauf hinzuweisen, dafs, wie schon aus Martinis Vorrede 
append. p. 14. 15 hervorgeht, dem Verfertiger des Garnerischen 
Codex auch noch zwei andere echte Inschriften neuester Findung 
vorgelegen haben, die des Isis- und Serapis-Tempels von Suleci (della 
Marmora 2, 479, Nr. 33), zuerst herausgegeben von Gazzera 1830, 
und die der Cornelia Tibullesia, zuerst herausgegeben von della 


104 Sitzung der phys.-hist. Klasse vom 31. Januar 1870. 


Marmora 1840 (a. a. O. p. 492 Nr. 63). Für mich ist das Ergebnifs 
dieser Untersuchung, dafs die Garnerische Handschrift nach dem 
Jahre 1840 verfertigt und nach dem Jahre 1856 von ihrem Verfer- 


tiger mit Nachträgen versehen worden ist. 


Th. Mommsen. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


Februar 1870. | 


Vorsitzender Sekretar: Herr Kumm er. 


3. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Lepsius las über die altägyptischen Jahreszeiten und 
Monate. 


Hr. Curtius überreichte der Akademie im Äuftrage des Ver- 
fassers die Historische Topographie von Akragas in Sicilien von 
Dr. Julius Schubring (Leipzig bei Engelmann 1870) und machte 
auf den, günstigen Umstand aufmerksam, dafs den von der Aka- 
demie unterstützten Untersuchungen Schubring’s die neue Aufnahme 
der Terrains durch den Italianischen Generalstab in hohem Grade 
zu Gute gekommen sei. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Correspondenzblatt des zoologisch - mineralogischen Vereins in Regensburg. 
23. Jahrg. Regensburg 1869. 8. 
Er Bonsdorff, Kritik der allgemein angenommenen Deutung der Fur- 
cula bei den Vögeln. Helsingfors 1869. 4. 
Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin. 2. Jahrg. Ber- 
lin 1869. 8. / Ä 
[1870] fe) 


106 Gesammtsitzung 


Atti dell’ accademia di scienze morali e politiche. Vol. 4. Napoli 1869. 4. 

Archivio per la zoologia. Serie II, Vol. 1. Torino 1869. 8. 

Baumhauer, Archivees neerlanduises. Tome 4. La Haye 1869. 8. 

Annuaire de l'academie de Bruxelles. Annee 36. Bruxelles 1870. 8. 

Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. Vol. 16. Christiania 1869. 8. 

Diplomatarıum norvegicum. XIV. Christiania 1869. 8. 

Norwegische Statistik. Christiania 1868—69. 4. 20 Hefte. 

Flateyjarbok. III, 2. ib. 1868. 8. 

Botten-Hansen, La Norvege literaire. Christiania 1868. 8. 

Thomas Saga Erkibyskups. Efter gamle Haandskrifter udgiven af €. R. 
Unger. Christiania 1869. 8. 

Forhandlinger Videnskabs-Selskabet i Christiania aar 1868. Christiania 
1869. 8. 

Bet Kongelige Norske Videnskabers Selskabs Skrifter i det 19de Aarhun- 
drede. V, 2. Throndhjem 1868. 8. 

E. Sparano, L’origines ed il progresso delle nazioni. Caserta 1869. 8. 

Giolo, Avvertimenti di agricolton. Rovigo 1864. 8. 

Garein de Tassy, Histoire de la literature hindouie et hindoustanie. Ed. 
II. Tome 1. Paris 1870. 8. 


10. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. W. Peters las eine Abhandlung über die afrikani- 
schen Warneidechsen, Monitores, und ihre geographi- 
sche Verbreitung, von welcher im Folgenden ein Auszug mit- 
getheilt wird. 


Die Monitoren sind unter allen Eidechsen durch ihre Grölse 
ausgezeichnet, indem einzelne Arten eine Länge von 24 Meter 
(7 Fufs) erreichen. Sie stehen iu dieser Hinsicht nur den Croco- 
dilen nach, mit denen sie seit den ältesten Zeiten von Reisenden 
verwechselt worden sind. Indessen finden wir sie schon bei den 
alten griechischen Schriftstellern unter dem Namen der Landceroco- 
dile von den Flufscrocodilen oder eigentlichen Crocodilen unter- 
schieden, indem z. B. Herodot unter den Thieren der libyschen 
Wüste der Landcrocodile (2g020021A01 Agoraıcı) VON mehr als 4 Fuls 
Länge erwähnt, 


vom 10. Februar 1870. 107 


Cuvier hat zuerst und zwar im Jahre 1817') die hierher ge- 
hörigen Arten in eine Untergattung, welche er Monitor nannte, zu- 
sammengefafst und die äufseren Merkmale angegeben, welche sie von 
anderen verwandten den heilsen Gegeuden Amerikas angehörigen 
Gattungen unterscheiden, mit denen sie sowohl vor als nach ihm 
von verschiedenen Autoren unrichtigerweise vereinigt worden sind. 
Man kennt jetzt an zwanzig Arten, welche sämmtlich der östlichen 
Hemisphäre angehören und in Africa, Asien und Australien ver- 
breitet sind. 

Sie sind von Fitzinger, Wagler und Gray in verschiedene 
Gattungen vertheilt worden, während Dumeril und Bibron in 
ihrem grolsen Werke über die Reptilien dieselben in eine einzige 
Gattung vereinigt haben, für welche sie den Namen Varanus an- 
_ genommen, unter welchem diese Thiere von Merrem im Jahre 
1820?) aufgeführt worden sind. 

Es sind die einzigen Eidechsen der östlichen Hemisphäre, wel- 
che, wie die Schlangen, eine schmale, tiefgespaltene, in eine Scheide 
zurückziehbare Zunge haben. Ein ganz ähnlicher Zungenbau fin- 
det sich aufserdem nur bei den amerikanischen Eidechsengattungen 
Tejus. und Ameiva und das hat früher Veranlassung gegeben, sie 
mit diesen in eine einzige Gattung zu vereinigen. Aber schon die 
ganz verschiedene Pholidosis, namentlich die grofsen regelmäfsigen 
Kopfschilder der letzteren im Gegensatz zu der aus kleinen Schup- 
pen bestehenden Kopfbedeckung der Monitoren unterscheidet diese 
auf den ersten Blick. Die aus gröfseren länglichen, ringförmig von 
Körnchenschuppen umgebenen und in regelmäfsigen Querreihen ge- 
ordneten Tuberkeln bestehende Bekleidung der obern Seite des 
Körpers, die an der innern Seite der Kiefer sichtbare verbreiterte 
Basis ihrer Zähne sind fernere Merkmale, welche diesen Eidechsen 
ausschliefslich zukommen. Alle haben vier wohl entwickelte fünf- 
zehige Extremitäten mit fünf Krallen und keine Schenkelporen. 
Die Merkmale, nach welchen die Cuvier’sche Gattung Monitor 
in mehrere Gattungen zersplittert worden ist, sind hergenommen 
von der mehr oder weniger zusammengedrückten Form des Schwan- 
zes, der mehr rundlichen oder ovalen Form und der geringeren 


1) Regne animal. II. p. 24. 
?) Versuch eines Systems der Amphibien. 1820. p. 58. 


S* 


108 Gesammtsitzung 


oder gröfseren Entfernung der Nasenlöcher von den Augen und der 
Form der Zähne. Mit Recht haben aber schon Dumeril und 
Bibron darauf aufmerksam gemacht, wie diese Merkmale an Werth 
verlieren, theils dadurch, dafs sich, wenn man alle bekannten Ar- 
ten betrachtet, ein allmähliger Übergang zwischen den extremen 
Formen beobachten läfst, theils dadurch, dafs bei verschiedenen 
Arten je nach-dem verschiedenen Lebensalter die Zähne eine sehr 
verschiedene Gestalt annehmen. Auch ieh kann mich nur ihrer 
Ansicht anschliefsen, dafs, so lange uns nicht andere wichtigere 
Merkmale zur Unterscheidung vorliegen, die Vertheilung sämmt- 
licher Arten in eine einzige Gattung, vielleicht mit mehreren Un- 
tergattungen, naturgemälser ist. 

Es dürfte auffallend erscheinen, dafs bei der Gröfse dieser 
Thiere, deren einzelne Arten in den verschiedenen Welttheilen mei- 
stens eine sehr weite Verbreitung haben, die Unterscheidung der 
Arten noch nicht zu einem Abschlufs gekommen ist, was doch 
grade für die geographische Verbreitung, an welche sich die Lö- 
sung so vieler allgemeiner Fragen anknüpft, eine so grolse Wich- 
tigkeit bat. 

Das Material, welches mir zu Gebote steht, ist nicht hinrei- 
chend, um diese Frage hier ganz zu lösen. Nur in Bezug auf die 
afrikanischen Arten liegt mir ein solches vor, wie es vielleicht in 
keiner anderen Sammlung vorhanden sein dürfte. Aus Nord- und 
Nordostafrika besitzen wir Exemplare aus der Sammlung der Hrn. 
Ehrenberg und Hemprich, aus dem Caplande von Krebs, aus 
Süd-Ostafrika von dem Baron Carl von der Decken, aus mei- 
ner eigenen Sammlung und aus den sehr wichtigen Sammlungen 
von Säugethieren und Amphibien, welche unser Museum der hiesi- 
gen Mission durch Hrn. Grützner verdankt, und von der West- 
küste haben wir mehrere Exemplare durch Hrn. Halleur, Ungar, 
Dr. Finsch und Dr. Hartlaub erhalten. 


1. Monitor nilotieus Hasselquist. 


Diese Art, welche mit der folgenden von den meisten Autoren 
vereinigt worden ist, unterscheidet sich durch das stets viel dunk- 
lere Colorit und vorzüglich dadurch, dafs die Nackenschuppen klei- 
ner als die Rückenschuppen sind, während das Umgekehrte bei al- 
len übrigen afrikanischen Monitoren der Fall ist. Sie scheint aus- 
schliefslich dem Nilgebiete anzugehören. 


vom 10. Februar 1870. 109 


2. Monitor saurus Laurenti. 
Lacerta capensis Sparrmann. 
Tupinambis stellatus Daudin. 
Varanus nilotieus, Dum&ril et Bibron ex parle. 

Eine im Osten von Zanzibar bis nach dem Caplande und an 
der Westküste in Guinea verbreitete Art, welche die vorige in die- 
sen Gegenden vertritt. Sie hält sich wie jene in der Nähe des 
Wassers auf und kann auch an Baumstämmen hinaufklettern. So 
traf ich im Lupatagebirge ein Exemplar, welches sich einen Ruhe- 
platz auf einem circa 3 Meter hohen Baumstamm zwischen den 
Ästen ausgewählt hatte, von dem es sich bei meiner Annäherung 
herabstürzte, um ins Wasser zu fliehen. 


3. Monitor albogularis Daudin. / 
Tupinambis albogularis Daudin. 
Varanus albogularis Dumeril et Bibron. 
Varanus albogularis A.Smith. 

Eine Art, welche bisher mit Bestimmtheit nur in dem südöst- 
lichen Theile Afrikas, vom 15 bis 27° S. Br. gefunden worden ist, 
sich durch die kleineren Schuppen leicht von den beiden folgenden 
Arten unterscheiden läfst. 


4. Monitor ocellatus Rüppell. 

Aus Abessinien und Kordofan. Mit der vorhergehenden 
Art durch die unmittelbar vor den Augen befindlichen Nasenlöcher, 
mit der folgenden durch die, besonders am Nacken, grofsen Schup- 
pen übereinstimmend. | 


5. Monitor exanthemalicus Bo sc. 
Lacerta exanthematica Bosc, Act. Soc. d’hist. nat. Paris. 1799. 
Taf.5. Fie.3. 
Tupinambis exanthematicus Daudin. III. p. 80. 
Varanus ocellatus Dum. Bibr. III. p.496. 
Regenia ocellata Gray Catal. Liz. p.9. 

Von den beiden vorhergehenden verschieden durch die Entfer- 
nung der Nasenlöcher von den Augen, die reichlich halb so grols 
ist, wie ihre Entfernung von der Schnauzenspitze. 

Sie ist bis jetzt ausschliefslich an der Westküste Afrikas, 
vom Senegal bis Angola gefunden worden. 


6. Monitor griseus Daudin. 
Tupinambis griseus Daudin. VII. p.352. 
Tupinambis arenarius Geoffroy. 


110 Gesammtsitzung 


Varanus scincus Merrem. 
Varanus arenarius Dum. Bibr. 
Aus dem nördlichen Africa (Ägypten, Tripoli, Algerien), 
Arabien (durch Ehrenberg) und Pers ien. 


Hr. W. Peters gab ferner einen Beitrag zur Kenntnifls 
der herpetologischen Fauna von Südafrika. 


Hr. Dr. H. Meyer, welcher sich mehrere Jahre in Hantam 
(Calviniadistriet, Oorlogsrivier, S. W. Africa) aufgehalten, hat eine 
in der dortigen Gegend gemachte Sammlung von Ärthropoden und 
Amphibien mitgebracht, über welche letztere ich mir eine Mitthei- 
lung vorzulegen erlaube, da sie auflser mehreren seltenen unserem 
Museum noch fehlenden Arten eine neue Gattung von Geckonen 
enthält, und die Kenntnifs des Fundorts für die geographische Ver- 
breitung von Interesse sein dürfte. Ich verbinde damit die Vorlage 
von zwei mir von Hrn. Sundevall zur Ansicht mitgetheilten eigen- 
thümlichen Batrachiern, welche Hr. Wahlberg im Kafferlande 
entdeckt hat und von denen A. Smith in seinen Illustrations of 
the Herpetologie of South Africa eine kurze Beschreibung lieferte. 


SAURI. 
1. Chamaeleo pumilus Latreille. — Hantam. 
9. Chamaeleo namaquensis Smith. — Hantam und Orangeri- 


vier.') 
3. Pachydactylus Bibronü Smith. — Hantam. 
4. Pachydactylus capensis Smith. — Hantam. 
5. Pachydactylus mariquensis Smith. — Hantam. 
Chondrodactylus nov. gen.”) 
Differt a Stenodactylo unguium defectu (, pholidosi notaei hete- 
rogenea). 


1) Da Merrem bereits, wenn auch nur nach einer Seba’schen Abbil- 
dung, einen Oh. calcaratus aufführt, habe ich den Namen der von mir so 
benannten und beschriebenen Art (Monatsbericht. 1869. p.445) in Oh. calcarifer 
umgeändert. 

2) xovdpo;, granum, Saxtuiog. 


vom 10. Februar 1870. 1ll 


6. Ch. angulifer n. sp. (Taf. Fig. 1). 
Ch. supra cinereofuscus, fascüs fusco-nigris latis angulatis or- 
natus. 

Im Habitus ähnlich dem Stenodactylus guttatus, aber mit kür- 
zerer Schnauze und mit kurzen Stummelzehen. Kopf um 4 brei- 
ter als hoch. Schnauze 4 länger als das Auge, welches genau in 
der Mitte zwischen der Schnauzenspitze und der Ohröffnung liegt. 
Nasenlöcher zwischen drei convexen Schildchen gelegen, von denen 
das gröfste innere mit dem der anderen Seite zusammenstölst. 
Schnauze mit convexen Schuppen bedeckt, welche sich bis zum 
Hinterhaupte hinaufziehen, von wo an viele runde gekielte Tuber- 
keln zwischen der feineren Granulation des Rückens hervorragen, 
welche nach den Körperseiten hin an Gröfse abnehmen. Das obere 
rudimentäre Augenlid ist mit einer Reihe platter Schuppen bedeckt, 
während das untere feine Körnchen zeigt, welche sich vor dem 
Auge, nach den Supralabialia hin, allmählig gröfser werdend, hin- 
ziehen. Die Ohröffnung bildet eine mälsig grolse schiefe, am vor- 
dern Rande grade, am hintern Rande convexe Spalte. Supralabialia 
10 bis 11; Infralabialia 11 bis 13. Der hintere bogenförmige Theil 
der Lippen ist mit kleinen Körnchen gerändert. Das Rostrale ist 
breiter als das Mentale, welches länger als breit und hinten abge- 
stumpft ist. Die untern Theile der Körperseiten sind mit convexen 
Schuppen bekleidet, welche viel gröfser sind als die feinen Granula 
des Rückens.. Die Kehle und Submentalgegend ist sehr fein ge- 
körnt, wobei die kleinen convexen Schüppchen nach der Lippe hin 
allmählig gröfser werden. Brust und Bauch sind mit kleinen dach- 
ziegelförmig gelagerten glatten Schuppen bekleidet. Auf dem 
Schwanze stehen die gröfseren stärker gekielten Tuberkeln in 
Querreihen und die Unterseite desselben ist mit flachen Schuppen 
bekleidet, welche merklich gröfser sind als die der Ventralgegend. 

Die vordere Extremität ragt nach vorn gelegt mit dem läng- 
sten Finger eben über das Auge hinaus, während die hintere bis 
an die Achselgrube reicht. Die Innenseite des Ober- und Unter- 
arms ist fein granulirt, die Aufsenseite mit convexen Schuppen be- 
kleidet, unter denen einige auf dem Unterarm tuberkelförmig her- 
vorragen. Alle Finger sind kurz, der 1. ein wenig, länger als der 
5., dann folgt der 2., 4. und 3.; Hand und Finger sind oben mit 
glatten Schuppen bekleidet; Hand- und Fingersohlen fein granulirt 
und zwar stehen die Granula unter den Fingern in 10 bis 12 Längs- 


112 Gesammtsitzung 


reihen. An der Basis der Hand und jedes Fingers tritt die Haut 
wulstartig hervor. Der Oberschenkel ist unten und hinten fein 
granulirt, vorn mehr oder weniger dachziegelförmig beschuppt, oben 
mit Tuberkeln versehen. Der Unterschenkel ist an der innern 
Seite mit convexen Schuppen an der äufsern mit Tuberkeln und 
feinen Körnchen bekleidet. Die Zehen nehmen von der 1. bis 4. 
progressiv an Länge zu, die 5. steht der Länge nach in der Mitte 
zwischen der 2. und 3. Die Beschuppung des Fufses und der 
Zehen ist ganz ähnlich wie die der Hand und Finger. Nirgends 
kann ich die Spur eines Nagels entdecken. 

Oberseite des Kopfes dunkelbraun mit undeutlichen dunkleren 
Längsstreifen zwischen den Augen. Auf jeder Schläfe ein dunkler 
Fleck, welcher sich nach oben, hinten und innen auf die Seite des 
Hinterhaupts ausdehnt. Auf der Mitte des Hinterhaupts ein dunk- 
ler Fleck, welcher sich in einen mittlern Längsstreifen fortsetzt, 
der sich mit einer breiten winkligen schwarzgeränderten Querbinde 
über der Schultergegend vereinigt. Eine zweite breite Querbinde 
auf der Körpermitte, eine dritte (zuweilen fehlende) vor und eine 
vierte auf der Sacralgegend. Die dunklern Ränder dieser Quer- 
binden werden jederseits entweder durch einen hellern Saum oder 
durch helle Flecken hervorgehoben. An den Körperseiten runde 
helle Flecke auf der dunklern netzförmigen Grundfarbe. Schwarz 
mit vier breiten schwärzlichen Querbinden, welche durch schmale 
- gelblichweilse Zwischenräume getrennt werden. Die ganze Unter- 
seite bräunlichgrau. 


Totalläinge - » . . 09085  Vord. Extremität . . 09023 

Kopflänge . . » =» 0%0185 Hand mit 3. Finger . 020065 
Kopfbreite, .. + .. 0%0142 Hint. Extremität, +... _Da022 

Kopfhöhe ...... » 0,011 Fufs mit 4. Zehe . . 0%0085 
Schwanz er 07032 


Fünf Exemplare aus dem Calviniadistrict, Oorlogsrivier. 


7. Agama hispida Linne. 

Lacerta hispida Linne, Syst. nat. ed.X. p-205. 

! Agama hispida Gravenhorst, Nov. Act. Acad. ©. L. Nat.Cur. XVI. 
2. Taf. 64. Fig.1—8. 

Agama aculeata Merrem, Syst. Amphib. p.53. 

Trapelus hispidus Kaup, Isis. 1827. p. 616. Taf. 7. 

Agama aculeata et spinosa DumeriletBibron, Erp. gen. IV. p. 499 
& 502. 


vom 10. Februar 1870. 113 


Ich kann die Merkmale, welche Dumeril und Bibron zur 
Unterscheidung von 4. aculeata und hispida angeführt haben, nur 
für individuelle und sexuelle halten. Der schlankere Körper und 
längere Schwanz (Seba. II. Taf.8. Fig.6) kommt den Männchen, der 
breitere Körper und der kürzere Schwanz (Seba. I. Taf.83. Fig 1.2, 
Taf. 109. Fig.6; IH. Taf.8. Fig.7) den Weibchen zu. Die Original- 
exemplare von Gravenhorst’s A. hispida habe ich durch Hrn. 
Grube’s gütige Vermittelung untersuchen können und zeigen die- 
selben, wenn auch schwach, deutliche Kiele der Bauchschuppen. 
Die mehr oder weniger stachlige Beschaffenheit der Schuppen um 
das Oceipitale und auf den Gliedmafsen hängt aller Wahrschein- 
lichkeit nach eben so wie die geringere oder stärkere Entwickelung 
der Kiele der Bauchschuppen von der Jahreszeit ab. Übrigens 
erlaube ich mir noch zu bemerken, dafs die von Seba II. Taf. 8 
Fig. 6 abgebildete Art die dritte Zehe länger als die vierte hat, 
nach der diagnostischen Tabelle von Dumerilet Bibron das Ge- 
gentheil stattfinden soll, während in der Beschreibung von A. acu- 
lenta nichts über diesen Punct erwähnt ist. Auf der anderen Seite 
zeigt dieselbe Figur verlängerte Stachelschuppen auf dem Kopfe 
und den Extremitäten, welche nach ihrer Beschreibung A. aculeata 
nicht haben soll. — Calvinia- District. 


8. Agama atra Daudin. 
! Agama aculeata Merrem, Beitr. Gesch. Amph. III. p.91. Taf. 5. 
Agama atra Dumerilet Bibron, 1.c. IV. p.403. 
Agama atra et capensis (aculeata) Gray, Cat. Liz. 256. 257. 


Wir besitzen das Originalexemplar aus der Sammlung des Gra- 
fen von Borcke (Nr. 750. Mus. Berol.), nach welchem Merrem 
seine A. aculeata abgebildet und beschrieben hat und ich weils 
nicht, aus welchem Grunde Dumeril et Bibron angenommen ha- 
ben, dafs nur die Abbildung und nicht die Beschreibung Merrems 
auf diese Art zu beziehen sei. Die Seitenfalten des Rückens sind 
bald vorhanden, bald fehlen sie und eben so sind zwar in den 
meisten Fällen hervorspringende Schuppen mit längern Spitzen 
und von etwas beträchtlicherer Gröfse unter den seitlichen Rücken- 
schuppen bemerkbar, während bei einzelnen Exemplaren die Be- 
Schuppung hier. ganz homogen ist. — Hantam. 

9. Agama armata Ptrs. 

Ein einziges sehr grolses Exemplar, ausgezeichnet durch die 
grölsere Zahl der Supralabialia, 15 anstatt 12 oder 11, von dem 
Orangerivier. 


114 Gesammtsitzung 


10. Eremias Knoxü Edwards. — Hantam. 
11. Eremias capensis (et laticeps) Smith. 

Von dieser Art liegen gegen 20 Exemplare vor, die nicht al- 
lein in der Farbe, sondern auch in der Pholidosis so varliren, dafs 
:ch es für mehr als zweifelhaft halten mufs, ob E.laticeps davon zu 
trennen sei. Einige haben ganz dieselbe schwarze Grundfarbe mit 
fünf goldgelben Linien, wie eine Varietät von E. lugubris (Smith 
1. c. Taf.46. Fig.2 = E. lugubris et dorsalis Dumeril et Bibron), 
andere zeigen gelbweilse Puncte zwischen diesen Linien, bei andern 
werden die Linien undeutlich und es tritt statt deren eine netzför- 
mige Zeichnung auf und bei zwei Exemplaren sind die hellen Li- 
nien ganz verschwunden und die Zeichnung ist ähnlich wie bei 
Smith auf Taf. 4.5. Fig. 2. Bei einigen stofsen die beiden Supra- 
orbitalschilder mit ihrem ganzen innern Rande an das Frontale, 
bei anderen tritt vorn eine Reihe kleiner Schuppen dazwischen 
und bei anderen sind sie vollständig durch eine solche Reihe von 
dem Frontale getrennt, ohne dafs die verschiedene Färbung dieser 
verschiedenen Beschuppung entspräche. Es finden sich 4, 5, 6 oder 
7 Supralabialia vor dem an den Lippenrand tretenden Infraoculare. 
— Hantam. 

12. Eremias lineo-ocellata Smith. — Hantam. 

13. Lacerta Delalandii Edwards. — Hantam. 

14. Euprepes trilineatus Schneider. — Hantam. 

15. Euprepes vittatus Olivier, var. occidentalis Ptrs. — Hantam. 
Euprepes Olivierü Smith, Illustr. S. Afr. Rept. Taf.31. Fig. 3.4.5. 

Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit zu bemerken, dafs die 
von mir zu dieser Art gezogenen Exemplare (E. varius Ptrs., Mo- 
natsberichte. 1867. p.20) nicht zu der von Smith abgebildeten Art 
gehören, wie ich angenommen hatte. 

16. Typhlosaurus ceeus Cuvier. — Hantam. 
Acontias cecus Cuvier, Regne animal. 1817. II. p. 60. 
Typhlosaurus cecus Wiegmann, Herpetologia mexicana p. 54. 


OPHIDIl. 
17. Onychocephalus Lalandii Schlegel. — Hantam. 
18. Coronella cana Linne. — Calvinia-Distriet. 
19. Psammophis sibilans Linne. — Hantam. 
20. Philothamnus semivariegatus Smith. — Orangerivier. 
21. Poecilophis lacteus Linne. — Hantam. 
22. Aspidelaps lubrieus Laurenti. — Hantam. 


(sb 


Mona 


vd. äkad d’Wissensch. Berlin 1870 p. 115 


% 


S 


2 


1.Chondrodaetylus angulifer 2 Arthroleptis Wahlbersii 
> Inperohus tuberilinsuis 
CF Schmidt, sezulih. 


vom 10. Februar 1870. 115 
93. Naja hajeLaurenti. — Hantam. 
24. Vipera cornuta Daudin. — Calvinia-Distriet und Oran- 
gerivier. 
BATRACHIA. 


1. Arthroleptis Wahlbergiüi Smith. (Taf. Fig. 2.) 

Arthroleptis Wahlbergü Smith, Illustr. Zool. S. Afr. Rept. App. p. 24. 

Diese Art ist, wie ich mich durch directe Vergleichung habe 
überzeugen können, durch die längere und spitzere Schnauze, das 
kleinere Trommelfell, etwas andere Proportionen der Extremitäten 
und die Färbung leicht zu unterscheiden von A. pecilonotus, von 
der ich eine ausführliche Beschreibung gegeben habe (Monatsbericht. 
1863. p.446). 

Von J. Wahlberg im Kafferlande entdeckt. 

2. Hyperolius tuberilinguis Sundevall. (Taf. Fig.3.) 

Hyperolius tuberilinguis Sundevall, Smith. c.p.26. 

Der Smith’schen Beschreibung dieser durch ihre Zungenbil- 
dung ausgezeichneten Art habe ich noch hinzuzufügen, dafs das 
Trommelfell versteckt ist. 

Ebenfalls von Wahlberg im Kafferlande entdeckt. Aufser 
dem mir vorliegenden Exemplare waren nach Hrn. Sundevalls 
Mittheilung noch zwei andere Exemplare mit derselben Zungenbil- 
dung an Hrn. A. Smith zur Untersuchung gesandt worden, die 
verloren gegangen zu sein scheinen. Um so willkommener dürfte 
daher eine Abbildung des noch übrig gebliebenen Exemplars sein, 
welches dem Museum zu Stockholm angehört.') 


!) Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit den Namen von Hemidactylus 
variegatus Ptrs. (Monatsberichte 1868 p.449; C. v. d. Decken Reisen. III. p.13. 
Amphib.-Taf. II; non Dumeril et Bibron) in H. picturatus umzuändern. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Chondrodactylus angulifer Ptrs., in natürlicher Gröfse; Fig. la. Un- 

terseite der rechten Hand 5mal vergröfsert. 

Arthroleptis Wahlbergü Smith, in natürlicher Gröfse; Fig. 2a. auf- 

gesperrtes Maul einmal vergröfsert. 

Fig. 3. Hyperolius tuberilinguis Sundevall, in natürlicher Gröfse; Fig. 3a. 
| aufgesperrtes Maul in doppelter Gröfse, 


= 
03 
1) 


116 Gesammtsitzung 


Hr. Weierstrals legte eine Abhandlung des Hrn. Kostka 
zu Elbing 
Über die Auffindung der ellipsoidischen Gleichge- 
wichtsfiguren einer homogenen, um eine feste Axe 
rotirenden Flüssigkeitsmasse, wenn deren Dichtig- 
keit und Umlaufszeit bekannt sind. 
vor!). 
Es sei D die Dichtigkeit, 7T die Umlaufszeit einer um eine 
feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, f der Proportionalitätsfak- 
tor des Newtonschen Gravitationsgesetzes: dann giebt es bekannt- 


1) Hr. Richelot, Correspondent der Akademie, der diese Arbeit ein- 
gesandt hat, schreibt darüber Folgendes: 

„So viel ich weils, ist keine geeignete und sichere Methode bis jetzt be- 
kannt gemacht, die Axenverhältnisse des dreiaxigen Gleichgewichtsellipsoids 
zu berechnen. 

Dies veranlafste mich am Anfange des Jahres 1868 meinem oben ge- 
nannten, talentvollen Schüler, nachdem er während seiner Universitätsstudien 
in diese Untersuchungen und in die Theorie der elliptischen Funktionen von 
mir eingeführt war, die Aufgabe zu stellen, eine solche Näherungsmethode zu 
suchen und an demjenigen Resultat namentlich zu prüfen, welches von dem 
ausgezeichneten Schüler J acobi’s, dessen Namen in diesen Untersuehungen 
rühmlichst bekannt ist, gewifsermafsen noch unter den Auspizien seines un- 
sterblichen Lehrers gefunden und später von allen Geometern als richtig an- 
genommen war. Ich meine die Axenverhältnisse bei der Umdrehungsgeschwin- 
digkeit unserer Erde, die Hr. Prof. O. Meyer im 24. Bande des Crelleschen 
Journals zuerst angegeben hat, ohne die Art der Berechnung anzuführen. 
Ohne letztere zu kennen, hegte ich doch seit längerer Zeit Bedenken gegen 
die mir von Jacobi und Meyer darüber angedeutete Art der Berechnung 
und hielt die Resultate für unrichtig. 

Hr. Kostka hat in jeder Beziehung meine Erwartungen vollkommen 
gerechtfertigt. Seine von ihm ausgedachte, in demselben Jahr mir mitgetheilte 
Näherungsmethode fand ich sicher und geeignet; aber sie gab völlig abwei- 
chende Zahlenresultate für das genannte Beispiel. 

Die Wichtigkeit des Gegenstandes, sowie die Eigenthümlichkeit seines 
Verfahrens veranlafste mich, Hrn. Kostka vorzuschlagen, die Resultate noch 
auf andere Weise zu prüfen. In Folge dessen fand er eine andere, einfachere 
Methode. Es ist dieselbe, welche ich Ihnen in einem das Wesentlichste ent- 
haltenden Auszuge, den ich der Akademie vorzulegen bitte, mittheile. 


Königsberg, den 30. Januar 1870. 
F. Richelot.“ 


vom 10. Februar 1870. 117 


lich für jeden Werth der Zahl V= zwischen O und 0,18711 


27 
D/T? 
zwei Rotationsellipsoide und ein dreiaxiges als Gleichgewichtsfigu- 
ren, zwischen V = 0,18711 und V = 0,2246 nur zwei Rotations- 
ellipsoide. Die Frage, wie zu jedem gegebenen Werthe von V die 
zugehörigen ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren zu ermitteln sind, 
wird im Folgenden für den Fall eines sehr kleinen V behandelt, 
der hauptsächlich bei physikalischen Problemen Anwendung findet. 
Hierfür ist, wenn A, B, C die drei Axen, C die Drehungsaxe: 


nahe 1 für das eine 
Rotationsellipsoid, 


| 


nahe O0 für das andere 


1 


nahe 0, 5 nahe 1 für das dreiaxige Ellipsoid. 


PO AIA AI 


1: 
O2 
Die beiden Rotationsellipsoide sind, falls =, = cos« 
gesetzt, also sin® die Excentrieität ist, durch die Gleichung be- 
stimmt: 
«(3 +1g°’«) — stge 


RE ’- re 


Um den Werth « nahe 0 zu finden, entwickele ich nach Potenzen 


von tge«, wodurch: 
2 ntg?” 
— — a a La, 
u In 1) (2n +1) (2n +3) 


Dieser Gleichung kann man die Form geben: 


as Au ıE: 0,0236 tg° & + 0,015 
EEE — m [04 
1+$tg’« 4 49 5 on 


Daher ist ein Näherungswerth bei kleinem F: 


15V 


2) ee Fr 0 — 


118 Gesammtsitzung 


Setzt man dies in die rechte Seite der vorigen Gleichung ein, so 
erhält man noch genauer: 


15V (=) & I) (=) 
rn ger —+- 0,0289 + 0,057 1 —— 
an 4 49\ 4 4 4 
ra In EB Bu: 0289 = o 057 base 
Pi Gr EnErt) Gr u) Ra } 
Diese Formel liefert noch für 7 = 0,009 den Werth von tg’« bis zur 


7. Dezimale richtig; denn hierfür ist tg!’ = (7 F)< 00000005. 


Das Axenverhältnifs ist dann: R 
AB 3 ie tete ee. 
2b [} . N N 1-+t 2 —— 1-4 —- —-- —— an 8 
) FAR ©; 8“) Wer er ” 


Für den der Erde zukommenden Werth: 
V = 0,0022997 
ergiebt sich tg’« = 0,008688144 und 


A B 
—— © — 1,00433467 . 


7E 
Um den Werth & nahe z zu finden, entwickele ich 1) nach Po- 
tenzen von cotg«, wodurch: 


2V 8 5 = neotg”"« 
7 — eotga— — cotg”a + 3cot Ser — 2 (—1) Sees 
Tr 5 a Sr ( ” En—3)@n—ı) 


Hieraus läfst sich ableiten: 


TE 


2V 16V 
ee (: — =) cotge — 3,485 cotg’« + 6 cotg’ae — 4cotg’« , 
T 


woraus der Näherungswerth: 


3 a 
ae Ss may nn I: 
Weil tg« sehr grols, genügt die Kenntnils der 4. Dezimale; die 


Formel 3) liefert diese noch richtig für 7 = 0,01, wofür das fol- 


vom 10. Februar 1870. 119 


| nr | 
sende Glied 1,1 () < 0,000045 wird. Das Axenverhältnifs 
7 
ist: 
3.) A B eo MM 8 re 
a een mern 


Hieraus ergiebt sich für V = 0,0022997: 


— 2 — 680,4939 
BEE LO, DE 


2. 


— cos gesetzt, 


e>/Kos 


Das dreiaxige Ellipsoid ist, = cos«, 


durch die Gleichungen bestimmt: 


20 [- 2(1+2) 
J Vua+2(ı+zcos’a)(1+z TEE 


4a) V = cos?’« cos 


4b) V = sin’« N 
J VYlı+2)(1 + zcos’a)(1-+2cos?ß) 
(i) 


Dieselben sollen mit Hülfe der S-Funktionen entwickelt werden. 
Man setze daher: 


ar 2 2 
== le? und a = ampl (u, k) 9 


wodurch 
= =— ampl(X—u,k), 


dann ist für diejenige aus 4) abgeleitete Gleichung, welche V nicht 
enthält, der Ausdruck in elliptischen Funktionen: 


2 
Su was a3 RNIT 
"= [222 (1+ X = k & C «)| 


— kkZu— Zuw+ K) — k? (4 u) RQ@+ m, 
2K Sa Re Ss" 
wo — Zu = it — Zu +K)= ns PT Ru+K) 9 eh 

T DS; wg Jg 


120 Gesammtsitzung 


Ferner lautet diejenige Gleichung, aus welcher das Integral der 
zweiten Gattung eliminirt ist: 


via Mn 1 RT... 4er 1. a 
leu A’u cu nn OL eu Au) 


Beide Gleichungen enthalten nur Potenzen von g’; dag=0 wird 
für V = 0,18711, sind in der Nähe dieses Werthes die Entwick- 
lungen nach q zu benutzen. Es zeigt sich aber, dafs q sehr schnell 
wächst, so dafs für die meisten Werthe von V es passender ist, 


die Entwicklungen nach g, = e X, zunehmen. Namentlich sind 
dieselben in der Nähe von Y= 0 zu wählen, weil gı mit V zu- 
gleich der Null sich nähert. 

Setzt man also u— iv, so gehen die beiden eben erwähnten 
Gleichungen in folgende über: 


E E 1 1 
} 2 EB, Yu amukı, 208 Re SER RE 
alcE2 7a (= ı) Fr ci -)} 
1 
2 


1 
LERC+N)+ ACH) +R Ze) 0 
iv C,v 


ce? 


1 
Av 


W 
zlete + ein +aiv—al+3 


v A?v 
ec? v 


Aıv 5 c?v 
— E41 +6 V . 
SıVY CıV Aıv 


Hier sollen mittelst der bekannten Relationen zwischen elliptischen 
und S-Funktionen die Argumente 


u), 


eingeführt werden. Dabei werde ich aber sogleich mehrere Ver- 
nachlässigungen eintreten lassen. 


“ (6 } . ® 
Weil 2 stets zwischen 1 und 0, liegt « stets zwischen 0 und 
K-u 
T : : DIE AS 
So also % zwischen 0 und X; daher ist ghe" = e® ! für jeden 


Werth von V ein echter Bruch. Die Division der Gleichungen 4) 
zeigt ferner, dafs: 


vom 10. Februar 1870. 121 
cotgam(u, k) < k,tgam(u,k). 


Haben wir aber irgeud zwei reelle Argumente % und v, so wird 
stets: 


cotgam(u,k) = k,tgam(v,k) sein, 


K ist. 


Vila AJIV 


je nachdem u+v 


Daher ist für unsern Fall 24 > K und-g,e?*ı stets ein unech- 
ter Bruch. Es ergiebt sich also die Reihenfolge: 


Ga a zer ner ı und ge ı dg,. 


Es scheint ferner bei flüchtiger Überlegung, gıe”ı werde 1 für 
V= 0, weil a — z k= 1 wird; aber, sobald g, so klein ist, 


dals es vernachläfsigt werden kann, werden die Axenverhältnisse 
unseres Ellipsoids: 


woraus folgt, dals g,e’ı —0 ist für VY=0. 

Es seinun V so klein, dafs g| e”ı < 0,005, so ist g, <0,000025 
und gqje”: < 0,000000125. Vernachlässigen wir also im Folgenden 
gie?’”ı, qıe“ı,, e"?°ı, welche alle noch kleiner sind als g? e*ı, 
dagegen vorläufig keine Potenz von g,e”ı selbst: dann können die 
beiden in v und %, ausgedrückten Gleichungen auf die Form ge- 
bracht werden: 


5) .. j 2(a, —3)e*ı 
gıe!ı — 10gı — 94 0"°*%ı 
1 1,4 qne2ın gr —2e #1 +29} ur, Faiglen 


6) ER (&, — 3) e?ı 


— 


14 = 2 Ri 
„ti+gle?”ı—4e ?1489,+9e?*ı +24g1erı) —126?Fı —6grerı 


— 
= 


1+4etı +2e?*ı — 12gj etı — gje‘”ı 


Eine erste Näherung werden wir erhalten, wenn wir Alles aufser 
gıe”ı vernachlässigen. Dies giebt: 
[1870] 9 


122 Gesammtsitzung 


V F P:-,. 
ae ei Zee 7 a ee re 
) g: 2(1 3%) Br 9) 4 


is ist also eine transcendente Gleichung von der Form 


Ze —=m 
zu lösen. 
: - er age 
Dieselbe hat, falls m ein positiver echter Bruch < — ist, — 
e 
® 


eine Bedingung, die 9 erfüllt, — zwei reelle positive Wurzeln 


für z, die eine zwischen 0 und 1, die andere zwischen 1 und &; 
letztere ist hier zu wählen, weil im Grenzfalle (” = 0) x,, also 
auch z= 2, — 3 unendlich grofs wird. Ein Näherungswerth für 
diese Wurzel wird wol am besten aus der Form: 


logz = logm + zloge 
gefunden, kennt man einen solchen = z,, So ist: 


3 Zn — me’o 
2 = zog 


meo—L1l 


falls (z — z,)” vernachlässigt werden kann. 
Es seien nun die Näherungswerthe g,,2; gefunden: man be- 
rechne mit denselben die rechte Seite in 5) und 6), setze g,e”ı 


= glei + &£, so läfst sich £, und dann, indem man x, =aı+7 
setzt, dieses z durch einfache Formeln bestimmen. Wenn man 
(g,ı e*ı)° vernachläfsigt, werden diese Formeln der zweiten Nähe- 
rung in ihrer einfachsten Gestalt: 


(ei = qleri +4gi + 6gleri + 2(gleri)? +4(gleri)® 


x 94! 4e-?21 +2,04 
EN — 12Q1 735246 tz6gı,e,4 
8) .. ; 1+4g,eı + (gı eı)? 


es 


1 == 
an a 


. 


1 
a =%ı+ 1 
mer — 1 


Durch 7) und 8) sind die Wurzelwerthe g, und x,, welche unsern 
beiden simultanen transcendenten Gleichungen genügen, unter der 
Annahme bestimmt, dafs g,e*ı < 0,005, also dafs alle vernachläs- 


vom 10. Februar 1870. 123. 


sisten Gröfsen (g, eı)?, qie?ı,e”°?ı, gte?”ı erst in der achten 
Dezimale einen Werth haben. Diese Annahme aber ist gewils 
richtig für V < 0,009, so dafs hierfür durch 7) und 8) die Wur- 
zeln direkt zu finden sind. Die Axenverhältnisse werden dann: 


x! 
( 2 


1 A 
de“ Surgietrretirlgiert)’—gır(lgieti)’+(gierr)t 
= 
C 


— 1+2g,e%ı + 2(qg1e?r)? — 491 — Sgie?ı + 2(q,e?ı)? 
\ + 2(gne1). 


8. 

Die Anwendung der soeben entwickelten Formeln habe ich für 
den Werth von V gemacht, welcher der Erde zukommt, also 
V = 0,0022997. 

Man findet aus 7): 


1 
gr er = 20:0011:55163 
20 = 29.302163, 


woraus 
91 = 0,0000001054 . 


Die zweite Näherung liefern dann die Gleichungen 8): 


g,e”ı = 0,001155588 
2, = 9.303238 
9ı = 0,0000001054 « 


Die Gleichuugen 9) liefern endlich: 


= 52,4425 


also wesentlich verschieden von den Zahlen, welche Meyer in 


A 
— == 19,57 :und 


Crelle’s Journal Bd. 24 angegeben hat, nehmlich 5 


— 1,018. Doch hatte ich schon im Sommer 1868 auf ganz an- 


[9 


9% 


124 Gesammtsitzung 


derem, sehr viel weitläuftigerem Wege, als dem hier verfolgten, 
A B 
gefunden: eh 52,36214 , Bot 1,0023015. 

Um aber meine Zahlen noch in anderer Weise zu prüfen, habe 
ich die Gleichungen 4) nach Potenzen von tg? & entwickelt, wo- 
durch man folgende, in unserm Falle stark konvergirende Reihen 
erhält: 


2c08’e & (2n +1) (2n—1)...3 
4a V = VER} > Yale” 1 m t 2" 
) sin’«cos® en ) 2n.(2n — 2)... 2 5 
IT +1 cotg’*& — In+2 cotg? "+? «} 
2am 0, © an +1) (2R — 1)... 3 
ee ee 
sin«cos’® o an.(an — 2)... 2 
Tr2 cotg?’ "+? «x — Un cotg? "til 
a i 
en — ı gesetzt ist. Die J’s erhält man ent- 


weder durch die Formel: 


,@n —1)(2n — 3)... 3 Be - 
== (— ee ne —— ne 
Ye (2n — 2) (2n — 4)... 2 1— sine en 


f en ale 


an — 2 ee oe 


(an — 1) (2n —3)...5 tg’« 
en nat MIN TS a 2 


oder, für unsern Zweck bequemer, successive durch die Gleichungen: 


1 + sine x 
2ER) une 
1 — Sına 


On— A, +e@nr - A = tE@°%72.c008e; 


Man findet für die oben berechneten Werthe von = 2 erstnd 


vom 10. Februar 1870. 125 


Jı — J, cotg”« — 3,1549209 
J,cotg?”«& — J;cotg!« — 0,2481793 
J; cotg* a — J, cotg® « = 0,0832064 . 


Die rechte Seite von 4a) wird: 

0,00230087 — 0,00000126 —= 0,00229961 , 
die rechte Seite von 4b) wird: 

0,00230503 — 0,00000537 = 0,00229966 


anstatt 0,0022997. Die Differenz ist also eine 1 in der siebenten 
Stelle; jene oben gefundenen Zahlen sind dadurch wol genügend 
bestätigt. Berechnet man diese Ausdrücke mit den Meyerschen 
_ Werthen, so wird die rechte Seite von 4a) = 0,01155 und die von 
4b) wird 0,0175 anstatt 0,0022997. 

Die Gleichungen 2), 3), 7), 8), 9) liefern also die Axenver- 
hältnisse aller drei ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren mit hin- 
reichender Genauigkeit für 7 < 0,009. Für gröfsere Werthe von 
V werden sie immerhin noch sehr brauchbare Näherungswerthe 
geben. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Transactions of the Cambridge Philosophical Society. Vol. XI, Part 2. 
Cambridge 1869. 4. 

Bijdragen tot de Taal- Land- en Volkunde. IV, 2.3. 
Gravenhage 1870. 8. 

Notiser ur Sallskapets pro Fauna et Flora fennica Förhandlingar. Fasc. 10. 
Helsingfors 1870. 8. 

Silliman's Journal of science and arts. no. 144. New Haven 1869. 8. 

A. Peyron, Za prima tavola di Eraclea. Torino 1869. 4. 


126 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


14. Februar. Sitzung der phy sikalisch-mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. Dove las über die Compensation der in Europa im Ja- 


nuar 1870 beobachteten Kälte durch eine ungewöhnliche Erhöhung 


der Temperatur in Amerika. 


Hr. Ehrenberg machte vorläufige Mittheilung über die 
Bacillarien-Bänke im Hochlande Californiens. 


Durch eine sehr glückliche Thätigkeit der geologischen Ge- 
lehrten der Vereinigten Staaten Nord-Amerikas sind so bemerkens- 
werthe Erweiterungen unserer Kenntnifs der aus mikroskopischen 
Lebensformen bestehenden kieselerdigen Gebirgsmassen ganz NeUeT- 
lich entwickelt und meiner eigenen Beurtheilung zugänglich ge- 
macht worden, dafs ich für angemessen halte der Akademie schon 
jetzt eine vorläufige Mittheilung darüber vorzulegen. Schon 1843 und 
1845 wurden mir durch die Vermittlung des seitdem verstorbenen 
Professor Bailey die von Professor James Dana vom unteren 
Columbia River in Oregon mitgebrachten Proben von Gebirgs- 
schichten, aus kieselerdigen Bacillarien - Schaalen bestehend, zur 
Kenntnifsnahme und specielleren Analyse übersandt, welche in den 
Monatsberichten jener Jahre publicirt worden sind. 

Noch weit auffallendere Verhältnisse solcher anstehenden Ge- 
birgsschichten entdeckte Kapitain Fremont bei seinen kühnen und 
glücklichen Untersuchungen des Hochlandes von Oregon und Oali- 
fornien am Fallriver, wo er bis 500 Fufs mächtige, 100 Fufs hoch 
mit Basalt überlagerte, steile Felswände des T'hales bildende, weilse, 
scheinbar thonige, für Porzellanthon gehaltene, Gebirgsschichten fand. 
Über diese mir ebenfalls übersandten Proben habe ich, i. J.:1849') 
publieirte, Mittheilungen vorgelegt. Es war mir damals gelungen, 

aus beiden Gebirgsschichten zusammen 146 verschiedene Formen- 
arten als ihre Hauptelemente namentlich darzulegen. Beides, beson- 
ders aber die letztere Masse ausschliefslich, hatte den Charakter | 


1) Monatsbericht d. Ak. 1849 p. 76. 


vom 14. Februar 1870. 127 


von Sülswasserbildungen, nur 3 vereinzelte Formen des ersteren spra- 
chen als Meeresgebilde an. Die unerhörte Mächtigkeit und Lage- 
rung als 500 Fufs hohe Felswände von Bacillarien sind bisher 
ohne Gleichen geblieben und überbieten auch die im vorigen Jahre 
mitgetheilten Verhältnisse der mexikanischen Hochgebirge bei 
Weitem. 

Seit 1849, seit nun 20 Jahren, sind keine weiteren Erläute- 
rungen aus jenen unwirthlichen Gegenden des californischen Hoch- 
landes erreichbar gewesen. Die Epoche machende grofse industrielle 
Unternehmung der Eisenbahn vom Mississippi nach dem Stillen 
Ocean hat erst neuerlich Aufschlüsse der merkwürdigsten Art aus 
den zu durchbrechenden Hochgebirgen zu gewinnen erlaubt. Der 
Staatsgeolog der Vereinigten Staaten Nord - Amerikas Professor 
Whitney in Cambridge hat umfassende Untersuchungen der Ver- 
breitung und Mächtigkeit der californischen Bacillarien-Biolithe an- 
gestellt und über dieselben einen ausführlichen Bericht in den 
Schriften der Akademie der Wissenschaften zu San Franeisco ver- 
öffentlicht. 

Nachdem mir bereits zu Anfang des vorigen Jahres eine sehr 
sauber verpackte und etikettirte Reihe von 35 Proben verschiede- 
ner biolithischer Gebirgsarten durch Hrn. Baron von Gerolt, den 
Gesandten des norddeutschen Bundes in Washington, zur Kenntnifs- 
nahme und Analyse zugesandt worden waren, sind mir auch neu- 
erlich auf demselben Wege Proben jener Porzellanerden- oder 
Kaolin-artigen, zuweilen auch Brennthon (Fireclay) und Pfei- 
fenthon, auch sogar von verschiedenen Reisenden Magnesia genann- 
ten, zum Erstaunen hohen Gebirgsschichten übermittelt worden, 
und der Professor Hague in Cambridge hat aus eigener Anschauung 
Erläuterungen specieller Art hinzugefügt. Nach den Berichten des 
Professor Whitney finden sich diese mächtigen Lager polygastri- 
scher Infusorien, welche von mir als Baeillarien bezeichnet worden 
sind, aulser in Oregon auch in dem californischen Hochlande zwi- 
schen der Sierra Nevada und den Rocky Mountains, dem sogenann- 
ten „Great Basin“, in ganz unerwarteter Ausdehnung und hier und 
da in einer Mächtigkeit, welche jene 500 Fufs am Fallriver um 
das Doppelte übersteigt. Die beiden viele Tausende von Quadrat- 
_ meilen umfassenden Territorien Nevada und Utah enthalten an vie- 
len Punkten grofse Bänke solcher Infusorienerden, welche durch tief 
eingerissene Thäler oft im Profil gesehen werden, zuweilen mit 


EEE 


128 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Bimsteinstaub, Geröll und Basalttuff abwechselnde mehr oder we- 
niger dicke Schichten bildend. Die Mächtigkeit derselben ist zu- 
weilen, wie nach Hrn. Professor Hague im Humboldt-Thale, im 
schroffen Abfall so stark erkennbar, dafs sie sich auf 1000 Fufs 
erstreckt.!) Oft sind sie auch hier wie in Oregon oberhalb mit 
einem Basaltlager überdeckt. Im Nevada-Territorium ist besonders 
der Humboldt-Distriet, Humboldt Valley, mit dergleichen weilsen 
Gebirgswänden versehen, und auch an den Umgebungen des Salz- 
sees finden sich solche Gebirgsmassen. Die mir zugekommenen 
Proben, welche speciell diese Verhältnisse zu erläutern bestimmt 
sind, betreffen 5 Örtlichkeiten, 2 vom Nevada-Territorium (Truckee 
River und Humboldt Valley) und 3 vom Salzsee des Mormonen- 


landes im Territorium Utah. Ich habe mir nicht versagen können 
ge Übersicht dieser SO höchst 


und bereits angelegen sein lassen ein! 
Itnisse zu gewinnen und hoffe, 


merkwürdigen ehemaligen Lebensverhä 
wenn auch langsam, durch gleichartige Behandlung eine den schon 
vorhandenen Kenntnissen vergleichbare Erläuterung dieses Gegen- 
standes herbeiführen zu können. Für jetzt möge es genügen, fol- 
gende Thatsachen dieser Erscheinung zu berühren. 
Aus den Mittheilungen des verdienstvollen Geologen Professor 
Whitney geht hervor, dafs ungeheure ehemalige Seen ‚des cali- 
fornischen Hochbassins staunenswerthe Ablagerungen im Thalboden 
bewirkt haben, welche beim allmäligen Abfliefsen der Gewässer in 
tiefer gelegene Thäler und Schluchten, oft selbst Berge bildend, sich 
verbreitet haben. Dabei ist allerdings kaum ein Maaflsstab festzu- 
stellen, bis zu welcher Mächtigkeit diese Lager im Bereiche der 
Seen sichtbar werden können. r 

Wenn hierbei Hr. Professor Whitney die Meinung ausspricht, 

als sei dies im Widerspruch mit früheren Vorstellungen und als 
habe ich solche Massen für Auswürflinge aus der Tiefe der Vul- 
kane gehalten, so möchte ich bemerken, dafs diese Ansicht niemals 
die meinige gewesen ist, dafs ich sie vielmehr bekämpft habe. Seit- 


dem die Moya und die Asche des Imbaburu-Vulkans in Quito 
fstoff durch verkohlte Pflanzen- 


von mir als vulkanischer Auswur 
g von graphitartiger 


reste nachgewiesen, ist auch die Vorstellun 


1) In the region of the Humboldt desert there are beds, stratified and 
conformable with the tertiary rocks, which judging from the outcross of the | 
strata must be from 500 to 1000 feet thick. 


vom 14. Februar 1870. 129 


Urkohle aus dem Innern der Erde als dortige torfartige Erschei- 
nung unmöglich geworden. Wohl aber ist das durch eingestürzte 
thätige Vulkankegel zerrissene und verkohlte Oberflächenverhält- 
nifs mit seiner Pflanzendecke als deutlichster, wahrer, aber sekun- 
därer Auswurfstoff nicht in Zweifel zu ziehen. Bei manchen hierzu 
gehörigen Tuffen sind die feinen organischen Theile durch Hitze 
verändert oft sehr unkenntlich geworden und darauf besonders 
habe ich meine Aufmerksamkeit gelenkt. Dafs jene Phytolitharien- 
massen als Grastheile bei Mexiko nicht in Seen gebildet sein konn- 
ten, dürfte ebenfalls unbezweifelt bleiben. 

Ganz besonders bemerkenswerth ist bei den californischen Bio- 
lithen der Umstand, dafs sie doch wohl in Höhen von 4—5000 Fufs 
über dem Meere, also denen von Mexiko fast ähnlich, abgelagert 
sind. Allein sie sind den mexikanischen Gebirgsschichten dieser 
Art dadurch ganz unähnlich, dafs sie nicht blofse Sülswasserge- 
bilde, sondern auch nicht wenige entschiedene Meeres- oder Salz- 
formen unter sich führen. Die Gattungen: Coscinodiscus, Diploneis, 
Craspedodiscus, Grammatophora (und Biddulphia am Columbia River) 
sind meinen in der Mikrogeologie mitgetheilten und anschaulich 
gemachten Erfahrungen zufolge niemals im reinen Sülswasser, aber 
regelmäfsig als Meeresgebilde vorgekommen. Nur einige Male sind 
Fragmente eines Coscinodiscus?, wie in Bilin (Mikrogeologie Tab.XI. 
Fig. 4) anschaulich geworden, deren Natur aber auch anderen Süls- 
wasserbildungen nahe steht; z. B. Ooscinophaena Discoplea (Mikro- 
geologie Tab. XXXVA. XIIIA. Fig. 1). Es gehören auch mehrere 
- Formen der Spongolithen der californischen Gebirge wohl kaum 
zu den Süfswasser-Spongillen. Wenn man sich also Süfswasser- 
Bassins im californischen Hochlande denken soll, so fehlt ihnen 
jener reine Sülswasser-Charakter der mexikanischen Gebirgsschich- 
ten. Dagegen ist die noch vorhandene Existenz des grolsen Salz- 
sees in Utah ein deutlicher Hinweis, dafs auch in frühesten Zeiten 
salzige Gewässer alle Seen des Hochlandes dort erfüllt haben könn- 
ten. Nur ist dann der Umstand schwierig zu erläutern, dafs doch 
die Hauptmassen jener ungeheuren Lebensablagerungen sich als 
Sülswasserformen weit vorherrschend zu erkennen geben. 

Dafs die vulkanischen Feuer jener Länder, wie es auch in Me- 
xiko der Fall ist, auf diese Massen, etwa Hebung ausgenommen, gar 
keinen Einflufs ausgeübt haben, ergiebt sich mit voller Deutlichkeit 
aus der schönen Erhaltung aller Formen, die, ohne Spuren von Ein- 


150 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


wirkung vulkanischer Hitze, zum grofsen Theil ganz geblieben oder 
nur einfach zerbrochen sind. Nicht unwesentlich scheint das mir 
gelungene Auffinden von Cypris-artigen Kalkschalenformen, wie in 
Mexiko, deren Gestalt jedoch eigenthümlich ist. 

Das Massenverhältnifs der Formen in den fünf geprüften Ge- 
birgsproben hat ergeben, dafs die Masse am Truckee River fast. 
ausschliefslich aus Gallionella granulata und @. sculpta besteht mit 
zahlreichen Coscinodiscus-Fragmenten. Im Ganzen wurden bisher 
94 Polygastern-Arten, 15 Phytolitharien, darunter 6 Spongolithen da- 
selbst beobachtet. Hierunter ist Yoseinodiscus radiatus Meeresform, 
die übrigen alle sind Süfswassergebilde. 

Von den Massen am Humboldts-Flufs (Humboldt Valley) bil- 
den die Hauptelemente wieder Gallionella granulata und G. sculpta 
mit besonders auffälligen zahlreichen, zum Theil unbekannten Spon- 
golithen, von denen 45 Arten sich ebenfalls als Meeresgebilde an- 
sprechen lassen, wozu auch Fragmente des Coscinodiscus radiatus 
und C. subtilis sich gesellen. Im Ganzen sind hierin bis jetzt 9 
Arten Polygastern, 15 Arten Phytolitharien, darunter 14 Spongo- 
lithen hervorgetreten. 

Die drei Proben vom Salzsee in Utah sind zwar unter sich 
in der Mischung etwas verschieden, haben aber den gemeinsamen 
Charakter, abweichend von den Nevada-Gebirgen, dafs ihre Mas- 
sen aus Amphora libyca, Synedra spectabilis, Fragilaria rhabdosama 
und F. pinnata, sowie aus Surirella Testudo, Funotia Argus, Gram- 
matophora stricta, sammt Navicula bohemica überwiegend gebildet 
sind. Im Ganzen haben sich 84 Arten Polygastern, 6 Phytolitha- 
rien, 4 Geolithien und 1 Art kalkschaliger Cypris darin verzeich- 
nen lassen. Unter diesen Formen sind 6 entschiedene Meeresfor- 
men oder Salzwasserformen. Alle aulser den genannten Haupt- 
massenformen, besonders die Meeresformen, sind mehr oder weni- 
ger vereinzelt in diese Masse eingestreut. In diesen letzteren Ört- 
lichkeiten macht sich auch eine Beimischung von feinen Sandtheil- 
chen bemerklich, welche zum Theil doppelt lichtbrechend sind. 
Auffallend bei allen diesen Verhältnissen ist es, dafs nur sehr sel- 
tene Spuren von Grasphytolitharien vorhanden sind und dafs in 
auffälliger Weise Campylodiscus Clypeus mit Navicula bohemica, wie 
in Mexiko und Böhmen, vorkommen. | 

Ich schliefse diese vorläufigen Bemerkungen damit, dafs die 
‘hier zur Kenntnils gekommenen 134 Arten organischer Elemente 


vom 14. Februar 1870. 131 


(97 Polygastern, 31 Phytolitharien, 4Geolithien und 1 Cypris) mit den 
früher am Columbia River und am Fallriver in Oregon analysirten 
Gebirgsschichten 223 Arten betragen, die aber die sämmtlichen 
Elemente noch bei Weitem nicht darstellen können, welche weite- 
rer Analysen bedürfen. Es sind in der Mikrogeologie auf Tafel 
XXXII und XXXVII 48 dieser Formen im Jahre 1854 abgebildet 
worden. 

Da der Mormonenstaat von Utah am Salzsee bereits so viele 
industrielle Kräfte besitzt und wahrscheinlich mit Trinkwasser nicht 
Sehr begünstigt ist, so dürften artesische Brunnen wie in Mexiko 
dort leicht und zahlreich ausgeführt und weiter ausführbar sein, 
deren Bohrerden zu überwachen und zu sammeln ein ansehnliches 
Interesse hat. Ebenso schr ist es aber auch wünschenswerth, dafs 
die neuesten Ablagerungen und lebenden Spongillen als Oberflächen- 
schlamm und Gebilde des Salzsees der mikroskopischen Prüfung 
zugänglich werden. Sollten sich die Meeresformen in diesem Salz- 
see nicht lebend finden, so würden die grolsen Lager jener Bio- 
lithe als einer früheren Bildungszeit zugehörig durch ihre Elemente 
bezeichnet sein, sowie auch Professor Hague in seinem beigefüg- 
ten ausführlichen Schreiben dieselben als Tertiärbildung aufgefafst 
hat, während sie Professor Whitney der neuesten Erdbildung mit 
überweist. Das ursprüngliche Zustandekommen brackischer Baecil- 
larien- und Spongolithen-Lager auf Hochgebirgen dürfte einer wei- 
teren Erläuterung sehr würdig sein. 

Eine technische Verwendung dieser Bacillarien-Tripel soll zur 
Abschwächung der gefahrvollen zufälligen Explosion des „Dyna- 
mit“ genannten gewaltigen Sprengmittels des Nitro-Glycerin viel- 
fach jetzt stattfinden. 

Überblickt man die bisher bekannt gewordenen, nur durch 
künstlich verstärkte Sehkraft erkennbaren fossilen Überreste des 
feinen Lebens, so tritt die seit 1830 hier vorgetragene Polythala- 
mien-Kalkbildung durch kalkschalige Elemente, gewöhnlich Schreib- 
kreide genannt, in meist 800 bis 1000 Fufs Erhebung, den Boden 
vieler grofser Länder bildend, am meisten hervor. Diesen zur 
Seite ist seit 1844 eine bis 1100 Fuls mächtige kieselerdige Poly- 
_ cystinen - Mergelbildung der Insel Barbados und auch der Nico- 
baren - Inseln nachweisbar geworden. Neben vielen weniger ho- 
hen Gebirgsschichten tritt nun hiermit das organische Kieselelement 
in den Hochländern Californiens als bis 1000 Fuls mächtige und 


132 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


in der Verbreitung auch das mexikanische Gebirge weit überragende 
Erscheinung zu Tage. So wachsen denn die Erscheinungen eines 
unsichtbaren und doch mächtig wirkenden Lebens zu erfreulicher 
Genugthuung ruhiger Forschung in grolsem Maalsstabe weiter. 


Hr. Weierstrafs machte folgende Mittheilung des Hrn. Ket- 
teler in Bonn: 
Über den Einflufs der ponderablen Moleküle auf die 
Dispersion des Lichtes und über die Bedeutung der 
Constanten der Dispersionsformeln. 


Während die in letzter Zeit von Mascart') veröffentlichten 
Messungen des ultravioletten Spektrums sowie die von mir?) un- 
ternommene Untersuchung der Dispersionsverhältnisse der Gase 
bereits einen ziemlich weiten Überblick gestatten über den Verlauf 
der Dispersionscurve als einer Funktion von Wellenlänge und 
Dichtigkeit, währenddefs hat auch die Theorie insbesondere durch 
die trefflichen Arbeiten Briot’s?) einen neuen Aufschwung ge- 
nommen und durchaus neue und fruchtbare Prinzipien aufge- 
stellt. 3 

Es liegt daher die Frage nahe, ob es nicht möglich sei, aus 
dem vielen vorliegenden Material mit Innehaltung eines streng kri- 
tischen, empirischen Standpunktes zu einer Formel zu gelangen, 
die einerseits bei der bis jetzt erzielten Genauigkeit der Versuche 
als die einzig zulälsige und dabei als die dem heutigen Stande der 
Theorie einzig entsprechende erachtet werden müsse. 


1) Mascart, Ann. de l’&cole normale, t. I. und Ann. de chim. 4 serie, 
t, XIV. 

?) Ketteler, Beobachtungen über die Farbenzerstreuung der Gase, 
Bonn 1865. — Monatsberichte der Königl. Akademie, November 1864. — 
Sitzungsberichte der Niederrhein. Gesellschaft, Dec. 1868. 

3) Briot, Essais sur la theorie mathematique de la lumiere. Paris 
1864. 


doms 1a Felruar 1870: 133 


Die Anforderungen, die man an eine rationelle Dispersions- 
formel zu stellen berechtigt ist, lassen sich meines Erachtens in 
die vier folgenden Punkte zusammenfassen: 

1. Eine rationelle Formel mufs bei einer bestimmten Dich- 
tigkeit des dispergirenden Mittels für den ganzen bekann- 
ten Umfang der prismatischen Strahlung die einzelnen Far- 
ben in richtiger räumlicher Aufeinanderfolge aus den 
Wellenlängen berechnen lassen. 

2. Ihren Constanten muls, etwa in analoger Weise wie bei 
der bekannten Interpretation Christoffel’s') (bezüglich 
zweier Cauchy’schen Oonstanten) eine specifisch physika- 
lische Bedeutung untergelegt werden können. 

3. Bei Dichtigkeitsänderungen seitens der dispergirenden Sub- 
stanz müssen diese Constanten in einer einfachen, den Gas- 
versuchen entsprechenden Weise an den Änderungen der 
Molekular-Constitution participiren. Speciell also müssen 

4. an der Gränze der Verdünnung die Indices sämmtlicher 
Farben gleichzeitig den gleichen Gränzwerth 1 erreichen. 

Demnach wird eine Arbeit, die sich dieses Ziel gestellt hat, 
naturgemäls in drei entsprechende Abschnitte zerfallen. Es sind 
zunächst die einzelnen vorgeschlagenen Ausdrücke auf dem Wege 
der Rechnung hinsichtlich ihres Baues und der Anzahl ihrer Glie- 
der nach dem Grade ihrer Leistungsfähigkeit zu beurtheilen. So- 
dann werden die mathematischen Charaktere der gewonnenen Con- 
stanten Hervorgehoben, die Constanten also nach der formellen 
Seite interpretirt werden müssen. Endlich mufs jede derselben als 
Ausflufs der bei der Dispersion zur Mitwirkung kommenden Kräfte 
erklärbar sein und darnach definirt werden. 

Ich habe es versucht, die hier besprochene Aufgabe ihrer Lö- 
sung entgegenzuführen. 

Es wurden zu dem Ende in sehr mannigfacher Weise berech- 
net: die Messungen Mascart’s, betreffend das ordinäre und extra- 
ordinäre Spektrum des Kalkspath und Quarz sowie das Spektrum 
eines stark zerstreuenden Flintglases, Messungen, die sich aulser 
auf die optischen auch auf einen mehr oder minder grofsen Theil 
der ultravioletten Strahlen erstrecken, — ferner die Indices des 
Wassers, die bei Anwendung der gebräuchlichen Formeln eine be- 


1) Christoffel, Monatsberichte der Königl. Akademie, Okt. 1861. 


134 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


merkenswerthe Anomalie zeigen, die Indices des schweren Merz’- 
schen Flintglases, für das van der Willigen') zwischen den 
Fraunhofer’schen Linien A und 7 nicht weniger als zweiund- 
fünfzig Linien berücksichtigt hat, sowie endlich das Spektrum des 
Schwefelkohlenstoff von Verdet?) und die drei Hauptspektren des 
Arragonit von Rudberg. Dabei wurden die Constanten der zu 
vergleichenden Ausdrücke zum Theil aus einzelnen Beobachtungen, 
zum Theil mittelst Gruppirung sämmtlicher disponibler Gleichungen 
und zum Theil mittelst Anwendung der Methode der kleinsten Qua- 
drate berechnet. 

Zugleich war für die Abschätzung und Würdigung der mit 
einander concurrirenden Ausdrücke das Kriterium maalsgebend, dafs 
diejenige Reihe, resp. diejenige Combination von Reihen, welche 
bei gleicher Brauchbarkeit die kleinste Anzahl Constanten, also die 
stärkste Convergenz besitzt, vor allen übrigen den Vorzug ver- 
dient. 

Das Resultat dieses Theiles der Arbeit läfst sich dahin zu- 
sammenfassen, dafs: 

1) die reine Cauchy’sche Reihe, d. h. diejenige, deren Glieder 

£ortschreiten nach Potenzen der reciproken Quadrate der in- 


r r 2. r . u 
neren Wellenlänge ( — a der Erfahrung nicht genügt, 


N 

dafs dieselbe 

2) durch ein das Quadrat der direkten Wellenlänge enthalten- 
tendes Glied ergänzt werden müsse, und dals so im Gan- 
zen vier Glieder erforderlich sind und ausreichen, dafs man 
endlich auch 

3) die die Wellenlängen enthaltenden Glieder in einer gewis- 
sen abschliefsenden Weise zusammenfassen dürfe, ohne da- 
durch der empirischen Brauchbarkeit irgendwie Abbruch zu 
thun. 

Die so gewonnene Dispersionsformel hat vier Constanten, und 
da je zwei derselben sich als zusammengehöriger charakteristischer 
Index und charakteristische Wellenlänge entsprechen, so folgt, dals 
jede dispergirende Substanz durch zwei bestimmte, ihr eigenthüm- 
liche Strahlen physikalisch definirt ist. Von den beiden charakte- 


1) y. d. Willigen, Archives du Musee Teyler, t. I. 
2) Verdet, Ann. de chim. 3 serie, t. XIX. 


vom 14. Februar 1870. 135 


ristischen Wellenlängen kann — wenigstens ideell oder auch prak- 
tisch — die eine unendlich grofs werden, so dafs dann die Anzahl 
der Constanten sich anf drei redueirt. Der eine der beiden ge- 
nannten Strahlen begränzt das Spektrum auf der ultravioletten 
Seite — ich nenne seine Elemente No, lo, ?o —, der andere auf 
der ultrarothen Seite, und seine Elemente heifsen YA 
schen beiden liegt dann noch ein dritter ausgezeichneter Strahl, 
dem im Allgemeinen auf der Dispersionscurve ein unbestimmter 
Punkt (n,, !ı,?,) entspricht. Nur in dem eben erwähnten Spe- 
eialfall wird 7, = 1; = wo, und der Index wird ein asymptotischer 
Gränzindex (nn =n; = n,) auf der ultrarothen Seite des Spek- 
trums. 

Falst man die Abhängigkeit der eiuzelnen Glieder der Dis- 
' persionsformel von der Dichtigkeit ins Auge, so ergibt sich, dafs 
dasjenige Glied, welches (in der ungeschlossenen Reihe) die direkte 
Wellenlänge enthält, bei Abnahme der Dichtigkeit rascher abnimmt 
als die übrigen, so dafs an der Gränze der Verdünnung die Zahl 
der merklichen Glieder und folglich die der Constanten sich stets 
auf drei reducirt. 

Ich definire dabei analog dem Begriffe der sogenannten brechen- 


2 2 
0 — 


den Kraft n3 — 1 den Quotienten — als dispergirende Kraft. 
N; 


— Führt man zugleich in die Dispersionsformel diejenige Gröfse 
ein, die als Gränzwellenlänge (A,) an der Gränze der Verdünnung 
(d= 0) deflnirt werden mufs, so zeigt sich, dafs diese Gröfse bei 
Gasen von der Dichtigkeit unabhängig ist, dafs dasselbe wahr- 
scheinlich der Fall ist für den flüssigen Zustand, und dafs selbst 
die Einwirkung der Krystallisationskraft sie anscheinend nicht ver- 
ändert. 

Was schliefslich die Beziehungen zur Theorie betrifft, so denke 
ich mir mit Briot die dispergirenden Medien als Aggregate aus 
ponderablen und Äthermolekülen und zwar. derart, dafs jedes pon- 
derable Molekül mit einer Atmosphäre von verdichtetem Äther um- 
geben ist, und dafs innerhalb der so gebildeten intramolekularen 
Zellen die Dichtigkeit des Äthers von einer zur andern periodisch 
varürt, etwa wie momentan die Dichtigkeit der Luft zwischen den 
Dichtigkeitsmaximis einer longitudinalen Klangwelle. Es sind dann 
dreierlei Arten von Kräften in Betracht zu ziehen, Attraction zwi- 
schen den ponderablen Molekülen, Attraction zwischen ponderablen 


136 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


und Äthermolekülen und Repulsion zwischen den Äthertheilehen. 
Sofern nun im Allgemeinen von der ersteren abstrahirt werden 
darf, so verbindet sich die zweite mit der dritten zu einer Resul- 
tirenden, und zwar zeigt sich die Attraetion zwischen ponderablen 
und Äthermolekülen einmal als statische, die Anordnung des Äthers 
modificirende Kraft, dann aber auch als dynamische, die Schwin- 
gungen des Äthers beeinflussende Kraft. 

Dem entsprechend zeige ich, dafs die drei Arten von Gliedern, 
welche die Dispersionsformel enthält, auf drei besondere physika- 
lische Kräfte zurückzuführen sind. Das constante, von der Wel- 
lenlänge unabhängige Glied repräsentirt die Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit, mit der sich in einem gleichförmig isotropen Medium von 
der gleichen mittleren Dichte (aber unendlich dünn gedacht) sämmt- 
liche Farben fortpflanzen würden. 

Das, das Quadrat der direeten Wellenlänge enthaltende Glied 
rührt her von der direkten, dynamischen Einwirkung der ponde- 
rablen Moleküle auf die schwingenden Äthertheilchen und wird für 
Gase zwar nicht vernichtet, aber doch unmerklich. 

Die beiden übrigen, die ersten quadratischen Potenzen der re- 
ciproken Wellenlänge enthaltenden Glieder messen die Stärke der 
Concentration der Ätherhüllen um ihren ponderablen Kern und da- 
mit die Amplitüde der periodischen Modificationen der Dichtigkeit 
des Äthers. 

Zwischen der Amplitüde «a und der zerstreuenden Kraft besteht 
die einfache Relation: 


N Ä , 1 er 
und ich definire die Constante er oder das Verhältnifs der zer- 
1 


streuenden Kraft zur Amplitüde als das Zerstreuungsvermögen. 
Das Zerstreuungsvermögen eines dispergirenden Mittels ist wesent- 
lich bedingt durch den Charakter oder die Form der periodischen 
Ungleichheiten, diese letztere aber nur abhängig von der chemischen 
Substanz, dagegen unabhängig von der Dichtigkeit. 

Für Gase ist die Amplitüde «a der Quadratwurzel aus ihrer 
Dichtigkeit proportional. 

Endlich läfst sich rücksichtlich der Gröfse a, (proportional 
mit A.) noch der folgende Satz aussprechen: Wird die Dichtigkeit 


vom 14. Februar 1870. 137 


einer dispergirenden Substanz, die wie Schwefelkohlenstoff seitens 
ihrer ponderablen Moleküle nur eine äufserst schwache direkte Ein- 
wirkung bethätigt, vom Gränzzustand (d—= 0) an continuirlich ge- 
steigert, so wird die zugehörige Curve der Dispersion einmal, bei 
einer ganz bestimmten Dichtigkeit, in eine Lage kommen, deren 
mathematischer Ausdruck die Christoffel’sche Formel ist; die 
dieser Dichtigkeit entsprechende Amplitüde ist angenähert — a,. 


Für den gedachten Specialfall ist: 


Ebenso einfach ist die Beziehung, die auf der anderen Hälfte 
_ der Dispersionseurve den Gränzstrahl (nz, 1,,?%,) mit dem charak- 
teristischen Mittelstrahl verbindet. 

Nenne ich X’ den Coefficienten des die direkte Wellenlänge 
enthaltenden Gliedes und setze k— n?k', so bestehen die Glei- 
chungen: 


N, 1 


IT =-—. 
a ok 


Die erstere bleibt gültig für alle nicht zu grofsen Werthe von k, 


2 2 
die zweite ersetzt sich für den Specialfall A Pinaahh. durch die 


2 
nı V 


S 
LS} 


Proportion: 


Dem entsprechend wäre das Spektrum der Refraetion zwischen 
den Gränzen: 


N, = n,Yy2 
n,;, = n,V2 


N. = Ang 


enthalten, den Christoffel’schen Specialfall vorausgesetzt. 


Schreibt man uw, — v2; so ist: 


w3 7 ay2 ’ 
[1870] | 10 


138 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 14. Februar 1870. 


unter & die Lichtgeschwindigkeit im freien Weltäther verstanden, 
die Gränzgeschwindigkeit, die in einem unendlich dünnen Gase von 
einer unendlich grofsen Welle höchstens erreicht wird. Diese Ge- 
schwindigkeit mufs aber angenähert schon in den gewöhnlichen 
Gasen endlichen Wellen von einer gewisseu beträchtlichen Gröfse 
an zukommen. Sie fällt nahezu zusammen mit derjenigen Con- 
stanten 
c = 59320 Meilen, 


die von Kohlrausch und Weber definirt ist als diejenige rela- 
tive Geschwindigkeit zweier elektrischen Massen gegen einander, 
bei der sie nicht mehr auf einander einwirken. 

Auf eine Beziehung zum Leitungsvermögen für Elektrieität 
deutet ferner das Verhalten des Coefficienten k. Ordnet man näm- 
lich die durchsichtigen Mittel je nach der Gröfse desselben in Grup- 
pen, so stellen sich anscheinend einerseits Wasser, Schwefelsäure 
und Chlorzinklösung, andererseits Schwefelkohlenstoff, Phosphor 
und Arragonit (y) als die extremen zusammen. 

Die Formel selbst, die sich mit Nothwendigkeit aus der Er- 
fahrung zu ergeben schien, und von der ich wohl hinzufügen darf, 
dafs sie durch Briot’s Theorie eine gewisse Bestätigung erhalten, 
hat die Form: 


vo: — dl! ı Ba 
TB DR 
wenn v die der inneren Wellenlänge Z=v.T entsprechende Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit bedeutet. 4A, B,C, D sind Constanten, 
von denen B und D, reciprok genommen, wenigstens für die un- 
tersuchten optischen Mittel Gröfsen derselben Ordnung sind. 

Dem Gesagten zufolge wirkeu zur Hervorrufung der Disper- 
sion im Allgemeinen zwei wesentlich verschiedene, nicht parallel 
laufende Kräfte zusammen, und wie z. B. beim Schwefelkohlenstoff 
der Einflufs der einen stark zurücktritt, so mag es andere Mittel 
geben, in denen umgekehrt die periodische Modification des Äthers 
klein ist gegen die direkte Einwirkung der ponderablen Moleküle. 

Sollte nnn ein wohlbekannter Versuch von Quincke auf die Me- 
talle als diese letzteren hindeuten, so halten sich bei der Disper- 
sion des Wassers beide Arten von Kräften nahe das Gleichgewicht. 
Und wenn man annimmt, dafs bei Abnahme seiner Dichtigkeit eine 
jede derselben zwar regulär, aber ungleich schnell geschwächt 


Gesammtsitzung vom 17. Februar 1870. 139 


wird, so findet vielleicht auch die Anomalie, die seine Indices un- 
terhalb des Dichtigkeitsmaximums zeigen, eine naturgemälse Er- 
‚klärung, 


Hr. Weierstrafs machte sodann — im Anschlufs an die am 
2. December v. J. gelesene Notiz — eine weitere Mittheilung aus 
seinen Untersuchungen über die 2nfach periodischen Funktionen. 


17. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Petermann las über die Eroberung von Jerusalem durch 
Saladin und dessen weitere Thaten im Jahre 1187 n. Ch. nach 


| ‘ Imäd el Ispahäni. 


Hr. Ehrenberg legte ein an ihn adressirtes arabisches Schrei- 
ben des ägyptischen Gouverneurs im Sudan, Djafer Pascha, vor, 
worin derselbe seinen Dank für die Anerkennung seiner Theil- 
nahme an den Bestrebungen des Naturforschers Hrn. Dr. Schwein- 
furth ausspricht und auch für die Zukunft seine den Absichten der 
Akademie entsprechende gröfste Bereitwilligkeit der Beförderung 
derselben anzeigt. 


Hr. Pertz legte den Ersten Band der von ihm veranstalteten 
Sammlung von Schrifttafeln zum Gebrauche bei diplo- 


. matischen Vorlesungen — Hannover im Verlage der Hahn- 
schen Hofbuchhandlung 1869, 97 Platten nebst 3 Bogen Inhaltsver- 
zeichnissen in Folio — vor, und erklärte sich darüber wie folgt: 


Als bei Entwerfung des Plans der Monumenta Germaniae die 
Ausstattung und Beglaubigung der Texte durch getreue Schrift- 
10* 


140 Gesammtsitzung 


muster beschlossen wurde, bedachte ich die Leichtigkeit, durch 
eine Zusammenstellung der einzelnen auf diese Weise im Laufe der 
Zeit zu gewinnenden Musterbilder den fühlbaren Mangel zweckmä- 
(siger und mannigfaltig nützlicher Hülfsmittel für das diplomatische 
Studium zu ersetzen. Es würden sich somit zwei verschiedene 
Theile, einer für Bücher, der andere für Urkunden bilden lassen, 
wenn grundsätzlich auch bei Herausgabe der letzteren auf Nachbil- 
dung einer geeigneten Urkunde jedes Königs und Kaisers gehalten, 
und die Elemente einer deutschen Diplomatik in der Zeitfolge ge- 
wonnen wären. An diesen letztern Theil wird mit dem nahe bevor- 
stehenden Erscheinen der Kaiserurkunden gedacht werden. Die 
Erfordernisse des ersten sind allmälig mit dem Vorschreiten der 
Scriptoren und Leges zusammengekommen, indem der Herr Verle- 
ger der Monumenta meinem Wunsche durch Veranstaltung einer et- 
was erhöheten Zahl Abdrücke der für die Auflage der Monumenta 
erforderlichen Schrifttafeln entsprochen, und jetzt das Zusammenle- 
gen der in zehn Heften einzeln erschienenen Handschriftentafeln 
der vorliegenden 22 Bände veranstaltet hat. Die wissenschaftliche 
Vereinigung derselben ist durch Professor Dr. Karl Pertz ausge- 
führt, welcher dem Bande eine chronologische Übersicht der in den 
sämmtlichen Schrifttafeln enthaltenen Arten in folgender Ordnung 
vorgesetzt hat: 
I. Uncialschrift. II. Beneventanische Schrift. II. Angel- 
sächsische Schrift. IV. Karolingische Halbeursive. V. Mi- 
nuskelschrift nach ihrer Entwickelung in Folge der Jahr- 
hunderte, dem 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. unserer 
Zeitrechnung. 
Die beschränktere Zahl der Uncial - Proben wird durch die be- 
vorstehenden Mittheilungen aus den ältesten Handschriften der Me- 
rowinger, Langobarden, Gothen und Römer vervollständigt werden. 
Die Sammlung empfiehlt sich durch ihre Mannigfaltigkeit, die Treue, 
Gröfse und den Werth ihrer ausgewählten Bestandtheile und ihre 
leichte Zugänglichkeit. 


vom 1/7. Februar 1870. 141 


Hierauf wurde der folgende Aufsatz des Hrn. Gerhardt in 
Eisleben mitgetheilt: 
Zur Geschichte der Algebra in Deutschland. 
Zweiter Theil. ‚ 


In dem ersten Theil (Monatsberichte 1867 S. 38 ff.) habe ich 
aus den bisher zugänglichen Druckschriften die Anfänge der Al- 
gebra in Deutschland dargestellt. Es blieben die Fragen zu erle- 
digen: aus welcher Grundlage haben die ersten deutschen Algebri- 
sten, Henricus Grammateus (Schreyber aus Erfurt) und Christoff 
Rudolff von Jauer geschöpft? haben sie sich an arabische oder 
italienische Schriftsteller angeschlossen? und was haben sie selbst- 
ständig geleistet? 

Hierzu war eine Durchmusterung der in den Bibliotheken von 
Wien, München, Nürnberg vorhandenen Manuscripte nöthig; ich 
habe sie im Sommer 1867 ausgeführt. Mein Plan, vor allem nach 
lateinischen Übersetzungen arabischer Schriftsteller über Algebra 
zu suchen, wie deren Libri (Hist. des mathe&mat. en Italie, Tom. I. 
p- 253) von der Algebra des Mohammed ben Musa als in der Kai- 
serlichen Bibliothek zu Paris vorhanden erwähnt, war für Wien 
wenigstens ohne Erfolg’); in München dagegen fand ich in der 
Handschrift n. 14908, die aus der Benedietiner-Abtei St. Emmeran 
stammt und die das gesammte mathematische Wissen um die Mitte 
des 15. Jahrhunderts in Deutschland enthält”), das Bruchstück 


!) Ich bemerke, dafs vielleicht noch manches, was mir entgangen, durch 
die begonnene genaue Catalogisirung der Manuscripte der Wiener Bibliothek 
zu Tage gefördert werden kann. Dasselbe gilt von der Bibliothek in 
München. | 

?) Der Codex enthält: Modum reductionis minutiarum vulgarium atque 
physicarum dissimilium denominationum ad eandem denominationem commu- 
nem et reductionis integrerum ad minutias et e converso subjungere, aus dem 
Jahr 1457; es wird darin über die Additio, Subtraetio, Duplatio, Dimidiatio, 
Multiplicatio, Divisio in Brüchen gehandelt, ferner de radice quadrata in mi- 
nutiis, extractio radicis cubicae in minutiis, Regula fractionis fractionum; dar- 
auf folgt in deutscher Sprache: von geraden und ungeraden Zahlen, von per- 
fecten Zahlen, Progressio; nach vielen Beispielen kommt die Regula falsi, 
alsdann Ampliatio Regulae Proportionum, De aurea Regula vel de tre (die 
beigebrachten Beispiele zum Theil deutsch, zum Theil lateinisch), Regula ligar 
(d. i. Mischungsrechnung), Regula positionis, Conversa regula de tre, Regula 


142 Gesammtsitzung 


eines Auszugs aus der Algebra des Mohammed ben Musa in deut- 
scher Sprache aus dem Jahre 1461. Dasselbe lautet: 

Machmet in dem puech algebra un almalcobula hat gepruchet 
dise wort census, radix, numerus. ÜCensus ist ain yede zal die in 
sich selb multiplieirt wirt, das ist numerus quadratus. Radix ist 
die wurtz der zal oder des zins. Numerus ist ain zal für sich 
selb gemercket, nit alz sie ain zins oder ain wurtz ist. Aus den 
dingen merkt er 6 ding: das erst wann der eensus sich gelichet 
den wurtzen, daz ander so der census sich gelichet der zal, daz 
drit so sich dye zal gelichet den wurtzen, das 4 so sich der cen- 
sus vnd die wurtzen gelichent der zal, als ob man spreche, ain 
eensus vnd 10 wurtz gelichent sich 32.') Daz fünft ist so sich 
der census vnd die zal gelichent den wurtzen, das sechst so sich 
die wurtzen vnd die zal gelichent dem census. 

* Dar?) vmb sprech ainer: gib mir ain zensus vnd zuech dar- 
von sin wurtz vnd von dem daz vberbelyb an dem census zuech 
och aufs dye wurtz, die zwo wurtz tue zusamen daz 2 zal daraufs 
werden. So aber daz nit in der sechs regel ainer stat, so bring 


augmentationis, De societatibus aenigmata (Gesellschaftsrechnung), De Mone- 
tibus, Divinari (d. i. Zahlen errathen). Hierauf folgt das oben vollständig 
mitgetheilte Bruchstück der Algebra aus dem Jahr 1461. Ferner enthält der 
Codex: Algorismus Proportionum Nicolai Orem (d.i. Nicolai Oresmii) aus 
dem Jahr 1456; Thomae Bradwardini geometria; Geometrica practica cum 
figuris; Nieolai de Cusa liber de geometrieis transmutationibus, Ejusdem Trac- 


tatus de mathematieis complementis. 
1) Soll heifsen 39, wie in der Algebra des Mohammed ben Musa steht. 
2) Das folgende Beispiel behandelt die Gleichung 
z<+Va?—r=?2. 
Der Gang der Auflösung lälst sich so darstellen: 5 
2 — 2 —=2—% 
2x —=4—4r+ a 
2 —=4—3r +? 


sc =4 
= 14 
an 


Dies Beispiel findet sich in der von Libri publieirten lateinischen Übersetzung 
l. ce. p 296. 


vom 17. Februar 1870. 143 


es in ain regel also. Es sollen die zwo wurtz 2 numero gelich 
gesin, so kompt es in die dritten regel, darumb zuech ab von den 
% numero die wurtzen dez census, so belyben 2 minder der wur- 
tzen defs zins, dafs selb belybend ist gelych der wurtzen defs dafs 
ain census überbelybt sein wurtz darvon gezogen wurt, daz du 
aber habest dez gelychnufs daz überbelybt, so multiplieir die 2 
dragmas minder ainer wurtzen in sich selb, so kommen 4 dragma 
vnd ain zins minder 4 wurtzen, daz wurt gelich dem daz überbe- 
]ybt an dem census, wann sein wurtz darvon wart gezogen. Nun 
zuech darvon dye gemindert wurtz, so belybt 1 census vnd 4 drag- 
me gelich ain census vnd 3 wurtz. Nun tu baindenthalb den zins 
darvon, so beleybt dennocht (?) dafs übrig gelich, dafs ist 4 dragme 
sind gelych 3 wurtzen. So muls ain wurtz 14 sein. wann 3mal 13 
macht 4, multiplieir 14 in sich selb, so kompt 4$, daz ist der 
census vnd sein wurtz ist 14, vnd wann tue 1z tust von 1, so 
belyb #, die wurtz von $ ist $, die 3 zu der wurtzen 16, Jdaz ist 
14, macht 2 gantz. 

So weit zur Zeit bekannt, ist dies die erste Erwähnung der 
Algebra in Deutschland. 

In der Wiener Bibliothek gelang es mir das Manuscript auf- 
zufinden, das zum Theil wenigstens die Grundlage zu den Schrif- 
ten von Henr. Grammateus und Ch. Rudolff bildet. Es ist 
dasselbe Manuscript, das aus dem Nachlasse Stöberl’s (Stiborius) 
in die Wiener Universitätsbibliothek kam (Monatsberichte 1867 
S. 46), und die Aufschrift hat: Regule Cose vel Algobre.') Es 
enthält im Anfang eine übersichtliche Zusammenstellung der Re- 
geln über die algebraische Addition, Subtraction und Multiplication. 
Von der letztern geht es weiter zu den Potenzen und deren Be- 
zeichnung, so dafs hier die Regeln der Division ganz fehlen. Dar- 
auf folgen unter der Aufschtift: Incipit Algorithmus de integris 
que subsequuntur regulis deserviens, die Regeln über die Addition, 
Subtraetion, Multiplication, Division von algebraischen Summen, 
wobei für jede Operation mehrere Beispiele beigebracht sind, deren 


1) Das Manuscript besteht aus 33 Blättern in fol. und findet sich zu- 
gleich mit mehreren andern Manuscripten aus dem Nachlafs Stöberl’s in 
einem Bande n. 5277. Da unter den darin aufgeführten algebrsischen Auf- 
gaben eine ziemliche Anzahl in deutscher Sprache beigebracht wird, so 
dürfte die Abfassung desselben um die Mitte des 15. Jahrh. zu setzen sein. 


144 Gesammtsitzung 


Resultate durch eine „Probatio® als richtig dargethan werden. Die 
Behandlung der Division algebraischer Summen ist äufserst man- 
gelhaft und undeutlich; es wird hierbei auf die später folgenden 
Gleichungen verwiesen. Nächstdem kommt Bruchrechnung und 
Regula de tri. Hieran schliefsen sich: Regule equationum Intro- 
duetorie in omnia que deinceps sequuntur dogmata (d. i. Beispiele). 
Diese Regeln, acht an der Zahl, beziehen sich auf die folgenden 
Formen von Gleichungen: 


32—=6,30° = 12, 22° =16, 0, == 82, 
92° +4 = 20,42” +8= 12, ar 12 mean 


>} 
rt =. 


Um von diesem Theil des Manuscripts eine Anschauung zu geben, 
soll der Anfang hier mitgetheilt werden: Quarum prima est quan- 
docunque due denominationes coequantur, quarum una naturali se- 
rie aliam sequitur, tunc prima per secundam dividatur, et quotiens 
ostendit quesitum. 


Exempla. 
3% 6P 
43 8% 
uf sunt aequales 198 facit 1%2P 
633 12 ce 
7 alt 1433 
83 + ce 16 alt 


Secunda regula 

facta relatione duarum denominationum quarım una non immediate 
sequitur aliam, sed una silentio pertransitur, tunc prior per poste- 
iorem dividatur, et quotientis radix quadrata docet optatum. 


Exempla. 
33 12 p 
4ce | 16% 
533 ® sunt aequales 3 203 ‘ Sacit 1%2% 
6 alt | 24 ce 
7;tce) | 28 33 


vom 17. Februar 1870. 145 


Nachdem nun für eine jede dieser acht Hauptregeln eine An- 
zahl Beispiele, die Mehrzahl lateinisch, andere in deutscher Spra- 
che, mit ihren Lösungen beigebracht sind, folgen noch eine neunte 
und zehnte Regel, die des Folgenden wegen hier wörtlich angeführt 
werden sollen. Nona regula: Quum 3 assimilatur % de &, punc- 
tus (sic!) de % deleatur, 3 in se ducatur, et remanent adhuc inter 
se aequalia. — Decima regula: Quum 5 assimilatur & de 3, tunc 
punctus de 3 deleatur, 3 ex altera parte in se ducatur, et remanent 
adhuc inter se aequalia. — Das vorletzte Blatt des Manuscripts 
enthält ein Tableau unter der Aufschrift: Regule Cosse, in wel- 
chem die 24 Formen von Gleichungen!) zusammengestellt sind, 
die von Adam Riese ebenfalls angegeben und auch von Ch. Ru- 
dolff und Stifel erwähnt werden. Beide Angaben, die des in 
Rede stehenden Tableaus uud wie sie von Riese aufgezählt wer- 
den, folgen hier in der gegenwärtig üblichen Zeichensprache mit 
Weglassung der Üoefficienten: 


!) Ich habe sie in dem ersten 'Theil (Monatsberichte 1867 S. 49) mit 
dem nicht passenden Ausdruck „Rechnungsregeln“ bezeichnet; es ist leicht zu 
sehen, dafs diese 24 Formen aus den 8 Hauptgleichungen speecialisirt sind. 
Deshalb wurden sie auch später von Ch. Rudolff, Riese, Stiefel ver- 
worfen. 


146 Gesammtsitzung 


Formen des Tableaus Nach Riese 
nm % I. er 
2.2 =. ı.,.n=«" 
3,0 = «° 3.0= u 
4,2? =.“ A.n=x-+» 
/ in = B.e=n-+au? 
6.2 = 6b. n+kr=ı? 
1.2 =ı° ee He 
8.n =. ee 
ner gg 0 m 
10.2 =e#+: 10.2 =«’ +» 
1.2 =.?-+.° 1l.® =a-+r 
12. =ıH+$n 2.2°=ı?" +8 
3.0 =-r’+ı 13. =» 
14. at = a’+.° 14. + =»? 
5.2 =. +n dat en 
16.2? = a’ +. 16.0? =a’+uat 
1.0 =. + 17.23 =a’+« 
18. n a? +. 18.0 = a’ + « 
9..=ı?" +n 19. © = Va 
2. =ıt+tn 20. x = Ver? 
ln =«#° N 
2.2 =«* 29.n =a’+ax° 
Dana = t 93.0 —=n-+a« 
ee 4.at=a’+n.) 


1) Abgesehen von der Reihenfolge stimmen die Formen in beiden Auf- 
zählungen überein, denn offenbar fehlen in den beiden letztern Formen des 
Tableaus die Wurzelzeichen, die in n. 19 und 20 nach Riese erscheinen. 


vom 17. Fobruan 1870. : 147 


Die folgende Seite des Manuscripts enthält verschiedene Bemer- 
kungen, Zusammenstellung von bereits Erwähntem, Beispiele u. s. w. 
Hiervon ist die erste Bemerkung besonders wichtig: Per punctum 
intellige radicem. 

Was das in Rede stehende Manuscript besonders eharakterisirt 
und wodurch es sich wesentlich von andern Handsehriften und 
vielen ersten Druckwerken unterscheidet, ist die schematische Art 
des Ausdrucks: die Regeln, die sonst nur in Worten gegeben wer- 
den, sind hier auf kurze Weise möglichst durch Zeiehen ausge- 
drückt. So lautet z.B. der Anfang: 


Conditiones eirca + vel — in additione 


+ et + 


iR > 
> facit >> addatur non sumendo respectum quis nu- 
et. — = 


merus sit superior. 
et TI . . . . 
>> simplieiter subtrahatur minor numerus a 


a: . . . . 
majori et residuo sua ascribatur nota. 


— 
Si fuerit | 


Conditiones eirca + et — in subtractione. 


Si fuerit + et + vel — et —, existente numero superiore ma- 
jore, fiat subtractio et relicto sua ascribatur nota. Si inferior ex- 
cesserit superiorem, fiat subtractio et residuo apponatur nota aliena. 


. ; —+ et — ]) addatur absque ullo respectu superioris [+ 
Si fuerit | q P P | 


ib eg et inferioris, quaesitum ad excessum pro- 
ductum habebit 


Diese schematische Darstellung ist offenbar die Folge des Gebrauchs 
der Zeichen + und —, die in Deutschland zuerst auftreten. Es 
konnte nun demjenigen, der nicht blofs mechanisch rechnete, dem 
es vielmehr um die Ausbildung der Wissenschaft zu thun war, 
nicht entgehen, dafs die Einführung anderer Zeichen für die übri- 
gen Operationen von grölstem Nutzen sein mülste. In Bezug hier- 
auf ist hervorzuheben, was meines Wissens noch nicht geschehen 
ist, dafs die Einführung des Wurzelzeichens ebenfalls 
den deutschen Algebristen zu verdanken ist. Um dies 
deutlich auseinander zu setzen, mu/s auf die indischen und arabi- 
schen Mathematiker zurückgegangen werden. 


148 Gesammtsitzung 


Bekanntlich ist in dem Werk Bhascara’s (12. Jahrh. n. Chr.) 
Lilawati genannt, eine Abhandlung über die Arithmetik der Inder 
enthalten. Ich entnehme daraus die Ausziehung der Quadratwur- 
zel, und zwar nach der Übersetzung Taylor’s (Bombay 1816), 
die das Verfahren und die Erläuterungen des Commentators Ga- 
nesa vollständiger giebt, als die Bearbeitung Colebrooke’s. Da 
die genannte Übersetzung äufserst selten ist, SO will ich die Stelle 
hier vollständig reprodueiren. Bhascara’s Vorschrift zur Aus- 
ziehung der Quadratwurzel lautet: 

Of the Square Root. 

Subtract from the last uneven period the greatest square which 
it contains. Set down double the square root in a separate line, 
and after dividing by it the next even period, subtract the square 
of the quotient from the next uneven period, and also set down 
double this quotient in the line: Then divide the next even period 
by the number in the line, and on subtracting the square of the 
quotient from the next uneven period, set down double this quo- 
tient in the line. Thus repeat the operation thro’ all the figures. 
"The half of the separate or quotient line is the root. — 

Dazu giebt Taylor folgende Explication, zugleich mit der 
Übersetzung des Commentars von Ganesa: | 

The figures in the first, third, fifth ete. places, reckoning from the 
right, are called visama or uneven, and are marked by a perpendi- 
cular stroke. Those in the second, fourth, sixth etc. places, are cal- 
led sama or even, and are marked by a horizontal stroke. In the 
operation the period receives its name from the denomination of the 
first figure on the right hand. When the first figure on the right is une- 
ven, the periodis called uneven; when this first figure is even, the period 


is called even. Thus in the subsequent example of extracting the squa- 
I 
re root of 88209, the numbers 48, 122, 410, 49, are respectively na- 


med even, uneven, even, uneven. The details of the operation are 


11-1 
thus given in the commentary, tacking for exemple 88209. „Make 
| 


the marks even and uneven. Here the last uneven figure is 8; 
from this subtract 4 which is the square of 2, and there remains 


11-1 
of the square number 48209: Then multiply the root of 4 by 2, 
the product is 4; set this down in a separate line, and by it di- 


I1— - 
vide te next even period 48; the quotient is 9, and there remains 


vom 17. Februar 1870. 149 


' It! 
of the square 12209; subtract 81 which is the square of the quo- 
1-1 
tient 9 from the next uneven period 122; there remains of the 


1-1 
square 4109: Then multiply the quotient 9 by 2; the product is 
18, which being put down in the separate line below 4, one place 
forward, the sum is 58: By this number divide the next even pe- 


riod 110; the quotient is 7, and there remains of the square 19; 
from this uneven period subtract 49 which is the square of 7; no 
remainder is lest: Then multiply the quotient 7 by 2, the product 
is 14; put this down in the separate line one place forward, and 
add together the different products in the separate line; their sum 
is 594, and the half of this is 297, which is the root of the 
square 88209.“ 

Will man sich von der praktischen Ausführung des hier be- 
schriebenen Verfahrens eine Vorstellung machen, so mus man wis- 
sen, dafs die Inder auf einer kleinen weilsen Tafel von 12 Zoll 
Länge und 8 Zoll Breite, die mit rothem Sand bedeckt war, rech- 
neten; mit einem Holzstift entfernten sie den Sand, so dafs die 
Ziffern auf dem weilsen Grund der Tafel sichtbar wurden. Leicht 
konnten die Ziffern, die nicht mehr gebraucht wurden, mit dem 
Finger ausgewischt werden, so dafs nur die Ziffern, die unmittel- 
bar bei der Rechnung in Betracht kamen, auf der Tafel vorhanden 
waren.) Demnach wird das obige Beispiel sich so darstellen: 


| 
09 22 2-34 


I—| 

882 

I-1-—| 

18209 oa 

1-1-|1 

19309 58 

—I1-—| 

1109 N, es ey 
19 ee 

)997 


mit dem Unterschied, dafs die Zahlen 83209, 48209, 12209 u. s. w. 
nicht zusammen auf der Tafel vorhanden sind, sondern immer nur 
eine. Daraus erklärt sich denn auch die eigenthümliche Bestim- 


!) Taylor Lilawati, Introduction. 


150 Gesammtsitzung 


mung der Wurzel, dafs nämlich durch Halbirung der Summen der 
Producte, die man zur Bestimmung der Divisoren bildet, die Wur- 
zel gefunden wird: es ist eben auf der Rechentafel zuletzt nichts 
weiter vorhanden, als jene Summe. 

Dies Verfahren der indischen Mathematiker in Betreff der 
Wurzelausziehung wurde von den Arabern aufgenommen; äulser- 
lich machten sie einige Abänderungen, sie liefsen z. B. bei der 
Eintheilung der Zahl die Horizontalstriche weg und setzten an die 
Stelle der Verticalstriche Punkte, neben welchen die Ziffern der 
Wurzel ihre Stelle erhielten’) Am ausführlichsten beschreibt ein 
arabischer Mathematiker der spätesten Zeit (aus dem 15. Jahrh.) 
Abul Hasan Ali ben Mohammed Alkalsadi in seiner Arithmetik 
die dabei befolgte Praxis: La?) pratique de cette operation con- 
siste & compter les rangs du (nombre propose) en (disant alternative- 
ment) „racine, point de racine“, jusqu’ä la derniere place qui soit 
affeetde de „racine“; puis & chercher un nombre que vous poserez 


1) Ein Beispiel macht das Verfahren sofort deutlich: 


> Ro N 3 :D 
lege d.h. ı|2|8 
Ir 9 

N FR 
P|. 3m 
= wer 

be] © 2 
RE = 
we 5 
ee nalen EB 
Sl 
BEN 
u A a 
2 ya 


2) Nach der Übersetzung von Woepcke. Rom, 1859. 


vom 17. Februar 1870. 151. 


sous cette (derniere place), que vous multiplierez en lui-m&me, et 
lequel alors fera evanouir ce (nombre) qui est plac& au-dessus de 
lui, ou en laisse un reste. Ensuite vous prenez le double du nom- 
bre qui avait ete multiplie en lui-m&me, vous le faites reculer (de 
maniere qu’il se trouve) au-dessous de la place qui est affectee de 
„point de racine*, et vous cherchez un nombre que vous poserez 
sous la (place) precedente affectee de „racine*, et lequel, multiplie 
par le nombre redoubl& et par lui-m&me, fasse Evanouir ce (nom- 
bre) qui est place au-dessus de lui, ou en laisse un reste. Et 
ainsi de suite jusqu’& la fin de l’operation.') 

Was hier sofort in die Augen springt, ist dafs der Punkt das 
Zeichen für die Wurzel geworden ist. Diese Auffassung wird 
nicht nur bestätigt durch die oben mitgetheilten, aus der Wiener 
Handschrift entlehnten Stellen, in welchen geradezu „punctum“ für 
Wurzel gebraucht wird, sondern auch durch Adam Riese, in 
dessen Manuscript gebliebener Algebra die 19te Regel so lautet: 
Ist, so 3 vergleicht wird v‘ vom radix, sol man den % in sich mul- 
tiplieiren vnnd das punct vor dem Radix aufsleschn. 

Gehen wir nun zu den ersten gedruckten algebraischen Schrif- 
ten von Hen. Grammateus und Ch. Rudolff über, so befolgt 
der erstere das Verfahren der arabischen Mathematiker in Betreff 
der Ausziehung der Quadratwurzel. Er giebt folgende Regel: 
Distinguere oder vorzaichen dein vorgelegte zahl mit puncten 
anzufahen von der rechten handt also das auff der ersten 
figurn stehe ain punkt, auff der dritten aber ein punct, und 
darnach auff der fünfften figurn auch ein punct, und also wei- 
ter allemal auff die nechsten dritten figurn ain punct, also 
werden allezeit die punctlein gesatzt auff die ungeraden stat, als 
auff die 1. 3. 5. 7. 9. 11 etc. stat, und wie viel punct sein, also 
viel komen figurn in die zal welches die würtzel ist u.s. w. Doch 
Grammateus bleibt hierbei stehen und bedient sich in der Be- 


1) Das hier beschriebene Verfahren ist etwas anders als in dem obigen 
Beispiel; es stellt sich so dar: 
436 
133225 
3.6.5 
6 
72 


152 Gesammtsitzung 


handlung der algebraischen Aufgaben 2ten Grades stets des wört- 
lichen Ausdrucks „radix quadrata*. Anders Ch. Rudolff; im Tten 
Capitel des ersten Theils seiner Algebra, worin er über den algo- 
rithmum de surdis quadratorum (d. i. über irrationale Quadratwur- 
zeln) handelt, bemerkt er: Zu mercken daz radix quadrata in di- 
sem algorithmo von kürtz wegen vermerckt würt mitt solchem cha- 
racter Y, als v4 bedeutet radicem quadratam aufs 4; ferner im 
Sten Capitel, welches den algorithmum de surdis cubicorum ent- 
hält: Würt radix eubica in disem algorithmo bedeut durch solchen 
character w/, als w’8 ist zu versteen radix cubica aufs 8; dage- 
gen bezeichnet er die Wurzel des vierten Grades durch w. Die 
Inconsequenz, die in der Bezeichnung der Wurzeln der verschiede- 
nen Grade hier sich zeigt, beseitigte Mich ael Stifel; er gebraucht 
sowohl in der Arithmetica integra als in der Cofs Ch. Rudolff’s 


folgende Zeichen: 2, Y, Veen y, an welchen man noch se- 
hen kann, dafs sie aus dem Punct entstanden sind. Aus diesen 
Wurzelzeichen Stifel’s ist im Lauf der Zeit das gegenwärtige 
y geworden. 

Demnach ist die bisherige Annahme, dafs das gegenwärtig ge- 


brauchte Wurzelzeichen aus B, welches die italienischen Mathe- _ 


matiker als Abkürzung von Radix gebrauchen, hervorgegangen sei, 
durchaus unbegründet. 

Was nun die weitere Benutzung des Wiener Manuscripts von 
Seiten der ersten deutschen algebraischen Schriftsteller, Henr. 
Grammateus und Ch. Rudolff, anlangt, so erscheint der al- 
gebraische Theil der Schrift des erstern nicht unmittelbar abhängig 
von demselben; der Verfasser bewegt sich durchaus freier als Ch. 
Rudolff, und hat offenbar noch andere Quellen gehabt.') Dage- 
gen hat Ch, Rudolff nach dem Wiener Manuscript gearbeitet”); 


1) Hierauf scheinen die Worte in der Vorrede hinzudeuten: Als aber 
ich ain zeyt jn der kunst arithmetica vnd geometria etlich schöne vnd be- 
hende regeln jn villerlay sachen dienstlich zusammen gezogen u. S. W. 


2) Damit stimmt das was Stifel in der Vorrede zu Rudolf£f’s Cofs 
berichtet: Was aber dieser Christof Rudolff bey etzlichen für Dank hab, 
will ich mieh nicht jrren lassen. Ich höret auff ein zeit jm grewlich vnd 
vnehristlich fluchen, das er die Cols hatte geschriben, vnd das beste (wie 
der flucher sagt) hette verschwigen, nemlich die Demonstrationes seyner Re- 


vom 17. Februar 1870. 143 


wenigstens was die Theorie der algebraischen Gleichungen betrifft, 
so ist diese unmittelbar daraus entlehnt. Aber er beherrscht den 
ihm gebotenen Stoff selbstständig; er bleibt bei den acht Haupt- 
fällen der Gleichungen stehen und verwirft die daraus hervorge- 
gangenen 24 speciellen Fälle. Mehr aber als dieses ist hervorzu- 
heben, dafs Rudolff von der Überzeugung durchdrungen ist, dafs 
- die Gestaltung der Wissenschaft von einer Zeichensprache abhängt.!) 
Dadurch dafs er das Wurzelzeichen einführte und dafs er die Zei- 
chen + und — durchgehends anwandte, wurde er der Begründer 
der algebraischen Zeichensprache und errang so ein Übergewieht 
der deutschen Mathematiker über die Leistungen anderer, besonders 


italienischer Algebristen, was bereits Hutton und Chasles aner- 
"kannt haben. 


An eingegangenen Sehriften wurden vorgelegt: 


Sechszehnter Bericht der Philomathie in Neisse. Neisse 1868. 8. 

Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit. Neue Folge. 16. Jahrgang. 
Nürnberg 1869. 4. 

Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande. Heft XLVII 
u. XLVIII. Bonn 1869. 8. 

Il nuovo Cimento. Dez. Pisa 1869. 8. 

A. Pall&, Über Meningitis. Athen 1869. 8. 

Lacolonge, Recherches sur le ventilateur. Paris 1869. 8. 


geln. Vnd hette seine Exempla (wie er saget) aufs der librey zu Wien 
gestolen. 

1) Das bezeugen alte bücher nit vor wenig jaren von der cols geschri- 
ben, in welchen die quantitetn, als dragma, res, substantia etc. nit durch 
character, sunder durch gantz geschribne wort dargegeben sein, vnd sunder- 
lich in practieirung eines yeden exempels die frag gesetzt, ein ding, mit sol- 


chen worten, ponatur vna res. — Aus der Vorrede zum zweiten Theil der 
Cofs Rudolff’s. 


[1870] | 11 


154 Gesammtsitzung 


94. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. A. W. Hofmann las. über die Darstellung der 
Äthylamine im Grossen. 

Seit es mir!) gelungen war, die äthylirten Ammoniake mit Hülfe 
des Brom- oder Jodäthyls darzustellen, hat man mehrfach versucht, 
statt dieser Agentien andere anzuwenden. Der Gedanke lag nahe, 
die Brom- und Jodverbindung durch das Chlorid zu ersetzen und es 
schien für diesen Ersatz einmal die weit gröfsere Zugänglichkeit des 
Chlors zu sprechen, dann aber auch das viel niedrigere Atomgewicht 
des Chlors und schliefslich die gröfsere Unlöslichkeit des Chloram- 
moniums in Alkohol, verglichen mit der des entsprechenden Bro- 
mids und Jodids, welche eine leichtere und vollständigere Scheidung 
des Ammoniaks von seinen äthylirten Abkömmlingen versprach. 
Die ersten Versuche über die Einwirkung des Chloräthyls auf das 
Ammoniak sind von Hrn. Stas’) angestellt worden. Dieser Che- 
miker beobachtete, dafs eine Lösung von Chloräthyl in mit Am- 
moniak gesättigtem Äther nach längerer Zeit schöne Krystalle von 
salzsaurem Äthylamin absetzte. Eingehender ist das Verhalten des 
Chloräthyls zum Ammoniak etwas später von Hrn. C.E. Groves’) 


in meinem Laboratorium untersucht worden. Derselbe fand, dals 


sich bei sechs- bis siebenstündigem Erhitzen von Chloräthyl mit 
dem dreifachen Volum starker alkoholischer Ammoniaklösung auf 
100° vorzugsweise chlorwasserstoffsaures Äthylamin neben kleinen 
Mengen chlorwasserstoffsauren Diäthylamins und Triäthylammonium- 
chlorids bildet. Es mir nicht bekannt geworden, dafs diese Ver- 
suche von Andern wieder aufgenommen worden sind, auch lagen 
bisher keine Ermittelungen vor, welche die Chemiker hätten ver- 
anlassen können, dem Chloräthyl vor dem altbewährten Bromid 
und Jodid den Vorzug zu geben. 

In letzter Zeit war ich genöthigt, zur Fortsetzung meiner Ar- 
beit über das Äthylsenföl eine gröfsere Menge von Äthylamin zu 
bereiten. Ein eigenthümliches Zusammentreffen von Umständen 


hat mich veranlafst, die Darstellung der Äthylbasen durch die Ein- | 


wirkung des Chloräthyls auf Ammoniak von Neuem zu versuchen, 


1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIN. 159. 
2) Stas, Kekul&’s Lehrbuch. Bd. I. S. 455. 
3) Groves, Chem. Soc. Qu. J. XIIL, Ss. 341. 


vom 24. Februar 1870. 155 


Die interessanten Beobachtungen des Hrn. ©. Liebreich über 
die physiologischen Wirkungen des Chloralhydrats haben schnell 
zu einer schwunghaften industriellen Gewinnung dieses merkwäür- 
digen Körpers geführt. Mehrfach bereits ist die Chloralindustrie 
Gegenstand der Besprechung im Schoofse der chemischen Gesell- 
schaft gewesen, und es sind zumal die Mittheilungen der HH. Mar- 
tius und Mendelsohn-Bartoldy'), sowie der HH. Müller 
und Paul?) hier zu erwähnen. Diese betreffen indessen nur die 
Eigenschaften und die Darstellung des Chlorals. Die gleichzeitig 
in dieser Fabrikation auftretenden Nebenproducte sind bis jetzt - 
kaum beachtet worden. Ich wurde zuerst von Hrn. Gustav 
Krämer, der sich ebenfalls eingehend mit der Gewinnung des 
Chlorals beschäftigt hat, darauf aufmerksam gemacht, dafs sich bei 
der Darstellung dieses Körpers eine erhebliche Quantität von Ne- 
benproducten bildet, welche stets gröfsere Mengen von Chloräthyl 
enthalten. Von diesen Nebenproducten und zumal von dem flüch- 
tigeren Antheile derselben, waren während der letzten kalten Tage 
in der Fabrik des Hrn. E. Schering viele Kilogramme condensirt 
worden. Durch die Güte der HH. Schering und Krämer 
. stand mir- eine reichliche Menge dieses interessanten Productes zur 
Verfügung. Wie ich es erhielt, stellt dies Product eine farblose, 
durchsichtige, in Wasser unlösliche und untersinkende Flüssigkeit 
dar, von so niedrigem Siedepunkte, dafs sie schon bei der Berüh- 
rung mit der Hand ins Kochen kommt. Die reichlich entwickel- 
ten Dämpfe sind entzündlich und brennen mit rusender grünum- 
randeter Flamme. Mit eingesenktem Thermometer destillirt, beginnt 
die Flüssigkeit bei 17—18° zu sieden. Der Siedepunkt steigt lang- 
sam auf 30—32°, wo er einige Augenblicke constant wird, dann 
rasch bis auf 50°, bei welcher Temperatur fast alles übergegangen 
ist. Setzt man die Destillation noch weiter fort, so ist bei der 
Temperatur des siedenden Wassers nichts anderes als eine kleine 
Menge krystallisirter Substanz zurückgeblieben. 

Ich war begierig zu erfahren, in wie weit sich dieses Product 
für die Darstellung der Äthylbasen würde verwerthen lassen. Gleich 
die ersten Versuche, bei denen ich von Hrn. Fr. Hobrecker mit 
gewohntem Eifer und Geschick unterstützt worden bin, haben so 


!) Martius und Mendelsoh-Bartholdy, Berichte 1869, S. 353. 
?) Müller und Paul, Berichte 1869, S. 541. 
N u 


156 Gesammtsitzung 


erfreuliche Resultate ergeben, dafs ich nicht umhin kann, die Aka- 
demie schon in der heutigen Sitzung auf diese fast unerschöpfliche 
Quelle von Material für die Darstellung der äthylirten Ammo- 
niake aufmerksam zu machen, obwohl verschiedene Versuche, wel- 
che durch die erwähnte Beobachtung angeregt wurden, noch nicht 
zum Abschlufs gekommen sind. 

Zur Erzeugung der Äthylbasen behandelt man die bei der 
Fabrikation des Chlorals entweichenden, durch geeignete Abkühlung 
condensirten flüchtigsten Nebenproducte mit einer starken Lösung von 
Ammoniak in Alkohol, in geschlossenen Gefässen bei 100°. Ich 
habe die Digestion Anfangs in emaillirten Eisengefälsen vorgenom- 
men, mich aber später, nachdem ich gefunden hatte, dafs das Eisen 
unter den gedachten Umständen kaum angegriffen wird, eines gros- 
sen nicht emaillirten schmiedeeisernen Digestors bedient, dessen 
Deckplatte aufgeschraubt war, So dafs die Flüssigkeiten durch eine 
kleine leicht verschraubbare Öffnung eingebracht wurden. Dieselbe 
Öffnung diente alsdann auch zur Entleerung der Digestionsproducte, 
Wässriges Ammoniak wirkt gleichfalls, nur langsamer; auch wer- 
den in diesem Falle die eisernen Gefässe stark angegriffen. Bei 
Anwendung der wässrigen Ammoniak-Lösung läfst sich stets die 
Bildung einer kleinen Menge Alkohols constatiren. Weahrschein- 
lich wird indessen auch bei Anwendung alkoholischer Lösungen 
etwas Alkohol und vielleicht sogar Äther aus dem Chloräthyl er-. 
zeugt. Bei gewöhnlicher Temperatnr wird das Gemenge von 
Chloriden sowohl von wässriger als auch von alkoholischer Am- 
moniaklösung nur äufserst langsam angegriffen. 

Nach mehreren Präliminarversuchen zeigte es sich, dafs die 
mir zur Verfügung stehende Mischung von Chloriden bei der Di- 
gestion mit dem dreifachen Volumen Alkohol von 95 pOCt., der bei 
0° mit Ammoniak gesättigt war, befriedigende Ergebnisse lieferte. 
Der Digestor, dessen ich mich bediente, hat eine Capacität von 5 
Litern; er wurde mit 500 Cub. Cent. der Chloride und der ent- 
sprechenden Menge alkoholischen Ammoniaks beschickt. Nach 


einstündigem Erhitzen im Wasserbade war die Reaction vollendet. | 


Das noch immer stark ammoniakalische nur wenig gefärbte Reac- 
tions-Product wurde zunächst durch ein Filter von dem reichlich 
gebildeten Salmiak geschieden und alsdann im Wasserbade destil- 
lirt. Aus den ersten Antheilen des alkoholischen Destillates schied 
sich auf Wasserzusatz eine nicht unbeträchtliche Menge einer 


vom 24. Februar 1870, | 157 


schweren öligen Flüssigkeit, offenbar die höher chlorirten Chlor- 
äthyle enthaltend, von der ich für heute nur bemerken will, 
dafs sie, wie sich aus dem Siedepunkt alsbald ergab, kein Chlor- 
äthyl mehr enthält. Die späteren Antheile der Destillation sind 
schwaches alkoholisches Ammoniak, welches, um für eine zweite 
Operation verwendbar zu sein, nur wieder gesättigt zu werden 
braucht. Sobald die Destillation im Wasserbade erlahmt, wird die 
Flüssigkeit in einer offnen Schale zunächst auf dem Wasserbade 
und endlich bei höherer Temperatur erhitzt, bis die letzten Spuren 
Alkohol ausgetrieben sind. Beim Erkalten erstarrt die Flüssigkeit 
zu einer faserigen Krystallmasse der Chlorhydrate der äthylirten 
Ammoniake, denen nur aufserordentlich wenig Salmiak beige- 
mengt ist. 
/ Auf Zusatz von concentrirter Natronlauge zerlegen sich die 
Chlorhydrate der Aminbasen und ein Gemenge von Äthyl-, Diäthyl- 
und Triäthylamin steigt auf die Oberfläche der wälsrigen Salzlö- 
sung, während eine kleine Menge Ammoniak entweicht. Die freien 
äthylirten Ammoniake brauchen nur noch mittelst eines Scheide- 
trichters abgehoben und eine Nacht über starres Natriumhydrat 
gestellt zu werden, damit sie alles Wasser verlieren. Bei der 
Destillation erweist sich die farblos durchsichtige Flüssigkeit als 
ein Gemenge von Äthylamin, Diäthylamin und Triäthylamin in etwa 
gleichen Theilen; die Flüssigkeit fängt bei etwa 20° an zu sieden; 
der Siedepunkt steigt dann auf 108°, allein schon bei 95° ist fast 
die ganze Menge der Flüssigkeit übergegangen. 

In den Versuchen, deren Ergebnisse ich der Akademie vorzu- 
legen die Ehre habe, wurden 5 Liter des bei der Fabrikation des 
_ Chlorals als Nebenproduct auftretenden Öles in Arbeit genommen. 
Die Operation war mit fünf oder sechs Digestionen vollendet und 
es wurden etwa 14 Liter wasserfreier Basen erhalten. 

Leider hatte ich bei diesen Versuchen von Neuem Gelegenheit, 
die schon früher gemachte Erfahrung!) zu bestätigen, dafs es hoff- 
nungslos ist, die drei Äthylbasen durch Destillation von einander 
scheiden zu wollen. Diese Erscheinung ist gewifs befremdlich, 
wenn man bedenkt, dafs zwischen den Siedepunkten sowohl des 
Äthyl- und Diäthylamins, als auch des Diäthyl- und Triäthylamins 
ein Temperaturintervall von nahezu 40° liest. Man muls um die 


!) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XI. S. 66. 


158 Gesammtsitzung vom 24. Februar 1870. 


r früher!) von mir be- 


drei Basen von einander zu scheiden, zu de 
her seine Zuflucht 


schriebenen Trennungsmethode mit Oxalsäureät 
Möglich indessen, dafs das reichliche Material, welches 


nehmen. 
Verfügung steht, einfachere Trennungsmethoden aufzufin- 


jetzt zur 


den gestatten wird. 
Die hier mitgetheilten Ergebnisse haben mich veranlafst, auch 


das Verhalten anderer Alkoholchloride und zumal des Chlormethyls 
zum Ammoniak einer eingehenderen Prüfung zu unterwerfen. In 
einer der nächsten Sitzungen hoffe ich, der Akademie über den 


Erfolg dieser Versuche berichten zu können. 


!) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XI. 66. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vor- 


gelegt: 
Zeitschrift der deutschen morgenländ. Gesellschaft. 23. Bd. 4. Heft. Leip- 
zig 1869. 8. 
Hedwigia. Ein Notizblatt für kryptogamische Studien. 8. Bd. Dresden 
1869. 8. 


d Mittheilungen des siebenbürgischen Vereins für Natur- 
12. Jahrg. Hermannstadt 1861. 8. 
14. Band. 


Verhandlungen un 
wissenschaften in Hermannstadt. 

Abhandl. der Königl. Gesellschaft der Wissensch. zu Göttingen. 
Göttingen 1869. 4. 

Carl Karpf, Tori i ebaı, 
lichung. Hamburg 1869. 8. 
Ruhethal 16. Febr. 1870. 

Regel, Sertum ‚petropolitanum. Petersburg 1869. fol. 
ben d. d. Petersburg 3. Dez. 1869. 

Bulletino meteorologieo. Anno III. Torino 1868. 4. 

Atti della accademia delle scienze di Torino. Vol. 4. Torino 1869. 8. 

Duby, Choix de eryptogames exotiques. (Suite.) Geneve 1869. 4. 


Die Idee Shakespeare und deren Verwirk- 
Mit Begleitschreiben des Verfassers d. d. 


Mit Begleitschrei- 


Sitzung der philosoph.-histor. Klasse vom 28. Februar 1870. 159 


28.Februar. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Curtius sprach über griechische Personennamen. 


Für kein Gebiet der klassischen Alterthumskunde ist in der 
letzten Zeit der Stoff so massenhaft angewachsen, wie für die 
Kenntnifs der griechischen Namen, deren wissenschaftliche Betrach- 
tung, kein Sachkenner als eine unnütze Arbeit ansehen wird, und 
nachdem ich früher einen Abschnitt der geographischen Onomato- 
logie behandelt habe'), um den Versuch zu machen, was sich auf 
diesem Gebiete erreichen lasse, um die Naturanschauung der Grie- 
chen und die wesentlichsten Gesichtspunkte ihrer Namengebung kla- 
rer zu machen, lege ich heute einige Studien über griechische Per- 
sonennamen vor, um darauf hinzuweisen, wie dieselben als Quel- 
len der Volksgeschichte zu benutzen sein möchten. 

Wenn Proklos zu Plato’s Kratylos zwei Arten von Personen- 
namen unterscheidet, solche, welche Begriffe und solche, welche 
Individuen bezeichnen, so würden im eigentlichen Sinne nur die 
letzteren Eigennamen sein. Indessen sind auch diese, wie man 
schwerlich bezweifeln wird, ursprünglich appellativ und haben nur 
willkürlich eine rein individuelle Bezeichnung erhalten. Von den 
Griechen aber ist dieser Zusammenhang immer sehr lebhaft em- 
pfunden worden. Sie haben eine entschiedene Vorliebe für inhalt- 
volle Namen mit durchsichtiger Bedeutung, und wenn es unter den 
griechischen Namen manche giebt, welche wie inhaltleere Laut- 
gruppen aussehen und scheinbar ohne Zusammenhang dastehen, 
so liegt der Grund wohl darin, dafs die Eigennamen z. Th. sehr 
alten Sprachperioden angehören. Die Griechen betrachteten ihre 
Eigennamen als ein wesentliches Kennzeichen ihrer Nationalität 
und sahen es als etwas Entehrendes an, wenn Freigeborene unter 
ihnen ausländische Namen trugen. 

MITYECV Yag Ovolac (bevyıazov Yuvalz eygıw (Athen. p. 578). 
Ihr Sinn für das Schöne und Gute ist in ihren Namen wie in 
ihren Kunstwerken ausgeprägt. Sie vermeiden alle Namen von 
üblem Klange, mochte derselbe nur in den Lauten, oder auch in 
der Bedeutung liegen, also eine za@zoPwr.« oder eine dvspruie sein, 


1) Götting. Nachrichten 1861 Julius. 


160 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


und liebten es vielmehr .die edelsten Richtungen des Volksgeistes 
sowie die am meisten geschätzten Tugenden in ihren Eigennamen 
ausgeprägt zu schen. Andererseits wulsten sie die gleichlautenden 
Begriffs- und Eigennamen in sehr bestimmter und praktiseher Weise 
zu unterscheiden, und zwar nicht nur durch den Tonfall, sondern, 
wenn wir den alten Grammatikern glauben, auch durch den Hauch, 
indem bei eomponirten Eigennamen die Interaspiration gehört, bei 
den gleichlautenden Appellativen aber nicht gehört wurde. Man 
unterschied dbiAimmos von ®iruırros, alabıaros von ’Alpiedos, und er- 
reichte für das Ohr, was in alten und neuen Sprachen nur durch 
Schriftweisen erzielt worden ist (Schol. Od. 8, 114. Lehrs Arist. 
ed. alt. p. 315). 

Die griechischen Personennamen sind aber nicht nur für das 
Volk im Ganzen ein Spiegel seiner Eigenthümlichkeit und gleich- 
sam der Niederschlag seiner ethischen Vorstellungen, sondern auch 
für die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Volksstämme, Land- 
sehaften und Städte. Man erkennt in ihnen die vorherrschenden 
Lokalkulte die reinere oder gemischtere Nationalität, die geringere 
oder höhere Idealität der Geistesrichtung, die Beziehungen zum 
Auslande sowie die innerhalb der Gemeinde vorherrschenden Be- 
schäftigungen. Dies sind die dvouare amd ruv mockewv, wie sie 
Apollodoros nach Athenaeus 172 F. zusammengestellt hat. Wenn 
man also in einer Gemeinde eine Reihe solcher Namen fand, wie 
"Agrusirgayos, ’EAsoöurrs; ’IySußoros, Newz0g05, so erkannte man SO- 
fort, dafs hier ein Tempelinstitut das Centrum war, von dem die 
Gemeindeglieder ihren Erwerb, ihre Beschäftigungen und dann auch 
thre Namen erhalten hatten, wie es in Delos der Fall war. Auch 
bei dem vielseitigst entfalteten Leben konnte man immer noch einen 
Lokalton der Eigennamen erkennen, und wenn die Athener ihren 
zum Export bestimmten Thongefälsen den Character der Heimath 
recht deutlich aufdrücken wollten, so schmückten sie dieselben mit 
den bei ihnen landesüblichen Namen, und Jedermann nahm die Ge- 
fäfse als attisch hin. Wir haben nach und nach für Delphi, für 
Aetolien, für Böotien, auch für Thasos und Rhodos einen Über- 
blick der dort üblichen Namenreihen , und man wird nicht ver- 
kennen, dafs damit ein Material für Stamm- und Ortsgeschichte 
gewonnen ist, welches lange noch nicht genügend verwerthet ist. 
Die landschaftlichen Personennamen haben gleich den Landesmün- 
zen ihr charakteristisches Gepräge, aber es bildete sich allmählich 


vom 28. Februar 1870. 161 


auch in den Namen eine »owr. Beliebte Namen wie Adistwv — 
daher das Sprichwort woAAcs ci "Agisrwvss — finden sich in Athen, 
Sparta, Korinth, Kyrene, und wir sind bei Weitem nicht so sicher, 
um z.B. wie es bei den Untersuchungen über das Vaterland des 
Tyrtaios geschehen ist, die auf @goros ausgehenden Eigennamen 
als unbedingt lakedämonisch in Anspruch zu nehmen. Die grie- 
chischen Namen aufserhalb des griechischen Volksgebiets, wie z. B. 
in Carthago, zeigen uns die Hellenen in der Diaspora; ungriechi- 
sche Namen in Griechenland das Eindringen fremder Elemente. 
Auch nach der Zeit lassen sich die Namen gruppiren und kleine 
Abweichungen genügen, um die klassische Zeit von der spätern 
zu unterscheiden, wie dies schon Meineke in dem an feinen ono- 
matologischen Beobachtungen reichen Vortrage über die Epidemien 
des Hippokrates gezeigt hat (Monatsbericht 1852). 

Endlich sind auch die Ständenamen von Wichtigkeit, weil sie 
uns den Bestand der Zünftigkeit erkennen lassen und uns zeigen, 
was die Alten bei den einzelnen Ständen der Gesellschaft, bei dem 
der Künstler, der Ärzte, der Priester als das Charakteristische an- 
sahen. Die Charakternamen bilden ein reiches Material, um den 
Witz des Volks und seine Lebensanschauungen kennen zu ler- 
nen. In die gemüthlichen Beziehungen des häuslichen Zusammen- 
lebens, welche sich sonst der geschichtlichen Betrachtung ganz ent- 
ziehen, führen uns die Sklavennamen, namentlich die der späteren 
Zeit; denn wir können auch hier gewisse Moden erkennen. In 
diesen Namen erging sich der Volksgeist ohne durch Herkommen 
beschränkt zu sein. Zur Zeit der delphischen Manumissionsurkun- 
den herrschte in der Namengebung schon eine gewisse sentimen- 
tale Tändelei (Hvgoreod, Aosxers, Kossube, “Höcie !); wobei viel- 
leicht zu erwägen ist, dafs es besonders vertrauliche Verhältnisse 
waren, aus denen die Manumission hervorging. 

Ursprünglich haben die Sklaven, weil sie keine Personen sind, 
auch keine Personennamen, sondern nur dvonara drd zuv 2Svür. 

Nach der Sitte, welche wir in Athen finden, benennt der Haus- 
herr unbedingt die freien wie die unfreien Mitglieder seines Haus- 
Standes; er ist zUnos od novor SerInı dm Eoyis Fouvone, AIR zav 
rar eEm.enbar BovAwvrar, zer arorrgü&cı Dem. 1006. Es bedarf 


!) G. OCurtius Berichte der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 
1864 S. 235. 


162 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


also nur einer Anmeldung und einer Veröffentlichung durch die 
Ausrufer. Von Staatswegen geschieht nichts in Betreff der Namen- 
gebung, als dafs etwa zu Ehren einzelner Personen, wie des Har- 
modios und Aristogeiton, die Verwendung ihrer Namen für Un- 
freie verboten wird. Der Staat hat ein unverkennbares Interesse 
daran, dafs eine gewisse Ordnung in der Namengebung herrsche 
und den Unzuträglichkeiten vorgebeugt werde, welche aus Verwechs- 
lung der Personen entstehen. Aber auch hier mischt er sich un- 
gern ein und Mantitheos kann es nicht durchsetzen, dafs ihn die 
Richter im alleinigen Besitze seines Namens schützen. In der Ge- 
meinde selbst aber wird das ulvew dmı roü övomaros als Pflicht und 
eine Sache des Anstandes angesehen; willkürliche Namensänderun- 
gen zeugen von Unzuverlässigkeit, wie bei Aischines. 

Die väterliche Willkür in Betreff der Namengebung wird durch 
die Tradition beschränkt. Die Familiennamen bilden den Faden, 
welcher die einzelnen Glieder an einander reiht. Der Name ist 
etwas Heiliges, von dem auch das u zuweiv gilt. Er bezeugt, wie die 
Todtenspende, den Glauben an den das Grab überdauernden Zu- 
sammenhang der Hausglieder; er ist das Unterpfand für das Ge- 
dächtnifs der Verstorbenen und zugleich eine Weisung für die Nach- 
geborenen, der Haussitte treu zu sein; sie werden also gegeben, 
wie die Alten es ausdrücken, meös nuriarv ze 205 Zirmıda. 

Eine weitere Beschränkung der Willkür lag in der auch aus- 
serhalb Athen, namentlich in Böoiien (Keil Sylloge p. 531, 557) 
nachgewiesenen Sitte, dem ältesten Sohne den Namen des Grols- 
vaters väterlicher Seite als ehrende Mitgift zu verleihen, eine Sitte, 
welche im semitischen Morgenlande zu Hause ist (Luynes Num. 
des Satr. p. 89) und ihre gute physiologische Begründung hat. 
Darauf beruht der Gebrauch zweier Familiennamen, welche alter- 
niren, und es ist von Interesse, das Verhalten derselben zu einander 
in das Auge zu fassen, namentlich bei Compositen, welche schon 
des vollen Klangs wegen in den vornehmeren Familien besonders 
beliebt waren. Wir finden nämlich in der Regel ein Namen- 
thema, welches beiden gemeinschaftlich ist, während das andere 
wechselt. Also A bleibt und B ist das unwesentliche Element 
oder umgekehrt; dabei ist auch der Umstand zu erwähnen, dafs 
das unwesentliche Element, mag es A oder B sein, auch in dem 
einen Namen ganz fehlen kann und in dem andern nur wie ein 
erweiterndes Sufix eintritt (wie auch zuweilen nur durch alterni- 


vom 28. Februar 1870. 163 


rende Suffixe aus einem Stamme zwei Familiennamen gebildet wer- 
den, z.B. Tolmaios und Tolmides). Zu der ersten Klasse gehören 
Archeneos und Archemachos, Kallistratos und Kallikrates, Kriton 
und Kritobulos, Hermon und Hermokrates. Zu der zweiten Eupo- 
lis und Sosipolis, Apollodoros und Aiautodoros, Timokles und Po- 
lykles. Zuweilen ist es eine blofse Assonanz, welche die beiden 
Namen verbindet, wie Anytos und Anthemion, Krios und Polykri- 
tos. Auch kommt es vor, dafs A und B ihre Stellen tauschen, 
wie in Aristonikos und Nikophanes, Bularchos und Aristobulos. 
Endlich giebt es noch eine interessante Gruppe von Familienna- 
men, wo die Übereinstimmung im Sinne liegt, wie Atrometos und 
Aphobetos, Pythios und Apelles, Philumenos und Eros. Man er- 

kennt das Streben, die Namen paarweise zu verbinden und durch 
_ die Anw 'endung zweier Namen das fehlende gentilicium zu ersetzen. 
Ähnliches findet sich einzeln auch aufserhalb Athen und aufserhalb 
Griechenland, wie die Familiennamen Pharnakes und Pharnaba- 
zos beweisen. 

In Bezug auf die Namenthemata haben schon die Alten 
(Athen. 748) einen durchgreifenden Unterschied geltend gemacht, 
den der profanen Namen («Se«) und den der Seopder, welche dem 
Siegelsteine gleich einen Gott als Zeichen an sich tragen, und den 
Anschlufs eines Hauses an einen bestimmten Cult erkennen lassen. 
Wenn ein Gott gewissermalsen zu den F amiliengevattern gehörte, 
so fühlten sich die Mitglieder ihm verpflichtet. Davon zeugen z. B. 
die von der Mutter einer Demetrias für ihre Tochter der Demeter 
dargebrachten Weihgeschenke (C. 1. Gr. n. 2108). Der Name ist 
eine Sei@ ErizAysıs und kann, wie es ©. 1. Gr. 6012 spielend ge- 
schieht, als ein Gottesgeschenk bezeichnet werden. Was durch 
solche Namen erzielt wird, nennt Plutarch (de def. or. ce. 21) suv- 
reraySaı Sew; sie lassen auf eine gewisse feierliche Verleihung 
schliefsen, nach Art der unter Auspicien stattfindenden Namenge- 
bung der Heroenzeit (Pind. Isthm. 5. 50) und auf priesterlichen 
Einfluls, ebenso wie die oben erwähnten delischen Namen, nur mit 
dem Unterschiede, dafs die letztern aus der Hierodulie erwachsen 
sind. Bei der andern Namensgattung verschwinden alle religiösen 
Einwirkungen und es treten ohne Einschränkung alle Lieblingsideen 
des Volks (vie, dofe, aIEvog, AEYN» Bovrr, Ray > ÖrMos u. S. w.) 
als beliebteste Namenthemata auf. 


164 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Hat man sich die Beschränkung deutlich gemacht, welche durch 
erbliche Tradition der väterlichen Willkür gesetzt war, so ist es 
andererseits von Interesse, die Abweichungen von der Tradition 
nach ihren verschiedenen Arten und Veranlassungen in das Auge 
zu fassen. 

Zunächst ist zu bedenken, dafs nur in Betreff des Stammhal- 
ters von einer Gebundenheit des Familienvaters die Rede sein kann. 
Es ist also ganz verkehrt, wenn Gleichnamigkeit von Vater und 
Sohn als etwas griechischer Sitte Widersprechendes bezeichnet wird 
(Petersen Archäologie S. 91). Der Sohn der Aspasia erhielt zu 
seiner Legitimation den Namen Perikles. Starb der Erstgeborene 
im Vaterhause, so dürfen wir vielleicht annehmen, dafs der jüngere 
Bruder in seinen Namen einrückte, weil derselbe ein gerßelov war 
und mit Erstgeburtsrechten zusammenhing. Dafs auch Erstgeborene 
den Vaternamen tragen konnten, zeigen Demosthenes, der jüngere 
Meidias u. A. 

Die Abweichungen von der Familientradition bestehen zunächst 
in Veränderungen des Erbnamens; das sind entweder Koseformen, 
welche den ursprünglichen Namen verdrängen, wie ’Agisrurdos für 
’Agıorordns; "HavAros für Hoazr4s; "Andıs für ’Anbıagaos und viel- 
leicht Zeüäıs für Zeu&ımmos (Sauppe zu Protagoras p. 318), oder 
was häufiger ist, nobilitirende Trweiterungen, namentlich durch 
patronymische Endung: Zımwv, Zıuwviors, Mvyoagy,0S; Mon sagy ons; 
der Einzelne erscheint dadurch als das Glied einer Reihe von Ge- 
schlechtsgenossen; es ist die antike Art des Baronisirens. Jede 
Verlängerung hat etwas dem Ohre Imponirendes und dient dazu, 
dem Namen statt des bürgerlichen Klanges (noobn Fameıy) einen 
hochtrabenden Anklang zu geben, der an den Kothurn der Bühne 
erinnerte; daher neoph rgayım. Der reich gewordene Stephanos 
nennt sich sofort Biroorihavos, zur Yormerer mgosSeis (Brunck. 
Anal. II, 154). Von den amplificirenden Namensufüxen, welche 
sich im Neugriechischen erhalten haben, habe ich in den Göttinger 
Nachrichten 1857 S. 307 gehandelt. 


Wirkliche und vollständige Namensänderungen oder Metono- 


masien finden statt, wenn die Person, welche mit der Namenge- 
bung zu einer solchen geworden war, in ein neues Leben übergeht, 
also vor Allem wenn Menschen Heroen werden, wie der Schafhirt 
Pixodaros, der Entdecker der Steinbrüche bei Ephesos; ita statim 
honores decreveruut ei et nomen mutaverunt, ut pro Pixodaro Euan- 


vom 28. Februar 1870. 165 


gelos nominaretur (Vitruv. p. 252 ed. Rose). So wurde, weil er 
einen Gott empfangen, Sophokles zum Dexion (nach Analogie von 
Eurygyes und Androgeos, Thyone und Semele), Oimus zum Dexa- 
menos. Nomen mutare ist Vergötterung; daher der Titel Merwvo- 
nasier für das Buch des Nikanor bei Athen. 296d. 

Eine wesentliche Veränderung der Persönlichkeit ist auch der 
Übertritt aus dem Privatleben in den Fürstenstand; so erhält 
Lyside als Fürstin von Korinth den Ehrennamen Melissa. Aus 
Aeropos wird ein Archelaos, aus Andreas Orthagoras, aus Athenion 
Aristion; die Identität von Iason und Prometheus ist sehr wahr- 
scheinlich (Gr. Gesch. III,766). Ich bin überzeugt, dafs wir von den 
griechischen Tyrannen meistens nur den Dynastennamen kennen, 
Aristonymos, Polykrates, Leodokos, Periandros, Philokypros etc. 

Auch der Übertritt aus einer Nation in eine andere ist wie eine 
neue Geburt, daher wird aus der Gallischen Petta eine Aristoxena 
(Athen. 576); es ist ein Beispiel der Umnennungen, wie sie häufig 
in den Colonien vorkamen bei Verheirathung der Eingebornen 
mit Hellenen. Ferner der Übertritt aus dem profanen Leben in 
ein heiliges, ein ganz dem Gottesdienste gewidmetes. Da werden 
die Individuen geweiht und empfangen als ösıwSzvres anstatt des 
Familiennamens, den sie ablegen, einen neuen Namen; sie werden 
erst dvwvuno: und dann isgwvuno.. Lucian. Lexiph.10.') Im Cultus 
herrscht das Symbol. Daher soll auch der Name ein Symbol des 
Dienstes sein gleich den anderen Attributen desselben und das Auf- 
gehen der Persönlichkeit in den Dienst bezeichnen. Darum hiels 
der Fackelträger auch Daduchos. Das Zusammengehen von nomen 
und omen, was die Griechen $egwvuni« nennen, ist bei den Heilig- 
thümern zu Hause, wie die priesterlichen Namen Butes, Hieron, 
Hieronymus, Hierophantes, Athenion, Pyrphoros, &mı Bunw u. S. w. 
zeigen. Vergleiche Böckh C. 1. Gr. I. p. 325b. Hermogenes ist 


!) Wie weit verbreitet diese Art der Metonomasie ist, die darin besteht, 
dafs der Anfang eines neuen Lebens durch einen neuen Namen bezeichnet 
wird, bedarf keines gelehrten Nachweises. Ich erinnere nur an die Be- 
nennung der Apostel bei Antritt ihres Amts, an die Taufnamen der Wieder- 
geborenen und an die Art, wie sich Einige der ersten Humanisten dadurch 
von den bürgerlichen Verhältnissen lossagten, dafs sie klassische Namen an- 
nahmen und z. B. aus einem Sanseverin zu einem Julius Pomponius Luetus 
wurde (Burckhart Cultur der Renaissance Aufl. 2. S. 195). 


166 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


der Namen eines Hermespriesters (Arist. Rhet. ed. Spengel II, 330). 
In Athen folgte der Gebrauch der Amtsnamen Basileus und Basi- 
lissa der Analogie der Hieronymie. 

Von den priesterlichen Amtsnamen sind diejenigen zu unter- 
scheiden, welche in den priesterlichen Geschlechtern als Erbnamen 
gebräuchlich waren, wie der Name Timotheos bei den Eumolpiden 
(Rehdantz Vit. Iph. p. 46). Es gab Priestergeschlechter, in denen 
derselbe Name ohne Wechsel herrschte, wie die Inschrift aus My- 
tilene zeigt im ©. 1. Gr. n. 2186, wo Euxenos in sechs Generationen 
wiederkehrt und die Abstammung nicht als Ergänzung des Perso- 
nennamens angeführt wird, sondern als Bezeichnung des priester- 
lichen Erbadels; daher die Ausdrücke mais und &rcyovos. Die wirk- 
liche Descendenz wird hier hervorgehoben, weil die Geschlechter, die 
ein erbliches Priesterthum hatten, sich durch Adoption ergänzten 
und sich so bis in späteste Zeit erhielten, wie die Jamiden in Olym- 
pia. Dafs nicht überall gleiche Namensitte herrschte, zeigen die 
Priesterkataloge aus Halikarnass C. 1. Gr. n. 2659. 

Der Vaternamen gehört nach gewöhnlichem Gebrauche zum 
Personennamen (daher der Ausdruck 222) %0Qei res), indem beide 
zusammen erst den vollen Namen bilden. Es ist also auch eine 
Metonomasie und eine ihrer Entstehung nach der Hieronymie ver- 
wandte, wenn der Vatername in der Weise verändert wird, um 
dadurch anzudeuten, dafs J emand aus seinem Geburtsstande heraus- 
und in andere Verhältnisse eingetreten sei, in welchen die angebo- 
renen als unwesentlich verschwinden. In dem Spielen mit dem 
Vaternamen zeigt sich die Natur der Griechen auf eine sehr be- 
zeichnende Weise, ihre Abneigung gegen trockene Überlieferung, 
ihr Streben, das geistig Zusammengehörige auch leiblich in Ver- 
bindung zu bringen, ihre Gewandheit, die Person durch fingirte Va- 
ternamen in witziger Weise zu charakterisiren, wofür die Komödie 
an Beispielen unerschöpflich ist. Von den gemachten Genealogien 
auf dem Gebiete der Literaturgeschichte hat A. Schöne in seinen 
Untersuchungen über das Leben der Sappho eine lehrreiche Über- 
sicht gegeben. Wissenschaft und Kunst absorbiren das natür- 
liche Leben. Nach Analogie von Aristoteles 5 IDerwvos werden 
auch die bildenden Künstler nach dem Meister benannt; bei ihnen 
hat die Familientradition aber eine ganz andere Bedeutung und in 
unzähligen Fällen ist der Vater auch der Lehrer, und pe«Syrys beim 
Genetiv zu ergänzen, wie es in römischer Zeit bei Stephanos und 


vom 28. Februar 1870. 167: 


Menelaos ausdrücklich beigeschrieben ist. Mit dieser Auffassung 
des Vaternamens hängt der eigenthümliche Gebrauch der patrony- 
mica zusammen, wenn z. B. EvgvxAsidaı Leute bezeichnet, welche 
die Profession des Eurykles treiben. 

Andere Gründe zum Aufgeben der Familientradition liegen in 
persönlichen Beziehungen, aus denen Wahlverwandschaften hervor- 
gehen, welche sich in die Blutsverwandtschaft als gleichberechtigt 
einschieben; das sind die Namen zar« dı%ıav und Eeviav, wie Kle- 
archos seinen Erstgeborenen Timotheos nannte, wie in die Familie 
der Endios der Name Alkibiades aufgenommen wurde und durch 
den attischen Feldherrn der Name Phormion in Akarnanien lan- 
desüblich wurde. Ein besonderes Beispiel von diesem övonagsw Erı 
Tw öromeri rwos ist Eusebios, welcher seines Freundes Pamphilos 
Namen dem seinigen im Genetiv anfügte, um anzuzeigen, wie seine 
ganze Existenz von ihm abhängig und mit ihm verschmolzen sei. 
Ich weifs nicht anzugeben, wie weit ihm hiebei ältere Analogien 
vorlagen, aber wir sehen auch hier wieder, wie zwei Namen zusam- 
men gleichsam eine Firma bildeten, in welche Beziehungen der 
verschiedensten Art aufgenommen werden konnten. 

Die auf Gastfreundschaft beruhenden Namen — theils Perso- 
nennamen, theils Ethnika (Magnes, Eretrieus), theils Ortsnamen 
(Samos, Nikopolis) — sind von geschichtlichem Interesse, weil 
sie uns die versteckteren Beziehungen zwischen den verschiedenen 
Städten Griechenlands sowie zwischen hellenischen und ausländi- 
schen Staaten erkennen lassen. Syrakus und Theben finden sich 
durch Namen wie Thrasydaios und Boiotos verbunden (Urlichs 
Skopas S. 73 Anm.). Wir erkennen die Beziehungen der Tyran- 
nen zu den orientalischen Dynastien, wenn wir bei den Kypseliden 
die Namen Psammetichos und Gordios antreffen, am Hofe des Po- 
lykrates den Namen Smerdis (Duncker Gesch. des Alt. II? S. 797). 
Hierher gehören auch der Neleidenname #gUyıoc, der Name Myötos 
in Larisa (Xen. Hell. p. 89 das.), O2rr«ros im Hause der Pisistra- 
tiden. Der Name Libys bei Lysanders Bruder läfst, mit andern 
Nachrichten vereinigt, keinen Zweifel darüber, dafs Lysandros 
mit Libyen und insbesondere mit dem Ammonion in Beziehun- 
gen stand, welche er zur Befriedigung seines Ehrgeizes ausbeuten 
wollte. Aiginetes, der Sohn des Königs Pompos (Paus, 8,5. 8), 
bezeichnet durch seinen Namen, dafs diesem König, welcher das 
Binnenland zuerst mit der See in Verbindung gesetzt haben sollte, 


168 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


die Aegineten besonders hülfreich gewesen sind. Aus der geschicht- 
lichen Zeit giebt es kein interessanteres Beispiel freigewählter Na- 
mengebung als die bekannte Namengruppe in der Familie Kimons, 
der seine Zwillinge Eleios und Lakedaimonios nannte und den drit- 
ten Thessalos. Diese Ethnika sind also nicht als aus Gastfreund- 
schaft erwachsene Namen anzusehen, aber als nach Analogie der- 
selben gemachte, dazu bestimmt, im Sinne des Hausherrn die Stel- 
lung der Familie zu den Parteifragen der Gegenwart zu charakte- 
risiren und den Kindern ihren Standpunkt anzuweisen; einem ein- 
seitigen Attieismus gegenüber waren sie als Träger solcher Namen 
zu Vertretern einer so zu sagen grolsgriechischen Richtung designirt. 

In ähnlicher Weise wurden auch Orts- und Landesnamen ge- 
braucht. Jason von Pherai nannte seine Tochter Thebe; als die 
Verbindung mit dieser Stadt ihm den Weg zu öffnen schien, um 
seine Herrschaft zu sichern. T'hemistokles dienten die Namen seiner 
Töchter als eine Art von Programm seiner auswärtigen Politik, 
indem er mit Italia, Asia, Sybaris theils in weiterem theils in 
engerem Sinne die Punkte andeutete, auf die sein Blick vorzugS- 
weise gerichtet war, um attischen Einflufs bis dahin geltend zu 


C) J 
machen. Es waren also Namen zer &Amıd« und bezeugen das 
oO . 


kühne Selbstvertrauen des Mannes. Wir sehen also, wie in der 
Zeit grolser Parteispannung die Onomatothesie einen politischen 
Charakter annahm und die Familiennamen zu politischen Parolen 
wurden. Auch Perikles schlols sich dieser Sitte an, indem er sei- 
nen zweiten Sohn Paralos nannte. Dafs man zuweilen auch glor- 
reiche Ereignisse, welche mit der Geburt eines Kindes zusammen- 
trafen, im Namen desselben angedeutet habe, scheint aus der Er- 
klärung des Namens Euripides bei Priscian 1, 68, 3 Hertz hervor- 
zugehen. 

Solche Wahlnamen dienten aber nicht nur, um die Richtung 
der Namengeber zu bezeichnen, sondern sie wurden auch im öflent- 
lichen Leben angewendet, wenn es darauf ankam, bei internationa- 
len Geschäften solche Staatsangehörige verwenden zu können, de- 
ren Namen dem Gelingen förderlich zu sein schien. 


Lakedaimonios wurde mit 10 Schiffen nach Kerkyra gesendet, 


nicht wie Stesimbrotos dem Perikles Schuld gab, um den Sohn 
des Kimon in Gefahr und Schande zu bringen, sondern um schon 
durch den Namen des Geschwaderführers zu bezeugen, dafs man 
keine Feindseligkeit gegen Sparta im Sinn trage. Die Lakedämo- 


vom 28. Februar 1870. 169 


nier dagegen schickten, als sie ernstlich Frieden wollten, einen 
Athenaios als Commissar zu den schwierigen Verhandlungen an 
der thrakischen Küste Eben so deutlich ist die Absicht, wenn 
die unglücklichen Platäer in letzter Stunde einen Mitbürger Namens 
Lakon zu ihrem Sprecher machen, um den Lakedämoniern in sei- 
ner Person die traulichen Beziehungen, welche durch das griechi- 
sche Volk hindurch gehen, noch einmal an das Herz zu legen, 
oder wenn Agesilaos, um bei seinem Abschiede die kleinasiatischen 
Städte zu beruhigen und sein Verhältnifs zu ihnen auszudrücken, 
einen Harmosten Euxenos bei ihnen zurückläfst. 

Nach solchen Analogien muls man auch wohl zugeben, dafs 
es kein Zufall ist, wenn der Wortführer der O1. 109, 4 von Athen an 
König Ochos abgeordneten Gesandtschaft Ephialtes hiefs, so schmäh- 
lich auch die Reminiscenz an den Verrath der Thermopylen war. 

Wir sehen, welcher Werth in Öffentlichen Dingen auf den 
Namen gelegt wurde. Wir finden einen Dorieus als Führer der 
antiathenischen Partei in Thurioi, einen Athenagoras an der Spitze 
der Athenerfreunde in Syrakus, und wenn sich auch nicht nach- 
weisen läfst, dafs die Griechen in so ängstlicher und pedantischer 
Weise, wie die Römer, die im Namen liegende Vorbedeutung be- 
rücksichtigt haben, so sind die Grundanschauungen doch dieselben, 
und dies zeigt sich z. B., wenn bei Rückkehr in das von Thra- 
sybulos befreite Athen ein Aisimos Zugführer ist, wenn man einen 
Hermogenes zum Gesandten wählt, einen Polystratos zum ersten 
Söldnerhauptmann und einen Eukles zum Boten des marathonischen 


Siegs. 


[1870] 12 


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Nachtrag. 


24. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. A. W. Hofmann las ferner Nachträgliche Bemer- 
kungen über die Entschwefelungsproducte des Diphe- 
nylsulfocarbamids. 


In einer der Akademie vor einigen Monaten vorgelegten Mit- 
theilung habe ich gezeigt, dafs der diphenylirte Sulfoharnstoff bei 
der Entschwefelung mittelst Bleioxyds in alkoholischer Ammoniak- 
lösung eine schön krystallisirte Base von der Zusammensetzung 

C,H,sN; 

liefert.') Ich liefs es damals unentschieden, ob diese Base mit 
dem früher von mir erhaltenen Melanilin?) identisch oder nur 
isomer sei. In letzter Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, das durch 
Enntschwefelung gebildete Product mit einem durch die Einwirkung 
des Chlorcyans auf Anilin erhaltenen schönen Präparate, welches 
Hr. Dr. Salkowski mit grofser Sorgfalt dargestellt hatte, zu ver- 
gleichen, und hege auf Grund dieser Vergleichung hin keinen Zwei- 
fel mehr, dafs hier Isomerie nicht Identität stattfindet. 

Um Irrthümer möglichst auszuschliefsen, wurden die beiden 
Basen in die schwerlöslichen, aber leichtkrystallisirbaren Nitrate 
verwandelt und aus diesen Salzen erst wieder abgeschieden, nach- 
dem dieselben vier bis fünf Mal umkrystallisirt worden waren. 
Die freien Basen wurden alsdann nochmals wiederholt als Alkohol 
umkrystallisirt. 


1!) Hofmann, Monatsberichte 1869, 589. 
?) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXVII 129. 


172 Nachtrag. 


Eine bemerkenswerthe Verschiedenheit zeigte sich alsbald in 
der Kıystallisationsfähigkeit beider Substanzen. Die neue Base 
krystallisirt ungleich leichter, als die alte; auch sind die Krystalle 
derselben, lange abgeplattete Nadeln, viel besser ausgebildet, als 
die verworrenen Krystallisationen des früher erhaltenen Körpers. 
Auch in der ungleichen Löslichkeit tritt diese Verschiedenheit in 
bestimmter Weise hervor: 100 Gew.-Th. Weingeist von 90 pCt. 
lösen 18 Gew.-Th. des alten Melanilins und nur 9,6 Gew.-Th. des 
neuen. Endlich läfst die Bestimmung des Schmelzpunktes der bei- 
den Basen keinen Zweifel. Das alte Melanilin, dessen Schmelz- 
punkt ich früher nur annähernd als zwischen 125° und 130° lie- 
gend angegeben hatte, schmilzt bei 131°, die neue Base erst bei 
147°. Die Versuche wurden zum Öfteren mit denselben Ergeb- 
nissen wiederholt. 

Ich schlage vor, den Namen Melanilin ganz fallen zu las- 
sen und die beiden Basen als Diphenylguanidine, und zwar 
die durch Entschwefelung entstehende als «-, die mittelst Chloreyan 
dargestellte als @-Diphenylguanidin zu bezeichnen. Dieser 
Namentausch ‘empfiehlt sich um so mehr, als die Bezeichnung Me- 
}anilin, welche an eine nahe Beziehung der so genannten Base . 
mit dem von Liebig entdeckten Melamin erinnern sollte, ihre 
Bedeutung verloren hat, seit ich das wahre Melanilin, d.h. das 
triphenylirte Melamin, über welches ich der Akademie in 
einer spätern Sitzung berichten werde, in diesen Tagen entdeckt 
habe.') 

In welcher Weise immer man die Isomerie der beiden diphe- 
nylirten Guanidine erklären will, so viel ist gewils, dafs sich die 
Atome in den Abkömmlingen beider Körper wieder gleichmälsig 
lagern. Durch die Einwirkung des Cyangases auf das 2-Diphenyl- 
guanidin entsteht der Körper, den ich mit dem Namen Dieyano- 
melanilin?) bezeichnet habe, und letzterer verwandelt sich unter 
dem Einflusse der Säuren zunächst in Melanoximid und schliefs- 
lich in Diphenylparabansäure.‘) 

Alle diese Körper bilden sich mit der gröfsten Leichtigkeit 
auch aus dem «-Diphenylguanidin; ich habe aber bei der sorgfäl- 


1) Hofmann, Monatsberichte 1869, 791. 
2) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXVII, 159 und LXXIV, 1. 
3) Hofmann, Royal Soc. Proc. XI, 275. 


Nachtrag. 173 


tigen Vergleichung der aus der «- und &-Varietät entstehenden 
Verbindungen keine Verschiedenheit mehr wahrnehmen können; 
ich halte dieselben für identisch. Die auf beiden Wegen erhalte- 
nen Dieyanverbindungen schmelzen bei 154°; der Schmelzpunkt 
der Diphenylparabansäure, ob aus der «- und £-Abart dargestellt, 
liegt bei 204°. 

Die beschriebenen Versuche haben mich an einen dritten Kör- 
per erinnert, den ich vor einiger Zeit durch Behandlung des nor- 
malen Guanidins mit Anilin erhalten und dem ich irrthümlich eben- 
falls die Zusammensetzung des diphenylirten Guanidins (Melanilins) 
beigelegt habe!). Wenn ein Guanidinsalz mit einem Überschusse 
von Anilin zum Siedepunkt der letzteren erhitzt wird, so entwickeln 
sich Ströme von Ammoniak und beim Erkalten erstarrt die Flüs- 
sigkeit zu .einem Krystallbrei, aus dem sich durch geeignete Be- 
handlung mit Wasser und Alkohol ein in schönen Nadeln krystalli- 
Sirender Körper darstellen läfst. 

Indem ich die Reaction nach der Gleichung 


CH,N;0+2C,H,N = C,H, N, +H,0+2H,N 


interpretirte, glaubte ich in dem krystallisirten Producte ein diphe- 
nylirtes Guanidin 


0,H,N, = CH, (C;H,),N; 
zu erblicken. 

Die Auffindung des «-Diphenylguanidins, welches sich bei der 
Entschwefelung des diphenylirten Sulfoharnstoffs in Gegenwart von 
Ammoniak bildet, hat mich veranlafst, auch den phenylirten Guani- 
dinabkömmling nochmals darzustellen. Ich habe mich bei diesem 
Versuche, welcher in etwas grölserem Maalstabe ausgeführt wurde, 


überzeugt, dafs die Einwirkung des Anilins auf den Guanidin nicht 
in dem oben angegebenen Sinne, sondern nach der Gleichung 


CH,N;0 +2C,H,N = C,,H,N,0 + 3H,N 


verlauft, dafs mithin der unter den bezeichneten Bedingungen ge- 


bildete krystallisirte Körper nicht diphenylirtes Guanidin, sondern 
diphenylirter Harnstoff ist. 


‘) Hofmann Monatsberichte 1868, 464, 


174 Nachtrag. 


C,3H2,N,0 = CH;(C;H,); N, 0. 


Im Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt unterscheiden sich in der 
That beide Körper nur wenig. 


Diphenylguanidin Diphenylharnstoff 
Kohlenstoff 73.93 73.63 
Wasserstoff 6.16 5.66 


Zwei Verbrennungen hatten ergeben Kohlenstoff 74.00 und 
73.95, ferner Wasserstoff 6.27 aus 6.21, Zahlen, welche der Zusam- 
mensetzung des diphenylirten Guanidins noch näher kommen als 
des diphenylirten Harnstofis. Leider war die Bestimmung des 
Stickstoffs unterblieben, welche die Natur des Körpers alsbald ent- 
hüllt haben würde. 

Ich habe jetzt den in Rede stehenden Körper durch ein genaue- 
res Studium seiner physikalischen Eigenschaften, namentlich durch 
die Bestimmung des Schmelzpunkts, welcher bei 232° gefunden wurde, 
mit dem auf gewöhnliche Weise dargestellten Diphenylsulfoharnstoff 
identifieirt. Die Bildung des diphenylirten Harnstoffs aus dem 
Guanidin hat nichts Befremdliches, wenn man bedenkt, mit wel- 
cher Leichtigkeit das Guanidin unter Ammoniakverlust in normalen 
Harnstoff übergeht. 


CH,N,O=H,N+CH,N,O. 


In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuerdings 
folgende akademische Abhandlungen aus dem J ahrgang 1869 er- 
schienen: 


EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikroskopi- 
schen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko. 
Preis: 1 Thir. 15 Sgr. 


Lersivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen und 
einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie. 
Preis: 15 Sgr. 
® Rorn, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine. 
Preis: 3 Thlr. 7 Ser. 6 Pf. 
MaAcxus, Über Emission, Absorption und Reflexion. 
Preis: 15 Sgr. 


In den Abhandlungen der Akademie sind in den Jahrgängen 1852, 
1853, 1862, 1864 keine Mathematischen Klassen enthalten. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. | 


März 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr Kummer. 


3. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Homeyer las über Hausmarken und legte lithogra- 
phirte Tafeln zur Erläuterung vor. 


Er beabsichtige über die Geschichte, die Verbreitung und die 
Verwendung der sog. Haus- und Hofmarken im germanischen 
Europa eine gröfsere Arbeit zu veröffentlichen. Derselben werden 
nicht nur einzelne Figuren im Texte selber einverleibt, sondern 
auch vierundvierzig Tafeln als Anlagen beigegeben werden. Sie 
sollen die ungemeine Fülle der Erscheinungen zur weiteren An- 
schauung bringen. Sie sollen, indem sie die Marken massenweise 
für ganze Kreise, Ortschaften, Genossenschaften zusammenstellen, 
über die mancherlei Weisen belehren, durch welche die Unter- 
scheidbarkeit der Zeichen im Leben erreicht worden. Sie mögen 
endlich mittels der Fixirung eines gegenwärtigen Zustandes dazu 
verhelfen, die künftigen Änderungen und Schicksale der alten Sitte 
genauer zu verfolgen. 

Diese Beilagen sind vorweg lithographirt worden, um sie beim 
spätern Druck der Hauptarbeit selber bestimmter anziehen zu kön- 
nen. Ihre heutige Vorlage wurde mit Erklärungen begleitet. 
Hier folgt eine summarische Übersicht. : 

Die Tafeln I bis XXXVII sind nach Ländern und Orten ge- 
ordnet. Sie beginnen mit Skandinavien, führen zu England, zu 

[1870] | 13 


176 Gesammtsitzung 


den Niederlanden, treten mit Oldenburg in Deutschland ein, folgen 
dem Rande der Ostsee bis in die Gegend von Danzig, gehen dann 
von dem Meere ab, gelangen zunächst durch das übrige Nord- 
deutschland von Ost nach West nach dem Rheine und schliefsen 
mit Süddeutschland und der Schweiz. 


1. Island. 


A. 23 Marken aus Siegeln der Bischöfe und andrer Standes- 
personen von 1373 bis 1631, mitgetheilt von Hrn. Archivar Jon 
Sigurdsson zu Kopenhagen. B. Zeichen in Felshölen, vielleicht 
von deren Besuchern eingegraben, welche in das 12te oder 1öte 
Jahrh. gesetzt werden. — Anhangsweise ein kleiner, mit Zeichen 
bedeckter Stein aus einem alten, im J. 1838 in Virginia entdeck- 
ten Grabe. 


II. Schweden. 

Zeichen aus einer Sammlung von 75 mit Löchern versehenen 
kleinen Holzscheiben (Bricken), die etwa den Rindern um die Hör- 
ner gehängt oder als Looshölzer, s. Germanisches Loosen SZ 
benutzt wurden. 


III — VII. England. 

Die dritte Tafel giebt A) Handzeichen von Landleuten aus 
Urkunden des 1’ten Jahrhunderts, B) die Marken, welche die 
Schwanhalter den Schnäbeln dieser Thiere auch noch gegenwärtig 
eingraben lassen u. a. die Marken der Königin Victoria und des 
Eton College. 

Die 300 Nummern der Tafeln 4 bis 7 gehören einer von 
Ewing in den Schriften der Norwicher Alterthumsgesellschaft 1850 
edirten, aus Siegeln, Unterschriften, Grabsteinen und allerlei Bau- 
lichkeiten des l4ten bis zum 1’7ten Jahrh. entnommenen Samm 
lung an. Vgl. Monatsberichte der Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1863 
S. 578. 


VII. Niederlande. 
A. Grabzeichen des 17ten Jahrhund. aus Delft. B. Hand- 
zeichen auf einer Schuldverschreibung von 1481 zu Leyden. 
C. Zeichen auf einem alten Thurm des Tempelhofes zu Nieupoort. 


vom 3. März 1870. 177 


D. Handzeichen in einem „Venditiebook“ von 1632 im Archive 
daselbst. 


IX, X. Oldenburg. 


Aus einer Mittheilung des Geh. Archivraths Leverkus stam- 
men 148 Zeichen hauptsächlich von Siegeln und Unterschriften des 
16ten und 17ten Jahrh. 1) aus der Herrlichkeit Knyphausen, na- 
mentlich aus den Kirchspielen Sengewarden, Ackum, Fedderwarden, 
2) aus dem Jeverlande, Kirchspiel Wangeroge u. s. w., 3) aus 
Stad- und Butjadinger Land, 4) aus der Grafschaft Oldenburg, 
Kirchspiele Edewecht, Westerstede, Varel, Zwischenahn, Bockhorn. 


XI. 


A. Aus Mölln in Lauenburg Marken von Leichensteinen 1584 
bis 1768, von Kirchenstühlen der sog. Feuergraven, von den zehn 
Brauhäusern. B. Aus Schöneberg im Ratzeburgischen, Hand- 
zeichen unter einer Urkunde von 1622, 


XI—XVIl Lübeck. 


Die zwölfte Tafel giebt 62 Zeichen von den Grabsteinen der 
zu St. Jacobi von 1606 bis 1655 beerdigten Personen nach dem 
dortigen „Steinbuche“. 

Die Tafeln 13 bis 16 liefern 364 Siegelmarken, von H. Ma- 
ler Milde zu Lübeck aus Urkunden theils Lübscher Einwohner, 
theils andrer Nationalen des europäischen Nordens von 1341 bis 
1519 alphabetisch zusammengestellt. 


XVIH. Rostock. 

A. Abbildung eines 1831 im Schutt gefundenen mit Zeichen, 
Buchstaben und Zahlen u. a. 1606 bedeckten Stücks eines starken 
Hirschgeweihes. B. Die 56 Marken an dem Altarschranke eines 
früheren Nonnenchors der Klosterkirche zum H. Kreuz. 


XV. 


In dem Kirchspiel Rövershagen bei Rostock hat sich der 
Gebrauch der Hausmarken, namentlich auch zur Bezeichnung der 
Looskaveln lebendig erhalten. Die Tafel giebt deren 125 aus den 
Ortschaften Over - Mittel - Niederhagen, Hinrichshagen, Sandberg, 
Torfbrück, Wiethagen, Sandhagen. 


13* 


a a N Aa En rn 


178 Gesammtsitzung 


XIX. 


Proben der Zeichen auf den Kirchenplätzen zu Warnemünde 
v. J. 1590, welche jetzt durch ein neues Gestühl ersetzt werden 
sollen, vgl. Monatsb. a. a. O. 578. 


xXX., Rügen. 


A. Siegelmarken von Bauern aus dem 16ten Jahrhundert. 
B. Hand- und Hauszeichen von acht Halbbauern und Kossäten zu 
Gagern auf der Halbinsel Mönchgut unter einem Pachteontract v. 
J. 1832. C. Zeichen, die noch an Gebäuden, Leichensteinen, Ge- 
räthen in verschiedenen Ortschaften der Halbinsel Wittow z. B. 
zu Vitte nahe bei Arcona vorkommen. D. Noch übliche Bauer- 
und Büdnermarken von Mönchgut. 


XXI Greifswald. 


In den Gängen der dortigen Kirchen liegen noch zahlreiche 
Grabsteine mit den Zeichen der Beerdigten. Die hier unter 69 
Nummern nach Hrn. Prof. Böhlau mitgetheilten stammen aus der 
Marienkirche und gehören den J. 1363 bis 17 34 an, vgl. Monats- 
bericht 577. 


XXI. 


Marken der zahlreichen Fischer der Pommerschen Oderstädte 
Greifenhagen (58) und Garz (47). Häufig aus I und X zu- 
sammengesetzt gelten sie doch nicht als Zahlen, sondern als Haus- 
marken mit Bezeichnung derselben als Kreuze und Kerben, vergl. 


M.-B. 580. 


XXIII — XXVIII Provinz Preufsen. 


Die Marken dieser Tafeln haften sämmtlich an ländlichen Ge: 
höften und stehen noch in lebendigem Gebrauch. 

Nr. XXIII giebt die Hofmarken der Dörfer Praust, Zipplau, 
Rostau, Müggenhal auf der Danziger Höhe; XXIV der Ortschaf- 
ten Weslinke, Gottswalde, Reichenberg, Scharfenberg aus dem Dan- 
ziger Werder. Die übrigen Tafeln fallen auf den Marienbur- 
ger Werder, für den der Landrath Hr. Parey aus 83 Ortschaf- 
ten über 800 Marken zusammengebracht und zur Veröffentlichung | 
mitgetheilt hat, M.-B. 579. 


vom 3. Marz 1870. 179 ° 


XXIX. Polnische Adelswappen. 


Sie sind hier aufgenommen einmal um die Übereinstimmung 
mancher derselben mit Germanischen Hausmarken zu belegen, so- 
dann um zu veranschaulichen, wie zahlreiche einzelne Adelsge- 
schlechter einem grolsen Wappenverbande mit einem Gesammt- 
zeichen angehören, welches dann in den Wappen der besondern 
Familien als Grundform, wenn auch mit gewissen Beizeichen oder 
verschiedenen Tinkturen, wiederkehrt. Die Tafel giebt 67 solcher 
hausmarkenähnlicher Grundzeichen und bei einigen derselben auch 
die Variationen der einzelnen zum Verbande sich zählender Ge- 
schlechter an. 


XXX, XXXI. Mark Brandenburg. 


Die erste Tafel enthält noch übliche Hofzeichen aus ländlichen 
Ortschaften, A) von Jänickendorf im Kreise Lebus (M.-B. 579), 
B) von Pewesin, Roskow, Wachow, Gohlitz im Westhavellande. 

Die andre theilt die hundert auf einer Tafel in der St. Gott- 
hardskirche zu Brandenburg a. H. angebrachten Zeichen der Tuch- 
machergilde mit, die im J. 1623 die dortige Kanzel renoviren liefs, 
M.-B. 578. | 


XXXIIl Lüneburg. 

Auf die Saline (Sülze) daselbst beziehen sich A) 42 Zeichen 

der Corporation der Salzpächter vom J. 1584, B) 24 der zu den 
„Sülzhäusern“ gehörigen Marken von 1785. 


XXXIHN, XXXIV. Erfurt. 


Sie stellen unter 50 Nummern die von H. Major Böckner 
aus dortigen Siegeln, Grabsteinen, allerlei Baulichkeiten, Glasge- 
mälden u. s. w. gesammelten Zeichen in ihren Schilden dar, 


M.-B. 579. 


XXXV. Rheinpreufsen. 


A. Dreifsig zu Schweinschied bei Meisenheim noch jetzt 
in Gemeindeangelegenheiten benutzte „Familien und Hausmarken“. 
B. 80 zu Masterhausen am Hunsrück im 18ten Jahrhundert zu 
vielfachen Zwecken verwendete Zeichen dortiger Bürger. 


150 Gesammtsitzung 


XXXVIL Tyrol. 


Als Beispiele der hier üblichen, sehr einfachen, oft in Buch- 
staben übergehenden Formen sind die Zeichen der Orte Untermie- 
ming und Fiecht im Oberinnthal gegeben. 


XXXVIH. Schweiz. 


1. Drei und dreifsig Marken an Gebäuden, Gerätlischaften 
oder aus Siegeln Schwyzer Familien. 

%. Zwölf Zeichen von Milchlieferanten des Wirthes zum Al- 
penclub im Maderanerthal, Canton Uri, auf einer sog. Milchbeile 
(Kerbstock) eingegraben, M.-B. 581. 

3. Dreifsig von den 120 zu Münster im C. Wallis gebräuch- 
lichen Häuserzeichen, M.-B. ebd. 

A. Aus einer alten deutschen Niederlassung zu Alagna in 
Piemont, südlich vom Monte Rosa, 39 noch übliche Marken, deren 
Eigner theils deutsche theils italienische Namen führen, M.-B. ebd. 


Die sieben noch übrigen Tafeln sind theils nach Personen- 
classen theils nach Gegenständen der Bezeichnung geordnet. 


XXXVII, XXXIX. Steinmetzzeichen (vgl. M.-B. 582). 


Ältere Formen derselben, welche oft geradezu irgend ein Werk- 
zeug wiedergeben, sind mitgetheilt von der 1263 ff. erbaueten Hei- 
ligengeistkirche zu Mainz, von der Burg Landeck in Pfalzbaiern 
aus der Hohenstaufenzeit, vom deutschen Eck zu Coblenz 1275, 
von der Coblenzer Moselbrücke, unter denen die Nr. 1 bis 108 
dem J. 1340 f., die Nr. 109—116 aber einer späteren Zeit an- 
gehören. 

Diese letzteren, ferner die dem Wolfenb üttler Schlosse und 
die den sog. Heunensäulen bei Miltenberg am Main entnommenen 
tragen die Stabform und begnügen sich mit einer blofsen Andeu- 
tung des Werkzeuges im Querstriche. 


XL. 
Die Tafel giebt A) 30 Zeichen von Buchführern (Verlegern 
und Buchdruckern), B) 40 Zeichen von B aumeistern, unter ihnen 


die von 28 im J. 1658 zu Strafsburg versammelten Werkmeistern, | 
welche dem Typus der Heunensäulen (XXX VIII) nahe stehen. | 


vom 3. Marz 1870. 181 


XLI. Künstlerzeichen. 


Proben von Zeichen A) der Maler, B) der Bildhauer, C) der 
Graveure, D. sonstiger Künstler, sämmtlich im Hausmarkentypus. 


XLII. Zeichen von Schiffsgütern und Schiffen. 


1. Auszug aus einer Pergamentrolle, welche die nach Thorn 
bestimmten Waaren eines im J. 1377 an der Jütischen Küste ge- 
strandeten Schiffes, behufs deren Wiedererlangung, mit ihren Eigen- 
thümern und Marken verzeichnet. 2. Sieben Zeichen, welche im 
J. 1856 auf Helgoland von den Schalupen der dortigen Com- 
pagnien noch neben Bild und Namen geführt wurden. 


XLIII Familienzeichen. 


Die Abwandelungen, welche ein Familienzeichen zur Unter- 
scheidung der einzelnen Gliederungen des Geschlechts erleidet; dar- 
gelegt in 49 Beispielen aus Danzig, Fehmarn, den Werdern bei 
Hamburg, Holland, Pommern, Rügen, Schleswig und der Schweiz. 


XLIV. Acker- und Holzmarken. 


I. Von den einfachen, in Äcker oder Wiesen gepflügten oder 
geschnittenen Zeichen sind 16 aus England, 12 noch heute ge- 
bräuchliche aus dem Mansfelder Gebirgskreise mitgetheilt. 

II. Von den gleichfalls simpeln, in Holzstücke (Sägeklötze) 
meist durch die Axt einzuschlagenden Marken sind unter A) die 
durch ein gewisses System geordneten Zeichen der Glieder der 
Schiffer- und Flöfsergesellschaft im Murgthal gegeben; B) die 
ähnlichen aus dem Lechthal in Tyrol; C) die zu Gramais 
ebendaselbst im J. 1690 gebräuchlichen, welche zugleich zur Un- 
terschrift dienten. Unter D) endlich zehn der im Bayerschen 
Frankenwalde üblichen, den gewöhnlichen Hausmarken ähn- 
lichen, aus dem Flofszeichencataster zu Kronach mitgetheilten 
Marken. 


182 Gesammtsitzung 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin im J. 
1869. Berlin 1870. 4. 

Publicationen des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 96.—99. Publication. 

Tübingen 1869. 8. 

P. Gall Morel, Ofenbarungen der Schwester Mechtild von Magdeburg, 
oder das fliefsende Licht der Gottheit. Regensburg 1869. 8. Mit Be- 
gleitschreiben des Hrn. Verf. Einsiedeln 12. Febr. 1870. 

Schweizerische Meteorologisch Beobachtungen. Dech. 1868. Jau. u. Febr. 
1869. Bonn 1869. 4. 


10. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Petermann las den zweiten Theil seiner Abhandlung 
über die Eroberung von Jerusalem durch Saladin. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Archives du Musee Teyler. Vol. IE, 4. Harlem 1869. 3. 

Bulletin de la societe des naturalistes de Moscou. no.2. Moseou 1869. 8. 

Archäologische Zeitung. Neue Folge. Bd. 2. Berlin 1869. 4. 

Bulletin de lacademie de Petersbourg. Vol. 14, no. 1—3. Petersbourg 
1869. 4. 

Memoires de lacademie de Petersbourg. Vol. 13. no. 8. Vol.14, no.1—7. 
Petersbourg 1869. 4. 

Egger, L’hellenisme en France. Vol. 1. 2. Paris 1869. 8. 


14. März. Sitzung der physikalisch - mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. Dove las: 1) Über die Wärmeverbreitung im Polarmeer. 
3) Über die Kälte im gegenwärtigen Frühjahr (s. Nachtrag). 


vom 17. März 1870. 183 


17. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Buschmann las den Schlufs von Zusätzen zu der ersten 
Abtheilung seiner sonorischen Grammatik: dem Lautsystem. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. 
1869, no. 3. Kjobnhavn 1869. 8. 

Mittheilungen aus dem Osterlande. 19, 1.2. Altenburg 1869. 8. 

d’Arbois de Jubainville, Recherches sur lanneau sigillaire de Pouan. 
Paris 1869. 8. 

— Esus, Euzus. Paris 1869. 8. 

-— Le Baron de Jaujoz. Paris 1869. 8. 


24. März. Öffentliche Sitzung der Akademie zur 
Feier des Geburtsfestes Sr. Majestät 
des Königs. 


Der vorsitzende Sekretar Hr. Kummer eröffnete die Sitzung 
mit einer Rede, in welcher er die culturgeschichtliche Bedeutung 
der 'Thaten des Königs betrachtete und namentlich die durch die- 
selben gesicherte nationale Grundlage der ferneren Entwickelung 
deutscher Wissenschaft hervorhob. Derselbe gab hierauf einen Be- 
richt über die gröfseren Arbeiten und Unternehmungen der Akade- 
mie, nämlich die Herausgabe des Corpus Inscriptionum Latinarum, 
des Corpus Inscriptionum Graecarum und des Index zum Aristo- 
teles. Zum Schlufs hielt Hr. Petermann einen Vortrag über die 
Eroberung Jerusalems durch Saladin. 


28. März. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Müllenhoff las Beiträge zur Geographie der Alten. 


184 Gesammtsitzung 


91. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Weber las über das Rämdyana. 


Hierauf legte Hr. du Bois-Reymond folgenden Aufsatz vor: 


Neue Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
der Reizung in den motorischen Nerven der Menschen, 
ausgeführt von N. Baxt aus Petersburg. Mitgetheilt von 
Urn. H. Helmholtz, correspondirendem Mitgliede der 
Akademie. 


In der Sitzung vom 29. April 1867 habe ich der Akademie 
Mittheilung gemacht über Versuche, welche Hr. N. Baxt in mei- 
nem Laboratorium unternommen hatte, um die Fortpflanzungsge- 
schwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven des leben- 
den Menschen nach einer Methode zu bestimmen, wobei die pSy- 
chischen Thätigkeiten des Experimentirenden zur Erregung der 
motorischen Nerven nicht in Anspruch genommen werden. Es 
wurde damals der Nervus medianus bald am Oberarm, bald am 
Handgelenk gereizt. Der Vorderarm und die Hand waren in eine 
Gypsform unverschieblich eingelegt, und die Zuckung der Muskeln 
des Daumenballens wurde durch einen hölzernen Stab auf den 
Schreibhebel des für die Versuche mit Froschmuskeln construirten 
Myographion. übertragen. Übrigens wurden mit den genannten Ab- 
änderungen die Versuche wesentlich nach demselben Prineipe aus- 
geführt, wie die zur Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
in den motorischen Nerven des Frosches. 

Es ergaben sich hierbei Fortpflanzungsgeschwindigkeiten in 
drei Versuchsreihen von 31. 53, 33. 39 und 37. 49 Meter für die 
Secunde. | 

Bei der Wichtigkeit dieses Resultats und in der Hoffnung auch 
noch einige andere damit zusammenhängende Fragen entscheiden 
zu können, beschlossen wir die Methode zu möglichster Genauig- 
keit auszubilden, und ich liefs defshalb (nach einem schon früher 
von A. Fick angegebenen Plane) ein Pendelmyographion bauen, 
im Wesentlichen aus einem schweren und festen eisernen Pendel 


vom 31. März 1870. 185 


bestehend, dessen ganze Schwingung nahehin zwei Secunden dauerte, 
und welches an seinem untern Ende eine rechteckige ebene Glas- 
tafel trägt, auf der die Zuckungscurven geschrieben werden. Das 
Pendel wird vor dem Versuche in schräger Lage durch einen Sperr- 
haken gehalten; sobald dieser gelöst wird, fällt es, löst in der 
Mitte seiner Bahn den Inductionsschlag aus, der den Nerven trifft, 
und wird schliefslich beim Rückschwunge vom Beobachter wieder 
aufgefangen und hinter den Sperrhaken gelegt. Somit dauert jeder 
Versuch nur zwei Secunden, und man kann schnell hintereinander 
sehr viele Zuckungen zeichnen. Um dies zu können, läfst sich die 
Glasplatte mittels einer Schraube am Pendel auf- und abschieben. 
Eine gleiche Platte an der andern Seite des Pendels, welche die 
entgegengesetzte Bewegung macht, bewirkt, dafs die Schwingungs- 
dauer dabei nicht geändert wird. 

Die Zuckungscurven erhalten auf dem neuen Apparat viel be- 
trächtlichere Höhe (20 bis 40 Millim.) und Länge, so dafs auch 
ihre Entfernung von einander viel genauer gemessen werden konnte. 
Letzteres geschah mit dem Ophthalmometer. 

Unsere Hoffnung, genauere Resultate zu erhalten, erschien nach 
den ersten Versuchsreihen mit dem neuen Apparate zunächst fast 
ganz vereitelt zu sein. Bei den Versuchen Ende des Sommers 1868, 
im Winter 18$$ und Anfang des Sommers 1869 fanden sich ziem- 
lich ähnliche Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit für die Ner- 
venstrecke vom Ellenbogen zum Handgelenk, wie die früher mitge- 
theilten für die Strecke von einer obern Oberarmstelle (vom untern 
Ennde des Deltoideus) zum Handgelenk, dazwischen aber auch viel 
grölsere für die Nervenstrecke zwischen Deltoideus und Ellenbogen- 
gelenk. Die Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit für die 
Strecke vom Ellenbogen bis zum Handgelenk wurden ziemlich über- 
einstimmend erhalten, sowohl bei Reizung des N. medianus, wo- 
bei die Contractionen der Muskeln des Daumenballens verzeichnet 
wurden, als auch bei anderer Einrichtung der Gypsform und bei 
Reizung des N. ulnaris, wobei die Contractionen der Mm. ab- 
 ductor indicis et adductor pollieis verzeichnet wurden. 
Diese Werthe für die Strecke vom Ellenbogen zum Handgelenk 
waren: 

Reizung des N. medianus: 
30.3904 Meter als Mittel aus 9 Curvenpaaren, 


186 Gesammtsitzung 


Reizung des N. ulnaris: 
97.8081 Meter als Mittel aus 9 Curvenpaaren, 
328327 USB > HB \ 
29.5142. 18 » „RE & 
also im Mittel 30.1488 Meter in der Secunde. 
Von Mitte des Sommers 1869 fanden sich aber ganz regel 
mäfsig gröfsere Werthe der Geschwindigkeit für die grofse Strecke 
vom untern Rande des Deltoideus bis zum Handgelenk, und zwar: 
62.1462 Meter als Mittelwerth aus 12 Curvenpaaren, 
BAROIIDNEE 5 “ ln R 
ET.I2T2 4 y 5 BEE 4 

also im Mittel 64.5611 Meter in der Secunde. 

Mancherlei Veränderungen in der Methode der Reizung und 
in den sonstigen Anordnungen der Versuche änderten nichts an 
diesen letzten Resultaten, bis endlich mit Anfang des Winters wie- 
der kleinere Zahlen auch für diese grofse Strecke erhalten werden 
konnten. 

Dieser Umstand schien anzuzeigen, dafs die Temperatur die 
Ursache dieser Schwankungen sein müsse, obgleich die Verände- 
rung der Temperatur der tiefer gelegenen Theile des menschlichen 
Körpers, der Muskeln und Nerven, so lange nicht gerade ein Ge- 
fühl des Unbehagens durch sie hervorgerufen wird, nach den bis 
her vorliegenden Beobachtungen nur sehr geringe Gröfse haben kann. 
Diese Vermuthung hat sich vollständig bestätigt. Wir haben an 
demselben Versuchstage absichtlich hinter einander Veränderungen 
der Temperatur des zuckenden Armes hervorgebracht, und es ge- 
lang auf diese. Weise abwechselnd bald, bei höherer Temperatur, 
grölsere, bald, bei stärkerer Abkühlung, namentlich des Vorder- 
arms, kleinere Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu er- 
halten. 

Versuchsreihe I. Das Handgelenk wurde durch eine Eis- 
blase gekühlt, während der Arm in der Gypsform lag. Die brauch- 
baren Curven der ersten Tafel gaben eine Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit von 41.2752 Meter, die einer zweiten Tafel, wobei die 
Abkühlung mehr eingewirkt haben wird, 36.4765 Meter in der Se- 
cunde. Darauf wurden die Gypsplatten etwas gewärmt und das 
Handgelenk mit einer Blase voll Wasser von 40° C. bedeckt. Die 
Curven der ersten: Tafel gaben dabei eine Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit von 45.2332 Meter, die einer zweiten Tafel, wo die Er- 


vom 31. März 1870. 187 


wärmung mehr eingewirkt haben wird, eine Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit von 51.8016 Meter in der Secunde. Es ist zu bemerken, 
dafs auch bei dieser Erwärmung der Vorderarm zu einer behag- 
lichen warmen Temperatur nicht gekommen war. 

Versuchsreihe U. Der Arm wurde bei Winterkälte vor 
dem Versuche stark abgekühlt. Höhe der Zuckungen nur 15 bis 17 
Millim., deshalb die Bestimmung der F ortpflanzungsgeschwindigkeit 
unsicher, etwa 47.22 Meter. Darauf wurde der Arm durch die 
erwärmten Gypsplatten und warme Bedeckung gewärmt. Die 
Zuckungshöhe steigt auf 26 Mm., die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
für die Curven der ersten Tafel auf 54.1755 Meter, für die der 
zweiten Tafel auf 56.7808 Meter. Endlich wird der untere Theil 
des Vorderarms wieder durch eine Eisblase gekühlt. Die erste 
Tafel ergiebt im Mittel 47.7276 Meter, die zweite Tafel 38.2331 
Meter Fortpflanzungsgeschwindigkeit; die Höhe der Zuckungscurven 
sinkt dabei wieder bis auf 14 Millim. 

Hinsichtlich des erwärmten Armes gilt übrigens auch hier, 
obgleich in geringerem Grade, dieselbe Bemerkung wie bei Ver- 
 suchsreihe I. 

Versuchsreihe III. Um eine möglichst grofse Steigerung 
der Temperatur des Unterarms zu erreichen, wurde das Zimmer 
ziemlich stark geheizt, die Gypsform erwärmt und äufserlich mit 
erwärmten Sand umgeben. Im Anfang wurde die Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit für die Strecke zwischen Handgelenk und unterm 
Rande des Deltoideus bestimmt, und gleich 61.4185 Meter gefun- 
den (Mittel aus 10 Curvenpaaren). Dann wurden zwei Tafeln voll 
Curven gezeichnet, welche der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zwi- 
schen unterm Ende des Oberarms und Handgelenks entsprechen; 
der Werth dieser Geschwindigkeit betrug 57.3400 Meter (Mittel 
aus 8 Curvenpaaren). Endlich wurden die Versuche für die län- 
gere Strecke noch einmal wiederholt und ergaben nun eine Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit von 89.4272 Meter (Mittel aus 10 Cur- 
venpaaren.. Dabei war die Höhe der Zuckungen von 21.4 Mm., 
ihrem Mittelwerthe im Anfang, bis auf 30 Mm. gestiegen. 

Versuchsreihe IV. Ein Versuch den Oberarm durch eine 
Eisblase in einem ziemlich stark geheitzten Zimmer abzukühlen, 
so dals der Unterarm warm blieb, brachte keine erhebliche Ände- 
rung hervor. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ergab sich im 
Mittel aus 5 Versuchen 50.6262 Meter in 1 Secunde, ein Werth, 


188 Gesammtsitzung 


der etwas kleiner ist, als er sich unter übrigens gleichen Umstän- 
den ohne die Eisblase ergeben haben würde. 


Ts ist hierbei noch zu bemerken, dafs die Versuche mit ab- 
gekühltem Vorderarm immer nur wenige brauchbare Curvenpaare 
geben, weil das Zuckungsmaximum bei Reizung der Nerven am 
Handgelenk dann sehr geringe Höhe hat, und man stark abge- 
schwächte Inductionsschläge zur Reizung der obern Nervenstelle 
anwenden mufs. Deren Wirkung ist aber ziemlich unregelmäfsig, 
und es gelingt dann nur selten, zwei an Höhe wenigstens nahehin 
gleiche Curven von den beiden Reizungsstellen neben einander zu 
zeichnen. 

Wird der Vorderarm gewärmt, So wächst das Zuckungsmaxi- 
mum der untern Nervenstelle stets erheblich, obgleich es uns bis- 
her doch nicht gelungen ist, e8 dem von der obern Stelle bei der- 
selben Stärke des Inductionsschlags zu erhaltenden ganz gleich zu 
machen. Es ist dann aber viel leichter eine Stellung der Induc- 
tionsrollen zu finden, welche mit ziemlich grofser Regelmäfsigkeit 
Zuckungen der verlangten Höhe auch von der obern Nervenstelle 
her giebt, so dals es unter solchen Umständen leicht ist schnell 
hinter einander eine grolse Anzahl brauchbarer Curvenpaare zu er- 
halten. 

Die Versuche über Fortpflanzungsgeschwindigkeit zwischen 
Ellenbogengelenk und Handgelenk ergaben regelmäfsig eine kleinere 
Geschwindigkeit als zwischen Deltoideus und Handgelenk, wie es 
aus den zuerst angeführten Versuchen, die übrigens bei etwas nie- 
drigerer Temperatur als die zuletzt angeführten angestellt worden 
sind, und ebenso aus der Versuchsreihe HI zu ersehen ist. Die 
Ursache davon kann in dem Umstande gesucht werden, dafs 
die Nerven im Vorderarm regelmäfsig kälter sind als im Oberarm; 
es könnte dabei aber auch an eine ungleichförmige Geschwindigkeit 
des Nervenreizes gedacht werden. In unsern Versuchen war eben 
selbst nach der eine Stunde lang fortgesetzten Einwirkung eines 
änfsern warmen Mediums der erwähnte Unterschied in der Fort- 
pflanzung nicht ganz verschwunden. 

Andererseits ergaben einige, wegen Kleinheit der Strecke al- 
lerdings nicht sehr sichere Bestimmungen der Fortpflanzung zwi- 


vom: 31. März 1870. 189 


schen Deltoideus und Ellenbogengelenk grofse Werthe der Ge- 
schwindigkeit. Da es zweifelhaft erscheinen konnte, ob die geringe 
Geschwindigkeit bei kaltem Vorderarm nicht herrühre von einer 
langsamern Fortpflanzung schwächerer Reizungen, wie sie unter 
solchen Umständen an der obern Stelle angewendet wurden, so 
wurden die Ordinaten von Curven mit einander verglichen, welche 
von derselben Stelle aus mit verschiedener Stärke der Reizung 
hervorgebracht waren, aber gefunden, dafs sich ihre Ordinaten für 
gleiche Zeiten nach der Reizung fast genau in dem Verhältnifs der 
verminderten Gesammthöhe vermindern und keine Verzögerung der 
schwächern Zuckungen zu bemerken ist. 


Es sei noch erlaubt einige Resultate zu erwähnen, welche bei 
den Versuchen mit abgeänderten Reizungsmethoden gelegentlich er- 
halten wurden. 

Um vom Handgelenk aus Zuckungen von gröfserer Stärke zu 
erhalten, als sie ein einzelner Öffnungsinductionsschlag lieferte, 
versuchten wir zwei schnell hintereinander zu gebrauchen. Es 
zeigte sich dabei, dafs die Zeit, welche zwischen beiden Schlägen 
verfliefsen mufste, ehe der zweite Schlag im Stande war die maxi- 
male Wirkung des ersten ein wenig zu verstärken, 545 Secunde 
betrug. Bei einer Zwischenzeit von „1, Secunde war die Verstär- 
kung schon bedeutend. In dieser Beziehung verhält sich also der 
menschliche Nerv denen des Frosches nahezu gleich. 

Zweitens versuchten wir auch constante Ströme zur Reizung 
zu verwenden, diese gaben aber am lebenden Menschen leicht Te- 
tanus, namentlich bei absteigender Stromesrichtung. Die Oscilla- 
tionen, welche man dabei im Muskel fühlt, konnten auch mit Hülfe 
des Myographions verzeichnet werden. Es ergaben sich für die 
ersten Oscillationen dieser Art unmittelbar nach Beginn des Stro- 
mes folgende Werthe: 


190 - Gesammtsitzung 


Zeitdauer der Oscillationen in Secunden. 
Batterie 1 | 2 | 3 
„alur SUN  EEBEBE NEN BB RE ee 
1l Groves 0.0939 0.0912 

Kleine 0.0883 0.0897 
0.0906 0.0892 


EEE BROS ERREGER EEE genen 


15 Groves 0.0927 0.0876 
Kleine 0.0925 0.0860 
0.0962 0.0856 0.0859 
0.0907 0.0863 0.0328 
0.0901 0.0854 0.0340 


Die Vorzüge der bei den Versuchen über die Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit gebrauchten neuen Untersuchungsmethoden leuch- 
tet unter Anderem aus der Übereinstimmung der einzelnen Ner- 
suche einer jeden Versuchsreihe hervor. Um den Grad dieser 
Übereinstimmung zu zeigen, möge beispielweise folgende Zusam- 
menstellung nur einer Versuchsreihe dienen, wobei wegen der Be- 
deutung der einzelnen Buchstaben auf den Eingangs erwähnten Be- 
richt verwiesen werden mag. D ist nämlich das Mittel der ge- 
messenen Horizontalabstände eines einzelnen Curvenpaares, Au — 
die Zuckungshöhe von der untern, A, — die von der obern Ner- 
venstelle, A+B(h,—h,) die aus der im angeführten Bericht 
angegebenen Interpolationsformel berechneten Werthe der Horizon- 
talabstände; in der letzten Verticalcolumne sind die Differenzen 
der gemessenen und berechneten Werthe der Horizontalabstände 
angegeben. 


vom 31. Marz 1870. 191 


ne rn rn — — — — — — — — — 


| D | ho | hı | en ag Differenz 
Een |. 

1 | 3.8537 35.35 36.1 4.0182 | -+0.1645 
2 | 4.3975 36.0 35.8 4.3392 | —-0.0583 
3 | 3.8274 34.355 | 35.7 3.8013 | —0.0261 
4 | 3.8069 33.9 34.7 3.9897 | 40.1898 
5 | 43177 35.4 35.2 4.3402 | +0.0225 
6 | 4.9577 36.3 36.7 4.1406 | —0.1171 
EN 113:8526.5 1313641 37.0 3.9736 | +0.1210 
8 | 3,9614 367 38.3 3.7498 | —0.2116 
9 | 4,4304 37.55 37.3 4.3523 | —0,0781 


Wie man sieht, stimmen sowohl die einzelnen gemessenen 
Horizontalabstände, als die gemessenen und berechneten Horizon- 
talabstände viel mehr unter einander, als die früher mitgetheilte 
Zusammenstellung. 

Nach Ausführung mancher noch mangelnden Versuche wird 
die ausführlichere Auseinandersetzung der Resultate dieser Unter- 
suchung von N. Baxt ausgearbeitet und veröffentlicht werden. 


Hr. A. W. Hofmann las über substituirte Melamine. 


Die Thatsachen, welche ich heute der Akademie vorzulegen 
mir erlaube, wurden bei der weiteren Ausführung von Versuchen 
| ermittelt, über die ich bereits in einer früheren Sitzung berichtet 
| habe.') 
[4 In einem Aufsatze: Zur Geschichte der geschwefelten Harn- 
stoffe, habe ich gezeigt, dafs der monoäthylirte Sulfoharnstoff bei 
der Entschwefelung mit Blei- oder Quecksilberoxyd in eine Base 
| übergeht, welche ich unter dem Namen Triäthylmelamin be- 
| schrieben habe. 


3CH,(0,H,)N,8 = 3H,S + C,H, (0,H,),N,. 


") Hofmann, Monatsberichte 1869, 791. 
[1870] 14 


192 Gesammtsitzung 


Bei der Fortsetzung dieser Versuche hab’ ich zunächst con- 
statirt, dafs der monomethylirte und der monoamylirte Harnstoff bei 
der Entschwefelung mit Bleioxyd das entsprechende trimethylirte 
und triamylirte Melamin liefern. 

Das Trimethylmelamin krystallisirt aus Wasser sowohl 
als auch aus Alkohol in feinen farblosen Prismen, die eine stark 
alkalische Reaction besitzen und sich beim Erhitzen verflüchtigen 
ohne vorher zu schmelzen. Aus der mit möglichst wenig Chlor- 
wasserstoffsäure versetzten Lösung des Salzes scheiden sich auf 
Zusatz von Platinchlorid gut ausgebildete Blättchen eines in Was- 
ser und Alkohol ziemlich unlöslichen Platinsalzes aus, dessen Ana- 
lyse zu der Formel 


C,H, N;PtCl, = C,H,(CH,),N;, 2HCI, PtCl, 


führt. Das Trimethylmelamin wird, wie die entsprechende Äthyl- 
verbindung durch Salzsäure unter Abspaltung von Ammoniak zer- 
setzt. Es ist mir indessen nicht gelungen, das offenbar hier zu- 
nächst auftretende Trimethylammelin festzuhalten. Die Reaction 
geht alsbald weiter. 

Das aus dem wohlkrystallisirten Amylsulfoharnstoff, dessen 
Schmelzpunkt bei dieser Gelegenheit zu 93° gefunden wurde, dar- 
gestellte Triamylmelamin wird als ein stark alkalischer zäher 
Syrup erhalten, der selbst nach langem Stehen nicht fest wird. 
Er ist unlöslich in Wasser und wässeriger Salzsäure. Die Lö- 
sung des salzsauren Salzes in Alkohol liefert auf Zusatz von 
Platinchlorid ein Haufwerk von gelben Krystallen, welche löslich 
in Wasser, weniger löslich in Alkohol sind. Sie enthalten 


GH, N, PtC, = C;H,(C;H Ns, 2HOL, PiOh. 


Auch bei dem Triamylmelamin liels sich beim Kochen mit 
Salzsäure ohne Schwierigkeit das Austreten von Ammoniak nach- 
weisen. Allein auch in dieser Reihe wollte es nicht gelingen, aus 
den Zersetzungsproducten das substituirte Ammelin zu isoliren. 

Schon in meiner ersten Mittheilung über diese Klasse von 
Verbindungen hab’ ich die Vermuthung ausgesprochen, dafs die 
substituirten Melamine nicht das directe Enntschwefelungs - Product 
der geschwefelten Harnstoffe seien,') dafs ihrer Entstehung vielmehr 


1) Hofmann, Monatsberichte 1869, 794. 


vom 31. März 1870. 193 


die Bildung der substituirten Cyanamide vorausgehe. Was ich da- 
mals vermuthete ist mir durch neue Versuche, die ich zumal in 
der Äthylreihe ausgeführt habe, zur Gewifsheit geworden. Das 
directe Entschweflungsproduct des Monoäthylharnstoffs ist nicht 
alkalisch, krystallisirt nicht, liefert kein krystallinisches Platin- 
salz. Erst nach mehrmaligem Eindampfen auf dem Wasserbade 
wird das Product plötzlich alkalisch, krystallisirt alsdann bei der 
Berührung mit einem Glasstabe hd liefert das charakteristische 
wawellitartig krystallisirende Platinsalz. 

Für die Richtigkeit der Interpretation, dafs sich hier zu- 
nächst Äthyleyanamid bilde, welches erst später in Triäthylamin 
übergehe, liefs sich noch ein weiterer Beweis in dem Verhal- 
ten des auf gewöhnliche Weise dargestellten Äthyleyanamids bei- 
bringen. Dieser Körper ist, ebenso wie das Methyl- und Phe- 
nylceyanamid, den Chemikern aus den schönen Untersuchungen 
von Cahours und Clo&z bekannt,!) welche diese Substanzen 
durch Behandlung der betreffenden Aminbasen mit gasförmigem 
Chloreyan erhalten haben. Beim Einleiten von Ohlorcyangas in 
eine ätherische Lösung von Äthylamin hab’ ich in der That genau 
die Erscheinungen beobachtet, welche die genannten Chemiker be- 
schreiben. Die von dem ausgeschiedenen Äthylaminchlorhydrat 
abfiltrirte ätherische Lösung hinterliefs nach dem Verdampfen des 
Äthers das Äthylcyanamid als einen neutralen und unkrystallisir- 
baren Syrup, welcher mit Salzsäure und Platinchlorid kein kry- 
stallinisches Platinsalz lieferte, sich also gerade so verhielt wie das 
Entschwefelungsproduct des Monoäthylsulfoharnstoffs. Zwei- bis 


dreimal in Wasser gelöst und auf dem Wasserbade eingedampft 


lieferte dieser Syrup eine alkalische Flüssigkeit, aus der sich Kry- 
stalle absetzten, welche alle Eigenschaften des aus dem Sulfoharn- 
stoff dargestellten triäthylirten Melamins besafsen. 

Nach dieser Beobachtung nimmt denn auch die Umbildung 
durch die Wärme, welche Cahours und Clo£z für das Äthyl- 
cyanamid angeben, eine einfachere Form an. Diese Chemiker 
fanden, dafs sich bei der Destillation des Äthyleyanamids eine bei 
190° siedende Flüssigkeit von der Formel 


C,H,oNa = CN(C,H,),; N 


!) Cahours u. Clo&z, Ann. Chem. Pharm. XC., 91. 


14* 


194 Gesammtsitzung 


bildet, welche Cahours und Clo&z als Diäthyleyanamid er- 
kannt haben, während gleichzeitig eine feste krystallinische Base 
entsteht, welche die Zusammensetzung 


C,H,N, = C,H, (0,H,) N; 


besitzt, und die ich als Äthyldieyandiamid ansprechen möchte. 
Offenbar sind diese Verbindungen keine direeten Zersetzungspro- 
ducte des Äthyleyanamids, sondern entstehen aus dem bereits poly- 
merisirten Körper, aus dem Triäthylmelamin. 


C,H, (C,H,),; N; = CN (C,H,),N-+ GH; (C,H,)N, 


Die Zersetzungsproducte des Triäthylmelamins sind, wie schon 
die hier aufgeführte Umbildung durch die Wärme andeutet, in mehr 
als einer Beziehung interessant. Die Möglichkeit diesen Körper 
mittelst Chloreyan auf eine einfachere und weniger kostspielige 
Weise darzustellen, als aus dem äthylirten Sulfoharnstoff, hat mich 
veranlafst, die Umwandlungen des triäthylirten Melamins etwas 
genauer zu untersuchen. Für heute will ich nur bemerken, dals 
das Triäthylmelamin in der That, wie ich dies bereits früher 
vermuthet hatte,') durch längere Behandlung mit Säuren unter 
Ammoniakabspaltung und Aufnahme von Wasser in Cyanursäure- 
äthyläther übergeht. Beim einfachen Aufkochen mit Salzsäure 
verwandelt es sich, wie bereits früher gezeigt wurde, in Triäthyl- 
ammelin 


C,H,(6H,);N, + H,0 = C,H, (C,H,),N,;O+H;N; 
durch mehrstündige Digestion mit Salzsäure in geschlossener Röhre 
“entsteht Cyanursäureäthyläther 
welcher durch seine physikalischen Eigenschaften, zumal durch sei- 
nen Schmelzpunkt (85°) und durch seine Zersetzungsproducte iden- 


tifieirt wurde. Das zwischen dem T riäthylammelin und dem Cya- 
nursäureäthyläther in der Mitte liegende Triäthylammelid 


C, H (C H,); N, O, 


hab’ ich bis jetzt trotz vieler Versuche nicht fassen können. 


1) Hofmann, Monatsberichte 1869, 797. 


vom 31. März 1870. 195 


Ich habe mir das Vergnügen nicht versagen wollen, das hier 
für die Äthylkörper Ermittelte schliefslich auch noch einmal in der 
Phenylreihe zu beobachten. 

Es wurde also zunächst der Monophenylharnstoff entschwefelt, 
den ich vor längerer Zeit bei der Einwirkung von Ammoniak auf 
Phenylsenföl erhalten hatte.') Wie nach den Ergebnissen in der 
Äthylreihe zu erwarten stand, liefert dieser Körper bei der Be- 
handlung mit Bleioxyd keinen sauerstoffhaltigen Harnstoff, sondern 
es entsteht zunächst Phenyleyanamid mit all’ den Eigenschaf- 
ten, welche Cahours und Clo&öz dem durch die Einwirkung von 
Chloreyan auf Anilin erhaltenen Körper beilegen. Die von dem 
Bleisulfid abfiltrirte alkoholische Lösung hinterläfst nach dem Ab- 
dampfen auf dem Wasserbade eine durchsichtige, spröde, colopho- 
niumartige Masse, welche keinerlei krystallinische Structur zeigt. 
Wird dieselbe aber in Alkohol wieder gelöst, und einige Stunden 
lang gelinde erwärmt, so beginnen sich beim Erkalten Krystalle 
auszuscheiden. Ähnliche Krystallbildung erfolgt auch nach mehr- 
tägigem Stehen in der Kälte. Es gelingt jedoch nicht leicht, die 
ganze Menge der colophoniumartigen Masse in Krystalle überzu- 
führen. 

Diese Krystalle sind in Alkohol und Äther aufserordentlich 
löslich; aus letzterem krystallisirt die Verbindung in zolllangen con- 
centrisch vereinigten Nadeln, in Wasser ist dieselbe schwer löslich. 
Die Krystalle schmelzen schon bei 36 bis 37°; einmal geschmol- 
zen, erstarren sie nur äulserst langsam, gewöhnlich erst bei der 
Berührung mit einem festen Körper. Auch in Salzsäure sind sie 
vollkommen unlöslich und es gelingt nicht, eine Platinverbindung 
aus denselben darzustellen. Die leicht schmelzbaren Krystalle sind 
nichts anderes als das Phenylcyanamid. 

Schon bei gewöhnlicher Temperatur verwandelt sich das Phe- 
nyleyanamid nach längerer Zeit in Triphenylmelamin, welches 
sich alsbald durch seine viel geringere Schmelzbarkeit von der ur- 
sprünglichen Verbindung unterscheidet. Der Übergang in die tri- 
moleculare Verbindung scheint um so leichter zu erfolgen, je rei- 
ner der monomoleculare Körper ist. Das auf dem Wasserbade 
geschmolzene vollkommen reine Amid erstarrt oft schon nach eini- 


!) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. IX. 276. 


196 Gesammtsitzung 


gen Augenblicken zu dem bei weit höherer Temperatur als der 
Siedepunkt des Wassers schmelzenden Triphenylmelamin. 

Die polymerisirte Verbindung, behufs völliger Reinigung mehr- 
mals aus Alkohol umkrystallisirt, stellt wohl ausgebildete, pyrami- 
dal endende Prismen dar, welche in kaltem Wasser unlöslich, 
in siedendem sehr schwer löslich sind; in Alkohol und Äther, zu- 
mal in der Wärme, sind sie leicht löslich. Die kochend gesättigte, 
wälsrige Lösung setzt den Körper beim Erkalten in haarfeinen Na- 
deln ab. Die Krystalle schmelzen, ohne eine Veränderung zu er- 
leiden, bei 162—163°. 

Die Analyse weist diesem Körper als einfachsten Ausdruck 
die Formel 

C,H,N; 
an; allein die Untersuchung des Platinsalzes, welches als ein gel- 
ber, gut krystallisirter Niederschlag fällt, zeigt unzweideutig, dafs 
hier die trimoleculare Verbindung vorliegt. Das Platinsalz hat 
nämlich die Formel: 


C,H, N;PtCl,; = C,H, (0,H,),N;, 2HO1, PtCl. 


Die schwer schmelzbaren Krystalle stellen also das tripheny- 
lirte Melamin dar, welches aus dem durch Entschweflung des Mo- 
nophenylharnstoffs zunächst gebildeten Phenyleyanamid durch Po- 
lymerisation entstanden ist. 

Ich habe mich durch den Versuch überzeugt, dafs das nach 
dem Verfahren von Cahours und Clo&z durch Behandlung von 
Anilin mit Chloreyan erhaltene Phenyleyanamid beim längeren Er- 
wärmen gleichfalls in Triphenylmelamin übergeht, welches durch 
Aas Studium seiner Eigenschaften, zumal seines Schmelzpunktes 
und seiner Zersetzungsproducte, mit dem durch Entschweflung des 
Monophenylharnstoffs gewonnenen identifieirt wurde. Bei der Dar- 


stellung des Phenyleyanamids durch Einwirkung von ÜObloreyan 


auf Anilin wurde in einigen Operationen der gesuchte Körper beim 
Verdampfen des Äthers Anfangs gleichfalls in Gestalt einer zähen 
zu einer colophoniumartigen Substanz erstarrende Harzmasse er- 
halten, welche nur allmählig in den krystallinischen Zustand über- 
ging. Bei anderen Darstellungen, in denen frisch destillirtes, voll- 
kommen farbloses Anilin angewendet worden war und das Chlor- 
cyangas im Überschufs eingewirkt hatte, blieb das Phenyleyana- 
mid beim Verdampfen des Äthers im Zustande völlig reiner Kry- 


vom 21. März 1870. 197- 


stalle vom Schmelzpunkt 36° zurück. Bei der so erhaltenen, voll- 
kommen reinen Substanz erfolgt der Übergang in die trimoleculare 
Verbindung niit besonderer Leichtigkeit. 

Nach den Erfahrungen, welche ich über die Veränderungen 
des Triäthylmelamins unter dem Einflusse der Säuren eingesam- 
melt hatte, lag der Gedanke nahe, auch das Verhalten des Triphe- 
nylmelamins gegen Säuren zu studiren. Schon Aufkochen mit 
Chlorwasserstoffsäure ist hinreichend, um aus dem triphenylirten 
Melamin Ammoniak abzuspalten; allein wenn es mir schon bei der 
triäthylirten Base nicht gelungen ist, sämmtliche von der Theorie 
in Aussicht gestellten Verbindungen zu erhalten, so ist die Ausbeute 
bei dem Triphenylkörper noch unergiebiger gewesen. In der That 
ist es mir weder geglückt, ein triphenylirtes Ammelin, noch ein 
 triphenylirtes Ammelid darzustellen. Erhält man eine mit Salzsäure 
versetzte. alkoholische Lösung von Triphenylmelamin kurze Zeit 
im Sieden, so scheiden sich beim Erkalten glänzende Prismen aus, 
welche nichts anderes sind, als cyanursaures Phenyl 


O,, H,;; N; 07 = Ö, (C,H), N;0; ’ 


dessen Bildung der des Cyanursäureäthyläthers vollkommen ana- 
log ist: 
0;H,(C;H,);N, + 3H,0 = (,(C;H,),N50, +3 N;N. 


Der Oyanursäurephenyläther setzt sich aus der salzsauren al- 
koholischen Lösung nur langsam ab. Man kürzt die Darstellung, 
indem man die saure Lösung mit Alkali abstumpft, zur Trockne 
verdampft und den durch Wasser von Salz befreiten Rückstand 
. aus siedendem Alkohol umkrystallisirt. Man erhält auf diese Weise 
sehr schöne, wohl ausgebildete, farblose Prismen mit grader End- 
fläche, welche bei 264° schmelzen. Der cyanursaure Phenyläther 
ist in kaltem und siedendem Wasser unlöslich; in kaltem Alkohol 
ist er schwer, leichter in siedendem löslich; auch in Äther löst er 
sich auf. Vergeblich hatte ich gehofft, das ceyanursaure Phenyl 
bei der Destillation geradezu in cyansaures Phenyl (Carbanil), 
dessen Darstellung noch immer die gröfste Schwierigkeit bietet, 
übergehen zu sehen. Der cyanursaure Phenyläther läfst sich zum 
grofsen Theile ohne Zersetzung verflüchtigen, obgleich der heftig 
riechende, thränenreizende Dampf, welcher sich entwickelt, die 
Spaltung eines Theiles des Cyanursäurephenyläthers nicht verken- 
nen lälst. 


198 Gesammtsitzung 


Das Phenyleyanurat, welches sieh aus dem Triphenylmelamin 
bildet, ist offenbar identisch mit dem Körper, welchen ich früher!) 
durch Polymerisation des Phenyleyanats mittelst Triäthylphosphin 
erhalten habe. Leider besafs ich von dem so dargestellten Kör- 
per keine Probe mehr, um einen letzten Zweifel, der noch hätte 
bleiben können, durch den Versuch zu entfernen. Ich beabsichtige 
aber das Studium des Phenylcyanats wieder aufzunehmen und 
werde alsdann Gelegenheit haben, diese Beobachtung nachzutragen. 

Hrn. F. Hobrecker bin ich für die mir bei Anstellung der 
beschriebenen Versuche geleistete Hülfe zu bestem Danke ver- 
pflichtet. 


Hr. A.-W. Hofmann las ferner über eine gemeinschaftlich 
mit Hrn. Otto Olshausen ausgeführte Arbeit: Über die Iso- 
meren der Cyanursäure-Äther. 


Schon vor längerer Zeit hat Hr. Clo&z?) unter dem Namen 
Cyanätholin einen merkwürdigen Körper beschrieben, welcher die 
Zusammensetzung des Cyansäureäthyläthers, aber keineswegs die 
Eigenschaften desselben besitzt. Von letzterem unterscheidet er 
sich namentlich in seinem Verhalten zu den Alkalien, welche nach 
den Beobachtungen von Clo£&z Ammoniak, nicht Äthylamin, aus 
demselben entwickeln. Mit den Säuren vereinigt sich das Cyan- 
ätholin nach Clo&z zu krystallisirbaren Salzen, von denen indessen 
bis jetzt nicht ein einziges genauer untersucht worden ist. Über- 
haupt ist es auffallend, wie wenig sich die Aufmerksamkeit der 
Chemiker diesem merkwürdigen Körper zugelenkt hat. Hr. Clo&z 
hat sich mit der Entdeckung des Cyanätholins und der Feststellung 
seiner Zusammensetzung begnügt; er ist kaum mehr auf diesen 
Gegenstand zurüekgekommen. Von Arbeiten anderer Chemiker, 
welche das Cyanätholin betreffen, sind uns nur einige wenige, aber 
nicht unwichtige Versuche von Hrn. Gal?’) bekannt geworden. 


1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. Sup. I. 57. 
2) Clo&z, Compt. Rend. XLIV. 482 und Ann. Chem. Pharm. CII. 354. 


3) H. Gal, Compt. Rend. LXIL 527 und Ann. Chem. Pharm. OXXXVL. 127. 


vom 31. März 1870. | 199 


Nach seinen Beobachtungen verwandelt sich das Cyanätholin bei 
der Behandlung mit Kalilauge in Kaliumeyanat und Alkohol, bei 
der Einwirkung von Chlorwasserstoffsäure in Cyanursäure und 
Chloräthyl; und Gal und Clo&z sprechen in Folge dieser Erfah- 
rungen die Ansicht aus, das Cyanätholin sei der wahre Äther der 
Cyansäure, welcher auf den Typus Wasser zu heziehen sei: 

H CN C,H, CN 

u[0 uf 0 jo HARZ 
während das schon früher bekannte Äthyleyanat des Hın. Würtz 
dem Typus Ammoniak entspreche 


H C,H 
A| N a N w N C N ı N 
H H 25 

Es braucht kaum erwähnt zu werden, wie vollkommen diese 
Auffassung durch die seit jener Zeit erfolgte Entdeckung der Iso- 
nitrle und der den Schwefeleyanwasserstoffsäureäthern isomeren 
Senföle bestätigt worden ist. 

Die Bildung des Cyanätholins, welches bekanntlich durch die 
Einwirkung des Chlorcyans auf Natriumäthylat erhalten wird, be- 
gründet eine nahe Beziehung dieses Körpers mit dem von den HH. 
Cahours und Clo&z!) entdeckten Äthylcyanamid, welches bei 
der Behandlung von Äthylamin mit Chloreyan entsteht. Dasselbe 
Agens, auf äthylirtes Wasser und äthylirtes Ammoniak einwirkend, 
veranlafst die Bildung in dem einen Falle von Äthylcyanat, in dem 
andern von Äthyleyanamid. Wenn nun aber eine gewisse Analo- 
gie zwischen Cyanätholin und Äthyleyanamid, die sich vielleicht 
am besten in den Formeln 


CN(C,H)O und CN(C,H,)HN 


spiegelt, nicht zu verkennen ist, so mulsten die Beobachtungen 
über die leichte Polymerisation des Äthyleyamids, über welche der 
Eine von uns erst heute noch der Akademie Mittheilung gemacht 
hat, ganz naturgemäfs die Frage anregen, ob sich das Cyanätholin 
nicht in ähnlicher Weise werde polymerisiren lassen, wie das 
Äthyleyanamid, in anderen Worten, ob nicht auch eine Reihe von 


!) Cahours und Clo&z, Ann. Chem. Pharm. XC. 91. 


200 Gesammtsitzung 


Verbindungen existire, welche den bereits bekannten Cyanursäure- 
äthern isomer sind. 

Die zur Lösung dieser Frage unternommenen Versuche sind 
in der Methyl-, Äthyl-, Amyl- und Phenylreihe angestellt worden. 

Wir beginnen unsere Mittheilung mit der Beschreibung der 
Versuche in der Methylreihe, obwohl die ursprünglichen Unter- 
suchungen in der Äthylreihe ausgeführt worden sind, weil uns 
gerade die Methylkörper alsbald die befriedigendsten Aufschlüsse 
geliefert haben. 


Versuche in der Methylreihe. 


Leitet man einen Strom von Chlorcyangas in eine verdünnte 
methylalkoholische Lösung von Natriummethylat — wir haben in 
der Regel 20 Grm. Natrium in etwa 400 Grm. wasserfreien Me- 
thylalkohols aufgelöst — 50 scheidet sich eine reichliche Menge 
von Kochsalz aus. Fährt man mit dem Einleiten fort, bis die 
Flüssigkeit nach Chlorcyan riecht, und destillirt alsdann den über- 
schüssigen Methylalkohol ab, so bleibt ein braunes Öl zurück, 
demjenigen ähnlich, welches Clo&z bei dem entsprechenden Ver- 
suche in der Äthylreihe erhalten und unter dem Namen Cyanätho- 
lin beschrieben hat. Dieses Öl bleibt oft lange flüssig; zum öfte- 
ren aber erstarrt es nach einiger Zeit. Häufig aber bildet sich 
entweder gar kein oder nur ganz wenig Öl und es bleibt alsbald 
nach dem Abdestilliren des Methylalkohols ein zu brauner Kry- 
stallmasse erstarrender Rückstand. Die Reinigung der Substanz 
bietet keine Schwierigkeit: ein- bis zweimaliges Umkrystallisiren 
aus siedendem Wasser, in dem die Krystalle leicht löslich sind, 
während sie sich in kaltem Wasser nur wenig lösen, und schliefs- 
lich Behandlung mit ein wenig Thierkohle entfernen den Farbstoff. 
Allein die nunmehr farblos gewordenen Krystalle erweisen sich 
unter dem Mikroskop alsbald als ein Gemenge zweier Verbindun- . 
gen, von denen die eine, in feinen Nadeln anschiefsende, die leich- 
ter lösliche ist, während die andere, in rhombischen Tafeln sich 
absetzende, sich schwerer löst. Man kann beide mit Aufopferung 
eines mittleren Mischproductes durch mehrfaches Umkrystallisiren 
aus heilsem Wasser in reinem Zustande erhalten. Man trennt sie 
aber besser durch ihre ganz aufserordentlich verschiedene Löslich- 
keit in Äther, welcher die Nadeln löst und die rhombischen Ta- 
feln ungelöst zurückläfst. 


vom 31. März 1870. 201 


Cyanursäure-Methyläther. Verdampft man den Äther, welchen 
man von dem Krystallgemische abgegossen hat, so bleibt eine kry- 
stallinische Masse, welche sich aus Alkohol, besser aber aus heis- 
sem Wasser umkrystallisiren läfst. Die so erhaltenen Nadeln be- 
sitzen die Charaktere einer reinen Substanz. Bei der Kohlenstoff-, 
Wasserstoff- und Stickstoffbestimmung, welch’ letzteres Element 
sich mit Leichtigkeit in der Form von Ammoniak wiegen lälst, er- 
gab sich als einfachster Ausdruck die Formel 

C;,H,NO; 

aber es bedarf nur einer näheren Prüfung des hier vorliegenden 
Productes, um zu erkennen, dafs dasselbe nicht das Methyleya- 
nat, sondern das Trimethyleyanurat, nicht die monomoleculare, 
sondern die trimoleculare Verbindung ist. Der Schmelzpunkt der 
Krystalle liegt bei 132°, der Siedepunkt — wir waren nur im Be- 
sitz einer bescheidenen Menge — zwischen 160 und 170°, Diese 
Eigenschaften bezeichnen unzweideutig eine trimoleculare Verbin- 
dung, ein Cyanurat. 

Es würde gleichwohl geboten gewesen sein, in der Gasvolum- 
gewichtsbestimmung eine experimentale Bestätigung dieser Andeu- 
tungen zu suchen, wenn nicht der Versuch an einem eigenthüm- 
lichen Verhalten des neuen Körpers gescheitert wäre, welches in- 
dessen kaum minder bezeichnend für sein Moleculargewicht ist, als die 
Ermittelung seiner Dampfdichte gewesen sein würde. Wird das neue 
Cyanurat in einer Retorte erhitzt, so destillirt es über, ohne dafs ein 
bemerkenswerther Rückstand bleibt, und das Destillat erstarrt als- 
bald wieder zu einer weilsen Krystallmasse. Allein diese Krystalle 
sind nicht mehr der unveränderte Körper; der Schmelzpunkt der- 
selben ist von 132 auf 175° gestiegen, die Krystallform ist eine 
ganz andere geworden: an die Stelle der feinen Nadeln sind kurze 
dicke Prismen mit scharf entwickelten Endflächen getreten. Man 
erkennt ohne Schwierigkeit, dafs der neue Cyanursäureäther durch 
Atomwanderung im Moleeule, welche man durch die Formeln 


en eco, 
ons Vai oh Ns 


andeuten könnte, in den alten längst bekannten Äther übergegan- 
gen ist. Wollte man sich auf die sorgfältige Untersuchung der 
physikalischen Eigenschaften nicht verlassen, so würde es hinrei- 


| 
202 Gesammtsitzung 


chen, das Verhalten des Körpers vor und nach der Destillation 
gegen Reagentien zu vergleichen. Vor der Destillation mit Kali 
erhitzt, liefert er Cyanursäure und Methylalkohol: 


(CN); 
(CH;); 


Wird er nach der Destillation derselben Behandlung unterworfen, 
so entsteht Methylamin und Kohlensäure: 


(CO); 
(CH;); 


Die beschriebenen Versuche dürften hinreichen, um die Natur 
des neuen Cyanursäureäthers festzustellen. Weitere Anhaltspunkte 
für die Beurtheilung dieses Körpers mufsten sich bei dem Studium 
der Veränderungen ergeben, welche die Einwirkung des Ammoniaks 
auf denselben in Aussicht stellte. 

Wenn der Äther einer einbasischen Säure bei der Behandlung 
mit Ammoniak durch Austausch des primären Alkoholfragmentes 


} Or: 31,06 en 0, + 3(CH,HO). 
3 


In+ 3H,0 =3 Be N] +3C00,. 
2 


gegen das primäre Ammoniakfragment direet in das Amid über- 
geht, der Äther einer zweibasischen Säure aber zunächst den Äther 
einer Amidosäure liefert, so muls dem eigentlichen Amide einer 
dreibasischen Säure die Bildung eines ersten und zweiten Amido- 
säureäthers vorausgehen. Nach dieser Auffassung durfte man bei 


der Einwirkung des Ammoniaks auf den Cyanursäuremethyläther 


CH,O 

C,N, [c H,O 

CH,O 

die Entstehung der Körper 

CH,O CH,O H,N 
C,N;, [0,0 C,N, | H,N C,N; [in 
H,N H,N H,N 
Dimethyläther der Amido- Methyläther der Triamid der 
cyanursäure Diamidocyanursäure Cyanursäure. 


erwarten, nicht der Möglichkeit zu gedenken, dals die Alkohol- 
fragmente auch noch gleichzeitig gegen Wasserfragmente ausge- 
tauscht werden konnten. 

Wir sind bisher nur auf einen der hier verzeichneten Körper 
gestofsen, nämlich auf den 


vom 31. März 1870. 203 


Dimethyläther der Amidocyanursäure. Diese Verbindung bildet 
sich bei der Einwirkung des Ammoniaks auf den neuen Cyanur- 
säuremethyläther, allein es ist nicht ganz leicht, sie auf diese 
Weise rein zu erhalten, in der Regel geht die Reaction weiter und 
es entsteht ein Gemenge von Substanzen, deren Trennung uns bis 
jetzt nicht gelungen ist. Die fragliche Verbindung entsteht aber 
immer in mehr oder minder grofser Menge als Nebenproduct bei 
der Darstellung des Trimethyleyanurats; es ist dies in der That 
der schon oben erwähnte, in Äther unlösliche Körper, und da aus- 
ser den beiden genannten Körpern kein weiteres Product gebildet 
wird, so ist es leicht, die dimethylirte Amidosäure rein zu er: 
halten. 

Die neue Verbindung krystallisirt aus heifsem Wasser in schö- 
nen rhombischen Tafeln, geruch- und geschmacklos, erst bei 212° 
schmelzend. Sie ist in kaltem Wasser viel schwerer löslich, als 
der cyanursaure Äther; schwer löslich in kaltem, leichter löslich 
in heifsem Alkohol, fast unlöslich in kaltem Äther. 

Die Formel 

CH,O 
CH, N,O, — CN, [010 
H,N 


wurde durch Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Stickstoffbestimmung 
und überdies durch die Analyse eines in schönen Nadeln krystal- 
lisirenden Silbersalzes 


C,H,N,O,, AgNO, 


festgestellt, welches auf Zusatz von Silbernitrat zu der salpeter- 
sauren Lösung des Amidoäthers und Umkrystallisiren des zunächst 
gebildeten Niederschlages gewonnen wird. 

Bei der Behandlung mit wäfsrigem Ammoniak in zugeschmol- 
zener Röhre werden dieselben Producte erhalten, welche in dem 
analogen Processe aus dem Äther entstehen. Sie sind noch nicht 
untersucht; es ist indessen festgestellt, dafs hierbei, wie dies nicht 
anders erwartet wurde, Methylalkohol austritt. 

Was schliefslich die Bildung des Amidoäthers bei der Einwir- 
kung des Chlorcyans auf das Natriummethylat anlangt, so entsteht 
derselbe offenbar in Folge von Spuren Wasser, welche bei dem 
* Processe kaum ausgeschlossen sind. Das Wasser veranlafst zu- 
nächst die Bildung von Salzsäure und Cyansäure, welche letztere 


204 Gesammtsitzung 


in Kohlensäure und Ammoniak zerfällt. Ammoniak und Cyanur- 
säuremethyläther in condicione nascendi zusammentreffend , liefern 
Methylalkohol und den Amidoäther. 

In der That ist dem in dem Processe ausgeschiedenen Koch- 
salz eine nicht unerhebliche Menge Cyanat und Carbonat beige- 
mengt. 


Versuche in der Äthylreihe. 


Unsere ersten Versuche wurden in dieser Reihe angestellt, und 
wir haben in ihr eigentlich mehr gearbeitet, als in der Methylgruppe. 
Wir sind gleichwohl bis jetzt nicht im Stande gewesen, den Cya- 
nursäuretriäthyläther im reinen Zustande zu erhalten; wir haben 
dagegen die Äther der beiden Amidosäuren fassen Können. 

Was zunächst die Erscheinungen bei der Einwirkung des 
Chloreyans auf das Natriumäthylat betrifft, so gestalten sich die- 
selben genau wie bei der analogen Behandlung des Methylats, und 
wie sie überdies von Hrn. Clo&z beschrieben worden sind. Wir 
haben indessen öfter schon in erster Instanz einen festen Körper 
erhalten; meist jedoch bildete sich nur ein Öl, und aus diesem 
setzten sich dann gewöhnlich nach einiger Zeit Krystalle an, deren 
Ausbeute in verschiedenen Darstellungen aufserordentlichen Schwan- 
kungen unterworfen war. Wir glaubten begreiflich zunächst, dafs 
hier die trimoleculare Modification des Cyanätholins vorliege; allein 
die Analyse zeigte, dafs diese Krystalle trotz ihrer Schönheit ein 
Gemenge sind, welches das gesuchte Cyanurat, wenn überhaupt, nur 
in geringer Menge enthält. ie bestehen, wie vielfache Analysen 
darthaten, aus einem Gemenge der Äthyläther der beiden Amido- 
säuren, deren Trennung einige Schmerzen gekostet hat. 

Diäthyläther der Amidocyanursäure. Durch Behandlung mit 
Thierkohle und sehr häufiges Umkrystallisiren einer nicht unbe- 
trächtlichen Menge der aus dem rohen Cyanätholin abgesetzten 
Krystalle gelang es, zarte weifse Prismen zu erhalten, welche den 
Schmelzpunkt 97° zeigten; dieser Schmelzpunkt blieb auch nach 
mehrfachem Umkrystallisiren aus Wasser unveräudert, ein Verhal- 
ten, welches die Reinheit der Substanz erschliefsen liefs. Derselbe 
Körper wird erhalten, wenn das rohe Cyanätholin einige Stunden 
lang mit wälsrigem Ammoniak in geschlossener Röhre erhitzt wird. 
Die Digestion darf aber nicht zu lange fortgesetzt werden, weil 


vom 31. März 1870. 205 


sonst andere Producte, zumal ein in Wasser fast unlöslicher amor- 
pher Körper, gebildet werden. 

Die Analyse der Krystalle, welche auch in Alkohol und selbst 
in Äther, besonders unter Mitwirkung der Wärme, löslich sind, 
hat gezeigt, dafs dieselben die dem Amidoäther der Methylreihe 
entsprechende äthylirte Verbindung sind, also die Zusammen- 
setzung 

C,H,O 
CGH3N,O,= C,N, ur O 
2 
besitzen. Die diäthylirte Amidocyanursäure verbindet sich in zwei 
Verhältnissen mit Silbernitrat. Je nachdem man die in Salpeter- 
 säure gelöste Substanz oder Silbernitrat im Überschufs anwendet, 
erhält man die Verbindungen: 


20,H,N,0,, AgNO, 
oder C,H,N,O,, AgNO, 


Beide Salze krystallisiren in Nadeln. Das letztere kann ohne 
bemerkenswerthe Zersetzung aus siedendem Wasser umkrystallisirt 
werden, das erstere zersetzt sich beim Umkrystallisiren, indem es 
allmählig in das zweite Salz übergeht. 
| Äthyläther der Diamidocyanursäure. Aus einer Lösung der 
' eben beschriebenen, jedoch noch nicht völlig gereinigten Verbindung, 
welche mit concentrirter Ammoniakflüssigkeit längere Zeit stehen 
geblieben war, hatten sich weiflse Krystalle abgesetzt, welche zwi- 
schen 190 und 200° schmolzen und sich in Alkohol weit schwerer 
lösten. Bei der Analyse (Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Stickstoff- 
bestimmung) dieser Krystalle wurden Zahlen erhalten, welche sie 
als den Äthyläther der Diamidocyanursäure, als 


C,H,O 
GN,O= ON] HEN 
H,N 


charakterisiren. Auch diese Verbindung liefert, in Salpetersäure 
‚gelöst und mit Silbernitrat versetzt, feine Krystallnadeln, welche 
jedoch noch nicht analysirt worden sind. 


206 Gesammtsitzung 


Versuche in der Amylreihe. 


Wir haben in dieser Reihe bis jetzt nur qualitativ gearbeitet. 
Das Product der Einwirkung des Chloreyans auf das Amylcyanat 
ist ölförmig. Es destillirt bei etwa 200°, wie es scheint, nicht 
ohne tiefgreifende Zersetzung. Die letzten Destillationsantheile er- 
starren zu weifsen, seideglänzenden Krystallen, die sich durch Lö- 
sen und Umkrystallisiren leicht rein erhalten lassen. Wir sind 
geneigt, diese Substanz für das Amyleyanurat zu halten, allein es 
liegen bis jetzt keine Zahlen vor, auf welche sich diese Annahme 
stützt. 


Versuche in der Phenylreihe. 


Schliefslich möge hier noch eines Versuches gedacht werden, 
welcher in der Phenylreihe ausgeführt wurde. Chloreyan wirkt 
auf Natriumphenylat, welches in diesem Falle in absolutem Alko- 
hol aufgelöst wurde, mit derselben Energie, wie auf die andern 
Natriumverbindungen. Die von dem ausgeschiedenen Kochsalze 
abgegossene Flüssigkeit lieferte auf Zusatz von Wasser ein in Was- 
ser untersinkendes Öl, welches der Destillation unterworfen wurde. 
Was zunächst überging bestand aus fast reinem Phenol; die Destil- 
lation wurde unterbrochen, sobald ein Tropfen des Rückstandes zu 
einer Krystallmasse erstarrte, welche sich in kaltem Alkohol als 
fast unlöslich erwies. Der Destillationsrückstand wurde alsdann 
mit Alkohol gemischt und auf einem Filter mit kaltem Alkohol 
ausgewaschen. Der bereits weils gewordene Krystallbrei wurde 
alsdann aus einer grofsen Menge siedenden Alkohols umkrystalli- 
sirt. Beim langsamen Erkalten schieden sich lange feine Nadeln 
aus, welche in Wasser und Äther fast unlöslich sind, sich aber in 
Benzol auflösen. 

Die Analyse dieser Krystalle führte zu der Formel 


C,H,NO. 


Aus der Bildungsweise derselben, sowie aus ihrem ganzen Habitus 
aber schliefsen wir, dafs dieselben die trimoleculare Verbindung, 
das Phenylceyanurat 


(6 
C,,H,,N;0; TE C,N; [c 


vom 31. März 1870. 207 


darstellen, welches der im Anfange dieser Note beschriebenen Me- 
thylverbindung entspricht. 

Der Schmelzpunkt der Krystalle wurde zu 224° gefunden, 
also wesentlich niedriger, als der der isomeren Verbindung (264°), 
über welche der Eine von uns') am heutigen Abend der Akademie 
berichtet hat. Von letzterer, welche man jetzt als Isocyanursäurephe- 
nyläther ansprechen muls, unterscheidet sich das neue Oyanurat 
auch ganz unzweideutig, was Krystallform und Verhalten gegen 
Lösungsmittel anlangt. Ob auch die Phenylverbindung, wie der 
Methylkörper, durch die Einwirkung der Wärme sich umlagert 
und in das schon bekannte Cyanurat übergeht, mu/s noch ermittelt 
werden. 

Wir können diese Mittkeilung nicht schliefsen, ohne den HH. 
R. Bensemann und K. Sarnow für die Bereitwilligkeit zu dan- 
ken, mit der sie uns bei der Ausführung der beschriebenen Ver- 
suche haben unterstützen wollen. 


Hr. W. Peters las über die Verwandtschaft der Cte- 
nodactyli mit den Chinchillen und anderen Gruppen der 
Nager. 

Als Resultat einer ausführlichen Untersuchung des Gesammt- 
baues der eigenthümlichen afrikanischen Nagethiergattungen Oteno- 
dactylus und Pectinator wurde mitgetheilt, dafs dieselben in allen 
wesentlichen Theilen von den Dipoda abweichen und hierin mit 
den Hystriciformes übereinstimmen, theils den Chinchillen, theils 
den Octodontes oder auch den Echinomyes sich anschliefsen, in ein- 
zelnen Punkten aber auch eine Hinneigung zu den Murinen zeigen. 


1!) Hofmann, Monatsberichte 1870, 197. 
[1570] 15 


208 Gesammtsitzung vom 31. März 1870. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 
Neues Lausitzisches Magazin. 47. Bd. 1. Heft. Görlitz 1870. 8. 
Vierteljahresschrift der Astronomischen Gesellschaft in Leipzig. 5. Jahrg. 
1. Heft. Leipzig 1870. 8. 
Zur Erinnerung an Wilh. Wackernagel. Basel 1870. 8. 
Achtundzwanzigster Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Linz 
1869. 8. 
Glasnik. Vol. 8. 9. Belgrad 1869. 8. 
Almanaque nautico, para 1871. Cadiz 1871. 8. 
Jahrbücher der Gelehrten Gesellschaft in Krakau. 39. Bd. Krakau 1870. 
8. Mit Begleitschreiben d. d. Krakau 20. März 1370. 
Publications de la societe archeologique. Vol. 24. Luxembourg 1869. 4. 
Wild’s Repertorium für Meteorologie. 1. Bd. 1. Heft. Petersburg 1869. 4. 
Ed. de la Barre-Dupareg, Du nombre des tuds dans les batailles. 
Paris 1870. 8. Mit Schreiben vom 20. März 1870. 


Nachtrag. 


14. März. Sitzung der physikalisch-mathemati- 
| schen Klasse. 


Hr. Dove las über die Temperaturvertheilung im 
Winter 18%. 


Wenn von vornherein es unwahrscheinlich ist, dafs der Polar- 
und Äquatorialstrom, welche unsere Witterungsverhältnisse bestim- 
men, uferlos wie sie sind, je genau in denselben Betten flielsen 
werden, welche sie einmal früher einnahmen, wenn also die in der 
jährlichen Periode identisch wiederkehrende Insolation eine nicht 
identische Atmosphäre vorfindet, auf welche sie wirkt, so darf doch 
die Hoffnung nicht aufgegeben werden, in dem scheinbar willkühr- 
lichen Wechsel des Verlaufs jener Ströme annähernd sichere An- 
haltspunkte zu gewinnen dafür, wie eine bestimmte anomale Tem- 
peraturvertheilung in die ihr folgende übergeht. Natürlich kann 


-bei dem mächtigen Querschnitt dieser Ströme eine derartige Unter-- 


suchung nur an die gleichzeitige Betrachtung einer grolsen Anzahl 
von Stationen sich anknüpfen, da das an einer bestimmten Stelle 
mit einem früheren Vorkommen identisch Erscheinende in weiter 
Entfernuug von jener Stelle als ein durchaus Ungleichartiges sich 
herausstellen kann, indem dieselbe Temperatur an jener durch einen 
ganz anders gerichteten Luftstrom hervorgerufen werden kann. 
Aufserdem mufs, um zu wilsen, ob eine in einem bestimmten Jahre 
sich zeigende Aufeinanderfolge der Erscheinungen bereits früher in 
entsprechender Weise hervortrat, eine vieljährige Beobachtungsreihe 
vorliegen. Dies bestimmte mich in meinen seit 1838 ununterbro 
chen fortgesetzten Untersuchungen über die nicht periodischen Ver- 
15* 


210 Nachtrag. 


änderungen der Temperaturvertheilung auf der Oberfläche der Erde 
die Witterungsgeschichte der Vergangenheit, soweit Beobachtungen 
vorlagen, numerisch durch Abweichungen von normalen Werthen 
darzustellen. Ich habe diese Geschichte in dem zweiten Theile mei- 
ner klimatologischen Beiträge 1869 für monatliche Mittel und in 
den Abhandlungen der Berliner Akademie 1869 für fünftägige Mit- 
tel bis zur Gegenwart fortgesetzt. An dieses so zu einem Ab- 
schlufs gelangte Material knüpfen sich die nachfolgenden Bemer- 
kungen über den eben verflossenen Winter 1845- 

Dieser Winter war in Deutschland streng. Der Februar in 
Claussen bei Lyck entsprach der mittlern Wärme dieses Monats 
in Archangel, Catherinenburg und Orenburg, die Temperatur von 
Ratibor und Landeck war die von Smolensk. In Bunzlau glaubte 
man sich nach Moscau versetzt, Breslau war sogar kälter. Königs- 
berg und Conitz entsprachen Ufa, Tilsit war Novgorod geworden, 
Berlin hatte eine niedrigere Temperatur als Abo, Schwerin wurde 
Kiew. Frankfurt a. M. und Friedrichshafen am Bodensee wurden 
Memel, Trier entsprach Posen, Canstadt bei Stuttgard hatte sich 
in Bromberg verwandelt, Wiesbaden fürchtete seinen Ruf als deut- 
sches Montpellier zu verlieren, denn es war kälter als im vieljäh- 
rigen Mittel das ostpreulsische, kälter als Elbing. Da aber die 
Kälte erst nach der Mitte Januars beginnt, dessen Anfang unver- 
hältnifsmäfsig mild war, und nach der Mitte Februars die inten- 
sive Strenge des Winters gebrochen wurde, dadurch dafs am 21. 
Februar ein warmer das Barometer stark herabdrückender SW das 
ganze westliche und mittlere Europa überströmte, so geben die 
Monatsmittel nur eine annähernde Anschauung der eigentlichen Er- 
niedrigung unter die normale Wärme. Um diese deutlicher hervor- 
treten zu lassen, habe ich daher im Folgenden bestimmt, um wie 
wiel der monatliche Zeitraum vom 21. Januar bis 19. Februar käl- 
ter war als ihm im Mittel zukommt (Grade Reaumur wie über- 
haupt). 


Claussen bei Lyck —8.01. 

Ratibor — 7.58, Königsberg —7.45, Bromberg — 7.44, Tilsit 
—7.34, Breslau — 7.13. 

Zechen —6.85, Conitz —6.76, Landeck —6.70, Posen —6.64, 
Eichberg —6.35, Ulm —6.32, Memel —6.28, Grüllenburg 
—6.27, Frankfurt a. d. ©. —6.09, Görlitz —6.01. 


Nachtrag. 211 


‚Gorisch —5.98, Wermsdorf —5.95, Riesa — 5.95, Dresden —95.93, 
Hela —5.80, Leipzig —5.69, Zittau —5.68, Erfurt —5.61. 
Regenwalde —5.59, Reizenhain —5.55, Zwickau —5.53, Stet- 
tin —9.52, Zwenkau —95.49, Gorisch —5.41, Freiberg— 5.39, 
Heilbronn —5.39, Bautzen —5.35, Elster —5.32, Anna- 
berg —5.23, Heidenheim —5.17, Cöslin —5.15, Berlin 
—5.15, Hinrichshagen —5.05, Hechingen —5.09. 

Halle —4.99, Darmstadt —4.98, Rehefeld —4.94, Schopfloch 

in —4.90, Sondershausen —4.90, Friedrichshafen —4.88, 
Heiligenstadt —4.85, Wien —4.85, Hannover —4.68, Göt- 
tingen —4.62, Mühlhausen —4.60, Hohenzollern —4.59, 
Hinterhermsdorf —4.58, Frankfurt a. M. —4.50, Issny 
—4.48, Calw —4.40, Kreuznach —4.39, Freudenstadt 
—4.33, Oberwiesenthal —4.31, Schwerin — 4.20, Güters- 
lIoh —4.19, Boppard —4.08, Lüneburg —4.07, Kirche 
Wang —4.07. 

Putbus —3.99, Schönberg —3.88, Birkenfeld —3.87, Rostock 
— 3.82, Löningen —3.75, Lübeck — 3.73, Stuttgard —3.70, 
Clausthal — 3.66, Oldenburg — 3.64, Olsberg —3.58, Wu- 
strow — 3.55, Otterndorf —3.50, Trier —3.50, Cöln —3.44, 
Lingen —3.42, Orefeld — 3.56, Eutin —3.34, Cleve —3.22, 
Münster —3.19, Emden 3.19, Brüssel —3.16, Jever 


—3.13. 
Paris — 2.41. 
Rom —1.74. 


Lissabon —0.65. 


Auf dem Plateau der masurischen Seeen fehlten also jedem 
Tage einen Monat lang 8 Grad. Das ist viel für ein ohnehin nicht 
begünstigtes Land. | 

Klarer natürlich tritt die eigentliche Vertheilung in der Ab- 
weichung der fünftägigen Mittel von ihrem normalen Werthe her- 
vor. »ie ist die folgende. Die „Unterschied“ überschriebene Co- 
lumne bezeichnet, um wie viel der Wärmeüberschufls am 6—.10 
Januar die Erniedrigung von 5—9 Februar übertrifft. Beide ex- 
treme Abweichungen sind durch den Druck hervorgehoben. 


212 Nachtrag. 
I — 
— 
Lau az 


25er 11-15 1620 | 21-25 | 26-30 


ii I al 


Memel 9.429 19.5.16 3,66 | —0.87 | —0.90 | —4.49 
Tilsit 2.89 | 5.54 3.57 | —0.99 | —1.93 | —6.45 
Claussen N Al) 2.96 | —0.30 | —1.74 | —8.21 
Königsberg 2.92) Dal 3.47 | —0.42 | —1.44 | —5.59 
Hela 172), Sa Gt 0.62 | —0.56 | —2.81 
Conitz 1.99 41° 9209 3.31 | —0.60 | —1.76 | —2.24 
Bromberg 1.40 | 5.43 3.67 0.34 | —1.80 | —3.83 
Posen 2.20 | 5.60 3.65 0.60 | —1.95 | —2.25 
Zechen 1581 1129 3.43 0.55 | —2.10 | —2.76 
Breslau 2.292.,.9.89 3.29 0.31 | — 3.02 | —3.84 
Ratibor 31210 9.47 3.14 1.22 | —1.80 | —6.74 
Landeck 3140| 9.67 23.05 | —0.20 | —3.49 | —5.33 
Eichberg 1.261.059 a 0,31 | —3.65 | —4.64 
Wang 4.89 | 5.89 1.95 | —0.69 | —4.35 | — 4.24 
Görlitz 2.95 | 5.26 2.90 0.00 | —3.29 | —3.17 
Zittau 2.12 | 4.68 3.0720-0.14..10-2.96 |. — 2,49 
Hinterhermsdorf 1.510) (4.098 9.64. | 1,52 | 2,81 | — 2.04 
Bautzen 25040 9.00 2.94.17 0.70 306. — 23.32 
Dresden 0:93 | 4.86 2,80 | —0.54 | —3.58 | —3.51 
Grüllenburg 4.21 | 5.48 er | ei | de 
Freiberg 4.13 | 4.39 222 | —1.32 | 401 43.172 
Rehfeld 2.50 | 5.17 2.55 |! —1.03 | —3.70 | —3.20 
Reizenhain 3.79 | 5.48 275 | —1.16 1, —4.25 | — 8.85 
Annaberg 4.76 | 4.79 1.98 | —1.45 | —4.74 | — 4.00 
Oberwiesenthal 5212 72:00 0.87 | —1.12 | —4.22 | —3.12 
Elster 1.6700 4.95 2.90 0.16 | —3.08 | —3.90 
Zwickau 4a 0.06 a re | 
Chemnitz Sec dd 3,01 | —0.26 | — 83.44 | —3.15 
Wermsdorf 3.62 | 5.06 2,73 1 0.31 | —3.58 | — 3.30 
Riesa 2.441 A.dl 355} -—-1.04 | —3.32 | — 2.86 
Gorisch 2.46 | 5.62 3.23 0.58 | — 2.89] > 3.19 
Torgau 2.901 9.92 3 0.64 | —2.75 | —2.51 
Leipzig Dazanı 9.09 3.10 0.12 | —3.35 | —2.76 
Zwenkau 4.111. 9.08 3.44 0.06 | —3.45 | —2.93 
Halle 3.58 | 5.88 3.58 0.46 | —2.91 | —1.89 
Erfurt 4.99 | 6.45 3,73 | —0.06 | —3.42 | —3.18 


Sondershausen 3.74, 6.17 3.85 | —0.09 | —3.50 | —1.82 


Nachtrag. 215 


Februar 


Unterschied 
31—4 | 5 | 10-14 | 15-19 | 20-4 | 25—1 
eo Da 9.235 0.6071 21.08 1.40 17.69 
— 10.990 - 14.57, 9.53, — 2.183 0.51 1.48 19.91 
oa 39 7.8 he 37a = 0.87 1.66 21.10 
lo 1.37.1010 301: 0.89 1.67 19.74 
— Tan ee ee 13.31 
— 9,0 | | ae eo ee 1.10 19.67 
ae JADE 852 4.070 51.67 1.43 20.85 
9.62 | =14.98 | — 8.33..|. 3.23 || 1.46 1474 20.58 
a FE En 1.50 20.81 
— 9.03 |—16.04 | — 8.87 | —3.62 —1.39 1.20 21.93 
Boa 11.301: 7ATa oz. 1.604: 31.37 22.83 
= 6620| 50.15.|25 6.4681 3.199) > 1,54 1.79 22.82 
2.65 | =12.66 | = 9.070 -3.010 1 —1.05 2.33 20.01 
082 50.92. 6.105} 73.685, 9,39 4.31 11.81 
100 193.65, — 9.02 .—3.29, | 1.69 1.60 18.91 
278, 9:19 | 2.3.64, 1,°2.9052 1.92 17.46 
ns 925,852 | =3.25..1..-2.60 0.78 13.78 
73071 - Il 926 | —4a15 | 1.28 0.47 1A 
— 4.48 | —10.32| — 9.24 | —447 | —2.09 lt 15.18 
— 4.13 |— 10.11 | —10.24| —-5.38 | —2.35 1.21 15.72 
— 2.716 |— 7398| — 9.16| —4.74 | —2.66 1.19 13.55 
— 4.14 |— 9.44| -- 6.356 | —2.31 99 0.56 14.61 
= zaaaı 10H, = 6.82°10—-3.42° 9,50 0.61 15.99 
— 2.72 |— 8.49| — 7.35 | —4.07 —2.93 1.00 13.28 
0.05. |-- 179.39 I 6.917107 — 2.6701 2,88 1.97 14.80 
— 4011 ,9.52 == 7.615 5—3.83: | 2,51 1.01 14.47 
— 3.62 |— 8.90|— 8.32 | —4.82 | —2.41 1.92 14.96 
| — 262 I|— 7.84 |— 7390| —415 | —2.38 1.50 15.03 
1 = 23.22 |-11.36| — 925 | —5.00.| —1.97 1.40 16.42 
| — 4.39 | —11.64 | — 9.06 | —4.46 | —2.54 1.15 "16.35 
| 195, 719.09,. 0 919. 465.1 224.87 3.24 17.71 
ri eo Ag 38 1.79 0.71 17.34 
092.93 | — 11.49 | — 8.95 | —4.66 | —2.13 1.10 16.58 
Ez.0o% —- ao a1) 489] —1.77 1.26 15.24 
E2.21 1—10.61|— 8.30 °|-—-4.00: | ı—1.87 1.93 15.99 
E62 10.261.845] 4.76] 11.84 1.94 16.71 


Es 9.8E er 7.885, |: —4.19 | 7 —1.99 | 16.05 


214 Nachtrag. 


N 


Lau wär 


RW. 11-15 16-20 |21—2 26-30 
DEE BEER, EOHIEEREEN EHER RES) BEER DERREREGEEE BE 


Mühlhausen 6.61 —13.82 | —1.83 
Heiligenstadt 5.81 —3.92 | —3.09 
Wernigerode 3.98 —5.07 | —2.55 
Clausthal | 4.04 | 202 
Göttingen LO — 3.91 | —3.28 
Copenhagen 4.65 20,70 1.26 
Cöslin | —0.93 | —0.65 
Regenwalde 5. —1.09 | —0.36 
Stettin 4.35 1.41 | —0.19 
Putbus Aal let 0.64 
Wustrow 4.29 a) 0.78 
Rostock 4.89 38 0.54 
Schwerin 5.58 --2.17 | —0.22 
Hinrichshagen 5.48 — 2.03 | —0.35 
Berlin 5.76 —2.35 | —0.94 
Frankfurt 5.95 —12345 | —1.74 
Schönberg 5:00 — 12.82 | —0.88 
Lübeck 4.93 — 2.00 0.92 
Eutin 5.43 —1.63 | —0.37 
Kiel 5.00 4,61 0.32 
Neumünster 5237 902 ot 
Altona 5.92 —2.07 | —0.34 
Otterndorf 5.47 —1.61 | —0.16 
Lüneburg 5.60 — 12.49 | —0.45 
Hannover 5.58 —3.60 | —1.84 
Oldenburg 5.14 —1.98 | —1.45 
Jever 4.49 —1.33 | —0.75 
Emden 4.24 —1.32 | —1.25 
Lingen 4.53 —2.65 | —1.79 
Löningen 4.79 —12.56 | —2.11 
Münster 5.06 9,88 ,| — 2.41 
Gütersloh 4.86 —3.83 | —3.62 
Olsberg 5.49 ea), 308 
Cleve 4.39 —2.93 | —2.13 
Crefeld 4.93 —3.02 | —2.04 
Cöln 4.98 era ilsrnl 
Boppard 5.49 — 2.34 | —3.85 


Nachtrag. 215 


Februar 


314 | eg | 10-14 | 15-19 | 20-24 | a | ntereenied 
=945 1.,9.201—7.99 6m 143 1.15 15.81 
—094 | — 9.20) —7.91 = 2.0701 21.67 2.18 15.01 
125 |— 6.13 | —8.53 | —4.27 | —2.52 2.92 12.84 
—0.79 |— 8.20| —7.46 — 41000 2 175 0.99 13.90 
el. 1.508 | 3.20. 43,46 10.15 
ll 3.38) —1.52 0.81 17.32 
— 12.932 7 811 23.38. 20.71 1.01 18.05 
—12.65 | —8.26 — 3.0 10% 1.07 17.00 
10.390552 — 3.037, —1.45).8. 20.42 14.70 
— ee — 3.47: | .—1.86 0.40 14.20 
—10.31| —4.96 —3.58- |: —1.49 1.12 15.20 
—10.26 | —5.99 | —3.90 | —1.67 1.08 15.79 
= m04 7.00 —3.85£. | -—-1.75 1.52 17.52 
039, 7.5 Ay 145 1.25 18.11 
ao 375 be er 156 1.07 19.82 
u) 440 3.47% 9 21,84 1.57 15.05 
— Ba ent a le 0.96 14.42 
oA AT 3312 1.59 1.13 13.88 
— 71.82 | —5.57 | —3.42 | —1.47 0.95 12.82 
_ ZynA Nr 5.81 —3.79 | —2.06 1.48 15.12 
— 9.95| —5.03 —3.69 | —1.81 0.88 15.87 
—8.99,| — 557 — 3.1 — 299 1.79 14.40 
= AR 7.08 — 394, 11.63 2.47 15.07 
= 107,0 7.69 — 3.82 = 176 2.26 15.68 
u el ul a 177 13.98 
— 27.9017 9.01 — la 2.33 12.39 
— 2069 75.72 —3.37 2 jeor 1.18 11.93 
— 1.03| —6.43 — 3980| 1.68 2.28 11.21 
— 8.37| —6.31 159 2.23 13.16 
— 5.20 | —6.50 | —3.11 | —1.72 2.79 12.16 
— 6.18 | —7.24 | —3.88 = ng5 2.32 12.10 
— 4.96 | —7.16 | —3.33 | —1.64 2.78 13.08 
— 4.30 | —6.89 | —3.82 | —1.91 3.09 11.29 
— 4.67 | —6.68 | —4.29 | —1.68 3.27 11.61 
— 5.18 | —6.23 | —4.07 | —2.47 1.48 11.21 


5er 705,346. | —=N97 1.81 12.54 


216 Nachtrag. 


Te 


aa war 


je, 310 1-1 16—20 | 21—25 | 26—30 
ee nn ne nn 
Trier 4.05 | 5.41 2.55 0.56 | 2.95 — 3.16 
Brüssel 3.79, 179.40 2.28 0.13 | —3.18 | —2.97 
Birkenfeld ey a: | 0.54 | —3.33 | —3.30 
Kreuznach 0.30 | 5.60 2.97 0.93 ı —2.85 | —3.90 
Frankfurt a. M. 1.48:,+9:06 2.02 0.50 | —2.86 | —3.50 
Darmstadt 2.50 | 4.63 2.10 0.20 | —3.84 | —4.24 
Heilbronn 0.65 | 4.36 3.02 0.57 | —3.60 | —5.66 
Stuttgard 2.59 | 5.32 3.30 0.49 | —3.54 | —1.42 
Hechingen 3.141081 98.19 1 —0.28 | —5.03 | —6.51 
Hohenzollern 5.04 | 4.25 1.16 178 Ne In1g N 08 
Calw 1.67 | 4.24 2.90 1.28 | —4.89 | —6.69 
Freudenstadt 4.26 5.04 2.43 1.2056 | 5.00] —6ri6 
Ulm 0.01 1,,3.80 9.41 | —o.11 | —4.28 | —6.82 
Heidenheim BB 2.89 0.96 | —3.13 | —4.47 
Schopfloch 4.20 | 4.30 2.00 | —-0.92 | —5.95 | —5.26 
Issny 2.98 | 4.95 2.00 | —0.17 | —6.51 | —5.98 
Wien 1.712 03:08 2.62 1.02 | —1.35 | —4.34 
Friedrichshafen —0.41 2.67 2,57 | —0.17 | —4.45 598 
Rom 6A 1.92 11.83 | 21.32 at —6.04 
Lissabon 072,210 0.72 | —0.39 | —9.68| —3.28 


Durch Oberschlesien sind also innerhalb eines einzigen Mo- 
nats 22 Isothermen von 1° R. hindurchgegangen , durch Cöln 
nur, 11. 


Aus der Tafel geht entschieden hervor: 


1) dafs die Abkühlung auf dem Beobachtungsgebiet am 
stärksten an der Ostgrenze von Deutschland ist und 
nach West hin erheblich abnimmt, 


2) dafs die Meeresnähe (Hela, Wustrow) sie abstumpft, 

3) dafs sie auf den hochgelegenen Stationen (Kirche Wang 
an der Schneekoppe) bedeutend geringer ist, was ich 
früher schon vielfach nachgewiesen habe, 


Nachtrag. 217 


wmebruwatr 


Unterschied 

31—4 | 5-9 | 10 | 1519 9024 | 35—1 
—0.06 - 4.88 | —6.91 | —3.74 | —2.58 1.93 12.32 

DD 054, — 849, = 6.12 | 3:90 13.89 
—0.75 a 2 een. 319 29 1.35 11.93 
= 9.08 a [DE ae) oe a: 1.27 12.65 
909 |. n2la) —1D88.| 3.838 | 2.05 1.66 12.44 
oma SAN 270 9383| DAT 1.78 12.47 
ne N ee ee ee 1.59 12.83 
oe ln. 96 9 1.45 —N99 3.29 12.28 
— > el ar 3.69 13.57 
= eos 12-104.56 11 -0.81 | 72.66..|, 2:73 3.89 10.85 
= 2.0509, 0159| 113% 1.64 0.89 10.39 
eo 2599, :6.5851.29 091° — 2,68 9,436 172..14.62 
en ey 702 1.-.2:09 |, 1.6 0.40 13.38 
A 03500) 6.03.02 1.32 1,153 | --025 12.53 
oT Ba Tin zes | 2970 1.89 12.18 
9,1028 ,..-545 | omB@r rolle | 2910 11.83 
— O2 | VE ne a ne 13.54 
— 280210282, 6.192 | = 1.39 | 2.167 070.19 9.49 
OMA 1.98 0.75 2460 0.72 8.50 

0.10 1207 1.08 0.76 1.33 5.01 


4) dafs sie im westlichen Europa (Westphalen, Rhein, 
Belgien) später eintritt als im östlichen, dafs hingegen 
Süddeutschland sich an Osteuropa anschliefst. Das 
Fortrücken der Kälte erfolgt also von NO nach SW. 


Auch in den absoluten Extremen spricht sich, natürlich mit 
Berücksichtigung der geographischen Breite, das aus, was aus den 
Abweichungen hervorgeht. Die folgende Tafel enthält die mir bis 
jetzt zugegangenen gröfsten Kältegrade (R), welche mit Ausnahme 
von Spanien, Südfrankreich und Italien, wo sie Ende Januar ein- 
tritt, auf den Februar fällt. 


218 Nachtrag. 


Elverum in Norwegen —31.2. 

Haparanda — 29.4. 

Hochwald in Mähren —28.2, Czernowitz — 28.0, Dobrzechow 
in Galizien —28.0. 

Teschen — 27.9. 

Claussen bei Lyck — 26.8. 

Hermanstadt in Siebenbürgen —25.1, Moscau —25.0, Helsing- 
fors — 25.0. 

Lemberg — 24.4, Poronin —24.4, Landeck in Schlesien —24.0, 
Conitz — 24.0, Petersburg —24.0. 

Ratibor — 23.7, Königsberg —23.2, Krakau — 23.2. 

Eichberg bei Hirschberg —22.9, Riga —22.3, Tilsit —22.2, 
Tröpolach in Kärnthen — 22.0. 

Bromberg — 21.6, Klagenfurt —21.4, Upsala —21.2, Memel 
— 21.0. | 

Breslau —20.7, Altenfurt —20.5, Lauenburg in Pommern —20.5, 
Seeshaupt am Starenberger See — 20.0. 

Bunzlau —19.8, Vinkovee —19.7, Zechen bei Bojanowo —19, 
Posen 19.4, Obir —19.0. 

Cöslin —18.8, Mägdesprung —18.8, Dovre in Norwegen —18.8, 
Görlitz —18.5, Grube Meiseberg —18.2, Harzigerode 
—18.0. 

Regenwalde — 17.6, Ischl —17.6, Debreezin —17.4, Christiania 
— 17.4, Stettin —17.4, Promenhof in Böhmen —17.3, 
Kirche Wang —17.0. 

Hinrichshagen in Mecklenburg —16.9, Frankfurt a. O. —16.8, 
Grofsbreitenbach —16.6, Rohrbrunn im Spessart — 16.6, 
Duschberg im bayerischen Wald —16.5, München —16.2, 

. Wien —16.0, Wustrow —16.0, Hela — 16.0, Sandösund 
— 16.0. 

Berlin —15.8, Erfurt —15.6, Szegedin —15.2, Schopfloch —15.2, 
Ebrach im Steigerwald —15.0, Torgau — 15.0, Biberach 
— 15.0. 

Putbus —14.8, Halle —14.8, Clausthal — 14.8, Heiligenstadt 
— 14.6, Sonderhausen — 14.6, Mühlhausen — 14.6, Heiden- 
heim —14.5, Marnitz —14.5, Rostock — 14.0. 

Agram —13.7, Bludenz —13.6, Johanniskreuz in Pfälzerwald 
—— 13.6, Tromsö — 13.6, Schwerin — 13.5, Neumünster 13.9, 
Hannover —13.4, Fulda —13.4, Vardö —13.3, Caleves 


Nachtrag. 219 


—13.2, le Puy —13.2, Altona —13.1, Marburg —13.0, 
Olsberg —13.0, Lüneburg — 13.0, Lübeck — 13.0. 
Löningen —12.7, Göttingen —12.7, Benoile Veaux —12.6, 
Lingen —12.5, Emden —12.5, Ulm —12.5, Cassel —12.4, 
Oldesloe —12.3, Gram —12.3, Arnsberg —12.2, Schön- 
berg in Mecklenburg —12.2, Birkenfeld —12.1, Altmor- 
chen —12.0, Oldenburg —12.0, Aschaffenburg —12.0, 
Frankfurt a. M. —12.0, Hohenzollern —12.0, Segeberg 
— 12.0, Neustadt a. d. Ostsee —12.0, Husum — 12.0. 

Hamburg —11.9, Issny —11.7, Hechingen —11.6, Abtei Laach 
—11.6, Mergentheim —11.5, Hanau —11.5, Mandal in 
Norwegen —11.5, Wilhelmshafen —11.3, Cleve —11.2, 
Otterndorf —11.2, Darmstadt —11.2, Foix —11.2, Mün- 
ster —11.0, Heilbronn —11.0, Copenhagen —11.0, Brönö 
—11.0. | 

Freudenstadt — 10.8, Canstadt —10.7, Jever — 10.7, Bodö —10.6, 
Leirdal —10.6, Hearth Content in Neufundland —10.6, 
Bourg —10.6, Meldorf —10.5, Tondern —10.5, Brüssel 
— 10.5, Lille —10.4, Crefeld —10.4, Calw — 10.3, Güters- 
loh —10.2, Metz —10.2, Trier 10.0, Stuttgard —10.0, 
Friedrichshafeu — 10.0, Verdun —10.0, Weser-Leuchtthurm 
—10.0, Appenrade —10.0, Hadersleben —10.0. 

Wiesbaden —9.8, Cappeln —9.8, Woltersmühle —9.7, Hohen- 
heim —9.6, Ichtrazheim —9.6, Chatillon —9.6, Flensburg 
— 9,9, Boppard —9.4, Cöln —9.4, Paris —9.0, Rodez 
— 9.0. 

Kreuznach —8.9, Versailles —8.8, Soissons —8.8, Aubervilliers 
—8.8, Ronen —8.7, Corne —8.6, Poitiers —8.3, Vendome 
— 8.2, Montargis —8.1, St. Maur —8.1, Blois —8.0, 
Aosta —8.0. 

Cap Grinez —7.7, Bergen —7.6, Nantes — 7.2, Tours —7.0. 

Skudesnes —6.7, Christiansund —6.6, Subiaco —6.6, Montpel- 
lier —6.5, Isle d’Aix —6.2, Mailand —6.0, Florenz —6.0. 

Lesina —5.9, Bozen —5.9, Constantinopel —5.9, Ferrara —5.9, 
Fecamp —5.8, Lavallade —5.6, Madrid —5.4, Smeaton 
—9.4, Bezieres —5.2, Lorient —5.0, Aalesund —5.0, 
Florö —5.0. 

Pola —4.8, Eallabus —4.7, Stonyhurst —4.2, Beyrie —4.0, 

Rom —3.8, Tivoli —3.8, Biariz —3.6, St. Matthieu —3.5. 


220 Nachtrag. 


Durazzo —2.9, Marseille — 2.7, Civitavecchia —2.6, Murcia 
— 2,6, Larressore —2.0. 

Santiago —1.9, Cannes —1.6, Ancona —1.0, Sieie 0.8. Bag- 
dad O0. 

le Grognon 0, Perpignan 0.2, Athen 0.9. 

Neapel 1.6, Palermo 1.6, Lissabon 1.4. 

Ponta Delgada (Azoren) 6.0. 


Zur Vervollständigung des Bildes fehlen noch die Beobach- 
tungen der Systeme von Niederland, England, Schottland, Schwe- 
den, Rufsland, Österreich, Schweiz, Italien, Spanien und Nordame- 
rika, deren ausnahmsweise frühe Veröffentlichung äufserst wün- 
schenswerth wäre, ehe das Interesse für das eben Erlebte sich ver- 
wischt. 

Die nach West hin stets abnehmende Abkühlung deutet schon 
darauf hin, wo wir den compensirenden warmen Strom zu suchen 
haben, dies ist in Amerika. „Juni im Januar“ ist die Überschrift 
eines am‘ 927. Januar: in. der New York Evening Post erschienenen 
Artikels. „Heute“, heifst es in demselben, „ist ein Maitag, oder 
richtiger zu sagen ein J unitag. Die Witterung ist die auffallend- 
ste seit vielen Jahren erlebte. Südliche Winde haben in einer in 
dieser Jahreszeit unerhörten Weise geherrscht. Wenn es stürmt, 
haben wir Regen statt Schnee, jeder Sturm schlols mit Wärme, 
der Boden ist frei von Frost wie sonst im Mai. Auf Lond Island 
stehen Blumen in voller Blüthe, die Knospen der Bäume sind fast 
im Aufbrechen. Bleibt das Wetter so, so wird man Erbsen auf 
den Markt bringen zu der Zeit, wo man sie sonst säet.“ 

Der Januar von New York war 3019 zu warm, die 'Tempe- 
ratur des Februar durch den im letzten Drittel des Monats eintre- 
tenden Polarstrom erniedrigt nahe normal, die Abweichung nämlich 
__0993. Die westliche Grenze des Äquatorialstroms, welcher den 
innern und atlantischen Staaten von Nordamerika diese warme und 
feuchte Witterung brachte, schreibt mir Dr. Blake aus San Fran- 
cisco, fiel in das Thal des Missisippi, denn in Californien herrschte 
vom Oktober bis zum Februar ein Polarstrom, der nach Westen 
hin wiederum von einem Äquaterialstrom begrenzt war, denn alle 
nach San Francisco kommende Schiffscapitäne berichteten, dafs sie 
besonders im December unfern der Küste auf dem stillen Ozean 
mit schwerem Wetter bei starkem SWwinden zu kämpfen gehabt 


Nachtrag. 221 


hätten. Erst am 7. Februar (zu derselben Zeit also, wo im öst- 
lichen Deutschland die Kälte ihre gröfste Intensität und das Baro- 
meter eine enorme Höhe erreichte), kündigte sich der Äquatorial- 
strom an, der am 9ten die Grundfläche der Atmosphäre berührte, 
nachdem er schon etwas früher in der 8000 Fufs hohen Virginia 
City sich gezeigt hatte. Am 21ten Februar traf die Ostseite des 
von den Küsten Californiens verdrängten Polarstromes die ameri- 
kanischen Küsten des atlantischen Ozeans, (an demselben Tage 
also, an welchem Europa von dem Äquatorialstrom überfluthet 
wurde, der am 21ten das Barometer zu einem erheblichen Minimum 
erniedrigend, schliefslich am 28. die Temperatur auf unsern ganzen Be- 
obachtungsgebiete so erhöhte, dafs, freilich vorübergehend, überall 
Frühlingswärme an die Stelle der eisigen Winterkälte trat.) Ich 
glaube wohl hier die Bemerkung hinzufügen zu dürfen, dafs die in 
dem Abschnitt „Stürme durch seitliche Einwirkung entgegengesetz- 
ter Ströme auf einander“ (Gesetz der Stürme 3. Aufl. p. 222—312) 
. geltend gemachten Ansichten in diesem Beispiel eine Bestätigung 
finden, wie sie entscheidender nicht verlangt werden kann. 

Ich habe in frühern Abhandlungen durch Berechnung der ther- 
mischen Abweichungen (Abh. der Berl. Akad. 1858 p. 423) nach- 
gewiesen, dafs ein am nördlichen Ural beginnender Polarstrom, 
durch die Drehung der Erde bei seinem Fortschreiten eine nord- 
östliche Richtung annehmend, in sein Abkühlungsgebiet auch die 
Südspitzen Europas aufnimmt und dies in dem 1864 erschienenen 
‘ Atlas der Monats- und Jahresisothermen in der Polarprojection 
durch den Entwurf der Isametralen z. B. für Januar 1850 veran- 
schaulicht. Fällt der Ursprung desselben hingegen an die nörd- 
lichen Ufer der Ostsee, wie z. B. 1814 in die Gegend von Peters- 
burg, so trifft diese Kälte vorzugsweise Frankreich und England, 
während die Linie normaler Temperatur nach Oberitalien fällt, so 
dafs Italien selbst nicht in das Kältegebiet aufgenommen ist. Ver- 
ändert sich nun der Strom in der Weise, dafs der erste Fall in 
den zweiten übergeht, d. h. breitet sich der Polarstrom schon an 
seinem Ursprunge seitlich nach Westen aus, indem dem durch die 
Verdichtung der intensiv kalten Luft gesteigerten Seitendruck die 
durch Wärme aufgelockerte Luft des westlich daneben fliefsenden 
Äquatorialstromes nur einen geringen Widerstand entgegenzustellen 
vermag, so wird die sich über Europa verbreitende Kälte zuerst 
im südöstlichen Europa auftreten, dann im mittleren und endlich 


222 Nachtrag. 


auch in das nordwestliche übergreifen. Dies war nun der Fall in 
dem eben verflossenen Winter. Der erste Einbruch des Polarstro- 
mes rief im Confliet mit südlichen Winden besonders in den öster- 
reichischen Gebirgen ungeheure allen Verkehr hemmende Schnee- 
fälle hervor, welche im December Kärnthen unter eine 3 bis 4 Fufs 
hohe Schneedecke begruben. Durch diesen Schneewall (analog der 
auf den Eisfeldern des Polarmeers von Scoresby beobachteten Er 
scheinung), gegen das Eindringen warmer feuchter Luft geschützt, 
erreichte die nördlich davon gelagerte wenig bewegte Luft einen 
auffallenden Grad der Trockenheit, so dafs bei vollkommen heite- 
rem Himmel die Ausstrahlung erheblich sich steigerte und dadurch 
besonders die Wärme der untern Luftschichten entschieden herab- 
drückte. Da in dieser Zeit über England nach Norwegen hinauf 
der Äquatorialstrom noch herrschte, trat in Ostpreufsen die Kälte 
Mitte Januar mit schwachem SOwinde ein, indem die ohnehin im 
Januar, wie ich gezeigt habe, im Mittel im nördlichen Deutschland 
nicht von Ost nach West, sondern von Nord nach Süd laufenden 
Isothermen aus den angegebenen Gründen Anfang Januar sogar 
nach Ost hin geneigte Scheitel erhielten. Auf diese Weise erklärt 
sich, dafs das barometrische Maximum in Ost- und Westpreulfsen, 
Pommern, Mecklenburg, Dänemark, der Mark, Schlesien, Galizien, 
Österreich, Sachsen bis Kassel hin auf den 6ten Januar, den Tag 
der gröfsten Kälte, fällt, und in Tilsit so bedeutend wird, dafs der 
Druck der Atmosphäre den mittleren um einen ganzen Zoll über- 
trifft, während hingegen in Oberitalien, Südfrankreich, Spanien, 
Schwaben, Hessen, der Rheinpfalz, von Boppard bis zum Boden- 
see der höchste Druck schon am lten eintritt. Die lange Dauer 
der Kälte erklärt sich aber dadurch, dafs im Süden ein Stausturm 
den Abflufs verhindert. Secchi berichtet im Februarheft des Bul- 
letino, dafs in Subiaco am 13ten Februar ein die Wärme der Luft auf 
14°4 erhöhender Südost wüthend einbrach, der mit einem die ganze 
Küste von Ligurien treffenden rothen Staubfall verbunden war, in 
Subiaco und Rom von wenig Regen, in Piemont von starkem 
Schneefall begleitet. Als eine Wirkung des Aufstauens könnte es 
angesehen werden, dafs das barometrische Maximum am Nieder- 
rhein zwischen dem 10ten und 12ten eintritt, in Brüssel am 11ten 
Abends, auch in England und Norwegen auf den löten und l4ten 
fällt. Da aber am Rhein nicht das fünftägige Mittel vom 5-—9Iten 
Februar das niedrigste ist, sondern das vom l0ten zum 14ten. 


Nachtrag. 223 


Da die niedrigste Wärme auch in Belgien und England auf den 
l2ten Februar fällt, so kann das Hervortreten des barometrischen 
Maximums- unmittelbar auf eine thermische Ursache zurückgeführt 
werden. Erst am 21sten Februar gelang es dem Äquatorialstrom 
den Polarstrom überall zu verdrängen. Von Memel bis Palermo, 
Athen und Constantinopel ist dies der Tag des niedrigsten Baro- 
meterstandes, ein Tag, an welchem in Alexandria der Chamsin 
die Schattenwärme über 26° erhob, während im mittleren Europa 
erst der 28te der wärmste Tag ist, an welchem in Ratibor das 
Thermometer 33 Grad höher steht als am 6ten. 

In dem vorliegenden Beispiel finden also, wie es überhaupt 

immer der Fall ist, die Bewegungen des Barometers ihre einfache 
Erläuterung, wenn mit dem Stande desselben die gleichzeitige Ver- 
theilung der Wärme und Feuchtigkeit in Untersuchung gezogen 
wird, aufserdem die Richtung beachtet, in welcher die bewegte 
"Luft fortschreitet. Zusammenstellungen gleichzeitiger Barometer- 
Stände an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche ohne diese Be- 
rücksichtigung, wie sie auch jetzt noch publieirt werden, sind voll- 
kommen ungeeignet, meteorologische Fragen zu erledigen. 

Da seit dem kalten Februar 1865 erst fünf Jahre verflossen 
sind, so ist die Erinnerung an denselben noch nicht verwischt, und 
es wurde daher oft in den Gesprächen über den diesjährigen stren- 
gen Winter an ihn erinnert, während des furchtbaren Nachwinters 
von 1845 nicht mehr gedacht wurde. Dies würde gewils gesche- 
hen sein, wenn Hr. Wolfers seine Vergleichung der Temperaturen 
von Berlin in spätern Jahrgängen mit frühern auf 1870 ausgedehnt 
hätte. Die Übereinstimmung, die ich für Januar und Februar in 
Beziehung auf Abnahme und Zunahme der Temperatur zwischen 
1570 und 1865 fand, veranlafsten mich die der Akademie gemach- 
ten Mittheilungen nicht unmittelbar zu veröffentlichen, da ich zu 
wissen wünschte, ob dieser Parallelismus sich auch auf den März 
ausdehnen würde. Die folgende Tafel zeigt, dafs das wirklich der 
Fall ist, obgleich das Material für diesen Monat noch erheblichere 
Ergänzungen bedarf als das für den Februar bereits vorliegende. 
Im Jahr 1865 fällt im Januar die höchste Wärme etwas später 
als 1870, das wärmste fünftägige Mittel ist nämlich 1865 das vom 
llten bis 15ten, 1870 hingegen vom 6ten bis lOten, die tiefste 
Erniedrigung fällt aber in beiden Jahren übereinstimmend zwischen 
den öten und Iten Februar. Für das nordöstliche Deutschland 

[1870] 16 


294 


fällt die gröfsere Temper 
zwischen dem 12ten und 16ten, 
Ilten, aber dieser Nachw 
ein zweites Kältemaximunı 


Nachtrag. 


aturerniedrigung im März des Jahres 1570 


1865 zwischen dem 17ten und 


auf den Zeitraum vom 97ten bis 3lten März. 


hindureh sich erhaltender Parallelismus des 
tur ist so überraschend, dafs man sich zu der 


fühlt, ob sie noch längere Zeit erhalten wird. 


Zukunft entscheiden. 


| 25 | ist | 1 


dub ud a a nn 


Memel 1.85 
'Filsit 1.72 
Claussen 1.53 
Königsberg 1.60 
Hela —0.16 
Conitz 0.50 
Cöslin 7, 
Regenwalde 1.60 
Stettin 1.44 
Putbus 0.51 
Wustrow 0.48 
Rostock 0.69 
Schwerin 0.89 
Schöneberg 0.95 
Kiel 1.01 
Neumünster 119 
Altona 100) 86) 
Lübeck 1.05 
Eutin 1.48 
Otterndorf 1.41 
Lüneburg 1.59 
Berlin 1.61 
Frankfurt a. d. ©. 1.77 
Posen 2.26 
Bromberg 2.00 
Ratibor 2.30 
Zechen 1.69 
Breslau 2.05 
Landeck 2.35 
Eiehberg. 2.19 


—1.53 
— 3.18 
—3.34 
9,83 
192 
80 
—_ 2,26 
29.38 
leg 
E90 
—1.30 
1.38 
ae! 
1.47 
1.05 
195 
—1,09 
17 
—0.91 
2.0.75 
—0.65 
180 
a) 
1 
220 
Ar 
—3.09 
34 
— 2,84 
— 2.95 


— 1.48 
—3.61 
— 3.54 
—3.97 
—1.35 
— 3.91 
—4.11 
—4.32 
— 3.27 
— 3.09 
— 2.40 
— 2.24 
— 2.03 
— 1.87 
— 2.32 
— 2.86 
—2.30 
— 2.32 
—}.89 
— 1.91 
—2.18 
—2.01 
— 3.11 
—3.08 
—4.57 
— 2.91 
—4.50 
— 3.47 
— 3.93 
—4.,38 


—4.51 
—4.38 
— 5.97 
—4.28 
—1.19 
-—4.2)9 
— 2.62 
— 2.66 
— 2.71 
— 2.21 
—1.25 
—1.95 
—1.51 
—1.10 
—1.38 
—1.50 
— 1.30 
—1.07 
—1.40 
—0.76 
—0.09 
— 1.65 
— 2.33 
— 2.44 
— 3.79 
— 3.99 
— 3.46 
—3.08 
—2.85 
— 1.94 


— 1.02 
—1.13 
—1.81 
—0.62 
— 1.90 
— 1.73 
— 1.40 
—0.90 
— 1.23 
—0.83 
—0.88 
—1.16 
—1.51 
—1.17 
—1.23 


—1.57 


—-2.06 
—1.18 
—1.43 
—0.93 
—0.85 
—1.17 
-——1.59 
—1.07 
—1.61 
—1.50 
—1.67 
—1.81 
— 2.35 
— 2.08 


inter erreicht im westlichen Deutschland 
und dies fällt sowohl 1865 als 1870 
Ein drei Monate 
Ganges der Tempera- 
Frage veranlalst 
Darüber mufs die 
Die Abweichungen im März 1870 sind: 


2—16 | ei | 32—26 | 9-31 


a a 


1.03 

0.57 

0.92 
— 0.22 
— 1.42 
—0.58 
—1.34 
—0.28 
—1.67 
— 1.83 
— 92.06 
— 2.37 
— 2.55 
— 2.29 
—1.91 
— 2.28 
— 3.17 
— 2.57 
— 2.01 
—1.82 
—1.21 
— 1.74 
— 1.82 
—1.01 


0.66 


—1.81 
—1.65 
— 2.08 
— 2.51 
— 2.50 


Nachtrag. 295 


2—6 | 7] | 13—16 | el | 22—26 | 27—31 


Görlitz 22021 23:072| 3.590 92 Hrszp | o1on | 729.76 
Wang 302 oa Bolgal E21.694 | 1.9100. 2.69 
Torgau 3 en ee N RT 
Halle oo os 0.874, 2.05 0958 
Erfurt Ma 9:07. . 247.1. 0.29% | —-2.50 | 23:00 
Mühlhausen 1731-036 | 2.07 0.49: ı — 1.72 | 2.40 
Heiligenstadt 2.251 —1.06 | —2.28 | —0.10 | —2.31 — 3.04 
“Clausthal Da or, oa 005 DAS 3097 
Hannover 731, 081), 150 osE als 2008 
Oldenburg 2.39 | —0.92 | —1.17 | —0.03 | —1.84 —2.81 
Jever ah DET 0:60 10,29. 133 1 909 
Emden 27311090. 01.04 DB elle 22008 
Lingen 1.80, 105°. 149 0385. -1.95 |. 3.02 
Löningen 1.89 | —0.79 | —1.26 836 1.80 | os 
Münster 2260, 0As 1098 1031 | 2.15 [72099 
Gütersloh 2.251 —0.83 | —1.75 0.62 | —2.44 —3.09 
Olsberg 2608 1.00 1.1.78 1.024 988. 0339 
Cleve 2.36 .—0.63 | — 2.13 AD 2.29 |, 23.07 
Crefeld DU 0:6 1 1.710 2.090 9.098 998 
Cöln 2.68 | —0.62 | — 2.82 0601 | 204 0,8 
Boppard ae re 05%: 21.99. 2950 
Trier 2.81 0.78 | 2.45 3 Bo bi, De EL 6 a 2 
Frankfurt a. M. 0.61 | —2.59 | —3.21 | —3:04 | —2.48 | —2.08 
Darmstadt 1.33 —1.72 | —2.54 0:09, | —3.08- | 3.23 
Hechingen 2.711 —0.88 | —2.98 | —0.04 | —3.15 | —2.40 
Hohenzollern 2.45 | —2.22 | —3.44 | —0.73 | —3.83 36 
Stuttgart 156 oT Do 0.086 | > 3.10. 20280 
Heilbronn 0.00 | —1.56 | — 3.25 —0.62 —3.36 —.2.98 
Freudenstadt 250) 1.1920 3:30 o.ls) | 3a 9 
Calw 0:90, —- 0.09 1. 9:94 a een 
. Ulm 0.09 | —1.33 | —3.17 | —0.79 | —3.93 | —-3.79 
Schopfloch 2.30 | —-1.55 | —3.48 | —0.50 | —4.39. | 3.57 
Heidenheim —0.14 | —0.89 | —4.56 | —0.37 | —3.88 | —3.10 
Issny 2,50, 20.97.2 3.42 17 0.46) | 3.75 | 000 
Friedrichshafen os 1.752 354 || 0.95: | —A.1Z | 4,60 


Die Vergleichung der extremen Abweichungen in 1870 und 
1865 enthält die folgende Tafel: 


16* 


226 


Nachtrag. 


Memel 
Tilsit 
Claussen 
Königsberg 
Hela 
Conitz 
Bromberg 
Posen 
Zechen 
Breslau 
Ratibor 
Landeck 
Eichberg 
Wang 
Görlitz 
Zittau 


Hinterhermsdorf 


Bautzen 
Dresden 
Grüllenburg 
Freiberg 
Rehefeld 
Reizenhain 
Annaberg 
Oberwiesenthal 
Elster 
Zwickau 
Chemnitz 
Wermsdorf 
Riesa 

Torgau 
Leipzig 
Zwenkau 
Halle 

Erfurt 
Sondershausen 
Mühlhausen 
Heiligenstadt 


Januar 


6—10 


5.16 
5.54 
5.79 
5.37 
3.25 
5.09 
5.43 
5.60 
5.29 
5.89 
5.47 
5.67 
7.35 
5.89 
5.26 
4.68 
4.53 
5.00 
4.86 
5.48 
4.39 
5.17 
5.48 
4.79 
5.21 
4.95 
6.06 
7.13 
5.06 


ee 


5.92 
5.09 
5.68 
5.88 
6.45 
6.17 
6.61 
5.81 


| 


1370 


Februar 


5—)9 


— 12.53 


— 14.37 | 


— 15.39 
—-14.37 
— 10.06 
— 14.58 
— 15.42 
— 14.98 
— 15.52 
— 16.04 
— 17.36 
— 17.15 
— 12.66 
— 6.92 
—13.65 
— 12.78 
— 9.25 
— 9.71 
— 10.32 
— 10.24 
— 9.16 
— 9.44 
— 10.51 
— 8.49 
— 9.59 
— 9.92 
— 8.90 
— 2.90 
— 11.36 
— 11.64 
— 11.42 
— 11.49 
— 9.56 
— 10.61 
— 10.26 
— 9.88 
— 9.20 
— 9.20 


März 


Januar 


1865 
Februar 


9—)9 


— 8.69 
ı — 9.90 
— 9.68 
— 9.33 
— 7.19 
— 9.07 
— 8.99 
— 8.27 
— 7.81 
— 9.46 
— 10.19 
— 8.56 
— 7.86 
— 6.29 
— 8.47 
— 9.19 
— 7.71 
— 9.07 
— 8.93 
— 9.69 
— 8.95 
— 8.40 
— 8.79 
— 8.24 
— 7.07 
— 9.02 
— 10.08 
— 9.13 
— 8.44 
— 9.46 
— 8.49 
— 9.87 
— 9.78 
— 9.62 


— 10.20 
—10.33 
— 10.85 
— 10.16 


März 
17-26 
Dar ol 


—o 


— 9.80 
—6.99 
— 6.94 
—6.47 
—4.20 
—6.18 
—9.61 
— 4.80 
—4.67 
—).92 
—6.29 
—6.85 
—6.41 
-—6.82 
—9.71 
—6.79 
— 7.61 
--9.69 
—-5.68 
—6.61 
—6.12 
— 17.48 
— 7.08 
—6.67 
—6.94 
—1.39 
— 1.36 


— IE 


—9.66 
—5.26 
—4.87 
— 09 
—9.91 
el 
0 
—6.69 
— 7.45 
—6.49 


Nachtrag. 927 


1870 1865 

Januar | Februar | März Januar | Februar | März 

610 | 59 a 1-15 So 
Wernigerode 4.92 4.54 | —9.71 | —6.58 
Clausthal a a) 3.30. | 8.11 Re 657 
Göttingen 5.70) | 8.20 4.09 | —9.68 | —6.08 
Cöslin Je eoan tr 5.15: 9.070 ss 
Regenwalde 5.11 | 12.94  —4.32 4.56 —8.51 —5.28 
Stettin 435 area 77 4.46) | —8.06:| 4496 
Putbus 4311 | 10.39,083.09 3.52 | 5.972 0200058 
Wustrow 299) 9917 240 3.84.| 6.08 | 4096 
Rostock 2891 103100937 4931 6.07, 2979 
Schwerin 5.53 | -10.26| — 2.55 427 |. —8.15 | 4.68 
Hinrichshagen 5.48 |—12.04| —3.25 4.79 | —8.27 | —4.77 
Berlin Be 12350901 463 | - 799, es 
Frankfurt a. d. O. ar een 4.93 | —8.26 | —4.90 
Schönberg oz Sa 2209 A ars 
Lübeck A | 20a Ta rn 
Eutin Baal 8.45. 2.01 4.18, 1:06.98, 1702 103 
Kiel 5200. ,7.80, 939 og Form Te 
Neumünster >31 | DNA — 2.86 a == Sn 
Altona 5.92 |— 9.95 | —3.17 a EEE 
Ötterndorf 5.47 | — 8.93| —1.82 2 ae ee 
Lüneburg 5.60 | — 9.47| —1.21 ha ee 
Hannover 5.58. | — 10.10 | — 2.62 2.52 EI.46 —6.04 
Oldenburg 5.14 | — 8.54 | —2.81 4.27 | —8.42 | —4.47 
Jever 4.49 | — 7.90 | —2.29 3.90 —7.09 —4.05 
Emden 4.94 | —.7.69| — 2,68 3.65 | —6.81 | —4.32 
Lingen 4.83 | — 7.03 | —3.02 A142 | 3.33.10 05200 
Löningen ie I ee) 38.96 | —8.46 | —5.04 
Münster 5.06 |— 6.50 | —2.40 4.05.0820. 549 
Gütersloh 4.86 | — 7.24| —3,09 DS re 
Olsberg 5.92 |— 7.16 | — 3.32 3.49, We lo 
Cleve 4.40 | — 6.89 | —3.07 | 
Crefeld 4.93 | — 6.68 | —2.94 Sa Nee 
Cöln 4.98 | — 6.23 | — 2.58 3.73, 0226.74, 5.98 
Boppard 5.49 | — 7.05 | —2.50 352, GA 535 
Trier Da eo oo oa 
Birkenfeld erlen 340° 711 509 


Kreuznach 5.60 | — 7.05 2,99 | —6.90 | —5.33 


228 Nachtrag. 


ar 


1870 1865 

Januar | Februar | März Januar | Februar | März 

e-ı0| 5-9 |, | nı-ı5| 5-9  , 
Frankfurt a. M. 5.06 | — 7.38 | —3.21 2.85 | —7.93 | —5.70 
Darmstadt 4.63 |— 7.84 | —3.23 2.70 | —8.21 | —6.31 
Heilbronn 4.36 | — 8.47 | —3.36 215 | —7.96 | —6.43 
Stuttgard 5.32 | — 6.96| —3.12 2.58 | —743 | —6.27 
Hechingen 5.87 | — 7.70) —3.15 3.46 | —8.29 | —6.18 
Hohenzollern 5.04 | — 6.81| —3.83 3.80 | —8.76 | —6.95 
Calw 4.24. |— 6.15 | —3.50 2.15 | —6.91 | —5.32 
Freudenstadt 5.04 |— 6.58 | —3.30 3.65 | —6.83 | —5.82 
Ulm 3.80 |— 9.58| —3.93 2.01 | —7.36 | —6.37 
Heidenheim 3.93 |— 83.60 | —5.00 3.17 | —6.21 | —5.82 
Schopfloeh 4,30 | — 7.88 | —4.39 3.80 | —8.48 | —6.89 
Issny 4.95 |— 6.88 | —4.42 3.27 | —8.53 | —95.55 
Wien 3.08 | —-10.76 | —0.85 4,59 | —7.84 | —5.62 
Friedrichshafen 2.67 |— 6.82 | —4.54 3.53 | —-723 | —6.37. 


Die mitgetheilten Zahlen zeigen, dafs die Kälte im Februar 
zwar im südlichen und westlichen Deutschland 1865 und 1870 
nahe gleich war, dafs die Intensität derselben aber im östlichen 
im Jahr 1870 eine viel bedeutende war als 1865. Umgekehrt war 
die Abkühlung Ende März 1865 viel erheblicher als 1870. Der 
Mai 1865 war ungewöhnlich warm mit‘ starkem Rückschlag im | 
Juni. Wird 1870 dem entsprechen? Das wenigstens zeigt sich, 
dafs nach den Stürmen der letzten Jahre die Atmosphäre zu frü- 
heren Zuständen zurückzukehren vermochte. 

Durch fünftägige Mittel können die gleichzeitigen Wärme- 
erscheinungeu in Amerika für 1865 nicht dargestellt werden. Ich 
füge daher in der folgenden Tafel nur die Abweichungen der mo- 
natlichen hinzu. Die neben den Namen stehende Zahl bezeich- 
net, aus wie viel Stationen der einzelnen Staaten die Werthe er- 
halten wurden. Der vollständige Gegensatz dieser Abweichungen 
zu dem der 200 europäischen Stationen, deren Abweichungen ich 
(Klimatologische Beiträge p. 194—200) mitgetheilt habe, bestätigt 
von Neuem die übereinstimmenden Erscheinungen der Jahre 1865 
und 1870. 


Nachtrag. 229 


Januar Februar März 
Maine 5 —0.90 0.67 | 2.04 
New Hampshire 4 —0.90 0.58 2.53 
Vermont 4 —0.76 —0.58 4.46 
Massachusets 12 —0.45 0.71 2.93 
Connecticut 4 —1.73 0.80 2.31 
New York 18 —0.84 0.18 2.84 
New Jersey 4 —0.27 0.09 2.98 
-Pennsylvanien 19 —0.09 —0.71 2.76 
Marylaud 5 —0.27 —0.04 2.76 
Ohio 19 —1.96 0.18 2.58 
Michigan 7 0.0 1.91 2.76 
Indiana 4 —1.29 1.47 2.62 
Illinois 13 —0.36 2.18 0.40 
Wisconsin 13 —2.80 3.07 0.58 
Jowa 8 0.04 2.40 —0.80 


Im Februar treten bereits in den innern Staaten hohe positive 
Differenzen hervor, wo in den atlantischen Staaten die Temperatur 
noch fast normal ist. So wie im März die Abweichungen in die- 
sen bedeutend werden, sind sie unbedeutend in den innern. Ganz 
dasselbe zeigte sich im Jahr 1845. Wir glauben daher den Satz 
aussprechen zu dürfen: 


Anomale in Europa hervortretende Kälte be- 
wegt sich im Allgemeinen von Ost nach West 
also von Europa nach Amerika hinüber, wäh- 
rend die darauf folgende anomale Wärme in 
‚entgegengesetzter Richtung dann sich von 
West nach Ost fortpflanzt. 

Für 1845 mögen folgende Bemerkungen genügen, da die Ab- 
weichungen der Monatsmittel Februar und März (Klimatologische 
Beiträge Il. p. 255—255) gegeben sind. 

Das Jahr 1845 ist eins der ausgezeichnetsten durch die bis 


in das Spätfrühjahr andauernde Kälte. Am 1. März waren in 
Nord-Deutschland alle Eisenbahnen in Schnee vergraben, so dafs 


230 | Nachtrag. 


überall Militär aufgeboten wurde, um sie frei zu machen. In der 
zweiten Hälfte des Februar waren in Bessarabien, Volhynien und 
Podolien grofse Schneestürme, ebenso in Ungarn und Siebenbürgen 
ungeheure Massen Schnee gefallen. Auf dem St. Gotthard soll 
der Schnee im März 30 Fuls tief gewesen sein. In Augsburg fro- 
ren am 10. Februar die Wasserwerke bei —22° R. ein;' am 14. 
war der Rhein bei Mannheim völlig zugefroren, in gleicher Weise 
der Untersee des Bodensee. Diese Kälte verbreitete sich dann 
auch nach Scandinavien, wo ‘vorher milde Witterung geherrscht 
hatte. Der Sund war seit dem 23. Februar zugefroren, ebenso der 
grofse Belt. In Christiania stand am 20. Februar das Thermo- 
" meter —94° B., in Metz — 15.0, in! Lyon 14.4, m Paris —9.4, 
am 10Oten —12° in Brüssel. Um diese Zeit war strenger Winter 
in Algerien, es fielen dort grofse Schneemassen; ebenso in Marocco, 
so dafs die dortige Küste und die gegenüberliegende spanische mit 
Schnee bedeckt waren. Am 8. März stellte sich das Eis des Rhei- 
nes von Neuem, ja am 12. März schneite es bei Montpellier und 
noch Mitte Mai in den Vogesen und dem Schwarzwald. Bei Frag 
war die Moldau 114 Tage mit Eis bedeckt, am längsten seitdem 
man Beobachtungen besitzt, da die mittlere Dauer nur 66.4 Tage 
beträgt. Die mittlere Dicke des Eises betrug an der Prager Brücke 
19.8 Zoll, an den Pfeilern 21.9. Bei so lang anhaltender Kälte 
verspätete sich daher die Vegetation auffallend. Das Schneeglöck- 
chen blühte am Spirdingsee in Ost-Preufsen, 30 Tage später als 
gewöhnlich, in Brüssel 31 Tage, die Verspätung war also gleich 
an so entfernten Orten, obgleich dort die Blüthe auf den 14. April 
fiel, hier auf den 25. März. 

Auf der 15. Tafel des Atlas habe ich für den Februar und 
für den März die Isametralen entworfen. Im Februar fällt die 
kälteste Stelle in die Gegend von Wilna. Die nördliche Grenze 
des kalten Stromes läfst sich nur erreichen, wo er, bisher ganz 
Europa umfassend, sich auf dem Meere nach Süden herabsenkt 
und durch den nördlichsten Küstensaum von Schottland geht. Im 
März ist die kälteste Stelle mehr nach Westen gerückt. Sie bildet 
eine Berlin mit Warschau verbindende Linie. Der Strom ist aber 
zugleich schmaler geworden. Seine Nordgrenze ist bis in die Mitte 
von Lappland herabgekommen, während die südliche Grenze von 
der Mitte Spaniens durch die von Sardinien hindurchgeht und 


Nachtrag. 231 


| Griechenland unter sich läfst, endlich von der Krimm aus schnell 
| in der Richtung von SW nach NO hinaufläuft. 

* Die Karten deuten, da sie nur Europa umfassen, den daneben 
fliefsenden warmen Strom nur an, der in Amerika zur vollen Herr- 
schaft gelangt. 

Die grölste Abkühlung im Februar 1845 ist das fünftägige Mittel 
vom 10ten bis l4ten. Sie war in Archangel —9.74, Petersburg 
—8.50, Mitau —9.84, Arys —9.98, Breslau —9.09, Stettin —7.38, 
Berlin — 8.31, Leipzig —7.öl, Jena —8.50, Arnstadt —-10.27, 
Aschersleben —7.14, Brocken —7.10, Braunschweig &.8,87, Gü- 
tersloh — 8.20, Peissenberg —9.50, Genf —6.38, Moscau —5.60, 
Brüssel — 7.91, Paris —6.79, London —4.41, Dublin —2.18, die 
im März das Mittel vom 12. bis 16. Sie warin Archangel — 10.11, 
Petershurg —10.39, Mitau —10.62, Arys —12.92, Breslau —9.49, 
Stettin —10.34, Sülz —12.09, Berlin —11.20, Leipzig —10.33, 
Jena —9.75, Aschersleben —10.20, Arnstadt —9.85, Brocken 
— 8.27, Braunschweig —9.91, Gütersloh —10.97, Moscau —6.68, 
Brüssel — 8.79, Paris —7.47, London — 7.19, Dublin —5.59, wo- 
gegen 1865 und 1870 erheblich zurücktreten, obgleich die Zeit des 
Eintritts dieselbe, da der Überschufs der Wärme im Januar im 
westlichen Europa auch auf denselben Zeitraum 6.—10. Jan. fällt. 
Er ist in Petersburg 7.33, Archangel 7.34 (vom 11.—15), Mitau 
4.97, Arys 5.39, Stettin 4.14, Berlin 4.70, Breslau 4.61, Leipzig 
9.97, Jena 4.10, Breslau 4.61, Aschersleben 5.10, Brocken 7.46, 
Braunschweig 4.03, Gütersloh 3.16, Brüssel 3.03, Paris 1.65, Lon- 
don 3.04, (beide 11—15,) Dublin 2.71. 

Die hier mitgetheilten Ergebnisse zeigen, dafs wir dem Ver- 
ständnifs der nicht-periodischen Veränderungen einen Schritt näher 
getreten sind. 


Die Übereinstimmung, welche wir in den Temperatureurven 
des Januar und Februar des Jahres 1865 und 1870 fanden, führt 
natürlich schliefslich zu der Frage, wie sie sich vorbereitet, oder 
mit andern Worten, wo wir annehmen dürfen, dafs sie beginnt. 
Es ist oben schon angedeutet worden, dafs der ungewöhnlichen 
| Milde der ersten Hälfte des Januar eine zeitweise das südliche 
| Deutschland vorzugsweise umfassende Kälte, welche zu enormen 


232 Nachtrag. 


Schneefällen Veranlassung gab, vorherging. Die Abweichung des 
fünftägigen Mittels vom 27. bis 31. Decenber ist nämlich, wenn 
wir von Ostpreufsen nach dem Bodensee gehen, folgende: 


Memel —0.66, Tilsit —4.02, Claussen —3.70, Königs- 
berg —3.46, Hela —3.15, Cöslin —2.92, Regenwalde 
— 2.86, Stettin — 3.04, Conitz —2.98, Bromberg —3.91, 
Posen —1.99, Zechen —2.16, Breslau —0.98, Ratibor 
— 1.04, Landeck —0.08, Eichberg —1.56, Wang —0.92, 
Görlitz —1.04, Frankfurt —3.71, Berlin —3.42, Torgau 
— 2.67, Halle —3.55, Langensalza —4.18,' Erfurt —3.85, 
Gotha — 3.24, Mühlhausen —4.31, Sondershausen —4.41, 
Heiligenstadt —2.86, Wernigerode —3.25, Clausthal — 3.24, 
Göttingen —3.31. 

Hinrichshagen —3.13, Putbus — 2.13, Wustrow —2.28, 
Rostock —3.15, Schwerin —3.12, Schönberg — 2.76, Lü- 
beck — 2.41, Eutin —2.26, Kiel —2.37, Neumünster —2.75, 
Altona — 2.60, Otterndorf —2.79, Lüneburg —3.38, Han- 
nover —2.92, Oldenburg —2.45, Jever —1.93, Emden 
—2.51, Lingen —2.50, Löningen —2.46, Münster — 2.15, 
Gütersloh —3.09, Olsberg —2.43, Cleve —2.95, Crefeld 
3.73, Cöln —3.16, Boppard —3.66, Trier —3.98, Bir- 
kenfeld —5.51, Kreuznach —5.53, Frankfurt —4.52, Darm- 
stadt —5.19, Calw —8.05, Heilbronn — 9.35, Stuttgard 
—6.07, Freudenstadt —5.09, Hechingen —6.94, Hohen- 
zollern —6.28, Schopfloch —5.62, Issny —5.12, Frie- 
drichshafen —5.09, Ulm — 7.75, Heidenheim —8.17. 


Die Zunahme der Abkühlung von NO nach SW hin tritt evi- 
dent hervor. Sie erstreckt sich auf das südliche Europa. Da hier 


die normalen mittleren Werthe fehlen, so mögen die absoluten Ex- 

treme die Stelle der Abweichung vertreten. Die früher mitgetheil- 

ten bezogen sich auf Januar und Februar 1870. Die des Decem- 

bers 1869 sind, wie aus der Vergleichung mit jenen hervorgeht, 

an vielen südlichen Stationen die bedeutendsten des ganzen Win- 
ters. Diese Extreme sind (R.): 

le Puy —15.0, Aosta —11.2, Caleves — 10.8, Foix 

—-9.9, Ichtratzheim —9.4, Doulevant —).5, Auxerre —9.2, 

Rodez —8.8, Metz —8.3, Beauficel —8.2, Soissons —8.0, 

Pavia —8.0, Fecamp — 7.9, Montargis — 7.6, Turin —1.3, 


Nachtrag. 233 


Chatillon —7.2, Poitiers —7.2, Verdun —7.1, Lugano 
— 7.0, Ferrara —7.0, Mantua —7.0, Padua — 7.0, Mon- 
culieri —6.4, Reggio (Emilia) —6.8, Biella —6.7, Mont- 
pellier —6.6, Sacra di S. Michele —6.5, Guastalla —6.4. 
Beyrie —6.2, Cremona —6.2, Mondovi —6.0, Rouen 
—6.0, Cosne —5.9, Modena —5.9, Marseille —5.8, Mai- 
land —5.8, la Charite —5.8, Lavallade —5.6, Casale 
 —5.6, Monferato —5.6, St. Matthieu —5.4, Blois —5.4, 
Alessandria —5.4, Pinerolo —5.3, Aquila —5.3, Brescia 
—5.2, Nantes —5.2, Tours —5.0, Tarbes —4.8, Cannes 
—4.8, Lorient — 4.5, Bezieres —4.4, Perpignan —4.0, 
Biariz —3.6, Siena —3.4, Isle d’Aix —3.3, Bologna —3.1, 
Murcia —3.0, Camerino —3.0, Perugia —2.9, Ferrara 
— 2.8, Santiago — 2.8, Forli —2.3, Urbino —2.2, Chiog- 
gia —2.2, Florenz —1.6, Livorno —1.5, Venedig —1.2, 
Genua —0.4, Rom —0.2, Chieti 0.2, Jesi 0.2, Velletri 0.8, 
Neapel 1.4, Catanzaro 3.4, Catania 4.2, Palermo 4.7. 


Im südlichen Deutschland war dieser starken Abkühlung eine 
sehr hohe Temperatur vorhergegangen, so dafs das Mittel vom 
17ten bis 2l1ten December an manchen Orten 11 bis 13 Grade 
höher ist als das vom 27ten bis 3lten. Es ist nun interreesant, 
dafs im December 1864 ebenfalls der Wärme zu Anfang des Ja- 
nuar eine auf das letzte Drittheil des Decembers fallende starke 
Kälte vorhergeht, aber das Maximum derselben fällt auf den 22ten 
bis 26ten und ist sehr intensiv in Schlesien. Hier verliert sich 
also der Parallelismus beider Jahre, denn in Süddeutschland fehlt 
auch die auf den 17ten bis 2l1ten December hervortretende hohe 
Temperatur. 

Den entschiedensten Gegensatz zu Europa bildet auch im De- 
cember 1869 Amerika. In South Trenton in New York wird die 
Luft zu Weihnachten balsamisch mild genannt, in Zuny Station in 
Virginien pflückte man am Neujahrstage blühende Rosen im Freieu. 
Diese nach früherer Kälte eingetretene Milde umfalste die nörd- 
lichen Staaten, denn in Steuben, Lisbon, Norway in Maine ver- 
schwand der Schnee am 3lsten. Von Buffalo schrieb man, die 
Luft sei frühlingsmäfsig. In den innern Staaten trat diese Wärme 
so plötzlich ein, dafs in West Bend in Jowa das auf —20.9 her- 
abgesunkene Thermometer sich 3°6 über den Frostpunkt erhob, 


234 Nachtrag. 


während man in Monroe City die letzten Tage des December als 
verspäteten Indianersommer bezeichnete. 

Am 2ten und dten Januar strich hingegen ein äulserst hefti- 
ger Schneesturm über Neu-England, über die innern Staaten, die 
südlichen diesseits des Alleghanies, und westlich über die Seeen 
nach Michigan hin. In Lunenburg in Massachusets war er zuerst 
NW, dann SO, zuletzt SW, in Newark in New Jersey SO. S. 
SW, welches auf eine Cyelon deuten würde, wenn er nicht in Buf- 
falo wüthende SWGale genannt und in Massachusets überall als 
Gale bezeichnet wurde. Dies macht es wahrscheinlich, dafs. es 
ein heftiger aber von dem herrschenden Äquatorialstrom zurückge- 
wiesener Angriff des Polarstromes war. Diefs gilt entschieden von 
dem vom l4ten bis l5ten Januar einbrechenden und am 17ten 
auf grofse Strecken als heftiger Gewittersturm auftretendem Winde. 
Die plötzlich hervortretende enorme Abkühlung von knrzem Be- 
stand ist ein Beleg dafür. Ein Nordwind, heifst es von Leyden 
N. Y., brachte die Wärme auf —20.4, bevor er aber New York 
erreichte, wo die Temperatur —”7.1, warf ihn der Südwind zurück 
und steigerte die Temperatur in 48 Stunden um 24° R. In North 
Hammond N. Y. stieg vom l4ten zum löten die Wärme von 
— 20.4 auf 6.2 in 20 Stunden. Das vorhergehende Fallen war 
ebenso rasch. In Peoria in Illinois fiel am 16ten bei dem Gewit- 
tersturm das Thermometer 20° R. in 10 Stunden, in Wartensburg 
Mo. stand am l5ten Mittags das Thermometer 14°2, Abends 9 Uhr 
— 16.0, also 30° Abkühlung in 9 Stunden, in West Union 2 m 
10 Stunden. In Winnebago in Illinois fiel es in 9 Stunden 1975, 
in Peoria 20° in derselben Zeit, in Guttenberg in Jowa 21.7 in 
81 Stunden, in Leavenworth (Kansas) fiel es am 16ten 23° in 8 Stun- 
den, in Le Roy am 17ten in 10 Stunden von 9.8 auf —10.7, in 
Couneil Grove sank die Temperatur 11° in 3 Minuten, als der 
heftige Südwind in einen Nordwiud sich verwandelte. Aufser die- 
sem kalten Nordsturm wird der Monat überall als „pleasant“ be- 
zeichnet. Einige Beispiele mögen genügen, welche den Gegensatz 
zu dem warmen Anfang des Januars in Europa und der Abkühlung 
in der zweiten Hälfte deutlich hervortreten lassen. Die vor dem 
Namen des Staates stehende Zahl bezeichnet die höchste in dem- 
selben beobachtete Wärme. 


Nachtrag. 235 


10.7 Maine. Houlton: eisig bis zum 2ödsten, Steuben: Schnee ver- 
schwindet am 16ten, Flüsse und Buchten eisfrei am 
ölsten, West Waterville: Monat mild und feucht, 3031 
wärmer als im sechsjährigen Mittel, Gardiner: Monat 
9.05 wärmer als 34j.M., Norway: warm open January, 
Cornishville: 3°89 wärmer als 41j. M. 


10.2 New Hampshire. Gofstown Center: warm und feucht, Frost 
aus dem Boden am 3lsten. 


8.9 Vermont. Graftsbury: warmer Januar, Schnee endet in Re- 
gen, East Bethel: seit vielen Jahren am wärmsten, Mid- 
dlebury: wärmster Januar in 16 Jahren, Panton: Veil- 
chen im Garten am 4ten. 


14.7 Massachusets. Kingston: kein Frost im Boden den ganzen 
Monat, Topsfield: oft wie im April, Georgetown: Crocus 
blühte an sonnigen Stellen, die Bäche offen den ganzen 
Monat, West Newton: Löwenzahn und Stiefmütterchen 
blühen am 27sten, Lunenburg: mildester Januar seit 
1851, Worcester: Weidengebüsch in Blüthe am 28sten. 


11.6 Connecticut. Middletown: Flüsse eisfrei den ganzen Mo- 
nat, Rothkehlchen am 23sten. 


16.0 New York. Palermo: 1863 ausgenommen der wärmste Ja- 
nuar in 17 Jahren, Depawille: 2222 über dem sechs- 
zeitigen Mittel. 


16.0 New Jersey. Newark: Aufser 1858 seit 26 Jahren am 
wärmsten, 3°2 über dem Mittel, Moorestown: wärmster 
hier bekannter Januar, Frösche am 17ten, Löwenzahn 
blüht am 25sten, Rio Grande: Frühlingsmorgen, die 
Vögel singen am 26sten, Haddonfield: Löwenzahn am 
l6ten, Veilchen am 23sten, gelber Jasmin am 26sten. 


14.7 Pensylvanien. Nyces: sehr mild, Rothkehlchen und Krähen 
am 27sten, Dyberry: 4°44 über dem fünfjährigen Mit- 
tel, Falsington: Delaware eisfrei am 26sten, Philadel- 
phia: der wärmste Januar in 13 Jahren, 3°89 zu warm, 
Germantown: Spirea belaubt, Löwenzahn und Jasmin 
blühen am 27sten, Factoryville: Flüsse offen, überall 
Gewitter am 17ten, ebenso in 


21.5 Virginien. Johnsontown: Pfirsich blühten am 31sten, Hamp- 
ton: babylonische Weide voll belaubt am 31sten, nicht 
eine Schneeflocke den ganzen Monat, Zuni Station: 
Ahorn (Acer rubrum) blüht, Wiesen grün, ist dies Win- 
ter?, Piedmont Station: Vögel singen am 12ten, der 
Zaunkönig ist hier geblieben, blue birds am 16ten, 
Lynehburg: Kartoffeln gepflanzt, die am l4ten gesäten 
Erbsen keimen am 24ten. 


236 Nachtrag. 


20.4. Süd-Carolina. Anderson: Erle blüht am 1Sten, Gowdeys- 
ville: warm und schön vom 12ten zum ölsten, Klee 
und Weizen steht schön. 


23.1 Florida. Pilatka: warm vom 6ten bis 3lsten, Orangen, 
Pfirsiche und Pflaumen blühen. 


19.6 Louisiana. New Orleans: Erdbeeren blühen vom 12ten bis 
Ilten, Sommertage vom 24ten bis 3lsten, aber die 
Nächte kühl. 

17.8 Tennessee. Austin: prachtvolles Wetter nach dem Gewit- 
tersturm am 17ten, Trenton: warmer feuchter Winter. 

15.1 Ohio. Viel Regen und Schnee. - 

14.2 Kentucky. Dasselbe. 


9.8 Jowa. Waterlow: mildester Winter seit vielen Jahren, Lo- 
gan: dasselbe. 


8.0 Michigan. Litchfield: Monat mild aber 1°9 kälter als 1869, 
Northport: kein Eis in der Bay. 

16.0 Hllinois. Aurora: Monat mild, den Sturm am 16ten ausge- 
nommen. 

6.2 Wisconsin. Baraboo: mildester hier bekannter Winter. 


16.0 Kansas. Couneil Grove: aufser dem schnellen Fall am 16ten 
und 17ten der Monat angenehm. 


7.1 Utah. Harrisburg: erste Hälfte des Monats kälter als seit 9 
Jahren. 


90.4 Californien. Chico: seit dem l6ten growing weather, Wat- 
sonville: mehr Frost und weniger Regen als gewöhnlich, 
Vacaville: Dürre in Süd-Californien gefürchtet. 

83.4 Montana Territory. Dear Lodge City: der wärmste hier 
bekannte Januar. 


14.2 Washington Territory. Walla-Walla: Frost am 25sten 
aus dem Boden, Butterblume blüht am 29 sten. 


Der Übergang von den Ostküsten zu den Westküsten tritt, 
wie er von Dr. Blake geschildert wurde, also deutlich hervor. 
Welcher Gegensatz der Vereinigten Staaten zu dem Zurückbleiben 
der Vegetation in Europa, und zu dem nur durch kurze Zwischen- 
räume der Wärme nicht enden wollenden Winter. 


nnd 


In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuerdings 
folgende akademische Abhandlungen aus dem Jahrgang 1869 er- 
schienen: 


EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikroskopi- 
schen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko. 
Preis: 1 Thlr. 15 Sgr. 


Lersivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen und 
einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie. 
Preis: 15 Sgr. 
Rorn, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine. 
Preis: 3 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf. 


MAcnus, Über Emission, Absorption und Reflexion der bei niederer Tem- 
peratur ausgestrahlten Wärmearten. 
Preis: 15 Sgr. 

Buschmann, Grammatik der sonorischen Sprachen: vorzüglich der Tarahu- 

mara, Tepeguana, Cora und Cahita; als IX. Abschnitt der 
Spuren der aztekischen Sprache. 2. Ahth. der Artikel, das 
Substantivum und Adjectivum. 

Preis: 3 Thlr. 15 Sgr. 

Rorn, Über den Serpentin. 

Preis: 14 Sgr. 

Hagen, Über die Bewegung des Wassers in cylindrischen, nahe horizonta- 
len Leitungen, und über die Bewegung des Wassers in vertikal 
abwärts gerichteten Röhren. 

Preis: 12 Sgr. 


Zur Nachricht. 


ji In den Abhandlungen der Akademie sind in den Jahrgängen 1852, 
1853, 1862, 1864 keine Mathematischen Klassen enthalten. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


April 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr Kummer. 


7. April. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. C. Rammelsberg las über die Stellung des Thal- 
lıiums in der Reihe der Elemente. 


Unter den in neuester Zeit entdeckten Elementen nimmt kei- 
nes das Interesse so vielfach in Anspruch als das Thallium. Nie- 
mand wird einen Augenblick zweifelhaft sein, dafs Rubidium und 
Cäsium sich in jeder Beziehung dem Kalium anreihen, dafs dem 
Jndium ein Platz in der Nähe des Zinks gebührt. Aber wohin 
gehört das Thallium? Seine physikalischen Eigenschaften, sein 
Verhalten zum Chlor, Brom, Jod, zum Schwefel u. s. w. stellen es 
zu den schweren Metallen, in die Nähe des Bleis. Die leichte 
Löslichkeit seines Oxyds und Hydroxyds und die stark alkalischen, 
ja ätzenden Eigenschaften des letzteren stempeln es im Gegentheil 
zu einem wahren Alkalimetall, und die Isomorphie seiner Salze 
mit denen des Kaliums (Ammoniums, Natriums) ist ein weiterer 
Grund, das Thallium zur Gruppe des Kaliums zu rechnen. 

So zahlreich die bisher bekannt gewordenen Thatsachen sind, 
welche die Thalliumverbindungen betreffen, so bleibt doch noch 
manche Lücke auszufüllen; es sind, wie mir scheint, besonders 
jene eigenthümlichen Verbindungen noch genauer zu studiren, wel- 
che den höheren Oxyden des Thalliums angehören. Das Nachfol- 
gende ist nur ein kleiner Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe, 
welche in der Seltenheit des Materials ihre Schwierigkeiten hat. 

[1870] 17 


238 ü Gesammtsitzung 


Im Anschlufs an frühere Arbeiten habe ich mich bemüht, die 
Jodate und Perjodate des Thalliums darzustellen, und werde die 
erhaltenen Resultate hier kurz angeben. Dabei sei bemerkt, dafs 
das Atomgewicht Tl = 204 angenommen, d.h. dafs das Thallium 
als einwerthig betrachtet ist. Allein aufser dem Oxyd TI’O giebt 
es ein braunes Sesquioxyd, T1?O°, ein entsprechendes Tri- oder 
Hexachlorid (TICI? — FICI°), und selbst eine Reihe von Oxy- 
salzen, deren Molekül 2 At. Thallium (Fl) enthält, die daher Di- 
thalliumsalze genannt sind. In diesen Verbindungen ist die 
Gruppe Tl sechswerthig, gleich Al, Fe, Mn, er. 


Jodsaures Thallıum. 


Thalliumjodat entsteht, wenn eine Auflösung von Thallium- 
hydroxyd mit Jodsäure versetzt wird. Es fällt in Form eines 
weifsen Pulvers nieder. Auch aus Thalliumsalzen und einem lös- 
lichen Jodat ist es leicht zu erhalten. Sein Ansehen verräth keine 
erkennbare krystallinische Natur; in Wasser ist es kaun, in Sal- 
petersäure schwer löslich. Bei 150° ist es noch unverändert, und 
enthält überhaupt kein Wasser. Die Analyse bestätigte die For- 
mel T1JO°. 


berechnet gefunden 
TI = 53,82 T 
R ee 87.33 87,35 
3.07.°12,067 


100 


Bei stärkerem Erhitzen schmilzt es zu einer braunen Flüssigkeit, 
entwickelt Sauerstoff und Jod, und liefert ein reichliches Sublimat 
von Thalliumjodid. Hierbei werden Glasgefäfse dureh die gleich- 
zeitige Bildung des Oxyds TI’O stark angegriffen. 


Dithalliumjodat entsteht, wenn frischgefälltes braunes Thal- 
liumsesquioxyd mit einer Auflösung von Jodsäure erwärmt wird. 
Dabei löst sich keine Spur Thallium in der Säure auf, das braune 
Oxyd aber verwandelt sich in ein bräunlichgraues schweres kry- 
stallinisches Salz, welches durch Wasser nicht verändert wird und 
selbst in Salpetersäure schwer löslich ist. Es giebt sich als ein 
- Dithalliumsalz dadurch zu erkennen, dafs seine salpetersaure Auf- 
lösung von Alkalien braun gefällt wird, oder dadurch, dafs es bei | 


vom 7. April 1870. 239 


der Behandlung mit Kalilauge unter Abscheidung des braunen 
Oxyds eine thalliumfreie Auflösung giebt. 

Bei der Schwierigkeit der direkten Thalliioinbestirkntnig darf 
es nicht befremden, wenn die Analyse solcher Salze etwas zu wün- 
schen übrig läfst. Im vorliegenden 'Fall war jedoch mit Sicherheit 
festzustellen, dafs 3 At. Jod auf 1 At. Thallium kommen, so dafs 
für das Dithalliumjodat die Formel 


T1J6018 + 3agq 
‚gerechtfertigt erscheint. 


Berechnet gefunden 
Tl = 27,00 27,3 
6J 50,40 48,6 
180 19,03 
sad RT. 
100. 
Oder 
2T1J 45,78 43,57. 


Beim Erhitzen giebt es Wasser, schmilzt und verhält sich im 
Übrigen ungefähr so wie das zuvor beschriebene Salz. 


Überjodsaures Thallium. 


 Thalliumperjodat. Durch Sättigung einer Auflösung von 
Thalliumhydroxyd durch reine Überjodsäure entsteht ein weilser 
Niederschlag. Einen ebensolchen erhält man durch Vermischen 
der Lösungen von Thalliumnitrat und von halb überjodsaurem Kali 
(K2J?0°). Allein die weilse Farbe verwandelt sich bald in eine 
gelbe und nach dem Auswaschen und Trocknen ist die Substanz 
gelb, theilweise röthlich. Die Versuche, welchen man dieselbe un- 
terwerfen kann, namentlich ihr Verhalten gegen Alkalien und ge- 
gen Säuren, liefern den Beweis, dafs sie gar kein Perjodat, son- 
dern ein Gemenge der beiden zuvor beschriebenen Jodate ist. Es 
giebt kein Thalliumperjodat, weil Überjodsäure das Thalliumoxyd 
in Sesquioxyd verwandelt, wobei sie selbst zu Jodsäure redueirt 
wird. | A 

Dithalliumperjodat. Trägt man das braune Oxyd T1O3 
in eine Auflösung von H’JO®, so verwandelt es sich in ein schwe- 
res hellbraunes Pulver, aber es löst sich nichts in der freien Säure 
1%* 


240 Gesammtsitzung 


auf. Dieses Pulver ist ein reines Dithalliumsalz; durch Kalilauge 
zersetzt, scheidet es braunes Oxyd ab, während die alkalische 
Flüssigkeit, welche kein Thallium enthält, auf Überjodsäure 
reagirt. 

Die Analyse läfst nicht ganz klar erkennen, ob es ein Drit- 
tel-Perjodat oder eine Verbindung von Drittel- und Viertel-Perjodat 
ist, d. h. entweder 

TB J?016 + 30aq (1) 


oder 


FI JO +9%aq (MD 


berechnet gefunden 
1. 11. 
Thallium 53,84 56,06 55,71 
Jod 11,170 710947 9.35 


Sauerstoff 11,26 11,21 
Wasser 23,74 22,26 
100 100 


Im zweiten Fall dürfte dieses aus sehr saurer Flüssigkeit abge- 
schiedene und dennoch sehr- basische Salz als | 
T1J6 0% 


ch ar 


zu betrachten sein. 

Seitens der Jodate und Perjodate entfernt sich das Thallium 
sehr weit vom Kalium; sein Verhalten zu Überjodsäure stellt es 
namentlich in eine Reihe mit Kobalt, Eisen und Mangan, wie sich 
dies aus meinen früheren Untersuchungen der überjodsauren Salze 
deutlich ergiebt. lakır 


Die höheren Chloride, Bromide und Jodide des 
Thalliums und.deren Doppelsalze. 


Man weils, dafs das Thalliumehlorid TICl beim Schmelzen 
Sm Chlorstrom höhere Chlorverbindungen liefert. Doch ist dies 
keine passende Methode ihrer Darstellung, weil sie stärkerer Hitze | 
nicht widerstehen. Beim Behandeln mit Wasser bleiben blafsgelbe | 
Blättchen zurück, welche, wie ich mich überzeugt habe, TECH \ 
sind. 


vom 7. April 1870. AR 


Wird die Lösung eines Thalliumsalzes mit unterchlorigsaurem 
und freiem Alkali vermischt, so entsteht ein dunkelbrauner Nieder- 
schlag von Dithalliumoxyd (Thalliumsesquioxyd) #103, wel- 
ches sich in Chlorwasserstoffsäure leicht auflöst, wobei sich nicht 
merklich Chlor entwickelt, wiewohl beim Verdünnen ein wenig 
T12C13 abgeschieden wird. Versetzt man diese Auflösung mit 
Chlorkalium oder Chlorammonium, so erhält man beim Verdunsten 
schön krystallisirte Doppelsalze, die ich zur Ergänzung früherer 
unvollständiger Angaben von Nickles und Willm auf ihre Form 
und Zusammensetzung näher untersucht habe. 

Kalium-Dithalliumchlorid und Ammonium-Dithal- 
liumchlorid schiefsen in farblosen, durchsichtigen Krystallen an, 
welche auf den ersten Blick regulär zu sein scheinen, jedoch vier- 
$liedrig sind. Herrschend ist ein Quadratoktaöder, in den End- 
kanten 116° 12’, in den Seitenkanten 96° 44’ messend, zu welchem 
das erste stumpfere, beide quadratische Prismen und die Endfläche 
hinzutreten. Das Axenverhältnifs a:c ist = 1: 0,795, und beide 
Salze differiren in den Winkeln nur wenig. 

Die Analyse zeigt, dafs sie auch analog zusammengesetzt sind, 
nämlich: 


3KCl | 3 AmCl 

TICH + 2agq und TICB + 2aq 
oder 

6KCI y 1 6AmCI 

EC in ic) + **4 


Diese Doppelsalze sind sehr stabil; sie werden vom Wasser, 
auch beim Kochen, nicht zersetzt. Chlorwasserstoffsäure entwickelt 
kein Chlor. Alkalien scheiden braunes FlO® ab; ist aber ihre 
Auflösung ‚hinreichend sauer, so wird sie von Ammoniak nicht ge- 
fällt. Platinchlorid fällt nur K oder Am, nicht das TI aus; Jod- 
kalium scheidet TlJ und freies Jod ab. Alle reducirenden Mittel 
bewirken eine Fällung von TICI. 


Doppelsalze von Dithalliumbromid. 


Das Bromür TlBr gleicht dem Chlorür vollkommen. Auf 
Zusatz von Brom löst es sich in Wasser leicht auf, indem es sich 


242 Gesammtsitzung 


n TIBr® oder TlBr6 verwandelt. Denn die mit KBr versetzte 
Flüssigkeit liefert beim Verdunsten gelbliche Krystalle eines Dop- 
pelsalzes, welches nach meinen Versuchen 


3KBr 3 Er 3KPBr vorg 
3 a ee 4 


ist. Ihre Flächen sind für genaue Messungen nicht glänzend ge- 
nug; sie erscheinen als Würfel in Kombination mit dem Okta&der 
und Granatoöder und die gefundenen Werthe sprechen allerdings 
für reguläre Formen. 


Doppelsalze von Dithalliumjodid. 


Jodthallium, T1J, ist in Jodkalium unlöslich; fügt man aber 
Jod hinzu und läfst die dunkelgefärbte Flüssigkeit verdunsten, so 
schiefsen schwarze Krystalle an, welche durch Umkrystallisiren 
aus Alkohol von beigemengtem K.J zu befreien sind. Es sind re- 
guläre Oktaöder mit Würfelflächen, sie haben starken Glanz, sind 
roth durchscheinend und geben ein rothes Pulver. Ich habe für 
_ dieses Kalium-Dithalliumjodid die Zusammensetzung 


SreH a ee OR et 
opel I logge q 


gefunden, also entsprechend dem Bromsalze, mit welchem es iso- 
morph ist. 

Dieses Doppelsalz ist weit weniger beständig als die früheren; 
schon in gelinder Wärme giebt es Jod; Wasser zersetzt einen 
Theil, unter Abscheidung von TlJ und Jod. 

Ganz anders verhalten sich die Oxysalze, welche aus der 
Einwirkung von Säuren auf das braune Sesquioxyd 10? entste- 
hen. Sie werden nämlich von Wasser vollständig zer- 
setzt, und das braune Oxyd, welches sich dabei abscheidet, ist, 
wie es scheint, rein, d. h. kein basisches. Salz. Es ist schwer, 
diese Dithalliumsalze rein zu erhalten, da sich das Sesquioxyd erst 
beim Erwärmen in Säuren auflöst, wobei immer etwas gewöhn- 
liches Thalliumsalz entsteht. 

Es ist mir leider nicht geglückt, das Sulfat und das Nitrat in 
bestimmbaren Krystallen zu erhalten, ich kann daher den Angaben 
Strecker’s nichts Neues hinzufügen. Blos das essigsaure Di- 


vom 7. April 1870. 243 


thallium bildet farblose durchsichtige zweigliedrige Krystalle, 
Rhombenoktaöder, deren Endkanten 123° 30' und 79° 34’, und de- 
ren Seitenkanten 129° 0' messen. Sie sind tafelartig durch Aus- 
dehnung der Endfläche, bräunen sich aber an der Luft sehr bald. 


Isomorphie der Thalliumverbindungen mit anderen. 


Die früheren Beobachtungen über die Form der Thalliumsalze 
sind neuerlich durch Des Cloizeaux sehr vervollständigt wor- 
den.!) Die Thatsache, dafs sie mit den Salzen des Kaliums (Ru- 
bidiums und Ammoniums) isomorph sind, hat hierdurch in mehr- 
facher Hinsicht eine Bestätigung erfahren, und so haben wir 
denn folgende in Form und Zusammensetzung sich entsprechende 
Salze: 


Nitrat TINO? = KNO3 
Perchlorat TICIOt = KCI0% 


| 


U 
Doppelsulfate TIER 82 08 +6aq = K?RS?0° + 6aq 


Alaun TERSO1 + 24aq = K2RSt016 + 24aq 

Ferrocyanür TiFeCy° + 2aq = Rb?FeCy° + 2aq 
 Oxalat H>T1C?08 + 2aq = H’KC?08 + 2aq 

Tartrate HTIC*H?0% — HKC#+H*0% 


NaT1C?H?06 +4aq = NaKC®H?0$ +4aq 
TI(SbO)JC?H?08 +aq = K(SbO)C?!H?0° + ag. 


Aber von besonderem Interesse sind die Phosphate, weil sie die 
 isomorphe Vertretung der einwerthigen Tl, K, Na, Am durch Was- 
serstoff darthun. Denn es sind isomorph: 


H? TIP O* und HAm?P 0% 
HTEPO# und H2AmPO% 
HTEPO:-+aq und H?NaPO? + aq.?) 


1) Lamy et Des Cloizeaux, Etudes chimiques, optiques et cristallo- 
graphiques sur les sels de Thallium. Ann. Ch. Phys. (4) 17,310. 
2) S, meinen Aufsatz in den Bericht. d. d. chem. Gesellsch. 1870 S.276. 


244 Gesammtsitzung 


Leider gestatten die Formen der Dithalliumsalze, welche iclı 
prüfen konnte, keinen Vergleich, weil krystallisirte analog zusam- 
mengesetzte Verbindungen nicht bekannt sind. 

Es scheint unmöglich, dem Thallium einen bestimmten Platz 
unter den übrigen Elementen anzuweisen. Nur so viel ist sicher, 
dafs es physikalisch wie chemisch ein Metall, und zwar ein sehr 
elektropositives ist. Obwohl es bei niederer Temperatur das Was- 
ser nicht zersetzt, oxydirt es sich an.der Luft doch weit schneller 
als Blei, Magnesium oder Aluminium. 

Seine Ähnlichkeit mit den Alkalimetallen liegt aber besonders 
darin, dafs sein Hydroxyd ein entschiedenes ätzendes Alkali ist 
und dafs die von demselben gebildeten Salze durch ihre Löslich- 
keit und ihre Krystallform sich unmittelbar den Alkalisalzen an- 
reihen. 

Dagegen sind die Haloidsalze durch Unlöslichkeit und Fär- 
bung den entsprechenden Salzen des Silbers, freilich auch des 
Bleis, ähnlich. Ebenso ist Schwefelthallium nur den Sulfureten der 
Schwermetalle vergleichbar. 

Durch seine höheren Oxydations- und Chlorstufen entfernt 
sich das Thallium ganz und gar von den Alkalimetalien. Dem 
"F1O® und TICI®, analog erscheinen die Verbindungen von Al, Mn, 
Fe, Er, Ce und Bi, Und doch stehen jene gleichsam für sich da. 
F]O3 wird durch Erhitzen zu #10, während MnO3 und €eO? 
höchstens zu R?O%, die übrigen aber gar nicht redueirt werden. 
Das durch Auflösen in HCl entstehende FICI6 ist weit beständi- 
ger als MnCl® oder CeCls, jedoch nieht in dem Malse wie die 
übrigen RC. Die Oxysalze werden von Wasser zersetzt; dies 
ist aber eine den Salzen jener & sehr allgemein zukommende Eigen- 
schaft, weniger hervortretend bei denen von Er und Al, stärker 
beim Fe, und noch stärker bei Mn, Ce und Bi. Dimangansulfat 
(schwefelsaures Manganoxyd) = MnS3O12 zerfällt durch Wasser 
in MnO3 und 3H2SO%, also genau so wie das Dithalliumsalz 
F1S3012, Ce und Bi aber liefern hierbei bekanntlich nur basische 
Salze. Ich, erinnere daran, dafs auch schon in dem Verhalten des 
Thalliums zur Überjodsäure seine Beziehungen zum Mangan gleieh- 
sam angedeutet sind. | 

Ist das Atg. des Thalliums — 204, entsprechend dem 'Du- 
long-Petit’schen ‚Gesetz, so ist Tl ein einwerthiges Element 
gleich dem Kalium, Silber u. Ss. w. Das chemische Verhalten und 


vom 7. April 1870. 245 


die Krystallform der monatomen Thalliumverbindungen verleihen 
dieser Annahme eine feste Stütze. 

Während wir aber bei den Alkalimetallen und dem Silber auf 
keine Weise höhere Chloride etc. darzustellen vermögen, gelingt 
dies bein Thallium. Dadurch entstehen Verbindungen, in deren 
Mol. 2 At. Thallium als ein sechswerthiges Atomenpaar enthalten 
sind. Sind dieselben, wie wir wohl annehmen müssen, unter sich 
verkettet, so wäre das Thalliumatom wenigstens vierwerthig, wie 
dies für die in der Regel zweiwerthigen Fe, Mn, Ce u. s. w. gilt. 

Aber es ist noch eine andere Möglichkeit, die nämlich, dafs 
sich das Thallium in diesen höheren Chloriden, Oxyden und Sal- 
zen verhielte wie das Uran, d.h. dafs sie ein zweiwerthiges Ra- 
dikal (T120O2) einschlössen, oder ein entsprechendes (T1?C1%). 

Weitere Untersuchungen sollten auf diesen Punkt gerichtet sein. 


. Hr. Poggendorff berichtete mündlich über eine neue In- 
fluenzmaschine, die nicht allein die doppelte Kraft der gewöhnlichen 
besitzt, sondern auch in jeder andern Beziehung als die vollkom- 
menste unter den bisher dargestellten zu betrachten sein möchte. 
Da er nächstens der Akademie eine ausführliche Mittheilung über 
diese Doppelmaschine zu machen gedenkt, so sei hier nur erwähnt, 
dafs sie nach dem von ihm im Januarheft der Monatsberichte von 
1869 S. 55 angedeuteten Prineip construirt worden ist, und die 
practische Anwendbarkeit dieses Princips in befriedigendster Weise 
dargethan hat. 


Hr. Dove machte eine Mittheilung über. die Witterung des 
vergangenen Winters. 


246 Gesammtsitzung 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Verhandlungen der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. Jahrg. 1869. 
19. Bd. Wien 1869. 8. 

Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. 8. Bd. München 1869. 8. 

Verhandlungen der Physik.-Mediz. Gesellschaft in Würzburg. Neue Folge. 
1. Bd. 4. Heft. Würzburg 1869. 8. 

Mittheilungen der k. k. Central-Kommission zur Erforschung der Baudenk- 
male. 15. Jahrg. März-April. Wien 1870. 4. 

Lotus. Zeitschrift für Naturwissenschaften. 19. Jahrg. Prag 1869. 8. 

W. J. A. Jonckbloet’s Geschichte der Niederländischen Literatur, übersetzt 
von W. Berg. 1. Bd. Leipzig 1870. 8. 

Anales de la Universidad de Chile. ANo 1867. 1868. 8. 

Berichte an den Congre/s des Staates Chile. 9 Bände. Santiago 1868. 8. 

Annuario estadistico de la repuhlica de Chile. Entrega 9. Santiago 
1868. 8. 

Observations made at the U. St. Naval Observatory, during the year 1866. 
Washington 1868. 4. 

The American Ephemeris for 1871. Washington 1868. 8. 

Tables to facilitate the reduction of places of the fixed stars. Washington 
1869. 8. 

(Settimani) D’une seconde nouvelle methode pour determiner la parallaxe du 
soleil. Florence 1870.. 8. 

Berichte der südslavischen Akademie. 10. Heft. Agram 1870. 8. 

Second Radcliffje Catalogue, containing 2386 stars. Oxford 1870. 8. 


25. April. Sitzung der physikalisch-mathemati- 
schen Klasse. 


Es wurden verschiedene geschäftliche Angelegenheiten erledigt. 


vom 28. April 1870. 247 


28. Aprıl. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Haupt las über die Perser des Aeschylus. 


Hr. G. Rose legte eine Untersuchung des Dr. P. Groth vor: 


Über Beziehungen zwischen Krystallform und 
chemischer Oonstitution bei einigen organischen 
Verbindungen. 


Alle bisherigen Versuche, die für den unorganischen Theil der 
Chemie so eminent wichtig gewordene Lehre des Isomorphismus 
auf die organischen Verbindungen anzuwenden, haben zu keinem 
befriedigenden Resultate geführt, weil die verschiedenen, in den 
letzteren befindlichen, Atomgruppen nicht in demselben Verhältnifs 
zu einander stehen, wie z. B. verschiedene isomorphe Metalle in 
den Salzen von gleicher Constitution. Die Resultate einiger Unter- 
suchungen, welche allerdings zu dem Endzweck unternommen wur- 
den, gesetzmäfsige Beziehungen zwischen Krystallform und che- 
mischer Constitution bei organischen Verbindungen zu finden, führ- 
ten den Verfasser zu der Überzeugung, dafs man bei diesen For- 
schungen einen ganz andern Weg, als bisher, einzuschlagen habe. 
Statt gleich krystallisirte Körper aufzusuchen, erweist es sich 
vielmehr als vortheilhaft, die Verschiedenheiten der Krystall- 
formen chemisch verwandter Körper zu studiren, d. h. die 
Frage bei der Aufsuchung gesetzmäfsiger Relationen in folgender 
Weise zu stellen: 

„Es sei die Krystallform einer chemischen Verbindung, 
von welcher sich zahlreiche Derivate ableiten, als gegebene 
Thatsache vorliegend (wobei der Versuch, diese selbst aus 
der chemischen Constitution der Verbindung herzuleiten, 
beim jetzigen Stand der Wissenschaft als ein durchaus 
verfrühter bezeichnet werden mufs); — welche Ände- 
rung erfährt diese gegebene Krystallform nun 
durch den Eintritt eines bestimmten, Wasser- 
stoff substituirenden, Atoms oder einer Atom- 
gruppe?“ , 


248 Gesammtsüzung 


Durch die Untersuchung einer Reihe von Derivaten derjenigen 
Grundverbindung, von welcher sich die Hälfte der organischen 
Körper, die aromatischen, ableiten, nämlich des Benzols, hat sich 
das Resultat ergeben, dafs es gewisse Atome und Atom- 
gruppen giebt, welche, für H in das Benzol und dessen 
Abkömmlinge eintretend, die Krystallform derselben 
nur in mälsiger Weise alteriren, so dafs man im Stande 
ist, die Form des neuen Körpers noch mit der des ursprünglichen 
zu vergleichen. Die Änderung ist z. Th. derart, dafs z. B. bei 
"hombischen Substanzen das Verhältnifs zweier Axen, also die 
Gröfse der Winkel in der betreffenden Zone, dieselbe bleibt (mit 
den kleinen Unterschieden, wie sie isomorphe Körper zeigen), wäh- 
rend nur die dritte Axe durch den Eintritt eines neuen Stoffes in 
das Molecül eine erhebliche Änderung ihres Werthes erfährt. Zu 
den in dieser Weise wirkenden Atomgruppen gehören besonders 
das Hydroxyl HO, und die Nitrogruppe NO,. 

Die wichtigsten Beispiele werden das Gesagte erläutern'): 

Das Benzol C,H, ist rhombisch?) und krystallisirt in 
Pyramiden, welche sich auch der optischen Untersuchung als grad- 
rhombische erwiesen, von dem Axenverhältnils: 

a:b:c = 0,891 :1: 0,799. 

1. Das erste Hydroxylderivat desselben, das Phenol, kry- 
stallographisch zu bestimmen, hat mir bisher noch nicht gelingen 
wollen. Die durch langsames Erstarren des geschmolzenen darge- 
stellten langen Nadeln sind so zusammengesetzt, dafs man sie nicht 
messen kann. Indefs zeigte sich bei deren optischer Untersuchung, 
dafs die Substanz, wie die vorige, rhombisch ist. 


1) Überall, wo kein Beobachter angegeben ist, rühren die Bestimmungen, 
deren. Detail später in Poggend. Ann. mitgetheilt werden soll, vom Verfasser 
her. Bei den übrigen Substanzen war oft, um die Beziehungen deutlicher 
hervortreten zu lassen, eine andere Aufstellung der Krystalle zu nehmen, als 
sie der ursprüngliche Beobachter gewählt hatte. 


2) Die starke Kälte des vergangenen Winters gestattete die Herstellung 
gröfserer Räume von so niedriger Temperatur, dafs das bei —+-3° schmelzende 
B. nicht nur gut krystallisirt, sondern auch gemessen werden konnte. Die: 
Messungen sind freilich nur sehr angenäherte, da die Substanz selbst bei 
einer Kälte von mehreren Graden unter O0 noch so flüchtig ist, dafs die Flä- 
chen nach kurzem Verweilen des Krystalls auf dem Goniometer schon ganz 
uneben sind. | 


vom 28. April 1870. | 249 


2. Das Resorcin, d. i. Benzol, in welchem 2 Atome H 
durch HO vertreten sind, ist sehr wohl bestimmbar. Es ist eben- 
falls rhombisch (mit ausgezeichneter Hemimorphie); sein Axen- 
verhältnifs: 1 

a2 bue"—20,9101: 19:0,5407 


also a: b gleich dem Benzol (die Differenz ist nicht gröfser, als. 


der mögliche Beobachtungsfehler bei diesem), die Axe ec beträcht- 
lich geändert. 

Das zweite von den drei isomeren Bioxylderivaten des Ben- 
zols, welche sich nur durch die relative Stellung der Gruppen HO 
unterscheiden, das Brenzcatechin, ist ebenfalls rhombisch, 
aber bisher noch unvollständig bekannt, so dafs man z. Z. nicht 
bestimmen kann, welche Axe und wie stark sie geändert ist. Iso- 
morph mit dem vorigen ist es nicht, da der einzige bekannte Win- 
kel desselben an jenem nicht vorkommt. 

Das Hydrochinon endlich wird von Gerhardt als rhombisch 
angegeben, indes ohne Messungen; ich erhielt anders, als gewöhn- 
lich, dargestellte Krystalle, welche rhombo&drisch waren; jedenfalls 
liegt hier Dimorphie vor, wofür auch noch der Umstand spricht, 
dafs das horizontale Prisma des Resoreins, mit dem die hypothe- 
tische rhombische Form des Hydrochinons ja in naher Beziehung 
stehen mülste, fast Winkel von 120° hat (dimorphe Körper haben 
gewöhnlich in gewissen Zonen sehr ähnliche Winkel). 

3. Für das eine Trioxylderivat, die Pyrogallussäure, 
liegen keine sichern Angaben vor. Hr. Rammelsberg vermuthet 
(Krystallogr. Chemie, p. 346), dafs die angeblich an Gallussäure 
angestellten Messungen Brooke’s sich auf jenen Körper bezögen. 
Iu der That zeigen die gemessenen Winkel Ähnlichkeiten mit de- 
nen des Resoreins; doch mufs die Bestimmung der Pyrogallussäure 
jedenfalls wiederholt werden. 

Der Eintritt von Hydroxyl scheint also die Kry- 
stalle dieser Substanzen nur in einer Richtung zu än- 
dern, mit Beibehaltung ihrer Form in den übrigen Rich- 
tungen und ihres Krystallsystems. 


Weit vollständiger, als die Wirkung des Hydroxyl, können 
wir die der Nitrogruppe NO, studiren. Zunächst bietet sich 
dafür die Reihe der nitrirten Phenole dar: 


250 Gesammtsitzung 


1. Das gewöhnliche Mono-Nitrophenol ist, wie ich op- 
tisch nachweisen konnte, rhombisch, wie das Phenol selbst; 
die Prismen desselben sind sehr genau zu messen, dagegen die 
Endflächen so unvollkommen ausgebildet, dafs der einzige Winkel, 
den ich bestimmen konnte, nur zu einem ganz unsichern Werth 
der Verticalaxe führt, indem die benutzte kleine Octaöderfläche so 
gerundete Kanten hatte, dafs nicht sicher zu entscheiden war, ob 
sie auf das Prisma grade oder schief aufgesetzt sei. Es ist 


a:b:ec = 0,873 :1: (0,60?) 


wobei ich mir die genauere Bestimmung des letztern Werthes vor- 
behalte, bis es gelungen, bessere Krystalle der Substanz zu be- 
schaffeu. 


9. Binitrophenol ist bereits von Laurent gemessen und 
von Hrn. v. Lang optisch untersucht worden. Dies hat: 


a:b:e = 0,933 : 1: 0,753. 


5) 


3, Trinitrophenol nach Mitscherlich: 
a:b:c = 0,937: 1: 0,974. 

Man sieht hier also deutlich, dafs bei gleichbleibendem 
Krystallsystem und fast unverändertem Verhältnifs a:b, 
‚der Eintritt einer neuen NO,-Gruppe immer nur die 
dritte Axe, und zwar stets in demselben Sinne, än- 


dert.') 


1) Es liegt die Vermuthung nahe, dafs dies auch um gleich viel ge- 
-schehe. Unter dieser, allerdings noch sehr unsichern, Annahme, und unter 
der ebenso wenig bewiesenen, dafs das erste in das Phenol eintretende 
NO, dieselbe Änderung hervorbringen, — könnte man rückwärts das 
Axenverhältnifs des Phenols aus der Differenz von Di- und Trinitrophenol 
berechnen (beim Mononitrophenol ist c zu unvollkommen bestimmt, um in 
Betracht zu kommen). Unter denselben Annahmen könnte das Axenverhält- 
"nifs des Phenols aufserdem das Mittel derjenigen von Benzol und Resorein 
sein. Die Berechnung auf beiden Wegen liefert genau dasselbe Verhältnils 
für a:b, für e aber einen gerade halb so grofsen Werth auf dem ersten 
Wege, als auf dem zweiten (also rationaler Co£fficient). Ferner zeigt diese 
hypothetische Kıystallform des Phenols in einer Zone ganz gleiche Winkel 
mit der Isonitrophensäure, dem Isomeren des Nitrophenols, welches nach 
Hrn. v. Kokscharoff allerdings monoklinisch krystallisirt. Es ist schwer an- 


RR vom 28. April 1870. 251 


"Das «-Chloranilin C;H,CHNH;3) ist nach Hrn. Des Cloi- 
seaux’s Messung rhombisch mit dem Axenverhältnifs 


aenbirc — 0,804 710:70:,999: 


Das entsprechende Nitrochloranilin C;H; (NO,)CI(NH;,) ge- 
hört demselben System an. Nach demselben Beobachter: 


abe EM: IT: 


Also durch die Nitrogruppe eine Änderung, wieder nur in einer 
Richtung, und zwar in demselben Sinne, ja von nahe gleicher 
Gröfse, wie bei den nitrirten Phenolen. 


Das «-Nitrochlorbenzol (Chlorbenzol selbst ist flüssig) ist 
rhombisch, aber nur unvollständig bekannt; zwei seiner Axcn 
verhalten sich wie 1: 0,515 (nach Hrn. Jun gfleisch). 

Vom Binitrochlorbenzol hat Hr. Jungfleisch (Ann. chim. 
phys. [4], 15. Bd.) zwei isomere Modificationen dargestellt, welche 
Hr. Des Cloiseaux krystallographisch untersucht hat. Nach die- 
sem sind sie beide ebenfalls rhombisch, wie der erste Körper, 
und haben die Dimensionen: 


«-Chlorbinitrobenzol: a:b:e = 0,809 :1: 0,713, 
R- n 5 ea nal: 38. 


Diese beiden Isomeren deriviren krystallographisch vielleicht 
derart von Nitrochlorbenzol, dafs eines der beiden unbekann- 
ten Axenverhältnisse desselben nahe ungeändert blieb, die dritte 
Axe dagegen varlirte, und zwar verschieden, je nach der relativen 
Stellung der Nitrogruppen. 


Auch zwischen Bichlorbenzol (Des Cloiseaux) und Nitro- 
bichlorbenzol (Jungfleisch) zeigen sich in gewissen Zonen Win- 
kelähnlichkeiten; doch ist letzteres unvollständig bekannt. 


zunehmen, dafs dies Alles auf Zufall beruhe; doch mufs erst eine genane 
Bestimmung des Phenols selbst die Frage entscheiden. Der Einflufs der re- 
lativen Stellung der Gruppen NO, und HO bei den nitrirten Phenolen kann 
"wegen deren unvollkommener Kenntnifs ebenfalls noch nicht beurtheilt 
werden. } | 


252 Gesammtsitzung 


Alle Beispiele zeigen also übereinstimmend, dafs der Ein- 
tritt von NO, die Krystallform nur in einer Richtung 
wesentlich ändert. 


Eine weit energischere Wirkung übt die Substitution durch 
Chlor, Brom u. s. w. aus, welche regelmäfsig zugleich eine Än- 
derung des Systems in ein weniger reguläres nach sich 
zieht. Trotzdem bleiben auch dann noch die Winkel einer 
Zone den entsprechenden an der unveränderten Sub- 
stanz nahe gleich. 


Die Chlorsubstitutionsreihe des Benzols ist nur unvollständig 
bekannt: 

1. Das Benzol selbst leitet sich von einem rhombischen 
Prisma von eirca 964° ab. 

3. Das Bichlorbenzol (und Bibrombenzol, welches da- 
mit isomorph ist) ist monoklinisch geworden; sein Prisma ist 
aber 98° 40' (n. Des Clois.). | 

3, Das Tetrachlorbenzol hat dasselbe System und ein 
Prisma von 96° 17’ (Des Clois.), also beide dem des Benzols sehr 
ähnlich. 


Das Tri- und Pentachlorphenol haben nach Laurents 
Messungen ein gleiches Prisma von 110°; die übrigen Dimensio 
nen sind unbekannt. 


Das Binitrophenol ist, wie wir oben ‚sahen, rhombisch; 
eine prismatische Zone desselben hat die Winkel 106° 0’ und 74° 0". 

Tritt ein Atom Brom für Wasserstoff ein, so wird es mo- 
noklinisch, aber mit einem Prisma von 106° 30' und 73° 30". 


Chlornitrobenzol zeigt mit Bichlornitrobenzol und 
dieses wieder mit Trichlornitrobenzol ebenfalls je in einer, 
Zone ähnliche Winkel, doch sind diese Körper z. Z. noch unvoll- 
ständig untersucht (von Hrn. J ungfleisch). 


vom 28. April 1870. 253 


Wir sehen also in allen sicher bestimmten Fällen durch den 
Eintritt eines Cl(Br)-Atoms das Krystallsystem sich ändern, we- 
niger regelmäfsig. werden. Dagegen scheint der Eintritt eines drit- 
ten Cl-Atoms wieder eine mehr symmetrische Structur des Mole- 
cüls herzustellen; dafür spricht wenigstens das nach Hrn. Jung- 
fleisch wahrscheinlich rhombische Trichlorbenzol, ebenso das 
rhombische Trichlorphenol und Perchlorbenzol. 


Eine in ähnlicher Weise starke, aber auch vorwiegend einsei- 
tige Änderung der Krystallform bedingt endlich auch der Eintritt 
von CH;,, wenigstens weist darauf folgendes Verhältnifs hin: 


Monochloranilin: rhombisches Prisma von 93° 5%', 


Monochlortoluidin: monoklin. Prisma von 94° 5%. 


Nach der wohl ziemlich allgemein adoptirten Ansicht von 
Hrn. Erlenmeyer hat das Naphtalin mit dem Benzol ana- 
loge Molecularstructur; dasselbe ist monoklinisch mit dem Axen- 
verhältnifs: 


abc = 11,399: 11,428 
y = 56° 31". 
Der Eintritt von HO bedingt hier ebenso, wie beim 
Benzol, keine Systemänderung, sondern nur eine vor- 
wiegende Variation der einen Axe. Die beiden isomeren 
_ Naphthole haben die Dimensionen: 


@-Naphthol: a:b:c = 1,475:1: 1,802. — y = 62° 40". 
P- 2 Bin 31,369: 1 chin — 60. 


Die verticalen Prismen beider (von dem Verhältnifs a: b ab- 
hängig) sind denen des Naphtalins sehr nahe gleich. Daraus er- 
scheint es wahrscheinlich, dafs das weitere Studium der Naphta- 
- [1870] 18 


254 Gesammtsitzung 


linderivate ebenfalls interessante Beziehungen zwischen deren 
Krystallformen ergeben werde. 


Die analoge Molecularstruetur des Benzols, Naphtalins 
und Anthracens (vgl. Gräbe und Liebermann, Ann. d. Cbem. u. 
Pharm. 1870) zeigt sich auch in einer grolsen Ähnlichkeit ihrer 
Krystallformen. Obgleich verschiedenen Systemen angehörig, zei- 
gen sie doch alle das gleiche verticale Prisma: 


Benzol: Rhombisches Prisma von 965°; 
Naphtalin: Monoklin. Prisma von 98° 40'; 
Anthracen'): do. do. „uba9dE- 


Was nun die oben zusammengestellten Beispiele für die Än- 
derung der Krystallformen durch den Eintritt gewisser Atomgrup- 
pen betrifft, so mufs es zwar weiteren Untersuchungen vorbehalten 
bleiben, die Zahlengesetze für diese Änderungen aufzufinden; — 
aber auch die noch unvollständig vorliegenden Thatsachen bewei- 
sen bereits die Eingangs ausgesprochene Behauptung, dafs es Atome 
und Atomgruppen gäbe, welche durch ihre Substitution für Was- 
serstoff die Krystallform eines Körpers nur in gewisser Richtung 
ändern. Es wird vielleicht geeignet sein, die in Rede stehende Er- 
scheinung immer mit einem einzigen Worte bezeichnen zu können, 
und die gesetzmälsige Änderung einer Krystallform 
durch den, Wasserstoff substituirenden, Eintritt eines 
neuen Atoms oder einer Atomgruppe etwa mit dem Namen 
Morphotropie“ zu belegen. 

Es würden dann z. B. unter den oben angeführten Fällen das 
Mono-, Bi- und Trinitrophenol zu einander im Verhältnifs der 
Morphotropie stehen, „eine morphotropische Reihe“ bilden. 
Man würde dann von der „morphotropischen Kraft“ eines 
Elementes oder einer Atomgruppe in Bezug auf eine Verbindung 


h7] 


1) — Photen von Hrn. Fritzsche, von Hrn. v. Kokscharoff und mir 
gemessen. 


vom 28. April 1870. 255 


zu sprechen haben. So würde z. B. die morphotropische Kraft des 
Hydroxyls und der Nitrogruppe in Bezug auf Benzol, Phenol u. s. w. 
als eine sehr mälsige bezeichnet werden müssen, welche nur eine 
Axe um einen bestimmten Werth ändert, ohne das Krystallsystem 
zu alteriren. Dagegen wäre die morphotropische Kraft des Chlors 
u. 8. w. eine weit intensivere (vgl. oben). Es läfst sich theoretisch 
leicht voraussehen, von welchen Umständen der Betrag der mor- 
photropischen Kraftäufserung abhängen mufs: 


1. Von der specifischen morphotropischen Kraft des substituiren- 
den Atoms oder der Atomgruppe. 


2. Von der chemischen Natur derjenigen Verbindung, in wel- 
cher die Substitution vor sich geht. Die Gruppe CH, z.B. än- 
_ dert nicht jede Verbindung in gleicher Weise, daher sind homo- 
loge Körper einander in ihren Krystallformen theils mehr, theils 
weniger nahe stehend. Die zwischen solchen bestehenden entfern- 
teren Beziehungen, welche Laurent als „Isomorphie in verschie- 
denen Systemen“ auffalste, Hr. Hjordahl (J. f. pract. Chem., 
94. Bd.) noch weiter ausführte und „partiellen Isomorphismus“ 
nannte, lassen sich jedenfalls alle durch Morphotropie erklären. 


3. Von dem Krystallsystem der zu verändernden Verbindung. 
Es liegt auf der Hand, dafs eine viel gröfsere formändernde Kraft 
dazu gehört, einen regulären Krystall zu alteriren, als einen der 
andern Systeme, weil bei jenem eine blofse Änderung der Win- 
kel, ohne einen vollständigen Weehsel des Krystallsystems, un- 
möglich ist. 


4. Von der relativen Stellung der neu eintretenden Gruppe zu 
den andern Atomen des Molecüls. Aus einem oben angeführten 
Beispiele scheint hervorzugehen, dafs der Eintritt derselben Gruppe 
an verschiedenen Stellen des Molecüls dieselbe Axe, aber in ver- 
schiedener Weise ändert. Von der gröfsten Wichtigkeit für die 
Beantwortung dieser Frage würde die Vervollständigung der kry- 
stallographischen Kenntnils der beiden Isomeren des Resorcin, 


nämlich des Brenzcatechin und Hydrochinon, sein, welche ich da-. 


her ausführen werde, sobald es mir gelingt, die betreffenden Sub- 
stanzen in geeignetem Zustande zu erhalten. 


Als sicher ist indefs wohl anzunehmen, dafs die Krystall- 
formen isomerer Körper stets verschieden sind, und zwar 
18* 


256 Gesammtsitzung' 


um so mehr, je gröfser ihre chemische Verschiedenheit durch die 
Art ihrer Isomerie ist. 


Wenn gewisse Atomgruppen, wie HO und NO,, nur solche 
Änderungen hervorbringen, dafs die neuen Formen noch mit den 
frühern vergleichbar sind, so entsteht die Frage, ob es nicht auch 
unter den Metallen solche mit geringer morphotropischer Kraft 
giebt. Dann müfste eine (Hhaltige) Säure mit dem Salze, welches 
das betreffende Metall für H enthält, im Verhältnifs der Morpho- 
tropie stehen. Dies ist in der That der Fall; doch ist die Zahl 
der, zur Aufsuchung solcher Beziehungen benutzbaren, krystallo 
graphisch untersuchten Säuren und Salze eine sehr geringe, weil 
man nur diejenigsn in Betracht ziehen kann, bei welchen Säure, 
wie Salz wasserfrei krystallisiren.') 

Es liegen aus der Gruppe der aromatischen Säuren zwei Bei- 
spiele vor: 

1. Die Form der Pikrinsäure (Trinitrophenol) wird 
durch den Eintritt eines Kalium-Atoms für H nur in einer 
Richtung geändert. Es ist: 


2;3b:o 
Pikrinsäure: C,H;(NO;,);.OH: Rhombisch: = 0;937 :1.:.0,974, 
Pikrins: Kak: C,H,(NO,)ı.OKasız un din. 10,912 212022 


Ammonium bringt hier dieselbe Änderung hervor, d.h. das 
Ammoniumsalz ist dem Kaliumsalz isomorph. 

%. Ähnlich verhalten sich zu einander Phtalsäure (nach 
Hrn. Scheibler) und saures phtals. Ammonium (letzteres 
nicht sehr genau von Gerhardt gemessen): 

a:b:c 
Phtalsäure: C,H,(COOH)(COOH): Rhombisch: 0,855: 1: 1,363, 
Phtals. Am- 


monium: C,H,(COOH)(COOAm): „ 5 0,453 :1:1,327. 


1) Man kennt noch nicht die Rolle, welche in Verbindung mit anderen 
Körpern das Wasser in krystallographischer Hinsicht spielt. Dies ist ein 
specieller Fall der allgemeinen Frage nach dem Zusammenhang der Krystall- 
form einer molecularen Verbindung mit den Formen der beiden Be- 
ständtheile, einer Frage, auf welche ich in einer spätern Mittheilung zurück- 
zukommen hoffe. 


vom 28. April 1870. 257 


Kalium und Ammonium haben also eine morphotropische 
Kraft in Bezug auf die Pikrin- und die Phtalsäure, welche sich 
mit der von HO und NO, vergleichen läfst. Da sie fast in allen 
Verbindungen isomorph sind, so mu[s man ihnen eine nahe gleiche 
specifische morphotropische Kraft zuschreiben. Ob deren Äufse- 
rung allgemein eine ähnliche ist, wie in obigen Fällen, mufs vor- 
läufig dahingestellt bleiben. Dafs diese Beziehungen jedoch über 
den Kreis der hier besprochenen Verbindungen hinaus verfolgt zu 
werden verdienen, darauf deutet ein Beispiel hin, dessen Kenntnifs 
wir Hrn. Rammelsberg verdanken (Berichte d. d. chem. Ges. 
1870): 

Die beiden Salze 

HTl,PO,-+aq 
und H,NaPO, + aq 
zeigen eine bemerkenswerthe Ähnlichkeit ihrer Form; dem zweiten 
ist sicher isomorph das entsprechende Thalliumsalz; wir hätten 
also zu vergleichen, wobei R das Alkalimetall bedeutet: 
H,RPO,+aq und HR,PO, aa. 
Die Axenverhältnisse sind für den angegebenen Fall: 

1) H,RPO, +aq: Rhombisch: a:b:c = 0,934: 1: 0,657. 
2) HR,PO, tag: 9 9 >= 0,931:1: 0,782. 
Also eine Morphotropie durch den Eintritt eines zweiten R- 
Atoms, in ganz derselben Weise, wie oben beim Kalium (Hr. Ram- 
melsberg, s. a. a. O., war, um die beiden Salze in das Gewand 
der Isomorphie zu kleiden, zu der Annahme gezwungen, die 
Hauptaxe c der einen Substanz müsse mit dem Coöäfficient 2 auf 
die der andern bezogen werden). — Ebenso verhalten sich zu ein- 

ander die beiden monoklinen Salze: 
H,TIPO,;: a:b:c = 3,175:1:1,458., = 88° 16". 
HAm,PO,:„ „ = 3,043:1:1,198. , = 88° 0". 
Hier ist also ebenfalls nur die Axe ce durch die Substitution eines 
H durch ein Alkalimetall-Atom verändert worden. 


Hier bietet sich also, besonders mit Rücksicht auf die Bezie- 
hungen zwischen Isomorphie und Morphotropie, der weitern For- 


258 Gesammtsitzung vom 28. April 1870. 


schung ein weites und ergiebiges Feld dar, auf welches in dieser 
ersten Mittheilung über den Gegenstand nur hingewiesen werden 
konnte. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


R. G. Stillfried, Beschreibung und Geschichte der Burg Hohenzollern. 
Berlin 1870. 8. 

Abhandlungen herausgegeben vom naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen. 
2. Bd. 2. Heft. Bremen 1870. 8. 

Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. 22. Bd. 1. Heft. Ber- 
lin 1870. 8. | 

Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1870. 20. Bd. 
Jan.—März. Wien 1870. 8. 

Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt. Jan. 1870. Wien 
1870. 8. 

Bericht des naturwissenschaftlichen Vereins in Pesth. Pest 1869. 4. 

Archivio per la zoologia. Vol. II, 1. Torino 1870. 8. 

Dumast, De la sericulture. Nancy 1870. 8. 

Schuchardt, Über einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen. 
Gotha 1870. 8. 


In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuerdings 
folgende akademische Abhandlungen aus dem Jahrgang 1869 er- 
schienen: 


EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikroskopi- 
schen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko. | 
Preis: 1 Thir. 15 Sgr. | 
Lepstus, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen und 
einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie. nn 
Preis: 15 Sgr. | 
Rorn, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine. 
Preis: 3 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf. 
MaAcntus, Über Emission, Absorption und Reflexion der bei niederer Tem- 
peratur ausgestrahlten Wärmearten. | 
Preis: 15 Sgr. 
BUSCHMANN, Grammatik der sonorischen Sprachen: vorzüglich der Tarahu- 
mara, Tepeguana, Cora und Cahita; als IX. Abschnitt der 
Spuren der aztekischen Sprache. 2. Ahth. der Artikel, das 
Substantivum und Adjectivum. 


Preis: 3 Thlr. 15 Sgr. 

Rorn, Über den Serpentin. 
Preis: 14 Sgr. 

HAGEN, Über die Bewegung des Wassers in cylindrischen, nahe horizonta- 


len Leitungen, und über die Bewegung des Wassers in vertikal 
. abwärts gerichteten Röhren. 


Preis: 12 Sgr. 


Zur Nachrickt. 


In den Abhandlungen der Akademie sind in den Jahrgängen 1852, 
1853, 1862, 1864 keine Mathematischen Klassen enthalten. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


Mai 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond. 


5. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Ehrenberg gab ausführliche Mittheilungen über die 
wachsende Kenntnifs des unsichtbaren Lebens als fels- 
bildende Bacillarien in Californien, von denen folgender 
Auszug hier mitgetheilt wird. 


Da noch immer bis heut auch die ungebundensten Natur- 
anschauungen, dem Leben einen materiellen Anfang zuzuschreiben, 
ohne Beweis im Bereiche der Speculation geblieben sind, so scheint 
es wohl bemerkenswerth, dafs sich die Verbreitung der Lebensthä- 
tigkeit in den, den gewöhnlichen Sinnen des Menschen unzugäng- 
lichen, dem kleinsten Raume zugewandten Verhältnissen auffallend 
erweitert. Es war zuerst das Kalkelement, das 1838 jenseits der Gren- 
zen des natürlichen Sehorgans, als des schärfsten Sinnes, am ergie- 
bigsten verfolgt werden konnte. Diesen Polythalamien-Kalk Soldani’s, 
nach D’Orbigny öfter Foraminiferen-Kalk genannt, sehr verschie- 
den von den mit blofsem Auge erkennbaren früheren Auffassungen, 
welche ausführlicher 1838 in den Abhandlungen der Akademie in 
Übersicht gebracht worden und deren felsbildende Formen unter 
dem Namen der Nautili und Miliolae bewundert worden sind, hat 
die weiter fortgesetzte mikroskopische Forschung zu noch wirksa- 
meren Lebensverhältnissen seitdem verfolgt. Nicht nur Hunderte 
oder Tausende von Lebensformen sind in jedem Kubikzoll der 


kreideartigen Massen nachgewiesen worden, sondern die neuere 
[1870] | 19 


260 Gesammtsitzung 


Beobachtungsmethode hat damals schon Hunderttausende und oft 
noch weit mehr solcher unsichtbarer Lebensbestandtheile bis zur 
Hälfte der Masse zur Kenntnils gebracht. 

Gleichzeitig mit diesen Erkenntnissen hat sich seit 1836 auch 
das Kieselelement durch das Mikroskop erschliefsen lassen und 
wenn diese Erkenntnisse bisher sich mehr in lokalen, wenig aus- 
gebreiteten Oberflächenverhältnissen darstellbar machen liefsen, so 
trat schon im vorigen Jahre ein so weit ausgebreitetes Wirken die- 
ses Lebens in Mexiko hervor, dafs es die früheren weit übertraf. 
Noch weit gröfsere Verbreitung hat in jüngster Zeit dieses unsicht- 
bare und doch hohe Felsen bildende Leben in Californien erken- 
nen lassen, worüber ich heute der Akademie einige Mittheilungen 
zu machen gedenke. | 

Die am Schlufse des für die Abhandlungen der Akademie be- 
stimmten Vortrages zusammengestellten Ergebnisse sind hauptsäch- 
lich folgende: 

1. Die in den Jahren 1845, 1849 und 1853") durch die Be- 
mühungen amerikanischer Gelehrter meiner Analyse zugeführten 
Gebirgsproben aus Kieselschalen von Bacillarien sind durch fort- 
gesetzte Nachforschungen bei Gelegenheit der grolsen Eisenbahn- 
arbeiten vom Mississippi bis zum Stillen Ocean in noch weit 
grölsere Massenverhältnisse eingetreten, SO dafs in mehreren Tau- 
send (engl.) Quadratmeilen Ausdehnung vielfache Wiederholungen 
solcher Bänke aufser Zweifel gestellt sind, deren Mächtigkeit sogar. 
bis 1000 Fufs beträgt. "Sie haben meist die Farbe des weilsen 
Pfeifenthons. 

9. Die organischen Formen der hier vorgelegten Analysen 
aus fünf neuen Örtlichkeiten, welehe sämmtlich im Hochlande von 


Californien in 4200-6000 Fufs Erhebung vorkommen, gehören in | 


Übereinstimmung mit den drei früher publieirten Analysen aus 
Oregon und der ealifornischen Küste schon bekannten Gestaltun- 
gen, also keiner neuen Klasse noch Familie des Organischen an. 
3, Es ist bemerkenswerth, dafs die californischen grofsen Ab- 
lagerungen dieser Art mit den von Mexiko angezeigten mannigfach 
übereinstimmen und. mit diesen zusammen So bedeutende Ober- 
Aächenverhältnisse gleichartig erscheinen lassen. 


1) In dem Monatsbericht vom Februar d. J. ist irrthümlich das Jahr 
1843 anstatt 1853 angegeben. 


vom 5. Mai 1870. 361 


4. Ein wesentlicher Unterschied der californischen Bacillarien- 
bänke von den mexikanischen hat sich darin begründen lassen, dafs 
während in Mexiko die mikroskopischen Elemente solcher Biolithe 
sich in zwei grolse Massenverhältnisse reiner Süfswasserbildung im 
Hochlande scheiden, in Polygastern-Biolithe und Phytolitharien- 
_ Biolithe, mit entschiedenem Ausschlufs von Meeresformen, die cali- 
fornischen grolsen Felsbildungen nur in einer Lokalität am Fallriver 
den reinen Sülswasser-Character, jetzt auch hier zweifelhaft, gezeigt 
haben, und in Californien an den Küsten Meeresgebilde in den 
Biolithen überwiegen, auch im Hochlande dergleichen überall den 
Sülswasserbildungen vereinzelt eingestreut sind. 

5° In Californien ist eine Bedeckung dieser Biolithschichten 
_ durch vulkanische Tuffe, Geröll, Sandstein, auch sehr häufig durch 
Basalt angezeigt, zuweilen in einer Mächtigkeit von 100 Fufs und 
mehr und über grofse Wüstenflächen sich verbreitend. 

6. Aus den bisher analysirten Proben ergiebt sich kein Ein- 
fluls vulkanischer Hitze auf die wohlerhaltenen Kieselschalen oder 
deren Bruchtheile.. Ebensowenig haben aber organische Erfüllun- 
gen derselben ihre fortdauernde Lebensfähigkeit bekundet. Es sind 
überall abgestorbene fossile Verhältnisse. 

7. Besonders im Nevada-Distrikt sind die Zahlenverhältnisse 
der californischen Bacillarien-Massen denen von Bilin in Böhmen 
vergleichbar, da sie sich ebenfalls auf rundliche Gallionellen be- 
ziehen, obschon eine reichliche Zwischenmasse, anscheinend von 
Kieselmark, dabei erkennbar ist. 

8. Da das schwach bläuliche oder farblose Wasser in seiner 
Verbindung mit Luft als schneeweifser Schaum erscheint, so mö- 
gen auch diese an sich durchsichtigen und farblosen Bacillarien- 
Schalen durch ihr zelliges Gefüge und ihre Zwischenräume die 
weilse Farbe als reflectirtes Licht bedingen. 

9. Die Reinheit der thonartig weilsen mächtigen Schichten 
von allen vulkanischen Bestandtheilen läfst schlielsen, dafs in der 
Bildungszeit jener bis 500 und 1000 Fufs hohen Lager vulkanische 
Eruptionen und Projectile gar nicht stattgefunden haben, vielmehr 
eine ruhige Fortbildung entweder unter Wasser oder unter einer 
festen Bedeckung anzunehmen sei. Wären die jetzt auf diesen 
Schichten lagernden vulkanischen Eruptivstoffe auf die unbeschützte, 
nur vom Wasser bedeckte feine Biolithmasse aufgeworfen worden, 
so würden sie nothwendig in dieselbe haben eindringen und sich 
19* 


262 Gesammtsitzung 


mit ihr vermischen müssen. Es scheint hieraus der Schlufs be- 
rechtigt zu sein, dafs die Auflagerung der Projectilen nur erst nach 
Ablauf des Wassers und Abtrocknung der Biolithe stattgefunden 
haben könne. Ebenso ist die Abschwemmung dieser Massen aus 
den obern Seegründen in tiefer liegende Bassins, sowie jede tumul- 
tuarische Bewegung von dabei stets unreinen Gewässern deshalb 
nicht denkbar, weil solche Trübungselemente vorherrschend fehlen. 
So scheinen denn, wie in Mexiko, auch hier ruhige Ablagerungen 
die überwiegende Reinheit der Biolithe zu bedingen. 

10. Die Mischung von Spongolithen und Meeresformen in 
den californischen Bacillarien-Biolithen erlaubt nicht an jene Vor- 
stellung der Entwicklung unter Haideboden zu denken, die ich bei 
Gelegenheit der Lüneburger-Lager in Ebsdorf und Oberohe 1847 in 
Betracht gezogen habe, da beide genannte Formen zu zahlreich sich 
finden. Auch ist die Vorstellung, dafs die beigemischten Meeres- 
formen aus einer vorweltlichen fossilen Ablagerung zufällig beige- 
mischt seien, deshalb nicht annehmbar, weil dieselben so vereinzelt, 
stetig und in geringer Variation beigemischt sind. 

11. Die an der californischen Küste vorhandenen wirklichen 
Meeresablagerungen zeigen einen mafsgebenden und ganz verschie- 
denen Character des dortigen Meeres. Dieser Character ist auch 
von ansehnlichem Gewicht den neueren Vorstellungen gegenüber, 
als sei der Meeresgrund einer Fortsetzung der Kreidebildung ver- 
gleichbar, welche von Forbes ausgesprochene Ansicht seit 1854 da- 
hin abgeändert ist, dafs der jetzige Meeresgrund überall nicht der 
polygasternlosen Kreide, sondern den mit Polygastern und Poly- 
ceystinen erfüllten neueren (sieilianischen) Mergeln anzureihen ist. 

12. In Californien giebt es wie in Mexiko reine Kieselbiolithe 
von Bacillarien und mergelartige durch Beimischung von kohlen- 
saurem Kalk. In beiden Hochländern ist der die Mergel bildende 
kohlensaure Kalk ohne alle Spur von Meeresgebilden, ohne Poly- 
thalamien, aber durch Cypriden-Schalen characterisirt, deren Mas- 
sen durch sehr zahlreiche Fragmente bezeichnet sind, während ein 
formloser feiner Kalkmulm nur die weitere Auflösung solcher Mas- 
sen zu erkennen geben mag, wenn er nicht aus dem einst kalkhal- 
tigeren Wasser bei Abkühlung sich abgesetzt hat. 

13. Die Zahl der mit den jetztlebenden übereinstimmenden 
Formen des Hochlandes beträgt von den bis jetzt in Californien | 
ermittelten über 230 Arten 121, so dals c. 112 Formen übrig blei- | 


vom 5. Mai 1870. 263 


ben, von denen jedoch nur etwa 52 neue Arten characteristisch 
sind. | 

14. Die hauptsächliche Massenentwicklung scheint, wegen des 
Mangels sehr kleiner, gleichartiger, die halbe Gröfse der Gröfsten 
nicht erreichenden Formen nicht durch Keimbildung, sondern durch 
Selbsttheilung erfolgt zu sein. 

15. Da die Mächtigkeit der californischen Lager beobachtungs- 
gemäls in den vulkanisch thätigen Gegenden am gröfsten sein soll, 
so dürfte die Bodenerwärmung und der gröfsere Kieselgehalt war- 
mer Gewässer zu den Bedingungen dieser Erscheinungen allerdings 
auch nach Professor Whitney’s Auffassung so annehmbar sein, wie 
die auf der Insel Ischia 1858 gewonnenen Erfahrungen mit denen 
. aus Malka in Kamtschatka 18453 bereits direkt angezeigt haben, 
wozu auch die 1840 von Carl Ritter mitgebrachten heilsen Quell- 
absätze von der Insel Neo-Kaimene bei Santorin gehören.!) 

16. Kargheit an Kieseltheilen von Gräsern und Mangel an 
bituminösen Erscheinungen characterisiren die californischen Hoch- 
lands-Ablagerungen im Gegensatz zu den mexikanischen und deu- 
ten darauf hin, dafs seit der Bildungsperiode dieser biolithischen 
Massen die Oberflächen Californiens stets wie jetzt sehr vegeta- 
tionsarm gewesen sind. Wenn dagegen die Meeresbiolithe der 
Küste nach Whitney viel bituminöse, industriell zu verwerthende 
Einschlüsse ergeben haben, so geht daraus hervor, dafs jene Küsten- 
striche seit alter Zeit irgendwie vegetationsreich waren, während 
das Hochland stets Wüste war. | 

17. Einer der Hauptgegenstände dieses Vortrags betrifft die 
Wichtigkeit und jetzt schon vorhandene Möglichkeit, durch photo- 
graphische Darstellung zweckmäfsiger Vergröfserungen diesen, jen- 
seits der natürlichen Sinneskraft liegenden Gegenstand von indivi- 
duellen Vorstellungen ganz abzulösen und objectiv zu machen, wo- 
durch die Photographie ihre Wichtigkeit für mikroskopische Zwecke 
und bei gehöriger Vorsicht grolsen Werth erlangt. 

So treten denn immer neue grolse Gebirgsmassen verschiede- 
ner Stoffelemente als Überreste nicht der Zerstörung, sondern 
eines ehemaligen unsichtbar wirkenden organischen Lebens in die 
Erscheinung. Wer möchte nicht fragen, wie tief und weit diese, 


1) Monatsberichte 1840 p. 206. 


264 Gesammtsitzung vom 5. Mai 1870. 


auch den schärfsten menschlichen Sinnen entzogenen Lebenskräfte 
und Lebenswirkungen reichen und sich den ferneren Nachforschun- 
gen erschliefsen mögen. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preufs. Rheinlande u. West- 
phalens. 26. Jahrg. Bonn 1869. 8. 

Joseph Hyrtl, Die Bulbi der Placentar- Arterien. Wien 1870. 4. 

—, Die Blutgefäfse der menschlichen N achgeburt. Wien 1870. 4. Mit 
Begleitschreiben des Verf. v. 29. April 1870. 

Berichte über die Verhandlungen d. K. Sächs. Gesellsch. der W issenschaften 
zu Leipzig. Mathem.-Physik. Klasse. 1867. III. IV. 1868. I. II. III. 
1869. I. Leipzig. 4 Hefte 8. 

Abhandlungen. 14. Bd. Leipzig 1869. 8. 

Preisschriften, gekrönt und herausgegeben von der Fürstl. Jablonowski’schen 
Gesellschaft in Leipzig. Leipzig 1870. 8. (Mit 1 Mappe, enthaltend 
15 Tafeln.) 

Sitzungsberichte der k. bayr. Akad. d. Wissensch. zu München. 1870. 1. 
1. Heft. München 1870. 8. 

Proceedings of the London Mathematical Society. Vol. II. London 1869. 8. 

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. 
1868, 1870. no.1. | 

Silliman, Journal of science. no. 145. New Haven 1870. 28. 


9. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Rödiger sprach über einige zum Theil fragmen- 
tarische phönikische Inschriften aus Cypern. 

Die Insel Cypern hat sich nächst dem karthagischen Gebiet 
bisher als der reichste Fundort phönikischer Inschriften erwiesen. 
Die Ausgrabungen haben in den letzten Jahren wieder eine grolse 


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Cit. XLVI. 


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264 Gesammtsitzung vom 5. Mai 1870. 


auch den schärfsten menschlichen Sinnen entzogenen Lebenskräfte 
und Lebenswirkungen reichen und sich den ferneren Nachforschun- 
gen erschliefsen mögen. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preu/s. Rheinlande u. West- 
phalens. 26. Jahrg. Bonn 1869. 8. 

Joseph Hyrtl, Die Bulbi der Placentar- Arterien. Wien 1870. 4. 

—, Die Blutgefäfse der menschlichen Nachgeburt. Wien 1870. 4. Mit 
Begleitschreiben des Verf. v. 29. April 1870. 

Berichte über die Verhandlungen d. K. Sächs. Gesellsch. der Wissenschaften 
zu Leipzig. Mathem.-Physik. Klasse. 1867. TIL. IV. 1868. 1. 11.2117 
1869. I. Leipzig. 4 Hefte 8. 

Abhandlungen. 14. Bd. Leipzig 1869. 8. 

Preisschriften, gekrönt und herausgegeben von der Fürst. Jablonowski’schen 
Gesellschaft in Leipzig. Leipzig 1870. 8. (Mit 1 Mappe, enthaltend 
ı5 Tafeln.) 

Sitzungsberichte der k. bayr. Akad. d. Wissensch. zu München. 1870. 1. 
1. Heft. München 1870. 8. 

Proceedings of the London Mathematical Society. Vol.II. London 1869. 8. 

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. 
1868, 1870. no.1. | 

Silliman, Journal of science. no. 145. New Haven 1870. 8. 


9. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Rödiger sprach über einige zum Theil fragmen- 
tarische phönikische Inschriften aus Cypern. 

Die Insel Cypern hat sich nächst dem karthagischen Gebiet 
bisher als der reichste Fundort phönikischer Inschriften erwiesen. 
Die Ausgrabungen haben in den letzten Jahren wieder eine grolse 


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Sitzung. der philosoph.-histor. Klasse vom 9. Mai 1870. 265 


| Ausdehnung gewonnen und eine beträchtliche Menge von Alterthü- 
| mern, phönikische, griechische und einheimisch-ceypriotische zu Tage 
| gefördert, darunter auch eine gute Anzahl phönikischer Inschriften. 
Die ersten in Europa bekannt gewordenen cyprischen Inschriften 
| sind die, welche Richard Pococke im J. 1738 an Ort und 
| Stelle copirte und im 2. Bande seiner Reisebeschreibung (Descrip- 
tion of the East. London 1745) publieirte. Bald darauf sah ein 
| englischer Arzt Namens Porter die Steine wieder, nahm bessere 
| Copien davon und brachte Einen derselben, Nr. 2 bei Poc., nach 
' England, der seitdem in Oxford in der Bodlejana aufbewahrt wird. 
| Spätere Reisende haben vergebens nach den übrigen Steinen ge- 
| sucht, namentlich auch Carsten Niebuhr (s. Deutsches Museum, 
April 1787, S. 300 ff. und den von Olshausen im J. 1858 edir- 
| ten 3. Band von Niebuhr’s Reisen $. 23). Schliefslich brachte 
| man in Erfahrung, dafs ein türkischer Gouverneur schon im J. 
| 1749 jene Steine zum Bau einer Wasserleitung verwendete, und 
| zwar sollen sie zu Kalk verbrannt worden sein. S. Gesenius, 
‚ seripturae linguaeque Phoeniciae monumenta, p. 123. Schröder, 
| die phöniz. Sprache, Halle 1869, S. 48. 

Unter den 33 Inschriften Pococke’s, welche alle zu den 
Ruinen des alten Kition gehörten, sind aber zwei, Nr. 9 und 19, 
gar nicht phönikisch, sondern armenisch. Ich habe zuerst darauf 
aufmerksam gemacht (in einer Anzeige des erwähnten 3. Bandes 
der Niebuhr’schen Reise) in den Halle’schen Jahrbüchern 1338, 
Nr. 30, S. 235, nachdem im J. 1837 auch Gesenius, der sie mit 
| seinen Vorgängern noch für phönikisch hielt, a. a. ©. p. 139 ge- 
| sagt: „de Cit. IX (et XIX) legenda et omnes desperarunt et ego 
| despero.* Die Pococke’sche Zählung und Bezeichnung wurde 
| demungeachtet beibehalten und fortgeführt. Zunächst wurden drei 
| vonL.Ross mitgetheilte, auch von mir in Ross’ Hellenica I. (1846 
U 8.118 ff.) behandelte Inschriften als Citiensis XXXIV, XXXV und 
 XXXVI bezeichnet, dann fünf vom Grafen de Vogüe gefundene 
' als Cit. XXXVII—XLI (im Journ. asiat. VI® ser. tom. X. 1867, - 
 p.65 ff, auch in dessen Melanges d’archeol. orientale p. 1 ff.). 
| In dieser Zählung fortfahrend bezeichne ich die jetzt vorge- 
| legten kleinen Inschriften, die wohl alle aus Kition oder dessen 
nächster Umgebung stammen, mit Cit. XLII u. s. w. Die Originale 
gehören sämmtlich zu der reichen Sammlung des Hrn. S. di Ces- 
nola, amerikanischen Consuls in Larnaka. Die Copien sind mir 


266 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


von Hrn. Lepsius mitgetheilt, wir verdanken sie der gütigen Ver- 
mittelung unseres correspondirenden Mitglieds, des hiesigen ameri- 
kanischen Gesandten Hrn. Bancroft. Die Inschriften sind bis 
auf ein paar Ausnahmen sehr kurz, zum grölsten Theil fragmen- 
tarisch, von Stücken zerbrochener Alterthümer entnommen, aus de- 
ren Überbleibseln sich schwerlich immer ein sicherer Schlufs auf 
Form und Bestimmung des Ganzen machen liefs. Es fehlt mir 
daher, mit einer Ausnahme (s. unten zu Cit. XLII u. XLIII) 
jegliche Notiz solcher Art, was die Deutung und Beziehung der 
Inschriften sehr schwer und unsicher macht. Selbst das Fehlen 
einer Notiz über das Material eines Monuments kann unter Um- 
ständen leicht irre führen, wie es z. B. vorgekommen ist, dafs man 
nach einer paläographisch und sprachlich allenfalls zulässigen und an 
sich scharfsinnigen Conjeetur eine Inschrift von der Widmung eines 
Altars aus Cedernholz reden liefs, während sich dann auswies, 
dafs der Altar Marmor war. 

Was den Fundort der Inschriften betrifft, so findet sich nur 
bei zweien der mir vorliegenden Copieen (Cit. XLII u. XLIM) be- 
merkt, dafs sie in den Ruinen der Stadt Kition gefunden worden. 
Wahrscheinlich kann aber diese Bemerkung auch für die übrigen 
oder doch für die meisten derselben gelten. Wenigstens sagt Ge. 
Colonna Ceccaldi in seinem Artikel „Decouvertes de Chypre“ 
(Revue archeol., Jan. 1870, p. 26), dals Hr. Cesnola bei den 
Ausgrabungen, die er auf einem etwa 15 Meter hohen, in geringer 
Entfernung südwestlich von Larnaka, also im Bereich des alten 
Kition gelegenen Hügel machen liels, Reste von Mauerwerk und 
Substructionen von kleinen Mauersteinen zu Tage legte und eine 
ziemlich grofse Anzahl zerstreuter, mit phönikischer Schrift verse- 
hener Marmorstücke sammelte. Zu diesen werden wohl die mei- 
sten der uns vorliegenden Inschriften, wenn nicht allesammt gehö- 
ren, unter welcher Voraussetzung ihre grofsentheils fragmentarische 
Beschaffenheit sich erklärt. Auch nehmen sich die Schriftzüge so 
aus, als seien sie mit Leichtigkeit in ein nicht allzu hartes Material 
eingeschnitten, wozu die Angabe von Marmorstücken recht wohl 
palst. In dem erwähnten Artikel ist auch von andern Ausgrabun- 
gen die Rede, namentlich von einem Gräberfund, wo irdene Ge- 
fäfse verschiedener Art, u.a. auch Krüge (des jarres) mit phöniki- 
schen schwarz gemalten Inschriften (tracdes @ l’encre) zu Tage ka- 
men; doch wird dabei der Name Cesnola nicht genannt. Von Be- 


vom 9. Mai 1870. 967 


lang für die richtige Auffassung der Inschriften könnte es unter 
Umständen auch sein zu wissen, welcher Art und Form und zu 
welchem Gebrauche die Monumente waren, denen sie angehören. 
Aber auch darüber habe ich nur eine kurze Notiz in der Beischrift 
zu der Copie von Cit. XLII: „Fragments des coupes ou vasques“, 
‘die ich indefs schon wegen ihrer Fassung auf alle Stücke zu be- 
ziehen ein Recht zu haben glaube.. 

Es würde freilich als ein glücklicher Umstand zu betrachten 
sein, wenn diese zertrümmerten Alterthümer, diese Trinkgefälse, 
Schalen und dgl. sammt den Inschriften noch vollständig und un- 
versehrt vorhanden wären; aber immerhin halte ich’s der Mühe 
werth, diese Überreste phönikischer Steinschriften zu publiciren, 
wenngleich fast alle äufserst kurz sind, ja von mehreren derselben 
nur ein Wort, ein Name oder ein paar Buchstaben übrig sind. 
Immer noch sind der bekannt gewordenen phönikischen Schriftmo- 
numente so wenige, unsere daraus allein oder doch hauptsächlich 
zu schöpfende Kenntnifs der phönikischen Sprache und des phöni- 
kischen Alterthums, trotz der anerkennungswerthen Erfolge neuerer 
Forschungen, in lexicalischer Hinsicht noch so dürftig, in gramma- 
tischer zum Theil noch so unsicher, in sachlichen Beziehungen 
noch so lückenhaft, dafs jeder neu auftauchende Text leicht irgend 
eine Erweiterung, eine erwünschte Bestätigung oder ein Correctiv 
unserer bisherigen Kenntnisse an die Hand giebt. Auch die neuer- 
lich, besonders von de Vogüe glücklich angebahnte Geschichte der 
phönikischen Schrift, die uns allmählig einen festeren Anhalt für 
die Beurtheilung des Zeitalters der Monumente geben mufs, bedarf 
noch der Vermehrung urkundlicher Zeugnisse. Und so glaube ich 
keinen Tadel der Kenner fürchten zu müssen, wenn ich auch den 
an sich unbedeutendsten epigraphischen Fragmenten, über deren 
Sinn und Bedeutung ich vielleicht kein Wort mit Sicherheit sagen 
kann, den Weg in die Öffentlichkeit nicht versage. 

Die auf der beigegebenen Tafel abgebildeten Inschriften will 
ich an diesem Orte nicht mit einem ausführlichen Commentar ver- 
sehen, wozu sie sich kaum eignen; ich beschränke mich darauf, 
sie in hebräische Schrift umzuschreiben und kurze Bemerkungen 
oder Vermuthungen zu ihrer Erklärung zu geben ohne alle Mög- 
lichkeiten der Deutung zu erschöpfen. Es sind folgende: 

Cit. XLII. rboınund Rd "m “ns wm Unsicher, weil un- 
deutlich, ist der erste Buchstab, er könnte allenfalls auch ein n 


268 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sein, doch sehe ich darin eher ein m. Der vierte Buchstab scheint 
oben defect zu sein, ich ergänze ihn zu einem ”. Auch der letzte 
ist zweifelhaft, 7, oder y, oder zu x zu ergänzen, oder zu p, wenn 
es nicht etwa ein 7 sein soll. — Wie ich die Worte der Inschrift 
abgetheilt habe, würden sie bedeuten können: Eilends bringe 
Segen (Begrüfsung) von mir meinem Herrn, dem Esmun- 
milleth (oder E$munmalach). wm Imper. eile, oder als Adv. 
eilends, wie hebr. ws Ps. 90, 10. 132 Imper., segnen, auch in 
den verwandten Sprachen für Glück wünschen, grülsen, frei- 
lich gewöhnlich mit dem Acc. der Person, hier dem = gegenüber 
mit &. Am Ende der Zeile steht einer der besonders in cyprischen 
und karthagischen Inschriften viel vorkommenden, mit dem Got- 
tesnamen Esmän (= AZKAHIIOS, AESCOLAPIUS in der Sardi- 
nischen Trilinguis) zusammengesetzten Personennamen. Der zweite 
Theil dieses Compositums ist zweifelhaft wegen der Unsicherheit 
des letzten Buchstab’s.. Für nn finde ich keine passende Bedeu- 
tung, wenn es nicht etwa für v>n steht und der Name Esmün 
hat gerettet bedeutet. Dieselbe Bedeutung könnte möglicher 
Weise p5n (s. unten Cit. XLIV), wie auch 3» haben, oder wäre 
dieses var (£onmvsurys, interpres) auszusprechen? (vgl. von als Ap- 
pellativum Cit. XXXVII, 3.5., und das freilich zweifelhafte vanızy 
Cit. XIV, 2); n>n gäbe auch einen Sinn, noch besser aber TB: 
Vgl. überhaupt unten Cit. XLIV. — Unsere Inschrift steht auf 
einem zerbrochenen Gefäls (s. die Tafel) aus weilsem Marmor, wie 
eine Beischrift der Copie besagt. Das Gefäfs mag von einem Un- 
tergebenen als Geschenk an den in der Inschrift genannten Herrn 
übersendet worden sein. Die Form der Anrede an das Gefäfs hat 
etwas Befremdendes; etwas erträglicher wäre sie, wenn man "73 
als Substantiv (Segen) in der Bedeutung Geschenk nähme, wel- 
che das hebr. 7372 und das syr. IA>:sa> hat: Eile, o Gabe, 
von mir zu .... — Wenn freilich die Inschrift vorn defect wäre 
und vor dem beschädigten und etwas unsicheren m des Wortes vn 
noch andere Buchstaben gestanden hätten, dann würde die auffäl- 
lige Anrede vielleicht ganz wegfallen. 

Cit. XLIII. Diese Inschrift steht auf einem Stein, ebenfalls 
weilsem Marmor nach der Beischrift, der nach seiner Form zu ur- 
theilen (s. die Abbildung) wohl als Gewicht gedient hat. Als In- 
schrift müssen wir dann nach Analogie anderer Gewichtstücke die 
Angabe der Schwere des Gewichts erwarten, und darauf deuten 


vom 9. Mai 1870. 269 


die phönikischen Zahlzeichen, die 9 Einer zu je drei gruppirt, da- 
vor das Zeichen für 10, wenn der kleine horizontale Strich am 
Rande der Figur dafür gelten kann, und dahinter vielleicht das 
Wort zbrw, also das Ganze: abpw III IL IN = d.i.19 Sekel. Den 
Schriftzeichen nach wäre indefs diese Erklärung etwas gewagt, denn 
das p kommt nur in aramäischen Schriften bisweilen einigermafsen 
ähnlich vor, und das & nähert sich der Quadratschrift, wenn die 
Figur nicht in der Copie oder auf dem Steine selbst verkümmert 
ist. Eher ist das Wort zu lesen m:3»w d.i. acht. Dann muls man 
aber den Strich am Rande wie auch den letzten sehr kleinen Strich 
der 9 für zufällige und nicht geltende Striche des Steines oder der 
Copie ansehen, so dafs auch die Zahlzeichen nur die Zahl 8 aus- 
drücken, wie solch doppelter Ausdruck einer Zahl, einmal in Zif- 
fern, dann nochmals durch das Zahlwort, oder umgekehrt, be 
kanntlich auch sonst vorkommt, z. B. Sidon. I, 1. Das Wort für 
Sekel oder eine andere Gewichtsbezeichnung ist dann zu ergän- 
zen, was im Phönikischen ebenso gewöhnlich gewesen zu sein 
scheint wie im Hebräischen. Eine Angabe über das wirkliche Ge- 
wicht des Steines liegt mir nicht vor. 

Cit. XLIV. pbosnwnb sand [a] 73% d.h. (Ich) der Die- 
ner meines Herrn (weihet, reicht dar diesen Krug oder dgl.) 
meinem Herrn, dem Esmünmalag. So als Widmung ist diese 
Inschrift jedenfalls zu fassen. Die Ergänzung des vierten Buch- 
staben als x ist unzweifelhaft, unsicher dagegen der letzte Buch- 
stab. Den Schriftspuren nach scheint 7 am nächsten zu liegen, 
obwohl sich p&n oder 7%» nur etwa nach dem arab. ‚il (glätten, 
auch schmeicheln) etwa durch gütig behandeln deuten lielse, 
oder durch retten (auch v>n retten, entschlüpfen lassen geht 
von glatt aus, vgl. lat. elabi), was für den Namen Esmäünmalag 
oder Esmünmilleg eine passende Bedeutung hergeben würde. Vgl. 
oben zu Cit. XLII. 

Cit. XLV. Diese Inschrift setze ich aus zwei Marmorstücken 
zusammen, welche zusammengehört haben und laut einer der Co- 
pie beigeschriebenen Notiz an der Stelle des Bruches an einander 
passen („are fit unto each other“), so dals die Schrift von dem 
einen zum andern ohne Unterbrechung fortläuft. Leider jedoch ist 
auch das Ende der so zusammengefügten Zeile noch defect. Das 
Vorhandene ist: 5*’ewrn>]ba m Es gebe (oder gab) Melkarth 
Ruhm dem... Der bekannte Stadtgott von Tyrus Melkart kommt 


270 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


in den Inschriften gar oft vor, aber stets ist der Name rAp>n 
(pen, "psm) geschrieben mit p, während hier ein deutliches > steht. 
Liest man 5» König oder er hat regiert, so bleibt nS undeutlich. 
Es mag also ein Versehen des Steinhauers sein. Zu bemerken ist der 
Punkt, der hier dreimal als Worttheiler erscheint. Auch in andern 
phönikischen Inschriften findet er sich zuweilen, am consequentesten 
in Cit. II und Tugg., auch schon in der moabitischen Inschrift des 
Königs Mesa. Vor dem Worte ew fehlt der Punkt, doch hebt sich 
dasselbe durch etwas gröfseren Zwischenraum vom vorhergehenden 
ab. Man könnte in graphischer Beziehung mit demselben Recht 
=» lesen; ich ziehe aber rd (Name, Ruhm) vor, weil es hier 
einen passenderen Sinn giebt als &3 (Tag) oder gar z> (Meer). 

Cit. XLVI wieder ein Bruchstück, der Name am Ende aber- 
mals mit E$min zusammengesetzt. Das dem Namen vorangehende 
Wort kaum ein anderes als "x, trotz der Schwierigkeit, das 
zweite offenbar defecte Zeichen zu einem 7 zu ergänzen. Das 
Ganze eine wahrscheinlich nur aus diesen beiden Worten bestehende 
Widmung irgend eines Gefälses oder eines andern Utensil aus Stein, 
dann aber vorn nothwendig durch ein hinzuzufügendes > zu ergän- 
zen, also: ...:mwnb »ı4n[>] d. i. Meinem Herrn, dem ESmün... 
Ich gestehe, dafs diese Operation etwas gewaltsam erscheinen kann, 
ich weifs aber für jetzt über die Vorlage keine andere Auskunft 
zu geben. 

Cit. XLVI. most il Fragment, enthaltend die Zahl 
neun (vgl. oben Cit. XLIII) und das Wort m"= im Monat, dem- 
nach Theil einer Inschrift mit Datum. Der beschädigte Buchstab 
vor 7 ist entweder zu einem 5 zu vervollständigen (nach Sidon. 
16%: an) oder zu 5 (nach Cit. I, 1: x»n 795, Cit. XXX VII, 
RS ORT RVTN ann doch dieses, wenn sich 
die Zahl 9 auf den Monatstag bezieht und demnach =%°=2 voraus- 
gegangen ist, nach Analogie der eben angeführten Stellen das wahr- 
scheinlichere. 

Cit. XLVII. ..» jmobn 5. Die Mitte dieses Bruchstücks 
zeigt uns einen deutlich geschriebenen Namen Malkjathan (oder, 
wie er auch ausgesprochen werden kann, Melekjathan, oder Melek- 
jitten, oder auch Malkithan), der längst aus Cit. IV, 2 und Cit. XX, 2 
bekannt war, der uns aber erst neuerlich in Cit. XXXVII und Cit. 
XXXVII und durch de Vogüe’s glückliche Combination auch in 
Cit. I als der Name eines Königs von Kition (“rs 75») und Idalion 


vom 9. Mai 1870. 971 


. (os=8) entgegengetreten ist. Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dafs 


4 


sich auch hier der Name auf diesen oder einen gleichnamigen König 
bezieht, sofern sich die dem Namen voraufgehenden Buchstaben 5 
leicht zu 7525 ergänzen lassen, welches Wort ihm auch in jeder der 
drei genannten Inschriften voraufgeht, und ebenso der dem Namen fol- 
gende gebrochene Buchstab sich als n erweist und denselben Bei- 
satz vermuthen läfst, welchen die anderen Inschriften haben, näm- 
lich 5>7x4 75 75a König von Kition und Idalion. 

Cit. XLIX. Unter dieser Numer stelle ich die noch übrigen 
mir vorliegenden Copien kleiner und kleinster Schriftstückchen zu- 
sammen, nicht als wenn sie alle zu Einer Inschrift gehört haben 
könnten, sondern nur weil jedes einzelne Stück für sich zu wenig 
Bedeutung hat, um als eine besondere Inschrift neben den obigen 
aufgezählt zu werden. Damit will ich nicht behaupten, dafs nicht 
eins oder das andere seine Selbständigkeit haben könne, wenn es 
z.B. nur den Namen des Besitzers oder den des Verfertigers eines 
Gefälses enthalten sollte; auch ist ja möglich, dafs einige von ihnen 
zu einer und derselben Inschrift oder zu einer der vorangehenden 
Numern gehört haben können; aber, wie sie vorliegen, erscheinen 
sie doch mehr als Trümmer. 

Die einzelnen Stücke dieser Collectivnumer sind: 

a) n»>bo, der bei Cit. XLVIII besprochene Name. 

b) mapbn der Name Melkart, vgl. Cit. XLV. 

ec) "rs wenn selbständiges Wort, vielleicht = hebr. rs meine 
Zeit, oder wie in "es Un der zu gelegener Zeit kommt, 
3 Mos. 16, 21, oder der Personenname »n» 1 Chron. 2, 35 u. a. 

d) Sasmwn s. Cit. XLII. 

e) ma zu lesen 1 74a von diesem Duft, vielleicht in Be- 
ziehung auf ein Gefäls mit wohlriechenden Substanzen, möglicher 
Weise auch ma ein Wort für solches Gefäls, wie hebr. nyupn 


06 
Räucherpfanne, arab. pam Kohlenbecken, oder zu lesen 7 772 vom 


. 


Hauche dieses... u. s. w. 

f) in gewils fragmentarisch, vielleicht die beiden letzten Buch- 
staben von einem der Namen, die auf jn> ausgehen. 

8) nm der erste Buchstab defect, vielleicht 4, aber auch so 
wohl nur Bruchstück eines Wortes. 

h) ws wahrscheinlich .öx Mann, oder das Relativpronomen, 


272 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


wenn die dahinter stehende Spur der Anfang eines folgenden Wor- 
tes war, oder zu jaUn oder dgl. zu ergänzen. 

j) bw die Buchstaben deutlich, der letzte wahrscheinlich das 
Pronomen 7 dieser, aber für x>® (allenfalls x W[x] = hebr. Sin 
»6) vermuthlich x5» zu schreiben und zu lesen non es ist voll, 
oder a>n fülle. 

k) son ganz fragmentarisch. 

]) s’nos vielleicht nA4 Geschlechter und ein unvollständi- 
ges Wort ..=", oder ..S na4 meine Geschlechter in... 

m) x22 d.i. xı2 sein Sohn. 

n) 265 d.i. 232 sie alle, oder in anderem Zusammenhange 
e5a Gefälse, Geräthe, Waffen. 

0) ebram würde ich lesen 265m 531 und der Oberste ihres 
Heeres (oder mit Singular-Suffix: seines Heeres), oder Bon Sur 
und die Menge ihres Reichthums, je nach dem Zusammen 
hange des vollständigen Textes. 

p) .eım vielleicht >» Minen (= j?n auf den assyrischen Ge- 
wichten), Plural von nn eine Mine, griech. uv&, oder E3Ü Jahre. 
Denn der defecte erste Buchstab war offenbar n oder w. Der 
hinter diesem Worte stehende Buchstab läfst sich am Leichtesten 
zu 5 ergänzen. 

gq) on s. oben zu h. 


Hr. Kirchhoff legte die folgende Mittheilung des Hrn. Dr. 
Ulrich Köhler in Athen vor: 


Über zwei Inschriften aus dem äu[lseren Kerameikos 
von Athen. 


Unter den Grabmälern der im Kampfe für das Vaterland Ge- 
bliebenen, welche den vom Dipylon nach der Akademie führenden 
Weg einfalsten, erwähnt Pausanias I. 29, 11 das Vanamıl der im 
Sommer 394 bei Korinth Gefallenen: zeivra: de zur or megı KoowIcv 
mErovres" 2dyAwee 8 0UX%, YıSr & ö SZ, EvraüIe za aüsıs € Ev AN 
a Toüs Ümd "EAMyvwv zaAoumevous dvögsiaus To under aveu FUNKE 
eivar, ei un Sauer Tors zur "A9yvaiwv, erı Ö2 zur 
Bawrwv HgaTHEaVrEeS Ürregov Um Bo:wrwv lMovov ev Asvzrgors Es TOoToV- 


/ . . . . . . 
Fov ®zeruSysev. Mit dieser Angabe darf eine Inschrift in Verbin- 


* 


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ANTI®ANHZ 


®YAAPXOXZ 


MEAHZIAZ ONHTOPIAHZ AYZIOEOZ TANAIOZ NIKOMAXOZ ENKOPRNEIAI 


*% 


NEOKAEIAHZ 


ÄAHMOKAEHZ AEEINERZ ENAHMOZ 


OEATTENOZ $ANHZ 


vom 9. Mai 1870. 273 


dung gebracht werden, welche vor längerer 
Zeit aufgefunden, jetzt erst ans Licht gezogen 
worden ist. 

An dem Wege, welcher sich von der modernen 
Piräusstrafse kurz vor der Kirche ‘Ayı« Tauwda 
in nördlicher Richtung nach der alten Akade- 


mie abzweigt, ungefähr zweihundert Schritt von 


der Piräusstralse, befindet sich rechts ein un- 
förmliches Mauerstück und daneben eine Zie- 
gelbrennerei. In dem Bereiche der letzteren 
ist vor 9 Jahren eine Palmettenkrönung von 
circa 24 Meter Länge aufgefunden worden, auf 
deren unterem Rande die nebenstehende In- 
schrift eingegraben ist. Die letzten Worte 
reichen bis in die Mitte des Steines, dessen 
rechte Hälfte leer ist. Die Kenntnifs dessel- 
ben wird Professor Kumanudis verdankt, 
welcher die Aufschrift zuerst in einer hiesigen 
Zeitung mitgetheilt hat. 

Der angegebenen Vertheilung nach zu 
schliefsen ist die Inschrift so zu lesen, dafs 
nach den Worten os inrins ameSavov Zv Ko- 
givSw zunächst in der zweiten Zeile fortzufah- 
ren ist &duragyos "Avrubavys und ebenso im 
Folgenden, so dafs im Treffen bei Koroneia 
nur der eine Reiter Neo#%.1d45 geblieben wäre, 
Dafs der in der zweiten Zeile an der fünften 
Stelle genannte As&irews bei Korinth gefallen 
war, wissen wir durch das ihm besonders vor 
dem Dipylon errichtete und dort vor einigen 
Jahren wieder aufgefundene Denkmal. Wenn 
es daher auf dem letzteren heilst, Dexileos sei 
gefallen &v KogivSw Tav mevre immewv, SO muls 
sich dies auf eine besondere uns nicht über- 
lieferte‘ Episode jener Schlacht beziehen, denn 
ich finde nicht aus, wie man die neugefundene 
Inschrift so lesen könnte, dafs auf Korinth 5 
Reiter und unter diesen Dexileos kommen, 


274 Sitzung der phys.-hist. Klasse vom 9. Mai 1870. 


Die Angabe des Pausanias über das Grabmal der bei Korinth 
Gefallenen ist so allgemein gehalten, dafs sich nicht mit Bestimmt- 
heit sagen läfst, ob er das neu aufgefundene Denkmal im Sinne 
gehabt habe. Dieses bezieht sich nur auf Reiter, während nach 
dem Schlachtbericht des Xenophon der Verlust der Athener bei 
Weitem gröfser gewesen sein mufs. Es scheint, dafs die Ritter 
ihren bei Korinth und Koronea gefallenen Kameraden ein beson- 
deres Denkmal gesetzt hatten, so wie dem Dexileos seine Anver- 
wandten. 

Dafür dafs das Denkmal des Letzteren vor dem Dipylon ge- 
standen habe, haben die seit einigen Wochen mit glücklichem Er- 
folge wieder aufgenommenen Ausgrabungen bei der Hagia Triada 
ein neues Zeugnils in der nachstehenden, dem Schriftcharakter 
nach in die Mitte des vierten Jahrhunderts gehörigen Inschrift ge- 
liefert: 


Ho P[o]z 
THZOAOYTHEZ 
EAE[YJZ IN AAE 


Die nach Eleusis führende Strafse oder ieo« ööos nämlich mün- 
dete, wie bekannt, in das Dipylon ein, und zwar, wie meines Er- 
achtens aus dem Bericht über die Eroberung Athens durch Sulla 
und den darin gebrauchten Singularen Teer” und ieg« zur mit 
Nothwendigkeit zu schliefsen ist, in den nordwestlichen der beiden 
Thorwege, welche zusammen das Dipylon bildeten. 


Hr. Mommsen legte zwei Handschriften des Antonius Augu- 
stinas aus der Senkenbergischen Bibliothek in Giessen vor. 


Gesammtsitzung vom 12. Mai 1870. 275 


12. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Poggendorff las: Über einige neue, merkwürdige 
Eigenschaften der diametralen Conducetoren an der Elek- 
tromaschine, und eine darauf gegründete Doppelma- 
schine dieser Art. 


Wenn ich hier, nach Analogie mit anderen längst in die Wis- 
senschaft eingeführten Wortgebilden, wie Elektrometer, Elektroskop, 
Elektrophor u. s. w. den Namen Elektromaschine zur Bezeich- 
nung der von Hrn. Dr. Holtz erfundenen Maschine gebrauche, so 
geschieht es nicht aus Neuerungssucht, sondern weil ich ihn für 
passender halte als die bisher vorgeschlagenen. Er ist möglichst 
kurz, unterscheidet die neue Maschine hinreichend von der gewöhn- 
lichen Elektrisirmaschine, und ist dabei von jeder Theorie unab- 
hängig. Namen, welche zugleich eine Theorie aussprechen, wie 
vorzüglich sie auch zur Zeit ihrer Bildung erschienen sein mögen, 
können doch im Laufe der Jahre unzweckmäfsig werden, weil un- 
terdels die Theorie eine andere geworden ist (wie das die einst so 
gerühmte Nomenclatur der antiphlogistischen Chemie zur Genüge 
beweist), und vollends müssen sie beanstandet werden, wenn die 
ihnen zum Grunde gelegte Theorie schon vorweg nicht einwurfs- 
frei ist. 

Daher habe ich mich auch nicht entschliefsen können, den 
Namen Elektrophormaschine anzunehmen, zumal derselbe ge- 
eignet ist, die Originalität und den Werth einer Erfindung, die dem 
Studium der s. g. Reibungs-Elektricität einen so bedeutenden Im- 
puls verliehen hat und noch ferner verleihen wird, in den Augen 
der Urtheilslosen herabzusetzen. 

Meiner reiflichen Einsicht nach hat die Elektromaschine (in 
ihren beiden Gestalten mit einer und mit zwei rotirenden Scheiben) 
nichts weiter gemein mit dem Elektrophor, als dals sie, wie die- 
ser, den unvermeidlichen Zerlegungsprocefs bei allen Wirkungen 
der freien Elektrieität, die Influenz nämlich, zu ihren Zwecken be- 
nutzt, aber in so neuer und eigenthümlicher Weise, dafs sie sich 
dadurch weit mehr vom Elektrophor entfernt, als dieser von der 
Leidner Flasche. 

[1870] 20 


276 Gesammtsitzung 


Eine entladene Flasche ist ein geladener Elektrophor, 
sagt schon der alte Gehler'), und in der That beruht die Ver- 
schiedenheit beider Instrumente weniger auf ihrer Construction als 
auf ihrer Gebrauchsweise. Macht man an der Flasche (oder Fran- 
klin’schen Tafel) einen der Belege beweglich, so hat man ein In- 
strument, welches man ganz nach Belieben entweder als Flasche 
(Tafel) oder als Elektrophor benutzen kann. 

Dennoch hat man von Volta ab bis auf unsere Zeit den Elek- 
trophor immer als ein besonderes, von der Flasche verschiedenes 
Instrument betrachtet, und seinen Begriff auch auf den Fall be- 
schränkt, wo das isolirende Intermedium entgegengesetzte Elektri- 
citäten an seinen beiden Seiten besitzt. 

Hat man aber dazu ein Recht gehabt, so ist man gewils in 
noch höherem Grade befugt, einem Instrument, welches in so we- 
sentlichen Punkten verschieden ist vom Elektrophor, einen Namen 
beizulegen, der nicht an diesen erinnert. 

Darum werde ich es von jetzt ab Elektromaschine nennen, 
ohne damit irgendwie einen Zwang ausüben zu wollen. Wem der 
Name nicht gefällt, mag sich desselben enthalten. Die Zukunft 
wird lehren, welche der vorgeschlagenen Benennungen am Ende den 
Sieg davon trägt. 

Nach diesen Vorbemerkungen will ich zum eigentlichen Ge- 
genstand meiner heutigen Mittheilung übergehen. 


Eigenschaften des diametralen Conductors. 


Der von mir zuerst angewandte schräge oder besser diame- 
trale Hülfseonductor, welcher später von Hrn. Dr. Holtz durch 
Drehbarkeit und Gegenüberstellung quadrantaler Papierbelege an 
der festen Scheibe verbessert worden ist, besitzt eine ganze Reihe 
merkwürdiger Eigenschaften, derentwegen er einen der interessan- 
testen Theile der Elektromaschine ausmacht. 

Er wurde ursprünglich erdacht, um das Erlöschen und Um- 
kehren des Stromes zu verhindern, welches eintritt, wenn die in 
Kugeln endigenden Elektroden zu weit auseinander gezogen wor- 
den und ihnen wohl gar noch Flaschen angelegt sind. Bei trock- 


!) Physikal. Wörterbuch (1787) Bd. 1 S. 827. 


vom 12. Mai 1870. 277 


ner Luft und Reinheit der Glasflächen erfüllt er diesen Zweck, 
einzelne Anomalien abgerechnet, meistens auch sehr gut, und da- 
durch hat er wesentlich dazu beigetragen, die Brauchbarkeit der 
Elektromaschine zu erhöhen, sobald es sich darum handelt, lange 
Büschel und Funken zu erzeugen, oder grofse Flaschen und Batte- 
rien zu laden. 

Dagegen ist er zur Beobachtung der magnetischen Kraft des 
Stromes oder der Erscheinungen in stark verdünnten Gasen ganz 
überflüssig; denn allemal wenn die Elektroden durch einen Leiter 
mit einander verbunden sind, übt er durchaus keine Wirkung aus. 
Selbst wenn die Elektroden in freier Luft in Spitzen auslaufen, 
wirkt er nur äufserst schwach. 

Die Wirkung des diametralen Conductors tritt also nur ein, wenn 
dem Übergang der Elektricität zwischen den Elektroden ein ge- 
wisses Hindernifs in den Weg gelegt ist. Allein — was man bis- 
her noch nicht beobachtet zu haben scheint — sie ist auch abhän- 
gig von dem Winkel, welchen er mit der, die Elektrodenkämme 
verbindenden Horizontallinie macht. Bei meinen früheren Versu- 
chen war ich auf den Winkel von 45° beschränkt, weil meine Ma- 
schine, welche eine von älterer Einrichtung war, keine andere 
Stellung für diesen Conductor erlaubte. Durch die Drehbarkeit, 
welche ihm Hr. Dr. Holtz gegeben hat, kann man nun den Win- 
kel beliebig verändern, und hat dadurch Gelegenheit zu beobach- 
ten, dafs sich der Winkel, von 45° ab, nicht nur ohne Schaden 
bis zu 90° vergröfsern läfst, sobald nur die Papierbelege an der 
Rückseite der ruhenden Scheibe eben so weit reichen, sondern 
auch, dafs er gleichfalls ohne Nachtheil beträchtlich verkleinert 
werden kann. 

Allein es hat dies seine Gränze. Nähert man sich einem 
Winkel von 10° bis 15°, so tritt ein Punkt ein, wo, ungeachtet 
in dem drehbaren Öonductor ein starker Strom vorhanden ist, wie 
man dies im Dunklen an den Licht-Erscheinungen an seinen Käm- 
men sieht, dennoch der Übergang der Elektrieität zwischen den 
Elektroden gänzlich aufgehoben wird. 

Während also der Hülfsconduetor die nutzbare Wirkung der 
Maschine bei gröfsern Winkeln, wenn auch nicht verstärkt, doch 
wenigstens in ihrer Stärke erhält, so dafs man ihn ganz füglich 
Conservator nennen könnte, schwächt und vernichtet er sie 


bei kleinen Winkeln. 


20 * 


278 | Gesammtsitzung 


Der Werth dieses Vernichtungswinkels ist verschieden 
nach dem Abstande zwischen den Elektroden und auch nach dem 
Durchmesser der Kugeln, in welchen die Elektroden endigen. Je 
gröfser dieser Abstand ist, desto gröfser ist auch jener Winkel, 
ohne ihm gerade proportional zu sein. Bei Funken von 7 bis 8 
Zoll Länge kann er wohl auf 30° und darüber steigen. 

Auch bleiht der Winkel bei Fortdauer des Stromes nicht con- 
stant. Anfangs genügt vielleicht schon ein Winkel von 30° um 
die Funken zu unterdrücken; allein bei fortgesetzter Drehung der 
Maschine kommen sie wieder zum Vorschein, und es bedarf zu 
ihrer Vernichtung einer abermaligen Reduction des Winkels, welche 
sich nach einiger Zeit vielleicht aufs Neue als ungenügend erweist, 
bis man endlich zu einem Minimalwerth gelangt, bei dem die Fun- 
ken bleibend verschwinden. 

Aber was besonders bemerkenswerth ist: jener Winkel ist auch 
bei gleicher Gröfse des gegenseitigen Abstandes der Elektroden 
verschieden nach der Lage desselben zwischen den Elektrodenhal- 
tern. Der nämliche Winkel, der, wenn dieser Abstand auf Seite 
des positiven Elektrodenhalters liegt, die Entladungsfunken der 
Flasche vernichtet, läfst Funken von gleicher Länge unverändert 
bestehen, wenn der Abstand nach Seite des negativen Elektroden- 
halters hin versetzt wird. Es hängt dies wohl zusammen mit der 
schon früher, als noch keine schrägen Conductoren üblich waren, 
von Hrn. Dr. Holtz gemachten Erfahrung, dafs man überhaupt, 
um gute Funken zu erhalten, nur die negative Elektrode aus der 
Mitte entfernen dürfe, nicht die positive. 

Der Einflufs des erwähnten Winkels auf die Wirkung des dia- 
metralen Conductors zeigt sich übrigens auch in dem Fall, wo ihm 
keine grofsen Papierbelege gegenüber stehen. Hat dieser 
Winkel einen beträchtlichen Werth, z. B. 45°, so ist es nicht mög- 
lich, die Maschine auf eine der bekannten Weisen in Thätigkeit zu 
setzen, und daher war ich früher, um diese Erregung zu bewerkstel- 
ligen, genöthigt, entweder den Conductor zu entfernen oder die Ver- 
bindung zwischen seinen Kämmen aufzuheben. Bei der neuen Ma- 
schine ist dies nicht mehr nothwendig; man braucht den Winkel 
nur bis 10° oder 15° zu verringern und kann sie dann mit Leich- 
tigkeit auf die gewöhnliche Art erregen. 

Hat man einmal die Maschine auf diese Weise in Thätigkeit 
gesetzt und erhält sie einige Zeit darin, damit die ruhende Scheibe, 


vom 12. Mai 1870. 279 


von welcher der schräge Conductor seine Wirksamkeit empfängt, 
recht stark elektrisch werde, so kann man diesen unter einen grös- 
seren Winkel (etwa 45°) einstellen, und dabei wahrnehmen, dafs 
er dann ohne Papierbeleg an der Rückseite der ruhenden Scheibe 
fast eben so stark wirkt wie mit ‚demselben. Ich habe mit ihm 
in ersterem Falle Büschel und Funken von 6 Zoll Länge er- 
halten.') 

Wenn die Wirkung ohne Papierbelege auch etwas schwächer 
ist, so hat sie doch andererseits den Vorzug, dafs dabei die Um- 
kehrungen des Stroms, wenn überhaupt noch möglich, viel kräfti- 
ger verhütet werden als bei Anwendung von Papierbelegen. 

Es scheint dieses mit der Leitungsfähigkeit der Belege zusam- 
men zu hängen, denn wenn man dieselbe erhöht, z. B. das Papier 
durch Stanniol ersetzt, treten die Strom-Umkehrungen ungleich 
leichter ein. 

So lange die Elektroden einander berühren oder durch einen 
Leiter, z. B. eine Flüssigkeit, eine Geilslersche Röhre, verbunden 
sind, hat man zwischen ihnen einen kräftigen Strom, der dem bei 
Anwendung von Papierbelegen stattfindenden, durchaus nicht nach- 
steht. Sowie man sie aber in freier Luft auseinander zieht, nimmt 
dieser Strom rasch ab, und bald, wenn der Abstand zwischen ihren 
Kugeln auf einige Zoll gebracht ist, erlischt er gänzlich, ungeach- 
tet dann in dem schrägen Conductor selbst, wie immer, wenn der 
Strom zwischen den Elektroden schwach oder Null ist, ein star- 
ker Strom auftritt, der lange und helle Lichtpinsel aus dem positi- 
ven seiner Kämme auf die rotirende Scheibe absendet. 

Besonders leicht tritt die Strom- Umkehrung ein, wenn der 
diametrale Conductor lothrecht steht, oder aus der Lage 45° in 
die lothrechte Stellung gebracht wird. 


1) Ebenso sind die Erscheinungen, wenn hinter den Kämmen des Con- 
ductors zwar kleine Papierbelege angebracht sind, diese aber nicht mit den 
Belegen hinter den Elektroden in leitender Verbindung stehen. 

Um die volle Wirkung des Conductors zu erhalten, werden gewöhnlich 
die ersteren Belege durch einen schmalen, gekrümmten Papierstreifen mit den 
letzteren verbunden. Ich gebe indefs quadrantalen Belegen, die durchweg so 
breit wie die Kämme lang sind, den Vorzug, weil man dabei die Wirkung 
des diametralen Conductors unter jedem Winkel studiren kann. 


230 Gesammtsitzung 


Die Wirksamkeit des diametralen Conductors ist immer mit 
einem in ihm vorhandenen Strom verknüpft. Ohne denselben wirkt 
er nicht, obgleich er mit demselben, wie schon erwähnt, auch un- 
wirksam sein kann. Man erkennt das Dasein und die Richtung 
dieses Stromes an den Lichtpunkten und Lichtpinseln, die an den 
Kämmen des Conductors auftreten. 

Besser aber lassen sich die einzelnen Phasen und Schwankun- 
gen des im Conductor vorhandenen Stromes studiren, wenn man, 
wie ich es gethan habe, die Kämme desselben durch ein isoliren- 
des Mittelstück trennt und sie darauf durch eine geeignete Spec- 
tralröhre (eine enge, an beiden Enden zur Kugel erweiterte Röhre, 
die daselbst eingeschmelzte Platindrähte enthält und mit stark ver- 
dünntem Wasserstoff oder Stickstoff gefüllt ist) wiederum verbin- 
det. Die Wirkung eines so eingerichteten Hülfsconductors ist einem 
metallischen vollkommen gleich, aber bei weitem instructiver und 
augenfälliger, wenn man im Dunklen beobachtet. Hier einige Bei- 
spiele davon. 

Wenn man, vor der Maschine stehend, dieselbe so erregt, dafs 
der linke Elektrodenkamm negative Elektricität ausströmt, und wenn 
zugleich der Conductor so gestellt ist, dafs seine obere Hälfte eben- 
falls nach der Linken um 45° gegen den Horizont neigt, so ge- 
wahrt man, falls auch die Elektroden zusammengeschoben sind, 
dafs sein oberer Kamm gleich nach der Erregung positive Elek- 
trieität aussendet, denn in der oberen Kugel der Spectralröhre 
erscheint das bekannte blaue negative Licht. Dies dauert aber 
nur eine Weile, dann erlischt es; nun kann man die Elektroden 
mehre Linien auseinander ziehen, ohne dafs die Röhre irgend wel- 
ches Licht sehen läfst. Sowie man aber die Elektroden weiter von 
einander entfernt, wird die Röhre wieder leuchtend, und zwar so, 
dafs nun das blaue Licht in ihrer unteren Kugel erscheint. 
Der Strom in dem Conductor geht also jetzt gegen vorher in umge 
kehrter Richtung und diese behält er bei allen ferneren Vergrölse- 
rungen des Abstandes zwischen den Elektroden. Überhaupt ist, 
wie schon gesagt, der Strom in dem Conductor immer am stärk- 
sten, wenn er zwischen den Elektroden am schwächsten, vielleicht 
gar Null ist. 

Waren dagegen bei Erregung der Maschine die Elektroden 
nicht in Berührung gebracht, so hat der Strom in dem Conductor 


vom 12. Mai 1870. 281 


sogleich die letztere Richtung und es findet also keine Umkehrung 
desselben statt. 

Einen Strom von gleicher Richtung, und zwar einen sehr in- 
tensiven, zeigt auch der Conductor, sobald einmal die Maschine 
erregt ist, wenn man ihn so weit nach der Rechten dreht, dafs ihm 
kein Papierbeleg mehr gegenüber steht. Hierbei müssen aber die ' 
Elektroden auseinander gezogen sein; schiebt man sie zusammen, 
so verschwindet das Licht in der Röhre. 

Andrerseits, wenn man bei der letzteren Stellung des Conduc- 
tors die Maschine in genannter Weise erst erregt, erhält man das 
blaue Licht wiederum in der oberen Kugel der Röhre, voraus- 
gesetzt, dals die Elektroden zusammengeschoben sind; zieht man 
sie auseinander, so erlischt es gänzlich und mit ihm natürlich auch 
der Strom. 

In allen diesen Fällen war die Gegenwart grolser Papierbe- 
lege hinter den Kämmen des Conductors vorausgesetzt. Dieselben 
Erscheinungen zeigen sich aber auch ohne diese Belege fast noch 
besser ausgebildet. 


Einflufs des diametralen Conductors auf die Erregungsweise 
der Elektromaschine. 


Bekanntlich ist die Elektromaschine keine primitive Elektrici- 
tätsquelle, sondern ein Werkzeug zur Vervielfältigung einer ihm 
mitgetheilten kleinen Menge freier Elektricität, die ebensowohl aus 
der Voltaschen Batterie oder dem Inductorium, als aus der Elek- 
trisirmaschine oder einer geriebenen Ebonitplatte herstammen kann, 
weshalb denn das Product dieser Vervielfältigung sich im Allge- 
meinen nicht einmal als Reibungs-Elektrieität betrachten läfst, ob- 
gleich es für gewöhnlich dieser seinen Ursprung verdankt. 

Gerade durch diesen ihren secundären Character erlangt aber 
die Elektromaschine, besonders wenn man das Verhalten des dia- 
metralen Conductors dabei in Betracht zieht, ein Interesse, welches 
Elektrisirmaschine und Elektrophor nicht gewähren. 

Während nämlich die Elektrisirmaschine nur durch Reibung, 
und der Elektrophor nur durch Reibung oder Mittheilung zur Wirk- 
samkeit gelangt, ohne dabei eine bemerkenswerthe Erscheinung zu 


282 Gesammtsitzung 


zeigen'), kann, wie ich schon früher dargethan habe (Monatsberichte 
1869, April) die rechtläufig gedrehte Elektromaschine erster Art 
auf dreierlei Weisen in Thätigkeit gesetzt werden. 

Erstens von der Rückseite her, nach dem gewöhnlichen Ver- 
fahren, indem man einem der Belege durch Vertheilung oder Mit- 
theilung Elektrieität zuführt.?) 

Zweitens von der Vorderseite her, indem man aus einer an- 
deren Elektricitätsquelle, einer geladenen Flasche oder einer zwei- 
ten Maschine, Elektrieität durch die Metallkämme der Elektroden 
auf die rotirende Scheibe ausströmen läfst. 

Und drittens auf intermediäre Weise mittelst der ruhenden 
Scheibe, nachdem man dieselbe durch vorherigen Gebrauch der 
Maschine in ihrer oberen und unteren Hälfte entgegengesetzt elek- 
trisch gemacht und die Belege ableitend berührt hat. 


1) Die leichteste Art, einen Elektrophor zu erregen, besteht darin, dafs 
man den Kuchen desselben einige Male zwischen den Elektroden der Elek- 
tromaschine hin- und herführt. Man erhält dadurch nach Belieben, je nach- 
dem wie man ihn in die Form einlegt oder zugleich mit derselben elektrisirt hat, 
einen negativen oder einen positiven Elektrophor, der bei der ersten Schlies- 
sung Funken von überraschender Kräftigkeit giebt. Es dürfen aber bei die- 
sem Procefs die Elektroden nur in Spitzen auslaufen, nicht in Kugeln, weil 
sonst der Kuchen, wenn er etwas dünn ist, leicht von den Funken der Ma- 
schine durchbohrt wird. 


2) Es ist ganz einerlei, ob dem einen Beleg z. B. positive Elektricität 
durch Berührung mitgetheilt wird, oder dieselbe in distans vertheilend auf 
ihn wirkt. In beiden Fällen sendet der Bad, Elektrodenkamm 
negative Elektricität aus. 

Bemerkenswerth ist auch, dafs während es, um die Maschine auf solche 
Weise in Thätigkeit zu setzen, nur einer geringen Elektricitätsmenge bedarf, 
die dann durch das Spiel der Maschine selbst bis zu einem gewissen Punkt 
vermehrt wird, eine weitere Vermehrung derselben durch künstliche Mittel 
durchaus nichts zur Verstärkung der Wirksamkeit der Maschine beiträgt. 

Leitet man z. B., während die Maschine in Thätigkeit ist, positive Elek- 
trieität auf ihren positiven Beleg, und negative auf ihren negativen, aus einer 
zweiten Maschine, so wird der Strom der ersteren dadurch nicht im Minde- 
sten verstärkt. 

Dagegen wird dieser Strom augenblicklich vernichtet und auch wohl um- 
gekehrt, sowie man die zweite Maschine im entgegengesetzten Sinne auf die 
Belege der ersten wirken läfst. 


vom 12. Mai 1870. : 285 


Auf diese dritte Erregungsweise scheint der Hülfsconductor 
ganz ohne Einflufs zu sein. Und auf die erste wirkt er nur inso- 
fern, als er, wenn ihm keine Papierbelege gegenüber stehen, sie 
gar nicht zu Stande kommen läfst, sobald er nicht einen kleinen 
Winkel mit der Verbindungslinie der Elektrodenkämme macht, wie 
schon vorhin gesagt. 

Desto entschiedener und merkwürdiger aber ist sein Einfluls 
auf die zweite Erregungsweise. Ich habe darüber schon im Mo- 
natsbericht vom Januar des verflossenen Jahrs eine vorläufige No- 
tiz gegeben, und will nun hier die Sache ausführlicher behandeln. 
Diese Erregungsweise kann sowohl durch geladene Flaschen als 
durch den Strom einer zweiten Elektromaschine bewerkstelligt wer- 
den. Beide Methoden haben ihr Eigenthümliches. 


Erregung der Maschine durch geladene Flaschen. 


Erster Fall: Maschine ohne Hülfsconductor. — Legt 
man zwei entgegengesetzt geladene Flaschen, deren äufsere Belege 
in metallische Verbindung gesetzt sind, mit ihren Knöpfen an die, 
zur Verhütung einer Entladnng zwischen ihnen, hinreichend aus- 
einander gezogenen Elektroden, und bringt darauf die Maschine 
rechtläufig, d. h. den Zähnen ihrer Papierbelege entgegen, in 
Rotation, so erfolgt eine stille Entladung der Flaschen gegen 
die rotirende Scheibe. Dabei geht von der positiven Flasche (d.h. 
von ihrem inneren positiven Belege) positive Elektricität, und von 
der negativen negative Elektricität auf die Scheibe über, wie man 
dies im Dunklen aus den Licht-Erscheinungen an den Elektroden- 
kämmen deutlich ersieht. 

Durch diese Entladung gelangt die Maschine zur Thätigkeit, 
in solcher Weise, dafs sie, nachdem die Flaschen erschöpft sind, 
den eingeleiteten Procefls in gleicher Richtung fortsetz. Da nun, 
wenn der eine Kamm fortdauernd positive, und der andere fort- 
dauernd negative Elektrieität aussendet, die Knöpfe der Elektroden 
nothwendigerweise eben so fortdauerud die entgegengesetzten Elek- 
trieitäten an die Flaschen abgeben müssen, so werden diese wie- 
derum geladen, und zwar in umgekehrtem Sinn, wie sie es vor- 
her waren. 

Allein die so umgekehrt geladenen Flaschen wirken auf die 
Maschine zurück, erregen sie im entgegengesetzten Sinn, um 
sie nach kurzer Zeit wiederum im ursprünglichen Sinn zu be- 


234 Gesammtsitzung 


leben, und so fort, eine ununterbrochene Reihe von Strom-Umkeh- 
rungen bewirkend.. Um die Maschine in einem bestimmten Sinn 
erregt zu haben, mufs man demnach die Elektroden zur rechten Zeit 
schlie(sen und die Flaschen entfernen. 

Zweiter Fall: Maschine zwar mit Hülfsconductor 
armirt, aber ohne Papierbelege dahinter. — In diesem 
Falle findet bei der eben beschriebenen Operation wohl eine stille 
Entladung der Flaschen gegen die Scheibe statt, aber keine umge- 
kehrte Ladung derselben, da die Maschine nicht zur selbstständigen 
Thätigkeit gelangt. Die Licht-Erscheinungen an den Kämmen der 
Elektroden und des Conductors während der Entladung sind nur 
schwach, und zeigen, dafs während derselben, bei schräger Stel- 
lung des Conductors, die benachbarten Kämme entgegengesetzt 
elektrisch sind, also, im Kreise herumgezählt, auf zwei positive 
Kämme zwei negative folgen. 

Dritter Fall: Maschine mit Hülfsconductor und Pa- 
pierbelegen dahinter. — Dieser Fall bietet eine ganz ano- 
male Erscheinung dar. Die positiv geladene Flasche sendet 
nämlich bei rechtläufiger Drehung der Maschine nicht positive, 
sondern negative Elektricität gegen die rotirende Scheibe, und 
die negativ geladene ebenso positive.) Eine stille Entladung 
der Flaschen findet nicht statt, im Gegentheil eine stärkere La- 
dung derselben im ursprünglichen Sinn, während die Maschine, 
verglichen mit dem ersten Fall, wo kein Conductor vorhanden war, 
im umgekehrten Sinn zur selbstständigen Thätigkeit gelangt. 

Die geladenen Flaschen verlieren also nichts von der in ihnen 
angehäuften Elektrieität, nehmen vielmehr noch neue derselben Art 
aus der rotirenden Scheibe auf, ungeachtet diese erst durch sie 
elektrisch gemacht wird. 

Die Ladung der Flaschen, um diese Wirkung hervorzubringen, 
braucht gar keine starke zu sein. Zwei Flaschen, jede von 73 
Quadratzoll äufserer Belegung, die an einer anderen Elektroma- 
schine durch eine einzige Kurbeldrehung geladen worden waren, 
so schwach, dafs sie sich zwischen Kugeln von 10 Lin. erst ent- 


!) Dreht man die Maschine rückläufig, so verhält es sich umgekehrt. 
Die positiv geladene Flasche oder vielmehr ihr positiver Knopf z. B. sendet 
positive Elektrieität auf die Scheibe. 


vom 12. Mai 1870. 285 


luden, wenn diese bis zu 3 Lin. zusammengeschoben wurden, reich- 
ten hin, die anomale Erregung hervorzurufen, welche ihnen nun 
eine viel höhere Ladung ertheilte, eine Ladung von 4 Zoll Schlag- 
weite und darüber. 

Diese merkwürdige Erzeugung und Einsaugung von Elektrici- 
tät durch partiell geladene Flaschen ist nicht blofs der eben ge- 
nannten Combination eigen, sondern zeigt sich auch in zwei an- 
dern, sehr verschiedenen Fällen, von denen ich weiterhin sprechen 
werde. 

Das verschiedene Verhalten geladener Flaschen gegen die 
noch unerregte Maschine, je nachdem diese mit einem diametra- 
len Conductor versehen ist oder nicht, giebt übrigens eine einfache 
Erklärung der Thatsache, dafs wenn man Flaschen von einiger 
Gröfse an der bereits thätigen Maschine zu laden versucht und 
diese mit keinem Conductor versehen ist, der Strom derselben sich 
umkehrt, dafs dies aber nicht geschieht, sobald ein Conductor zu- 
gegen ist. Im ersten Fall wirkt nämlich die Flasche der Maschine 
entgegen, im zweiten Fall aber nicht. 


Erregung der Elektromaschine durch den Strom einer andern. 


Erster Fall: Beide Maschinen ohne diametralen 
Conductor. — Wird der Strom der einen Maschine auf die 
rechtläufig rotirende Scheibe der anderen, noch nicht erregten ge- 
leitet, so kommt auch diese in Thätigkeit und zwar in gleichem 
Sinne mit der ersteren, so dafs jeder der Verbindungsdrähte an 
seinen Enden oder Metallkämmen entgegengesetzte Elektrieitäten 
aussendet. 

Werden die beiden Maschinen erst einzeln erregt und dann 
gleichsinnig verbunden, so ist auch nach der Verbindung der Strom 
in beiden ein gleichsinniger. Werden sie aber, nach der Erregung, 
widersinnig verbunden, so erlischt der Strom in beiden. 

Zweiter Fall: Die eine Maschine ohne Oonductor, 
die andere mit demselben. — Wird die Maschine 4, die kei- 
nen Hülfsconductor hat, erst erregt, und alsdann ihr Strom auf 
die noch unerregte Maschine B, die mit Conductor versehen ist, 
geleitet, so kommt auch diese in Thätigkeit, momentan in wider- 
sinniger Richtung mit dem Strom von 4; allein sie übt auf die- 
sen eine Reaction aus, kehrt ihn nämlich um, so dafs dann doch 
die Ströme bei der Maschine in gleicher Richtung gehen, aber ent- 


286 Gesammtsitzung 


gegen der, welcher man den Strom von A ursprünglich eingeprägt 
hatte. 

Hat man die mii Conductor versehene Maschine D zuerst er- 
regt und ihren Strom auf die unerregte A geleitet, so findet eine 
solche Reaction oder Umkehrung nicht statt. Der Strom von A 
ist gleichsinnig mit dem von D, der auch nach der Verbindung 
seine ursprüngliche Richtung bewahrt. 

Dritter Fall: Die eine Maschine ohne Conductor, 
die andere mit Conductor, aber ohne Papierbelege da- 
hinter. — Der Strom der ersten Maschine A bringt die andere 
B nicht zur selbstständigen Thätigkeit; während der Einströmung 
bemerkt man zwar Licht-Erscheinungen an den Kämmen von 2, 
aber sie sind schwach, werden immer schwächer und verschwinden 
endlich mit dem gleichzeitigen Erlöschen des Stroms in 4. 

Vierter Fall: Beide Maschinen mit Conductoren, 
aber nur die eine mit Papierbelegen dahinter. — Die 
Maschine A mit Belegen erregt ganz deutlich in der Maschine B 
ohne Belege einen gleichsinnigen Strom; aber dieser Strom besteht 
nur während der Einströmung und so lange man B in Rotation 
erhält. Dabei findet in A kein Erlöschen des Stromes statt. Der 
ganze Vorgang hat Ähnlichkeit mit dem in zweiten Fall der Erre- 
gung durch Flaschen. 

Fünfter Fall: Beide Maschinen mit Conductoren und 
Papierbelegen dahinter. — Dieser Fall ist wiederum ganz 
anomal. Leitet man nämlich den Strom der einen Maschine auf 
die zwar in Rotation versetzte, aber noch unerregte zweite Ma- 
schine, so kommt diese in widersinniger Richtung zur selbst- 
ständigen Thätigkeit, also so, dafs ihr Strom dem der ersten Ma- 
schine entgegengesetzt ist. In Folge defs hat man die merkwür- 
dige, im Dunklen schon durch den blofsen Anblick erkennbare Er- 
scheinung, dafs die Verbindungsdrähte aus den Kämmen an ihren 
Enden einerlei Elektricität aussenden und aus ihrer Mitte die 
entgegengesetzte. Der eine Draht strahlt solchergestalt an 
beiden Enden positve und in der Mitte negative Elektriecität aus; 
der andere an den Enden negative und in der Mitte positive. 

Dasselbe geschieht, wenn man zwei mit diametralen Conduc- 
toren versehene Maschinen erst einzeln erregt und dann widersin- 
nig verbindet. Die Ströme derselben löschen einander nicht aus, 


vom 12. Mai 1870. 287 


wie im Falle der Abwesenheit dieser Conductoren, sondern ver- 
harren unverändert in ihrer Widersinnigkeit. 

Verbindet man andrerseits dieselben vorher erregten Maschi- 
nen gleichsinnig mit einander, so kehrt der Strom der einen 
den der andern um, und die Maschinen wirken also dann doch 
wie vorhin einander entgegen. Welche der beiden Maschinen 
dabei das Übergewicht erlangt, hängt theils von der Kräftigkeit 
derselben ab, theils aber, und, wie es scheint, hauptsächlich 
davon, welche von ihnen, nach der Verbindung mit der andern, 
zuerst in Bewegung gesetzt ward. Die zuerst bewegte Maschine 
überwältigt die andere. | 

In allen diesen drei Fällen ist kein Strom in den Verbindungs- 
drähten vorhanden. Denn wenn man sie an einer Stelle unter- 
bricht und daselbst eine Geifslersche Röhre einschaltet, bleibt 
dieselbe dunkel, sobald nur beide Maschinen gleich stark wirken. 

Von dieser merkwürdigen Anordnung der Elektricität auf den 
Verbindungsdrähten kann man eine Nutzanwendung machen, darin 
bestehend, dals man zwischen beiden Drähten eine Brücke schlägt. 
Man erhält dann in dieser Brücke einen Strom, welcher gleich ist 
der Summe der Ströme beider Maschinen. 

Schon in der kurzen Notiz im Januarheft der vorjährigen Mo- 
natsberichte, aus der ich die eben angeführten Worte entlehne, 
sagte ich, dafs sich, gestützt auf diese Thatsache, eine Maschine 
von doppelter Kraft einer einfachen construiren lasse, unterliefs es 
aber damals die Idee zur Ausführung zu bringen. Seit einigen 
Monaten bin ich jedoch im Besitz einer solchen Doppelmaschine, 
vortrefflich ausgeführt von dem Mechanikus Borchardt, die allen 
meinen von ihr gehegten Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern 
sogar übertroffen hat. Bevor ich indels zur Beschreibung dersel- 
ben übergehe, will ich hier einige andere Beobachtungen mitthei- 
len, die mit den bereits auseinander gesetzten in enger Beziehung 
stehen. 


Neue Erregungsweise der Elektromaschine. 
Bei allen bisherigen Erregungsweisen mufste man die Maschine 
erster Art, damit sie zur 'Thätigkeit gelange, rechtläufig, d.h. 
den Zähnen der Belege entgegen, rotiren lassen. Es ist dies aber 


283 Gesammtsitzung 


keine absolute Nothwendigkeit. Sie kann auch durch rückläu- 
fige Rotation in Thätigkeit versetzt werden. 

Einen ersten Fall der Art habe ich bei Gelegenheit meiner 
Untersuchung über das Holtzsche Rotationsphänomen beobachtet, 
damals aber unerwähnt gelassen. 

Leitet man nämlich den Strom einer Maschine A, die mit 
Conductor und Papierbelegen dahinter versehen ist, auf eine zweite 
Maschine B, welche keinen Corductor hat, so kommt diese, wenn 
sie hinreichend beweglich ist, nach einem kleinen Anstofs, in Ro- 
tation, und zwar nach der einen Richtung ziemlich eben so gut 
als nach der anderen. 

Das Nämliche ist der Fall, wenn die Maschine B zwar einen 
Conductor hat, derselbe aber so gestellt ist, dafs ihm die grolsen 
Papierbelege nicht gegenüberstehen. Bringt man ihn jedoch in die 
Stellung vor diesen, so vermag die Maschine merkwürdigerweise 
nur in einer Richtung zu rotiren, nämlich in der rückläufigen. 

Unterhält man nun diese rückläufige Rotation eine Zeitlang, 
trennt dann die Maschine ZB von der andern A, und setzt sie mit- 
telst der durch die Hand gedrehten Kurbel in rechtläufige Ro- 
tation, so giebt sie einen starken Strom, welcher dem von 4, der 
anfangs auf sie einströmte, in Richtung entgegengesetzt ist. 

Ein zweiter Fall ist dieser. Man leitet den Strom der Ma- 
schine A, die mit Conductor und Papierbelegen versehen ist, auf 
die Maschine B, aber nicht wie immer bisher durch ihre Elektro- 
denkämme, sondern durch die Kämme ihres Conductors, die zu 
diesem Zweck von einander isolirt sein müssen, jedoch nicht noth- 
wendig Papierbelegen gegenüber zu stehen brauchen. Dreht man 
nun die Maschine B, gleichviel ob rechtläufig oder rückläufig, 
so gewahrt man an den Licht-Erscheinungen, die im Dunklen an 
den Kämmen sichtbar sind, dafs während der Einströmung in D 
ein Strom erregt wird, der dem von A in Richtung entgegengesetzt 
ist, der aber, sowie man B von A abtrennt und fortgesetzt recht- 
läufig dreht, seine Richtung umkehrt, folglich gleiche Richtung mit 
dem erregenden Strom von A bekommt. 

Ich halte dafür, dafs diese beiden Fälle, obwohl in der Form 
von den bisher bekannten Erregungsweisen verschieden, dennoch 
im Wesen zusammenfallen mit derjenigen, welche ich vorhin die 
intermediäre genannt habe, dafs sie nämlich aus einer entgegen- 


vom 12. Mai 1870. | 289 


gesetzten Elektrisirung der beiden Hälften der ruhenden Scheibe 
hervorgehen. 

Die rückläufige Rotation, von der eben die Rede war, läfst 
sich auch mittelst geladener Flaschen hervorbringen, die man 
der noch unerregten Maschine anlegt. 

Interessanter macht sich aber der Versuch, wenn man an die 
bereits erregte Maschine ein Paar etwas grofser, ungelade- 
ner Flaschen ansetzt (ich nehme sie von 75 und von 152 Quadrat- 
zoll äulserer Belegung eine jede) und die Elektroden 4 bis 5 Zoll 
auseinander zieht, um ihnen eine recht starke Ladung ertheilen zu 
können, und nun rechtläufig dreht. Schon hiebei spürt man 
fühlbar, dafs sich die Maschine um so schwerer drehen läfst, je 
mehr man dem möglichen Maximum der Ladung nahe kommt. 
Hat man dieses Maximum ungefähr erreicht und läfst nun die 
Kurbel los, so beginnt die Maschine durch die Reaction der Flasche 
aus freien Stücken rückläufig zu rotiren, und zwar trotz des 
Schnurlaufs (wenn er nur nicht zu stark gespannt ist) ziemlich 
rasch und wohl so lange, dafs die Scheibe 25 bis 30 Umgänge 
macht. Entfernt man die Schnur, so rotirt sie natürlich viel schnel- 
ler und länger. Auch zu dieser Rotation, bei welcher die Flaschen 
still entladen werden, und jede derselben diejenige Elektrieität auf 
die Scheibe aussendet, mit welcher sie geladen war, ist nothwen- 
dig, dafs die Maschine mit einem vor den Papierbelegen stehenden 
diametralen Conductor versehen sei; sonst erfolgt sie nicht. 

Dals diese interessante Form des Holtz’schen Rotationsphä- 
nomens bisher noch nicht beobachtet worden ist, ungeachtet man 
seit fünf Jahren so oft Flaschen an der Maschine geladen hat, hat 
seinen Grund wohl darin, dafs die Maschine einerseits nicht be- 
weglich genug war und andrerseits auch keine Einrichtung besalfs, 
um grölsere Flaschen mit ihr zu verbinden, was nur mittelst 
der weiterhin beschriebenen Teller auf den Elektrodenhaltern leicht 
und bequem zu bewerkstelligen ist. 


Erregung der Elektromaschine erster Art bei Vertauschung 
der Elektroden gegen den diametralen Conductor. 


Im Aprilheft der Monatsberichte von vorigem Jahre habe ich 
eine Gebrauchsweise der Elektromaschine erster Art beschrieben, 


290 Gesammtsitzung 


die auf eine Vertauschung der Elektroden gegen den diametralen 
Conductor hinausläuf. Es wird nämlich die ruhende Scheibe, 
welche mit zwei gezahnten Belegen von geringer Breite versehen 
sein muls, so gestellt, dafs der eine dieser Belege senkrecht unter 
dem andern liest. Bringt man nun vor ihnen den diametralen 
Hülfsconductor ebenfalls in lothrechter Stellung an, so kann man 
die Maschine (sobald nur die Elektroden hinreichend auseinander 
gezogen sind) auf die gewöhnliche Weise von der Rückseite her 
erregen, und bekommt dann in dem Conductor den Hauptstrom, 
wie ich ihn nannte, und in den Elektroden der horizontalen Kämme, 
denen keine gezahnten Belege gegenüberstehen, den Nebenstrom, 
der allein nutzbar ist. 

Ich zeigte dann, dafs dieser Nebenstrom die Differenz zweier 
entgegengesetzten Ströme ist, deren einer von der vorderen rotiren- 
den Scheibe und der andere von der hinteren ruhenden ausgeht, 
und dafs man den letzteren schwächen oder vernichten müsse, wenn 
man eine anhaltende Wirkung zu erhalten wünscht. Dies gelang 
mir, indem ich die ruhende Scheibe hinter den Elektrodenkämmen 
mit grolsen Ausschnitten versah, denen keine Belege angefügt 
waren. 

Als ich jetzt die letztere Combination auf ihre Erregung näher 
untersuchte, fand ich, dafs, wiewohl man sie durch Elektrisirung 
der Belege von der Rückseite her ganz leicht in Thätigkeit setzen 
kann, dieses durch Einströmung von Elektricität auf die vordere 
rotirende Scheibe mittelst der Elektrodenkämme nicht zu bewerk- 
stelligen sei. Ich mochte die Elektroden mit geladenen Flaschen 
oder mit einer anderen Maschine verbinden: die genannte Combi- 
nation kam nicht zur Wirksamkeit. 

Ich vertauschte nun die Scheibe mit vier Ausschnitten gegen 
die mit zwei und daran sitzenden Belegen, und siehe da: jetzt 
war eine Erregung von der Vorderseite her durch die Elektroden 
möglich. 

Legte ich geladene Flaschen an, so wurden sie nicht still 
entladen, sondern stärker geladen; sie boten also denselben 
anomalen Fall dar, der vorhin S. 284 besprochen wurde, ungeach- 
tet es hier der Hülfsconductor selber war, in welchem der Vorgang 
stattfand. 

Ähnlich verhielt es sich, als der Strom einer anderen Ma- 
schine durch die Kämme der als Hülfsconductoren fungirenden 


vom 12. Mai 1870. 291 


Elektroden auf die rotirende Scheibe geleitet wurde. Die Verbin- 
dungsdrähte strömten einerlei Elektrieität aus ihren Enden aus, 
und die erregte Maschine, abgetrennt von der erregenden, gab einen 
Strom, der in Richtung dem der letzteren entgegengesetzt war. 


Verhalten der lateralen Conductoren. 


Es ist nicht allein der diametrale Conductor, welcher die Fä- 
higkeit besitzt, den Strömen zweier vereinten Maschinen eine wider- 
sinnige Richtung zu geben und zu erhalten: auch der laterale 
oder überzählige Conductor, den Hr. Dr. Holtz in der ersten 
Zeit zur Verhütung der Strom-Umkehrungen auwandte, ist mit 
dieser Eigenschaft begabt, jedoch in geringerem Grade. 

Der laterale Conductor besteht bekanntlich aus einem Metall- 
kamm, der vertikal entweder oben oder unten vor der Scheibe in 
quadrantalem Abstand von den Elektrodenkämmen angebracht und 
mit einem der letzteren durch einen Bügel metallisch verknüpft 
ist. Zur Erhöhung seiner Wirksamkeit wird an die ruhende 
Scheibe ein quadrantaler Papierbeleg angelegt, der sich gegenüber 
von dem unverbundenen Elektrodenkamm bis gegenüber zu dem 
Conductorkamm erstreckt. Statt eines solchen lateralen Conduc- 
tors können auch deren zwei angewandt werden, einer oben und 
einer unten. 

Um nicht zu weitläuftig zu werden, will ich nicht alle hier 
möglichen Fälle in Betracht ziehen, sondern nur einige der inter- 
essanteren. 

Erster Fall: Erregende Maschine A mit diametra- 
len Conductor und Belegen dahinter. Die andere Ma- 
schine B mit vertikalem Kamm oben, Bügel rechts, Be- 
leg links. 

Der Strom der Maschine A erregt schon während der Ver- 
bindung derselben mit B in dieser einen ihm entgegengesetz- 
ten Strom, der sich auch nach der Trennung beider Maschinen 
erhält. Der vertikale Hülfskamm strömt dabei positive Elektri- 
eität in langen Pinseln aus, wenn der mit ihm verbundene links 
liegende Elektrodenkamm die ‚negativen Lichtpunkte zeigt. Am 
rechtsliegenden positiven Elektrodenkamm erscheinen während der 
Einströmung nur schwache Pinsel, nachher stärkere. 


[1870] 21 


292 Gesammtsitzung 


Zweiter Fall: Maschine A wie vorhin armirt. Ma- 
schine B mit vertikalem Kamm unten, Bügel links, Be- 
leg rechts. 

Dieser Fall ist identisch mit dem ersten, da das Ganze von 
Conductor, Bügel und Beleg in der Maschine DB nur um 180° ge- 
dreht ist. Man erhält also auch in diesem Fall in B einen wider- 
sinnigen Strom mit dem in A. 

Dritter Fall: Maschine A wie vorhin armirt. Ma- 
schine B mit vertikalem Kamm oben und unten, Bügel 
oben rechts, unten links, Beleg oben links, unten 
rechts. 

In diesem Fall erregt der Strom A nur einen äulserst schwa- 
chen Strom in 2, der vielleicht blos einer Unregelmäfsigkeit in 
dieser Maschine seine Entstehung verdankt. 


Vierter Fall: A wie vorhin armirt; BD mit vertika-. 


lem Kamm oben oder unten; Beleg und Bügel auf 
einerlei Seite. 

In diesem Fall giebt Z einen gleichsinnigen Strom mit 
dem von A, wie wenn der laterale Conductor nicht da wäre. 

Ist die Maschine A nicht mit diametralen Conductor und Be- 
legen armirt, so hat man im ersten Fall wiederum das interessante 
Schauspiel der Reaction, von welcher schon 8. 285 die Rede war. 
Der Strom von A erregt in B einen entgegengesetzt gerichteten 
und wird darauf von diesem umgekehrt, so dafs nun beide Ströme 
in gleicher Richtung gehen. 

Geladene Flaschen verhalten sich gegen die mit dem lateralen 
Conductor armirte Maschine genau so wie gegen die mit dem dia- 
metralen Conductor versehen. 

Im ersten und zweiten der eben erwähnten Fälle zeigen sie die 
anomale Erscheinung, dafs sie die entgegengesetzte Elektrieität von 
der, mit welcher sie geladen wurden, auf die Maschine ausströmen, 
und im vierten Falle die gleiche. 


Verhalten der Elektromaschine zweiter Art. 


Die Elektromaschine zweiter Art, d. h. die mit zwei wider- 
Sinnig rotirenden Scheiben ist neuerdings von Hrn. Dr. Holtz 
wesentlich gegen die frühere verändert worden. Nicht allein, dafs 


vom 12. Mai 1870. 293 


die Scheiben vertikal gestellt sind, während sie früher horizontal 
lagen, ist auch die Maschine mit zwei beweglichen diametralen 
Conductoren versehen. Der eine befindet sich auf Seite der Elek- 
troden, der andere auf der Rückseite der Scheiben, wogegen die 
frühere Maschine vier oder fünf feststehende Metallkämme besafs. 

Nur der erste dieser drehbaren Conductoren ist gewissermas- 
sen als überflüssig zu betrachten, da die Maschine auch ohne ihn 
zur Wirksamkeit gelangt und er nur den Zweck hat, die Strom- 
Umkehrungen zu verhüten, welchen Zweck er übrigens nur bedin- 
gungsweise erfüllt. Der zweite Conductor dagegen, der an der 
Rückseite der Scheiben, der für gewöhnlich lothrecht gestellt wird, 
ist unumgänglich nothwendig: ohne ihn ist keine Wirkung der 
Maschine möglich. 

Von diesem letzteren werde ich hier absehen, da es nicht in 
meinem Plan liegt, gegenwärtig in eine vollständige Untersuchung 
über die Elektromaschine zweiter Art einzugehen. Ich werde nur 
den vordern Conductor in Betracht ziehen, um sein Verhalten mit 
dem des entsprechenden Conductors an der Maschine erster Art zu 
vergleichen. 

Zuvörderst mufs ich bemerken, dafs zwischen diesen beiden 
Conductoren ein wesentlicher Unterschied besteht. Bei der Ma- 
schine erster Art kann der drehbare Conductor so ziemlich eine 
jede Lage haben, und man erhält doch immer zwischen den Elek- 
troden, wenn sie nur nicht zu weit von einander stehen, eine mehr 
oder weniger kräftige Wirkung. Bei der Maschine zweiter Art 
dagegen mufs der vordere Conductor eine durch die Rotation be- 
dingte Lage haben, wenn man überhaupt eine nutzbare Wirkung 
erlangen will. 

Wenn die vordere Scheibe in rechtläufige d. h. schraubenrechte 
Rotation versetzt ist, mufs der Conductor vor ihrem ersten und 
dritten Quadranten stehen; steht er vor dem zweiten und vierten 
Quadranten, so erhält man zwischen den Elektroden, auch wenn 
sie einander noch so sehr genähert sind, gar Keine Wirkung, nicht 
weil die Maschine alsdann keine Elektrieität entwickelte, sondern 
weil dieselbe ihren Weg lediglich durch die beiden Oonductoren 
nimmt. Um in diesem Fall einen Strom zwischen den Elektroden 
zu erhalten, mufs man die vordere Scheibe in rückläufige Rota- 


tion versetzen. 


91° 


294 Gesammtsitzung 


In der Erregungsweise dnrch Elektrieität, die man mittelst der 
Elektrodenkämme auf die vordere rotirende Scheibe einströmen 
läfst, findet gar kein Unterschied zwischen den Maschinen zweiter 
und erster Art statt, die Elektrieität mag nun von geladenen Fla- 
schen oder von einer andern Maschine geliefert werden. 

Die Flaschen senden entweder dieselben Elektricitäten, mit 
denen sie geladen sind, oder die entgegengesetzten auf die rotirende 
Scheibe, je nachdem die Maschine ohne oder mit vorderem Con- 
ductor versehen ist, ganz wie in den analogen Fällen der Erre- 
gung der Maschine erster Art (S. 233 u. 284). 

Ebenso verhält sich die Maschine zweiter Art gegen den 
Strom einer Maschine erster Art, die mit Conductor und Papier- 
belegen versehen ist. Ohne Conductor kommt sie in gleichsinni- 
ger, mit demselben in widersinniger Richtung gegen letzteren zur 
Thätigkeit. 

Soll indefs bei der Maschine zweiter Art der Conductor eine 
nutzbare Wirkung ausüben, so muls er, wenigstens wenn man 
rechtläufig dreht, vor dem ersten und dritten Quadranten stehen. 
Ist das nicht der Fall, steht er vor dem zweiten und vierten Qua- 
dranten, so erhält man zwischen den Elektroden der Maschine kei- 
nen Strom, man mag die eine oder die andere Elektricitätsquelle 
auf sie einströmen lassen. 

Die Maschine kommt freilich auch in diesem Falle zur vollen 
Thätigkeit, aber dieselbe ist keine nutzbare, da sie beschränkt ist 
auf die beiden Conductoren, den vorderen. und den hinteren, die 
aus ihren unteren Kämmen lange positive Lichtpinsel aussenden, 
wenn der rechten Elektrode negative und der linken positive Elek- 
trieität zugeführt wird. Diese Thätigkeit besteht sowohl während 
der Einströmung als nach derselben. Dreht man, nach Abtrennung 
von der erregenden Maschine, den Conductor in den ersten und 
dritten Quadranten zurück, und läfst darauf die vordere Scheibe 
rechtläufig rotiren, so bekommt man zwischen den Elektroden einen 
Strom, der dem von jener Maschine gleichgerichtet ist. 

Stellt man denselben Versuch mit geladenen Flaschen an, in- 
dem man die positive an die linke Elektrode und die negative an 
die rechte anlegt, während der Conductor vor dem zweiten und 
vierten Quadranten steht, so bekommt man ganz dieselbe Erschei- 
nung, d. h. nur Lichtphänomen an den beiden Conductoren, deren 
untere Kämme positive Lichtpinsel aussenden, aber keinen Strom 


vom 12. Mai 1870. 295 


’zwischen den Elektroden. Entfernt man dann die Flaschen, die 
hierbei still entladen werden, stellt den Conductor vor den ersten 
und dritten Quadranten, so erhält man, immer rechtläufige Rotation 
bei der vorderen Scheibe vorausgesetzt, zwischen den Elektroden 
einen Strom von eben der Richtung, wie ihn die Flaschen bei 
Abwesenheit des vorderen Conductors erregt haben würden. 


Beschreibung der neuen Doppelmaschine. 


Die Construction dieser Doppelmaschine wurde, wie schon ge- 
sagt, durch die Thatsache an die Hand gegeben, dafs zwei einfache 
Maschinen, sobald sie mit diametralen Conductoren und Papierbe- 
legen armirt sind, bei ihrer Verbindung Ströme von entgegenge- 
setzter Richtung liefern, die, wenn man zwischen den Verbindungs- 
drähten eine Brücke schlägt, dieselbe in gleicher Richtung durch- 
laufen, folglich sich daselbst addiren. 

Zu dem Ende sind, wie die Abbildung auf beigefügter Tafel 
zeigt, auf einem Fufsbrett zwei einfache Maschinen erster Art von 
der neuen Einrichtung mit einseitiger Axe parallel neben einander 
aufgestellt, solchergestalt, dafs die rotirenden Scheiben, die 15# 
par. Zoll im Durchmesser halten, nach innen liegen.") In der 
Mitte des Abstandes zwischen beiden Maschinen, der sehr nahe 
10 par. Zoll beträgt, erheben sich zwei starke Ebonitsäulen, wel- 
che die Elektroden tragen. Jede dieser Elektroden besteht zunächst 
aus einem horizontalen Arme, der die elektrische Verbindung bei- 
der Maschinen herstellt, und gegen die rotirenden Scheiben dersel- 
ben an beiden Enden in Metallkämmen ausläuft. Von der Mitte 
dieser Arme gehen messingene Träger senkrecht in die Höhe, oben 
in Kugeln endigend, deren horizontale Durchbohrungen die ver- 
schiebbareu Theile der Elektroden aufnehmen. 

Alle diese metallenen Theile sind hohl und von beträchtlichem 
Durchmesser (8 bis 9 Lin.), wodurch ein wesentlicher Fehler in 


1) Aus dem vorhin $. 291 und $. 292 Mitgetheilten wird einleuchtend 
sein, dafs die neue Doppelmaschine auch aus Maschinen erster Art, wenn 
sie mit lateralem Conductor versehen sind, sowie aus Maschinen zweiter Art 


zusammengesetzt werden könnte. Es würde dies Beides aber keinen Vortheil 
gewähren. 


296 Gesammtsitzung 


der bisherigen Construction der Elektromaschinen, die Ausstrahlung 
von Elektrieität aus den dünnen Stangen nämlich, vermieden wird. 
Zu gleichem Zweck sind die verschiebbaren Elektroden an ihren 
äufsern Enden nicht mit Ebonit-Handgriffen versehen, sondern mit 
' Metallkugeln von gut 24 par. Zoll Durchmesser. Durch diese Ein- 
richtung ist die schädliche Ausstrahlung vermieden; sie macht aber 
einen Ebonitschlüssel nöthig, um die Elektroden während des Stro- 
mes verschieben zu können, was übrigens nur selten nothwendig 
sein dürfte. 

Wegen der beträchtlichen Dicke der Elektroden können auf 
ihre einander zugewandten Enden nicht unmittelbar Kugeln aufge- 
steckt werden. Die Röhren, aus denen die Elektroden gebildet 
sind, haben daher vorn auf einer Strecke von etwa anderthalb Zoll 
eine metallische Füllung, in deren Durchbohrung aufgeschlitzte 
Stifte eingeschoben sind. Auf die herausragenden Enden dieser 
Stifte werden nun die Kugeln aufgesteckt, zwischen denen man 
Funken überschlagen lassen will. 

Jede der Maschinen hat einen besondern Schnurlauf, aber 
beide Schnurläufe werden durch eine gemeinsame Kurbel, deren 
Axe zwei gleich grofse Rollen trägt, in Bewegung gesetzt. Die 
Schnüre sind vorher möglichst gleichlang gemacht, so dafs eine 
geringe Verstellung der Axe, ohne weitere künstliche Vorrichtung, 
hinreichend ist, sie in gleicher Spannung zu erhalten. 

Die Rotation beider Scheiben geschieht also mit gleicher Ge- 
schwindigkeit, und, mechanisch genommen, auch in gleicher Rich- 
tung. Allein in elektrischer Beziehung rotiren beide Scheiben ent- 
gegengesetzt, weil nämlich die Elektrodenkämme für die eine an 
der linken Seite und für die andere an der rechten liegen. Des- 
halb haben auch die gezahnten Belege der einen Scheibe die um- 
gekehrte Lage von denen der andern. Die Rotation wird übrigens 
durch die zwei Scheiben nicht im Geringsten erschwert; die Dop- 
pelmaschine rotirt eben so leicht, wie die einfache. 

Von sonstiger Einrichtung der Doppelmaschine will ich nur 
erwähnen, dafs die lothrechten Stützen, welche die verschiebbaren 
Elektrodentheile tragen, aus zwei in einander geschobenen Röhren 
bestehen, damit sie nach Bedürfnis verlängert werden können, um 
so die Elektroden nicht allein in Niveau mit den oberen Scheiben- 
rändern zu bringen, sondern auch noch einige Zoll darüber zu er- 
heben; dafs ferner die Kugeln am obern Ende der lothrechten 


vom 12. Mai 1870. 297 


Träger auch eine vertikale Einbohrung besitzen, um kleine Ebonit- 
stützen aufzunehmen, welche zum Halten von Geilslerschen Röh- 
ren, Thermometern oder anderen Gegenständen bestimmt sind; 
endlich dafs der Maschine, statt zwei Flaschen, vier von der be- 
kannten Form und Gröfse beigegeben sind, welche an die unteren 
Querarme der Elektroden angesetzt werden. 

Von ruhenden Scheiben habe ich dreierlei Paare angewandt. 
Erstens die gewöhnlichen mit zwei Ausschnitten und daran sitzen- 
den gezahnten Belegen. Zweitens die von mir bei der S. 290 er- 
wähnten neuen Combination benutzten mit vier Ausschnitten, von 
denen zwei ohne gezahnte Belege sind. Und drittens die früher 
von mir empfohlenen (Monatsberichte, 1869, April) ohne Ausschnitt 
mit blofsen Durchbohrungen. Für gewöhnlich habe ich indefs das 
erstere Paar angewandt, und mich der beiden anderen nur zu be- 
sonderen Zwecken bedient. 

Um die Maschine auseinander nehmen zu können, ist von 
Hrn. Borchardt die Vorrichtung getroffen, dafs die Elektroden- 
kämme in einer in den Ebonitsäulen befestigten Hülse stecken 
und diese Säulen selbst wiederum um 90° drehbar sind. Demge- 
mäfs werden die Kämme erst ein wenig von den Scheiben abge- 
schoben'), dann senkrecht gestellt, und nun die Ebonitsäulen um 
90° gedreht, nachdem man die zu ihrer Befestigung dienenden 
eisernen Schraubenmütter am Fufse derselben etwas gelüftet hat. 
Jetzt kann man die Scheiben abtrennen, um sie entweder zu 
reinigen oder durch andere zu ersetzen.) Zur Wiederherstel- 


1) Statt dessen kann man auch die an dem einen Ende der Elektroden- 
kämme befindlichen Ebonitschrauben, welche zum Auseinanderhalten der bei- 
den Scheiben dienen, so weit zurückdrehen, dafs sie vor der rotirenden 
Scheibe vorbeigehen. 

?) Die rotirenden Scheiben dieser Doppelmaschine sind nicht gefirnifst, 
die ruhenden sind es schwach. Um letztere von dem Staube zu reinigen, 
der sich auf sie absetzt, hat man sie bekanntlich mit einem nassen Lappen 
oder mit feuchtem Löschpapier abzuwischen. Bei längerem Gebrauche bilden 
sich aber auch Flecke auf denselben, die nicht auf diese Weise zu entfernen 
sind. Um diese fortzuschaffen und den Scheiben ihre ursprüngliche Sauber- 
keit zu geben, ist nichts geeigneter als das Abreiben mit Petroleum, wel- 
ches auch von der Scheibe der gewöhnlichen Elektrisirmaschine die bekann- 
ten schwarzen Amalgamflecke am schnellsten fortnimmt. Äther ist weniger 
gut, zumal er den Firnifs angreift, wenn er nicht alkoholfrei ist. 


m nn Le —————— 


298 Gesammtsitzung _ 


lung der Maschine wird begreiflich in umgekehrter Weise ver- 
fahren. 


Erregungsweise der Doppelmaschine. 


Die Doppelmaschine läfst sich durch jede der drei vorhin 
(S. 282) beschriebenen Methoden mit grofser Leichtigkeit in Thä- 
tigkeit setzen. | 

Die erste derselben, die Erreguug von der Rückseite her, be- 
werkstellige ich gewöhnlich, wie bei der einfachen Elektromaschine, 
durch eine kleine Flasche (von etwa 20 Quadratzoll äufserer Be- 
legung), die an einer Elektrisirmaschine von auch nur geringer 
Gröfse geladen worden ist. Wenn man eine solche Maschine zur 
Hand hat, finde ich dies Erregungsmittel bequemer und sicherer 
als das der geriebenen Ebonitplatte, deren Rlektrisirung durch Rei- 
bung bisweilen viele körperliche Anstrengung erfordert. 

Vor Anlegung der Flasche müssen jedoch, wenn die diame- 
tralen Conductoren einen beträchtlichen Winkel mit dem Horizont 
bilden, die Scheiben schon fest mit grolsen Belegen versehen sein. 
Ist dies nicht der Fall, und will man sie nicht mit Wachs u. dgl. 
ankleben, weil dies das beim Experimentiren oft nöthige Abnehmen 
derselben erschwert, so mufs man die Scheiben erst anderweitig 
elektrisiren, damit die Belege durch elektrische Adhäsion haften 
bleiben. Diese Elektrisirung geschieht am einfachsten, wenn man 
die erwähnten Elektroden, bevor man die Flasche anlegt, einen 
kleinen Winkel mit dem Horizont machen läfst. Die Belege ad- 
häriren dann bald und bleiben tagelang haften, wenn auch unter- 
defs die Maschine ganz wirkunglos geworden ist.!) 


1) Die blos adhärirenden Belege zeigen bisweilen die eigenthümliche Er- 
scheinung, dafs sie während des Stromes von den Scheiben abgestofsen, förm- 
lich aufgerollt und weggeschleudert werden. Vorzugsweise beobachtete ich 
dieses, wenn sie aus dem allerdünnsten Postpapier geschnitten waren, wel- 
ches im Übrigen, aufgeklebt, seinem Zweck sehr gut entspricht. Ich wende 
daher etwas diekeres Papier an, bei welchem der genannte Übelstand selte- 
ner eintritt. Wenn er auch bei diesem erfolgt, was gewöhnlich an dem den 
Zähnen zugewandten Ende der Belege zuerst zu geschehen pflegt, so drücke 
ich das Papier durch einen Ebonitstreifen wiederum sanft gegen die Scheibe. 


vom 12. Mai 1870. 299 


Um die Doppelmaschine schnell zu erregen, ist es gut, die 
Elektroden zuvor auseinander zu ziehen. Legt man dann die 
Flasche an einen der Belege der einen Partialmaschine, so kom- 
men beide gleichzeitig in entgegengesetzte Thätigkeit.') 

Es schadet freilich nicht, wenn die Elektroden zusammenge- 
schoben sind; denn kommt auch dann zunächst nur diejenige Par- 
tialmaschine in Thätigkeit, welche man mit der Flasche berührt 
hat, so bringt doch diese die zweite auch zur Wirksamkeit, sowie 
man die Elektroden auseinander zieht. Nur geht dann der Erre- 
gungsprocels etwas langsamer von Statten. 

Bei zusammengeschobenen Elektroden kann man auch die bei- 
den Partialmaschinen gleichsinnig erregen, indem man die eine 
an ihrem linken und die andere an ihrem rechten Beleg mit 
der Flasche berührt. Diese Gleichsinnigkeit erhält sich, so lange 
die Elektroden in Berührung bleiben und selbst noch ein Weile, 
nachdem man diese auseinander gezogen hat; allein es dauert nicht 
gar lange, so kehrt sich der eine oder andere Partialstrom um, 
beide gehen widersinnig und dadurch kommt dann der Doppel- 
strom zwischen den Elektroden zum Vorschein. 

Ist einmal die Doppelmaschine vollständig erregt, so kann 
man ohne Nachtheil die diametralen Conductoren entfernen, sobald 
nur die Elektroden in Berührung gehalten werden. Ja man kann 
diese sogar um einen Zoll und mehr auseinander ziehen, ohne die 
Wiedersinnigkeit der Partialströme zu stören, und ohne also den 
Doppelstrom zu vernichten. Entfernt man sie aber weiter, so kehrt 
sich der Strom der einen oder andern Partialmaschine um, läuft 
mit dem der zweiten gleichsinnig und damit hat dann der Doppel- 
strom seine Endschaft erreicht. 

Hat man vor der Erregung die Conductoren abgenommen, so 
kann begreiflich von dem Doppelstrom nicht die Rede sein; allein, 
wenn dabei die Elektroden zusammengeschoben sind, so kommt 
doch bei Anlegung der Flasche eine der Partialmaschinen zur 


1) Dieselbe Übertragung von einer Partialmaschine zur andern findet auch 
statt, wenn die ruhenden Scheiben vier Ausschnitte haben, zwei mit kleinen 
Belegen und zwei ohne dieselben. Die Elektroden, deren Bogen hierbei die 
Stelle des diametralen Conductors vertritt, müssen aber nothwendig auseinan- 
der gezogen sein, sonst erfolgt keine Erregung. 


300 Gesammtsitzung 


Wirksamkeit, nämlich diejenige, deren Beleg man berührt hat; die 
andere bleibt unthätig. Sie verharrt in dieser Unthätigkeit selbst 
wenn man die Elektroden ein wenig auseinander zieht, allein nur 
eine Zeitlang, dann wird auch sie durch den Einflufs der ersten 
Maschine erregt, und da es gleichsinnig mit dieser geschieht, ver- 
schwindet damit zwischen den Elektroden der Partialstrom, den 
man anfangs bekam. 

Bei der zweiten Erregungsmethode, von der Vorderseite her 
durch geladene Flaschen oder einen Maschinenstrom, kommen diese 
Verhältnisse nicht vor, da sie nothwendig eine Trennung der Elek- 
troden voraussetzt. Sonst aber zeigt dabei die Doppelmaschine 
alle die Merkwürdigkeiten, welche der einfachen Maschine eigen sind. 

Es versteht sich übrigens von selbst, dafs die Doppelmaschine 
vermöge ihrer beiden Partialmaschinen Gelegenheit giebt, alle die 
Erscheinungen zu beobachten, welche bei gegenseitiger Einwirkung 
zweier einfachen Maschinen auftreten und vorhin (8. 285). beschrie: 
ben wurden. | 

Ebenso kann man leicht das S. 283 erwähnte Rotationsphä- 
nomen darstellen. Wenn man nämlich an der vollständig mit Con- 
ductoren und Papierbelegen armirten Doppelmaschine die eine der 
Partialmaschinen von ihrem Schnurlauf befreit, und nun die andere 
mittelst der Kurbel rechtläufig dreht, so geräth die erstere von 
selbst in eine ganz schnelle rückläufige Rotation, sobald nur die 
Elektroden hinreichend auseinander gezogen sind. Dabei senden 
die an einem und demselben Querarm befindlichen Elektrodenkämme 
entgegengesetzte Elektrieitäten aus, so dafs also von einem Dop- 
pelstrom nicht die Rede sein kann. Hat man den Conductor vor 
die unbelegten Quadranten der ersten Partialmaschine gestellt, so 
vermag ihre bewegliche Scheibe in beiden Richtungen zu rotiren, 
aber nicht so schnell. An der rückläufig rotirenden Scheibe 
haben übrigens die positiven Lichtpinsel eine verkehrte Lage, sind 
nämlich zwar, wie immer, dem Sinn der Rotation entgegen ge- 
richtet, aber auch entgegen den Zähnen der Belege. 


Leistungen der Doppelmaschine. 


Von den Leistungen der Doppelmaschine will ich hier nur 
die leuchtenden Entladungen in Betracht ziehen, die in freier Luft 


vom 12. Mai 1870. 301 


“mit und ohne Beihülfe von Flaschen zwischen ihren Elektroden 
stattfinden. 


a) Entladungsströme mit Beihülfe von Flaschen. 


Unter Funken sind hier immer die Entladungsfunken der klei- 
nen, der Maschine beigegebenen Flaschen von 103 Quadratzoll 
äufserer Belegung und 14 Lin. Glasdicke verstanden. 

Zwischen Kugeln von 10 par. Lin. Durchmesser erhalte ich 
diese Funken, ohne die Elektroden vorher einander näher gestellt 
zu haben, so lang, wie es die Dimensionen der Maschine gestatten, 
d. h. von 8 par. Zoll (21,7 Centim.) Länge, was den Abstand 
zwischen den Elektrodenkämmen fast um einen halben Zoll über- 
trifft.‘) Dabei sind sie von einer Kräftigkeit, wie man sie bisher 
von Scheiben gleicher Gröfse noch nicht erhalten haben möchte, 
und noch mehr ist dies der Fall, wenn man alle vier der Maschine 
beigegebenen Flaschen anwendet. Ich glaube sogar, dafs man die 
Intensität der Funken, ohne Benachtheiligung ihrer Länge, noch 
viel weiter erhöhen könnte, wenn man gröfsere Flaschen von ge- 
eigneter Gestalt und hinreichender Breite ihres unbelegten Randes 
anwendete. 

Es ist aber nicht allein die Länge und Kräftigkeit der 
Funken, wodurch sich die Doppelmaschine zu ihrem Vortheil aus- 


1) Zwischen gröfseren Kugeln sind sie natürlich kürzer. Kugeln von 
18 Lin. Durchmesser geben nur 5zöllige Funken. Nehme ich aber blofs 
zur negativen Kugel eine von 18 Lin., so sind die Funken wiederum so lang 
als es dann die Dimensionen der Maschinen verstatten, nämlich 74 Zoll. 

Als eine zwar nicht ganz unbekannte, aber doch immerhin bemerkens- 
werthe Thatsache will ich hier noch anführen, dafs, wiewohl man zwischen 
Kugeln von 10 Lin. Durchm. die Funken ohne alle Schwierigkeit von 8 Zoll 
Länge erhält, sie doch verschwinden, wenn man die negative Elektrode 
etwa 2 Zoll einschiebt, und erst wieder zum Vorschein kommen, wenn man 
diese Einschiebung bis auf etwa 6 Zoll verlängert hat. Im dem Intervall von 
4 Zoll (worin man freilich durch einen der negativen Elektrode genäherten 
Metallkamm die Funken auch wieder hervorrufen kann) erscheint an der ne- 
gativen Elektrode ein kurzer zischender Büschel und an der positiven blaues 
Glimmlicht. 

Endigt die negative Elektrode in einer Kugel von 18 Lin. Durchmesser 
oder endigen beide Elektroden in einer solchen Kugel, so ist von ebenge- 
nannter Erscheinung nichts zu sehen, 


302 Gesammtsitzung 


zeichnet, sondern auch die Leichtigkeit und Sicherheit, mit 
der man sie erhält. 

Meine einfache Maschine, eine sehr gute der neueren Construc- 
tion, giebt auch wohl Funken von 7, ja sogar von 8 par. Zoll, 
aber sie giebt sie nur selten, die letztern sogar äufserst selten, 
und, wenn sie dieselben giebt, so geschieht es nur für eine Weile; 
dann verschwinden sie, und es ist nicht möglich, sie und selbst 
kürzere wieder hervorzurufen. 

Bei der Doppelmaschine dagegen erscheinen die Funken vom 
ersten ab in ununterbrochener Reihenfolge, so lange wie man will, 
schon bei ganz langsamer Rotation der Scheiben (etwa 3 bis 4 
Umläufe in der Sekunde) und ohne dafs man nöthig hat, die Elek- 
troden erst auf einen kleineren Abstand einzustellen. Diesen Vor- 
zug schreibe ich dem Umstande zu, dafs durch die beträchtlichen 
Dimensionen ihrer metallischen Theile die schädliche Ausstrahlung 
vermieden ist, welcher die bisherigen Maschinen in so hohem Malse 
ausgesetzt sind.') 

Die Funkenbildung in der Doppelmaschine bestätigt in recht 
auffallender Weise das, was vorhin $. 277 über die Nothwendig- 
keit eines bestimmten Winkels für den Conductor gesagt worden 
ist. Um das Maximum der Funkenlänge von 8 par. Zoll zu er- 
halten, reicht ein Winkel von 45° gegen den Horizont nicht aus, 
vielmehr müssen die Conductoren bis zu 70°, 75° und mehr ge- 
neigt werden. Andererseits kann man beobachten, dafs sich bei 
einem Winkel von 30° kürzere Funken, z. B. won 4 Zoll Länge, 


1) Ich zweifle daher auch gar nicht, dafs die einfache Maschine, wenn 
man sie mit ähnlichen voluminösen Elektroden versähe, wie sie die neue 
Doppelmaschine besitzt, auch eben so lange Funken mit Sicherheit geben 
würde wie letztere, nur freilich nicht in solcher Menge. Die Länge der 
Funken scheint unter gleichen Umständen, wie auch schon früher bemerkt 
worden, nur von der Gröfse der rotirenden Scheibe abzuhängen, oder, ge- 
nauer gesprochen, von der Länge der Kreisbögen, welche die Theile dieser 
Scheibe von dem einen Elektrodenkamm zu dem andern zurückzulegen haben. 
Viel länger als der gegenseitige Abstand dieser Kämme können die Funken 
überhaupt nicht werden. Zuweilen schlagen sogar schon bei geringerem Ab- 
stande der Elektroden von einander die Funken nicht zwischen diesen über, 


sondern von dem einen Kamm zum Conductor und von diesem zum andern 
Kamm. 


vom 12. Mai 1870. 303 


wohl auf Seite des negativen Elektrodenhalters entwickeln lassen, 
nicht aber auf Seite des positiven. 

Eine andere merkwürdige Beobachtung, die man freilich bei 
jeder Elektromaschine, nur nicht so ausgeprägt wie bei der Dop- 
pelmaschine machen kann, besonders wenn man Fuuken von $ Zoll 
durch sie entwickelt, betrifft die Einwirkung von Spitzen auf die 
Funkenbildung. 

Nimmt man einen Metallkamm in die Hand und nähert ihn, 
während des Überschlagens der Funken, der äufsern Kugel der 
positiven Elektrode nur einen Augenblick, so verschwinden die 
Funken, und es dauert eine ganze Weile, ehe sie wiederum zum 
Vorschein kommen. Sie folgen dann in einem relativ langsamen 
Tempo auf einander, das aber, bei gleicher Rotationsgeschwindig- 
keit der Maschine, beschleunigt wird, wenn man nun den Kamm 
gegen die äulsere Kugel der negativen Elektrode hält. Eine 
einzige Spitze, eine feine Nähnadel, thut dieselben Dienste, 

Je gröfser die Funkenlänge ist, desto gröfser ist auch die 
Entfernung, von welcher aus die Spitzen diese fast magische Wir- 
kung ausübten. Achtzöllige Funken werden schon aus einer Ent- 
fernung von sechs Zoll vernichtet, und aus einer fast eben so STO- 
[sen wieder hergestellt. Zu grolse Nähe des Kamms an der ne- 
gativen Elektrode ist übrigens auch schädlich; sie unterdrückt die 
Funken ebenfalls und veranlafst das Ausbrechen eines Lichtbüschels 
aus der positiven Elektrode. 

Schon früher ist von mir und Anderen beobachtet worden, 
dafs, wenn anfangs die Funken nicht oder nicht recht erscheinen 
wollen, man sie hervorlocken oder in besseren Gang bringen kann, 
wenn man der negativen Elektrode einen Knöchel nähert. Die- 
selbe Wirkung übt in höherem Grade ein Spitzenkamm oder eine 
Nähnadel aus. 

Auf kürzere Funken, etwa von 2 bis 3 Zoll Länge, hat eine 
Spitze keine so entschiedene Wirkung; doch läfst sich auch bei 
diesen wahrnehmen, dafs sie dieselben verlangsamt oder beschleu- 
nigt, je nachdem sie der positiven oder negativen Elektrode ge- 
nähert wird. 


b) Entladungsströme ohne Flaschen. 


Die Entladungsströme zwischen den Elektroden der Elektro- 
maschinen ohne Mitwirkung von Flaschen sind so mannigfaltie, 


304 Gesammtsitzung 


dafs die herkömmliche Unterscheidung der drei Formen von Funken-, 
Büschel- und Glimm-Entladung kaum eine ausreichende Anwendung 
auf sie gestattet. Sie wechseln aufserordentlich nach Gröfse und 
Gestalt der vordern Enden der Elektroden, nach Gröfse und Lage 
des Abstands zwischen ihnen. 

Bis auf etwa einen halben Zoll auseinander gezogen, hat man 
zwischen den Elektroden ein lichtschwaches violettes Band, das an 
der positiven Seite in einem scharf abgeschnitten hellen Theil von 
Linienlänge endigt und dadurch das leichteste Erkennungsmittel 
des positiven Pols abgiebt. Wenn der Strom stark ist, und be- 
sonders wenn zugleich die Kugeln grofs sind, zerfällt dies violette 
Band in mehre ebenso gefärbte Bänder, die, offenbar vermöge der 
Erwärmung der Luft, nach oben gekrümmt sind, sich bald vereini- 
gen, bald wieder trennen. Welchen Namen soll man diesen Licht- 
Erscheinungen beilegen? — Es sind weder Büschel, noch Funken, 
in welche letztere sie aber augenblicklich übergehen, sowie man 
die positive Elektrode ableitend berührt. 

Entfernt man die Elektroden um einen Zoll und etwas mehr 
von einander, so erfolgt der Übergang der Elektricität zwischen 
‘hnen in sehr hell leuchtenden Streifen, die sich ebenfalls bald 
trennen, bald wieder vereinigen, und die nach der negativen Elek- 
trode hin ganz deutlich einen dunklen Raum erkennen lassen. 

Diese Lichtstreifen, welche man wohl schon als eigentliche 
Funken betrachten kann, erscheinen noch bei einem Abstand von 
anderthalb Zoll zwischen den Elektroden, aber nur dann, wenn 
dieser Abstand auf der positiven Seite liegt, d. h. die positive 
Elektrode weit ausgezogen und die negative weit hineingeschoben 
ist. Liegt der Abstand auf der negativen Seite, so erhält man 
statt der compacten Lichtstreifen bereits einen in der Mitte aufge- 
schwollenen Büschel, in welchen von der positiven Elektrode aus 
geschlängelte Funken hineinfahren. 

Es würde ermüdend sein, alle die Formen zu beschreiben, 
welche der leuchtende Übergang der Elektrieität je nach der Ent- 
fernung, Gröfse und Lage der Elektrodenkugeln annehmen kann. 
Ich will nur bemerken, dafs, wenn diese Kugeln, nach der positi- 
ven Seite hin, einen gewissen Abstand von einander hahen, man 
keinen sie verbindenden Lichtstreifen oder Lichtbüschel bekommt, 
sondern ein blaues Glimmerlicht an der positiven Kugel und einen 


vom 12. Mai 1870. 305 


kurzen lichtschwachen Büschel.an der negativen, während sich zu- 
gleich ein tiefer Ton hörbar macht, der in einen hohen zischenden 
übergeht, sowie man der positiven Elektrode einen Metallkamm 
nähert oder ihn ableitend berührt. Dieser Abstand entspricht den 
„schwachen Funken“ des Hrn. Riefs, die man sogleich be- 
kommt, sowie man kleine Flaschen anlegt. Ich habe indefs diese 
Erscheinung nur bei der einfachen Elektromaschine gut beobachten 
können. 

Bei der Doppelmaschine ist begreiflich die Büschelbildung viel 
kräftiger als bei der einfachen, und wegen der Gröfse der Ober- 
fläche, welche die Elektricität bekleiden mufs, ehe sie die zum 
Durchbrechen der Luft erforderliche Dichtigkeit erlangt hat, eine 
weniger continuirliche als bei letzterer. 

Lange Büschel erhält man schon ganz gut zwischen zwei Ku- 
geln von 10 Lin. Durchmesser, nur sind sie dünn; kräftiger, aber 
freilich kürzer, sind sie zwischen zwei Kugeln von 18 Lin. Durch- 
messer. Am längsten, über 7 Zoll lang und zugleich sehr kräftig, 
habe ich sie erhalten, wenn ich die positive Elektrode mit einer 
der kleinern Kugeln und die negative mit einer der gröfsern versah. 
Nicht ganz so lang, aber fast noch schöner bekam ich den Bü- 
schel, als ich die negative Kugel durch eine Scheibe von 6 Zoll 
Durchmesser ersetzte. Er hatte dann gewissermafsen die Gestalt 
eines Paraboloids, dessen Basis der Scheibe zugewandt war. Ob- 
wohl auf dem scharfen Rand dieser aus dünnem Zinkblech ge- 
schnittenen Scheibe einzelne Punkte von Glimmlicht erschienen, so 
schadete dies doch dem Büschel durchaus nicht; er war besser aus- 
gebildet als bei zwei andern Scheiben mit umgelegten Rändern. 

Bei der Elektrisirmaschine besteht der positive Büschel ge- 
wöhnlich zunächst der Kugel, von welcher er entweicht, aus einem 
kurzen hellen Stiel, der sich weiterhin zu zarten Lichtfäden aus- 
breitet. Bei der Elektro-Doppelmaschine dagegen schiefsen, wenn 
der Abstand zwischen den Elektroden einige Zoll beträgt, fortwäh- 
rend verästelte und ziemlich compacte Blitze von der positiven Ku- 
gel aus in die zarte Lichthülle hinein, die sich bis zur negativen 
Elektrode erstreckt. 

Diese Erscheinung wird in hohem Grade verstärkt, wenn man 
die Maschine mit grofsen Conductoren versieht, ähnlich denen, die 
bei den Elektrisirmaschinen üblich sind. 


306 Gesammtsitzung 


Schon in meiner Arbeit: „Über die Wärme-Entwicklung in 
der Luftstrecke elektrischer Entladungen,“ ') habe ich gezeigt, dafs 
es für die Wirkung solcher Conductoren gar nicht nöthig ist, sie 
der Länge nach von dem Strom durchlaufen zu lassen, sondern dafs 
es hinreicht, sie demselben seitwärts anzusetzen, um SO für die 
Elektrieität gleichsam eine Sackgasse zu bilden. Sie wirken also 
nieht sowohl durch ihr Leitungsvermögen, als vielmehr dadurch, 
dafs sie wegen ihrer grofsen Oberfläche eine bedeutende Anhäufung 
von Elektrieität gestatten, ohne sie, wie in der Leidner Flasche, 
zu verdichten. Deshalb und um sie von den früher besprochenen 
Hülfsconductoren genügend zu unterscheiden, finde ich es auch 
zweckmälsiger, sie Colleetoren oder Cumulatoren zu nennen 
als Conductoren. 

Vermöge der eben genannten Eigenschaft ist es nun leicht, 
jede Elektromaschine und also auch die Doppelmaschine, wenn sie 
die von mir gewählte Einrichtung besitzt, mit Collectoren oder 
Cumulatoren zu versehen. Ich ziehe nämlich oben aus den Ku- 
geln, welche die verschiebbaren Theile der Elektroden aufnehmen, 
die kleinen, zum Tragen von Hülfsapparaten bestimmten Stützen 
heraus und stecke statt deren die Zapfen hinein, welche an einem 
Ende der Colleetoren angebracht sind. Diese, welche also senk- 
recht stehen, haben bei eylindrischer Gestalt eine Höhe von 2 Fufs 
und eine Oberfläche von 24 Quadratfufs, ein jeder. Sind sie aus 
dünnem Blech gearbeitet, so beschweren sie die Maschine durchaus 
nicht, und lassen sich eben so leicht entfernen als wieder auf- 
setzen. 

Statt der ganz metallenen Colleetoren habe ich auch wohl 
Leidner Flaschen oder blofis äufserlich mit Stanniol belegte Glas- 
cylinder angewandt, die auf Tellern ruhen, welche mittelst Zapfen 
oben in den Tragekugeln der Elektroden befestigt sind.”) Diese 


1) Monatsberichte, 1867, Mai. 

2) Diese Teller sind von Holz, halten nahe 6 Zoll im Durchmesser und 
haben einen wulstigen Rand, um die Flaschen am Abgleiten zu hindern; ihre 
metallenen Zapfen, durch welche sie mit den Elektroden in leitender Verbin- 
dung stehen, gehen durch bis zur obern Fläche, die mit Stanniol belegt ist. 
Will man die darauf gestellten Flaschen laden, so müssen natürlich ihre in- 
neren Belege leitend verbunden werden. Solche Teller sind sehr bequem, 
um grölsere Flaschen zu laden, für die sonst kein Platz ist an der Maschine. 
Ich habe daher sowohl die einfache als die doppelte mit ihnen verschen lassen. 


vom 12. Mai 1870. 307 


halb gläsernen Collectoren wirken ähnlich wie die metallenen, aber 
wegen ihrer geringeren Gröfse natürlich schwächer. 

Schon die kleineren Collectoren zeigen die aus der positiven 
Elektrodenkugel hervorschief[senden Blitze in sehr verstärktem Grade 
und noch mehr ist dies der Fall bei den grofsen metallenen. 

Bei letzteren ist es nicht mehr ein reiner Büschel, was man 
erhält, sondern ein Gemisch von Büscheln und Funken. Durch 
eine zarte Lichthülle von ellipsoidischer Gestalt schlagen fortwäh- 
rend Funken von einer Elektrode zur andern über, in so rascher 
Folge, dafs sie als ein zusammenhängender, vielfach geschlängel- 
ter Blitz erscheinen. Diese Funken, welche man von 7 Zoll Länge 
erhalten kann, sind bei weitem nicht so compact, so hell und ge- 
räuschvoll wie die Entladungsfunken der Leidner Flasche, aber 
man sieht sie doch noch sehr gut bei hellem Tageslicht, im Dunk- 
len freilich viel schöner. Sie haben viele Ähnlichkeit mit den 
Funken der Elektrisirmaschine. 

In dieser ausgeprägten Gestalt zeigt sich die Erscheinung, 
wenn die Maschine mit zwei Collectoren versehen ist, und zugleich 
die positive Elektrode in einer kleineren Kugel (10 Lin. Duchmes- 
ser) und die negative in einer gröfsern (18 Lin. Durchm.) endigt. 

Nimmt man den negativen Oollector ab, so sind die von 
der positiven Elektrode ausgehenden Funken kürzer, nicht mehr 
die negative Elektrode erreichend, aber dafür verästelter, während 
andrerseits der ellipsoidische Büschel heller und ausgebildeter er- 
scheint. 

Nimmt man dagegen den positiven Collector fort, so erhält 
man keine blitzähnliche Funken, sondern statt deren an der posi- 
tiven Elektrode einen gestielten Büschel, dessen Lichtfäden stark 
divergiren und sich bisweilen von den Fäden des negativen Bü- 
schels ganz abtrennen. 

'Der Einflufs eines Metallkamms oder einer Spitze auf diese 
Büschel und blitzähnlichen Funken ist fast noch stärker als auf 
die compacten Entladungsfunken. Schon aus mehr als 6 Zoll Ab- 
stand von der positiven Elektrode vernichtet er sie gänzlich, und 
aus eben so grofser Entfernung von der negativen Elektrode ver- 
stärkt und beschleunigt er sie, wie man dies namentlich an dem 
schnelleren Tempo des knackenden Geräusches der Funken ver- 
nimmt. 


[1870] | 22 


308 Gesammtsitzung 


Vergleich der neuen Doppelmaschine mit der älteren 
des Hrn. Holtz. 


Obwohl die neue Doppelmaschine die einfache begreiflich in 
allen Wirkungen übertrifft, so ist es doch vorzugsweise die Bildung 
von Funken und Büscheln, worin sich diese Überlegenheit aus- 
spricht. Dies gilt auch in Betreff einer Maschine, die ihr eigent- 
lich an Wirkung gleich sein sollte, nämlich in Betreff der früher 
von Hrn. Dr. Holtz construirten Maschine, deren ruhende Scheibe 
vier s. g. Elemente oder Erregungsstellen besitzt. 

Diese Maschine, der ich neuerdings eine einfachere Gestalt 
gegeben habe,') ist, wiewohl sie nur eine ruhende Scheibe besitzt, 
doch auch als Doppelmaschine zu betrachten, da sich darin eben- 
falls zwei Partialströme von entgegengesetzter Richtung unterschei- 
den lassen, die hier bemerkenswertherweise ohne schrägen Oonduc- 
tor zu Stande kommen, und sich in einer Brücke zu einem gleich; 
gerichteten Strom vereinigen. 

So wie ich diese Maschine absfndert habe, steht vor den 
lothreehten Belegen der diametrale Conductor und vor den horizon- 
talen der aus den zusammengeschobenen Elektroden gebildete Bo- 
sen. Verbindet man nun Conductor und Bogen in ihren Mitten 
durch einen Leiter und erregt einen der gezahnten Belege auf ge- 
wöhnliche Weise, so erhält man in dieser Brücke (die aber bei 
der Erregung ganz geschlossen sein mufs oder wenigstens nur 
durch eine sehr kleine Luftstrecke unterbrochen sein darf) den 
Summenstrom, wobei die Kämme der Elektroden beide z. B. posi- 
tive Elektrieität ausströmen, wenn die Kämme des Conductors 
beide negative abgeben. 

Insofern kommt also diese Maschine mit der neuen Doppel- 
maschine überein; allein in anderer Beziehung weicht sie sehr zu 
ihrem Nachtheil von dieser ab. 

So lange nämlich die Brücke aus einem Leiter besteht, thut 
sie gute Dienste, und daher mag sie bei Beobachtung der magne- 
tischen Wirkung oder der Erscheinungen in stark verdünnten Ga- 
sen ziemlich eben so viel leisten als die neue Maschine. Sowie 
man aber die Brücke in freier Luft irgendwo unterbricht, um Fun- 
ken zu erzeugen, nimmt der Strom rasch ab, und ehe man diese 


1) Monatsberichte 1869, April, S. 327. 


vom 12. Mai 1870. 309 


Luftstrecke bis zu einem Zoll verlängert hat, ist er gewöhnlich 
ganz erloschen. Von Büscheln ist überdies gar nicht die Rede. 

Diesem Mangel ist nicht durch einen Hülfsconductor abzuhel- 
fen, der auch hier gar nicht die Rolle wie bei der neuen Doppel- 
maschine spielen würde, da die Widersinnigkeit der Partialströme 
schon ohne ihn vorhanden ist. 

Die Abnahme der Funkenlänge, welche Hr. Dr. Holtz auch 
bei andern Maschinen wahrgenommen hatte, wenn er die Quantität 
der Elektrieität durch Vermehrung der Erregungsstellen an einer 
Scheibe zu vergröfsern suchte, sowie ähnliche Beobachtungen, die 
ich bei Verknüpfung zweier Maschinen durch Drähte machte, schie- 
nen der Vermuthung Raum zu geben, dafs Funkenlänge und Elek- 
trieitätsmenge in einem umgekehrten Verhältnifs zu einander stän- 
den, und ich mufls bekennen, dafs es zum Theil der Wunsch war, 
hierüber ins Reine zu kommen, der mich bewog, die neue Doppel- 
maschine construiren zu lassen. Durch sie ist denn diese Vermu- 
thung gründlich widerlegt. 


Schlufsbemerkung. 


Die neue Doppelmaschine ist, glaube ich, die vollkommenste 
Elektromaschine, welche bisher dargestellt worden, in Betreff so- 
. wohl der Kräftigkeit ihrer Leistungen, als der Eleganz und Zweck- 
mäfsigkeit jhrer Construction. Ihr Bau ist ein ganz symmetrischer, 
und der Experimentator, welcher ihre Wirkungen einem gröfsern 
Auditorium zu zeigen hat, ist dabei sowohl diesem als der Ma- 
schine mit den Augen zugewandt. Sie eignet sich also ganz vor- 
züglich zu Vorlesungen, zumal sie, viel leichter als die einfache 
Maschine, durch einen Glaskasten gegen die feuchte Atmosphäre 
einer grofsen Versammlung geschützt werden kann. 

Dabei besitzt sie die nicht genug zu schätzende Tugend frei 
zu sein von den so störenden Strom-Umkehrungen; wenigstens 
habe ich dieselben bei trockner Luft bis jetzt nicht wahrnehmen 
können, obgleich ich sie mit allem Fleifse absichtlich hervorzurufen 
suchte. 

Täusche ich mich nicht, so hat mit dieser Maschine, falls 
nicht etwa noch ein ganz neues Princip aufgefunden wird, die 
weitere Vervollkommnung derselben ihren einstweiligen Abschlufs 

22° 


310 Gesammtsitzung 
gefunden. Freilich könnte man sie — was ich übrigens nicht 
einmal für rathsam halten möchte — in grölserem Mafsstabe dar- 


stellen und dadurch ihre Wirkung ansehnlich steigern; aber schwer- 
lich wird man doch über das Doppelte der Leistungen einer ein- 
fachen Maschine von gleichen Dimensionen hinauskommen, sobald 
man auf grofse Funkenlänge bestehen bleibt. 

Will man diese aufgeben, so bietet allerdings der schon von 
Hın. Dr. Holtz eingeschlagene Weg, nämlich Vermehrung der 
Erregungsstellen an einer und derselben Scheibe, ein Mittel dar, 
die Quantität der Elektrieität bedeutend zu vergröfsern. Ein 
Probe-Exemplar dieser Art, welches ich der Güte des Erfinders 
verdanke, und an einer Scheibe von fast drittehalb Fuls Durch- 
messer 20 Erregungsstellen besitzt, also die Elektricitätsmenge der 
einfachen Maschine verzehnfachen sollte, leistet in dieser Beziehung 
allerdings Bedeutendes, ist aber den Strom-Umkehrungen und an- 
deren Mängeln in dem Maalse ausgesetzt, dafs man durch sie den 
beabsichtigten Zweck noch nicht als erreicht ansehen kann. 

Die hier beschriebene Doppelmaschine hat nicht allein einen 
erofsen praetischen Werth, sondern auch ein theoretisches Interesse 
von Bedeutung. Denn, wie vorhin gesagt, beruht ihre Wirkung 
darauf, dafs die Ströme der Partialmasehinen in entgegengesetzter 
Richtung gehen, und, damit sie dieses thun, müssen diametrale Con- 
ductoren angebracht sein. Ohne solche Conductoren entwickelt 
die Doppelmaschine genau eben so viel Elektrieität wie mit den- 
selben; aber diese schlägt einen andern Weg ein, geht zwischen 
den rotirenden Scheiben gleichsam im Kreise herum, indem die 
Partialströme eine gleiche Richtung annehmen, Dadurch wird aber 
die Nutzwirkung vollständig annullirt. Zwischen den Elektroden 
geht durchaus kein Strom über, sobald beide Maschinen von glei- 
cher Kräftigkeit sind. 

Die Eigenschaft des diametralen Conductors, den Partialströ- 
men eine entgegengesetzte Richtung zu geben, nicht minder wie 
die analoge, die partielle Ladung von Flaschen zu erhöhen, scheint 
mir eine sehr wunderbare zu sein, welche sich für jetzt eben sa 
wenig theoretisch erklären läfst, als man sie schwerlich a priori 
aufgefunden haben würde. 


310 Gesammtsitzung 
gefunden. Freilich könnte man sie — was ich übrigens nicht 
einmal für rathsam halten möchte — in gröfserem Mafsstabe dar- 


stellen und dadurch ihre Wirkung ansehnlich steigern; aber schwer- 
lich wird man doch über das Doppelte der Leistungen einer ein- 
fachen Maschine von gleichen Dimensionen hinauskommen, sobald 
man auf grofse Funkenlänge bestehen bleibt. 

Will man diese aufgeben, so bietet allerdings der schon von 
Hın. Dr. Holtz eingeschlagene Weg, nämlich Vermehrung der 
Erregungsstellen an einer und derselben Scheibe, ein Mittel dar, 
die Quantität der Elektrieität bedeutend zu vergröfsern. Ein 
Probe-Exemplar dieser Art, welches ich der Güte des Erfinders 
verdanke, und an einer Scheibe von fast drittehalb Fufs Durch- 
messer 20 Erregungsstellen besitzt, also die Elektrieitätsmenge der 
einfachen Maschine verzehnfachen sollte, leistet in dieser Beziehung 
allerdings Bedeutendes, ist aber den Strom-Umkehrungen und an- 
deren Mängeln in dem Maalse ausgesetzt, dafs man durch sie den 
beabsichtigten Zweck noch nicht als erreicht ansehen kann. 

Die hier beschriebene Doppelmaschine hat nicht allein einen 
grofsen practischen Werth, sondern auch ein theoretisches Interesse 
von Bedeutung. Denn, wie vorhin gesagt, beruht ihre Wirkung 
darauf, dafs die Ströme der Partialmaschinen in entgegengesetzter 
Richtung gehen, und, damit sie dieses thun, müssen diametrale Con- 
ductoren angebracht sein. Ohne solche Conductoren entwickelt 
die Doppelmaschine genau eben so viel Elektricität wie mit den- 
selben; aber diese schlägt einen andern Weg ein, geht zwischen 
den rotirenden Scheiben gleichsam im Kreise herum, indem die 
Partialströme eine gleiche Richtung annehmen, Dadurch wird aber 
die Nutzwirkung vollständig annullirt. Zwischen den Elektroden 
geht durchaus kein Strom über, sobald beide Maschinen von glei- 
cher Kräftigkeit sind. 


Die Eigenschaft des diametralen Conductors, den Partialströ- 


men eine entgegengesetzte Richtung zu geben, nicht minder wie 
die analoge, die partielle Ladung von Flaschen zu erhöhen, scheint 
mir eine sehr wunderbare zu sein, welche sich für jetzt eben sa 
wenig theoretisch erklären läfst, als man sie schwerlich a prior: 
aufgefunden haben würde. 


Nonatsberreht d.h AdW Hear IS 10. 


C. Lane th: 


an 


com 12. Mai 1870. all 


Hr. W. Peters las über Platemys tuberosa, eine neue 
Art von Schildkröten aus British-Guiana. 


Unter den vielen interessanten Gegenständen aus British-Gui- 
ana, welche die Königlich zoologischen Sammlungen dem Eifer des 
Hrn. Richard Schomburgk verdanken, befindet sich ein Exem- 
plar einer Schildkröte in Weingeist, welches die wahrscheinlich 
sehr feinen Hornschilder verloren hat, sonst aber sehr wohl erhal- 
ten ist, und in seinem Reisewerke als „Platemys Hilarü Dum. 


Bibr.“ aufgeführt wurde") Die hiesige Sammlung von Schild- 


kröten war zur Zeit der Herausgabe jenes Werkes verhältnifsmä- 
fsig sehr arm und die Pl. Hilarii nur nach der Beschreibung in 
der Erpetologie generale (II. p. 429) bekannt, während erst vor 
wenig Jahren eine Abbildung derselben in dem Werke von Ca- 
stelnau über die südamerikanische Fauna erschienen ist.”) Diese 
letztere liefert aber den Beweis, dafs Pl. Hilarii in keiner Hinsicht 
von Pl. Geofroyana Schweigger verschieden ist, sondern sehr 
wahrscheinlich nach jungen Exemplaren dieser letztern aufgestellt 
wurde, wie dieses sowohl aus dem in unserm Museum befindlichen 
Originalexemplare von Pl. Geofroyana Wagler’s, wie aus der 
Vergleichung der reichen Sammlung des Hrn. Hensel aus Rio 
Grande de Sul und der Beschreibung in der Erpetologie generale 
hervorgeht. Das vorliegende Exemplar gehört dagegen einer sehr 
verschiedenen, durch die Convexität und die entwickelten Höcker 
ihres Rückenschildes sowie durch ihre Färbung sehr ausgezeichne- 
ten neuen Art an, über die ich mir erlaube, der Akademie eine 
genauere Mittheilung vorzulegen. 


Platemys tuberosa.n. sp. (Taf. 1.2.) 
Pl. iesta altiore, carina spinali distincta, scutis vertebralibus costa- 
libusque carinato-tuberosis; supra fusca, albo-fimbriolata, subtus al- 

bida nigro-rivulata. 

Platemys Hilarü Troschel, R. Schomburgk, Reisen in British-Guiana, 

III. p.647. (non DumeriletBibron). 
Der Kopf dieser Schildkröte hat eine ähnliche Form wie der 
von Pl. @eoffroyana, die dünne Hornbekleidung der Oberseite des- 
selben ist in ähnlicher Weise in schuppenförmige Abtheilungen zer- 


1) R. Schomburgk, Reisen in British-Guiana, III. p. 647. 
2) Castelnau, Exped. dans l’ Amerique du Sud. Rept. p.7. Taf. 1. 


312 Gesammtsitzung 


fällt und die Schläfengruben sind oben, wie man durch die Haut 
fühlen kann, durch eine Knochenbrücke von einander getrennt, 
welche doppelt so breit ist, wie die Interorbitalgegend. Die Augen 
sind einander mehr genähert und weniger entfernt von dem Lip- 
penrande als bei Exemplaren gleicher Grölse jener Art, auch er- 
scheint die Schnauze merklich kürzer, indem ihre Länge 3 des 
Augendurchmessers gleich kommt. Die Haut des Halses erscheint 
grob granulirt oder knotig., Die Dorsalseite des Vorderarms ist 
mit zwei bis drei Reihen halbmondförmiger Schuppen, der hintere 
häutige Saum mit viel gröfseren platten Schuppen bekleidet und 
die sehr entwickelten Schwimmhäute, welche die fünf Finger bis 
zu den Krallen mit einander verbinden, ragen mit ihren freien con- 
vexen Rändern zwischen den letzteren hervor. Auf dem Unter- 
schenkel findet sich vor den beiden hintern Reihen halbmondför- 
miger Schuppen nur eine unvollkommene dritte Reihe mit kleine- 
ren ähnlichen Schuppen und unter den grofsen Schuppen seines 
Vorderrandes ragt die gröfste vorletzte höckerartig hervor; die 
Schwimmhäute der Zehen sind ähnlich entwickelt, wie die der 
Finger. Der Schwanz ist kurz und seine Haut grob granulirt. 

Der Panzer ist höher als bei irgend einer andern Art, was 
besonders herrührt von der stark gekielten Beschaffenheit der drei 
inittleren Vertebralschilder; er ist verhältnifsmäfsig breiter als bei 
gleich grofsen Pl. Geoffroyana. Die tuberculöse Beschaffenheit der 
Costalschilder ist unter den bisher bekannten Arten von Platemys 
(Hydraspis Gray) characteristisch für diese Art. 

Das Sternum ist vorn mehr bogenförmig, weniger grade ab- 
geschnitten. Die Gularplatten sind verhältnifsmälsig kleiner und 
kürzer, indem die Seiten des Winkels, mit welchem das Intergulare 
zwischen den Brachialplatten liegt, eine gröfsere Ausdehnung haben 
als bei Pl. Geoffroyana. Die Pectoralplatten sind nicht allein län- 
ger als die Brachialplatten, sondern auch als die Abdominalplatten 
und der innere Rand der Analplatten ist viel länger als der der 
Femoralplatten. 

Die Farbe der Oberseite des Kopfes und Halses ist jetzt braun. 
Eine breite schwarze Längsbinde an dem oberen Theile der Hals- 
seite theilt sich hinter dem Trommelfell nach vorn gabelförmig in 
einen oberen über das Trommelfall bis zum Auge verlaufenden 
Ast, dem ein seitlicher Schnauzenstreif entspricht, und in einen 
unteren an den Mundwinkel gehenden und die Lippenränder ein- 


ERE 


m JE 
MONALSder 


Plat emys Luberosa Pirs. 


LEvanz Waßner gez uliih. Druck y Gebr.Delius 


maitsber d.Berl Akad. d Ws 


E; Br “ Platemvs tuberosa Pırs 
Z TEL Zr. L [$ 


Druck v: Gem Dekus 


vom 12. Mai 1870. 313 


fassenden Ast. Eine untere seitliche Halsbinde vereinigt sich vorn 
mit einer hufeisenförmigen Binde am innern Rande des Unterkie- 
fers und die Unterseite des Halses ist durch zwei unregelmäflsige 
tortuöse Längsbinden ausgezeichnet. Die Fufs- und Handsohlen, 
sowie die Aufsenseite der Extremitäten sind schwarz, am vordern 
und hintern Rande gelblich weils gesäumt. Der Panzer ist oben 
braun, undeutlich gefleckt, am Rande mit einem schmalen weilsen 
Saum. An der Unterseite haben die vorderen und seitlichen Rand- 
schilder einen mittleren schwarzbraunen Längsstreifen und der weilse 
Grund des Sternums ist ausgezeichnet durch breite geschlängelte 
Binden und Flecke von schwarzbrauner Farbe. 
Kopflängse . . . . 020315 Länge des Panzers. . 0%127 
opfpreite . ..1..1..02..00026% Breite‘, A 010 
Kopfhöhe ,. . ... ..02015”  -Höhe!:, 5 .. . 09045 
Das einzige Exemplar stammt nach der Angabe des Hrn. Ri- 
chard Schomburgk aus dem Cotingaflusse am Roraimagebirge 
in British-Guiana. 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf.1. Fig.1. Platemys tuberosa Ptrs. von unten; 
Fig.2. Kopf derselben von oben. 
Taf.2. Fig.1. Panzer derselben von oben; Fig.2. derselbe von der linken Seite. 


Sämmtliche Figuren in natürlicher Gröfse. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, . phil.-hist. 
Klasse. 61. Bd. 2. u. 3. Heft. 62. Bd. 1.—4. Heft. Math.-naturw. 
Klasse. 1869. 1. Abth. Nr. 3—7. 2. Abth. Nr. 4—7. Wien 1869. 8. 

Denkschriften der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-histor. 
Klasse. 16. u. 18. Bd. Mathem.-naturw. Kl. 29. Bd. Wien 1869. 4. 

Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen. 41. Bd. 1. u. 2. Heft. Wien 
1869. 8. 


314 Gesammtsitzung 


Almanach der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. 19. Bd. 
Wien 1869. 8. 

Tabulae codiecum. Vol. I. Wien 1864. 8. 

Hebra, Atlas der Hautkrankheiten. 7. Lieferung. Wien 1869. fol. 

Jelinek, Temperaturverhältnisse der Jahre 1848—1863. Wien 1869. 4. 

Alfred v. Reumont, Geschichte der Stadt Rom. 3. Bd. Berlin 1870. 8. 
Mit Begleitschreiben des Hrn. Verf. d. d. Bonn 1. Mai 1870. 

Annalen der k. Sternwarte bei München. 17. Bd. u. 19. Supplementband. 
München 1869. 8. 

G.L. v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. 2. Bd. 
Erlangen 1870. 8. 

Bulletin de la Societe des Naturalistes de Moscou. Annee 1869. Nr. 4. 
Moscou 1870. 8. 

W. Carssen, Über Aussprache, Vokalismus und Betonung der Lateinischen 
Sprache. 2. Bd. Leipzig 1870. 8. 

Memoirs of the Geological Survey of India. V, 7—10. VI, 3. Calcutta 
1868. 4. 

Hirsch et Plantamour, Nivellement de precision de la Suisse. Livr. 3. 
Geneve 1870. 4. 

M. Haug, An old Pahlavi-Pazand Glossary. London 1870. 8. 

G. di Siena, Commedia di Dante Allighieri, con note. Napoli 1870. 8. 

Annuaire de l’association pour l’encouragement des etudes grecques. Annee 
4. Paris 1870. 8. 


19. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Rammelsberg las über die Zusammensetzung der 
Meteorite von Shalka und von Hainholz. 


Die Meteorite, mineralische Massen, welche aus dem Welt- 
raum auf die Oberfläche der Erde gelangen, bieten in Betreff ihres 
Ursprungs und ihrer Bewegung der Astronomie, hinsichtlich der 
ihren Fall begleitenden Erscheinungen der Physik Stoff zu wich- 
tigen Erörterungen dar. Das Interesse, welches sie an und für 
sich als Bruchstücke kosmischer Substanzen haben, steigert sich, 
wenn wir ihre materielle Natur erforschen und sie mit den telluri- 
schen Substanzen vergleichen. Mineralogische Beobachtung und 


vom 19. Mai 1870. 315 


chemische Untersuchung führen uns zur Kenntnifs dieser ihrer ma- 
teriellen Natur, und schon liegt ein werthvolles Material vor, ge- 
nügend, um daraus Schlüsse und Vergleiche abzuleiten, allerdings 
unvollständig, insofern wir von manchen Meteoriten noch keine ge- 
naue Untersuchung haben. | 

Soweit unsere Erfahrung reicht, steht fest, dafs die Elemente 
der Meteorite nur solche sind, die auf der Erde vorkommen. Es 
ist ferner ausgemacht, dafs diese Elemente in ihnen ganz in glei- 
cher Art zu bestimmten Verbindungen gruppirt sind, wie in den 
Mineralien. Die Mineralien der Meteorite sind aber auch nach 
Form und Zusammensetzung ident mit gewissen wichtigen und 
weitverbreiteten Mineralien, welche in den älteren krystallinischen 
und in den neueren vulkanischen Gesteinen vorkommen. Es sind 
Silikate von Eisen, Magnesia, Kalk, Thonerde und wenig Alkali. 

Eine grofse Zahl von Meteoriten, aber nicht alle, enthält frei- 
lich metallisches, nickel- und phosphorhaltiges Eisen, dessen 
Vorkommen auf der Erde nicht nachgewiesen, dessen Existenz 
überhaupt in den uns zugänglichen oberflächlichen Theilen der Erd- 
masse deswegen nicht wahrscheinlich ist, weil es den Angriffen 
von Wasser, Sauerstoff und Kohlensäure, welche in diesen oberen 
Theilen der Erdrinde fast überall chemische Prozesse hervorrufen, 
keinen Widerstand leisten, sich oxydiren würde. Man kann mit 
Sicherheit behaupten, dafs jene Agentien auf die Meteorite, bevor 
dieselben in den Bereich der Erde gelangen, noch nicht eingewirkt 
haben. 

Die Meteorite sind den tellurischen Gebirgsarten vergleichbar; 
ihre Eintheilung und Unterscheidung beruht also auf der Natur 
der sie bildenden Mineralien. Auch bei ihnen giebt es wesentliche 
und accessorische Gemengtheile, und zu diesen letzteren gehören 
Schwefeleisen und Chromeisenerz. 

Gustav Rose hat nach diesem allein richtigen Princip die 
Meteorite in Gruppen gebracht!) und diese mit besonderen Namen 
belegt. Eine solche Gruppe ist wohlbegründet, wenn wir die Ge- 
mengtheile des Ganzen, d. h. die einzelnen Mineralien, genau ken- 
nen. Dies gilt z. B. von den Pallasiten, deren Typus die be- 
kannte Pallasmasse bildet; Meteoreisen mit eingewachsenen Oli- 


!) Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. Abhandl. der Akade- 
mie v. J. 1869. 


316 Gesammtsiüzung 


vinkrystallen. Es gilt ebenso von den Eukriten, welche aus 
Augit und Anorthit bestehen, ein Resultat, welches von G. Rose 
schon 1825 durch mineralogische Beobachtung begründet, von mir 
später durch die chemische Analyse festgestellt wurde. 

Wo aber über die Natur der Mineralien noch Zweifel herr- 
schen, wo die Feinheit der Gemengtheile der Beobachtung hinder- 
lich ist, wo die Seltenheit des Materials Untersuchungen verhindert 
hat, sind diese Gruppen nicht scharf definirt, und ihre Feststellung 
ist erst durch neue Arbeiten zu hoffen. Zu diesen Gruppen oder 
Abtheilungen gehören z. B. Chondrit, Howardit, Chladnit und 
Shalkit. 

Ich will heute die Aufmerksamkeit zunächst auf den Shal- 
kit lenken und durch die Resultate meiner Untersuchung darthun, 
dafs auch diese Art von Meteoriten jetzt als sicher festgestellt be- 
trachtet werden kann. 


I. Der Meteorit von Shalka. 


G. Rose nennt den am 30. November 1850 bei Shalka in 
Bengalen gefallenen Stein, der beim Fall in viele Stücke zersprang, 
und wovon das Meiste in Caleutta und im British Museum sich 
befindet, Shalkit, indem er ihn also für verschieden von allen übri- 
gen erklärt. Ich brauche nicht auf die äufseren Charaktere der 
kleinkörnigen Masse einzugehen, weil dieselben von Haidinger 
und von G. Rose ausführlich beschrieben sind. Aber es ist be- 
merkenswerth, dafs Ersterer das Ganze, in welchem kleine Kıy- 
stalle von Chromeisenerz eingewachsen sind, trotz wechselnder Fär- 
bung, nur für ein Mineral hält, welcher Meinung G. Rose nicht 
beitritt, theils aus mineralogischen Gründen, theils deswegen, weil 
das feine Pulver des Meteorsteins von Säuren theilweise zersetzt 
wird, wie er sich überzeugte, so dafs er Olivin, und zwar in über- 
wiegender Menge, als Gemengtheil des Shalkits voraussetzt. 

Nun ist dieser Meteorit allerdings von C. v. Hauer!) analy- 
sirt worden, welcher (nach Abzug von Chromeisenerz) fand: 


!) Wien. Akad. Berichte Bd. 41. 


vom 19. Mai 1870. 517 


Sauerstoff 
Kieselsäure 57,66 30,75 
Eisenoxydul 20,65 4,59 
Magnesia 19,00 7,60 12,63. 
Kalk 1,53 0,44 
98,54 i 
Die Analyse ist an sich wegen des Verlustes von 1,2 p. C©., den 
man nicht zu deuten vermag, nicht recht befriedigend. Hält man 
sich an die Zahlen, so ist es ein dem Olivin und dem Broneit quali- 
tativ gleiches Silikat, mit dem Sauerstoffverhältnifs 1: 2,435 oder 
nahe == 12 2,5, 
Während nun Haidinger in dieser angeblich zwischen einem 
Bi- und Trisilikat stehenden Verbindung ein bestimmtes, von ihm 
Piddingtonit genanntes Mineral sehen will, nimmt G. Rose das 
Ganze als ein Gemenge von Singulosilikat von Mg und Fe (Oli- 
vin) und von Trisilikat von Mg (Shepardit) und zwar in dem Ver- 
hältnifs 


| 2 Me2$i3 08 


Resi O1 Sauerstoff = 1: 2,33, 
l 


wiewohl 


IR? Si O% na Then 22 


der Analyse am nächsten kommen, und 


| 3 Mg28i3 08 


| 5Me2Si3 O8 


R2 Si 04 a — 22:55 
die nächst einfachste Proportion geben würde. Aber aus zwei 
Gründen ist diese Deutung unannehmbar. Zuvörderst beruht die 
Annahme des als Shepardit bezeichneten Trisilikats von Mg auf 
der Voraussetzung, dafs ein solches Silikat wirklich existire, und 
die Hauptmasse der Chladuite, zunächst des Steins von Bishop- 
ville, ausmache; allein die Analysen von Shepard und von Sar- 
torius, welche zu dieser Annahme Veranlassung gegeben haben, 
sind durch meine späteren Versuche, durch die von Smith und 
die Schmelzresultate Daubre&e’s als völlig unrichtig nachgewiesen, 
die Substanz ist Bisilikat von Magnesia, ist Enstatit, wie Kenn- 
- gott schon längst vermuthet hat, ein in den Meteoriten mehrfach 


318 Gesammtsitzung 


auftretendes Glied der Augitgruppe, welches sich zum Broneit ver- 
hält, wie Forsterit zu Olivin. 

Aber es ist überhaupt kein Magnesiatrisilikat im vorliegenden 
Fall anzunehmen, denn da in Hauer’s Analyse das Atomverhält- 
nifs von Fe:Mg(Ca) = 4:7, also nahe 1:2 ist, so würde der 
Olivin gar keine Magnesia enthalten, ja nach den beiden letz- 
ten Formeln würde das Trisilikat selbst eisenhaltig sein 
müssen. 

Wir müssen auf Hauer’s Analyse zurückkommen. Läfst sich 
auch aus den mitgetheilten Zahlen kein Grund, sie anzuzweifeln, 
entnehmen, so lehrt doch die Erfahrung, dafs die Analyse von ma 
gnesiareichen Silikaten immer unrichtig ausfällt, wenn man versäumt, 
die Kieselsäure noch besonders zu prüfen. Ich habe bei den Horn- 
blenden den Beweis dafür geliefert. Es bedurfte also für den Stein 
von Shalka einer neuen Untersuchung, und eine solche wurde da- 
durch möglich, dafs G. Rose mit gewohnter Liberalität von den 
wenigen Fragmenten, welche die hiesige Samınlung besitzt, mir die 
nöthige Menge zur Verfügung stellte. 

An ein Auslesen der einzelnen Körner der durch den Finger- 
druck leicht zerreiblichen Masse war nicht zu denken. Ich suchte, 
wie ich es schon früher bei Bishopville gethan, durch Schlämmen 
des feinen Pulvers mit Wasser und Analyse des leichteren und 
des schwereren Theils zu entscheiden, ob das Ganze aus einem 
Silikat oder aus mehreren bestehe. 

Der schwerere (gröbere) Theil wurde mit Fluorammonium 
und Schwefelsäure aufgeschlossen; seine Menge betrug nur 0,78 
Grm. — Der leichtere Theil wurde mit reiner Schwefelsäure, 
der 4 Wasser zugesetzt war, in ein Glasrohr eingeschmolzen und 
eig Zeit auf 200° erhitzt. Dabei blieb das Feste pulverig, die 
saure Flüssigkeit war durch Chromgehalt grün. Zu diesem Ver- 
such konnten 2 Grm. verwendet werden. 

Was zunächst diesen leichteren Theil betrifft, so zeigte sich, 
dafs die Säure nur wenig Silikat zersetzt hatte, was beweist, dafs 
der Shalkit nicht vorwiegend Olivin enthalten kann. Das Resultat 
der Behandlung mit Schwefelsäure war nämlich: 


Berechnet man das zersetzte 
so erhält man: 


berechnet zu: 


Von dem Unzersetzten 


a. b. 
Kieselsäure 55,55 
Eisenoxydul 17,01 16,25 
Magnesia 27,96 
Kalk h nn 0,09 
Natron 0,92 
Chromoxyd 0,23 0,23 


vom 19. Mai 1870. 319 
Kieselsäure 3,84 
Eisenoxydul 3,91 
Magnesia (Ca, Spur) 3,17 
Eisenoxydul a RE 
Chromoxyd 1,44) 
Unzersetztes 86,43 
99,46 


Silikat (10,92 p. ©.) auf 100 Theile, 


Sauerstoff 
Kieselsäure 35,17 18,76 
Eisenoxydul 35,80 7,95 \ 19.56 
Magnesia 29,05 11,61 ; 
100 


Dies ist also Olivin, der 2 At. Fe gegen 3 At. Mg enthält, 


3Mg?SiO% 
| 2 Fe?SiıO% } 


140 = Si O2 36,23 


FeO 34,78 
MgO 28,99 
100 


HS = 
4AFe = 224 
6Msg — 144 
20:0 = 320 
828 


wurden zwei Analysen gemacht 


(a. mit kohlensaurem Natron, b. mit Florwasserstoffsäure). 


Mittel Sauerstoff 
55,55 29,63 
10,98. 3.06% 

27,73 11,09 15,0 
0,09 0,02 

0,92 0,23} 

0,23 


320 Gesammtsitzung 


Dieser Theil ist also Bisilikat, ist Broneit, mit 1 At. Fe 
gegen 3 At. Mg, also 
[ Fe sid? 
3MgSiO? 


berechnet zu: 


4Si = 112 = SiO? 55,56 
Fe = 56 FeO 16,66 
3M&= 72 . MgO 27,78 
120 = 192 100 
432 


Hiernach besteht also der leichtere Theil des Steins von Shalka 
aus: 

86,15 Broneit 

10,92 Olivin 

2,59 Chromeisenerz 

99,46 


Der schwerere Theil liefs sich wegen seiner geringen Menge 
nur als Ganzes untersuchen; ich gebe nachstehend die erhaltenen 
Werthe und stelle die des leichteren daneben, wie sie sich aus den 
mitgetheilten Daten berechnen lassen. 


a. b. 

Schwererer (gröberer) Theil. Leichterer (feinerer) Theil. 
Kieselsäure (52,25) = 52,64 53,13 
Eisenoxydul 20,03 20,18 19,32 
Magnesia 23.96 26,19: 27,80 
Kalk 1,03 1,03 0,07 
Natron - — — 0,81 
Chromoxyd 0,45 100 101,13 
Eisenoxydul 0,28 

100 


Beide Theile sind fast gleich, denn die V. G. von Olivin und Bron- 
eit sind zu wenig verschieden, als dafs der Schlämmprozels ihre 
relative Menge in beiden wesentlich hätte ändern können. Die 
Analysen aber constatiren zugleich, dafs das Ganze basischer 
als ein Bisilikat ist, und sie treten dadurch den Angaben 


vom 19. Mai 1870. 321 


Hauer’s, die das Gegentheil erweisen sollen, aufs schärfste gegen- 
über. Es ist nämlich der Sauerstoff der RO und der SiO? 


in a = 15,21: 23,07 =1:1,3 
inab>== 1561: 28,93 — 11,85. 


Wollte man aus diesen Proportionen die Mengen des Olivins und 
Broneits berechnen, so hätte man in 


a. b. 
Be Sa 12R SiO3 
R2SiO® { R?SiO® 
und wenn R im Bisilikat — F?Mg*, im Singulosilikat aber 


2° 3 
— Fe?’ Mg? ist, so würde 


a. b. 
Broneit 83,9 88,67 Ä 
Olivin 16,1 11,33 
100 100. 


Meine direkte Analyse von b hat aber in der That 


88,75 Broneit 
11,25 Olivin 
100. 


gegeben. 
Shalkit ist also Broneit und Olivin. 


Nach Haidinger ist das V. G. der ganzen Masse — 3,41, 
während Broncit = 3,20 — 3,25, Olivin = 3,50 — 3,90 ist, was 
von dem Verhältnifs Fe:Mg abhängt. Dem gröfseren Gewicht des 
Olivins entspricht es vollkommen, dafs der schwerere Theil (a) 
olivinreicher, broncitärmer ist. Sein Sauerstoffverhältnils deutet 
auf 16 p. ©. Olivin in dem Gemenge. 

Giebt es noch andere Meteoriten derselben Art? Weahrschein- 
lich, doch fehlt es an Untersuchungen. Hier sei nur daran erin- 
nert, dafs die reine Broncitsubstanz als Meteoritenmasse auf- 
tritt, nämlich in dem am 26. Juli 1843 gleichfalls in Hindostan 
gefallenen Stein von Manegaum (Mallygaum bei G. Rose). Erst 
vor Kurzem hat Maskelyne gezeigt'), dafs die grünlichgelben 


1) Proceed, R. Soc. XVIII. 156. 


322 Gesammtsitzung 


Körner, aus welchen er besteht, die Krystallform des Broncits und 
ein V. G. = 3,198 haben, und dafs sie nach seiner Analyse die 
Mischung 
Fe SiO3 
{ 2 Mg SiO? } 


darstellen. Aber auch die Analyse des ganzen Steins ergiebt ne- 
ben 1 p. C. Chromeisenerz genau dasselbe Silikat.!) 


II. Der Meteorit von Hainhol:. 


Diese merkwürdige Masse wurde im J. 1856 in der Nähe von 
Paderborn von Dr. Mühlenpfordt aufgefunden. Ihre Fallzeit ist 
unbekannt, aber die äufserliche und bis zu einer gewissen Tiefe 
eingedrungene Veränderung beweist, dafs sie lange in der Erde 
gelegen hat. Es ist ein Mesosiderit, d.h. ein Gemenge von 
Meteoreisen, Olivin und Augit, analog dem M. aus der 
Sierra de Chaco, welchen G. Rose ansführlich beschrieben hat. 
Da bisher noch keine durchgreifende Untersuchung eines dieser 
Meteoriten versucht ist, so habe ich, durch G. Rose mit dem er- 
forderlichen Material versehen, die Analyse des M. von Hainholz 
unternommen. Es ist aber daran zu erinnern, dafs die ursprüng- 
liche Natur der Gemengtheile sich nur durch eine Correction der 
analytischen Resultate darstellen läfst, indem man der Aufnahme 
von Sauerstoff und Wasser in den äulseren Parthieen Rechnung 
trägt. | 

Beim Pulvern des Steins bleiben die gröberen Partikel des 
Meteoreisens zurück. Eine von Silikattheilchen nicht ganz freie 
Probe desselben, mittelst einer Lösung von Quecksilberchlorid zer- 
legt, gab nach Abzug jener und nachdem eine kleine Menge Ma- 
gnesia (0,69 p. C.) in der Form der Olivinbasen (FeO + 3MgO) 
gleichfalls abgerechnet war, 


Eisen 93,834 
Nickel 6,16 
100. 


!) @. Rose hatte diesen Meteorit nach dem äulsern Ansehen eines 
Stückchens von 0,03 Loth zu den Howarditen gestellt, 


vom 19. Mai 1870. 323 


Das Meteoreisen, Fel®Ni etwa, ist also eins der nickelärme- 
ren und steht dem von Arva, Lenarto, Schwetz, Seeläsgen, Braunau, 
vielen amerikanischen, sowie dem M. der Chondrite von Pultusk 
Seres, Blansko sehr nahe, während die Mehrzahl des letzteren 
mehr Nickel enthält. 

Das feinere Pulver, welches nach der Absonderung jener grö- 
beren Eisentheile übrig blieb, wurde gleichfalls mit Quecksilber- 
chloridauflösung behandelt, um die Menge der metallischen Theile 
zu bestimmen. Der Rückstand ward mit Chlorwasserstoffsäure 
digerirt, um das Singulosilikat (Olivin) zu zerlegen; aus dem 
Rückstande wurde die zu jenem gehörige Kieselsäure ausgezogen, 
worauf er für sich weiter untersucht wurde. Ein besonderer Ver- 
such bestimmte den Wassergehalt. | 

So ergaben sich 


Eisen 4,12 

Nickel 1,05 h Bl 
Kieselsäure 20,04 
Durch Säure zersetzt | Misenosya 22 20) 66,61 
Magnesia 24,37 
Kieselsäure 13,20 \ 
Eisenoxydul 3,51 | 
Magnesia 6,15 
\ Thonerde 0,72 


Unzersetzt 23,98 


Chromeisenerz 0,50 
Glühverlust (Wasser) 2,86 
98,72 


Das Nickeleisen würde 20,3 p. C. Nickel enthalten, also dreimal 
mehr als die vorhergehende Untersuchung geliefert hat. Man sieht 
also, dafs bei dem langen Liegen des Meteorits viel Eisen in Oxyd 
(Oxydhydrat) sich verwandelt hat, welches in dem sauren Auszuge 
erhalten ist.') Man darf also mit vollem Recht dem Nickel so- 
viel Eisen hinzurechnen, als nach dem zuvor Angeführten ursprüng- 
lich vorhanden war. Indem man den Rest im Olivin als Oxydul 
nimmt (welches gleichfalls zum Theil Oxyd geworden ist), erhält 
man: 


1) Nickel fand sich in ihm nicht. 


[1870] 23 


324 Gesammtsitzung 


\ Eisen 10,88 
Meteoreisen a ä es — 11,93 
Kieselsäure 20,04 
Olivin | Bisenoxyaul 13,51 } = 57,92 


Magnesia 24,37 

Kieselsäure 13,20 

.. | Eisenoxydul 3,51 
Augit, | Magmesieb a6, 18. Pam Par 

Thonerde 0,72 


Chromeisenerz 0,50 


Betrachtet man nun die Mischung der beiden Silikate näher, so 
sieht man, dafs es beim Olivin an Säure fehlt, während der Augit 
deren zu viel hat. Dies ist eine Folge der analytischen Methoden 
und nöthigt zu einer kleinen Oorrection, sodafs 


Kieselsäure 21,09 
Olivin | Eisenoxydul 13,51 58,97 
Magnesia 24,57 
Kieselsäure 12,15 
Eisenoxydul 3,51 
Magnesia 6,15 
Thonerde 0,72 


Ausgit 22,99 


Wird endlich das Ganze auf 100 Theile reducirt, so hat man 


Meteoreisen 12,70 


Olivin 62,78 

Augit 24,00 

Chromeisenerz 0,52 
100 


Von Schwefel habe ich nur Spuren gefunden. 

Natürlich gilt das Verhältnifs dieser Gemengtheile nur für die 
untersuchte Probe, von welcher die gröberen Eisentheile abgeson- 
dert waren. In dieser Hinsicht sind die einzelnen Theile der gan- 
zen Masse sehr ungleich beschaffen. 

Nimmt man nun die Zusammensetzung der beiden Silikate für 
sich: 


vom 19. Mai 1870. 


325 


Olivin Augit 
Sauerstoff Sauerstoff 
Kieselsäure 35,77 19,08 53,93 23,76 
Eisenoxydul 22,91 5,09 15,58 3,46 
Magnesia 41,32 a Re 27,30 a IR 
Thonerde — 3,19 1,49 
100 100 


so sieht man, dafs beide Silikate 1 At. Eisen gegen $ At. Magne- 
sium enthalten. Der Augit ist aber Broncit, und in ihm ist 
1 Mol. Thonerde mit etwa 8 Mol. des Bisilikats verbunden. 

Wir haben also 


[ Fe? Be s! FeSı03 N 
3 Mg? SiO! | 3MgSiO3 
A103 
Berechnet: 
Sı 0? 38,46 Si O2 53,95 
Fe O 23,08 FeO 16,19 
MgsO 38,46 MgO 26,98 
100 A103 2,88 
100 


Die beiden Meteorite, welche uns hier beschäftigt haben, der 
vor 20 Jahren gefallene von Shalka und der seiner Fallzeit nach 
unbekannte von Hainholz, beide bestehen aus Olivin und Broncit, 
aber bei dem letzten tritt noch Meteoreisen hinzu.') Während der 
Broneit beider so sehr verschiedener Massen dieselbe isomorphe 
Mischung von Bisilikaten ist, 1 At. Eisen gegen 3 At. Magnesium 
enthält, unterscheidet sich ihr Oliyin, die isomorphe Mischung der 
Singulosilikate der nämlichen Metalle. In Shalka ist die Mischung 
Fe:Mg = 2:3, in Hainholz = 1:5 At. 

Die Olivinsubstanz erscheint für sich in Chassigny und ziem- 
lich rein auch in Alais (in beiden Fe:2Mg); der Broneit bildet 
für sich den M. von Manegaum (Fe:2Mg). Ein Gemenge beider 
ist Shalka (Olivin = 2Fe:3Mg, Broncit = Fe: 3Mg). 


1) In Shalka überwiegt der Broneit, in Hainholz der Olivin. 


326 Gesammtsitzung vom 19. Mai 1870. 


Eine Parallelreihe entsteht durch das Hinzutreten des Nickel- 
eisens oder Meteoreisens, welches mit Olivin die Pallasite dar- 
stellt (O. der Pallasmasse = Fe:8Mg, von Brahin und von Ata- 
cama — Fe:4Mg), während es mit Broneit (Fe:4Mg) die ähn- 
lichen Massen von Breitenbach, Steinbach, Rittersgrün, und endlich 
mit Olivin und Broncit die Mesoderite bildet, von denen für jetzt 
blos Hainholz (Olivin gleichwie Broneit = Fe:3Mg) näher er- 
forscht ist. 

Ich hoffe, demnächst zeigen zu können, dafs wenigstens ein 
Theil der Chondrite dasselbe Gemenge darstellt wie Hainholz, d.h. 
wie die Mesosiderite. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 

O. Böttger, Beitrag zur Kenntnifs der Reptilien Spaniens und Portugals. 
Offenbach a. M. 1869. 8. 

E. Crzyrnianski, Chemische Theorie auf der rotirenden Bewegung der 
Atome basirt. 2. Aufl. Krakau 1870. 8. 

Mommsen, Histoire de la monuaie rumaine, traduite par le Duc de Bla- 
cas. Nol. HM. BarsM1870.7 88. 

Bulletin de la societe geologique de France. 1868, no. 5. 1869, no. 2.3. 
Baris 1869. 8. 

Bulletin des sciences matematiques et astronomiques, redige par Darboux. 
Tome I, 1. Paris 1870. 8. | 

A complete Collection of the Poems of Tukerama. Vol. I. Bombay 1869. 
8. Im Auftrag des Government of Bombay eingesendet von Trübner et Co. 


23. Mai. Sitzung der physikalisch-mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. Ewald las über einige die Geologie der Anden betref- 
fende Fragen. 


Monatsber. d. Berl. Mad. d. Wiss. Juni 1870. Pag. 3897. 


XI DI BA 


ö. 


NA 
N 


kd. 


MONATSBERICHT 


KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


Juni 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond. 


%. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. G. Rose las über den Zusammenhang zwischen 
hemiödrischer Krystallform und thermo-elektrischem 
Verhalten beim Eisenkies und Kobaltglanz. 


Eisenkies und Kobaltglanz sind bekanntlich die Hauptbeispiele 
von Krystallen des regulären Systems, die die dodekaödrische oder 
parallelflächige Hemiödrie zeigen. Bei beiden, besonders dem er- 
stern, kommen eine grolse Menge von einfachen Formen und Com- 
binationen vor; indessen war es immer auffallend, dafs bei diesen 
nur, oder vorzugsweise Formen der einen Stellung vorzukommen 
schienen, während doch bei den Substanzen, deren Formen die te- 
traödrische oder geneigtflächige Hemiddrie zeigen, die verschiedenen 
hemiödrischen Formen der einen Stellung wie der andern häufig 
allein oder miteinander combinirt vorkommen; so beim Borazit, 
Fahlerz und der Zinkblende. Man hat allerdings beim Eisenkies 
Krystalle beschrieben, die Combinationen von Formen beider Stel- 
lungen sind, doch gehören dergleichen Krystalle zu den "gröfsten 
Seltenheiten, zumal wenn man bedenkt, wie sehr der Eisenkies in 
der Natur verbreitet ist, und dafs er sich auf den verschiedensten 
Lagerstätten und zu den verschiedensten Zeiten gebildet hat. 

So beschrieb schon Haüy!) Eisenkieskrystalle, an welchen 
nicht nur die Pentagondodekaäder (a:ga: coa), sondern auch an- 


1) Traite de Mineralogie, 2 ed. t.4 p. 56 Fig. 211 und p. 57 Fig. 215. 
[1870] 24 


328 Gesammtsitzung 


dere, an welchen die Diplo@der') (a:4a:3a) in beiden Stellungen 
vorkommen. Die ersten finden sich in einer Combination mit dem 
Oktaöder und Leucitoöder, das Okta@der herrscht vor, die Flächen 
des Leucitoöders bilden Zuspitzungen der Ecken, und die Flächen 
der beiden Pyritoöder die Abstumpfungen der Kanten der Zu- 
spitzung. Die andern finden sich in Combination mit dem Oktaöder, 
einem Triakisoktaöder, dem Leucitoöder und Hexaöder; auch hier 
herrscht das Oktaöder vor, das Triakisoctaöder (a:4a:3a) bildet 
die Zuschärfung der Kanten, die Flächen der beiden Diplo&der er- 
scheinen als achtflächige Zuspitzungen der Ecken, zu denen nun 
noch untergeordnet die Flächen des Leueitoöders und Hexaöders 
hinzutreten. Die Flächen der Pyritoöder und Diploöder beider 
Stellungen sind von gleicher Gröfse gezeichnet und eine Verschie- 
denheit in dem Ansehen derselben ist nicht angegeben; ebenso we- 
nig der Fundort beider Krystalle. 

Eisenkieskrystalle mit den Flächen beider Pyritoöder als Ab- 
stumpfungsflächen der sämmtlichen schärferen Kanten des Leuei- 
toöders hat später auch Breithaupt”’) an einem Stücke der Wer- 
nerschen Sammlung in Freiberg erkannt und beschrieben, leider 
auch hier ohne den Fundort desselben zu kennen.°) 


1) Ich gebrauche hier, wie schon seit langer Zeit in meinen Vorlesun- 
gen für die Ausdrücke Trapezoid-Ikositetraöder (Mohs) oder Dyakis-Dode- 
kaöder (Naumann) den kürzern Ausdruck Diplo@der, worin ich mir erlaubt 
habe, den Namen Diploid von Haidinger umzuändern. 


2) Journal für prakt. Chemie von Erdmann und Schweigger-Sei- 
del Bd. 4 S. 264. 


3) Da es mir sehr darum zu thun war, Krystalle mit solchen Flächen, 
die sich in dem Berliner mineralogischen Museum gar nicht befinden, aus 
eigener Ansicht kennen zu lernen, so bat ich Prof. Weisbach, mir die 
Stufe mit den beschriebenen Krystallen zur Ansicht zu schicken, was er mir 
‘ auch freundlichst gewährte. Die Krystalle, an denen die beiden Pyrito@der 
vorkommen, haben nur die geringe Gröfse von höchstens einer Linie Durch- 
messer und sind in einem kleinen Drusenraum einer derben Eisenkiesmasse 
aufgewachsen. Es sind Combinationen des Oktaeders, Leucito&ders mit den 
beiden Pyritoödern, ganz wie bei den von Haüy beschriebenen Krystallen, 
nur dafs hier noch die Flächen des Hexaöders hinzutreten. Die Flächen der 
Pyritoöder erscheinen als Abstumpfungen der Kanten der Zuspitzung des Ok- 
taöders, aber die einen abwechselnden Abstumpfungsflächen sind merklich grö- 


vom 2. Juni 1870. 329 


Combinationen von dem Diploöder (a:4a:4a) mit dem Py- 
ritoöder verschiedener Stellung, wo also das Pyritoöder an den 
schärfern Kanten durch die Flächen des Diploöders abgestumpft 
erscheint, haben später auch Naumann!) und Zippe?) beschrie- 
ben. Sie nehmen dabei an, dafs das Pyrito@der erster und das 
Diplo@der zweiter Stellung sei. Fundörter werden von beiden 
Autoren nicht angegeben. 

Combinationen des Pyritoöders und Diploeders (a:4a:4a) 
der einen und des Diploöders (la:4a:1a) der andern Stellung 
beschreibt Levy’). Die Flächen des letztern Diploöders erschei- 
nen untergeordnet am erstern als Abstumpfungsflächen der mittlern 
Kanten; das Hexaöder tritt auch noch hinzu; Diplo@der 123?) 
und Pyritoöder werden in erster Stellung, das Diplo@öder 345 dem- 
nach in zweiter Stellung angenommen. 

In seiner grofsen Arbeit über die Italiänischen Eisenkiese giebt 
Strüver°) noch 5 Pentagondodekaäder an, die in Vergleich mit 
dem mit ihnen zusammen vorkommenden Pyritoöder in entgegen- 
gesetzter Stellung stehen, sowie auch ein Diploöder 234, das wie das 


fser als die andern, und die grölsern haben neben sich noch schmale Ab- 
stumpfungsflächen der Combinationskanten mit dem Leucito@der, wahrschein- 
lich die Flächen des Diploeders (a:4a:1a); die Flächen des Oktaöders 
und Hexaöders sind stark glänzend und glatt, die Flächen der beiden Pyri- 
to@der auch glänzend, die schmälern Pyritoöderflächen aber schwach horizontal 
nach den Combinationskanten mit dem Hexaöder gestreift; die Flächen des Leu- 
citoöders sind ganz matt durch kleine dreieckige Eindrücke, die durch die 
Hexaöderflächen hervorgebracht werden, daher die Leucito@derflächen in der 
Richtung der Hexaöderflächen schillern. Die Flächen der beiden Pyrito@der 
sind demnach in ihrem Verhalten doch sehr verschieden. 


1) Lehrbuch der Mineralogie Berlin 1828 S. 563 Fig. 45. 
2) Leichtfafsliche Anfangsgründe der Naturgeschichte des Mineralreichs 
1839 Th. 2 S. 512 Fig. 220. \ 


®) Description d’une collection de Mineraux form&e par Heuland, Lon- 
don 1837 t. 3 p. 134 pl. 68 Fig. 10. 


*) Ich werde in dem Folgenden öfter wie hier geschehen die abgekürzte 
Millersche Schreibart 123 statt (a:4a:4a) und 345 statt (Za:}a:+a) ge- 
brauchen. 

5). Studi nella mineralogia italiana, pirite del Piemonte et dell’ Elba, 
Turino 1869 p. 6. 

24* 


330 Gesammtsitzuny 


von Levy angeführte und mit ihm gemeinschaftlich vorkommende 
Diploöder 345 in entgegengesetzter Stellung zu dem Diploöder 123 
steht.') Das Pentagondodekaöder 560 zweiter Stellung, das sich 
auch unter den Pentagondodekaödern Strüvers findet, wird auch 
von Hessenberg?) bei einem Krystalle wahrscheinlich von Tra- 
versella, an welchem das Pyritoöder vorherrscht, und Hexaöder, 
Leucitoöäder und die Diploöder 123 u. 124 untergeordnet hinzutre- 
ten, aufgeführt. 

Dies sind die sämmtlichen mir bekannten Formen des Eisen- 
kieses, die als in zweiter Stellung vorkommend beschrieben sind. 
Es sind nur sehr wenige, und diese sind auch nur an einzelnen 
Krystallen vorgekommen. Strüver hat in den grofsen Turiner 
Sammlungen nur 9 Krystalle gesehen, an welchen hemiedrische 
Formen in zweiter Stellung vorkommen. Indessen ist durch diese 
Beobachtungen doch ausgemacht, dafs solche Formen vorkommen. 
Man hat sie aber immer nur erkannt, wenn sie mit Formen der 
‘andern Stellung in Combination vorkommen, und hat die herr- 
schenden Formen für Formen erster Stellung, die untergeordnet 
vorkommenden für Formen zweiter Stellung gehalten. An einem 
bestimmten Beweise für die Richtigkeit dieser Annahme fehlte es 
aber ganz. Ob daher die herrschenden hemiödrischen Formen stets 
der ersten oder einer und derselben Stellung, die untergeordnet 
vorkommenden stets der zweiten Stellung angehören, ist noch gar 
nicht ausgemacht. 

Ich hatte mich deshalb schon lange mit diesen Fragen be- 
schäftigt. Da doch das Vorkommen von Formen beider Stellun- 
gen beim Eisenkies erwiesen ist, schien es mir wahrscheinlich, dafs 
man auch Mittel finden müfste, die Formen beider Stellungen, auch 
wo sie nicht miteinander in Combination getreten sind, zu erken- 
nen, und wo dies der Fall ist, auszumachen, welche von diesen 
erster und welche zweiter Stellung sind. Bei den Krystallen aller 
übrigen Substanzen, die in hemiödrischen Formen beider Stellun- 
gen vorkommen, unterscheiden sich die der einen Stellung so be- 
stimmt von denen der andern durch verschiedene Gröfse, Streifung 


1), Asa. NO. Pig. 118. 


!) Abhandl. der Senkenbergschen naturforschenden Ges. in Frankfurt 
au M, Be 7 .N.9 S460. 


vom 2. Juni 1870. 331 


oder Glanz der Flächen, durch verschiedene Combination mit an- 
dern hemiödrischen Formen, durch Häufigkeit des Vorkommens, 
pyro-elektrisches Verhalten, sowie durch die regelmäfsigen Eindrücke, 
die man durch Ätzung auf den Flächen erhält. Bei dem Borazit 
z. B. sind die Tetraöder erster Stellung stets glänzender als die 
zweiter, sie finden sich häufiger, fehlen nie, erscheinen in Combi- 
nation mit einem Hexakistetraöder, und in ihnen liegen die antilo- 
gen elektrischen Pole, dagegen die Tetraöder zweiter Stellung häufig 
fehlen, in Combination vorkommen mit einem Triakistetraäder, und 
in ihnen die analogen elektrischen Pole liegen. Die Gröfse der 
Tetraöder ist verschieden, doch sind gewöhnlich die Flächen des 
ersten Tetraöders gröfser als die des zweiten.) Beim Quarz sind 
die Flächen des Hauptrhombo&äders gröfser und glänzender als die 
des Gegenrhomboäders, nach den Combinationskanten mit dem er- 
steren sind die Rhombenflächen gestreift, unter dem Hauptrhom- 
bo&der liegen die Flächen der gewöhnlichen Trapezoöder erster 
Ordnung, unter dem Gegenrhomboöder keine oder andere, die viel 
seltener vorkommenden Trapezoöder zweiter Ordnung. Auch die 
vorkommenden spitzern Rhomboöder sind unter dem Hauptrhom- 
boöder gewöhnlich andere als unter dem Gegenrhomboäder.”) Sehr 
entscheidend sind ferner, wie Leydolt so schön dargethan hat’), 
_ die durch Ätzung mit Flufssäure entstehenden regelmäflsigen Ein- 
drücke; sie sind linienartig und werden durch Flächen hervorge- 
bracht, die den Flächen des ersten stumpfern Rhomboöder des Ge- 
genrhomboöders parallel gehen, sind daher auf dem Hauptrhom- 
boöder horizontal und parallel den Combinationskanten mit dem 
ersten sechsseitigen Prisma, auf dem Gegenrhombo&der schief und 
parallel den Kanten mit dem zweiten sechsseitigen Prisma; eine 
Verschiedenheit, die die verschiedenen Zwillingskrystalle beim 
Quarz so leicht und sicher erkennen läfst. 

Alle diese Mittel schienen beim Eisenkies nicht auszureichen. 
Da die Flächen der Pyrito@äder von Traversella und von vielen 


1) Vergl. Abh. d. k. Akad. d. Wiss. zu Berlin von 1844 S. 261. 

®) A. a. O. 1843 S. 82. 

3) Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Kl. d. k. Akad. d. Wiss. von 
1855 B. 15 S. 59. 


332 Gesammtsitzung 


andern Orten horizontal parallel ihren Grundkanten, die Pyrito@der 
von Elba, Kongsberg, Copiapo vertical, parallel den Normalen auf 
. den Grundkanten gestreift sind, so schien’ dies ein einfaches Mit- 
tel abzugeben, die Pyrito@der beider Stellungen zu unterscheiden, 
indem man die horizontal gestreiften für Pyritoöder der einen (er- 
sten) Stellung, die vertical gestreiften für Pyritoöder der andern 
(zweiten) Stellung halten könnte. Aber die Streifung hält nicht 
aus, die Flächen sind oft vollkommen glatt, oder sie sind theils 
horizontal, theils vertical gestreift, und was die Hauptsache ist, die 
horizontal und verticalgestreiften Pyrito@der finden sich in Traver- 
sella und Elba in denselben Combinationen mit den Diploödern 
123 u. 124. Die Flächen des Oktaöders sowohl als des Hexae- 
ders sind ferner in Combination mit dem horizontal und vertical 
gestreiften Pyritoöder oft parallel ihren Kanten mit dem Pyrito&- 
der gestreift, wie beides bei den Krystallen von Traversella und 
Elba zu sehen ist. Überhaupt zeigte sich die Streifung der Flächen 
des Eisenkieses im Gegensatz zu der der meisten übrigen Krystalle 
sehr unbeständig, die Flächen des Oktaöders z. B. kommen nach dem 
Pyritoöder (Brosso), dem Leucitoöder (Elba) und dem Diploöder 
124 (Brosso), die Flächen des Diplo@ders 123 nach den Flächen des 
Oktaöders (Elba) oder nach den Flächen des Hexaäöders (Brosso) 
oder stellenweise nach dem einen oder dem andern gestreift vor. 
Die Streifung schien so bei dem Eisenkies gar kein Anhalten zu 
gewähren. 

Ebenso unzureichend bewiesen sich die durch Ätzung erhalte- 
nen Eindrücke. Ich hatte schon vor längerer Zeit dieselben un- 
tersucht, die Krystalle wurden in Königswasser ein bis zwei Mi- 
nuten erhitzt und die geätzten Oberflächen dann unter dem Mikro- 
skop im reflectirten Lichte, oder besser noch, die von ihnen ge- 
machten Hausenblasenabrücke im durchgehenden Lichte betrachtet. 
Letztere wurden auf dieselbe Weise dargestellt, wie es Leydolt 
in seinen Abhandlungen über Quarz und Aragonit vorschreibt. 
Die auf diese Weise erhaltenen Eindrücke in dem Eisenkies sind 
oft sehr nett und zierlich, sie sind aber auf den gleichen Flächen 
aller Eisenkieskrystalle, die ich untersucht habe, dieselben, mögen 
diese eine Beschaffenheit haben, welche sie wollen, wenigstens 
habe ich einen wesentlichen Unterschied bei ihnen nicht erkennen 
können. Auf den Pyritoöderflächen sind die Eindrücke symme- 
trische Fünfecke (Fig. 3), im Allgemeinen ähnlich denen der Flä- 


vom 2. Juni 1870. 333 


chen des Pyritoöders selbst, nur verkehrt liegend, indem ihr stumpf- 
ster Winkel gegen die Grundkante gerichtet ist. Betrachtet man 
eine Fläche eines geätzten Pyritoöders bei hellem Kerzenlicht mit 
der Lupe, so erhält man, wenn man das Licht von der Fläche re- 
flectiren läfst, den Schiller der Eindrücke von den fünf umgeben- 
den Pyritoöderflächen, die Eindrücke werden also durch diese 
Flächen hervorgebracht, doch scheinen mir bei den Eindrücken, 
wo die Ätzung am besten gelungen war, die der Grundkante an- 
liegenden Kanten parallel zu sein, wie auch die Fig. 3 sie darstellt. 
Läfst man das Licht in der Richtung einer Hexaöderfläche reflec- 
tiren, so erhält man den Schiller der Eindrücke von den sämmt- 
lichen 4 Pyritoöderflächen, die die Hexaöderfläche umgeben. Mit 
einer Oktaöderfläche schillern zugleich die Eindrücke der sämmt- 
lichen diese umgebenden Pyritoöderflächen; auch mit den Leuci- 
toöderflächen schillern die Pyritoöderflächen. In den Eindrücken 
müssen sich also auch Flächen aller der genannten Formen befin- 
den, die parallel den Abstumpfungsflächen der Grundkanten des 
Pyritoöders sind auch zuweilen recht deutlich. 

Auf einer Hexaöderfläche erhält man Eindrücke von zwei 
symmetrischen Fünfecken, die mit ihren Grundlinien aneinander 
stofsen (Fig. 2). Sie werden durch die Pyritoäderflächen hervor- 
gebracht, was man annähernd durch die Messung mit dem Re- 
flexionsgoniometer bestimmen kann. Auf einer Oktaöderfläche er- 
hält man dreieckige Eindrücke, deren Seiten den Kanten des Ok- 
taöders mit dem Pyritoöder parallel gehen und auch durch die Flächen 
dieses hervorgebracht werden (Fig. 1). Die Ätzeindrücke werden 
also aufser den Pyritoöderflächen nur durch Flächen holoädrischer 
Formen hervorgebracht und sind daher überall gleich, mögen die 
Flächen, auf denen man sie darstellt, einer Form der einen oder 
der andern Stellung angehören. — 

Im Jahre 1857 machte nun Marbach') die wichtige Ent- 
deckung, dafs die verschiedenen Krystalle von Eisenkies und Ko- 
baltglanz nach ihrem thermo-elektrischen Verhalten in zwei Classen 
zerfallen in der Weise, dafs die Krystalle der einen Classe in der 
thermo-elektrischen Spannungsreihe jenseits des positiven Antimons, 
die der andern Classe jenseits des negativen Wismuths zu stellen 
sind, in Folge dessen je zwei Krystalle der verschiedenen Classen 


1) Comptes rendus 1857 t. 45 p. 707. 


354 Gesammtsitzung 


untereinander einen stärkern Gegensatz bilden als die Combination 
Antimon und Wismuth.') 

Marbach gab nicht an, wie die positiven und negativen Kry- 
stalle in krystallographischer Hinsicht sich unterscheiden. Er führte 
nur an, dals er von 58 Krystallen 34 gefunden habe, die sich ge- 
gen Kupfer positiv und 20, die sich dagegen negativ verhielten, 
während 4 andere die sonderbare Eigenschaft hätten, an verschie- 
denen Punkten ein entgegengesetztes thermo-elektrisches Verhalten 
zu zeigen. Er versprach in kurzer Zeit in einer ausführlichen 
Abhandlung in Poggendorffs Annalen das Nähere seiner vielen 
Versuche anzugeben. Biot legte die Entdeckung der Pariser Aka- 
demie vor, auf die Wichtigkeit und das Interesse, welches sie er- 
wecken müfste, aufmerksam machend, indem sie ein neues Beispiel 
liefere, wie Molecüle von derselben chemischen Beschaffenheit sich 
zu Krystallen derselben Form mit ganz entgegengesetzten physika- 
lischen Eigenschaften zusammenlegen könnten; aber die ausführ- 
liche Abhandlung, die Marbach angekündigt hatte, erschien nicht 
und ist auch bis jetzt noch nicht erschienen. 

Von der Überzeugung durchdrungen, dafs das verschiedene 
elektrische Verhalten des Eisenkieses mit seiner Krystallform in 
Zusammenhang stehen mülste, fing ich im Winter 1858—59 selbst 
an, die Versuche von Marbach zu wiederholen. Ich vereinigte 


1) Ich kann nicht unterlassen hier zu bemerken, dafs Prof. Hankel 
mich darauf aufmerksam gemacht hat, dafs er schon 13 Jahre früher als 
Marbach in einer Abhandlung in Poggendorffs Ann. von 1844 Bd. 62 
S. 197, in welcher er das thermo-elektrische Verhalten verschiedener Mine- 
ralien untersucht, gezeigt hat, dafs Kobaltglanz von Tunaberg in Oktaödern 
krystallisirt gegen Kupfer negativ, in Hexaödern krystallisirt dagegen positiv, 
ferner Eisenkies aus Piemont in Combinationen des Hexaöders und Octaöders 
krystallisirt gegen Kupfer negativ, dagegen von Elba und Piemont in Pyrito&- 
dern, und in Combinationen des Pyritoöders mit einem Diplo@der krystallisirt 
positiv wäre. Hankel hat also ganz richtig schon beobachtet, dafs diesel- 
ben Substanzen wie Kobaltglanz und Eisenkies bei verschiedener Krystallform 
sich ganz verschieden thermo-elektrisch verhalten können; er hebt dies auch 
am Schlusse seiner Abhandlung hervor, aber er hat dieser wichtigen Beob- 
achtung keine weitere Folge gegeben, und Marbach erwähnt ‚ihrer nicht, 


scheint demnach also nicht durch sie zu seiner wichtigen Entdeckung geführt 
worden zu sein. 


vom 2. Juni 1870. 335 


mich mit Prof. Schellbach, der gern meinen Wünschen entge- 
genkam, mit ihm gemeinschaftlich die Versuche anzustellen. Sie 
bestätigten vollkommen die Angaben von Marbach, wurden auch 
eine Zeitlang fortgesetzt, dann aber aufgegeben, da sie zu keinem 
Resultate führten, indem sich ergab, dafs die auf gleiche Weise ge- 
streiften Hexaöder von Traversella und von Tavistock sich ganz 
verschieden thermo-elektrisch verhielten, das eine positiv das andere 
negativ war, und die horizontal, parallel den Grundkanten gestreif- 
ten Pyritoöder von Traversella ebenso wie die senkrecht zur Grund- 
kante gestreiften Pyrito@der von Elba positiv waren. 

Darauf beschäftigte sich Friedel!) mit derselben Untersu- 
chung; auch er erkannte bei seinen Versuchen die beiden Varietä- 
ten des Eisenkieses, doch konnte auch er nicht den mindesten kry- 
stallographischen Unterschied zwischen den Eisenkieskrystallen, die 
die entgegengesetzten thermo-elektrischen Eigenschaften besäflsen, 
auffinden. Indessen beobachtete er, dafs die schönen Hexaöder 
von Traversella in Piemont zuweilen an ihrer Oberfläche unregel- 
mälsig begränzte Stellen zeigten, die in gleicher Richtung, doch 
feiner als der übrige Theil der Flächen gestreift wären, und die 
ihn an die ähnlichen Erscheinungen bei den Zwillingskrystallen 
vom Quarz erinnerten. Die feiner gestreiften Stellen zeigten sich 
immer von einem entgegengesetzten Verhalten, als wie die umge- 
benden glänzenden, daher er geneigt war, anzunehmen, dafs die 
Existenz der beiden Varietäten des Eisenkieses an die rechts- und 
links-hemiädrischen Krystalle gebunden wäre, die krystallogra- 
phisch gleich und congruent, wenn sie getrennt, sich doch in den 
Zwillingen durch Verschiedenheiten des Glanzes verriethen. Frie- 
del erkannte also wie Marbach, dafs die beiden thermo-elektri- 
schen Varietäten sich in einem Krystalle zusammenfinden; er ver- 
folgte aber die Untersuchung der Eisenkieskrystalle in dieser Rich- 
tung nicht weiter, sondern von der Betrachtung ausgehend, dafs 2 
entgegengesetzte Ecken der gestreiften Eisenkies-Hexa@der nicht 
congruent wären, suchte er nachzuweisen, dals der Eisenkies pyro- 
elektrisch wäre, eine Ansicht, die er aber doch später wieder auf- 
gegeben hat’). 


1) Institut vom 27 Dec. 1860 N. 1408 S. 420. 
2) Ann. de chemie (4) 1869 t. 16 p. 14. 


336 Gesammtsiüzung 


Im vorigen Jahre erschien nun die grofse Abhandlung von 
Strüver über die Italiänischen Eisenkiese.!) Er beschreibt hier 
nur die Krystalle von 3 Fundörtern, von Traversella, Brosso und 
Elba, und führt doch auf 154 verschiedene Combinationen, die alle 
mit Genauigkeit gemessen und bestimmt, und mit einer Sorgfalt 
und Vollkommenheit gezeichnet sind, die bei dieser Fülle wahrhaft 
bewunderungswürdig ist. Er hat dabei die Zahl der bekannten 
einfachen Formen fast verdoppelt, da von den aufgeführten 54 ein- 
fachen Formen 24 neu hinzugekommen sind.?) 

Strüver hat sich auch mit dem thermo-elektrischen Verhalten 
des Eisenkieses beschäftigt, aber nur so weit, um sich von der Rich- 
tigkeit der Marbachschen Versuche zu überzeugen, und war auf 


1) Studi sulla mineralogia italiana, pirite del Piemonte e dell’ Elba, 
Torino 1869. 

2) Unter den (a. a. O. S. 6) aufgeführten 54 Formen des Eisenkieses 
befinden sich 2 von Descloizeaux und 3 von Strüver nicht mit Sicher- 
heit angegebene Formen; unter den 30 bekannten Formen sind ferner 2 von 
mir in meiner Krystallographie angegebene Formen aufgeführt, die Pentagon- 
dodekaöder 230 und 240 zweiter Stellung, die aber nicht wie die erster Stel- 
lung beobachtet sind, was zu bemerken ich unbedachter Weise nicht angege- 
ben hatte, und ebenso ist das Diploöder 124 zweiter Stellung nach Mohs 
irrthümlich aufgeführt. Mohs führt in der ersten Ausgabe seiner Mineralo- 
gie S. 537 diese Form als bei der Varietät von Petorka in Peru, die Haüy 
beschrieben hat, vorkommend auf, nimmt aber hier die Fläche des Leucito&- 
ders (0 bei Haüy) für die Fläche des Diploöders 124 zweiter Stellung und 

uz 
bezeichnet sie mit N ein Irrthum, der auch in die zweite Ausgabe von 
Mohs Mineralogie, die Zippe besorgt hat, Th. 2 S. 511, und daraus in 
Strüvers Abhandlung übergegangen ist. Der Irrthum von Mohs ist wohl 
dadurch entstanden, dafs Haüy bei der Beschreibung der Varietät von Pe- 
torka (trait& de mineralogie, 2. &d. t.4 p. 57) für das Leucitoöder nicht das 


2 
Zeichen A = 0, wie bei Fig. 211, genommen hat, sondern um die Ver- 
wandtschaft desselben mit den Diplo@dern 123 = f und 124 = s zu bezeich- 


’ 1 3 
nen, es als intermediäre Dekrescenz bezeichnet hat, also (A?B?G!) (A?B?G!) 
0" f 
(A2 B? G!), welches erste Zeichen von Mohs falsch übersetzt ist. Zieht man 
s 


von den 54 angegebenen einfachen Formen die 5 unsicher bestimmten und 
die 3 irrthümlich angegebenen ab, so bleiben beim Eisenkies noch 46 mit 
Sicherheit bestimmte einfache Formen übrig. 


vom 2. Juni 1870. 337 


eine genauere Untersuchung nicht eingegangen. Das Studium seiner 
Arbeit war aber Veranlalsung, dafs ich meine angefangenen Arbei- 
ten des Eisenkieses wieder aufnahm. Das thermo-elektrische Ver- 
halten desselben mufste an einer grölsern Zahl von Krystallen be 
stimmt werden. Dr. Groth bot mir freundlichst seine Hülfe zur 
Anstellung der Versuche an, und Prof. Magnus verstattete gern, 
dafs wir sie in seinem Laboratorium und mit den Instrumenten 
des unter seiner Leitung stehenden physikalischen Apparats an- 
stellen konnten.") Die Versuche wurden auf ähnliche Weise ge- 
macht, wie sie Marbach angestellt hatte, und nur in soweit ab- 
geändert, als zwei mit einem Galvanometer in Verbindung gesetzte 
Kupferdrähte, deren freie Enden etwas abgerundet und von einer 
metallischen Oberfläche waren, von beiden Seiten je an eine der 
zu untersuchenden Flächen des Krystalls angelegt, und jedesmal 
einer derselben in einiger Entfernung vom Krystall erwärmt wurde, 
statt dafs Marbach das Ende des Kupferdrahts mit der Gaslampe 
erwärmt und dann erst an den Krystall angelegt hatte Durch 
obiges Verfahren wurden alle secundären Ströme, welche durch 
das Anlegen selbst hervorgebracht werden konnten, vermieden. Die 
Stromesrichtung wurde an einem gewöhnlichen Spiegelgalvanome- 
ter mit Scala und Fernrohr abgelesen. Diese empfindliche Methode 
war nothwendig, weil manche Krystalle ihrer schlechten Leitungs- 
fähigkeit halber nur schwache Ströme gaben. 

Wir haben auf diese Weise 179 Krystalle?) untersucht; viele 
derselben wurden zu wiederholten Malen, und wenn sie sich als 
Zwillingskrystalle herausstellten, an sehr verschiedenen Stellen un- 
tersucht, so dals wir eine sehr grofse Zahl von Versuchen gemacht 
haben, deren Anstellung sich Dr. Groth mit grofsem wissen- 
schaftlichen Eifer und Geschick unterzog, was hier auch öffentlich 
anzuerkennen ich nicht unterlassen kann. Die Krystalle zu diesen 
Versuchen wurden gröfstentheils aus der reichen Sammlung des 
‘ Berliner mineralogischen Museums genommen, doch konnte ich 
durch die Gefälligkeit der Hrn. Hauchecorne und Eck, Ewald 
und Tamnau auch Krystalle aus der hiesigen Bergakademie sowie 


1) Leider hat Magnus die Beendigung dieser Versuche, an die er so 
vielen Antheil nahm, nicht mehr erleben können. 

2) Unter diesen befinden sich 71 positive und 62 negative Krystalle und 
46 Zwillingskrystalle mit positiven und negativen Individuen. 


338 Gesammtsitzung 


hiesiger Privatsammlungen benutzen. Die Hrrn. Weisbach und 
Stelzner sandten mir die oben erwähnte Eisenkiesdruse aus der 
Wernerschen Sammlung, Prof. vom Rath sandte mir einen schö- 
nen grofsen Zwillingskrystall mit durcheinander gewachsenen In- 
dividuen von Elba aus der Bonner Sammlung, Prof. Römer einen 
grolsen Krystall von Waldenstein, Dr. Hessenberg den oben 
$S. 330 erwähnten Krystall von Traversella. Von ganz besonderem 
Werthe waren mir aber die schönen Krystalle, die ich durch die 
Güte der Hrn. Sismonda und Strüver auf meine Bitte aus den 
öffentlichen Turiner Sammlungen erhielt und auf die ich durch die 
Strüversche Abhandlung aufmerksam gemacht war,') was ich alles 
nur mit grolsem Danke anerkenne. 

Aus den angestellten Untersuchungen hat sich nun das unzwei- 
felhafte Resultat ergeben, dafs sich die Krystalle des Eisen- 
kieses und des Kobaltglanzes in Krystalle erster und 
zweiter Stellung bestimmt unterscheiden lassen, von 
denen die einen positiv, die andern negativ sind, dafs 
das thermo-elektrische Verhalten des Eisenkieses und 
Kobaltglanzes also im genauen Zusammenhange mit der 
Hemiödrie der Krystalle steht. Ich werde in dem Folgen- 
den die positiven Krystalle als Krystalle erster Stellung, die nega- 
tiven als Krystalle zweiter Stellung betrachten, werde aber jetzt 
nur eine Übersicht der einfachen Formen, die ich unter den unter- 
suchten positiven und negativen Krystallen beobachtet habe, folgen 
lassen, und nur im Allgemeinen Einiges über die Beschaffenheit 
der Flächen der einfachen Formen, die Häufigkeit des Vorkommens 
derselben und die beobachteten Zwillingskrystalle angeben, die ge- 
nauere Beschreibung der untersuchten einfachen und Zwillingskry- 
stalle mir für eine spätere Zeit versparend. 


1) Es waren 5 Stufen mit den in den Fig. 110, 111, 128, 144 u. 177 
der Strüverschen Abhandlung abgebildeten Krystallen. 


oR) 
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'quog ut | ges (ei:et:ef) 1 "07 
"quoy) uf ‘qwog ur pum Sıpugjsgsapes | u | FzI | (er:er:e®) hi ‘6 
‘qwog ul ‘quioy ur pun Srpuggsisgpes | s | gal | (er:er:®e) aopgopdrqt "SI 
uopeul 0,9 | (Boo:e$:®) 5 "Lu 
‘quo uf 095 | Bo:er:®) : '9L 
"quo ut ‘quog ur 067 | Ro:ef:e) E CI 
TO JAUL orE | Wo:er:®e) £ TI 
‘qwon) ul 08z | (wo:ef:e) = "et 
: ‘quog) ur 09 | Wo:er:®) R "Sı 
ÖS  quwog ur pun Srpug4sjsqjos ‘quo/) ur pun Srpuy4s}sqjos 031 | Bo:ef:®e) h Int 
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S guy ul ges | (ee:ez:e) 2 "6 
S ‘quoy) ul al ale) 5 ‘8 
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S ‘qwog ut sg | (eg:w:e) i ‘G 
quo) ul eeI (ef:e:®e) IOPIEI}IJISON] "F 
"quo,) ur ‘qwo/) ur pum Stpuggsisgpps| p | OIT | (Bo:e:e) dOpge7PpocL 'E 
’qwor) ur pun Zıpug4sIsqfas -quwoy) ur pum Sıpuwgsjsgpps | 0 | III (e:e:®) A9P98IJO 'Z 
"quo ur pun Zrpuwjsjsqjos | uoreurquion) ur pun Sıpumıssgpps | ® | 00T | (Be:eoo:e) A9p3eXoH "I 
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Sunuwp1zag 


"SOINUOSIT WII UOULIOT OUORF TO 9IEFyDEIOAT 


340 Gesammtsitzung 


Häufigkeit und gegenseitige Gröfse der verschiedenen einfachen 
Formen. 

Hexaöder sowohl selbstständig als in Combinationen kommen 
im Allgemeinen häufiger bei den positiven als negativen Krystal- 
len vor; dagegen umgekehrt sich Oktaöder viel häufiger bei nega- 
tiven Krystallen finden. Das Dodekaöder habe ich nur einmal 
selbstständig, und auch dann nur in kleinen Krystallen, die posi- 
tiv sind, beobachtet.) Von Ikositetraädern ist eigentlich nur 
das Leueitoöder zu erwähnen, die stumpfern sind nur sehr selten 
und bei negativen Krystallen vorgekommen. Auch das Leucitoöder 
findet sich vorzugsweise bei negativen Krystallen und kommt in 
den Combinationen herrschend nur bei diesen allein vor. Die 
Triakisoktaöder sind immer nur klein und untergeordnet beobach- 
tet. Unter den Pentagondodekaädern ist das Pyritoeder das häu- 
figste, und allein selbstständig vorgekommen; es ist die eigentliche 
charakteristische Form des Eisenkieses, und gleich häufig bei den 
positiven wie bei den negativen Krystallen. Stumpfere und schär- 
fere Pentagondodekaöder kommen nur untergeordnet und fast nur an 
den herrschenden Pyrito@dern vor; stumpfere sind selten, die schär- 
fern häufiger, und beide vorzugsweise an negativen Krystallen vor- 
gekommen, so dafs man solche schon an dem Vorkommen dieser 
Flächen vermuthen kann. Von den Diploödern kommen besonders 
zwei vor, die Diploöder 123 und 124; ersteres ist besonders charakte- 
ristisch für die positiven, letzteres für die negativen Krystalle, und da 
nach Strüver unter den Italiänischen Eisenkiesen ersteres vorzugs- 
weise in Traversella, letzteres in Brosso vorkommt, so scheint doch 
auch die Beschaffenheit der Lagerstätte einen Einflufs auf die 
thermo-elektrische Beschaffenheit der sich auf ihr bildenden Eisen- 
kiese gehabt zu haben. 

Unter den seltenern Diplo&dern ist mir besonders das Diplo£&- 
der 1610 vorgekommen. Ich hatte es. schon bei meinen ersten 
Untersuchungen des Eisenkieses beobachtet an einem schönen gro- 
{sen flächenreichen Krystall aus Piemont, später beobachtete ich es 
an Krystallen von Lichtfeld in Siegen, Schemnitz, Cornwall, Me- 
xico und Dognatzka; es ist stets negativ befunden. 


1) Aus der Wälderkohle von Bölhorst bei Minden. Hr. Dr. Krantz hatte 
die Freundlichkeit, mir einige dieser selten vorkommenden Krystalle zu verehren. 
Quenstedt erwähnt ihrer auch in seinem Handbuche der Mineralogie S. 662. 


vom 2. Juni 1870. 341 


Beschafenheit der Flächen der verschiedenen einfachen Formen. 


Die Beschaffenheit der Flächen bleibt sich nicht überall gleich, 
und fällt in den verschiedenen Combinationen oft verschieden aus, 
doch kann man darüber im Allgemeinen Folgendes festsetzen, 
Die Flächen des positiven Hexaöders sind vorzugsweise und häufig 
sehr stark gestreift parallel den stumpferen Combinationskanten 
mit dem Pyritoöder (Traversella). Die Flächen des negativen 
Hexaöders sind auch wohl auf eine ähnliche Weise gestreift, doch 
feiner (Tavistock), nicht selten aber ganz glatt und stark glänzend 
(Traversella). In den positiven Combinationen des Hexaöders mit 
dem Pyritoöder und Diplo&der 123 ist die Hexa&derfläche oft pa- 
rallel den Kanten mit diesen beiden Formen gestreift (Elba, Tra- 
versella),') und ebenso in den positiven Combinationen des Hexa&- 
ders mit dem Pyritoöder und dem Diploöder 124 (Rodna). 

Zuweilen finden sich auf den Hexaöderflächen kleine quadra- 
tische Eindrücke; bei den positiven Krystallen gehen ihre Seiten 
parallel den Kanten mit dem Dodekaöder (Fig. 6) und werden 
wahrscheinlich auch durch die Flächen des Dodekaöders hervorge- 
bracht. Sie finden sich auf Krystallen von Elba, wo sie indessen 
nur klein, fast mikroskopisch sind. Bei den negativen Krystallen 
gehen sie parallel den Kanten mit dem Oktaöder, und werden auch 
durch die Flächen des Oktaöders hervorgebracht (Fig. 7). Sie sind, 
wo sie sich finden, gröfser als die vorigen, oft sehr bedeutend grofs, 
wie bei Krystallen von Traversella.?) 

Die Flächen des positiven Oktaöders sind oft gestreift paral- 
lel den Kanten mit dem pos. Pyrito&der, besonders sind sie aber cha- 
rakterisirt durch kleine dreieckige Eindrücke, die in der Richtung 
der Hexaöderflächen schillern und durch diese auch hervorgebracht 
werden, deren Seiten also parallel mit den Kanten des Okta&ders 
gehen (Traversella, Elba).”) Die Flächen des negativen Oktaöders 
sind vorzugsweise parallel den Kanten mit dem negativen Pyrito&- 
der gestreift; kleine dreieckige Eindrücke finden sich auch hier, 
sie schillern aber in der Riehtung der Oktaöderflächen und werden 
auch durch diese hervorgebracht; ihre Seiten gehen auch noch den 


1) vgl. Strüver's Fig. 176. 
2) vgl. Strüver's Fig. 174. 
3) vgl. Fig. 4 und 10 und Strüver's Fig. 176. 


342 Gesammtsitzung 


Kanten mit dem Oktaöder parallel, doch haben sie eine umgekehrte 
Lage wie die vorigen (Elba, Brosso, Immenkippel bei Bensdorf).') 
Streifung und Eindrücke finden sich gewöhnlich zu gleicher Zeit; 
bei einem merkwürdigen Krystall der Turiner Sammlung, den 
Strüver beschrieben und in den Fig. 177 u. 157 gezeichnet hat, 
sind aber diese Eindrücke ganz nach den Stellen der Oktaöder- 
fläche gedrängt, wo sich keine Pyritoöderflächen finden und die 
Pyritoöderflächen erster Stellung liegen würden, wenn sie da 
wären.’) 

Bei den negativen Krystallen von Elba, bei welchen die Ok- 
taöderflächen nur untergeordnet an den senkrecht gestreiften Pyri- 
toöderflächen vorkommen, bringen die Leueitoöderflächen, wie sie 
die senkrechte Streifung auf den Pyritoöderflächen verursachen, 
auch eine Streifung auf den Oktaöderflächen hervor.“) Bei ne- 
gativen Krystallen von Brosso findet sich auch auf den Oktaöder- 
flächen eine Streifung nach dem Diploöder 124.°) 


1) vgl. Fig. 5 und Strüver's Fig. 177. 

2) Strüver schliefst aus dieser Vertheilung der Eindrücke auf der 
Oktaöderfläche, dafs der Krystall vielleicht ein Zwilling sein könnte; dies ist 
jedoch nicht der Fall. Der Krystall befand sich unter denen, die Hr. Strü- 
ver die Güte hatte, mir zur Ansicht zu schicken, ich untersuchte ihn mit 
Dr. Groth sehr sorgsam, und wir konnten uns überzeugen, dafs er sich in 
thermo-elektrischer Hinsicht vollkommen wie ein einfacher negativer Krystall 
verhielt. Auch sieht man die Streifen, die den Kanten mit dem Pyrito&der 
parallel gehen, wenn man sie unter dem Mikroscop betrachtet, zum Theil in 
gleicher Richtung in die Felder fortsetzen, in welchen die dreieckigen Ein- 
drücke enthalten sind; die Streifung erscheint nur nicht so regelmäfsig, wie 
sie gezeichnet ist, und findet auch nicht blofs parallel den Kanten mit dem 
Pyritoöder, sondern auch mit dem Oktaöder statt. 


3) Diese Streifung, die auch Quenstedt in seiner Mineralogie angiebt 
(S. 662), ist von Strüver nicht beobachtet worden (a. a. O. S. 35). Die 
Krystalle von Elba, an denen sich diese Streifung findet, sehen aus wie die, 
welche Strüver in Fig. 186 seiner Abhandlung gezeichnet hat, nur dafs 
sich bei ihnen nicht das Diploeder 124, sondern das Leucitoöder findet. Bei 
den Zwillingskrystallen mit durcheinander gewachsenen Individuen erscheint 
diese Streifung auf den gleichliegenden Oktaöderflächen beider Individuen 
parallel. 


4) vgl. Strüver's Fig. 188. 


vom 2. Juni 1870. 343 


Die Flächen des positiven Dodekaöders sind glatt und glänzend 
(Cornwall, Zwilling) oder ziemlich glatt (Bollhort bei Pr. Minden); 
die Flächen des negativen Dodekaöders sind glänzend und nach 
der kurzen Diagonale gestreift (Chile, Immenkippel bei Bensdorf), 
oder matt und nach der langen Diagonale gestreift (Cornwall, 
Zwilling, 'Lobenstein, Jonswand in Lappland). 

Die Flächen des positiven Leueitoöders sind meistens glän- 
zend, die des negativen bei Krystallen von Erbach parallel mit 
den Kanten des Hexaöders fein gestreift, bei den oben erwähnten 
Krystallen aus der Wernerschen Sammlung, von denen es zweifel- 
haft ist, ob sie positiv oder negativ sind, erscheinen die Flächen 
durch dreieckige Eindrücke, welche von den Hexaäderflächen her- 
vorgebracht werden, ganz matt. 

. Die Flächen des positiven Pyritoöders sind, wo es selbststän- 
dig oder herrschend vorkommt, vorzugsweise horizontal parallel 
den Kanten mit dem Hexaöder gestreift; sehr häufig wechseln 
beide Flächen in treppenartigen Absätzen. Zuweilen kommt neben 
der horizontalen eine senkrechte vor, wie bei den stark glänzen- 
den Krystallen von Zacatecas in Mexico, die hier durch die Flä- 
‚ chen des Diplo&ders 124 hervorgebracht wird. Die Pyritoöder- 
flächen scheinen wie mit niedrigen reetangulären Streifen bedeckt, 
deren Randflächen durch die Hexaeder- und die Diploöderflächen‘ 
gebildet werden, und die von verschiedener Breite und auf den 
Pyritoöderflächen bald nur einzeln, bald in grofser Menge erschei- 
nen.) Bei positiven Krystallen von Elba, wo das Pyritoäder noch 
in Verbindung mit dem Oktaöder und dem Diploöder 123 vorkommt, 
erscheinen die ganzen Pyritoäderflächen senkrecht zur Grundkante 
gestreift; wenn man die Streifung aber genau betrachtet, so sieht 
man, dafs sie auf ganz ähnliche Weise hervorgebracht wird, wie 
bei den Krystallen von Zacatecas, nur dafs hier die Streifen viel 
feiner und schmaler, und nicht so unterbrochen sind. 

Die Flächen des negativen Pyritöäders sind vorzugsweise senk- 
recht zur Grundkante gestreift. Die Streifung rührt hier von den 
Leueitoöderflächen her; dies sieht man sehr deutlich bei den Kry- 
stallen von Elba, wo das Pyritoöder vorherrscht, und Okta&öder und 


!) Fig. 9 stellt eine solche Pyritoöderfläche nur ein halbmal vergrölsert 
dar; die Hexaöder- und Diploöderflächen sind bei den Streifen als sehr 
schmal meistentheils in der Fig. fortgelassen. 


[1870] 25 


344 Gesammtsitzung 


Leueitoöder nur untergeordnet hinzutreten; ebenso bei Krystallen 
aus Copiapo, wo das Hexaäder mehr vorherrscht. Die Streifung 
ist sehr geradlinicht und unterscheidet sich sehr bestimmt von der 
verticalen durch das Diploöder 124 hervorgebrachten Streifung, die 
bei den positiven Elbaer Eisenkieskrystallen vorkommt. 

Aufser den Streifen finden sich noch,. sowohl bei den positi- 
ven wie negativen Krystallen dreieckige oder trapezoidale Ein- 
drücke (Fig. 8), die in der Richtung der Hexaöder- und der Oktaeder- 
flächen schillern, und daher auch durch diese hervorgebracht wer- 
den; ihre Seiten gehen also auch den Kanten mit dem Hexaäder 
und Oktaöder parallel. Diese Eindrücke sind aber dieselben bei 
den positiven wie bei den negativen Krystallen. Sie sind oft nur 
klein und von einander getrennt, wie bei den positiven Pyrito@dern 
von der Himmelfahrt bei Freiberg und bei den grofsen schönen 
Cubo-Oktaödern von Traversella, an denen die Pyrito@derflächen 
nur untergeordnet erscheinen; in andern Fällen sind sie grölser 
wie bei den grofsen Krystallen von Elba, bei denen die Pyrito&- 
derflächen vorherrschen, in deren Mitte sie dann so zusammenge- 
häuft sind, dafs diese Stellen dadurch ganz drusig erscheinen. Sie 
kommen so bei den zart vertical gestreiften positiven Krystallen 
vor, wo die Eindrücke aulser den Oktaöderfiächen noch durch die 
Diploöderflächen 123 gebildet werden, als auch bei den stark ge- 
streiften negativen Krystallen, bei denen die Diploederflächen 
fehlen. 

Die schärfern Pentagondodekaeder, die sämmtlich negativ sind, 
erscheinen selten recht glatt und glänzend, sie sind meistens hori- 
zontal gestreift, und dann auch ebenso das negative Pyvitoöder, zu 
dem sie gewöhnlich untergeordnet hinzutreten. ; 

Das Diploeder 125 ist charakteristisch für die positiven Kry- 
stalle, und ist dann stets sehr glänzend, zuweilen auch ganz glatt, 
gewöhnlich aber mit einer Streifung versehen, theils mit einer 
Längsstreifung parallel den Kanten mit dem Oktaöder (Elba), theils 
mit einer Querstreifung, parallel den Kanten mit dem Diplo&der 124 
(Traversella).. Zuweilen kommen Längs- und Querstreifung auf 
derselben Fläche vor, wie dies bei Krystallen von Elba nicht sel- 
ten der Fall ist und auch Strüver angiebt in seiner Fig. 183. 
Die Längsstreifung rührt gewöhnlich von den Oktaöderflächen her, 
doch zuweilen auch von den Pyritoöderflächen, und bei manchen 
Krystallen wechselt Streifung nach den Octaöderflächen mit Strei- 


vom 2. Juni 1870. 345 


fung nach den Pyrito@derflächen ab, und die zwischen Oktaöder- 
und Pyrito&derfläche liegende Diploöderfläche ist nach dem Diplo&- 
der 124 gestreift und enthält auch viereckige Eindrücke in dieser 
Richtung. 

Das negative Diploöder 123 kommt nur selten vor, und ge- 
wöhnlich sehr untergeordnet, selten herrschender. Es findet sich 
so an den positiven Pyritoädern von Traversella, wo seine Flä- 
chen ganz rauh und drusig und auch mit Eindrücken versehen 
sind, die sämmtlich in der Richtung des Hexaöders schillern. 

Das Diploöder 124 kommt am häufigsten bei negativen Kry- 
stallen von Brosso vor, bei denen das Oktaäder herrscht und Di- 
plo&der und Hexaäder untergeordnet hinzutreten; es ist dann in 
der Regel glänzend, und erscheint auch so bei einem losen Kry- 
stalle von Rodna in Siebenbürgen, wo es vorherrscht und öfter 
durch die Flächen des Hexaöders unterbrochen wird. Dieselbe 
Öombination kommt aber hier auch bei positiven Krystallen dieses 
Fundorts vor; die Krystalle sitzen bei mehreren Stücken des mi- 
neralogischen Museums auf schön krystallisirter Blende; das Di- 
plo@der ist matt, und nur in der Richtung des Hexaöders glänzend, 
nach welchem es fein gestreift ist; Hexa&äder und Pyritoöder er- 
scheinen stark glänzend. Indessen kommt das negative Diploöder 
124 bei den vorhin erwähnten positiven Krystallen von Traversella 
auch matt und drusig vor, und erscheint hier mit den matten, rauhen, 
ebenfalls nach dem Hexaöder gestreiften negativen Diplo@der 123. 

Das Diplo&der 16 10, welches ich nur bei negativen Krystal- 
len beobachtet habe, erscheint, wo es auch vorkommt, stets sehr 
glatt und glänzend, so dafs es sich zu den schärfsten Messungen 
eignet. 


Zwillingskrystalle. 


Regelmäfsige Verwachsungen zweier Krystalle zu Zwillings- 
krystallen kommen bei dem Eisenkies sehr häufig vor und viel 
häufiger als man bis jetzt angenommen hat, da man einen grolsen 
Theil derselben bisher ganz verkannt, und nur die deutlichen, mit 
durcheinander gewachsenen Individuen für solche genommen hat. 
Die Zwillingskrystalle, die beim Eisenkiese vorkommen, sind aber 
zweierlei Art; die beiden Krystalle, die untereinander regelmäfsig 
verwachsen vorkommen, sind entweder thermo-elektrisch einerlei 
Art oder sie sind verschieden. Beide zerfallen wieder in 2 Ab- 

25 * 


346 Gesammtsitzung 


theilungen, bei den erstern sind die verwachsenen Krystalle ent- 
weder beide positiv oder beide negativ, und der eine erscheint ge- 
gen den andern um eine der 3 rechtwinkligen Axen um 90° ge- 
dreht; bei den letztern, bei denen der eine Krystall positiv, der 
andere negativ ist, stehen beide gegeneinander in Zwillingsstellung 
oder sie haben ihre parallele Stellung behalten. 


1. Zwillingskrystalle, bei welchen beide Individuen 
thermo-elektrisch einerlei Art sind. 


Wenn man einen solchen Zwillingskrystall parallel einer Hexae- 
derfläche mit einem scharfen Meilsel spaltet, so kann man auf der 
Bruchfläche von einer Gränze zwischen den beiden Individuen in 
der Regel nichts sehen. Läfst man die Bruchfläche poliren, so 
zeigen die beiden Individuen öfter wohl etwas Verschiedenheit im 
Glanze, so dafs man die Gränzen schon erkennen kann, ganz 
vortrefflich sieht man sie aber, wenn man die Bruchfläche ätzt; 
es entstehen nun die oben $. 333 beschriebenen Eindrücke parallel 
den Pyritoöderflächen, die in jedem Individuum verschieden liegen. 
Die Bruchfläche jedes Individuums glänzt nun in der Richtung 
ihrer Pyritoöderflächen, während die andere ganz matt ist, die nun 
ihrerseits glänzt, während die erste matt erscheint, wenn man die 
geätzte Fläche um die Zwillingsaxe um 90° dreht. Die Gränzen 
zwischen beiden Individuen ‚gehen unregelmäfsig, nie genau durch 
‚die Diagonalen der Hexaöderfläche, sind aber sonst ganz gerad- 
linicht. 

a) Positive Zwillingskrystalle der Art wurden von 4 
Fundörtern untersucht: von Elba, vom Dörrel bei Pr. Oldendorf 
in Hannover, von Leiwa in Columbien und einem andern Vorkom- 
men von Elba. 

Die Krystalle von Elba sind von 3—4 Linien Gröfse und auf 
einer derben Eisenkiesmasse aufgewachsen. Sie sind sämmtlich 
vorherrschend Pyritoöder, die Grundkanten nur schwach abgestumpft 
durch die Hexaöderflächen; die Krystalle sind durcheinander ge- 
wachsen, die Hexaöderflächen der beiden Krystalle kreutzen sich 
also rechtwinklig und fallen in eine Ebene. Die Flächen der Py- 
ritoöder sind horizontal gestreift. 

Bei dem Eisenkies vom Dörrel sind bei einer Stufe des mi- 
neralogischen Museums die Krystalle nur ein wenig kleiner und 


vom 2. Juni 1870. 347 


auf schön krystallisirtem Eisenspath aufgewachsen; ') sie sind eben- 
falls vorherrschend Pyritoöder, Hexaöder und ein stumpferes Pen- 
tagondodekaöder treten nur untergeordnet hinzu. Die Krystalle 
sind aufserordentlich glänzend; das Pyritoöder ist schwach, das 
stumpfere Pentagondodekaöder stark horizontal gestreift. 

Von den Krystallen von Leiwa besitzt das mineralogische Mu- 
seum 3, sie sind reine Pyritoöder, etwas gröfser als die vorigen 
von etwa 6—8 Linien im Durchmesser, horizontal gestreift und äus- 
serlich braun angelaufen. Bei einem derselben hatte ich 2 sich recht- 
winklich schneidende Hexaöderflächen anschleifen lassen; man sah 
dabei, dafs er einen Kern hatte, der mit einer Schale späteren 
Absatzes gleichmäfsig bedeckt war, so aber, dafs man die Gränze 
zwischen Schale und Kern auf den Schliffflächen deutlich erkennen 
konnte, Schale und Kern zeigten sich beide positiv. 

Die zweite Varietät der Zwillingskrystalle von Elba sind Com- 
binationen des Diploöders 123 mit dem Pyrito@der, Hexa&der und Ok- 
taöder, wie sie Fig. 36 in Strüver’s Abhandlung darstellt. Die 
Diplo@der sind meistentheils vorherrschend, und nach den Kanten 
mit dem Oktaöder und Pyrito&der, wie oben S. 344 angegeben, stark 
gestreift, das Pyritoöder schwach senkrecht gestreift, Hexaöder und 
Oktaöder glatt; die Flächen des erstern enthalten stellenweise die 
kleinen oben $. 341 beschriebenen Eindrücke. Die Mineralien- 
sammlung der Bonner Universität besitzt einen über zollgrofsen 
prachtvollen Zwilling, bei dem die beiden Krystalle vollständig 
und sehr symmetrisch durcheinander gewachsen sind, der mir durch 
freundliche Vermittelung des Prof. vom Rath zur Untersuchung 
geschickt wurde; das Berl. mineral. Mus. besitzt mehrere kleinere 
Krystalle der Art, die aber einfach sind, und nur einen bei dem 2 In- 
dividuen durcheinander gewachsen sind, doch nicht so vollkommen 
und regelmäfsig als bei dem Bonner Krystall. Die Krystalle sind 
auf dünn tafelförmigen mit den Rändern aufsitzenden Eisenglanz 
aufgewachsen, deren Eindrücke die losen Krystalle des Eisenkieses 
enthalten. | | 

b) Zwillingskrystalle bei denen die beiden Indivi- 
duen negativ sind. Von diesen sind Eisenkieskrystalle von 4 


!) Das mineralog. Museum verdankt diese Stufe Hrn. Dr. Lasard, 
der auch das Vorkommen beschrieben hat (Zeitschrift d. d. geol. Se von 
1867 B. 19 S. 16). 


348 Gesammtsitzung 


Fundörtern untersucht: von Elba, Vlotho bei Pr. Minden, Pfitsch 
in Tyrol und Eisenerz in Steiermark. 

Von Elba ein über 2 Zoll grofser Zwilling, hauptsächlich aus 
einem Pyritoöder bestehend, aus dem das andere Individuum in 
einzelnen Theilen herausragt; nur sehr untergeordnet treten Hexaö- 
der, Oktaöder und Leucitoöder hinzu. Die Flächen des Pyritoöders 
sehr stark und geradlinicht parallel den Kanten mit dem Leuci- 
toöder und durch dieses gestreift. 

Die Krystalle von Vlotho kommen in grolser Menge in Keu- 

permergel eingeschlossen vor; sie sind nur einige Linien grols, 
gröfstentheils einfache Pyritoöder und zu Zwillingen oft aber sehr 
regelmäfsig, durcheinander gewachsen. Sie sind so wie man sie in 
den Sammlungen sieht, gewöhnlich mehr oder weniger vollständig 
in Göthit umgeändert; zuweilen nur auf der äulsersten Oberfläche; 
solche sind zur Untersuchung genommen, nachdem sie zuvor durch 
heilse Chlorwasserstoffsäure von ihrer bedeckenden braunen Haut 
befreit waren. 
Die Krystalle von Eisenerz in. Steiermark in dem Berliner 
Museum sind kleiner als die von Vlotho, aber ganz frisch. Sie 
sind lose, vielleicht sind sie aber früher in Eisenspath eingewach- 
sen gewesen, denn sie zeigen aulser dem Pyritoöder noch die Flä- 
chen eines schärfern Pentagondodekaöders 340, was bei Eisenkies- 
krystallen, die in Eisenspath vorkommen, öfter der Fall ist, z. B. 
in Lobenstein. Die Flächen sind nicht besonders glänzend, aber 
nicht gestreift. 

Von Pfitsch besitzt das Berliner Museum nur einen 4 Linien 
grofsen Krystall, zwei durcheinander gewachsene Pyrito&der. Die 
Flächen sind etwas uneben, doch deutlich vertikal gestreift; aufser 
den Flächen des Pyritoöders kommen noch untergeordnet die des 
Oktaöders vor, von denen hier besonders an einer Ecke zwei den 
verschiedenen Individuen angehörige Flächen sehr schön sternför- 
mig durcheinander gewachsen sind. 


2. Zwillingskrystalle, bei welchen das eine Individuum 
positiv, das andere negativ ist. 


a) Beide Individuen in Zwillingsstellung. Es sind 
dies die Zwillingskrystalle, die erst durch die Untersuchung ihres 
thermo-elektrischen Verhaltens erkannt worden sind. Die Flächen 
des einen Krystalls kommen hierbei vollständig in die Lage des 


vom 2. Juni 1870. 349 


andern, und der Zwilling erscheint hier wie ein einfacher Krystall, 
wenn man nicht auf die Beschaffenheit der Flächen achtet. Die 
Krystalle des Zwillings sind aneinander gewachsen oder durchein- 
ander gewachsen; gewöhnlich ganz unregelmäfsig und Theile des 
einen durch den andern oft vollständig getrennt. Die Flächen des 
Zwillings erscheinen dann, wenn die Flächen des positiven und 
negativen Krystalls in ihrer Beschaffenheit sehr verschieden sind, 
wie gefleckt. Man findet diese Art der Zwillinge sehr ausgezeich- 
net bei den Italiänischen Eisenkiesen von Traversella, Brosso und 
Elba.') 

Von Brosso wurden 8 Krystalle untersucht, die vorherrschend 
Combinationen des Hexaöders und Oktaöders sind, und an denen 
untergeordnet die Flächen des Pyritoöders und des Diplo&ders 123 
erscheinen. Die gleichnamigen Flächen sind sehr unregelmälsig 
ausgedehnt, und Pyritoäder und Diplo&der treten auch ganz un- 
regelmäfsig hinzu.’) Die Krystalle sind von dem Ansehn wie die, 
welche Strüver in den Fig. 166, 167 u. 169 dartellt. Die Flächen 
des Hexaöders gehören gröfstentheils dem neg. Krystalle an, sie sind 
glatt und glänzend oder haben die oben S.341 angegebene schwa- 
che Streifung nach den Seiten eines langgezogenen Sechsecks wie die 
pos. Krystalle. Stellenweise sind sie aber öfter stark gestreift, 
die Streifen ganz unregelmäfsig begränzt, und diese so stark ge- 
streiften Stellen gehören dem positiven Krystalle an. Die Okta& 


1) Leider bin ich bei den Italiänischen Eisenkiesen des Berl. min. Mu- 
seums oft ganz unsicher über die Fundörter, da die Zettel fehlen oder nicht 
genau genug sind. Die von Strüver angegebenen Kennzeichen für die 
Fundörter aus den begleitenden Mineralien, Magneteisenerz und Dolomit für 
Traversella, Schwerspath für Brosso, Eisenglanz für Elba, verlassen einen, 
wenn man es mit losen Krystallen zu thun hat. Es wäre vielleicht gut ge- 
wesen, wenn Strüver bei der Erklärung der schönen Figuren der Kupfer- 
tafeln wie die jedesmaligen Combinationen so auch die Fundörter angegeben 
hätte; man hätte dadurch für die Bestimmung der Fundörter noch ein wei- 
teres Anhalten. Bei vielen stehen zwar die Fundörter in der Beschreibung 
der einfachen Formen, aber doch bei weiten nicht bei allen. 

2) Diese Unregelmäfsigkeiten in der Gröfse und in dem Auftreten der 
gleichnamigen Flächen charakterisiren diese Art der Zwillingskrystalle, daher 
wohl zu vermuthen ist, dafs der gröfste Theil der von Strüver Taf. XII 
gezeichneten Krystalle solche Zwillingskrystalle sind. 


350 Gesammtsitzung 


derflächen gehören theils dem negativen, theils dem positiven Kry- 
stalle an. Die negativen Flächen sind in der Regel ganz glatt, 
die positiven aber gestreift nach den Flächen des positiven Di- 
ploöders 123, und aufserdem mit den kleinen oben S. 341 beschrie- 
benen dreieckigen Eindrücken versehn, die durch die Flächen des 
Hexaöders hervorgebracht werden. Die Pyritoederflächen sind matt 
und mit den oben $. 344 beschriebenen kleinen dreieckigen oder 
trapezoidalen Eindrücken versehn, die durch die Oktaöder- und 
Hexaöderflächen hervorgebracht werden; die Diplo@der sind paral- 
lel den Kanten mit dem Oktaöder gestreift, stets positiv. Fig. 10 
stellt die horizontale Projeetion eines solchen Zwillings dar, bei 
dem die vordern Oktaöderflächen O0 positiv und voller kleiner Ein- 
drücke sind, die in der Richtung der Hexaöderflächen prächtig schil- 
lern, die hintern Oktaöderflächen 0’ sind meistens negativ, die der un- 
tern Seite dagegen sämmtlich positiv. Die Hexaöderflächen sind 
bis auf die zur Seite rechts liegende Fläche sämmtlich negativ, 
und alle glatt und glänzend. An der hintern Seite erscheint noch 
eine kleine negative Pyritoöderfläche 4d’, an derselben Stelle wo 
2 positive Diploöderflächen liegen mülsten. Fig. 11 ist ein gröls- 
tentheils negativer Krystall, an dem nur die kleine stark gestreifte 
Stelle der obern Hexaöderfläche a’, sowie einige mehr oder weni- 
ger stark hervorspringende Diploöderecken von 123 auf den vor- 
dern Oktaöderflächen 0’ positiv sind. Bei einem andern Krystalle 
sind 5 Hexaöderflächen positiv und nur eine negativ, und diese an 
allen 4 Ecken von den positiven glänzenden Flächen des Diplo&- 
123 umgeben. Eine parallel einer Hexaöderfläche gelegte Bruch- 
fläche zeigt trotz des starken Glanzes auch ohne Ätzung die 
Gränze beider Individuen ziemlich deutlich; sie verläuft hier auf 
der Bruchfläche ganz unregelmäfsig und krummlinicht; geätzt sieht 
man sie noch besser, trotzdem dafs nun in beiden Individuen die 
pyritoödrischen Eindrücke eine gleiche Lage haben. Die des ne- 
gativen Krystalls sind mehr in der Richtung der Grundkante ver- 
längert, sind meistentheils feiner und liegen dichter nebeneinander, 
daher die geätzte Bruchfläche des negativen Krystalls weniger 
glänzt als die des positiven.!) 


1) Bei weiterm Studium wird es deshalb gewifs noch möglich sein, 
zwischen den Ätzeindrücken der positiven und negativen Flächen beim Eisen- 
kies einen Unterschied zu finden. 


vom 2: Juni 1870. 351 


Von Traversella wurden 4 über zollgrofse Zwillingskrystalle 
untersucht. Sie sind Combinationen eines Pyritoöders, welches 
vorherrscht mit dem Hexaöder und den Diplo@dern 123 und 124, 
die untergeordnet hinzutreten. Pyritoöder und Hexaöder sind sehr 
glänzend und schwach gestreift parallel den stumpfern Combina- 
tionskanten, die sie bilden; die Diplo&äder sind ganz matt und dru- 
sig von lauter kleinen hervorragenden Ecken, sie schillern aber 
sämmtlich in der Richtung der Oktaöderfläche, und werden also 
auch zum Theil durch eine solche Fläche begränzt. Die Flächen 
des Diplo&ders 123 werden aber stellenweise durch ganz glänzende 
Streifen, die den Combinationskanten des Diploöders mit dem 
Hexaöder oder dem Diploöder 124 parallel gehen, oder ganz 
unregelmäfsig begränzt sind unterbrochen. Pyritoöder uud He- 
xaöderflächen sind positiv, die matten Dipto@derflächen 123 und 124 
sind negativ, die glänzenden Stellen auf ihnen dagegen wieder 
positiv. | ' 

In Brosso kommt die nämliche Combination mit vorherrschen- 
den Octaöderflächen vor (vergl. Strüver Fig. 168), aber hier sind 
diese negativ, Pyritoöder und Diploöder 123 positiv; auch sind hier 
sämmtliche Flächen glänzend, die des Oktaöders gestreift parallel 
den Kanten mit dem Pyritoöder, die des Diploöders 123 parallel 
den Kanten mit dem Hexaöder und dem Diplo@der 124; die Kry- 
stallflächen sind auch sehr unregelmäfsig ausgedehnt. Der nega- 
tive Krystall ist hier oft sehr vorherrschend; das Diplo&der 123 
bildet bei einem Krystalle des Berl. mineralog. Museums nur an 
den Ecken eine positive Schale, die nicht sehr dick ist, und im 
Bruch sehr scharf an dem übrigen negativen Theil abschneidet. 

Hierher gehört auch der merkwürdige Krystall von Brosso, 
den Strüver $S. 21 seiner Abhandlung beschrieben und Fig. 144 
vortrefflich abgebildet hat, und den er die Güte hatte, mir zur An- 
sicht zu schicken. Er besteht aus einer Gruppe von 2 Krystallen 
mit ganz verschiedenen Combinationen von Flächen, die in schein- 
bar paralleler Stellung mit ganz unregelmäfsig laufenden und deut- 
lich sichtbaren Gränzen miteinander verwachsen sind. Beide ent- 
halten das Pyrito&der vorherrschend, der eine aufserdem etwas mehr 
untergeordnet die Flächen des Leucitoöders, und noch mehr die 
Flächen des Hexaöders und des schärfern Pentagondodekaeders 
405; der andere die Flächen des Oktaöders in ungefähr gleicher 
Gröfse mit dem Pyritoöder und klein die Flächen des Diploeders 


352 Gesammtsitzung 


124. Der erste Krystall ist positiv, der andere negativ. Strüver 
sagt: der Krystall kann nicht für einen Zwilling gehalten werden, 
da die Flächen des Pyritoöders des einen Individuums parallel den 
Flächen des andern sind; das elektrische Verhalten klärt die Er- 
scheinung auf, auch sind die Combinationen die gewöhnlichen, 
die bei positiven und negativen Krystallen vorkommen.') 

In Traversella kommen noch andere mehrere Zoll grolse Kry- 
stalle vor, die oft nur reine Pyritoöder und horizontal gestreift 
sind; die Streifung ist häufig sehr grob und unterbrochen, und der 
Krystall erscheint dann oft aus mehreren Individuen zu bestehen, 
deren Grundkanten nicht genau untereinander parallel sind. Ein 
Krystall aus der Sammlung des Dr. Tamnau, an welchem die 
Streifung feiner ist, erschien vollkommen positiv, die mit grober 
Streifung zeigten sich gröfstentheils als Zwillingskrystalle, positiv 
und negativ, und die Gränze zwischen beiden ist oft deutlich zu 
verfolgen. Manche enthalten an den einzelnen gleichkantigen Ecken 
des Pyritoöders noch untergeordnet die glänzenden Flächen des Ok- 
ta&ders und des Diploöders 123, und diese Stellen zeigten sich 
stets positiv. 

Bei einer groisen Druse des Berl. min. Museums von Traver- 
sella, an welcher die Eisenkieskrystalle, gröfstentheils reine Pyri- 
toöder von verschiedener Gröfse, mit gröfsern und kleinern Krystal- 
len von Dolomit aufgewachsen sind, erscheinen die Eisenkieskry- 
stalle matt, aber da, wo der bedeckende Dolomit mit dem Messer 
oder mit Chlorwasserstoffsäure weggenommen war, stark glänzend. 
Die glänzenden Slellen liegen stets tiefer als die matten, und sind 
scharf begränzt. Offenbar hatte hier die Eisenkiesbildung nach 
dem Dolomitabsatze noch einmal begonnen und eine schwache Lage 
auf dem von Dolomit nicht bedeckten Theil gebildet. Die ent- 
blöfsten glänzenden Stellen zeigten sich bei einem kleinen Krystalle 
negativ, die matten schwach positiv. Bei einem grölsern Krystalle 
war die Bruchfläche mit welcher derselbe aufgesessen hatte positiv, 
eine matte Stelle auf einer Pyritoöderfläche auch positiv; eine sehr 


1) Bis auf das schärfere Pentagondodekaäder, da bisher ein schärferes 
überhaupt bei positiven Krystallen noch nicht beobachtet ist; dasselbe Penta- 
sondodekaöder kommt bei dem mir von Hrn. Strüver ebenfalls gesandten 
Krystalle Fig. 128 negativ vor. 


vom 2. Juni 1870. 355 


glänzende Stelle auf einer andern Pyritoöderfläche negativ, auf 
einer dritten Fläche ebenfalls negativ, eine Ecke, an welcher eine 
Oktaöderfläche und kleine Flächen des Diplo@ders 123 erschienen, 
auch positiv. Wegen des positiven Bruches im Innern scheint 
hier also eine mehrfach sich wiederholende Bildung von positiven 
und negativen Eisenkies stattgefunden zu haben. 

Etwas Räthselhaftes bieten gewisse grofse schön nieder 
und glänzende Krystalle von Elba dar, die Combinationen des Py- 
ritoöders mit Hexaäder, Oktaöder und Diploöder 123 sind, deren 
Pyritoöderflächen schwach vertical gestreift sind mit drusigen Ein- 
drücken in der Mitte und deren Diplo@der die doppelte Streifung 
haben. Hier sind die Pyritoöderflächen auf einer Fläche zuweilen 
positiv, aufeiner andern negativ, und die vom Diplo@der umgebenen 
Oktaöderflächen positiv oder negativ. Da man nie weils, wie im 
Innern die Gränzen des positiven und negativen Krystalles laufen, 
so ist es sehr möglich, dafs ein Theil des negativen Krystalles 
sich nahe unter der Oberfläche des positiven hinzieht; ist nun die 
Erwärmung von Kupferdraht aus erst bis zur Berührungsstelle des- 
selben mit dem Krystall gelangt, so wird ein Strom erregt, dessen 
Richtung den Krystall als positiv characterisirt, aber bald, wenn 
die Temperaturerhöhung bis zur Gränze zwischen -positiveu und 
negativen Krystall eingedrungen ist, tritt dann ein stärkerer ent- 
gegengesetzter Strom auf. 

Sehr mehrkwürdig sind einige lose Krystalle in der Sammlung 
der Bergakademie, die angeblich aus Cornwall stammen; die Kry- 
stalle sind 3 bis 4 Linien gro(s und vorherrschend Dodekaöder, an 
deren vierflächigen Ecken untergeordnet die Flächen des Diploeders 
16 10, die Pyitoöder- und Hexaöderflächen erscheinen, und deren 
Kanten durch die Leueitoöderflächen schwach abgestumpft sind. 
Die Dodekaäderflächen sind zur Hälfte nach dem der Pyritoeder- 
fläche anliegenden Theile stark glänzend und glatt, und zur andern 
Hälfte ganz matt. Hexaöder, Pyritoöäder und Diplo@der glänzend, 
das Leucitoöder ist matt. Das Matte der letztern und der Hälf- 
ten der Dodekaäderflächen rührt von einer zarten Streifung paral- 
lel den Kanten mit dem Oktaöder her, dessen Flächen selbst nicht 
da sind; alle um eine dreiflächige Ecke des Dodekaöders gelege- 
nen Dodekaäder- und Leucitoöderflächen schillern daher, silberweils 
glänzend, in der Richtung der Oktaöderflächen, was diesen Kry- 


354 Gesammtsitzung 


stallen ein schr eigenthümliches Ansehn giebt.') Hexaöder, Pyri- 
toöder und Diploöderflächen sowie die matten Theile der Dode- 
kaöderflächen sind positiv, die glänzenden Theile negativ. Die 
Krystalle sind also sehr regelmäfsige Zwillingskrystalle mit durch- 
einander gewachsenen Individuen. 

Diesen in mancher Rücksicht ähnlich sind kleine Krystalle 
von Immenkippel bei Bensdorf des mineralog. Museums. Diesel- 
ben sind Combinationen des Oktaöders mit den untergeordnet hin- 
zutretenden Flächen des Dodekaöders, Pyritoöders und Hexaöders. 
Letztere Flächen sind glatt, die Dodekaöderflächen haben eine 
Streifung nach der kurzen Diagonale, die sich auf den Pyrito&der- 
flächen fortsetzt. Die Oktaöderflächen sind matt und mit kleinen 
mikroskopischen dreieckigen Eindrücken versehen, deren Seiten 
den Kanten des Oktaöders parallel sind und von dem Hexa&der 
herrühren. Hexaöder, Pyritoöder und Dodekaöder sind negativ, 
die Oktaöderflächen positiv, was auch schon die dreieckigen Ein- 
drücke beweisen.” ) 

db) Zwillingskrystalle, beide Krystalle in paralleler 
Stellung. 

Hierher gehören alle die seltenen Fälle von Krystallen, bei 
denen man hemiödrische Formen in beiden Stellungen beobachtet 
hat, denn hier ist stets anzunehmen, dafs die Formen der einen 
Stellung positiv, der andern negativ sind. Wir haben allerdings 
nur einige solcher Krystalle untersucht, die sich auf einer kleinen 
Stufe befinden, die mir Hr. Strüver gütigst gesandt, doch waren 
diese Krystalle entscheidend, da bei ihnen das Verhältnifs so ge- 
funden wurde, wie angegeben. Die oben S. 328 erwähnten Kry- 


1) Die Krystalle haben im Ansehn die gröfste Ähnlichkeit mit der von 
Strüver Fig. 128 abgebildeten und S. 26 beschriebenen Combination wahr- 
scheinlich von Brosso, nur findet sich hier statt des glänzenden Theiles der 
Dodekaöderflächen das Pentagondodekaöder 409. 


2) Hierher gehören weiter auch wohl die Krystalle, die Strüver S. 38 
seiner Abhandlung beschrieben und Fig. 181 abgebildet hat. Es sind Pyri- 
toöder von Traversella, die an den Grundkanten schwach abgestumpft sind; 
auf den Pyritoöderflächen finden sich kleine hervorragende Ecken von einem 
Diploöder, vielleicht 851, an welche noch die Flächen des Hexaäders und 
des Pyritoöders hinzugetreten sind, welche den gleichnamigen Flächen des 
Krystalls, worauf sie aufgewachsen, parallel sind. 


vom 2. Juni 1870. 355 


stalle, die Hr. Weisbach die Güte hatte, mir aus der Freiberger 
Sammlung zu schicken, waren zu klein und miteinander zu sehr ver- 
wachsen, um ein entscheidendes Resultat geben zu können, doch fin- 
den sich auch hier einzelne Flächen und Bruchstellen positiv, andere 
negativ, so dafs sich wenigstens die Anwesenheit von positiven 
und negativen Theilen ergab. Ebenso gab auch der von Hrn. Hes- 
senberg oben $. 330 erwähnte Krystall, der mir freundlichst zur 
Ansicht geschickt wurde, kein Resultat, da die Fläche des Penta- 
gondodekaöders zweiter Stellung für die Untersuchung zu klein war, 
sie ist in der That noch kleiner als sie in der Figur dargestellt 
ist. Der ganze Krystall wurde nur negativ gefunden. 

Die von Hrn. Strüver gesandte Stufe enthielt drei Krystalle 
von der in Fig. 111 seiner Abhandlung abgebildeten Combination. 
Sie besteht aus dem Hexaöder, dem Dodekaöder, den beiden Py- 
ritoödern, einem flachern Pentagondodekaäder 105, dem Oktaöder 
und Leucitoäder. Das Hexaöder herrscht vor, alle übrigen Flä- 
chen sind untergeordnet und so wie in der Figur dargestellt ist. 
Das Pentagondodekaöder 103 erscheint nur bei dem einen Pyrito&- 
der, das sich aber im Ansehn nicht wesentlich von dem andern 
unterscheidet, alle Flächen sind glänzend. Die Krystalle sind auf- 
gewachsen, doch ist bei allen eine Hexaöderecke mit den umgeben- 
den Flächen frei. Das Pyritoöder, bei welchem sich das Penta- 
gondodeka&der 103 befand, zeigte sich negativ, das wobei dieses 
fehlte, positiv; bei einigen Flächen waren die Resultate ganz ent- 
scheidend, in andern Fällen wurde auch bei dem Pyritoöder ohne 
das Pentagondodekaöder 103 der umgekehrte Strom erhalten; of- 
fenbar war in dem Zwillinge die negative Masse vorherrschend, 
und zog sich in dem letzten Falle wohl unter der positiven weg, 
so dafs dann die negative auch hier den Ausschlag gab. Die 
Gränzen zwischen den positiven und negativen Individuen ist bei 
allen 3 Krystallen nicht sichtbar.‘ ) 


/ 


1) Bei einer andern Stufe mit Krystallen, die mir auch Hr. Strüver 
schickte und auf welcher die Krystalle die in Fig. 110 abgebildete Form 
hatten, waren die Krystalle auf der Oberfläche in Eisenoxydhydrat umgeän- 
dert und dadurch nicht leitend geworden, obgleich die entstandene Haut nur 
sehr düun war. Da ich nicht das Recht hatte mit Chlorwasserstoffsäure die 
nicht leitende Hülle zu entfernen, so konnten die Krystalle für meine Zwecke 
nicht benutzt werden. 


396 Gesammtsitzung 


Wahrscheinlieh gehören hierher noch 2 Krystalle des Berl. 
mineralog. Museums vermuthlich von Brosso. Es sind 5 bis 6 
Linien grofse Oktaöder, an den Ecken mit den Flächen des Hexae- 
ders, Pyritoöders und Diploöders 123 begränzt, die nur ganz un- 
tergeordnet hinzutreten. Diese letztern Flächen sind glänzend, die 
Oktaöderflächen matt, aber ebenfalls silberweils metallisch glänzend 
in der Richtung der Flächen eines Pyrito@ders entgegengesetzter 
Stellung. Betrachtet man die Oktaöderflächen oder besser noch 
einen von ihnen gemachten Hausenblasenabdruck unter dem Mi- 
kroskop, so sieht man, dafs sie mit lauter kleinen dreiseitigen Py- 
ramiden bedeckt sind, deren Flächen dem Pyrito@äder der entgegen- 
gesetzten Stellung angehören. Untersucht man das thermo-elektri- 
sche Verhalten der Flächen, so findet man die des Hexaöders 
stark positiv, die Flächen des Oktaöders auch, aber einen merk- 
lich schwächern Strom liefernd; es ist daher wahrscheinlich die 
ganze Erscheinung so zu deuten, dafs die Krystalle positiv, aber 
auf der Oberfläche mit negativen Krystallen bedeckt sind, die aber 
so klein sind und nur eine so dünne Decke auf der Oberfläche 
bilden, dafs bei der Erwärmung die drunter liegende positive Masse 
in Bezug auf die Stromesrichtung bald die Oberhand gewinnt. 
Diese kleinen Krystalle würden dann aber nicht in Zwillingsstel- 
lung stehen, sondern in paralleler Stellung, sodafs die Krystalle 
Zwillingskrystalle der vierten Art sind.') 

Man könnte auch annehmen, dafs die Krystalle Zwillingskry- 
stalle erster Art wären und die geringe Leitung auf der Oktaäder- 
fläche nur daher käme, weil die Flächen rauh wären, indessen sind 
in diesem Falle die in Zwillingsstellung stehenden Krystalle stets 
gleich ausgebildet, und es ist noch nicht der Fall vorgekommen, 
dafs der eine Krystall ungleich gegen den andern und der eine 
wie hier ein Oktaöder, der andere, oder wie hier die andern, Py- 
ritoöder sind, daher die erstere Meinung wohl die wahrschein- 
lichere ist. 


1) Ähnliche Betrachtungen könnte man freilich auch bei den S. 343 
beschriebenen und Fig. 9 abgebildeten Krystallen anstellen; auch hier könn- 
ten die aufliegenden dünnen Streifen negativen Krystallen angehören, die 
aber auch hier ganz dünn sein müfsten, denn die Untersuchung hat hier 
überall nur positive Elektricität gegeben. 


vom 2. Juni 1870. 357 


Positive und negative Krystalle in unregelmä/siger Ordnung 
nebeneinander. 


Positive und negative Krystalle von Eisenkies finden sich öf- 
ter auf einer und derselben Stufe oder einer und derselben Gruppe 
in unregelmäflsiger Verbindung neben einander. So enthält das 
mineralogische Museum einen zollgrofsen Krystall von Traversella, 
eine Combination des Hexaöders, Oktaöders und Pyritoäders mit 
etwas unregelmäfsiger Ausdehnung der Flächen, doch ungefährem 
Gleichgewicht der Formen. Die Hexaöderflächen sind glatt, aus- 
ser einigen Unterbrechungen durch die Pyritoöderflächen, die Ok- 
taöderflächen ebenfalls glatt, nur sind an einigen Stellen die Ecken 
des Diplo@ders 123 in paralleler Stellung hervorgebrochen, die 
Flächen des Pyritoöders sind senkrecht gestreift, wenn auch an 
einer grolsen Fläche nur stellenweise, und daneben glatt. Auf 
einer Hexaöderfläche ist ein kleinerer Krystall aufgewachsen, bei 
den die Hexaöderflächen vorherrschen, die Pyritoöderflächen mehr 
untergeordnet vorkommen, und an dessen Ecken, von denen drei 
sichtbar sind, die Flächen des Diploöders 125 erscheinen; die 
Hexaöderflächen sind glatt, und wie bei dem grofsen Krystall nur 
stellenweise durch die Pyrito@derflächen unterbrochen, die Pyrito&- 
der- und Diploöderflächen ebenfalls glatt. Der grolse Krystall ist 
bis auf die aus den Oktaöderflächen hervorragenden Diploäderecken 
negativ, selbst auf den ganz glatten Stellen der Pyritoäderflächen 
neben den gestreiften, die Diploöderecken sind aber positiv; der 
grolse Krystall also schon ein Zwillingskrystall. Der kleine Kıy- 
stall ist positiv, die Combination auch vollkommen einer positiven 
gemäls, aber die Verwachsung beider Krystalle ist ganz zufällig, 
ein bestimmtes Gesetz der Verwachsung scheint nicht statt zu 
finden. 

In dem Museum befindet sich ferner eine Druse aus Cornwall 
ohne nähere Bestimmung, die auf der (untern) Bruchfläche vorzugs- 
weise aus Kupferkies besteht, in welchem Eisenkies und Quarz 
eingemengt ist; der erstere stets in regelmäfsig ausgebildeten Kry- 
stallen, die öfter zu Krystallgruppen vereinigt sind; sie sind He- 
xaöder, auf den Flächen stark gestreift und 3 bis 4 Linien grofs. 
Krystalle von derselben Form erscheinen auch auf der obern freien 
Seite der Stufe in einzelnen Gruppen auf dem Kupferkies aufge- 
wachsen und hier zusammen mit schneeweilsen Quarzkrystallen; 


358 Gesammtsitzung 


aber diese in Hexaödern krystallisirten Eisenkieskrystalle werden 
zum Theil von andern Gruppen von Eisenkieskrystallen bedeckt, 
die eine andere Form haben und Combinationen des vorherrschen- 
den Oktaöders mit dem Hexaöder sind. Sie sind kugelich zusam- 
mengehäuft, bunt angelaufen, dennoch glänzender als die Hexaäder, 
und da sie diese bedecken, späterer Bildung als diese. 

Die reinen Hexaöder sind auf manchen Flächen positiv, auf 
andern negativ, also Zwillingskrystalle, ohne dafs man auf den 
Krystallflächen eine Gränze zwischen den positiven und negativen 
Krystallen sehen kann. Sie gleichen im Ansehn und in ihrem 
thermo-elektrischen Verhalten andern Eisenkieskrystallen von Ta- 
vistock in Devonshire, die lose oder in losen Gruppen in dem mi- 
neralogischen Museum sich befinden, nur etwas grölser sind.) 
Die angelaufenen Krystalle sind positiv, was bei den vorherrschen- 
den Oktaöderflächen auffallen kann. Auch die Quarzkrystalle zei- 
gen darin etwas Eigenthümliches, dafs sie nur auf einer äufsern 
Schicht schneeweils und undurchsichtig, im Innern aber graulich- 
weifs und durchsichtig sind. 

Hierher sind endlich noch zwei Stufen von Chachiyuyo del 
oro bei Copiapo in Chile zu rechnen, die wie die vorigen ein Ge- 
menge von Kupferkies mit Eisenkies und Quarz sind. Kupferkies 
ist vorherrschend, auf der einen (obern) Seite findet er sich allein 
mit Quarz in grofsen undeutlichen Krystallen, die an der Ober- 
fläche angelaufen, blauschwarz und matt, im Bruch aber frisch und 
stark glänzend sind. Der Quarz ist in prismatischen Krystallen 
krystallisirt. Auf der Unterseite und im Innern ist der Kupfer- 
kies sehr drusig und mit vielem Eisenkies gemengt, der in den 
vielen Drusen deutlich auskrystallisirt und aufserordentlich glän- 
zend ist. Die Krystalle sind von verschiedener, 1 bis 4 Linien 
Gröfse, sie sind aber zweierlei Art; in beiden ist das Hexaöder 
vorherrschend, und die Pyrito@derflächen erscheinen nur als Ab- 
stumpfung der Kanten, aber in dem einen Falle ist es senkrecht 
gestreift, und zeigt an den Ecken, wenn auch nur klein, doch sehr 
stark glänzend, die Flächen des Okta@ders, Leueitoäders und des 


1) Diese letztern sind von Dr. Krantz‘ erworben, und es wäre mög- 
lich, dafs auch die Stufe daher stammt und der auf dem Zettel angegebene 
Fundort ungenau ist. 


vom 2. Juni 1870. 359 


Diplo@ders 124; in andern Fällen ist es horizontal gestreift, und 
an den Hexaöderecken erscheinen ebenfalls klein und stark glän- 
zend die Flächen des Diploöders 123 mit den Oktaöderflächen. 
Die letztern Krystalle sind positiv, die erstern negativ, was auch 
schon aus der Combination der Flächen hervorgeht. Die negati- 
ven Krystalle sind der Zahl nach vorherrschend; bei den kleinern 
Krystallen fehlen aber in der Regel die an den Hexaöderecken 
auftretenden Flächen und man sieht dann nur Combinationen des 
vorherrschenden Hexaöders und Pyritoöäders. Bei dem starken 
Glanze des Eisenkieses und Kupferkieses, bei letzterm freilich nur 
im Bruch, und den ebenfalls glänzenden Quarzkrystallen haben die 
Drusen ein schönes Ansehn. 


Kobaltglanz. 


Die Kıystalle des Kobaltglanzes sind viel weniger verbreitet, 
als die des Eisenkieses, und bestehen in den zwei Hauptfundörtern, 
die man kennt, in Tunaberg in Schweden und Skutterud in Nor- 
wegen, nur aus wenigen einfachen Formen, die an beiden Orten 
dieselben sind, obgleich der Kobaltglanz in Tunaberg auf einem Ku- 
pferkieslager und die schönsten Krystalle in Kupferkies, in Skut- 
terud in Glimmerschiefer eingewachsen vorkommen. Die ersteren 
finden sich häufiger und kommen in gröfsern Krystallen vor als 
die letztern, bei beiden sind aber nur Combinationen bekannt des 
Pyrito&ders, Hexaöders, Oktaöders und eines stumpfern Pentagon- 
dodekaäders, dessen Flächen gewöhnlich nur untergeordnet als Ab- 
stumpfungen der Kanten des Pyritoöders und Hexaöders erschei- 
nen, aber in allen Krystallen der Universitätssammlung zu stark 
gestreift sind, parallel den Kanten mit dem Hexaöder, um die Nei- 
gungen desselben bestimmen zu können. Es wurden von dem 
Kobaltglanz von Tunaberg 17, von Skutterud 2 Krystalle unter- 
sucht; von den erstern ‚wurden 8 positiv und 9 negativ; von den 
letztern 1 positiv und di negativ gefunden. Bei den positiven Kry- 
stallen von Tunaberg herrschen die Hexaäderflächen vor, Pyrito&- 
der und Oktaöder treten nur untergeordnet hinzu; bei den nesati- 
ven die Oktaöderflächen, und bei diesen allein finden sich die Flä- 
chen des stumpfern Pentagondodekaäders, so dafs wir in diesem 
ein Mittel hatten, im Voraus das thermo-elektrische Verhalten der 
Krystalle zu bestimmen, was bei den untersuchten nie trügte. Bei 
den beiden Krystallen von Skutterud war dies Verhalten ganz 
[1870] | 26 


360 Gesammtsitzung 


ebenso, bei dem negativen Krystalle herrschen die Oktaederflächen 
vor, und es finden sich hier wenn auch klein noch die Flächen 
des stumpfern Pentagondodekaäders. Nur bei einem Krystalle aus 
Tunaberg fanden sich diese Flächen vorherrschend, die Flächen 
des Oktaöders nur untergeordnet, so dafs der Krystall wie ein 
Hexaöder mit zugerundeten Flächen erscheint; seine Gröfse ist 
dabei nicht unbedeutend, indem er zwischen zwei parallelen He- 
xaöderflächen einen Durchmesser von einem Zoll hat. Zwillings- 
krystalle haben sich unter den Krystallen des Kobaltglanzes nicht 
gefunden. 

Das Vorherrschen der Hexaöderform bei den positiven, das 
der Oktaöderform bei den negativen Krystallen hat der Kobalt- 
elanz mit dem Eisenkies gemein. Stumpfere Pentagondodekaöder, 
die beim Kobaltglanz so entscheidend sind, kommen beim Eisen- 
kies nur selten vor, Strüver giebt deren mehrere an, und unter 
den überschiekten Krystallen war der, bei dem sich ein solches 
befand, negativ, wie beim Kobaltglanz, indessen kommt ein solches 
auch bei dem positiven Eisenkies vom Dörrel vor (vergl. S. 346), 
so dafs also das Vorkommen der stumpfern Pentagondodekaeder 
beim Eisenkies nicht mit der Sicherheit negative Krystalle voraus- 
setzt, als dies bis jetzt beim Kobaltglanz der Fall ist. Streifungen 
der Flächen kommen beim Kobaltglanz, ausgenommen bei dem 
stumpfern Pentagondodekaeder, nicht vor; hierdurch ist also kein 
Anhaltspunkt für die Bestimmung des thermo-elektrischen Verhal- 
tens gegeben, und man ist also bei dem Kobaltglanz für die Vor- 
ausbestimmung der negativen Krystalle nur auf das Vorkommen 
der stumpfern Pentagondodeka&der und das Vorherrschen der Ok- 
taöderform angewiesen. 


Vergleichung der Zwillingskrystalle des Eisenkieses mit denen 
anderer hemiedrischer Krystalle. 


Die vier angeführten Arten von Zwillingskrystallen kommen 
in ganz ähnlicher Weise wie beim Eisenkies auch bei andern’ Sub- 
stanzen von hemiödrischer Krystallisation vor, wie namentlich beim 
Quarz. Regelmäfsige Verwachsungen von 2 rechten oder 2 linken 
Krystallen, d. h. von 2 Krystallen erster und zweiter Stellung, fin- 
den sich bei diesem besonders häufig, Sie sind am besten zu er- 
kennen, wenn Haupt- und Gegenrhomboöder in ihrem Glanze recht 


vom 2. Juni 1870. 361 


verschieden, und die Flächen des erstern glänzend, die andern matt 
sind. Da die Flächen des Hauptrhomboöders hierbei in die Lage 
des Gegenrhomboäders kommen und die Gränze zwischen beiden 
Krystallen gewöhnlich unregelmäfsig über die Flächen hinläuft, so 
sind diese auf der einen Seite der Gränzlinie glänzend, auf der 
andern matt. Dies sind die Krystalle, die Haidinger zuerst als 
Zwillingskrystalle erkannt hat, und von denen ich gezeigt habe!), 
dafs es Zwillingskrystalle von 2 rechten oder 2 linken Individuen 
sind. 

Regelmäflsige Verwachsungen von einem rechten und einem 
linken Individuum in Zwillingsstellung machen sich im Äufsern 
seltener kenntlich; ich habe ihrer in meiner Quarzabhandlung nicht 
erwähnt, aber seit der Zeit mehrere auch äufserlich deutlich er- 
kennbare von Jerischau in Schlesien durch Hrn. Brücke erhalten, 
der sie in seiner ausgezeichneten Mineraliensammlung entdeckt 
hatte, einen andern solchen Zwillingskrystall von Prieborn in 
Schlesien auch selbst in dem mineralogischen Museum beobachtet. 
Sie kommen indessen häufig bei Krystallen vor, die äufserlich wie 
einfache erscheinen, als blofse Combination des sechsseitigen Pris- 
mas mit den beiden Rhomboedern, wie bei den Marmoroscher 
Quarzkrystallen, und können durch Ätzung der Flächen mit Flufs- 
säure erkannt werden, wie dies Leydolt gezeigt und in Taf. I 
Fig. 1 seiner Quarzabhandlung”?) dargestellt hat. Die Individuen 
begränzen sich immer hierbei mit graden Begränzungsflächen im 
Gegensatz zu den vorigen, die sich stets mit krummen begränzen, 
worauf Leydolt aufmerksam gemacht hat. 

Verwachsungen von rechten und linken Individuen in paralle- 
ler Stellung kommen mit aneinander gewachsenen Individuen bei 
den Schweizer Bergkrystallen, mit durcheinander gewachsenen In- 
dividuen bei Quarzkrystallen aus den Höhlungen der Mandelsteine 
vor. Die erstern hatte schon Wackernagel krystallographisch 
bestimmt°) und Dove optisch untersucht*), und es wurde dadurch 
bewiesen, dafs die rechten und linken Trapezflächen dieser glei- 


!) Abhandlungen der k. Akademie d. Wiss. zu Berlin von 1844 S.233. 
?) Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe der kaiserl. Akad. der 
Wiss. in Wien von 1855 B. 15 S. 59. 
3) Kastner’s Archiv für die gesammte Naturlehre von 1825 B.5 8.75. 
*) Poggendorffs Ann. 1837 B. 40 S. 607. 
26* 


362 Gesammtsitzung 


cher Art und die beiden Krystalle rechts- und linksdrehend 
wären. Die durcheinander gewachsenen Krystalle wurden von 
Haidinger bei Krystallen aus den Vendyahbergen in Ostindien 
beobachtet!) und von mir bei Krystallen aus Brasilien näher be- 
stimmt?), und es wurde dadurch gezeigt, dals die rechten und lin- 
ken Trapezflächen gleich wären. Leydolt hatte dergleichen Zwil- 
lingskrystalle durch Ätzung der Flächen erkannt und dabei gezeigt, 
dafs sich auch hier die beiden Krystalle in geraden Flächen be- 
gränzen. Groth hat nun neuerdings auch die von mir gemesse- 
nen Krystalle, die so ganz das Ansehen von scaleno@drischen Com- 
binationen haben und daher auch für solche gehalten werden könn- 
ten, in optischer Hinsicht untersucht?), und indem er die verwach- 
senen Individuen rechts- und linksdrehend gefunden hat, jeden 
Zweifel an ihre Zwillingsnatur gehoben. 

Bei dieser grofsen Übereinstimmung der Zwillingskrystalle des 
Eisenkieses und Quarzes ist es auffallend, dafs in Rücksicht des 
Verlaufs der Gränzen zwischen den beiden Individuen in den Zwil- 
lingskrystallen die des Eisenkieses und des Quarzes sich gerade 
umgekehrt verhalten. Bei den Zwillingskrystallen von Individuen 
oleicher Stellung sind beim Eisenkies die Gränzlinien auf der Bruch- 
fläche des Zwillings geradlinicht, beim Quarz krummlinicht, und 
bei den Zwillingskrystallen von Individuen ungleicher Stellung diese 
Gränzlinien beim Eisenkies krummlinicht und beim Quarz gerad- 
linicht. Der Grund dieses Unterschiedes ist nicht einzusehen. 

Wenn aber so das analoge Vorkommen des Quarzes zur Be- 
stätigung der beobachteten Zwillingskrystalle des Eisenkieses dient, 
und es bei diesen durch die Untersuchung des optischen und thermo- 
elektrischen Verhaltens erwiesen ist, dals wenn bei einem und dem- 
selben Krystalle sich hemiedrische Formen beider Stellungen in 
ihren parallelen Stellungen finden, man es mit Zwillingskrystallen 
und mit regelmäfsigen Verwachsungen von Krystallen erster und 
zweiter Stellung zu thun hat, so scheint man genöthigt zu sein, 
auch eine ähnliche Annahme bei den tetraödrischen Krystallen zu 
machen, wo das Zusammen-Vorkommen von Formen erster und 
zweiter Stellung eine sehr gewöhnliche Erscheinung ist; wie beim 


1) Journ. of Sc. 1824 V.1 p. 322. 
2) Abh. d. k. Akad. d. Wiss. von 1844 S. 256. 
3) Poggendorffs Ann. von 1869 B. 137 S. 435. 


vom 2. Juni 1870. 365 


Borazit, Fahlerz und der Zinkblende. Es fehlen uns nur hier die 
Mittel dies auszumachen, und es muls weitern Untersuchungen vor- 
behalten bleiben, darüber zu entscheiden. Die Versuche, die, wir 
übrigens beim Kupferkies anstellten, bestätigten diese Ansicht nicht, 
denn wir fanden bei ihm die beiden Tetra&der erster und zweiter 
Stellung gleich und zwar negativ thermo-elektrisch. 


Theorie der hemiedrischen Formen überhaupt. 


In seinen krystallographischen Werken!) stellt Naumann die 
Ansicht auf, dafs die holo@drischen Formen, die mit hemiödrischen 
vorkommen, nur scheinbar holoödrische, in der That aber hemi£- 
drische Formen und zwar Gränzformen derselben sind; indem er 
die sämmtlichen Formen des regulären Systems aus den Hexakis- 
oktaädern als ihren eigentlichen Repräsentanten ableitet, zeigt er, 
dafs nach den beiden allein vorkommenden Arten der Hemiödrie 
durch Wegfallen der einen oder der andern an den abwechselnden 
Hexaöderecken liegenden sechsflächigen Flächengruppen oder der 
diese repräsentirenden dreiflächigen Flächengruppen oder blofsen 
Flächen aus ihnen die Hexakistetraöder, Deltoöder (Deltoiddode- 
kaöder), Triakistetraäder und das Tetra&der und ferner auch die 
Tetrakishexaäder und das Dodekaäder und Hexaöder; durch Weg- 
fallen der einen oder der andern an den abwechselnden mittlern 
Kanten gelegenen Flächenpaare oder der diese repräsentirenden 
Flächen die Diploöder und Pentagondodekaäder und ferner auch 
die Ikositetra&der, Triakisokta&äder und das Dodekaöder, Oktaöder 
und Hexaöder entstehen.”) Die drei letztern Arten von Formen, 
die nach dem erstern Gesetze entstehen, sowie die fünf letztern Ar- 
ten, die nach dem zweiten Gesetze entstehen, sind zwar von den 
holo@drischen Formen ihrem Ansehen nach nicht verschieden, wohl 
aber ihrer Natur und Entstehungsweise nach, und müssen deshalb 
als hemiödrische Formen betrachtet werden. Es ist dies nur eine 
theoretische Ansicht von Naumann, sie giebt, wie er selbst sagt, 
für alle diese Formen kein in die Augen fallendes Resultat.’) In 


1) z. B. Elemente der theoretischen Krystallographie S. 92 ete. 

?) Die am angegebenen Orte S. 94 und 99 gegebenen Figuren machen 
diese Entstehungsweise der hemiödrischen Formen sehr anschaulich. 

3) Vergl. Naumann Anfangsgründe der Krystallographie S. 35. Man 


könnte hiergegen das Ansehen der oben S. 342 erwähnten und von Strüver 


364 Gesammtsitzung 


dem Obigen ist der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht ge- 
geben; die Oktaöder und Hexa@der, die beim Eisenkies vorkom- 
men, und ebenso die seltneren Dodekaöder, Ikositetraöder und Tria- 
kisoktaöder sind wirklich hemiödrische Formen, denn sie verhal- 
ten sich ebenso wie die beim Eisenkies vorkommenden Pentagon- 
dodekaöder und Diploöder, und sind wie diese thermo -elektrisch 
positiv oder negativ; ebenso sind sie auch in ihren Combinationen 
und gröfstentheils auch in dem Ansehen ihrer Flächen verschieden. 
Was von den dodekaödrischen hemiödrischen Formen bewiesen ist, 
muls dann auch für die tetraädrisch hemiedrischen Formen gelten. 
Die angeführten Untersuchungen über die thermo- elektrischen Eigen- 
schaften des Eisenkieses und des Kobaltglanzes sind demnach auch 
für die Theorie der hemiödrischen Formen im Allgemeinen von 
Interesse. 


Erklärung der Figuren. 


Fig. 1—3 Ätzeindrücke bei positiven und negativen Eisenkieskrystallen. 
„ 1 auf einer Okta&derfläche S. 333. 
AERO. „  Hexaäderfläche S. 333. 
„38 4»  Pyritoöderfläche S. 333. 
Fig. 4—8 natürliche regelmäfsige Eindrücke. 
„ 4 auf einer Fläche des positiven Okta&ders 0 Ss. 341. 


LO a RER x „ negativen a 0' S. 341. 
6, 5 s r „ positiven Hexaöders a S. 341. 
SR A „ negativen N a S. 341. 
ER s „ positiven und des negativen Pyrit. zd S. 341. 


„ 9 Fläche des positiven Pyritoöders des Eisenkieses von Zacatecas in 
Mexico S. 343. | 

„ 10 horizontale Projection eines Eisenkieszwillings von Traversella, aus 
einem positiven und negativen Krystalle bestehend. Die Flächen 
des positiven Oktaöders haben die hemiödrischen Eindrücke von 
Fig. 4 S. 350. 

„ 11 horizontale Projection eines negativen Eisenkieskrystalles von Traver- 
sella, auf dessen Hexaöder- und Oktaöderflächen einzelne Theile 
eines positiven Krystalls in Zwillingsstellung hervorgetreten sind. 
Die Flächen des Pyritoöders haben die Eindrücke von Fig.8 S. 350. 


in seiner Abhandlung Fig. 177 gezeichneten Flächen des negativen Oktaäders 
Fig. 157 anführen, weil hier die dreieckigen Eindrücke sämmtlich an den 
Stellen der Oktaederfläche liegen, die den fortgefallenen abwechselnden Flä- 
chen an der 6flächigen Ecke der Hexakisokta&der entsprechen. Doch ist 
dies Vorkommen nur eine seltene Erscheinung. 


vom 2. Juni 1870. 365 


Hr. Dove las über die Zurückführung der jährlichen 
Temperaturcurve auf die ihr zum Grunde liegenden 
Bedingungen. 

Wenn mit zunehmender Mittagshöhe der Sonne die Wärme 
sich erhöht, so geschieht dies bei derselben geographischen Breite 
unter verschiedenen Längegraden sehr verschieden. Man braucht 
nur einen Blick auf die von mir in der Äquatorial- und Polarpro- 
jection entworfenen Monatsisothermen zu werfen, um sich zu über- 
zeugen, dafs die Bewegung der Isothermen vom Äquator nach 
dem Pol hin sehr ungleich erfolgt, so dafs ihre Gestalt sich un- 
unterbrochen verändert, und zwar so bedeutend, dafs im mittleren 
Europa ihre Richtung im Sommer senkrecht steht auf der, in 
welcher sie während des Winters verlaufen. Fügt sich unter dem 
Einflufs der intensiven Kälte des Januars, dafs durch Meeres- 
buchten, Meeresengen und grolse Süfswasserspiegel mannigfach ge- 
gliederte Nordamerika zu einem grofsentheils mit Eis bedeckten 
Continent zusammen, so fallen alle die Winterkälte mildernden 
Wirkungen einer bewegten flüfsigen Grundfläche hinweg, wodurch 
sich erklärt, dafs bis nach Philadelphia hinunter nun erst die Kälte 
ihr Maximum erreicht und daher dieses nicht wie bei uns in die 
erste Hälfte des Januar, sondern in die des Februar fällt. Wäh- 
rend in der alten Welt daher dann schon alle Isothermen in der 
Bewegung nach Norden begriffen sind, nähern sie sich dort noch 
dem Äquator. Entledigen sich im Frühjahr die bis dahin ge- 
schlossenen Meeresbuchten ihrer Eisdecken, so wirken die nach 
Süden treibenden Eismassen abkühlend auf die ihnen benachbarten 
Ufer, und es rückt daher der concave Scheitel der Isothermen, 
welcher im Januar in die Mitte des Continents fiel, nach den 
Ostküsten, nach Newfoundland. In derselben Zeit hat in Sibirien, 
die grofsartige Auflockerung begonnen, welche veranlalst, dafs dort 
die barometrische Jahrescurve eine regelmässige concave Einbie- 
gung bildet, deren tiefster Punkt auf den wärmsten Monat fällt. 
An dieser kann sich aber Europa nicht betheiligen, denn die kalte 
Luft des nordatlantischen Ocean bricht nun über Europa herein, 
um die asiatische Lücke auszufüllen. Daher sinkt in Europa das 
Barometer nur bis zum April, und erhebt sich dann zu einer den 
Sommer bezeiehnenden convexen Krümmung, die im Herbste sich 
endet. Die eindringende kalte Luft hemmt natürlich das Fort- 
schreiten der Isothermen nach Norden, die Anfang Mai starke Er- 


366 Gesammtsitzung 


wärmung verlangsamt sich bedeutend, ja es tritt nicht nur in die- 
sem Monat, sondern auch noch auffallender im Juni eine Rückbe- 
wegung ein, welche den Eintritt unserer Regenzeit bezeichnet. Die 
folgende Tafel wird das zur Anschauung bringen. 

Ich habe in derselben die Differenzen zwischen den auf ein- 
ander folgenden fünftägigen Mitteln des Mai und Juni bestimmt. 
Zahlen ohne Zeichen deuten also eine Temperaturzunahme an, 


Mai 
1—5 6—10 11—15 16—20 21—25 
Einplands 227 See 0.33 0.13 0.61 0.53 
Niederland. . .. 5 0.60 —0.19 0.39 0.81 
Rheinland f97r.D..20 109 1.50 0.61 0.61 0.54 
Westphalen . .. 4 1.65 0.39 0.63 0.55 
Oldenburg u. Hannover 10 1.25 1.07 0.73 0.52 
Brandenburg 6) 1.40 1.33 0.79 0.46 
Mecklenburg 6 1.41 0.93 1.61 0.54 
Holstein B) 1.28 1.07 1.22 0.24 
Pommern et RE 1297 1.24 0.76 0.82 
Westpreulsen . . . 3 0.77 1.39 0.98 0.84 
Östpreufsen 4 0.38 1.89 1.06 0.67 
Posen 2 1.02 1.78 0.79 0.48 
Schlesien ale. Aerl 0.24 1.79 0.09 0.32 
Sachsens. et. 18 1.16 1.56 —0.23 0.89 
Thüringen . PR) 1.54 0.99 0.66 0.45 
Böhmen, . . “2... 1.49 1.50 0.10 0.37 
Mähren 7. „002,6 1.22 1.81 —0.21 0.33 
Galizien ed 0.79 1.85 —0.46 - 0.24 
Siebenbürgen . . . 3 1.30 1.45 —0.93 0.06 
‚ Ungarn: DE Ser 2a ]j4 1.22 1.77 —0.46 0.39 
Österreich u. Steiermark 20 1.31 1.24 0.04 0.55 
Kärnthen u. Krain . 16 1.31 1.89 0.38 0.43 
Dalmatien +47 „uea=248 1.05 1.00 0.52 0.11 
Tirob >42... .2 0.0710 1.26 0.53 0.59 0.54 
Schweiz 0.94 0.34 0.46 1.28 


Be 

Wärttemberg . . . 10 148 . 0.91 0.27 0.11 

Scandinavien Er | 0.69 0.26 0.43 0.53 

Nördliches Rufsland . 4 0.96 0.89 1.45 0.10 

Westliches Rufsland . 5 1.37 1.31 0.73 0.42 - 

Ural 3 0.87 0.71 1.52 —0.30 
b) 


Sibirien . 0.99 1.21 0.81 1.38 


vom 2. Juni 1870. 367 


Zahlen mit negativem Zeichen eine Temperaturabnahme, kleine 
Zahlen ohne Zeichen, welche grofsen folgen eine Verlangsamung 
der Zunahme der Wärme. Um die Tafel abzukürzen, habe ich 
die 218 einzelnen Stationen zu Gruppen verbunden, welche durch 
die vorstehende Bezeichnung erläutert werden. Die neben dem 
Namen der Gruppe stehende Zahl giebt die Anzahl der Stationen 
an, aus welchen die mittleren Werthe bestimmt wurden. 


Juni 
26—30 31—4 5—9 10—14 15—9 20—24 ° 25—29 


0.52 0.43 0.21 0.46 0.22 0.10 0.41 
0.38 0.73 0.36 0.49 0.02 0.19 0.20 
1.58 1.32 0.393 —0.48 —0.38 0.91 0.39 
0.41 1.43 0.42 —0.51 —0.36 0.70 0.10 
0.40 0.93 0.57 .°—0.06 —0.13 0.81 0.05 
0.62 1.25 0.31 —0.29 —0.35 0.33 0.05 
0.37 0.90 0.90 0.26 —0.51 0.41 —0.04 
0.63 0.42 0.99 0.16 —0.38 0.73 —0.06 
0.53 0.84 1.26 0.08 —0.71 0.61 —0.07 
0.69 0.65 1.01 0.21 —0.41 0.28 0.01 
0.37 0.80 1.18 0.28 —0.08 0.09 —0.35 
0.53 1.42 2.00 —0.44 0.16 0.36 —0.02 
1.01 1.42 0.42 —0.28 0.91: 0.62 0.03 
0.59 1.68 0.0.8 —0.01 0,92 0.71 0.18 
0.73 1.31 0.585 —0.27 —0.90 0.94 0.21 
1.01 1.49 0.57 —0.27 —0.62 0.64 0.05 
1.02 1.71 0.61 —0.47 —0.33 0.38 —0.04 
1.03 1.57 0.60 —0.23 —0.06 0.17 —0.14 
1.08 1.52 0.02 °—0.13 0.21 0.27 —0.29 
0.75 1.56 0.52 °—0.24 —0.45 0.59 —0.02 
0.44 1.11 0.34 °—0.14 —0.67 0.76 0.50 
1.04 1.09 0.37 °—0.05 —0.64 0.98 0.52 
0.83 0.81 0.831 —0.00 0.30 0.39 0.51 
0.91 1.09 0.58 —0.15 —0.76 0.84 0.85 
0.35 0.84 0.31 0.07 —0.03 0.28 0.48 
1.20 0.87 0.24 —0.28 —1.19 1.03 0.80 
0.54 0.47 0.67 0.90 0.89 0.06 0.18 
0.87 0.83 1.37 0.57 0.42 0.52 0.18 
0.23 0.48 0.75 0.98 0.44 —0.07 0.21 
0.63 1.05 0.26 0.51 1.25 0.16 1.07 


1.02 0.63 1.33 0.30 0.50 0.95 1.02 


368 Gesammtsitzung 


Eine Abkühlung am Ende der ersten Hälfte des Mais ist ent- 
schieden für das mittlere Deutschland angedeutet, noch deutlicher 
die in der Mitte des Juni, welche einen längeren Zeitraum aus- 
füllt, ja am Ende des Monats nach kurzer Abschwächung wieder 
zunimmt. Jenes sind die sogenannten gestrengen Herrn, dies, 
weil sie mit der Schafschur zusammenfällt, die Schaafkälte in der 
Terminologie unsrer Landwirthe. 

In den 1856 von mir veröffentlichten Rückfällen der Kälte 
im Mai habe ich gezeigt, „dafs ein kaltes Frühjahr in Europa vor- 
zugsweise dann einem milden Winter folgt, wenn in Nordamerika 
der Winter streng war, dafs also, wenn Polarströme im Winter 
über Amerika lange Zeit dem Äquator zugeflossen sind, während 
Aequatorialströme über Europa hin dem Pole zuströmten, die kalte 
Luft jener endlich die Wärme dieser erniedrigen muls, daher ein 
Nachwinter folgt, indem der als Nordwest einfallende kalte Strom, 
den Südwest verdrängend, eine schnelle Drehung nach Nordost 
beschreibt, wo dann der südliche Strom durchbrochen wird und 
auf die Westseite des Polarstroms zu liegen kommt. Der Polar- 
strom wird dann später, wahrscheinlich in höheren Breiten, von 
dem Äquatorialstrom durchbrochen, und dadurch von seiner in 
diesem Theile des Jahres bereits in den nordamerikanischen Polar- 
ländern liegenden Quelle abgeschnitten, so dafs seine Dauer ver- 
hältnissmäfsig kurz, oder vielmehr die Erscheinung jenes Kampfes 
eine mehrfach sich wiederholende ist.“ 

Der Anblick der vorher mitgetheilten Tafel beweist, dafs die 
Tendenz zu Rückfällen nicht auf bestimmte Tage beschränkt ist, 
sondern sich eine längere Zeit hindurch erhält. In naiver Weise 
erwartet man daher, wenn die gestrengen Herrn sehr warm sind, 
dafs sie dann nach dem alten Calender eintreten werden. Sind 
die Abweichungen der verschiedenen Stationen auf Mittel derselben 
Jahrgänge bezogen (und das gilt hier für die des preufsischen und 
österreichischen Beobachtungssystems), so zeigt sich eine auffallende 
Übereinstimmung zwischen denselben, hingegen eine Verschiebung 
der Einbiegung, wenn andere Jahrgänge den Mitteln zum Grunde 
gelegt werden. Aufserdem zeigt sich deutlich, dafs die Erschei- 
nung selbst auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist, nach dessen 
Grenzen hin sie abnimmt. Auch tritt deutlich ein Fortschreiten 
hervor. Im Juni beginnt die Abkühlung früher im westlichen 
Deutschland als im östlichen, während im Mai die Bewegung mehr 


vom 2. Juni 1870. 369 


von NÖ nach SW hin erfolgt, denn die trois saints de glace in 
Frankreich und die drei Eismänner in Süddeutschland: Pancratius, 
Servatius, Bonifacius sind einen Tag später als die gestrengen 
Herrn in Norddeutschland: Mamertus, Pancratius und Servatius. 

Aus den Bestimmungen der mittleren Windesrichtung wissen 
wir, dafs diese im Winter in Europa auf die Südwestseite der 
Windrose fällt, im Sommer auf die Nordwestseite. Das als 
Folge dieses Wechsels entstehende Herabdrücken der in starkem 
Steigen begriffenen Temperaturcurve leitet unsre Regenzeit ein, 
aber auch diese ist nicht an bestimmte Tage geknüpft. Während 
in Norddeutschland der 27. Juni: die sieben Schläfer, als ent- 
scheidender Loostag gilt, heifst es in andern Gegenden Deutsch- 
lands: 

Regnets am Johannistag 
Eine nasse Erndt man gewarten mag 
in England hingegen: 
If the first of July it be rainy weather 
T’ will rain more or less for four weeks together. 

Aus den von mir seit 1836 veröffentlichen Untersuchungen 
über die nicht periodischen Veränderungen der Temperatur, geht 
entschieden hervor, dafs erhebliche Abweichungen, welche in ver- 
schiedenen Jahren von der regelmäfsigen Zu- und Abnahme der 
Temperatur hervortreten, durch allgemeiner wirkende Ursachen her- 
vorgerufen werden, welche durch längere Zeiträume hindurch fort- 
wirkend sie zu einem Maximum steigern, von dem sie wiederum 
allmählig zu normalen Werthen zurückkehren. Dafs diese Ursachen 
nicht kosmische, sondern tellurische seien, geht daraus hervor, dafs 
die gleichzeitigen Abweichungen auf grofsen Flächen der Erdober- 
fläche sich stets in der Weise compensiren, dafs einem Zuwenig 
auf einem bestimmten Gebiet ein Zuviel auf einem benachbarten 
entspricht. Die in den einzelnen Abhandlungen zerstreuten ent- 
scheidenden Belege habe ich in den klimatologischen Beiträgen II. 
p- 255—278 zusammengestellt. Dafs diese Ursachen in den neben 
einander fliefsenden Äquatorial- nnd Polarströmen zu suchen seien, 
dafür enthält das Märzheft des Berichts einen neuen entscheiden- 
den Beleg. Warum aber in einem Jahre der zurückkehrende obere 
Passat gerade an dieser bestimmten Stelle herabsinkt, läfst sich 
jetzt noch nicht beantworten, aber der Weg läfst sich andeuten, 
welcher schliefslich zu dem Ziele führen wird. 


370 Gesammtsüzung 


Der herabsinkende Äquatorialstrom findet in den einzelnen 
Abschnitten des Jahres eine durch die Monatsisothemen dargestellte 
sehr verschiedene Temperatur-Vertheilung. Seine Wirkung wird 
daher auch eine wesentlich verschiedene werden, doch ist es wahr- 
scheinlich, dafs das zu denselben Zeiten in verschiedenen Jahren 
erfolgende Herabkommen übereinstimmendere Folgen haben wird, 
als das zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintretende. Dasselbe 
gilt natürlich für den Polarstrom, dessen Gebiet eben durch jenen 
bestimmt wird. Ist dies der Fall, so müssen die Anomalien der 
einzelnen Jahrgänge sich in gewisse Gruppen zerlegen lassen, die 
durch die Übereinstimmung des Ganges der Temperatur von an- 
dern Gruppen sich wesentlich unterscheiden. 

Daraus folgt, dafs die Temperaturcurve des Jahres im lang- 
jährigen Mittel durch Superposition jener Gruppencurven ihre de- 
finitive Gestalt erhält. In dieser Curve werden sich, (analog den 
resultirendem Wellensystem in dem Youngschen Wellenapparat bei 
Übereinanderschichten verschiedener Wellensysteme) an Stellen Ein- 
biegungen zeigen, die an sich ohne Bedeutung eben nur jenen ver- 
schiedenen Systemen ihre Entstehung verdanken. Von diesem Ge- 
sichtspunkte aus, erscheint das Bestreben, die Einbiegungen der 
Temperaturcurve direct auf gleichzeitige kosmische oder tellurische 
Ursachen zurückzuführen, als ein durchaus verfehltes. 

Giebt es nun solche Gruppen? 

In der im März Heft 1870 der Berichte der Akademie abge- 
druckten Abhandlung „über die Temperatur-Vertheilung im Winter 
1869—1870“ habe ich dies an einem bestimmten Beispiele zu er- 
weisen gesucht. Die Übereinstimmung in der Gestalt der Tempe- 
ratureurve des Winters von 1869—1870 und 1864—1865 würde, 
wenn sie allein stände, aber nur als ein Curiosum zu betrachten 
sein, da unter einer grofsen Anzahl möglicher Fälle, sich schliefs- 
lich auch einmal sehr ähnliche finden werden. Eben um zu zeigen, 
dafs hier nicht eine blofse Zufälligkeit vorliege, erstreckte ich die 
Vergleichung auf 1845. Ich habe aber einen Hauptbeleg dafür, 
dals es sich um einen bestimmten Typus der Erscheinungen handle, 
nicht erwähnt, den Winter von 1855. Die von mir für diesen in 
der Darstellung der Wärmeerscheinungen durch fünftägige Mittel 
II. p. 228 — 333 berechneten Werthe bezogen sich nämlich, und 
zwar für viel weniger Stationen, nur auf zehnjährige Mittel, wäh- 
rend die für 1870: berechneten für zwanzigjährige gelten. Ich 


vom 2. Juni 1870. 371 


habe daher jene Abweichungen von Neuen berechnet, sie ebenfalls 
auf die zwanzigjährigen Mittel bezogen. Die Vergleichung der in 
folgenden Tafel enthaltenen drei Bestimmungen mit der im März- 
heft p. 212—217 pro 1870 gegebenen zeigt die analoge Vertheilung, 
in welcher die Maxima der positiven und negativen Abweichungen 
ebenfalls auf den 6—10 Januar und auf den 10—14 oder 15—19 
Februar fallen. Zu den dort für 1870 mitgetheilten Stationen kön- 
nen nachträglich noch zwei hinzugefügt und eine vervollständigt 
werden. | 


urn 


Danzig | Ofen | Wernigerode 
1870 Januar 1—5 1.22 4.38 4.92 
6—10 4.21 4.72 3.58 
11—15 2.40 2.94 2.77 
16-20 | — 0.20 1.80 — 135 
231—25 | — 0.9 0.22 5.07 
26—30 | — 3.94 — 5.53 — 2.55 
Februar 31—4 — 12.02 — 3.81 0.00 
5—9 13.12 — 10.24 —10.64 
10-14 | — 7.99 —_ 378 — 9172 
15-19 | — 3.14 — 001 2.598 
ee a aaa 
235—1 0.22 0.73 2.93 
Unterschied | 17.93 | 14.96 | 15.56 


Für 1855 sind die Abweichungen folgende: 


372 Gesammtsitzung 


Januar 1855 


ug | 610 11-15 16—20 21-2 26-30 


ss TE EEE Pe RE EEE 


Memel 2.62 5.34 0.68 |— 7.46) —6.04 | —6.44 
Tilsit 2.65 5.29 153 1 = 9.171692 057 
Claussen 3.21 5.47 1.15 1 — 9.69 | —6.90 | —6.77 
Königsberg 3.36 5.34 0.81 | —10.32| —6.44 | —6.95 
Hela 2.52 4.02 1.09 |— 6.52) —4.09 | —3.14 
Conitz 3.42 4.98 1.09 7.38 0 Don se A 
Bromberg 3.20 5.26 1.47 | — 8.03) —4.05 | —5.73 
Posen 3.58 5.40 1.16 | — 2.2229 5.29 
Zechen 3.88 38 9740| — 2791-251 = 506 
Breslau 3.88 5.34 0.33 | —6.7U a. A 
Ratibor 3.66 5.03 0.33 | — 6.33 | —2.34 | —5.24 
Görlitz 3.80 5.29 | —0.43 |— 7.51| —3.44 | —4.45 
Dresden 3.85 5.16 | —0.09 |— 6.55 | —3.74 | —3.77 
Torgau 4.17 4.88 0.13 | — 6.50 | —4.56 | —4.15 
Leipzig 3.93 5.10 0.25 | — 7.61 | —4.22 | —3.66 
Halle 4.28 5.15 0.30 | — 6.98| —5.17 | —4.09 
Erfurt 4.24 5.26 0.30 | — 8.00| —5.59 | —4.57 
Mühlhausen 3.74 5.62 0.23 |— 771 | —6.04 | —4.13 
Heiligenstadt 4.00 4.55 | —0.75 |— 9.29 | —5.64 | —4.79 
Wernigerode 3.43 4.11 | —0.34 | — 8.43 | —5.99 | —4.48 
Clausthal 2.39 2.85 | —1.78 |— 7.58| —4.97 | —4.55 
Cöslin 3.62 4.77 a era Zar 
Stettin 3.73 5.00 1.33 | — 6.85 | 2.96 | — 3.25 
Putbus 2.96 4.19 0.62. 5.22, 2.31 1 -2.67 
Wustrow 2.87 4.05 1.08 | — 5.95 |. —2.89 | —3.00 
Rostock 3.33 4.41 0.84 | — 6.31| —3.20 | —3.26 
Schwerin 3.91 5.00 0.80 | — 5.87 | —3.31 | —3.32 
Hinrichshagen 3.62 4.85 0.68 |— 6.62 | —3.37 | —3.55 
Berlin 4.06 3.39 0.611 667 316 12309 
Frankfurt a. O, 4.23 5.83 0.90 | — 6.64 | —2.39 | —3.78 
Schönberg 3.44 4.69 0.99 | — 7.05 | —3.98 | —3.92 
Kiel 2.43 4.33 0.52 |— 5.48| —4.52 | —3.58 
Otterndorf 4.22 4.74 1.31 |— 5.27| —4.65 | —3.73 
Lüneburg. 4.10 51 0.48 | — 6.40 | —5.27 | —4.33 
Hannover 3.76 3.95 | —0.47 | — 8.06) —6.89 | —5.13 
Emden 3.20 3.86 0.89 | — 6.20) —6.37 | —3.77 


vom 2. Juni 1870. 318 
Februar 1855 
Unterschied 

314 | 519 | 10-14 | 15-19 | 20—24 Ä 9 

Bas EHI RE 73H 773 8.2—5.60 | —2.41 13.07 
— 634 | —774 | — 850| — 7.70 | —7.00 | —2.26 13.79 
— 7.79 | —8.98 |— 944 !—10.26| —9.01 | —3.91 15.73 
— 6.39 | —748 |— 9.17 | — 8.77 | —8.27 | —2.33 14.51 
— 444 | —441 |— 6.65 | -- 5.64 | —6.15 | —2.85 10.67 
— 744 | —522 |— 844|— 6.14 | —733 | —2.21 13.42 
— 931 | —6.14 |— 9.57 | — 710 | —9.07 | —2.84 14.83 
— 9.46 | —6.56 |—10.02 | — 8.45 | —747 | —2.15 15.42 
—10.21 | —6.76 | —10.56 |— 7.93 | —6.87 | —1.47 15.94 
— 9,73 | —5.38 |— 9.77 | — 816 | —6.60 | —0.29 15.11 
u g.89 23:48 17.9720 7.43) 8 —7.18:.|: —0.95 12.46 
— 9,87 | —448 |— 832 |— 8.54| —5.86 | —1.24 13.83 
— 7.933| —475 |— 831 |— 9.16 | —5.61 | —1.42 14.32 
— 936 | —4.583 |— 8.91 |— 9.14| —6.36 | —1.74 14.02 
— 480 | —426 |— 8.05 |— 9.26| —5.53 | —1.21 14.36 
— 9.95 | —4.37 | — 8.48 | —10.32 | —6.07 | —1.43 15.47 
— 9.04 | —3.41 |— 7.51 |—11.07| —6.20 | —0.68 16.33 
— 8.06 | —2.86 |— 6.78 |— 9.77) —6.03 | —0.22 15.39 
— 6.64 | —3.49 | — 7.10 |—10.49| —5.22 | —0.22 15.04 
— 7.56 | —4.50 |— 834 |—10.03| —6.11 | —1.01 14.14 
— 555 | —3.44 | — 6.67 |— 9.32| —5.69 | —0.69 12.17 
— 137 | —439 |— 845 | — 6.58 | —6.61 | —2.61 13.22 
= 7.64 | —472 |— 851|— 7.52 | —6.78 | —2.08 13.51 
— 568 |. —417 | — 6.84 |— 71.53| —6.53 | —3.03 11.72 
— 643 | —420 |— 7.07 |— 8.43) —6.72 | —2.56 12.48 
— 6.67 | —a.73 |— 7.03 \— 8.35| —6.94 | —2.14 12.76 
— 7.27 | —450 |— 820 |— 8.75| —7.08 | —2.15 13.75 
— 7.82 | —5.01 |— 830 |— 8.36| —6.91 | —2.39 13.21 
— 8.63 | —5.17 |— 9.02 | — 835 | —6.71 | —1.97 14.37 
a Bora 59 8,39 —6.00 | —1.91 15.22 
— 7.60 | —5.01 |— 7.34 |— 9.46 | —7.54 | —2.92 14.15 
— 7.00 | —4.70 |— 9.08 |— 9.91| —8.30 | —4.08 14.24 
— 7855| —492 |— 7.95 |— 9.68| —7.61 | —2.51 14.42 
— 8.62 | —426 |— 9.30 |— 9.26 | —7.99 | —1.27 14.41 
Een 555 | — 894 | —11.45| —7.12 | —2.56 15.40 
— 8,69| —5.11 | — 774 |— 9258| —7.10 | —2.09 13.14 


374 Gesammtsitzung 


Januar 1855 


1.1.0 U re ee 11—15 | 16—20 | 21—25 | 26—30 
Lingen 3.94 4.41 0.14 | —8.09 | —7.99 | —5.01 
Münster 3.55 3.83 | —ı113 | —8.33 | —7.03 | —5.34 
Gütersloh 3.40 3.39 | —125 | —8.70 | —6.67 | —5.44 
Cleve 3.67 4.02 | —0.21 | —7.25 | —6.66 | —4.80 
Crefeld 4.28 3.92 | —0.91 | —7.85 | —6.48 | —5.59 
Cöln 3.58 :|- 3.061 1°—1.500] 7.81 | 6.43 | 6.50 
Boppard 4.23 3.73: —0.821| CE8:36: 126.18. u 7.34 
Trier 3.98 3.56 | —0.39 | —7.76 | 5.10) 1° 56 
Brüssel 3.33 3.50 | —0.37 | —5.99 | —5.26 | —4.66 
Kreuznach 4.55 423 | —0.31 | 7.86 | —6.06 | — 8.42 
Frankfurt a. M. 4.20 3.654 0 —0.187| 8:57 225,74 0701 
Darmstadt 3.95 STıE 0.980] 2857 u 622 
Stuttgard 3.60 1.707. 12—1.211 8.45 12-7.33 82 :9:03 
Calw 4.48 2.59 ° | —0.32 | ’—6.77 | —6.79 | — 9.01 
Ulm 2.68 1.97 | —2.59 | —6.80 | —4.20 | —8.02 
Heidenheim 9:89.:11—0.368 175-2.970h 6.89 | 23.76) Be Sie 
Schopfloch 4.25 3.38 | —3.68 | —6.29 | —5.56 | —8.96 
Issny 3.99 0.22 | —1.93 | —5.63 | —2.45 | —6.66 
Friedrichshafen Friedrichshafen | 4.19 | 1.22 | —0.50 | —6.79 | —3.23 | —7.15 122%|72.0.5091 6.29 0£-323 | 2495 


-In dem Zeitraum von 26 Jahren sich 4mal, nämlich 1845, 
1855, 1865, 1870, wiederholende so bedeutende Anomalien müssen 
natürlich einen Einfluls haben auf die Gestalt der aus einer langen 
Beobachtungsreihe bestimmten mittleren Werthe. Um die Gröfse 
desselben zu bestimmen habe ich für 6 Stationen die Mittelwerthe 
von 1845—1870 bestimmt, und dann die, welche aus 22 Jahren 
unter Wegfall jener 4 Jahre sich ergeben. Die Unterschiede 
dieser Mittel sind folgende: 


vom 23. Juni 1870. 375 


er 


Februar 1855 


Unterschied 

a | en) | 10—14 | 15—19 | 20—24 | a 
—8.09 — 447 |, 746 ey —8.09 | —1.48 15.95 
—6.58 —4.01 | --7.35 | —11.28| —6.62 | —0.92 15.11 
—6.85 | —3.88 | —7.18 | —10.48| —6.31 | —0.86 13.88 
— 7.18 —3.88 | —7.59 | —10.62| —7.14 | —0.69 14.64 
6.53 —285 | —7.21 |—10.73| —6.34 | —0.08 15.01 
—5.02 —2.73 | —6.57 | —10.49| —6.36 | —0.88 14.07 
—5.63 —2.74 | —5.54 | — 9.50| —4.91 0.84 13.73 
—4.03 —243 | —5.34 | — 8.80| —5.14 0.44 12.78 
—5.24 —3.71 | —7.63 | 9.39| —6.59 0.40 12.39 
Ale, —1.82 | —4.29 |— 8.83 | —4.88 1.12 13.38 
—5.62 —235 | —5.47 | — 8.67| —4.72 0.04 12.87 
—5.25 —1.00 | —4.36 |— 8.19| —3.78 0.74 12.14 
— 3.13 —0.83 | —4.00 | — 7.64| —3.63 0.86 11.24 
—0.34 0.80, 1.52 | —. 6.981 1.30 1.53 11.04 
— 1.36 0.45 | —0.17 | — 6.32| —1.49 1.16 9.00 
= .0N = 1609| 2.330 1 1804| 2220.30 1.36 10.56 
—1.49 (4.21) | —1.33 | — 6.34| —1.80 1.06 10.69 

2.16 0.89 0.16 |— 3.17| —0.89 1.97 7.16 

0.00 0.13 | —136 | — 5.29. —2,38 1.59 9.57 


| Claussen | Breslau | Stettin Berlin | Leipzig Gütersloh 
——— ee EEE EEE 
Januar 
1—5 0.16 0.26 0.27 0.26 0.33 0.31 
6—10 0.79 0.77 0.64 | 0.76 0.73 0.53 
11—15 0.49 0.50 0.41 0.44 0.43 0.27 
16—20 —0.14 —0.15 —0.20 | —0.19 —0.16 | —0.59 
21—25 —0.41 —0.29 —0.32 —0.37 —0.40 —0.51 
26—30 —0.48 —0.30 | —0.20 | —0.27 —0.30 | —0.61 
Februar 
31—4 —1.25 —1.03 —0.98 —0.91 —0.75 —0.61 
5—9 —1.55 —1.52 —1.14 | —1.29 —1.27 —0.64 
10—14 —1.53 —1.53 —1.47 —2.16 —0.98 —1.44 
15—19 —1.15 | —0.834 —0.84 | —0.86 —0.94 = 096 
20—24 —0.34 | —0.12 —0.80 —0.80 —0.75 —0.84 
25—1 —0,51 0.65 —0.72 —0,66 —0.33 —0.32 


[1870] 27 


E =. En EEE EEE ra EEE 


376 Gesammtsitzung 


Die regelmässige Zunahme und Abnahme der Differenzen 
spricht für sich selbst. Die nach den positiven Differenzen in der 
ersten Hälfte des Sommers eintretenden negativen, welche in der 
Mitte des Februar ihren gröfsten Werth erreichen und sich in der 
Regel den März hindurch fortsetzen, erinnern an die bekannten 
Witterungsregeln (da zu diesen noch die hinzukommen, in welche 


der ganze Januar warm war). 


Grüne Weihnachten, weilse Ostern. 


If Janiveer Calends be summerly gay 
’Twill be winterly weather till the Calends of May. 


If the grass grows in Janiveer 
It grows the worse for all the year. 


Quando Gennaio mette erba 
Se tu hai grano, e tu lo serba 


Die Winter, in welchen bereits in der ersten Hälfte des Som- 
mers die Temparatur erheblich unter ihren normalen Werth sinkt, 
gehören einer andern Klasse von Wintern an. Hier beginnt die 
Temperatur-Erniedrigung einen vollen Monat früher, als bei den 
vorher betrachteten. Vergleicht man z. B. für Breslau den mitt- 
leren Werth der Winter von 1792, 1795, 1799, 1803, 1805, 1809, 
1811, 1823, 1827, 1838, 1847, 1848, 1850, 1854, 1861 mit dem 
75 jährigen Mittel von 1791—1865, so erhält man: 


December 

| | 7-11 12-16 17-21 22726 27 51 

JRR IRBNEH VURENFRRIRRRUUINGEL CE 00 DEN En en! 
allgemeines Mittel —0.05 —0.09 —0.36 —0.14 —0.26 
15 strenge Winter 10.39 — 2.178 —3.65 AN rot 


Di Miremu 102 Bien A Wie en 
Unterschied | —0.27 —2.69 —3.30 —3.88 —41l 


Januar 

| 1-25" 6-10 711-1516 202125 2650 

LE a pr a LI a 

allgemeines Mittel| —2.87 —3.45 —3.37 —2.54 —2.35 —1.61 
15 strenge Winter | —6.12 —6.44 759. 5.1 —659 — 3.02 


ber || pe ae a 
Unterschied | —3.25 —2.99 —4.22 —3.17 —4.24 —2.11 


Bis tief in den März eingreifende Temperatur-Erniedrigungen, 
die eigentlichen Nachwinter, beginnen in der Regel in der Mitte 


vom 2. Juni 1870. 31 


I 


des Februar, wobei es aber auch vorkommen kann, dafs ein sol- 
cher intensiver Nachwinter wie z. B. 1845 sich unmittelbar an 
einen der ersten Klasse anschliefst. Vergleicht man für Breslau die 
Winter 1792, 1796, 1800, 1804, 1808, 1814, 1815, 1845, 1853 
mit dem 70 jährigen Mittel, so erhält man: 


Februar _ 
| 10—14 15—19 20—24 25—1 


allgemeinesMittel]| —1.67° —1.13 —0.60 0.07 
9 Nachwinter —9.42 —3.56 —4.01 —5.64 


Unterschied Dee, 
März 
| 2-6 7-11 12—16 17—21 22—26 27—31 
allgemeinesMittel| 0.53 0.75 0.97 1.53 2017 2.98 
-9 Nachwinter —3.42 —3.31 —3.11 —2.01 —0.59 1.13 
Unterschied an 0 er 


während die Winter 1845, 1855, 1865, 1870 folgende Differenzen 
geben: 


Januar 
| 1-—-5 6—10 11—15 16—20 21—25 26—30 
allgemeines Mittel | —2.87 —3.45 —3.37 —2.54 —2.35 —1.61 
4 Winter 1.59 4.78 2.49 —0.99 —2.44 —1.49 
Unterschied | 446 823 586 155 —0.09 0.12 
Februar ' 
| 83l—4 5-9 10—14 15—19 20—24 25—1 
allgemeines Mittel | —1.21 —1.46 —1.67 —1.13 -—0.60 0.07 
4 Winter —4.83 —1.37 —8.16 —4.68 —3.81 —1.89 
Unterschied 3:62 5:91 57 6.49 23.550 3.21 1.96 


Aus der Combination dieser Gruppen allein erläutert es sich, 
dafs selbst in so langjährigen Mitteln die Winterkälte-ein zweites 
relatives Minimum im Februar erreicht, welches nicht durch Winter 
wie 13848 und 1850, wo auf einen sehr kalten Januar ein sehr war- 
mer Februar folgt, abgeglichen wird. 

- Da die Anfänge jener Früh-, Mittel- und Nachwinter grade 
20: 


378 Gesammtsitzung 


in die Mitte des Decembers, Januars und Februars fallen, so konnten 
sie durch monatliche Werthe nicht gefunden werden. 

Eine Ausdehnung dieser Betrachtungen auf andre Abschnitte 
des Jahres mufs spätern Untersuchungen vorbehalten werden. 
Hier sollte nur der einzuschlagende Weg angedeutet werden. Aller- 
dings hat man auch schon früher verschiedene Jahrgänge unter 
einander verglichen, aber man hat zu lange Zeiträume in Betracht 
gezogen, um eine gewisse Anzahl mit einander nicht der Zeit nach 
zusammenhängender Überschüsse zu Wärmesummen zu combiniren, 
in gleicher Weise von einander getrennte Temperatur-Erniedrigun- 
gen. Die hier mitgetheilten Untersuchungen zeigen, dafs das Quan- 
tum hier nicht das Entscheidende ist, sondern die Gestalt der 
Temperaturcurven in ihrer eigenthümlichen Aufeinanderfolge von 
Hebungen und Senkungen. Für jetzt ist es freilich nur möglich 
auf einem verhältnifsmäfsig beschränkten Gebiete solche Arbeiten 
auszuführen. Durch die consequent durchgeführte Darstellung des 
innerhalb des österreichischen Beobachtungssystems gewonnenen 
Materials durch fünftägige Mittel hat Hr. Jelinek es mir mög- 
lich gemacht, die seit 1848 auf dem Gebiete des preufsischen Be- 
obachtungssystems gewonnenen Ergebnisse auf einem viel umfassen- 
derem Terain zu untersuchen. Von der türkischen und russischen 
Grenze bis zur französischen, von der Nord- und Ostsee bis zum 
adriatischen Meere wird die Natur in gleicher Weise befragt und 
hoffentlich wird sie ihre Antwort nicht versagen. 

Dem starren Festhalten einer verfehlten Richtung in der Wis- 
senschaft gegenüber, ist es nun erfreulich zu sehen, dafs in den. 
Vorstellungen, welches der unbefangene nicht streng wissenschaft- 
liche Beobachter über die Witterung sich ‚bildet, eine von jenen 
Irrthümern freie Anschauung sich bewahrt hat. Diese liegt in 
der Bezeichnung Loostage oder Lurtage. Durch das Wort 
Tag betheiligt sich allerdings auch er an den vorher gerügten Irr- 
thümern, aber das Wort Loos spricht es entschieden aus, dals es 
Tage giebt, an welchen sich das Loos der zu erwartenden Witte- 
rung für längere Zeit entscheidet, eine Zeit, wo man zu lauern 
(aufzulauern) habe, um auf das Kommende vorbereitet zu sein. 

Als ich für die Abweichungen der einzelnen Jahrgänge von 
ihrem vieljährigen mittleren Werthe die jetzt allgemein angenom- 
mene Bezeichnung „nieht periodische Veränderungen“ vorschlug, 
um eben anzudeuten, dafs das Suchen von. Perioden nicht die ein- 


vom 2. Juni 1870. | 3179 


zige der Meteorologie gestellte Aufgabe sei, wurde die Bemerkung 
gemacht, dieser Name sei nicht passend, da möglicher Weise in 
diesen Veränderungen Perioden verborgen seien. Die hier mitge- 
theilten Untersuchungen zeigen, dafs eben das Nichtperiodische den 
Schlüssel giebt für die Erklärung des Periodischen. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Sitzungsberichte der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. 
Jahrg. 1869. Prag 1869. 8. 

W. R. Weitenweber, Aepertorium sämmtlicher Schriften der k. böhm. 
Gesellschaft d. Wiss. vom Jahre 1769—1868. Prag 1869. 8. 

Abhandlungen der k. böhm. Gesellschaft der Wiss. v. ar 1869. 6. Folge. 
3. Bd. Prag 1870. 4. 

Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. 12. Bd. 2. Heft. Ber- 
lin 1870. 8. 

Wissenschaftliche Begründung der Rechnungsmethoden des Centralbureaus d. 
Europ. Gradmessung. Berlin 1870. 4. 

F. v. Zieglauer, Harteneck, Graf der sächsischen Nation, und die sieben- 
bürgischen Parteikämpfe seiner Zeit. 1691—1703. Hermannstadt 1869. 8. 


Jos. Trausch, Schriftsteller - Lexika oder biographisch-literärische Denk- 
blätter der Siebenbürger Deutschen. 1. Bd. Kronstadt 1868. 8. 

Archiv des Vereins für siebenbürg. Landeskunde. Nene Folge. 8. Bd. 3.H. 
9. Bd. 1. Heft. Kronstadt 1870. 8. 

Von der belgischen Akademie der Wissenschaften: 

Memoires couronnes. Tome 34. Bruxelles 1870. 4. 

— — Collection in 8. Vol. 21. 

Bulletins. Vol. 37. 38. Bruxelles 1869. 8. 

Annuaire. Annee 36. 37. Bruxelles 1869. 8. 

Collection de Chroniques belges inedites. 3 voll. ib. 1869. 4. 

Annales de l’observatoire. Tome 29. Bruxelles 1869. 4. 

Quetelet, Observations sur les phenomenes periodiques. ib. 1869. 4. 

—, Physique sociale. 'Tome Il. Bruxelles 1869. 8. 

Memoires de la societe des sciences naturelles de Strasbourg. Tome IV, 2. 

Publikationen d. Archäolog. Instituts in Rom für 1869. 

Conestabile, Dei monumenti di Perugia etrusca e romana. Vol. IV. 
Perugia 1870. 4. mit Atlas. 

Garcin de Tassy, Histoire de la literature hindoue. Vol.II. Paris1870. 8. 

Nederlandsche Gedichten wit de 14. eenio, witgegeven door F. A. Snellaert. 
Brüssel 1869. 8. 

Bellucci, Sull' ozono Note e riflessioni. Prato 1869. 8. 

Bulletin de la societe de sciences naturelles de Strasbourg. Annee 1, no. I 
— 11. Annee 2, no. 1—7. Strasbourg 1868—1869. 8. 


380 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


13. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Olshausen sprach über den gegenwärtigen Zustand der 
alt-testamentlichen Textkritik und legte die nachfolgenden Bei- 
träge zur Kritik des überlieferten Textes im Buche Ge- 
nesis vor. 


Cap. 1, 14. Vielleicht ist zu lesen: £r7s;n5, abhängig sammt dem 
Folgenden von nnd. Indessen scheint die jetzige Lesart schon 
bei Ps. 104, 19 zum Grunde zu liegen. 

24. Die Anordnung ist hier weniger angemessen, als im fol- 
genden Verse, auch die Behandlung im Einzelnen minder conse- 
quent; doch mag dies nicht von einer Entstellung des Textes 
herrühren, sondern der Redaction zur Last fallen. 

26. Für yasıy-bası wird zu lesen sein: ya ma=bas3; 
worauf schon von andrer Seite aufmerksam gemacht ist. 

25. noaın nn rasen ist anstöfsig; vielleicht ist der Vers un- 
vollständig. 

30. Vor onleze An scheint "nn zu fehlen. 

Cap. 2, 2. wen wird das erste Mal in wein zu verwandeln sein, 
mit LXX. Sam. Syr. 

19. mm Wer ist störend, wie bereits von verschiedenen Seiten 
anerkannt ist, und mufs wenigstens hier getilgt werden. 

20. Für 24x63 ist wahrscheinlich z9x71 zu lesen. 

25. Vielleicht war hier Ba°>, beabsichtigt; al ee GE 
Das Auge irrte leicht auf die folgende Zeile ab. 

Cap. 3, 10. Vielleicht war beabsichtigt: xz7ns1; vgl. v. 8. 

16. Zu Anfang wird die Bindepartikel 1 vermifst. — Statt 
nm erwartet man etwa: j2yn2. Vgl. deshalb mein Lehrb. 8. 407. 

17. Für 2985) war 29854 auszusprechen. — mbann ist an- 
stölsig; man erwartet etwa man ann, vgl. v. 19. 

21. Auch hier war e7s5 zu sprechen. 

Cap. 4, 4. Ob in jma>raı die Pluralform des Nomen beabsich- 
tigt war, ist zweifelhaft. 

7. DBedenklich ist der kurze und unklare Ausdruck rxb; fer- 
ner der Gebrauch von nxz7 als mase.; sodann der ganze Inhalt 
des Satzes: wenn du nicht gut handelst, liegt die Sünde vor der 
Thür; endlich die genaue und doch unpassende Übereinstimmung 


vom 13. Juni 1870. sl 


des zweiten Halbverses mit 3, 16. Dals der Text richtig über- 
liefert sei, ist höchst unwahrscheinlich, ob die LXX., die sich 
eben helfen mufsten, so gut sie konnten, einen abweichenden 
Text vor sich hatten, mindestens zweifelhaft. | 

8. Eine Lücke am Schlusse des ersten Halbverses anne 
men ist unvermeidlich, wenn "ax festgehalten wird; es fehlt 
dann wenigstens: nn 732, das Sam IX. Syr. u. A. er- 
gänzen. Vielleicht ist aber mit Böttcher statt “an? zu lesen: 
Sau, er lauerte auf. Ganz in demselben Sinne findet sich 
freilich die Verbindung mit der Praeposition Us sonst nicht; 
doch ist eine solche an sich durchaus unbedenklich und überdies 
wird a& Hiob 14, 16 in demselben Sinne mit %s und 2 Sam. 
11, 16 in nahverwandtem Sinne auch mit OR verbunden. 

13. Vermuthlich war beabsichtigt: San. 

18. Auch das zweite Mal wird Sana zu lesen sein. 

22. un ist wahrscheinlich blofs Glossem zu Uhr, welches 
in die Stelle eingedrungen ist, wo ehemals die Worte u oiz 

=x gestanden haben werden. 

& 5, 3. Hinter “51 kann 3 nicht wohl entbehrt werden. 

23. Statt mM rd mit verschiedenen Handschriften 977° zu 
lesen sein, wie v. 8. 11. 14. 17. 20. 27. 

29. massiy=ya befriedigt nicht; es war etwa Mann naay7n 
beabsichtigt. 

3l. Auch hier wird 79 herzustellen sein; s. zu v. 23. 

Er 6, 3. Für m ist vielleicht 755 zu lesen, oder wie Andre 
vorgeschlagen haben, non. Das räthselhafte ssü2 könnte etwa 
aus zäh un> entstanden sein: auch er ist mit Fleisch ange- 
than, d. h. mit Sinnlichkeit behaftet. 

4. Das Ganze glossenhaft, aber so, dafs der zweite Halbvers 
wieder als Anmerkung zu dem ersten erscheint. Mit Jaım8 
sollte übrigens die erste Bemerkung ursprünglich geschlossen 
werden und das Folgende bis emb ist ebenfalls nachträglich bei- 
gefügt, ohne sich an das Vorhergehende in angemessener Weise 
anzuschliefsen. 

13. yarıınr ist nicht unbedenklich; man erwartet etwa 
yanıbym. 

14. De Lagarde (Onomastica saera I. p. 95) schlägt vor zu 
lesen: ap 2, womit die ursprüngliche Gestalt des Textes in 
der That wieder hergestellt zu sein scheint. 


352 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


17. © hätte wohl nicht so eng mit Starr verbunden werden 

sollen, wie durch die Accentuation geschehen ist; vgl. 7, 6. 
Cap. 7, 13. nöSs in der Femininform (vor u) wird hier so we 
nig, als Hiob 1, 4 beabsichtigt gewesen sein. 

21. Die Worte yasııoy wann fallen an dieser Stelle sehr 
auf; auch wird w247 vor denselben ungern vermifst, vgl. 1, 26. 
7, 14. 8, 17. Wahrscheinlich ist der Text hier beschädigt und 
in Unordnung gerathen, wie es ähnlich auch 8, 19 der Fall ist. 

23. Die bestbeglaubigte Lesart ma» ist unbedenklich, obgleich 
auch nz») in Nipral zulässig gewesen wäre. 

Cap. 8, 8. Wahrscheinlich fehlen zu Anfang die Worte: m; oybal 
2m real oder vielmehr Sms; vgl. v. 10. 12. 

10..0In Übereinstimmung mit v. 12 wird rk herzustellen 
sein. 

19. Der Text scheint in Unordnung gerathen zu sein; vgl. 
zu: d, 21. 

Cap. 9, 4. 327 wöesa bleibt immer anstöfsig, hier, wie Lev. 17, 14. 

8. Das zweite Hemistich ist unbedenklich; in den an sich 
klaren Satz zan7 VER UENIN San Tyan ist das erläuternde 
Glied Ya Um m eingeschoben, in dem Sinne von Um m 
vs ET, 

10. Die Weitschweifigkeit des Ausdrucks ist auffallend und 
insbesondere erregen das zweite zanx und die Schlufsworte 
yarınn >> Bedenken. Letztere fehlen in den meisten Hand- 
schriften der LXX. 

26. 27. Der Text bietet mancherlei Anstofs. Am Schlusse 
von v. 26 mufste man 5 erwarten statt 125, welches hier durch- 
aus nicht am Platze ist, aber auch nicht durch Versehen aus 5 
entstanden sein kann. Übrigens würde auch 55 nicht gut auf 
2) bezogen werden können, sondern nur auf SU N mm, was 
doch schwerlich beabsichtigt war. Das ganze zweite Hemistich 
ist daher verdächtig, und zwar um so mehr, da es sich v. 27 
wiederholt. V. 27 fällt es zunächst auf, dafs Jebe> in Sem’s 
Zelten wohnen soll, obgleich ihm eigner Raum nicht fehlen kann. 
Vielleicht würden die Worte eumsnna 161 besser das. zweite 
Hemistich von v. 26 bilden und auf Jahwz bezogen werden. 
Dann würde das zweite Hemistich v. 27 bleiben und auf beide 
Brüder bezogen werden können, während es v. 26 ganz zu tilgen 
wäre. Doch bliebe der Übergang von Jazpe$ allein auf beide 


vom 13. Juni 1870. 583 


Brüder zusammen ein unerwartet rascher, und insbesondere be- 
denklich, dafs K’nasan nicht blofs dem Sem, sondern auch dem 
Jede> dienen soll, was der Anschauungsweise des Hebraeers zu 
widersprechen scheint. 

29. Ob auch hier mit vielen Handschriften und Ausgaben 
mr» zu lesen sei, wie bei 5, 23. 31 wahrscheinlich war, ist 
zweifelhaft. 

Cap. 10, 3. Für n2% giebt 1 Chr. 1, 6 n2'7; welche von beiden 
Formen die richtige ist, läfst sich nicht mehr entscheiden. 

4. Dasselbe gilt von 2377 und 2719, wie 1 Chr. 1, 7 ge- 
lesen wird. 

5. Bei Vergleichung von v. 20. 31 wird es wahrscheinlich, 
dal der Text ursprünglich etwa so lautete: ensaına nay=2a MEN 
“325; worauf schon anderweit aufmerksam gemacht ist. Die ersten | 
Worte ca IR 17983 5 mann würden dann wohl als eine in den | 
Text eingedrungene Randbemerkung zu betrachten sein. 

8— 12 mögen spätere Erweiterung des Textes sein, wofür die 
Art ihrer Einführung spricht, sowie die Erwähnung des Aus- 
zuges vas’sür’s (v. 11) aus Sinsär. — Das zweite Hemistich 
von v.12 scheint ursprünglich eine auf Nin’w& sich beziehende 
Randbemerkung gewesen zu sein, vgl. Jon. 1, 2. 3, 3. 

13. Wenn auch die z»27> mit den Eranb Nah. 3, 9 u.ö. und 
den Enab Dan. 11, 43 identisch sein werden, beruht doch die 
Schreibart hier schwerlich auf einer Entstellung des Textes. 

14. Die Worte arme Sin "02 Sun scheinen eine Rand- 
bemerkung zu dem folgenden Ssahes-pnN zu sein; vgl. Jer. 47, 4. 
Am. 9, 7, wornach die jetzige Gestalt von Deut. 2, 23 ebenfalls 
bedenklich erscheint. 


15—18. In dieser Aufzählung vermifst man den Namen 
en, vgl. Ex. 3, 8. Deut. 7,1; vielleicht ist derselbe durch ein 
Versehen ausgefallen. 

19. Der Gebrauch von 79 neben 7>x2 braucht keinen Anstols 
zu gewähren; Letzteres deutet hier nur die Richtung an, nicht 
den terminus ad quem. Ähnlich ist Num. 13, 21. 

21. Vielleicht ist x177 zu Anfang des zweiten Hemistichs zu 
wiederholen. Ob ns wirklich durch die Accentuation näher mit 
ran als mit 78 zu verbinden war, ist zweifelhaft. 

93, Statt © giebt 1 Chr. 1, 17 zön, was wegen V.2 und 
1 Chr.1, 5 bedenklich, aber nicht nothwendig falsch ist. 


984 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


30. zspz 7 fügt sich nicht gut in den Satz ein; vielleicht 
fehlt > vor dieser Ortsbezeichnung, vgl. v. 19. 

31. Anstatt cmya5 war eher cmius zu erwarten; vgl. 
v..5:20.432. ‚le 

Cap. 11, 4. Die Worte m yrzs-j2 schliefsen sich an das Vorher- 
gehende nicht gut an, wenn £U hier die Bedeutung von Namen, 
Ruhm haben soll. 

30. 5, nur hier, und als K’ Si? in einem Theile der Hand- 
schriften 2 Sam. 6, 23, beruht entweder auf einer zufälligen Ent- 
stellung des Textes, oder ist als eine dialectische Eigenthümlich- 
keit des Schriftstellers anzusehen. 

31. 2 ist anstölsig; man erwartet 27 im Singular, wie 
der Syrer liest. Sam. LXX. Vulg. geben dafür cnn nm. 

Cap. 12, 3. Vielleicht war der Plural meer beabsichtigt. 

6. Die zweite Ortsbestimmung 772 Pos 9 ist. vielleicht 
nachträglich eingefügt. 

16. Die Knechte und Mägde scheinen durch irgend ein Ver- 
sehen an die verkehrte Stelle gerathen zu sein, zwischen die 
Esel und Eselinnen. Vielleicht waren sie ursprünglich gar nicht 
mit erwähnt. 

Cap. 13, 10. Die einzelnen Angaben im zweiten Hemistich sind 
nicht gut geordnet und zum Theil auch ihrem Inhalte nach be- 
denklich. Die Worte mAasnsı EFOnN mim nad "eb scheinen 
ursprünglich eine Randbemerkung gewesen zu Sein. Das Fol- 
gende mülste sich gleich an das erste Hemistich anschlielsen; 
aber neben mm=jas ist SAsn YR3 überflüssig und selbst an- 
stöfsig. Die letzten Worte “22 mas bilden auch für den sicher 
echten Theil des Verses einen passenden Schluls: „denn sie war 
wasserreich gleich dem Garten Jahwx’s bis nach Gösar hin.“ 

11. Statt 2772 sollte man maqp erwarten, doch läfst sich 
jenes vielleicht rechtfertigen. 

Cap. 14, 1. 2. Wahrscheinlich ist nach älterem Vorschlage zu 
lesen: "3 Soyanı SAaR ana 15 worauf dann die beiden Verse 
hätten zu einem einzigen verbunden werden sollen. Das zweite 
Hemistich von v. 2 ist vielleicht erst später hinzugefügt, wobei 
versäumt wurde die Praeposition gehörigen Orts zu wiederholen. 

4. Das Subject ist nicht näher bezeichnet; doch braucht dar- 
aus nicht gerade auf eine Lücke im Texte geschlossen zu werden. 
Wahrscheinlich ist aber mit dem Samarit. zu lesen: maasmöbunn. 


vom 13. Juni 1870. 385 


5. Der Ortsname =7 beruht vielleicht auf einer Entstellung 
des Textes. Die LXX. sprachen 272 aus statt zi72, das ihnen 
fremd sein mochte, trafen damit aber schwerlich das Richtige. 
Hieronymus (Quaestiones Hebr. in libr. Genes., p. 22 sq. Lagarde) 
las ana; vielleicht war ursprünglich nar2 geschrieben. 

9. Der ganze Vers mit der Umstellung der Zahlen am Schlusse 
ist wohl als ursprüngliche Randbemerkung anzusehen. 

12. Die Worte eyss 'ma7ja stehn an der unrechten Stelle 
und sind vielleicht blofs Randbemerkung gewesen, die mit v. 14. 16 
nicht ganz übereinstimmt. 

14. Der Cod. Sam. hat p91, er musterte, was möglicher- 
weise das Ursprüngliche war. LXX.: 7: Surre. 


15. Nicht ohne Grund hat man an par Ansto[s genommen; 

mit dem dafür vorgeschlagenen an ist vielleicht das Richtige _ | 
getroffen. | 
Cap. 15, 2. Das zweite Hemistich ist unverständlich und die Er- | 
klärung des p&a”js durch „Erbe“ unzulässig. Die Worte sn 
pwa3 haben das Ansehen einer Randbemerkung zu dem dunkeln 
Ausdruck p&ön. Was hier etwa erwartet werden durfte ist im 
folgenden Verse gesagt und wird durch znax "any so eingeführt, 
als wenn es sich unmittelbar an v.1 anschliefsen sollte. Die 


Dunkelheit von v.2 mag die spätere Anfügung von v. 3 ver- 
anlafst haben, eine Herstellung des unklaren Hemistichs aber 
wird kaum mehr möglich sein. 

‚4. Für mm war vielleicht “71 beabsichtigt. 

10. Die Worte 1727) rnap> Ianamdn ;mm sind unbedenklich: 
„und legte eins — (nemlich) das Stück davon — dem andern 
gegenüber.“ Es ist s. v. a. 97 nnp> Um vuanam mM. 

12. as und maUr neben einander sind sehr anstölsig; eins 
oder das andre wird Glossem sein, wahrscheinlich das Letztere. 
LXX.: $2ßos ozorswos, was nicht zu billigen ist. 

13. Der Name mn scheint hinter ax» ausgefallen zu 
sein. | 
19—21. Man vermilst hier die "Hiwwiter (77), deren Name 

vielleicht nur durch Versehen ausfiel. 

Cap. 16, 5. Das zweite » in an ist schon in der officiellen 
Grundlage der jetzigen Gestalt des Textes in Übereinstimmung 
mit der herrschenden Sehreibweise durch übergesetztes Punctum 
getilst. . 


386 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


13. Das zweite Hemistich giebt keinen klaren Sinn, auch 
dann nicht, wenn man »s4 in "sa umändern wollte. Die Rich- 
tigkeit des Textes bleibt daher zweifelhaft. De Lagarde (Ono- 
mast. sacra II. p. 95) will ==7 streichen, was bedenklich ist. 
Eher könnte Sı7 zu tilgen sein, entstanden etwa aus Sa, das 
hinter xapm1 einen passenden Platz gefunden hätte. Die vor- 
handene Unklarheit wird indessen durch Änderungen dieser Art 
nicht gehoben. 

14. Der Name des Brunnens ist nach Form und Sinn un- 
klar, aber Änderung kaum zulässig. — Hinter n:7 ist vielleicht 
n“r7 ausgefallen, oder auch m:37 zu lesen. 

Cap. 17, 10. Wahrscheinlich ist zu lesen: »n’ya nis rt; vgl. v.1l 
und 9, 12. — Die Worte ITS enr par sind überflüssig, vgl. 
v. 11, und vielleicht nachträglich aus v. 7 ergänzt. — Das zweite 
Hemistich ist unbedenklich. 

Cap. 18, 3. Ursprünglich mag die Aussprache „Ss beabsichtigt 
gewesen Sein. 

9. Das Wort 6x hat einst durch die darüber gesetzten 
Puncte getilgt werden sollen, zwar unnöthiger Weise, aber im 
Anschlufs an das nach einer älteren Handschrift bereits verbes- 
serte Exemplar, das zu officiellem Ansehen gelangte. 

10. sm hätte wohl mit den LXX. als Feminin punctirt wer- 
den sollen. 

12. Man hat zu erklären: „ist mir (denn), nachdem ich alt 
geworden, Liebeslust zu Theil geworden, während mein Herr alt 
ist?* Eine Änderung des Textes ist unnöthig. 

19. Das erste 7925 erschwert das Verständnifs sehr und ist 
vielleicht nur durch ein Versehen in den Text gerathen. Das 
zweite Hemistich würde besser fehlen, doch kann es zur Noth 
ertragen werden. 

20. Zu Anfang der Rede mag nad ausgefallen sein. Vgl. 
de Lagarde, Onomast. sacra II. p. 95. 

21. Das Singularsuffix in mnpyxa7 kann richtig sein, obgleich 
v.20 zwei Städte genannt waren; gemeint wäre S’öom, das 
auch im Folgenden allein hervortritt. — Die Punctatoren behan- 
deln 7227 nicht als Particip, sondern als Perfect mit dem Ar- 
tikel statt der Relativpartikel; ob mit Recht, ist fraglich. — Statt 
>> war vielleicht 2b2 beabsichtigt. — y78 ist zwar entbehrlich, 
aber doch erträglich. 


vom 13. Juni 1870. 387 


24. cipa als Fem. gebraucht, was wenigstens sehr selten ist. 
Vielleicht ist aber das Suffix auf das vorhergehende y7 zu 
beziehen, oder auf das dem Schriftsteller im Sinne liegende 250, 
vgl. 19, 13. 

Cap. 19, 4. 240 os ist vielleicht nur Glossem zu den vorher- 
gehenden Worten. 

9. Dasselbe gilt von dem Worte vo" 2. 

12. nr, im Singular und ohne alle nähere Bestimmung, ist 
an sich und bei Vergleichung von "nm v. 14 sehr anstöfsig. 
Wahrscheinlich ist der Text beschädigt. 

13. Vielleicht war nnp9& beabsichtigt, wie 18, 21. Das Fe- 
mininsuffix bezöge sich dann, wie das am Ende des Verses, auf 
=50, welches mit den Worten }7 Eipa gemeint ist. 

16. Die Praeposition in roarıa erregt Bedenken; beabsichtigt 
war wohl eher naar 12. 

17. Statt as erwartet man vielmehr aut. — Die Worte 
mass sind unbedenklich, wenngleich über die Erklärung ge- 
stritten werden kann. 

19. Der Übergang in die singularische Anrede kann nicht 
auf einer Entstellung des Textes beruhen und ist lediglich der 
Redaction zuzuschreiben. 

24. oraimn ist vielleicht nur Glossem zu den vorhergehen- 
den Worten, deren Echtheit nicht so leicht bezweifelt werden 
kann. 

26. Amon statt unb nun gewährt keinen erheblichen Anstols. 

s0. Der Artikel in ee fällt auf; es kann indessen damit 
auf eine zur Zeit der Abfassung dieses Theils der Gen. hin- 
reichend bekannte Höhle hingedeutet sein. 

33. Man hat in Übereinstimmung mit v. 35 ann nar> >2 her- 
zustellen; vgl. zu 30, 16. 

Cap. 20, 6. Die Schreibart on beruht vielleicht nur auf einem 
Versehen. 

12. max = zıas scheint durch Jos. 7, 20 hinreichend geschützt. 

16. Das zweite Hemistich ist völlig unverständlich und ohne 
Zweifel stark entstellt. 

Cap. 21, 6. 7. Diese beiden Verse sollten vielleicht vor v. 3 
stehn. 

12. Der Ausdruck im zweiten Hemistich ist nicht ganz klar, 
kann jedoch richtig sein. 


383 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


14. Wahrscheinlich ist zu lesen: ram Sayın ins emb-mpn 
[1 om Zoe“ nn" ir > masu-s9 a) ma Dem steht u das 
un v. 15 nicht entgegen, da bei dieser Fassung über die Art 
und Weise, wie der Knabe fortgebracht wurde, gar nichts aus- 
gesagt ist. 

20. Statt röp man wird nach Jer. 4, 29 zu lesen sein: 
nd man. 

22. Die Worte insy-yo SarEN gehören schwerlich hieher und 
mögen unpassender Weise aus v. 32 nachgetragen sein. 

25. Von dem Brunnen war bisher nicht die Rede; die Be- 
zeichnung desselben als eines schon bekannten fällt der Redaction 
zur Last. 

33. Abrahams Name ist vielleicht ausgefallen. 

Cap. 22, 13. Statt ms ist mit Sam. LXX. Syr. u. a. mn zu 
lesen und dann wohl die Lesart i7x>, der äufserlich besser be- 
glaubigten Lesart mx}, vorzuziehen. 

14. Das zweite Hemistich ist vermuthlich ein späterer Zusatz, 
dessen Fassung nicht gut gelungen ist. 

21. Die Abweichungen von den Angaben Cap. 10, 22 beruhen 
nicht auf Entstellung des Textes. 

Cap. 23, 1. Der Schlufs ist ganz überflüssig und mag als Inhalts- 
angabe einst am Rande gestanden haben. 

5. Wegen :b "and s. zu v. 13. | 

10. Die Construction "i} 555 ist einigermalsen anstölsig und 
vielleicht dieser ganze Schlufs später hinzugefügt. Vgl. zu v. 18. 

1l. Vel. zu v. 13. 

13. Hinter nax-en 78 werden einige Worte ausgefallen sein, 
wie etwa: nayrey Tom mo>. Ähnliches dem Sinne nach suchte 
Hitzig (Begriff der Kritik, S. 141) auf andrem Wege zu gewin- 
nen. — "5 mit dem Imperativ nur hier und an sich bedenklich. 
Hitzig (a. a. O., 8.140 f.) will freilich auch v. 6 »2nW »5 her- 
stellen, indem er das schliefsende "5 des vorhergehenden Verses 
heranzieht, verfährt ebenso bei v. 14. 15, wo "saV TR » ge- 
lesen werden soll, und liest endlich v. 11 mit etwas anderer 
Orthographie $ »>4x-»>b. Die Gleichartigkeit in allen vier Stel- 
len, die auf diese Weise erreicht wird, ist sehr ansprechend. 
Man hätte anzunehmen, dafs die Verbindung von »> mit dem 
Imperativ ehemals zulässig war, aber frühzeitig aufser Gebrauch 
kam, wodurch denn die Umgestaltung .von v. 6. 11. 15 veranlafst 


vom 13. Juni 1870. 389 


wurde. Nur hier (v. 13) liefs sich ein ähnliches Verfahren nicht 
wohl anwenden; denn die Veränderung von »5 in °5 bei den 
LXX. verdient wenig Lob. Im Übrigen wäre die Verbindung 
5 =ianb v.5. 14 an sich nicht verwerflich; ganz ähnlich ist 
Lev. 11, 1 cmas "and. 

14. Wegen 55 "and vgl. zu v. 13. 

18. 553, ebenso anstölsig wie 555 v. 10; man erwartet etwa: 
23 mn 

19. an wm won fällt auf neben v.2 und 13, 18, wozu 
auch 35, 27 zu vergleichen ist. Hier mag ursprünglich der 
Name xynn allein im Texte gestanden haben. 

Cap. 24, 30. as mar ohne Subjeetsausdruck braucht keinen An- 
stofs zu gewähren. 

82. Vielleicht war x221 beabsichtigt, wie J. D. Michaelis le- 
sen wollte. 

33. Der Änderung im Q’ri, Sion statt 2091, hätte es viel- 
leicht nicht bedurft, wenn Letzteres activisch gefalst werden 
konnte. Im entgegengesetzten Falle wäre die Passivform auch | 
wohl 50, 26 herzustellen gewesen. Die Punctation cur» ist 
übrigens verwerflich. 

38. norer ist unbedenklich. 

39. an, defectiv geschrieben, wahrscheinlich auf Veranlassung 
von ax v. 40. 

55. Vor ann ist vielleicht Wr ausgefallen; vgl. 29, 14. 

62. "a aan na ist sehr anstölsig. Sam.: 1 83 "aaa 83; 
LXX.: Zrogsvero die TS Eon inov Zara To esag art banseus. Auch 
dies sagt wenig zu. Houbigant: aan Asa Ein na, vgl. 25, 11; 
vielleicht richtig. Auch “x=2» x2 könnte genügen und daraus 
würde sich die vorliegende Entstellung des Textes am einfach- 
sten erklären; s. de Lagarde, Onomast. sacra II. p. 9. 

67. Hinter mon fehlt wahrscheinlich: x. 

Cap. 25, 13. tina fällt nach dem Vorhergehenden auf, wird aber 
nur von nachlässiger Redaction herrühren. 

15. Die Lesart 777 verdient den Vorzug vor der Lesart 77; 
vel. 1 Chr. 1, 30. Ob ursprünglich “7 beabsichtigt war, bleibt 
zweifelhaft. — Die Localform 27p fällt zwar auf, wird aber 
doch beizubehalten sein. 

18. namen hält Nöldeke (Untersuchungen zur Kritik des A.T. 
S.26. Anm.1) für verdorben, wozu kaum hinreichender Grund 


390 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


vorhanden zu sein scheint. — Am Schlusse findet sich eine 
Lücke. Man erwartet etwa: momım »>-m>z3 oder onyausb meer 
mom. "2 

22. Ob das erste Hemistich vollständig erhalten sei, ist zwei- 
felhaft; vielleicht lielse sich am Schlusse desselben 75x ergänzen. 

26. Auch hier war eher #727) zu erwarten, wie v.25} 

25. Sam.: Am, vielleicht richtig, wenn auch nicht grade 
nöthig. 

Cap. 26, 2. 3. Der Widerspruch zwischen den beiden Befehlen 
fällt ausschliefslich der Redaction zur Last. Die ganze Stelle 
v.2—5 ist später eingefügt; vgl. Hitzig, Begr. der Krit. $.169 f. 

12. Statt orasö drücken LXX. Syr. cmsin aus; vielleicht 
richtig. 

25. missa und gleich daneben *>">"2 braucht keinen Anstofs 
zu gewähren, ist vielmehr ganz angemessen, da das Pluralsuffix 
in beiden Formen nicht die gleiche Geltung hat. 

Cap. 27, 3. Das K’Si0 nz (neben x v.5. 7) beruht wohl auf 
einem Versehen, wozu das vorhergehende "21 Anlafs gab. 

24. Die Auslassung der Fragepartikel ist unbedenklich. 

29. Das K’Siß nnwm beruht wohl nur auf einem Schreib- 
fehler. 

31. Die Punctation 27» fällt auf; man erwartete eher zz, 
doch läfst sich auch jenes rechtfertigen. 

33. 34. Hitzig, Begriff der Kritik S. 126 ff., will lesen: 
sada m jiaateı; wahrscheinlich mit Recht. 

39. Der Vers bildet ein Gegenstück zu v. 28 und na steht 
hier in der Bedeutung von ohne. Obgleich man den Gegensatz 
zu v. 23 gern schärfer ausgedrückt sähe, darf doch die Richtig- 
keit des Textes schwerlich bezweifelt werden. | 

40. Der Sinn von an ist so dunkel, dafs man auf eine 
Entstellung des Textes schliefsen darf. Die LXX. sprachen 
dafür AR, womit Nichts gewonnen ist. Im Übrigen ist dort 
iviz av und &x?.vreıs zu lesen. 

42. cerına scheint durch Jes. 1, 24 hinreichend gerechtfertigt. 

44. 45. Der Schlufs von v. 44 und der Anfang von v. 45 
können kaum neben einander bestehen. LXX. blols: ws Foo 
amoorgs cu Tov Sunov zu Fuv oaynv To aderdboV ou mo vol. 

46. Die Minuskel rührt von einem Versehen her, durch wel- 
ches das zweite p ausgelassen war. — Erst rm-niswa und dann 


vom 13. Juni 1870. 391 


noch ya Phaa ist sehr anstölsig, Die LXX. lassen das 
erste weg. 

Cap. 28, 11. cipe2 ist anstölsig, da keine Ortsbezeichnung vor- 
hergeht, auf welche sich das bestimmte Nomen beziehen könnte. 
Vielleicht ist thpaa (oder mn Eipa2) zu lesen. 

22. Der Übergang in die zweite Person im zweiten Hemistich 
beruht nicht auf Beschädigung des Textes, sondern auf unge- 
schickter Redaction. 

Cap. 29, 2. 28771 richtig; es ist der Stein, mit dem die Öffnung 
des Brunnens regelmäfsig verschlossen wird. 

9. Vor imı=ja ist vielleicht Sxinama ausgefallen. 

10. Das dreimalige van ss fällt auf und kann zum Theil auf 
blofsem Versehen beruhen. 

24. Die Wortordnung weniger natürlich, als v.29, doch viel- 
leicht erträglich. 

Cap. 30, 11. DBeabsichtigt war ohne Zweifel 732; vgl. v.13 »Süna, 
wobei der Umstand, dafs dort ein Pronominalsuffix angehängt 
ist, von keinem Belang ist, weil dies von dem Unterschied der 
Bedeutungen von =: und "un herrührt. 

15. Ampb3, als Infinitiv mit der Praeposition 5 punctirt, läfst 
sich vertheidigen; möglich ist aber, dafs ursprünglich Ama im 
Perf. beabsichtigt war. 

16. s»7 für sim, wie 19, 33, auch hier wahrscheinlich nur 
Schreibfehler; vgl. noch zu 32, 23. 38, 21. 1 Sam. 19, 10. 

20. on gewährt Anstofs; vielleicht stand ursprünglich 
"nnisy da. 

3l. Statt Soun wird Yaunı zu lesen sein. 

32 —36. Die Bestimmung des Lohns ist nicht ganz klar und 
jedenfalls unvollständig, indem des künftig fallenden bunten 
Viehs hier gar nicht gedacht wird. Auch das Verfahren bei 
der Aussonderung des bunten Viehs bleibt undeutlich; die erste 
Person Sa»3 v. 32 stimmt nicht zu v. 35. 36, wo Laban Subject 
ist. Dies alles wird aber Schuld der Redaction sein und nicht 
auf Beschädigung des Textes beruhen. Gleiches gilt von dem 
Wechsel der, Ausdrücke p) v. 32. 33 und Empsn v. 35, in 
welcher Hinsicht auch v. 39. 40 und 31, 8. 10. 12 zu ver- 
gleichen sind. 

37. Statt Dem durfte man mispa erwarten und auf diesen 
Pluralbegriff bezieht sich jedenfalls das folgende jn2, obgleich 
[1870] 28 


92 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Goa rispm sonst masc. ist, Zach. 11, 7. 14. Statt gie wäre 
etwa een erwünschter; vielleicht war auch eine andere Aus- 
sprache beabsichtigt. 

38. Die Worte zyaz rinpgaund vielleicht auch die darauf folgen- 
den bis einschliefslich N haben das Ansehen einer Randglosse, 
die dem ursprünglichen Texte fremd war. — Die auffallende 
Form n»amn wird doch schw erlich anzufechten sein; vgl. zu v.41. 

40. Die Darstellung ist unklar und nicht ohne inneren Wi- 
derspruch, welcher durch Ausstolsung der Worte 7m] u. Ss. w. 
(bis zum Ende des ersten Hemistichs) gehoben werden kann. 
Von gefleckten Thieren, die in Labans Heerde bleiben, ist dann 
nicht die Rede. Jene Worte mögen durch ungeschickte Über- 
arbeitung in den Text gekommen sein. Der Vorschlag Tps-ER 
in Tes-ba zu verwandeln ist nicht Unben nEBT eher wünschte 
man der Conformität halber Tasbn- En. 

41. Das Aceusativ-Suffix in an ist in hohem Grade an- 
stölsig. Man wird versucht etwa nama zu schreiben, vgl. v. 88; 
allein der Gebrauch von 5 als Conmnetieh ist dem Hebräischen 
fremd. Es mag daher eher ein Fehler in den Consonanten 
stecken, der durch die Nachbarschaft von v. 38 leicht veranlafst 
werden oe 


Cap. 31, 9. Das Suffix in z2=s, statt der Femininform verwen- 


det, N nicht auffallen, wenn nicht letztere v. 6. 7 gebraucht 
wäre. Der Mangel an Übereinstimmung wird der Redaction zur 
Last fallen. 

13. En vor dem Genitiv ist unzulässig; wahrscheinlich ist 
hinter dem Worte eine Lücke anzunehmen und etwa in der 
Weise auszufüllen, welche die LXX. an die Hand geben. 

18. Die Worte weR mp2 u. 8. bis zum Schlusse des 
Hemistichs gehören wohl dem are Texte nicht an. 

20. %» ist hier eigenthümlich gebraucht; doch braucht die 
Richtigkeit des Textes nicht bezweifelt zu werden. Man erkläre: 
„Jakob täuschte den Laban, darum dafs er“ — d.h. „inso- 
fern er“ oder „indem er“ — „ihm nicht anzeigte, dals er 
fiehen (davon gehn) wollte“. Das Ungewöhnliche des Aus- 
drucks sucht der Samaritanische Text zu meiden, indem er “> 
statt &» giebt, was schwerlich vorzuziehen ist. — Dafs Laban hier 
(und v.24) wieder als „der Aramäer“ bezeichnet wird, ist zwar 
sehr überflüssig, aber lediglich Sache der Redaction. 


vom 13. Juni 1870. 393 


30. Das zweite Hemistich hätte wohl, als Rede Labans be- 
zeichnet, hinter v. 31 stehn und dann v. 32 als Worte Jakobs 
eingeführt werden sollen; doch wird auch hier lediglich die Re- 
daction ungeschickt sein. 

32. Die Construction xxan Non 2» statt np nyam SöN ist 
sehr bedenklich, Abhülfe aber nicht leicht zu gewinnen. 

39. Die Worte miöpen "72 werden wohl an das Ende des 
Verses gehören. Auch mag mNDmN statt der syncopirten Form 
herzustellen sein. 

40. Das isolirt da stehende nor fällt auf, doch läfst es sich 
vielleicht rechtfertigen. 

44. Vielleicht sind vor dem zweiten Hemistich einige Worte 
ausgefallen, wie etwa: San "nos. 

45—54. Die Erzählung wird hier sehr verwirrt, indem zwei- 
erlei Relationen in nicht geschickter Weise mit einander ver- 
schmolzen sind. Für mp1 v. 46 wird nach einem älteren Vor- 
schlage, unter Zustimmung von de Lagarde (Onomast. sacra II. 
p. 95), op6m1 herzustellen sein. — Eine Beschädigung des Textes, 
die nicht der Redaction zur Last fallen kann, zeigt sich v. 49 
zu Anfang, wo nexem aufserhalb aller Satzverbindung steht und 
die Anknüpfung an das Vorhergehende und das Nachfolgende 
gleich mangelhaft ist. Eine Wiederherstellung des ursprüng- 
lichen Textes scheint unmöglich. — V.50 haben die Worte 
Eman TOR ganz das Ansehen einer in den Text eingefügten 
Randbemerkung. 


Ban. 82, 7. Wahrscheinlich ist zu lesen: ‚AANIP> Nr on SM. 

9. Statt Ras ist ms zu schreiben, da das Wort ira hier 
sonst als Masculin behandelt ist. 

23. s. zu 30, 16. 

31. 32. Der Wechsel der Formen =: und Inne beruht 
auf zufälliger Entstellung. 

33. Ein Subjectsausdruck bei >32 wird ungern vermilst und 
ist vielleicht durch Versehen oder in Folge einer Beschädigung 
des Textes ausgefallen. 

Cap. 33, 4. Vielleicht war ursprünglich ne mit Singularsuffix 
beabsichtigt. — Die Puncte über dem Worte inpem sollten die 
‚Tilgung desselben andeuten, welche aber von der bei der 
Punctation zum Grunde gelegten Tradition mit Recht nicht an- 
erkannt wurde. 

28* 


394 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


90. Für einen Altar scheint der angeführte Name so wenig 
passend, dafs man geneigt sein könnte zu lesen: "a ENG NP. 
Ähnlich die LXX.: zu: Zrezaresaro Tov Deov Irgev... Doch 
ist es sehr zweifelhaft, ob damit das Richtige Behafien wäre, 
da eine Namengebung beabsichtigt gewesen sein wird, welche 
nur bei der Redaction mifsverstanden wurde. Übrigens vgl. 
zu.'355 7: 

Cap. 34, 13. Das zweite Hemistich steht offenbar an ungehöriger 
Stelle. Zur Noth könnte es hinter den Namen c£>s% treten; 
wahrscheinlicher ist, dafs es eine — freilich sehr überflüssige — 
Randbemerkung war, die in den Text eindrang. Ganz unzu- 
lässig ist aber auch in seiner jetzigen Stellung das Wort 927715 
jeder Anstofs wäre beseitigt, wenn es mit may2a den Platz 
tauschte. 

23. mans neben nıpa ist nicht anstöfsig; es bedeutet hier 
lediglich das Lastvieh, wie 36, 6 u. ö. 

24. Die Wiederholung der Worte nah=bs fällt auf und 
beruht vermuthlich auf einem Versehen. Die LXX. lassen die 
Worte aus. 

25: mus, zu er gehörig, hat denselben Sinn wie etwa: 
mus n25n m. Die Ausdrucksweise ist befremdlich, doch scheint 
der Sprachgebrauch gesichert; vgl. besonders Ez. 30, 9 und die 
analogen Fälle Hab. 2, 19. Prov. 5, 25. 

97. Man vermifst zu Anfang die Bindepartikel, welche LXX. 
und Andre ergänzen. — Ob das zweite Hemistich an der rech- 
ten Stelle stehe, ist zweifelhaft. 

29. 21 wäre wohl zum zweiten Hemistich zu ziehen, dann 
aber ch nn statt des folgenden ra) zu schreiben gewesen. 

Cap. 35, 7. Der Ort, um den es sich hier handelt, hat sicher 
nur den Namen onmıs (nicht Dn-pna Ss) geführt. Es wird hier 
ein ähnliches Milsverständnifs der Quelle obwalten, wie bei 
33, 20. — Der Plural Joy wird der Quelle entnommen und die 
Abänderung in den Singular nur aus Unachtsamkeit unterblie- 
ben sein. 

16. vpms neben ariopr v. 17 braucht keinen Anstol[s zu ge- 
währen. 

22. Am Schlusse des Verses ist eine Lücke anzunehmen, die 
sich auch äufserlich kenntlich macht. 


vom 13. Juni 1870. >99 


26. Vielleicht war 351755 beabsichtigt, wie 36, 5. — yes 
ann pafst nach v. 16 nicht auf Josep; die Ungenauigkeit fällt 
aber der Redaction zur Last. 

27. Vgl. zu 23, 19. Auch hier mag »ayn7 np und an 
aa nachträglich in den Text aufgenommen sein, oder doch, 
wenn 23, 19 mafsgebend sein kann, Ersteres allein. 

Cap. 36, 2. 3. Der Widerspruch zwischen der Bezeichnung man 
92» und der folgenden Aufzählung, die nur zwei kenaanitische 
Weiber — und ursprünglich wohl nur ein solches — erwähnt, 
desgleichen die Abweichungen von 26, 34. 27, 46. 28, 9 hin- 
sichtlich der Eigennamen, werden von der Redaction verschuldet 
sein. Übrigens war hier (und v. 14) anstatt jyarnz nach hebr. 
Sitte vielmehr 2-73 zu erwarten, da m:2 der Sohn des Gisön 
(oder Ci£‘son) ist, nicht die Tochter; s. v. 24. Doch wird nicht 
etwa mit den LXX. x”'2 herzustellen sein; vielmehr ist x-r= 
als eine gegen die herkömmliche Form solcher genealogischer 
Angaben verstofsende spätere Ergänzung zu betrachten, wel- 
che entweder durch ein Mifsverständnifs von v. 25 veranlafst 
ist, oder auf einer von der Stammtafel v. 20 ff. abweichenden 
Überlieferung beruht. Eine nachträgliche Ergänzung gleicher 
Art findet sich v. 39. — Statt "za war nach v. 24, vgl. mit 
v. 20, rn zu erwarten; die jetzige Lesart beruht wahrschein- 
lich auf einem Versehen oder auf zufälliger Beschädigung des 
Textes. 

5. Mit dem Q’ri ws> (hier und v. 14) stimmt v. 18 und 
1 Chr. 1, 35 überein. 

6. Wegen mar2 neben mıpn s. zu 34, 23. — Hinter PORTan 
ist unzweifelhaft der Name des Landes ausgefallen, wahrschein- 
lich 22, wie der Syrer ergänzt; indessen vgl. man Nöldeke, 
Untersuchungen $. 30 Anm. 

8. Die letzten Worte vielleicht ursprünglich blofs Rand- 
bemerkung. 

10. Warum die Söhne der dritten Frau hier übergangen und 
erst v. 14 nachgeholt werden, ist unklar; doch ist kein Grund 
vorhanden, an eine Entstellung des Textes zu denken. 

11. Statt ex (hier und v.15) giebt 1 Chr. 1, 36 »zx. 

13. Wie die Bedeutung der Namen n72 und MIT einen ge- 
wissen Gegensatz bildet, so mag auch bei den beiden folgenden 
Namen (hier, sowie v. 17 und 1 Chr. 1, 37) etwas Ähnliches 


396 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


beabsichtigt und deren ursprüngliche Gestalt 7=& und 72 (dort- 
hin und von hier) gewesen sein. 

14. Velez zu v.2. 3 und 5. 

15. Das K’Siß “an kann nur auf Entstellung beruhen. — 
Wegen ex s. zu v. 11. — Tıp war nach v. 11 und 1 Chr. 1, 36 
eher im folgenden Verse zu erwarten. 

16. Die Erwähnung von np an dieser Stelle scheint auf 
irgend einem Irrthume oder ungeschickter Interpolation zu be- 
ruhen; vgl. v. 18, womit v. 14 (und 1 Chr. 1, 35) überein- 
stimmt. 

20. »“nä, Ci@söns Bruder, hier und v. 25, und »?nä, Gil- 
»öns Sohn, v. 24, sind ursprünglich wohl identisch; die verschiedne 
Stellung, welche der Repraesentant eines und desselben Stammes 
oder Geschlechtes in verschiedenen Geschlechtsregistern einnahm, 
hätte hier nicht die Aufführung zweier Personen gleiches Na- 
mens veranlassen sollen. Derselbe Fall wiederholt sich bei 
Disön, dem Bruder (v. 21) oder Sohne (v. 25) des s*na. Übri- 
gens ist zu beachten, dafs die Handschriften der LXX. zum 
Theil zwischen ’Av« v. 20. 25 und wa, 'Qvas oder ’Qvar v. 24 
auch einen formellen Unterschied machen. 

21. Statt sis nennen die LXX. hier und v. 28. 30 ‘Pırwv 
(oder ‘Pzowv). 

2%. Für =a°7 giebt 1 Chr. 1, 39 znin.— Auffallend ist, dafs 
hier (und in der Chronik) die Schwester Lotäns nach dessen 
Söhnen, und nicht, wie sonst üblich, nach ihren Brüdern auf- 
geführt wird. 

23. Statt sew bietet 1 Chr. 1, 40 »Ew. 

24. Vor ms ist vielleicht ein Name ausgefallen; doch kann 
die Bindepartikel, welche bei den LXX. Sam. Syr. und auch 
1 Chr. 1, 40 fehlt, auch blofs von einem Versehen herrühren. — 
Das Wort zo7, welches schon als eraE eyouevov die Aufmerk- 
samkeit auf sich zieht, läfst sich - mit einiger Sicherheit nicht 
mehr erklären und setzte bereits die alten Übersetzer in Ver- 
legenheit. LXX.: rov ’Ianew; Sam. Onk. drücken zraum aus, 
vgl. Gen. 14, 5. Deut. 2, 10. 11, Syr. zv27. Die Erklärung der 
Vulg. durch aquae calidae etymologisch zu rechtfertigen will 
nicht gelingen. Bei unsrer Unbekanntschaft mit der “höritischen 
Sagengeschichte ist es natürlich nicht möglich zu ermitteln, was 
»2n& in der Wüste gefunden; vielleicht fand er ganz einfach 


vom 13. Juni 1870. 397 


zargon, seinen Vetter, v. 22, mit welchem irgend etwas Unge- 
wöhnliches vorgegangen sein mag, das längst vergessen war, als 
die jetzige Aussprache des Textes festgestellt und mit Übersetzung 
desselben begonnen wurde. 

25. Die ersten Worte lassen mehr als den einen Namen 
757 erwarten; doch s. ähnliche Fälle 46, 23. Num. 26, 8. 1 Chr. 
1, 41. 2, 8. Übrigens vgl. in Bezug auf diesen zu v.20.— Das 
zweite Hemistich steht mit v. 2. 14 in Folge der dort nachge- 
tragenen Bezeichnung js=23"n2 in Widerspruch, da es nicht zwei- 
felhaft sein kann, dafs der hier genannte »’na der Bruder des 
CiCsön (v. 20), nicht dessen Sohn (v. 24) sein soll. Bei dem 
Nachtragen der Worte x-ns v. 2. 14 mag die hier vorliegende 
Stelle des 'höritischen Geschlechtsregisters benutzt, aber mils- 
verstanden sein. 

26. Hier war statt 757 ohne Zweifel 15°7 zu nennen, vgl. 
v. 21; Disän folgt erst v. 28 an geeigneter Stelle. LXX. rich- 
tig: Aysar. Auch 1 Chr. 1, 41 steht das Richtige; statt = 
wird aber dort j%7 geschrieben. | 

27. Statt ;p>ı wird mit Rücksicht auf Num. 33, 31. 32. 
Deut. 10, 6 jp»>7 zu lesen sein. Auch 1 Chr. 1, 42 steht jp2S, 
wo nur die Bindepartikel vor dem Namen wieder herzustel- 
len ist. 

28. 30. Wegen jö"7 vgl. zu v. 21. 

32. Die Form „oa (hier und 1 Chr. 1, 45) ist unverdächtig, 
wenn auch die Person mit dem -isa"j2 z»b3 identisch ist. 

35. Für 72 geben die LXX. Basaö, für an Ter>ada (oder 
T': SSeia) h 

36. LXX.: Nauadz oder Iaranı, und Massizze (oder Mea- 
Gert). h 

39. LXX.: 'Agaö (oder "AgaT) vies Ba3«ö (oder Baga9); vgl. 
v. 35. — Statt des zweiten n2 geben die LXX. 73; vgl. zu v. 2. 

40—43. LXX. weichen in den Consonanten der Eigennamen 
theilweise ab. — Statt sy v. 40 war vielleicht ;,>2 zu schrei- 
ben, vgl. v. 23, und statt nn» etwa jan, vgl. v. 26. LXX. an 
erster Stelle freilich Twr.«, nicht Tw2.uv ‚„ wie v. 23, an zweiter 
aber "IeSes (oder 'IeQes). Statt ie v. 41 findet sich Num. 33, 42 
5 Eusebius Onomast. spricht für die Lesart der Gen. Die 
Form =4°s ist nicht anzufechten, auch wenn ur 1 Chr. 4, 15 
dieselbe Person bezeichnen sollte. 


398 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Cap. 57, 2. Die ersten Worte passen schlecht zu der nachfolgen- 
den Erzählung und mögen früher an einer andern Stelle gestan- 
den haben. — Übrigens scheint der Text durch Interpolation 
entstellt zu sein. Die Worte "ı nos an 22 Nam) können 
nicht füglich heifsen: und er war (als dienender) Bursche 
bei den Söhnen Bilhäs u.s.w. Allerdings ist Geh’zi "22 
sussn puer Elisae 2 Reg. 5, 20, vgl. 2 Reg. 4, 12. 8, 4 und 
Stellen wie 1 Reg. 20, 15. 17. 19. 2 Reg. 19% 6, schwerlich aber 
sagte man „Bursche bei jemand“. Daher wird “22 hier ledig- 
lich den jungen Menschen bedeuten, die folgenden Worte aber 
(bis an vo einschlielslich) werden als eine nachträglich und 
ungeschickt eingefügte Erläuterung zu dem vorhergehenden 
aSTnN anzusehen sein, welche wegen v.21 angemessen scheinen 
konnte. Die noch übrig bleibende auffallende Erscheinung, dafs 
der unbestimmtere Ausdruck “23 auf die genaue Altersangabe 
folgt, läfst sich begreifen, wenn man erklärt: „Josef, siebenzehn- 
jährig, war beschäftigt mit seinen Brüdern das Kleinvieh zu 


weiden, und er war ein junger Mensch und brachte“ (d.h. und 
da er eben noch ein junger unerfahrener Mensch war, der die 
Folgen seiner Handlung nicht übersah, so brachte er) „ihren 
Ruf als einen schlechten zu ihrem Vater“. Dafs 74 nicht Ad- 
jeetiv zu Ena27 sein kann, versteht sich von selbst, da ihm der 
Artikel fehlt. 

4. 27 kann wohl nicht heifsen: mit ihm zu reden, son- 
dern nur: sein Reden. Darnach hat man erklärt: „sie hielten 
sein Gerede nicht aus in Gutem“; was gebilligt werden mufs, 
insofern der Text als unversehrt gelten darf. 

12. Die Praeposition vor ;sx sollte durch Übersetzen der 
Puncte getilgt werden, was jedoch von der Tradition nicht ge- 
billigt ist. 

17. Vielleicht war statt ‘n2 in Übereinstimmung mit dem 
Vorhergehenden 552 beabsichtigt; doch findet sich die Form 
‚ns auch 2 Reg. 6, 13 und ist an sich nicht anstölsig. 

23. Die letzten Worte vielleicht nur nachgetragene Erläute- 
rung ZU YMINITTN. 

28. Die hier auftretenden Midianiter sind von den (bereits 
erwähnten) Ismaölitern nicht verschieden, obgleich jenes Volk 
25, 2 nicht zu den Ismaßälitern gerechnet wurde. Hier soll dem 
weiteren Begriffe der Ismaeliter der engere midianitischer 


vom 15. Juni 1870. 399 


Ismaäliter substituirt werden, welcher, als bisher nicht erwähnt, 
unbestimmt bleiben mulste, sodafs der Artikel nicht gebraucht 
werden durfte: „die gedachten Ismaäliter waren aber“, wie sich 
bald zeigte, „midianitische Kaufleute“. 

36. Statt amsyamı ist wohl nach v.28 2>>>a771 herzustellen. — 

Der Name „erohe, hier und 39, 1, scheint nur eine verstümmelte 

Form des Namens 342 "ste 41, 45. 46, 20 zu sein. Die LXX. 
haben für beide Namen dieselbe Form Ilsrzcpors, mit der Variante 
Hevrebons; s. de Lagarde, Vorrede zur Genesis, p. 20, welcher 
Sassu2D für die ursprüngliche Lesart hält. Doch möchte die 
Umgestaltung der ersten Sylbe bei den Hebräern schon vor Ab- 
fassung dieses Theils der Gen. eingetreten sein. 

Cap. 38, 14. 229, hier ohne Artikel, v. 21 mit demselben, was 
aber gerade bei dem Eigennamen keinen Anstols giebt. Übri- 
gens ist mns hier so wenig, wie anderswo, 8. v. a. "su; man 
würde es etwa durch „Eingang“ zu übersetzen haben. 

16. EN vor 777 wird mit de Lagarde, Anmerkungen zur 
griech. Übersetzung der Proverbien S. III, zu tilgen sein. 

21. Wahrscheinlich ist zu lesen: wir mörp; vgl. zu 30, 16. 

28. -ms1 ohne nähere Bezeichnung des Subjects, die wohl 
möglich war, aber entbehrlich schien. 

29. 80. Für x4p%1 hätte man beide Male vielmehr xapn} er- 
warten dürfen, wie 4, 25 u.ö. Indessen wird das Verbum x» 
im Activ so häufig als Aequivalent einer Passivform gebraucht, 
dafs an eine Entstellung des Textes nicht gedacht werden darf. 

Cap. 39, 4. Vielleicht sollte auch hier, wie v. 5. 8, stehen: °54 
SR. 

8. Statt maa-ma war nach v. 6 eher = mann zu erwarten. 

14a ohne nähere Bezeichnung des Subjects, die unnö- 
thig schien. 

20. Das K’Si& mon beruht wohl nur auf zufälliger Ent- 
stellung des Textes. V. 22 ist aysonn die allein beglaubigte 
Lesart, obgleich manche Ausgaben dieselbe auch dort nur als 
Q’ri anmerken. 

Cap. 40, 10. mxD ist bedenklich, da 92 = mx? sonst nicht vor- 
kommt und gewils als Masc. anzuschen wäre. Man hat 7x3 zu 
lesen und nach Analogie von Jes. 5, 6. 34, 15. Prov. 24, 51 
zu erklären: „und er“ (der Weinstock) „war wie sprossend; 
er ging auf als Blüte* (d.h. in Blüten); „die Traubenkämme 


400 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


brachten“ (schliefslich) „Trauben zur Reife“. Alles dieses hatte 
sich nach und nach in dem Traume so gezeigt. 

14. Der Anschluls an das Vorhergehende durch *> ist unge- 
wöhnlicher Art, wird sich aber rechtfertigen lassen; zu ist wie 
gewöhnlich Bedingungspartikel: „aber wenn du dich meiner er- 
innert haben wirst, sobald es dir gut geht, dann bitte übe Gnade 
an mir u. S. w.“ 

15. „22 mit dem Artikel, insofern das ganze, bereits er- 
wähnte Gefängnils als ein unterirdisches gedacht werden mochte. 

20. Dafs hier von beiden Beamten gleichmäfsig erzählt wird, 
ihr Haupt sei erhoben worden, ist anstölsig, da der Zusatz 
mar v. 19 von so wesentlicher Bedeutung ist. Doch scheint 
der Text nicht gerade beschädigt zu sein. 


Cap. 41, 3. 4. Zu mp7 findet sich die Variante ri791, wie auch 


der Samarit. hat. Mit Rücksicht auf v. 19, 20 kann diese Lesart 
den Vorzug zu verdienen scheinen; doch ist eine völlige Über- 
einstimmung in den verschiedenen Stellen nicht eben erforderlich. 

8. Statt ya’sm war nach dem Vorhergehenden und wegen des 
folgenden znin der Plural zu erwarten; die Inconsequenz mag 
aber der Redaction zur Last fallen. 

13. Vielleicht ist 7322 hinter =°57 ausgefallen; zur Noth kann 
es jedoch entbehrt erden. 

23. rp3 stimmt nicht genau zu v.27, wo rip am gelesen wird; 
vgl. zu v.3. 4, — cams in Bezug auf das Feminin ist nur 
deshalb anstöfsig, weil in diesem ganzen Abschnitte sonst be- 
ständig das Suffix 77 gebraucht wird. 

26. Vor rne sollte der Artikel stehn, der wohl nicht ab- 
sichtlich weggelassen ist. 

27. Statt =3% °sö war wiederum 757 2"2U zu erwarten; es 
wird aber eine Inconsequenz der Redaction sein. 

32. Die mit "sı mine S3 beginnende Rede bleibt unvollen- 
det oder wird durch das eintretende ‘> unterbrochen; der Text 
ist aber unversehrt. 

34. Vor miesn wird etwa 5 herzustellen sein. 

42. Die goldne Kette, richtig; es war diejenige, welche er 
selber trug und die zu den Insignien der Herrschaft gehörte. 

43. nzs ist dunkel und der Text vielleicht beschädigt; na- 
mentlich schliefst sich das zweite Hemistich unbequem an. Viel- 
leicht steckt in dem dunkeln Worte der Inf. abs. 92, als unter- 


vom 13. Juni 1870. 401 


geordneter Theil eines Satzes, der vor dem Josef ausgerufen 
wurde, wie etwa: " na HOMnN ENToN n2- 

45. Dafs die LXX., indem sie 7;,8 n2sX durch YevSouheavvy, 
ersetzen, eine andere Lesart vor Augen hatten, ist nicht ge- 
wils. — Wegen des Namens >95 "vie vgl. zu 37, 36. Das 
zweite Hemistich lassen die EX: weg, wie es denn wegen 
v. 46 überflüssig ist. Es ist nicht unmöglich, dafs ursprünglich 
mohseny axıı geschrieben war, wozu die Praeposition =» besser 
palst, als zu 50% nun, was durch ein Versehen aus v. 46 her- 
übergenommen wurde. 

48. Für cs sau wird wie v.53 zu lesen sein: wo sau 
Sat; nur dann hat das folgende 7 NEN einen Sinn. — 
Das zweite Hemistich mag ursprünglich blofs erläuternde Rand- 
bemerkung EMmeren, sein. 

50. Warum >» ' gesprochen wird und nicht = 5 ist unklar. — 
Syn nö im a fällt auf, ohne dals Grund Foihehdeh wäre, 
die Richtigkeit des Textes zu bezweifeln. — Das zweite Hemi- 
stich vielleicht späterer Zusatz. 

95. Für mn stünde besser "7, wie v. 48; vielleicht liegt nur 
ein Versehen zum Grunde. 

54. Obgleich die letzten Worte in Widerspruch mit v. 55 zu 
stehn scheinen, wird doch an dem Texte nichts zu ändern sein; 
der Ausdruck ist nur etwas ungeschickt. V.54 bezieht sich =5> 
auf das v. 49 erwähnte angesammelte Getraide (a), v. 55 auf 
das den Landesbewohnern wegen Miflswachs fehlende eigne Brod- 
korn. Die Handschriften der LXX. suchen zum Theil dem an- 
scheinenden Widerspruche durch Einfügung einer Negation ab- 
zuhelfen: 2v öe zasn y% Alyurrou oür Yrav aoror; dadurch wird 
aber wieder nur scheinbar geholfen. 

586. Der Text gewährt mancherlei Anstols. Die Worte 
en2 NÜNT>s-TN können unmöglich richtig sein; es fehlt eine 
ausdrückliche Bezeichnung der Vorrathshäuser und am Schlusse 
etwa “a, wie der Samarit. richtig ergänzt. LXX.: avew£s de 
Insyh mavras vous aıroßoruves. Ferner steht SalEan Sin einer 
ganz ungewöhnlichen Bedeutung; vermuthlich war „2% beab- 
sichtigt, vgl. 42, 6. Der letzte Satz ist hier störend und fehlt 
bei den LXX.; er hätte den Vers beginnen können und dafür 
das erste Hemistich hier am Ende stehn; dann wäre der Über- 
gang zu v. 97 ein natürlicher gewesen. 


402 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


57. namen, abhängig von sa, steht nicht an recht geeigne- 
tem Platze und ist wohl erst nachträglich eingeschoben. 

Cap. 42, 13. Die Gestalt des Textes ist sehr unbefriedigend. Der 
Gedanke, der allein beabsichtigt sein kann, war auszudrücken 
entweder durch die Worte: NUN 2 EIS MIR Ds SG, 
oder durch dieselben Worte mit EN an Stelle von 422. 
Ohne Zweifel ist »rıs aus v. 32, wo es ganz am Orte ist, hier 
einst am Rande angemerkt und später in den Text gerathen. 

19. 7x hätte wohl hier nicht weniger mit dem Artikel ver- 
sehen werden sollen, als v. 33. — Der Ausdruck 3 334 23 
„Getraide (zur Stillung) des Hungers* fällt auf; einigermalsen 
ähnlich ist der Ausdruck „sn1 un Jes. 30, 23, „Regen (zum 
Gedeihen) deiner Saat“. V.33 steht sogar blofs = 22. 

25. Han Ssorgon in Abhängigkeit von x) ist wegen des da- 
zwischen getretenen Satzes sehr unbequem und incorrect; die 
Schuld davon fällt auf die Redaction. — vs hat hier den Werth 
eines Genitivs, abhängig von n03, welches auszudrücken durch 
das unmittelbar vorhergehende =7°20> unnöthig wurde. 

28. NanTan Ein San ist unbedenklich; gemeint ist LAN 
„a UN. 

30. Vielleicht war beabsichtigt: Valaan HR nm; vgl. v.17. 

33hllorn p=22 mag "25 ausgefallen sein; vgl. v.19. 

34. Statt cms 5% °> wäre eher N DEN zu erwarten ge- 
wesen, wie v. 19; in dieser Fassung würden die Worte dann 
dem zweiten Hemistich angehören. In dem Texte, wie er vor- 
liegt, sind entweder diese Worte oder die zunächst vorhergehen- 
den, ebenfalls durch »> eingeleiteten, überflüssig. 

35. vs steht hier absolute voran und ist entweder als 
Accusativ nach arabischer Weise abhängig von 7:7 (Silvestre de 
Sacy, gramm. Ar., 2° edit. II. p. 105), oder — was im Hebr. 
zulässig erscheint — ein von mr unabhängiger Nominativ. 

Cap. 43, 11. yası nat, bei der gewöhnlichen Erklärung ein 
kühner Ausdruck, aber doch wohl statthaft. LXX.: azo ruv 
zegmov 775 yas; ob nach andrer Lesart ist zweifelhaft. 

12. msn 903 hier und nosmain v.15 sind gleich statthaft; 
in keinem von beiden Fällen hängt das zweite Wort von dem 
ersten im Genitiv ab. 

14. ms ohne Artikel, incorreet. LXX. drücken 78 (oder 

Ta) aus. 


vom 13. Juni 1870. 405 


28. Das K’S18 “sw beruht nur auf einem Versehen. 

34. Statt wioyı war vielleicht der Plural beabsichtigt. LXX.: 
Yocıv. 

Cap. 45, 1. Die Worte 59 znazın >55 schliefsen sich an das 
Vorhergehende zwar nicht mit völlig klarem Sinne an, doch 
scheint der Text unbeschädigt zu sein. 

7. Statt muss wird mu>os zu lesen sein. LXX. richtig: 
za Ergeb Jndv zararsı) w neyaryn. 

8. Dunn, nachlässig statt des coneinneren Fund. 

19. Der Übergang von nass man zu dem Folgenden ist 
sehr schroff; doch deutet Nichts auf eine Be ehacızung des Textes. 
Die LXX., den Übergang erleichternd: ou de Evrenaı ravre. 

Cap. 46, 3. Der Infinitiv 77% nur hier; vielleicht ist das gewöhn- 
liche 774 herzustellen. 

9—24. Auch in diesem Geschlechtsregister weichen die 
LXX. hinsichtlich der Eigennamen mehrfach erheblich ab. 

10. Statt ons geben die Parallelstellen Num.26, 12. 1 Chr. 
4, 24 Snvan. Ebenda fehlt San ganz. Statt 555 hat 1 Chr.4, 24 
=>. Statt Ao& (hier und Ex. 6, 15) wird Num. 26, 13 mır ge- 
nannt. Die Divergenz zeigt sich auch bei den LXX. musısn 
(hier und Ex. 6, 15) mit dem Artikel, indem hinreichende Be- 
kanntschaft mit den Verhältnissen vorausgesetzt wird. 

13. Die Bildung des Namens 7» (hier und Num. 26, 23) 
fällt auf, zumal da das Patronymicum "#2 (Num. a.a.0.) lautet, 
zu welchem aber auch die Schreibart se 1 Chr.7, 1 (vgl. 
Jud. 10, 1) nicht palst; vgl. zu Num. 26, 23. — Für =» ist 
ohne Zweifel nach Num. 26, 24. 1 Chr. 7, 1 (im Q’ri) mit Sam. 
LXX. =10> herzustellen. 

15. Die ungeschickte Anfügung der Worte = 723 nNı und 

die Einschaltung von 'n'331 fallen der Redaction zur Last. 

16. Statt jrexr giebt Num. 26, 15 jiex (LXX.: Yabwv), statt 
nen (LXX.: O«ro@av) Num. 26, 16 MIN, statt > Num.26, 17 
TS. 

17. nö> und “ör hier und 1 Chr. 7, 30 neben einander, 
während Num. 26, 44 5 genannt ist. Die Zählung v. 13 setzt 
beide Namen voraus. 

20. Die Worte Ya j>-m75% “us bis zum Schlusse des ersten 
Hemistichs sind unangemessener Weise nachträglich in den ur- 
sprünglichen Text eingefügt. 


404 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


21. ->2 fehlt in der Parallelstelle 1 Chr. 8 und erhält Num. 
26, 35 einen Platz unter den Ephraimiten. Umgekehrt fehlt 
xns Num. 26 und erhält 1 Chr. 8, 3. 5 einen andern Platz. Der 
Name 3222 wird sowohl Num. 26, 40 als 1 Chr. 8, 4 auf andre 
Weise in die Geschlechtstafel eingefügt. Alle diese Verschieden- 
heiten mögen auf abweichender Tradition beruhen. Dagegen 
wird hier und ms (und 1 Chr. 8, 1 mass) aus ursprünglichem 
Sala} entstanden sein; vgl. Num. 26, 38. Doch setzt schon die 
Zusammenzählung v. 22 zwei Namen voraus. — Auch t’En 
(ERERE Mapers oder Meapndbin) ist ohne Zweifel entstellt; 1 Chr. 
7, 12 findet sich statt dessen zsd (LXX. Zapen oder Sardıv), 
Num. 26, 39 z2zıeV (LXX. Biokpein), I mit dem Patronymicum 
Nasnd (LXX. Srea und 1 Chr. 8, 5 jer2V (LXX. Eubev), als 

. Enkel Binjamin’s. Die richtige Form war vielleicht zs&. — In 
ähnlicher Weise anstöfsig ist der folgende Name 227, 1 Chr. 
7, 12 227 geschrieben; dagegen giebt Num. 26, 39 wahrschein- 
lich richtig eos, woraus cyan 1 Chr. 8, 5 (als Enkel Binjamin’s) 
entstellt sein wird. — Mit TIS, der Num. 26, 40 als Enkel Bin- 
jamin’s auftritt, darf vielleicht Ss 1 Chr. 8, 3 (ebenfalls Enkel 
B’s) znsammengestellt werden. 
22. Für “> wäre 775, mehr am Orte gewesen, wie in dem 


eingefügten Satze v. 20. 
23. 73 »=ı im Plural, obgleich nur ein Name folgt, wird 
doch der Redaction angehören. Der Name zör (1 Chr. 7, 12 
=ös, mit der Variante cz) erregt Bedenken.  Num. 26, 42 
giebt dafür ezmö, welche Form den zu v. 21 angeführten Namen 
zo und zer gut entspricht. 

24. Statt Inn ->» (hier und Num. 26, 48) liest man 1 Chr. 7, 13 
Exam; “; statt 5 ac] (hier und Num. 26, 49) ebenda ErbV. 

26. Sub scheint unbedenklich, wenn man auch eher Spen7EI 
erwartet hätte. — Bei der Zusammenzählung bleiben hier die 
früher eingeschlossenen Personen weg: Jagob selbst, Josep und 
dessen Söhne. Die Wiederholung von upy-ba zu | Anfang des 
zweiten Hemistichs ist nicht anstöfsig. 

28. Ein Objectsausdruck zu nains ist durchaus entbehrlich 
und nicht etwa ausgefallen. 

Cap. 47, 3. Wahrscheinlich sollte jsx +94 geschrieben werden und 
das vorhergehende Wort, das mit 73% schliefst, veranlafste einen 
Irrthum. Cap. 46, 34 war mx am Orte. 


vom 13. Juni 1870. 405 


21. Das erste Hemistich ist weder ganz klar, noch dem Zu- 
sammenhange angemessen. Der Samaritanische Text bietet die 
Lesart: Er923> AAN Tas eszensı, womit die LXX. übereinstim- 
men: za: rov Aeade el wcaro wur) eis maldas. Josef machte 
ihm (dem Könige) das Volk dienstbar zu Knechten, d.h. sodals 
sie Knechte, Hörige wurden. Diese Gestalt des Textes wird 
die ursprüngliche sein. | 

24. Die Kürze des Ausdrucks ra"=na läfst sich kaum recht- 
fertigen und wahrscheinlich ist der Text beschädigt. LXX. 
ohne Praeposition: za Erraı ra yaryhara aurns. — Die Hand- 
schriften der LXX. lassen gröfstentheils die beiden letzten Worte 
weg, vielleicht mit Recht. Sonst fänden dieselben einen sehr 
angemessenen Platz unmittelbar hinter eabandn, wo sie auch ur- 
sprünglich gestanden haben mögen. : 

26. Die Worte Wnm> 73425 schliefsen sich sehr schlecht an 
das Vorhergehende an. LXX.: amorsunroüv rw Papaw. Schwer- 
lich liegt der Text in seiner ursprünglichen Gestalt vor. 

28. Die Worte 7 >28 sind vielleicht nachträglich einge- 
schoben, und zwar mit Rücksicht auf den Ausdruck v. 8. 9. 

Cap. 48, 1. 2. Die Singulare as — 712) — und nochmals Jan’ 
scheinen dem sonstigen hebräischen Sprachgebrauche nicht zu 
entsprechen; die Berufung auf den analogen Gebrauch von xp 
(s. zu 38, 29. 30) genügt nicht ganz zur Rechtfertigung des Tex- 
tes. Vielleicht war auszusprechen: noh-b Sanıı und Jans" Spn> am. 

7. Der ganze Vers könnte hier füglich entbehrt werden, die 
Aufnahme desselben ist aber der Redaction zuzuschreiben. — 
Hinter 72» ist vielleicht zA4s8 durch Versehen oder in Folge 
einer Beschädigung ausgefallen. — Für nyex wird nme her- 
zustellen sein; das scheint auf Anlafs des folgenden Wortes 
ausgefallen zu sein. 

8. Der Übergang zum Gebrauche des Namens Eich statt 
=+s" beruht auf Verschiedenheit der benutzten Berichte. 

11. Statt my war vielleicht my) (miny) beabsichtigt. 

12. Für den Sing. amd drücken Sam. LXX. Syr. den Plural 
aus, was nicht gebilligt zu werden verdient. 

14. Die Bedeutung von Sey ist nicht ganz sicher; LXX.: 
Varna Fas Yeloas, unter Weglassung der folgenden Worte, die 
allerdings unter allen Umständen entbehrlich sind und ursprüng- 

lich vielleicht nur eine Randbemerkung waren, 


406 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


16. zx>2m wäre besser weggeblieben, doch gehört es gewils 
dem ursprünglichen Texte an. — Der Ausdruck »Y 23 np 
ist kein gewöhnlicher, die Richtigkeit des Textes läfst sich aber 
wohl nicht bezweifeln. 

20. Statt 72 war eher =>2 zu erwarten. 

Cap. 49, 3. Für [> erwartete man 7%; was die überlieferte Aus- 
sprache veranlafste ist unklar. 

4. Im ersten Hemistich lassen sich die grammatischen Ver- 
hältnisse nicht ganz klar erkennen und ebensowenig der Sinn 
von “nim genau feststellen. Vielleicht war eine andre Aus- 
sprache beabsichtigt, etwa nın->s. Im zweiten Hemistich wird 
durch das letzte Wort >> die Gliederung des Verses wesentlich 
gestört und es ist möglich, dafs dieses Wort einst vor n»>» stand 
und >» zu sprechen war. LXX.: cv dveßss. Auch Syr. und 
Andre geben die zweite Person. 

10. Die Varianten in der Schreibung des Ortsnamens mi 
sind unerheblich, sobald die überlieferte Aussprache festgehalten 
wird. Doch mag die Plenarschreibart erst durch die jetzige 
Aussprache hervorgerufen und >» (oder ">w) als die ältere 
Gestalt des Textes anzusehen sein. Da das „Gelangen nach 
Schilö“ für die Geschichte Juda’s ganz unerheblich war und 
die Praeposition 7% hier nur den terminus ad quem bezeichnet 
haben kann, so muls in dem 7>%w die Bezeichnung einer Person 
gefunden werden, welche das Subject des vorhergehenden x=» 
sein solltee Gemeint kann nur ein solcher sein, der Juda in 
der Herrschaft ablöste. Hiernach erscheint der Vorschlag de 
Lagarde’s (Onomast. sacra II. p. 96) die Schreibart >"& bei- 
zubehalten und durch a (is quem Iuda ipse expetit) zu er- 
klären, unannehmbar. Damit könnte doch nur der Messias ge- 
meint sein; dieser aber durfte zur Zeit, wo v. 10 entstand, kaum 
anderswo her erwartet werden, als eben aus Juda, und dann 
war seine künftige Herrschaft doch lediglich die Fortsetzung der 
von Juda mit erhöhtem Ansehen. Dafs Juda’s Herrschaft einst 
ein Ende nehmen und auf einen Anderen, Mächtigeren, über- 
gehen werde, ist in dem Segen auch dann nicht befremdlich, 
wenn Letzterer kein Besserer war, als Juda; es mulste eben 
einmal so kommen und es kam so, als Juda von dem ober- 
asiatischen Groflskönige unterworfen wurde. Auf diesen wird 
auch durch das dunkle 7>w gezielt sein, welches frühzeitig etwa 


vom 13. Juni 1870. EI, 407 


aus un> >& (vgl. 42, 6) entstanden sein mag. Der Sinn wäre: 
„bis dafs ein Gewaltiger kommt und ihm“ (d.h. . „Na- 
tionen gehorchen“. 

13. Die Gliederung des Verses ist gestört; vielleicht genügt 
es die Worte ns aim NY) auszuscheiden. Übrigens hätte 
wohl Jissäyär (v. 14. 15) vor Z°bülün erwähnt sein sollen. 

14. Statt oa ar geben die LXX.: r0 zaAcv EmreSvureer, 
indem sie für ar ohne Zweifel a lasen oder lesen wollten, 
während die Gestaltung des folgenden Wortes bei ihnen nicht 
deutlich zu erkennen ist. Die Richtigkeit des hebr. Textes kann 
allerdings zweifelhaft erscheinen. Geiger (Urschrift und Über- 
setzungen, 8. 360) liest, auf den Sam. Text sich stützend, Sa 
2sSı, was durch den Inhalt von v. 15 empfohlen wird. 

17. Statt “7 liefs sich zwar eher m. erwarten, doch wird 
auch jenes zulässig sein. 

18. Dieser Stofsseufzer an dieser Stelle fällt mit Recht auf 
und darf für ein späteres Einschiebsel gehalten werden. 

19. Hier war zunächst die Erwähnung Naptäli’s zu erwar- 
ten, als des jüngeren Sohnes der Bilhä. — Statt Sp» wird mit 
Heranziehung des störenden a zu Anfang des folgenden Verses 

sp» zu lesen sein, wie längst vorgeschlagen ist. 

20. Wegen Senn Ss. zu v. 19. 

21. Statt EN möchte die Punctation 5 "N vorzuziehen sein. 
LXX.: 7228.06; vgl. Hieronym. quaestiones Hebr. p. 70 de 
Lagarde. Dann ist aber auch Szu-non zu schreiben: „er, der 
schöne Wipfel treibt“. LXX.: es BEL FW YEvvyWuaTı 2@N).0C, 
was die Gestalt des Textes, die dabei zum Grunde liegt, nicht 
klar erkennen läfst. 

22. Das zweite Hemistich mufs als beschädigt angesehen 
werden; der Sinn ist ziemlich unklar. LXX.: vios nou VEWTATOS, 
mods ME avasros or. Sie wollten etwa lesen: and N IE 235 
was freilich nicht sonderlich befriedigt. 

23. Die Schroffheit des Überganges kann mit der Zerstörung 
des vorhergehenden Hemistichs zusammenhängen; vielleicht ist 
aber noch eine Lücke zwischen beiden Versen anzunehmen. — 
Statt 13=1, was vermuthlich bedeuten soll „indem sie schos- 
sen“, drücken mehrere alte Übersetzungen 1297 aus, von =. 
LXX.: ZAXodogovr. Sam.: 754%, wodurch Suelslh die ihm 
vielleicht — wenn auch ohne Grund — anstölsige Perfectform 
[1870] 29 


408 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


beseitigt wurde. Weder der Sinn, noch die ursprüngliche Ge- 
stalt des Textes lassen sich mit Sicherheit feststellen. 

24. Die Worte jnya SUm, von dem Bogen gebraucht, be- 
friedigen nicht und die Verbindung 777) “sr ist sehr anstölsig. 
Vielleicht war ursprünglich 77 37 geschrieben. Die LXX. 
beziehen die Pronominalsuffixe auf die Feinde und ändern ZUn 
in zen ab: za suvergion METER Haurous 7% roE« aurwv za gEe- 
AlSy Fa veüge Pgeyovuv YEıowv «@vrwr, woran sich dann im 
zweiten Hemistich unmittelbar die Worte anschliefsen: dıe YYeıoa 
Öuverrcu Iezw@. Bei der Unklarheit der überlieferten Gestalt 
des Textes lag es allerdings nahe an Stellen zu denken, wie 
Ps. 37, 15. 46, 10; aber die Art, wie die LXX. den Text um- 
zugestalten versuchten, ist ebenfalls unklar und befriedigt durch- 
aus nicht. Übrigens liegt es auch nicht fern, bei dem ersten 
Hemistich an eine ursprüngliche Fassung zu denken, die etwa 
den Sinn hatte von nun EP” yön-no, vgl. 2 Sam. 1, 22. — 
Das zweite Hemistich ist in seiner jetzigen Gestalt unverständ- 
lich und ohne Zweifel entstellt. Die ersten Worte 2727 En "a 
könnten, mit dem Vorhergehenden verbunden, nur comparativisch 
gefafst werden, was keinen zulässigen Sinn giebt. Das Richtige 
wird sein mit de Lagarde (Onomast. sacra II. p. 96) 72 in 
ua zu verwandeln und am Schlusse zu lesen: 2 n9 awn 
Uyaivn, so dafs zwei Parallelglieder von befriedigendem Sinne vor- 
liegen. Die Praeposition ‘= mufs dann von einem ausgefalle- 
nen Verbum abhängen, etwa von "on ne recedas, dessen 
Ergänzung dann auch in v. 25 fortgesetzt wird und dort den 
Anschlufs von A727 und a2" verständlich macht. 

25. Vgl. zu v. 24. — Statt naı ist nun oder ran oder auch 
mit einigen Handschriften und Versionen ESP oder dafür ENT 
oder >xm1, herzustellen. LXX. blofs: zur 2er Syse or 5 Seog 
6 Zuos za euroyrse se #7%.— Das zweite Hemistich ist eine 
prosaische und dem Text ursprünglich nicht angehörende Er- 
läuterung und zwar weniger des vorhergehenden, als des fol- 
senden Verses. 

26. Für 9 »in wird 79 an zu lesen sein, den bis na=3 
entsprechend. — Der Ausdruck nızn ist in befremdlicher Weise 
gebraucht; höchst wahrscheinlich ist dafür nıw=n (oder ninan=>>) 
herzustellen. 


vom 13. Juni 1870. 409 


30. Das zweite Hemistich schliefst sich nicht gut an und 
scheint ein ebenso unpassendes als unnöthiges Einschiebsel zu 
sein. Dasselbe wird 50, 13 fast wörtlich wiederholt, schliefst 
sich aber auch dort nicht besser an. Übrigens kann Sur in 
dieser Verbindung keinen andren Sinn haben, als den von SEN 
SU, wie Num. 20, 13. 

32. Der Vers steht aufserhalb aller grammatischen Verbin- 
dung und gehörte gewifs nicht in den Text. 

Cap. 50, 13. Vgl. zu 49, 30. 

25. Eraznd unbedenklich, obgleich der Ausdruck Eu) Enkel 
mit Rücksicht auf Jose gewählt ist; dieser sah efraimitische 
Urenkel und auch manassitische, Söhne seines Enkels Machir. 

26. Hier war eher die Passivform ion zu erwarten; vgl. 
zu 24, 33. 


16. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Kummer las über die einfachste Darstellung der 
aus Einheitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, wel 
che durch Multiplikation mit Einheiten bewirkt werden 
kann. 


Unter den complexen Primfaktoren, welche Hr. Reuschle 
ausgerechnet und der Akademie übergeben hat, befindet sich ein 
idealer Primfaktor, dessen neunte Potenz wirklich ist und zwar 
ist dies ein idealer Primfaktor der Zahl 2, für die aus 31ten Ein- 
heitswurzeln gebildeten complexen Zahlen. Die neunte Potenz die- 
ses idealen Primfaktors der Zahl 2 stellt sich, weil 2° = 1 mod. 31 
ist, als wirklich complexe Zahl dar, welche nur die fünfgliedrigen 
Perioden der ölten Wurzeln der Einheit enthält. Bezeichnet man 
die 3lte Wurzel der Einheit mit « und nimmt die sechs fünfelie- 
drigen Perioden: 

29* 


410 Gesammtsitzung 


ea tal Ha +at +02 


FR 
| 


| 


na +0 + a0 a5 + all 
a4 a9 +0 + a + a 
1, = «9 +05 + a8 + alt + af 
1, = «26 Zu «al3 = «22 —- all in ai 


so läfst sich die von Hrn. Reuschle gefundene neunte Potenz des 
idealen Primfaktors der 2 in der einfachsten Form darstellen als: 


IWP=3+n+tNn+1 5; (1.) 


welche complexe Zahl wirklich die Bedingung erfüllt, dafs ihre 
Norm gleich 2° — 512 ist und dafs sie nur einen der sechs con- 
jugirten idealen Primfaktoren neunmal enthält. Ich bemerke noch, 
dafs dieselbe neunte Potenz der idealen Zahl in gebrochener Form 
sich auch so darstellen läfst: 


ar) 


N 
I) er 


(2.) 

Da dieser eine gefundene ideale Primfaktor zur Auffindung 
aller derjenigen aus ölten Einheitswurzeln gebildeten idealen Prim- 
faktoren, deren neunte Potenzen wirklich werden, den Weg eröff- 
net, so habe ich versucht mit Hülfe desselben auch einen von den- 
jenigen idealen Primfaktoren auszurechnen, welche nicht aus Perio- 
den, sondern aus den 3lten Einheitswurzeln selbst gebildet sind, 
welche also 30 conjugirte ideale Primfaktoren haben. Nach den 
aus dem Canon arithmeticus zu entnehmenden 30 Congruenzwur- 
zeln, welche für p = 311 den Einheitswurzeln entsprechen, findet 
man sogleich, dafs die complexe Zahl 


1-+ «6 — «16 


einen idealen Primfaktor der Zahl 311 enthält. Bildet man nun 
die Norm, so findet man 


N(1-+ «® — al$) = 23,311, (er) 


woraus folgt, dafs diese complexe Zahl aufser dem einen idealen 
Primfaktor von 311 nur noch einen idealen Primfaktor von 2 


vom 16. Juni 1870. 411 


enthält, und zwar, wie die für diesen vorhandenen Congruenzbe- 
dingungen zeigen, denselben, dessen neunte Potenz oben dargestellt 
ist. Bezeichnet man nun den idealen Primfaktor von 311 mit P(«), 
so hat man 


(1 + 6 — «169 
3-+ 719 ar Ya Sr Y15 


» (O2 = (4.) 

Hiermit ist die neunte Potenz des gesuchten idealen Primfak- 
tors als wirkliche complexe Zahl dargestellt, aber noch in gebro- 
chener Form; um dieselbe als ganze complexe Zahl darzustellen, 
muls man Zähler und Nenner mit der complexen Zahl /(r) mul- 
tiplieiren, welche das Produkt der fünf zu3-+ Y9 41349, con- 
jugirten complexen Zahlen ist und daher die Eigenschaft hat, dafs 


YO)B+n+n+n)=% 
ist und ausgerechnet folgenden Werth ergiebt: 
Y() = 101 + 511 — 314, — 619 — 5815 + 357, . (5.) 
Hiernach erhält man | 


(a ed (6.) 


Nach Ausführung der Potenzerhebung und Multiplikation im Zäh- 
ler hebt sich der Nenner 2° von selbst hinweg und man erhält 
folgendes Resultat: 


P(e)? = — 254 + 26«@ + 792? + 1353 — 414at — 35408 
— 69506 + 4407 + 629 a8 +10? — 108 «19 — 458 a1 
— 831«1? + 197 «13 + 48001 + 185015 + 285 «16 (Us) 


— 515 a1T — 63418 + 316«@19 + 330820 + 54121 
+ 502 «2? — 521023 — 383 a2 + 17225 + 150.026 
—+ 801027 + 403.428 — 517429 — 295 «30 , 


Die Prüfung der Richtigkeit der numerischen Rechnung er- 
giebt sich zum Theil schon daraus, dafs der Nenner 29 sich wirk- 
lich hinweghebt, ich habe aber aufserdem auch in allen einzelnen 
' Stadien dieser und auch der folgenden Rechnung die Congruenzen 


412 Gesammtsitzung 


für den Modul 31 angewendet, welche alle Gleichungen erfüllen 
müssen, wenn «= 1 gesetzt wird. ZEindlich habe ich das gefun- 
dene Resultat auch dadurch geprüft, dafs P(«)’ = 0, mod. 311 sein 
muls, wenn für die Einheitswurzeln die ee Congruenz- 
wurzeln gesetzt werden. Die wirkliche Berechnung der Norm des 
sefundenen Ausdrucks von (P(«)? würde eine unverhältnifsmälsig 
gro[se Arbeit erfordern. 

Da eine jede complexe Zahl, insofern sie nur durch die in 
ihr enthaltenen (idealen) Primfaktoren bestimmt ist, mit Einheiten 
ganz beliebig behaftet sein, und so in unendlich vielen verschiede- 
nen Gestalten dargestellt werden kann, unter denen diejenigen, 
welche möglichst kleine Zahlen als Coöfficienten enthalten, offenbar 
den Vorzug verdienen, so habe ich durch Multiplication mit pas- 
send gewählten Einheiten die gefundene complexe Zahl zu verein- 
fachen gesucht und bin so bis zu folgender einfacheren Darstel- 
lung gelangt: 


Pla)? = — 5 — 2a + 50? + 8a? + Tat — 4ad + 4ab + a! 
u 56? == ee 3, 2 «12 .. al3 — 2 alt — a 


+ 4.16 — «18 — 2019 + 2020 — 421 — 10822 + 2 023 


(8.) 
— 2024 — 5025 +3 026 + 7 a2 — 202° — 2429 — 2 a9, 


‘Da auf dem bis dahin von mir eingeschlagenen Wege der 
nach einem bestimmten Principe angestellten Versuche eine weitere 
Vereinfachung sich nicht erreichen liefs, und da ich dessenunge- 
achtet die Überzeugung hatte, dafs dies noch nicht die einfachste 
Form dieser complexen Zahl sei, so suchte ich eine Methode, durch 
welche man in den Stand gesetzt würde in directer Weise die ein- 
fachste Form einer jeden gegebenen complexen Zahl zu finden. 
Diese Methode will ich hier auseinandersetzen. 

Wenn wir in dem Vorhergehenden diejenige Aiinlene Zahl 
als die einfachere angesehen haben, deren Co£ffiecienten kleinere 
Zahlen sind, so ist diese Bestimmung insofern ungenau, als von 
zwei gegebenen Complexen von je n Zahlen sich nicht immer mit 
Bestimmtheit angeben läfst, welcher von ihnen die gröfseren oder 
die kleineren Zahlen enthält; es ist darum zunächst genau zu de- 
finiren, welche Form der complexen Zahl als die einfachere oder 
einfachste anzusehen ist. Diese Bestimmung ist an die wesent- 
licheren Eigenschaften der complexen Zahl anzuknüpfen. 


AN 


vom 16. Juni 1870. 413 


Es sei ?. eine Primzahl, «* = 1, und /(«) eine aus Aten Wur- 
zeln der Einheit gebildete complexe Zahl, so ist das Produkt 
f(«) f(«”'), sowie auch alle seine conjugirten, stets real und po- 


—— ll . 
— 4 und bezeichnet 


sitiv. Setzt man nun der Kürze halber 


mit y eine primitive Wurzel der Primzahl ?, ‚so ist die Summe 
dieser # conjugirten complexen Zahlen 


MEN) +) + HF@")La@7"") 0) 


als symmetrische Funktion aller Wurzeln «, «?, ... «*”! eine nicht- 


complexe ganze Zahl. Diese Summe M nimmt andere und andere 
Werthe an, wenn /(«) mit anderen und anderen Einheiten multiplicirt 
wird, das Produkt dieser » conjugirten complexen Zahlen, welches 
gleich der Norm N f(«) ist, ist aber von den Einheiten, mit welchen 
/(«) multiplieirt werden kann, ganz unabhängig. Da das Produkt die- 
ser # stets positiven Gröfsen unverändert bleibt, so wird nach 
einem bekannnten Satze ihre Summe M den kleinsten Werth er- 
halten, wenn die einzelnen Theile derselben möglichst nahe einan- 
der gleich werden und umgekehrt, wenn M den möglichst klein- 
sten Werth erhält, werden die conjugirten complexen Zahlen, aus 
welchen diese Summe zusammengesetzt ist, möglichst nahe einan- 
der gleich werden. Da die möglichst nahe Gleichheit der Werthe 
dieser conjugirten complexen Zahlen, die wesentlichste Bedingung 
der Einfachheit der complexen Zahl /(«) ausmacht, so definire ich: 


Unter allen complexen Zahlen /(«), welche nur durch hin- 
zugefügte Einheiten sich unterscheiden, soll diejenige als 
die einfachste betrachtet werden, für welche die Summe 
M der mit f(«) f(«”') conjugirten » complexen Zahlen 
den kleinsten Werth erhält. 


Nimmt man 
I(«) =a+t+a,@e + VE Zi RE NENCe N 
so erhält man für die Summe M folgenden Ausdruck 
2M = r(a?+a?7+a3-++a3_1)’— (ata,+Q3+""+a,_,ı)” (10.) 


m. vergl. meine Abhandlung in Lionvilles Journal Bd. XVI p 442, 
welcher auch so dargestellt werden kann: 


414 Gesammtsitzung 


2M = (a—a,)’+ (a—a,)’+(a—a;)’+ + (u — die 
+(a, —4,)’+(a, —a;)’+ (are 
By vis 


+(0a,_3— 4,_ı)"- 


Man hat daher mit der obigen Definition vollkommen übereinstim- 
mend auch die folgende: 
Unter allen complexen Zahlen, welche nur durch hinzuge- 
fügte Einheiten sich unterscheiden, soll diejenige als die 
einfachste betrachtet werden, für welche die Summe der 
Quadrate der Unterschiede je zweier ihrer ? Ooöäfficienten 
den kleinsten Werth hat. 

Die Aufgabe für eine gegebene complexe Zahl f(«) die ein- 
fachste Form zu finden, d. h. eine Einheit E(«) von der Art zu 
finden, dafs für E(«) f(«) die Summe der Quadrate der Differen- 
zen je zweier Co£fficienten den kleinsten Werth erhalte, wird nun 
durch folgende direkte Methode gelöst: 

Es sei e,,e3, 3, ...e„_, ein System von Fundamentalein- 
heiten, so dafs jede beliebige Einheit sich in der Form 

De lo2e 1. ee] 
darstellen läfst, so handelt es sich darum die Exponenten &, , &2, 
..2u-ı So zu bestimmen, dafs 


eri es: alerts Pe I («) — f(x) (12.) 


die einfachste Form erhalte. Es wird nun, weil die Einheiten un- 


1 


verändert bleiben, wenn « in «”' verwandelt wird 


er ei”? ...e, 1 le) )—Sla)f@ ) 
und wenn die Logarithmen genommen werden: 
& Kei) + alle) + + 21 lle-ı) (13.) 
= IFA) - IF) 


er o 2 k—1 
welche Gleichung, da statt der Wurzel « auch «?, @” ,„... «? 
genommen werden kann, ein System von «% Gleichungen repräsen- 


vom 16. Juni 1870. 415 


tirt, von denen jedoch nur « — ı unabhängig sind, da die Summe 
aller #-Gleichungen identisch 0 —= 0 ergiebt. 

Wenn man nun vorläufig darauf verzichtet, dafs die Gröfsen 
21, 825... 20, ganze Zahlen sein sollen, so kann man dieselben 
so bestimmen, dafs die numerischen Werthe der # conjugirten com- 
plexen Zahlen 


NER Keane... 2a? )f@ 77.) a2) 


nicht nur möglichst nahe, sondern sogar vollständig einander gleich 
werden, dafs also, da ihr Produkt gleich der Norm N/f(«) ist, jede 


ER 
derselben den Werth VNf@) erhält. Man erhält so zur Be- 
stimmung der »—1ı Gröfsen &,,%2,... &,_, ein System von #—1 
unabhängigen lineären Gleichungen, welches durch 


%ı I(ei) + 2,1(eg) + + 2,-ıllei_,) 


1 (15.) 

= ZINf) — FFC") 
repräsentirt wird, wo die Einheitswurzel « die # — 1 verschiede- 
nen Werthe @,a”,«””... «”"”' annimmt. Da nun die aus die 


sem Systeme von »— 1 unabhängigen lineären Gleichungen zu be- 
stimmenden, nicht ganzzahligen Werthe der Gröfsen x, , &3 , ... en 
die vollständige Gleichheit der % conjugirten complexen Zahlen (14) 
ergeben, so wird man die nahe Gleichheit derselben und somit 
einen sehr kleinen Werth ihrer Summe M erlangen, wenn man für 
die Exponenten &,,%2,... 2,_ı diejenigen ganzen Zahlen nimmt, 
_ welche diesen gefundenen nicht ganzzahligen Werthen am nächsten 
liegen, namentlich diejenigen, welche sich nur um weniger als eine 
halbe Einheit von ihnen unterscheiden. Man kann jedoch nicht 
mit Sicherheit darauf rechnen, dafs man durch Multiplikation der 
‚complexen Zahl f(«) durch die nach dieser Methode bestimmte 
Einheit die absolut einfachste Darstellung derselben erhält, für 
welche M den absolut kleinsten Werth hat, sondern nur darauf, 
dafs man eine Darstellung der complexen Zahl erhält, welche der 
absolut einfachsten sehr nahe liegt. 

Der mehr oder minder günstige Erfolg dieser Methode set 
nothwendig auch von der Wahl des Systems der Fundamentalein- 
heiten ab, durch welche die zu findende Einheit ausgedrückt wird. 


416 Gesammtsitzung 


Aus dem Systeme der Gleichungen (13) ersieht man unmittelbar, 
dafs diejenigen Fundamentaleinheiten die vortheilhaftesten sein wer- 
den, für welche kleine Änderungen der Gröfsen &1,%33 ... 2,1 
nur möglichst kleine Änderungen der Werthe von +INf(«) 
— f(a)f(«”') zur Folge haben und dies ist offenbar der Fall, 


wenn die Grölsen 
Le) Leg) „ern allen 


und ihre conjugirten die möglichst kleinsten Werthe haben, d.h. 
dem Werthe 0 möglichst nahe kommen. Hieraus folgt, dafs die 
Quadrate der zu Grunde zu legenden Fundamentaleinheiten und 
der ihnen conjugirten, welche zum Theil gröfser und zum Theil 
kleiner als Eins sind, alle dem Werthe Eins möglichst nahe liegen 
müssen, dafs also für eine jede dieser Fundamentaleinheiten die 
oben mit M bezeichnete Zahl den möglichst kleinsten Werth er- 
halten mufs, dafs also diejenigen Fundamentaleinheiten zu wählen 
sind, welche in dem oben definirten Sinne selbst als die einfachsten 
anzusehen sind. 

Da man in der Theorie der hier behandelten complexen Zah- 
len bis jetzt noch in keinem einzigen Falle ein fundamentaleres 
System unabhängiger Einheiten kennt, als das der conjugirten 
Kreistheilungseinheiten, so wird man für jetzt nothwendig nur 
ein solches zu Grunde zu legen haben; aber auch diese werden 
nach dem oben Bemerkten nicht alle gleich vortheilhaft sein, und 
man wird in jedem Falle denjenigen den Vorzug zu geben haben, 
für welche die Zahl M, also. die Summe der Quadrate der Diffe- 
renzen je zweier Coöfficienten den kleinsten Werth erhält. In dem 
Falle, wo 2 eine primitive Wurzel der Primzahl ?% ist, hat man 
das unabhängige System der zu «+ «7' conjugirten Einheiten zu 
wählen, für welches die Zahl M den Werth —2 hat; wenn #3 
die kleinste primitive Wurzel von A ist, so hat man die zul+« 
3 —3) 


+ a”! conjugirten Einheiten zu wählen, für welche M= 


ist u. S. w. 

Das System lineärer Gleichungen, durch welche die Exponen- 
ten &ı 5 &g 5 +... tu, bestimmt werden, hat in dem Falle, wo ein Sy- 
stem conjugirter Kreistheilungseinheiten zu Grunde gelegt wird, 
eine sehr einfache Auflösung. Nimmt man | 


] 


vom 16. Juni 1870. 417 


(1 a ar (1 BAT er) 


Tea de u 


ne 
en ST 


wo =, eine primitive Wurzel der Primzahl ?% ist, so bilden 
e, eı; (2) vo en 1 


ein System conjugirter Kreistheilungseinheiten, welches, da unter 
denselben nur die eine Gleichung 


e.6,1.6a ...o en—ı =. 1 


besteht, ein System von x —ı unabhängigen Einheiten ist. Nimmt 
man nun 


ee wor or ı (17.) 
1 2 Rk—1 


als die Einheit mit welcher /(«) zu multiplieiren ist, damit es in 
der einfachsten Form dargestellt werde, so kann man ohne diese 
Einheit zu ändern die #»-Exponenten x, &ı,... 2" alle um eine 
und dieselbe Gröfse vermehren oder vermindern, sodafs einer der- 
selben, oder wenn man will die Summe aller unbestimmt bleibt 
und beliebig gewählt werden kann. Setzt man nun zur Verein- 


fachung 
2 1 yı -yh 
Ka), INS) -IGAN FEN) = An; 
so hat man folgendes System von Gleichungen: 


| 
SEE EN U RE 
Er Baylhn, Tr EU = As, (18.) 


| 
ha 


RE eo Ar Eng, 1 — Auch, 


wo 


| 


0 
0 


ee +2) +2 ++ 821 


(19.) 
lebe el Se 


| 


ist, sodals nur # — 1 dieser #-Gleichungen von einander unabhän- 
gig sind und eine derselben eine Folge der übrigen ist. Bezeich- 
net man nun mit 2 eine primitive Wurzel der Gleichung 


418 Gesammtsitzung 


&=1, 


als welche 


Ir 


Sg) 


r 
z„ = c0 


gewählt werden soll, so erhält man durch Multiplikation dieser 

lineären Gleichungen mit 1, 2%, £?*... ZU% und Addition: 

(: re, eh rue Ne: an x, Q* RE za 
—— A — A, Q — er + A, ger=DR 


also 


ct, Org, —- » a Dr BR 


AROMA Eee 
TREE or 


und hieraus, wenn man mit 0** multiplieirt und für = 1, %,- .4—1 
die Summe nimmt: 


S Rz! @rh (A Lip @hA, oe NE EN 
IE DI Me a me 
i j e+ ERz, + + ERTUh,,_, 


(20.) 


wo S=2-+4%, ++ %,-ı die Summe aller Exponenten be- 
zeichnet, welche, wie oben gezeigt worden ist, beliebig gewählt 
werden kann. Hieraus folgt weiter, dafs die Werthe der Expo- 
nenten £, &, 5°" &,_ı in folgende Form gesetzt werden können 


| 


M&C S + CA+(,4ı + "+ (,-14,-ı 
na =S+ (14+0(;,4, ++ 0(0A,_ı 

: (21.) 
Hau =S + („1 d+ CAı + +03 duı: 


Die Coöfficienten C,C,,... 0% sind in realer Form durch fol- 
genden Ausdruck gegeben 


2nhr ‚.2anhz 
‚cos —.b, I sn ..%, 


er Z 14 (22.) 
eos, er 
Arladan Ba H2 


& oh: — N + BurDdberı — E, + iE, 0 


vom 16. Juni 1870. 419 


Die Summen von » — 1 Gliedern, durch welche die (',C, ... C,_ı 
zu berechnen sind, reduciren sich auf die Hälfte der Glieder, weil 
je zwei vom Anfange und Ende gleich abstehende Glieder einander 
gleich sind, welches daraus folgt, dafs 


2n(u — h)r 2nhr 
Ba, = EB, cos (>) = 008 —— ; 
23 7 
.. an(lu —h)r 18 olnıhrz 
„hr Ei sin u ei = — sin —— » 
73 [4 


Da die Gröfse S in dem Ausdrucke (22.) ganz beliebig ge- 
wählt werden kann, oder, was dasselbe ist, da man die Werthe 
der &, &1, ... £u—ı alle gleichzeitig um eine und dieselbe beliebige 
Grölse vermehren und vermindern kann, ohne das Resultat zu än- 
dern, so folgt, dafs es nicht blofs ein einziges bestimmtes System 
von ganzzahligen Werthen dieser Exponenten giebt, welche sich 
von den gebrochenen Werthen um weniger als eine halbe Einheit 
unterscheiden, sondern dafs es im Allgemeinen « solcher Werth- 
systeme giebt, welche man mit gleichem Rechte wählen könnte. 
Unter diesen hat man daher schliefslich noch dasjenige auszusu- 
chen, welches den kleinsten Werth der Summe M ergiebt. 

Nach dieser Methode habe ich nun für die oben gegebene 
complexe Zahl, welche die neunte Potenz eines idealen Primfaktors 
von p = 311 für X = 31 giebt, die nöthigen Rechnungen vollstän- 
dig ausgeführt und gefunden, dafs dieselbe folgende sehr einfache 
Form annimmt. 


Pla —= 2 x — 2a? — 2a — at + 2a +ad x — a8 
za +3al a oa tat — al +20 x 23.) 
—+ 2018 + «19 + «20 2 2322023 


— «26 + 327 + 2238 + 329 + 239, 


Aus der bei (8.) gegebenen schon etwas vereinfachten Form erhält 
man diese einfache durch Multiplikation mit der Einheit 


EA 00 933,999 5405 
E= eejejegeges egezeses eiı ia iz a > (24.) 
wo 
h Zyl 
e,=1-+.? —tß ER 


420 Gesammtsitzung 


Aus der bei (7.) gegebenen, ursprünglich gefundenen Form geht 
dieselbe einfache Form hervor durch Multiplikation mit der Einheit 


Zt 2 DB SE Te a angdead: Ag 
E = erejeyezyegez ee eg ey 11 i2tistia (25.) 


Die Zahl M, durch welche der Grad der Einfachheit der com- 
plexen Zahl bestimmt wird, ist für die ursprüngliche Korm (7) 
M — 96625316, für die etwas vereinfachte Form (8.) M = 8039 
und für die einfache Form (23.) M = 987. Wenn durch Multipli- 
kation mit Einheiten die Theile der Summe M nicht blofs ange- 
nähert, sondern vollständig gleich gemacht werden könnten, so 


würde der Werth des M sich bis auf VN/() herabbringen las- 
15 
sen, also in denı vorliegenden Falle bis auf Val) = 496, 621... 
Bei Ausführung der numerischen Rechnungen mit Hülfe der 
Losarithmen hat man nur denjenigen Grad der Genauigkeit einzu- 
halten, welcher dafür bürgt, dafs die gefundenen Werthe der Ex- 
ponenten &,%1,...2,—, in den Ganzen, Zehnteln und Hunderteln ge- 
nau erlangt werden, es werden also im Allgemeinen Logarithmen- 
tafeln von einer sehr geringen Stellenzahl ausreichen. Es tritt 
aber, wenn die ursprünglich gegebene complexe Zahl f(«) wenig 
einfach ist, allemal der Umstand ein, dafs von den zu f(«) f(«”') 
eonjugirten complexen Zahlen, deren Werthe man berechnen muls, 
eine oder einige aufserordentlich klein werden, wodurch ihre Be- 
rechnung und die Berechnung ihrer Logarithmen, welche man auf 
einige Stellen genau kennen mufs, aufserordentlich mühsam wer- 
den würde, wenn man ihre Ausdrücke als Summen von % +1 
Gliedern zu Grunde legen wollte. Bei der Durchführung der 
Rechnung, deren Resultat ich hier gegeben habe, liefs sich diese 
Unzuträglichkeit dadurch vermeiden, dafs bei der Berechnung die- 
ser Zahlenwerthe nicht die entwickelte Form (7.), sondern die un- 
entwickelte gebrochene Form (4.) zu Grunde gelegt wurde. 
Schliefslich bemerke ich noch, dafs diese Methode der Reini- 
gung der complexen Zahlen von den sie behaftenden Einheiten 
ohne Schwierigkeit auch auf die nicht aus den Einheitswurzeln 
selbst, sondern aus den Perioden gebildeten complexen Zahlen sich 
anwenden lälst. 


vom 16. Juni 1870. 421 


Hr. W. Peters las über Propithecus Deckenii, eine 
neue Art von Halbaffen aus Madagascar. 


Als mir die zoologischen Sammlungen, welche der unglück- 
liche Baron C. von der Decken hinterlassen hatte, zur Bearbei- 
tung übergeben wurden, war mir nur eine einzige Art der Gattung 
Propithecus mit Bestimmtheit bekannt, und auch diese, Pr. diadema, 
kannte man nur unvollkommen nach jungen Exemplaren. Erst im 
vorigen Jahre hatte ich durch die Zuvorkommenheit der Hrn. Ed- 
wards Gelegenheit, die schöne Reihe von Pr. Verrauxi Gran- 
didier in Paris zu untersuchen und mich von ihrer Eigenthüm- 
lichkeit zu überzeugen, und ganz neuerdings hat unsere Sammlung 
ein ausgewachsenes Exemplar von dem wahren Pr. diadema Ben- 
nett erworben, wodurch eine genauere Vergleichung dieses letzte- 
ren mit den durch Hrn. von der Decken in Kanatzi erlegten 
Exemplaren ermöglicht wurde. Diese hat gezeigt, dafs die letzte- 
ren nicht allein durch den Mangel jeder schwarzen Färbung der 
Kopfhaare und der Hände, sondern auch durch mehrere Eigen- 
thümlichkeiten im Zahn- und Schädelbau von dem ächten Pr. dia- 
dema abweichen und einer besondern Art angehören, welche ich 
dem Entdecker zu Ehren benannt habe. 

Propitheceus Deckeniü n. sp. 
Propithecus diadema Peters, C. von der Deckens Reisen IU.1. p.3 Taf. I. 
(non Bennett). 
Indris diadema St. George Mivart, Proceed. zool. soc. Lond. 1867. 
p- 247 Taf. XVIII. (Schädel eines jungen Thiers.) 

Behaarung der Hände und des Kopfes von der gelblichweis- 
sen Färbung des übrigen Körpers, Lendengegend nnd Weichen bei 
einem alten Weibchen grau angelaufen, bei einem jungen Weibchen 
einige Nackenhaare mit schwarzen Spitzen. Gesicht schwarz mit 
weilslichem Fleck auf der Nase oder auf dem Schnauzenrücken. 
Schwanz so lang oder länger als Kopf und Rumpf zusammenge- 
nommen. 

Pr. diadema ist im ausgewachsenen Zustande ein gröfseres 
Thier, hat, wie es die neuerdings nach Europa gebrachten Exem- 
plare zeigen, in der That constant einen viel kürzeren nicht bis zu 
den Hacken reichenden Schwanz und ist auch durch die Färbung 
sehr verschieden. 

Zur Vergleichung des Gebisses und Schädels liegt mir der 
Schädel eines ausgewachsenen weiblichen Prop. diadema, die Schä- 


422 Gesammtsitzung 


del eines alten und eines sehr jungen weiblichen und der von 
Hrn. Mivart beschriebene und abgebildete Schädel eines Exem- 
plars unbestimmten Geschlechts von Pr. Deckenii vor. 

Was das Gebils anbelangt, so stimmen swohl die oberen wie 
die unteren vorderen Backzähne beider Arten so sehr mit einander 
überein, dafs sich keine wesentliche Verschiedenheit daraus ent- 
nehmen läfst. Dagegen sind sowohl die beiden letzten Backzähne 
oben und unten, wie auch die Schneidezähne beträchtlich gröfser 
bei Pr. diadema als bei Pr. Deckenii, wie dieses auch sogleich bei 
einer Vergleichung der Mivartschen Abbildungen mit der Blainville- 
schen in die Augen springt und wie es die folgenden Mafse der 
beiden alten Schädel deutlich zeigen. 

Pr. diadema Pr. Deckenüi 


Länge des vorletzten oberen Backzalıns . 02008 070065 

R: „ letzten n 5 070058 00041 

5 „ vorletzten unteren 4 070075 070063 

2 „ letzten n B 00075 00063 

- „ ersten oberen Schneidezahns . 0m0064 00036 

> „ zweiten „ 5 070035  0%003 

Breite des unteren Eckzahns . -0=20037-. 020029 
Breite der beiden unteren Eck- und SEREe: 

zähne zusammen 00095 02007 

Distanz der oberen Eckzahnspitzen 0R0LI5 0,016 


Pr.VerreauxiiGrandidier (Album de Pile: dela Reunion. 1867.) hat, 
nach der Abbildung zu urtheilen, dieselbe Gröfse der Backzähne 
wie Pr. diadema, indem die Reihe der oberen Backzähne 0031 
(bei Pr. Deckenii 0%283) lang ist, aber die kleineren Schneidezähne 
von Pr. Decken. 

Was den Schädel anbelangt, so sind, bei im Allgemeinen glei- 
cher Gröfse, besonders folgende Unterschiede zu bemerken. Bei 
Pr. Decken ist die vordere Nasenöffnung merklich gröfser, die 
Schnauze daher sowohl in senkrechter als in querer Richtung ne- 
ben jener mehr aufgetrieben und zugleich sind die Nasenbeine 
platter, im Ganzen breiter und weniger nach hinten ragend; die 
Stirngegend ist flacher und ohne merkliche Seitengruben über den 
weniger hervorspringenden Supraorbitalbögen; das Foramen lacry- 
male liegt dem Rande der Orbita näher und das Os lacrymale bil- 
det hinter und über demselben eine Crista; die Orbita ist kleiner 
und ihr Abstand von dem dritten Backzahn gröfser als bei Pr. 


vom 16. Juni 1870. 423 


diadema. Über dem Thränenbein findet sich bei Pr. Deckenii eine 
auffallende supraorbitale Einbuchtung, während dieselbe bei Pr. dia- 
dema viel mehr abgeflacht ist. Der Postorbitalfortsatz des Stirnbeins 
ist breiter und sowohl der Oberkieferjochfortsatz “als der Jochbogen 
sind höher und der letztere ist mehr nach aufsen gebogen als bei 
dieser Art. Der Gaumen und der Hirnschädel über der Wurzel des 
Schläfenjochfortsatzes sind etwas schmäler als bei Pr. diadema. Die 
Choanen und der Abstand des letzten Backzahns von den Gehörbullen 
sind gröfser, die letzteren selbst aber kleiner. Die Ala interna des 
Keilbeins ist merklich breiter und daher ist die Entfernung der 
Hamuli pterygoidei von den Gehörbullen viel geringer als von dem 
hintersten Backzahn, während bei Pr. diadema das Umgekehrte 
statt findet und die Hamuli pterygoidei den Backzähnen viel mehr 
genähert sind. Auch ist die Unterseite des Keilbeinkörpers ganz 
flach, während sie bei Pr. diadema einen mittleren erhabenen Längs- 
kiel bildet und endlich ist der für die Indris characteristische un- 
tere Ausschnitt des Schläfenjochfortsatzes neben der Kiefergelenk- 
‚grube merklich kleiner. Der Unterkiefer von P, Deckeni hat eine 
längere Symphyse, ist sowohl in seinem horizontalen als in seinem 
aufsteigenden Theile höher und in diesem letztern auch breiter, 
aber von der Basis des Schneidezahnes bis zur Mitte des hintern 
Randes etwas kürzer als der von Pr. diadema. 

Bei den folgenden Mafsen der beiden alten weiblichen Schädel 
ist zu bemerken, dafs an dem von Pr. Deckenii der obere Theil 
des Hinterhaupts fehlt und daher die a desselben nicht 
angegeben werden kann. 


Pr. diadema Pr. Deckenü 
Totallänge . . ; 24000873 — 


Distanz vom hintern Br a se 
bis zum vordern Ende des Zwischenkieferss 090765 02075 


Breite der vordern Nasenöffnung . . . . 0m9118 07013 
Breite der Schnauze über dem ersten Back- 

zahn neben der Nasenöffnung . . . . 09020 00215 
Höhe der Schnauze nebst dem ersten Back- 

zahn neben der Nasenöffnung . . . . 0”023 0%0255 
Länge der Nasenbeine . . . 2. ...2....0m022 07016 
Breite beider Nasenbeine zusammen in der 

Biniter, . . 5 er 00082 
Gröfster Beiinehse ae Orbita . .0:2000247 070232 


[1870] 30 


424 Gesammtsitzung 


Orbitaldistanz . - -» 


Abstand des untern Orbitalrandes von dem 
dritten Backzahn 


Höhe des Oberkieferjochfortsatzes in der 
Mitte 


Höhe des Jochbogens in der Mitte 
Breite des Postorbitalfortsatzes in der Mitte 


Breite des Schädels über der Wurzel des 
Schläfenjoehfortsatzes lest 


Gröfster Abstand der Jochbögen . 
Länge des Gaumens 


- Breite des Gaumens zwischen den vorletz- 
ten Backzähnen . . -» -» 


Abstand des letzten Backzahns von der Ge- 
hörbulla e n 


Abstand des letzten Backzahns von dem 
Hamulus pterygoideus 


Höhe der Choanen . » : ne. 
Breite des Proc. pteryg. int. in der Mitte . 
Längsdurchmesser der Gehörbulla 
Länge des Unterkiefers von der Basis der 
Schneidezähne bis zur Mitte des hintern 
Bandes. 3 tn el neaha- me 
Länge der Symphyse des Unterkiefers . 
Höhe des Unterkiefers unter dem vorletzten 
Backzahn? . ver. a oe u ae. 
Höhe von dem untersten Theil des Unter- 
kieferwinkels bis zum Gelenkhöcker . 
Längsdurchmesser des senkrechten Unter- 
kiefertheils über den Backzähnen . 


Pr. diadema 


090187 
090105 
0m0093 
070064 
0m006 

0m045 

0m0575 
0m033 

0m0195 
0m0175 
0m0055 
0m0065 


0mM0046 
0m0153 


00583 
000217 
070108 
0m034 


0m020 


Pr. Deckenir 
0”0178 


0m012 
090102 
0m0084 
000075 
0m043 
0m059 
0m0315 
0m017 
00195 
0m011 
0m008 


000073 
0mO14 


0m0565 
0m024 

0m0143 
0m0387 


070225 


Der Schädel von Pr. Verrauxü steht, nach der Abbildung zu 


urtheilen, 


durch die Form des Unterkiefers und die Höhe des 


Jochbogens dem Pr. Deckenü, durch die geringere Höhe des 
Schnauzenendes und die Lage des Foramen lacrymale dem Pr. 
diadema näher. Jedoch würde eine genauere craniologische Unter- 
suchung sowohl von Pr. Verrauxü wie von dem neuerdings bekannt 
gewordenen Pr. demanus Pollen sehr wünschenswerth sein. 


vom 16. Juni 1870. 425 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 

Comptes rendus de l'academie des sciences. Vol. 69, no. 12—26. Vol. 70, 
no. 1—19. Paris 1869—70. 4. 

Göteborgs Vet. Samhälles Handlingar. Häftet X. Göteborg 1870. 8. 

Münchener Sitzungsberichte. 1870. I. Heft 2. 

Proceedings of the London Mathematical Society. no. 21—24. London 
1870. 8. 

Quarterly Journal of the Geolegical Society. XXV, 4. London 1869. 8. 

Proceedings of the Royal Geographical Society. XVII, no. 5. London 
1869. 8. 

Zehnter Bericht der Gesellschaft in Offenbach. - Offenbach 1869. 8. 

Sands, Aeports on the Total Solar Eclipse. Aug.7. 1869. Washington 
1869. 4. 

Poncelet, Introduction & la mecanique industrielle. Ed. III. Paris 1870. 8. 


23. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Braun theilte eine Abhandlung von Dr. Leopold Kny 
über die Morphologie von Chondriopsis cerulescens 
Crouan und die dieser Alge eigenen optischen Erschei- 
nungen mit. 

Unter den Florideen der Bucht von Palermo ist Chondriopsis 
ceerulescens ') Crouan durch die Pracht ihres Farbenspieles in ho- 
hem Grade ausgezeichnet. Bei heller Witterung sieht man schon 
aus grölserer Entfernung die dichten Büschel, welche die Kalk- 
felsen der Küste wenig unterhalb des mittleren Wasserniveaus 
(oft streckenweise) überdecken, in lebhaft stahlblauem Licht er- 


!) Diese Pflanze wurde von den Brüdern Crouan an der Küste der 
Bretagne entdeckt und in ihren Alg. mar. Finist. edir. Nach einer gefäl- 
ligen brieflichen Mittheilung von Hrn. Thuret ist sie an der atlantischen 
Küste von Frankreich mehrfach beobachtet worden; sie ist sehr häufig bei 
Biarritz und geht nördlich bis St. Vaast-la-Hougue. Aus dem Mittelmeer ist 
sie meines Wissens noch nicht bekannt geworden. Hr. L. Crouan hatte 
die Güte, die Identität der Art an einem ihm übersandten Exemplar zu con- 
statiren. ek 


30* 


426 Gesammtsitzung 


glänzen. Betrachtet man einzelne, noch mit Seewasser benetzte 
Exemplare bei auffallendem Licht genauer, so sieht man den 
blauen Metallglanz an vereinzelten Punkten in ein schönes Grün, 
an anderen Stellen in eine violette Nuance übergehen und gegen 
die Astspitzen sich allmälig in einen mattgrauen Ton auflösen. 
An älteren Stammgliedern tritt die Erscheinung im Ganzen viel 
weniger lebhaft hervor. Bei durchfallendem Licht besitzen alle 
erwachsenen Theile der Pflanze eine schmutzig blafsrothe Färbung; 
an den Astspitzen zeigt dieselbe einen Stich in’s gelbliche. 

Entwickelte Exemplare, wie ich sie im Laufe des April und 
Mai 1870 in der Nähe des alten Hafens sammelte, sind etwa 
3—4 Zoll lang und reich büschelförmig verzweigt. Das Stämm- 
chen ist seiner gesammten Länge nach eylindrisch; die von ihm 
entspringenden Äste, besonders aber die Auszweigungen höheren 
Grades, sind am Grunde deutlich verschmälert. Die jüngsten noch 
unentwiekelten Zweige besitzen Keulenform. Über die glatte Ober- 
Aäche des Thallus treten flach-warzenförmige Narben hervor, die, 
zusammen mit den Ursprungsstellen der Zweige, eine fortlaufende 
Spirale bilden. Sie bezeichnen die Stelle abortirter oder abge- 
fallener Zweige. Das Stellungsverhältnifs fand ich an einer grölse- 
ren Anzahl von Exemplaren ziemlich genau #. 

Untersucht man einen der jüngeren Zweige bei schwacher 
(etwa 50—100 facher) Vergröfserung und mittlerer Einstellung, so 
erkennt man unschwer eine Gliederung. Ober- und unterhalb der 
Medianebene wird dieselbe undeutlicher und verrchwindet an der 
äufsersten Rindenschicht vollkommen. Der Vergleich von Längs- 
und Querschnitten erweist, dafs jedes Glied seiner gesammten 
Länge nach aus einer grofsen Centralzelle und 5 um sie geordne- 
ten Zellen von annähernd gleichem Querdurchmesser zusammenge- 
setzt ist. (Fig. 1 nnd 2). Letztere alterniren in den aufein- 
anderfolgenden Gliedern regelmäfsig miteinander. Auf die 5 
peripherischen Zellen folgen ein bis zwei Schichten engerer und 
kürzerer Zellen von unbestimmter Zahl und regelloser Unord- 
nung, die nicht überall lückenlos aneinanderschliefsen. Nach aufsen 
wird der gesammte Zellkörper von einer continuirlichen, aus noch 
kleineren Zellen zusammengefügten Rindenschicht umschlossen. 
(Fig. 2). 

Es ist nicht ganz leicht den Ursprung der verschiedenen Ge- 
webselemente im Vegetationspunkt zu ermitteln, da dieser in einer 


vom 23. Juni 1870. 427 


napffürmigen Vertiefung der Stammspitze eingesenkt liegt. Die 
Terminalzelle nimmt den Scheitel eines schlanken Kegels ein, der 
sich aus der Mitte der Einsenkung bis fast zur Höhe des Walles 
erhebt. (Fig. 1). Durch Behandlung mit Ätzkali, unter gleich- 
zeitiger Anwendung eines mälsigen Druckes, gelingt es zuweilen, 
den Vegetationspunkt aus der Vertiefung hervorzustülpen (Fig. 4). 
Man erkennt dann aufs deutlichste, dals sich die Scheitelzelle durch 
die wiederholte Bildung horizontaler, einander paralleler Scheide- 
wände verjüngt. Bevor die flach-scheibenförmigen Gliederzellen 
weitere Theilungen eingehen, sieht man ihre Seitenwandung sich 
an einer bestimmten Stelle hervorwölben (Fig. 4 u. Fig. 6 beia). Es 
ist dies die erste Anlage der für Chondriopsis und Polysiphonia 
charakteristischen pseudodichotomen Haare, von Nägeli ihres be- 
grenzten Wachsthums wegen als Blätter gedeutet. Bald nach 
ihrem ersten Auftreten gliedern sie sich durch eine schräge Wand 
von ihrer Mutterzelle ab (Fig. 3 bei a.)'). Nach oben setzt sich 
diese Wand der horizontalen Querwand der Gliederzelle auf; nach 
unten trifft sie wenig oberhalb derselben. Erst nachdem sich die 
Anlage des pseudodichotomen Blattes abgesondert hat, beginnt die 
Gliederzelle durch eine Reihe von Längswänden sich in eine 
centrale und 5 peripherische Zellen zu theilen (Fig. 6 bei b.). 
Die erste dieser Längswände entsteht genau unterhalb der jungen 
Haaranlage; von da schreitet ihre Bildung wahrscheinlich, wie 
bei Polysiphonia”), nach beiden Seiten fort, um auf der gegen- 
überliegenden Seite zum Abschlufs zu gelangen. Eine direkte Ver- 
folgung dieser Theilungen hat mir bei der grofsen Schwierigkeit, 
Querschnitte durch den eingesenkten Vegetationskegel herzustellen, 
nicht gelingen wollen. 

Während die Centralzelle eines jeden Gliedes zur Dauerzelle 


1) Ähnlich, wie bei den Landmoosen; hier wird indefs durch den er- 
sten Theilungsschnitt in jedem Segmente die Mutterzelle des Blattes sammt 
eines Theiles des äulseren Stammgewebes abgetrennt, cf. Pflanzen- 
physiologische Untersuchungen von Nägeli und Cramer 1 Heft p. 76 
und Leitgeb, Wachsthum des Stämmchens von Fontinalis antipyretica 
(Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1868) p. 3, wo die einschlägigen 
Angaben der Litteratur besprochen sind. 

2) ef. Nägeli in dessen Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik, Heft 
III u. IV p. 209. 


428 Gesammtsitzung 


wird, treten in den peripherischen Zellen eine Reihe weiterer, un- 
ter sich übereinstimmender Theilungen auf. Die erste Wand ist 
schräg nach innen und nach abwärts gerichtet; sie setzt sich einer- 
seits der freien Aufsenwand, andererseits der unteren Querwand 
an und trennt eine kleinere, im Seitenprofil dreiseitige Zelle von 
einer gröfseren, fünfseitigen ab (Fig. 6 bei d). In letzterer folgt 
bald darauf eine der Aufsenfläche parallele Wand, welche den klei- 
neren, nach aufsen gelegenen Theil als selbstständige Zelle abglie- 
dert (Fig. 6, beie.). Die nach innen gelegene Zelle des 3zelligen 
Complexes wird nun auch ihrerseits zur Dauerzelle; jede der bei- 
den Aufsenzellen dagegen verdoppelt sich durch eine radiale Längs- 
wand. Im weiteren Verlauf wiederholt sich in ihren Tochterzellen 
der Theilungsvorgang, den wir für die Aufsenzellen ersten Grades 
beschrieben haben. Die erste Scheidewand ist ebenso, wie in die- 
sen, schräg nach innen und abwärts gerichtet (Fig. 6 bei f); in 
der oberen der beiden Tochterzellen folgt eine tangentiale Längs- 
wand, und in den neuen Aufsenzellen wechseln hiermit radiale 
Längswände ab. Damit ist das Dickenwachsthum des Stämmchens, 
soweit es eine Folge von Zellvermehrung ist, meist beschlossen. 
Die Aufsenzellen desselben Gliedes halten bei diesen Theilungen 
nicht nothwendig gleichen Schritt; gewöhnlich gehen die oberen den 
unteren um eine Stufe voran (Fig. 6, bei f.). 

Während die letzten Theilungen an der Peripherie, welche 
zur Bildung der definitiven Rindenschicht führen, vor sich gehen, 
strecken sich die fünf um die Centralzelle liegenden Zellen jedes 
Gliedes schief nach oben und aufsen (Fig. 1), wobei sich ihr seit- 
licher Zusammenhang lockert. Indem die Streckung sich in den 
nächstunteren Gliedern rasch steigert, wird die von ihnen getragene 
junge Epidermis aus der steil absteigenden Richtung, welche sie im 
Vegetationskegel zeigte, in eine entgegengesetzte umgewendet und 
zum Wall der trichterförmigen Vertiefung, in dessen Grunde der 
Vegetationskegel sich erhebt. Die wenigen Stammglieder, welche 
an der Zusammensetzung des Walles Antheil nehmen, stellen ein 
System ineinandergeschachtelter paraboloidischer Schalen dar. Wei- 
ter abwärts flachen sich dieselben rasch ab, indem die Längsdeh- 
nung in allen Zellen eine immer gleichmäfsigere wird. Die Folge 
hiervon ist, dafs die Aufsencontour des Stämmchens von Neuem 
in ihre frühere Richtung nach unten umbiegt (Fig. 1). 

Die Anlagen der pseudodichotomen Blätter, die wir aus den 


vom 23. Juni 1870. 429 


jüngsten Gliederzellen der Stammspitze hervortreten und durch eine 
Scheidewand sich abgliedern sahen, eilen dem Stämmchen in ihrer 
Entwickelung rasch voran. Nachdem sie sich bis auf das Doppelte 
ihres Querdurchmessers verlängert haben, werden sie durch eine 
Querwand zweizellig (Fig. 4 bei c.). Bald darauf stülpt sich die 
Gliederzelle dieht unterhalb der Scheidewand seitlich und zwar, 
mit Rücksicht auf das Stämmchen, in tangentialer Richtung her- 
vor und zerfällt, nachdem sich die junge Scheitelzelle von Neuem 
getheilt hat, in eine freie obere Zelle und eine untere Zelle, welche 
die Dimensionen der ursprünglichen Gliederzelle wiederholt. So- 
wohl im Hauptstrahl, als im Zweigstrahl setzt sich Wachsthum 
und Verzweigung fort. Für letztere gilt als Regel, dafs jede 
Gliederzelle (mit Ausnahme derer an den äufsersten Zweigenden 
des entwickelten Haares, welche steril bleiben) je einen Zweig- 
strahl erzeugt; dafs der erste Zweig stets auf der dem Mutterstrahl 
abgekehrten Seite entsteht und sie in den aufeinanderfolgenden 
Gliedern regelmäfsig nach rechts und links alterniren; endlich, dafs 
sämmtlichen Verzweigungen in derselben u. zw., mit Rücksicht auf 
das Stämmchen, in einer tangentialen'!) Ebene liegen. Die 
Theilungen, welche im Haupt- und Seitenstrahl gleichen Schritt 
halten, gelangen schon zum Abschlufs, während sich die Blätter 
noch am inneren Rande der napfförmig vertieften Stammspitze 
befinden. Kurz, bevor sie auf der Höhe des Walles angelangt 
sind, beginnt die Längsdehnung ihrer Zellen, die in geringer 
Entfernung unterhalb desselben schon beendet wird und ihnen die 
charakteristische pseudodichotome Gestalt ertheilt. Ebenso rasch, 
wie sie sich entwickelt haben, gehen sie auch wieder zu Grunde; 
in Entfernung der doppelten Stammdicke unterhalb der Spitze ist 
schon keine Spur mehr von ihnen zu finden. Bei ihrer frühzeiti- 
gen Zerstörung wirken, aufser den inneren, wohl auch noch zwei 
äufsere Ursachen mit; einmal die Entwickelung der sie umschlies- 
senden Rinde, deren Dehnung ihre zarte, bereits ausgewachsene 


1) Nach Nägeli (Neuere Algensysteme p. 224) ist bei den unserer 
Pflanze nahe verwandten Chondriopsis dasyphylla (Woodw.) und Ch. tenuissima 
(Good. et Woodw.) die Divergenz der aufeinanderfolgenden Verzweigungs- 
ebenen — 4, ebenso wie bei Polysiphonia (vergl. Zeitschr. f. wissensch. Bot., 
Heft IIL u. IV p. 211). | 


430 Gesammtsitzung 


Basalzelle wahrscheinlich nur noch passiv folgt und das Wachs- 
thum der in ihren Achseln entspringenden Seitenzweige.!) 

Es hat mir nicht gelingen wollen, die Seitenzweige bis auf 
ihre einzellige Anlage rückwärts zu verfolgen, da diese in der Ver- 
tiefung der Stammspitze eingesenkt liegt; doch ist es mir aus 
der Untersuchung der frühesten Zustände wahrscheinlich geworden, 
dals sie aus einer Aufsenzelle des Stammes ihren Ursprung 
nehmen. In der Jugend sind sie schlank, fast spindelförmig und 
gegen den Scheitel des Mutterastes aufgerichtet (Fig. 6). Die 
Scheitelzelle liegt frei an der Spitze und die Gliederung der Zell- 
complexe ist bis zur Basis hin leicht zu verfolgen. Die Entwicke- 
lung der untersten Glieder ist von der der folgenden in mehr, als 
einer Beziehung abweichend. Die ersten Längstheilungen, welche zur 
Bildung einer centralen und 5 peripherischer Zellen führen, heben 
hier stets auf der dem Mutterast abgekehrten Seite an (Fig. 5, 
bei a.) die weiteren Theilungen sind beschränkter, als in den spä- 
teren Gliedern und das Dickenwachsthum der Zweigbasis damit 
ein viel geringeres. Am wichtigsten ist, dafs ihnen die Fähigkeit 
abgeht, pseudodichotome Blätter zu erzeugen. Erst auf dem 6. bis 


!) Da der gesammte Verlauf ihrer Entwickelung: — die Abtrennung 
ihrer Mutterzelle durch den ersten Theilungschnitt von der Gliederzelle des 
Stammes; ihre frühzeitige Ausbildung, welche der des zugehörigen Stamm- 
gliedes voraneilt, und ihr rasches Absterben — die pseudodichotomen Haare 
als echte Blätter charakterisirt, nehme ich keinen Anstand, die dicht über 
ihrer Basis entstehenden und dem nächsthöheren Gliede angehörigen Zweig- 
anlagen als Achselsprosse zu bezeichnen. Ist diese Deutung richtig, dann 
bezeichnet Chondriopsis die tiefste Stufe des natürlichen Systemes, 
auf welcher sich Axillarknospen entwickeln. Die Gesetzmäfsigkeit 
ihrer Stellung ist gegenüber der scheinbaren Regellosigkeit, die in der Stel- 
lung der Seitenknospen unter den Moosen herrscht, höchst aufällig. (cf. 
Leitgeb Il. c. p. 23 ff. und derselbe: Wachsthum des Stämmchens und Ent- 
wickelung der Antheriden von Sphagnum p. 11). 

Während bei Chondriopsis cerulescens Cr. jedes Stammglied normal 
ein pseudodichotomes Blatt und einen in der Achsel desselben entspringen- 
den Seitenzweig erzeugt, tragen bei den Arten der nächst verwandten 
Gattung Polysiphonia die aufeinanderfolgenden Glieder ohne bestimmte Regel 
je ein Blatt oder je einen Zweig, die sämmtlich Glieder derselben Spi- 
rale sind. Dabei bleiben oft ein oder mehrere Stammglieder steril, ohne dafs 
die Schraubenlinie dieserhalb eine Unterbrechung erleidet (cf. Nägelil. c. p. 215). 


vom 23. Juni 1870. "431 


12. Gliede und zwar meist, aber durchaus nicht gesetzmäfsig, auf 
der dem Hauptstamm abgekehrten Seite tritt das erste derselben auf 
(Fig 6, bei c.; hier ist es dem Hauptstamm zugekehrt); und von 
nun an werden sie ohne Unterbrechung und, soweit ich feststel- 
len konnte, in demselben Stellungsverhältnifs (ohngefähr 2) gebildet, 
das ihre Achselsprosse oder deren Narben am entwickelten Stämm- 
chen zeigen. Mit dem Auftreten der Blätter nehmen auch die weite- 
ren Theilungen der Gliederzellen die oben beschriebene Regelmäfsig- 
keit an; die erste Längswand entsteht nun nicht mehr an der 
Aulsenseite des jungen Zweiges, sondern unterhalb der Ursprungs- 
stelle des Blattes. 

Seiner Entwickelung nach läfst sich das Stämmchen von Chon- 
driopsis coerulescens als aus einer regelmälsig verzweigten Zellreihe 
aufgebaut betrachten. Die Hauptachse des Verzweigungssystemes 
bildet die Reihe der Centralzellen sämmtlicher aufeinanderfolgender 
Glieder. Von jeder derselben entspringt ein fünfzähliger Quirl 
begrenzter Äste, die mit denen der nächst oberen und unteren 
Wirtel alterniren. Jeder Ast trägt auf seiner einfachen Basalzelle 
4 Zweige, von denen 2 gegen den Scheitel, 2 gegen die Basis der 
Pflanze gerichtet sind. Diese Verästelung wiederholt sich genau 
in der gleichen Weise, aber meist in weniger bestimmtem Zahlen- 
verhältnils, mindestens noch einmal, seltener noch zweimal. Die 
letzten, der Regel nach einzelligen Zweige legen sich mit ihren 
Nachbarinnen eng zur Rinde zusammen, während der seitliche Zu- 
sammenhang der übrigen Zellen, soweit dieselben nicht aus der 
gleichen Specialmutterzelle hervorgegangen sind, nur ein partieller 
ist und mehr oder weniger weite, mit wälsrigem Saft erfüllte Lücken 
zwischen ihnen frei bleiben. Fast immer werden diese nachträg- 
lich durch enge verästelte Fäden ausgefüllt, welche aus den inne- 
ren Zellen des Stämmchens ihren Ursprung nehmen (Fig. 2). 

Aus der Rinde der älteren Stammglieder sieht man an ver- 
schiedenen Stellen, besonders häufig auf den warzenförmigen Zweig- 
narben, Büschel einzelliger Wurzelhaare hervortreten. Dieselben 
sind Nichts, als eine Verlängerung der Aufsenzelle, der sie ange- 
hören; ihr freier, äufserer Theil ist von dem der Rindenschicht 
angehörigen inneren Theil durch keine Scheidewand getrennt. 

Alle Theile der Rinde, besonders aber die warzenförmigen 
Narben, besitzen die Fähigkeit, Adventivzweige zu erzeugen. Zu- 
weilen entstehen sie in gröfserer Zahl nebeneinander. Ebenso, wie 


452 Gesammtsitzung 


die normalen Achselsprosse, scheinen sie aus der Theilung einer 
Aufsenzelle hervorzugehen (Fig. 5). 


Chondriopsis cerulescens ist, wie die grolse Mehrzahl 
aller Florideen streng trioecisch. 

Die Tetrasporen-Exemplare sind durch zahlreiche kurze, - 
am Ende der Hauptäste zu Büscheln vereinigte Zweige kenntlich, 
die sich, aufser durch matter graue Färbung, von den vegetativen 
Zweigen in Nichts unterscheiden. Die Tetrasporen werden hier 
in gröfserer Zahl dicht unter der Rinde gebildet. Sie entspringen 
am oberen Ende der um die Centralzelle geordneten fünf periphe- 
rischen Zellen und nehmen die Stelle einer der nach aufsen ihr 
angrenzenden 4 Tochterzellen sammt dem ihr zugehörigen Rinden- 
stück ein. Ob dieselbe peripherische Zelle mehr, als eine Tetra- 
spore zu erzeugen vermag, lasse ich dahingestellt; sicher dagegen 
ist, dafs in demselben Stammgliede oft mehrere gleichzeitig auf- 
treten, welche dann verschiedenen, auf gleicher Höhe stehenden 
peripherischen Zellen angehören. Die Membran der jungen Sporen- 
mutterzelle zeichnet sich vor denen der ihr benachbarten vegetati- 
ven Zellen durch ihre grofse Quellbarkeit in Ätzkali aus. Die 
Theilung des protoplasmatischen Inhaltes erfolgt stets in tetra&- 
drischer Richtung und zwar schon in geringer Entfernung unter- 
halb der Spitze des fortwachsenden Tetrasporenastes. Nachdem 
sie vollendet ist, nehmen sämmtliche 4 Tochterzellen sammt ihrer 
Mutterzellmembran noch bedeutend an Umfang zu, ohne dafs die 
Kugelgestalt des Tetrasporeneomplexes dadurch geändert wird. 
Vor der Reife werden die Tetrasporen von der Rindenschicht des 
Stämmchens continuirlich bedeckt. Die unmittelbar über ihnen 
liegenden Rindenzellen sind meist grölser, als die ihnen benach- 
barten. 

Keimfrüchte und Antheridien habe ich nur einmal ge- 
sammelt. Leider versäumte ich diese Gelegenheit, ihre Entwicke- 
lung zu untersuchen. Nur davon überzeugte ich mich, dafs der 
Bau der Antheridien in allen wesentlichen Punkten denen von 
Chrondiopsis tenuissima (Good. et Woodw.) entspricht, welche 
Thuret (Ann. sc. nat. ser. III bot. tome 16 p. 17 ei alsnbe- 
schreibt und abbildet. Sie entstehen, wie auch bei Polysiphonia, 
durch Metamorphose der einen Hälfte eines pseudodichotomen 
Blattes und stellen einen plattenförmigen Körper von unregelmäfsig 


vom 23. Juni 1870. 4353 


ovalem Umrifs dar, auf dessen beiderseitigen Flächen die Mutter- 
zellen der Saamenbläschen entspringen. In der Mitte ist ein (nicht 
pseudodichotom-) verzweigter Zellfaden erkennbar, der das ganze 
Organ als Gerüst stützt; am Rande wird dasselbe von einer ein- 
fachen Reihe gröfserer, steriler Zellen umkränzt. Bemerkenswerth 
ist, dafs die Antheridien-tragenden Haare nicht so früh zu Grunde 
gehen, als die sterilen; sie reichen etwas weiter an den Zweig- 
enden herab und sind schon mit blofsem Auge als weifsliche 
Schüppchen an denselben erkennbar. 


Stellt man durch einen erwachsenen, deutlich blau schimmern- 
den Stammtheil unserer Pflanze eine Anzahl Querschnitte her, 
welche etwas mehr, als die Dicke eines Gliedes besitzen, so dafs 
man sicher ist, über ihre gesammte Fläche unverletzte Zellen zu 
erblicken, so überzeugt man sich leicht, dafs die Farbenerscheinung 
in ihrer vollen Lebhaftigkeit nur den Zellen der äussersten 
Rindenschicht angehört und weiter nach innen höchstens noch 
Spuren davon sichtbar sind. Schon die Betrachtung dieser Quer- 
schnitte macht es mehr als wahrscheinlich, dafs die Eigenschaft, blaues 
Licht zu reflektiren, nicht der Membran der Rindenzellen, son- 
dern ihrem Inhalt angehört. Deutlicher noch wird diefs, wenn 
man durch einen dünnen Oberflächenschnitt einen Theil der äusser- 
sten Rindenschicht abtrennt. Die Zellen derselben lassen sich dann 
sammt ihrem Inhalt bei durchfallendem Licht klar übersehen. Sie 
sind in der Richtung der Stammachse auf das Doppelte bis Sechs- 
fache ihres Querdurchmessers verlängert; ihre Scheidewände sind 
dünn und schwach wellig gebogen. Dem Primordialschlauch, wel- 
cher die Innenseite der Membran auskleidet, liegen zahlreiche Iin- 
senförmige, schmutzig - roth gefärbte Plasmakörner eingebettet. 
Weiter nach innen bemerkt man in dem das Lumen erfüllenden 
wasserhellen Zellsaft eine unbestimmte Zahl schwach körniger, 
schmutzig-blalsgelber Körper von etwas stärkerem Lichtbrechungs- 
vermögen und gerundetem, aber selten genau kugeligem Umrifs 
(Fig. 9), Hat man sich in einer bestimmten unverletzten Zelle 
über die relative Anordnung ihrer Inhaltsbestandtheile genau orien- 
tirt und schliefst das vom Spiegel des Mikroskopes zurückgewor- 
fene Licht ab, indem man gleichzeitig ein Objektivsystem benutzt, 
dessen Fokalabstand eine genügende Intensität des von oben auf 
das Objekt fallenden Lichtes gestattet, so überzeugt man sich, dafs 


434 Gesammtsitzung 


die Fähigkeit blaues Licht zu reflektiren, ausschliefs- 
lich den bla[s-gelblichen Inhaltskörpern eigen ist. Da- 
mit hängt es zusammen, dafs man bei Anwendung schwacher Ver- 
grölserungen den Zellinhalt nicht gleichmäfsig, sondern an ge- 
wissen Stellen besonders lebhaft in stahlblauem Licht erglänzen 
sieht und dafs die zu einem Maschennetz vereinigten dunklen Li- 
nien, welche die beleuchteten Zelllumina von einander abgrenzen, 
nicht nur die Dicke der Scheidewand zwischen den einzelnen Ober- 
hautzellen, sondern auch die ihnen anliegenden zwei Primordial- 
schläuche nebst einem Theil des wässerigen Zellsaftes begreifen. 

Diejenigen Zellen des Präparates, welche durch den Schnitt ver- 
letzt wurden, bleiben bei auffallendem Licht vollkommen dunkel. 
Bei näherer Untersuchung zeigt sich, dafs jede Spur der gelblichen 
Inhaltskörper in ihnen verschwunden ist. Das von aulsen einge- 
drungene Seewasser hat dieselben offenbar gelöst. 

Legt man dünne Oberflächenschnitte, deren Rindenzellen gröls- 
tentheils unverletzt sind, in sülses Wasser, so sieht man, gleich- 
zeitig mit dem Austritt des rothen Farbstoffes aus den Plasma- 
körnern des Wandbeleges, die gelben Inhaltskörper sich allmälig 
lösen. Die Lösung erfolgt von aulsen nach innen und ist 
meist schon nach 2—3 Stunden beendet. Auch nachdem die Kör- 
_ per schon sehr klein geworden, besitzen die Zellen immer noch, 
wenn auch in geringerem Grade, die Fähigkeit, blaues Licht zu 
reflektiren: ein Beweis, dals die Eigenschaft, jene Farbenerschei- 
nung hervorzurufen, allen Theilen der Inhaltskörper, auch den in- 
neren, zukommt. 

Ätzkali löst die Körper wenige Sekunden, nachdem es die 
röthlichen Plasmakörner grasgrün gefärbt. Auch nach dieser Um- 
färbung wurden, wie ich mich auf das Bestimmteste überzeugt 
habe, bei auffallendem Licht die blauen Strahlen mit derselben Leb- 
haftigkeit, wie vorher, reflektirt; das Verschwinden der Erscheinung 
ist ein plötzliches und findet gleichzeitig mit der Lösung der be- 
schriebenen Inhaltskörper statt. 

Unter Einwirkung wässriger Jodlösung (1 Th. Jod, 2 Th. 
Jodkalium) nehmen die gelblichen Inhaltskörper eine dunkel roth- 
braune Färbung an. Bei dieser Umfärbung scheint sich, aufser 
dem aus der Lösung aufgespeicherten Jod, auch der aus den Plas- 
makörnern diffundirende rothe Farbstoff zu betheiligen. Ihre Form 
war nach einigen Stunden noch unverändert. 


vom 23. Juni 1870. 435 


Salzsäure und Essigsäure bewirken eine rasche Lösung 
der Inhaltskörper. In beiden Fällen geht ein Erlöschen der op- 
tischen Erscheinung in den Rindenzellen damit Hand in Hand. 

Die angeführten Reaktionen liefern übereinstimmend den Be- 
weis, dafs die Farbenänderung der Rindenzellen ausschliefslich 
durch die eigenthümlichen gelblichen Inhaltskörper derselben her- 
vorgerufen wird. Ein weiterer Beleg hierfür liegt darin, dafs die 
Lebhaftigkeit der Erscheinung genau im Verhältnifs zur Zahl und 
Gröfse dieser Inhaltskörper steht. An jungen Stämmchen, welche 
schon bei diffusem Tageslicht ein intensiv blaues Licht reflektirten, 
fand ich das Lumen der Rindenzellen dicht mit ihnen erfüllt; an alten, 
der Anheftungsstelle nahen Stammgliedern sind meist nur noch Spuren 
von ihnen vorhanden, und auch der von der Rinde zurückgeworfene 
Schimmer ist oft kaum bemerkbar. Exemplare, welche dicht un- 
terhalb des mittleren Meeresniveaus wachsen und, bei niedrigem | 
Wasserstande, zeitweise entblöfst sind, verlieren den blauen Me- 
tallglanz vollständig und nehmen eine gleichmäfsig bräunliche') 
Färbung an. Die mikroskopische Prüfung zeigt, dafs die Inhalts- 
körper ihrer Rindenzellen vollkommen verschwunden sind. 

Es wurde Eingangs erwähnt, dafs das reine Stahlblau an 
manchen Stellen der Pflanze in Violett, an anderen in Grün über- 
geht. Beide Farbennuancen haben eine sehr verschiedene Ursache, 
Die violetten Töne werden stets durch Vermischung des durch- 
fallenden rothen und des reflektirten blauen Lichtes hervorgerufen, 
die sich durch die mannichfachen Spiegelungen innerhalb des Ge- 
webes zur Genüge erklärt. Unter dem Mikroskop, wo sich das 
durchfallende Licht sicherer ausschliefsen läfst, geht das Violett 
stets in reines Blau über. Grüne Töne treten vorzüglich in den 
warzenförmigen Narben, aber auch in einzelnen Zellen sonst auf und 
stehen auch unter dem Mikroskop deutlich von dem Blau der um- 
gebenden Zellen ab. Am wahrscheinlichsten ist es mir, dafs diese 
Änderung der Reflexionsfarbe mit einem langsamen Absterben der 
betreffenden Zellen in Zusammenhang steht. Die charakteristischen 
Inhaltskörper waren in allen Fällen deutlich nachweisbar. 

Die mikroskopische Untersuchung der Rindenzellen legte mir 
die Vermuthung nahe, dals die optische Eigenthümlichkeit der be- 


!) Dieselbe Färbung, nur noch tiefer schwärzlich braun, ist auch ge- 
trockneten Exemplaren eigen. 


436 Gesammtsitzung 


schriebenen Inhaltskörper, ihre mattgelbe Farbe bei auflallendenı 
Licht in ein lebhaftes Stahlblau umzuwandeln, sich den zahlreichen 
bekannten Fluorescenz-Erscheinungen organischer und un- 
organischer Körper anreiht. Besälsen die Inhaltskörper krystalli- 
nische oder geschichtete Struktur, so wäre es immerhin denkbar, 
dafs durch Reflexion des Lichtes an den Grenzflächen spaltenför- 
miger, mit Luft oder Flüfsigkeit gefüllter Interstition sich die In- 
terferenzfarben dünner Blättchen bilden könnten. Doch würde man 
sich auch dann kaum vorstellen können, dafs bei so grolser Ver- 
schiedenheit in Gröfse und Form der Körper, die Spalten überall 
dieselbe Weite besitzen sollten, was zur Erklärung der rein blauen 
Reflexionsfarbe unumgänglich nothwendig wäre. Unmöglich wird 
diese Annahme gegenüber der erwiesenen Strukturlosigkeit der In- 
haltskörper, die mit der eines im Zellsafte suspendirten und mit 
deutlicher Contour gegen denselben abgegrenzten Schleimtropfens 
die meiste Ähnlichkeit hat. Weder das aus der wässrigen Lösung 
begierig aufgenommene Jod, noch Säuren und ätzende Alkalien 
liefsen die geringste Schichtung erkennen. 

Bevor ich indefs die Erscheinung als unzweifelhafte Fluores- 
cenz ansprach, war es nothwendig, sie den bekannten physikali- 
schen Proben zu unterwerfen, um so mehr. als die Eigenschaft, zu 
fluoreseiren, an einem Inhaltsbestandtheile lebender Zellen bisher 
noch nicht beobachtet worden ist. Ich verdanke die Gelegenheit 
hierzu der Güte der Herren Professoren Blaserna und Caniz- 
zaro, die mir Räumlichkeiten und Instrumente mit freundlichster 
Bereitwilligkeit zur Verfügung stellten. 

Es kam darauf an, zu entscheiden, wie die Erscheinung ge- 
genüber den verschiedenen Strahlen des Spektrums sich verhält. 

Die erste Versuchsreihe wurde mit farbigen Gläsern ausge- 
führt. Ein Oberflächenschnitt, welcher eine gröfsere Zahl unver- 
letzter Zellen enthielt, wurde auf dem Objekttisch des Mikroskopes 
gebracht und, unter Abschlufs des durchfallenden Lichtes, zuerst 
bei weilsem, dann bei gelbem und zuletzt bei blauem Oberlicht 
beobachtet. Bei weilsem und blauem Licht trat der Metallglanz 
mit grofser Lebhaftigkeit hervor, während unter Einflufs der gel- 
ben Strahlen keine Spur davon sichtbar war. 

Um die Wirkung der verschiedenen, insbesondere der brech- 
bareren Strahlen reiner untersuchen zu können, wurden mittels 


vom 23. Juni 1870. 4537 


eines Flintglas- und eines Quarzprismas ') Spektren auf dunklem 
Hintergrund entworfen und lebhaft stahlblaue Zweige unserer 
Pflanze in einem Reagensglase unter Seewasser an den einzelnen 
Abtheilungen desselben langsam vorübergeführt. Das Resultat war 
kein befriedigendes. Zwar blieb die Erscheinung im hellleuch- 
tenden Theile des Spektrums weg und trat erst im Blau wie- 
der deutlich hervor; im Violett war die charakteristische blaue 
Farbe aber schon schwierig nachzuweisen, und im Ultraviolett, wo 
eine zum Vergleich mitgebrachte Lösung von schwefelsaurem Chi- 
nin noch deutlich in dem ihr eigenthümlichen mattblauen Licht 
erglänzte, waren an den Zweigen von Chondriopsis coerulescens nur 
noch Spuren eines matten Schimmers zu beobachten. Wurden die 
ultravioletten Strahlen, nach Ausschlufs der übrigen Theile des 
Spektrums, mittels einer Quarzlinse auf die Zweige concentrirt, so 
trat zwar der blaue Glanz, wenn auch schwach, doch deutlich 
hervor; da aber keine ganz absolute Dunkelheit im Zimmer her- 
zustellen war, blieb es immer unentschieden, ob derselbe von den 
ultravioletten Strahlen oder von den Spuren diffusen weissen Lichtes 
herrühre, das, wie ich mich überzeugte, von der Quarzlinse zu 
einem matten Fleck vereinigt wurde. 

Durchaus erfolglos war ein letzter, mit einem Rhumk.orff- 
schen Inductionsapparat von S—10 Cm. Funkenlänge ausgeführter 
Versuch. Bekanntlich ist das elektrische Licht besonders reich 
an ultravioletten Strahlen, welche Fluorescenz erregen. Im vor- 
liegenden Falle brachte weder der durch Luft, noch der durch eine 
mit Stickstoff gefüllte Geisler’sche Röhre gehende Funke das 
Phänomen zum Vorscheinen. Dieses negative Resultat scheint 
auf den ersten Blick die Möglichkeit vollkommen auszuschliefsen, 
dafs die vorliegende optische Erscheinung Fluorescenz sei. Doch 
möchte ich vor allem daran erinnern, dafs die Intensität der vio- 
letten und ultravioletten Strahlen möglicherweise in beiden Fällen 
eine zu geringe war, um die blaue Eigenfarbe hervorzurufen. Viel- 
leicht tritt aber hierzu noch ein anderes Moment. Man kennt eine 
Reihe von Körpern (z. B. Schwefelkohlenstof und Benzol’), welche 


1) Quarzprismen und Quarzlinsen sind für die Untersuchung deshalb 
besonders geeignet, weil der Quarz die ultravioletten Strahlen, welche vor- 
zugsweise Fluorescenz erzeugen, viel weniger stark absorbirt, als Glas. 

2) ef. Müller’s Lehrbuch der Physik und Meteorologie Bd. I. p. 646. 


438 Gesammtsitzung 


die Eigenschaft haben, alle sichtbaren Strahlen des Spektrums un- 
gehindert hindurchtreten zu lassen, für Ultraviolett aber undurch- 
gängig sind. Es wäre nun möglich, dafs der nach aufsen gelegene 
Theil der Rindenzellenmembran, welcher stärker, als die Seiten- 
wände verdickt ist, sich ähnlich verhielte. Ist diese Vermuthung, 
deren Prüfung durch den Versuch wohl mit grolsen praktischen 
Schwierigkeiten verbunden sein würde, richtig, so wäre dadurch 
zur Genüge erklärt, warum die ultravioletten Strahlen, besonders, 
wenn sie mit geringer Intensität auftreten, nicht bis zu den In- 
haltskörpern vordringen und die Erscheinung somit nicht hervor- 
rufen Können. 

Eine sichere Entscheidung der Frage, ob die in Rede stehende 
Erscheinug Fluorescenz ist, oder nicht, wäre voraussichtlich durch 
die Untersuchung der Inhaltskörper bei polarisirtem Licht her- 
beigeführt worden. Fluoreseirende Körper, besitzen nämlich, ähn- 
lich wie selbstleuchtende, die Eigenschaft, das Licht nach allen 
Richtungen hin auszustrahlen; die von ihnen ausgehenden Licht- 
strahlen sind deshalb nicht polarisirt, während bei einfach reflek- 
tirten Strahlen alle Äthertheilchen iu derselben Ebene schwingen. 
Leider konnte ich diesen Versuch, auf den mich Hr. Professor 
Blaserna freundlichst aufmerksam machte, nicht ausführen, da 
ich versäumt hatte, meinen Polarisationsapparat auf die Reise mit- 
zunehmen. 

Obschon nun durch vorstehende Untersuchung die Natur der 
optischen Erscheinungen bei Chondriopsis cerulescens noch nicht 
vollkommen aufgeklärt ist, glaubte ich, dafs die beobachteten That- 
sachen, auch in dieser unvollständigen Form, einiges Interesse bie- 
ten, um ihre Veröffentlichung zu rechtfertigen. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Ende eines erwachsenen Zweiges, nach Behandlung mit Ätzkali, 
bei mittlerer Einstellung (also im optischen Längsschnitt) gezeichnet. 
45 mal vergröfsert. 
Fig. 2. Querschnitt durch ein erwachsenes, lebhaft blau schimmerndes Stämm- 
chen. Bei a ist eine warzenförmige Zweignarbe durch den Schnitt 
getroffen. 
88 mal vergröfsert. 
Vegetationspunkt eines jungen Astes, nach Behandlung mit Ätzkali. 
480 mal vergröfsert. 


= 
32 
© 


| 
| 


| 
I 


Monatsber d EHad dIE Juni I$i0 


# Lliny ad nat del. 


[04 


CESchmide: Tathı: 


vom 23. Juni 1870. 439 


Fig. 4. Vegetationspunkt eines in Fortentwickelung begriffenen Hauptastes, 
nach Behandlung mit Ätzkali durch Druck aus der napfförmigen 
Vertiefung der Stammspitze hervorgestülpt. 

480 mal vergröfsert. 

Fig. 5. Junger Adventivzweig, aus dem obern Theil einer warzenförmigen 
Narbe (10 Mm. unterhalb der Spitze des Mutterastes) hervorbrechend. 
.880mal vergrölsert. 

Fig. 6. Junger Achselsprofs, nach Behandlung mit Ätzkali im optischen 
Längsschnitt gezeichnet. 

480 mal vergröfsert. 

"Fig. 7. Dreizellige Anlage eines pseudodichotimen Haares. 
480 mai vergrölsert. 

Fig. 8. Junges Haar, auf weiterer Entwickelungsstufe, als Fig. 7. 
480 mal vergröfsert. 

Fig. 9. Unverletzte Rindenzellen eines blau schimmernden Stämmchens, durch 
einen Oberflächenschnitt abgetrennt. un 

480 mal vergröfsert. (Die Körnelung der gelblichen Inhaltskör- _ 
per ist in Wirklichkeit matter, als in der Figur). 


Hr. du Bois-Reymond las einen Nachtrag zu seiner Ab- 


handlung über die aperiodische Bewegung gedämpfter 
Magnete (s. Nachtrag). 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 


E. Ketteler, Über den Einflufs der ponderablen Moleküle auf die Dis- 
persion des Lichtes. Berlin 1870. 8. 

F. Rausch, Geschichte der Literatur des Rhäto-Romanischen Volkes mit 
einem Blick auf Sprache und Charakter desselben. Frankfurt a. M. 1870. 
8. Mit Schreiben des Verf. d. d. Frankfurt a. M. vom 20. Juni 1870. 

Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins zu Heidelberg. 5. 
Bd. 3. Heft. Heidelberg 1870. 8. 

[1870] Sl 


440 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Sehweizerische Meteorologische Beobachtungen. Juni-August 1869. Zürich 
1869. 4. 

Nederlandsch Meteorologisch Jaarboek voor 1869. 1. Deel. Utrecht 1869. 4. 

Proceedings of the Asiatie Society. no. 11. 1869. no. 2. 1370. 

Journal of the Asiatie Society. 1869, no. 4. Caleutta 1870. 8. 

Numismatie Chronicle. no. 37. London 1870. 38. 

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger, 
i aaret 1869. Kjobnhavn 1869—70. 8. 

Proceedings of the Royal Irish Academy. Vol. 10. Edinburgh 1867—68. 8. 

Transactions of the Royal Irish Academy. Vol.24. Dublin 1867—1370. 
9 Hefte 4. 

Breen, On the corrections of Bouvard’s Elements of the orbits of Jupiter 
and Sdaturn. (Appendix to the Greenwich Observations for 1868.) 

Verhandlungen der Südslavischen Akademie. 11. Heft. Agram 1870. 8. 

v. Eichwald, Nils von Nordenskiöld und Alexander von Nordmann. 
Petersburg 1870. 8. 

Seriptores rerum Lusaticarum. Vol. 4. Görlitz 1370. 8. 


27. Juni. Sitzung der physikalisch-mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. C. Rammelsberg las Beiträge zur Kenntnils der 
Meteoriten. 

Über die Analyse von Meteoriten. 

Berzelius hat in seiner ausgezeichneten Arbeit die Methode 
der Untersuchung vorgezeichnet, welche in ihren Grundzügen noch 
heute besteht. Dennoch ist es für Jeden, der sich mit eigenen 
Forschungen in diesem Gebiet beschäftigt, von grofser Wichtigkeit, 
diese Methode in einzelnen Theilen zu verbessern, da sich nicht 
verkennen läfst, dafs hierin noch viel zu thun übrig bleibt. 


1. Trennung des Nickels vom Eisen. 


Berzelius bediente sich dazu zweier Methoden. Entweder 
fällte er das Eisenoxyd durch überschüssiges Ammoniak oder er 
setzte nur soviel desselben hinzu, dafs ein basisches Salz entstand 


vom 27. Juni 1870. K 441 


und fällte dann mit bernsteinsaurem Ammoniak. Das Nickel wurde 
aus dem Filtrat immer durch Ammoniumhydrosulfür niedergeschla- 
gen. Nach H. Rose ist die erste Methode die ungenauste von 
allen, weil das Eisenoxyd immer nickelhaltig bleibt; man erhält 
also zu wenig Nickel. Und was die zweite betrifft, so giebt sie 
nach H. Rose ein kaum besseres Resultat. 

Sehr allgemein benutzt man die Fällung des Eisens, nachdem 
seine Lösung mit kohlensaurem Natron bis zur Röthung versetzt 
worden, durch essigsaures Natron in der Siedhitze. Allein auch 
von dieser Methode bemerkt H. Rose, dafs sie beim Nickel nicht 
ganz So genau sei wie beim Kobalt. 

Die Scheidung beider Metalle durch kohlensauren Baryt liefert 
nach H. Rose befriedigende Resultate, gelingt besser als beim 
Kobalt, läfst aber doch Spuren von Nickel beim Eisen. 

Bei der Analyse von Meteoreisen können andere Methoden 
kaum in Betracht kommen. OR 

Nach meinen Erfahrungen ist die Anwendung des kohlensau- 
ren Baryts vorzuziehen, denn selbst wenn man die Fällung durch 
essigsaures Natron wiederholt hat, so läfst sich durch jenen noch 
etwas Nickel in dem Eisen nachweisen. Beispielsweise sei ange- 
führt, dafs bei diesem Verfahren das Meteoreisen von Tula (s. wei- 
terhin) gab: 

durch die erste Fällung 8,15 pc. Ni 
5 „. zweite „ 0,58 
»„  kohlensauren Baryt 1,48 
zusammen 10,24 


” 
” 


” 


Man wird bei mehreren Analysen stets das Maximum des 
Nickels als die zuverlälsigste Zahl annehmen müssen. 

Wie grofs die Differenzen lediglich in Folge des Verfahrens 
sind, zeigen folgende Zahlen für den Prozentgehalt von Nickel. 


Meteoreisen von nach meinen Ver- 
suchen 
Tula 9,84—10,24 2,65 Auerbach, 
Ruffs Mountains 9,65 3,12 Shepard, 
Lockport 10.73 9,71 Silliman. 


Man mag sich vorstellen, wie viele Angaben in dieser Hinsicht 
weit unter dem wahren Werth geblieben sein mögen. 
| al 


442 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


2. Trennung und Bestimmung des Meteoreisens ın Steinmeteoriten. 


Alle, welche sich mit Analysen dieser Art beschäftigt haben, 
wissen, dafs eine mechanische Absonderung des Eisens durch 
Schlämmen und durch den Magnet sehr mangelhaft ist. Deshalb 
hat Wöhler die Anwendung von Kupferchlorid empföhlen, wobei 
nach ihm das Schwefeleisen nicht angegriffen wird. Diese Methode 
entspricht ihrem Zweck, nur mufs das Chlorid säurefrei sein. 
Indessen die nachherige Ausfällung des Kupfers durch Schwefel- 
wasserstoff ist bei der leichten Oxydation des Schwefelkupfers nicht 
angenehm, und selbst möglichst neutrales Kupferehlorid ist nicht 
ohne Wirkung auf Schwefeleisen und die Silikate. 

Von 100 Th. gepulverten Eisensulfurets (aus käuflichem Schwe- 
feleisen durch Schmelzen mit Schwefel) löste Kupferchlorid bei 
zweitägiger Digestion 35,8 auf. 

Bei einer Analyse des Chondrits von Pultusk mittelst Kupfer- 
chlorid enthielten 0,17 Nickeloxyd bei näherer Prüfung 0,048 
Magnesia, d. h. wäre jenes rein, so würde es = 0,15324 Ni ge- 
wesen sein; statt dessen war es = 0,09292 Ni, oder statt 100 Th. - 
Ni haben wir nur etwa 70 Ni und mehr als 36 MgO. 

Ich habe mich deshalb des Quecksilberchlorids bedient, 
welches neutral ist und nichts Feuerbeständiges in die Analyse 
bringt. Auch hat die Fällung des Schwefelquecksilbers nichts Un- 
bequemes. Freilich greift es Schwefeleisen ebenfalls, doch weit 
weniger an. 

Von 100 Th. Eisensulfuret wurden unter gleichen Umständen 
nur 6,97 aufgelöst. 

Ja es haben sogar früher schon Grewingk und Schmidt in 
der Auflösung dieses Chlorids ein Mittel finden wollen, die Menge 
nicht blos, sondern auch sogar die Natur des Schwefeleisens zu 
ermitteln, ob Troilit (FeS) oder Magnetkies (Fe?S?). Dies beruht 
doch darauf, dafs das Chlorid Schwefeleisen leicht und. vollkom- 
men zersetzen könnte. Ich habe zudem schon vor längerer Zeit 
nachgewiesen'), dafs von Magnetkies nach 6 Tagen nur 30 p. C. 
zersetzt waren, und dafs ebensowenig die hierbei freiwerdende 
Schwefelsäure der von den Urhebern dieser Methode aufgestellten 
Rechnung entspricht. 


1) Zeitschrift der d. geol. Ges. 18, 691. 


vom 27. Juni 1870. 443 


Selbst auf den Olivin der Meteoriten ist das Quecksilberchlo- 
rid nicht ohne Einwirkung. 100 Th. Nickeloxyd von dem M. von 
Pultusk enthielten 39,3, und von dem von Richmond 41,7 p.C. 
Magnesia.') 

Chlorsilber ist nicht gut verwendbar, weil sich basisches 
Eisenchlorid bildet und das pulverige Silber den Silikaten beige- 
mengt bleibt. 

Jod hat Wöhler nicht brauchbar gefunden. Wässeriges 
Brom ist ein vortreffliches Mittel, Eisen aufzulösen (Meteoreisen, 
Roheisen ete.), allein es greift auch die Silikate sehr stark an. 
100 Th. des M. von Pultusk lieferten einen Auszug, aus dem er- 
halten wurden: | 

Eisenoxyd 29,07 
Nickeloxyd 2,02 
‚Magnesia 4,72 


Bei wiederholter Behandlung des Rests mit Wasser und Brom gin- 
gen Magnesia und Eisen von neuem in Lösung. 


3. Die Analyse der Silikate. 


Wie vortrefflich die in neuerer Zeit öfter verdächtigte Tren- 
nung der Silikate durch Säuren in geeigneten Fällen zum Ziele 
führt, habe ich immer wieder bestätigt gefunden. Nur darf man 
nicht vergessen, dafs die Kieselsäure des Olivins aus dem Rest 
noch feucht durch Kochen mit einer Auflösung von kohlensaurem 
Natron zu extrahiren und aus derselben abzuscheiden ist. Ferner 
aber, dafs die Analyse des unzersetzbaren Silikats eine Prüfung 
der Kieselsäure auf ihre Reinheit erfordert, dafs Thonerde und 
Magnesia sich genau nur in der Fluorwasserstoffanalyse bestimmen 
lassen, und dafs ihre Trennung am sichersten durch Glühen mit 
Ätzkali erfolgt, wobei man die Menge der Thonerde aus der Dif- 
- ferenz findet und somit von der Reinheit des Kalis unabhängig ist. 


1) Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dafs Magneteisen von beiden 
Chloriden gar nicht angegriffen wird. 


444 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


A. Meteoreisen. 

I. Ruffs Mountains, Newberry (oder Lexington County), 
Südcarolina. Feilspähne, z. Th. gerostet, von Shepard mitgetheilt, 
der dieses Eisen beschrieben hat.') Die Masse wog 53 Kilogr. 
In a mit Chlorwasserstoffsäure, in b mit Quecksilberchlorid auf- 


gelöst. 
Analyse 
a b Mittel von Shepard 
Nickel 7,6 9,65 8,62 3,12 
96,00 
99,12 
ll. Lockport (Cambria), New-York. Analyse mittelst 
Brom. 
Schwefel 0,17 Silliman 
tes 
Eisen 0,30 ai Ees 
Eisen 88,76 92:5B 
Nickel 10,65 
Kobalt 0,08 } 2 
Kupfer 0,04 Rückstand 1,40 
100 39,03 


II. Tula (Netschaevo). Von einem gröfsern, von Dr. Auer- 
‚bach erhaltenen Stück. Analyse a mittelst Chlorwasserstoffsäure; 
b mittelst Quecksilberchlorid. 


Nickel (Co) im 


Maximo 
a —= 10,24 p.C. 
bu ol, 


2,63 ,„ nach einer frühern Unter- 
suchung Auerbach’s.”) 


B. Der Pallasit von Brahin. 

Die im Jahre 1810 bei Brahin im Gouv. Minsk gefundenen 
beiden Stücke (im Gewicht von etwa 200 Pfund) gleichen in jeder 
Beziehung der berühmten Pallasmasse aus Sibirien. Während wir 
aber von dieser, von ihrem Meteoreisen und dem Olivin, durch 


iy. Am, Se. (2) 10, 108.10, 
?) Pogg. Ann. 118, 368. 


vom 27. Juni 1870. 445 


Berzeliusslängst eine genaue Kenntnifs haben, ist die Meteor- 
masse von Brahin nur von Laugier im J. 1823 in höchst unvoll- 
kommener Art untersucht worden.') Ich theile deshalb hier die 
Resultate meiner Analysen mit, und stelle sie des Vergleiches we- 
gen mit denen der Pallasmasse von Berzelius zusammen. 

A. Das Meteoreisen, durch Hämmern vom anhängenden 
Olivin befreit, wurde mittelst einer Auflösung von Quecksilberchlo- 
rid analysirt. 

Pallaseisen 
Berzelius 


Eisen 88,17 
Nickel (Co) 11,04 11.19 
Cu 0,07 
Ms 0,05 
C 0,04 
Rückstand 0,42 

100 


Beide sind gleich zusammengesetzt, etwa NiFe®. Die kleine Menge 
des zur Verfügung stehenden Materials gestattete nicht, auf die 
Nebenbestandtheile Rücksicht zu nehmen. 

Der Olivin hat folgende Zusammensetzung: 


Pallasmasse 
Berzelius 
Kieselsäure 37,58 „= „40,86 
Magnesia 43,32 47,35 
Fisenoxydul (Mn) 138,85 12215 
933.79 SnO2 :0,17 
100,53 


Hiernach ist der Olivin beider Massen etwas verschieden; der von 
Brahin enthält Fe:Mg im Verhältnifs 1:4, der der Pallasmasse 
beide = 1:8. Jener stimmt mit dem OÖ. des Pallasits von Ata- 
cama nach der Analyse von Schmid. 


C. Die Chondrite von Pultusk, Richmond und Jowa. 


Die Chondrite, die bei weitem zahlreichste Abtheilung der 
Steinmeteoriten — 93 unter 109 der Berliner Sammlung oder mehr 


I) Gilb. Ann. 75, 264. 


446 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


als 85 p. C. gehören ihr an — haben zahlreiche Analysen hervor- 
gerufen, und man sollte danach glauben, dafs hierdurch bestimmte 
Schlüsse auf ihre mineralogische Natur gegeben seien. 

Wie bekannt enthalten sie Nickeleisen in mehr oder min- 
der feiner Vertheilung in einer überwiegenden Grundmasse. Sehr 
geringfügig und nicht immer nachweisbar ist Schwefeleisen, aus 
dessen Farbe man auf Magnetkies schliefst, sowie Chromeisen- 
erz. Jene Grundinasse aber, welche fast immer kleine Kugeln 
von unebenem oder excentrisch faserigem Bruch enthält, mitunter 
ganz aus solchen besteht, ist ein Gemenge von Silikaten, von de- 
nen sich eins durch Beobachtung bei manchen als Olivin in äus- 
serst kleinen Krystallen oder Körnern zu erkennen giebt, während 
seine Gegenwart in allen Chondriten durch die Analyse unzwei- 
felhaft wird. Welcher Natur aber das Übrige ist, darüber giebt 
die Beobachtung an sich sowohl als auch der Dünnschliffe unter 
dem Mikroskop keinen bestimmten Aufschluls. G. Rose, dem 
wir die genausten Untersuchungen dieser Art verdanken, konnte 
nur faserige Aggregate und vereinzelte schwarze, grün durchschei- 
nende Körner wahrnehmen. 

Beseitigt man das Nickeleisen eines solchen Meteoriten, indem 
man das Pulver mit einer Auflösung von Quecksilberchlorid er 
hitzt, so bleiben die Silikate nebst Schwefeleisen und Chromeisen 
zurück. Behandelt man dies Gemenge mit Chlorwasserstoffsäure, 
so löst sich das Schwefeleisen auf und etwa die Hälfte der Sili- 
kate wird zersetzt. Der zersetzte Antheil ist in allen Fällen Oli- 
vin, oft ganz rein, bisweilen ein wenig Kalk- und Thonerde ent- 
haltend, weil die Säure auch den Rest nicht unangegriffen liefs. 
Dieser Rest ist es nun, dessen Natur zu ergründen, hauptsächlich 
das Ziel neuer Versuche gewesen ist. | 

Alle Analysen dieses Theils haben darin Eisenoxydul') 
und Magnesia nachgewiesen; von 34, welche mir zur Verglei- 
chung zu Gebote stehen, giebt nur eine (Ch. von Sauguis nach 
Meunier) keine Thonerde, alle übrigen zwischen 1 und 12 p. C., 
meist jedoch nicht über 6 p. C. Vier geben keinen Kalk, die 
übrigen 0,5—5 p. C. dieser Erde. Natron und Kali, von ge- 


') Kakova und Murcia sind die einzigen, wo das Eisen ganz oder fast 
fehlt. 


vom 27. Juni 1870. 447 


ringen Mengen bis etwa 5 p. Ö., sind meist aufgeführt, und über- 
haupt wohl stets vorhanden, wenn auch die Untersuchung nicht 
darauf Rücksicht genommen hatte. 

Berzelius äulfsert sich in seiner wichtigen Arbeit über die 
Meteoriten, nachdem er die Chondrite von Blansko und Chanton- 
nay untersucht hat, über diesen Silikatrest nur ganz allgemein, in- 
dem er bemerkt, dafs das Ganze ein Bisilikat darstelle, und ver- 
muthlich aus einem augitartigen und einem leucitartigen bestehe, 
wobei er aber nicht an den dnrch Säuren zersetzbaren Leucit denkt, 
sondern einen Kalk- und Alkalifeldspath von Bisilikatmischung im 
Sinne hat, also einen Körper, wie man ihn als Andesin bezeich- 
net hat. 

Auch später ist die Vorstellung, dieser Theil der Chondrite 
bestehe aus zwei ganz bestimmten Silikaten, die in unseren Gestei- 
nen häufig seien, immer wieder hervorgetreten, und ich suchte im 
J. 1843 durch eine Berechnung der Analysen zur Kenntnifs der 
einzelnen Silikate zu gelangen.") Eine solche Berechnung schien 
zu beweisen, dafs der Silikatrest der Ch. von Chateau -Renard, 
Blansko und Chantonnay als Labrador und Hornblende gedeutet 
werden könnte. 

Als dann meine eigenen Versuche zeigten, dals die ältere An- 
sicht über die Zusammensetzung der Hornblende nicht richtig war, 
wies ich nach, dafs jener Rest aus den Ch. von Chantonnay und 
Blansko sich wohl auch als Augit und Labrador auffassen lasse, 
erkannte aber zugleich, wie unsicher bei dem Angriff der Säuren 
auf-Labrador die Grundlage solcher Rechnungen sei, welche nur 
dadurch eine Art von Berechtigung erhielten, dafs terrestrische Ge- 
menge von Augit und Labrador, auch mit Olivin, in Basalten und 
Doleriten häufig sind, und dafs die Eukrite gleichfalls, und zwar 
erweislich, aus Augit und einem Feldspath (damals für Labrador 
gehalten, später allerdings als Anorthit erkannt) bestehen.”) 

In der letzten Zeit sind einige wichtige Fortschritte in der 
Kenntnifs der Mineralien, welche andere Klassen von Meteoriten 
bilden, gemacht worden. Wir wissen jetzt mit voller Sicherheit, 
dafs Olivin und Augitsubstanz (Broneit), jede für sich, Meteorite 


I) Pogg. Ann. 60, 130. 
?) Handbuch der Mineralchemie S. 929 u. £. 


448 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


bilden, dafs ein Gemenge beider den Shalkit, dafs dasselbe Ge- 
menge mit Meteoreisen die Mesosiderite constituirt. 

Die Erfahrungen Daubree’s, dafs Chondrite nach dem Schmel- 
zen zu einem Eisenkörner enthaltenden sehr deutlichen Krystall- 
gemenge von Singulo- und von Bisilikat, d. h. von Olivin- und 
Augitsubstanz erstarren und meine eigene Erfahrung, dafs alle al- 
kalihaltigen Feldspathe (Orthoklas, Albit, Oligoklas, Labrador) 
beim Schmelzen Gläser bilden, dafs Daubr&e auch die Eukrite 
(Juvinas) zu Glasmassen schmolz, während in den geschmolzenen 
Chondriten nichts davon zu bemerken ist, — diese Thatsachen 
mufsten zu dem Schlufs führen, dafs Feldspathsubstanz in den 
Chondriten überhaupt nicht vorkommt. 

Die Analyse eines Mineralgemenges, wie die Meteoriten ein 
solches bilden, mufs so vollkommen wie möglich sein, wenn sie 
der Berechnung der Gemengtheile zur Grundlage dienen soll. Ber- 
zelius’s Arbeiten haben den Weg gebahnt, aber die analytische 
Chemie hat seit 40 Jahren wesentliche Fortschritte gemacht; ces 
wird daher heute sogar nöthig, selbst diese anerkannten Unter- 
suchungen zu revidiren, indem man dasselbe Material schärferen 
Trennungsmethoden unterwirft. Bevor dies geschehen ist, wird es 
dem Forscher erlaubt sein, zunächst blos seine eigenen Erfahrun- 
gen und die daraus hergeleiteten Schlüsse darzulegen, und die 
Hoffnung auszusprechen, eine spätere Wiederholung der früheren 
Arbeiten werde das gesetzlich Erkannte als allgemein gültig be- 
währen. 

In diesem Sinne habe ich drei Chondrite speciell untersucht, 
nämlich 1) Pultusk, der reichliches Material bot und weil mit ihm 
gerade in letzter Zeit zwei Untersucher (vom Rath und Werther) 
sich beschäftigt haben; 2) Richmond in Virginien und 3) Linn- 
County, Jowa, weil diese beiden bisher überhaupt nicht zuver- 
läfsıg untersucht waren. 


1.14. Bu. taugsck“ 


1. Analyse mittelst Kupferchlorid. 

2. 3. 4. Analyse mittelst Quecksilberchlorid. Das Material 
von 4. war durch Absieben von den gröbern Körnern des Meteor- 
eisens getrennt. In Nr. 3 war die Behandlung mit Quecksilber- 
chlorid wiederholt worden. 


vom 27. Juni 1870. 449 


Zwei ‘gesonderte Versuche hatten 0,99 p. C. und 1,00 p. C. 
Schwefel gegeben. | 

A. durch die Metallchloride aufgelöst. 

B. durch Chlorwasserstoffsäure zersetzt. 

C. unzersetzbares Silikat. 


1, 2, 3 4. 
Eisen 13,82 13,42 12,96 4,59 
A. | Nick Be 9.90 2,045 0,39 
Magnesia ila) ; 0,96 0,73 
Schwefel 0,99 0599 1,00 1,00 
Eisen 1,73 1,73 1,75 1,75 
Kieselsäure 12,16 13,04 12,17 15,30 
r ! Eisenoxydul 12.12 11034 10,05 11,68. 

: NiO 0,57 

\ Magnesia 13,54 14,23 12,38 16,97 
©. 42,70 41,04 45,96 
100,38 98,69 98,87 


Die metallischen Chloride haben ein wenig Olivin zersetzt, 
denn sie haben Magnesia aufgelöst. Man hat daher die Olivinba- 
sen, und zwar, wie wir sehen werden, in dem Verhältnifs Fe:6Mg 
abzuziehen'), und erhält so: 


1. 2, 3% 4. 
5 Eisen 3510 100 19 74 4,25 
"| Nickel 2,21 1,93 2,045 0,89 


Eisenoxydul 12,78 12,00 6,3 12,12 


Kieselsäure 12,16 13,04 217 15.90 
= 
Magnesia 14,65 15,20 13,84 16.70 


Hiernach würde das Meteoreisen dieses Chondrits 
Nickel 14,24 13,00 13.83 FÜSE pe 


enthalten, während in A. die Sauerstoffverhältnisse sind: 


1. 9, en 4. 
Si0? 6,48 = 1 | sl 
Bor 151 375 126 704 1,09 977.12 


!) InNr. 3 das NiO als Ni, überdies (als Nickel) in Rechnung zu bringen. 


450 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Nun liegt kein Grund vor, in A. aufser Olivin eine andere 
Verbindung anzunehmen, dagegen ist es in hohem Grade wahr- 
scheinlich, dafs etwas Meteoreisen von dem Lösungsmittel nicht 
angegriffen wurde, zurückblieb und die Menge der RO vergrös- 
serte.!) 

Wir berechnen daher aus der Kieselsäure und der Magnesia 
die zum Olivin nöthige Menge FeO, und erhalten: 


‘- 2. 3. 4. 
Kieselsäure 12,16 13,04 12,17 19,30 
Eisenoxydul 2,79 3,94 4,27 4,86 


Magnesia 14,65 15,20 13,84 17,70 


Bringt man nun den Rest des Eisens für das Meteoreisen in Rech- 
nung, so folgt 
1. 2. 3. 4. 
Eisen 21,09 19,20 19,705 9,90 
Nickel 2,21 1,93 .. 2,045 0,89 


Nickel" 9:49: 49.13,. 940 49894 p°0: 


Nach den früheren Versuchen enthalten die mittelst des Ma- 
gnets ausgezogenen Körner 


6,93 p. C. Nickel nach Rath 
SU N n: Werther: 


Rath hat die Zusammensetzung des zersetzbaren Theils in 
dem vom Meteoreisen durch den Magnet befreiten Pulver gefunden. 


Sauerstoff 
Kieselsäure 39,4 189 
Thonerde 0,7 | 
Eisenoxydul 24,9 21,4 
Magnesia 39,0 
100 


Sehr erklärlich ist auch hier der Überschufs an Eisen. Es 


1) Diese Annahme wird durch Nr. 3 faktisch bewiesen, wo auf die 
Gegenwart und Menge des Nickels in der Auflösung der Olivinbasen genau 
geachtet wurde. 


vom 27. Juni 1870. 451 


folgt hier die corrigirte Analyse neben den procentischen Zahlen 
meiner Versuche: 


R 2. 8. 4, Rath Werther 
Kieselsäure 41,08 40,56 40,19 40,41 39,67 40,53 
Eisenoxydul 342° 12516 7 14,11 12,84 16,64 13,08 
Magnesia 49,50 47,28 45,70 46,75 43,69 44,36 
100 100 100 100 100 Kalk 2,03 


100 

Das Atomverhältnifs ist 
ke 1 1 ia 1 1 1 
Me 9,5 7 5,8 7 4,7 6,3 


Hiernach scheint 1:6 das annehmbarste Verhältnifs, der Olivin 
mithin 
| Fe? 
6Me? Si O% 


“sr, 196 — 5102 4024 


berechnet zu: 


Fe = 112 FeO 13,79 
12Mg—= 288 MgO 45,97 
280 — 448 100 

097; 


Wir kommen nun zu dem unzersetzbaren Silikat (C.). 
Dasselbe enthält etwas Chromeisenerz, im Mittel 1,26 p. ©. Sein 
V.-G. fand ich = 3,20. Die procentische Zusammensetzung die- 
ses Theils, verglichen mit Rath’s und Werther’s Resultaten, ist 


a 3. Werther Rath 
Kieselsäure 56,935 - 993,48 ., 37,06 60,1 
Thonerde (Cr) 4,17 4,58 2,70 7 
Eisenoxydul (Mn) 9,54 30121, 10:71... .10,0 
Magnesia 24,23 24.14 22,43 24,8 
Kalk 3,10 3,65 4,96 0,6 
Natron 2,22 1,44 2,8 
Kali 0,92 — — 


100 100 100 


dd 


Werden die kleinen Mengen Na und K in ihr Äq. von R ver- 
wandelt, so verhalten sich die Atome 


452 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


[Kl 


R:Si Al:R 
u | 1% 18,6 
Werther = 1: 1,16 1:.31,0 
Rath == 1 27,94 1: 47,3 


Es läfst sich hiernach wohl behaupten, dafs das erste Verhältnifs 
— 1:1, das Silikat also ein normales oder Bisilikat ist, bei dem 
ein wenig Kieselsäure vom Olivin zurückgeblieben ist. 


Ist nun A:R—=1: 18, so hat das Ganze den Ausdruck 


ee 
A103 
wobei ReRe]- 9, und 


Ca: Ber Mor 722 9 Kst. 


Man wird nicht anstehen, diesen Theil des Chondrits von Pultusk 
für Broneit zu erklären. 


Als Endresultat meiner Versuche folgt für diesen Meteoriten 


2. Sc) 
Nickeleisen 21,13 =221508-- 10,79: == 11,08 
Schwefeleisen 2,69 2,77 2,75 2,82 
Chromeisenerz 1,26 1,50 = 1,26 1,30 
Olivin 82.18 33,14 37,86 38,89 
Broneit 39,78 41,01 44,70 45,91 


97,01 100 97,36 100 


Beide Silikate stehen in dem Verhältnils von 


45,3 : 54,7. 

(44 :56 Werther.) 

(42,6 : 57,4 Rath.) 

(47 :53 Wawnikiewiz.)?) 


!) Nach Entfernung eines Theils Meteoreisen. 
2) Notice sur la meteorite de Pultusk. Publie par la Haute Ecole de 
Varsovie. 


vom 27. Juni 1870. 453 


IT: noRlVe Knlon.d. 


Dieser am 4. Juni 1528 südwestlich von Richmond in Vir- 
ginien gefallene etwa vier Pfund schwere Stein ist von Shepard 
beschrieben worden.') 

G. Rose bemerkt hinsichtlich seiner äufseren Beschaffenheit, 
dals die Kugeln der Masse oberflächlich rauh, selbst drusig seien, 
und dals sie dichtgedrängt nebeneinander liegen. 

Eine vor Jahren von Shepard erhaltene Quantität kleiner 
Stückchen und groben Pulvers setzte mich in den Stand, diesen 
Meteoriten näher zu untersuchen. 

1. Analyse mittelst Quecksilberchlorid. 

2. direkte Behandlung mit Chlorwasserstoffsäure. 

Eine besondere Schwefelbestimmung gab 1,55 p. C. dieses 
Elements, 

— 4,26PFeS — 2,01 Re 
—= 93,96 Fe?S? — 2,41 Fe. 


1. 2. 
Quecksilberchlo- Eisen a oh 
ridauszug Nickel 1,18 ; 
En 2.01 } 1,26 2,71 
Schwefel 1.59 1,55 
Eisenoxydul 12,80 (u. NiO) 17,79 
Chlorwasserstoff- | Kalk er 48.19 0,45 
auszug Magnesia 18,32 fe 18,83 
Kieselsäure 16,80 j 18,27 
( Eisenoxydul 5,371 
| Kalk 2,26 
Unzersetzb. Silik.? Magnesia 9,07 2 40,78 40,57 
Thonerde 2.17 
Kieselsäure 21,91 
98,15 100,17 


Zuvörderst ist zu bemerken, dafs das ursprüngliche Nickel- 
eisen sich theilweise oxydirt zu haben scheint; die vielen Rost- 
flecke sprechen dafür, mehr aber noch der Umstand, dafs der 


1) Am. J. Se. 15, 195. 16, 191. 42, 102. (2) 6, 411. 


454 . Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Chlorwasserstoffauszug in 1., für Olivin zuviel Basen, d. h. FeO 
gegeben hat. Wir werden also diesen Theil als Olivin berechnen 
und das überschüfsige Eisen als ursprünglich metallisch vorhanden 
ansehen: 


1. 
Eisen 8,27 y 87,51 
u 7 
Nickel 1,18 } er | 12,49 } OS 
100° 
Eisen 2,71 
Schwefel 1,55 2 alias 
Kieselsäure 16,80 
Eisenoxydul 6,98 9 Bl 
a A nn 
Kalk 27] 
40,78 Unzersetztes Silikat. 


96,86 


wobei der Verlust eine Folge des nachträglich oxydirten Theils 
Eisen ist. 

In 1. beträgt das Eisen als FeO 20,02, das Nickel als NiO 
1,52, beide zusammen 21,54 p. C. 

In 2. wurde die Gesammtsumme beider — 21,27 p. C. gefun- 
den, also vollkommen übereinstimmend. | 

Da auch die Menge des Unzersetzten in beiden Versuchen fast 
dieselbe ist, so wollen wir 2. mit Hülfe des Schwefels und Nickels 
in 1., und unter Annahme von Olivin berechnen: 


2» 
Eisen 9,74 
6.56 
Nickel 0,82 } “ 
Eisen 3,71 
4,2 
Schwefel or En 


Kieselsäure 18,27 & 
Eisenoxydul 9,36 
Magnesia 18,83 
Kalk 0,45 ) 
40,57 Unzersetztes Silikat 
93,30 


> 46,91 Olivin 


vom 27. Juni 1870. 455 


Das Mittel beider Versuche giebt für die Mischung des Steins 
von Richmond: 


Nickeleisen 1.9.22 

Schwefeleisen 4,37 

Olivin 45,13) [52,32 

Unzersetzbares Silikat 41,68 h 75 [ 47,68 h 
100, 19700 


Gehen wir jetzt zur näheren Betrachtung der beiden Silikate 
über. 

Das durch Säuren Zersetzbare kann nichts anderes als Oli- 
vin sein, dessen prozentische Zusammensetzung ist: 


1. 2. Mittel 

Kieselsäure 39,65 38,95 39,30 

Eisenoxydul 16,47 19,95 18,21 

Magnesia 43,24 40,14 41,69 

Kalk 0,64 0,96 0,80 
100 100 100 


Der Olivin des Chondrits von Richmond enthält also 1 At. 
Eisen gegen 4 At. Magnesium, d. h. er ist eine Mischung 


Fe?Si O# 
| 4 Ms? Si O4 h 
berechnet zu: 
581 — 140 — Si 02 39:27 
2Fe = 112 ’FeO 18,85 
8Mg = 192 MgO 41,88 
20,0’ =320 100 
764 


Er ist also genau derselbe wie derjenige der Pallasite von Brahin 
und Atacama. 

Das unzersetzbare Silikat hat folgende prozentische Zu- 
sammensetzung: 


[1870] 32 


456 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Atome 
Kieselsäure 53,74 = Si 25,08 17,2 
Thonerde 5,32 Al 2,83 1 
Eisenoxydul 13,17 Fe 10,24 3.5 | 
Magnesia 22,23 Mg 13,34 10,7 | 16 
Kalk 5,04 Ca 3,96 1,8) 
100 
Da R: Si offenbar = 1:1, so ist es ein normales oder Bi- 


silikat von Magnesium, Eisen und Calcium, d. h. es ist entweder 
ein kalkhaltiger Broneit oder ein Gemenge von kalkfreiem 
Broneit und Kalk-Augit = Diopsid, worüber die Analyse na- 


türlich nicht entscheiden kann. 


Da die Atome von Ca:Fe:Mg = 1:2:6 sind, da ferner 
Al:R — 1:16, so ist es im ersten Fall 


16R Si = 


oder vielleicht 


18R Si 2 
AlO> 


bereehnet zu: 


a 


A103 


CaSıO 


18Si = 504 = SiO?2 52,36 

Al = 54,6= AlO? 4,97 
4Fe—=1224 = Fe® 13,96 
12Mg = 288 = MgO 23,28 
20a = 80 =1030 5.45 


520, = 7912 


100 


2062,6 


6 MgSiO3 
A103 


Das Endergebnifs ist mithin: der Stein von Richmond besteht 
im Durchschnitt aus 8 p. C. Nickeleisen, 4 p. C. Schwefeleisen 
und 83 p. C. Silikaten, welche fast zur Hälfte Olivin, zur Hälfte 
Augit, und zwar entweder Broneit oder Broncit und Diopsid sind, 


vom 27. Juni 1870. 457 


Des Contrastes wegen mag angeführt werden, was Shepard 
von der mineralogischen Natur dieses Meteoriten angiebt: Aufser 
einem 6 p. C. Nickel enthaltenden Meteoreisen und etwas Magnet- 
kies 90 p. C. Olivin und das Übrige ein feldspathartiges Mineral, 
Howardit und phosphorsaurer Kalk. 


Il. Linn County, Jowa. 


Dieser Meteorit fiel am 25. Februar 1847, im Gesammtge- 
wicht von etwa 65 Pfund. Shepard!) hat den Fall beschrieben 
und den Stein mineralogisch und chemisch untersucht. 

Nach seiner Angabe besteht derselbe aus 10, 4 Nickeleisen. 
welches etwa 14 p. C. Nickel enthält, aus 5 p. ©. Magnetkies und 
83 p. © eines einzigen homogenen Silikats, welches er Howardit 
nannte. Dieses Silikat soll v. d. L. leicht zu einem schwarzen 
schlackigen Glase schmelzen, von Chlorwasserstoffsäure unter Ab- 
scheidung flockiger Kieselsäure zersetzt werden, und aus 


Sauerstoff 

Kieselsäure 63,06 33,63 
Eisenoxydul 24,60 5,47 10 17 
Magnesia 11,74 4,70 ; 
Alkali 0,31 

ws 

bestehen. 
Da die Sauerstoffproportion = 1:3,3, so wäre der Howar- 


dit noch saurer als ein Trisilikat. 

Es ist unverkennbar, .dafs diese Angaben Shepards in hohem 
Grade problematisch, ja unwahrscheinlich sind. Die leichte Schmelz- 
barkeit und die Zersetzbarkeit eines so sauren Silikats wäre höchst 
seltsam. 

G. Rose stellt Jowa unter die Chondrite und bemerkt, er sei 
dem von Mauerkirchen im höchsten Grade ähnlich. 

Von Prof. Shepard hatte ich schon vor Jahren ein Stück 
dieses Meteoriten erhalten. Die Masse ist sehr mürbe und enthält 
zahlreiche Rostflecke, wie auch die äufsere Rinde braun aussieht. 


!) Am. J. of Sc. (2) 4, 288 und Report on American Meteorites 1848. 
32* 


458 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Beim Pulvern fühlt man nur äufserst wenig metallisches Eisen, 
und es scheint, dafs ein grofser Theil desselben in Oxyd oder 
Oxydhydrat verwandelt ist. In der That giebt der Stein beim Er- 
hitzen nicht unbeträchtlich Wasser. 

Bei der Analyse ist wegen der offenbaren partielien Verände- 
rung des Nickeleisens von einer besonderen Bestimmung desselben 
Abstand genommen; das Pulver wurde mit Chlorwasserstoffsäure 
behandelt, aus der Kieselsäure und der Magnesia wurde der zur 
Olivinmischung erforderliche Eisengehalt berechnet, der Rest des 
letztereen aber als Metall. | 

Nach Abzug von 1,84 p. C. Glühverlust ergab sich: | 


Eisen 9,46 89,75 
1 — 
Nickel 1,08 ur { 10,25 
100 
Eisen 4,05 
6,37 F 
Schwefel al 
Sauerstoff 
Kieselsäure 16,24 38,80 20,7 
Eisenoxydul 8,92 ? 41,355 = 21,531 4,74 90.7 
Magnesia 16,69). 39,89 15,96 J 
100 
Unzersetztes 41,24 


| 100 
Der Olivin wäre ungefähr 
Fe?SiO% N 
3Mg?SiO% 
Die unzersetzbaren Silikate, deren Menge der des Olivins fast 
genau gleich ist, bestehen aus: | 


Kieselsäure 59,08 29,38 
Thonerde 4,86 2,27 
Eisenoxydul 13,58 3,02 
Magnesia 22,70 08 | Es 
Kalk 2,85 0,81 2 
Natron 0,93 0,24 
Kali Sp. 

100 


Das Ganze ist also fast genau Bisilikat. 


vom 27. Juni 1870. 459 


Die prozentische Zusammensetzung der (83,09 p. C. des Me- 
teoriten betragenden) Silikate ist hiernach: 


Kieselsäure 46,88 
Thonerde 2,40 
Eisenoxydul 17,49 
Magnesia 31,36 


Kalk 1,41 
Natron 0,46 
100 


Es ist ersichtlich, dafs diese Resultate nicht die geringste 
Ähnlichkeit mit Shepards Angaben zeigen. 
Jowa ist ein Chondrit. 


Es liegen hier nun .die Resultate von drei Chondriten vor, und 
es dürfte von Interesse sein, ihre Silikate unter einander zu ver- 
gleichen. Ihnen sei noch beigefügt: der von mir schon früher un- 
tersuchte') von Klein-Wenden bei Nordhausen (gefallen den 
16. September 1843). 


A. Zusammensetzung des zersetzbaren Silikats (Olivin): 


1. 2. 3. 4. 
Kl. Wenden Pultusk Richmond Jowa 
Re ie 
Si O2 39,60 40,48 40,53 39,30 38,80 
FeO(Mn) 10,91 12,50 13,08 18,21 21631 
MgO 47,37 47,02 44,36 41,69 39,89 
CaO 2,12 _ 2,03 0,80 _ 
100 100 100 100 100 


Es enthält also der Olivin aus 


!) Pogg. Ann. 62, 449. 


460 Sitzung der physikalisch- mathematischen Klasse 


Kl. Wenden FeMe? 
Pultusk FeMg% 
Richmond FeMgt 


Jowa FeMe? 


B. Zusammensetzung des 
Broneit): 


1% D. 
Sı 0? 51.01 55,48 
A1O? 9,08 4,58 
FeO 11,42 9,01 
MgsO 22407 24,14 
CaO 4,79 3,65 
Na?O 0,71 22 
K?O 0.32 0,92 
100 100 


— O0. der Pallasmasse, 


— O0. der Pallasite von 
Brahin, Atacama, 


— 0. des Mesosid. von 
Hainholz. 


unzersetzbaren Silikats (Augit = 


3. 4. 

53,74 55,08 
5,32 4,86 
Nail 13,58 
22,23 22,70 
5,54 2,85 
0,93 

Spuren 

100 100 


Die Berechnung ergiebt für diese vier verschiedenen Chon- 


drite übereinstimmend, dafs das 
gen 1 At. Si enthält, d. h. ein 
Atome von 


R:Sı 
in... 1.214053 
2 a 
374: 1,06 
2 


Der Bronceit ıst also 


und ferner ist er aus 


unzersetzbare Silikat 1 At. R ge- 
Bisilikat ist. Denn man hat die 


Al:R 
1:4.9.3. 91,39 
32418,6 
1 16,1) — 1:18 
1) :217,5 
2.—3.—4. 
18R SiO3 
| Abe) 


vom 27. Juni 1870. 461 


Klein Wenden 

\ 2 Mo$ 
Richmond N ee 
Pultusk Ca Fe? Ms? 
Jowa Ca Fe* Mg!? 


Das Endresultat der eigenen Untersuchungen ist also: 


Die vier von mir untersuchten Chondrite ent- 
halten nur zwei Silikate: das Singulosilikat 
oder Olivin und das Bisilikat oder Broneit. 
Die Trennung derselben durch Säuren gelingt sehr gut. 


Auch unter den bekannten Analysen anderer Cbondrite finden 
sich solche, die genau dieselben Resultate geben. So der Ch. von 
Ausson (Montrejean).. Die von Harris unter Wöhlers Leitung 
ausgeführte Zerlegung ergiebt einen Olivin mit FeMg?, also gleich 
Chassigny und Alais, und einen Broneit, worin R:Si = 1:1,08, 
frei von Kalk, nahezu 


15R Sı O? 
Fe Ms# 
eNg‘, und | De 


Abichs Analyse des Steins von Stauropol führt auf einen 
Olivin, der fast FeMg°? enthält, und auf einen Broncit, worin 
R:Si= 1:0,95, die At. von Ca: Fe:Mg genau wie in Kl. Wen- 
den, und ebenso die Menge des Al, also 


IR Si O3 
| noj 


Es läfst sich hiernach behaupten: 


Mesosiderit und Chondrit sind petrographisch nicht ver- 
schieden. Nur ihre Struktur unterscheidet sie. 


462 Gesammtsitzung 


30. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 
Hr. Weber las 


über das zweite Buch der Atharva-Samhita.') 


1. Verherrlichung des Urgrundes aller Dinge. 


1. Das Höchste der Seher schaut, das Verborgne, 
Worin Alles (wieder) wird eingestaltig. I 
Ihm molk Prigni ab, was da ward geboren. 
Zujauchzten die Schaaren, die Himmelskund’gen. Il ı Il 

Dies ganze Stück findet sich, mit erheblichen Varianten indefs, 
wieder als Theil der Mahändräyana-Upanishad, resp. in Taitt. Är. 
10, 1, 3.4. Vaj. $. 32, 8—12; s. die Übersetzung des dortigen Textes 
in Ind. Stud. 2, 84. — Vom ersten Vers findet sich dort nur das 
erste Hemistich?), und zwar mit den Varianten pagyan vigva?) 
bhuvanani vidvan in T., nihitam guhä sad in Vs. (für paramam guhä 
yad) und ekanilam in T., ekanidam Vs. (statt ekaräpam). — veno 
ndma gandharvah, Säy. zu T.; vgl. zend. Yvaen, sehen. — Unter 
prigni ist wohl hier*) die unter dem Symbol einer bunt-gespren- 
kelten Kuh personifieirte bunte Naturkraft (mülaprakriti, hier aber 
als Demiurgos wirkend,) zu verstehen, vgl. das über go in dieser 
Beziehung Ind. Stud. 9, 100. Ind. Streif. 2, 462—3 Bemerkte. Die 
bunte Sturmeswolke, die das himmlische Nafs melkt (R. 10, 12, 3 
duhe yad eni divydm ghritdm vah), reicht hier jedenfalls nicht aus; 
dagegen ist eben an die gabali°), s. Ind. Stud. 5, 443 ff., an die ajd 
lohitaguklakrishnd (Taitt. Är. 10,12, 5. Ovelägv. Up. 4, 5. Ind. Stud. 
1, 428), die neben dem brahman als increata gleichberechtigt da- 
steht, zu erinnern. — aduhat mit doppeltem Accusativ der Person und 
der Sache (wie duhe eben). — jdyamdndh fem.; dazu wohl aus dem 
Folgenden vrdh heranzuziehen? — vrah von Yerd = var; eig. Um- 


1) die Übersetzung des ersten Buches s. in den Ind. Stud. 4, 393-430. 

2) das zweite Hemistich lautet: tasminn (yasminn T.) idam sam ca vi cas 'ti 
sarvam (vicai "kam T.), sa otah protag ca vibhüuh (vibhu T.) prajasu „darin 
dies Alles eingehet und herausgeht; er (es) ist gewoben und geflochten in die 
Wesen als ihr Herr.“ 

3) vieva ist wohl metri caussa zu tilgen.' 

4) im Übrigen s. Pet. W. s. v., und Muir Orig. Sansc. Texts 9, 39. 147. 

5) vgl. gabalam als Name des brahman Kaush. Upan. p. 24. 149 Cowell. 


vom 30. Juni 1870. 4653 


gebung, dann Schaar, vgl. vrdta. Der lobende Zuruf bezieht sich 
wohl nicht auf den Akt der Erkenntnifs von Seiten des Sehers, 
sondern vielmehr auf die Melkung des Absoluten durch die prieni, 
den Akt der Schöpfung also, und die svarvido vrah sind entweder 
die dadurch eben ins Leben gerufenen Schaaren? oder solche, die 
bereits aus einem früheren dgl. Akte stammen, und, da die Schö- 
pfung immer fort dauert, nun späteren Akten der Art beiwohnen? 
2. Das meld’ uns der Weise, des Ew’gen Kund’ge, 
was als höchster Grund im Verborgnen ruhet. I 
Denn seine drei Stufen ruhn im Verborgnen, — 
Wer sie erkennt, der sei des Vaters Vater! li all 
Dieser Vers kehrt im Wesentlichen identisch an den angege- 
benen Stellen wieder; voce T. (für voced), amritam nu (für amritasya) 
T. Vs., nadma') nihitam guhasu T. dhäma vibhritam (guh@ sat) Vs., 
(für dhama paramam guha yat), guhäsu T. (für guhd ’sya), yas tad 
veda T. (für yas tani veda), savituh T. (für sa pituh). — gandharva 
hier in der abgeschwächten Bedeutung: ein Weiser, vgl. Odnkh. 
12, 20, 2 (Ath. 19, 128, 3) yad bhadrasya purushasya putro bhavati 
dadhrishih | tad vipro abravid u tad gandharvah kämyam vacah; 
die manushyagandharva stehen den devagandharva gegenüber 
in Taitt. Up. 2, 8 (Ind. Stud. 2, 230). — Die drei padäni, Zu- 
stände, Stufen sind nach Mahidhara: Entstehen, Bestehen, Vergehen, 
oder: brahman Absolutes, antarydmin Demiurg, vijnandtman Einzel- 
seele; oder bezieht sich der Ausdruck etwa auf die im purusha- 
sükta (R. 10, 90, 3. Vs. 31, 3) vorliegende Vorstellung, dafs drei 
Viertel?) des Absoluten nicht zur Erscheinung in der Welt 
gelangen, nur ein Viertel desselben deren theilhaftig wird? wozu 
auch die gleiche Vorstellung von den vier Vierteln der vde (s. Pe- 
tersb. Wört. unter turiya) zu vergleichen ist. — „der sei des 
Vaters Vater!“, s. Ind. Stud. 9, 45. 46. 
3. Er ist unser Vater, Verwandter, Zeuger. 
Er kennt alle Satzungen, alle Wesen. I 
Er, der allein setzet der Götter Namen, — 
Alle Welten gehen zu ihm als Richter. II 3 Il 
Nur das erste Hemistich dieses Verses findet sich an den an- 


1) die in den Ind. Stud. 2, 84 hiebei von mir gemachte Gleichstellung 
von ndma —= numen ist nicht als eine etymologische zu fassen. 
2) pada — päda, Fuls, Viertel s. Ind. Stud. 9, 96. 


464 Gresammtsitzung 


gegebenen Stellen ') und zwar mit den Varianten: sa no bandhur 
janitd sa vidhätd (für sanah pita janitd sa uta”) bandhuh); der ganze 
Vers aber findet sich in Rik-Samh. 10, 82, 3 und Vs. 17, 27 mit den 
Varianten yo vidhata (statt: sa uta bandhur), ndmadha (statt: nd- 


madha) und yanty anya (statt yanti sarvd). — Über Prajäpati als 
den, der allen Wesen ihre Bestimmung zutheilt, s. z. B. Cat. 1, 
4,121 0% 


4. Himmel und Erd’ hab’ ich sofort umschritten, 
nahte mich dem Erstgebornen der Ordnung. I 
Stimme gleichsam ein in den Sprecher setzend 
Steht in der Welt er, wahrlich er ist Agni. I & Il 
Das erste Hemistich enthält wenigstens einige Anklänge an 
T. Vs. am a. O0. — Der Dichter hat Himmel und Erde durchsucht 
und den Prajäpati als den gefunden, der jedes Ding an seine 
richtige Stelle setzt und dem Agni an flammender Majestät gleich- 
kommt. Dieser seiner Kunde rühmt er sich, weil er dadurch von 
der Hoheit des Erkannten selbst bestrahlt wird. So allein schei- 
nen mir die Varianten dieses und des folgenden Verses zu der ur- 
sprünglichen Fassung derselben, in der sie sich blos auf das Ver- 
hältnifs des Demiurgos zum Absoluten beziehen, erklärlich. — Es 
liegt hier resp. in 1. eine ähnliche allgemeine Einleitung für die 
von 2. an folgenden speciellen brahmani, Spruchsegen, vor, wie 
beim ersten Buche. 
5. Alle Welten habe ich rings umschritten 
Den durchgehn’den Faden zu schau’n der Ordnung, I 
Unsterblichkeit findend worin die Götter 
zur einigen Quelle empor sich heben. Il 5 Il 
Das erste Hemistich klingt an T. und Vs. 32, 12 an; das zweite 
findet sich in T. und Vs. 32, 10 wieder (wo aber tritiye dhamann 
adhy Vs., tritiye dhämäny abhy T., statt samdne yonav adhy). Der 
Dichter, resp. Priester, rühmt sich seiner Allwissenheit, um da- 
durch seinem Wirken und seinen Sprüchen Ansehen und Vertrauen 


zu sichern. 


1) das zweite Hemistich lautet daselbst (s. hier v. 5): yatra deva amyi- 
tam änagäands tritiye dhämann (Vs., dhamäny T.) adhy (Vs., abhy T.) aira- 
yanta „in welchem die Götter Unsterblichkeit erreichend hinauf zur dritten 
(Himmels-)Stätte sich erheben“. 

2) Metrums halber lies: so 'ta. 


vom 30. Juni 1870. 465 


2. Würfelsegen. 


ı. Der himmlische Gandharva, der als Welt-Herr 
einzig zu ehr’n ist, für die Leut’ preiswürdig — | 
Dich banne ich, himmlischer Gott, durch’s Spruchlied. 
Verneigung sei dir, dessen Sitz am Himmel! Itı!l 
Dafs dies Lied ein Würfelsegen sei, vermuthe ich nur aus dem 
letzten Verse, der dann, wie so häufig im Atharva-Veda, die Pointe 
enthält, um die es sich handelt, während die vorhergehenden Verse 
die feierliche Einleitung dazu bilden. — Ob wirklich ein „Genius des 
Mondes“ unter gandharva zu verstehen ist, wie Böhtlingk-Roth 
s. v. wollen, ist wohl noch zweifelhaft. Gemeint jedenfalls ist hier 
damit (so auch das Pet. W.) der in v. 4 ja auch direkt genannte 
Vicvdavasu, der alle Schätze Habende (?), der als König sämmt- 
licher Gandharva und als Gemahl der Apsaras (s. v. 5), speciell aber 
weiter als, nach Soma erster, Gemahl auch jeder menschlichen Jung- 
frau, resp. als Genius der weiblichen Pubertät und Virginität') 
gilt. In den Brähmana erscheint er überdem noch als Räuber 
des Soma, den er der gäyatri, als sie ihn vom Himmel holte, 
entwendete und mit dem er sich dann in das Wasser zurückzog, 
Snoop, A eN.aneno, 9,22. 75. 6, 1,6, 5. 11, Kalhe 2A, 
In einer andern gruti im schol. zu Vs. 2, 3 wird er freilich umge- 
kehrt unter den Hütern des Soma genannt, im Text selbst resp. 
als Hüter der paridhi genannten Schutzwehr um das Feuer. Er 
ist jedenfalls ein dämonischer Gesell, und wird daher hier auch 
mit möglichster Unterwürfigkeit angerufen. — Die anakoluthische 
Construction der beiden Hemistiche erhöht die Lebendigkeit des 
Ausdrucks und finden wir sie hier im zweiten Buche noch mehrfach. 
2. Zum Himmel hin reicht er, der Opferwürdge, 
Sonnfarbige, göttlichen Zorn’s Abwehrer! I 
Mild sei uns der Gandharva, der als Welt-Herr 
einzig zu ehr’n ist und voll guten Heiles. II 2 Il 
Sonnenfarbig, eig. Sonnen(-helle) Haut habend. 
3. Mit den Tadellosen kam ich zusammen; 
Der Gandharva unter den Apsard war. | 


1) der cunnus gilt als sein Mund (dnkhäy.g. 1, 19. Bei der ersten coha- 
bitatio wird er angewiesen sich wegzubegeben, (atap. 14, 9, 4, 18. Ath. 14, 
1, 24. 25. Ind. Stud.. 5, 185. 191. 


466 Gesammtsitzung 


Im Meere ist, sagt man, ihr Sitz, allwo sie 
beständiglich herwärts und abwärts steigen. 113 Il 


jagme fasse ich jetzt (anders in meiner Abhandl. über Omina 
und Portenta p. 350) als 1 pers. singul. Der Dichter hat eine Er- 
scheinung der Apsard, die man nicht tadeln darf'), die man stets 
nur loben soll, gehabt, den Gandharva ihren Gemahl (den Elfen- 
könig) mitten unter ihnen gesehen”); daher wendet er sich in v. 1.2 
an diesen, lobt und preist ihn, um dadurch auch über die Apsara 
Macht und ihren Schutz beim Würfelspiel zu gewinnen. — Ich 
glaube noch immer (s. Vaj. S. spec. prim. p. 18 n.), dafs die Er- 
klärung von a-psard’, a-psaras aus psdras — rüpa Nigh. 3, 7 die 
richtige ist?). Es sind die gestaltlosen, oder (s. Pet. W.) die 
unheimlichen, unfriedlichen Nebelgestalten der Elfen*) und son- 
stigen Spukgeister der Art, die im schattigen Waldesdunkel (s. v. 4) 
ihr Wesen treiben. In Ts. 3, 4, 8, 4 werden die dichtschattigen 
Bäume nyagrodha, udumbara, agvattha, plaksha als die Häuser, der 
Aufenthaltsort, der Gandharva und der Apsaras bezeichnet. Auch 
nach Ath. 4, 37 sind es die grolsen, kronenreichen’) Bäume, die 
agvatiha und nyagrodha, wo sich die goldnen und silbernen Schau- 
keln der Apsaras°) finden, und wo ihre Cymbeln (dghäta) und 


1) ?an-a-vadya; oder ob an-avadya, und letzteres Wort aus ava-tya ent- 
standen? vgl. die alte Verstimmelung von atibhüuta in adbhuta, und die jün- 
gere von prätar, Pali pätur (pätur ahosi Fausböll Dhamm. p. 204), in prädur 
(so, nicht pr&ädus ist die Form anzusetzen, wie dvir aus @vid, nicht @vis; 
anders M. Müller Einl. zu Buddhagh. Parables p. vu). 

2) vgl. Panc. 12, 11, 10, wo Kalyäna Angirasa auf den Gandharva 
U'’rnäyu trifft, der sich unter einer Schaar Apsaras schaukelt (prenkhayamanam). 

3) die Herleitung von apsas = rüpa (at. 9, 4, 1,4 ist schwerlich 
richtig. Übrigens bedeutet apsas wohl nicht die Wange, sondern den Bu- 
sen. Statt apsasa "pso Ath. 6, 49, 2 hat die Parallelstelle im Kath. 85, 14 
vakshasa vaksho. Ich fasse apsas als „begehrt, ersehnt“, von aps, ältere 
Form des späteren ?ps (vgl. aksh neben iksh). 

4) deren Tanz und Gesang sich bei den Apsaras ebenso wieder findet, 
wie die Vogelgestalt der Schwanenjungfrauen (die Apsaras erscheinen als ati- 
Vögel, s. Ind. Stud. 1, 197). 

5) pikhandinah; oder ist dies etwa Gen. Sgl.? als n. pr. eines Gandharva, 
wie in v. 7 ibid. 

6) dies Schaukeln, Tanzen und Hin- und Her-sich-bewegen ist wohl 
auch der Grund, warum die Apsaras mit dem Würfelspiel in Bezug stehen? 


vom 30. Juni 1870. 467 


Lauten (karkari) erklingen. Nach dem Flusse hin, zum Ufer der 
Gewässer sollen sie wie weghaucht sammt ihrem tanzenden 
Herrn Oikhandin verschwinden, durch den starken Geruch des 
Krautes Bockshorn (ajagringi) verscheucht. Es wird dies Kraut 
resp. daselbst auch noch (v. 10) als gegen die hinleuchtenden (? a- 
bhigocas), im Wasser sich spiegelnden (?apsu jyotayamdmaka) Pi- 
cdca wirksam bezeichnet, worunter wohl, s. Pet. W., Irrlichter 
und ähnliche Erscheinungen zu verstehen sind. Diese Zusammen- 
stellung der Gandharva und Apsaras mit den Picäca erinnert sofort 
an die Bezeichnung der Fata Morgana als „G@andharva-Stadt*, 
die sich neuerdings auch, s. Sachau im Journ. R. As. Soc. 1869. 
4,251. 257, bei den Pärsi wiedergefunden hat, somit offenbar schon 
der ärischen Periode angehört!). — Nach Ath. 7, 109, 3 treiben 
die Apsaras ihr Wesen zwischen dem Opferplatz, der Erde also, 
und der Sonne, somit in der Luft, und das „im Meere“ unsers 
Verses ist daher wohl eben auf das Luftmeer zu beziehen. 
4. O Wolkige, Blitzige du, du Stern’ge, 
Die ihr da folgt Vievavasu, dem Gandharv’ — I 
Euch Göttinnen bringe ich hier Verneigung. Il 4 Il 
Diese Namen der Apsard deuten auf leuchtende, elektrische 
Lufterscheinungen, d.i. wohl eben auf die lichten Nebelgestalten 
der Elfen und Irrlichter. 
5. Die ihr da kreischt, im Dunkeln weilt, 
die Würfel liebt, den Geist verwirrt — | 
Diesen Frauen des Gandharva, 
den Apsar& ich mich verneig’. Il; II 
Ykland, krand wohl mit elangor, Klang zusammenzustellen; 
Wechsel im Auslaut wie bei gardabha und Ygarj (Weiterbildung 
aus gar). — tamishicayas für °cyas, aus tamishi-+ ac, fe. ; oder 
ist etwa direkt eine Weiterbildung daraus: tamishici anzusetzen ? 
tamishi neben tamas, wie tavishi neben tavas. — Unter dem Dun- 
kel ist wohl eben das schattige Dunkel des Waldes zu ver- 
stehen. Vergl. noch Atk. 14, 2,9, welcher Vers im Kaug. 77,7 
(s. Ind. Stud. 5, 394. 205) auf das Vorüberziehen des Brautzuges 
bei grolsen Bäumen bezogen wird, und die Gunst der in diesen 


!) aus vedischen Texten einstweilen allerdings mir noch nicht direct 
nachweisbar; vgl. aber die goldnen Paläste (hiranyavimitanı) der Gandharva 
im Cat. 11, 5, 1, 11. und das über sodbAha Ind. St. 2, 38 n. Bemerkte, 


463 Gesammtsützung 


weilenden Apsaras und Gandharva auf denselben, insonderheit na- 
türlich auf die Braut herabruft. — akshakadmäh; für die specielle 
Beziehung der Apsaras zum Würfelspiel legt Ath. 4, 38. 7, 109 
lukulentes Zeugnifs ab (s. Muir Original S. Texts 5, 430). — Die geist- 
verwirrende Kraft der Apsaras bezieht sich entweder auch noch 
hierauf, auf die fascinirende dämonische Gewalt des Spieles also, 
oder es ist dabei an die verführerische Buhlkoboldschaft zu den- 
ken, die in 4,37 von den Gandharva den menschlichen Frauen 
gegenüber, daher wohl auch stillschweigend, wie später, von den 
Apsaras den Männern gegenüber, gefürchtet wird. Sie ist es ja 
eben, die, in poetischer Verklärung, in der späteren Zeit den Apsa- 
ras fast alleinig geblieben ist. Nach Ath. 8, 5, ı3 ist von beiden 
Klassen von Genien sogar tödlicher Einflufs auf den Menschen 
ausgehend und auch in 12, 1,50 werden sie in Gemeinschaft mit 
anderen bösen Geistern genannt, und um ihre Fernhaltung gebetet. 


3. Wundenbalsam. 


1. Welches Brünnelein dort herab, 
herunter von dem Berge, läuft, 
Das mach’ ich dir zum Balsam, dafs 
ein gutes Heilmittel du sei’st. I ıll 
Das Quell-Wasser soll sich balsamartig mit den übrigen Stof- 
fen des Heilmittels (s. 8—5) vermischen. 
2, Hinzu, wohlan! recht viel, wohlan! 
Welch’ hundert Balsam’ es dir giebt, I 
Von denen du das beste bist, 
Gebrechen tilgend, tilgend Schmerz Il 2 Il 
Wird mit päda 1 etwa ein Zusammenguls verschiedener Stoffe 
vorgenommen? dsrdva Gebrechen; eig. Anflufs, (übler) Einflufs. 
3. Tief ein graben die Asura 
dies mächt’ge Wundenheilende! I 
dies ist Heilmittel gegen jed’ 
Gebrechen, dieses tilgt den Schmerz. II 3 Il 
nicaih, in dem Schoofse der Erde vergraben sie es, damit es 
nicht an’s Tageslicht soll? oder umgekehrt (wie ykhan hier vielfach): 
sie graben es aus? — arussrdnam wird bei Böhtlingk-Roth wohl 
mit Recht als aruh-cräna „die Wunde zerbrechend® (ygar diffin- 
dere) gefafst; arus, die Wunde, eig. die getroffene Stelle, s. Ind. 
Stud. 8, 276. 


vom 380. Juni 1870. 469 


4. Die Wassernixen ') bringen dies 
Heilmittel aus dem Meer hervor. I 
Dies ist Heilmittel gegen jed’ 
Gebrechen, dieses tilgt den Schmerz. Il 4 Il 
5. Dies mächt’ge Wundenheilende 
wird aus der Erd’ hervorgebracht. I 
Dies ist Heilmittel gegen jed’ 
Gebrechen, dieses tilgt den Schmerz Il 5 Il 
6. Die Wasser sei’n heilkräftig uns, die Pflanzen mild! 
Indra’s Blitzkeil schlage hinweg die Rakshas all! I 
Fortfliegen soll’n ihre Pfeil’ in die Ferne hin! Ile ll 
Statt rakshasdm lies metri caussa: ca, „In die Ferne“, nicht 
in unsre Nähe. 


4. Jangida-Amulett gegen Vishkandha (Reifsen?). 


ı. Zur Langlebigkeit und zu hoher Freude, 
beständiglich schadenfrei und gedeihend, I 
tragen wir hier den Jangida 
als Reifsenstill’ndes (?) Amulett. It 1! 

In 1, 16,3 wird Blei, in 4,9, 5 eine Salbe als Mittel gegen 
das vishkandham bezeichnet. Der jangida, s. Grohmann in den 
Ind. Stud. 9, 417—9, stammt nach v. 5 aus den „Säften des Acker- 
baues“, scheint somit etwa eine Art Öl (Baumöl) zu sein? Er 
ist nach 19, 34, 7 ein Kraut (oshadki), resp. ein Baum (baumlan- 
ges Gewächs?) nach v. 9; und zwar haben ihn nach ibid. v. 6 die 
Götter dreimal aus der Erde erzeugt; bezieht sich dies etwa auf 
dreimalige Erndte im Jahre? Er ist gegen eine grofse Zahl von 
Krankheiten wirksam, unter denen neben dem vishkandham, ge- 
gen das er ein Speeificum ist (19, 35, ı), auch das samskandham 
(19, 34, 5) erscheint. Weder die Natur der Krankheit, noch die 
des Heilmittels läfst sich einstweilen sicher bestimmen. Meine 
Auffassung von vishkandham als „die Schultern auseinander zie- 
hend“, also Rheumatismus in den Schultern, Hexenschuls, Reifsen 
überhaupt, stützt sich besonders darauf, dafs in v. 5 neben dem 
Jangida auch Hanf als Mittel dagegen genannt wird. Auch in 


. 1) so Böhtlingk Roth im Pet. W. unter upajika. 


470 Gesammtsitzung 


3,9, 2 ist von Bändern als Mittel gegen das vishkandham die 
Rede. In 3, 9, 6 werden aber 101 vishkandhäni als über die Erde 
verbreitet erwähnt. Vgl. noch Ts. 7, 3, 11,ı vishkandham tasmin 
hiyatdm yo ’smän dveshti. — Sollte zu jangida etwa das ingidam 
djyam Kaug. 47 (wo dägirasam genannt, wie der jangida in Ath. 
19, 34, 6). 116, d. i. doch wohl das Öl der inguda-Pflanze, ter- 
minalia catappa, eine Nufsart, deren Öl bei Zaubereien dient (®. 
auch (dkuntal. v. 14 ed. Böhtlingk), zu vergleichen sein? 
2. Jangida schütz’ uns allseit vor 
dem Jambha, vor dem Vigara | 
vor Reifsen (?) und vor Anglühen (?) 
als tausendkräftges Amulett. II 21 
jambha das Zermalmen, wohl eine Kinderkrankheit, vgl. Kaug. 
32 jambhagrihitäya stanam prayachati; etwa das Zahnen? — Zu vi- 
cara, Zerreilsen, Auflösen vgl. vigarika in 19, 34, 10 (neben dca- 
rika). — Sollte abhigocana, Anglühen, etwa von einem Sudzauber 
zu verstehen sein? 
3. Er besieget das Reifsen (?) uns, 
er treibt die Fresser (all) hinweg. I 
Für Alles sei uns Heilmittel 
der Jangida, schütz’ uns vor Noth! Il3 Il 
atrinas (att°), die Fresser, Quälgeister, Krankheitsgenien. 
4. Durch den heilvollen Jangida, 
das gottgegebne Amulett I 
Das Reifsen (?) und die Rakshas all 
besiegen wir im Streite (stets). II« Il 
5. Der Hanf mich und der Jangida 
Vor dem Reifsen (?) bewahren soll’n! I 
Jener ist aus dem Wald’ geholt, 
Der aus des Feldbau’s Säften stammt. Il5 Il 
Hanf (cana) resp. Hanfwerg dient, um die leidende Stelle ge- 
wickelt, bei uns als Mittel gegen Gicht oder Reifsen. Nach pdda 
3. handelt es sich resp. um wildwachsenden Hanf, während der 
Jangida auf dem Acker gebaut wird. 
6. Zu Schanden macht das Amulett 
die Zauberkunst, den Feindestrug. I 
Der sieggewalt’ge Jangida 
führ’ unser Leben weit hinaus! Ile Il 


vom 30. Juni 1870. 471 


9. Einladung an Indra zum soma-Trunk. 


1. Indra! sei günstig — fahr’ hervor! 
O Held, komm herwärts — mit Gespann! 
Trinke vom soma — dir ’nen Rausch! 


Am Meth dich letzend, zum Rausch willkommen? Ilı Il 
2. Indra, den Leib dir — wie Schiffsbauch !) 
_ mit Meth anfülle — wie mit Licht! 
von diesem soma — wie im Glanz 
dir nahten Räusche, mit gutem Klang. 13 ı 
3. Indra rasch siegend — wie Mitra 
erschlug den Pritra — wie Zaubrer; 
spaltet’ den Vala — wie Bhrigu, 
besiegt’ die Feinde, im Rausch des soma. Ila li 
4. Eingeh’n soll’n in dich, die Säfte, Indra! 
Füll’ deine Mägen! = sättge dich, Mächtger! 
ob unsres Lieds komm! 
Auf unsern Ruf hör’, nimm unser Lied an! 
Indra! mit Freuden berausche hier dich 
zu grofser Freude! I all 
5. Nun des /ndra männliche That’n ich singe, 
des Blitzführers, die er gethan zu Anfang. | 
Den Ahi schlug er, machte frei die Wasser, 
Spaltete die Brüste der Wolkenzüge. 115 It 
6. Schlug den Az, der in Gewölk’ sich hüllte, 
Tvashtar schuf ihm dazu den strahl’nden Blitzkeil. ı 
Dahinfliefsend, brüllend wie Mutterkühe, 
Zum Meere flugs strömten hinab die Wasser. Ile 
7. Zur Kräftigung er sich erkor den soma, 
und trank von dem Saft aus drei braunen Krügen; I 
falste sodann mächtig den scharfen Blitzkeil, 
Und schlug ihn, den Erstgebornen der Schlangen. Il z 
Dieser Spruch (dient er etwa, s.v.7, als Schlangenzauber?) 
ist aus zwei ganz verschiedenen Stücken zusammengesetzt. Das 
zweite zunächst, v. 5—7, ist dem Eingang des bekannten ?) Indra- 


1) oder: Schiffsraum, Schiffsschlauch ? 
2) vgl. Oatap. 1, 6, 4, 2, wo sein V£. Hiranyastüpa als Repräsentant 
aller rishi erscheint, offenbar weil dies sein Lied eben in hohen Ehren stand. 


[1870] 33 


472 Gesammtsitzung 


Liedes im ersten Buch der Riks. (1, 32, ı—3) entlehnt. Das erste 
dagegen, v. 1—4, findet sich nicht in der Riks. selbst, wohl 
aber im Ritual des Rik (Ägval. 6,:3,.1, Cankh. 9, 54,86. Br: 1,9), 
v. 1-3 resp. auch in der Sdmasamhitd 2, 302—4'), el; Panc. 12, 
13, 21 sowie Anup. 3,12 (unter Citirung übrigens des Kathakam, 
der Atharvan und der Bhällavin) und Nid. 2, 12 (unter Citirung 
der Bahvricds und Ätharvanikds), wieder; und zwar mit mannich- 
fachen Varianten; es erscheint resp. hier theilweise in ziemlich ver- 
derbtem Text, worüber bereits Roth in seiner Abh. über den Ath. 
Veda (Tüb. 1856) p. 11 gehandelt hat. Das Metrum dieser ersten 
vier Verse?) ist eigenthümlich; sie bestehen nämlich aus fünf ösilbigen 
pdda, von denen hier, wie in Sdmas., in v.1—3, und bei Äcval. auch in 
den beiden hier in v. 4 zusammengefafsten Versen, je die drei ersten 
durch eingefügte 3silbige Einschübe in Ssilbige pada umgewandelt sind. 
Diese Einschübe lassen sich zum Theil nur schwer, zum Theil”) 
gar nicht mit dem übrigen Texte in Zusammenhang bringen, und 
sind offenbar ganz fremdartige Bestandtheile. Das Ritual bezeich- 
net sie denn auch als upasarga ((dnrkh. Br. Nid.), resp. als (vgl. 
Ind. Stud. 8, 67. 76) ekapadas tryakshard vishmog chando bhurijah 
cakvaryah (Panc. Br.) Sie dienen zu der behufs Herstellung des 
shodagi-castra, resp. -stotra, nöthigen Wandlung‘) der Weise der 
25silbigen gdyatri in die der 34silbigen anushtubh svardj (Oankh. 
Br.). Um einen leidlichen Text, resp. doch eine Art Sinn zu be- 
kommen, lese ich in le statt des viersilbigen, somit offenbar 
falschen mater iha (matir na de. .S. G.) mader ha; — in 2b resti- 
tuire ich für navyo mit Äc. (. navyam und fasse es als ndvyam; 


Agni von den Göttern, Hiranyastüpa von den rishi, die brihati von 
den Metren ziehen aus, den nach dem Todschlage Vritra’s aus Furcht vor 
ihm (dafs er etwa noch lebe) entflohnen Indra zu suchen. 

1) als stotriyäs für das Gaurivitam säma, schol. zu Pahe.; s. auch Akt. 
Br. 4, 2 Haug p. 257. 

2) resp. aksharapankti nach Anup. (sollte padepankti heifsen, vgl. Ind. 
Stud. 8, 152. 155). 

3) insbesondere bei der von A'pvaläyana gegebenen Form von v. 4. 

4) tah paitcavinpatyakshard, ekaika navabhir navabhir aksharair upa- 
srishtü.... täg catustringadakshardh sampadyante, svardd vai tac chando yat 
kim ca catustrihcadaksharam (. Br. Auf den Sinn kommt es bei diesen 
Verschmelzungen und Neugruppirungen der Verstheile gar nicht an, wenn 
nur die Silbenzahl stimmt, s. Ind. Stud. 8, 24 ft. 


vom 30. Juni 1870. 478 


in 3 ist in a. mit Ag. Q, mitro na zu lesen, yo in b. zu streichen 
und yatir na zu lesen; — in 4 ist ind aviddhi aus Äe. zu re- 
stituiren, in f. g. giro me umzustellen, und in h. wohl sayugbhir mit 
Äg. zu lesen. Auf die andern zahlreichen Varianten lasse ich 
mich hier nicht weiter ein, und bemerke nur zweierlei. Einmal 
nämlich, dafs statt yatir na „wie ein Zauberer“ es jedenfalls 
näher läge yalin na (yatir na) zu lesen und dies auf die bekannte 
Bekämpfung der yati (vgl. yatu, ydtu) durch Indra zu beziehen; 
die Analogie mit den übrigen upasarga aber erheischt den Nom. 
sgl. Wichtiger ist der zweite Umstand. Wir sehen hier in v. 4 
zwei Verse vereinigt, und zwar ohne die bei ÄAgval. in dieselben 
eingefügten upasarga; nach dem Zeugnisse des Niddna-sütra aber 
standen in dem damaligen Atharvan-Text auch die drei 
ersten Verse, um die allein es sich im Sdmaveda handelt, ohne 
die in unserm jetzigen Texte darin aufgenommenen upasarga; es 
heifst nämlich daselbst: ath@ ’pi cacvad end anupasrishtd Äthar- 
vanikä adhiyate; und auch das Anupada scheint Gleiches anzu- 
deuten mit seiner freilich etwas dunklen Redeweise: aksharapank- 
iy-ekapadd-prithagamnändd Atharvandm sampadvadas (, tam 
panktishu caikapaddsu ca samsajya stuwata iti Bhdl labindm, pra- 
vaha hariha matir neti prathamdydm, navyam na divo na svar neti dvi- 
Uydydm, mitro na yatir na bhrigur neti tritiydyam). 


6. An Agni. 


1. Dich stärken soll’n, Agni! die Tag’, Jahrzeiten, 
Die Jahre, die Seher und die Wahrheiten! I 
Mit himmlischem Glanze erstrahle stetig! 
Die vier Himmelsgegenden all’ erleuchte! Ilılı 
Dieses Stück kehrt, mit mehrfachen Varianten, in allen drei 
Yajus-Texten wieder, in Ts. 4, 1, 7, 1.2. Käth. 18, 16. Ver 2, 18 
5.6‘). Es wird daselbst beim aynicayana verwandt, resp. zwi- 
schen die zu dem Thieropfer (ishtakdpagu) gehörigen sdmidheni- 
Verse eingeschoben (s. Mahidh. ad 1.). — Unter samds versteht 
Mahidhara die Monate; s. indefs Ind. Stud. 4, 430 (At. 1, 3405: 


!) es gehören daselbst dazu noch 4 trishtubh und eine anushtubh am 
Schlufs; im Kath. resp. noch eine fünfte trishtubh. 


33* 
“ 


474 Tesammtsitzung 


Kaug. 102). Das Feuer soll von Tag zu Tag, von Zeit zu Zeit 
an Kraft zunehmen. 
2. Entzünde dich, Feuer! und ihn mach’ wachsen! 
Erheb’ dich zu mächtiger Glücksverein’gung! I 
Nicht leiden soll’n deine Beisitzer, Agni! 
Deine Priester ruhmesreich sei’n, nicht Andre! II 21 
ihn, den Opfernden. 
3. Die Brähman’ hier haben erwählt dich, Agni! 
Sei hülfreich uns, Agni, bei (Nacht)-Umhüllung! | 
Sieg’ Agni! du ob (unsren) Gegnern, Feinden! 
In unserm Haus wache du unablässig! II 1l 
4. Packe du an, Agni! mit deiner Herrschkraft! 
Gieb Müh’, Agni! dir mit dem Freundin Freundschaft! I 
Im Mittelpunkt stehend der Gleichgebornen, 
Erstrahle hier, Agni! als Hort der Kön’ge. Ilall 
„im Mittelpunkt stehend“, d. i. um den sich alle schaaren. — 
vihavyah „als Hort“, eig. als der, der von verschiedenen Seiten, 
als Schiedsrichter nämlich, oder als Helfer, angerufen wird. 
5. Über die Neider, die Streiter, die Unbesonn’nen, Hassenden | 
Über alles Ungemach führ hinweg uns, 
o Agni, gieb uns Mannen-reichen Reichthum! II 5 Il 
| niho haben alle vier Texte (ni-hantar Mahidh.); und ob auch 
das Wort sonst nirgendwo vorkömmt, so ist doch wohl kaum nido 
zu lesen? Die Wurzel niksh durchbohren, die sich etwa vergleichen 
liefse, ist vielmehr wohl Desid. aus nag (und in der Bedeutung: 
küssen aus nij?), wie nins aus nam, pits aus pat. — Statt sridho 
haben die Yajus-Texte sridho, vgl. lat. stlis, unser Streit. 


7. Gegenzauber gegen Verfluchung. 


1. Dies Gottgeborne, von Bösen 
gehafste, fluchabwehr’nde Kraut I 
Hat alle Flüche von mir weg 
gespült, wie Wasser spült den Sehnate, Il 
2. Sowohl des Nebenbuhlers Fluch, 
als auch den Fluch der Basenschaft, 
Od’r wenn im Zorn ein Priester fluch’, 
— all das treten mit Fülsen wir. II21l. 


vom 30. Juni 1870. 475 


sapatnah könnte hier speciell etwa: der Fluch der Nebenbuh- 
lerin sein, wenn nämlich das Stück, s. v. 4, einem Weibe in den 
Mund zu legen ist. — jämydh, der Schwester, d.i. wohl allgemei- 
ner: der weiblichen Verwandtschaft. — Das Amulett hebt über dies 
Alles hinweg. 
». Vom Himmel ’rab die Wurzel hängt, 
aus der Erd’ hebt es sich empor. I 
Mit diesen tausend Stängeln du 
beschütze rings uns allseitig! 113 I 
Das Amulett ist somit wohl eine Art Schmarotzerpflanze, die 
ihre zahllosen Triebe von dem Mutterbaum nach unten hinab han- 
gen lälst, so dafs sie (wie beim nyagrodha) in der Erde neue 
Wurzeln schlagen. Die Zahllosigkeit der Triebe verbürgt die 
allseitige Wirkungskraft des Amuletts. „Man trinkt (gegen Fie- 
ber) das Wasser von gekochtem Wegerich, weil dieser 99 Wur- 
zeln hat“ Wuttke der deutsche Volksaberglaube d. Geg. $. 529. 
4. Ringsum sie, rings die Kinder mein, 
ringsum schütze die Habe uns! I 
Der Unhold komm’ nicht über uns! 
nicht uns’re Gegner über uns! 14 Il 
Der Text hat parimdm „rings um diese (Frau) hier“; dann 
muls der Vers in den Mund des Gatten gelegt werden, der für seine 
Frau um Schutz bittet. Oder ist zu lesen: pari mdm, und der 
Vers in den Mund eines Weibes selbst zu legen? s. v. 2. 
5. Dem Flucher kehre heim der Fluch! 
Der’s wohl meint, eins sei’n wir mit dem. 
Wer üb’/l uns will, mit Blick bespricht, 
Dem zerbrechen die Ribben wir. I 51 
„mit dem sei uns Gemeinschaft“. — c. Dieselbe Drohung (aber 
vermittelst einer Salbe) gegen den cakshurmantra, der mit bö- 
sem Blick bespricht, behext, findet sich in 19, 45, 1; vgl. das gho- 
ram cakshus, den bösen Blick, in 4, 9, 6 (durch das traikakudam 
dnjanam, die Trikakud-Salbe vom Himavant, abzuwehren). 19, 35, 3 
(durch den Jangida zu bekämpfen); besonders an Frauen gefürchtet, 
vgl. aghoracakshur apatighny edhi Pär. 1,4. (änkh.g. 1,16. Das 
Jihmam cakshus schiefe Auge, (at. 1,5, 1,20. Cänkh. 1, 6,2 ist 
etwas Anderes und bezieht sich auf Übersehen, Nebenhinschen. 


476 Gesammtsitzung 


8. Gegen Feldschaden. 


ı. Aufgingen die glückbringenden 
Doppelstern’, Namens Vieritau, I 
Sie mögen des Feldschadens Band’ 
auflösen, untre, obere! Il ıll 
Der ganze Vers kehrt in 3, 7,4 und der erste Halbvers auch 
in 6, 121,3 (vgl. Tate Är. 2, 6, 3), beidemale resp. bei andrer Ver- 
anlassung, wieder, Ss. meine Abh. über die Nakshatra 2, 291. 292. 
vicritau „die beiden Lösenden* ist der alte Name des später 
mülabarhani, resp. m&la allein genannten nakshatra, s. ibid. 2, 394. 
Unter kshetriya ist hier offenbar Feldschaden zu verstehen, 
wie der Zusammenhang unsers Stücks erheischt'), während in 
3, 7,4 es sich wohl (s. unten bei 10) um eine gefährliche Krank- 
heit handelt, vgl. Naksh. 2, 292. Ind. Stud. 5, 145.”). — Nach Kaug. 
26 veranlafst er (der Priester nämlich) unter Recitirung dieses Spru- 
ches den Betreffenden, für den die Ceremonie gilt, „sich aufsen 
(aufserhalb der zu v.5 genannten cald?) zu baden“ (?„zu begies- 
sen“? ud agdtdm ity dpldvayati bahih). 
2. Hinschwinden möge jetzt die Nacht, 
die Zauberspinnerinnen hin! I 
Das Feldschaden tilgende Kraut 
den Feldschaden hinschwinden mach’! Il 2 Il 
Bei Tagesanbruch zu recitiren, vyuchantydm Kaug. — abhikrit- 
varis, von Ykart Cl.7 spinnen, wovon auch krityd, Zaubergespinnst, 
herzuleiten. 
3. Mit dem Strohhalm der rothbraunen 
Gerste, der silberstengligen, 
Mit der Ranke der Sesampflanz — 
das Feldschaden tilgende Kraut 
den Feldschaden hinschwinden mach’. II 3 Il 


1) auffällig freilich, dafs es bei Kaur. (26) unter den als bhaishajyant, 
Heilsprüche, verwandten Stücken (25 ff.) erscheint! 

2?) in Bezug auf Kath. 15, 1 ist mir die Sache noch immer zweifelhaft: 
idam aham amushyämushyäyanasya kshetriyam avayaje (resp. apidadhami) heilst 
es daselbst, und dies führt eben doch auf eine Krankheit! aber der Spruch 
wird verwendet zur Opferung eines ausgehobenen Ameisenhaufens (val- 
mikavapdm uddhatya, s. hier Kauf. zu v.3); und zwar geschieht diese in ein 
Feuer, das auf svakrita irina, aufgerissenem unfruchtbarem Boden angelegt 
ist, und dies führt auf Feldschaden! 


vom 30. Juni 1870. 477 


„Die im Verse genannten Gegenstände, sowie einen Erdklofs 
und einen Ameisenhaufen, die zu umeirkeln (und auszuheben) 
sind, bindet man in einen Hodensack (?) den man zuvor einem leben- 
digen Thier abgebunden (abgeschnürt) hat (?)*; mantroktam äkriti- 
loshta(?)-valmikau parilikhya jivakoshanydm!) utsivya badhnäti, Kaug. 
Die Castration durch Abschnüren geht auch bei uns wohl jetzt noch 
neben der durch Schneiden einher. Meine obige Übersetzung ist 
übrigens rein konjekturell; über das, was weiter zu geschehen hat, 
s. die Angabe zu v. d5. — Die Construktion des Verses ist ana- 
koluthisch; man erwartet nach pada 3 etwa: „wir den Feldscha- 
den treiben fort“; der Refrain aber wog vor. Gerste und Sesam 
sind offenbar die Hauptvertreter der Ackerfrüchte. 

4. Verneigung deinen Pflügen sei, 
den Deichseln und den Jochen dein! I 
Das Feldschaden tilgende Kraut 

« den Feldschaden hinschwinden mach’! ital 

„Hiermit begielst er einen Pflug- Stier, über das Haupt“; it 
sirayogam (s. Katy 5, 11, 12 yoga — balivarda) adhigiro "vasincati, 
Kaue. Und zwar wohl mit dem Wasser, welches beim näch- 
sten Verse erwähnt wird? oder mit dem, welches zu dem Bade 
bei v. 1 diente? Auffällig bleibt, dafs der Text stets nur von 
einem Kraut (virudh), nicht von einer Flüssigkeit spricht; es 
bleibt somit ungewifs, in wie weit die Angaben bei Kaug. wirk- 
lich für die vom Text im Auge gehabte Ceremonie maalsgebend sind. 
5. Den Zwinkernd-äugigen, Aufträg’ Ausführenden Verneigung sei! 

Verneigung sei dem Feldes-Herrn! I 
Das Feldschaden tilgende Kraut 
den Feldschaden hinschwinden mach’! Is Il 

„In einer leeren Halle?) thue er (der Priester?) die (in v. 3 
genannten resp. bei Kaug., aulserdem noch dazu aufgeführten) Zu- 
thaten in Wasser hinein, (giefse dies) dann in eine alte Grube 
(Cisterne?), die mit in der Halle gewachsenen (?) Grashalmen °) 
versehen ist, und lasse darin den Betreffenden (für den die Cere- 


I) vgl. jivornd, Wolle vom lebenden Thier entnommen Ääty.9, 2, 16; 
jivavishana drgl. Horn Pär. 8, 7. 

?) ?pala ist nach dem schol. zu (at.8,1,1,6 ein dirgha(m) caturasram 
griham „langes viereckiges Gebäude“. 

?) oder handelt es sich etwa um Halme vom Strohdach, vgl. Hala v. 320. 


418 Gesammtsitzung 


monie bestimmt ist) Wasser schlürfen und sich waschen (baden ?)*; 
iti cünyaraldyam apsu sampätän anayaty, uttaram jaralkhäte sacdld- 
trine, tasminn dcdmayaty apldvayati, Kaug. 27.— Sind unter den 
sanisrasäksha (sanisrasa, Ysrans, decidere) und samdecya ein- 
fach nur die fleilsigen „Diener“ gemeint, deren Augen vor zuviel 
Arbeit gern zufallen möchten? wie ja in v. 4 in der That nur die 
einfachen Ackerinstrumente selbst aufgezählt sind. Es liegt dies 
wohl am nächsten. Indessen die Nennung derselben neben dem 
kshetrasya pati, genius fundi et loci (s. Pet. W. s. v.), legt an- 
drerseits auch die Vermuthung nahe, dafs auch unter ihnen viel- 
mehr ebenfalls Genien, und zwar gute, Koboldartige Wesen, zu 


verstehen seien. — Zu dem kshetrasya pati s. noch Kath. 9, 17. 
26,1. 50,4!) und vgl. den spätern kshetrapala; in 12, 1 finden wir 
eine kshetrasya patni. — Jedenfalls bietet uns dieses Stück, mag 


man nun den Text für sich allein betrachten (Aufgang eines be- 
stimmten Gestirns, Frühmorgen, Huldigung an die einzelnen Fak- 
toren, Instrumente etc. des Ackerbaus) oder die von Kaugika hin- 
zugefügten Einzelheiten (Lustration des Hausherrn, Einbinden von 
Gerste, Sesam, Bodenkrume und Ameisenhaufen in den abgeschnür- 
ten Hodensack (?) eines kastrirten Thieres (?), Lustration des 
Ackerstieres, Bad des Hausherrn in einer alten Wassergrube) ins 
Auge fassen, ein höchst interessantes patriarchalisches Gemälde dar. 


9, Suchtenbrechen. 


ı. Zehnerlei Holz! löse ihn von dem BRakshas, 
Von der grähi, die ihm gepackt die Glieder! I 
Und führe ihn, o Waldesherr! 
Zur Welt der Lebenden, empor! Ilıll 
Zehn Freunde (des Kranken) berühren diesen Spruch mur- 
melnd, (zehn?) Holzsplitter; dagavriksheti gäkalo (gädkalan?) daga 
suhrido japanto ’bhimriganti, Kaue.. Was mit den Splittern weiter 


1) Wer da wünscht: „asydm me janatdydm ridhyeta, „möge es mir 
hier unter dieser Menschheit (in dieser Versammlung) wohl gehen“, der weiht 
dem kshetrasya pati (neben Gaben an indra und püshan) ein Körnermuls (caru) 
Käth. 9, 17 (Ts. 2, 2,1, 5); iyam (die Erde) kshetrasya patih.. asydm eva 
pratitishthati ibid.; iyam kshetrasya patis tenä 'sy& naiti K. 26, 1; asau (der 
Himmel) kshetrasya patir, amuto varshati K. 80, 4. 


vom 30. Juni 1870. 479 


zu machen ist, wird nicht gesagt; werden sie etwa vergraben? — 
Aus dem Namen dacavriksha, aus v. 4, und aus der Zehnzahl der 
Freunde (bei Kaug.) vermuthe ich, dafs es eben zehn gdkala sind, 
und zwar von verschiedenem Holz, wie denn dies Verfahren 
auch in unserm Aberglauben ja noch ganz identisch erhalten 
ist!). — Die zehn Freunde sollen dem Krankheitsdämon wohl 
Furcht einflöfsen? — „Waldesherr* d. i. Baum ist hier eine Meto- 
nymie, das totum pro parte. — graht, Ergreifung, Packung, „eine 
Unholdinn, welche die Menschen fesselt, Krankheit und Tod bringt; 
Betäubung, Bewufstlosigkeit* Pet. W. Der Traum (svapna, nicht: 
Schlaf, wie im Pet. W.), der schwere Fiebertraum nämlich, ist ihr 
Sohn Ath. 16, 5,1. Sie erscheint neben tamas Dunkel 2, 10, s. 16, 
7,1, den kravyadah picdcas 8, 2, 12, dem päpman 12, 3, ıs; Bitte 
um Hülfe vor ihrem päga, Strick 2, 10, 6 (neben dem der druh). 
6, 112, 1. 2. 16, 8,1, vor ihren vier bandha, Banden 19, 45, 5. 

2, Zurück kam der hier, wieder auf, 

trat in die Schaar der Leb’nden ein. I 
Werde Vater von Söhnen er, 
und der Männer glückseligster! II 2 Il 

„Zurück kam er“ d.i. wieder zu sich, aus der Bewulfstlosig- 
keit, in die er bereits versenkt war. — Die vier Aoriste sollten 
sich eigentlich auf Solche beziehen, die früher schon das Mittel 
angewendet haben, dessen Wirksamkeit resp. als eine schon oft 
erprobte verherrlichen. Aber das ayam weist auf die Gegenwart 
hin, und mufs daher abhüöt wohl in konjunktivem Sinn verstanden 
werden. Ist etwa die Erfüllung des Wunsches eine so sichere, dafs 
sie als bereits eingetreten, ja als der Vergangenheit bereits angehörig 
bezeichnet wird? vgl. den ehrerbietigen Gruls im Drama: der 
König siegt (Praesens, nicht Imperativ); sowie die grüfsende An- 
rede durch dyushmant, bhagavant, welche Wörter Einen der bereits 
im Besitze langen Lebens, resp. des Glückes ist, bezeichnen, 
während der Grufs offenbar doch nur bestimmt ist, diesen Besitz 
dem Begrüfsten anzuwünschen. 


!) s. Wuttke, der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart (Berlin 1869) 
8. 538: „man bricht von neun verschiedenen Bäumen, die kein Steinobst 
tragen, kleine Stücke, die unter Gebetsformeln in ein Gefäls mit Wasser 
geworfen werden; dadurch wird die Sucht des Kranken gebrochen.“ vgl. 
noch ibid. $. 121 und über neunerlei Kräuter ib, $. 120. 


450 Gesammtsitzung 


3. Zur Besinnung er wieder kam, 
trat in der Leb’nden Wohnsitz’ ein. I 
Denn dem hier wohnen ein hundert 
Ärzte und tausend Heilkräuter. II 3 II 
Während ayam in pdda a. auf den Kranken, bezieht sich asya 
in pada c. offenbar auf das Heilmittel, dem die Kräfte von 100 
Ärzten, 1000 Kräutern einwohnen. 
4. Die Götter dich zu sammeln sahn, 
die Priester auch, die Kräuter selbst. I 
Alle Götter zu sammeln dich 
auf der Erde sahn (hin und her) Is Il 
Es müssen somit ziemlich erlesene Dinge, die schwer zusam- 
men zu bekommen waren, in dem dagavriksha-Mittel vereint sein'); 
daher denn auch seine grolse Macht (s. v.3). In avidan liegt hier 
noch die alte Bedeutung der yvid, video :idsw, vor. 
5. Wer’s gemacht hat, der bring’s zurecht! 
Es ist eben der beste Arzt. I 
Es soll eben die Heilmittel 
dir verschaffen, als reinster Arzt. Ils5 ll 
Das Heilmittel mufs hiernach wohl auch etwas schwer anzu- 
fertigen gewesen sein? Wer es (schon einmal) gemacht hat, - der 
‚soll's auch jetzt wieder machen. Unter sa eva verstehe ich in 
beiden pdda, b. wie c., nicht den Verfertiger des Mittels, sondern 
das Mittel selbst; in pddad. lese ich bhishajdam; der Instrumental 
giebt keinen Sinn. 


10. Segensspruch für einen Neugebornen (?). 


1. Von kshetriya, Nirriti, Fluch Verwandter, 
Von der Druh, von Varuna’s Strick dich lös’ ich. I 
Ich mache dich fehlerlos durch mein Spruchlied. 
Beide dir sei’n, Himmel und Erde, günstig! Nıll 
Dies ganze Stück kehrt, mit verschiedenen Varianten aller- 
dings, im Taitt. Br. 2, 5, 6, ı-3 wieder, und zwar ist es nach dem 


!) Wuttke $. 121 „neunerlei Holz, zu vielen Zauberzwecken verwandt, 
wird von lauter in der alten Religion und im Aberglauben bedeutsamen Blu- 
men und Sträuchern entnommen, bes. Kreuzdoru, Hollunder, Taxus; es dürfen 
nur Bäume sein, die kein Steinobst tragen. Dieses Holz wehrt bösen Zau- 
ber ab und dient auch zur Erkennung der Hexen.“ 


vom 30. Juni 1870. 481 


schol. daselbst und der darin eitirten Stelle aus Baudhdyana beim 
Geburtsritual (jatakarman), beim (ersten) Waschen nämlich 
des neugebornen Kindes, zu verwenden. Ob dies wirklich die 
ursprüngliche Absicht dieser Sprüche hier ist, mufs indefs einst- 
weilen noch unentschieden bleiben. Es ist im Wortlaut derselben 
(s. im Verlauf) allerlei, was nicht recht dazu stimmen will.') — 
Das erste Wort lautet im 7. Dr. nicht kshetriydt, sondern kshe- 
triyai; und zwar ist nach dem schol. unter kshetri eine den 
Kindern nachstellende Dämonenspecies (bdlopadravakarini kacid 
rakshojatih kshetri) zu verstehen. Im Pet. Wört. 5, 1352 wird nun 
zwar jenes kshetriyai als „entstellte Lesart“ bezeichnet; ich möchte dem 
indefs nicht direkt beipflichten. Jedenfalls erscheint mir die dadurch 
an die Hand gegebene Anknüpfung an Ykshi, zrırun: auch für kshe- 
triya bei weitem der künstlichen Erklärung, die dies Wort schon 
bei Panini gefunden hat (s. Ind. Stud. 5, 145), vorzuziehen. Höch- 
stens wird auch ihr der Rang noch streitig gemacht durch die 
von dem Schol. zum T. Br. beim letzten Verse, wo auch dort 
kshetriyat gelesen wird, beigebrachte, zu der Verwendung des 
ganzen Stücks beim jatakarma trefflich passende Erklärung, wo- 
nach nämlich darunter (kshetram garbhasthänam, tatrotpannatvdt) 
eine vom Mutterleibe (kshetram, s. Pet. W. 2, 572) her dem 
Kinde anhaftende Krankheit, ein erblicher Schaden somit be- 
zeichnet sein soll. Nach Ath. 3,7 wird das kshetriyam (neutr. v. 7) 
durch Hirschhorn (harinasya vishänd) beseitigt, und sitzt im 
Herzen des Betreffenden; eine Waschung ist nach v.5 offenbar 
daselbst auch damit verbunden, und zwar ist dieselbe des Früh- 
morgens beim Heimleuchten der Sterne uud der Morgenröthe vor- 
zunehmen, oder, wie bei dem mit gleichem Namen benannten 
Feldschaden (s. oben p. 476), beim Scheine des Doppelgestirns der 
Vieritau (sowie eines andern vom Himmel wie ein vierbeschwingtes 
Dach herableuchtenden Gestirnes). Wenn es sich daselbst etwa auch 
um die Waschung eines Neugebornen handeln sollte”), würde die 


!) Auch die leider sehr dunklen Angaben bei Kauf. 27 stimmen nicht 
dazu, sie lauten: Ash. tveti catuhpathe kämptlagakalaih parvasu baddhvä pin- 
jülibhir aplävayaty avasincati, „auf einem Kreuzweg, mit kdmpila-Splittern 
(kampila, Crinum, Amaryllacee Pet. W.), an den Gelenken bindend mit 
Halmbüscheln, läfst er (ihn, sich) waschen und begiefst (ihn).“ 

°) Die leider ebenfalls sehr abrupten und dunklen Angaben bei Kaug. 27 


482 Gesammitsitzung 


Erklärung aus ÄAshetra, Mutterleib, allerdings erheblich an Wahr- 
scheinlichkeit gewinnen. — jdmigansa, Verwandtenfluch, vgl. oben 
p. 475. Dafs das Verhältnifs zwischen den Blutsverwandten in 
der Brähmana-Periode theilweise ein ziemlich getrübtes war, dafür 
liegt ein lukulenter Beweis vor in der praegnanten Verwenduug 
des Wortes bhrätrivya „Bruderssohn“, in der Bedeutung von: 
feindlicher Vetter, Nebenbuhler, Gegner. Auch wird der Feind- 
schaft zwischen den sajdta und sabandhu häufig genug Erwäh- 
nung gethan. Im 7. Br. fehlt das Wort jämigansa hier, findet sich 
aber im letzten Verse vor. — Die druh (s. Pet. W.) ist hier of- 
fenbar wie im Aik (und im Zend) als Namen einer feindlichen 
Genie, nicht als appell. (drohdt, schol. zu 7. Br.) aufzufassen. — 
Wenn es sich hier wirklich um ein neugebornes Kind handelt, 
so könnte andgas hier nicht gut „sündelos, unschuldig“ sein (der 
Begriff der Erbsünde fehlt ja den Indern), sondern sich nur auf 
körperliche Gebrechen beziehen, die der Priester durch seinen 
Spruch (brahmand) beseitigt.') Nun bedeutet aber andgas sonst 
eben stets nur „sündelos, schuldlos*, und es frägt sich somit in der 
That, ob die Beziehung auf das Geburtsritual wirklich dem Verse 
ursprünglich beiwohnt. Dafs der Priester durch seinen Spruch 
einen Schuldigen entsühnt, und somit den Folgen seiner Schuld, 
. den Krankheiten nämlich und dem Einflufs der bösen Genien ent- 
zieht, ist ganz im Character des Ath., der ja eben theils die Ge- 
walt des priesterlichen Wortes auf das Höchste verherrlicht, theils 
Krankheiten etc. als Folge sittlicher Vergehungen ansieht (vgl. 
Grohmann in den Ind. Stud. 9, 405. 407-11); aber dafs er ein neu- 
gebornes Kind entsühnen sollte, dafür fehlt ein jeder Anhalt. 
Sprüchwörtlich heilst es ja gerade: „an ihm ist so wenig Sünde, 
wie an einem essenden Kinde“, s. Catap. 4, 4, 5, 23. 
2. Heilbringend dir Agni sei mit den Wassern, 
heilbringend auch Soma dir mit den Pflanzen! I 
So ich dich von Xkshetriya, Fluch Verwandter, 
Nirriti, Druh, Varuna’s Fessel löse. I 


geben dazu freilich keinen Anhalt: harinasyeti bandhana - päyand- camana 
(°nani?), gamkudhänajvalens 'vanakshatre (jvdlebhäva” Cod.) "vasincaty, ami- 
tamätrayah sakridgrihitan yavan avapati, bhaktam prayachati. I 

!) der Text im 7. Br. hat brahmane (parivridhdya jatakarmädisams- 
käröya schol.), d. i. doch wohl: zum Wachsthum, Gedeihen. 


vom 30. Juni 1870. 483 


Ich mache dich fehlerlos durch mein Spruchlied 
Beide dir sei’n, Himmel und Erde, günstig! Ile Il 
Unter soma ist entweder der soma-Saft oder bereits der Mond 
zu verstehen. Das 7. Br. hat dafür nochmals: Himmel und Erde. — 
Der Refrain: „so ich dich..“ fehlt in 7T. Br. und kehrt erst beim 
letzten Verse wieder; mit Auslassung übrigens von Nirriti, wo 
dann das Metrum unter Beibehaltung des hiesigen Versanfangs: 
'evdham tvd (das T. Br. hat aber evam aham imam) richtig ist, wäh- 
rend dasselbe in der hiesigen Gestalt des Refrains eben drei Sil- 
ben zu viel hat. Nun, bei solchen Refrainartigen Formeln pflegt 
ja auf das Metrum keine grofse Rücksicht genommen zu werden. 
3. Der Wind in der Luft geb’ dir Stärke heilvoll! 
die vier Himmelsgegenden sei’n dir heilvoll! ı 
So ich dich von ... IIsll 
4. Die vier Himmelsgegenden, die die Sonne 
bescheint, des Winds Gattinnen, die da leuchten, — I 
So ich dich von ... Ilall 
Die beiden ersten pdda erscheinen als eine Amplifikation des 
zweiten pdda von v. 3 und hängen offenbar mit pdda 1.2 von v. 5 
aufs Engste zusammen, sind eben nur durch den solennen Refrain 
davon getrennt; im 7. Br., wo dieser fehlt, ist der Zusammenhang 
nicht unterbrochen. 
5. In sie ich dich setze, in’s Greisenalter. 
fort hebe sich Nirriti, weg die Schwindsucht! I 
So ich dich von ... Is 
Statt jarasi hat 7. Br. offenbar viel besser: jarase, zum 
Greisenalter, jaradashtir yatha ’sat, wie es Odnkh. g. 1, 27 bei einem 
im sechsten Monat, Pär. 2,1 und Ägu.g. 1, 17, ı0 bei einer im er- 
sten oder dritten Jahre mit dem Kinde vorzunehmenden Ceremo- 
nie heifst; vgl. noch unten 13, 1. 28, 1, wo ebenfalls für Kinder 
um Leben bis zum Greisenalter gebetet wird. 
6. Von Schwindsucht, Unheil und von Fehl erlöst nun 
du bist, der Druh Fesseln, der yrähi ledig. I 
So ich dich von ... Ilell 
Die bisherigen Sprüche sind wohl während des Bades zu 
recitiren, dieser und die folgenden Verse dagegen nach demselben. 
Der Refrain (resp. das Praesens darin) pafst nunmehr freilich 
gar nicht mehr recht. — duritdt und avadydt weisen eigentlich 
wohl wieder auf moralische Schäden hin, passen somit nicht 


484 Gesammtsitzung 


recht zu dem jätakarman. — Statt avadyat hat T. Br. avartyai, 
was der Schol. mifsverständlich durch a-varti (daridrya, Armuth; 
als ob avritti dastände) erklärt, während es doch als ava-riti (s. 
Pet. W.) aufzufassen ist. 
7. Zurücklassend Ungunst, gewannst du Heil dir, 
Tratst ein in die glückliche Welt der Gutthat. I 
So ich dich von ... I rl 

Auch hier hat T. Br. avartim (statt ardtim). — Das „Eintre- 
ten in die Welt der Gutthat* will auch zum jatakarman nicht 
recht passen, sondern führt auf Einen, der bisher übel gethan 
hat, nun aber durch die Ceremonie entsühnt ist. 

s. Vom Dunkel, von grähi die drein verfall’ne 

Sonne befrei’nd lösten vom Fehl die Götter. I 
So ich dich von ... Isll 

Auch dieser Vers weist so entschieden auf ein enas, also eine 
moralische Verschuldung hin, dafs es zum Mindesten schwer fällt, 
denselben als ursprünglich für ein jätakarman bestimmt aufzufassen. 
Andrerseits pflegt die Sonnenfinsternifs, auf die hier offenbar 
angespielt wird, in den Brähmana-Texten sonst auch nicht gerade 
auf eine Verschuldung der Sonne zurückgeführt zu werden, wird 
vielmehr einfach auch nur als ein Unglück derselben bezeichnet. 
Man könnte nun wohl fragen, ob nicht unser ganzes Stück etwa 
ursprünglich eben gerade dieser speciellen Veranlassung entstammt, 
resp. bestimmt sei, bei dem Eintreten derselben reeitirt zu werden? 
Dem steht aber entgegen, dafs man dann jedenfalls wohl eine all- 
gemeinere, nicht blos wie hier auf ein Individuum beschränkte 
Entsühnung zu erwarten haben würde. Es ist daher in der That 
die Sonnenfinsternifs hier wohl eben nur als Beispiel herangezo- 
gen; T. Br. liest denn auch yat statt adhi, und der Schol. erklärt 
dies durch yathd. — Derselbe führt zugleich ad rem eine brähmana- 
Stelle (Ts. 2, 1, 2,15 ebenso Panc. 23, 16, 2) an: suvarbhänur (svar- 
bh. va Panic.) dsurah süryam tamasd ’vidhyat, tasmai devdh präyag- 
eittim aichann iti. Der Eingang derselben findet sich identisch im 
Käth. 12, 13 (svarbhänur vd ds. s. t. ’v.), doch heifst es dann wei- 
ter: sa na vyarocala, tasmad deväs tamo ’palumpan; ebenso 27, 2 
und ähnlich im Pafcav. 4, 5, ı (tam devah svarair asprinvan). Et- 
was abweichend lautet die Darstellung im Cat. 5, 3, 2, 2: svarbhä- 
nur ha vd dsurah süryam tamasd vivyddha, sa tamasd viddho na 
vyarocata, tasya somdrudrdv evaitat tamo ’pähatdm. Im Pancav. 


vom 30. Juni 1870. 485 


14, 11, 14 ist es Atri, der die Finsternifs durch das bhdsam (säma) 
vertreibt. Endlich im Odnkh. Br. 24, 3.4 sind es die Atrayas, 
denen dies durch die drei dem vishuvant-Tage (Sommersolstiz) vor- 
hergehenden svarasdman-Tage gelingt, und zwar beruft sich der 
Text dafür auf Rik 5, 40,9. Und hiermit gelangen wir denn zu 
jenem interessanten Rik-Hymnus, der in der That (v. 5—9) die 
Befreiung der Sonne von Svarbhänu theils dem Indra, theils dem 
Atri, theils den Atri zuweist (vgl. hierzu noch Ath. 13, 2, 4. 12. 36), 
und zwar eben wohl der Kraft seiner, resp. ihrer Gebete (bDrahmani, 
s. Rik 5, 2,6. 39, 5 giras). Unstreitig sind dies rein mythische, 
kindliche Auffassungen des betreffenden Vorganges, baar irgend- 
welchen astronomischen Verständnisses desselben! ganz entspre- 
chend jenen naiven Legenden der Brähmana, wonach die Sonne 
vom Himmel zu fallen drohte und erst durch bestimmte Metra 
daran befestigt ward, s. Ind. Stud. 8, 11. 42. 55. 9, 358 ff. — tamaso 
grähyd adhi liefse sich allenfalls auch übersetzen: „aus dem Dun- 
kel der grähi* und man könnte bei grädhi etwa an eine böse 
Genie denken; ich ziehe indessen vor, auch hier das Wort einfach 
als Name einer Krankbeit zu fassen, da es einmal sonst hier im 
Ath. (s. z. B. oben bei p. 478) nur in dieser Bedeutung vorkömmt: 


11. Das sräktya-Amulett, als Gegenzauber. 


1. Du bist Verderben gegen Verderben, Lanze gegen Lanze, 
Waffe gegen Waffe! ı 
Erreiche den, der höher steht! Schreite weg über den, 
der dir gleich steht! Ilıl 
In dieser in Prosa abgefafsten Formel ist durchweg der erste 
Theil jedes Spruches an das Amulett, der zweite, die Form eines 
Refrains habende Theil dagegen an den Träger des Amuletts ge- 
richtet. — Nach Kaug. 39 bindet er (der Priester) dem Betreffen- 
den hiemit den srdktya (nämlich mani) um; er läfst vor dem Feuer 
ein röthliches Rind, hinter dem Feuer einen rothen Ziegenbock 
schlachten, um Brühe und Fleisch davon zu gewinnen.') Es ist 
somit wohl eine Art Opferschmaus hiermit verbunden. — Über den 


!) sraktyam badhnäti, purastäd agneh Plipamgagäam kärayati, papcad 
agner lohitijam yüshapigitärtham. Zu der praegnanten Bedeutung von kdra- 
yati „schlachten lassen“ vgl. Av. g.1, 24, 31. Kaug. 92. Pär. 1:8. 


486 Gesammtsitzung 


Stoff des mani wird nichts gesagt; dem Namen nach ist er wohl 
als „vielkantig“ (srakti, Ecke) zu denken; etwa ein geschlif- 
fener Edelstein oder Krystall (s. v. 5), der als Amulett an 
einem Bande um den Hals getragen wird und an dessen Kanten 
alles Üble abprallen soll. 
2. Du bist kantig! du bist ringförmig! du bist gegenzaubernd. I 
Erreiche den ... II2ll 
pratisara, in sich zurücklaufend; von der Amulettschnur s. Pet.W. 
3, Schleudre den Zauber zurück auf den der uns hafst, den 
wir hassen. I  Erreiche den ... II31l 
Kräftig hassen und fluchen konnten die Inder dieser Zeit! 
Dafür legt ihr ganzes grauta- wie grihya-Ritual vollgültiges Zeug- 
nils ab! s. oben p. 474.475. Unsere Priester haben ihr: ana- 
thema sit! ja auch noch nicht verlernt. 
4. Du bist schaffend! du bist Kraftgebend! du bist Leib- 
schützend! I Erreiche den ...Ilall 
süri von Ysü, zeugen, zeugungskräftig? als Name des Wei- 
sen, Dichters (wie später) besser wohl: der Schaffende, Schöpferi- 
sche? (vgl. roırys). Oder kommt das Wort von Vsvar, leuch- 
ten? dagegen spricht hier der Inhalt dieses und des nächsten Verses. 
s. Du bist flammend! du bist strahlend! du bist Glanz! du 
bist Licht! I  Erreiche den ... Is5ll 


12. Schwur, mit Feuer-Ordale verbunden. 


ı. Der Himmel, die Erde, der weite Luftraum, 
die Feldes-Frau, Vishnu, der wundersame, | 
Und der weite Luftraum, der Windbeschützte, — 

Die mögen hier brennen, wenn ich mich brenne! Ilı Il 
Dieses Stück, welches offenbar zu einem Feuer-Ordale gehört, 
ist bereits von Dr. Emil Schlagintweit in seiner Abh. über die 
Gottesurtheile der Inder (München 1866) p. 13—19 übersetzt und 
behandelt worden. — In v. 1 werden die drei Welten, und ihre 
drei göttlichen Hüter zu Zeugen angerufen, oder vielmehr eigent- 
lich verwünscht, wenn sie etwa — was aber eben unmöglich — 
falsch Zeugnifs ablegen sollten. Dabei ist die Aufzählung der drei 
Hüter eine ganz ungewöhnliche. Man erwartert einfach Agni, Vayu, 
Sürya genannt zu finden. Aber statt des Agni erscheint der Erd- 
genius selbst und zwar in weiblicher Gestalt, als kshetrasya 


vom 30. Juni 1870. 487 


patni; statt des Sürya erscheint Vishnu, und zwar nur unter 
seinem solennen Beinamen urugäya, der weithinschreitende; und 
statt des Vdyu wird der Luftraum selbst nochmals und vdta nur 
nebenher, im Beiworte, genannt'!). — ta iha ist zweisilbig zu lesen. 
2. Hört ihr Götter dies, die ihr opferwürdig! 
Bharadvdja singt für mich seine Lieder. I 
Gebunden in Bande verfall’ dem Unheil, 
wer da irgend hier meinen Sinn antastet. IIa Il 
grinuta zweisilbig, ebenso gansati; also wohl gruta, gansat zu 
lesen? — Ist etwa Bharadvdja hier (und 19, 48, 6) appellativisch 
aufzufassen, als Name des Priesters? oder ist wirklich der alte 
rishi und Aik-Sänger dieses Namens gemeint? — yo asmäkam mana 
idam hinasti, wörtlich: wer diesen meinen Sinn beschädigt, d. i. 
diesen meinen Schwur antastet, mein Wort bezweifelt. Gramma- 
tisch wäre auch die Construktion möglich: wer von uns diesen 
Sinn beschädigt, d. i. etwa: diesen Vertrag bricht; doch pafst dies 
nicht zu der individuellen Färbung der andern Verse, die ausdrück- 
lich (auch v. 4) nur Einen als den wirklich Schwörenden hinstel- 
len. — yhins ist offenbar ursprünglich ein Desid. von Yhan, wie 
niksh, pits ete.; aber schon früh vom Sprachgeist verkannt und ir- 
rig als Wurzel der C1.7 flektirt. — yujyatdm ist zweisilbig zu le- 
sen; ob etwa yujydm mit Ausfall des t, wie in duhdm für dugdhdm, 
ebenfalls 3 sg. Imp.; oder ist etwa das ÄAtm. yunktam, in passiver 
Bedeutung, in den Text zu setzen? 
3. Dieses, Indra! höre du, soma-Trinker! 
warum ich dich rufe mit heifsem Herzen! I 
Ich schlage den, wie mit der Axt ’nen Baumstamm, 
wer da irgend hier meinen Sinn antastet! II 3 Il 
In päda 1 fehlt eine Silbe; ich schlage vor tvam hinter so- 
mapo einzufügen. — Statt vriccami des Textes liegt es nahe, vri- 


!) Man denkt bei dieser Aufzählung unwillkürlich an die shad urvis, 
die sich im Ritual mehrfach ähnlich (s. Pet. W. unter uru), obschon aller- 
dings denn doch erheblich verschieden aufgezählt finden (s. (at. 1, 5, 1, 22. 
Cänkh.1, 6,4), im Rik resp. wie im Ath. (s. 10, 7, 38) vielmehr von den vier 
Himmelsgegenden und dem Oben und Unten verstanden werden. Im Käth. 
37, 10 stehen indefs die skad urvis neben den panca pradiras, und in 40, 10 
erscheinen gar: trayish (!) shad urvis (die Parallelstelle Rik 10, 128, 5 
hat devih sh. u.). 


[1870] 34 


488 Gesammtsitzung 


gcd "bhi zu lesen, so dafs dies eben die Bitte wäre, um derentwillen 
Indra so inbrünstig angerufen wird; kulica wird ja eben gerade 
auch von Indra’s Waffe, dem Donnerkeil, gebraucht. Indessen da 
in der Chändogya Upanishad 8,16 ausdrücklich das Tragen einer 
geglühten Axt als Feuer-Ordale (für einen angeschuldigten Dieb) 
erwähnt wird, so läfst sich auch die 1 p. sg. „ich fälle mit der 
Axt hier den, der mich fälschlich anschuldigt,* trefflich verwerthen, 
und wird uns resp. dadurch sogar wohl die Erklärung dafür ge- 
boten, warum man gerade eine glühende Axt von dem Angeschul- 
disten zu seiner Reinigung tragen läfst. Oder dient etwa die Axt, 
s. v. 7, wenn sie wieder erkaltet ist, zur Hinrichtung des Frevlers, 
wenn er sich schuldig gezeigt hat? Indra würde dann eben nur 
als Zeuge und Beistand angerufen. 

4. Und mit dreien Achtz’gen von sdma-Sängern, 

Mit den ÄAditya, Vasu, Angiras hier — | 
Es schütz’ mich die Seligkeit unsrer Väter — 
mit göttlicher Gluth nehm’ ich diesen an mich. II& Il 

Die dreimal achtzig (240) säma-Sänger sind wohl die mensch- 
lichen, die Aditya, Vasu, Angiras und die Manen die göttlichen 
Eideshelfer des Schwörenden, der mit diesem Verse offenbar wohl 
ein glühendes Beil (amum, diesen) in seine Hand nimmt; vgl. 
eben Chändogya Up. 1.c. — Die grofse Zahl von 240 Eideshelfern 
befremdet zunächst '); jedenfalls kann es sich demnach hier nicht 
um einen einfachen Diebstahl, sondern es mufs sich wohl um den 
Schwur, resp. die Reinigung einer hochstehenden Person handeln. 
Schlagintweit führt (p. 16) einen analogen Fall aus dem Dith- 
marsischen an, wo es sich um 30 x 12 Eideshelfer handelte. — 
Die „Achtzig“ scheint eine gewisse Rolle gerade im Feuer- 
Ritual zu spielen; es ist mir wenigstens auffällig, dafs ich ihr eine 
solche eben fast nur in den Büchern des Catap. Br. zugetheilt 
finde?), welche sich auf die Schichtung (Aufmauerung) des heili- 
gen Feueraltars (agnicayanam) beziehen; vgl. annam agitih (ety- 


1) zu vgl. sind etwa die zehn Freunde, die nach Kaur. 27 bei dem 
„zehnerlei Holz“ mithelfen, s. oben 9, 1. 

2) eine Stelle im zweiten Buche 2, 3, 3, 19 ausgenommen, wo es sich 
um 720 Achtzige von ric handelt, die resp. aber auch ebenfalls bei einem 
Feueropfer erwähnt werden, bei dem agnihotra nämlich, früh und Abends, 


die 360 Tage des Jahres über, zu recitiren sind. 


vom 30. Juni 1870. 489 


mol. Spiel mit Yag) 8, 5, 2, 17. 9,1, 1,21, gdyatryacitih 8, 6, 2,3. 
9, 1, 1, 21.44. 3, 3,19, rigagitih 9, 5,1,63;5 je dreimal achtzig 
ishtakds 10, 4, 2, 5.10, einhundert und achtzig ishtakas 10,4, 2, 6, 
achtzig weniger zwei (78) dgl. 10, 4, 3,135 die acht Metra ent- 
halten dreimal achtzig (u. 45) Silben 10, 1, 2,9; alle drei Veda 
enthalten in summa 10800 Achtzige (von Silben nämlich) 10, 4, 
2, 25; in jedem mulhärta erlangt man eine dgl. Achtzig, in einem 
Jahre somit die ganzen drei Veda ibid. und kand. 30. Sollte etwa 
das etymologische Spiel, welches offenbar in der Gleichstellung der 
Nahrung (annam) mit agiti (Yag verzehren), s. oben, vorliegt, auch 
bezugs dieser eigenthümlichen Vorliebe zur Rechnung mit Achtzi- 
gen'), agiti, bei das Feuer betreffenden Handlungen und Anga- 
ben anzunehmen sein? da ja das Feuer eben auch wiederholt als 
das verzehrende (attar) bezeichnet wird? — „Mit göttlicher 
Gluth“, so dafs er dadurch die Gluth des Beiles überbietet? 
5. Himmel und Erd’! blicket hier hinter mir drein! 
All ihr Götter! fasset mich hinterdrein an! I 
Ihr Angiras! ihr soma-würd’ge Väter! 
In Unheil geh’, wer des Abscheul’chen Thäter! Is 

didhitham metri caussa für didhiydtham. — Die vieve devds sind 

hier wohl noch wirklich „alle Götter“, nicht die besondere, die- 


sen Namen sekundär führende Göttergruppe. — Über das hinter- 
drein-Anfassen s. Ind. Stud. 9, 21; wer es thut, nimmt dadurch 
Theil an dem Geschick dessen, den er anfafst. — Alle diese Ge- 


nien also werden von dem Angeklagten als Zeugen seiner Unschuld 
angerufen. 
6. Wer uns etwa, o ihr Marut!, verachtet, 
Oder unser heiliges Werk hier tadelt, — I 
Glühend soll’n dem sein seine Übelthaten, 
Der Himmel den Feind heil’ger Werke elühe! Ile 


') Sonst ist es, und zwar auch schon aus alter Zeit her, die Zahl 54, 
welche bei Aufzählungen als besonders beliebt erscheint und u. A. auch noch 
für die territoriale Fintheilung des heutigen Indiens von Bedeutung ists: 
Elliot memoirs on the northwestern provinces of India 2, 47 ft. (ed. Beames). 
Buddhaghosa’s Comm. zum Dhammapadam (ed. Fausböll) bietet zahlreiche 
Belege für die Solennität der Zahl caturäsiti, vgl. z.B. p. 94. 99. 129. 130. 
144 ete.; s. auch meine Abh. über die Bhagarati 1, 427 n. 


34* 


490 Gesammtsitzung 


Dieser aus Rik 6, 52, 2 mit einigen Varianten entlehnte 
Spruch ist wohl, wie die beiden folgenden, in den Mund des Prie- 
sters zu legen. Bisher sprach der Angeschuldigte, seine Unschuld 
betheuernd.. Nunmehr aber wird er selbst angeredet, und in un- 
serm Verse hier ihm die Heiligkeit der Handlung kräftig zu Ge- 
müthe geführt!); er solle nicht etwa gering davon denken, son- 
dern sich der Hoheit und Reinheit derselben wohl bewufst sein. 
1. Die sieben Odem, acht Marke, die zerhau’ mit dem Spruch ich dir! I 

In Yama’s Wohnung tratst du ein, vom Feu’r entboten, zuge- 
rüst’t. II 

Die 7 präna, Odem, sind die 7 girshanyah prandh, Augen, 
Ohren, Nasenlöcher und Mund; die acht Marke sind die je zwei Ober- 
und Unter-Arme, Ober- und Unter-Beine. Alles dies zerhaue ich 
dir (hier mit der Axt), wenn du falsch schwörst! Du bist dem 
Tode verfallen, wenn du das Ordale nicht bestehst. 

8. Ich setze deinen Tritt hinein in das entflammte Feuer nun!!! 
Die Flamm’ verzehre deinen Leib! Od’r ein zum Leben 
geh’ dein Wort! Ilsll 

Der Wortlaut des Verses verlangt somit wohl ein Durch- 
schreiten des Feuers; und es frägt sich nun, ob dieser Vers, der 
wie der vorige in einem andern Metrum (anushtubh), als die frü- 
: heren Verse (trishtubh) abgefalst ist, wirklich von vornherein mit 
zu unserm Stücke gehört hat, oder erst sekundär hinzugekommen 
ist. Im erstern Fall müfste man annehmen, dafs zu der einen 
Probe, die nach v.4 in dem Erfassen eines glühenden Gegenstan- 
des, vermuthlich einer Axt, bestand, nunmehr noch eine zweite 
Probe, eben das Hineinschreiten in Feuer, hinzutrete. Eine dgl. Cu- 
mulation ist aber eben doch sehr bedenklich. Ich meine somit, 
dafs es sich hier um eine sekundäre Zuthat handelt’), die eben 


!) im Rik ist der Vers offenbar in einem allgemeineren Zusammenhang 
stehend. 

2) es verdient hiebei Bemerkung, dafs die grofse Mehrzahl der 
Stücke des zweiten Buches nur fünf Verse zählt, daher es ja auch in Athar- 
vaparig. 48, 10 (und Ath. 19, 23, 2) unter dem Namen der parcarcäs an- 
gerufen, resp. benedieirt wird, s. Ind.’ Stud. 4, 433. Jedenfalls wird hier- 
durch für die mehr als 5 Verse zählenden Stücke die Annahme von am 
Schlusse gemachten Zusätzen nahe gelegt, resp. zum Wenigsten sehr er- 
leichtert. 


vom 20. Juni 1870. 491 


das Stück auch für diese zweite Art der Feuerprobe nutzbar 
zu machen bezweckte. — jdtavedasi; das Feuer ist hier ab- 
sichtlich gerade mit diesem Namen: „angebornes Wissen habend“ 
bezeichnet, weil es eben durch ihn als Zeuge der Wahrheit quali- 
fieirt wird. — Das zweite Hemistich enthält offenbar zwei Even- 
tualitäten: entweder das Feuer verzehre!) deinen Leib, oder 
dein Wort zeige sich als wahrhaft, gehe, resp. führe dich, ins Le- 
ben ein. — Eine ganz andere Auffassung von v. 7.8 hat Groh- 
mann gegeben, s. Schlagintweit 1. c. p. 19; dieselbe betont für 
padam die Bedeutung „Fufstapfen“ und bezieht die Verse auf 
einen Sudzauber mit einem ausgehobenen dgl., um dem Betreffenden 
ein böses Bein anzuhexen. Dagegen spricht indessen zunächst der 
Zusammenhang, in welchen diese Verse doch offenbar hier zu den 
vorhergehenden gesetzt sind. Auch ist die Bedeutung: Tritt, 
Schritt für padam jedenfalls ebenso beglaubigt (wenn nicht über- 
haupt die frühere), als die von: betretene Stelle, Fufstapfen. Es 
ist ferner in v. 7 von der Vernichtung des ganzen Menschen, 
nicht blos von einem bösen Beine die Rede. Endlich hat schon 
Schlagintweit bemerkt, dafs in v. 8 te aus pdda 1 (so wie für ca- 
riram in päda 3, so wohl auch) für vdk in pdda 4 noch fortgilt. 
„Ans Leben gehe (dir mein) Wort“ (wie Gr. übersetzt), kann 
jedenfalls asum vdg apigachatu in keinem Falle bedeuten, und es 
ist eben dieser letzte pdda geradezu entscheidend gegen diese ganze 
Auffassung Grohmann’s (für die er sich ja im Übrigen nur auf 
ein analoges Sympathiemittel aus der Umgegend von Braunau 
stützt). 


13. Investitur eines Jünglings. 


i. Lebenspendend, werbend ihm Greisenalter, 
G'hee im Antlitz, Ghee auf dem Rücken, Agnit I 
Und Ghee trinkend, Honig und süfse Kuhmilch, 
Wie’n Vater die Söhne, beschütz’ hier diesen! I ıll 


!) veveshtu; Yeish Cl. 3, eig. wohl nur eine W eiterbildung von Yvas 
Cl. 2 bekleiden (vgl. veska, Kleidung; Yvesht); weiter entwickelt zu der Be- 
deutung von: jem. bedienen, ihm aufwarten, speciell beim Essen. Hier mufs 
das Verbum resp. wohl als reflexivum gefalst werden, um (vgl. Westergaard) 
die Bedeutung: verzehren zu gewinnen; an yvie einkehren oder eindrin- 


gen, wie Schlagintweit und Grohmann übersetzen, ist hier nicht zu denken. 


492 Gesammtsitzung 


Nach Kaug. 53. 54 gehört dieses Stück zu der godäna ge- 
nannten Ceremonie, welche (s. Pet. W.) „im 16ten oder 18ten 
Jahre eines Jünglings, beim Eintritt der vollen Mannbarkeit und 
kurz vor seiner Verheirathung mit seinem Barte vorgenommen 
wird.“ Das Ritual derselben wird in den grihyasätra und speciell 
eben im Kaugikasütra sehr ausführlich geschildert. Näher darauf 
hier einzugehen, würde uns zu weit führen, zumal aus dem Texte 
des Stückes nicht einmal mit voller Sicherheit hervorgeht, dafs der- 
selbe wirklich gerade diese Ceremonie im Auge hat; es fehlt eben 
darin jede Beziehung auf den Bart und handelt es sich vielmehr 
darin speciell nur um die Bekleidung des Jünglings mit einem 
(neuen) Gewande, die im grihya-Ritual freilich ja auch einen Theil 
des godanam bildet. Ich entlehne dem Kaugika daher nur die un- 
mittelbar auf die Verwendung der einzelnen Verse (zwischen 
welche dort noch viele andere eingeschoben werden) bezüglichen 
Angaben. Mit v.1 also werden') dem Jüngling die darin genann- 
ten Flüfsigkeiten (Ghee, Honig, Milch) über das Haupt gegossen, 
unter gleichzeitigem Einguls von Ghee in das Feuer, welches 
dem entsprechend um Schutz für den Jüngling angefleht wird. 
Der Vers findet sich wieder in Vs. 35, 17; die dortigen Lesarten 
sind offenbar die ursprünglicheren (dyushmän agne havishd vridhäno..), 
die hiesigen der Gelegenheit angepaflst. — jarasam vrindnah, 
für ihn um Greisenalter werbend, es ihm von den Göttern erbit- 
tend? s. oben 10, 5. — Metrumshalber ist pited dreisilbig, rakshe- 
tad imam viersilbig zu lesen. 

2. Umhüllet ihn, hüllt ihn uns ein mit Thatkraft! 
Lang Leben ihm schafit, Tod durch Greisenalter! I 
Brihaspati hier dies Gewand darreichte 
dem Könige Soma, dafs er es umthu’. I 21 

Nachdem dem Jüngling Haupthaar und Bart geschoren, die 
Nägel beschnitten, er gebadet und gesalbt ist, läfst er (der Prie- 
ster) ihn unter Recitirung von v. 2 u. 5 mit einem ungetragenen 
Gewande umhüllen?). — Diese beiden Verse (2. 3) sind es viel- 
leicht, die im Kauc. 79 unter dem Namen der paridhäpaniye 


!) äjyam juhvan mürdhni sampdtän dnayati, Kaug. 


?) uptakecacmacerum kritanakham däplavayati ... anaklı ... athaincam 
N MW Y 


ahatena vasanena paridhäpayati Kaug. 54. 


vom 80. Juni 1870. 493 


erscheinen, wenn daselbst nicht etwa zwei andere Ähnliche Verse 
(14, 1, 45. 53) gemeint sind; vgl. Ind. Stud. 5, 404. 405. Der An- 
fang unsers Verses hier findet sich, mit der Variante vasasd statt 
varcasd, bei Gobhila 2,1, ıs beim Hochzeitsritual wieder, und zwar 
bei Umhüllung der Braut nach dem Brautbade, der weitere Ver- 
lauf mufs somit dem entsprechend etwas differirt haben. Völlig 
identisch dagegen kehrt der Vers in Ath. 19, 24, 4 zurück. var- 
cas scheint mir mit Yvarj (vrijana) und varez, wirken, eay in Ver- 
bindung zu bringen; wir haben zahlreiche Fälle, wo im Auslaut 
tenuis und sonans in derselben Wurzel variiren, so z.B. arj, arc; 
paj, pag; marj, marc; gad, gat ete. 
3». Du hast dies Kleid umgethan dir zum Wohlsein! 
Wardst Schutz so vor Hexenwerk unsren Färsen! I 
Lebe du nun hundert vielartge Herbste! 
Und hülle dich ein in Gedeih’n des Reichthums. il 3 Il 
Dieser Vers ist in Ath. 19,24, 5.6 nebst zwei andern pdda zur 
Herstellung zweier Verse verwendet, so zwar dafs daselbst v. ö 
nur einen andern Anfang (: geh wohlig zum Alter! thu dieses 
Kleid um!), v. 6 dagegen theils in pdda 2: unsre Kühe (statt un- 
sre Färsen) theils einen andern Schlufs hat (: vertheile lebend gü- 
tig deine Schätze!). — Der Jüngling tritt durch diese Investitur of- 
fenbar als vollberechtigtes Glied in die Familie ein, nimmt an ihren 
Sorgen nun selbständigen, aktiven Antheil. Das „Jungvieh“ wird 
resp. speciell seiner Obhut anempiohlen. — Die Rechnung nach 
Herbsten, nicht nach Regenzeiten, ist verhältnilsmäfsig alterthüm- 
lich, s. Ind. Stud. 1, 88. 5, 194; sie findet sich in den von den 
grihyasütra eitirten Versen fast durchweg vor. 
4. Komm’ her und tritt hier auf den Stein! 
(fest wie) Stein werde nun dein Leib! 
Die Allgötter sollen verleihn 
hundert Herbste als Leben dir! Ilall 
Nach dem Kaug. läfst er (der Priester) hiermit den Jüngling 
mit dem rechten Fufse eine Scheibe von Stein (?) betreten'). Die 
übrigen grihyasütra haben beim godanam nichts hiervon, kennen 
resp. diesen Vorgang nur bei der Hochzeit, wo die Braut bei 
zwei verschiedenen Gelegenheiten dazu veranlafst wird, s. Ind. Stud. 


?) dakshinena pädend gmamandalam dästhapya. 


494 Gesammtsitzung 


d, 201. 318. 383. 387—8. Eine dem Spruch: acmd bhavatu te tanuk « 
etc. analoge Formel aber findet sich im Vatap. Br. 14, 9, 4, 26 beim 
Geburtsritual vor: acmd bhava paragur bhava ... | dtmd vai 
putra nama ’si sa jiva garadah catam. — Das Betreten oder 
Überspringen eines Steines kommt noch mehrfach im Ritual vor. 
5. Wenn wir dir jetzt rauben das erste Kleid hier, 
so mögen dich die Götter all beschützen! I 
Und hinter dir, froh gedeih’nd, wohlgestaltet, 
dir noch viele Brüder geboren werden! Il; Il 

Hiermit raubt er (der Priester) dem Jüngling das eben erst 
umgethane Gewand, nachdem er ihn zuvor nach rechtshin um das 
Feuer herumgeführt. Er umhüllt ihn darauf unter Reeitation von 
Ath. 13, 1, 16-20 mit einem andern noch nicht getragenen Kleide.') — 
Für dieses Rauben des Gewandes weils ich gar nichts Analoges; 
auch bleibt mir die symbolische Bedeutung des Aktes unklar. Soll 
der Jüngling etwa durch diese zeitweise Entblöfsung dem Schutze 
der Götter ganz besonders anempfohlen werden? darauf führt etwa 
der Wortlaut des ersten Hemistichs. — Der Inhalt des zweiten Hemi- 
stichs bezeichnet den Jüngling wohl als den Erstgebornen? resp. 
als einen Solchen, der einstweilen noch keinen Bruder hinter sich 
hat, und man möchte hiernach das Stück als ursprünglich nicht 
für die goddna-Ceremonie, sondern für ein früheres Lebensalter, 
das cüdakarman etwa’), bestimmt ansehen; aber freilich damit will 
wieder v. 3 nicht recht stimmen, der vielmehr entschieden nur auf 
einen erwachsenen Jüngling pafst. — Im ersten pdda ist durch 
vyitha eine Silbe zu gewinnen, wofür sich verschiedene Eventuali- 
täten bieten. In pdda 3 ist bhrdtarah zweisilbig zu lesen. 


14. Segen gegen Hauskobolde. 


1. Die Dreiste, Zähe, Ausspring’nde (?), Eintönige, Gefräfsige I 
Alle Niftel des Grimmigen, die Saddnvds vernichten wir. Ill 
Dies Stück gehört zu den in Kaue. 8 unter dem Namen cd- 


!) pradakshinam agnim anupariniyä "'thä 'sya vdso nirmushndti yasya 
te väsa üty etayd, 'thainam aparenähatena vasanend "chddayaty ayam vaste 
9. p. iti pancabhih, Kaug. 

?) bei welcher Ceremonie die grihyasütra in der That die Umhüllung 
des Kindes mit einem neuen Gewande ebenfalls erwähnen. 


vom 30. Juni 1870. 495 


tanani aufgeführten Sprüchen zur Verscheuchung böser Gei- 
ster; ibid. 9 erscheint es neben den mrigdrasüktäni (Reinigungs- 
Hymnen?), und es wird bei Kauc. auch sonst noch mehrfach er- 
wähnt. Nach ibid. 72.82 findet hiermit eine Besprengung des Haus- 
einganges mit Weihwasser statt (iti gälänivecanam samprokshati). 
— Ich vermuthe, dafs wir unter den hier namhaft gemachten Un- 
holdinnen Ratten und ähnliches Haus-Ungeziefer zu verstehen 
haben. — nissalda „die aulserhalb des Hauses ist“ Pet. W.; ich 
möchte das Wort lieber wie oben fassen. — dhrishnum als Accus. 
Fem. ist immerhin auffällig. — Für dishanäm möchte ich geradezu 
dhishandm lesen; von den vier Strichen der Silbe nd geht in der hand- 
schriftlichen Überlieferung leicht einer verloren; ich erkläre das 
Wort aus einer alten Des. Form von ydhd, festhaltend, zähe. — 
ekavddyd, eintönig; ob etwa der Holzwurm? der ja bei uns 
auch die Todtenuhr heifst, somit als unheimlich genug gilt, um 
hier mit genannnt sein zu können. — napti Niftel, Nichte; Toch- 
ter, Enkelinn. — canda, Name eines Hauptkobolds (Rattenkönigs?), 
oder etwa des Rudra, dem ja die Mäuse, Ratten etc. zugehören? 
Canda ist später ein Name des aus Rudra entwickelten (iva. — 
sadänvd würde ich am liebsten in sadd-nvd theilen, wenn mit 
nvd nur irgend etwas Leidliches zu machen wäre. Die im Pet. W. 
aufgeführten beiden Wurzeln nu ergäben die Bedeutung: beständig 
schreiend, oder: beständig sich bewegend, wendend, und Letz- 
teres liefse sich schon halten; aber die Form nvd macht Schwierigkeit! 
Bei der Theilung sa-danvd wäre dänva etwa als irreguläre Neben- 
form zu dem Dämonen-Namen dänava (von danu, Ydd schneiden), 
und sa° nicht in dem älteren Sinn der Identität, Einheit, sondern 
in dem spätern der Zusammengehörigkeit zu nehmen, und das 
Wort als: Genossinn, Freundinn der Dänava zu übersetzen? 
2. Wir treiben aus dem Kuhstall Euch, 
aus der Achse, dem Wagenraum. | 
Ihr Töchter der Magundi! wir 
scheuchen Euch aus den Häusern fort. II 2 Il 

Ist unter updnasa etwa an die Küche (vgl. mahdnasa) zu den- 
ken? Mit der Magundi, die hier doch wohl eben als Gemahlinn 
des in v. 1 genannten Canda auftritt, liegt es nahe, die Canda- 
mundd, Camundad der späteren Zeit, die böse (Candi) Gemahlinn 
Oiva’s (Canda’s) zu vergleichen, resp. diese aus jener herzuleiten; 
man hätte resp. dann wohl in letzterer Namensform eine volksety- 


496 Gesammtsitzung 


mologische Anähnlichung an das Wort munda zu sehen? Im Übri- 
gen stellen sich zu Magundi selbst wohl die freilich ebenfalls 
dunklen Namen Pramagemda, Magadha und Mägandiya (im Päli, 
s. schol. zum Dhammapadam, Yausböll p. 162 ff.; denn an Mar- 
kandeya ist hierfür wohl nicht zu denken? zumal sich ja auch die 
Nebenform Mägandika findet, s. ib. p. 153). 
3. Welches Haus da dort unten ist, 
da soll’n die Unholdinnen sein! I 
Da niste sich die Armuth ein! 
und auch die Spukgestalten all! 13 Il 
Ist mit diesem Hause die Unterwelt gemeint? oder eine Höhle 
im Berge')? oder das Haus einer befeindeten Familie, die wei- 
ter „unten“ wohnt? — sedi, von Ysad, in der praegnanten Be- 
deutung: sitzen bleiben, nicht fortkommen; gebildet wie kepi, nemi. 
— Zu yatudhäni, Spukgestalt, s. Pet. W. Die Ind. Stud. 4, 399. 
400 vorgeschlegene Herleitung von Yyat findet eine weitere Stütze 
in der Form ydtavya, mit kurzem a, in Ts. 2,3, 13,1. 
4. Bhütapati treib’ fort von hier 
und /ndra die Sadanvas! I 
Die an des Hauses Grund sitzen, 
trefi” Indra mit dem Donnerkeil! I&il 
bhüta „ein unheimliches Wesen, Gespenst, Kobold* Pet. W.; 
bhütapati erscheint aber auch speciell als Name Rudra’s. 
5. Ob Ihr gehört zum Feld hinaus, 
oder von Menschen seid gesandt I 
Oder von den Dämonen stammt — 
Sadäanvds! schwindet fort von hier! Is 
kshetriyanam, zu denen, die auf dem Felde hausen (Feldmäuse?). 
— Der Gegensatz von purusha und dasyu weist wohl eben auf 
Menschen und Dämonen hin? oder ob etwa auf Arier und Nicht- 
Arier?; die purusha wären dann irdische Feinde, die in der Weise 
von v.9 die Saddnvds in das Haus des Sprechenden gebannt 


haben. 
6. Ihre Sitz’ ich umgangen hab’, 


wie rasches Rofs den Pfahl am Ziel! I 
Ich besiegt’ Euch in jedem Lauf. 
Sadanvas, schwindet fort von hier! He 


!) vgl. unten 235, 4; «also a la Rattenfänger Furiband! 


vom 30. Juni 1870. 497 


Lies: dcuh käshthäm ivd "saram; der padapdtha in Chambers 8 
hat: acuh I gashtham. 


15. Spruch gegen die Furcht'). 
ı. Gleichwie der Himmel und die Erd’ sich nicht fürchten noch 
Leid’s befahn, I 
Also fürchte dich nicht, mein Herz! ii ı Il 
mein Herz, wörtlich: mein Odem (präna). 


2. Gleichwie der Tag und auch die Nacht — — Ill 
3. Gleichwie die Sonne und der Mond — — Italll 
4. Gleichwie das brahman, das kshatram — — 1all 


die Brahmaneukaste und die Kriegerkaste in ihrer Gesammtheit. 
5. Gleichwie die Wahrheit, die Ordnung — — Ilsl 
‚Statt cdnritam ist unbedingt wohl ca ritam zu lesen; die Un- 
wahrheit kann doch hier in einer solchen Formel nicht füglich 
als Beispiel aufgeführt sein! das wäre ja eine Art sacrilegium. 
6. Gleichwie Vergang’nheit und Zukunft — — Ileill 
Nur die Gegenwart ist der Furcht ausgesetzt; die beiden an- 
dern Zeiten sind, die eine darüber hinaus, die andere derselben 
noch nicht unterworfen. 


16. Schutzformel im Allgemeinen. 


1. Einhauch und Aushauch! schützet mich vor dem Tode! 
spaha. Hill 
Die Stücke 16—24 sind solenne Formeln in Prosa, bei de- 
nen ein Hauptgewicht auf der völligen Identität der äulseren Form 
zu beruhen pflegt. — svahd, benedictio sit! 
2. Himmel und Erde! schützet mich vor Behorchen! sodhad. I al 
vor Behorchen, durch meine Feinde; oder: durch Behor- 
chung (instrum.) der Anschläge meiner Feinde. 
3. Sonne! schütze mich mit (deinem) Auge! svdhd. I 3! 
mit dem Alles, somit auch die Pläne meiner Feinde erschau- 
enden Auge. 
4. Agni vaigvanara! schütze mich mit allen Göttern! sodha. IIall 
Unter vigvair devais sind etwa hier die Sinnesorgane zu ver- 


!) etwa als Amulett für einen in die Schlacht ziehenden Krieger ? 


498 Gesammtsitzung 


stehen, die in den Brahmana-Texten mehrfach als deva bezeichnet 
werden? Oder liegt die Göttergruppe, die den Namen vigve deväs 
führt, vor? 
5. O du Alles Tragender! schütze mich mit jeglicher Pflege! 
svahd. I 5 Il 
Unter vigevambhara the all-sustaining (Vishnu oder Indra, 
nach Wilson) ist hier wohl Prajdpati zu verstehen? 


17. An ein Amulett. 


1. Du bist Stärke! gieb mir Stärke! sodha Ilıll 

. Du bist Gewalt! gieb mir Gewalt! svdhd. I 2 
. Du bist Kraft! gieb mir Kraft! svahd. Is 

4. Du bist Leben! gieb mir Leben! svdha. I 4 Il 
5. Du bist Gehör! gieb mir Gehör! sedhd. I 51 
Du bist Auge! gieb mir Auge! svdha. IIell 
Du bist Schutz! gieb mir Schutz! svahd. Ir 


DD 


© 


Er. 
SIE 


18. Desgl., zum Schutz gegen Feinde und Unholde.') 


1. Du bist Verderben der Feinde! 
gieb mir Verscheuchung der Feinde! svähd. Nıll 
2. Du bist Verderben der Nebenbuhler! 
gieb mir Verscheuchung der Nebenbuhler! svdhd. II 21 
3. Du bist Verderben der Unholde! 
gieb mir Verscheuchung der Unholde! svdhad. Is 
4. Du bist Verderben der Picäca! 
gieb mir Verscheuchung der Pigdca! svdhd. Hall 
5. Du bist Verderben der Sadanve! 
gieb mir Verscheuchung der Saddnvd! svähd. I 51 


19. Verwünschung des Feindes. 


ı. Agni! mit der Hitze, die dein ist, sei heifs auf den, der 
uns hafst, den wir hassen! Ilı Il 

2. Agni! mit der Gluth, die dein ist, glühe auf den, der uns 
kalst, .realliorl 


!) in Kauf. 8 unter den cdtanani (s. oben zu 14, 1) aufgeführt. 


vom 80. Juni 1870. 499 


hara muls hier wohl eben in einer dem tapa, arca, coca der 
andern Verse, resp. der Etymologie des Wortes haras selbst ent- 
sprechenden Bedeutung genommen, also nicht zu Yhar, nehmen, 
holen, sondern zu Yhar, ghar gezogen werden! Eine andere 
Stelle, wo diese Wurzel als verbum finitum vorkäme, ist mir nicht 
zur Hand. (Curios ist die Herlieitung des Wortes ghrita in Ts. 
2, 3, 10, ı aus Ydhar; yad adhriyata tad ghritam abhavat). 

3. Agni! mit dem Licht, das dein ist, leuchte auf den, der 

uns halst, ... Is 
4. Agni! mit der Flamme, die dein ist, flamme auf den, der 

uns halst, ... Ilall 
5. Agni! mit dem Glanz, der dein ist, mache glanzlos den, 

der uns hafst, ... Is 


20 — 23. Desgleichen. 


Diese vier Stücke unterscheiden sich von 19 nur dadurch, 
dals in ihnen statt des Agni der Reihe nach Väyu, Sürya, der 
Mond (Candra), die Gewässer angerufen werden. Die in den drei 
Welten Erde, Luft und Himmel herrschende Trias Agni, Väyu, 
Sürya (oder Aditya), welche in den Brähmana-Texten (und bei 
Yäska) an der Spitze aller Götter erscheint, und zwar nach Catap. 
6,1,2,1 Oankh. Br. 6,1 als von Prajäpati') geschaffen, resp. 
über ihm stehend, ist somit hier, um den Eindruck der Beschwö- 
rung desto nachhaltiger zu machen, noch durch den Mond und die 
Wasser verstärkt. Der Mond erscheint so auch sonst noch (s. 
meine Abh. über Omina p. 338. 386), nicht aber die Wasser. 


24. Gegenzauber. 


8. Gerabhaka! Qerabha!”) Eure Zauberspuke mögen wieder gehen! 


‘) der seinerseits aus dem ältern Zeugungsgott Savitar sich entwickelt 
hat, vgl. meine Abh. über Omina und Port. p. 386. 392. — Bei Yäska steht 
der ätman an der Stelle des prajäpati (s. Nir. 7, 4: mähäbhägyäd devatäya 
eka atm& bahudhs stüyate, nano 'nye deväh pratyangäni bhavanti; 
und ibid. 5: tisra eva devatd iti Nairuktd, agnih prithivisthäno, vayur 
vendro vd 'ntarikshasthänah, süryo dyusthänah). 

?) in 2—8 andere Namen, gevridhaka cevridha in 2, mroka anuımroka 


in 3, sarpa, anusarpa in 4, jürni in 5, upabdi in 6, arjunt in 7, bharüjt in 8. 


500 Gesammtsützung 


wieder gehn eure Waffe, o ihr Kimidin!!). Wem Ihr angehört, 

den fresset! Wer Euch abgesandt hat, den fresset! Euer 

eignes Fleisch fresset! I ı-s I 

Vier männliche und vier weibliche Kimidin, Kimidini wer- 
den hier in 1—8 je zunächst im Eingange einzeln mit Namen ge- 
nannt, und sodann je insgesammt mit ihren Zauberspuken (ydtavas) 
und ihrer Waffe (heti) zurückgewiesen. Sie sind eines Andern, 
eines Feindes, Diener, von ihm abgesandt, dem Beschwörenden zu 
schaden, und werden von diesem nun hiermit veranlafst ihre ver- 
zehrende Kraft vielmehr gegen ihren Herrn und Absender, resp. 
gegen sich selbst zu richten’). Was nun unter diesen acht Kimi- 
din zu verstehen ist, ob Ungeziefer (etwa Heuschrecken?) oder 
sonstige schädliche Thiere, oder etwa Krankheiten, erhellt nicht 
recht. Die einzelnen Namen sind eben entweder zu unklar oder 
umgekehrt zu vieldeutig, um einen sicheren Anhalt zu gewähren 
für das, was sie hier bedeuten. Die Etymologie allein kann ja 
bei dgl. Eigennamen eben nur die nothdürftigste Auskunft gewäh- 
ren. — Auch über die Bedeutung des Wortes kimidin selbst (s. 
Pet. W.) schwebt noch völliges Dunkel. Im R. 7, 104, 2°) schei- 
nen unter dem „brahman-hassenden, rohes Fleisch verzehrenden, 
bösen Blick habenden* kimidin etwa die dem Arier feindlichen 
Ureinwohner Indiens zu verstehen? Im Ath. sodann erscheinen 
die kimidin als fressend 1,7, 3*), als in nächster Verbindung mit 
Zauberern (ydtudhana) stehend 1,7,3. 28,1.2. 4, 20, s (seien es 
Ärya oder (üdra!), als nur dem gefeiten Auge sichtbar 4, 20, 5, 
als in Schlachten zu besiegen 4, 28, 7, als bösherzig, anfeindend 
und durch das Feuer zurückzustolsen 8, 3, 3, als durch das pinga- 


1) in 5-8; o ihr Kimidini! 

2) diese Zurückschleuderung des Zaubers ist im Ath. häufig, und auch 
unserm Aberglauben wohl bekannt. 

3) kimidine kim idänim iti carate kim idam kim idam iti va pigu- 
ndya carate Nir. 6, 11 (Roth: eine Klasse der Geister der Finsternifs). 

4) von mir durch: boshaftig übersetzt, theils im Anschlusse an Yäska’s 
Erklärung durch piruna, was indefs bei ihm wohl eher als: spionirend, ver- 
läumderisch, verrätherisch aufzufassen ist, theils unter Heranziehung des Wor- 
tes gimidäd R. 7, 50, 4 (s. acimida, Pet. W.). Nach schol. zu Gas, 4, 3,21 
ist cimida ‘von giftigen Spinnen, Skorpionen etc. zu verstehen. Im Taitt. 
Ar. 4, 9,1 findet sich gimidvant als Beiname eines vdta. 


vom 30. Juni 1870. 501 


Amulett zu vertreiben 8, 6, 21.25 (resp. als Buhlkobolde? s. Ind. 
Stud. 5, 456), als neben den Gandharva ete. genannte Unholde 12, 
1, 50. An unsrer Stelle kann bei kimödin an menschliche Feinde 
natürlich nicht gedacht werden. Fassen wir von den aufgeführ- 
ten acht Namen derselben zunächst die vier männlichen Namen 
serabhaka resp. gerabha, gevridhaka vesp. cevridha, mroka resp. 
anumroka, und sarpa resp. anusarpa ins Auge, so liegt jedenfalls 
in ihnen theils eben gar nichts vor, was irgendwie in praegnanter 
Weise auf eine bestimmte Gruppe schädlicher Wesen oder Gegen- 
stände hinwiese, theils wohnt ihnen in ihrer Mehrzahl überhaupt 
nicht nothwendig die Bedeutung des Schädlichen inne. Der zweite 
dieser Namen: gevridha kommt sogar im Gegentheil im Nyh. 3, 6 
unter den 20 Namen für sukha, Wohlbefinden, vor und erscheint 
im Rik als Adjectiv, resp. 3, 16, 2 als Beiwort von rdyah (gevri- 
dhasah, dänabhogädyupayogena sukhasya vardhakdni; varnavya- 
iyayah, sam sukham vardhayati, Sdy.) und 1,54, ıı als Beiwort 
zu dyumnam (samcamanam, rogändm camane sati yad vardhate tddri- 
gam, Sdy.). Und da die Bildung des Wortes gerabha denn doch 
in der That in gleicher Weise erfolgt scheint, so wäre sonach auch 
für dieses eigentlich eine günstige Bedeutung zu subsumiren! 
Ob sarpa wirklich hier Schlange bedeutet, ist mir zweifelhaft; 
wegen des anusarpa') möchte ich es in der That lieber appella- 
tivisch auffassen, wie ja auch dem mroka ein anumroka zur Seite 
steht. Dies Wort mroka ist das einzige, welches (von sarpa, 
Schlange, abgesehen) auch sonst noch im Ath. und zwar, der hie- 
sigen Verwendung entsprechend, in übler Bedeutung sich findet. 
In 5, 31, 9 erscheint es als Beiwort eines Zaubers, krityd (feminin), 
der gegen die Knochen des (auf dem pyrus liegenden) Leichnams 
(? purushästhe) oder gegen das Feuer des pyrus selbst (agnau samka- 
suke, vgl. Kaug. 86) gerichtet ist, und zwar steht es daselbst neben 
den ebenfalls maseulinen Beiwörtern nirdäham kravyddam, und wird 
daher im Pet. W. als „N. eines verderblichen agni“ (resp. dem- 
gemäls hier als „N. einer Flamme“) aufgefafst. In 16, 1,2720, 
dann erscheint mroka unter den Namen von zehn im Wasser 
wohnenden Feuern (agni), d. i. doch wohl von schädlichen, Fie- 
berhitze oder andere derartige Krankheiten ete. hervorrufenden 


1) hierin „ein schlangenartiges Geschöpf“ zu sehen (Pet. W.), halte ich 
für bedenklich. 


502 resammtsitzung 


Eigenschaften des Wassers?!) Etymologisch scheint auch mroka 
nur etwa: sich verbergend, hineinschlüpfend zu bedeuten. — Die 
Benennung der weiblichen Kimidin bleibt zunächst äufserlich dadurch 
von der der männlichen geschieden, dafs die Namen nicht wiederholt, 
resp. doppelt aufgeführt werden, sondern je einzeln stehen: jürni, 
upabdi, arjuni, bharüji; ferner aber scheint für diese Namen 
wirklich die Auffassung derselben als Krankheiten indicirt zu sein. 
Für jü@rni nämlich liegt der Anschlufs an jürni Gluth, Lohe, Fie- 
ber (s. Pet. W.), für arjuni der Bezug auf die Hautkrankheit 
arjuna (ibid., s. Say. zu R.1,122,5), und für upabdi „Geräusch, 
Geklapper, Gerassel* der auf das Klappern des Fieberfrostes, 
in der That denn doch wohl näher als die Beziehung dieser Namen 
(s. Pet. W.) auf Schlangen (upabdi etwa als Klapperschlange?). 
Endlich bharüji wird zwar im Pet. W. auch „als Bez. eines 
schädlichen Thieres“ aufgefalst, unter Hinweis auf das in der Be- 
deutung „Schakal“ belegte Wort bharüja. Es liegt indefs der 
Bezug auf das Nir. 2, 2 vorliegende bharüja wohl näher, welches 
nach Yaska (resp. Durga) auf Ybharj, bhrajj frigere, assare zurück- 
zuführen scheint, somit ebenfalls von der gleichsam röstenden 
Fjeberhitze wohl verstanden werden Könnte. 


25. Gegen Abortus. 


1. Göttinn Prieniparni uns Heil 
brachte, Unheil der Nirriti. I 
Mächtig zermalmt sie die Kanva. 
Sie erkor ich, die sieghafte. II ı Il 
Dieses in Kaug. 8 unter den cdtandni, Verscheuchungs-Sprü- 
chen aufgeführte Stück ist gegen eine Classe von Dämonen gerich- 
tet, Namens Kanva, die nur hier vorkommen. Das Kraut prig- 


1) Ich fasse das Stück als ein des Abends beim Waschen vor dem zu 
Ruhe-Gehen zu recitirendes Gebet; mit 1—8 werden die im Wasser wirken- 
den schädlichen Gewalten gebannt, mit 9—13 wird: um den heilbringenden 
Einflufs des Wassers, in specie auch gegen böse Träume, gebeten. Die 
Namen der zehn agni sind: rujant, parirujant; mrinant, parimrinant; mroka, 
manohan, khana (resp. khani in 7), nirdäha, ütmadüshi, tanidüshi. Auch die 
folgenden Stücke (16, 2—7) fasse ich als ähnliche Abendgebete, vor dem zu 
Ruhe-Gehen zu recitiren. 


vom 30. Juni 1870. 503 


Sriparnt wird, s. P. W.,') theils im'Ritnal! sonst noch erwähnt 
(das gmagdnam darf nicht in der Nähe solcher Pflanzen gemacht, 
dieselben müssen resp. an dem Orte, wo man es machen will, aus- 
gerottet werden), theils auch in der Mediein als officinelles Kraut 
verwendet; und zwar ist dieselbe u. A. nach Sugr. 1, 377,7, mit 
Milch vermischt, bei während der ersten 7 Monate der Schwanger- 
schaft drohendem Abortus (garbhasrdve) zu gebrauchen, womit denn 
dieses Stück hier trefflich im Einklange steht. 
2. Prigniparni hier gleich zuerst 
als sieghaftig entstanden ist; I 
mit ihr haue das Haupt wie ’nem 
Vogel den Bösnam’gen ich ab. IlaIı 
durndman, einen bösen Namen habend, den man lieber gar 
nicht in den Mund nimmt; doch wohl aus Scheu vor ihrer furcht- 
baren Macht? vgl. Ind. Stud. 9, 269. Als appellative Bedeutung 
wird für kanva: „taub“ angegeben; däs kann wohl nicht gemeint 
sein? Mit dentalem n bedeutet aber durndman, durndmaka (s. 
Pet. W.) auch speciell die Hämorrhoiden; und es scheint in der 
That, als ob diese Bedeutung auch hier speciell ins Auge zu fas- 
sen, resp. auf den mit Abortus verbundenen Blutfluls zu bezie- 
hen ist. 
3. Den unholden, Blut trinkenden, 
das Gedeihen fortreifsenden, I 
Embryo-fressenden Kanva, 
Prigniparni! vernicht’ und tlg’! naı 
Dieser Vers ist charakteristisch für die Bedeutung dieser Dä- 
monen-Gruppe. 
4. In den Berg sperre die Kanva, 
die Leben schäd’genden, hinein! I 
Göttin Prigniparnil sie all, 
wie Feuer, brennend, zieh’ einher! la Il 
Das Bannen der Krankheitsdämonen in einen Berg, aus dem 
sie nicht wieder hinaus können, findet auch in unserm Aberglauben 
seine Analoga; man bannt sie in Bäume, Steine etc. 
5 Hinweg treibe die Kanva, fort 
die Leben schäd’genden, von hier! I 


‘) Hemionitis cordifolia Roxb.; nach dem schol. zu Käty. 25, 7, 17 
aber = mäshaparni Glycine debilis Lin.; auch /akshmand genannt. 


[1870] 35 


904 (resammtsitzung 


Wo Finsternisse sich ergehn, 
dahin schaff’ ich die Fleischfresser. 151 
„Die Finsternisse“, das ist wohl vom Dunkel des Waldes zu 
verstehen? — „Fleischfresser“* heifsen die Kanva, weil sie die 
Embryonen verzehren (Ss. v. 3). 


26. Stallsegen, beim Heimkehren des Viehes am Abend. 


ı. Heim kehr’ hier das Vieh, das seitab gegangen, 
deren Gespielschaft sich der Wind erfreute! I 
Deren Gestalt’n alle bekannt dem Tivashtar, 
Savitar sie treibe in diesen Stall ein! Ill 
2. In diesen Stall mögen die Thier’ einströmen! 
Brihaspati führ’ sie herbei, der Kund’ge! I 
Sinivali führ heran ihre Spitze! 
Anumati! treib’ sie ein, wenn sie da sind. I all 
Sinivdli, Vollmond? s. Ind. Stud. 5, 230. 232 ff.; Anumati, Neu- 
mond. 
3. Zusammen strömen soll’n die Thier’, 
zusamm’n die Mannen und die Ross’. | 
Zusammen des Getraides Flor! 
Ich opfre mit zusamm’ngegossner Spende. II 31 
samsrdvyena havishäd; wie aus v. 4.5 erhellt, besteht die Spende 
aus Milch, Butter und Getraidesaft (einer Art Bier?). Der Zu- 
sammengufs dieser verschiedenen Bestandtheile soll wohl symbo- 
lisch die Vereinigung der einzelnen Theile des Hauswesens dar- 
stellen. — Wenn juhomi nicht etwa Glosse ist, hat pdda 4 ein an- 
dres Metrum (trishtubh) als pdda 1—3. 
4. Zusammen ich der Kühe Milch 
gielse mit djya, Kraft und Saft. I 
Zusamm’ngegossen sein unsre 
Mannen, treu mir als Hirt die Küh’! Hall 
mayi ist einsilbig zu lesen. 
5. Herbei hol’ ich der Kühe Milch, 
holte her des Getraides Saft. I 
Herbeigeholt die Mannen’ sind, 
unsre Frauen hier in dies Haus! 51! 
dhenyam (rasam) ist hier (s. Pet. W.) adjektivisch zu fassen: 
„aus dhdnds, Körnern (Setzkorn), stammend.* — Der Hausvater 


vom 30. Juni 1870. 505 


holt des Abends alle die Seinen, sein Gesinde und sein Vieh in 
das Haus zusammen; dhüätd liest Chambers 8; doch ist dhritd wohl 
wegen pdda 1. 2 passender. 


27. Zum Schutz der Scheuern und Speisekammern. 


ı. Dafs der Feind nicht dem Speis’vorrath 
obsieg’! sieghaft du, mächtig bist! I 
Schlag’ fort, die meinen Speis’vorrath 
schäd’gen, mach’ kraftlos sie, o Kraut! lt ı li 
Das Kraut führt nach v. 4 den Namen pdtd, d. i. spaltend, 
aufschlitzend (?). Nach Kaue. 38 wird die Wurzel desselben hiermit 
bei jeder Mahlzeit (?) angesprochen, dann in einen aus sieben 
Blättern bestehenden (?) Kranz gebunden und so aufbewahrt‘), 
d. i. wohl am betreffenden Orte aufgehängt? 
2. Schönfitt’ger (Falk) hat dich erschaut, 
Eber dich ausgrub mit der Nas’. I 
Schlag’ fort... Ile ll 
Die Wurzel scheint also schwer zu finden; der Scharfblick 
des Falken, die Spürkraft des Ebers gehört dazu. — Hemistich 1 
kehrt identisch wieder in 5, 14, ı. 
3. Indra steckte dich an den Arm, 
niederzumäh’n die Asura. I 
Schlag fort ... Is 
cakre tvd bähau; er nahm das Kraut nicht etwa als Waffe in 
die Hand, sondern steckte es als Amulett an den Arm. 
4. Indra verzehrte die pdtd, 
niederzumäh’n die Asura. | 
Schlag fort ... Ilall 
5. Ich besiege dadurch die Feind’, 
wie Indra die Sdlavrika. I 
Schlag fort ... Is 
säkshe; eine Desiderativ-Bildung von sah, wesentlich in der Be- 
deutung des einfachen Verbums, wie sich derartige Bildungen viel- 
fach im Veda, Pali ete. vorfinden. — Die sälävrika erscheinen 


1) nechatrur iti pätämulam pratiprägitam (?) anväha, badhnäti mäla(m) 
saptapaläapim, dharayanti. Ist etwa unter pratipräfitam etwas dem pratiprä- 
gah des Textes Entsprechendes zu verstehen? 


35* 


506 Gesammtsitzung 


sonst nirgendwo als Indra’s Feinde. Vielmehr nimmt er theils 
selbst nach 7s. 6, 2, 4, 4 die Gestalt einer säld@vriki an, um die 
asura zu besiegen (ebenso im Kath. 28, 4 die dakshind die Gestalt 
einer sdldvriki), theils übergiebt er vielmehr seine Feinde, die yati, 
den säldvrika (zum Frals) Ts. 6, 2, 7, 5. Ait. Br. 7, 28. Gankh. 
er. 14, 50,2 (markata schol.), resp. den sdlävrikeya Pane. 8, 
1, 4 (aranyagvabhyah schol.). 13, 4, ı6 (sälävrikyah putrebhyak krosh- 
tubhyah). 14, 11, 23 (sdldvrikiputrebhyah). 18, 1,9 (aranyagvabhakı). 
19, 4, 7 (desgl.). Kaäth. 8, 5. 11, 10. 25, 6. 36, 7 (Ind. Stud. 3, 465 
-66). Kaush. Up. 3,1. Und zwar erscheinen dieselben als unmit- 
telbare Diener des Yama!), s. Ind. Stud. 1, 412 ff., sind resp. 
ursprünglich wohl einfach die an Leichnamen sieh sättigenden 
Schakale, Hyänen und Wölfe (jackals and wholves, Haug zu Ait. 
Br.) und erst sekundär zum Range von Dämonen erhoben. 
6. O Rudra, dessen Heilmittel 
lindern, — Schwarzlockger! Werkthätger! — I 
Schlag fort, die meinen Speis’vorrath 
schädgen, mach kraftlos sie, o Kraut! Ile ll 
Im ersten Hemistieh fehlt ein Verbum; es sind wohl die im 
zweiten Hemistich stehenden Verba zugleich auf Rudra und auf 
das Kraut zu beziehen. — Da Rudra hier als jaldshabheshaja an- 
gerufen wird, könnte man meinen, es handele sich hier um eine 
Krankheit, etwa um Schutz gegen Verdauungsbeschwerden; doch 
will dazu der sonstige Tenor des ganzen Stückes nieht recht stim- 
men. Es frägt sich freilich eben, ob präg gerade mit „Speise- 
vorrath, Lebensmittel“, so Pet. W., zu übersetzen oder ob nicht 
eine andere Bedeutung, etwa eben die von: Verdauung, damit zu 
verbinden ist. 
7. Vernichte dessen Speis’vorrath, 
o Indra! der uns feindet an. I 
Segne mit deinen Kräften uns! 
stell’ mich ob’nan im Speis’vorrath. II 


1) das Geschrei einer gdlä(!)-vriki gilt als unglückverheilsend, als To- 
desbotschaft schol. zu T. A’r. A, 29, 1. 30, 1. Bei Apastamba findet sich 
wie in 7s. die Form sälävriki, s. 1, 10, 17. 11, 33 ed. Bühler. 


vom 30. Juni 1870. 507 


23. Bitte um langes Leben für einen Knaben. 


i. Dir allein wachs’ er zu, Greisenalter! 
nicht soll’'n die hundert andern Tod’ ihn treffen! I 
Wie sorglich die Mutter den Sohn im Schoofse, 
so ihn Mitra schütze vor Freund-Bedrängung! Il ı Il 
Das Stück ist entweder für einen Neugebornen oder für eine 
spätere Gelegenheit des Kindesalters bestimmt. — „Hundert und 
ein Tode“ ist die solenne Zahl; der einzig wünschenswerthe dar- 
unter der an Altersschwäche. — mitriydd anhasah kann entwe- 
der die Angst sein, die er seinen Freunden macht, oder es kann, 
s. v. 3, sich auf Bedrängnisse beziehen, die ihm von Freundesseite 
bevorstehen könnten. 
2. Mitra oder Varuna, der Feind-Schäd’ger, 
einmüthig soll’n sterbend am Alt’r ihn machen! I 
Agni, der hotar, aller Regeln kund’ge, 
verkündiget alle Ursprüng’ der Götter. II 3 II 
Ich theile rigd-das, die Schädigenden (mit verlängertem Aus- 
laut) vernichtend (Ydas). — Der Zusammenhang der beiden Hemi- 
stiche ist mir unklar. Ist das zweite Hemistich etwa auf eine 
Geburtsceremonie hinweisend ? | 
3. Du beherrschest alle die ird’schen Thiere, 
die gebornen oder die noch entsteh’nden. I 
Nicht mög ihm je Einhauch abgehn, noch Aushauch! 
Nicht mögen ihn Freunde bedräng’n noch Feinde. Il s II 
Auch dieser Vers scheint auf ein Geburtsritual hinzuweisen. — 
Der im ersten Hemistich angerufene Gott ist Tvashtar oder Piü- 
shan; ja auch Rudra könnte darunter zu verstehen sein. — va- 
dhishus kann hier wohl nicht geradezu: tödten, erschlagen be- 
deuten? | 
4. Dich der Vater Himmel, die Mutter Erde 
einmüthig soll’n sterbend am Alter machen! I 
Damit du im Schoofs der Aditi lebest, 
durch Ein- und Aushauch bewacht, hundert Winter! Il al 
Während der Vater Himmel und die hundert Winter den 
Vers als alterthümlich erscheinen lassen, wird ihm durch die Ver- 


wendung des Wortes gupita (im Rik nur 10, 85,4 und Jugupus 7, 
103, 9, s. Pet. W.) dieser Anspruch wieder geraubt. Oder ist etwa 
die im Pet. W. angenommene sekundäre Herleitung der Ygup aus 


508 Gesammisitzung 


go-pa doch nicht richtig? vielmehr gup mit guh (aber kuh, zeuSw!) 
eines Stammes? vgl. zend. gufra tief, verborgen; resp. verbergend, 
beschützend. 
s. Führ, Agni! zum Leben ihn! und zu Thatkraft! 
Das liebe Kind, Varuna, König Mitra! I 
Gieb Aditi! Muttergleich deinen Schutz ihm! 
all Ihr Götter! dafs er gelang’ zum Alter. II5 Il 
priyam retas eig. den lieben Samen, s. unten 34,2. — Zu 

varcas s. oben pag. 493 und vgl. noch ärj. 


29. Segenswunsch (für einen Verwundeten?). 


ı. Ihr Götter, in des Ird’schen Saft 
(setzt ihn), in Kraft des Glücks und Leib’s! I 
Und Leben ihm Agni, Sürya, 
Thatkraft gebe Drihaspati. I ı Il 
Im ersten Hemistich fehlt das Verbum, ist resp. aus dem zwei- 
ten zu ergänzen. — dyushyam asmai ist wohl mit dyur asmai in 
v. 2 umzustellen; dann wird das Metrum beiderseits richtig. 
2. Lebenskraft gieb du ihm, o Jätavedas! 
Nachkommenschaft setz’ in ihn du, o Tvashtar! | 
Reichthumsgedeihn Savitar! spende du ihm! 
Er möge dir hundert von Herbsten leben! II 21 
Dir, durch deine Gnade. 
3. Der Segenswunsch Kraft uns (geb’), reichen Nachwuchs! 
Stärke gebet, einmüthig Beid’, und Habe! I 
O Indra! er Länder ersiege mächtig, 
seine Gegner unter sich bring’nd, die Andern! Ill 
Diese Übersetzung schliefst sich, bis auf die unumgängliche 
Veränderung von jayam in jayan etwa, an den vorliegenden Text 
an. Im ersten pdda liest der padapätha: dgih \ nah; es ist somit 
„gebe“ nothwendig zu ergänzen. Sonst könnte man etwa meinen, 
dals d‘cirne zu lesen und dies als „Einer, der sich etwas gebrochen 
hat, verwundet ist“ aufzufassen sei, wo dann das erste Hemistich 
wenigstens eine einheitliche Construktion erhielte. Wer freilich die 
in pdda 2 angerufenen Zwei sind, erhellt überhaupt nicht. Der 
Text ist eben verderbt (sauprajdstvam!); der Vers findet sich resp. 
mit erheblich andern Lesarten in den drei Yajus-Texten wieder, 
nämlich in Ts. 3, 2, 8, 5. Kath. 5, 2. Katy. 10, 5, 3 (das zweite He- 


vom 30. Juni 1870. 509 


mistich resp, auch in Aath. 32,2) und zwar in folgender Weise: 
dir ma Ürjam uld suprajäs-twam isham dadhdtu dravinam sd- 
varcasam (suv° Katy.) | samjdyan ksheträani sahasd "hdäm indra 
krinvano anydn ddhardni sapatndn I Die dazu hier vorliegenden 
Variationen treffen speciell den zweiten und dritten pdda, bestehen 
resp. in der Aufnahme der beiden Duale (dhattam und sacetasau), 
und in der Wandlung von samjayan..aham in: jayam(sie!)..ayam. 
Hat etwa bei der Aufnahme jener Duale eine Rücksicht auf die 
Gelegenheit mit eingewirkt, für welche nach Kauc. 27 dieses Stück 
zu verwenden ist? Es handelt sich danach um die Kur eines 
(etwa in Folge von Wundfieber?) an Durst Leidenden! „Er (der 
Priester) heifst den Kranken sich mit dem Rücken an einen Ge- 
sunden lehnen, läfst sie Beide sich auf Zweige niedersetzen, den 
Kranken nach Osten, den Gesunden nach Westen gewendet, quirlt 
darauf in einem aus vetasa-Holz gemachten Becher mit zwei Rühr- 
iöffeln über dem Haupte des vom Durste Geplagten einen mantha 
(Mehl in Milch) und reicht ihn dem Andern, auf den er den 
Durst dadurch überträgt (das mufs somit ein treuer Freund 
oder Diener sein, der sich dazu hergiebt!); auch läfst er ihn das 
herausgenommene Wasser trinken. Mit v. 6 geschieht dann das 
darin Erwähnte'!)“, d.i. Beide trinken den mantha. Man mülste 
somit freilich statt: „Stärke gebet“ (dhattam) etwa „Stärke erlan- 
get“ erwarten. 
4. Als Indra’s Gab’, von Varuna belehrt kam 
der Tapfre, von den Marut uns gesendet! I 


!) pärthivasyety utpatyati (!) prishthasamhitav ("tam Cod.) upaverayatı, 
pränmukham vyadhitam pratyanmukham avyädhitam gäkhäsipaverya vaitase ca- 
masa upamanthanibhyam trishnägrihitasya girasi mantham upamathya "trishi- 
täya prayachati, tasmihs trishndm samnayaty, uddhritam udakam päyayati | 
savdsinäv iti mantroktam. | Die behagliche und ungelenke Breite dieser 
Schilderung steht zu der sonstigen lakonischen Kürze des Kaug. sütra in 
starkem Gegensatz und möchte wohl die Vorstellung erwecken, dafs es sich 
hier etwa um einen neuen, oder wenigstens nicht sehr bekannten 
Brauch handele, der eben darum ausführlich darzustellen war, während bei 
sonstigen Bräuchen deren Bekanntschaft vorausgesetzt, daher nur mit kurzen 
Worten darauf hingewiesen wird. — Das Übertragen von Krankheiten 
auf Andere ist auch unserm Aberglauben wohl bekannt, doch mehr so, dafs 
dasselbe ohne Mitwissen des Gesunden geschieht, s. Wuttke $. 402 ff., wäh- 
rend hier offenbar Einverständnils mit ihm stattündet. 


510  Gesammtsitzung 


Er in Eurem Sehoofse ruh’, Himmel! Erde! 
Er hungre nicht! er dürste nicht! Ila Il 

päda 4 mit nur 6 Silben, statt deren 11, ist offenbar incom- 
plett. — Der „von Indra Gegebene“ etc. kann wohl nur ein „tapf- 
rer“ (ugra) Krieger sein, für den die Seinigen eben beten, weil er 
krank, resp. etwa verwundet (s. v. 7) daliegt. 

5. Kraft möget Ihr spenden ihm Beid’, Kraftreiche! 
Milch möget Ihr geben ihm Beid’, Milchreiche! I 
Kraft haben ihm Himmel und Erd’ gegeben, 
alle Götter, Kraft die Marut, die Wasser. Is Il 

Während in päda 1.2 Himmel und Erde angerufen werden, 
Kraft zu spenden, wird in pdda 3 diese Bitte als schon erreicht 
dargestellt. ärjaspati und payasvati sind fünfsilbig zu lesen; dage- 
gen dydväprithivi viersilbig. 

6. Mit lab’ndem (Trunk) ich dir dein Herz befried’ge. 

Der Krankheit frei, letze dich dran, thatkräftig! ı 

Dies gleiche Paar soll hier den Rührtrank trinken! 
Anthuend der Agvin Gestalt, wie Blendwerk. 

Zu givabhis ist wohl etwa adbhis oder dhäräbhis zu ergän- 
zen? — saväsinau, so gleich gekleidet und gestaltet, dafs man 
sie Beide für das göttliche Zwillingspaar der Agvin halten kann, 
 dals es ein wahres Blendwerk ist und die Krankheit daher von 
dem Kranken auf den Andern übergeht, ohne es zu merken, vgl. 
die Angabe aus Kaug. bei v. 3. 

7. Indra, durchbohrt, schuf vormals diesen Krafttrunk, 

alterlose Labspeise, — sie ist dein hier. I 
Durch sie du (noch) Herbste lang leb’, thatkräftig! 
Nicht fliefs dir was an! dir die Ärzte halfen. II Il 
vidahah, durchbohrt, verwundet. Vermuthlich also handelt es 
sich eben auch hier um einen Verwundeten. — svadhä in Fällen 
wie hier trenne ich von dem sonstigen sva-dh@ ab, und leite es 
von Ysvad ab, vgl. sindhu von Ysyandı. 


30. Liebeszauber. 


ı. Gleichwie der Wind die Gräser dort 
auf der Erde schwenkt hin und her, I 
also schwenke ich deinen Geist, 


vom 30. Juni 1870. 51l 


damit du mich (nur) liebend seist, 
damit du nimmer von mir gehst. Ilı ll 
Ich habe dies Stück zwar bereits in den Ind. Stud. 5, 218 
übersetzt, wiederhole indefs hier diese Übersetzung, weil ich theils 
in ihr, theils aber, und zwar insbesondere zu der ibid. p. 262 ge- 
gebnen Auffassung der betreffenden Stelle des Kaur. (35), einige 
Änderungen resp. Bemerkungen zu machen habe. Die Worte 
reshmamathitatrina nämlich sind dem Pet. W. zufolge mit „vom 
Sturm abgerissenes Gras“ zu übersetzen, und für sthakara ist auf 
T. Br. 2, 3, 10, 1-3 zu verweisen, wo ein sthägara alamkära 
(sthägaro ndma kagcit sugandhadravyavigeshah; sthägarapishtena ta- 
sydh mukhe tilakädyalamkäram cakdra schol.) als ein Liebeszauber 
gebraucht wird'). Die Angaben bei Kaug.?) besagen somit: „ZWi- 
schen zwei Holzstücke, welche von einem Baume und der ihn um- 
schlingenden Schlingpflagze genommen sind, legt man einen Pfeil 
(als Symbol des Liebesgotts, s. Ind. Stud. 5, 225), sthakara (Tagara- 
Pulver?), Augensalbe, kushtha und madugha (zu dieser Trias s. Ind. 
Stud. 5, 244), und vom Sturm abgerissenes Gras (die symbolische 
Bedeutung hievon ergiebt unser Vers), mischt all dies mit djya 
(Opferbutter) und berührt dann“ (damit; was? ist nicht gesagt; ob 
‚das Mädchen?). — Die Verwendung der ymath in unserm Verse 
erinnert an den spätern Namen des Liebesgottes manmatha. 
2. Ihr Agvin beid’! führet nun doch, 
bringet zusamm’n das Liebespaar! I 
(Wie) Euer Glück zusammentrat, 
Eure Herzen, Eure Gelübd’. Il2 1 
So wie ihr selbst Beide vereinigt seid, so sorget nun auch 
dafür, dafs dieser hier mit seinem (oder: dafs ich mit meinem) 
Mädchen vereinigt werde. — cet fasse ich jetzt nicht als „wenn“, 
sondern in alter Weise nur als: ca id. 
3. Wenn die Vögel sich aufmachen 
um fortzuziehn, die fröhlichen, I 
Da komme sie auf meinen Ruf, 
wie der Schaft in den Pfeilspitzhals. II 3 Il 


1) ii samsprishtayor vrikshalubajayoh yakaldv antare "shu-sthakard-"Nja- 


na-kushtha-madhugha-reshmamathitatrinam äjyena samniya samspri(ca)tı. 
?) vgl. meine Abh. über das Rämdyana pag. 10. 


512 Gesammtsüzung 


anamivdh krankheitslos, lustig. — So genau, so sicher, wie 
der Schaft in den Hals der Pfeilspitze hineinpafst. 
4. Was innen ist, sei äufserlich; 
was äulserlich, sei innen drin! I 
Der wankelmüthigen Jungfraun 
Herz erfasse du nun, o Kraut! Ilall 
Ihr ganzes Wesen soll in Aufregung gebracht werden. — 
vievarüpa, eig. allartig gestaltet. Der Plural wohl eine Art plur. 
majest. 
5. Herbei kam sie, suchend ’nen Mann. 
Ein Weib suchend kam ich herbei. I 
Gleich einem (freudig) wieh’rnden Rofs 
kanı ich zusamm’n mit meinem Glück. Il5 Il 
Freude über den Erfolg des Zaubers. 


3l. Gegen Würmer. 


1. Des Indra grolser Mühlstein hier, 
der jeden Wurm zermalmende — | 
Damit zerstampf’ die Würmer ich, 
wie mit dem Mühlstein khalva-Korn. 1 

Dieses (und das folgende) Stück ist schon von Kuhn in sei- 
ner Z. 13, 135 ff. übersetzt, kommentirt und mit germanischen Sprü- 
chen ähnlichen Inhalts zusammengestellt worden. Auch findet sich 
daselbst der Text der entsprechenden Stelle im Kaug. sütra (27) 
bereits mitgetheilt; leider ist derselbe, wie gewöhnlich, sehr abrupt, 
dazu wohl auch verderbt. „Er opfert (mit v. 1) khalvanga-, aländu-, 
hanand-(Würmer), mit @hee vermischt. Die junge Brut (?) quetscht 
er in einen gesprenkelten Rohrhalm (?) zusammen, indem er die 
linke (Hand mit einem Tuche?) umhüllt (um sie trocken zu hal- 
ten?); er macht (ihn?) darauf (am Feuer) heifs und setzt ihn (da- 
ran) an, wirft sodann mit der (trockengebliebenen) Linken, nach 
Süden gewendet, Staub rings herum, den er vorher umgerührt hat, 
zerdrückt nun (Alles?) und setzt es (am Feuer?) an“; khalvangdn 
aländün hanandn ghritamigeran juhoti | baldn kalmashe kande savyam 
pariveshtya sambhinatti | pratapaty ddadhäti, savyena dakshindmukhah 
pdhsün upamathya parikirati, sammridhndty ddadhäti. Von den drei 
genannten Würmer-Arten kommt nur die eine, aldndu, auch im 
Ath.-Texte vor, s. sogleich. 


vom 30. Juni 1870. 513 


2. Den Sichtbaren, Unsichtbaren, 
den Kurüru zerdrückte ich, I 
Die Alandu, Caluna all, 
zermalmen wir durch unsern Spruch. Il2 Il 
kurüru, entweder von Yru toben, summen, dröhnen, oder von 
Vru zerschlagen (resp. Yl& schneiden, nagen, rupfen). — aländu, 
wohl von ala, ala Laich und andu = anda Ei. — galuna von 
Year diffindere? — krimin ist durch das Metrum als Glosse markirt 
. (ebenso in v. 4). 
3. Die Alandu tödt’ ich mit starker Waffe. 
Gebrannt oder nicht, sie sind schwach geworden! I 
Übrig oder nicht, sie mit meinem Wort hier 
nieder ich werf! ihrer bleib Keiner übrig! 13 Il 
4. Den Wurm im Eingeweide drinn, 
den im Kopf, in den Ribben drinn, I 
Den Avaskava, Vyadhvara, 
zermalmen wir durch unsern Spruch. Il «Il 
avaskava, der da abdeckt, abschält? Ysku, decken. — vya- 
dhvara; dies Wort wird sonst mit d geschrieben, stammt also wohl 
von Yad, verzehren, bedeutet resp. somit wohl: fressend, s. 3, 28,2 
kravydd bhütvd vyddvari (freilich auch andrer Accent!). Cat. 7, 4,1, 
27 yawaishü lokeshu näshtrd y6 vyadvaro yd' gimidd, wo Sdy. das 
Wort denn auch durch adanagila dandagükddih erklärt. 
5. Die Würmer all, die in den Bergen, Wäldern, 
den Pflanzen, Thier’n, drinnen im Wasser hausen, | 
Die in unsern Leib sind hineingefahren, 
ich tödte sie, all das Gezücht der Würmer. I 5! 


32. Gegen Würmer (im Vieh). 
1. Aufgehend schlage sie die Sonn’, 


und untergeh’nd mit ihren Strahl’n! I 

Die Würmer die drinn in der Kuh. Hall 
Aus den Angaben bei Kaug. (27) ist hier nicht viel zu machen: 
udyann dditya (v.1) ity udyati, gondmety dha ’sav iti 1 süktdnte te 
hatd iti darbhair abhyasyati 1 madhyandine ca I praticim aparähne. 
Die Ceremonie scheint hienach dreimal, bei Sonnenaufgang, Mit- 
tags und Abends vor sich zu gehen. Am Schlufs des sökta erfolgt 
resp. jedesmal mit den Worten „sie sind todt“ eine Bewerfung 


514 Gesammtsitzung 


(wessen?) mit Grashalmen, und die Kuh ist mit ihrem Namen zu 
nennen. 
2. Den allgestaltgen, vieräug’gen, 
schwärzlichen Wurm, den weifslichen — I 
Ich zerbreche die Rippen ihm, 
und ich haue ihm ab den Kopf. Il Il 
Das zweite Hemistich sowie die nächstfolgenden drei Verse 
kehren gleichlautend wieder in 5, 23, 9-12. — vigvarüpa „allge- 
staltig“ bezieht sich wohl auf die verschiedenen Formen, die ein 
Wurm, der sich krüämmt und windet, annehmen kann; — catur 
aksha „vieräugig“ ist wohl von zwei bei den Augen befindlichen 
Flecken zu verstehen; vgl. den vieräugigen Hund beim Rofsopfer ; 
— zu säramga s. Ind. Stud. 8, 275. Die verschiedenen Farben der 
Würmer werden ebenso auch in den germanischen Wurmzaubern 
erwähnt, s. Kubn |. c; 
3. Wie Atri tödte ich, Würmer! 
wie Kanva, Jamadagni, Euch! I 
Mit dem Spruche des Agastya 
zerstampfe ich die Würmer hier. II3 1 
Die Berufung auf diese heiligen rishi der Vorzeit geht aus 
demselben Gesichtspunkt hervor, welcher der Zurückführung der 
Lieder des Ath.-V. auf die Atharvan und :Angiras zu Grunde liegt 
(s. Ind. Stud. 1, 295. Vorles. über Ind. Lit. G. p. 144); der Zau- 
ber soll dadurch möglichst kräftig werden. 
4. Todt ist der Würmer König nun, 
und todt auch ist ihr sthapati; I 
Todt ist der Wurm, die Mutter todt, 
todt die Brüder, die Schwestern sein! Il& Il 
sthapdti ist auf Ysthap, eine causative Nebenform zu Ystha, 
zurückzuführen und bedeutet wohl eigentlich den Feststeller, Ord- 
ner, dann den Richter. Er erscheint Cat. 5, 4, 4, 16. 17. Katy. 
15, 7, ı2 unmittelbar nach dem Bruder des Königs unter den 
Hauptbeamten desselben (der schol. zu Katy. erklärt das Wort als 
grämegvara), neben dem sita, vor dem grdmani; so auch Gankh. 
14, 22,2'!). Nach Käty. 22, 5, 28. Läty. 8,7, 11 ist sthapati der 
Titel dessen, der den dbrihaspati-sava genannten ekädha (be- 
stimmt für den, der tejas, brahmavarcasam oder purodha wünscht) 


!) wo vom schol. durch kudyakdra, Zimmermann (!) erklärt. 


vom 30. Juni 1870. 515 


gefeiert hat; es darf dies Opfer resp. aber eben nur ein Solcher 
begehen, welchen die brähmana in Gemeinschaft mit dem Kö- 
nige!) sich voranstellen, und zwar nach dem schol., damit er das 
Recht feststelle (dharmasthäpakatvena; ebenso schol. zu Panic. 
17, 11,5). Alle müssen ihn ehrerbietig begrüfsen, während er 
selbst vor Niemandem aufsteht. Nach Käty. 22, 11, 10 ist stha- 
pati übrigens auch der Titel dessen, der den gosava gefeiert 
hat, den resp. die vie in Gemeinschaft mit dem Könige an ihre 
Spitze gestellt haben. Ein Revottaras sthapati Pätava Cäkra er- 
scheint in Qat. 12, 8, 1,17. 9, 3, ı ff. als specieller Kenner des sau- 
trdmani-Opfers, vermittelst dessen er dem Dushtarstu Paunsdyana 
zur Herrschaft über die Srinjaya verhalf. Über ein Opfer für einen 
sthapati der Nishäda s. Käty. 1, 1, 12. — Wie sich neben der eben- 
falls auf die Wurzel sth@ (ursprünglich std) zurückgehenden Wur- 
zel stambh oreu/3w eine Form skambh findet, so ist auch neben 
sthap eine Form skap anzusetzen, vgl. szyrrw szyrwr; und zu ihr 
ist denn wohl auch goth. skapan, ags. scapan, schaffen (vgl. 
Vorles. über ind. Lit. Gesch. p. 211), zu stellen, so dafs hie- 
nach unser Schöffe (scabinus) mit sthapati gleichen Stammes 
zum Mindesten ist, wenn nicht etwa gar auch die Verwendung 
der Wurzel in dieser Beziehung schon aus indogermanischer 
Zeit stammt. 

5. Getödtet sind die Diener nun, 

getödtet die Umdienenden; I 
Und auch die noch ganz klein gleichsam, 
alle Würmer getödtet sind. Il sl 

vegas Diener, pdrivecgas umdienend; von einer Veig, die (s. 
Pet. W. unter padvinga) wohl mit lat. vincire zusammenhängt, und 
von der auch vera Diener, vegatva, vaicya (neutr.) servitium, her- 
stammen, welche Wörter mit yvig intrare schwerlich in Bezug zu 
setzen sind; vgl. devd vd asuräandm vecatvam updyan Kath. 12, 5, 
anativddand enam vegd bhavanti ibid. 31, 12 (adabdhä asya v. bh., 
praticindvasitdä v. bh.), sarasvatyai vegabhaginyai sväheti vec ayama- 
nam va etat ibid. 32, 4; te deväh pardjigydnd asurdndm vaicyam 
updyan Ts. 2, 3, 7,1. Das spätere Sanskrit hat hievon allein noch 
veeyd, a harlot, behalten. 


> 


!) nach Läty. 8, 7, 4 resp. brahmandk svarajänah, d. i. yesham rdj@ 
neshte, also: unabhängige, keinem König unterworfene Brähmana. 


516 Gesammtsitzung 


6. Ich zerbreche dir die beiden 
Hörner, womit du stofsen willst; | 
Ich zerspalte die Blase dir, 
welche dein Giftbehälter ist. II 6 Il 
Zu kushumbha, Blase, vgl. kugumbha, kusumbha Krug, Was- 
sertopf der Einsiedler; das Wort bedeutet wohl: „wie leicht zer- 
brechlich!“, von Ysumbh occidere ferire West.; vgl. Ts 2,4, 1,1: 
Kath. 10, 7 teshäm (te yad K.) devanam uta yad alpam (apy alpa- 
kam K.) lohitam akurvan, tad rakshänsi rätribhir asubhnan (asum- 
bhans K. kshubhitän kritavantah Say.), tdnt subdhän mritdn abhi- 
vyauchat, te devd avidur: yo vai no "yam mriyate rakshänsi vd imam 
ghnantiti (ye vai na ime ke ca mriyante rakshänsi vavaitan sum- 
bhantitiK.). An unsrer Stelle hier würde übrigens auch die ak- 
tive Bedeutung: „wie tödtlich“ passen. 


33. Gegen yakshma (Schwund). 


ı. Aus den Augen, den Naslöchern, 
den Ohren und dem Kinne dir, I 
Aus dem Gehirn, der Zung’, — den Schwund, 
der dir im Kopfe sitzt, zieh ich ’raus. I ıll 

Auch dieses Stück, das den ganzen menschlichen Körper von 
Kopf zu Fufs der Reihe nach durchmustert, um den Schwund 
(yakshma) aus den einzelnen Gliedern zu vertreiben, hat Kuhn 
bereits in seiner Zeitschrift 13, 63 ff. übersetzt und mit analogen 
germanischen Krankheits-Zaubern verglichen, sowie auch theils die 
Variationen, welche die hiesige Recension des Spruches zu der in 
Rik 1, 163. Ath. 20, 96, 17-22 vorliegenden zeigt, behandelt, theils 
eine dritte Variante dazu, die sich bei Pdraskara 3, 6 findet, spe- 
ciell erörtert (p. 70 ff.). — Bei Kaug. (27) ist leider nur wenig 
sich findend: vdlästukdm (? vola° Cod., °sukdm pr. m.) dchidya khal- 
vddiny akshibhydm ta iti I (sic! der Strich im Ood.) vibarham 
udapätrena sampdtavatd 'vasincati | „er zerschneidet (?) die Haar- 
flechte (?), zieht unter Reeitation von 33,1 (ete.) die khalva-Körner 
ete. heraus und begiefst (den Betreffenden) mit Wasser, welches mit 
(der üblichen) Zuthat versehen ist.“ Eine Hauptschwierigkeit 
macht hier zunächst das Wort vdlastukdm, dessen erster Theil so- 
wohl vdla Haar, als böla Kind sein kann. Zu stukä Haar- 
schopf, Flechte vgl. mekhala stukäsargam srishtö Cat. 3, 2, 1, 13 


vom 30. Juni 1870. 517 


(stukad kegaveni yatha srüyate tathd, schol.), dakshindt kecastukdt 
Kaug. 42, prithushtuka R. 2, 32, 6 (10, 86, s wo prithushtu). Nir, 
11, 32; vrishneh stuka (roma schol.) Qat. 3, 5, 2, ıs. Käty. 5, 4, ı7 
(vrishneh stukah; giroromdni schol.), ürndstukd Ait. Br. 1, 28. Kath. 
29.6. Äpastamba in der paddh. zu Käty. 4,1 pag. 299, 4. Äev.g. 
1, 7, ı6. Ferner bleibt unklar, wo „die khalva-Körner ete.* heraus- 
zuziehen sind. Endlich, was das Schlimmste ist, es muls einst- 
weilen sowohl noch ungewifs bleiben, ob die Worte vdl. dch. kh. 
überhaupt hieher und nicht vielmehr zum Vorhergehenden (zu 
den unmittelbar vorhergehenden Angaben über den Wurmzauber mit 
Spruch 32) gehörig sind, wie es ebenso auch nach der andern 
Richtung hin ungewifs ist, ob nicht die Worte vib. udap. samp ’vas. 
ihrerseits vielmehr zum Folgenden (es folgt: harinasyeti Ath. 3, 7,1) 
gehören!! — chubuka das Kinn, etwa von der Ychup, cup anfassen, 
berühren, die sich im Pali, Präkrit findet, s. Hala pag. 166. 238 
(unter chiv). 261, und zu der auch wohl Ycumb, küssen, gehört; 
die spätere Sprache hat civuka, cuvuka. 
2. Aus dem Halse, aus dem Genick, 
den Räückenwirbeln, dem Rückgrat, | 
Den Schultern, Diek-Armen — den Schwund, 
der dir im Arm sitzt, zieh ich ’raus. It 2! 
kikasds sind nach Shadv. 1,3 die Glieder, d. i. wohl Knor- 
pel des Rückgrats: brihatya eva pargavo (pärgvästhini) brihatya eva 
kikasäh (prishthasydvayavah) prishtham abhisamdyanti. 
3. Aus dem Herzen, der Lunge dir, 
aus der Galle, dem Seitenpaar, I 
Aus den Nieren, der Milz den Schwund 
und aus der Leber zieh’n wir ’raus. II 3 Il 
halikshna, wohl was gelb (hari) aussieht (ikshana). — ma- 
tasne die beiden Nieren, etwa die nach Gefallen (vgl. matam-ga) 
träufelnden? die Nieren bereiten den Urin. 
4. Aus den Gedärmen, dem Hintern, 
aus dem Mastdarm, dem Bauch heraus, I 
Aus den Mägen, dem Nabel ich, 
aus dem Gekröse zieh’ den Schwund. Ilali 
5. Aus den Schenkeln, den Knieen dir, 


aus den Fersen, den Fufsspitzen, | 
Den Hinterbacken, Schamtheil’n ich 
den Schwund, der in der Scham sitzt, zieh. II; Il 


518 Gesammtsitzung 


bhasad, podex; ob der Blinkende, Blanke, Glatte, der „Spie- 
gel“; — groni, elunes, loins; eig. wohl die rauhen, zottigen; — 
bhäsadam ist durch das Metrum als Glosse markirt; — bhan- 
sas gehört wohl zu bhasad. 
6. Aus den Knochen, den Markknochen, 
den Sehnen und den Adern dir, | 
Aus den Händen, den Fingern ich 
und aus den Nägeln zieh’ den Schwund. Ile Il 
7. In jedem Glied, in jedem Haar, 
jedem Gelenk, wo er dir sitzt, I 
Den Schwund, der in der Haut sitzt, wir 
mit des Kagyapa Ziehe-Spruch 
ziehen dir ’raus, dafs fort er geht. Il 
Kacyapa ist hier genannt, wie oben in 32, 3 Atri, Kanva etc. 
Der die Symmetrie des Metrums störende vierte pdda ist wohl ein 
Einschub; s. indefs auch oben in 30, 1 fünf pdda. 


34. Beim Thieropfer. 


ı. Ob welchen Thier’n waltet der Herr der Thiere, 
Vierfülsigen oder sei’n sie zweifülsig ,„ — I 
Losgekauft dies hier wend’ zum Opfertheil sich! 

Dem Opfernden folge Gedeihn des Reichthums! Ilı ll 

Dies Stück findet sich identisch, ob auch mit allerlei Varian- 
ten, von denen ich nur die wichtigsten aushebe, resp. als Theil 
eines gröfseren Abschnittes, in 7s. 8,1,4, 1. Kath. 30, 8 wieder. 
Die Reihenfolge der Verse ist daselbst 5. 1. 3. 4. 2. — Nach 
Kaug. 44 ist der Spruch beim Schlachten einer vagd, Kuh, zu ver- 
_ wenden und zwar wird dieselbe zunächst, unter Darbringung einer 
Gheespende mit v. 1, am Kopf, Rücken und der Schenkelgegend 
gesalbt; y@ ige p. p. ii hutvs vacdm anakti girasi kakude jaghana- 
dece. — yeshäm ige Ts. K. ist offenbar (schon metri c.) dem ya ice 
vorzuziehen; ebenso ca dvipaddm Ts. dem yo dvipadam (in K. heifst 
es: catushpdda uta ye dvipddah). Die Oonstruktion ist anakoluthisch. 
Das Opferthier mufs aus dem Verbande der übrigen Thiere erst 
gelöst, dem Schutzpatron derselben abgekauft werden, ehe es opfer- 
würdig wird. Die hiesige Lesart würde dasselbe als Herrn sämmt- 
licher Thiere hinstellen, was nirgendwo sonst vorkommt, soweit 
ich mich erinnere, und wobei dann jedenfalls das nishkrito gar 


vom 30. Juni 1870. 519 


nicht mehr pafst. Auf den Opfernden in pdda 4, der ja seiner- 
seits in der That durch das Opferthier sich selbst loskauft, s. 
Ind. Streifen 1, 72, kann sich pdda 3 auch nicht etwa beziehen, 
weil ja sonst zu pdda 1.2 gar kein Bezug stattfände. Auch spricht 
dagegen die Lesart der beiden Yajus-Texte; Ts. liest in pdda 3 
nishkrito "yam, und K. gar nishkritäs te yajniyam bhägam yantu. — 
Die Nebeneinanderstellung der Zweifüfsler und Vierfüfsler in 
solenner Opferformel wird durch das umbrische dupursus, petur- 
pursus, 8. Aufrecht-Kirchhoff die Umbr. Sprachdenkmäler 2, 199. 
200, als schon aus indogermanischer Zeit stammend erwiesen. 
2. Entlassend den Samen (zukünftgen) Daseins, 
gebt Fortgang dem Opfernden, o ihr Götter! I 
Herbeigeholt was hier da steht, besänftigt, — 
zu der Götter Pfad geh’ es ein, dem lieben! Il a 
Die Götter (s. v. 3. 4) sollen das Opferthier aus ihrer Hut 
entlassen; es wird als reto bhuvanasya Samen für künftige Exi- 
stenzen bezeichnet, s. oben 28, 5 priyam retah; — gätum, guten 
Fortgang, Gedeihen; — updäkrita ist der terminus teehnieus für 
die feierliche Herbeiführung der Hostie; — cacamdna von Vram, 
welche Wurzel (Caus. still machen) euphemistisch ja geradezu für 
„schlachten® gebraucht wird, analog wie samjnapay, s. Pet. W. 
unter jnd; — das geopferte Thier findet unmittelbaren Eingang in 
die Himmelswelt. 
3. Die da sinnend hinter dem Angebundnen 
drein schauend stehn mit ihrem Sinn und Auge, — I 
Gott Agni sie möge zuerst ablösen, 
Vigvakarman, mit den Geschöpf’n einträchtig. II 31 
Es sind die Verwandten des Thieres gemeint!); die Flamme 
des Opferfeuers soll sie aus ihrem Nachsinnen über das Geschick 
ihres Genossen erlösen. Ob vigvakarman in päda4 als Name des 
göttlichen Bildners oder appellativisch als Beiname Agn?’s, der Al- 
les thuende, zu fassen ist, bleibt zunächst ungewils. 
4. Die zahmen Thiere (hier), die vielgestaltgen, 
vielfach geschieden, dennoch eingestalt’gen, — I 


!) Mutter, Vater, Brüder und Freunde desselben werden in andern 
| Sprüchen um ihre Erlaubnifs gebeten, es opfern zu dürfen Aäth. 3, 5. 26,8. 
-V5.6,9. (at. 3, 7,4, 5. 

[1870] 36 


520 Gesammtsitzung 


Gott Vayu sie möge zuerst ablösen, 
Prajdpati, mit den Geschöpf’n einträchtig. 41! 

Statt ye grämydh hat Ts. K. ya dranydh, wilde Thiere sind 
aber in der Regel nicht opferfähig. — Die „Eingestaltigkeit* der 
zahmen Thiere besteht eben wohl darin, dafs sie zahm sind. — 
Die „Ablösung“ bezieht sich offenbar auf denselben Gedanken wie 
inv. 3. — Auch hier ist unklar, ob Prajdpati etwa als Beiname 
Väayu’s zu fassen ist. 

5. Die Kundigen mögen zuerst ergreifen 
den Odem, der hier aus den Gliedern fortgeht! I 
Zum Himmel geh’! bleibe mit deinen Knochen! 
Zum Svarga hin geh’ auf den Pfad’n der Götter. II5 1 

Wer diese „Kundigen“ sind, erhellt zunächst nicht; ob die 
marut? Die ausgehauchte Seele geht ja in die Luft ein; vdtam 
ätmäa R. 10, 16,3, sam te prdno vdtena gachatdm Vs. 6, 10. (at. 3, 
1,45 3.0. 1. 1,03, 18,12: 16, 31774: Kath. 3, 5. 26, 8 sdimä ’ntari- 
ksham rohati Ts. 5, 3, 6, 35 vgl. Ind. Stud. 2, 229. — In Ts. £. ist 
pdda 3 u. 4 umgestellt, pdda 5 lautet resp. oshadhishu pratitishtha 
cariraih „in den Pflanzen bleibe mit deinen Knochen“. Dies ist of- 
fenbar viel besser; einmal wird das doppelte „zum Himmel geh“ 
beseitigt, und ferner im Gegensatz zu dem seelischen Theil, der 
eben zum Himmel gehen soll, dem körperlichen Theile zugerufen, 
hier auf der Erde zu bleiben, und ihm die Pflanzen als der Ort 
angewiesen, wo er sich hin zu wenden hat. Vgl. hiezu die ent- 
sprechenden Angaben im Aik 10, 16, 3 süryam cdkshur gachatu 
vdtam dimd dyd'm ca gacha prithivim ca dhärmand | apo vä 
gacha yddi tatra te hitdm öshadhishu pratitishtha gadriraih. 
An andern Stellen freilich werden auch die Glieder des Opfer- 
thieres (angdni) angewiesen, sich mit den yajatra d. i. mit den 
Gottheiten (devatäs Kath. 26, 8) zu vereinigen. Zu garira in der 
Bedeutung: Knochen, eig. die vergänglichen Bestandtheile, s. z. B. 
Käty. 21, 3, 7. 4, 5.. 8, 14. 15. — Nach Kaug. 44 wird die Kuh mit 
diesem Verse erstickt!): atha pränäan dsthäpayati prajananta ii. 


35. Zur Sühne falschen Opfers. 


ı. Die wir trotz dem (soma)-Genufs nicht reicher, 
um die betrübt auf den Altär’n die Feuer, | 


1) s. Ind. Stud. 9, 22. 23. 10, 345. 


vom 30. Juni 1870. 521 


Die wir mit schlechtem Opfer abgefunden — 
dies Opfer uns gut mach’ nun, Vigvakarman! Nil 
Durch das Ungeschick eines Genossen beim sattra- Opfer schei- 
nen die Übrigen in Schaden gerathen und nun ein Sühnopfer an- 
gestellt zu haben; der Schuldige scheint gebunden (s. v. 3) auf 
den Opferplatz geführt zu sein. — Bei Kauc. (38) findet sich nur 
die kurze Angabe: ye bhakshayanta iti parishady ekabhaktam anvi- 
kshamdro bhunkte: „er (der Delinquent?) verzehrt in der Versamm- 
lung eine Portion (Reis?), darauf (?) hinblickend.“ Dies könnte 
eher auf eine Ordale ‘gedeutet werden! vgl. die Angaben bei Stenz- 
ler Z. D. M. G. 9, 676 und bei Schlagintweit p.33ff. Der Schuldige 
nimmt etwa durch das Verzehren dieser Portion alle Schuld auf sich, 
und entsühnt so die Andern? — Zu ye na.. änridhus ist aus päda 4 
nas heraufzuholen; die Abfassung in dritter Person erklärt sich dar- 
aus, dafs dieser Nebensatz voransteht. — Zu bhakshayanto ergänze 
ich somam, und beziehe es auf die beim sattram allen Theilnehmern 
daran gemeinschaftliche Vertheilung des soma-Trunkes. — „Die wir 
mit schlechtem Opfer abgefunden“ sind, eig.: „welches schlechte 
Opfer diesen (uns) Abfindung“ (war); ava-yd im Padapätha; es 
ist aber ava-ydh zu lesen, s. Pet. W. unter avayaj, und dies eben 
als: Abfindung aufzufassen. — Vievakarman, der Alles Thuende, 
erscheint daher hier als ein Genius, der im Stande ist, auch sol- 
che Opferschäden wie die begangenen zu heilen. Anderswo ist er 
mir gerade noch nicht sö begegnet; s. z. B. oben 34, 3. Agni 
Vaigvanara ist vielmehr die im Ritual für Sühnacte solenne 
Gottheit. 
2. Den Opferherrn nennen die rishi mit Fehl 
behaftet, und um seine Sipp’ sich sorgend. I 
Die Meth-artgen Tropfen, die er verfehlte, 
mit denen verein’ge uns Vievakarman! Wall 
Unter Opferherr ist hier wohl der grihapati, Hausherr, des 
salira zu verstehen. Andere rishi haben ihm vorgeworfen, dafs er 
seine Sache falsch gemacht (Beispiele der Art finden sich mehrfach 
in den Brähmana) und er ist nun wegen der Folgen, die dies für 
die Seinigen haben wird, betrübt. Unter den „methartigen Tropfen“ 
ist wohl der soma zu verstehen, zu dessen richtigem Genufs er, 
und die Seinigen mit ihm, nicht gelangt ist. 
3. Für soma-Trinker dess nicht Würd’ge haltend, 
opferkundig, (doch) im Vertrag nicht achtsam, I 


36* 


522 Gesammtsiützung 


Welchen Fehl’ hier der Gebund’ne machte, 
den löse zur Wohlfahrt du, Vigvakarman! N 31 
Der von den yajnapati begangne Fehler scheint nach päda 1 
somit darin bestanden zu haben, dafs er Unberechtigte zur Gabe, 
d.i. zum Genufs des soma, zugelassen hat, also z. B. etwa die bei 
dem sattra in Bezug auf die bhinnakalpa geltenden Bestimmun- 
gen, 8. Ind. Stud. 10, 93. 94, nicht strikt beobachtete oder sonstige 
Controll-Vorschriften darüber (s.Ind. Stud. 10, 44.45) vernachlässigte. 
Trotz aller Vertrautheit mit dem Opfer hat er sich somit doch in 
Bezug auf die Bedingungen des samaya, Vereins, Vertrags nicht 
achtsam erwiesen, und steht nun, wie es scheint, gebunden auf der 
Opferstätte, um Befreiung von seiner Schuld zu erlangen. 
ı. Gewaltig die rishi! Huld’gung sei ihnen! 
und ihrem Auge, ihres Geistes Wahrheit! I 
Dem Brihaspati, Mächtger! lichte Huld’gung! 
Vicvakarman! Huld’gung dir! schütze du uns! Ilall 
Es sind wohl die rishi gemeint, die nach v.2 den Fehler des 
yajnapati bemerkt haben. — Im dritten pdda ist das Metrum ge- 
stört; sollte etwa brihaspate zu lesen sein? „dir, Brihaspati!l* 
5. Er des Opfers Auge ist, Anfang, Anhub. 
Mit Rede und Ohr, Herzen ich ihm opfre. — I! 
Zu dem Opfer hier, das von Vigvakarman 
geleitet ist, froh mögen komm’n die Götter! I15 II 
Im ersten päda ist wohl Vigvakarman zu ergänzen: prabhriti, 
Anhub, Anfang und mukham, Mund, Ausgangspunkt sind ziemlich 
tautologisch. — Die in pdda 2 aufgeführte Trias entspricht wohl 
dem sonstigen vdc, karman, manas; das Ohr als karman repräsentirt 
resp. wohl das andächtige Lauschen auf die Opfergebete. — Auf 
Grund all der Bitten hat denn schliefslich Vigvakarman das Opfer 
wirklich unter seine Obhut genommen, und sorgt nun dafür, dafs 
es gut von Statten gehe; die Götter mögen also wohlgemuth kom- 
men, ohne abermalige Störung zu besorgen. | 


36. Brautorakel. 


Diesen Spruch habe ich bereits in den Ind. Stud. 5, 219—21 
übersetzt und commentirt, worauf ich hiermit verweise. Ich theile 
hier aber noch die bei Kauc. (34) hergehörigen Angaben mit, die 
leider diesmal theils wegen ihrer Kürze, theils wegen des schlech- 
ten Zustandes der Handschrift ganz besonders schwer verständlich 


vom 30. Juni 1870. 2593 


sind, so dafs ich kaum eine Übersetzung hinzuzufügen wage: ... 
audumbarir ddhapayatıy uttamd vrajitäyai, pativedandny, däno agna 
ity (v. 1) dgamantagaram (?) dgayati 1 mrigäveräd (?wohl mrigdkha- 
rdd) vedyam (?) mantroktäni (wohl in v. 7) sampdiavanti dväre pra- 
yachaty, üdakense (?udakanse?) vrihiyavau jamyai (2) nigi hutvd da- 
kshinena prakrdmati, paccäd agneh prakshälya samdhävya sampdta- 
vatim bhagasyandvam iti (v. 5) mantroktam. Danach scheint also 
mit v.1 (dem ankommenden Werber?) ein dgamantagara (was dies bei 
Kaug. mehrfach vorkommende Wort bedeutet!), ist mir unklar) als 
Speise vorgesetzt zu werden. An der Thür (des Hauses?) reicht 
er (wer? und wem? dem Mädchen?) die im Spruche (v. 7?) ge- 
nannten Gegenstände, nachdem er sie vorher (mit v. 4?) aus der 
Höhle (? dem Neste?) eines mriga (Rehs? oder resp. Vogels?) auf 
die vedi (gelegt hat?). In einem Wassergefäfs (?) opfert er 
des Nachts der Jämi (Genie der Vorwandtschaft?) Reis und Gerste, 
schreitet nach rechts hin vor, und läfst dann hinter dem Feuer 
durch das Mädchen, welches (was? sich selbst?) gewaschen und 
gereinigt hat, und mit den üblichen sampdia (?) versehen ist, mit 
v.ö5 das darin Gesagte thun. 
ı. Der Werber komm zu unsrer Freud’, o Agni! 
zu dieser Maid her, mitsammt unserm Glücke?). I 
Begehrt sie bei Freiern ist, hold in Reihen. 
Schleunig ihr mög’ Glück kommen durch ’nen Gatten. Ill 
2. Als von Soma, Brahman begehrt, 
durch Aryaman erworbnes Glück, 
Kraft der Wahrheit des Gott’s Dhdtar 
stell’ ich das Brautorakel an. Il 2 Il 
pativedanam, eig. die Gattenschau, die Untersuchung darüber, 
wen das Mädchen als Gatten bekommen wird. 
3. Dies Weib hier ’nen Gatten, o Agni! finde! 
denn der König Soma sie hoch an Glück macht. I 
Söhne gebär’nd mög’ sie Hausherrin werden, 
zum Gatten gehnd strahlen in schönem Glücke! Hl 
4. Wie diese Höhl’?), Maghavan! dort, die schöne, 


!) ob etwa eig. „Sahnenschaum für einen Gast“? vgl. (at. 8, 3, 3, 2. 
?) es ist ja ein Glück für die Ihrigen, wenn eine Maid heirathet, aus 
dem Hause kommt. 


3) oder: dieses Nest, wenn es sich etwa um ein Vogelnest handelt. 


924 Gesammtsitzung 


den Tbier’n lieb war, weil’s drin so gut sich wohnte, I 
Also sei dies Weib hier des Glückes Liebling, 
geliebt vom Mann, nimmer von ihm geschieden! Il Il 
5. Besteige du des Glückes Schiff, 
das volle, unerschöpfliche, I 
Und fahre damit hin zu dem, 
der dir ein wünschenswerther Frei’r. II 5 I 
6. Schreie ihn an, du Reichthums Herr! 
mache den Freier zugeneigt! I 
Um Jeden wandle du nach Rechts, 
der da ein wünschenswerther Frei’r. Ile Il 
Angeredet ist wohl das in v. 5 erwähnte Schiff, welches die 
Braut mit ihrem Glücke trägt. 
7. Hier ist Gold, hier ist Guggulu'), 
das Stierfell (?) hier, das Glück dazu; I 
Diese geben den Männern dich, 
dafs du den wünschenswerthen find’st. Il Il 
s. Herbei führe dir Savitar, den Mann, der deinem Wunsch 
entspricht. I 
Und du, o Kraut, verleih’ ihr den! Il sl 
Zur Erklärung von v. 5 ff. halte ich es für angemessen, die 
am a. OÖ. aus Schönwerth’s Mittheilungen aus der Oberpfalz und 
aus Mätz’s siebenbürgischer Bauernhochzeit beigebrachten Citate 
auch hier zu wiederholen, da sie in der That ein treffliches Ana- 
logon zu bilden scheinen. „Das Mädchen stellt in der 'Thomas- 
nacht ein Schaff Wasser in die Stube, und wirft die Zettelchen, 
auf welche sie die Namen ihrer männlichen Bekannten geschrie- 
ben, zusammengedreht hinein. Dann läfst sie ein kleines Brett- 
chen mit einem brennenden Lichtehen im Wasser schwimmen. 
Der Zettel, bei welchem es zuerst ankömmt (und zwar wohl nach 
oben v. 6, an dessen rechter Seite), enthält den rechten Namen“ 
Schönwerth 1, 140. „Oder sie giefsen in eine grofse Schüssel 
Wasser, geben in hohle Nufsschaalen brennende Kerzchen, jedes 
eine Person bedeutend; schwimmt ein Pärchen bis früh Morgens 
zusammen, so heirathen sie einander. Dasselbe Orakel in 'Thü- 
ringen“ Mätz p. 23. 


!) Bdellion. 


[ubı } 


vom 30. Juni 1870. H2 


Hr. A. W. Hofmann las weitere Beobachtungen über 
den Methylaldehyd. ' 


Einige Versuche über die Wasserstoffabkömmlinge des Schwe- 
felkohlenstoffs, welche Hr. Aime Girard') vor Kurzem der franz. 
Akademie vorgelegt hat und welche auch in der Pariser Corres- 
pondenz der deutschen chemischen Gesellschaft”) flüchtig erwähnt 
worden sind, veranlassen mich nochmals auf einen Gegenstand zu- 
rückzukommen, über den ich der Akademie bereits mehrfach Mit- 
theilung gemacht habe.°) 

Nachdem ich gezeigt hatte, dafs sich der bei der flammelosen 
Verbrennung des Methylalkohols entstehende gasförmige Körper 
durch sein ganzes Verhalten, und zumal durch sein Gasvolumge- 
wicht als normaler Methylaldehyd charakterisirt, mithin durch die 
Formel CH,O ausgedrückt werden muls, habe ich auch die Frage 
zu beantworten gesucht, welche Meleculargröfse dem isomeren star- 
ren Körper angehören möge, in welchen sich das Methylaldehydgas 
nach einiger Zeit verwandelt, und welchen Hr. Butlerow früher 
in Folge einer von ihm seitdem als irrig erkannten Dampfdichte- 
bestimmung als Dioxymethylen angesprochen hatte. Da sich 
keine directen Anhaltspunkte für die Bestimmung der Molecular- 
grölse dieses Körpers boten, so glaubte ich wohl Schlüsse rück- 
wärts aus der Zusammensetzung des durch die Einwirkung des 
Schwefelwasserstoffs auf das feste Product gebildeten Schwefelkör- 
pers ziehen zu dürfen, und habe deshalb einige Verbindungen, 
welche der letztgenannte Körper mit Silber- und Platinsalzen 
erzeugt, der Analyse unterworfen. 

Der Silbersalze, welche untersucht wurden, waren zwei, näm- 
lich die Verbindungen 

C2S3 5 2 NoN. 0, und 
C.H.S; ; 9AsNO,. 

Das Platinsalz wurde nach der Formel 20,H,S,, PtCl, zu- 

sammengestellt gefunden. Ich nahm auf diese Ergebnisse gestützt 


!) Aime Girard, Compt. Rend. LXX, 623. 

2) Friedel, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, III. Jahr- 
gang, 326. 

1) Hofmann, Monatsberichte 1867, 665, u. 1870, 362. 


926 Gesammtsitzung 


für den Schwefelkörper die Formel C,H,S, an und bemerkte wei- 
ter, dafs mit der Annahme dieses Ausdrucks auch die Formel 
C,H,O, für die starre Modification des Methylaldehyds, für den 
Methylmetaldehyd, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit er- 
halte. 

Bei den oben erwähnten Versuchen, welche von Hrn. Girard 
über den Schwefelkörper, den er ursprünglich bei der Einwirkung des 
Wasserstoffs in condicione nascendi auf den Schwefelkohlenstoff er- 
halten hatte, angestellt wurden, hat derselbe zunächst einen neuen 
Beweis für die Beziehung zwischen der Schwefelverbindung und 
dem starren Methylaldehyd beigebracht. Während ich früher die 
Sauerstoffverbindung in den Schwefelkörper übergeführt hatte, ist 
es Hrn. Girard nunmehr gelungen, umgekehrt den Schwefelkör- 
per wieder in die Sauerstoffverbindung umzuwandeln. Bei der 
Analyse der Silber- und Platinsalze dagegen ist er zu Ergebnissen 
gelangt, die von den meinigen mehrfach abweichen. 

Über die erste der Silberverbindungen, welche bei überschüs- 
sigem Schwefelkörper gebildet witd, kann kein Zweifel sein; Hr. 
Girard hat sie mit denselben Eigenschaften und von derselben 
Zusammensetzung erhalten, die ich angegeben habe. Dagegen hat 
er das zweite Silbersalz nicht darstellen können; wohl aber eine 
Verbindung, deren Zusammensetzung, wenn ich den im alten Styl 
geschriebenen Ausdruck in die neuere Notation übersetze, durch 
die Formel | 
C,H,S; ;, 2AgNO, 
ausgedrückt wird. 

Bei einer Wiederholung der Versuche habe ich in der That, wenn 
das Silbernitrat im Überschusse angewendet wurde, genau die von Hrn. 
Girard angegebenen Zahlen erhalten. Man könnte also versucht 
sein, die Existenz der drei Verbindungen 


C,H,S; , AgNO, 
C,H,S; , 2AgNO, und 
C,H,S; , 3AgNO, 


anzunehmen; ich habe aber trotz mehrfacher Anläufe bei meinen 
neuen Versuchen das dritte in dieser Reihe figurirende Salz nicht 
wieder erhalten können. Ich mufs daher, zumal auch meine An- 
nahme auf einer einzigen Silberbestimmung beruht, die Existenz 
eines Silbersalzes mit 3 Mol. Silbernitrat selbst in Zweifel ziehen; 


vom 30. Juni 1870. 527 


jedenfalls sind neue Versuche nöthig, um diese Verbindung zu re- 
habilitiren. 

Auch bei der Analyse der Platinverbindung ist Hr. Girard 
zu abweichenden Resultaten gelangt. Auf die Bestimmung des 
Kohlenstoffs, Wasserstoffs und Platins gestützt, hatte ich derselben, 
wie bemerkt, die Formel 


20,H,S,, PtCl, 


zugeschrieben. Hr. Girard hat auch das Chlor bestimmt und 
gefunden, dafs der Körper etwas weniger Chlor enthält, als dieser 
Formel entspricht, und er nimmt defshalb an, dafs ein Theil des 
Platins, und zwar ein Drittheil, in der Form von Chlorür in der 
Verbindung vorhanden sei. Die Analyse liefert ihm schliefslich 
Resultate, welche sich in der Formel 


2(0,H,S,), PtCl, + 2[2(C,H,S,), PtCl,] 


wiedergeben lassen. 

Die Formel, welche ich für die Platinverbindung aufgestellt 
habe, nnd welche sich zumal durch ihre Einfachheit empfiehlt, 
stützt sich auf eine Reihe von Analysen, deren Procente ich mit 
den theoretischen Werthen der beiden vorgeschlagenen Formeln 
zusammenstelle. 


Theorie. Versuche. 

Girard: Hofmann: I. II. III. IV. 
Kohlenstoff 12.2 11.69 12.02 — — — 
Wasserstoff 2.0 1.95 2.10 — — — 
Platin 33.3 32.14 — 22.10 .92.35 32.13. 

Da diese Zahlen bei der Analyse von Producten verschiede- 
ner Darstellungen erhalten wurden, — der für I., U. und II ver 
wendete Methylsulfaldehyd war aus Methylaldehyd, der für IV. ver- 
wendete aus Schwefeleyankalium dargestellt worden, — so glaube 


ich, dafs die Existenz der Verbindung 
20,H,S, , PtC1, 


nicht zu bezweifeln ist. Ich bin aber vollkommen mit Hrn. Gi- 
rard einverstanden, dafs sich je nach der Darstellungsweise ver- 


schiedene Verbindungen bilden, unter denen auch die von ihm an- 
genommene auftreten mag. Ich habe nämlich in- Versuchen, wel- 
che seit der Veröffentlichung von Hrn. Girards Abhandlung an- 


528 Gesammtsitzung 


gestellt wurden, ebenfalls höhere, aber keineswegs constante Pla- 
tinprocente in verschiedenen Darstellungen gefunden. In vier Sal- 
zen verschiedener Darstellungen wurden folgende Werthe erhalten: 


I. M. [uhis IV: 
Platinprocente 33.20 33.97 34.75 35.00. 


Der steigende Platingehalt kann nur von einer Reduction des 
Platinchlorids zu Platinchlorür herrühren, allein es dürfte schwer 
sein, unter diesen Umständen ganz bestimmte Verbindungen zu er- 
zeugen. Angesichts der hier zu Tage tretenden Reductionserschei- 
nungen lag der Gedauke nahe, den Methylsulfaldehyd statt mit 
Platinchlorid, mit Platinchlorür zu verbinden. In der That liefert 
eine salzsaure Lösung von Platinchlorür mit einer alkoholischen 
von Methylsulfaldehyd einen blafsgelben Niederschlag, der, ob kalt 
oder warm bereitet, dieselbe Zusammensetzung, nämlich 


30, H,S, »2Pı0l, 


zeigte. Diese Verbindung scheint in der That geeigneter für die 
Bestimmung der Moleculargröfse des Sulfomethylaldehyds als das 
nur wenig constante Platinchloridsalz. 

Vergleicht man die hier mitgetheilten Ergebnisse meiner Ver- 
suche mit denen, welche Hr. Girard erhalten hat, so findet man, 
dafs sie im grofsen Ganzen übereinstimmen. 

Dagegen kann ich mich den Schlufsfolgerungen, welche Hr. Gi- 
rard aus seinen Versuchen zieht, nicht anschlielsen. Obwohl er die 
Moleculargröfse des Schwefelkörpers nicht als definitiv festgestellt 
betrachtet, so glaubt derselbe doch, dafs sich die mehrfach genann- 
ten Salze am einfachsten darstellen, wenn man in ihnen den 
Schwefelkörper mit dem Werthe C,H,S, und nicht, wie ich ihn 
auffasse, mit dem Werthe C,H,S, fungiren läfst. Mich will es 
dagegen bedünken, dafs die neuen Versuche des Hrn. Girard 
und zumal auch die Analyse der Quecksilberverbindung,, die ich 
nicht untersucht hatte, unzweideutig für die letztere Auffassung 
sprechen. Eine Vergleichung der Formeln der Verbindungen im 
Sinne der beiden Auffassungen geschrieben, dürfte in dieser Be- 
ziehung kaum einen Zweifel lassen. 


vom 30. Juni 1870. 529 


Quecksilberverbindung. 


Nach Girard: Nach Hofmann: 
30C,H,S, , 2HgCl, 0,H,S; , HgCl,. 
Silberverbindungen. 
38C,H,S,, 2AgNO, 0;H,S,;, AgNO, 
3C,H,S, , 4AgNO, 0,H,S; ‚2AgNO,. 


Verbindung mit Platinchlorid. 


3C,H;8,, PtCl, 2CH, 3, PLOl, 


Verbindung mit Platinchlorür und Platinchlorid. 
30,H,S,, PtCl, 2C0,H,8,, PtCl, 
6C,H,S,, PtCı, 2[20,H,S, ,. PtCL] 


Mit Platinchlorür. 
9C,H,S,, 4PtC1, SO, Porter, 


Man sieht also, dafs die Annahme einer trimoleeularen Con- 
stition für den geschwefelten Methylmetaldehyd zu weit einfacheren 
Formeln führt, als die dimoleculare Auffassung desselben. Offen- 
bar hat auch Hr. Girard die dimolecularen Formeln nur defshalb 
gewählt, weil der Schwefelkörper zweifellos dem starren Methyl- 
metaldehyd entspricht, welchen man früher als Dioxymethylen 
C,;H,O, zu betrachten gewohnt war, eine Anzahl, welche Hr. 
Butlerow, der sie ursprünglich aufgestellt, alsbald aber wieder 
verlassen hatte, nachdem er meine Versuche über das Verhalten 
des Körpers unter dem Einflusse der Wärme wiederholt hatte. 

Obwohl nun die Versuche des Hrn. Girard für meine An- 
sicht, dafs der Schwefelkörper der trimoleculare und nicht der di- 
moleculare Schwefelaldehyd der Methylrreihe sei, weitere Stützen 
geliefert haben, so schien es mir gleichwohl wünschenswerth, noch 
eine bestimmtere experimentale Grundlage für dieselbe zu gewin- 
nen. Zu dem Ende habe ich versucht, die Dampfdichte des 
Schwefelkörpers zu nehmen. Diese Substanz schmilzt allerdings 
erst bei 216°, allein sie beginnt schon Bei niederer Temperatur 
zu verdampfen. Im Anilindampf läfst sich der Körper nicht ver- 
gasen, wohl aber, obwohl auch nur mit grolser Schwierigkeit bei 
212° im Xylidindampf. Das gefundene Gasvolumgewicht, obwohl 
etwas hoch, erhebt die Formel C,H,S, über jeden Zweifel. 


530 Gesammtsitzung 


Theorie: Versuche: 
C,H, C,H,S; 
Gasvolumgewicht 1: II. 
auf Wasserstoff bezogen 46 69 72 73.17 
auf Luft bezogen 3.19 4.79 d 5.08. 
Nachschrift. 


Zur Kenntnifs des Sulfaldehyds der Äthylreihe. 


Die immerhin etwas hohe Zahl, welche bei der Dampfdichte 
bestimmung des geschwefelten Methylmetaldehyds gefunden worden 
war, hat mich bestimmt, auch das Gasvolumgewicht des geschwe- 
felten Äthylaldehyds zu bestimmen. Bisher hat man die Molecu- 
largröfse desselben in der Regel durch die Formel C,H,S ausge- 
drückt. Die in der Methylreihe ermittelten Verhältnisse liefsen 
aber mit Sicherheit voraussetzen, dafs auch dieser Körper ein hö- 
heres Moleculargewicht besitzen werde. Der Versuch hat denn 
auch diese Voraussetzung in erfreulicher Weise bestätigt. Die ge- 
schwefelte Äthylverbindung ist, ebenso wie der Körper in der Me- 
thylreihe, trimolecular, wird also durch die Formel 

0;H,58; 
ausgedrückt. Die Gasvolumgewichtsbestimmung, welche ebenfalls 
im Xylidindampf ausgeführt wurde, ergab folgende Werthe: 


Theorie: Versuche: 
C;H283 
Gasvolumgewicht I. 1. 
auf Wasserstoff bezogen 90 89.43 90 
auf Luft bezogen 6.25 40.21 6.25. 


Es verdient bemerkt zu werden, dafs sich die Äthylverbin- 
dung wesentlich leichter verdampfen läfst, als die Methylver- 
bindung. 

Da der Sulfaldehyd der Äthylreihe nach den angeführten Ver- 
suchen ganz unzweifelhaft eine trimoleeulare Verbindung ist, so 
kann man annehmen, dafs sich bei seiner Verbindung zunächst 


vom 30. Juni 1870. 531 


Paraldehyd erzeugt, der sich alsdann einfach schwefelt. Der Ver- 
such hat gezeigt, dafs sich der Paraldehyd in der That mit der 
gröfsten Leichtigkeit in den in Rede stehenden Schwefelkörper 
verwandelt. 

Dürfen wir nun nach den Versuchen, die vorliegen, die bei- 
den Schwefelverbindungen 


C,H,S; und C,H,S; 
und die ihnen gegenüberstehenden Sauerstoffverbindungen 
C,;H,0,;, und C,H,0; 


als analoge Aldehydmodificationen in der Methyl- und Äthylreihe 
betrachten? 

Was zunächst die Schwefelverbindungen anlangt, so stehen 
sie ihrer Bildungsweise sowohl als ihrer Dampfdichte nach einan- 
der so nahe, dafs man versucht ist, sie als Analoge aufzufassen. 
Hierzu kommt noch die Ähnlichkeit der Silberverbindungen. Die 
von Weidenbusch analysirte Silberverbindung 


C;H,5S; , 2AgNO, 


entspricht in der That ihrer Zusammensetzung nach genau dem 
Silbersalze des geschwefelten Methylaldehyds, welches bei einem 
Überschusse von Silbernitrat entsteht. Wahrscheinlich existirt 
auch die Verbindung mit 1 Mol. Silbernitrat, obwohl sie bis jetzt, 
der viel gröfseren Unbeständigkeit der Salze in dieser Reihe hal- 
ber, nicht erhalten worden ist. 

Vergleicht man andrerseits den starren Methylaldehyd mit dem 
Paraldehyd der Äthylreihe, so stellen sich schon weit tieferge- 
hende Unterschiede heraus. Der auffallendste Unterschied ist im- 
mer, dafs sich der starre Methylaldehyd beim Vergasen alsbald in 
normalen Methylaldehyd verwandelt, welcher nach kurzer Frist wie- 
der in die starre Modification übergeht, während sich der Paralde- 
hyd der Äthylreihe unverändert vergasen läflst, so dals über seine 
Moleeulargröfse kein Zweifel obwalten kann. Allerdings läfst sich 
der Paraldehyd durch Destillation mit etwas Schwefelsäure sehr 
leicht wieder in den normalen Äthylaldehyd zurückführen. 

Fast näher noch als der Äthylparaldehyd steht indesten dem 
starren Methylaldehyd der Äthylmetaldehyd, die von Liebi g beob- 
achtete starre, unschmelzbare Modification des Äthylaldehyds, wel- 


532 Gesammtsitzung 


che durch Sublimation in schönen Krystallen erhalten wird. Im 
gasförmigen Zustande ist dieser Körper, wie Hr. Geuther und 
neuerdings noch die HH. Kekul& und Zincke nachgewiesen 
haben, ebensowenig bekannt als der starre Methylaldehyd. Es war 
in der That dieses ähnliche Verhalten unter dem Einflusse der 
Wärme, welches mich veranlafste, den starren Aldehyd der Methyl- 
reihe mit dem Namen Methylmetaldehyd zu bezeichnen. 

Übrigens weicht auch der Äthylmetaldehyd von dem Metal- 
dehyd der Methylreihe wieder in vieler Beziehung wesentlich ab. 
Der Methylkörper verwandelt sich beim Erhitzen vollständig in 
normalen Aldehyd, der beim Erkalten schr langsam aber seiner 
ganzen Masse nach wieder in den starren Aggregatzustand über- 
geht. Bei der Einwirkung der Wärme auf den Äthylmetaldehyd 
andrerseits bleibt stets eine kleine Menge unverwandelt und der 
gebildete normale Aldehyd erhält sich alsdann Tage lang unver- 
ändert, und wird wahrscheinlich erst wieder Metaldehyd, wenn er 
die Bedingungen findet, unter denen der Aldehyd überhaupt in 
Metaldehyd übergeht. Dies Verhalten läfst sich bequem bei der 
Dampfdichtebestimmung in der Barometerleere beobachten. Die 
Bestimmungen, welche theilweise von den HHrn. Krämer und 
Pinner (I. II), theilweise von Hrn. Hobrecker (TII.) ausgeführt 
wurden, ergaben folgende Zahlen: 


Theorie: Versuche: 
C,H,0O 
Gasvolumgewicht I. II. II. 
auf Wasserstoff bezogen 22 25.8 27.4 24.4 
auf Luft bezogen 1.52 1279 1.71 1:69. 


Aus diesen Zahlen ersieht man, dafs der Metaldehyd nahezu, 
aber nicht vollständig in den normalen Aldehyd übergegangen war, 
obwohl die Versuche bei ziemlich hoher Temperatur, nämlich theil- 
weise im Anilin- (I u. III), theilweise im Xylidindampfe (II) aus- 
geführt wurden. Beim Erkalten des Apparates zeigte sich alsbald 
der obere Theil der Barometerröhre mit langen Nadeln des un- 
veränderten Metaldehyds durchsetzt, allein bei weitem die grölsere 
Menge desselben war und blieb in normalen Aldehyd umge- 
wandelt. | 


vom 30. Juni 1870. 935 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 
Wahltuch, Psicografia con figure analoghe. Napoli 1870. 8 Mit 
Schreiben des Autors d. d. Florenz 21. Juni 1870. 


Ed. de la Barre Dupareq, Essai sur le caractere d’Hannibal. Paris 
1870. 8. 


Funicola, La scienza dell’ insegnamento. Napoli 1869. 8. 


Rendiconti dell’ accademia di Napoli. IX, 1—3. Napoli 1870. 8. 


Grad, Observations sur la Constitution et le Mouvement des Glaciers. Lettre 
a M. Schimper etc. Strassburg 1870. 


Berichtigung zu S$. 390. 


Zu Gen. 27, 33. 34 ist statt der Worte: „wahrscheinlich mit 
Recht“, welche auf einem Versehen beruhen, zu lesen: 


in der That bedarf v. 34. zu Anfang einer Ergänzung, an 
v. 83. ist aber nichts zu ändern. Als die nöthige Ergänzung . 
von v. 34 ist mm anzusehen; vgl. z.B. c. 39, 13. 15. 18. Deut. 
d, 20. u. dgl. m. 


[1870] 


37 


Nachtrag. 


23. Juni 1870. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. du Bois-Reymond las einen Nachtrag zu seiner 
Abhandlung über die aperiodische Bewegung gedämpf- 
ter Magnete. ') 


$.I. Einleitung. 


Bei der kürzlich von mir der Akademie mitgetheilten Theorie 
der aperiodischen Bewegung gedämpfter Magnete bin ich dem vom 
physikalischen Standpunkte sich darbietenden Wege gefolgt, das 
allgemeine vollständige Integral der Diiferentialgleichung für die 
Bewegung des Magnetes aufzustellen, und die darin vorkommenden 
willkürlichen Constanten der jedesmaligen Aufgabe gemäfs zu be- 
stimmen. Indem ich die Ablenkung zur Zeit Null, = 0 oder — 
einer positiven oder negativen Gröfse £, ebenso die Geschwindig- 
keit zur Zeit Null, = 0 oder gleich einer positiven oder negativen 
Gröfse c setzte, habe ich die Bewegungsgleichungen für die ver- 
schiedenen Combinationen dieser Fälle nacheinander einzeln her- 
geleitet. 

Unter diesen Combinationen erwies sich besonders lehrreich 
die, wo der Magnet bei E im Augenblicke des Fallenlassens eine 
Anfangsgeschwindigkeit — c, also im Sinne der Richtkraft, erhält. 
Die Rechnung zeigte, dafs auch dann der Nullpunkt nicht über- 
schritten werde, so lange nicht c gröfser als (e + r) &E sei. Es 
entstand die Frage nach dem Sinne dieser Bedingung. Da es 
gleichgültig ist, ob der Magnet bei £ im Augenblicke des Fallen- 


1) S. das Novemberheft vorigen Jahres, S.807—852. Die Bezeichnungen 
des Nachtrages sind dieselben wie die der Abhandlung. Die Ordnungszahlen 
der Formeln des Nachtrages sind arabische, zum Unterschiede von den 
römischen der Abhandlung. 


3.0 


538 Nachtrag. 


lassens eine Anfangsgeschwindigkeit c im Sinne der Richtkraft 
erhält, oder ob er diese Geschwindigkeit als Fallgeschwindigkeit 
x’ —= — c aus einer höheren Ablenkung mitbringt; da, unter der 
Voraussetzung unbegrenzter Gültigkeit der Differentialgleichung, 
der Magnet mit keiner durch Fallen aus noch so hoher Ablenkung 
erlangten Geschwindigkeit den Nullpunkt zu überschreiten vermag; 
endlich da für ein gegebenes x die Fallgeschwindigkeit mit der 
Fallhöhe wächst: so vermuthete ich, dafs (e + r)Z die grölste 
Fallgeschwindigkeit sei, die der Magnet überhaupt bei £ erlangen 
könne, d. h., bei unbegrenzter Gültigkeit der Differentialgleichung, 
durch Fall aus dem Unendlichen erlangen würde. 

Um diese Vermuthung zu prüfen, stellte ich mit Hülfe der 
bekannten Relation @ —f (t, £) den Verlauf der Curve «= d (®, &) 
im Allgemeinen fest, und untersuchte, was im Endlichen aus dieser 
Curve werde, wenn man £= oo setze. Diese Untersuchung lehrte, 
dafs meine Vermuthung genau nur im Grenzfall == n oder r— 0 
zutreffe; @ = — ex ist wirklich im Endlichen die Gleichung der 
Curve, deren Ordinaten für jedes @ die Geschwindigkeit des aus dem 
Unendlichen fallenden Magnetes angeben. Für = > n aber ist diese 
Gleichung nicht «& = — (e+ r) x, sondern x = — (e—r)s; und 
die Geschwindigkeit bei £ mus diese höchste durch Fall aus dem 
Unendlichen erreichbare Geschwindigkeit um noch mehr als 2rE 
übertreffen, damit der Nullpunkt überschritten werde. 

Die Differentialgleichung setzt die Proportionalität der Richt- 
kraft mit der Ablenkung, und der verzögernden Kraft der Dämpfung 
mit der Geschwindigkeit voraus; die Abweichungen der Beobach- 
tung von der Theorie können also nur so lange innerhalb der Grenze 
der Beobachtungsfehler bleiben, als die Ablenkung eine gewisse 
Gröfse nicht übersteigt. Vollends hat aus Gründen, die keiner 
Ausführung bedürfen, eine unendlich grolse Ablenkung des Magne- 
tes keinen physikalischen Sinn. Man sieht aber, dafs die mathe- 
matische Fietion einer solchen Ablenkung und der unbegrenzten 
Gültigkeit der Differentialgleichung dadurch eine wirkliche Bedeu- 
tung erhält, dafs man eine dem Magnet innerhalb der Grenzen, 
wo die Bedingungen der Differentialgleichung noch erfüllt sind, 
auf andere Art ertheilte Geschwindigkeit als durch Fall aus dem 
Unendlichen entstanden ansehen kann. 

Als ich meinem Freunde, Hın. Kronecker, die Ergebnisse 
meiner Untersuchung mittheilte, machte er mich auf eine Behand- 


Nachtrag. 539 


lungsweise des Gegenstandes aufmerksam, auf welche vom physi- 
kalischen Standpunkte nicht leicht zu kommen war. Sie schlägt 
gerade den entgegengesetzten Weg von dem eben angedeuteten ein. 
Von vorn herein wird die Gültigkeit der Differentialgleichung für 
ein unendliches x, oder, was das Nämliche ist, für ein unendliches 
negatives i, vorausgesetzt. Indem man überdies bei gewissen 
ersten Integralen der Differentialgleichung stehen bleibt, hat man 
ohne Weiteres für jede Zeit zwischen t= — oo undt=- 
die Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Ablenkung vor Augen. 
Um aber von dieser ganz allgemeinen und der Wirklichkeit in der 
That entfremdeten Betrachtung zu den wirklichen Bedingungen 
zurückzukehren, ist nur nöthig, letztere als gegebene Beziehungen 
zwischen Ablenkung, Geschwindigkeit und Zeit in den allgemeinen 
Ausdruck einzuführen. 

Wenngleich diese Art der Betrachtung die frühere nicht wohl 
entbehrlich macht, hat sie doch ihre eigenthümlichen Vortheile, und 
erst in ihrem Lichte lassen manche durch die frühere Betrachtung 
aufgedeckte Beziehungen ihren wahren Zusammenhang erkennen. 
Dies wird am besten erhellen, wenn wir mit ihrer Hülfe einige 
der Aufgaben behandeln, deren Lösung scheinbar schon auf dem 
früheren Wege vollständig erreicht war. 


21. Die fundamentalen Eigenschaften unserer 
Differentialgleichung. 


Indem wir übrigens sämmtliche Bezeichnungen der Abhandlung 
beibehalten, setzen wir kürzehalber 
et r=q, e—r=). 


Unsere Differentialgleichung heifst alsdann (vergl. Abhandlung (TI), 
S. 809 und 822) 


Ba obige... ch 


Die neue Theorie geht aus von der fundamentalen Bemerkung, 
dafs man durch Differenziren der Ausdrücke 


CHE u) ‚elae +a)s WW. lsilhus % ul) 


das rechte Glied der Differentialgleichung beziehlich mit e“ und e’ 
multiplicirt erhält. 


540 Nachtrag. 


Die Ausdrücke (2) sind also constant; man kann setzen 


be + a A 
act "= Be” 


(3) 


wo 4’, B' willkürliche Constanten sind, welche zu den Constanten 
A, B in dem Integral unserer Differentialgleichung, wie es Glei- 
chung (VI) der Abhandlung giebt, in der Beziehung stehen 


A! = 9A BI B. 
Es folgt weiter, dafs man jederzeit setzen kann 


et (be e)=et (X + 4 (4) 
eifkaa+xe)=e(aX+X)) ; 
Wird der Verlauf von x, «' als Functionen der Zeit, insofern er 
von den willkürlichen Constanten abhängt, als bereits bestimmt 
angenommen, so bedeuten X, X’, T beliebige zusammengehörige 
Werthe der Functionen x, x’ und der Zeit. Wird aber jener Ver- 
lauf als noch nicht bestimmt angesehen, so bedeuten X, X, T 
willkürliche Constanten, durch deren Einsetzung der Verlauf be- 
stimmt wird. 

Durch vmalige Differentiation der Gleichungen (3) erhält man, 


’n 5 
wenn —, — x”) gesetzt wird, 


bat) + a = (— a)’ Ale“ 
ax’) ae „er+D Zu (— ana) (5) 
und folglich 


(— 1). ar != —a’det+b’Bet,, ... (6) 


ee b’B' 


en N En 2rt 
om, „urn gar N (7) 


oder, wenn man zu den Logarithmen übergehend - log (5) —R 


4' (v) (+1) 
108 ( en) = 198. 2 


setzt, 


Ir B' bee) + 2e+D 
Hieraus sind folgende Schlüsse zu ziehen: 


I. Wenn die Gröfsen x und «’ für irgend einen endlichen Werth 
von t endliche Werthe haben, so sind A’ und B’ endlich. Ist 
einer der beiden Ausdrücke 


ae 


Nachtrag. 541. 


für irgend einen endlichen Werth von t gleich Null, und ist es 
also auch 2’ oder 4’ (3), so bleibt der Ausdruck Null für alle 
endlichen Werthe von ti, und es wird demgemäls die Ablenkung x 
durch eine der beiden Gleichungen 


- dargestellt. 


Il. Wenn, wie es in der Folge stets geschehen soll, von den 
erwähnten besonderen Fällen abgesehen wird, so bleiben die Vor- 
zeichen der Ausdrücke 


a de I BEN a nn 5 a0) 


wie die Gleichungen (5) zeigen, für alle Zeit constant. Wählt man 
nun, was offenbar erlaubt ist, das Vorzeichen von x so, dafs 
ax + x und also B’ positiv ist, so ist 5x + «’ für den ganzen 
Verlauf der Zeit und also A’ entweder positiv oder negativ. Dem- 
nach sind zwei wesentlich verschiedene Hauptfälle zu unter- 
scheiden, von denen derjenige stets als der erste bezeichnet werden 
soll, in welchem 4’ positiv ist, also die Ausdrücke (9) einerlei 
Zeichens sind, und als der zweite der, in welchem A’ negativ ist, 
also jene Ausdrücke verschiedenen Zeichens sind. 

III. Der Ausdruck (— 1)’ (ax'”’ + z'’*!)) nimmt, während i 
von — oo bis + oo geht, alle positiven Werthe von © bis O 
wirklich an; ebenso durchläuft (— 1)’ (dx? + xzU”*+") je nach 
den beiden soeben unterschiedenen Fällen alle Werthe von + 
bis 0 oder von — oe bis 0. Der Quotient 


ax’) — „r+D 
ba) + „e+D 


durchläuft, wie Gleichung (7) zeigt, je nach den beiden Fällen 
sämmtliche positive oder sämmtliche negative Werthe von O bis oo; 
aber der Quotient 


welcher für 2= — oo den Werth — a und für t=-+ oo den 
Werth — 5 hat, durchläuft im zweiten Hauptfalle sämmtliche zwischen 
— a und — 5b liegenden Werthe, im ersten Hauptfalle alle übrigen 


542 Nachtrag. 


positiven und negativen Werthe. Nur. in diesem ersten Hauptfalle 
werden daher zu gewissen Zeiten « und seine Differentialquotienten 
gleich Null. Für diese Zeiten und die zugehörigen Werthe der 
Ablenkung x und ihrer Differentialquotienten führen wir übrigens 
nachstehende Bezeichnungen ein: der Zeit 

7, entspreche 7 U er 2 

73 n =0, 2 =E 


5: 
t, a a U 
U 
i,, b,) 6 = 0, XL = %,y x = Al, uU.8. W. 


IV. Gleichung (6) liefert folgende Bestimmungen für die Ab- 
lenkung (x) und deren Differentialquotienten: 


wenn t= — », so ist (—1)’ x2'’!)—= = oo von der Ordnung e”*'; 
wenn {= + oo, so ist z2)=0 von der Ordnung e®, 
Für {= — oo ist also «'”) unendlich grofs von derselben Ordnung 


wie b2(’) + „’+V), aber von höherer Ordnung als aa" + a"), 
Für t= + 0 ist x” unendlich klein von derselben Ordnung wie 
az”! + z+V, aber von niederer Ordnung als dba? + x"), 


V. Die Zeitpunkte, in denen der Reihe nach die Quotienten 
" 


9 m? (OO 
ar [Hu 


T 

4 
einen und denselben bestimmten Werth annehmen, bilden, wie aus 
Gleichung (8) hervorgeht, eine arithmetische Reihe mit dem be- 
ständigen Unterschiede A. Dies findet also namentlich für die- 
jenigen Zeitpunkte to, 7, &,, ft, ... statt, in denen im ersten 
Hauptfalle folgweise , «', @", x”... gleich Null werden (s. oben IIl.), 


so wie für diejenigen Zeitpunkte, in denen im zweiten Hauptfalle 
(v+1) 

ze wird. Dies beiden Reihen von Zeitpunkten sind 

10 

zwar je nach .den beiden verschiedenen Fällen ganz verschieden 
charakterisirt, entsprechen einander aber insofern, als dabei stets 


ar) 2 xe+D 
mm 
wird. 
VI Wenn 
A e bEean, Bio ne 


gesetzt wird, so nehmen die Gleichungen (3) und (6) die Form an 


Nachtrag. 543 


ara = agetu aı) 
ba + a— been 
(v) ao, a, (v1) zalr—ı) 
a’=(—1) al e EA e 2) 


und es bedeutet r die Zeit, zu welcher 


ax u a 


ı „-H#ı 
be + x 


ist, während aus der zur Zeit r stattfindenden Ablenkung x die 
positive Gröfse & durch die Gleichung 


a) 
Ss 


0 
azb 


bestimmt ist. Hiernach ist im ersten Hauptfalle » die Zeit und E 


die Ablenkung, bei der die Umkehr des Magnetes nach Überschreiten 
des Nullpunktes erfolgt, bei der also « —= 0 und 


e" - n’ce—=o0 


2 ö ; x ab € 
ist, während im zweiten Hauptfalle + die Zeit und Zu 7 = a & 
> EN 
» : : 5 2ab „ 
die Ablenkung ist, bei der ! —= er 2,5 und 
a —n’a=0 


wird. 


VI. Da nach den Gleichungen (11) für irgend welche bestimmte 
zusammengehörige Werthe 7, X, X’ die Relationen 


X IR are DR Xi b Eeatr=0 


statthaben, so erhält man aus gegebenen Werthen TR Re sdie 
Werthe von r und E in folgender Weise: 


ll abX—+aX' ! 
a on (4 m) Go 


a b 
= (X+22)%.|e(X+4 0) ®. 34 (143 


VII. Die Beziehung zwischen Ablenkung und Geschwindigkeit, 
d.h. zwischen x und «', ergiebt sich unmittelbar aus den Glei- 
chungen (11) in folgender Weise: 


544 Nachtrag. 


ax + ba + a 
a . log (3) Po b 6 log Fr). . (15a) 


wo unter dem Logarithmus-Zeichen nur positive Gröfsen stehen, 
oder also | 
ax + a \* be-+«a'\? 
(5) =, ab. 5 mmabed May 
az Ss bE 


3 II. Erster Hauptfall: aa + und db» + « sind 
einerlei Zeichens. 


Aus (12) ergeben sich in diesem Falle die Gleichungen 
s 
Er — ee ea re en) 


Eab 
x = SER eu) 
welche den Gleichungen (VII) und (XII) der Abhandlung entspre- 
chen. Hier werden gemäfs der fünften obigen Schlufsfolgerung 
zu den Zeiten 


N = Lı —r A, tb: = ge 08, >15. We 


m =—0, 2 —=0,;,.%. 0, Be), u.8.w. 


und zwar müssen, wenn x oder ein Differentialquotient von 
Null werden soll, die Ausdrücke ax + a, bx + « einerlei Zeichens 
sein. Dies ist nur möglich, wenn entweder « und x’ selber einerlei 
Zeichens sind, oder wenn, bei verschiedenem Zeichen von x und «, 
x' entweder gröfser als ax und also auch als bxz, oder kleiner 
als dx und also auch als ax ist. 

Für {= — oo ist gemäls der vierten Folgerung & = — %, 
Mo — —_ _.a. Was für endliche Werthe von t geschieht, 
zeigt Fig. 1 (s. die Taf.). Man erkennt die Curven an den ihnen 
beigefügten Ordnungszahlen ihrer Gleichungen; Curve (16) ist die 
der Ablenkungen, Curve (17) die der Geschwindigkeiten. Beide 
Curven sind anfänglich convex gegen die Abseissenaxe der Zeiten, 
denn x" ist negativ und «” positiv. Dann folgen einander in 
dem nur von den Constanten der Vorrichtung, nicht von & ab- 
hängigen Abstande A die vier Zeitpunkte fo, 7, in br Bei to 


Nachtrag. 945 


schneidet die Curve der Ablenkungen die Axe der Zeiten und wird 
gegen sie concav, da ihre Ordinate das Zeichen wechselt, x" das 
seinige behält. Dies dauert bis zum Zeitpunkte r. Hier erreicht 
die Curve der Ablenkungen das Maximum &, denn für t= + ist 
2=E& und #=0. Die Curve der Geschwindigkeiten schneidet 
also jetzt gleichfalls die Abseissenaxe der Zeiten und wird gegen 
sie concav, weil x” sein Zeichen behält; bei t, erreicht ihre Or- 


dinate das negative Maximum 


sed „Tas 


und es findet ein Wendepunkt der Curve der Ablenkungen statt. 
Endlich für 1,, hat die Curve der Geschwindigkeiten einen Wende- 
punkt. 

In der Figur sind aus Gründen, die später einleuchten wer- 
den (s. unten VD, E=1,a=1,b=1 gesetzt. A wird dann 


— 1,38629; 0, = 3 I, = 16; ed dh — + 2, = — 1a 
Für = -+ oo werden gemäfs der vierten Folgerung x und «'—= 0, 
© = — ba, & läuft auf der positiven, x' auf der negativen Seite der 


Abseissenaxe asymptotisch aus. 

Man kann dergestalt für unsere Betrachtung die ganze Zeit 
von {= — oo bis t=-+ oo in drei Abschnitte theilen, wie fol- 
gendes Schema zeigt (vergl. auch zwischen Fig. 1. und 2). 


“I. el. III. 
t= — = Zoonbisito, tarbıs z rbis + + oo 
= —o negativ positiv positiv 0 
«=+0 positiv positiv negativ —W 
a ; 
—-—- 6 abs +0 —mbiso obisb b 
& 


Welche Werthe zu irgend einer Zeit T die Ablenkung X und die 
Geschwindigkeit X’ haben mögen, vorausgesetzt nur, dals sie dem 
ersten Hauptfall entsprechen, stets giebt es, wie oben unter VII. 
ausgeführt ist, einen Zeitpunkt r, vor oder nach 7, in welchem 
© —=0ist, und es lälst sich diese Zeit r und die zugehörige Ab- 
lenkung & aus den gegebenen Werthen T, X, X’ berechnen. 
= vorhergegangen ist stets im Zeitabstande A die Zeit t,, wo 2—0 
war. Der ganze Vorgang bleibt also, da einzig und allein die 
Werthe von r und Z variiren können, an sich und im Wesentlichen 
stets derselbe und namentlich bleibt das Verhalten in positiv und 


546 Nachtrag. 


negativ unendlicher Zeit unverändert, wie man auch die Beding- 
ungen wählen möge, vorausgesetzt nur, dals die für den ersten 
Hauptfall bezeichnenden Eigenschaften gewahrt bleiben. ' 
Nimmt man £ negativ, so ändern die Ausdrücke (9) und in 
allen drei Zeitabschnitten x und «' ihr Zeichen. Alle Vorgänge 
bleiben also dieselben, nur dafs die beiden Seiten der Abscissen- 


axe, oder die beiden Hälften der Scale, mit einander vertauscht sind. 


$. IV. Physikalische Anwendung der gewonnenen Er- 
gebnisse, und Vergleichung dieser Ergebnisse mit denen 
der Abhandlung 


Wir können die verschiedenen Fälle der Bewegung des Magne- 
tes — von einer Ablenkung oder vom Nullpunkt aus, mit oder 
ohne Anfangsgeschwindigkeit — aus folgender Fiction herleiten. 
Vor unendlicher Zeit durchfiel der Magnet Räume unendlicher Ab- 
lenkung mit solcher unendlichen Geschwindigkeit, dafs diese zur 
Ablenkung in dem von den Constanten der Vorrichtung abhängigen 
Verhältnifs — a stand. Zur Zeit t=0, wo wir den Vorgang zu 
betrachten anfangen, ist der Magnet in endliche Ablenkung gelangt 
und es sind, je nach den Bedingungen der Aufgabe, gewisse Zeit- 
punkte schon vorüber. Ist der Magnet bereits abgelenkt, so kann 
der Fall aus dem Unendlichen geschehen sein entweder von der Seite 
her, auf der er sich befindet, oder von der entgegengesetzten Seite her. 

I. Jedesmal, dafs der Magnet zur Zeit {= 0 ohne Anfangs- 
geschwindigkeit aus einer endlichen, positiven oder negativen Ab- 
£ fällt, können wir uns denken, er sei von der entgegen- 


) 


lenkung 
gesetzten Seite her aus dem Unendlichen gefallen, habe den Nullpunkt 
überschritten, und kehre bei £ in seiner Bewegung um, daher 
x' hier = 0 ist. Der Vorgang beginnt also in der Idee an der 
Grenze des zweiten und dritten der oben unterschiedenen Zeit- 
abschnitte. Man braucht in der That nur in (16) r=0 zu Setzen, 
um Gleichung (VII) der Abhandlung zu erhalten, welche diese 
Bewegung des Magnetes darstellt; und unsere gegenwärtige Fig. 1 
fällt von r ab nach wachsender Zeit hin im Wesentlichen mit Fig. 1 
der Abhandlung zusammen. !) Selbst der Fall aus dem Unend- 


1) In letzterer ist r = 0, in der gegenwärtigen Figur = 1 gemacht (s. 
vorige Seite). 


Nachtrag. 947 


lichen ohne Anfangsgeschwindigkeit, mit dem sich 8. VI der Ab- 
handlung beschäftigt, läfst sich unter denselben Gesichtspunkt 
bringen, indem man E= © setzt. Alle endlichen mit &E multi- 
plicirten Ordinaten, wie z,, 2, #0, &,, &, werden gleichfalls 
unendlich; für t= — oo aber werden x und x’ unendliche Grölsen 
höherer Ordnung. Man hat sich also vorzustellen, der Magnet sei 
aus unendlicher Ferne höherer Ordnung gefallen, habe den Null- 
punkt mit unendlicher Geschwindigkeit überschritten und jenseits 
ausschlagend ein unendliches £ erreicht, bei welchem er zur neuen 
Anfangszeit = 0 eben umkehre. 

II. Jedesmal, dafs der Magnet auf dem Nullpunkt einen Stofs 
erhält, der ihm eine Anfangsgeschwindigkeit + c ertheilt, können 
wir uns denken, er sei in der Richtung des Stofses aus dem Un- 
endlichen gefallen, und überschreite zur Zeit ,—= 0 den Nullpunkt 
mit einer, jener Anfangsgeschwindigkeit + c gleichen Fallgeschwin- 
digkeit &. Der Vorgang beginnt in der Idee an der Grenze des 
ersten und zweiten Zeitabschnittes. Man erhält Gleichung (XXXI) 
der Abhandlung, welche diese Bewegung des Magnetes darstellt, 
indem man in den Gleichungen (4) T=0, X = 0 und X'’—e setzt. 

II. Jedesmal dafs der Magnet im Augenblicke, wo er in 
einer gegebenen Ablenkung sich selbst überlassen wird, einen Stofls 
im einen oder anderen Sinne erhält, können wir ebenso für die 
Anfangsgeschwindigkeit Fallgeschwindigkeit, durch Fall aus dem 
Unendlichen erlangt, substituiren. Dabei sind drei Fälle zu un- 
terscheiden. 

l. Die Geschwindigkeit hat den Sinn der kRichtkraft und ist 
gröfser als ax. Es ist als sei der Magnet von der Seite her, nach 
welcher er abgelenkt ist, aus dem Unendlichen gefallen, und über- 
schreite eben die gegebene Ablenkung mit der gegebenen Geschwin- 
digkeit — c. Daher von r', t, t, nach wachsender Zeit hin unsere 
gegenwärtige Fig. 1 im Wesentlichen mit Fig. 2 der Abhandlung 
zusammenfällt, welche die Bewegung des Magnetes mit einer ne- 
gativen Anfangsgeschwindigkeit > (— aa) vorstellt; nur dafs in 
beiden Figuren die beiden Seiten der Abscissenaxe, also die beiden 
Scalenhälften, mit einander vertauscht sind, und aufserdem in der 
Figur der Abhandlung abermals r = 0, in der jetzigen = ; ge- 
setzt ist. Gleichung (XXID der Abhandlung entsteht aus den 
Gleichungen (4), indem man in letzteren T=o0, X'— — ,X= 
dem & der Abhandlung setzt, welches zum Unterschiede vom 


948 Nachtrag. 

jetzigen £') fortan &, heifsen soll. Um X und X’ verschiedenen 
Zeichens, und dabei X’ gröfser als «X zu finden, müssen wir den 
Anfang des Vorganges in den ersten Zeitabschnitt verlegen. 

2. Die Geschwindigkeit hat den entgegengesetzten Sinn der 
Richtkraft. Es ist als sei der Magnet auf der entgegengesetzten 
Seite von der, nach welcher er abgelenkt ist, aus dem Unendlichen 
gefallen, habe den Nullpunkt überschritten, und überschreite eben 
die gegebene Ablenkung £, mit der gegebenen Geschwindigkeit + c, 
mit welcher er dem Maximum Z£ seines Ausschlages zustrebt; 
s. bei !',; t, tz in Fig. 1. Analytisch entsteht dieser Fall, indem 
man in den Gleichungen (4) T=0, X=E£&,, X'= -+.c setzt. 
Da nur zwischen t=t, und t=7r, x und « einerlei Zeichens 
sind, fällt der Beginn des Vorganges in den zweiten Zeitabschnitt; 
und da zu Anfang dieses Abschnittes = 0, «' endlich ist, zu 
Ende das Umgekehrte stattfindet, ist diesmal der Geschwindigkeit 
kein Grenzverhältnifs zur Ablenkung vorgeschrieben. 

3. Die Geschwindigkeit hat den Sinn der Richtkraft und ist 
kleiner als bx. Diese Combination kommt nur im dritten Zeit- 
abschnitt vor. Es ist abermals als sei der Magnet auf der ent- 
gegengesetzten Seite aus dem Unendlichen gefallen, als habe er 
aber nicht allein den Nullpunkt, sondern auch das Maximum seines 
Ausschlages bereits überschritten; s. bei tz tz Y'’; in Fig.1. Ana- 
Iytisch entsteht dieser Fall, indem man in den Gleichungen (4) wie 
m, alles ii nl 72 vo, er ren — £, setzt; man erhält 
Gleichung (XXII) der Abhandlung, aber, weil c kleiner ist als bx, 
mit umgekehrtem Zeichen der rechten Seite, daher auch diesmal 
unsere Figur zur Gleichung erst nach Vertauschung der beiden 
Sealenhälften palst. | 

IV. Die in 8.IX der Abhandlung behandelten Fälle, in denen 
der in Bewegung begriffene Magnet zu gegebener Zeit einen Stofs 


1) Dafs das jetzige und frühere & einander nicht stets, wie in Fall I, ent- 
sprechen, rührt daher, dafs mit dem jetzigen & jedesmal der Ausschlag nach 
Überschreiten des Nullpunktes bezeichnet wird, während in der Abhandlung 
& gerade deshalb keine solche gleichmäfsige Bedeutung erhielt, weil es stets 
die der Anfangszeit t = 0 entsprechende Ablenkung bezeichnete, wenn nicht 
diese Null war, wie in dem soeben unter II erwähnten Falle des $. VII 
der Abhandlung. Daher das 8 der Abhandlung und das jetzige nur bei dem 
Fallenlassen des Magnetes ohne Anfangsgeschwindigkeit übereinstimmen, 


Nachtrag. 549 


im einen oder anderen Sinn erhält, lassen sich gleich den vorigen 
betrachten, indem man die beiden Geschwindigkeiten, die vorhan- 
dene und die hinzutretende, als durch Fall aus dem Unendlichen 
unter geeigneten Bedingungen entstanden ansieht und algebraisch 
Summirt. 

Die neue Behandlungsweise bietet, wie man sieht, den Vor- 
theil, dafs sie sämmtliche in der Abhandlung einzeln abgeleitete 
Fälle auf Einen allgemeinen Fall zurückführt. Die Rolle der 
merkwürdigen arithmetischen Reihe der Zeiten, von der sich in je- 
nen Fällen eine gröfsere oder geringere Zahl von Gliedern zeigte, ist 
nun klar. Man versteht auch die Bedeutung der negativen Zeiten, 
welche dort im Dunkel blieb. Im Fall eines den bei Eu Sich über- 
lassenen Magnet im Sinne der Richtkraft treffenden Stofses fanden 
wir für die Zeit des Durchganges durch den Nullpunkt den Ausdruck 


1 c—bE,\. 
ee) 

(S. S. 817 der Abh.). t, ist positiv nur für ce > aE,; im Falle 
e<a&, ist t, reell nur wenn ce auch < bE,, und dann negativ. 
Dies heilst, wie wir jetzt sehen, soviel als dafs unter der Voraus- 
setzung des Falles aus dem Unendlichen, die Zeit des Durchganges 
durch den Nullpunkt schon seit jener Zeit vorüber war. 

Die beiden Hauptergebnisse, welche im $. VI der Abhandlung 
hergeleitet worden sind, nämlich sowohl. die Bedingung für die 


_ zum Überschreiten des Nullpunktes nöthige Anfangsgeschwindig- 


keit, als auch die Grenze der durch Fallen aus beliebig hoher 
Anfangslage ohne Anfangsgeschwindigkeit zu erreichenden Ge- 
schwindigkeit, lassen sich unmittelbar ‘aus dem obigen Schema, 
S. 545, erkennen. Denn wenn zur Zeit t bei der Ablenkung x 
der Nullpunkt noch zu überschreiten sein soll, so mufs t im ersten 


RUN: « | 
Zeitabschnitt liegen, also dem Schema gemäls — —- > a sein, 
2 


und dies ist daher die Bedingung für die zum Überschreiten des 
Nullpunktes nöthige Anfangsgeschwindigkeit. Ferner ist die Ge- 
schwindigkeit eines aus beliebig hoher Anfangslage ohne Anfangs- 
geschwindigkeit fallenden Magnetes, der sich also in der ganzen 
Zeit des Fallens im dritten Zeitabschnitt befindet, nach dem Schema 


' 
bei jeder Ablenkung x eine solche, dafs — m < b ist; der Grenz- 


werth der Geschwindigkeit x' ist daher — ba. 


550 Nachtrag. 


Während der ganzen Bewegung des Magnetes, insofern dabei 
der Nullpunkt wirklich oder in der Idee überschritten wird, liegt 
die Geschwindigkeit x’ aufserhalb des von den Werthen — 5x und 
— ax eingeschlossenen Intervalls. Es fragt sich nun, was die Folge 
sei, wenn dem Magnete bei « eine Geschwindigkeit gröfser als bw, 
aber kleiner als ax, zugeschrieben, oder was geschehe, wenn ihm 
im Augenblicke des Fallenlassens von x eine solche Anfangsge- 
schwindigkeit im Sinne der Richtkraft wirklich ertheilt werde. 
Diese Frage ist in der Abhandlung nicht zur Sprache gekommen. 
Aus den oben voraufgeschickten allgemeinen Sätzen hat man schon 
erfahren, dafs die Discussion unseres zweiten Hauptfalles uns dar- 
über Aufschlufs zu geben bestimmt ist. 


$&.V. Zweiter Hauptfall: ax+ x und dbx+ x sind ver- 
schiedenen Zeichens. 


Liegt x’ seiner Gröfse nach zwischen as und bx, und sind 
x und «' verschiedenen Zeichens, so sind auch die Ausdrücke (9) 
verschiedenen Zeichens. Da diese Ausdrücke für jede Zeit ihr 
Zeichen behalten, sie aber für 2=0 oder « =0 einerlei Zeichen, 
beziehlich das von x’ oder x erhalten würden, so können unter 
der Voraussetzung: x’ gröfser als dx, und kleiner als ax, zu keiner 
endlichen Zeit x und © = 0 werden. Erst für {= + oo tritt dies 
ein. Dies ist der zweite hier stattfindende Hauptfall, der sich 
vom ersten also dadurch unterscheidet, dafs dabei der Nullpunkt 
zu keiner Zeit überschritten wird, sondern Ablenkung und Ge- 


schwindigkeit vn {= — oo bis t= + oo stetig abnehmen. 
Nimmt man x positiv, so ergeben sich in diesem Falle aus (12), 
aa b r 5 
wenn man darin & = ee; &,—= — &, setzt, die den Gleichungen 
€ 


(16) und (17) des ersten Falles analogen Bestimmungen 


£ 
u (a be ab, 122 sth 108) 
€ 
abE, 
2E 


r 


a (ea Tree ee De. 00. a) 


wo r den Zeitpunkt und &, denjenigen Werth der Ablenkung x 
bedeuten, für welche 


x" = abx und folglich (a +b) « + 2abx=0 


Nachtrag. Sl 


ist, für welchen also — das arithmetische und 7 das geometri- 
T 

sche Mittel jener bezüglichen Grenzwerthe erreicht, zwischen denen 

die Werthe der beiden Quotienten von t= — oo bs t= + 

varliren. Die Zeitpunkte, in denen folgweise die Quotienten 


’ " 


2 & 
x’ PL zit ’ 
i s 1 1 S N 
den bezeichneten Mittelwerth — 4 (+ ze +) erreichen, bilden 


 gemäls der fünften Folgerung eine arithmetische Reihe, deren An- 
fangsglied r und deren beständiger Unterschied A ist. 

Die Reduction aller möglichen Vorgänge auf einen einzigen 
Typus geschah oben in $. II (sechste Folgerung) dadurch, dafs 
man bei jedem Vorgange einen gewissen Zeitpunkt r festsetzte, in 


welchem das Verhältnifs an einen bestimmten Werth annimmt. 


Dieser Zeitpunkt r hat aber, wie man sieht, im zweiten Haupt- 
falle keine so ausgesprochene Bedeutung wie im ersten, wo er 
der Umkehr des Magnetes entsprach. Es ist deshalb nicht ohne 
Interesse im vorliegenden zweiten Hauptfalle von jener Reduction 
abzusehen und die Betrachtung unmittelbar an die Gleichungen (4) 
anzuknüpfen. 
Es sei X positiv, X’ negativ. Kürzehalber setzen wir 
aıX+-Xx = +N, 
IX+-X = —% 


Da nach unseren Voraussetzungen X’ zwischen BX und aX 
schwankt, und +-®=2rX ist, so schwanken dementsprechend 
A und B zwischen 2rX und 0, indem sie sich stets zu 2rX 
ergänzen. 

Nach Analogie der Gleichungen (16) und (17) für den ersten 
Hauptfall erhalten wir hier aus (4) 


ER 2 D 
2 let 2 ie 


Y=— (Abe al a N ER Er) 
Während £ von {= — oo zu t= - oo sich verändert, gehen x 
- [1870] 38 


552 Nachtrag. 


und «', convex gegen die Abseissenaxe der Zeiten, beziehlich von 


+ oo und — © bis 0. Wie im ersten Hauptfalle ist für = — 
x’ 
en ee ee (21) 
fürrt= + 
ned ee ie 


Setzt man in Gleichung (19) A = 0, so erhält man 
Be T-D N 0.0 2 
Setzt man umgekehrt darin B = 0, so erhält man 
| ee a ke 
Für {= T aber wird in (19), (23), (24) = X. Gleichung (19) 
stellt also eine Schaar von Curven vor, welche durch den Werth 
von X und B unterschieden und zwischen den Grenzcurven (23) 
und (24) eingeschlossen, sich mit ihnen im Gipfel der Ordi- 
nate X schneiden. 


Setzt man in Gleichung (20) A oder B = 0, so erhält man 
beziehlich 


Da ee) 
a NEUN N a 2i)) 
Für t= T werden (20), (25), (26) beziehlich 
in =—-aR, 
ir eXl=—oX +-N= — IX —d, (27) 
7 = DR: J 
setzt man aber = T-+A, so werden dieselben Ausdrücke 
ar 
= — (+) ax, 
aras Bao 
1 Aa 2r a 23T 
08 
Aa ar 
EAN anal (+) bX. 


Die drei Ausdrücke (28) sind identisch und die Grenzeurven (25), (26), 
sowie die zwischen ihnen eingeschlossenen Curven (20), schneiden 
sich also im Gipfel der Ordinate, die im Abstande A auf X folgt. 


Nachtrag. . 999 


Während im allgemeinen Falle für = — », ne, 
x 
t= +, «= — be ist, hat man für Y = 0 
a N a 
jun B — 0 
De Do ea u la 


für jede Zeit. 

Setzt man B=2rX +6, Y= — ö, wo 8 eine beliebig kleine, 
aber endliche positive Grölse, so wird alsbald die Axe der Zeiten 
wieder geschnitten, wenngleich erst zur späten Zeit 


l IX 08 
= T+ ,.1og( 2 —) 


’ 


man hat wieder den ersten Hauptfall, und befindet sich in dessen 
erstem Zeitabschnitt. Setzt man umgekehrt = 2rX+8,B—=—$, 
so ist diesmal die Axe der Zeiten geschnitten worden zur längst 
verflossenen Zeit 


1 De 0 
= T— 105 ( =): 


’ 


man befindet sich im dritten Zeitabschnitt des ersten Hauptfalles. 

Wir wollen nun, um die Vorgänge in beiden Hauptfällen 
ihrer Gröfse nach vergleichbar zu machen, T=r und X an 
setzen. Dabei ist zu bemerken, dafs, da jetzt nicht wie im ersten 
Hauptfalle, zu » und & ein für allemal eine bestimmte Geschwin- 
digkeit («= 0, s. oben S. 542) gehört, der Verlauf der Curven 
zwischen den Grenzcurven ein unbestimmter bleibt, so lange nicht 
die Geschwindigkeit &’ gegeben ist. Es entspricht also jedem & 
jetzt vielmehr von Ablenkungs- und Geschwindigkeitscurven eine 
ganze Schaar, deren Steilheit mit & wächst, weil A unabhängig 
von E ist. 

In Fig. 2 sind die beiden Curven oberhalb der Abseissen- 
axe die Grenzcurven der Ablenkungscurven, die unterhalb die 
Grenzceurven der Geschwindigkeitscurven des zweiten Hauptfal- 


les; jede Curve trägt die Ordnungszahl der durch sie vorgestellten 

Gleichung. Die Annahmen, unter denen die Curven construirt 

wurden, sind dieselben wie in Fg.l:Z=1,a=1,d=4. 

Der Mafsstab ist derselbe, und gleiche Zeitpunkte stehen in beiden 

‘Figuren senkrecht untereinander. Schreitet man auf der Abseis- 
38% 


554 . Nachtrag. 


senaxe von r aus in beiden Richtungen um Abstände = A fort, 
so bilden die zugehörigen Ordinaten jeder der vier Grenzcurven 
eine Reihe, deren allgemeines Glied für 


(23), .. eb), 0: 
22%, x Di — mr ed 


ist, wo für v in der Richtung von —t nach +1 die Reihe der 
positiven und negativen ganzen Zahlen zu setzen ist. Die Curven 
(23) und (25) liegen völlig symmetrisch zur Abscissenaxe, und so 
dafs bei r, v—=0 ist; die Curven (24) und (26) dagegen sind 
zwar auch symmetrisch, aber gegeneinander in der Richtung der 
Abseissen um A verschoben, so dafs für (24) v bei 7, für (26) 
bereits bei i,,°= 8, ist. 

Denkt man sich die Curven |beider Hauptfälle, wie Fig. 1 
und 2 sie darstellen, auf dieselbe Abscissenaxe aufgetragen, so 
schneiden sich die Ablenkungscurven des zweiten Hauptfalles im 
Gipfel der Maximal-Ordinate & der Ablenkungscurve des ersten 
Hauptfalles. Ebenso schneiden sich die Geschwindigkeitscurven 
des zweiten Hauptfalles im Gipfel der Maximal-Ordinate der Ge- 
schwindigkeitscurve des ersten Hauptfalles: denn die miteinander 
identischen Gleichungen (28) sind es auch mit (15). Von den 
Maximis ab nach den positiven Zeiten hin verlaufen die Curven 
des zweiten Hauptfalles näher der Abseissenaxe als die des ersten. 

Denkt man sich den zweiten Hauptfall auf die andere Scalen- 
seite verlegt, so entstehen in der Richtung von nach den nega- 
tiven Zeiten hin Schneidepunkte seiner Curven mit denen des 
ersten Hauptfalles. Unter den unseren Figuren zu Grunde liegen- 
den Annahmen rücken jedoch für die beiden steileren Grenzcurven 
des zweiten Hauptfalles diese Schneidepunkte in die negative Un- 
endlichkeit. 

Im Fall einer dem bei + x losgelassenen Magnet ertheil- 
ten, bx, aber nicht ax übertrefienden Anfangsgeschwindigkeit 
— c, ist es also, als sei der Magnet von der positiven Seite her 
aus dem Unendlichen gefallen mit einer Geschwindigkeit, grölser 
zwar als die gröfste Geschwindigkeit bx, die der Magnet bei + x 
durch Fall von einem unendlichen positiven &, d. h. aus negativer 
Unendlichkeit höherer Ordnung, erlangt hätte (s. oben S. 547), 
aber nicht grofs genug, um den Magnet über den Nullpunkt zu 
treiben, wozu die Geschwindigkeit im Endlichen ax übertreffen muls. 


Nachtrag. 953 


$. VI. Behandlung des Grenzfallese =n. 


Der Grenzfall z = n kann für sich behandelt werden, oder 
auch indem man in den obigen Formeln a = b setzt. 

Man hat zunächst anstatt der beiden Gleichungen (4) hier 
nur die eine Gleichung 


(e+F)et—=cont=(X+X')e?!.. . (8) 
Diese Gleichung integrirt giebt 
zet—=t(eX + X)e!+G, 


wo C eine willkürliche Constante ist, die dadurch bestimmt wird, 
dafs für =T, 2 —=X sein solle. So erhält man 


z=eTNIX—(T—t)(eX HN)... (892) 
und durch Division mit (31) in (32) 

Emm or 

ex + «X eX + X 
Gleichung (12) ergiebt für a=b: 


a9 (—2)’.e "MP —v+et—er)$, 


— T= const. 


und daher fürv=0 und v=1 
a E69 lı -er—Hl,.. .....°@8) 
N 


Diese Gleichungen entsprechen den Gleichungen (XIV) und 
(XV) der Abhandlung. Da für a = b der beständige Zeitunterschied 


1 . 5 = 
A= — wird, so ist für 
€ 


1 1 2 
b=T—- 25 Het mywoner, URAN“ 

€ € € 
2.0, 2 0.00.20 .05 Di 30, u.8.w. 
Wird & positiv genommen, so sind frt= —eo:2 = —o, 


x = + oo, und zwar, der geringeren Dämpfung halber, beide von 


>. 2. 
höherer Ordnung, als für ein endliches r; FE ist = —. Im 


Endlichen sind die Curven (33), (34) zunächst convex gegen die 
Abscissenaxe der Zeiten. Ws folgen einander in dem wiederum 
nur von den Constanten der Vorrichtung, nicht von & abhängigen 


996 Nachtrag. 


1 . . . .. » 
Abstande — die vier Zeitpunkte £,, 7, t, th. Für t= + oo schlie- 
€ 


(sen sich beide Curven asymptotisch der Axe der Zeiten an, und 
a ist = — Een. 

Die in der Abhandlung aufgestellten Gleichungen für die ver- 
schiedenen Fälle mit und'ohne Anfangsgeschwindigkeit findet man 
ähnlich wie dies im $. IV für ein endliches r gezeigt wurde, indem 
man in (32) für 7, X, X’ die Werthe 0, 0, 205.5, Er OnUEE > 
einführt und t,4 7; bi, == 0 Setzt. 

Soll zur Zeit t der Nullpunkt noch zu überschreiten, d.h. soll 


HH 
ec + x 


u -t=— 


positiv sein, so müssen z und «' verschiedenen Zeichens, und der 
absolute Werth von x’ muls gröfser als der von ex sein. Diese 
Bedingung ist nur für die Zeit £ erfüllt, welche dem Zeitpunkt t, 
vorangegangen ist, da im folgenden Zeitabschnitt A, bis zu 7 hin, 
x und x’ einerlei Zeichens sind, von r ab aber, wo & und «' wie- 
der verschiedenen Zeichens sind, der absolute Werth von x’ kleiner 
als der von ex ist, und diesen erst für 2= + ©o erreicht. Das 
also ist der wahre Sinn der in der Abhandlung gefundenen Be- 
dingung a’ > (— :x) für das Überschreiten des Nullpunktes im 
Falle r—= 0 (vergl. oben 8.533). 

Der zweite Hauptfall findet hier nicht mehr statt, sondern der 
Nullpunkt wird überschritten, sobald die Geschwindigkeit die Fall- 
geschwindigkeit aus der negativen Unendlichkeit höherer Ordnung 
übertrifft, d.h. «' gröfser ist als a. 


$. VIL Die Curven der Geschwindigkeiten bezogen auf 
die Ablenkungen im allgemeinen Falle >n. 


Das Ganze dieser Beziehungen wird klarer, wenn wir von 
x und «' als Functionen der Zeit übergehen zur Betrachtung von « 
als Function von &, & = $(«x) (vergl. Abh. 8.821 und oben 9. 538). 

In Fig. 3 stellt die Gerade [— x, 0, + x] die beiderseits vom 
Nullpunkt in’s Unendliche sich. erstreckende Scale vor, auf welche 
als Abscissenaxe die Geschwindigkeiten x’ als Ordinaten aufgetragen 
sind. Die beiden Geraden AA’, BB’ stellen die beiden Gleichungen 
(29) und (30): 


ad=—orn, „=—bi 


Nachtrag. 997 


vor. Die Curve tyr tt, 0 ist alsdann für ein positives & die Curve 
des ersten Hauptfailes, welche auf der negativen Seite aus dem 
Unendlichen kommend im Punkte = + £& zur Zeit r die Scale 
schneidet, und bei 0 von der positiven Seite her physikalisch 
endet. Die Punkte t,, 7, &, t, bezeichnen die oft erwähnten, 
eine arithmetische Reihe bildenden Zeitabschnitte A. Kommt der 
Magnet von der anderen Seite, so hat die Curve die Lage 70. 
Die Curven des zweiten Hauptfalles liegen wie 08, 05’ nothwen- 
dig zwischen den Geraden AA’, BB’, die selber den Grenzcurven 
(25), (26) entsprechen; aus dem Unendlichen kommend enden 
auch die Curven 0£, 0%’ und die Geraden 0A, 04’, 0B, 0B' 
physikalisch am Nullpunkt, und die im rechten unteren Quadran- 
ten verlaufenden, 04’, 0€', 0B', entsprechen ihrer Lage nach den in 
unserer Fig. 2 dargestellten Curven. 

Wo immer man von einem Punkt irgend einer der Curven 
parallel der ’-Axe eine Gerade nach einer der Geraden AA’, BB' 
ziehe, wie z. B. Ya, r'bin der Figur, findet man für die Länge der 
Geraden ra, Y’b beziehlich den Ausdruck au + a, bx+ x, wo as, 
bx und «', je nach der Lage des Curvenpunktes, positiv oder negativ 
sind. Wir gelangen so zur Einsicht in die Bedeutung der für uns so 
wichtigen Ausdrücke (9). Sie messen in der Richtung der «'-Axe 
die Entfernung des Curvenpunktes von den Geraden AA’, BB'; 
und sie sind positiv jedesmal dafs der Punkt (in unserer Figur) 
nach oben und rechts von der Geraden liegt, negativ im anderen 
Falle; daher sie für die zwischen den Geraden AA’, B.B! liegen- 
den Curvenpunkte, wie der zweite Hauptfall es mit sich bringt, 
verschiedenen Zeichens sind. 

Eliminirt man die Zeit zwischen den Gleichungen (16) und 
(17) des ersten Hauptfalles (vergl. die achte Folgerung), so erhält 
man die mit dem Ausdruck auf $. 827 der Abhandlung identische 


Gleichung 
ax + x«\* bxz-+ «'\® 
( ae ) == ( b ==) ..e f} . f} . (35) 


welche also die Gleichung der Curve t, + £, t,, 0 ist. Eliminirt 
man ebenso die Zeit zwischen den Gleichungen (19) und (20) des 
:zweiten Hauptfalles, so erhält man 


fax + a\* bz+z\? Fi 
( BT Yl Se) D D D . (36) 


\ 


998 Nachtrag. 


als Gleichung aller der Curven 0g’, die für irgend ein X und ® 
zwischen den Grenzcurven 04’, 0.’ liegen. 


Setzt man in (36) 


(37) 


so unterscheiden sich (35) und (36) nur noch durch das negative 
Zeichen von DE in (36), dem aber auch, nach den Voraussetzungen 
des zweiten Hauptfalles, ein negativer Werth des Zählers bx + «' 
entspricht. Durch dieselbe Substitution werden die Gleichungen 
(19) und (20): 


E 
2. (ae ee a N) 


ELLE ZT Zr N 


sie unterscheiden sich also von den entsprechenden Gleichungen 
des ersten Hauptfalles (9) und (10) 


E ’ 
NS b(7-1) _ heard) 
= ae e 
2 \ ) 


Eab 
> a(r—t) b(r—! 
a — e —e 

N ) 


nur noch dadurch, dafs in den Gleichungen (38), (39) 7 für + 
steht und beide Termen in der Klammer positiv sind; sie werden 
identisch mit den Gleichungen (16*) und (17*) auf S. 550, wenn 


. L r 
man T= r und wie dort &= — $, setzt. 
€ 


Unter der zu einem bestimmten X und 7' gehörigen Schaar von 
Ablenkungscurven (19) des zweiten Hauptfalles und der entsprechen- 
den Schaar von Geschwindigkeitscurven (20) giebt es also stets 
ein Paar zusammengehöriger Curven, deren Gleichungen durch 
Eliminiren der Zeit einen Ausdruck liefern identisch mit dem, 
welchen gleichfalls durch Eliminiren der Zeit die Gleichungen der zu 
einem bestimmten £ und r gehörigen Ablenkungscurve und Geschwin- 


Nachtrag. 559 


digkeitscurve des ersten Hauptfalles liefern. Es ist jenes Paar das, 
für welches zur Zeit = 7') in (19) und (20) 


a—+b 

. (40) 
rl, Mh 2ab 
nom >a—b 


sind [(37), (38), (39)]. Wir wollen dies X und X’, zum Unterschiede 
von dem allgemeinen, X, &%, und die zugehörige Zeit X nennen. 
& ist > &; soll Curve (38) durch den Gipfel der Ordinate £ gehen, 
so mufs TÜ > r sein. Weitere Bemerkungen über das gegenseitige 
Entsprechen der bezüglichen Curven des ersten und zweiten Haupt- 
falles finden sich oben in der fünften und sechsten Folgerung. Das 
dortige &, ist hier X genannt. 

Von dem so bestimmten Curvenpaare werden sich die «’' des 
zweiten Hauptfalles, bezogen auf dessen x, mit den x’ des ersten 
Hauptfalles, bezogen auf die gleichen x, für das nämliche & in 
Eine Construction zusammenfassen lassen. Zu dieser schreiten 
wir nun, indem wir von den übrigen Ourven des zweiten Haupt- 
falles, welche zu der des ersten Hauptfalles nicht in der eben 
entwickelten, merkwürdigen Beziehung stehen, vorläufig absehen. 

Um Gleichung (35) auf eine für die Discussion bequemere Form 
zu bringen, machen wir die Geraden AA’, BB’ zu Axen eines 
schiefen Coordinatensystemes; die Gerade BB’ sei die Abseissen- 
axe, die Gerade AA’ die Ordinatenaxe; die neuen Abscissen eines 
Punktes x, x' der Curve (z. B. des Punktes r’ in der Figur) mö- 
gen I, die neuen Ordinaten  heilsen. Man hat 


1) Wegen der Schwierigkeit, Gleichung (16°) umzukehren, und die Zeit als 
explicite Function von x darzustellen, läfst sich von der Zeit 7 nur noch 
aussagen, dals sie zwischen 


ab a ne 


1 
ee 2,108 ( 5) under# — 7 log 


a 
liege. Dies sind die Werthe für 7, die den Gleichungen (23) und (24) der 
Grenzcurven, zwischen denen die Ablenkungscurven des zweiten Hauptfalles 


2 b 
verlaufen, fire =&8undX=E& — (40) genügen; die Zeiten also, zu 


a—+b 
7 annehmen. 


welchen die Ordinaten dieser Curven den Werth & 


ad 


960 Nachtrag. 


5 Sin@e— PR) 


aat!= 
cos «& 
sin eh 
ee) 
R cos » 


wo « und £ die zu a und db als Tangenten gehörigen Winkel be- 
deuten, und durch Einsetzen dieser Werthe in (35) 


ar a ar - 
_—————{ == en N] er ie 41 z 
(nr ) (Sr ) ae 


oder, wenn wir kürzehalber 


= a BYıza)“ _ 


(a Yı + 5)’ 


(ei 
- 
setzen, 


a dr ee) 


Wir haben es also mit einer auf schiefe Coordinaten bezogenen 


Parabel vom „ten Grade zu thun. Sind a und 5 ganze Zahlen, 


1) Nennt man x, «, n, 9 die geraden und schiefen Coordinaten eines be- 
liebigen, X, X’, H, © die eines gegebenen Punktes einer der vier Curven, so 
kann man stets setzen 


ara bete  M% 
aRLX LOWER X TEN? 


also, da nach (4) 


a bxz + 
=: 
Se ei ee 


Macht man X=-+£, X’=0, so werden H und ® die schiefen Coordi- 
naten H;, ®. des E-Punktes, in welchem die Curve des ersten Hauptfalles 
die c-Axe schneidet (s. bei r in der Figur). Es ist 


eva 
me cos ß _5EYıra | 
5 sin (@ — ß) 2r 
\ (41) 
0,=a ae cos & re 
sin (@ — Pß) 2r 


Durch Einsetzen dieser Werthe in (41a) erhält man gleichfalls (41). 


'achtrag. 561 


so bestimmen deren Geradheit oder Ungeradheit und das Zeichen 
von ©, in welchem der vier Coordinatenwinkel Parabelzweige liegen 
und wie sich diese im Nullpunkte verhalten, ob sie in einander 
übergehen, eine Spitze bilden, u.s.w. C würde beiläufig in diesem 
Falle, wegen des geraden Exponenten 2r, auch für ein negatives & 
positiv sein. Physikalisch hat indefs, wie schon bemerkt, ein Zu- 
sammenhang der Curven im Nullpunkte keinen denkbaren Sinn; 
auch werden «@ und b nur ausnahmsweise nicht irrationale Zahlen 
sein. Ohne die am Nullpunkte möglichen Singularitäten weiter zu 
ergründen, schreiben wir Gleichung (42) daher besser folgender- 
malsen: 


81087, —alo2 9 -+10uC . . „2... (49) 


I ist von gleichem Zeichen mit £, und für jeden der beiden Werthe 
von I kann +, wiederum positiv oder negativ sein; die Logarith- 
men sind von den absoluten Werthen der Grölsen zu nehmen. 
So stellt Gleichung (43) für jede der vier möglichen Zeichencon- 
binationen je einen Curvenzweig vor, der sich vom Nullpunkt 
in’s Unendliche erstreckt. 

Beispielsweise betrachten wir nun näher das Paar dieser 
Zweige, welches den beiden Werthen von 7 für ein positives E 
und © entspricht. Der bequemeren Discussion halber kehren wir 
dabei zu der Gestalt der Gleichung zurück, wie sie (42) zeigt. 
Der erste Differentialquotient ist 


1 2rT 

ee 

I 

der zweite 

2 1 a 

Y Tr SEP] 
d 2 a 6 SS 
ds DENE: 


Welchen endlichen Werth man auch a und 5 beilege, für <= 0 
d 

sind z und auch 75 0; die Curven berühren also im Nullpunkte 

die Gerade BB’, entsprechend unserem früheren Ergebnifs: für 

t=+0%°, @=—bx in beiden Hauptfällen [(18), (22)]. Beide 

Zweige steigen convex gegen die Abscissenaxe vom Nullpunkt 

in’s Unendliche beziehlich auf- und abwärts, wobei der den po- 


sitiven „ entsprechende Zweig den Nullpunkt überschreitet, der 


562 Nachtrag. 


den negativen » entsprechende auf der positiven Scalenseite bleibt. 
Die Construction lehrt, dafs in der Nähe des Nullpunktes die 
Krümmung der Curve oberhalb der Geraden BB’ eine stärkere 


> m Q dr 
ist als unterhalb. Für $= + oo werden Ey und = 713 —= 00; 


we 
beide Zweige entfernen sich also immer weiter von der Geraden 
AA4', nehmen aber dabei immer mehr deren Richtung an, ent- 
! 
% 


sprechend unserem früheren Ergebnils: fürt= — », —— —a 
® 


in beiden Hauptfällen. 
Die Gleichung einer Tangente an irgend einem Punkte +,, S 
der Curve, auf dieselben schiefen Coordinaten bezogen, lautet 


a 
A m . 2 (0 —S}), 
wy 


wo H, © die Coordinaten der Punkte der Tangente bedeuten. 
Setzt man für x,, ©, die Coordinaten Hz, ©; des &-Punktes 
[(41b), $. 560 Anm.], so wird die Gleichung 


Hcose=9cosß —E. 


Dies ist die Gleichung einer Geraden, welche parallel der «-Axe 

durch den E-Punkt bei x geht: die Curve des ersten Hauptfalles 

schneidet folglich die x-Axe senkrecht (vergl. Abhandl. S. 826). 
Es ist gleichgültig, ob man in (41) » und $ mit einer Con- 


£ I: le 
stanten %, oder ob man 5 mit un multiplieirt: Veränderung von & 


erzeugt also eine Schaar ähnlicher Öurven. 

Bei gleichem $ ist „ um so kleiner, je größser 5 E=» 
macht 4 = 0 für jedes endliche $. Bei wachsendem positivem & 
schmiegen sich mithin die Curve des ersten und die des zweiten 
Hauptfalles, jene von oben, diese von unten, vom Nullpunkt her der 
Geraden B,B' auf der positiven Seite an; für &= © verschmelzen 
sie im Endlichen mit dieser Geraden. Hinsichtlich der Curve des 
ersten Hauptfalles entspricht dies Ergebnifs unserem früheren Er- 
gebnifs: für &E=+®, !—=—bx für jedes endliche t (5. oben 
S. 538; Abhandl. $. 826); nur denken wir uns jetzt das unend- 
liche & entstanden durch Überschreiten des Nullpunktes mit un- 
endlicher Geschwindigkeit nach Fall aus unendlicher Ferne höherer 
Ordnung (vergl. oben 8. 547). 


Nachtrag. 569 


E=0 macht C= », also * —= 0 für jedes endliche +; die 
Curve des ersten Hauptfalles fällt zusammen mit der Geraden 
AA’ auf der negativen und die Curve des zweiten Hauptfalles mit 
derselben Geraden auf der positiven Scalenseite, und so geht hier 
beziehlich der erste Hauptfall in den zweiten, oder der zweite in 
den ersten über. Dies ist das analytische Abbild dessen was man 
beobachtet, wenn man für e>n dem Magnet im Augenblicke, wo 
man ihn aus einer stets gleichen Ablenkung fallen läfst, beziehlich 
einen immer schwächeren oder immer stärkeren Inductionsstofs 
ertheilt, so dafs zuletzt der Nullpunkt nicht mehr überschritten 
wird, oder eben anfängt überschritten zu werden. 


Q : 5 5 . 
Macht man „=> wird die Curve eine gemeine Parabel, 


L 
nıong. 

welche die $-Axe im Nullpunkte berührt, deren Axe der y-Axe 
parallel, und deren Parameter 


sin (@a—ß 
„eD 
0 


ist. Die Curve des zweiten Hauptfalles auf der negativen Seite 
ist die Fortsetzung der Curve des ersten Hauptfalles auf der po- 
sitiven Seite und umgekehrt; man hat zwei Parabeln, die einander 
im Nullpunkte berühren. 

Da die Tangente am Scheitel der Parabel senkrecht steht auf 
der Parabelaxe, welche mit der Tangente am negativen Maximum 
der auf die &-Axe bezogenen Parabel den Winkel «, mit der 
Tangente am E-Punkt den Winkel 90° — « bildet, so fällt der 
Scheitel weder mit dem einen, noch mit dem anderen dieser beiden 
Punkte zusammen, sondern liegt zwischen ihnen, um so näher 
dem Maximum, je grölser, um so näher dem &-Punkte, je 
kleiner «. 


Macht man nun noch «= 45°, also a=1, b=14, so folgt 


aus den Eigenschaften der Parabel, dafs der Scheitel in der Mitte 
zwischen den beiden Punkten liest. Die den £-Punkt und das 


= 


Maximum verbindende Gerade geht durch den Brennpunkt F, ihre 
Länge rt, ist der Parameter 


564 Nachtrag. 


nr een 0,35355. 
2y 2 
Das Maximum «', ist = — 1; die Axe der Parabel schneidet die 
z-Axe bi y=4; X, Ist = 2 U.8.W. Diese Verhältnisse liegen 
Fig. 3, und wie schon bemerkt, auch Fig. 1 und 2 zu Grunde 
(vgl. oben S. 545. 553). 

Die übrigen Curven des zweiten Hauptfalles sind jetzt noch 
genauer zu betrachten. Für eine und dieselbe Vorrichtung, d.h. 
ein und dasselbe a und b entspricht im zweiten Hauptfalle jedem 
X eine Schaar von Curven der Ablenkungen und eine Schaar von 
Curven der Geschwindigkeiten bezogen auf die Zeit. Die ein- 
zelnen Curven dieser beiden Schaaren unterscheiden sich durch 
den Werth von X’, welcher zwischen 5bX und aX schwankt. 
Da unendlich viele X denkbar sind, giebt es dergestalt unend- 
lichmal unendlich viele Ablenkungs- und Geschwindigkeitscurven 
des zweiten Hauptfalles bezogen auf die Zeit. Wird aber die 
Geschwindigkeit auf die Ablenkung bezogen, so hat man nur 
noch Eine Curvenschaar des zweiten Hauptfalles, welche, mit den sie 
einschliefsenden Grenzeurven, für alle Werthe von X dieselbe bleibt. 
Denn da die Bewegung des Magnetes durch bestimmte Geschwin- 
digkeit bei bestimmter Ablenkung eindeutig bestimmt ist, kann 
durch einen zwischen den Geraden A4', BB' gelegenen Punkt, als 
Gipfel einer Geschwindigkeitsordinate, auch nur Eine Curve gehen. 
Je gröfser A und je kleiner folglich B (s. oben S. 551), um so 
näher der Geraden BB’, je gröfser B und je kleiner X, um so 
näher der Geraden AA’ verläuft die Curve; für Y= 2rX, 5=0 
fällt sie mit BB', für B=2rX, A—= 0 mit AA’ zusammen. Die 
zu einem bestimmten X gehörigen Ordinaten — BX, — X, — aX 
aber sind jedesmal die nämlichen, die in Fig. 2 bei gleichem Mafs- 
stabe zu demselben X und zur Zeit 7 gehören würden (27). 

Für t= r z.B. schwankt in Fig. 2 die Ordinate sämmtlicher Ge- 


£ 
schwindigkeitscurven zwischen 2 = _ und <=—-£, während 


sämmtliche Ablenkungscurven sich im Gipfel der Ordinate + & 
schneiden (vergl. oben $. 554). Demgemäfs sind in Fig. 3 die 
Ordinaten — a£ und —b£ der Geraden AA, BB, beziehlich = 1 
und —=4. Dagegen schneiden sich in Fig. 2 sämmtliche Geschwin- 


digkeitscurven bei tz, im Gipfel der Ordinate — 7, während 


Nachtrag. 565 


= 


E 
die Ordinate der Ablenkungscurven zwischen = —+ 7 undde=+ 5 


schwankt (vergl. oben 8. 554). In Fig. 3 stellt sich dies so dar, 
dafs die der z-Axe parallele Gerade « —=1 die Gerade A4’ bei 


en = die BBbeis= + 2 schneidet. In Fig. 2 würde 


mit wachsendem £ die Steilheit der Curven wachsen (s. oben 
5.553); in Fig. 3 bleiben die Curven für jedes £ die nämlichen, 
und nur die bezeichneten Schneidepunkte rücken mit wachsendem 
& weiter vom Nullpunkte fort. 

Man vergegenwärtige sich nun die Schaar der durch £ unter- 
schiedenen Öurven des ersten Hauptfalles. Mit einer jeden von 
diesen wird eine der durch X und 9 unterschiedenen Curven des 
zweiten Hauptfalles in der obigen Art gemeinsam construirbar sein; 
und eine einfache Construction dient, die so zusammengehörigen 
Curven beider Hauptfälle zu bestimmen. Diese Construction ist 
in Fig. 4 in kleinerem Mafsstabe besonders vorgeführt, da sie für 
ein so grolses &, wie es aus anderen Gründen in Fig. 3 nöthig 
war, zu weite Ausdehnung dieser Figur bedingt hätte, wie denn 
aus demselben Grunde in Fig. 2 die Darstellung der zu & gehörigen 
Curven unterblieben ist. 

Aus (36) folgt, dafs, wenn W, B’ das X und B bedeuten, für 
welches X = X, X’ —= X, man stets haben müsse 


WIBEesgeDb. 


Man ziehe irgendwo eine der x'-Axe parallele Gerade X4A', und 
theile die Strecke — (a — b) £—= B’A' im Verhältnis von a: b so 
ein, dafs das a entsprechende 'gröfsere Stück an A’ stolse. Man 
hat dann 


BOT Are BER AVE: 
die Punkte X, B', C', A’ liegen harmonisch, und die Geraden 
0%, oB', 00, 04’ sind harmonische Strahlen. Zieht man von @' 
nach r dem Strahle 0.4’ parallel eine Gerade, so wird diese durch 
den zugeordneten Strahl 02’ in ihre beiden Hälften ++ und — y 
getheilt. Da 02’ die I-Axe ist, so sind C’' und r Curvenpunkte, 
und der Strahl 0C', der zur Gleichung hat (40) 


; 2ab 


I = — 


ab” 


966 Nachtrag. 


ist der Ort aller Curvenpunkte des zweiten Hauptfalles, deren + 
bei gleichem > dem 5 des &-Punktes irgend einer Öurve des 
ersten Hauptfalles gleich und entgegengesetzt it. aa + —=W 


ist sichtic= a& PB £&+ = —- Ü = — 2. In Fig 4 sind 
abermals &=1, a=1, b= # gemacht; demgemäls ist X = 3, 


%' — 2; die Gleichung des Strahles 0 0’ ist 


Da für alle Curven des zweiten Hauptfalles, ausgenommen für die 
Grenzeurve 04’, am Nullpunkte «' = — bx [(22), (29)], und für 
alle, ausgenommen für die Grenzcurve OB’, im Unendlichen 


EINER BNG [(21), (23)], so schneiden sämmtliche Curven den 


Strahl 0C’. Schreibt man Gleichung (36) 


Ba.) u ae ar 

CET De 
so zeigt sich abermals, dafs für E—0, 2,0 0 und etor 
E=©, «—= — ba wird (vgl. oben 8.562); der Annahme Se) 
genügen aber ferner X und X = 0, und der Annahme & = & 
genügen X und X —= #; für &= 0 also rückt der Schneide- 


punkt C’ auf der Geraden 0C’ an den Nullpunkt, für 2 esEn 
die Unendlichkeit. 


- 


$. VII. Die Curve der Geschwindigkeiten bezogen auf 
die Ablenkungen im Grenzfalle=n. 


Denkt man sich den Winkel «— £ immer kleiner bis zum 
Verschwinden, so hört im Augenblicke, wo die Geraden AA’, BB' 
zusammenfallen, der zweite Hauptfall zu bestehen auf, und von den 
vier Curvenzweigen der Fig. 3 bleiben nur die beiden übrig, welche 
den ersten Hauptfall vorstellten. Auch die Transformation, bei 
der jene Geraden als Axen eines schiefen Coordinatensystemes be- 
nutzt werden, wird unmöglich. Man kann aber mit ausreichen- 
dem Erfolge diese Transformation durch mehrere andere, z.B. 
durch die in Fig. 5 sichtbare, ersetzen. Hier ist 02,6 rt, wieder 
die Curve «= »#(a) für ein positives, Ort, die für ein nega- 
tives &. 


Nachtrag. 567 


Die gegenwärtige Construction entsteht aus der vorigen, wenn 
man sich unter der >-Axe jetzt die Gerade denkt, welche mit der 
x-Axe den zu e als Tangente gehörigen Winkel w einschliefst, 
während man in Gedanken die 7-Axe so weit von der S$-Axe 
fortdreht, dafs sie mit der x'-Axe zusammenfällt. Die Richtungen, 
in denen die „ und I wachsen, bleiben dieselben. 

Ganz wie für ein endliches r die Ausdrücke (9) den Abstand 
der Curvenpunkte von den Geraden AA’, BB' in der Richtung 
der x'-Axe mafsen, mifst nun 22 + «’ deren in derselben Richtung, 
also auch in der Richtung der „-Axe, genommenen Abstand, z. B. 
des Curvenpunktes x von der Geraden «= — ex. Man hat also 


=: +a, 


positiv auf der oberen, negativ auf der unteren Seite der I-Axe. 
Man hat ferner 


en —ı% sin W. 


Eliminirt man die Zeit zwischen den Gleichungen (33) und 
(34), so erhält man die mit dem Ausdruck auf 8. 825 der Ab- 
handlung identische Gleichung 


Ex 


NF- Ss 
order sarah. (44) 


die hier die Stelle von (35) vertritt. Indem man in (44) für 
ex + x, ex die obigen Werthe setzt, kommt 


„= e£&e 4 ee en (An) 


& 
g— 2 2 os te B 
er log ( el a (Ai0)) 


woraus sich das Nöthige ergiebt. Macht man &£ negativ, so wer- 
den s und I negativ; die Gleichung stellt also beliebig den einen 
und den anderen der beiden Curvenzweige vor, welche physikalisch 
nur getrennt Bedeutung haben. Wir verfolgen von diesen Zwei- 
gen den oberhalb der S-Axe gelegenen. Bei der Discussion ist 
es diesmal bequemer, die „-Axe als Abseissen-, die $S-Axe als 
Ordinatenaxe anzusehen. 
[1870] 39 


oder 


568 Nachtrag. 


S- 1 1 eE 
— = [6) 
dr sın w 5 Y ; 


— — — 


dv? 7 sin w 


Es ist 


Am Nullpunkte fällt die Curve zusammen mit der I-Axe, 
entsprechend dem obigen Ergebnifs: frt= +», = — eu. 


Die Curve steigt dann, concav gegen die 7-Axe, bis zu einem 


Maximum am £-Punkte bei r abwärts, wo „= eö; da hier 


dS 
— 0 ist, schneidet die Curve die &-Axe senkrecht (vergl. Ab- 


dr 

handlung $. 823). Von hier ab steigt sie ohne Wendepunkt in’s 
Unendliche an. Bei » = es£ schneidet sie die „-Axe; fortan ist 
ihre Ordinate negativ, und sie selber convex gegen die Abscissen- 
axe; zuletzt für „= © nimmt sie wieder die Richtung der 
S-Axe an, entsprechend dem obigen Ergebnifls: für = — », 
er 

£ 


Es ist gleichgültig, ob man in (45) oder (46) » und > mit 
einer Constanten k, oder ob man & mit - multiplieirt: Ver- 
änderung von £ erzeugt also eine Schaar ähnlicher Curven. 

Für £E= 0 schmiegt sich die Curve dem negativen, für 
E= oo dem positiven Schenkel der $-Axe an, und im letzteren 
Fall ist es als sei der Magnet aus unendlicher Ferne höherer 
Ordnung gefallen und habe den Nullpunkt mit unendlicher Ge- 
schwindigkeit überschritten. 

Macht man £ negativ, so verlegt man dadurch den Vorgang 


auf die andere Sealenseite, auf der Alles Gesagte symmetrisch 
wiederkehrt. 


In der Figur ist » = 45°, E=1; das Maximum der Öurve 
1 2 ß 
x = $(x) wird dadurch = — m und liegt bei «= we die Or- 
2 a 
dinate des Wendepunktes wird — 58 und liegt bi x = ze’ 


endlich die Ordinate x’, ist =e. Die Fig. 3 der Abhandlung 
entspricht einem Theile dieser Figur, nur dafs dort 5, statt — 1, 
— 2 gemacht war. 


Nachtrag. 569 


Hr. Kronecker fügte folgende Bemerkung hinzu: 


Läfst man den Magnet aus einer positiven Ablenkung x 
ohne Dämpfung fallen, bis er eine Ablenkung: r.cosv erreicht, 
und erst an dieser Stelle die Dämpfung eintreten, was sich durch 
Schliefsen eines Gewindes bewerkstelligen liefse, so kann man 
für die weitere Bewegung des Magnetes die Gröfsen r und v als 
Constanten einführen. Hiernach erhält man, wenn der Nullpunkt 
der Zeit an den Eintritt der Dämpfung und 


Vb= ya.tgu ((<u<Hr) 


gesetzt wird, Ablenkung und Geschwindigkeit durch folgende 
Gleichungen bestimmt: 


cos (u + v) I sin (u — v) 


(aa+a)e'—n 
sin u cos u 


oder: 
” 2 —bi —at 
— (60824 = c08u4.c0o8 (u +v).e" — sinu.sin(u— v) e 
t 


' 
_ Es cos 2u = sinu.cos(u+ v). et — cosu. sin (u— vo)“. 


Für =0 wird: 


2 


2=rcosv, «=—ntsin®v 
a8 +&  cosuwcos(u+v) ax" sinucos(u-+ vo) 
be+z sinusn(w—o) beta" cosusinw—ov)' 
cos (u + v) 


Der Ausdruck durchläuft, wenn v von 0 bis u geht, 


sin (u — v) 
alle Werthe von cotu bis + oo, hierauf (während vo von u bis = 
wächst) stetig zunehmend alle Werthe von — oo bis cotu. Liegt 

7 
v zwischen 0 und % oder zwischen u und 7, so findet der 


erste Hauptfall statt, der zweite aber, sobald v zwischen « und 


a liegt 
Den 1Eegt. 


So lange se — wvist, d.h. so lange die Dämpfung bei 


einer Ablenkung eintritt, welche nicht kleiner als r.sinu oder 


Y b 
Nor ist, überschreitet der Magnet nicht seine Ruhelage x = 0, 


sondern nähert sich derselben asymptotisch von der positiven Seite 
33 


70 Nachtrag. 


. 7 l m a .. 
her. Wenn aber v zwischen er und = liegt und demgemäls 


die Ablenkung bei Eintritt der Dämpfung positiv und kleiner als 
v.sinu ist, so überschreitet der Magnet die Ruhelage, kehrt bei 
der negativen Ablenkung: 


a b 
— cos (u-+ v) \?7 sin % ?r 
cos u sin (v — u) 


um und nähert sich alsdann von der negativen Seite her wiederum 
. . 7 . . 
der Ruhelage. Wenn endlich ® zwischen 37 und r liegt, die 


Dämpfung also erst bei einer negativen Ablenkung beginnt, so 
bewegt sich der Magnet im Sinne wachsender negativer Ablenkun- 
gen weiter bis zu dem durch den Ausdruck (A) gegebenen Maxi- 
mum, kehrt alsdann um und erreicht schliefslich von der negativen 
Seite her seine Ruhelage. Der Werth «= 0 wird also für positive 


s m m 
endliche Werthe von ? nur erreicht, wenn W<Z U = ist, 


7 . 
der Werth z27= 05 wenn ESF u<v<eaıst 


970 Nachtrag. 


rl 


7 ur 
her. Wenn aber v zwischen ag und 5: liegt und demgemäfs 


die Ablenkung bei Eintritt der Dämpfung positiv und kleiner als 
v.sinw ist, so überschreitet der Magnet die Ruhelage, kehrt bei 
der negativen Ablenkung: 


a b 
— cos (u-+ v)\?r sin u ?r 
(A) 73%: (2) f () 
cos U sin (vd — u) 


um und nähert sich alsdann von der negativen Seite her wiederum 
® . 7 . . 
der Ruhelage. Wenn endlich v» zwischen wo und r liegt, die 


Dämpfung also erst bei einer negativen Ablenkung beginnt, so 
bewegt sich der Magnet im Sinne wachsender negativer Ablenkun- 
gen weiter bis zu dem durch den Ausdruck (A) gegebenen Maxi- 
mum, kehrt alsdann um und erreicht schliefslich von der negativen 
Seite her seine Ruhelage. Der Werth «= 0 wird also für positive 


: . 7 ME 
endliche Werthe von £ nur erreicht, wenn er u<v< 5 ist, 


T . 
der Werth x’ = 0, wenn Say u<v<a ıst. 


NHonatsbericht d. I A.d. W 


(25) 


E.du Bors-Raymond del £ 
(Lane lith. 


. 
. 
. 
. 
. 
2 TORE 
. 
a ) 
- 
x 
RE ; 
D 
Per, 2 
ARE ig 
4 i 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


Juli 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond. 


7. Juli. Öffentliche Sitzung der Akademie zur 
Feier des Leibnizischen Jahrestages. 


Hr. du Bois-Reymond, an diesem Tage vorsitzender Se- 
kretar, eröffnete die Sitzung mit einem einleitenden Vortrag über 
Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft (wird in 
einem der nächsten Hefte mitgetheilt werden). 


Hierauf verlas derselbe, als Sekretar der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse, folgenden Bericht über die von der Akademie 
gestellten Preisfragen: 


In der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage, dem 
4. Juli 1867, hatte die Akademie aus dem Eller’schen Legate 
folgende Preisfrage gestellt: 

„Eine grofse Anzahl der in dem Organismus der Thiere und 
Pflanzen vorkommenden chemischen Verbindungen hat die neuere 
Forschung aus den Elementen aufzubauen gelehrt. Für viele sol- 
cher Substanznen sind jedoch die Bedingungen der Synthese noch 
aufzufinden. Es ist zumal die Klasse von Körpern, welche unter 
dem Namen „vegetabilische Alkaloide“ zusammengefafst 
wird, deren synthetische Erzeugung bis jetzt kaum in Angriff ge- 
nommen worden ist. 


[1870] | 40 


572 Öffentliche Sitzung 


Die Akademie glaubt, dafs der Zeitpunkt für die Lösung die- 
ser Aufgabe gekommen ist und sie bietet daher einen Preis von 
100 Ducaten für die Synthese des Chinins, Cinchonins, Morphins, 
Strychnins oder Brucins. Der Preis würde auch dann noch zuer- 
kannt werden, wenn es dem Bewerber gelungen wäre aus einem 
der fünf genannten Alkaloide eine wohlcharakterisirte stickstofffreie 
Verbindung zu erzeugen, welche sich durch die Einwirkung des 
Ammoniaks beziehungsweise in Chinin, Cinchonin, Morphin, Strych- 
nin oder Brucin zurückverwandeln lielse.“ 

Auf diese Frage ist keine Antwort eingegangen. Die Aka- 
demie hat beschlossen, sie unter denselben Bedingungen zu er- 
neuern. Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der Arbei- 
ten, welche lateinisch, deutsch, französisch oder englisch geschrie- 
ben sein können, ist nunmehr der erste März des Jahres 1875. 
Jede Bewerbungssehrift ist mit einem Motto zu versehen, und die- 
ses auf dem Äufseren eines versiegelten Zettels, welcher den Na- 
men des Verfassers enthält, za wiederholen. 

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Preises von 100 
Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen 
Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1873. 


In der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage, dem 
2. Juli 1868, hatte die Akademie aus dem Steiner’schen Legate 
folgende Preisfrage gestellt: 

„Die von Steiner und anderen (zeometern über die Ober- 
flächen dritten Grades angestellten Untersuchungen haben be- 
reits zu einer Reihe wichtiger Eigenschaften derselben geführt. 
Aber die Theorie der Krümmung dieser Oberflächen ist von den 
bisherigen Untersuchungen fast unberührt geblieben. Die Akade- 
mie wünscht daher eine speciell hierauf gerichtete Behandlung der 
in Rede stehenden Oberflächen. Es würde sieh dabei zunächst 
um geometrische Constructionen für die beiden Hauptkrüm- 
mungs-Richtungen und Radien in jedem Punkt der Ober- 
fläche handeln. Als zu lösende Hauptaufgabe bezeichnet aber die 
Akademie 

die Angabe aller Oberflächen dritten Grades, deren Krüm- 
mungslinien algebraisch sind, sowie die Bestimmung 
und Discussion dieser Krümmungslinien. 


vom 7. Juli 1870. 573 


Es wird verlangt, dafs die zur Verification der Resultate die- 
nenden analytischen Erläuterungen der Lösung hinzugefügt seien.“ 

Auf diese Frage ist keine Antwort eingegangen. Die Akade- 
mie hat beschlossen, sie unter denselben Bedingungen zu erneuern. 
Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der Arbeiten, welche 
lateinisch, deutsch, französisch oder englisch geschrieben sein kön- 
nen, ist nunmehr der erste März des Jahres 1872. Jede Bewer- 
bungsschrift ist mit einem Motto zu versehen, und dieses auf dem 
Äufseren eines versiegelten Zettels, welcher den Namen des Ver- 
fassers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 
600 Thalern erfolgt in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen 
Jahrestage im Juli 1872. 


Den Statuten der Steiner’schen Stiftung gemäfs hat aber die 
Akademie zugleich beschlossen, den heute zu vertheilenden Stei- 
ner’schen Preis von 600 Thlrn. dem Hrn. Schläfli, Professor 
an der Universität zu Bern, für zwei von ihm veröffentlichte und 
in Verbindung miteinander stehende Abhandlungen zuzuerkennen. 

Die erste dieser Abhandlungen ist im 2. Bande des Quarterly 
Journal of Mathematics abgedruckt unter dem Titel: „An Attempt 
to determine the 27 lines upon a surface of the third order and 
to divide such surfaces into species in reference to the reality of 
the lines upon the surface.* Die zweite ist im December 1862 
durch Hrn. Cayley der Royal Society vorgelegt und in den Phi- 
losophical Transactions von 1863 gedruckt worden unter dem Ti- 
tel: „On the Distribution of surfaces of the third order into spe- 
cies in reference to the absence or presence of singular points and 
the reality of their lines.“ 

Seitdem die Grundlagen der Theorie der Flächen dritter Ord- 
nung gleichzeitig durch Steiner in Deutschland, durch Cayley 
und Salmon in England entdeckt worden waren, ist nach dem 
Urtheil der Akademie durch Niemand ein gröfserer Fortschritt in 


dieser Theorie gemacht worden, als durch Hrn. Schläfli in den 
beiden erwähnten Abbandlungen. Dies hat die Akademie bestimmt, 
Hrn. Schläfli den Steiner’schen Preis für das Jahr 1870 zu- 
zuerkennen. 


574 Öffentliche Sitzung 


Hierauf verkündete Hr. Haupt als Secretar der philosophisch- 
historisehen Klasse die folgende Preisaufgabe: 

Die Origines des Isidorus sind nicht nur unentbehrlich für 
das Verständniss der Litteratur des Mittelalters, das einen grossen 
Theil seiner Gelehrsamkeit aus ihnen schöpfte, sondern auch von 
Wichtigkeit für die classische Philologie, indem die von Isidorus 
ausgeschriebenen oder benutzten Stellen noch vorhandener älterer 
Schriften zur Berichtigung oder doch zur Geschichte der Texte 
Beiträge gewähren, ausserdem aber Manches aus verlorenen Büchern 
allein durch Isidorus erhalten ist. Die sichere Benutzung der Ori- 
sines wird aber erst möglich durch sorgfältige und soweit es er- 
reichbar ist erschöpfende Ermittelung ihrer Quellen. 

Die Akademie stellt daher für das Jahr 1873 als Preisaufgabe 
eine die Origines des Isidorus in der Reihenfolge der in 
ihnen enthaltenen Angaben begleitende Darlegung ihrer 
Quellen. 

Die von Isidorus ausgeschriebenen oder benutzten Stellen sind 
vollständig mitzutheilen. In einer Einleitung ist eine Übersicht 
über die von Isidorus gebrauchten Schriften zu geben, die Art der 
Benutzung darzulegen, was aus jetzt verlorenen Büchern genom- 
men ist zusammen zu stellen und es sind, soweit dies besonnener 
Vermuthung möglich ist, auch hier die Quellen aus denen Isidorus 
schöpfte zu ermitteln. 

Die Arbeit kann in deutscher, lateinischer oder französischer 
Sprache abgefasst werden. 

Die ausschliessende Frist für die Einsendung der dieser Auf- 
gabe gewidmeten Arbeiten ist der 1. März 1873. Jede Bewerbungs- 
schrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses auf dem Äus- 
seren des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Verfassers 
enthält, zu wiederholen. 

Die Ertheilung des Preises von 100 Ducaten geschieht in der 
öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli 
des Jahres 1873. | 

Derselbe trug hierauf den Jahresbericht der vorberathenden 
Commission der Boppstiftung vor. 

Für den 16. Mai des Jahres 1870 ist von den beiden zu ver- 
gebenden Raten die Hauptraten von 300 Thalern Hrn. Wllliam 
Duright Whitney, Professor in New-Haven in Connectieut, als 
ein Preis für seine Bearbeitung des Taittiriya Prätigakhya zuerkannt 


vom 7. Juli 1870. 575 


worden, ‚die zweite Rate, im Betrage von 150 Thalern, Hrn. Dr. 
Wilhelm Thomsen in Kopenhagen als ein Preis für seine 
Schrift über den Einflufs der germanischen Sprachen auf die fin- 
nisch-lappischen. 

Der Vermögensstand der Stiftung ist durch einen Beitrag des 
Hrn. Professors H. Blochmann in Caleutta im Betrage von 663 
Thlr. sowie durch Zinsüberschüsse um 300 Thlr. in preufsischer 
Staatsanleihe vom J. 1864 vermehrt worden. Das Vermögen der 
Stiftung besteht gegenwärtig aus 

a) 11,400 Thlr. preufs. atanleihe aus den Jahren 1854. 

1859. 1864, zu 44 Procent; 
b) 100 Thlr. preufs. Prämienanleihe vom J. 1855, zu 34 
Procent. 
Der jährliche Zinsertrag beläuft sich auf 5163 Thlr. 


11. Juli. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Kirchhoff las über die Tributlisten der Jahre Ol. 85,2 
971. 


14. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Weierstra(s las: Bemerkungen über das sogenannte 
Dirichlet’sche Princip. 


576 Gesammtsitzung 


Hr. A.W. Hofmann las über die aromatischen Cyanate. 


Die einzige dieser Klasse angehörige Verbindung, welche man 
einigermalsen studirt hat, ist das Phenyleyanat. Vor etwa 20 
Jahren habe ich diesen Körper in einer sehr complexen Reaction 
aufgefunden, indem ich eine Substanz, die ich damals mit dem 
Namen Oxamelanil oder Melanoximid'!) bezeichnete, und die 
man heutzutage als Oxalyldiphenylguanidin auffassen würde, 
der trocknen Destillation unterwarf. Das Phenyleyanat — ich 
nannte den Körper damals Anilocyansäure — bildet sich hier- 
bei in nur ganz geringer Menge; niemals hab’ ich mehr als einige 
Gramme in meinem Besitz gehabt und nur den scharf ausgespro- 
chenen Eigenschaften des Körpers ist es zu danken, dafs ich im 
Stande war ihn richtig zu interpretiren. 

Acht Jahre später bin ich diesem Körper von Neuem begeg- 
net. Nachdem ich gefunden hatte, dafs sich der Diphenylsulfo- 
harnstoff unter dem Einflufs des Phosphorsäureanhydrids in Anilin 
und Phenylsenföl spaltet, lag der Gedanke nahe, diese Reaction 
für die Darstellung des Phenyleyanats zu verwerthen und diesen 
Körper durch Destillation des normalen Diphenylharnstoffs mit 
wasserfreier Phosphorsäure zu gewinnen.?) 

In der That läfst sich denn auch auf diese Weise Phenyleya- 
nat darstellen. Man braucht trocknes Diphenylearbamid nur mit 
Phosphorsäure zu erwärmen, um alsbald den furchtbaren Geruch 
des Cyanats wahrzunehmen; werden beide Körper mit einander 
destillirt, so sieht man das Phenyleyanat in farblosen Tropfen 
übergehen. Als aber der Versuch in etwas gröfserem Maalsstabe 
angestellt wurde, erwies sich die Ausbeute so klein, dafs ich die- 
sen Procefs mehr als eine Bildungsweise denn als eine Darstel- 
lungsmethode betrachten mulste. — 

Die Versuche über die Senföle haben mich in letzter Zeit zu 
einem einfachen Verfahren geführt, das Phenyleyanat und seine 
Homologen darzustellen. 

In einer früheren Mittheilung’) habe ich auf die Leichtigkeit 
aufmerksam gemacht, mit der sich die Senföle ein Mol. Alkohol 


!) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIV, 9. 
?) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. IX. 275. 
®) Hofmann, Monatsberichte 1869, 332. 


vom 14. Juli 1870. 577 


zulegen. Phenylsenföl mit Alkohol längere Zeit erhitzt, liefert das 
schön krystallisirte halbgeschwefelte Phenylurethan, welches für 
sich, oder besser mit Phosphorsäureanhydrid destillirt, sich wieder 
in seine Componenten, nämlich in Alkohol und Phenylsenföl, 
spaltet. 

Sollte man, wenn man im Sinne dieser Erfahrung das nor- 
male Phenylurethan mit Phosphorsäure der Destillation unterwarf, 
nicht Phenyleyanat erhalten können? 


Versuche in der Phenylreihe. 


Phenylurethan. Das Phenylurethan ist bekannt. Ich habe 
dasselbe schon bei der oben angeführten Untersuchung des Phenyl- 
cyanats erhalten. Behandelt man diesen Körper mit Methyl-, 
Äthyl- oder Amylalkohol, so entstehen die Phenylurethane der 
Methyl-, Äthyl- und Amylreihe.') Später ist das Phenylurethan 
der Äthylreihe, der Phenylcarbaminsäure-Äthyläther, eingehend von 
den HH. Wilm und Wischin?) untersucht worden, welche die- 
sen Körper durch die Einwirkung des Chlorkohlensäureäthers auf 
das Anilin erhalten haben. 

Ich habe die Versuche der HH. Wilm und Witschin wie- 
derholt und kann die Angaben derselben vollkommen bestätigen. 
Der auf diese Weise entstehende Körper ist identisch mit dem 
früher von mir erhaltenen. Der Schmelzpunkt des mehrfach um- 
krystallisirten Körpers wurde zu 51° gefunden. Die HH. Wilm 
und Wischin geben 51.5—52° an. Der Siedepunkt lag bei 230, 
wie ihn die genannten Beobachter fanden. 

Die HH. Wilm und Wischin geben an, der Phenylcarba- 
minsäure-Äthyläther — sie nennen ihn Carbanilidsäure-Äther — 
sei unzersetzt flüchtig. Ich finde, dafs bei der Destillation aller- 
dings der gröfsere Theil unzersetzt übergeht, ein Theil aber sich 
in Phenyleyanat und Alkohol spaltet, 


C,H,,NO, = C,H,NO, + C,H,0; 


also ganz im Sinne der Auffassung, zu der mich das Studium des 
halbgeschwefelten Phenylurethans geführt hatte. — Bei der Destil- 


1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIV. 16. 
2) Wilm u. Wischin, Ann. Chem. Pharm. CXLVIl. 157. 


978 Gesammtsitzung 


lation entstand alsbald der mir noch aus früherer Zeit wohl be- 
kannte Geruch des Phenyleyanats, den in der That auch die HH. 
Wilm und Wischin beobachtet haben, denn sie sagen von dem 
Carbanilidsäure-Äther: „die Dämpfe dieses Körpers reizen die 
Augen stark zu Thränen, riechen aber verdünnt entfernt nach Bit- 
termandelöl.* Was die HH. Wilm und Wischin gerochen ha- 
ben, war das Phenyleyanat. Läfst man das Gemenge von Phenyl- 
cyanat und Alkohol, welches man neben viel unzersetztem Phenyl]- 
urethan bei der Destillation des letzteren enthält, längere Zeit 
Stehen, so ist der Geruch des Cyanats verschwunden; Cyanat und 
Alkohol haben sich wieder zu Phenylurethan vereinigt. 

Nach diesen Beobachtungen über das Verhalten des Phenyl- 
urethans unter dem Einflufs der Wärme liefs es sich kaum mehr 
bezweifeln, dafs man durch Destillation mit Phosphorsäureanhydrid 
das Phenyleyanat erhalten müsse. 

Der Versuch hat diese Erwartung in erfreulichster Weise be- 
stätigt. | 

Phenyleyanat. Erhitzt man ein Gemenge von Phenylurethan 
mit wasserfreier Phosphorsäure, so destillirt eine reichliche Menge 
farbloser, das Licht in auffallender Weise stark brechender Flüs- 
sigkeit von stechendem, die Augen zu Thränen reizendem Geruch. 
Diese Flüssigkeit ist Phenyleyanat, welches nur noch einmal de- 
stillirt zu werden braucht, um als reiner Körper erhalten zu wer- 
den. Die Ausbeute ist wie bei allen Operationen in der aromati- 
schen Reihe, bei denen das Phosphorsäureanhydrid eine Rolle spielt, 
nicht die theoretische aber doch eine der Theorie nahe kommende. 

Die Auffindung einer einfachen Methode das Phenyleyanat 
darzustellen, war mir aus mehr als einem Grunde erwünscht. Zu- 
nächst bin ich jetzt im Stande, den Siedepunkt des Körpers ge- 
nauer anzugeben. Derselbe liegt bei 163°. Bei der frühern Be- 
stimmung, für welche nur wenige Gramme angewendet werden 
konnten, war derselbe zu 178° gefunden worden. 

Das speeifische Gewicht des Phenyleyanats ist bei 150° 1.092. 
Das Gasvolumgewicht wurde im Anilindampfe bestimmt. Die gefun- 
dene Zahl bestätigt die schon früher durch die Analyse festgestellte 
Formel 


vom 14. Juli 1870. 579 


Gasvolumgewicht Theorie Versuch 
Ss auf ‚Wasserstoff: bezogen? . .. . a“ 2.:01..139.5 58.9 
auß@luftäbezogenr u. 2. rein... 164218 4.09. - 


Was das Verhalten des Körpers zu anderen Substanzen an- 
langt, so darf ich auf meine frühere Abhandlung verweisen. Mit 
Wasser entsteht neben Kohlensäure Diphenylcarbamid; mit den 
Alkoholen zusammengebracht, reproducirt er Urethane; mit Am- 
moniak und seinen Derivaten vereinigt er sich alsbald zu einer 
unabsehbaren Mannichfaltigkeit von Harnstoffen. Aber auch ande- 
ren Verbindungen gegenüber zeigt er eine bemerkenswerthe Reac- 
tionsfähigkeit. Noch will ich erwähnen, dafs mir der Besitz einer 
gröfseren Menge von Phenyleyanat Gelegenheit gegeben hat, das 
schon früher!) wahrgenommene Verhalten des Körpers zum Tri- 
äthylphosphin von Neuem zu beobachten. Taucht man einen mit 
Phosphorbase befeuchteten Glasstab in eine grölsere Menge von 
Phenyleyanat, so erfolgt nach einigen Augenblicken eine heftige 
Wärmeentwicklung und die ganze Masse erstarrt zu prächtigen 
Krystallen. 

Das Hauptproduct, welches sich in dieser Reaction bildet, ist 
ein im Wasser unlöslicher, in siedendem Alkohol nicht ganz leicht 
löslicher und beim Erkalten in feinen Prismen krystallisirender 
Körper, welcher bei einer schon früher angestellten Analyse die 
Zahlen des cyansauren Phenyls geliefert hat, also wohl als Phe- 
nyleyanurat betrachtet werden kann. Ich möchte aber die Frage 
offen lassen, ob diese Substanz mit einer der beiden bereits be- 
kannten Phenylcyanurate, von denen das eine durch die Einwir- 
kung des Chloreyans auf Phenol,”) das andere aus dem Triphenyl- 
melamin entsteht,°) identisch ist. Einer eingehenden Untersuchung 
dieses Körpers, so wie der Nebenproducte, welche sich in der in 
Frage stehenden Reaction bilden, steht jetzt, da das nöthige Ma- 
terial vorhanden ist, keine Schwierigkeit im Wege. 

Noch mögen hier einige Bemerkungen über die Homologen 
des Phenyleyanats Platz finden. 


I!) Hofmann, Ann. Chem. Pharm., Suppl. I. 57. 
2) Hofmann, Monatsb. 1870, 206. 
3) Hofmann, Monatsb. 1870, 197. 


580 Gesammtsitzung 


Versuche in der Tolylreihe. 


Tolylurethan. Der Chlorkohlensäure-Äther wirkt mit der al- 
lergröfsten Heftigkeit auf das Toluidin ein, so dafs es zweckmäs- 
sig ist die Reactiou sich in Gegenwart von Äther vollziehen zu 


lassen. 


cocı CH]. C0/C.H HN C,H, 
ao. [ee] = Pgisjo Sen 


Der von dem chlorwasserstoffsauren Toluidin abfiltrirte Äther 
hinterläfst beim Verdampfen das Tolylurethan als ein aromatisches 
Öl, welches nur schwierig, in der Regel erst nach längerem Ver- 
weilen in einer Kältemischung erstarrt. 

Das Tolylurethan ist in Wasser unlöslich; es löst sich dage- 
gen in Alkohol und Äther mit Leichtigkeit. Aus ersterem Kry- 
stallisirt es in schönen langen Prismen, die schon bei 52° 
schmelzen. 

Tolyleyanat. Bei der Destillation für sich, verhält sich das 
Tolylurethan wie das Phenylurethan, indem der gröfsere Theil un- 
zersetzt übergeht, ein kleinerer Teil aber sich in Tolyleyanat und 
Alkohol spaltet. 

ge 0 2a co In 2 0 .Hlo, 
C,H, (C;H,) H 


Findet die Destillation bei Gegenwart von wasserfreier Phos- 
phorsäure statt, so wird der Alkohol fixirt und das Tolyleyanat 
destillirt im nahezu reinen Zustande. Es bedarf in der That nur 
noch einer Rectification um es vollkommen rein zu erhalten. Das 
Tolyleyanat ist eine farblose Flüssigkeit von starkem Lichtbrechungs- 
vermögen und heftigem, die Augen zu Thränen reizenden Geruch, 
welche bei 185° siedet. 

Bei der Gasvolumgewichtsbestimmung im Anilindampf ergaben 


sich folgende Zahlen: 


Theorie Versuche 
Gasvolumgewicht I. II. 
auf Wasserstoff bezogen . - . 66.5 64.6 69.7 
auf Luft bezogen - : 2.5. 461 4.48 4.56. 


Gegen Wasser und seine Derivate, ebenso wie gegen Ammo- 
niak und seine Abkömmlinge, verhält sich das Tolyleyanat wie das 


vom 14. Juli 1870. 58l 


Phenyleyanat. Bei der Behandlung mit Wasser entsteht unter 
Kohlensäureentwickelung Ditolylharnstoff, mit den Alkoholen bil- 
den sich die Urethane, mit Ammoniak und den Aminen entsteht 
die Gruppe der substituirten Harnstoffe. Triäthylphosphin bewirkt 
dieselbe Umbildung wie bei der Phenylverbindung; die Metamor- 
phose erfolgt indessen etwas weniger schnell. Das gebildete sehr 
schön krystallisirende Product soll auch noch näher untersucht 
werden. 


Versuche in der Xylylreihe. 


Die Erscheinungen verlaufen genau wie in der Phenyl- und 
Tolylgruppe. Das Xylidin ist indessen entschieden träger, als das 
Anilin und Toluidin. 

Das Xylylurethan 

CO(C,H,)HN 
C,„H,NO, = ; C,H, \o 


krystallisirt in schönen Nadeln, welche bei 58° schmelzen. 
Das Xylyleyanat 
co 
C,H,NO = N 
9379 ce 

ist eine wasserhelle, das Licht stark brechende Flüssigkeit von 
schwachem, die Augen nur wenig reizenden Geruch. Der Siede- 
punkt liegt bei 200°. Das Gasvolumgewicht wurde im Anilin- 
dampfe genommen. 


Gasvolumgewicht Theorie Versuch 
auf Wasserstoff bezogen . » 2. 2 ...2.202.089 74.69 
auf Luft bezogen a u al erde 5.18. 


Bei dem Xylylcyanate erweist sich die Reactionsfähigkeit, 
welche bei den entsprechenden Gliedern der Phenyl- und Tolyl- 
reihe so entschieden auftritt, schon wesentlich abgeschwächt. Die 
Verbindungen, welche bei dem Phenyl- und Tolyleyanat fast augen- 


blicklich erscheinen, bilden sich mit dem Xylyleyanat oft erst nach 
Verlauf von Tagen. Selbst mit dem Triäthylphosphin erstarrt das 
Xylyleyanat nur langsam. 


582 Gesammtsitzung 


Versuche in der Naphtylreihe. 


Naphtylurethan. Es wurde, der Bildung der übrigen hier be- 
schriebenen Urethane analog, dureh die Einwirkung des Chlorkoh- 
lensäure-Äthers auf das Naphtylamin gewonnen. In Wasser un- 
löslicher, daraus in Nadeln krystallisirender Körper, welcher bei 


79° schmilzt. Seine Zusammensetzung wird durch die Formel 


C,H,NO, — RE 5 


C;H, 
ausgedrückt. 

Naphtyleyanat. Über diese Verbindung liegen bereits einige 
kurze Angaben vor. Nachdem ich gefunden hatte, dafs das Di- 
phenylearbamid bei der Destillation mit Phosphorsäureanhydrid et- 
was Phenyleyanat liefert, hat Hr. Vincent Hall’) in meinem 
Laboratorium den analogen Versuch in der Naphtylreihe angestellt, 
aber nur eine noch geringere Menge der entsprechenden Naphtyl- 
verbindung erhalten. Die Bildung des Naphtyleyanats auf dem 
angedeuteten Wege war jedoch festgestellt. 

Bei der Destillation des Naphtylurethans mit wasserfreier 
Phosphorsäure wird das Naphtyleyanat in reichlicher Menge er- 
halten. Es ist eine farblose, schon etwas schwer bewegliche Flüs- 
sigkeit, deren Siedepunkt bei 269—270° liegt. Der Dampf des 
Körpers besitzt noch den stechenden Geruch, welcher den Oyana- 
ten eigenthümlich ist; bei gewöhnlicher Temperatur aber ist das 
Naphtyleyanat fast geruchlos. Die Zusammensetzung des Naph- 
tyleyanats wird durch die Formel 

co 
lie NO e, u N 
ausgedrückt; ich habe mich aber begnügt, diese Formel durch die 
Reactionen des Körpers festzustellen. Angesichts des Verhaltens 
zum Wasser und Ammoniak sammt seinen Derivaten, konnte über 
die Natur der Verbindung kein Zweifel obwalten. Bemerkenswerth 
ist die Leichtigkeit, mit welcher sich alle diese Reactionen bei der 
Naphtylverbindung vollziehen. Das Naphtyleyanat arbeitet mit un- 
gleich gröfserer Schnelligkeit und Präcision als der analoge Xylyl- 
körper; dies zeigt sich ganz besonders bei der Einwirkung des 


1) Vincent Hall, Lond. R. S. Proc. IX. 365. 


vom 14. Juli 1870. 583 


Triäthylphosphins, welches das Cyanat der Naphtylreihe fast augen- 
blicklich zum Erstarren bringt. 

Schliefslich sage ich Hrn. F. Hobrecker für seine thatkräf- 
tige Hülfe bei Anstellung der beschriebenen Versuche meinen be- 
sten Dank. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Regnault, FAelation des experiences sur . . . les machines & feu. 
Tome II. Paris 1870. 4. 

Morbio, Opere storico-numismatiche. Bologna 1870. 8. 

Prantl, Geschichte der Logik. 4. Bd. Leipzig 1870. 8. 

Catalogue of maps of the British Possessions in India. London 1870. 8. 

Drejer, Symbolae caricologicae. Havniae 1844. fol. 

Wild, Jahresbericht des physikalischen Central-Observatoriums für 1869. 
Petersburg 1870. 4. 

Memoires de l’academie de Petersbourg. Tome XIV, 8—9. XV, 1-4. 
Petersburg 1870. 4. 

Bulletin de lacademie de Petersburg. "Tome XIV. Petersburg 1870. 4, 
Schriften der dänischen Akademie der Wissenschaften. Physikal. Klasse. 
VII, 6.7. IX, 1. Histor. Klasse. IV, 4. Kopenhagen 1869. 4. 

Flora batava. Lief. 211. Leyden 1870. 4. 
v. Reumont, Manfondini und Corlatti s. I. eta. 8. 
— Karl von Hügel. (Augsburger Zeitung 1870.) 


21. Jul. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Parthey las über Horapollo’s Hieroglyphica. 


984 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

H. v. Dehn-Rotfelser, Die Baudenkmäler des Regierungsbezirk Cassel, 
Cassel 1870. 8. Mit Ministerialschreiben vom 11. Juli 1870. 

Hörnes, Die fossilen Mollusken. II, no. 9. 10. Wien 1870. fol. 

Verhandlungen der mineralogischen Gesellschaft in Petersburg. 5. Bd. Pe- 
tersburg 1870. 8. 

Vargasia. no. 7, Caracas 1870. 8. 

Dora d’Istria, La Nationalite albanaise d’apres les chants populaires. 
Livourne 1867. 8. Mit Schreiben der Verfasserin d. d. Turin 15. 
Juli 1870, 

Geologische Karten von Schweden. (Fortsetzung.) 


35. Juli. Sitzung der physikalisch - mathematıi- 
schen Klasse. 


Hr. Kummer las über die algebraischen Strahlensysteme drit- 


ter Ordnung. 


Hr. W. Peters las über neue Arten von Spitzmäusen 
des Königl. zoologischen Museums aus Öeylon, Malacca, 
Borneo, China, Luzon und Ostafrika. 

Unter den insectivoren Säugethieren ist kaum eine von. grös- 
serem Interesse in Bezug auf ihre geographische Verbreitung als 
die der Spitzmäuse. Jedoch sind wir noch weit entfernt davon, 
nur einigermafsen eine allgemeine Übersicht derselben zu besitzen. 
Es gilt dieses namentlich von den in den tropischen Gegenden vor- 
kommenden Arten. Die Kenntnifs derselben wird sehr gehindert 
durch die grofse Schwierigkeit, sich diese meist sehr kleinen un- 
scheinbaren, in der Verborgenheit lebenden Thiere zu verschaffen. 


vom 25. Juli 1870. 585 


Zudem sind die Merkmale zur Unterscheidung der Arten einer und 
derselben Gruppe meist so geringfügig und so wenig in die Augen 
springend, dafs eine grofse Zahl von Beschreibungen der bisher 
aufgestellten Arten viel zu ungenügend, oft nur in der Angabe der 
Körper- und Schwanzlänge bestehend, ist, um sie bei der Bestim- 
mung neuer Arten verwerthen zu können. 

Die Spitzmäuse Indiens gehören fast sämmllich der Gattung 
Crocidura Wagler an und weichen in Bezug auf die Färbung nur 
wenig von einander ab. Die Mafse der Fufssohle und der Zähne 
sowie die Form und Proportionen der Zähne gehören zu denjeni- 
gen Merkmalen, welche bei einer und derselben Art am constante- 
sten zu sein scheinen. 

A. Zähne: 3:11 6 11.3 —_ 16, Opocidura s. S. 

3.10 4 0.1.3 12 
1. Crocidura (Cr.) retusa n. sp. 

Von der Gröfse des Sorex vulgaris. 

Die hintere Abtheilung des ersten obern Schneidezahns ist 
kürzer als die vordere und ihre Spitze halb so hoch, wie die des 
zweiten Schneidezahns. Der Eckzahn erscheint von aufsen be- 
trachtet eben so hoch und grofs wie der dritte Schneidezahn, von 
der Kaufläche angesehen aber merklich gröfser. Der vordere 
Zacken des falschen Backzahns ist wohl entwickelt, ragt aber nur 
bis zur halben Höhe des Eckzahns hervor. Der erste untere 
Schneidezahn ist hinter seiner Spitze wellenförmig eingebuchtet; 
der zweite ist mehr als doppelt so lang wie hoch. Der vordere 
Zacken des ersten untern linken Backzahns ist wohl entwickelt, 
und ragt bis zum letzten Drittel der Spitze des falschen Backzahns 
hervor. 

Die innere Seite der Ohrmuschel ist mit kurzen braunen Haa- 
ren sparsaın bekleidet, noch sparsamere längere braune Haare ste- 
hen auf den beiden Vorsprüngen derselben. 

An jeder Körperseite ist die Lage der Drüsen durch einen 
länglich ovalen Fleck kürzerer hellbrauner Haare zu erkennen. 

Der Schwanz ist länger als der Rumpf, hinter der Basis spin- 
delförmig angeschwollen oder ohne Anschwellung, sehr fein und 
unregelmäfsig geringelt (etwa 16 Ringel auf 5 Millimeter). 

Oben zimmetbraun, unten graubraun, alle Haare an der Basis 
schieferfarbig. Oberseite der Hände und Fülse rostfarbie. Schwanz 
oben dunkler, unten blafser rostfarbig. Die Spitzen der Barthaare, 


986 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


der längeren und vieler der kurzen unteren Schwanzhaare weifs- 


lich. Krallen blafsgelb. 


Totallänge 02105 Kralle der Mittelzehen 00013 
Schwanz ') 0mM049 Obere Zahnreihe 07007 
Kopf | 07023 Untere Zahnreihe 00063 
Schnauzenspitze bisAuge 07009 Länge des 1. obern 

Auge bis Ohr 07004 Schneidezahns 0%0012 
Ohröffnung bisNasenloch0%0145 Höhe des 1. obern 

Höhe des Ohrs 07008 Schneidezahns 02002 
Breite des Ohrs 07007 Länge des 1. untern 

Fufssohle mit Kralle 0%0125 Schneidezahns 070026 


Zwei Exemplare aus Paradenia (Ceylon). 


2. Crocidura (Or.) foetida n. sp. 

An Gröfse etwa mit Crossopus fodiens übereinstimmend. 

Die hintere Abtheilung des ersten obern Scheidezahns ist et- 
was länger als die vordere, sehr niedrig, am Rande schneidend 
convex ohne hervortretende Spitze. Der Eckzahn ist eben so 
hoch wie der dritte Schneidezahn und die wenig entwickelte vor- 
dere Spitze des falschen Backzahns, aber im Umfang etwas grös- 
ser als jener. Der vordere untere Schneidezahn ist auffallend 
grade, an der Spitze fast gar nicht gekrümmt; der zweite 
Schneidezahn ist doppelt so hoch wie lang, ohne Spitze und der 
erste untere Backzahn ist vorn abgestutzt und hat keinen vorderen 
Nebenzacken, indem der diesem ensprechende kleine innere Höcker 
kaum bemerkbar ist. 

Die innere Seite der Ohrmuschel ist mit sparsamen braunen 
Härchen bekleidet, welche auf den beiden Ohrklappen etwas län- 
ger sind. 

An jeder Körperseite befindet sich ein länglich ovaler, 4 Mm. 
langer, zimmtbrauner Fleck kürzerer steiferer Haare. 

Der Schwanz ist fein geringelt (18 Ringel = 5 Millimeter), 
an dem einzigen Exemplar ohne Anschwellung und vierseitig, mit 
kurzen schwarzen und braunen und sparsamen längeren, blafsspitzi- 
gen Haaren versehen. 

Oben zimmtbraun, unten blasser; alle Haare an der Basis 
dunkelbraun. Hände und Füfse rostbraun; Krallen gelblich. 


1) Als Anfang des Schwanzes ist der unmittelbar hinter der Analöffnung 


liegende Punkt betrachtet worden. - 


"vom 25. Juli 1870. 


Totallänge 02120 
Schwanz 02056 
Kopf 0M050 


Schnauzenspitze bis Auge 010135 
Auge bis Ohr 000045 
Nasenloch bis Ohröffnung 070185 


587 


Länge der obern Zahn- 
reihe 020095 
Länge der untern Zahn- 
reihe 070092 
Länge des 1. oberen 
Schneidezahns 070015 


Ohrhöhe 020085 Höhe des 1. oberen 

Ohrbreite 02007 j Schneidezahns 02002 
Fufssohle mit Krallen 0%015 Länge des untern Schnei- 

Kralle der Mittelzehe 0%0018 dezahns 070034 


Bengkajang (Borneo); gesammelt von Hrn. Dr. v. Martens. 
In der Gröfse und im Ansehen hat diese Art, der Abbildung 
nach zu urtheilen, grofse Ähnlichkeit mit O©. Sonnerati Is. Geof- 
froy, welche aber nach Duvernoy einer anderen Abtheilung, 
Pachyura, mit einem kleinen Lückenzahn im Oberkiefer angehört. 


3. Crocidura (Cr.) Doriae n. sp. 

Von der Grölse einer Hausmaus. 

Die hintere Abtheilung des ersten oberen Schneidezahns ist 
ebensolang wie die vordere und ihre Spitze halb so hoch, wie die 
des zweiten Schneidezahns. Der Eekzahn ist ebensogrofs oder ein 
wenig gröfser als der dritte Schneidezahn. Das Cingulum des 
grolsen falschen Backzahns bildet keinen deutlichen Zacken und ist 
daher viel niedriger als der Eckzahn. Der zweite untere Schneide- 
zahn ist doppelt so lang wie hoch und der vordere kleine vom 
Cingulum ausgehende Zacken des ersten unteren wahren Backzahns 
ragt lange nicht so hoch hinauf wie die Spitze des falschen Back- 
zahns. 

Die innere Seite der Ohren ist mit kurzen dunklen Härchen 
bekleidet, welche die Haut durchscheinen lassen und die Ränder 
der beiden Ohrvorsprünge zeigen sparsame längere dunkelbraune 
Haare. 

Der Schwanz ist in der Grundhälfte spindelförmig augeschwol- 
len, sehr fein geringelt, indem etwa 16 Ringel auf 5 Mm. gehen, 
sowohl oben wie unten mit dunkelbraunen kurzen Haaren sparsam 
bekleidet und mit nur wenigen längeren weilsspitzigen Haaren ver- 
sehen. 


An dem mir vorliegenden Exemplare, einem Weibchen, befin- 
den sich, wie gewöhnlich, jederseits drei Saugwarzen, von denen 
die beiden vorderen unter dem hintern Rande des Oberschenkels, 
die hinteren weiter zurück, in gleicher Querlinie mit der Geschlechts- 

[1870] 41 


588 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


öffnung, liegen. Eine Seitendrüse oder ein den Öffnungen dersel- 
ben entsprechender Fleck oder eine durch kürzere Behaarung aus- 
gezeichnete Stelle habe ich nicht finden können. 

Farbe: oben, auch die Hände und Fülse dunkelzimmtbraun, 
unten blasser; sämmtliche Haare mit Ausnahme der kurzen Haare 
des Hand- und Fufsrückens an der Basis schieferfarbig. Die 
Barthaare mit helleren Spitzen, die Krallen gelblich weils. 


Totallänge 0%140  Fufssohle mit Krallen 0%016 

Schwanz 0060 Kralle der Mittelzehen 0'002 

Kopf 072032 Obere Zahnreihe OrO11 

Schnauzenspitze bis Auge 09013 Untere Zahnreihe 0R010 

Von Auge bis Ohr 0%006 Länge des 1. oberen 

Von Ohröffnung bis Na- Schneidezahns 000183 
senloch 0%020 Höhe desselben 0720027 

Höhe des Ohrs 07010 Länge des 1. unteren 

Breite des Ohrs 02008 Sehneidezahns 070052 


Sarawak (Borneo), gesammelt von Hrn. Marquis J. Doria. 


4, Crocidura (Cr.) monticola n. Sp. 


Von der Gröfse des Sorex pygmaus. 

Die hintere Abtheilung des oberen Schneidezahns ist kürzer 
als die vordere und bildet einen spitzen Zacken. Die Höhe des 
zweiten Schneidezahns ist gleich 2 der Höhe des ersten und seine 
Länge gröfser als die des dritten Schneidezahns und des Eckzahns 
zusammen. Der Eckzahn ist kaum höher, aber etwas gröfser als 
der letzte Schneidezahn. Der vordere vom Zahnkranz gebildete 
Zacken des falschen Backzahns ist klein, aber deutlich und nach 
aufsen von dem Eckzahn gelegen, dessen halbe Höhe er erreicht; 
die beiden innern Höcker desselben Zahnkranzes sind wenig ent- 
wickelt. Der zweite untere Schneidezahn ist nicht doppelt so lang 
wie hoch, eben so lang wie der falsche Backzahn, dessen Länge 
und Höhe gleich sind. Der vordere innere Zacken des ersten 
wahren Backzahns ist wohl entwickelt. Die Ohren sind sparsam 
mit dunkelbraunen Härchen bekleidet. 

Der Schwanz ist dünn, aber immer noch dicker als der Meta- 
tarsus, vierkantig, fein geringelt (circa 22 Ringel gehen auf 5 Mm.), 
oben braunschwarz, unten graubraun, indem die kurzen Haare oben 
und an den Seiten braunschwarz, die der Unterseite braun, die län- 
gern Haare zum gröfsten Theil weifslich sind. 


vom 23. Juli 1870. 


989 


Oben dunkelbraun, unten dunkelgrau, Haare am Grunde schie- 
ferfarbig; Hände und Füfse braun, Krallen gelblich. 


Totallänge 02102 
‚Schwanz 02047 
Kopf 07020 


Schnauzenspitze bis Auge 07009 
Auge bis Ohr 070035 
Nasenloch bis Gehörgang 0Y014 
Ohrhöhe 020045 
Fufssohle mit Krallen 020065 


Kralle der Mittelzehe 09001 
Obere Zahnreihe 0920069 
Untere Zahnreihe 020063 


Länge des 1. oberen 
Schneidezahns 020011 

Höhe desselben 070017 

Länge des 1. unteren 
Schneidezahns 0720026 


Von dieser ausgezeichneten Art besitzt die Sammlung nur ein 
einziges nicht sehr wohl erhaltenes Exemplar, welches Hr. F. Ja- 
gor in 3500 Fufs Höhe im Walde des Berges Lawu bei Surakarta 
auf Java gefangen hat. 


5. Crocidura (Cr.) microtis n. sp. 


Die Basis des 2. obern Schneidezahns ist etwas länger als 
der 3. Schneidezahn und der Eckzahn zusammengenommen. Der 
Eckzahn ist kaum höher und gröfser als der 3. Schneidezahn. 
Der zweite untere Schneidezahn ist doppelt so lang wie hoch und 
der vorderste kleine Zacken des ersten unteren wahren Backzahns 
ragt lange nicht so hoch hinauf wie die Spitze des falschen Back- 
zahns. | 

Die innere Seite der kleinen Ohren ist wohl behaart, die 
Ränder der Ohrklappen sind mit längern Haaren versehen. 

Der Schwanz ist verdickt, ziemlich kurz und so dicht behaart, 
dals die Ringel fast ganz verdeckt sind. 

Oben graubraun, unten grau, Hände und Füfse dunkelbraun. 
Schwanz oben dunkelbraun, unten heller, die langen Haare dessel- 
ben grauweils. 


Totallänge 02120 Höhe des Öhrs 03007 
Schwanz 02035 Breite des Ohrs 0005 
Kopf 0%030  Fufssohle mit Krallen 02018 
Schnauzenspitze bis Auge 0%016 Obere Zahnreihe 07013 
Auge bis Ohr 02007 Untere Zahnreihe 02012 


Zwei noch junge Exemplare von Hongkong durch Hrn. 
Faber. | 

Bei ganz jungen nackten Exemplaren anderer Arten sind die 
Ohren auch verhältnifsmäfsig sehr klein, da die vorliegenden Exem- 
‘ plare aber vollständig behaart sind, so dürfte die geringe Gröfse der 
41* 


590 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Ohren nicht auf Rechnung des jugendlichen Alters zu setzen 


sein. 
6. Crocidura (Cr.) gracilipes n. sp. 


Die hintere Abtheilung des 1. 
lang wie die vordere und bildet eine deutlich scharfe Spitze. 


ist So 
Die 
Basis des 2. Schneidezahns ist etwas kürzer als der 3. Schneide- 
Der Eekzahn ist et- 
Der 
vordere Zacken des Reilszahns ist nicht so hoch wie der Eckzahn. 


oberen Schneidezahns 


zahn und der Eckzahn zusammengenommen. 
was niedriger, aber eben so grols wie der 3. Schneidezahn. 


Der 2. untere Schneidezahn ist mehr als doppelt so lang wie hoch 


und bildet vorn eine abgerundete kurze Spitze. 


Die Ohren sind kahl, 
etwas länger als hoch. 


nur mit sparsamen Härchen versehen, 


Der Schwanz ist dünn, quadrangulär und aufser den kurzen 


nur mit sehr vereinzelten längeren Härchen versehen. 


Die Krallen der Finger sind länger als die der Zehen (wie 


bei Cr. sacralıs Ptrs2). 


Oben schön zimmtbraun, unten graubraun; sämmtliche Haare 


an der Basis schieferfarbig. 
zimmtfarbigen Härchen. 


Totallänge OR 
Bis Schwanzbein 02065 
Schwanz 02902 
Kopf 0”024 


Schnauzenspitze bis Auge 0'009 
Auge bis Ohr 0%0046 
Nasenloch bis Ohröffnung 0'015 


- Öhrhöhe 00065 
Öhrbreite 02007 
Fufssohle mit Krallen 0%013 
Kralle der Mittelzehe 0%005 


Schwanz oben braun, 


Hände und Fülse mit sparsamen 


unten braungrau. 


Kralle des Mittelfingers 0%0012 
Länge der oberen Zahn- 
reihe 0%0087 
Länge der unteren Zahn- 
reihe 0%008 
Länge des 1. oberen 
Schneidezahns 070012 
Höhe des 1. oberen 
Schneidezahns 02002 
Länge des unteren 1. 
Schneidezahns 020032 


Aus der Sammlung des Baron ©. v. d. Decken, auf der 
Reise nach dem Kilimandscharo. 


B. Zähne: 3:21 %6 12-3 — 18 
12 


; Pachyura Selys. 


3-10 4 01-3 


7. Crocidura (P.) Waldemarü n. sp. 


Von der Gröfse einer kleinen Hausratte. 
Die hintere Abtheilung des ersten oberen a rahns ist 


länger als die vordere und bildet eine deutliche Spitze. 


Der Eck- 


vom 29. Juli 1870. 91 


zahn ist merklich höher und gröfser als der 3. Schneidezahn. 
Der kleine Lückenzahn ist zum gröfsten Theil von aufsen sicht- 
bar. Der vordere Zacken des falschen Backzahns ragt lange nicht 
so weit herab wie der Eckzahn. Der zweite untere Schneidezahn 
ist mehr als doppelt so lang wie hoch und bildet einen deutlichen 
Zacken. Die vordere innere Zacken des ersten untern wahren 
Backzahns ist wohl entwickelt, aber viel niedriger als der vorher- 
gehende falsche Backzahn. 

Die Ohrklappen sind nur mit sparsamen Haaren versehen, 
welche eben so wie die kürzern der Ohrmuschel weifslich sind. 

Der verdickte feingeringelte (etwa 15 Ringel = 5 Millimeter) 
Schwanz ist mit weilsgrauen Haaren bekleidet. Unter den Hinter- 
krallen ist die zweite, wie bei den verwandten Arten, durch grös- 
sere Breite ausgezeichnet. 

Die Seitendrüsenöffnungen sind mit kurzen weifslichen Haa- 
ren umgeben. 


Totallänge 07200 Länge der oberen Zahn- 
Schwanz 07074 reihe 0%0125 
Kopf ca. 0%033 Länge der unteren Zahn- 
Schnauzenspitze bis Auge 0%017 reihe 02012 
Auge bis Ohr 0%009 Länge des 1. oberen 

Ohrhöhe omRO11 Schneidezahns 07002 
Ohrbreite 02009 Höhe desselben 02004 
Fufssohle mit Krallen 02021 Länge des 1. unteren 

Kralle der Mittelzehe 02002 Schneidezahns 07006 


Bengalen; ein ausgestopftes weibliches Exemplar aus der 
Sammlung S. K. H. des Prinzen Waldemar von Preufsen. 
Diese Art ist der Or. cerulescens Shaw (= S. indicus G eof- 
froy Mem. du Mus. d’hist. nat. 1815. I. Taf. XV. Fig. 1.2 = 8. 
giganteus Is. Geoffroy) ähnlich, aber beträchtlich kleiner. Cr. 
Sonnerati Is. Geoffr. von der Grölse einer Hausmaus und (Cr. 
serpentarius Is. Geoffr. (Belanger, Voyage aux Indes orientales. 
1834. p. 119. Kopf und Körper 0%105, Schwanz 0%056) sind da- 
mit nicht zu vergleichen, abgesehen davon, dafs die letztere über- 
haupt zu wenig characterisirt ist, um zu einer genauern Verglei- 
chung dienen zu können. 
8. Crocidura (P.) ceylanica n. sp. 
Etwas grölser als Mus sylvaticus. 


Die hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns ist kür- 
zer als die vordere und bildet nur eine kurze schneidende Spitze. 


592 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Der 2. Schneidezahn ist so lang wie der 3. und der Eekzahn zu- 
sammen, und der letztere ist höher und um die Hälfte grölser als 
der 3. Schneidezahn. Der kleine Lückenzahn liegt zum gröfsten 
Theil an der inneren Seite des falschen Backzahns (Reifszahns) 
und ist daher von aufsen wenig sichtbar. Die vordere Spitze des 
Reifszahns ist niedriger als der Eckzahn und ragt fast so weit 
herab wie der 3. Schneidezahn. Der 2. untere Schneidezahn ist 
doppelt so lang wie hoch, mit einer stumpfwinkeligen schneidenden 
Spitze versehen und die vordere innere Spitze des unteren ersten 
wahren Baekzahns ist wohl entwickelt. 

Die Ohren sind kahl, nur mit sehr sparsamen Haaren, länger 
an den Ohrklappen versehen. 

Der Schwanz ist feingeringelt (15 Ringel = 5 Mm.), verdickt, 
oben braun, unten heller, mit braunen Haaren bekleidet, von de- 
nen die langen und die der Unterseite helle Spitzen haben. 

Oben dunkel zimmtbraun, unten graubraun, alle Haare am 
Grunde schieferfarbig. Jederseits ein 7 Mm. langer ovaler Fleck 
blafsbrauner steifer kurzer Haare. 

Hände und Füfse gelbbraun, mit kurzen braunen Haaren be- 


kleidet, welche die Schuppen der Epidermis nicht verdecken. 


Totallänge 07180 Fafssohle mit Krallen 0%023 

Schwanz 07069 Kralle der Mittelzehe 0%0025 
Kopf 02043 Obere Zahnreihe 0%0137 
Sehnauzenspitze bis Auge 0'018 Untere Zahnreihe 0%0135 


Auge bis Ohr 0%007 Länge des 1. oberen 


Nasenloch bis Ohröffnung 0%031 


Ohrhöhe OmO14 
Ohrbreite 0mo11 


Schneidezahns 020024 
Höhe desselben 02004 
Länge des 1. unteren 

Schneidezahns 07006 


Ein ausgewachsenes Männchen aus Paradenia (Ceylon). 


9, Crocidura (P.) media n. sp. 


Sehr ähnlich der vorhergehenden Art, aber kleiner. 
Die hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns ist kür- 


zer als die vordere und bildet einen deutlichen Zacken. 


Der 2. 


Schneidezahn ist etwas kürzer als der 3. und der Eckzahn zusam- 
men. Der Eckzahn ist nur unmerklich höher und gröfser als der 


3. Backzahn. 


Der Lückenzahn liegt in der Zahnreihe und ist von 


aufsen ganz sichtbar; er ist etwas niedriger als die vordere Spitze 


des Reifszahns. 


Der untere 2. Schneidezahn ist nicht halb so 


vom 25. Juli 1870. 593 


hoch, wie lang. Die vordere innere Spitze des ersten unteren 
Backzahns ist entwickelt. 

In der Färbung, Schwanzbildung und Behaarung mit der vor- 
hergehenden übereinstimmend. 


Totallänge 0%149 Fufssohle mit Krallen 00193 
Schwanz 02056 Kralle der Mittelzehe 0%0018 
Kopf 0,033 Obere Zahnreihe 00125 
Schnauzenspitze bis Auge 070156 Untere Zahnreihe 00112 
Auge bis Ohr 00055 Länge des 1. oberen 

Nasenloch bis Ohröffnung 0%0255 Schneidezahns 070024 
Ohrhöhe orO11 Höhe desselben 020036 
Ohrbreite 0”0095 Länge des unteren 1. 


Schneidezahns 020053 


Ein ausgebildetes Männchen aus Paradenia (Ceylon). 


10. Crocidura (P.) sumatrana n. Sp. 


Hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns kürzer als 
die vordere, mit niedriger abgerundeter Spitze. Zweiter Schneide- 
zahn kürzer als der 3. und der Eckzahn zusammen. Eckzahn 
ebenso hoch wie der 3. Schneidezahn und nur wenig gröfser. 


 Lückenzaha sehr klein, hinter dem Eckzahn gelegen, durch einen 


Zwischenraum von dem Reifszahn getrennt. Der abgerundete vor- 
dere Höcker des Reifszahns tiefer herabragend als der Eckzahn. 
Unterer 2. Schneidezahn reichlich doppelt so lang wie hoch. Vor- 
derer innerer Höcker des ersten wahren Backzahns fast so hoch 
heraufragend wie der vorhergehende falsche Backzahn. 

Innere Seite der Ohrmuschel mit sparsamen kurzen rostfarbi- 
gen Haaren besetzt; sparsamere längere Haare an den Ohrklappen. 

Schwanz fein geringelt (15 Ringel = 5 Millim.), verdickt, mit 
kurzen braunen Haaren bekleidet. Die längern Haare und einige 
kurze der Unterseite mit hellen Spitzen. 

Oben hell zimmtfarbig, unten graubraun. Haare an der Basis 
schiefergrau. Hände und Füfse heller rostfarbig, Krallen gelblich 
weils. 


Totallänge 02175 Ohrbreite 0%011 
Schwanz 02066 Fufssohle mit Krallen 0%019 
Kopf 02038 Kralle der Mittelzehe 0%0022 
Schnauzenspitze bis Auge 0%015 Obere Zahnreihe 020122 
Auge bis Ohr 02008 Untere Zahnreihe 020115 


Nasenloch bis Ohröffnung0%024 Länge des 1. oberen 


:Ohrhöhe 02012 Schneidezahns 02002 


594 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Höhe des 1. oberen Länge des unteren 1. 
Schneidezahns 070032 Schneidezahns 07005 
Ein weibliches Exemplar mit entwickelten Zitzen aus Palem- 
bang auf Sumatra durch Hrn. Dr. von Martens. 


11. Crocidura (P.) fuscipes n. Sp. 

Etwas gröfser als Mus sylvaticus. 

Hivutere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns eben so lang, 
wie die vordere und eine scharfe Spitze bildend. Zweiter Schnei- 
dezahn nicht ganz so lang wie der 3. und der Eckzahn zusammen. 
Der Eckzahn um 4 gröfser als der 3. Schneidezahn, aber kaum 
höher als derselbe. Der Lückenzahn ist zum gröfsten Theil von 
aufsen sichtbar, liegt aber z. Th. an der innern Seite des Reifs- 
zahns. Die vordere Spitze des letztern ragt kaum tiefer herab, 
als die Spitze des Lückenzahns, ist daher viel niedriger als der 
Eckzahn. Der untere 2. Schneidezahn ist doppelt so lang wie hoch 
und der innere Zacken des ersten unteren Backzahns ist wohlent- 
wickelt. 

Schwanz diek, etwas stärker geringelt als die vorhergehenden 
(12 Ringel = 5 Mm.), oben dunkelbraun, unten heller, indem die 
Haare der Oberseite braun, die der Unterseite sowie die längern 
weifslich sind. 

Oben graubraun, unten grau, Hände und Füfse dunkelbraun, 
Krallen gelblich. Die steifen kurzen Haare des Seitenflecks sind 
wie die übrigen Körperhaare, am Grunde schieferfarbig, oben an 
der Spitze grauweils. 


Totallänge 02170 Kralle der Mittelzebe 09002 
Schwanz 02065 Obere Zahnreihe 02015 
Kopf 0”0385 Untere Zahnreihe 0012 
Schnauzenspitze bis Auge 070155 Länge des 1. oberen 

Auge bis Ohr 00055 Schneidezahns 0%002 
Nasenloch bis Ohröffnung 020245 Höhe desselben 0%0032 
Ohrhöhe 02012 Länge des 1. unteren 

Ohrbreite 07010 Schneidezahns 0%0055 


Fufssohle mit Kralle 0%019 (09020) 

Von Singapore, wo Hr. F. Jagor 6 Exemplare auf einem 
Cocosfelde fand. 

In der Gröfse ist diese sowohl wie die vorhergehende dem 
S. myosurus Pallas ähnlich. Nach der Angabe von Pallas würde 
diese Art aber zu den Crocidura s. s. gehören und keinen kleinen 


vom 25. Juli 1870. 595 


Lückenzahn haben, womit auch die von ihm gegebene Abbildung 
(Acta Acad. Scient. Imp. Petropolit. V. 1781. Il. Taf.5. Fig.17) über- 
'einstimmt, welche den Eckzahn kleiner als den 3. Schneidezahn 
zeigt. Ob die von Geoffroy (Annal. du Mus. d’hist. nat. XVII. 1811. 
p. 185. Taf. 3. Fig.2.3) gegebene Abbildung, welche den Eckzahn 
grölser zeigt, nach den Originalexemplaren aus dem geraubten nie- 
derländischen Museum gemacht sei, ist nicht ganz klar aus dem 
Text zu ersehen. 

Ein Exemplar, welches unser Museum neuerdings aus Java 
erhalten hat und welches vielleicht zu S. myosurus Pallas gehören 
dürfte, hat die hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns 
viel kürzer als die vordere, den 2. Schneidezahn eben so lang wie 
den 3. und den Eckzahn zusammengenommen, einen niedrigen ganz 
nach innen gedrängten Lückenzahn und den vordern innern Zacken 
des Reifszahns fast eben so weit herabragend wie den Eckzahn, 
diesen letzteren aber wie in der Godeffroy’schen Abbildung ein 
wenig höher und gröfser als den 3. Schneidezahn. 

Vielleicht wird es noch möglich sein, herauszubringen, ob die 
im Pariser Museum befindlichen Originalexemplare zu der Abbil- 
dung und Beschreibung Geoffroy’s aus dem ehemaligen nieder- 
ländischen Museum stammen, was für diesen Gegenstand von gro- 
(sem Interesse sein würde. 3 


12. Crocidura (P.) luzoniensis n. sp. 


Hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahrs kürzer als 
die vordere, mit kurzer scharfer Spitze. Zweiter Schneidezahn 
nicht so lang wie der 3. und der Eckzahn zusammen. Der Eck- 
zahn merklich höher als der 1. und um die Hälfte gröfser als der 
3. Backzahn. Lückenzahn nur zum kleinen Theil von aufsen 
sichtbar, an der innern Seite des Eckzahns und Reifszahns liegend. 
Vorderer Höcker des Reifszahns wenig entwickelt, tiefer liegend 
als der Lückenzahn. Zweiter unterer Schneidezahn reichlich dop- 
pelt so lang wie hoch. Vorderer innerer Höcker des 1. unteren 
wahren Backzahns wohl entwickelt. 

Ohren mit ganz kurzen braunen Haaren sparsam bekleidet, 
längere auf den Ohrklappen. 

Schwanz dick, fein geringelt (ca. 16 Ringel = 5 Mm.), ver- 
dickt, einfarbig dunkelbraun, ringsum mit schwarzbraunen Haaren 
bekleidet, nur die längern mit blasser Spitze. 


996 


Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Oben dunkel zimmtbraun, unten etwas blasser, Hände und 


Fülse rein braun. 


gelblichweils. 

Totallänge 02148 
Schwanz 07050 
Kopf 07033 


Schnauzenspitze bis Auge 0015 
Auge bis Ohr 00055 
Ohröffnung bis Nasenloch 0%0235 
Ohrhöhe 070108 
OÖhrbreite 0009 
Fufssohle mit Kralle 


Haare an dem Grunde schieferfarbig. 


Nägel 
Kralle der Mittelzehe 07002 
Obere Zahnreihe 0%0115 
Untere Zahnreihe 020105 


Länge des 1. oberen 
Schneidezahns 070017 

Höhe desselben 07003 

Länge des ]. untersten 
Schneidezahns 070046 


0017 (0018) 


Zwei Weibehen aus Luzon, eins von Daraga durch Hrn. 
F. Jagor und eins von Manila durch Hrn. Dr. v. Martens. 


Hr. A. W. Hofmann las: 


Beobachtungen vermischten Inhalts. 
l. Über die Einwirkung des Cyans auf das Anilin. 


Neben dem Cyananilin, dem Hauptproducte dieser Reaction, 
bildet sich, wie ich bereits vor 22 Jahren gefunden habe,') eine 
rothe krystallinische Materie, welche in letzter Zeit einer einge- 
henden Prüfung unterworfen wurde. In geeigneter Weise gerei- 
nigt liefert dieses Pulver schöne morgenrothe, violettschillernde 
Krystalle einer wohl krystallisirten einsäurigen Base von der 
Formel 

CyHuN;; 
welche sowohl für sich als auch in Form eines in Nadeln krystal- 
lisirten chlorwasserstoffsauren Salzes 
04H, N, ..H6ol 
analysirt worden ist. 

Man kann annehmen, dafs sich dieser Körper durch Cyanan- 
lagerung aus Triphenylguanidin bilde, und in diesem Sinne die 
Base durch die Formel 


!) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXVI, 127. 


vom 25. Juli 1870. NT, 


Ü 
0,H,N;=2CN, (C, 11), | N; 
H, 
darstellen. 

Übereinstimmend mit dieser Auffassung sind die Umbildungen 
der Base. Längere Zeit mit verdünntem Alkohol erhitzt (am be- 
sten unter Druck) geht sie unter Ammoniak- und Anilinabspaltung 
in Diphenylparabansäure über: 


& co 
3CN, (HJ Ns +3H,0=(,0, IN: + 2H,N + C;H,N. 
H, (C;H;) 


Kocht man die alkoholische Lösung der Base längere Zeit 
mit concontrirter Salzsäure, so zerfällt auch die Diphenylparaban- 
säure, und man erhält schliefslich nur Ammoniak, Anilin, Kohlen- 
säure und Oxalsäure. 


c 
20N, Ed) N,-+6H,0 = 2H,N+30,H,N+00,-+ C,H,0,. 
Hs 


2. Einwirkung des Cyans auf das Triphenylguanidin. 


Nachdem die Zusammensetzung der in dem vorhergehenden 
Paragraphen beschriebenen Verbindung festgestellt worden war, lag 
der Gedanke nahe, die Darstellung derselben durch die Einwirkung 
des Cyans auf das Triphenylguanidin zu versuchen. 

Eine alkoholische Lösung des triphenylirten Guanidins absor- 
birt in der That reichliche Mengen von Oyangas, und nach länge- 
rem Stehen setzt die gesättigte Lösung gelblich weilse Krystalle 
ab, welche durch Umkrystallisiren gereinigt werden. Dieser Kör- 
per hat dieselbe Zusammensetzung wie der neben dem Cyananilin 
entstehende, nämlich 


C 
O,HuN;=2CN, ren N.. 
H, 


Und nicht nur in der Zusammensetzung stimmt er mit diesem 
Nebenproducte überein, auch in seiner Constitution mul[s er demselben 


598 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


sehr nahe stehen. Nichtsdestoweniger genügt eine einfache Verglei- 
chung der Eigenschaften beider Verbindungen, um zu zeigen, dafs hier 
nur Isomerie, nicht Identität statt hat. Hinsichtlich der Farbe, 
Krystallform und Löslichkeit geben sich die gröfsten Unterschiede 
zu erkennen, besonders scharf aber zeigt sich die Verschiedenheit 
im Verhalten zu den Säuren. 

Der aus dem Triphenylguanidin entstehende Cyankörper nimmt 
in Berührung mit Salzsäure eine tiefe gelbrothe Farbe an, offenbar 
in Folge der Bildung eines Salzes; allein vergeblich bemüht man 
sich, dieses Salz zu fixiren. Schon nach einigen Augenblicken ist 
der Körper unter Ammoniakabspaltung in eine schön krystallisirte 
gelbe Substanz übergegangen, welche nichts anderes als Oxalyl- 
triphenylguanidin 


6) 
C,H; N; O, 7= Ö, 07 N; 
CH 


\ 
Co) 


ist und nach der Gleichung 
C,„H,,N, + 2H,0 = C,H,N;0;, + 2H; N 


entsteht. Mit Alkohol und Salzsäure gekocht liefert dies Product, 
unter Ausscheidung von Anilin, Diphenylparabansäure, 


C,H,N;0,;,+ H,0 = C,H,N50; + C,H,N, 


welche letztere schliefslich in Anilin, Oxalsäure und Kohlensäure 
zerfällt. 

Man sieht, auch die Zersetzungsproducte der beiden Isomeren 
sind dieselben, die Erscheinungen aber, unter denen sie sich bil- 
den, charakterisiren nicht minder die Verschiedenheit beider Sub- 
stanzen. 

Erwägt man, wie leicht die beiden isomeren Dieyanverbindun- 
gen des Trriphenylguanidins, sowie auch nach meinen früheren 
Untersuchungen ') des Diphenylguanidins in Diphenylparabansäure 
übergehen, so liegt der Gedanke nahe, die Bildung der normalen 
Parabansäure durch Behandlung des normalen Guanidins mit Cyan 
anzustreben. Diese Aufgabe verfolgende Versuche werden im 
Augenblick im hiesigen Laboratorium angestellt. 


1) Hofmann, Lond. R. 8. Proc. XI, 275 und Monatsb. 1870, 171. 


vom 25. Juli 1870. 599 


8. Über eine neue Classe von Oyansäureäthern. 


Schon vor vielen Jahren habe ich gezeigt, dafs sich die ge- 
wöhnlichen Cyansäureäther bei der Berührung mit Triäthylphos- 
phin polymerisiren.') Diese Beobachtung wurde zunächst beim 
Phenyleyanat angestellt. Ich sprach damals die aus dem Phenyl- 
cyanat entstehende schön krystallisirte Verbindung als Phenyleya- 
nurat an. Diese Annahme schien vollkommen berechtigt, da die 
starre Verbindung dieselbe Zusammensetzung wie das flüssige 
Cyanat besitzt, von letzterem aber in seinen Eigenschaften, zumal 
aber durch einen ungleich höheren Siedepunkt abweicht. Seitdem 
bin ich den phenylirten Oyanursäureverbindungen auf anderen We- 
gen begegnet, dem Phenyleyanurat unter den Zersetzungsproducten 
des Triphenylmelamins,”) dem Isocyanurat bei der Untersuchung 
der Einwirkung des Cyanchlorids auf Phenol.”) Die Entdeckung 
einer einfachen Methode, das Phenyleyanat aus dem Phenylurethan 
darzustellen,*) war mir deshalb von besonderem Werthe, weil sie 
mir die Entscheidung der Frage erlaubte, ob das durch Polymeri- 
sation aus dem Cyanat entstehende Product mit einem der auf an- 
dere Weise gewonnenen Cyanurate identisch sei. 

Eine eingehende Prüfung des mittelst Phosphorbase aus dem 
Phenyleyanat erhaltenen Körpers hat mich nun gelehrt, dafs diese 
Substanz weder mit dem Phenyleyanurat noch mit dem Phenyliso- 
cyanurat identisch ist. Der Schmelzpunkt des aus dem Triphenyl- 
melamin entstehenden Oyanurats liegt bei 260, der des dem Phe- 
nol entstammenden Isocyanurats bei 224; die durch Polymerisation 
entstandene Verbindung schmilzt schon bei 175°. Auch in den 
übrigen Eigenschaften weicht diese Verbindung von den bereits be- 
kannten Cyanuraten ab. 

Ganz ähnliche Erscheinungen, wie diejenigen, welche man bei 
der Einwirkung der Phosphorbase auf das Phenyleyanat beobach- 
tet, zeigen sich bei der Behandlung des Äthyl- und Methyleyanats 

mit dem Phosphorkörper. Das Äthyleyanat geht unter diesen Um- 
_ ständen bei gewöhnlicher Temperatur langsam, bei der Temperatur 


)) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. Suppl. I, 57. 
2) Hofmann, Monatsberichte 1870, 197. 
®) Hofmann, Monatsberichte 1870, 206. 
*) Hofmann, Monatsberichte 1870, 576. 


600 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


des siedenden Wassers unter Druck fast augenblicklich in eine zähe 
Flüssigkeit über, die nach kurzer Zeit krystallinisch erstarrt. Das 
Methyleyanat verwandelt sich bei der Berührung mit einem Tropfen 
Triäthylphosphin augenblicklich und unter beträchtlicher Wärme- 
entwicklung in eine schöne Krystallmasse. Die unter Mitwirkung 
der Wärme aus dem Äthyleyanat entstehende Verbindung zeigt 
den Schmelzpunkt 95°, ist also wohl mit dem bekannten Äthyl- 
eyanurat identisch. Der Schmelzpunkt des gewöhnlichen Methyl- 
cyanurats liegt bei 175°; das erst jüngst von mir entdeckte Methyl- 
isoeyanurat schmilzt bei 132°; die neue durch Polymerisation ent 
standene Verbindung schmilzt schon bei 98°. 

Die neuen Isomeren der Cyansäure- und Cyanursäureäther 
liefern, zumal in der aromatischen Reihe, interessante Umbildun- 
gen, welche ich eingehend zu untersuchen gedenke. Schon jetzt 
aber mag es mir gestattet sein, die Ansicht auszusprechen, dals 
die neu entdeckten Verbindungen in der Mitte zwischen den Cyan- 
säure- und Cyanursäureäthern liegen 


co (CO), (CO), 
N N N, , 
C,H; (G, H,)s z (0, H3); ; 
Phenylcyanat. Neue Verhindung. Phenylcyanurat. 


Weitere Untersuchungen müssen feststellen, ob diese Auffas- 
sung die richtige ist. 


4. Neue Bildungsweise der Isonitrile. 


Die merkwürdige Umwandlung, welche die Cyansäure-Äther 
durch die Einwirkung des Triäthylphosphins erleiden, liels es wün- 
schenswerth erscheinen, das Verhalten der Phosphorbase auch ge- 
gen die Senföle von Neuem zu studiren. Schon früher habe ich 
gezeigt, dafs das Senföl par excellence sowie das Phenylsenföl ') 
1 Mol. Triäthylphosphin fixiren, indem substituirte Harnstoffe ent- 
stehen, welche gleichzeitig Stickstoff und Phosphor enthalten. In 
der eitirten Abhandlung findet sich bereits die Angabe, dafs sich 


1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. I. Suppl. 57. 


vom 25. Juli 1870. 601 


diese Harnstoffe bei höherer Temperatur in Triäthylphosphinsulfid 
und flüssige Körper von durchdringend unangenehmem Charakter 
verwandeln, deren Natur damals unergründet blieb. Bei einer 
Wiederholung dieser Versuche ergab es sich, dafs als das comple- 
mentäre Product des Triäthylphosphinsulfids das Isonitril der Reihe 
auftritt, 


cs ji 
C,H, Inr = (GH,,PS+ „1 In. 
(C,H, ); a 


Auch die seit jener Zeit entdeckten Senföle der Methyl-, 
Äthyl- und Amylreihe zeigen ein vollkommen analoges Verhalten. 
Beim Zusammentreffen von Phosphorbase mit den genannten Senf- 
ölen wird Wärme frei, der Geruch verschwindet offenbar in Folge 
der Bildung von den genannten Harnstoffen analogen Phosphor- 
stickstoffverbindungen. Wird nunmehr die Mischung unter Druck 
erhitzt, so scheiden sich beim Erkalten die prachtvollen Krystalle 
des Triäthylphosphinsulfids ab, während sich gleichzeitig das Iso- 
nitril der Methyl-, Äthyl- und Amylreihe durch seinen furchtbaren 
Geruch zu erkennen geben. 


6. Reaction auf Cyanursäure. 


Wenn die Cyanursäure als solche und in nur irgend erheb- 
licher Menge vorliegt, so wird man, um sie zu erkennen, kaum 
einen anderen Weg einschlagen, als die Säure scharf zu trocknen 
und sie alsdann in einer kurzen engen Röhre zu erhitzen. Der 
Geruch des entwickelten Cyansäuredampfes ist so charakteristisch, 
dafs man über die Gegenwart oder Abwesenheit der Säure nicht 
leicht im Zweifel bleiben kann. 

Hat man es dagegen mit einer Lösung von Cyanursäure zu 
thun, und ist die Säure in aufserordentlich geringer Menge vorhan- 
den, so kann man sich mit grofsem Vortheil der Schwerlöslich- 
keit des Natriumcyanurats in heilser concentrirter Natronlauge zur 
Charakterisirung der Säure bedienen. 

Zu dem Ende wird die Lösung, zweckmäfsig auf einem Uhr- 
glase, mit concentrirter Natronlauge versetzt und die Flüssigkeit 


602 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


alsdann einige Augenblicke über einem Spitzbrenner erwärmt. Als- 
bald erscheinen von dem Punkte aus, wo die Flamme auftrifft, 
prächtige feine Nadeln des eyanursauren Salzes, welche, wenn die 
Lösung nicht allzu concentrirt ist, beim Erkalten wieder ver- 
schwinden. 

Ich war begierig, die Zusammensetzung dieses schönen Salzes 
zu erfahren. Zu dem Ende wurde eine gröfsere Menge der Kry- 
stalle durch siedende Natronlauge gefällt und noch heifs auf einen 
Trichter gebracht, dessen Rohr durch eine eingelegte Glaskugel 
geschlossen war. Um das freie Alkali zu entfernen, mufs mit 
Alkohol gewaschen werden, da sich das Salz in Wasser löst; so 
kommt es, dafs der Verbindung leicht eine Spur Natriumcarbonat 
anhängt. 

In dem bei 100° getrockneten Salze wurde das Natrium als 
Sulfat bestimmt. 0.392 Grm. Salz lieferten 0.4389 Natriumsulfat 
— 0.142 Grm. = 36.2 pCt. Natrium. 

Das bei der Verbrennung mit Natronkalk erhaltene Ammoniak 
wurde als Salmiak gesammelt, und in diesem das Chlor volume- 
trisch bestimmt. Aus dem Chlor berechnet, ergaben sich 21.6 pCt. 
Stickstoff. 

Diese Zahlen zeigen, dafs die beim Erhitzen mit concentrirter 
Natronlauge entstehenden Krystalle das trimetallische Salz 


Na,0,N,O, 
darstellen. Dieses Salz enthält 35.4 pCt. Natrium und 21.5 Stick- 
stoff. 


6. Reaction auf Chloroform. 


Wenn es sich darum handelt, kleine Mengen von Chloro- 
form nachzuweisen, zumal in Gegenwart anderer, dem Chloroform 
nahestehender Verbindungen, deren Eigenschaften denen des Chlo- 
voforms gleichen, so kann man sich mit grolsem Vortheil seines 
Verhaltens zu den Monaminen in Gegenwart von Alkohol und Na- 
triumhydrat bedienen. Der Geruch des entstehenden Isonitrils ist 
ein unfehlbares Merkmal der Anwesenheit des Chloroforms. 

Man stellt den Versuch einfach in der Weise an, dafs man 
‚die zu prüfende Flüssigkeit in eine Mischung von Anilin — jedes 


vom 25. Juli 1870. 603 


andere primäre Monamin, fett oder aromatisch, leistet denselben 
Dienst — und alkoholischem Natriumhydrat eingiefst. Ist Chloro- 
form vorhanden, so erfolgt alsbald, jedenfalls aber bei gelindem 
Erwärmen, heftige Reaction unter Entwickelung des charakteri- 
stisch riechenden Isonitrils. 

Ich habe eine grofse Anzahl von dem Chloroform ähnlichen 
Körpern der angeführten Reaction unterworfen — aber keinen ge- 
funden, welcher im Stande war, Körper von dem eigenthümlichen 
Geruch des Isonitrils zu entwickeln, 

Es versteht sich von selbst, dafs Bromoform und Jodoform 
genau dasselbe Verhalten zeigen wie Chloroform; auch beobachtet 
man die Reaction mit sämmtlichen, bei Einwirkung eines Alkalis, 
Chloroform, Bromoform und Jodoform liefernden Körpern. Ver- 
setzt man z. B. eine Auflösung von Chloral in Anilin mit alkoho- 
lischer Kalilösung, so entwickelt sich sofort mit grofser Heftigkeit 
der Dampf des Isonitrils. 

In neuester Zeit hat man für anästhetische Zwecke statt des 
Chloroforms das Chloräthyliden vorgeschlagen. Beide Sub- 
stanzen sind sowohl hinsichtlich des Geruchs, als auch hinsichtlich 
der Siedepunkte (Chloroform 61°, Chloräthyliden 60°) nur schwie- 
rig von einander zu unterscheiden. Nichts ist aber leichter, als 
in einem solchen Falle das Chloroform albald zu charakterisiren. 
Das Chloräthyliden liefert mit alkoholischem Natriumhydrat und 
Anilin kein Isonitril. 

Die hier empfohlene Reaction ist so empfindlich, dafs sich 
1 Th. Chloroform in 5000 bis 6000 Th. Alkohol gelöst noch mit 
Sicherheit erkennen läfst. 


7. Diagnose primärer, secundärer und tertiärer Amine, 


Zur Untersuchung der drei Klassen substituirter Ammoniake 
ist man bisher fast nur auf eine Methode hingewiesen gewesen, wel- 
che sich aus meinen Untersuchungen über die Darstellung der Alkohol- 
Derivate!) des Ammoniaks ergeben hat. Dieses seither vielfach, be- 


') Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXII, 159. 
[1870] 42 


604 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


sonders bei der Untersuchung der Pflanzenbasen, angewendete Ver- 
fahren besteht in der Feststellung der Anzahl von Methyl- oder 
Äthylgruppen, welche das in Frage stehende Amin zu fixiren im 
Stande ist, insofern die Aufnahme einer Methylgruppe das ter- 
tiäre, die zweier das secundäre, die dreier Methylgruppen 
endlich das primäre Amin charakterisirt. 

Diese Methode liefert, wo immer man es mit nur einigermas- 
sen wohl definirten Ammoniak-Derivaten zu thun hat, vollkommen 
zuverläfsige Resultate. Sie hat aber den Nachtheil, dafs man stets 
mit gröfseren Mengen arbeiten muls, und schliefslich einer quanti- 
tativen Analyse bedarf, die sich allerdings in den meisten Fällen 
auf eine einfache Platinbestimmung beschränkt. 

Ich habe mich, zur Erreichung desselben Zinns, in letzter Zeit 
zum Öfteren einer einfachen qualitativen Methode bedient, wel- 
che sich auf die bei der Untersuchung der Isonitrile und der 
Senföle gesammelte Erfahrungen gründet. 

Nach den bereits veröffentlichten Resultaten, welche durch 
vielfache Versuche in jüngster Zeit allgemeine Bestätigung gefun- 
den haben, sind es nur die primären Monamine, welche mit 
Chloroform und alkoholischer Kalilauge Isonitrile zu liefern im 
Stande sind. Da diese Reaction von aufserordentlicher Empfind- 
lichkeit ist, und der Geruch der Isonitrile, obwohl je nach der 
Natur der Kohlenstoffgruppe, welche die Base enthält, verschieden, 
dennoch ein ganz unverkennbarer ist, so kann man albald ohne 
die geringste Schwierigkeit entscheiden, ob man es mit einer pri- 
mären Base zu thun hat. 

Was die Ausführung des Versuches anlangt, so braucht man 
nicht mehr als einige Centigramme der Base in Alkohol zu lösen, 
die Lösung in einer Proberöhre mit alkoholischer Kali- oder Na- 
tronlösung zu versetzen und alsdann nach Zusatz. einiger Tropfen 
Chloroform gelinde zu erwärmen, alsbald entwickeln sich, unter leb- 
haftem Aufwallen der Flüssigkeit, die betäubenden Dämpfe des 
Isonitrils, die man gleichzeitig in der Nase und auf der Zunge 
spürt. 

Ist bei dem Versuche mit alkoholischem Kali und Chloroform 
der charakteristische Geruch eines Isonitrils nicht aufgetreten, so 
hat man jetzt noch die Frage zu beantworten, ob das zu unter- 
suchende Amin ein secundäres oder ein tertiäres ist. Hier wird 
die Senfölbildung mit grofsem Vortheil verwerthet. Durch Ver- 


vom 25. Juli 1870. | 605 


suche ist festgestellt, dafs sowohl die primären als auch die secun- 
dären Amine Senföle liefern.') Man hat also, um die Gegenwart 
einer secundären Base zu erkennen, nur noch zu ermitteln, ob 
das untersuchte Amin sich in ein Senföl verwandeln läfst. Die 
Senföle besitzen gleichfalls, je nach der Reihe, in der man arbei- 
tet, einen verschiedenen Geruch, allein der allgemeine Charakter 
des Geruchs und zumal die heftige Einwirkung auf die Schleim- 
haut der Nase sind allen Senfölen gemeinschaftlich. Man wird 
daher diesen Geruch unter allen Umständen leicht erkennen. 

Was die Ausführung des Versuches anlangt, so löst man 
einige Centigramme der Base in Alkohol, versetzt die Lösung 
mit etwa der gleichen Menge Schwefelkohlenstoff, und verdampft 
einen Theil des Alkohols. Alsdann erhitzt man die rückständige 
Flüssigkeit, welche die sulfocarbaminsaure Base enthält, mit einer 
wälsrigen Lösung von Quecksilberchlorid. Augenblicklich entsteht, 
falls elne primäre oder secundäre Base vorliegt, der heftige Geruch 
des Senföls der Reihe. 

Leider ist diese Reaction, welche an Präcision und Schnellig- 
keit der Ausführung nichts zu wünschen übrig läfst, doch nicht 
ganz allgemein. 

Der Nachweis, ob man es mit einer primären Base zu thun 
habe, gelingt in allen Fällen, ganz einerlei, ob man in der fetten 
oder aromatischen Reihe arbeitet, oder Körper untersucht, die bei- 
den Reihen angehören. Nicht so, wenn eine secundäre Base nach- 
gewiesen werden soll. In diesem Falle tritt die Senfölbildung un- 
ter den angegebenen Bedingungen nur dann ein, wenn das Amin 
entweder ein Glied der fetten Reihe, oder aber ein Mischling ist, 
in welchem sich die Amidirung in der fetten Hälfte der Verbin- 
dung vollendet hat.”) 

Würde bei der Untersuchung einer aromatischen Verbindung 
die Senfölreaction ausbleiben, so mülste man zur Entscheidung der 
Frage, ob ein secundäres oder ein tertiäres Amin vorliegt, auf die 
alte Methode, Behandlung mit Jodmethyl ete., zurückfallen. Wäre 
andererseits Senfölbildung eingetreten, so hätte man nicht nur die 
Substitutionsstufe des Amins ermittelt, sondern auch gleichzeitig 


!) Hofmann, Monatsb. 1868, 467. 
2) Hofmann, Monatsb. 1868, 471. 
42* 


606 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


eine bestimmte Auffassung über die Stellung des Ammoniakfrag- 


ments gewonnen. 


8. Zur Kenntnifs des Phenylxanthogenamids. 


Vor Kurzem habe ich der Akademie eine einfache Methode 
mitgetheilt, die aromatischen Oyanate darzustellen,') welche darin 
besteht, die substituirten Urethane mit Phosphorsäureanhydrid zu 
behandeln. Unter Entwickelung von ölbildendem Gase destilliren 
die reinen Cyanate. Diese einfache Methode wurde, wie dies ge- 
wöhnlich zu geschehen pflegt, erst aufgefunden, nachdem viele an- 
dere Methoden vergeblich versucht worden waren. Unter den an- 
gestellten Versuchen will ich einen erwähnen, da er zu einigen 
Beobachtungen Veranlassung gegeben hat, welche der Aufzeichnung 
werth erscheinen. 

Bekanntlich zerlegt sich das Xanthogenamid oder halb ge- 
schwefelte Urethan bei der Destillation in Mercaptan und Cyansäure 


C,H,NOS = (,H,$ + CHNO. 


Der Gedanke lag nahe, ein phenylirtes Xanthogenamid darzu- 
stellen und die eben angeführte Reaction für die Gewinnung des 
Phenyleyanats zu verwerthen. 

Allerdings hatte ich bereits bei meinen Untersuchungen über 
die Senföle einen Körper von der Zusammensetzung des Phenyl- 
xanthogenamids oder halbgeschwefelten Phenylurethans erhalten,” ) 
dessen Verhalten in der Wärme den hier angedeuteten Erwartun- 
gen keineswegs entspricht. 

Der in Frage stehende bildet sich beim Erhitzen von Fhenyl- 
senföl mit Alkohol aut 110 bis 125° 


Ey „lo _ (CO CHIHN) 
er ze CH 


und zerlegte sich bei der Destillation wieder in seine Bestandt- 
theile, denen stets je nach den Umständen mehr oder weniger Sul- 
focarbanilid oder Diphenylsulfoharnstoff beigemengt ist. Wahrschein- 


1) Hofmann, Monatsb. 1870, 576. 
2) Hofmann, Monatsb. 1869, 332. 


vom 23. Juli 1870. 607 


lich wird während der Destillation etwas Alkohol zersetzt, und 
das Sulfocarbanilid würde alsdann als secundäres Product der Ein- 
wirkung des von dem Alkohol gelieferten Wassers auf das Phenyl- 
senföl auftreten. | 
Neben dem hier als halbgeschwefeltes Phenylurethan bezeich- 
neten Körper mu[s ein zweiter von derselben Zusammensetzung 
existiren, von dem ersten nur durch die relative Stellung der 
Sauerstoff- und Schwefelatome verschieden. Man wird, im Hinblick 
auf die in der Äthylreihe bereits vorliegenden Beobachtungen,') 
erwarten dürfen, den isomeren Körper durch die Einwirkung des 
Phenylcyanats auf das Äthylmercaptan zu erhalten. Bildung und 
Zersetzung des Körpers würde im Sinne der Gleichung 


spot 
en us GH)” 


erfolgen. 

Ich habe nicht versucht, den hier angedeuteten Körper aus 
seinen Componenten zusammenzusetzen, da seine Darstellung auf 
diesem Wege für die Lösung der Aufgabe, welche ich anstrebte, 
ohne Interesse gewesen wäre. Wohl aber war es bei der Leich- 
tigkeit, mit welcher in dieser Körpergruppe Sauerstoff und Schwe- 
fel ihren Platz wechseln, su versuchen, ob sich ein bei der Destil- 
lation in Äthylmercaptan und Phenyleyanat zerfallender Körper 
nicht in irgend einem der Processe bilden könne, in denen sich 
das normale Xanthogenamid erzeugt. 

Von den verschiedenen Methoden, mittelst deren man das Xan- 
thogenamid erhalten hat, schien die, von Hrn. Debus”) entdeckte, 
aus dem sogenannten Äthyldisulfocarbonsulfid (Äthylbioxysulfocar- 
bonat) am schnellsten zum Ziele zu führen. Bei der Darstellung 
dieser letzteren Verbindung wurde genau das von Hrn. Debus’) 
angegebene elegante Verfahren eingehalten, welches ich bestens 
empfehlen kann. Eine starke alkoholische Kalilösung wurde mit 
dem berechneten Gewicht Schwefelkohlenstoff versetzt und stehen 
gelassen bis sie zu einer Masse schöner Krystallnadeln von xan- 


!) Hofmann, Monatsb. 1869, 120. 
2) Debus, Ann. Chem. Pharm. LXXII. 5. 
 ?) Debus, Loe. eit. LXXXII. 261. 


608 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


thogensaurem Kalium erstarrt war. Diese Masse wurde alsdann 
in dem doppelten Volum Wasser gelöst und durch die Flüssigkeit, 
welche mit einer kleinen Menge Jodkalium versetzt worden war, 
ein starker Chlorstrom geleitet. Die Ausscheidung von Jod deu- 
tet den Zeitpunkt an, wenn das Chlor nicht mehr von dem Metall 
des xanthogensauren Salzes fixirt wird. Für den Zweck, den ich 
im Auge hatte, war es hinreichend, die chlorgesättigte Flüssigkeit 
stehen zu lassen, bis sich das Äthyldisulfocarbonsulfid als ölige 
Schicht abgeschieden hatte, und diese nach dem Waschen mit Was- 
ser und Abheben im Scheidetrichter direct mit Anilin zu behandeln. 

Die Reaction ist eine sehr lebhafte und erfolgt gerade so wie 
man nach den Versuchen des Hrn. Debus über die Wirkung des 
Ammoniaks erwarten durfte. Unter gleichzeitiger Schwefelaus- 
scheidung spaltet sich das Äthyldisulfocarbonsulfid bei der Behand- 
lung mit Anilin in Phenylxanthogenamid (halbgeschwefeltes Phe- 
nylurethan) und Xanthogensäure 


(CH ee REN SM 
ER LE N=s+ se 


ein Theil der letzteren geht bei Gegenwart eines Überschufses von 
Anilin unter Schwefelwasserstoffentwicklung und Austreten von 
Alkohol in diphenylirten Schwefelharnstoff über, 


(SI) 
C,H, 08,0 + 2 ER — (GH. N, t Be ug ebysn 
H H, H, ; A 


u 


Die gleichzeitige Bildung von Diphenylsulfoharnstoff erschwert 
die Reindarstellung des Phenylxanthogenamids, allein durch oft 
wiederholtes Umkrystallisiren aus Weingeist, in dem der Harnstoff 
ungleich weniger löslich ist, gelingt es schliefslich das Phenylxan- 
thogenamid rein zu erhalten. 

In Folge dieser grofsen Schwierigkeit, den Körper im Zu- 
stande der Reinheit zu gewinnen, bin ich längere Zeit der Meinung 
gewesen, dafs die aus dem AÄthyldisulfocarbonsulfid dargestellte 
Verbindung verschieden sei von der bei der Einwirkung von Al- 
kohol auf Phenylsenföl erhaltenen. 

Bei einer sorgfältigen Vergleichung der physikalischen Eigen- 
schaften und namentlich des chemischen Verhaltens der nach bei- 


vom 25. Juli 1870. 609 


den Verfahrungsweisen gewonnenen Substanzen habe ich indessen 
keinen Unterschied auffinden können. 

Die eingehende kıystallographische Untersuchung des Phenyl- 
xanthogenamids, dessen alkoholische Lösung beim langsamen Ver- 
dunsten sehr schöne Krystalle liefert, führen zu demselben Schlusse. 
Hr. Dr. Groth fand die Krystallform dieselbe, ob die Verbindung 
auf die eine oder die andere Weise dargestellt worden war. 

Folgendes sind die Details der krystallographischen Unter- 
suchung, welche mir Hr. Dr. Groth freundlichst hat mittheilen 
wollen. 


Krystallsystem triklinisch. 
Axenverhältnifs (Brachydiag. : Makrodiag. : Verticalaxe) : 


a:b:c — 0,6027 :1:0,6539. 


Winkel der Axenebenen und der Axen: 


A—= 94° 55' eye lo 
B 210285 09 18 
C= 93 54 ya 92 54 


Die Krystalle sind säulenförmige Combinationen der Flächen- 
paare a und b, des linken Hemiprisma p, der nach vorn geneigten 
Eindlläche ec, dem vordern (r) und hintern (r’) makrodiagonalen, 
sowie dem linken brachydiagonalen Hemidoma o’, endlich den Oec- 
taöderflächpaaren 0’, x, x’ und z. 


Die Figur stellt eine gerade Projecetion auf der Horizontal- 
ebene dar. Die Zeichen der Flächen (nach Naumann und Weifs) 
sind folgende, wobei der hintere Theil der Axe a mit a’, der links 
gelegene Theil von b mit b’ bezeichnet ist: 


610 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


a =eS PD cs Zar Dre 
b = ooı,P oo — sa Zbr:esc 
er io Ze EEE 
pP’ —ıe8 DL, 1 2 ae eehl zene 
ee — ee c 
a eine alien c 
; Bw 
SE Nee es b’ C 
02 — N bi’ ae 
er Drajg an 
xa= m% = a : Ib: [67 
NE m ı nd 1 Ir » 
x Boserars is burtac 
2 pP} a 
Z ‚P$ a 3b: C 


Die wichtigsten Kantenwinkel sind: 


berechnet: beobachtet: 
ab — *»93° 54! 
ale pn. — *148 9 
baepn 118271 =1E8 1 
EN — 2102935 
bereı—i, "94 55 
3.2.70 1]43 3 143 51 
er I 155 55 
birre 27.95 20 94 46 
a: nl "1.31.39 
bir ,..90029 90.11 
Gi: bis 119725 11932 


Spaltbarkeit vollkommen nach b = & Be 


Zwillinge hahen dieselben Flächen b gemein und liegen 
umgekehrt. 


vom 25. Juli 1870. 6ll 


» Über die Einwirkung der Essigsäure auf das 
Phenylsenföl. 


Beim Durchblättern meiner Tagebücher am Schlusse des Se- 
mesters finde ich noch einen Versuch, den ich eigentlich schon iu 
meinen früheren Mittheilungen über die Senföle hätte anführen 
sollen. Derselbe mag, da ich nicht weils ob es mir vergönnt sein 
wird auf diese Untersuchungen zurückzukommen, hier eine Stelle 
finden. 

Ich habe bereits gezeigt,') dafs sich das Äthylsenföl unter 
dem Einflufse des Wassers in letzter Instanz in Äthylamim, Koh- 
lensäure und Schwefelwasserstoff zersetzt. 

Bei dem Phenylsenföl werden genau dieselben Erscheinungen 
beobachtet. Unter Mitwirkung der Elemente von 2 Mol. Wasser 
entsteht Anilin, Kohlensäure und Schwefelwasserstoff. 

Wahrscheinlich geht indessen, indem zu Anfang der Reaction 
nur 1 Mol. Wasser fixirt wird, dieser Umsetzung die Bildung einer 
wenig stabilen Sulfocarbaminsäure voraus, so dafs der Procels in 
zwei Phasen verlaufen würde 


C,H, CS)!I(C,.H.)HN 
Il C, .H. 
a‘ a Oh H,O = "pP t+00,+1,8. 


Läfst man statt des Wassers Alkohol einwirken, so bleibt die 
Reaction in der That auf halbem Wege stehen, indem sich zu- 
nächst halbgeschwefeltes Phenylurethan ?) erzeugt, 


C,H, C,H, lo (OSYU(C, a ER 
H 


ES Re 


C,H 

Es bleibt noch zu versuchen, ob sich bei höherer Temperatur 
das halbgeschwefelte Phenylurethan in Diäthylanilin, Kohlensäure 
und Schwefelwasserstoff verwandelt, 


NH as 28 C,H, 


= an +00, +H,8. () 


2) 


1!) Hofmann, Monatsb. 1868, 479. 
-) Hofmann, Monatsb. 1869, 333. 


612 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Im Hinblick auf das Verhalten des Phenylsenföls zum Wasser 
und zum Alkohol schien es von Interesse, auch die Einwirkung 
der Essigsäure auf das Senföl zu studiren. 

Hier konnte wiedernm unter Mitwirkung der Elemente von 
1 Mol. Essigsäure die Acetylverbindung der Phenylsulfocarbamin- 


säure entstehen 


C,H, IN — 


ee irle S)U(C,H,)HN 
(CS)UJ H 


p) 
mo Sn 


welche mit einem zweiten Mol. Essigsäure Phenyldiacetamid, Koh- 


lensäure und Schwefelwasserstoff liefern mulfste, 


En an PARCNRO) OSrIE 
Hi) > ( 2 £ n 
C, 17,0 Prem je (CEO), I 


Die Reaction verläuft in der Art, dafs man die in der zweiten 
Gleichung angedeuteten Producte erhält. 

Läfst man ein Gemenge von Anilin und Essigsäurehydrat 
einige Stunden lang unter Druck bei 130—140° auf einander ein- 
wirken, so entwickeln sich beim Öffnen der Röhre Ströme von 
Kohlensäure und Schwefelwasserstoff, und die Flüssigkeit erstarrt 
beim Ausgiefsen zu einer prachtvollen Krystallmasse, die man nur 
einmal aus Weingeist umzukrystallisiren braucht, um sie alsbald 
im Zustande vollkommener Reinheit zu haben. Das phenylirte 
Diacetamid gleicht dem Acetanilid in seinen Eigenschaften. Der 
Schmelzpunkt liegt bei 110°. Mit den Alkalien erhitzt liefert das 
Phenyldiacetamid, wie zu erwarten war, Anilin und essigsaures 
Salz. 


10. Zur Geschichte der Äthylenbasen. 


Behufs der Darstellung einer gröfseren Menge Äthylendiamins, 
dessen ich für das Studium des Cyanäthylens und des Äthylen- 
senföls bedurfte, waren mehrere Kilogramme Bromäthylen mit al- 
koholischem Ammoniak gemischt stehen geblieben. Nach Verlauf 
einiger Monate hatten sich aus dieser Mischung reichliche Mengen 
einer weilsen Substanz abgesetzt, welche, von der Flüssigkeit ge- 
trennt, sich bei der Behandlung mit Wasser als ein Gemenge von 


vom 25. Juli 1870. 615 


Bromammonium mit einem amorphen, in Wasser, Alkohol und 
Äether so gut wie unlöslichen Körper erwies. Bei erneuten Ope- 
rationen wurde die sonderbare Substanz stets wiedererhalten, zu- 
mal, wenn das Bromäthylen im Überschusse angewendet wurde. 
Der Analyse stellten sich ungewöhnliche Schwierigkeiten entgegen, 
da sich der Körper nicht reinigen liels und bei verschiedenen Ver- 
suchen Producte von ähnlicher Beschaffenheit, aber verschiedener 
Zusammensetzung entstanden. 

Durch vielfach wiederholte Analysen zahlreicher Producte ver- 
schiedener Darstellungen wurden diese eigenthümlichen Substanzen 
als Verbindungen eines uud desselben Äthylenderivats des Am- 
moniaks mit mehr oder weniger Bromwasserstoffsäure erkannt. 
Nach den bis jetzt angestellten Versuchen lassen sie sich betrach- 
ten als die bromwasserstoffsauren Salze eines Tetraäthylentriamins, 
welche 1, 2 oder 5 Mol. Bromwasserstoffsäure enthalten, nämlich 


CH. N: Br —- (&H,HN, -HB:r, 
0,H,N;Br, = (,H,),HN,, 2HBr und 
0,H„N;Br;, = (3,H,,HN, 3HBı. 


Durch längere Digestion mit Ammoniak läfst sich die Bron- 
wasserstofflsäure entfernen, indem entsprechende Hydroxylverbin- 
dungen entstehen, welche eben so wenig krystallinisch und löslich 
sind als die Salze Aus den Hydroxylverbindungen lassen sich 
die übrigen Salze dieser merkwürdigen Base erhalten. 

Die oben angegebenen Formeln drücken nur die einfachsten 
Atomverhältnisse aus. Man kann aber kaum bezweifeln, dafs diese 
Salze weit entfernt sind, Triaminsalze zu sein, dafs sie sich im 
Gegentheil als Salze von Polyaminen der höchsten Ordnung er- 
weisen werden. 


ll. Zur Kenntnifs des Aldehydgrüns. 


Die Aufschlüsse, welche die mit Hrn. Ch. Girard gemein- 
schaftlich ausgeführte Unteruchung') über die Natur des Jodgrüns 


'1) Hofmann u. Girard, Monatsberichte 1869, 563. 


614 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


gegeben hatte, mufsten den Wunsch rege machen, auch die Zusam- 
mensetzung des Aldehydgrüns zu ermitteln. Durch die Güte des 
Hrn. Dr. H. Buff in Crefeld war ich im Besitz einer gröfseren 
Menge dieses merkwürdigen Körpers, und habe mich in den letz- 
ten Monaten vielfach bemüht, die Zusammensetzung desselben fest- 
zustellen. 

Das breiartige Rohproduct enthält noch Natriumsulfat und 
Natriumacetat; durch Waschen mit warmem Wasser wurde es von 
diesen beiden, sowie allen übrigen Mineralbestandtheilen befreit, so 
dafs eine Probe auf dem Platinblech verbrannt keinen feuerbestän- 
digen Rückstand hinterliefs. Es sind viele Versuche gemacht 
worden, die so gereinigte Substanz zu krystallisiren oder in eine 
krystallisirte Verbindung überzuführen, aber ohne Erfolg. Es blieb 
nichts anderes übrig, als das ausgewaschene Grün in Alkohol zu 
lösen und die Lösung mit Äther zu fällen. Diese Operation wurde 
zur Sicherung eines möglichst reinen Präparates mehrfach wieder- 
holt. Die schön grüne amorphe Substanz erwies sich schwefel- 
haltig; in vacuo getrocknet lieferte sie folgende Zahlen: 


T: II. III. 
Kohle... 7. 17.22633.1 63.61 63.89 
Wasserstoff . . 6.83 6.67 6.45 


Schwefel . . . 14.99 14.66 14.85 


Diesen Procenten entspricht sehr nahe die Formel 
C,H5,N,;50, 


welche folgende Werthe verlangt: 


Theorie 
Cs, 264 63.93 
H,;, 27 6.54 
N, 42 10.17 
Sg 64 15.49 
10) 16 3.87 
415 100.00 


Man könnte sich das Aldehydgrün gebildet denken durch das 
Zusammentreten von 1 Mol. Rosanilin, 1 Mol. Aldehyd und 2 Mol. 
Schwefelwasserstoff, welche bei der Darstellung — Einwirkung 


vom 25. Juli 1870. 615 


von Aldehyd auf ein Rosanilinsalz in Gegenwart von unterschwef- 
ligsaurem Natrium — möglicherweise auftreten können. 
0,H,N; + G,H,O + 2H,S = C,H,,N,$S,0. 

Ich bin indessen weit entfernt, die angeführte Formel als den 
wahren Ausdruck für die Zusammensetzung des Aldehydgrüns zu 
halten. Weder in der Bildungsweise noch in den Metamorphosen 
dieses Körpers habe ich bisher die nöthigen Garantieen für die 
Richtigkeit der gegebenen Formel finden können, und ich würde 
die unfertigen Resultate nicht veröffentlicht haben, wenn ich nicht 
fürchten müfste, dafs mich die Zeitverhältnisse wahrscheinlich wäh- 
rend einer längeren Periode verhinden werden, diese Untersuchung 
weiter zu verfolgen. 

Schliefslich mag nur noch die Richtung angedeutet werden, in 
welcher ich den Schlüssel zur Erkenntnifs des Aldehydgrüns zu 
finden hoffe. Die Rosanilinsalze werden auch ohne Gegenwart von 
Aldehyd durch Behandlung mit Natriumhyposulfit in eine schwefel- 
haltige Substanz umgewandelt, deren offenbar weit einfachere Zu- 
sammensetzung — so darf man annehmen — sich dem Versuche 
zugänglicher erweisen wird. Auf die Kenntnifs analoger Vorgänge 
gestützt, wird man alsdann leichter die bei der Analyse des Alde- 
hydgrüns aufgefundenen Zahlen richtig interpretiren können. 


12. Über die Moleculargröflse des Chinons. 


Bei der Mittheilung von Versuchen, die von Hrn. E. Ador 
über das Phtalyl') angestellt worden sind, hat Hr. Baeyer eine 
bemerkenswerthe Parallele gezogen zwischen den von dem Phtalyl 
sich ableitenden Verbindungen und den Reductionsproducten des 
Chinons. Dieser Betrachtung liegt die Annahme zu Grunde, die 
Molecularformel des Chinons sei C,,H,O, und dieser Körper leite 
sich von 2 Mol. Benzol ab, während man bisher die Formel 
C,H,O, gelten liefs, wonach das Chinon nur einem Mol. Benzol 
entsprechen würde. 


'*) Ador, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft Jahrg. III. 513. 


616 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Die neue Auffassung des Chinons schien sehr wohl mit eini- 
gen Beobachtungen vereinbar, welche ich früher anzustellen Gele- 
genheit hatte. Schon vor längerer Zeit habe ich nachgewiesen, 
dafs sich das Chinon durch Oxydation sowohl aus dem Anilin 
als aus dem Benzidin darstellen läfst.') Auffallend war es mir 
bei diesen Versuchen, wie schwierig das von 1 Mol. Benzol abstam- 
mende Anilin sich in Chinon verwandelte, während sich dieser 
Körper aus dem Benzidin, also aus einem Dibenzolderivate, so 
leicht und so reichlich gewinnen läfst, dafs man letzteres nicht un- 
zweckmäfsig als Material für die Darstellung des Chinons benutzen 
könnte. Dieses auffallende Verhalten würde verständlich, wenn 
das Chinon wirklich zwei Benzolreste enthielte. 

Mit einer Reihe von Versuchen über Gasvolumgewichte be- 
schäftigt, deren Aufgabe zumal die weitere Prüfung der von mir . 
beschriebenen Dampfdichtebestimmung in der Barometerleere war, 
schien es mir von Interesse, auch die Dichte des Chinongases zu 
bestimmen. 

Dieser Körper verflüchtigt sich vollständig bei der Tempera- 
tur des siedenden Anilins; sein Gas ist schwach gelb gefärbt, und 
verdichtet sich beim Abkühlen wieder zu langen gelben Nadeln, 
welche keine Spur von Zersetzung zeigen. 

Die Versuche, die ich mit dem Chinon angestellt habe, sind 
der Auffassung der HHrn. Baeyer und Ador, welche aus dem 
angeführten Grunde auch für mich einen hohen Grad von Wahr- 
scheinlichkeit gewonnen hatte, nicht günstig, Bei der im Anilin- 
dampf ausgeführten Dampfdichtebestimmung, deren Details ich spä- 
ter mittheilen werde, ergaben sich Zahlen, welche das Chinon un- 
zweideutig als ein Monobenzolderivat charakterisiren. 


Theorie: Versuche: 
C,,2:0; C,H,O, 
Gasvolumgewicht I. 1. 
auf Wasserstoff bezogen 108 54 54.7 53.73 
auf Luft bezogen 7.9 3) SETS, 3.72. 


Die geringe Ausbeute an Chinon, welche man aus dem Anilin 
erhält, mufs daher einen anderen Grund haben. Vielleicht rührt 
sie von der Leichtigkeit her, mit der sich Chinon und Anilin ver- 


1) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XII, 4. 


vom 25. Juli 1870. 617 


binden. Auch verdient hier bemerkt zu werden, dafs das Beta- 
phenylendiamin, welches doch auch ein Monobenzolderivat ist, 
das Chinon ohne Schwierigkeit liefert.!). 

Ich habe bei dieser Gelegenheit auch versucht, die Dampf- 
dichte des Chloranils und schliefslich des Anthrachinons zu 
bestimmen. Es ist mir aber nicht gelungen, diese Körper voll- 
ständig zu vergasen. S 

Schliefslich bleibt mir noch die angenehme Pflicht zu erfüllen, 
meinen Assistenten, den HH. K. Sarnow, R. Bensemann und 
F. Hobrecker, für die ebenso unermüdliche wie umsichtige Hülfe 
zu danken, welche sie mir, wie bei so vielen anderen Gelegenhei- 
ten, auch bei Feststellung der im eg auie: beschriebenen 
Thatsachen haben leisten wollen. 


28. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Mommsen las über das römische Consulartribunat. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Verhandelingen van het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Weten- 
schappen. Vol. XXXII. Batavia 1868. 4. 

Tydschrift voor Indische Taal, Land- en Volkenkunde. Vol. XVI 2—6. 
ROTE Batavia 1868, 8. 

Notulen aan de Algemeene en Bestuurs-Vorgaderingen van het Bataviaasch 
Genootschap van Kunsten en Wetenschappen. Vol. IV—VII. 1867—69, 8, 


1) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XII, 643. 


618 Gesammtsitzung vom 28. Juli 1870. 


Katalogus der Ethnologische en Numismatische Afdeeling van het Museum 
van het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Wetenschappen. Bata- 
via 1868. 8. & 

Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Königl. Bayerischen Akademie der 
Wissenschaften. 12. Bd. 1. Abth. München 1869. 4. 

Wilh. Preger, Die Entfaltung der Idee des Menschen durch die Weltge- 
schichte. München 1870. 4. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


August 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond. 


4. August. Gesammtsitzung der Akademie. 
Hr. Reichert las über das Skelet der Wirbelthiere. 


8. August. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. v. Ranke las Litterarische Erörterungen betreffend den 
Ursprung des siebenjährigen Krieges. 


11. August. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Mommsen legte folgende Mittheilung des Hrn. Dr. Otto 
Blau vor: 


Dritter Bericht über römische Alterthümer in Bosnien. 


Als Ausgangspunkt der gegenwärtigen Beiträge zur Auffindung 
römischer Spuren in Bosnien nehme ich nochmals die im letzten 
Berichte (Monatsberichte, 25. Nov. 1867) besprochenen Strafsen, 
welche von Salonae nach der Flottenstation an der Save und nach 
- Narona führten. 


[1870] 43 


620 Gesammtsitzung 


Die Schwierigkeit, die Stationen dieser Strafsen im Einzelnen 
nach Lage und Namen nachzuweisen, verdoppelte sich dadurch, 
dafs dieselben aufser den Itinerarien nirgends weiter erwähnt schie- 
nen. Es kommt sonach der Forschung zu Statten, dafs eine bis- 
her unbeachtete Quelle einen grofsen Theil derselben Namen, wel- 
che die Antoninischen Itinerarien und die Tab. Peut. auf den von 
Salonae auslaufenden Strafsen nennt, nicht allein in authentischer 
Form erhalten hat, sondern auch als noch im 6. Jahrhundert un- 
serer Zeitrechnung bestehend nachweist. 

Diese Quelle sind die, soweit ich sehe, von allen unverstan- 
denen Nachrichten, welche sich in den Acten des i. J. 532 gehal- 
tenen zweiten Concils von Salonae über die zu der Erzdiöcese 
Salonae gehörigen Bisthümer finden, gedruckt bei Farlati, Illyr. 
Saer. II, 273 ff. 

Die abendländische Kirche hatte von der dalmatinischen Küste 
aus, wohl schon seit der Christenverfolgung unter Diocletian, den 
Fufstapfen der römischen Colonisation folgend, immer mehr Ter- 
rain im Binnenlande gewonnen und verhältnifsmäfsig zahlreiche 
Schöfslinge auf bosnischem Boden getrieben. 

Eines der bedeutendsten und allem Anschein nach das älteste 
Bisthum in Bosnien war das von Bistue, einer Ortschaft, die 
schon in der Tab. Peut. erwähnt wird, wobei nur zweifelhaft 
bleibt, ob Bistue vetus oder nova der Sitz desselben war. Der 
Bischof von Bistue, der sich auf dem Coneil v. J. 532 als Andreas 
episcopus Bestoensis unterschreibt, stand unter der Erzdiöcese 
Salonae. Er klagt auf dem Concil über die Beschwerlichkeit sei- 
nes Dienstes und beantragt, dafs zu seiner Erleichterung ein zwei- 
tes Bisthum von den Grenzen von Bistue an bis zu den Ortschaf- 
ten Copella'!) und Arena gegründet werde, worauf jedoch das 
Conecil nicht eingeht, sondern nur genehmigt, dafs noch ein Ponti- 
fex mehr bestellt werde. Aus dem Umstande, dafs Bistue vetus 
viel zu nahe an Salonae lag, um jene Klagen gerechtfertigt er- 
scheinen zu lassen, und überdies in einer Gegend, die einem wei- 
terhin zu erwähnenden andern Sprengel zugehörte, wird man mit 
ziemlicher Sicherheit schliefsen dürfen, dafs vielmehr Bistue nova, 


!) Fra @. Martie will in dem Namen Copella das heutige Kopilo in 
der Nähe von Kreschevo erkennen. 


vom 11. August 1870. 621 


in der Gegend des heutigen Hauptklosters der Franziskaner Foj- 
nitza, der Sitz jenes Bischofs war. 

Nicht genug aber, dafs schon diese kirchlichen Bedürfnisse 
auf einen so lebhaften Verkehr des inneren Bosniens mit Dalma- 
tien und auf eine so verbreitete christliche Cultur deuten, wie sie 
später bis ins 14. Jahrhundert nicht wiedergekehrt sind; es kam 
auch auf demselben Concil die Errichtung mehrerer neuer Bisthü- 
mer in gleicher Gegend und Richtung zur Sprache und zum Aus- 
trag. Es wurde beschlossen, dafs 

in Sarsentero, Muccuro et Ludro episcopi debeant con 
secrari, 
und wurde jedem dieser Bischöfe eine gewisse Anzahl von Paro- 
chien zugeordnet, die früher unter Salonae gestanden hatten. 

Um Muccurum hier zu übergehen, welches als wahrscheinlich 
identisch mit Mevizovgcv des Prokop an der dalmatinischen Küste 
nicht zum eigentlichen Bosnien gehört und nach den Concilsacten 
bei Farlati (der es im heutigen Macarsca sucht) auch thatsäch- 
lich nur den Küstenstrich von der Berglandschaft Delminium 
bis nach Oneum'!) und die Inseln umfafste, — so laden die Orts- 
namen in den Diöcesen Sarsenterum und Ludrum?’) um so mehr 
zu einer Untersuchung ein, als sie selbst einem so mit dem 
Lande vertranten Gelehrten, wie Farlati, ganz unerfindlich geblie- 
ben sind. 

Die Diöcese Ludrum wird folgendermafsen constituirt: 
Ludrensis episcopus municipium Magnioticum, Equiti- 
num, Salviaticum et Sarziaticum, sicut ad ordinem 
nostrum noscit obtinuisse, percipiat. 

Es springt in die Augen, dafs diese Municipien, wenn sie um ihrer 
zu grolsen Entfernung willen von Salona abgezweigt wurden, im 
Binnenlande weit von der dalmatinischen Küste lagen, und man 
darf daher 

das Municipium Magnioticum mit Magno 

° 5 Equitinum „ Equum 

u 5 Salviaticum „ Salviae 


1) ”Ovauov Ptolem. Ob Neum bei Klek, wo römische Inschriften vor- 
kommen? 

?2) Der Bischof unterschreibt sich: Cecilianus Ludroensis; was auf eine 
Form Ludroa führt, wie Bestoensis von Bistue, Butoensis von Butua. 


43* 


622 Gesammtsitzung 


ohne Weiteres und 
das Munieipium Sarziaticum mit Sarnade 
vermittelst einer sehr leichten Correctur zusammenstellen. 

Vergegenwärtigt man sich nun, dafs Magno zwischen Salonae 
und Scardona in der Nähe von Dernis zu suchen ist,') dafs ferner 
Equon, Aizovor, Aequum nach Inschriften mit Sicherheit nach 
Citluk bei Sign’) zu setzen ist; Salviae als handschriftliche Les- 
art statt des gewöhnlich Silviae geschriebenen Namens im Itin. An- 
ton. auf der Stralse nach Pannonien, etwa beim heutigen Glavice 
vorkommt,?) und Sarnade oder Sarnate*) nach ungefährer Di- 
stanzberechnung mit Peska zusammenfällt, so läfst sich sowohl im 
Allgemeinen die Lage des Sprengels des Bischofs von Ludrum geo- 
graphisch ziemlich genau festlegen, als auch erschliefsen, dafs 
Ludrum, sofern man als einigermalsen wahrscheinlich gelten las- 
sen wird, dafs es in der Mitte jener Ortschaften lag, etwa bei 
Glamotsch zu suchen sein wird. Nach Überlieferung der Fran- 
ziskaner soll ohnehin bei Glamotsch eines der ältesten christlichen 
Klöster Bosniens gelegen haben. Nach Occhievia nennt Haroldus 
es Glama.°) 

Auch die Beschreibung der zweiten neugeschaffenen Diöces 
bietet einige Anhaltepunkte für altrömische Namen. Der stark 
corrumpirte Text bei Farlati a. a. O. lautet: 

ut Sarsenterensis Episcopus basilicas in municipio de 
Lontino, Stantino, Novense per Rusticiarum, pecuatico 
et Beuzzavatico, quae tamen ad nos hactenus respexere, 
in parochia consequatur. 


1) Geogr. Rav. 211, 1 nennt den Ort Magum, wo Tab. Peut. 
Magno hat. 


2) Mittheilung des Hrn. Mommsen. 

3) Salviae Ilin. Anton. ed. Pind. et Parth. 269, 4. — Ein YaAovıaı 
auch bei Ptolem. mit Ovapovapa zusammen. 

4) Form wie Aemate. Über die Ortslage s. Monatsber. 1867, S. 743. 

5) Philipp. ab Occhievia, Epitome vetustatum Bosnensis provinciae. 
Anconae 1776, S. 66, p. 11: „Septimus conventus fuit in aut juxta urbem 


Glamoae; sie apud Haroldum coenobium quoque Glamae vocatur, qui locus 
est in confiniis Croatiae aut Corbaviae.“* 


SEIEN En Ihn 


ER . 


vom 11. August 1870. 623 


Von den hier genannten Örtlichkeiten ist zunächst Sarsen- 
terum, der Bischofssitz, zusammenzuhalten mit Sarsiteron, wel- 
ches im Geogr. Ravenn. 211,14 neben Bistue betus genannt wird, 
und somit nicht allzufern von der Ebene von Duvno gesucht wer- 
den darf, da Bistue vetus nach der Angabe seiner Entfernung 6 
Mill. landeinwärts vom Mons Bulsinius (Buzanin s. MB. 1867 
S. 744) ziemlich genau festgelegt werden kann.') 

Während nach dem oben Gesagten die Diöcese von Ludrum 
den nördlichen Theil des Erzbisthums Salona bildete, ist die von 
Sarsenterum im Südwesten zu suchen. Darauf führt schon das 
mit Sicherheit erkennbare Municipium Novense, welches ich 
für die gleiche Ortschaft halte, die im Geogr. R. 211,21 und Tab. 
Peut. Novas, ad Novas, Novae geschrieben wird und inschrift- 
lich als das heutige Runovitj feststeht, auf der Strafse, die von 
der Tilurius-Brücke sich nach Narona abzweigtee Auf derselben 
Strafse, 25 Mill. von Narona entfernt, wird im Itin. Anton. 338,5 
der Ort Dalluntum genannt, und es dürfte daher kein Bedenken 
erregen, wenn ich in de Lontino ein corrumpirtes Dallontino 
erkenne. Pecuatico führt mit leichter Änderung auf Peluatico 
von Pelua?) oder Pelva, welches nach einer annähernden Distanzbe- 
rechnung in der Gegend des heutigen Ljubuncitj zu suchen ist.°) 
Von den noch übrigen Namen bringe ich Stantino, obschon zwei- 
felnd, mit Naurtium zusammen, das Geogr. Rav. 211,19 in der 
Nähe des vorigen nennt, und halte endlich für möglich, dafs Be- 
uzzavatico aus Leusavatico verderbt ist, da Leusava eben- 
falls als Station auf der Römerstrafse durch Bosnien, wenn auch 
um ein Bedeutendes nördlicher, erwähnt wird.*) — Das „per Ru- 
stiiarum“ allein bleibt mir unverständlich.?) 

Vergegenwärtigt man sich das Ergebnifs dieser Untersuchung 
in einer kartographischen Darstellung, so gestaltet sich die Ver- 


1) Für die Auffindung des Ortes ist vielleicht der Dorf- oder Flufsname 
Bist zu beachten, der auf Roskievic's Karte nahe bei Livno verzeich- 
net ist. 

2) So Cod. im Itin. Ant. 269, 5. 

3) Monatsberichte 1867, S. 7438. 

4) Itin. Ant. 269, 2. 

5) Ob an eine Entstellung aus Aufustianis zu denken, das auch in 
der Gegend lag? 


624 Gesammtsitzung 


theilung der christlichen Metropolen und Ortschaften auf dem Ge- 
biet, welches jetzt zu Bosnien gehört, so, dals die drei Bisthümer 
Ludrum, Sarsenterum und Bistue sich ziemlich langgestreckt, pa- 
rallel den Küstensprengeln Spalatro und Macarsca hinzogen, und 
jedes für sich gleichsam als Längenaxe eine der römischen Stras- 
sen, 1) nach Pannonien, 2) nach Argentaria, 3) nach Narona, 
besafs. 

Diese christlichen Ansiedelungen ınüssen indefs bald zu Grunde 
gegangen und von den Heerzügen der Gothen und Slaven, die 
denselben Römerstralsen folgten, verschlungen worden sein; denn 
nach 532, dem Datum jenes Concils von Salonae, wird weder der 
neucreirten Bisthümer noch ihrer Bischöfe jemals wieder in der 
Kirchengeschichte gedacht. Die Anordnungen des Concils in die- 
ser Beziehung scheinen kaum ernstlich ins Leben getreten zu sein. 

Von der Stralse, die nach Narona führte, hatten meine und 
Moiza’s letzten Untersuchungen im J. 1867 die Spuren bis in die 
Gegend von Arzano verfolgt und nachgewiesen; jenseit der bosni- 
schen Grenze und in der Richtung über Runovitj hinaus fehlte es 
an allen Anhaltspunkten. Neuerdings haben sich jedoch Reste der 
alten Strafse bei Tihaljina und Nezdravitza!) nordwestlich 
von. Ljubuschki gefunden, die für die weitere Verfolgung des Iti- 
nerars von Wichtigkeit sind. 

Für den weiteren Lauf dieser Route bietet sich ohnehin das 
Trebischat-Thal als der natürliche Abflufs des Verkehrs nach Na- 
rona zu. Auch sollen im Trebischat-Thale, nach mündlichen Mit- 
theilungen Eingeborner, sich an mehr als einer Stelle Strecken der 
alten Strafse erhalten finden. Dem kommt zu Hülfe, dafs durch 
den thätigen französischen Consul Moreau im vorigen Jahre eben 
an einem Punkte römische Alterthümer ans Licht gezogen sind, 
der im Bereich dieser Strafse lag, nämlich in der Nähe des Fleckens 
Ljubuschki, der nach einer Notiz des Franziskaner-Schematis- 
mus einst den Beinamen Parva Salona (ob = Saloniana des 
Ptolem.?) gehabt haben soll.?) 


!) Schematismus custodiae provincial. in Hercegovina (Spalat 1867) 
S. 165: „Nezdravica unum insigne habebat fortalitium .... item reliquias 
antiquae Romanorum viae, quae Naronam ducebat.* Ebenda über Tihal- 
jina, welches 2 St. südsüdwestlich von Ruzici liegt. 

?) Schematism. etc. S. 174, 


r 


wu. wen an 


vom 11. August 1870. 625 


In der katholischen Pfarre zu Humatz, 14 Stunden südlich 
von Ljubuschki sind zwei Steine mit römischen Inschriften einge- 
mauert, welche am rechten Ufer des Flufses ausgegraben wurden. 
Die Beschreibung des Fundortes im Schematismus S. 174 lautet: 


„Humatz et vieinias ejus antiquis in aestimio fuisse, 
„eircumstantia magnifica rudera haesitare non sinunt. Sunt ete- 
„nim duae lapideae tabulae, latinis exaratae litteris, hic prope 
„ultra flumen erutae, in quibus etsi omnia ordine legere denege- 
„tur, illud tamen nitido colligere est: lapides illos Romanorum 
„templo 

„vetustate corrupto columnis et 

„porticibus adjectis a Romanis 

„consulibus restaurato 
„positos fuisse. .....2...... Sed ibidem in loco Grad£ine 
„(magnae arces) plurimi existunt lapides perita manu elaborati; 
„tum aggeres, aedificiorum divisiones, lateres, imbrices, atque 
„tegulae magna in copia. — Pontis quoque pervetusti bases ibi- 
„dem se offerunt et Romanorum antiquae viae, etiam aliquos 
„milliares lapides habentes, reliquiae passim occurrunt. Itaque 
„Humatz suis cum vieiniis, etiam ab antiquis magni habitus (!) 
„fuit. De Veljaci quod tetigi') hic quogue reitero: in istis dua- 
„bus parochiis numismata, annulos, deorum simulacra, arma et 
„id genus pluries et pluribus in loeis inventa fuisse.* 


Die Abschriften dieser Steine, welche ich Hrn. Moreau ver- 
danke,?) sind folgende: 


!) Veljaci liegt halbwegs zwischen Runovitj und Ljubuschki, 4 St. von 
letzterem, etwas weniger von ersterem entfernt. 

2) Nächst einer brieflichen Mittheilung vom 19. Juni 1869 hatte ich 
im August 1869 Gelegenheit die Abschriften mit den Originalcopien Moreaus 
in Mostar zu vergleichen. 


626 Gesammtsitzung 


1. 


OFPISENTIVSUSE 
VERINVS JIICXICL 
TEMPLVMLIB-PAT- 
VETVSTATE CORRVP- 
PORTICI ADIECT 
RESTITVIT 


2. 
TEMPLVM LIBERI 
PATRIS SI'TBIAE VETvs 
TATE LAPSVM RESTIT 
RIEF DE ADIECTIS POR 
TICIBVS CVRAS AGENTE 
FL VICTOREY7LEGIADP 
SEVERO ET POMPEIANO 
TT cos 


Von den römischen Ziegelsteinen, die aus gleicher Gegend, 
wo P. Bakula, der Verfasser des Schematismus, sie erwähnt, nach 
Mostar gebracht worden sind, besitzt der französische Consul einen 
mit dem Stempel 


| LEG VIIE AVG | 


und mit letzterem zusammen fanden sich sorgfältig bearbeite Plat- 
ten, zum Theil aus carrarischem Marmor, sowie Münzen mit Octavians 
Namen. Der alte Bacchustempel, der also hier stand, ist gewifs 
in Zusammenhang mit der Weinkultur, die in diesen Gegenden in 
die Römerzeit zurückreicht, zu setzen.!) 

Aus der Umgegend von Ljubuschki, ohne nähere Angabe 
des Fundortes, stammen ferner noch folgende Inschriften, deren 
Abschriften, resp. Abklatsche ich ebenfalls Hrn. Moreau verdanke: 


!) Ortsnamen wie Viteline, Vinjani, Vinaci sind in der Gegend häufig 
und alle vom Weinbau entlehnt. 


vom 11. August 1870. 627 


3 4. 
MOPSVS 
SEX -VARI:-SER: 
AN NOR » XIIX 
HIC SITVS 


5. 
L.-HERENNI 
VS-I-E-PAP. 
MVL-:ADE 
VER .-LEG VII 
AN-.LX:.STI- 
XXX H'SE 


6. 


Nahe bei Viteline (Vitaljina) 5 St. südwärts von Humatz 
wurde eine verstümmelte Säule von 24 Fufs Höhe und 14 Fuis 
Dicke gefunden, auf welcher eine ältere Inschrift, von der erkennt- 
lich war 

H CAES 

ETANN 
CAES 

RROMAN 


durch eine spätere überschrieben worden ist. Letztere lautet 


IMP CAES 
M.AVR. 
PROBO 

P.F'INVIE 


Ts 
Bei dem Chan Kutatz, 2 St. von Ljubuschki nach Mostar zu, 
existiren neben andern behauenen und mit Sculpturen roh verzier- 
ten Steinen zwei Inschriften, deren Entzifferung jedoch dem Fin- 
der nicht ganz gelang. Nach einem Abklatsch des Hrn. Moreau 
läfst sich die eine folgendermafsen lesen: 


Gesammtsitzung 


IM. 2.» PIL/Ar, UP > 
MILESZ-CHOTTS 
VWIZSEVDE 
ZABTANI MARGEI 
L-II-NONI - VALENIS 
EA“Q. DEM. NONIO- 
VALENTI-. BENEME-. 
RENT I- TIEVYEVYM POS 
ANNORVM XXX ST: VI 


8. 


von der anderen, die erst stundenlang gereinigt werden mulste, 


ehe sie einigermalsen leserlich wurde, giebt Hr. Moreau folgende 


Umschrift: 


BARSTNSVESSEHTAT ET 
E TVBEFGEN?D7 
CA TVRIX MILE 
E EHI MTATLR 
ANRENIX IST 
I Pr XXI FRSIE 
TE] =2%,-2OPFI® 
ET TVLLIVS VE 


28 


Ferner ist auf der Strafse nach Mostar der kleine Ort Gra- 


datz bei Gradnitj (verschieden von zwei anderen Gradatz in der- 
selben Gegend), von dem es im Schematismus $. 93 heifst: 


magnifica coemeteria antiquam in Gradatz numerosam 
ac divitem populationem sine dubio indicant, 


durch römische Funde bemerkenswerth. Pater Bakula fand da- 
selbst die Inschrift 


L. LIVIO:RVFINO 
FILIO PIA AELIA 


vom 11. August 1870. 629 


wohl dieselbe, von der auch Moreau gehört hatte, in dessen Reise- 
notizen sich aus Gradatz notirt findet: Hie jacet Rufus Filius 
Titi Livi Ael. 


10. 


Endlich fand sich noch bei Cerin, einer katholischen Pfarre, 
etwas nördlich von Gradatz das folgende Fragment 


MPIL 
EEE 


Nach der Angabe des Schematismus, der S. 84 ff. ausführlich 
über die Antiquitäten von Cerin handelt, soll sich unter andern 
Grabsteinen auch einer dort finden, der eine alte gothische In- 
schrift (freilich unleserlich und nach meinen Erkundigungen eher 
für altslavisch zu halten) bewahrt hat. Ebenda sind auch in einer 
Gruft die Vasen gefunden worden, welche im J. 1867 mein Bru- 
der, der Architekt Erwin Blau, durch Hrn. Prof. Adler der archäo- 
logischen Gesellschaft in Zeichnungen vorgelegt hat. 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Abhandlung des Hrn. Dr. 
Hugo Kronecker über die Gesetze der Muskelermüdung 
vor. 

Die Herren Ludwig und Alexander Schmidt hatten!) 
„das Verhalten der Gase, welche mit dem Blute durch den reizba- 
‚ren Säugethiermuskel strömen“ kennen gelehrt und zugleich gezeigt, 
dafs sauerstoffhaltiges Blut die (mittels intermittirender Ströme ge- 
prüfte) Erregbarkeit, auch wenn sie in Folge von mangelnder 
Circulation oder Tetanus schon beträchtlich gesunken war, wieder- 


1) Berichte der Königl. sächsischen Gesellsch. der Wissensch. Mathem.- 
phys. Classe. Leipzig 4. Il. 1868. 


630 Gesammtsitzung 


herzustellen vermag. Es waren nun zunächst die weiteren Fragen 
zu erledigen, ob durch Zufuhr von sauerstoffhaltigem Blute auch 
die gesunkene Leistungsfähigkeit eines arbeitenden ermüde- 
ten Muskels gesteigert werden könne, ob ferner andere Stoffe das 
Blut in dieser Hinsicht zu ersetzen im Stande seien und in wel- 
cher Weise die Restitution erfolge. Für diese Untersuchung schien 
es mir eine unerläfsliche Vorarbeit, zuvörderst den Ermüdungsver- 
lauf des nicht durchströmten arbeitenden Muskels zu prüfen. Als 
Objekt der Experimente konnte hierbei nicht der Muskel eines 
Warmblüters verwendet werden, weil solcher aufser der Cireulation 
schnell abstirbt. Ich wählte deshalb Froschmuskeln und zwar vor- 
zugsweise den M. triceps femoris (Ecker). Die Versuche habe ich 
zu Leipzig im physiologischen Institute ausgeführt, dessen Direc- 
tor, Hr. Professor Ludwig, mir nicht nur reiche experimentelle 
Hilfsmittel zur Verfügung stellte, sondern auch durch seinen werth- 
vollen Rath meine Arbeit vielfach förderte. 

Die ausführliche Darlegung der Versuchs-Ergebnisse und die 
nähere Beschreibung der Methoden, mit Hilfe deren sie gewonnen 
worden sind, werde ich demnächst an einem anderen Orte geben. 
Für jene Veröffentlichung verspare ich auch die Anführung der 
einschlägigen Arbeiten, welche ich hier um der Kürze willen un- 
erwähnt lasse. 

Die Versuchsanordnung war im Allgemeinen folgende: Die 
beiden entsprechenden Muskeln eines Frosches waren mittels fester 
Fäden in Verbindung mit zwei Schreibhebeln gesetzt, welche neben 
einander auf der berufsten Papierhülle einer grofsen Kymographion- 
trommel die Zuckungshöhen um das Doppelte vergröfsert aufschrie- 
ben. Als Reize dienten Öffnungs- oder Schliefsungs- Inductions- 
schläge, welche direct die beiden Muskeln durchsetzten, nachdem 
der eine Pol dem unteren Ende des einen Muskels, der andere Pol 
dem unteren Ende des anderen Muskels angelegt worden war. 
Die Reize wurden in der Regel verstärkt bis sie maximale Zuckun- 
gen auslösten, ehe der eigentliche Versuch begann. Mittels eines 
Metronoms, der den primären Stromkreis eines du Bois-Rey- 
mond’schen Magnetelektromotors schlofs, wurden in gleichen Zeit- 
intervallen, deren Gröfse innerhalb weiter Grenzen geändert wer- 
den konnte, Inductionsschläge ausgelöst, deren eine Art (Schlies- 
sungs- oder Öffnungsschläge) durch eine Pflüger’sche Vorrichtung 
abgeblendet wurde. Gewöhnlich wurde auch nach jeder Zuckung 


vom 11. August 1870. 631 


die Stromesrichtung mit Hülfe eines von mir zu dem Behufe con- 
struirten Stromwenders umgekehrt. Nach jeder Zuckung gestattete 
ein von dem Metronome mittelbar abhängiger Elektromagnet dem 
Windflügel des Kymographion-Uhrwerks eine halbe Drehung und 
hiermit der Trommel ein kleines Stück Rotation. 

Die Zuckungshöhen wurden demzufolge im Abstande von etwa 
1 Mm. neben einander gezeichnet. 

Der Arbeitsverlauf der Muskeln, welche oft viele hundert 
Zuckungshöhen bis zur völligen Ermüdung schrieben, konnte auf 
diese Weise bequem übersehen werden. 


1. 


Als erstes Hauptgesetz der Muskelermüdung hat sich folgen 
des ergeben: 


Wenn ein Muskel bei irgend einer bestimmten Überla- 
stung') in gleichen Zeitintervallen mit gleichen (maximalen) 
Öffnungs- oder Schliefsungs -Inductionsschlägen gereizt wird, 
so bilden die Zuekungsgröfsen eine arithmetische Reihe, de- 
ren constante Differenz einzig und allein von der Gröfse des 


Intervalls abhängt. 


Dieses Gesetz gilt, wie man auch die gleichen Zeit-Intervalle 
und wie man auch die Überlastungen wählen mag; aber für 
Belastungen gilt es nur bis zu derjenigen Zuckungshöhe, deren 
Gröfse der Dehnung durch das angehängte Gewicht gleichkommt. 

Stellt man den Vorgang graphisch so dar, dafs man auf einer 
Abscilsenaxe in gleichweit von einander abstehenden Punkten die 
Zuckungshöhen als Ordinaten aufträgt, so liegen nach dem ange- 
führten Gesetze deren Endpunkte in einer graden Linie. Ist & der 
Abstand zwischen je zwei Punkten der Abscifsenaxe, welche zwei 


1) Die von Hrn. Helmholtz (Müller’s Archiv f£ Anat. und Phys. 


eingeführten Bezeichnungen „Überlastung“ und „Belastung“ sollen hier be- 
deuten, dals im ersten Falle der durch 5 Gramm schwach gespannte Muskel 


unterstützt worden ist, bevor ihm das gröfsere Gewicht angehängt wurde; 
dafs im zweiten Falle der Muskel durch das ganze Gewicht gedehnt wurde. 


632 Gesammtsitzung 


aufeinanderfolgenden Reizen entsprechen und demgemäfs die der 
nten Zuckung zugehörige Abscilse @, gleich (n—1)k, so ist die 
Zuckungshöhe y, bestimmt durch die Gleichung 


I „"=Yyı - (n— VD, 


wo D jene im Gesetz erwähnte constante Differenz bedeutet. 

Die Gröfse der ersten Zuckungshöhe y, hängt von der Indi- 
vidualität des Muskels und von der Gröfse der Überlastung ab, 
immer maximale Reize vorausgesetzt. 

Die letzte Reizung, bei welcher noch eine (wirksame) Zuckung 
erfolgt, ist diejenige, für welche nach der obigen Formel die Con- 
tractionshöhe y, den kleinsten positiven Werth annimmt. Die An- 
zahl sämmtlicher Zuckungen, welche hier mit v bezeichnet worden 
ist, wird demgemäfs durch die Ungleichheiten 
9 


Yı 
— >v—]1ı 


en 


bestimmt; die Zahl v ist also die dem Werthe 5 zunächst liegende 


gröfsere ganze Zahl. 


Aus der Gleichung I ergiebt sich unmittelbar folgende Rela- 
tion zwischen 3 beliebigen Zuckungshöhen %,, Ya» Yn: 


(nn — m) yy + (!—n) + (m —)y, u 


Die Gleichung der graden Linie, welche die Endpunkte mit einan- 
der verbindet, ist: 


U te U 
D 
und der Werth der Constanten a ergiebt sich gleich % indem man 


für a= nk die Ordinate y= yı—nD zu setzen hat. Man hat 
also: 


1 ky—y) =Da 


als Gleichung jener graden Linie, wo k und D die oben festgesetzte 
Bedeutung haben. Nennt man ® das zwischen zwei Reizen lie- 
gende Zeitintervall in Secunden und setzt k = ©, so ist x die seit 
der ersten Zuckung verflossene Zeit (in Secunden), so dafs, wenn 
hierfür der Buchstabe t genommen wird, 


vom 11. August 1870. 633 
1001 e(yı-y)=Di 


ist. Nennt man ti, den zu y= 0 gehörigen Werth von t, das 
heifst also die Gesammtzeit der Arbeit des überlasteten Muskels, 
so ist 


D, & 
also wenn man diesen Werth von a Gleichung III einsetzt, 


IV yo = yı (lo —dY. 


Da (t,— {) die Zeitdauer ist, während welcher der Muskel von 
der Zuckung y ab noch arbeitet, so besagt die Gleichung IV, dafs 
sich die Zuckungshöhen verhalten wie die Zeiten der restirenden 
Arbeitsfähigkeit. 


>» 


Wenn einerseits die Zeitintervalle, andererseits die Überlastun- 
gen varlirt werden, so gilt folgendes allgemeinere Gesetz: 

Die Höhe irgend einer Zuckung mit einer Überlastung p 
bei einem Reize, der nach einem Zeitintervall © dem vorher- 
gehenden folgt, ist eben so gro/s, wie wenn sämmtliche vor- 
hergehende Reize in gleichem Intervalle © aufeinander gefolgt 
und sämmtliche Zuckungen mit demselben Gewichte p voll- 
führt worden wären. 

Hierdurch ist der allgemeinere Fall variabler Überlastungen 
und Intervalle auf den specielleren zurückgeführt, für welchen das 
erste Hauptgesetz aufgestellt worden ist. 


Da auf Grund desselben die nte Zuckungshöhe y, sich durch 
die Gleichung I als: 


yı—- R—1)D 


bestimmt hatte, so gilt dieser Ausdruck für die Höhe der nten 
Zuckung bei einer Überlastung p, und bei einem Reize, der nach 
einem Zeitintervall ©, auf den (n— 1)sten Reiz folgt, wenn näm- 
lich y, die Höhe der ersten Zuckung mit der Überlastung p, be- 


634 Gesammtsitzung 


deutet und wenn ferner für D die nach dem ersten Hauptgesetze 
für gleiche Intervalle ©, stattfindende Höhendifferenz genommen 
wird. Nach Inhalt eben dieses Gesetzes ist D allein von der 
Gröfse des Intervalls ©, abhängig, während y, der Natur der 
Sache nach einzig durch das Gewicht p,„ bestimmt ist. Man 
kann daher um diese Art der Abhängigkeit in Evidenz zu setzen, 
die Bezeichnung: 


D(®,) für D 
und 

LP.) für yı 
einführen. Hiernach hat man die Formel 


durch welche der Inhalt des ersten specielleren, wie des zweiten 
allgemeineren Gesetzes ausgedrückt wird unter der Voraussetzung, 
dafs ein und derselbe Muskel successive nach Intervallen: ©,,©;,, 
O,... also zu den Zeiten: 


0, ©,, &,+09;,, 9, +09;+09,,.. 
gereizt und bei jedem dieser Reize resp. mit den Gewichten: 


Pı» Pas Ps» Pa» -- 


überlastet wird. Aus der Formel V ergiebt sich ähnlich wie oben 
der Satz: 


Zwischen je 3 Zuckungshöhen %,, Y1n > Yn, für welche 
P=Pn=Pp und = 09,— ©, 
ist, besteht die Relation 
R— my +l—rn)) mt m—D)m—0. 


Bei der graphischen Darstellung ist die der nten Zuckung ent- 
sprechende Abscisse x, gleich (n—1)%k, so dafs 


1 (po) — 7 D(0,) 


und nach Weglassung des Index n: 


vom 11. August 1870. 635 
vI y= 2m) ,:2(0) 


wird. Hieraus folgt: 


Die Endpunkte aller Zuckungshöhen y, für welche sowohl 
p als © dieselben Werthe haben, liegen in einer graden 
Linie, deren Richtung sich zwar mit ©, nicht aber mit p 
ändert. 


Zum genaueren Verständnifs der hier angewendeten graphischen 
Darstellung mufs bemerkt werden, dafs dabei gleiche Abscissen- 
theile im Allgemeinen verschiedenen Zeittheilen entsprechen, indem 
die Abscissenwerthe 


VE RR AR EB 
respective den Zeiten 


0.50,, 9.,.:5.03,0,.. 9.5 94 22% 


zugehören. Die Zeit t ist also nicht « proportional, sondern eine 
Function von «, für welche die Differentialgleichung: 


dt 

de 
besteht, während © von Punkt zu Punkt veränderlich, d. h. ge- 
wissermafsen als eine gegebene Function von x gedacht werden 
kann. 


>. 

Es ist bereits oben erwähnt, dafs das erste Hauptgesetz und 
in Folge dessen auch das allgemeinere zweite für Belastungen 
nur bis zu derjenigen Zuckungshöhe gilt, welche der Dehnung (6) 
des ruhenden Muskels durch das angehängte Gewicht gleichkommt. 
Bis dahin wird also die Zuckungshöhe y,„ durch die Gleichung V: 


Ym 77 (Pr) == (r«—1)D(9,) 


bestimmt, wo nunmehr $(p,„) die erste Verkürzung des mit dem 
Gewichte p„ belasteten gereizten Muskels bedeutet. Für den 
[1870] 44 


636 Gesammtsitzung 


Fall constanten Gewichtes und Intervalles, den wir jetzt nur be- 
handeln wollen, ist 


Ya Ya RD 


wo die erste Zuckungshöhe y, des belasteten Muskels gröfser 
ist, als die erste Zuckungshöhe des überlasteten, weil die durch 
Dehnung wirksam gemachte Elasticität einen Theil der Arbeit über- 
nimmt. 

Bei den angewandten nicht zu grofsen Gewichten!) ist es zu- 
läfsig, die Elasticität der Muskeln als vollkommen zu betrachten; 
sie wird auch erfahrungsgemäls durch die Ermüdung nicht verän- 
dert. Während sich also der ruhende belastete Muskel vermöge 
seiner Elastieität in einer Gleichgewichtslage befindet, aus welcher 
ihn um ein Geringes die kleinste „Steigerung seiner Energie“ brin- 
gen kann, wird in dem Mafse, wie der thätige Muskel sich wäh- 
rend der Zuckung (bis zur Höhe y — ö). verkürzt, der Antheil der 
elastischen Kräfte an der Arbeit abnehmen. Demgemäfs bleibt 
auf der Höhe z für die Oontractilitätskräfte von dem Gewichte p 
ein Theil, der proportional ist der Höhe z, das heifst az, wo 
eG — 2 weil für 2= ö offenbar das Gewicht p ist. Also ist 
P? der Gewichtswerth bei einer Zuckung 2. Das Differential der 
Arbeit der Contractilität ist hiernach .- dz, folglich die Arbeit 


2 


pz 
Don: 
P und der Zuckungshöhe 2 sein: Pz, also ist jene Arbeit 


selbst 


Die Arbeit würde ohne Dehnung bei einem Gewichte 


dieselbe, wie wenn das Gewicht ? ur R2 einem Muskel als Über- 


26 
lastung gegeben würde, so dafs gemäfs der Formel V zu setzen 
wäre 


1) Gewichte von 20—50 Gramm entsprechen den Lasten, welche ein 
Schenkel eines lebenden Frosches unter normalen selbst extremen Verhält- 
nissen zu heben hat. Ein ziemlich grofser Frosch wiegt etwa 50 Gramme. 
Gröfsere Gewichte ändern nicht nur den normalen Ermüdungsverlauf, sondern 
auch dauernd die Muskelstruktur. 


vom 11. August 1870. 637 


2 3) ee 


und wenn wieder %, für z eingesetzt wird: 


»[Dy, 
vi Un — (>>) - (n—ı)D, 


eine Formel, durch welche die nte Zuckungshöhe %, implicite be- 
stimmt wird. Als die erste Zuckungshöhe y, ist hierbei diejenige 


_ gerechnet, welche gleich der Dehnung & ist. 


Nehmen wir (was innerhalb dieser engen Grenzen gestattet 
sein mag) die Function $(p) das heifst die erste Zuckungshöhe 
umgekehrt proportional dem Gewichte p, also 


ez: 
so geht die Gleichung VII in folgende über: 


20 
Yn — —anyD, 


b} 


£ E ; Yyı op 
aus welcher sich für n = 1 die Constante c als oe also als 2 


ergiebt. Die Gleichung 
VII yn+(n—1)y„D = 6° 


bestimmt also die Zuckungshöhen in dem ganzen Verlaufe von der- 
jenigen Zuckungshöhe an, welche der Dehnung ö gleich ist. 

Für die graphische Darstellung des Vorgangs ist in der For- 
mel VIII wiederum wie oben der Faktor (n — ı) durch den Quo- 


, 
tienten TE zu ersetzen. Wird alsdann der Index n weggelassen und 


die Grölse k als Maafseinheit genommen also gleich 1 gesetzt, so 


erhält man die Gleichung: 


IX y? + Day= 5°, 


wobei der Nullpunkt der den Zeiten proportionalen Abseissen bei 
dem Werthe y= Ö liegt. Diese Gleichung stellt eine Hyperbel 
| 44% 


638 Gesammtsitzung 


dar, für welche die x-Axe eine der Asymptoten ist. Der Diffe- 


dy. 
rentialquotient = ist durch die Gleichung 


bestimmt. Wenn die Zuckung den mten Theil der Dehnung be- 
trägt, also 


dy D 
fü Be raid = ER, 
Er dx a 
dy D 
fü = %) — — —_ _—_, 
Ei dx 2 


Die experimentell gefundenen Zuckungsgröfsen entsprechen mit 
grofser Annäherung den durch die Hyperbelformel (IX) bedingten 


Werthen. Auch ist namentlich die plötzliche Abnahme des = 
um die Hälfte bei y= © in dem graphisch dargestellten Ermü- 
dungsverlaufe deutlich ausgeprägt. Für die Werthe yZ& ist näm- 


lich — -. constant gleich D. 


4. 


Die bisher angeführten Resultate beziehen sich allein auf die 
Leistungsfähigkeit der Muskeln; im Gebiete der Reizbarkeit sind 
feste Gesetze sehr selten. Im Allgemeinen stören bei Anwendung 
von Maximalreizen Änderungen der Reizbarkeit den gesetzmälsigen 
Ermüdungsverlauf nicht, denn die Reize, welche für den fri- 
schen Muskel maximale sind, bleiben es auch für den 
ermüdeten. | 

Als wesentlichste Eigenthümlichkeiten der Reizbarkeit mach- 
ten sich folgende bemerklich: 

1. Es kommt bei sehr reizbaren Muskeln (besonders von 
Thieren, die um die Laichzeit gefangen sind) vor, dafs 
der eigentliche Maximalreiz für den frischen Muskel gar 
nicht zu ermitteln ist, weil auch ohne Verstärkung der 
noch untermaximalen Reize beider Stromrichtungen die 


Er 
\ % f 


vom 11. August 1870. 639 


folgenden (60 bis 100) Zuckungen etwas wachsen, wäh- 
rend die späteren schnell abnehmen, um dann erst (nach 
abermals 100 Zuckungen) dem Gesetze sich zu fügen. 
Andrerseits giebt es eine Reihe von Fällen (besonders nach 
der Laichzeit), wo eine weitere Steigerung starker Reize 
kleinere Zuckungen zur Folge hat. In diesen zwei Fällen 
bewirkt dann eine Verstärkung der anfänglichen Maximal- 
reize am Ende des Ermüdungsverlaufes eine kleine Stei- 
gerung der Contractionen, während bei normaler Erregbar- 
keit eine spätere Reizverstärkung den Verlauf wie oben 
erwähnt unbeeinflufst lälst. 

Eine absonderliche Reizbarkeitserscheinung bieten manche 
schwach (20 Gramm) belastet oder überlastet zuckende 
Muskeln; sie bleiben auch während der Ruhepausen ein 
wenig contrahirt. Die hieraus resultirende „Abscilsen- 
hebung“ wächst zuerst mit der Anzahl der Zuckungen 
(einmal während 100 Zuckungen bis etwa 1,5 Mm.), um 
eine Weile (100 Zuckungen) auf dieser Höhe zu beharren 
und dann, erst schnell, später sehr allmählig (nach 300 
Zuckungen) zu der normalen Abseisse zurückzukehren. 
Eine andere Unregelmäfsigkeit im Ermüdungsverlaufe brach- 
ten die in manchen Fällen auch bei Maximalreizen beste- 
henden, bedeutenden Unterschiede der Zuckungshöhen bei 
Inductionsschlägen verschiedener Richtung. Es geschah 
dann, dafs der gesetzmälsige Ermüdungsverlauf im Anfange 
nur für die niedrigeren Contractionen galt, während die 
Differenz (D) der höheren gröfser war. So wurden in 
der Folge die Zuckungen beider Richtung gleich hoch und 
fielen dann gemeinsam nach demselben Gesetze ab. 

Eine constante nur in verschiedenem Grade auftretende 
Veränderung der Reizbarkeit zeigt sich nach Reizung mit 
Induetionsschlägen gleicher Richtung. Es werden dann 
die Zuckungen, welche Inductionsströme entge- 
gengesetzter Richtung auslösen, höher, als sie 
ohne Erregbarkeitsänderung hätten sein kön- 
nen, und zwar auch dann, wenn die Elektroden gewech- 
selt werden, oder der Anlegeort geändert wird, oder das 
berührte Stück entfernt, oder eine lange Weile vor der 
neuen Reizung gewartet wird; in geringem Grade auch 


640 Gesammtsitzung 


dann noch, wenn unpolarisirbare Elektroden angewendet 
werden (Winter 1868). 

6. Nicht maximale Reize geben einen langsameren (für die 
Contractionen der weniger wirksamen Stromesrichtung häu- 
fig unregelmäfsigen) Ermüdungsverlauf, der beim Eintritte 
maximaler Reize für beide Stromesrichtungen dem norma- 
len wieder Platz macht. 

7. Ein allgemein gültiges Zuckungsgesetz, der eigentliche Aus- 
druck geordneter Abhängigkeit der Contraction vom Reize, 
existirt für Inductionsschläge beider Richtungen nicht. Es 
ist nicht nur+zu verschiedenen Jahreszeiten das Verhalten 
der Muskeln gegen Inductionsströme, welche ihn in auf- 
oder absteigender Richtung durchsetzen, ein verschiedenes, 
sondern selbst bei verschiedenen Individuen unter sonst 
gleichen Bedingungen abweichend und sogar zuweilen ent- 
gegengesetzt bei zwei analogen Muskeln ein und desselben 
Thieres zu derselben Zeit. Doch bleibt das individuelle 
Zuckungsgesetz eines Muskels constant für alle Ermüdungs- 
stadien. | 


d. 


Die Ermüdung wird durch Stoffe, welche dem Muskel injieirt 
werden, (durch Bauchaorta ein-, durch Bauchvene ausflielsend) in 
verschieden vollkommner Weise aufgehoben. Die Versuche über 
diesen Gegenstand sind noch nicht zum Abschlusse gebracht; im 
Allgemeinen hat sich kurz Folgendes herausgestellt: 1) Blut von 
Kaninchen oder Hunden rein oder mit Kochsalzlösung (0,52) in 
verschiedenem Verhältnisse gemengt ist in verschiedenem Grade 
stets wirksam. 2) Serum und sehr verdünnte Lösungen von über- 
mangansaurem Kali (0,05 bis 0,1 Gramm auf 1000 Cube. einer 
Kochsalzlösung von 0,5 bis 0,75 9) Sind oft wirksam zu Zeiten, 
während welchen Kochsalzlösung allein unwirksam ist. 38) Koch- 
salzlösung erweist sich in gewissen Lebensperioden der Frösche 
(bald nach dem Laichen) ebenfalls als ein ziemlich gutes Herstel- 
lungsmittel, fast in gleichem Grade wie Lösung von übermangan- 
saurem Kali, doch stets viel weniger gut als Blut, das auch ver- 
dünnt die höchste wiedererholende Kraft besitzt. 


vom 11. August 1870. 64l 


Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über neue Am- 
phibien (Hemidactylus, Urosaura, Tropidolepisma, Geophis, Uriechis, 
Scaphiophis, Hoplocephalus, Rana, Entomoglossus, Cystignathus, Hy- 
lodes, Arthroleptis, Phyllobates, Cophomantis) des Königlich zoologi- 
schen Museums. 

SAURII, 


1. Hemidactylus muriceus n. Sp. 

Rücken zwischen der feinen Granulation mit zahlreichen, un- 

regelmälsig zerstreuten, kleinen spitzen conischen Tuberkeln. 

Schwanz mit Querreihen ähnlicher aber längerer Tuberkeln. Schnauze 
_ mit gröfseren convexen Schuppen. 8 bis 9 Infralabialia. Hinter 
dem spitzen Mentale jederseits ein grölseres Submentale, auf wel- 
ches mehrere kleinere folgen. Ohröffnung fast senkrecht, ziemlich 
eng. Unterkinn und Kehle fein granulirt. Bauchschuppen in der 
Mitte in 33 Längsreihen, jederseits neben denselben eine schwache 
Längsfalte, auf der die untersten Tuberkeln stehen. 

Braungrau, mit schmalen m oder vförmigen dunkeln, unregel- 
mäfsigen Querbinden; ähnliche Querbinden auf dem Schwanze und 
den Extremitäten. Unterseite heller mit dunkleren an dem Unter- 
kinn zahlreicheren und zusammenfliefsenden Pünktchen. 

Totallänge 0m086; Kopf 072013; Schwanz 07046. 

Keta (Guinea). 

Diese Art steht dem Hemid. fasciatus (= Liurus ornatus) Gray 
durch ihren ganzen Bau sehr nahe, unterscheidet sich aber von ihr 
nicht allein durch eine ganz andere Färbung, sondern auch durch 
die viel weniger zahlreichen, kleinern und spitzeren Tuberkeln. 


9. Cercosaura (Urosaura) glabella nov. subgen. et nov. Sp. 
(Rats aRro1e) 

Rückenschuppen grofs vierseitig glatt; Schwanzschuppen läng- 
lich vierseitig glatt, Bauchschuppen grofs vierseitig, in sechs Längs- 
reihen, von denen die der äulsern Reihe kleiner sind. Kehlschup- 
pen klein, am Rande der deutlichen queren Kehlfurche grölser, 
_ vierseitig. Die seitlichen Körperschuppen convex, kleiner als die 
Rücken- und Bauchschuppen, so dafs 4 Querreihen derselben drei 
Querreihen der Bauchschilder entsprechen. Schläfenschuppen grols 
und glatt. | 

Das Internasale ist einfach, das Interparietale langgestreckt 
hexagonal, das Frenale so lang wie hoch, das untere Augenlid 


642 Gesammtsitzung 


mit einer durchsichtigen Scheibe versehen und das Auge Bauch 
vier Supraorbitalia von oben geschützt. 

Oben schmutzig braungelb, in der Mitte dunkler und mit zer- 
streuten schwarzen Fleckchen. Körperseiten mit einer dunkelbrau- 
nen Längsbinde, welche unten durch eine gelbe Linie von einer 
schwarzen Fleckenlinie getrennt wird. Unterseite gelbweils, Bauch 
und Schwanzschilder mit dunkelbraunen Punkten. Auf den Ex- 
tremitäten einige gelbe runde Flecke. 


Totallänge 0m146 Vord. Extremitäten 0m012 
Kopf 07010 Hint. Extremitäten 0"016 
Schwanz 0107 Vierte Zehe 0006 


Sta. Catharina (Brasilien). 


3. Tropidolepisma striolatum n. sp. 


Habitus, Kopfbeschildung und Ohr ähnlich wie Tr. Kingü. 
Kälperechähnen in 32, auf dem Rücken in 8 Längsreihen. Die 
mittleren breiten Nackehacheanen 6- bis Skielig, die mittelsten 
Rückenschuppen 4- bis 5kielig, die seitlichen Skielig. Die Schup- 
pen der Aufsenseite der Extremitäten mit 3 stumpfen, aber deut- 
lichen Längskielen. Die Schuppen der obern und untern Mittel- 
reihe des Schwanzes sehr breit, erstere vielkielig. 

Zähne am Gaumen habe ich nicht finden können. 

Oben olivenfarbig. Die mittleren Schuppen in der Mitte schwarz, 
so dals schwarze mehr oder weniger breite Längsbinden gebildet 
werden, auf jeder Seite der Schuppen ein oder zwei helle Punkte. 
An der Körperseite eine unregelmälsige breite schwarze Längs- 
binde. Ränder der Kopfschilder schwarz, auf dem olivenbraunen 
Grunde derselben weilsliche Vermiculation. Unterseite schmutzig 
gelb, Kinn und Kehle schwarz gefleckt und liniirt. 


Totallänge 0%191 Vord. Extremität 0028 
Kopflänge 0028 ‚ Vierter Finger 0008 
Kopfbreite 0%017 Hint. Extremität 0%037 
Kopfhöhe 0011 Vierte Zehe 07011 


Schwanz 0%086 


Lake Elphinstone (im 19° S. Br. In Australien); aus 
dem Museum Godeffroy. 

Die vorstehende Art steht dem Tr. majus Gray und Tr. Ri- 
chardi Ptrs. (Monatsber. 1869. p. 787.) durch die Gröfse der Schup- 
pen am nächsten, ist aber leicht durch die Beschaffenheit derselben 
von beiden zu unterscheiden. 


vom 11. August 1870. 643 


OPpnıDır. 
4. Geophis annulatus n. sp. (Taf.1. Fig. 2.) 


Körperschuppen glatt, ohne Grübchen, in 17 Längsreihen, Fre- 
noorbitale kurz, nicht länger als das Nasale anterius, über und un- 
ter demselben ein kleines Anteorbitale, Frontale so lang wie breit, 
fast dreieckig, mit convexen Seitenrändern. Supralabialia 8, das 
Auge über dem 4. und 5. Zwei Postorbitalia, das untere rechte 
mit dem Temporale verwachsen. Temporalia lang 14-2 oder in 
zweiter Reihe 1 oberes und 2 untere. Mentale wohlentwickelt, 
spitzwinkelig unregelmäfsig, blofs an das rechte Submentale stos- 
send, 9 Infralabialia, einerseits 5, andererseits 6 an die Submen- 
talia tretend, von denen das zweite Paar nicht halb so lang wie 
das erste ist. 177 Ventralia, 1 einfaches Anale, 55 Paar Sub- 
caudalia. 

Mit 7 bis 8 Schuppen breiten blauschwarzen Ringen, welche 
zum Theil in der Mitte des Bauches offen stehen, und durch schmale 
2 bis 3 Schuppen breite gelbe (im Leben rothe?) mit sparsamen 
dunkeln Punkten bestreute Ringe getrennt sind. Kopf bis zum 
hintern Rande der Parietalia und mit Einschlufs des vordern Theils 
der Temporalia und der 5. ersten Supra- und Infralabialia schwarz, 
der übrige Theil gelb, auf dem Nacken durch diese gelbe Binde 
von dem ersten 13 Schuppen breiten schwarzen Halsringe getrennt. 

Totallänge 0%395; Kopf 0%015; Schwanz 0070. 

Fundort unbekannt, wahrscheinlich Südamerica. 


5. Uriechis(Metopophis) lineatus nov. subg. et n. sp. (Tf.1.Fg.3.) 

Körperschuppen glänzend, porenlos, in 15 Längsreihen. In- 
ternasalia pentagonal; Praefrontalia zu einem einfachen Schilde 
vereinigt; Parietalia lang zugespitzt, hinten auseinanderweichend. 
Nasale, Anteorbitale und Postorbitale einfach. 7 Supralabialia, 
von denen das öte und 6te an das Parietale stolsen. 6 Infrala- 
bialia, das erste mit dem der andern Seite zusammenstofsend, das 
5. das gröfste. Vier oder fünf stofsen an die beiden Submentalia. 
168 Abdominalia, 1 einfaches Anale, 41 Subcaudalia. 

Oben olivenfarbig mit drei dunkeln Längslinien, von denen 


eine längs der Mitte, eine jederseits zwischen der dritten und vier- 
ten Schuppenreihe verläuft. Die beiden untersteu Schuppenreihen 
grau, die unterste mit einem gelben Fleck. Kehle und Vorderhals gelb, 
Bauchschilder und Schwanzschilder dicht mit dunkelgrau besprengt. 


644 Gesammtsitzung 


Totallänge 07440 ; Schwanz 0%057 ; 
Kopf 070115; Körperdicke 0007. 

Zwei Exemplare von Keta (Guinea). 

Diese Art zeigt, ungeachtet der Vereinigung der Praefrontalia, 
eine so vollkommene Übereinstimmung im ganzen übrigen Bau mit 
Uriechis, dafs es mir unnatürlich scheinen würde, auf dieses Merk- 
mal eine besondere Gattung zu gründen. Ganz ähnliche Verschie- 
denheiten zeigen sich bei den Elapomorphus, obgleich auch "hier 
der Versuch gemacht ist, dieselbe in Gattungen zu zersplittern.!) 


Scaphiophis nov. gen.”) 

Oberkieferzähne sämmtlich sehr klein, mehr ho- 
rizontal nach innen gewandt; Gaumen- und Ptery- 
goidalzahnreihen nach hinten convergirend, hier dop- 
pelt so weit von den Oberkieferzähnen als vorn ent- 
fernt. Habitus von Rhamphiophis. Rostrale sehr ent- 
wickelt, oben convex, unten concav, mit vorspringen- 
dem scharfen, schneidenden Rande. Obere Kopfschil- 
der in gewöhnlicher Zahl. Nasenlöcher zwischen zwei 
Nasalia und dem Internasale gelegen. Frenalia, Ante- 
und Postorbitalia vorhanden. Pupille rund. Schup- 
pen glatt, Anale und Subcaudalia getheilt. 


!) Wiederholt habe ich auf die Variabilität in der Pholidosis der Schlan- 
gen aufmerksam gemacht, wodurch nicht allein die Zahl der Arten, sondern 
sogar der Gattungen unnatürlich vermehrt worden ist. In vielen Fällen ist 
es schwer, die Variation als solche nachzuweisen, da hierzu oft ganze Reihen 
gehören und es kann daher den Reisenden in fernen Ländern nicht genug 
empfohlen werden, von derselben Art möglichst viele Exemplare zu sammeln. 
Alle Mittheilungen über derlei Varietäten gesammelt dürften zu einem end- 
lichen Resultat führen. Von solchen bemerkenswerthen Varietäten, die mir 
neuerdings durch die Güte des Hrn. Meyer aus Hamburg an javanischen 
Schlangen vorgekommen sind, kann ich anführen 1) unter 6 Exemplaren von 
Calamaria Linnei Boie (var. tessellata) 1 Exemplar mit fünf, anstatt vier 
Supralabialia jederseits, von denen das 3. linke sehr kurz ist; 2) unter 5 
Exemplaren von Cal. Quvieri Jan eins mit einem sehr kleinen unteren An- 
teorbitale jederseits. 

?) onablov, Schaufel, ddıs. 


vom 11. August 1870. 645 


6. Se. albopunctatus n. sp. (Taf.1. Fig. 4.) 


Das grofse Rostrale bildet nach hinten einen stumpfen Win- 
kel, den die Internasalia einschliefsen, welche viel breiter als lang 
und aufsen breiter als inwendig sind und nach aufsen an beide 
Nasalia stofsen. Die Präfrontalia sind um die Hälfte länger, fast 
doppelt so breit wie lang, hinten convex, mit ihrem äufseren spit- 
zen Winkel zwischen dem hinteren Nasale und dem oberen Frenale 
eindringend. Das Frontale medium ist kaum länger als breit, vorn 
und hinten stumpfwinkelig. Die Parietalia sind kürzer als das 
Frontale, so breit wie lang und abnorm in mehrere Schuppen zer- 
fallen. Das vordere Nasale ist viel kleiner und niedriger als das 
hintere, an welches zwei kleine, über einander liegende Frenalia 
stolsen. Das Auge wird vorn von einem Anteorbitale, hinten von drei 
Postorbitalia und unten von zwei kleinen Suborbitalia umgeben und 
so von den Supralabialia getrennt. Temporalia zahlreich 4+5-+5, 
klein, mit Ausnahme der längeren beiden unteren der vordersten Quer- 
reihe. Fünf Supralabialia, von denen das fünfte so lang ist wie 
alle übrigen zusammen. Sieben Infralabialia, von denen das 6te 
das gröfste ist; das erste tritt mit dem der andern Seite hinter 
dem kleinen Mentale zusammen. Ein Paar kurzer breiter Submen- 
talia, die nur mit den drei vordersten Infralabialia in Berührung 
stehen, da zwischen ihnen und den drei folgenden sich eine lange 
schmale Schuppe hineinschiebt. 

Körperschuppen glatt, mit zwei Endgrübchen, am Halse in 25, 
dann in 2i und in der Körpermitte in 23 Längsreihen; die der 
untersten Längsreihe sind am gröflsten, die des Rückens am klein- 
sten. 210 Bauchschilder, 4 Anale, 64 Paar Subcaudalia und eine 
lange conische Endschuppe. 

Oben olivenbraun, viele Schuppen mit einem weilsen Basal- 
punkt; die unteren Seitenschuppen schmutzig weils, dunkel geran- 
det. Unterseite gelblichweils, Bauchschilder seitlich dunkelgerandet. 

Totallänge 09352; Kopflänge 0'%0165; Kopfbreite 0'0095; 
Schwanzlänge 07057; Körperdicke in der Mitte 0'008. 

Ein Exemplar von Keta (Guinea). 

Diese Schlange ist insofern sehr merkwürdig, als sie unter 
den Isodonten eine Gattung repräsentirt, welche sich durch die 
Pholidosis, namentlich auch durch die zwischen zwei Nasalia und 
dem Internasale befindliche Nasenöffnung, den diacrantheren Zamenis, 


646 Gesammtsitzung 


Lytorhynchus und den ebenfalls für Afrika characteristischen gifti- 
gen Causus und Heterophis anschliefst. 
7. Hoplocephalus frenatus n. Sp. 

Körperschuppen in 19 Längsreihen, Anale einfach, ungetheilt. 
Internasalia um die Hälfte breiter als lang; die Länge des Fron- 
tale medium zu seiner Breite wie 4:25; Nasale hinten zugespitzt, 
von dem Anteorbitale getrennt; 6 Supralabialia, 2 Postorbitalia, 
Temporalia 2+2. 7 Infralabialia, das erste mit dem der andern 
Seite zusammenstofsend, das 4. das gröfste; 2 Paar Submentalia, 
welche mit 4 Paar Infralabialia in Berührung stehen. Abdominalia 
167, Anale 1, Subcaudalia 35. 

Oben olivenbraun, Lippenrand mit Einschlufs des Rostrale 
gelb, darüber eine gelbe von dem Rostrale ausgehende Linie, 
welche durch das Auge geht und sich auf der Schläfe verliert, die 
ganze Unterseite weils. 

Totallänge 0%390; Kopf 0%016; Schwanz 0'054. 

Lake Elphinstone (Australien), aus der Sammlung des Hrn. 
Godeffroy. | 

BATRACHIA. 
8. Rana longirostris n. sp. (Taf.1. Fig. 5.) 

Der ganze Habitus, Schwanz, Nasenlöcher, Trommelfell, Cho- 
anen wie bei R. oxyrhyncha Sundevall, aber die Gaumenzähne 
nach hinten convergirend, nicht in einer. queren Linie stehend, 
Spalte der Schallblase näher dem Rande des Unterkiefers befind- 
lich, und nicht kürzer oder höchstens gleich dem Augendurchmes- 
ser, sondern viel länger als derselbe und endlich die Mittelzehe 
nicht so beträchtlich viel länger als die seitlichen und die Schwimm- 
häute nicht tief ausgerandet wie bei jener Art. 

Rückenhaut mit feinen Längserhabenheiten, Metatarsus mit 2 Tu- 
berkeln, der äufsere aber wenig hervorragend. 

Oben grau mit einzelnen zerstreuten Flecken, die erhabenen 
Längslinien weifslich. Seite der Schnauze uud Schläfengegend 
scharf abgeschnitten schwarz, welche Farbe sich in einen weniger 
scharf begrenzten Streifen bis zum Oberschenkel und längs der vor- 
dern Seite desselben fortsetzt. Hintere und vordere Seite mit einer 
unregelmäfsigen schwarzen Längsbinde, dunkle Querbinden auf 
Ober-, Unterschenkel und Fufs. Fufssohle schwarz. 

Totallänge 00043; Kopflänge 070165; Kopfbreite 0%0136; 
Schnauze 00085; vord. Extrem. 0%027; hint. Extr. 07091. 


vom 11. August 1870. 647 


Ein Exemplar aus Keta (Guinea). 


. Entomoglossus n. gen.') 


Zähne in den Oberkiefern und am Gaumen. Zunge hinten 
ausgeschnitten. Tubae Eustachii, Trommelhöhle und Membrana 
tympani sowie das Manubrium sterni wohl entwickelt. Querfort- 
sätze des Sacralwirbels eylindrisch. Keine Parotoiden oder Seiten- 
drüsen. Finger und Zehen zugespitzt, frei. 

Eine Gattung, welche im Habitus am meisten Ähnlichkeit mit 
Cyclorhamphus zeigt, sich aber von diesem durch den Mangel der 
Schwimmhäute sowie von ihm und Cystignathus durch die ziemlich 
tief ausgeschnittene Zunge unterscheidet. 


9. E. pustulatus n. sp. (Taf. 2. Fig.1.) 


Braun, undeutlich längsgestreift, unten mit zahlreichen klei- 
nen runden gelblichweilsen Flecken. 

Im Allgemeiner etwas platt. Kopf mälsig, Nasenlöcher schief, 
auf der Schnauzenspitze einander genähert, etwa um 1 Augen- 
durchmesser von den Augen entfernt, Trommelfell deutlich, im 
Durchmesser halb so grofs wie das Auge. Choanen quer, etwas 
kleiner als die dreieckigen Tuben. Gaumenzähne auf zwei kur- 
zen Querreihen auf der Mitte des Gaumens hinter der Linie der 
Choanen stehend. Zunge grols und hinten winkelig ausgeschnitten. 
Körperhaut oben fein runzelig, unten glatt. Finger ganz frei, der 
dritte der längste, dann der erste, während von den beiden übri- 
sen der zweite kaum länger als der vierte ist. Die Handballen 
sind kaum merklich. Die spitzen Zehen sind ebenfalls ganz frei, 
nur die Mittelfulsglieder durch Schwimmhäute verbunden; sie neh- 
men von der ersten zur vierten rasch an Länge zu, während die 
fünfte Zehe nur wenig kürzer als die dritte ist. Die Fulssohle ist 
glatt. 


Totallänge 02046 Hand mit 3. Fing. 0%011 
Kopflänge 0%014 Hintere Extremität 02060 
Kopfbreite 0%2014 Fufs mit 4. Zehe 02030 
Vord. Extr. 02023 


Ein trächtiges Weibchen aus Ceara (Nördl. Brasilien). 


1) Evrouos, yAucau. 


648 Gesammtsitzung 


10. Cystignathus diplolistris n. sp. (Taf.2. Fig:-2.) 


Im Habitus und auch in der Zeichnung mit Pleurodema Dar- 
winii Bell übereinstimmend, aber ohne Seitendrüsen, mit kürzern 
Fingern und Zehen, beide Mittelfufshöcker schneidend und gröfser') 
und einen deutlichen platten Höcker unter dem Tarsus. Gaumen- 
zähne auf zwei nach hinten und innen convergirenden Querhöckern 
zwischen den Choanen, welche den Tubenöffnungen an Gröfse fast 
gleich kommen. Zunge herzförmig. Trommelfell sichtbar, sein 
Durchmesser etwa gleich 4 Augendurchmesser. 

Totallänge 09036 Hand mit 3. Fing. 09009 
Kopflänge 0%015 Hintere Extremität 0%046 
Kopfbreite 07016 Fufs mit 4. Zehe 0920215 
Vord. Extr. 02020 

Drei Exemplare verschiedener Gröfse aus Ceära. 


11. Hylodes Henselü. n. sp. 


Der von Hrn. Dr. Hensel im Archiv für Naturgeschichte 
1867 p. 161 beschriebene Batrachier gehört ohne Zweifel, wie der 
Vf. angiebt, zur Gattung Hylodes und bildet eine durch die Stel- 
lung der Gaumenzähne sehr ausgezeichnete Art. Da das Exemplar 
jetzt der Berliner Sammlung einverleibt ist (No. 6813), so habe 
ich es mit dem Namen des Entdeckers bezeichnet. 


12. Hylodes rugulosus n. Sp. 


Im Habitus ähnlich einer Rana temporaria. Vomerzahnplatten 
hinter den Choanen, ähnlich gebogen wie bei 4. Ricordü, aber in 
der Mitte nicht zusammenstofsend. Choanen länger als breit und 
daher gröfser als die Tubenöffnungen. Zunge hinten ganzrandig 
oder kaum herzförmig eingeschnitten. Canthi rostrales sehr deut- 
lich wegen der concaven Zügelgegend. Nasenlöcher seitlich unter 
dem Ende derselben und nicht ganz einen Augendurchmesser von 
den Augen entfernt liegend. Trommelfell im Durchmesser gleich 
2 Augendurchmesser; über demselben eine bogenförmige von dem 


1) Die Entwickelung dieser Höcker ist von Pl. Bibronü, Pl. Darwiniı 
und C. diplolistris eine graduelle und scheint mir daher um so weniger allein 
eine generische Trennung zu begründen, als Pleurodema nur als Untergattung 
von Oystignathus zu betrachten ist. Of. Lystris (ser. Listris, klerpov) Cope 
(Proc. Ac. N. Sc. Philadelphia 1868. p. 312). 


vom 11. August 1870, 649 


oberen Augenlide ausgehende Hautwulst. Kopf- und Körperober- 
seite fein granulirt und mit zahlreichen erhabenen Längslinien; 
Unterseite glatt. Finger und Zehen ga߮z frei, mit deutlichen Haft- 
scheiben und sehr entwickelten Tuberkeln unter den Gelenken. 
Oben graugelb mit zwei mehr oder weniger deutlichen Reihen 
schwarzer Flecke, welche zwischen den Augen eine undeutliche 
Zickzackbinde bilden. Die Gliedmafsen mit dunkeln Querbinden. 
Eine schwarze Binde von den Nasenlöchern an der untern Seite 
des Canthus rostralis und der bogenförmigen Wulst über dem Ohr. 
Unterseite gelblich weils; Fuflssohlen schwarz. 
Totallänge 0'060 Hand mit 3. Fing. 07015 
Kopflänge 0%025 Hintere Extremität 0%110 
Kopfbreite 0'%0225 Fufs mit 4. Fing. 0%045 
Vord.Extr. 0'036 
Zwei Exemplare aus Sta. Catharina (Brasilien). Auf das 
grölste derselben beziehen sich die angegebenen Malse. 


13. Arthroleptis dispar n. sp. (Taf.2. Fig.3.) 

Oben dunkel violetbraun, die Lippenränder, Unterohrgegend, 
Körperseiten, Vorder- und Hinterseite des Oberschenkels schwarz 
und gelblichweifs melirt; Gliedmafsen mit queren, wegen der dun- 
keln Grundfarbe wenig sichtbaren schwarzen Querbinden. Unter- 
kinn und Brust dichter, Vorderbauch sparsamer mit braun be- 
sprengt. 

Körper schlank, Schnauze abgestutzt, Trommelfell undeutlich, 
im Durchmesser ungefähr gleich 4 Augendurchmesser, Zunge herz- 
förmig, Choanen gröfser als die sehr kleinen Tuben, Finger frei. 
Zehen an der Basis geheftet und mit kleinen deutlichen Haftschei- 
ben; am Mittelfufs zwei und unter dem letzten Drittel des Tarsus 
ein kleines Knötchen. 

Totallänge 02020 Hand mit 3. Fing. 09005 
Kopflänge 020075 Hintere Extremität 0%035 
Kopfbreite 070062 Fuls mit 4. Zehe 0%016 
Vord.Extr. 07014 

Ein Exemplar von Ilha do Principe, durch Hrn. Dr, 
Dohrn. 

Diese Art ist sehr interessant wegen gröfserer Entwickelung 
der Haftscheiben, die bei A. Wahlbergii Smith (ef. Monatsb. 1870. 
p- 125. Taf. Fig.2) und A. poecilonotus (Monatsber. 1863. p.446) als 
solche kaum zu erkennen sind. Es geht hieraus hervor, dafs He- 


650 Gesammtsitzung 


teroglossa africana Hallowell (Proc. Ac. Nat. Se. Philadelphia 1857. 
p.64;5 Cope ibid. 1862. p. 343) ebenfalls in die Gattung Arthro- 
leptis zu stellen ist, welche sich nun den Hyperolius so nahe an- 
schliefst, dafs man sie höchstens als eine Untergattung derselben 
betrachten kann. Es ist dieses eine neue Schwierigkeit für die 
Systematik der proteusartigen Batrachier, wie sie ähnlich schon bei 
den Pleetropus, Plectromantis, Diplopelma und Hemiphractus sich uns 


aufgedrängt hat. 


14. Phyllobates verruculatus n. Sp. 


Oberseite des Körpers und der Gliedmafsen gelbbraun, schwarz 
gefleckt und punktirt, Zügel und Schläfengegend schwarzbraun; 
Unterseite bräunlichgelb, dunkel besprengt. 

Schnauze wenig länger als der Augendurchmesser; Zügelgegend 
senkrecht; Canthus rostralis abgerundet. Zunge ganzrandig. Trom- 
melfell sehr deutlich, im Durchmesser gleich 3 des Augendurch- 
messers. Oberseite des Körpers mit wärzchenförmigen Hervorra- 
gungen; Kehle und Brust glatt; Hinterbauch und Unterseite der 
Oberschenkel dicht granulirt. 

Von den Fingern ist der erste der kürzeste, der vierte wenig 
länger als der zweite und der dritte am meisten hervorragend. 
Die subarticularen Hervorragungen sind deutlich und die Haftbal- 
len mälsig grofs, aber merklich gröfser als die ziemlich kleinen 
Haftballen der Zehen. Diese letztern sind frei, von der 1. bis 4. 
progressiv an Gröfse zunehmend, die 5. ein wenig kürzer als die 
3te, Die beiden Metatarsalknötchen sind kaum grölser als «die 
Subarticularknoten. 

Totallänge 07020 Hand mit 3. Fing. 0%0058 
Kopflänge 0'008 Hintere Extremität 0%031 
Kopfbreite 0'007 Fuls m. 4. Zehe 0%014 
Vord. Extr. 090145 

Ein Exemplar aus Huanusco (Mexico), durch Hın. Dr. 


Hille. 


Cophomantis n. gen.') 
Finger und Zehen mit wohlentwickelten Haft- 
scheiben und Schwimmhäuten wie Hyla. Keine Kie- 


1) Hwbog, Havrıg. 


vom 11. August 1870. 651 


ferzähne, aber Zähne am Gaumen. Kein Trommelfell 
und keine Tubae Eustachii. Zunge herzförmig; Ster- 
num mit Manubrium; Querfortsätze des Sacralwirbels 
verbreitert. Keine Parotoiden. 


15. ©. punctillata n. sp. (Taf. 2. Fig. 4.) 


Blaugrau mit dichtstehenden dunkeln Pünktchen, welche weit- 
läufiger stehen auf einem schmalen Streifen der Oberschenkel, auf 
der Aufsenseite des Vorderarms, des Unterschenkels und Fufses; 
Unterseite schmutzig gelblich; Vorder- und Hinterseite des Ober- 
und Unterschenkels, die Oberseite der Hand mit Ausschlufs der 
äufseren Hälfte des 4. Fingers und der Fufs mit Ausschlufs der 
fünften und der äufseren Hälfte der vierten Zehe schwarzbraun. 
Über der Analöffnung in einer flachen Vertiefung ein schwarzer 
Querstrich. 

Die Schnauze ist etwas länger als der Augendurchmesser, 
vorn abgestutzt, die Frenalgegend ziemlich hoch, der Oanthus ro- 
stralis abgerundet, die kleinen rundlichen Nasenlöcher seitlich, 
nahe hinter dem Schnauzenende. Das untere Augenlid ist durch- 
sichtig. Die Choanen sind grofs oval, seitlich, nach vorn conver- 
girend; nach innen und hinten von ihnen liegen die ziemlich lan- 
gen nach vorn convergirenden Gaumenzahnhöcker. Zunge herzför- 
mig, hinten wenig ausgerandet. Die Haut der Rückseite ist glatt, 
von dem Auge nach der Achsel einen bogenförmigen, aber nicht 
drüsigen Vorsprung bildend. Kehle und Brust sind gleichfalls 
glatt, dagegen der Bauch und die Unterseite der Oberschenkel 
dicht gekörnt. 

An der Vorderextremität ist der erste Finger der kürzeste, 
dann der zweite und der vierte um die Länge der Haftscheibe kür- 
zer als der dritte; die Bindehaut zwischen den drei äufseren Fin- 
gern reicht bis zum vorletzten Gliede und ist am. stärksten zwi- 
schen dem 3. und 4. Finger entwickelt. Unter der Basis des er- 
sten Fingers findet sich ein gröfserer Ballen, unter den andern 
Fingern nur kleine unregelmäfsige Erhabenheiten, Die Zehen sind 
etwa bis auf 2 durch Schwimmhäute verbunden; die Unterseite des 
Tarsus und Metatarsus ist glatt; nur am Hacken befindet sich ein 
kurzer dornförmiger Hautvorsprung. 


[1870] | 45 


652 Gesammtsitzung 


Totallänge 0%028 Hand mit 3. Fing. 0%0095 
Kopflänge 070095 Hintere Extremität 07042 
Kopfbreite 0%0085 Fufs mit 4. Zehe 07019 
Vord.Extr. 0%020 

Sta. Catharina (Brasilien). 

Ich habe lange gezögert, die vorstehende Art als Repräsen- 
tanten einer Gattung mit einer neuen Combination eigenthümlicher 
Charaktere anzuerkennen, und ich dachte wegen des Mangels der 
Kieferzähne und auch wegen der kleinen vertieften Querlinie über 
der Analöffnung an den Jugendzustand einer /yla, namentlich we- 
gen der Färbung und der Ähnlichkeit des Habitus an ZH. cineras- 
cens Spix (Spec. nov. Testud. et Ranar. Taf.8. Fig.4.). Indefs ist 
das vorliegende Exemplar keineswegs klein und bei ZZ. einerascens 
das Trommelfell nicht allein sehr deutlich, sondern auch die Pro- 
portion der Finger eine andere, indem der erste merklich länger 
als der zweite und der vierte verhältnilsmälsig viel kürzer ist. 


Übersicht der Abbildungen. 


Taf. 1. Fig. 1. Urosaura glabella Ptrs. 


„ 2. Geophis annulatus Ptrs. 


„ 3. Uriechis lineatus Ptrs. 


1 
2 
3 
„ 4. Scaphiophis albopunctatus Ptrs. 
„ 9. Rana longirostris Ptrs. 
Taf. 2. Fig. 1 
2 
3 
4 


» 


. Entomoglossus pustulatus Ptrs. 
. Cystignathus diplolistris Ptrs. 
„ 3. Arthroleptis dispar Ptrs. 
» 4. Cophomantis punctillata Ptrs. 

Taf.1. Fig. 1—4 sind vergröfsert, die übrigen Figuren in natürlicher 


Gröfse. 


1 Urosaura $labella.2 Geophis annulatus. 3 Uriechis lineatus. 4 Scaphiophis albopunctatus 
oRana longirostris. 


ee Se 
LFUEX V KEITDEUS 


- J.D1L.Franz Wagner $ez uhth 


Monatsber d.Berl. Akaa.d.W 


1.Entomoglossus pustulatus. A (vstignathus diplolistris.3 Arthrolepuis dispar. 
J.D.L Franz Wagner Bez aulith 4 Cophomantis punctillata. Dt 


vom 11. August 1870. 653 


Hr. Braun theilte neuere Untersuchungen über die 
Gattungen Marsilia und Pilularia mit. 


Vor sieben Jahren') habe ich der Akademie einen Versuch vor- 
gelegt, die Arten der Gattungen Marsilia und Pilularia festzustel- 
len; aus letzterer Gattung konnte ich damals 4 Arten, aus ersterer 
37 (oder bei weiterer Fassung des Artbegriffs 30) aufzählen und, 
mit Ausnahme einiger mir nicht aus eigener Anschauung bekannter, 
scharf charakterisiren. Es zeigte sich schon damals, dafs die Anzahl 
der Arten beträchtlicher sei, als man anzunehmen geneigt war, 
dafs insbesondere die in älteren Schriften unter dem Namen M. 
quadrifoliata. angeführten aulsereuropäischen Formen sämmtlich an- 
deren, von der europäischen dieses Namens verschiedenen Arten 
angehören.”) Zu der früheren Ansicht haben namentlich 2 Mo- 
mente beigetragen, die grofse Ähnlichkeit der meisten Arten in den 
sterilen, oft allein gesammelten Wasserformen und der innige Zu- 
sammenhang der vielgestaltigen Arten einzelner Gruppen, wie z.B. 
der Gruppe der M. diffusa in Afrika und Asien, der Gruppe der M. 
vestita in Nordamerika, der M. Drummondii in Australien. So ist es 
erklärlich, dafs selbst neuerlich der verdienstvolle Dr. Ferd. v. Müller?) 
die sämmtlichen australischen Marsilien für Formen einer einzigen 
Art, der M. hirsuta R. Br., die er selbst wieder als Abart der M. 
quadrifoliata betrachtet, halten konnte.*) 

Seit jener früheren Mittheilung hat sich die Kenntnifs dieser 
kleinen Pflanzengruppe in mannigfacher Beziehung vermehrt. Die 
Einsicht in die Befruchtungs-, Keimungs- und Entwicklungsvor- 
gänge ist durch die Arbeiten von Hanstein°’) in erfreulicher Weise 


!) Monatsb. 1863, S. 413. 

2) Vielleicht mit einziger Ausnahme der M. quadrifoliata Thunb. Flor. 
Japon., die im sterilen Zustande, in welchem allein sie mir bekannt ist, von 
der ächten M. quadrifoliata nicht unterscheidbar ist. 

®2) Zur Befruchtung und Entwicklung der Gattung Marsilia (Pringsheim 
Jahrb. f. wiss. Bot. IV, 1865); Pilulariae globuliferae generatio cum Marsi- 
lia comparata. Bonnae 1866. 

*) Fragmenta Phytograph. Australiae V. p. 140 und in brieflichen Mit- 
theilungen. 


5) Ich werde im Folgenden zeigen, dafs die australischen Arten dreien 


45* 


654 Gesammtsitzung 


gefördert; die Entwicklungsgeschichte der Wurzel ist von Nägeli 
und Leitgeb'), die Bildung des männlichen Prothalliums aus der 
Mikrospore durch Millardet”) genauer untersucht worden. Die 
Kenntnils der Arten und ihrer Lebensweise ist durch neue Ent- 
deckungen und fortgesetzte Culturversuche bereichert worden. Die 
mir damals nur aus ungenügenden Diagnosen bekannten Arten 
(M. hirsuta und angustifolia R. Br., M. mutica Mett.) konnten ge- 
nauer untersucht werden,?) eine Reihe früher ganz unbekannter 
wurden seither entdeckt (Pilularia Mendoni von Mendon in Bolivia, 
Marsil. rotundata und diffusa v. cornuta von Welwitsch iu Angola, 
M. gibba von Schweinfurth in den oberen Nilländern, M. quadrata 
von Lowe in Borneo, M. subangulata und Ernesti von Ernst in Ca- 
racas, M. macra, elata, hirsutissima, sericea und andere neue For- 
men aus der Gruppe der vielgestaltigen M. Drummondi in Austra- 
lien von Ferd. v. Müller, Wilhelmi, Murray, M° Kinlay und anderen 
Reisenden im Inneren Australiens); einige andere neue Arten fan- 
den sich in älteren Herbarien versteckt (M. Berteroi im De Can- 
dolle’schen, M. Mexicana und M. exarata im Hooker’schen). 

Die Kenntnifs der geographischen Verbreitung der Arten ist 
durch die Entdeckung neuer Fundorte mehrfach erweitert worden, 
aber auch jetzt noch gilt die Behauptung, dafs die meisten Arten 
ein sehr beschränktes Vorkommen besitzen. Nur wenige Arten ha- 
ben eine weiter ausgedehnte geographische Verbreitung, nach den 
jetzigen Kenntnissen mit meist grolsen Unterbrechungen. M. qua- 
drifoliata zieht sich durch das südliche und mittlere Europa zwi- 


verschiedenen Gruppen angehören, so dafs man bei möglichst weiter Fassung 
mindestens 3 Arten anerkennen mülste. 


1) Entstehung und Wachsthum der Wurzeln (Nägeli, Beiträge zur wiss. 
Bot. 4. Heft, 1868 S. 114). 
2) Le Prothallium mäle des Oryptogames vasc. Strasb. 1869. 


3) Nur Mars. fimbriata Schum. et Thonning bleibt auch ferner unbe- 
kannt, da Exemplare dieser Art im Kopenhagener Museum nach den Mit- 
theilungen von Prof. Lange nicht vorhanden sind. Die fernere Erwähnung 
derselben in dem Verzeichnifs der Arten hat nur insofern noch einen Werth, 
als durch dieselbe, unter der Voraussetzuug, dafs die Angabe der Autoren 
richtig ist, die Existenz einer Art mit beinahe sitzenden Früchten im tropi- 
schen Afrika constatirt wird. 


vom 11. August 1870. 655 


schen 36 und 55° n. Br., taucht in Asien wieder auf in der Krimm, 
den Caucasusländern, dem südlichen Sibirien, bei Astrachan und 
in Kaschmir, zweifelhaft in China und Japan.') Endlich macht 
sie einen Sprung in die neue Welt, wo sie von einer einzigen Lo- 
calität in Connecticut bekannt ist. Eine ähnliche Ausbreitung hat 
wahrscheinlich Pilularia globulifera, aber sie geht in Europa etwas 
weiter nach Norden (in Norwegen bis zu 60°) und weniger weit 
nach Süden (in Italien bis 41, in Portugal bis zu 38°). Im Osten 
der alten Welt ist sie nur bis zum Jaik bekannt, aber man mulfs 
bedenken, dafs die unscheinbare Gestalt der Pilularia weit leichter 
übersehen wird als die auffallende der Marsilia. In Nordamerika 
fehlt sie, was bei ihrer weiteren Verbreitung nach Norden im Ver- 
gleich mit Marsilia quadrifoliata auffallend ist. Erst in den süd- 
lichen vereinigten Staaten tritt eine von der europäischen specifisch 
verschiedene Art (Pilularia Americana) auf. Europa besitzt aus 
jeder der beiden Gattungen noch eine zweite, südlichere, aus- 
schliefslich dem Gebiet der Mittelmeerflora angehörige Art, deren 
wenige, zerstreute Fundorte zwischen dem 35. und 43.° n. B. lie- 
gen, nämlich Marsilia pubescens und Pilularia minute. Beide fin- 
den sich im Languedoc (Roquehaute bei Agde), in Sardinien und 
in Algerien, Pi. minuta aufserdem bei Smyrna, Mars. pubescens 
bei Tanger. Zieht man die kaum verschiedene M. strigosa W. mit 
M. pubescens zusammen, so erweitert sich der Verbreitungsbezirk 
derselben nach den Wolga- und Caucasus-Gegenden Südrufslands. 

Zu den weit verbreiteten Arten gehört ferner Mars. diffusa, die, 
auf den Canarischen Inseln und in Algerien beginnend, über Sene- 
gambien (wo sie die häufigste Art ist), die oberen Nilländer, Angola 
(in einer etwas abweichenden Form) und Madagascar sich ausbrei- 
tet und ohne Zweifel in vielen anderen Gegenden namentlich des 
tropischen Afrikas noch aufzufinden ist. Vereinigt man mit M. 
difusa die sehr nahe verwandten und schwer scharf zu trennenden 
Arten M. crenulata und M. erosa, so geht die Verbreitung weiter nach 
Mauritins und Bourbon, Ceylon und ganz Vorderindien, Assam, Java, 


1) Die von neueren Reisenden, Wichura und Maximowitsch gesammel- 
ten Exemplare sind steril; doch ist die Richtigkeit der Bestimmung nicht 
unwahrscheinlich, da auch die europäische Salvinia natans in Japan wieder- 
kehrt. 


656 Gesammtsitzung 


den Philippinen und Lu Tschu Inseln. Einen Wohnungsbezirk von 
bedeutender Ausdehnung hat endlich noch Mars. polycarpa, zumal 
wenn man die zweifelhafte M. pieta und die sehr nahe verwandte M. 
subangulata hinzuzieht, nämlich über Brasilien, Guyana, Neu-Granada 
und Centralamerica (subangulata), Mexico (picta), Jamaica (subangu- 
lata?), Cuba, von wo sie einen ungeheuren Sprung macht nach Tahiti, 
auf welcher Insel ächte M. polycarpa in fast gleicher Breite mit 
Brasilien aber um 100 Längengrade entfernt sich wieder findet. 
Einen merkwürdigen Sprung zeigt auch Pilularia Americana in ihrem 
Vorkommen, welche in den südlichen vereinigten Staaten (Arkan- 
sas) und in Chile (Valdivia) beobachtet ist, nicht aber in den zwi- 
schenliegenden Theilen Amerikas. 

Alle übrigen Arten zeigen ein beschränktes Vorkommen, wo- 
bei nicht selten alle oder die meisten Arten desselben geographi- 
schen Gebietes unter sich nahe verwandt sind, wie z. B. sämmt- 
liche südafrikanische Marsilia-Arten (M. macrocarpa, Capensis, Bur- 
chellüi, biloba), die Mehrzahl der Arten des wärmeren Nordamerika 
(M. uncinata, mucronata, vestita, tenuifolia, mexicana), so wie die 
meisten australischen (M, Drummondü, elata und die verwandten 
Formen) einer und derselben Gruppe angehören. Oft finden sich 
aber auch in entfernten Gebieten analoge Arten, so wird die ost- 
indische M. Coromandeliana in Afrika (Senegambien) durch M. tri- 
chopoda vertreten; die ostindische M. erosa in Afrika durch M. 
difusa; die europäische M. quadrifoliata im wärmeren Nordamerika 
durch M. macropus, in Australien durch M. Drownü; MM. vestita 
Nordamerikas auf den Sandwichsinseln durch M. villosa; M. Nubica 
der Nilländer in Senegambien durch M. gymnocarpa; die europäische 
Pilul. globulifera in Australien durch P. Novae Hollandiae. 

Der an Marsiliaceen reichste Welttheil ist Afrika mit 17 Mar- 
silia-Arten und 1 Pilularia. Senegambien allein besitzt von er- 
steren 7 Arten (M. trichopoda, muscoides, distorta, diffusa, cerenulata, 
gymnocarpa, subterranea), von denen 4 diesem Lande eigenthüm- 
lich sind.!) In Guinea ist bis jetzt nur eine Art beobachtet worden 


1) Die Entdeckung dieser Arten verdankt man den älteren französischen 
Reisenden, Perrotet, Heudelot und Leprieur, von welchen der erst- 
genannte als Director eines Cultur-Etablissements, der zweite als Obergärtner, 
der dritte als Marine-Apotheker die Flora Senegambiens in den Jahren 1824 


vom 11. August 1870. 657 
und diese ist nicht genauer bekannt (M. fimbriata); in Angola sind 
von Dr. Welwitsch 3 Arten in fructificirendem Zustand aufgefunden 
worden (M. rotundata, cornula, muscoides), von denen die dritte mit 
einer der senegambischen Arteu identisch ist, während die zweite 
an zwei weiter verbreitete Arten (M. difusa und crenate) sich so 
nahe anschliefst, dafs die specifische Trennung zweifelhaft er- 
scheint.') 

Aus dem oberen Nilgebiete sind 3 Arten bekannt (M. diffusa, 
gibba, Nubica), von denen 2 diesem Gebiete eigenthümlich; aus 
Nordafrika 3 oder 4 Arten (M. pubescens, diffusa, Aegyptiaca, qua- 
drifoliata?), von denen die erste der Mittelmeerflora gemeinsam ist, 
die zweite den Hauptheerd ihrer Verbreitung im tropischen Afrika 
hat, die dritte sich von Ägypten, wahrscheinlich mit Mittelstationen 
in Kleinasien, nach dem Ausflufs der Wolga (Astrachan) erstreckt, 
die vierte, wenn nicht ein Irrthum zu Grunde liegt?), als südli- 
cher Vorposten der altbekannten mitteleuropäischen Art erscheint. 

Von der Ostküste Afrikas sind bis jetzt keine Marsiliaceen 
bekannt. Aus Madagascar, Mauritius und Bourbon nur 2 auch in 
verschiedenen Theilen des Festlandes von Afrika vorhandene Arten, 
M. diffusa und crenulata?’); auch auf den Canaren findet sich eine 
Form der weit verbreiteten M. difusa. 


bis 1829 erforschten. Seither scheint dort Niemand diese merkwürdigen Ge- 
wächse beachtet zu haben, was nm so mehr zu bedauern ist, als die Früchte 
der aus jener Zeit stammenden in den Herbarien reichlich vorhandenen 
Exemplare sich als nicht mehr keimfähig erwiesen haben. 


1) Eine vielleicht vierte, aber nur steril gesammelte Art gleicht in den 
Blättern sehr der ostindischen M. erosa. 


2) Im Hedwig'schen Herbarium (jetzt im Besitz von Van der Saude 
Lacoste) befinden sich fructificirende Exemplare ächter M. quadrifoliata mit 
der Angabe „Ex Egypto“ ohne Nennung des Samnllers. 


®) In Bojer’s Hortus Mauritianus (1837) 426 wird aufser M. vulgaris 
Bory, einer Mischart aus M. difusa, crenulat« und der europäischen M. 
quadrifoliata, auch noch M. Coromandeliana angeführt. Dies beruht wahr- 
scheinlich auf einem Irrthum. In mehreren Herbarien finden sich allerdings 
Exemplare ächter M. Coromandeliana mit dem Beisatz „Mauritius. Perrottet“, 
aber gemischt unter denselben fand ich ein kleines Eriocaulon, welches nach 


Körnicke zu FE. sexangulare gehört, einer Art, die in Ostindien häufig ist, 
auf Mauritius dagegen fehlt. Perrottet hat bekanntlich auch bei Pondichery 
gesammelt. 


658 Gesammtsitzung 


Aus Europa und Asien sind 12 Arten von Marsiliaceen be- 
kannt, von denen 5 mit Afrika gemeinsam. Europa und Asien 
nordwärts vom 30. Breitegrad besitzen 6 Arten (Pil. globulifera und 
minuta, Mars. quadrifoliata, pubescens, strigosa und Aegyptiaca), die 
südlicheren Theile Asiens 6 andere und zwar Vorderindien 5 (M. 
erosa, brachycarpa, brachypus, gracilenta, Coromandeliana); von de- 
nen 2 auch in Hinterindien gefunden wurden (M. brachycarpa und 
erosa). Aus Ceylon ist nur eine auch auf dem Festlande verbrei- 
tete Art (M. erosa) bekannt, ebenso aus Java (M. erosa var.), 
aus Borneo dagegen eine von anderwärts nicht bekannte (M. 
quadrata), von den Philippinen die in Afrika verbreitetere M. cre- 
nulata. Alle nicht genannten Theile des wärmeren Asiens, wie 
namentlich Sumatra, Celebes, Neu-Guinea, das südliche China 
sind in Beziehung auf diese Familie unerforscht. 

Aus Amerika sind 17 Arten der Familie bekannt, wobei einige 
sehr schwache Arten mitgezählt sind, durch deren Einziehung sich 
die Zahl auf 12 vermindern würde. Mit Ausnahme zweier Arten 
(M. quadrifoliata und polycarpa) sind alle Amerika eigenthümlich. 

In den vereinigten Staaten von Nordamerika finden sich eine 
Pilularia (P. Americana) und 6 Arten Marsilia, nämlich aufser M. 
quadrifoliata, welche in Nordamerika einen einzigen Standort (Con- 
necticut, zwischen 41 und 42° n. Br.) hat, 5 unter sich kaum ver- 
schiedene Nordamerika eigenthümliche Arten (M. uncinata, brevipes, 
mucronata, vestita, tenuifolia), von denen eine (M. mucronata) in 
Minesota bis zum 47° n. Br. sich erstreckt. In Mexico kommen 
dazu noch 2 (vielleicht 3?) weitere Arten (M. Mexicana, pieta und 
polycarpa var., beide letzteren vielleicht einerlei),. Nordamerika 
im Ganzen besitzt somit 9 Marsiliaceen, von denen nur 2 in Süd- 
amerika wiederkehren. 

Das Festland von Südamerika hat bis jetzt nur 7 Arten auf- 
zuweisen, 2 Pilularien (P. Mendoni in Bolivia, P. Americana in 
Chili) und 5 Marsilien, von denen 3 dem Isthmus, Venezuela und 
Neugranada (M. Ernesti, subangulata, deflexa), 1 Ecuador (M. an- 
cylopoda), % Guyana und Brasilien (M. deflexa und polycarpa) an- 
gehören. Aus Peru, Bolivia, sowie allen südlich vom 14.° s. Br. 
gelegenen Theilen Südamerikas (eine zweifelhaft zu M. polycarpa 
gehörige Form von Buenot Ayres ausgenommen) sind bis jetzt 
keine Marsilien bekannt geworden. Auf den westindischen Inseln 
sind nur wenige Arten gesammelt, doch scheint eine eigenthüm- 


vom 11. August 1870. 659 


liche darunter zu sein (M. Berteroi von Dominica); M. polycarpa ist 
auf Cuba, M. subangulata? auf Jamaica gefunden worden. 

Australien ist, wenn auch nicht an Zahl der Arten, doch an 
Zahl der Individuen ohne Zweifel das gelobte Land der Marsilien, 
die namentlich die Niederungen im Inneren Neuhollands, die soge- 
nannten Creek’s, streckenweise bedecken, wo die Eingeborenen die 
harten, aber mit stärkehaltigen Sporen gefüllten Früchte, die unter 
dem Namen Nardu') oder Addo°) bekannt sind, einsammeln, um 
Brod daraus zu bereiten. Je nach der Auffassungsweise bestimmt 
sich die Zafil der bekannten Arten sehr verschieden; man kann 
entweder nur 6 Arten zählen, 1 Pilularia (P. Novae Hollandiae) 
und 5 Marsilia-Arten (M. Browniü, hirsuta, exarata, angustifolia, 
Drummondü) oder auch 15, wenn man die Formenreihe der M. 
Drummondü (salvatrix) in Arten auflöst, deren sich nicht weniger 
als 10 unterscheiden lassen. Von Van Diemens Land und Neu- 
seeland sind keine Marsilien, wohl aber von beiden Pilularia No- 
vae Hollandiae bekannt. Alle australischen Marsiliaceen sind die- 
sem Welttheil eigenthümlich. 

Von den Inseln des stillen Oceans ist nur wenig anzuführen. 
Auf den Sandwichsinseln wurden 2 Arten gesammelt, von denen 
die eine, M. villofa, durch ihre Verwandschaft mit M. vestita nach 
dem im Osten liegenden Festlande des wärmeren Nordamerikas 
deutet, die andere (M. crenulata) nach den Philippinen und Lu 
Tschu-Inseln in Westen, wo dieselbe Art vorkommt. In Neucale- 
donien findet sich eine Art (M. mutica), die mit keiner anderen 
bekannten, namentlich mit keiner der australischen Arten eine nä- 
here Verwandschaft zeigt; vielleicht gehört dazu auch die nur ste- 
ril bekannte Art der Viti-Inseln. Die auf Tahiti, in der Mitte zwi- 
schen Australien und Südamerika, gefundene Marsilia ist völlig 
identisch mit der südamerikanischen M. polycarpa. Mehr ist aus 
diesem weiten Inselgebiete nicht bekannt. Unter den vier genann- 
ten sind 2 für Polynesien eigenthümlich. 


!) Exploring Expedition from Victoria to the Gulf of Carpentaria un- 
der the command of Mr. Robert Ottara Burke (Journ. of the roy. geogr. 
Soc. Vol. XXXII (1862) p. 430). 


2) Mc. Kinlay’s Journal of Exploring in the interior of Australia. 
"Oct. 1861 — Aug. 1862. p. 41. 


660 Gesammtsitzung 


Zur Förderung der Kenntnifs der Marsiliaceen, der sicheren 
Unterscheidung der Arten nicht nur, sondern auch der Kenntnis 
ihrer Entwickelungs- und Wachthumsgeschichte und ihres anatomi- 
schen Baus, hat die Cultur einer ansehnlichen Zahl derselben we- 
sentlich beigetragen. Vor dem Jahre 1863 wurden aulser den 4 
europäischen keine weiteren Arten der Gattungen Pilularia und 
Marsilia in botanischen Gärten eultivirt; in dem genannten Jahre 
gelang es zum ersten Male 2 australische Arten (M. Drummondii 
var. orientalis und M. salvatrix) aus Sporen zur vollen Entwicklung 
zu bringen und für die Gärten zu gewinnen.') Seither ist dasselbe 
mit mehreren anderen Arten gelungen, so dafs ich jetzt ein Ver- 
zeichnifs von 15 Arten geben kann, welche im hiesigen botanischen 
und Universitätsgarten gezogen werden. 

1. Pilularia globulifera L., seit langer Zeit im Garten. Die 
Keimmung ist von älteren und neueren Beobachtern verfolgt wor- 
den, von Bernh. v. Jussieu 1739, Bischoff 1828, Jac. Agardı 18335, 
neuerlich von Hanstein 1866.°) 

%, P. minuta Durieu. Wurde im Jahre 1847 im Freiburger 
bot. Garten aus Sporen von Exemplaren, welche Durieu 1844 bei 
Oran gesammelt hatte, erzogen und seit jener Zeit in den botan. 
Gärten verbreitet. 

3. P. Americana A. Br. Einige Sporen aus einer der Un- 
tersuchung geopferten Frucht eines von R. A. Philippi im März 
1869 bei Valdivia gesammelten Exemplares keimten im Februar 
d. J. und wuchsen zu ausgedehnten dichten Rasen heran, die je- 
doch im verflossenen Sommer, vielleicht wegen zu üppiger vegetativer 
Entwicklung, keine Früchte getragen haben. 

4. Marsilia quadrifoliata L., die, aus den Rheingegenden Badens 
‚bezogen, seit Jahren im Garten angebaut wird, hat in den letzten 
Jahren, ungeachtet verschiedenartiger Behandlung, keine Frucht 
getragen. Aus Sporen ist sie bis jetzt nicht erzogen worden. Das 
Aufspringen der Frucht, die Entwicklung des Gallertstrangs, das 
Hervortreten des Sori und die Anfänge der Keimung bis zur Bil- 
dung des Vorkeims wurden von mir schon im J. 1835 in Carls- 


1) Vergl. Monatsb. d. Ak. d. Wiss. 1863 S. 414 und 1864 S. 576. 
2) Vergl. J. Agardh, de Pilularia, Lundae 1833; Hanstein, Püulariae 
globaliferae generatio cum Marsilia comparata, Bonnae 1866. 


vom 11. August 1870. 66l 


ruhe beobachtet, aber die weitere Eetwicklung unterblieb; auch alle 
späteren Aussaatversuche waren ohne Erfolg, so dafs gerade von 
dieser bekanntesten Art die Beschaffenheit der Keimpflanzen noch 
unbekannt ist.') 

d. MM. pubescens Tenore wurde zuerst aus im Jahre 1842 bei 
Roquehaute unweit Agde von Dr. Wunderly gesammelten Früchten 
im Freiburger bot. Garten 1847 erzogen. Aus Früchten von der- 
selben Zeit, so wie aus noch älteren von Esprit Fabre, dem Ent- 
decker des Vorkommens dieser Pflanze in Frankreich, im Jahre 
1833 gesammelten, wurde sie hier in den Jahren 1865—66 culti- 
virt und ein in diesem Jahre gemachter Versuch zeigte, dafs die 
Früchte von 1838 auch jetzt noch vollkommen keimfähige Sporen 
enthalten.?) | 

6. M. Aegyptiaca W. sendete Dr. Th. Bilharz im J. 1855 
lebend von Cairo. Sie gedeiht alljährlich während des Sommers 
sehr gut im freien trockenen Land und im Wasser, erfriert jedoch 
regelmälsig im Winter, so dafs sie im Haus überwintert werden 
mufs. Leider waren alle Versuche, sie zum Fruchttragen zu brin- 
gen, vergeblich. 

7. _M. Coromandeliana W. wurde in diesem Jahre aus Früch- 
ten von Dr. Thomson bei Madras im J. 1845 gesammelter Exem- 
plare erzogen und entwickelte sich mit aufserordentlicher Schnellig- 


1) Das Milslingen so vieler Aussaatversuche erklärt sich zum Theil aus 
dem Umstande, dafs die Einsammlung der für Herbarien bestimmten Exem- 
plare meist vor der Zeit der völligen Reife der Früchte geschieht. Zur Er- 
langung dieser Reife gehört hinreichende Wärme und trockene Witterung; 
ein kühles und regnerisches Spätjahr verhindert dieselbe. Die exotischen 
Marsilien tragen daher in unseren Gärten zwar reichliche und anscheinend 
wohl ausgebildete Früchte, aber selten keimfähige Sporen. Es gilt dies na- 
mentlich von den neuholländischen Arten, von denen wir in Berlin noch 
keine eigentlich reifen Früchte erhalten haben, während in Süddeutschland 
(Carlsruhe) solche erzogen wurden. M. quadrifoliata wächst an Stellen, 
welche bei eintretender feuchterer Witterung im Spätsommer wieder unter 
Wasser gesetzt werden, wodurch die unreifen Früchte am Reifen gehindert 
werden, die reifen dagegen aufspringen und sich entleeren. Der rechte Au- 
genblick zum Einsammeln wird daher leicht verfehlt. 


?) Zwei Früchte, welche zusammen 164 Macrosporen entleerten, liefer- 
ten 160 Keimpflänzchen! 


662 Gesammtsitzung 


keit. Die Aussaat geschah am 9. Mai; mehrere über 1 Fufs breite 
flache Schüsseln wurden in kurzer Zeit von einem einzigen Keim- 
pflänzchen überwuchert, und zu Ende Juli hatten unzählige Früchte 
bereits ihre Vollwüchsigkeit, wenn auch nicht die volle Reife, er- 
reicht. Ich schätze die Zahl der Früchte, welche von der aus 
einer einzigen Spore erzogenen Pflanze getragen wurden, auf min- 
destens 5000! 

8, M. diffusa Lepr. in den Jahren 1865 und 66 aus Früch- 
ten der Exemplare erzogen, welche Pervill& 1841 in Madagascar 
gesammelt hat. Sie gedeiht im freien Lande vortrefflich und macht 
ihrem Namen Ehre, denn keine Art breitet sich so rasch und ge- 
waltig aus, wie diese; ein in diesem Jahre ausgesetztes Pflänzchen 
überzog im Laufe des Sommers ein Gartenbeet von 6’ Länge und 
9’ Breite. Sie muls im Hause überwintert werden. 

9, M. crenulata Desv. aus Früchten von Dr. Ayres i. J. 1860 
auf Mauritius gesammelter Exemplare in den Jahren 1865 und 66 
erzogen, der vorigen ähnlich, aber nicht so weit kriechend, auch 
bei der Cultur im Wasser sich anders verhaltend. Diese und die 
vorige Art haben 1367 im Garten Früchte mit keimfähigen Sporen 
getragen. 

10. M. Ernesti A. Br. Im Mai d. J. von Ad. Ernst, dem 
Entdecker dieser Art, bei Caracas gesammelte Früchte wurden am 
13. Juni angesäet; die Entwicklung ging rasch von Statten, SO 
dafs die erzogenen Pflanzen bis zum Ende des Sommers die charak- 
teristischen unterirdischen Früchte anscheinend völlig reiften. - 

11. M. Drummondü A. Br. (var. orientalis) und 

12. M. salvatrie Hanst., wenigstens als Abarten wohl unter- 
scheidbar, werden seit 1863 im Garten gezogen aus Früchten, 
welche Hr. Osborne aus Australien brachte, von denen die der 
erstgenannten Art wahrscheinlich am Darling River gesammelt 
wurden, die letzteren im Coopers Creek, einer durch den unglück- 
lichen Ausgang von Burke’s Expedition (1861) berühmten Locali- 
tät. Sie gedeihen vortrefflich im freien Land, ertragen jedoch un- 
sern Winter nicht. Selbst in Bordeaux ist M. Drummondü in dem 
allerdings ungewöhnlich kalten Winter von 1869 auf 70 erfroren. 

13. M. elata A. Br., den beiden vorigen sehr nahe stehend, 
seit 1864 wiederholt und zuletzt in diesem Jahre aus einem Vor- 
yath von Früchten erzogen, die von M° Kinlays Expedition (1861 


vom 11. August 1870. 663 


 —62) herrühren.') Wir erhielten dieselben von Dr. F. v. Müller 


mit der allgemeinen Angabe „Northern Australia*; ich vermuthe 
aber, dals sie vom Lake Blanche (nördlich vom Coopers Creek 
unter dem 27° s. Br.) sind, wo M° Kinlay am 10. Januar 1862 
lagerte und in seinem Journal des Addo (Burke’s Nardu) erwähnt, 
das nebst Fischen die Hauptnahrung der Eingeborenen bilde. Sie 
verhält sich in der Oultur wie die vorigen Arten, gelangt wie 
diese im ersten Jahre nur zu spärlicher, die Reife nicht erreichen- 
der Fruchtbildung, während sie im zweiten Jahre reichlich Frucht 
trägt. Ich will noch bemerken, dafs wild gesammelte Exemplare 
dieser durch ungewöhnlich langgestielte und aufrechte Sporocarpien 
ausgezeichneten Form weder im Hooker’schen, für australische 
Marsilien besonders wichtigen Herbarium, noch in der von Dr. 
F. v. Müller mitgetheilten reichhaltigen Sammlung der australischen 
Formen vorhanden sind; sie ist lediglich durch die Zucht im Gar- 
ten bekannt. | 

14. M. macra A. Br. schliefst sich gleichfalls, doch minder 
innig, den vorigen an. Sie wurde 1866 aus von Dr. F. v. Müller 
mitgetheilten australischen Früchten erzogen, über deren genaueren 
Fundort ich jedoch etwas im Zweifel bin, da dieselben bei brief- 
licher Übersendung die Aufschrift „Darling Downs“ trugen, wäh- 
rend sie in der Müllerschen Sammlung fraglich zu M. salwatrix ge- 
hörigen sterilen Exemplaren aus der Nähe des Coopers Creek 
(between Stockes Range and Coopers Creek. Dr. Wheeles) beige- 
fügt waren. Im freien Lande gezogen erfriert sie im Winter, aber 
in einem Teich des botanischen Gartens hat sie den kalten Win- 
ter 1869-70, in welchem die Kälte an mehreren Tagen — 19°R. 
erreichte, überstanden, wiewohl der Fundort in Australien dem 
Äquator um mehr als 20 Breitengrade näher liegt als Berlin. 

15. M. hirsuta R. Br. Die am Brisbane (Queensland) ge- 
sammelten, von Durieu mitgetheilten Früchte wurden erst vor Kur- 
zem ausgesäet; von den Eigenthümlichkeiten der Keimpflanzen 
wird im Nachfolgenden die Rede sein. 


‘) Früchte dieser Art können von Hrn. Kunstgärtner Wilhelmi (als 
„Mars. hirsuta“) bezogen werden; sie werden ihre Keimkraft voraussichtlich 
noch für Jahrzehnte erhalten. 


664 Gesammtsitzung 


Als bemerkenswerthes Ergebnifs dieser Culturen ist zunächst 
die lange Dauer der Keimfähigkeit der Marsilia-Sporen anzuführen. 
M. cerenulata hat sich nach 6, M. elata nach 8, M. difusa und 
Coromandeliana nach 25, M. pubescens nach 32 Jahren vollkommen 
keimfähig gezeigt. Wenn es dagegen nicht gelungen ist, die 
Früchte irgend einer der senegambischen Marsilien, die über 40 
Jahre in den Herbarien liegen, zur Keimung zu bringen, so mag 
dies wohl zum Theil in der unvollkommnen Reife derselben, zum 
Theil vielleicht auch in der Art der Trocknung der Exemplare 
seinen Grund haben. 

Es hat sich ferner durch die Anzucht aus Sporen herausge- 
stellt, dafs die Marsilien eine regelmäfsige Folge von 4 Blattfor- 
mationen!) oder besser von 4 verschiedenen Abstufungen grüner 
(laubartiger) Blätter besitzen, nämlich 1) ein Keimblatt (X), 2) un- 
tergetauchte Primordialblätter (P) in ungefähr bestimmter Zahl, 
4) Blätter mit auf der Oberfläche des Wassers sich ausbreitender 
Spreite, Schwimmblätter ($) in unbestimmter Zahl, 4) aufserhalb 
des Wassers sich entwickelnde Land- oder Luftblätter (Z), welche 
in der Regel die allein fructificationsfähigen sind. Von der höchsten 
(4ten) Stufe sinkt die Blattbildung unter Umständen zur dritten, 
ja sogar zur zweiten herab, um sich von Neuem zu erheben. Ver- 
‚schiedene Arten zeigen bei einem im Allgemeinen übereinstimmen- 
den Entwicklungsgang bemerkenswerthe Verschiedenheiten, welche 
bei ausgedehnterer Erforschung selbst für die natürliche Gruppi- 
rung der Arten von Bedeutung zu werden versprechen. 

Das Keimblatt, das erste, welches die kegelartig sich er- 
hebende Spitze des Vorkeims durchbricht, ist stets einfach und 
von einem ungetheilten Gefäfsbündel durchzogen. Es läuft stets 
in eine pfriemenförmtge stielrunde Spitze aus, die nicht selten et- 
was gedreht ist.?2) Bei manchen Marsilia-Arten ist das Keimblatt, 


1) Hanstein l. c. 8.49 u. f. unterscheidet 3 Arten von Blättern, das 
Keimblatt, die Jugendblätter (= Primordialblätter), die normalen Blätter 
(Schwimmblätter und Landblätter). Die Bezeichnung „Jugendblätter* möchte 
ich den ersten Schwimmblättern junger Pflanzen, die noch nicht alle Merk- 
male der späteren besitzen, vorbehalten. 

2) Vergl. Hanstein 1. c. t. 14, f. 14 (von Mars. elata); Bischoff erypt. 
Gew. II. t. 8, f. 9 (von Pilularia globulifera). Die Richtung der Drehung 
fand ich bei Mars. pubescens bald rechts, bald links. 


vom 11. August 1870. 665 


ebenso wie das von Pilularia, durchaus stielrundlich (M. pubescens 
und Drummondii nebst den Verwandten), bei anderen Arten breitet 
es sich über der Basis zu einer schmallanzetförmigen Fläche aus 
und geht erst über dieser in eine schwanzartige stielrunde Spitze 
aus (M. Coromandeliana, Ernesti, und mit besonders breiter Fläche 
M. diffusa und crenulata). Hanstein hat an dem Keimblatt der von 
ihm untersuchten australischen Arten einige (oft nicht vollständig 
entwickelte) Spaltöffnungen beobachtet,') ich habe solche auch 
bei M. pubescens gesehen. 

Die auf das Keimblatt folgenden Primordialblätter cha- 
rakterisiren sich durch das Auftreten einer Spreite am oberen 
Ende des Blattes, welche von Blatt zu Blatt an Breite zunimmt 
und sich bei den letzten Primordialblättern häufig in 2 oder 4, selten 
in 3 Lappen oder Segmente theilt, wobei jedoch die Theile auf- 
recht erscheinen, der Gliederung am Grunde entbehren und keine 
periodische Bewegung besitzen. Im Jugendzustand sind sie mit 
der Spitze mehr oder weniger einwärts gekrümmt und löffelförmig 
gewölbt. Die Nervatur beginnt schon mit dem ersten Primordial- 
blatt ihre dichotome Theilung, welche von Blatt zu Blatt weiter 
fortschreitet, doch fehlen in der Regel die bei den spätern Blättern 
auftretenden Anastomosen, die Verbindung der Nerven am Rande 
der Spreite ausgenommen. Der Blattstiel ist im Vergleich zu dem 
der folgenden Blätter kurz und dick und die Spreite bleibt unter 
gewöhnlichen Verhältnissen in der Tiefe des Wassers, besitzt jedoch 
auf der Oberfläche Spaltöffnungen, deren Schliefszellen oft fest anein- 
ander liegen. Die Zahl der Primordialblätter ist nicht nur nach 
den Arten verschieden, sondern auch bei derselben Art veränder- 
lich. Die geringste Zahl, nämlich 2, fand ich bei M. Coromande- 
liana, 4—6 bei M. pubescens, 4—7 bei M. difusa und crenulata, 
4—3 bei M. Ernesti, 6—8 bei M. hirsuta, 6—10 bei M.. Drum- 
mondit, salvatrix, macra und elata. Bei derselben Art können entweder 
alle Primordialblätter einfach oder die letzten getheilt sein. Zur 
Veranschaulichung der Verschiedenheiten, welche bei einer und der- 
selben Art eintreten können, mag folgende Darstellung einer Reihe 
bei M. diffusa und crenulata vorkommender und gröfstentheils 
mehrfach beobachteter, zum kleineren Theil zur Ergänzung der 


4 Reihe eingefügter Fälle dienen, wobei die Buchstaben X. P. S die 


ı) Hanstein 1. c. t. 14, f. 13, 14. 


666 Gesammtsitzung 


oben genannten Blattformationen, P!. P?. P* einfache, zweitheilige 
und viertheilige (oder auch dreitheilige) Primordialblätter bezeichnen. 


eg an I ee 


K. K. a p3. p3. S. 
| 

en 4 0 u 

1 4. © 1 3 1 0 ©o 

lı 3 0 n 

1 5 0 0 = 

1 4 1 0 iu 

ER E 1 4 0 1 = 

1 3 1 1 = 

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1 3 0 2 e 

1 6 0 0 a 

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: ee 1 5 0 1 = 

1 4 1 1 ee 

| 1 4 9 0 5 

1 4 0 9 ah 

(ai 6 1 0 & 

re 

1 7 oo ‘ 1 5 1 1 oo 

| 1 5 9 0 n 

Kl 5 0 2 & 


Bei den mit M. Drummondiü verwandten australischen Arten 
ist meist die Hälfte, ja selbst mehr als die Hälfte der Primordial- 
blätter getheilt, so dafs deren 5—6, theils zweitheilige, theils vier- 
theilige auftreten.') \ 


1) Bei Hanstein 1. c. t. 14, f. 15 ist eine Keimpflanze mit Ä1, P'3, 
P?:2, P:4, also mit 6 getheilten Primordialblättern, dargestellt. 


Ben sn 


vom 11. August: 1870. 667 


Die Gestalt der Primordialblätter zeigt gleichfalls mit dem 
Artcharakter zusammenhängende Verschiedenheiten, die sich haupt- 
sächlich in der Breite aussprechen, welche die Lamina (oder die 
Segmente derselben) zumal bei den letzten Primordialblättern er- 
reicht. Das eine Extrem in dieser Beziehung zeigt M. pubescens, 
bei welcher bald nur das erste, bald die beiden ersten noch sehr 
dem Keimblatt gleichen, nur durch die stumpfere Spitze und die 
Theilung des Nerven abweichend, während die folgenden schon 
eine deutlichere schmal lanzetförmige stumpfe Spreite, die letzten 
eine zweitheilige Spreite mit linienförmigen Segmenten besitzen.') 
Breiter lanzetförmig (wie bei allen Arten nach der Blattfolge an 
Breite zunehmend), dabei spitz oder selbst zugespitzt sind die Pri- 
mordialblätter bei M. Drummondiü, elata, macra ete.; noch breiter, 
länglich oder verkehrt eiförmig, abgerundet, aber mit einem kleinen 
vorragenden Spitzchen in der Mitte des Stirnrandes, sind sie bei 
M. hirsuta; breit spatelförmig mit abgerundeter, oder selbst ausgeran- 
deter Spitze, erscheinen sie bei M. Ernesti; in ähnlicher Weise, aber 
besonders die letzten noch breiter, fast kreisförmig, und überdies 
durch Gröfse ausgezeichnet (die Spreite zuweilen bis 14 Mm. lang 
und ebenso breit) bei M. diffusa und crenulata. 

Bei der Mehrzahl der Arten stehen die Primordialblätter sehr 
dicht beisammen, zwei gedrungene Reihen bildend, indem die Deh- 
nung der Internodien und das damit verbundene horizontale Krie- 
chen des Stengels erst in der Region der Schwimmblätter und 
zwar nach dem ersten oder zweiten Schwimmblatte bei M. Coro- 
mandeliana, elata, nach dem zweiten, dritten oder selbst vierten 
bei M. Ernesti, difusa und crenulata eintritt. Eine Ausnahme in 
dieser Beziehung ist bis jetzt nur bei einer Art gefunden, nämlich 
bei der australischen M. hirsuta. DBei dieser tritt nämlich die 
Streckung der Internodien schon innerhalb der Primordialregion 
ein und zwar gewöhnlich nach dem vierten Primordialblatt, so dafs 
die 5 bis 4 letzten Primordialblätter von den vorausgehenden und 
unter sich durch gedehnte Internodien entfernt werden, von denen 
die letzten bis 20 Mm. Länge erreichen. Dasselbe wiederholt sich 


!) Niemals sah ich die ersten Primordialblätter so breit, wie sie Fabre 
(Ann. d. sc. nat. IX. 1838. Pl. 13) abbildet. 
[1870] 46 


668 Gesammtsitzung 


an den in dieser Region entspringenden Zweigen, welche mit meh- 
reren Primordialblättern beginnen, von denen schon das erste durch 
ein deutliches Internodium vom Hauptstengel entfernt wird. Die 
Keimpflanzen erhalten hierdurch ein ganz fremdartiges Ansehen 
und unterscheiden sich durch dieses Verhalten (sowie auch durch 
die Breite der Keimblätter) höchst auffallend von denen der Ar- 
ten aus der Gruppe der M. Drummondü. 

Primordialblätter treten nicht blofs an der Hauptachse, son- 
dern auch an den Zweigen der Keimpflanzen auf, wie soeben von 
M. hirsuta erwähnt wurde. In oder eigentlich unterhalb der 
Achseln der letzten Primordialblätter (bei M. Coromandeliana schon 
in der Achsel des zweiten) treten bereits Zweige auf, die in ihrer 
Entwicklung der Hauptachse unverzüglich nachfolgen. Diese, so- 
wie auch öfters noch die Zweige in den Achseln der ersten 
Schwimmblätter, beginnen mit 1 bis 3 Primordialblättern, ohne 
Dehnung der tragenden Internodien (M. hirsuta ausgenommen) und 
meist mit viertheiliger Spreite. Nur bei M. hirsuta sah ich Prim- 
ordialblätter der Zweige mit einfacher Spreite, zuweilen selbst mit- 
ten zwischen solchen mit getheilter Spreite auftretend. 

Endlich treten Primordialblätter an den unter Wasser sich 
entwickelnden Verjüngungsknospen überwinterter Stöcke auf, so 
namentlich bei M. pubescens, Aegyptiaca, diffusa. Man findet deren 
3—4, kurz gestielt mit kleiner unter Wasser bleibender Spreite, 
welche bei dem ersten und oft auch zweiten meist zweitheilig, bei 
den folgenden viertheilig ist. Bei M. Aegyptiaca sah ich auch ein 
einfaches Primordialblatt am Zweiganfang. Solche nach der Win- 
terruhe zuerst hervortretende Sprofse gleichen in ihrer Beblätte- 
rung auffallend den Keimpflanzen. 

Den Primordialblättern folgen, meist mit sprungweisem Über- 
gang, die Schwimmblätter, vor den kurzstieligen Primordial- 
blättern ausgezeichnet durch lange dünne Stiele und in der Jugend 
eingerollte Spitzen mit flach aneinander gedrückten Blättchen der 
Spreite, welche sich auf dem Wasserspiegel schwimmend ausbrei- 
ten. Bei niedrigem Wasserstand wachsen sie anfangs 2—3 Zoll 
hoch über das Wasser empor, aber bald sinken die schwanken 
Stiele, indem sie sich bogenartig rückwärts krümmen, nieder, so 
dafs die sich entfaltende Spreite den Wasserspiegel gewinnt. Bei 
dem ersten ist die Spreite zuweilen nur aus 2, bei den folgenden 


vom 11. August 1870. 669 


in der gewöhnlichen Weise aus 4 Fiederblättchen!) gebildet. Die 
ersten Schwimmblätter sind verhältnifsmäfsig klein, die spätern er- 
reichen, wenn die Pflanze in tieferem Wasser verbleibt, bei man- 
chen Arten eine bedeutende Gröfse, welche die der Landblätter 
weit übertrifft. Die bedeutendsten Dimensionen zeigte eine sterile, 
wahrscheinlich der M. Browni angehörige Pflanze von Richmond 
in Neusüd-Wales, bei welcher die Fiederblättchen in der Länge 35, 
in der Breite 40 Mm. mafsen, der Durchmesser des ganzen Spreite 
somit 7 Cm. betrug. Die Blättchen einer von Spruce am Amazo- 
nenstrom nur in der sterilen Wasserform gesammelten Art, der 
ich den provisorischen Namen M. Stratiotes gegeben habe: sind 
40 Mm. lang, 30—32 Mm. breit. Bei M. macrocarpa erreichen die 
Blättchen der Schwimmblätter 35 Mm. Länge und 32 Mm. Breite. 
Von M. Aegyptiaca, welche sich im fruchttragenden Zustand durch 
die Kleinheit der Blätter auszeichnet, fand ich Schwimmblätter, deren 
Fiedern 30—32 Mm. lang, 32—35 breit waren, doch ist dies ein Maxi- 
mum, das selten erreicht wird. Von M. polycarpa sah ich Schwimm- 
blätter mit Fiedern von 30 Mm. Länge und gleicher Breite, aber auch 
fructifieirende Landblätter von ähnlichen Dimensionen. M. mutica 
zeigte an den gröfsten Schwimmblättern 28 Mm. Länge und 30 Mm. 
Breite. Bei der deutschen M. quadrifoliata übersteigt die Länge 
selten 20 Mm., bei 20—22 Breite, aber aus Italien sah ich Blätter 
mit Fiedern von 30 Mm. Länge und gleicher Breite. Cultivirte 
M. diffusa (aus Madagascar) zeigte dieselben Dimensionen der 
Schwimmblätter, wie die deutsche M. quadrifoliata; ebenso die 
Wasserform der Javanischen Abart von M. erosa. An französi- 
schen Wasserexemplaren von M. pubescens sind die Fiedern der 
Schwimmblätter 10—15 Mm. lang und breit; ebenso zeigten die 
'Schwimmblätter junger Pflanzen eultivirter M. Coromandeliana 10 
—15 Mm. Länge und eine nur um ein Weniges geringere Breite 
der Fiedern. Die kleinsten Schwimmblätter zeigen von Drege 
gesammelte Wasserexemplare der M. Capensis, indem die Länge 
und Breite der Fiedern derselben nur 7 Mm. beträgt. 


!) Auf die Frage, ob die 4 Blättchen des Marsilien-Blatts als 2 Paare 
über einander stehender Fiedern oder als 2 selbst wieder zw eitheilige Ab- 
schnitte eines doppelt zweitheiligen Blattes zu betrachten seien, komme ich 
später zurück. 


46* 


670 Gesammtsitzung 


Was die Gestalt der Schwimmblätter betrifft, so sind die Blätt- 
chen derselben in der Regel verhältnifsmäfsig breiter als die der 
späteren Landblätter und ganzrandig, während die Landblätter am 
Stirnrande verschiedenartig ausgerandet, gebuchtet, gekerbt oder 
gelappt sein können. Der Unterschied beider ist in diesem Falle oft 
sehr auffallend, z. B. bei M. Aegyptiaca, Capensis, macrocarpa, er0S4. 
Die australischen Marsilien aus der Gruppe der M. salvatrix ma- 
chen insofern eine Ausnahme, als ihre Schwimmblätter stets ge- 
kerbt (am Stirnrand mit 3 bis 7 Einbuchtungen versehen) sind, 
während die Landblätter mehrerer derselben (M. Drummondii var. 
orientalis, macra und elata normalis) ganzrandig sind... Auch über- 
treffen die Schwimmblätter dieser Arten an Gröfse die Blätter kräf- 
tiger Landexemplare nicht oder kaum. 

Die Schwimmblätter waren schon den alten Botanikern be- 
kannt und es beruht darauf die unpassende Zusammenstellung der 
M. quadrifoliata mit den Wasserlinsen und die hiermit zusammen- 
hängenden Benennungen. Bei Camerarius (Epit. 855) heifst sie Lens 
palustris altera, bei Tabernaemontan (890 mit Abbildung) Zenticula 
palustris II, bei C. Bauhin (Pin. 362) Lenticula palustris quadri- 
foliata. [Ebenso bei Mappus (Alsat. 166 mit Abb.), welcher aus- 
drücklich sagt: „pedieuli foliorum aquae supernatantium pro ra- 
tione altitudinis aquarum elongari saepe vel extendi videntur.* 
Eine ähnliche Bemerkung findet sich bei Bischoff (erypt. Gew. II. 
66). Ich selbst habe in meiner Abhandlung vom Jahre 1863 auf 
das Vorkommen der Marsilien in 2 Formen, der Land- und Was- 
serform, aufmerksam gemacht. Dies mag zur Berichtigung der 
gegentheiligen Behauptung im Eingang zu Prof. Hildebrand’s Ab- 
handlung über die Schwimmblätter der Marsilia (bot. Zeit. 1870. 1) 
dienen. Allerdings wurden die Schwimmblätter von den Landblät- 
tern nicht scharf unterschieden und es ist Hildebrand’s Verdienst, 
auf die anatomischen Verschiedenheiten beider aufmerksam gemacht 
zu haben. Während die Landblätter auf beiden Flächen Luftspal- 
ten (Stomata) besitzen und zwar in ungefähr gleicher Anzahl, fin- 
den sich bei den Schwimmblättern solche nur auf der oberen, der 
Luft zugekehrten Fläche und zwar dichter beisammen stehend, auf 
gleichem Flächenraum doppelt so viel oder mehr als bei den Land- 
blättern. Auf der dem Wasser zugekehrten Unterfläche fehlen die 
Luftspalten gänzlich, Auch sind die Hautzellen der Oberfläche 
beträchtlich kleiner und schwächer gebuchtet. Ich konnte dieses 


vom 11. August 1870. 671 


von Hildebrand an M. quadrifoliata und pubescens‘') näher be- 
schriebene, und ebenso für M. elata angegebene Verhalten bei 
vielen Arten bestätigen, namentlich bei M. diffusa, Brownü, Er- 
nesti, deflexa, picla, polycarpa, macra und Drummondiü. 

Ein anderer die Luftspalten betreffender Unterschied, auf wel- 
chen Hildebrand aufmerksam gemacht hat, nämlich die oberfläch- 
liche, in gleicher Ebene mit den Hautzellen befindliche Lage 
der Schliefszellen derselben bei den Schwimmblättern, die tiefere 
Lage bei den Landblättern, so dafs die Schliefszellen von den an- 
srenzenden Oberhautzellen etwas übergriffen werden, ist dagegen 
nicht von allgemeiner Geltung. Übereinstimmend mit M. quadrif. 
und pubescens verhalten sich in dieser Beziehung unter anderen M. 
difusa und Ernesti, wogegen bei M. Drummondiü, M. macra und 
wahrscheinlich auch der übrigen verwandten Arten die Luftspalten 
der Schwimmblätter ebenso wie die der Landblätter in schmale 
Vertiefungen eingesenkt sind, indem die Schliefszellen tiefer liegen 
als die umgebenden Hautzellen und von beiden Seiten bis über 
die Hälfte von denselben verdeckt sind. 

Eine weitere Eigenthümlichkeit, welche den meisten Schwimm- 
blättern, mit Ausnahme der frühesten junger Pflanzen, zukommt, 
sind die Interstitialstreifen auf der Unterseite der Spreite. Sie 
finden sich mitten zwischen den Nerven, oft nur einen Theil der 
von diesen gebildeten Maschen einnehmend, und sind bald von 
dunkelbrauner, bald von hellerer, gelbbrauner Farbe, oft etwas 
über die Fläche vorragend. Sie wurden zuerst von Mettenius bei 
seiner M. siriata (= M. deflexa), welche er nach der Streifung der 
Blätter benannte, sowie bei M, mutica beobachtet”); Fee bemerkte 


!) Vergl. die Darstellung auf Taf. 1. Die Figuren 1—6 beziehen sich 
auf M. quadrifoliata, Fig. 7 u. 8 auf M. pubescens. Die Angabe Hildebrand’s, 
dafs bei den Wasserblättern von M. pubescens die Epidermiszellen der Ober- 
seite mit Höckerchen besetzt seien, wodurch die Oberfläche des Blatts ein 
sammetartiges Ansehen erhalte, beruht jedoch auf einer Verwechselung mit 
M. elata; bei M. pnbescens sind die Hautzellen beider Blattflächen ebenso 
wie bei M. quadrifoliata völlig eben. Näheres hierüber bei der Beschrei- 
bung der Landblätter. 


2) Prodr. Fl. Novo-Granatensis in Ann. des sc. nat. 5. Ser., Tom. HI, 
p- 310. 


672 Gesammtsitzung 


sie bei einer sterilen Marsilia aus Mexico, der er deshalb den 
Namen MM. picta gab.') Die mikroskopische Untersuchung zeigt, 
wie dies Mettenius dargethan hat, dafs diese Streifen ihren Sitz in 
der Haut des Blattes haben. Sie bestehen aus mehreren (der 
Zahl nach wegen des Ineinandergreifens der Zellen nur ungefähr 
bestimmbaren, meist 5—5) Reihen eigenthümlich beschaffener Haut- 
zellen, die sich zunächst durch die mehr oder weniger intensiv 
goldbraune, selten rothbraune Färbung der Wand vor den farblo- 
sen Zellen der Umgebung auszeichnen; zugleich sind sie um ein 
Weniges dickwandiger, meist etwas kleiner und gestreckter, schwä- 
cher oder oft gar nicht gebuchtet und mit homogenem flüfsigem Inhalt 
erfüllt, während die übrigen Hautzellen der Unterseite meist stark 
und zierlich gebuchtet sind und häufig kleine zerstreute Stärkekörn- 
chen enthalten. Auch die zunächst diesem Streifen anliegenden 
Zellen des inneren Blattparenchyms fand ich mitunter in ähnlicher 
Weise modificirt. Mettenius führt bei Beschreibung seiner M. striata 
(— deflexa) an, dafs die gefärbten Streifen keine Stomata enthalten, 
welche dagegen in der angrenzenden Epidermis vorhanden seien.”) 
Ich habe bei der brasiliauischen M. deflexa, ebenso wie bei einem 
untersuchten Blatte der davon nicht zu trennenden M. striata aus 
Venezuela, auf der ganzen Unterfläche keine Stomata gefunden, 
wage aber doch nicht die Richtigkeit der Angabe von Mettenius zu 
bestreiten, da M. defleca möglicher Weise 2 Modificationen gestreif- 
ter Blätter besitzen könnte, von denen die einen den Landblättern 
im Baue näher stünden. Ich werde in der Folge analoge Erschei- 
nungen von anderen Arten, namentlich von M. Aegyptiaca anführen. 

Die Anwesenheit gefärbter Interstitialstreifen wurde von Met- 
tenius für eine specifische Eigenthümlichkeit einiger weniger Arten 
gehalten; meine Untersuchungen haben zu dem Resultate geführt, 
dafs sie eine Eigenthümlichkeit der Schwimmblätter, wenn nicht 
aller, doch der meisten Arten sind. Von vielen Arten der Gattung 
sind freilich die Wasserformen mit den Schwimmblättern noch un- 
bekannt, doch habe ich mit Interstitialstreifen versehene Schwimm- 
blätter von folgenden Arten gesehen: M. quadrifoliata, Brownü, 


1) Neuvieme memoire. Catal. des Fougeres du Mexique (1857) p. 47. 

2) „. „stomatibus sunt destitutae et cellulis epidermidis rectis subelon- 
gatis formantur; epidermis parenchymatis adjacentis contra e cellulis parietibus 
lateralibus flexuosis formantur et stomatibus crebris obsita est.“ 


vom 11. August 1870. 673 


difusa, erosa, pubescens, macrocarpa, Capensis, rolundata, Ernesti, 
mutica, subangulata, picta, polycarpa, macra, Drummondü, salvatrix, 
defleva und Aegyptiaca. Über die Schwimmblätter der beiden letz- 
teren wird später noch einiges Besondere nachgetragen werden. 

Niemals habe ich Landblätter mit Streifen gesehen und mit 
einer einzigen Ausnahme fand ich die Exemplare mit gestreiften 
Blättern stets unfruchtbar. Diese einzige Ausnahme bietet die selt- 
same M. deflexa, von welcher ebensowohl die von Gardner in Bra- 
silien, als die von Triana bei Maraquita in Venezuela gesammelten 
Exemplare (die Originalexemplare von Mettenius M. striata) fructi- 
ficirende gestreifte Blätter besitzen, Blätter die auch abgesehen von 
der Streifung auf ein Vorkommen im Wasser hinweisen. Der Grund 
dieses abweichenden Verhaltens liegt vielleicht in einer eigenthüm- 
lichen, ausschliefslicher dem Wasser zugewiesenen Lebensweise 
dieser Art, worüber wir am sichersten Aufschlufs erhalten könnten, 
wenn es gelänge, dieselbe zu cultiviren. Bei dem äufserst spar- 
samen Material, welches in den Sammlungen vorliegt, und der Sel- 
tenheit dieser Art ist dazu freilich wenig Aussicht vorhanden. 

Es ist endlich von den Schwimmblättern anzuführen, dafs ihnen 
die periodische Zusammenlegung der Fiederblättchen (der früheren 
Knospenlage entsprechend), der Schlaf, in welchen die Landblätter 
des Nachts verfallen, fehlt. Einmal ausgebreitet schliefsen sich die 
Blättchen nicht wieder zusammen; ausgewachsene Schwimmblätter 
legen dagegen, wenn sie aus dem Wasser genommen werden, in 
der Art wie es bei Oxalis der Fall ist, die Fiederblättchen rück- 
wärts an den Blattstiel an.') 

Aus dem Entwicklungsgang der Marsilien ergiebt sich, dafs 
das Auftreten der Schwimmblätter nicht als eine blofs äufseren 
Umständen, einer zufälligen Überfluthung und Versenkung unter 
Wasser, zuzuschreibende Abweichuug von der normalen Ausbildung 


!) Hildebrand (l. ec. S. 3) hat beobachtet, dafs die Schwimmblätter, 
wenn sie bei schnellem Steigen des Wasserspiegels unter Wasser kommen, 
ihre Theilblättchen nach oben zusammenlegen bis die Spreite durch Wachs- 
thum des Blattstiels die Oberfläche wieder erreicht hat und sich von Neuem 
schwimmend ausbreiten kann. Es fehlt mir hierüber an eigener Beobachtung, 
ich möchte aber vermuthen, dafs beides, die Zusammenlegung der Theilblätt- 
chen und die nachträgliche Verlängerung des Blattstiels nur jugendlichen 
Schwimmblättern zukommt. 


674 Gesammtsitzung 


der Blätter betrachtet werden kann, dafs vielmehr die Schwimm- 
blätter eine wesentliche Stufe der Metamorphose dieser Pflanzen 
darstellen.') Marsilia ist ursprünglich eine Wasserpflanze, Kei- 
mung und erste Entwicklung sind nur im Wasser möglich; sie 
wird aber im Verlauf ihres Lebens zur Landpflanze und kann 
(vielleicht mit Ausnahme von M. deflexa) nur auf dem Lande, in 
vielen Fällen, wie bei den Arten, die im Innern Australiens wach- 
sen, sogar nur unter dem Einflufs einer den gröfseren Theil des 
Jahres hindurch andauernden Dürre, die Früchte reifen. Sie verhält 
sich also wie jene Insekten, die ihre Metamorphose im Wasser begin- 
nen und auf dem Lande vollenden. Wenn die Marsilien nach vor- 
hergegangener Bildung der Landblätter unter gewissen Umständen 
von Neuem Schwimmblätter bilden, so ist dies eine Rückkehr zu 
einer niederen Stufe der Metamorphose, welche Rückkehr regel- 
mäfsig überall da eintritt, wo die Localitäten, an welchen sie 
wachsen, im Spätherbst oder in der Regenzeit unter Wasser ge- 
setzt werden. Es wird dadurch eine Verjüngung und ein Über- 
gang aus einer Vegetationsperiode in die andere bewerkstelligt. 
Dafs die Verschiedenheiten der Schwimm- und Landblätter sich 
nicht in blos passiver Weise aus der Einwirkung des umgebenden 
Mediums erklären lassen, sondern auf einer angeborenen Eigen- 
schaft, einer den unentbehrlichen äufseren Lebensbedingungen an- 
gepalsten specifischen Begabung beruhen,”) beweist einerseits der 


1) Hildebrand (l. c. S. 17) vergleicht Marsilia passend mit Sagittaria 
_ und es läfst sich dieser Vergleich noch bestimmter ausführen, da Sagittaria 
nach dem Keimblatt gleichfalls 3 Abstufuugen grüner Blätter hervorbringt 
und ehenso bei den Verjüngungen durch Ausläufer nach den ersten farblosen 
Niederblättern diese 3 Abstufungen regelmäfsig wiederholt, nämlich: 1) un- 
tergetauchte linienförmige Blätter ohne Scheidung von Stiel und Spreite, 
2) Schwimmblätter mit mehr oder minder ausgeführter Scheidung beider Theile 
und länglicher ungetheilter oder unvollkommen pfeilförmiger Spreite, 3) Luft- 
blätter von bekannter pfeilförmiger Gestalt. Auch ist es bekannt, dafs diese 
Pflanze unter Umständen auf der ersten oder zweiten Stufe stehen bleibt und 
in der Regel nur zur Blüthen- und Fruchtbildung fortschreitet, wenn sie die 
dritte erreicht hat. (Spenner Flor. Frib. III. 1058; Ascherson Flora der 
Prov. Brandenburg 653). 

2) Etwas Ähnliches behauptet auch Hildebrand (l. c. S. 21), wenn er 
die Fähigkeit der Marsilien und anderer amphibischer Pflanzen, Wasserblät- 
ter von eigenthümlichem, dem Medium angepafstem Bau hervorzubringen, als 


vom 11. August 1870. 675 


Umstand, dafs die ersten Land- (Luft-) Blätter bereits ehe die 
Pflanze ins Trockene kommt, also im Wasser, gebildet werden, 
wie man an in Seichtem Wasser ceultivirten Exemplaren beobachten 
kann, und dals bei Versenkung älterer Pflanzen ins Wasser der 
Übergang zur Bildung wahrer Schwimmblätter nicht immer mit 
gleicher Leichtigkeit, ja bei manchen Arten vielleicht gar nicht her- 
vorgerufen werden kann. Einige Erfahrungen hierüber mögen die 
Mittheilungen über die Schwimmblätter beschliefsen. 


eine angeerbte latente Eigenschaft betrachtet, welche durch Veränderung des 
Mediums zum Vorschein gebracht werde. Da es sich jedoch hier, wie ich 
zu zeigen gesucht habe, nicht um eine nur aufserordentlicher Weise und nur 
unter ungewöhnlichen Verhältnissen erscheinende Eigenschaft, sondern um 
ein in den normalen Entwicklungsgang des Lebens gehöriges Ereignifs han- 
delt, so kann ich die Hildebrandsche Darstellung in keinem anderen Sinne 
auffasseu, als in welchem überhaupt alle speeifischen Eigenschaften der Pflanze 
angeerbte und so lange latente sind, bis theils die äufseren Bedingungen, 
theils die dem Entwicklungsgang des Lebens selbst angehörigen Voraussetzun- 
gen eingetreten sind, welche ihre Verwirklichung möglich machen. Die ver- 
suchte Anknüpfung an die Descendenztheorie, insbesondere die Erklärung der 
Fähigkeit Schwimmblätter hervorzubringen durch Ableitung von einem ganz 
dem Wasser angehörigen Vorfahren, kann ich dagegen durchaus nicht zutref- 
fend finden. Da die Schwimmblätter der Marsilien mit ihrer eigenthümlichen 
Organisation keineswegs überflüfsige Gebilde sind, sondern vielmehr wesent- 
lich dazu beitragen, dafs diese Pflanzen „den Kampf ums Dasein“ bestehen 
können, so ist nicht einzusehen, warum die Fähigkeit ihrer Hervorbringung 
nicht als eine mit der Entstehung der Marsilien selbst zusammenfallende Er- 
rungenschaft betrachtet werden soll. Die Ableitung von einer Wasserpflanze 
scheint mir ganz grundlos. Eher könnte man, wenn man auf dieses gewagte 
Feld der Hypothesen eingehen will, in dem Vorkommen der Stomata auf den 
stets unter Wasser befindlichen Primordialblättern einen Hinweis erblicken, 
dafs die Vorfahren der Marsilien Landbewohner waren, und in der That kön- 
nen wir den sonderbaren 'Typus dieser Familie, ungeachtet des grofsen Ab- 
standes, doch nirgends näher anknüpfen als an die Farne. Es sind keine 
vorweltlichen Gewächse bekannt, welche man mit irgend welcher Sicherheit als 
nächste Vorläufer der Marsiliaceen betrachten könnte. Die Gattung Jeanpaulia, 
welche man dieser Familie zugeschrieben hatte, gehört nach Schenk (Flora der 
Grenzschichten des Keupers und Lias S. 39) zu den Farnen; das von Hildebrand 
angeführte Sphenophyllum der Steinkohlenperiode dagegen gehört unzweifelhaft 
in den den Marsiliaceen ganz fremden Verwandschaftskreis der Calamiten und 
war wahrscheinlich eine nur mit dem untersten Theile des Stamms im Wasser 
stehende Sumpfpflanze (vergl. Schimper, Paleont. veget. p. 336). 


676 Gesammtsitzung 


Mars. Aegyptiaca ist im botanischen Garten wiederholt zu 
Anfang des Sommers in einen Teich gesetzt worden; sie verän- 
derte in Folge davon ihr Ansehen gänzlich, indem sie üppige 
Schöfslinge bildete, welche theils auf dem Grunde kriechend, häu- 
figer aber frei im Wasser schwimmend, sich wohl 8—10 Fufs weit 
ins Innere des Teiches erstreckten und an langgedehnten Stengel- 
gliedern Blätter mit schwimmender, auf dem Wasserspiegel ausge- 
breiteter Lamina und ganzrandigen Blättchen trugen, im Ansehen 
denen der Wasserform von M. quadrifoliata täuschend ähnlich, aber 
dieselben an Gröfse meist etwas übertreffend. Bei minderer Tiefe 
des Wassers ragten die im Übrigen ebenso gestalteten Blätter blei- 
bend über den Wasserspiegel hervor und breiteten ihre Lamina in 
der Luft aus. An nur mit dem Untertheil des Topfes in Wasser 
gestellten Exemplaren sah man viele Schöfslinge über den Rand des 
Topfes nach dem Wasser herabsteigen, wobei die kleinen Land- 
blätter mit schmalen gelappten oder gekerbten Fiedern in ganz all- 
mähliger Abstufung gröfser wurden und in die Form der grofsen 
Wasserblätter mit breiten ganzrandigen Fiedern übergingen. Die 
mikroskopische Untersuchung ergab das unerwartete Resultat, dafs 
alle diese Wasserblätter, nicht blos die über den Wasserspiegel 
sich erhebenden, sondern auch die vollkommen schwimmenden, 
nicht den gewöhnlichen Bau der Wasserblätter besafsen. Sie wa- 
ren alle auf der Rückseite mit Luftspalten versehen, wenn auch in 
geringerer Zahl als auf der Oberseite; auch fehlten die sonst so 
charakteristischen Interstitialstreifen. Nur einige wenige Blätter 
zeigten Spuren solcher Streifung, aber auch diese hatten Luftspal- 
ten auf der Unterseite. Es schien demnach für M. Aegyptiaca 
charakteristisch zu sein, Wasserblätter ohne Streifen und mit Luft- 
spalten auf der Unterseite zu besitzen, und doch ist es nicht so! 
Von Dr. Steudner und von Kotschy bei Cairo gesammelte Wasser- 
exemplare, die keiner anderen Art angehören können, haben die 
schönsten Streifen und keine Luftspalten auf der Unterseite! Die 
Blätter dieser Exemplare sind kleiner und zarter, die Blattstiele 
schwächer als bei der cultivirten Wasserform, was dafür spricht, 
dafs diese wilden Exemplare aus Sporen erwachsen, ihre Blät- 
ter primäre Wasserblätter sind. Könnten wir M. Aegyptiaca aus 
Sporen erziehen, wozu leider die Gelegenheit bis jetzt gefehlt hat, 
so würden wir ohne Zweifel zunächst vollkommen charakteristische 
Wasserblätter und sodann fructificirende Pflanzen erhalten, was 


Be -.- 


vom 11. August 1870. 677 


beides bei der seit 15 Jahren im Garten durch fortgesetzte Sprofs- 
bilduug cultivirten Pflanze nicht erreicht werden konnte. Der Ge- 
danke liegt nahe, dafs M. Aegyptiaca in ihrem Vaterlande, dem 
unteren Nillande, mit seinem schroffen Wechsel einer Zeit grofser 
Überschwemmungen und einer Zeit grolser Trockenheit, eine ein- 
jährige Pflanze ist, nur einmal Schwimmblätter und nur einmal 
fruchttragende Landblätter zu tragen bestimmt; und dafs sie bei 
der durch Cultur unter ungewöhnlichen Verhältnissen herbeigeführten 
Ausdauer in einem Mittelzustande fortlebt, in welchem sie sich we- 
der vollkommen verjüngen, noch das eigentliche Ziel ihrer Ent- 
wicklung erreichen kann. Beobachtungen im Vaterlande, sowie 
weitere und mehrfach modifieirte Culturversuche werden diese Frage 
künftig entscheiden. 

Ein noch abweichenderes Verhalten scheint M. Coromandeliana 
zu haben. Die Pflanze wurde in diesem Jahre aus Sporen erzo- 
gen und in der ersten Zeit etwa 2 Zoll tief unter Wasser gehal- 
ten. Sie breitete sich mit reilsender Schnelligkeit aus, wie keine 
andere Art, und brachte eine grolse Zahl von Blättern, welche 
sämmtlich über die Oberfläche des Wassers emporwuchsen und sich 
dann, die ersten früher, die folgenden zögernder niederlegten und 
schwimmend ausbreiteten. Ganz allmählig war der Übergang von 
diesen zu den über Wasser bleibenden, allmählig an Gröfse ab- 
nehmenden Luftblättern, mit deren reichlicherem Erscheinen die 
Pflanze trockener gehalten wurde und in kurzer Zeit reichlich 
Frucht brachte. Es wurde versäumt die allerersten Schwimmblätter 
der jungen Pflänzchen zu untersuchen, von denen es somit ungewils 
ist, ob sie Luftspalten auf der Unterseite besitzen, aber alle spä- 
teren zahlreichen Blätter mit schwimmender Spreite hatten Luft- 
spalten auf der Unterfläche, wiewohl in weit geringerer Zahl als 
auf der Oberfläche; sie hatten keine oder nur schwach angedeutete 
(gelbliche) Interstitialstreifen, wogegen bei manchen (wohl den Über- 
gang zu den eigentlichen Landblättern bildenden) sogar schon die 
 charakteristischen Scleremchymzellen der Landblätter dieser Art 
auftraten. Pflanzen mit entwickelten Landblättern, welche im 
Laufe des Sommers in ein gröfseres Wasserbehältnils etwa 6 Zoll 
tief versenkt wurden, trieben bald lange, im Wasser fluthende 
Sprofse mit Blättern, deren Fiederblättchen zwar breiter waren als die 
der Landblätter und sich schwimmend ausbreiteten, aber in allem 
Übrigen, auch in Beziehung auf die Scleremchymzellen, mit den Land- 


678 Gesammtsitzung 


blättern übereinstimmten; sie erreichten auch nicht die Gröfse der 
früheren Schwimmblätter und hatten überhaupt für Wasserblätter 
ein sehr kümmerliches Ansehen. Ich möchte darnach vermuthen, 
dals auch M. Coromandeliana normal einen einjährigen Lebenscyklus 
hat und bei der Schnelligkeit ihrer Entwicklung die Stufe vollkom- 
mener Schwimmblätter gar nicht zur Ausbildung bringt. 

Ebenso brachte M. crenulata, im Juni in einen gröfseren Was- 
serbehälter versenkt, nur schwächliche Wassertriebe mit unvoll- 
kommenen d. h. auf der Unterfläche mit spärlichen Luftspalten 
besetzten und nur hier und da mit Spuren brauner Interstitialstrei- 
fen versehenen, übrigens nicht gekerbten, sondern ganzrandigen 
Schwimmbättern hervor, während die nahe verwandte M. diffusa 
unter denselben Verhältnissen und in derselben Zeit sehr üppige 
Wassersprosse mit charakteristischen Schwimmblättern bildete. Eine 
Versenkung im Frühjahr, zu Anfang der Vegetationsperiode, würde 
wahrscheinlich ein anderes Resultat gehabt haben, analog dem Ver- 
halten von M. Drummondi. Diese wurde im Jahre 1867 frühzei- 
tig in den Teich gesetzt, woselbst sie in einer Tiefe von 2 Fufs und 
mehr weit umherkriechend an gegen 6 Zoll langen Stengelgliedern 
durchgehends ächte Schwimmblätter, auf der Unterseite ohne Luft 
spalten und mit braungelben Streifen schön gezeichnet, hervor- 
brachte, wogegen dieselbe Art in diesem Jahre, gegen Ende Juni 
in den Teich gesetzt, zwar auch langgliedrige Sprofse mit sehr 
langgestielten Blättern, deren Spreite sich schwimmend auf dem 
Wasser ausbreitete, hervorbrachte, aber doch keine vollkommen 
charakteristischen Wasserblätter, da sie insgesammt auf der Unter- 
seite Luftspalten, wenn auch in geringerer Zahl, hatten, selbst die- 
jenigen (wenig zahlreichen), welche einen Anfang von Streifenbil- 
dung zeigten. Ebenso verhielten sich M. salvatrix und M. elata, 
von denen die letztgenannte auch keine Spur von Streifen an den 
anscheinenden Schwimmblättern zeigte. In ganz anderer Weise 
dagegen verhielt sich unter denselben Verhältnissen M. macra, wel- 
che im Juni ins Wasser gebracht sofort zur Bildung ächter Schwimm- 
blätter überging. 

Die Luft-, oder, wie ich sie lieber nenne, Landblätter 
zeichnen sich vor den Schwimmblättern durch eine gröfsere Man- 
nigfaltigkeit der Form aus, haben daher für die specifische Unter- 
scheidung schon etwas mehr Werth als diese; auch die Verhält- 


vom 11. August 1870. 679 


nisse der Bekleidung und der anatomische Bau, namentlich der 
Epidermis, bieten in dieser Beziehung Anhaltspunkte. 

Die Sprofse, an welchen die Landblätter auftreten, sind im 
Allgemeinen kurzgliedriger als die Wassersprofse, und wenn auch 
der Hauptsprols noch eine stärkere Verlängerung zeigt, so sind 
wenigstens die Seitensprolse in der Regel kurz und gestaucht. 
Besonders auffallend tritt dies bei M. pubescens hervor, wo an 
einem mehr oder minder verlängerten Hauptsprofs die mit 2 Rei- 
hen dichtgedrängter Früchte besetzten Seitensprolse wie sitzende 
Kätzchen oder Zapfen anhängen. Bei M. difusa kriechen die ge- 
dehnteren Hauptsprolse und ihre nächsten Verzweigungen weit und 
breit umher (vergl. S. 662), aber die letzten Seitensprofse sind 
auch hier gedrungen, daher die Blätter und Früchte an denselben 
dicht gehäuft. Zu den Arten, deren Landform einen besonders ge- 
drungenen Wuchs hat, gehören M. elata und Drummondü (var. orien- 
talis), während M. salvatrix stets etwas länger kriechend ist. Durch 
lockereren Wuchs zeichnen sich ferner aus M. polycarpa, subangu- 
lata, Ernesti, sowie M. Coromandeliana und trichopoda, welche 
beide, gegen die Sitte der übrigen Arten, häufig bis zum Senkrech- 
ten aufsteigende letzte Verzweigungen haben. 

Was zunächst die Blattstiele der Luftblätter betrifft, so sind 
dieselben in der Regel kürzer, starrer und von festerem Bau!) als 
die biegsamen schwankenden Stiele der Schwimmblätter, geeignet 
sich aufrecht zu erhalten und die Spreite frei empor zu tragen. 
Selten kommt bei üppiger Vegetation auf feuchtem Grunde eine 
bedeutendere Verlängerung der Blattstiele der Landblätter vor, wo- 
bei dieselben entweder steif und gerade sind (M. villosa), oder eine 
eigenthümliche an die der windenden Stengel und Ranken erin- 
nernde Biegsamkeit zeigen. Letzteres namentlich bei M. salvatrix, 
deren Blattstiele unter günstigen Bedingungen 36—40 Centimeter 
(13—15 Zoll) Länge erreichen und die Neigung haben, sich mit 
dem oberen, der Spreite zunächst vorausgehenden Theile um ein- 
ander zu schlingen und zu verwickeln.?) 


!) Vergl. Hildebrand 1. c. S.6. Die anatomischen Unterschiede des 
Blattstiels der Wasser- und Landblätter bedürfen übrigens noch einer über 
zahlreichere Arten ausgedehnten vergleichenden Untersuchung. 

?) Die Windung beschreibt kaum mehr als 1 bis 2 Umgänge und 
scheint constant rechts zu sein. 


680 Gesammtsitzung 


Die Spreite der Landblätter ist in der Regel kleiner und ver- 
hältnifsmälsig schmäler als die der Schwimmblätter, übrigens sind 
die Gröfsenverhältnifse derselben je nach dem feuchteren oder 
trockeneren Standort nnd selbst an demselben Exemplare je 
nach der Stellung der Blätter am Hauptsprofs oder den Zweigen 
äufserst veränderlich. Der Unterschied in der Gröfse der Blatt- 
spreiten, zumal wenn noch Verschiedenheiten der Gestalt und Be- 
kleidung hinzutreten, bedingt das bei manchen Arten so sehr ver- 
schiedene Ansehen der auf dem Land und der im Wasser wach- 
senden Exemplare derselben Art. Wohl bei keiner Art ist dieser 
Unterschied auffallender als bei M. Aegyptiaca, deren glatte Was- 
serblätter mit ganzrandigen Fiederblättchen, wie oben (S. 669) er- 
wähnt, oft eine Länge von 30—32 Mm. und eine die Länge noch 
etwas übertreffende Breite erlangen und über 100 in den Stirnrand 
einlaufende Nervenenden zeigen, während die behaarten Landblätter 
fructificirender Exemplare einfach oder doppelt ausgerandete (mit 
2—4 Läppchen am Stirnrand versehene) Blättchen von 5—, an 
den letzten Zweigen 3—4 Mm. Länge und etwa halber Breite be- 
sitzen, in deren Stirnrand nur etwa 10— 25 Nervenenden eintreten. 
Zu den Arten, die sich durch Kleinheit der Landblätter auszeichnen, 
gehören ferner M. brachycarpa, sericea, biloba, Capensis, Burchellii 
(Blättehen 2—6, selten bis 10 Mm. lang), trichopoda, Coromande- 
liana (Bl. 4—10 Mm. lang), muscoides. Die letztgenannte hat un- 
ter allen die kleinsten Blätter, deren Blättchen bei den senegambi- 
schen Exemplaren nicht über 2—3, bei denen aus Angola höch- 
stens 4 Mm. lang und etwa halb so breit sind. Der Kleinheit der 
Blätter entspricht ungefähr die geringe Zahl der letzten in den 
Rand eintretenden Nervenzweige, deren ich bei der Mehrzahl der 
oben genannten Arten 12—15, bei M. muscoides nur 10—12 
zählte. Die geringste Zahl fand ich bei einigen der kleinsten 
Blättchen von M. Coromandeliana, nämlich 6—8. Bei mittelgros- 
sen Blättern von M. quadrifoliata kommen dagegen 70—75 Ner- 
venspitzen auf ein Blättchen. Zu den Arten, deren Landblätter 
sich durch ansehnliche Gröfse auszeichnen, gehören M. salvatrix, 
Drummondiü, macropus, macrocarpa und polycarpa. Von der letzt- 
genannten sah ich fructifieirende Landblätter von besonderer Grölse. 
Ein gemessenes Theilblättchen war 28 Mm. lang, 32 Mm. breit 
und zeigte ungefähr 210 den Rand erreichende Nerven. 

Was die Gestalt der Landblätter betrifft, so mufs ich zunächst 


vom 11. August 1870. 681 


einige allgemeine (die Schwimmblätter mit begreifende) Bemerkun- 
gen vorausgehen lassen. Die Blätter der Marsilien sind, wenn wir 
von den Primordialblättern absehen, durchgehends viertheilig, we- 
nigstens ist keine Art mit Sicherheit!) bekannt, welche sich an- 
ders verhielte; nur als Ausnahme oder Abweichung von der Regel 
kommen einzelne zweitheilige Blätter vor (öfters das erste Schwimm- 
blatt junger Pflanzen, selten das erste Landblatt eines Zweiges), 
noch seltener dreitheilige (mehrmals an der Landform von M. cre- 
nulata beobachtet), etwas häufiger dagegen fünf- bis sechstheilige 
(Wasser- und Landblätter von M. Coromandeliana, Landblätter von 
M. macra und quadrifoliata); nur einmal fand ich ein Blatt mit 8 
Theilblättchen (M. elata). Die in der Nervatur der Blättchen 
herrschende Dichotomie, sowie das Vorkommen nur zweitheiliger 
Blätter könnte der Vermuthung Raum geben, dafs das ganze Blatt 
dem Gesetze der Dichotomie folge, somit eigentlich zweitheilig sei 
mit nochmaliger Theilung der Hälften, sich anschliefsend an die 
wiederholt zweitheiligen Blätter mancher Farne, namentlich der 
Gattungen Schizaea?), Rhipidopteris?), Hecistopteris') und der be- 
reits erwähnten vorweltlichen Gewächse, welche früher für Mar- 
siliaceen gehalten wurden, der Farngattung Jeanpaulia’) und der 
Ualamariengattung Sphenophyllum°). Allein die nähere Betrachtung 
scheint ein anderes Resultat zu geben; sie zeigt, dafs die 4 Blättchen 
zwei übereinander befindliche Paare darstellen, ein unteres, über 


!) In Blanco Flora de Filipinas (Manila 1845) wird S. 577 allerdings 
unter dem Namen Mars. trifolia eine Art aufgeführt, welehe normal 3 Blätt- 
chen haben soll, die an Gestalt denen der M. crenulata (M. minuta Blanco) 
ähnlich sein sollen. Die Beschreibung dieser Art ist aber so ungenügend, 
dafs sie die Vermuthung nicht ausschliefst, es möge derselben irgend eine 
phanerogamische Pflanze zu Grunde liegen. Übrigens ist es bemerkenswerth, 
dafs gerade an der einzigen von den Philippinen sicher bekannten Marsilia- 
Art (M. crenulata) ausnahmsweise Blätter mit 3 Blättchen vorkommen. 

?2) Von Ettingshausen, Flächenskelet der Farnkräuter der Jetztwelt 
Bello, 2 I und\t. 116, 1. 2. 


®) Fee, Genera Filicum, t. 2 und von Ettingsh. t. 1, f. 1-6 u. 9—13, 
DIReerl..c.t. 16. 

3) Schenk 1. e. t. 9; Schimper Paleont. veget. t. 44, f. 9. 
6) Ibid. t. 25, £. 328. 


682 Gesammtsitzung 


welchem sich ein kurzer Stiel (Fortsetzung des Blattstiels, Mittel- 
stiel, oder Rachis) erhebt, welcher das zweite obere trägt. Damit 
steht auch die Knospenlage im Einklang, welche sich ähnlich ver- 
hält wie bei den gefiederten Blättern zahlreicher Gewächse, z. B. der 
Mimoseen, Gleditschien, Tamarinden, Cassien, indem die Blättchen, 
an und für sich ungefaltet, sich mit der Oberfläche aneinanderle- 
gen und zwar so, dafs das untere Paar das obere grolsentheils 
bedeckt, wefshalb auch an dem sich ausbreitenden Blatte die Lage 
der Blättchen unterschächtig erscheint, welche Deckung erst mit 
der vollendeten‘ Ausbreitung zum regelmäfsig vierstrahligen Stern 
verschwindet. Während des Schlafes legen sich die Blättchen der 
Marsilien in derselben Weise wie bei den Mimosen wieder zusam- 
men, indem sie in die Knospenlage zurückkehren.') 

Die paarweise Folge der 4 Blättehen scheint eine Bestätigung zu 
finden in dem Verlauf der Bündel des Blattes.”) Der Blattstiel ist sei- 
ner ganzen Länge nach von einem starken Bündel durchzogen. Beim 
Übergang zur Spreite gehen von demselben zunächst 2 Zweige ab, wel- 
che in die Blättchen des ersten Paares eintreten, während das Haupt- 
bündel sich noch eine kleine Strecke weit ungetheilt fortsetzt und dann, 
sich gabelnd, in die Blättchen des oberen Paares eintritt. Inner- 
halb der Blättehen, sowohl der unteren als der oberen, tritt sofort 
eine wiederholte Dichotomie ein, hier und da mit bogenartigen Ver- 
bindungen zweier benachbarter Gabeltheile. Zunächst dem Rande 
des Blättchens sind sämmtliche letzte Bündelzweige durch eine 
continuirliche Anastomosenreihe verkettet, einen mehr oder weni- 
ger deutlichen Randnerven bildend. Das Verhältnifs des vierthei- 
ligen zum zweitheiligen Blatt zeigt sich besonders deutlich in der 
Nervatur der Primordialblätter, deren letzte häufig viertheilig sind. 


1) Der periodische Schlaf ist ohne Zweifel eine Eigenthümlichkeit der 
Landblätter aller Marsilien und verdient genauer beobachtet zu werden. Die 
verschiedenen Arten öffnen und schliefsen ihre Blätter nicht gleichzeitig; un- 
ter den hier cultivirten öffnet M. pubescens die Blätter am frühesten und 
schliefst sie am spätesten, ist also die wachsamste, wogegen M. Drummondü 
die schlafsamste zu sein scheint. 

2) Ich gebrauche den kürzesten Ausdruck statt des weitläufigen „Fibro- 
rasalstrang“ oder des noch immer gebräuchlichen „Gefäfsbündel“, welcher, 
wenn man das Wort „Gefäls“ im strengsten Sinne des Wortes nimmt, nach 


vom 11. August 1870. 683 


den Untersuchungen von Mettenius und Caspary für die Rhizocarpeen, ebenso 
- wie für die Mehrzahl der übrigen „Gefäfseryptogamen“, nicht richtig ist. 


[1870] 47 


684 Gesammtsitzung 


Die Figuren 1, 2, 4, 6, 7, 8 stellen die Folge der Blätter 
eines Keimpflänzchens von Mars. Ernesti dar, wobei 3 und 5, als 
unerhebliche Mittelglieder, weggelassen sind. Das Keimblatt (Fig.1) 
ist von einem einzigen Bündel (Nerven) durchzogen; mit dem ersten 
Primordialblatt (Fig. 2) tritt in dem oberen zur Spreite sich aus- 
dehnenden Theil des Blatts bereits eine wiederholte Gabelung des 
Bündels ein,') welche bis zum 6ten Blatt ohne äufsere Theilung 
der Spreite fortschreitet. Beim 7ten Blatt trennen sieh die beiden 
durch die erste Gabeltheilung bezeichneten Hälften der Spreite, 
es entsteht ein einfach zweitheiliges Blatt; beim Sten Blatt tritt 
zwischen beiden Seitentheilen eine mittlere Fortsetzung auf, in 
welcher derselbe Gabelungsprozefs der Nerven und dieselbe der 
ersten Gabelung entsprechende äufsere Theilung in der Bildung 
eines zweiten Blättchenpaares sich wiederholt. Eine in der vorlie- 
genden Reihe fehlende Mittelstufe zwischen 7 und 8, bei welcher 
die beiden Theile des oberen Paares vereinigt bleiben, giebt die 
Erklärung der bei den Primordialblättern nicht sehr selten und selbst 
bei den Landblättern (M. crenulata), hier ee sehr selten, vor- 
kommenden dreitheiligen Spreite. 

Eine solche Auffassung des Marsilienblattes wird ferner durch 
den Gang der Entwicklungsgeschichte desselben, wie wir ihn aus der 
Darstellung von Hanstein (l. ec. S. 53, T. 14) kennen, unterstützt. 
Das junge Blatt erscheint zunächst in Form eines sich allmählig 
etwas nach innen krümmenden Kegels, dessen erste Anlegung durch 
wiederholte Theilung einer Scheitelzelle durch wechselnd von beiden 
Seiten her gegeneinander geneigte Scheidewände fortschreitet, somit 
ursprünglich (ebenso wie das bleibend einfache Keimblatt) eine 
einheitliche Spitze hat. Die Entstehung der Spreite verräth sich zu- 
nächst durch überwiegende Schwellung und vermehrte Theilung 
zweier gegenüberliegender seitlicher Randzellengruppen, wodurch das 
obere Ende des Blatts zunächst stumpf dreieckig, bald darauf deut- 
lich dreilappig wird. Mit dem Auftreten der beiden seitlichen 
Lappen ist das erste Paar der Seitenblättchen angelegt. Jetzt 
hört die Scheitelzelle des Blatts, welche die Spitze des mittleren 
Lappens krönt, auf als solche thätig zu sein, während seitlich von 


1) Die bei dieser Art fehlende Mittelstufe des einfach gegabelten Ner- 
ven findet sich normal bei dem ersten, äufserst schmalen Primordialblatte 
von MM. pubescens. 


vom 11. August 1870. 685 


ihr die Randzellen in lebhafter Theilung sich hervordrängen. So 
wird der mittlere Lappen getheilt und das zweite Paar der Blätt- 
chen ist angelegt. 

Endlich mögen auch die abnorm mehr als viertheiligen Blät- 
ter in Betracht gezogen werden. Die überzähligen (meist schmä- 
leren) Blättchen derselben treten gewöhnlich zwischen den Blättchen 
des oberen Paares auf und zwar in vielen Fällen (M. Coromandeliana 
und macra) deutlich als drittes, von ‘einem gemeinsamen kurzen 
Mittelstiel getragenes Paar, das sich zum zweiten Paare ganz 
. ebenso verhält, wie dieses zum ersten. In anderen Fällen freilich 
kommen überzählige- Segmente vor, die nicht anders als durch 
Theilung der oberen, zuweilen auch der unteren Blättchen betrach. 
tet werden können. 

Dies sind die Gründe, welche für die Auffassung des Marsi- 
lien-Blattes als eines zweijochig gefiederten sprechen; sie scheinen 
nicht ungewichtig, aber ich kann doch die Bemerkung nicht unter- 
drücken, dafs sich auch Gründe gegen dieselben anführen lassen, 
die vielleicht geeignet sind, der zuerst erwähnten Auffassung, ob 
„sie gleich dem Augenschein zu widersprechen scheint, den Vorzug 
zu geben. Betrachten wir zunächst den Fall des blofs zweitheili- 
gen Blattes (Primordialblatt 7 in der oben dargestellten Reihe), so 
werden wir nicht umhin können, in der Bildung desselben eine 
Dichotomie anzuerkennen, und dasselbe werden wir. bei der Bil- 
dung des oberen Paares des viertheiligen Blattes zugeben müssen. 
Die oben erwähnte Scheitelzelle der ersten Blattanlage hat zur Zeit 
der Bildung der Blättchen offenbar ihre frühere Bedeutung gänz- 


lieh verloren; in dem Falle, wo die Blattspreite ungetheilt bleibt 


und gleichsam fächerförmig ausstrahlt, ist sie ohne Zweifel ganz 
in der Bildung von Randzellen aufgegangen. Auch dürfen wir bei 
der Betrachtung des Hervortretens gesonderter Lappen oder Blätt- 
chen nicht blos von den Vorgängen am Rande der Blattanlage 
ausgehen, sondern müssen auch die im Innern des Blattes zur 
Geltung kommenden und nach aufsen drängenden Bildungsrichtun- 
gen, welche schliefslich in den Gefäfsbündeln ihren Ausdruck fin- 
den, mit in Betracht ziehen. Halten wir beim viertheiligen Blatt 
für das untere Paar an der Vorstellung der Fiederbildung fest, 
| - so kommen wir zu der sonderbaren Annahme eines ersten durch 
& Fiederbildung und eines zweiten durch Gabeltheilung gebildeten 
 Blättehenpaares und es wird die Frage sich aufdrängen, ob dieser 
= 


636 Gesammtsitzung 


Widerspruch nicht zu heben ist. Sehen wir zu diesem Ende von 
den einzelnen Blättern und Blättchen ab, und fassen wir die ganze 
Reihe der Blätter vom einfachsten Keimblatt bis zum viertheiligen 
Primordialblatt oder, wo dieses fehlt, zum gevierten Schwimmblatt _ 
in eine gemeinsame Betrachtung zusammen, so finden wir, dafs 
die Viertheilung des Blattes früher oder später, mit oder ohne die 
Übergangsstufe der Zweitheilung, mit oder obne weitere Zwischen- 
glieder unvollkommener Theilungsgrade eintreten kann, dals aber, 
unabhängig von dem Eintritt dieser Theilungen, die Zahl der in 
den Rand des ganzen (ungetheilten oder getheilten) Blattes einlau- 
fenden Nervenenden mit einer gewissen Stetigkeit zunimmt. So 
beträgt z. B. bei der im Vorhergehenden (S. 683) dargestellten 
Reihe von M. Ernesti (mit Einfügung der übersprungenen Num- 
mern) die Zahl der Nervenenden der aufeinanderfolgenden Blätter 
1. 4. 5. 7. 10. 15. 23. 29. Andere Exemplare und andere Arten 
werden andere, aber doch im Wesentlichen ähnliche Zahlenreihen 
liefern, namentlich verdient M. pubescens Erwähnung, bei welcher 
die Reihe mit 1. 2. 3 oder 1. 2. 4 beginnt. Würde die wieder- 
holte Dichotomie der Nerven von Blatt zu Blatt regelmälsig um 
einen Grad fortschreiten, so erhielten wir die Zahlen 1. 2. 4. 8. 
16. 32...., allein dies ist nicht der Fall, die Theilung tritt nicht 
leicht in allen Spitzen auf einmal ein, sie schreitet ungleichmälsig 
und deshalb langsamer voran, und zwar ist sie anfangs in den Seiten- 
theilen, später in den mittleren Theilen des Blatts mehr gefördert. 
In dem oben gegebenen Beispiel ist das 7te Blatt (mit 23 Nerven- 
den) zweitheilig, das Ste (mit 29 Enden) viertheilig; die Zahl der 
Nervenenden würde aber ungefähr die gleiche sein, wenn diese beiden 
Blätter sich ungetheilt entwickelt hätten. Man ersieht hieraus, dafs 
die Lappen, Segmente oder Blättchen Theile eines Ganzen sind, 
Theile, deren Entstehung nicht auf verschiedene Weise erklärt 
werden darf. Was wir vom Ganzen und seinen Theilen sagten, 
können wir noch speciell auf die beiden Hälften des Blattes an- 
wenden, indem wir das viertheilige Blatt (Fig. 8) mit dem zwei- 
theiligen (Fig. 7) vergleichen. Wir können die 2 mittleren (obe- 
ren) Blättchen des ersteren nicht wohl als eine zu den 2 Blättchen 
des letzteren hinzukommende Neubildung betrachten, denn wir fin- 
den zu einer solchen bei Blatt 7 durchaus keine Anlage; wir müs- 
sen also ihre Entstehung von den Blättehen des zweitheiligen Blat- 
tes selbst ableiten, müssen sie als abgelöste vordere (obere) Hälf- 


vom 11. August 1870. 687 


ten derselben, somit als Viertel des ungetheilen Blattes betrachten. 
Die Zahl der Nervenenden der beiden Blättchen des dargestellten 
zweitheiligen Blattes beträgt zusammen 23, die der beiden unteren 
Blättchen des folgeuden viertheiligen Blattes zusammen nur 16, 
während man nach dem Gesetze der fortschreitenden Theilung der 
Nerven nicht eine kleinere, sondern eine gröfsere Zahl erwarten 
müfste, wenn nämlich die unteren Blättchen des viertheiligen Blatts 
für sich allein als denen des zweitheiligen gleichwerthig betrachtet 
werden sollten. Wenn wir dagegen das untere und obere Blättchen 
zusammengenommen dem Blättchen des zweitheiligen Blattes gleich- 
stellen, finden wir uns mit der Regel der zunehmenden Zahl der 
Nervenenden im Einklang. 

Mit dem Ergebnifs dieser Auseinandersetzung scheint nun frei- 
lich der Umstand unvereinbar zu sein, dafs bei dem viertheiligen 
Blatt das zweite Paar der Blättchen durch einen deutlichen Mittel- 
stiel über das erste Paar erhoben ist, durch einen Mittelstiel, der 
ebenso wie der voerausgehende Blattstiel von einem anscheinend 
einfachen Bündel durchzogen ist. Diese Schwierigkeit erscheint 
jedoch nicht unüberwindlich, wenn wir die Beschaffenheit des be- 
treffenden Bündels näher betrachten. Dasselbe ist nämlich nach 
Nägeli’s Untersuchungen') in der That ursprünglich und zwar schon 
im Stiel des Blatts, durch Theilung unmittelbar über der Eintrittsstelle 
vom Stengel in die Blattbasis, ein doppeltes, dessen Theile jedoch 
bei der weiteren Entwicklung der Gewebe, ebenso wie die Gefäfs- 


stränge des Stengels, durch eine gemeinsame Innen- und Aufsen- 


scheide verbunden werden.*) Die Eigenthümlichkeit der gevierten 


!) Beiträge zur wissensch. Bot. I (1858) S. 54. 55. 


?) Die beiden Gefäfsstränge zeigen im Querschnitt eine halbmondförmige 


Gestalt und sind, die gewölbte Seite nach innen kehrend, nach der Rücken- 


seite des Blattstiels hin so aneinander gelegt, dafs sie die Form eines nach 
der Vorderseite hin offenen \y bilden. Die Halbmonde berühren sich jedoch 
nicht vollständig, sind aber meist durch eine engere Netzfaserzelle brückenartig 
verbunden, während sie selbst hauptsächlich aus weiteren, leiterförmigen und 
längsreilig punktirten Gefäfszellen bestehen. Das beide Stränge ver- 
bindende Gewebe besteht aus langröhrigen, engen, slärkeführenden Zellen mit 
horizontalen Grenzwänden, eingeschlossen durch einen Zellring, welcher den 
Character einer Schutzscheide hat. Hierauf folgt nach aufsen ein Gewebe 


aus weitröhrigen, mit gröfseren Stärkekörnern gefüllten Zellen, welches von 


688 Gesammtsitzung 


Marsilia-Spreite beruht demnach auf dem Umstande, dafs von den 
4 durch doppelte Zweitheilung gebildeten Theilen die 2 benachbar- 
ten mittleren noch eine Strecke weit über die zweite Gabelung 
(die Gabeltheilung der Hälften) hinaus äufserlich verbunden blei- 
ben, wie dies durch die beifolgende schematische Fig. 2 im Ver- 
gleich mit Fig. 1 veranschaulicht wird. 


Theilen sich die beiden mittleren Blättchen noch einmal, so 
kann sich dieselbe Verbindung der angrenzenden Theile wieder- 
holen, wodurch anscheinend ein drittes Paar von Fiederblättchen 
gebildet wird. Es erklärt sich aber zugleich auch der andere oben 
erwähnte Fall abnormer Vermehrung der Blättchen auf 6 oder 8 
durch Theilung ohne solche Verbindung. 

Wir kehren nach dieser Abschweifung zur besonderen Betrach- 
tung der Landblätter zurück und zwar zu den Formverhältnissen 
der Blättchen selbst, die weit mannigfaltiger sind als bei den 
Schwimmblättern und, ungeachtet bedeutender Veränderlichkeit, doch 
nicht ohne Bedeutung für die Charakterisirung der Arten. Die 
allgemeine Form derselben ist die eines fast gleichschenkeligen, 
auf die Spitze gestellten Dreiecks mit abgerundeten oberen Ecken, 
an denen das obere (innere) meist ein wenig höher steht als das 


einem mehrschichtigen Ring prosenchymatischer, dickwandiger, bastähnlicher 
Zellen, welche die äufsere Scheide biden, umschlossen ist. 


vom 11. August 1870. 639 


untere (äufsere). Die Blättchen sind somit (oft etwas schief) keil- 
förmig, bald schmäler, bald breiter, je nach der Gröfse des Win- 
kels, in welchem die Seitenränder auseinander laufen. Diese sind 
meist geradlinig oder, besonders auf der Innenseite, etwas ausge- 
schnitten (MM. uncinata), seltener deutlich ausgebaucht (M. angusti- 
Jolia, schwächer und nur auf der Aufsenseite bei M. angustifolia). 
Die gröfste Breite fällt somit in den obersten Theil des Blättchens, 
wo der durch Abrundung der Ecken mehr oder weniger bogenartig 
sich erhebende, seltener fast gerade abgeschnittene Stirnrand be- 
ginnt. Wenige Arten machen hiervon eine Ausnahme, indem die 
schmalen Blättchen in der ganzen oberen Hälfte bis zum Stirnrand 
fast gleich breit sind (M. tenuwfolia, gymnocarpa) oder die gröfste 
Breite sogar weit unter dem Stirnrand, etwa in der halben Länge 
des Blättchens, zeigen (MM. angustifolia')). Der Stirnrand ist es, an 
welchem die weiteren Verschiedenheiten auftreten. Bei einer grös- 
seren Zahl von Arten ist derselbe stets ungetheilt und ganzrandig 
(M. pubescens, quadrifoliata, uncinata, Drummondi var. orientalis, 
Coromandeliana, Nubica, gymnocarpa, Ernesti, mulica, sublerranea, 
deflexa, polycarpa etc.), bei anderen ist er einfach ausgerandet (M. 
Capensis) bis zum tief zweilappigen (M. biloba, Capensis var.), 
oder einfach bis doppelt ausgerandet, so dafs 2—4 Randläppchen 
entstehen (M. Aegyptiaca, quadrata, brachycarpa) bis tief doppelt 
zweilappig (NT. biloba, sterile Form). Oft ist der Stirnrand mit 
einer unbestimmten, zuweilen ziemlich grofsen Zahl von Kerbzäh- 
nen versehen, die bald kürzer und stumpfer (M. crenulata, salvatrix, 
macrocarpa), bald etwas spitzer (M. erosa, brachypus, tenuifolia, 
angustifolia), oft sehr schwach und unbeständig sind (M. gibba, 
macra). Vielfach und ungleichmäfsig eingeschnitten, mit einer Nei- 
gung zur Dichotomie der Spitzen, ist der Stirnrand bei M. Mülleri, 
besonders bei den gröfseren Blättern steriler Pflanzen. Zu be- 
merken ist noch, dafs solche Theilungen des Stirnrandes nicht an 
allen Blättern derselben Pflanzen, ja nicht einmal an allen Blättchen 
desselben Blattes in gleicher Weise auftreten. Die kleineren Blät- 
ter verhalten sich häufig einfacher als die gröfseren, und an dem 


!) Eine hiermit in Verbindung stehende Eigenthümlichkeit dieser Art 
spricht sich im Verlauf der Nerven aus, indem zahlreiche Nervenenden den 
Stirnrand nicht erreichen, sondern in die Seitenränder auslaufen. 


690 Gesammtsitzung 


einzelnen Blatt sind die Blättchen des unteren Paares nicht selten 
ganzrandig, während die des oberen, die meist zugleich gröfser 
sind, verschiedentlich ausgerandet, gelappt oder gekerbt erscheinen. 

Die Landblätter sind häufig behaart und auch bei denjenigen 
Arten, deren Blätter im ausgebildeten Zustand kahl erscheinen 
(M. quadrifoliata, diffusa, Coromandeliana), zeigen sie wahrscheinlich 
im Jugendzustand durchgehends eine Behaarung.') Eine bleibende, 
aber sparsame und unscheinbare Behaarung haben z.B. M. Ernesti, 
Mexicana, tenuifolia, macra; eine dichtere und auffallendere M. pu- 
bescens (im wildwachsenden Zustand), wvestita, biloba, salvatrix, 
Drummondii, elata, hirsutissima, sericea. Der trocknere oder feuch- 
tere Standort hat übrigens auf die Dichtigkeit und -Dauerhaftigkeit 
der Behaarung einen bedeutenden Einfluls. Die Unterfläche der 
Blättchen scheint stets stärker behaart zu sein als die Oberfläche. 
Die Haare haben bei allen Arten denselben Bau; sie beginnen mit 
einer horizontal anliegenden, plattgedrückten, nach unten (oder 
besser hinten) zugespitzten Zelle, welche mit ihrer Mitte einer nach 
oben trichterförmig erweiterten, mit dem dünneren Ende in die 
Haut des Blattes eingesenkten Stielzelle aufsitzt. An diese erste 
breiteste Zelle schliefsen sich, stufenweise schmäler und länger wer- 
dend, meist mehrere (2—5, selten nur 1) weitere Zellen an, wo- 
durch das mehr oder weniger verlängerte, mehr oder weniger fein 
ausgezogene freie Ende des Haars gebildet wird. Bald alle, bald 
nur die oberen Zellen sind mit zerstreuten (der Zellhaut angehöri- 
gen) Wärzchen besetzt, nur bei M. Drummondü var. occidentalis 
habe ich die Haare ganz glatt gefunden. Es sind übrigens noch 
nicht alle Arten in dieser Beziehung verglichen worden. 

Die Haut?) der Landblätter zeigt, im Gegensatz zu den 
Schwimmblättern, auf beiden Blattflächen eine fast ganz überein- 
stimmende Beschaffenheit. Sie besteht beiderseits aus mehr oder 
minder stark gebuchteten, durchschnittlich in der Richtung des 
Nervenlaufs etwas verlängerten Zellen, die häufig sehr kleine zer- 


!) So zeigt z. B. M. Coromandeliana an den jungen, noch gefalteten 
Blattspreiten, ebenso wie am Blattstiel, spärliche, 3—4 zellige, ziemlich breite, 
warzige Haare, die sich später ganz verlieren. 

?) Kürzer und richtiger als „Oberhaut“, da eine Unterhaut nicht vor- 
handen ist. Will man „Oberhaut“ seiner Wortbedeutung nach anwenden, so 
kann man nur die Cuticula damit bezeichnen. 


vom 11. August 1870. 691 


streute Stärkekörnchen oder zu Zeiten Chlorophylikörnchen enthal- 
ten und deren nach aufsen gekehrte Wände mehr oder weniger 
stark verdickt sind. Die Hautzellen der Unterseite erscheinen mit- 
unter etwas mehr in die Länge gezogen und etwas stärker ge- 
buchtet als die der Oberseite, doch ist der Unterschied unerheb- 
lich. Besonders stark und zierlich gebuchtete Hautzellen besitzen 
die australischen Arten aus den Gruppen der M. hirsuta und M, 
Drummondü, ferner M. Aegyptiaca und Ernesti; etwas schwächer 
gebuchtet sind sie bei M. quadrifoliata und pubescens'); fast unge- 
buchtet und nahezu rectangulär, sowohl auf der Unter- als auf der 
Oberseite, fand ich sie nur bei M. angustifolia.”) Bei der grofsen 
Mehrzahl der Arten ist die Oberfläche der Hautzellen fach und 
eben oder etwas nach aufsen gewölbt, nur bei M. gibba und bei 
den Arten aus der Gruppe der M. Drummondi tragen die Haut- 
zellen regelmäfsige, stumpf kegelförmige, halbkugelige oder kuppel- 
förmige Höcker von kreisförmigem Umrifs, beinahe 0,01 Mm. Durch- 
messer und halb so grofser bis gleich grolser Höhe, Höcker, welche 
ursprünglich Ausstülpungen der Zellhaut sind, später aber in gewissen 
Fällen durch Verdickung der Membran solid werden oder nur einen 
kurzen und engen Kanal als Rest der ursprünglichen Aushöhlung 
zeigen. Bei M. gibba trägt jede Zelle nur 1 oder höchstens 2 
Höcker und zwar auf beiden Blattflächen; bei allen Arten der 
Gruppe von M. Drummondii dagegen besitzen die durch bedeuten- 
dere Gröfse ausgezeichneten Hautzellen je 3 bis 6 Höcker, bei M. 
macra und M. elata auf beiden Blattflächen?), bei den übrigen (M. 
Drummondü oceidentalis und orientalis, M,. salvatrix, oxaloides, hirsu- 
tissima, Howittü, Mülleri und sericea) nur auf der Oberfläche.) 
Durch die Anwesenheit der Höcker auf den Hautzellen ist die 


Derlldebrand 1. c.t. L. f. 1.2. 7. 

2) Die Schwimmblätter dieser N sind leider unbekannt; wahrschein- 
lich sind sie in der Form der Blättchen und in der Gestalt der Hautzellen 
von den Landblättern abweichend. 

®) Wogegen die Schwimmblätter der M. macra und nach Hildebrand’s 
Angaben ohne Zweifel auch die der M. elata nur auf der Oberfläche Höcker 
tragen. Bei M. macra sind die Höcker der Schwimmblätter hohl ‚ die der 
Landblätter mehr oder weniger ausgefüllt. 


2) Die ächten Schwimmblätter von M. Drummondii (orientalis) verhalten 
sich in Beziehung auf die Höckerbildung wie die von MM, macra, wogegen 


692 Gesammtsitzung 


Gruppe der M. Drummondiü wesentlich verschieden von der gleich- 
falls australischen Gruppe der J/. hirsuta, zu welcher aufser dieser 
M. exarata und angustifolia gehören. 

Die Luftspalten (Stomata) sind bei den Landblättern auf bei- 
den Flächen in ungefähr gleicher Zahl verhanden; ihre Schliefs- 
zellen sind durchgehends von den benachbarten Hautzellen mehr 
oder weniger übergriffen, so dafs sie tiefer als die Oberfläche der 
Haut liegen. In geringerem Grade zeigt sich dieses Verbhältnifs 
bei M. quadrifoliata'), Aegyptiaca, Ernesti; in höherem bei den 
australischen Arten aus der Verwandtschaft der M. Drummondi und 
hirsuta, sowie auch bei M. gibba, bei welchen allen die hochgewölb- 
ten Grenzzellen einen engen und tiefen Vorhof der Luftspalte bilden. 

Von den übrigen anatomischen Verhältnissen der Luftblätter 
verdient besonders das bereits von Mettenius’) erwähnte Vorkom- 
men glasheller Scelerenchymzellen Erwähnung, welche eine eigene, 
von denen der Wasserblätter gänzlich verschiedene Art von Inter- 
stitialstreifen bilden. Sie haben ihren Sitz nicht wie diese in der 
Haut der Unterfläche, sondern im Mittelgewebe des Blattes. Bei 
schwächerer Entwicklung treten die Scelerenchymzellen dicht an der 
Haut der Unterfläche des Blatts auf, selten einzeln, meist 2—3 
nebeneinander und 2—3 Schichten übereinander. Dann zeigen sich 
einige weitere unter der Haut der Oberfläche, durch Parenchym von 
denen der Unterfläche getrennt; bei stärkerer Entwicklung endlich 
verbindet sich die obere und untere Parthie, so dafs eine Scheide- 
wand gebildet wird, welche zwischen der oberen und unteren Haut 
ausgespannt ist. Im ersteren Fall lassen sich die Sclerenchymstrei- 
fen am unverletzten Blatt bei durchscheinendem Lichte mit unbe- 
waffnetem Auge nur als undeutliche dunklere Streifen erkennen, im 
letzteren bilden sie schmale farblose Streifen, so dafs es den An- 
schein hat, als ob Spalten zwischen den Nerven vorhanden seien.°) 


die falschen Schwimmblätter (S. 678) auch auf der Unterfläche Höcker zei- 
gen, was um so auffallender ist, als die Landblätter unten ohne Höcker sind. 
Ebenso scheint sich M. salvatrix zu verhalten. 

I) Hildebrand’L.' et. L 8. 

2) In Triana et Planchon, Prodr. Fl. Nov. Granat. Crypt. p. 395. 

3) Sie erinnern dadurch an die durchsichtigen Streifen der Blätter vie- 
ler Selaginella-Arten z. B. S. albo-nitens, cladorrhizans, Lychmuchus, steno- 
phylla, allein bei diesen liegen die Scelerenchymzellen in der Epidermis der 
Unterseite des Biatts. 


vom 11. August 1870. 693 


Die bestehen aus kräftigen, langgestreckten, ziemlich diekwandigen, 
wellenförmig gebogenen und hier und da mit zwischen die an- 
grenzenden Parenchymzellen eingreifenden Zacken versehenen Zellen 
von glasartigem Ansehen und eigenthümlichem Glanze, mit hori- 
zontalen, seltener mit schiefen Verbindungswänden aneinanderge- 
reiht und an den Verbindungsstellen häufig mit seitlichen Erweite- 
rungen versehen; wo die Enden frei auslaufen, sind sie spitz oder 
selbst zugespitzt. Derartige durch Scleremehym gebildeten Intersti- 
tialstreifen finden sich übrigens nur bei einer kleinen Gruppe 
nahe verwandter Arten, nämlich M. Coromandeliana, trichopoda, 
muscoides und distorta. 

Endlich mag noch der für einige Arten bezeichnenden herbst- 
lichen Verfärbung der Blätter gedacht werden. Mehrere der austra- 
lischen Arten, namentlich M. Drummondü (var. orientalis) und M. 
elata nehmen eine lichtbraungelbe Farbe an; die mikroskopische 
Untersuchung zeigt, dafs namentlich die Schliefszellen der Luft- 
spalten und die Ansatzzellen der Haare, sowie auch die zunächst 
angrenzenden Zellen der Haut sich gelb gefärbt haben. M. salva- 
trix zeichnet sich dadurch aus, dafs die ganze Blattfläche, beson- 
ders die der Oberseite, oft mit Ausnahme des Randes, sich dünkel- 
kaffebraun oder selbst purpurbraun färbt; der Sitz dieser Färbung 
ist in den Wänden der Hautzellen. M. macra zeigt im Alter von 
der Basis der Blättchen aus rothbraun geflammte Blätter. Die Blätter 
von M. quadrifoliala nehmen eine gleichmäfsige lichtbraune Farbe 
an, während die blaugrauen Blätter von M. pubescens sich vor 
dem Absterben nicht verfärben. 

Die Sporenfrüchte (spoerocarpia, receptacula oder eoncep- 
tacula der Autoren) stehen in engster Verknüpfung mit den Blät- 
tern; sie entspringen entweder deutlich aus dem Blattstiel selbst 
und zwar aus dem äufseren (unteren) Rande desselben, oder sie 
treten an der Basis dieses Randes neben dem Blattstiel hervor, 
im ersteren Falle die Stelle einseitiger Fiederblättchen, im letzte- 
ren die eines einseitigen Nebenblatts einnehmend. Die blattstiel- 
ständigen sind meist in Mehrzahl an einem Blattstiel vorhanden, 
während bei grundständiger Stellung nur eine Frucht zu einem 
Blatte gehört. Die gröfste Zahl der Früchte an einem Blatte fin- 
det sich bei M. polycarpa, gewöhnlich zwischen 10 und 20, zu- 
weilen selbst noch mehr; in ziemlicher Entfernung von der Basis 
beginnend, bilden sie eine Reihe, welche oft bis über die halbe 


694 Gesammtsitzung 


Höhe des Blattstiels hinaufreicht. Jhr Ursprung aus dem Rande 
des Blattstiels ist bei dieser Art besonders deutlich, da sie einen 
Blattstiel besitzt, der auf seiner Vorderseite durch eine breite Rinne 
ausgefurcht ist, während bei den meisten anderen Arten der Blatt- 
stiel auf der Vorderseite nur etwas abgeflacht und die Rinne nur 
schwach angedeutet ist. Bei der dichten Aneinanderdrängung wei- 
chen sich die Früchte oft abwechselnd aus, so dafs sie 2 Reihen 
bilden, allein die Entfernung der Früchte zeigt sofort, dafs ihre 
Stiele alle aus demselben Rande des Blattstiels hervorgehen, dem 
Ursprung nach also nur eine einzige Reihe von Früchten vorhan- 
den ist. Ähnlich verhält sich die nahe verwandte M. subangulata, 
aber die Reihe von nur 6—10 Früchten beginnt nahe an der Ba- 
sis des Blattstiels. Eine noch geringere Zahl sich nur wenig über 
den Grund des Blattstiels erhebender Früchte, wobei die unterste 
oft gauz basilär erscheint, haben M. erosa (2—5 Früchte), M. dif- 
usa (2—4), crenulata (2, selten 3), drachypus (1—3), gracilenta 
(1—2). Bei einigen Arten findet man die Stiele mehrerer über 
der Basis des Blattstiels entspringender Früchte eine Strecke weit 
verbunden, so dafs anscheinend 2 oder mehrere Früchte von einem 
gemeinsamen Stiel getragen werden. So bei M. quadrifoliata (2, sel- 
ten 3—4, von denen zuweilen eine mit freiem Stiel), Drownü (1 
— 3), macropus (2—5). Alle übrigen bekannten Arten haben nor- 
mal nur eine Frucht am Grunde des Blattstiels, deren Zusammen- 
gehörigkeit mit dem Blatte sich dadurch verräth, dafs beim Ab- 
reifsen des letzteren die Frucht häufig mitfolgt, indem der Frucht- 
stiel am Grunde des Blattstiels hängen bleibt. Auch fehlt es nicht 
an Ausnahmsfällen, welche zeigen, dafs die basiläre Stellung der 
Frucht von der blattstielständigen nicht wesentlich verschieden sein 
kann; sie sind namentlich nicht selten bei den australischen Arten 
aus der Gruppe der M. Drummondii, besonders bei M. elata. Ich fand 
bei dieser Art folgende vom normalen Verhalten abweichende Fälle: 
1. Eine Frucht, wie gewöhnlich,‘ aber mehr oder weniger hoch 
über der Basis des Blattstiels entspringend; 2. zwei Früchte, die 
eine basilär, die andere am Blattstiel, zuweilen in einer Höhe von 
1 bis 14 Zoll, entspringend; 3. zwei Früchte, beide über der Ba- 
sis in ungleicher oder fast gleicher Höhe entspringend; 4. Drei 
Früchte, sämmtlich über dem Grunde entspringend, die erste in 
etwa 4 Zoll Höhe, die beiden folgenden in fast 2 Zoll Höhe und 


vom 11. August 1870. 695 


mit den Stielen bts über die Hälfte verwachsen, nach Art von M. 
quadrifoliata. 

Die Länge des Fruchtstiels ist sehr verschieden und schwankt 
zuweilen bei derselben Art beträchtlich. Den kürzesten Stiel, kür- 
zer als die Frucht selbst, zeigen M. strigosa (ungefähr 4 der Frucht), 
pubescens (4— 7), Nubica (4—4), exarata (4—1), hirsuta (L—4), 
villosa (2), brachypus und gracilenta (3). Die Länge des Stiels 
kommt der Frucht ungefähr gleich bei M. angustifolia (4—1), 
mucronata, brevipes und vestita (£—1), tenuifolia (L— 1), polycarpa 
und subangulata ($—1), Ernesti (4— 5), ancylopoda (3), Mexicana 
(1—3), cornuta (1—2), deflexa (1— 14), gymnocarpa (1—14), 
erosa et var. (1+— 14), bilodba (14—13). Ungefähr die doppelte 
Länge des Fruchtstiels bis zur dreifachen finden wir bei M. unci- 
nata und Berteroi (14—2), crenulata und mutica (11—2), Capen- 
sis (14, —2), brachycarpa, quadrifoliata, sericea (2), macrocarpa (14 
— 24), difusa, Mülleri, Howittiana (2— 24), macra und subterranea 
(2 — 3), Aegyptiaca und quadrata (21—3), distorta (241— 3). Durch- 
schnittlich oder bei anderen Arten durchgehends mehr als die drei- 
fache Länge zeigt der Fruchtstiel bei M. rotundata (241—4), ma- 
cropus (3 —4), Coromandeliana und muscoides (24—5), trichopoda 
(3—6), gibba (5— 6). Die Arten aus der Gruppe der M. Drum- 
mondit, welche hierher gehören, sind in der Länge des Fruchtstiels 
sehr veränderlich. Bei M. Drummondü (orientalis) finden wir den- 
selben 2—5 mal, am häufigsten 21—34 mal so lang; bei M. sal- 
vatriv 3—8, am häufigsten 31—4; bei M. elata endlich 3— 12, 
am häufigsten 4—8, in einzelnen Fällen 20 —28 mal so lang als 
die Frucht.!) 

Die Richtung des Fruchtstiels zeigt mancherlei charakteristische 
Verschiedenheiten. Am häufigsten, besonders bei grundständiger 
Stellung, ist ‘der Fruchtstiel aufrecht (M. Coromandeliana, Aegyp- 
tiaca, quadrata, macrocarpa, Capensis, Drummondü und die ver- 
wandten Arten); oder er ist aus etwas vorwärts oder seitwärts 
gekrümmter Basis aufsteigend (M. difusa, erosa, crenulata, brachy- 


1) Die gewöhnliche Länge des Fruchtstiels beträgt bei 7. elata 30—60 
Mm., selten nur 20 Mm., nicht selten dagegen bis 100 Mm. Die längsten ge- 
messenen Stiele zeigten 140, 170 und 190 Mm. und hatten fast die Länge 
der Blattstiele selbst. 


696 Gesammtsitzung 


pus ete.); etwas vorwärts übergebogen M. gymnocarpa und Nubica); 
seitwärts, fast bis zum Horizontalen abstehend (7. pubescens); aus 
bogenartiger, zuerst nach unten gewendeter, zuweilen einen Schrau- 
benumgang bildender Basis aufgerichtet (M. gibba). KYntspringen 
die Fruchtstiele höher am Blattstiel, so stehen sie entweder schief 
von ihm ab, die Spitzen mit den Früchten etwas nach vorn ge- 
neigt (NM. quadrifoliata), oder sie stehen fast horizontal ab und 
krümmen sich seitwärts über die Vorderfläche des Stiels herüber 
(M. polycarpa, subangulata). Bei mehreren Arten, welche übrigens 
verschiedenen Gruppen angehören, legen sich die Fruchtstiele nie- 
der oder wenden sich selbst nach unten, so dafs die Früchte in 
die Erde versenkt werden. In geringerem Grade und mit weni- 
ger Beständigkeit zeigt sich diese Erscheinung bei M. mutica, de- 
ren Fruchtstiele bald schief aufsteigen, bald niedergelegt oder ab- 
steigend sind. Horizontal abstehend oder abwärts gerichtet, dabei 
gerade, sind sie bei M. Mexicana; obenso aber oft mit Verkrüm- 
mungen bei M. Berteroi und Ernesti; mit starken, unregelmäfsigen 
Krümmungen bei M. distorta; fast gerade und senkrecht abwärts 
gerichtet bei M. subterranea. Bei M. deflevxa endlich, bei welcher 
2—3 Fruchtstiele über der Basis des Blattstiels entspringen, bie- 
gen sich dieselben wie bei M. polycarpa über den Blattstiel her- 
über, aus dem horizontalen mehr oder weniger nach unten 
strebend. 

Die Sporenfrucht von Pilularia scheint eine wesentlich andere 
Stellung zu haben als die von Marsilia; sie steht nicht seitlich am 
Rande, sondern mitten vor dem stielartigen, spreitenlosen Blatte, 
anscheinend genau in der Achsel desselben, von kürzerem oder 
längerem, aufrechtem oder absteigendem Fruchtstiel getragen. 

Die Sporenfrucht der Marsilia ist ein bilateral-symmetrisches 
Gebilde, an welchem eine unterschiedene Rücken- und Bauchseite, 
entsprechend der Rücken- und Bauchseite des Blattstiels, wahr zu 
nehmen ist, sowie 2 übereinstimmende Seitenwände, ein oberes 
Ende und eine Basis. Der Fruchtstiel tritt gewöhnlich schief 
an die Basis der Frucht heran, eine Strecke weit unterscheidbar 
daran hinlaufend, wodurch die sogenannte Raphe gebildet wird, 
ehe er an der Grenze der Rückenseite der Frucht mit einem vor- 
springenden Zahne endigt. Dem ersten Zahne folgt meist ein zwei- 
ter, welcher die Stelle bezeichnet, vor welcher das Bündel des Stiels 
sich abwärts biegt und unter einer eigenthümlichen Verdoppelung 


vom 11. August 1870. 697 


der Pallisadenschicht in das Gewebe der Innenseite der Frucht ein- 
tritt. Beide Zähne fehlen nur in dem Fall, in welchem der Frucht- 
stiel fast senkrecht an die Frucht herantritt und keine Raphe bildet 
(M. polycarpa, subangulata, deflexa, mutica); aber auch bei vorhande- 
ner Raphe können beide Zähne oder der eine von beiden unausgebil- 
det, gleichsam verwischt sein. Das erstere ist bei M. Iymnocarpa 
und Nubica, Arten mit sehr langer Raphe, der Fall; nur der un- 
tere Zahn ist deutlich bei M. Mexicana, Berteroi, angustifolia; nur 
der obere bei M. Capensis, Burchellü, quadrata, Aegyptiaca, gibba, 
subterranea, biloba; bei der letztgenannten ist der einzige vorhan- 
dene Zahn von bedeutender Länge. Beide Zähne sind zwar deut- 
lich, aber sehr schwach, bei M. macrocarpa, rotundata, pubescens, 
Ernesti; stärker und gleichmäfsig entwickelt bei M. quadrifoliata, 
difusa, brachycarpa, Coromandeliana und den Verwandten, sowie 
bei allen Arten der Gruppe von M. Drummondii; der untere Zahn 
ist stärker bei M. distorta, der obere dagegen stärker, stachel- 
oder hackenartig verlängert, bei M. villosa, uncinata, mucronata, 
vestita, tenuifolia; ebenso, aber der Unterschied weniger auffallend, 
bei M. brachypus, gracilenta, cornuta, crenulata, erosa. 

Was die Richtung der Frucht im Verhältnifs zum Stiel be- 
trifft, so zeigt dieselbe alle Abstufungen von der gerade ausge- 
streckten (bei aufrechtem Stiel auch zum Horizont aufrechten) bis 
zur abwärts geneigten oder zurückgeschlagenen d. h. dem Stiel in 
spitzem Winkel zugebrochenen Lage. Zwischen den Extremen liegt 
die unter stumpfem Winkel geneigte, schief gestellte, und die recht- 
winklige, horizontale Richtung. Die gerade ausgestreckte Richtung 
kommt insbesondere den Arten zu, deren Früchte keine Raphe be- 
sitzen; doch ist bei den wenigen Arten, welchen diese Eigenthüm- 
lichkeit zukommt, die Frucht in der Regel nicht aufrecht, sondern 
wegen der Krümmung des Stiels seitlich oder abwärts niekend. 
So bei M. polycarpa, subangulata, defleva. Bei der in der äufseren 
Beschaffenheit der Frucht sich anschliefsenden M. mutica ist die 
Richtung derselben zum Stiel, abgesehen von der gleichfalls ver- 
änderlichen Richtung des Stiels selbst (S. 696), schr unbeständig, 
bald aufrecht ansitzend, bald (durch Biegung der Spitze des Stiels) 
horizontal oder nickend. Seltener kommt die aufrechte Lage der 
Frucht bei solchen Arten vor, die eine Raphe besitzen; sie wird 
dadurch hergestellt, dafs die (sehr kurze) Raphe einen fast rechten 
Winkel mit dem Fruchtstiel bildet, wobei zugleich der untere Zahn, 


Br ’ 


698 Gesammtsitzung 


in welchen sie ausläuft, stark nach unten gewendet wird, wie dies 
bei M. Coromandeliana und elata der Fall ist. Bald’ gerade aus- 
gestreckt, bald schief zum Stiel gestellt, erscheinen die Früchte 
von M. Ernesti. Eine schiefe, mehr oder weniger geneigte, zuwei- 
len (d. i. an einzelnen Früchten) fast horizontale Richtung zeigen 
M. subterranea (bei abwärts gerichtetem Stiel), M. trichopoda, Ca- 
pensis, macrocarpa, gibba, exarata, angustifolia, Mülleri, macra, sal- 
valrix, Drummondiü, Burchellü, biloba, rotundata, von denen nament- 
lich die drei letztgenannten an der Grenze derer mit völlig horizon- 
taler Richtung der Frucht stehen. Diese findet sich bei M. qua- 
drifoliata, difusa und den verwandten Arten, gracilenta, uncinata und 
den verwandten, Aegyptiaca, quadrata, muscoides. Bald horizontal, 
bald darüber hinaus abwärts geneigt sind die Früchte von M. bra- 
chypus, villosa, hirsuta, Berteroi; entschieden und constant ab- 
wärts geneigt und zwar in Verbindung mit sehr langer Raphe 
bei Me pubescens und gymnocarpa, mit sehr kurzer Raphe bei M. 
distorta. Diein der Länge der Raphe mit M. gymnocarpa überein- 
stimmende M. Nubica schwankt zwischen der horizontalen und ab- 
wärts geneigten Richtung der Frucht. 

Die Gestaltverschiedenheiten, in welchen die Sporenfrucht der 
Marsilien auftritt, bewegen sich in ziemlich engen Grenzen, und 
die für die Arten characteristischen Verschiedenheiten sind in den 
meisten Fällen durch Beschreibung schwer zu klarer Anschauung 
zu bringen. Nur einige Hauptpunkte will ich hervorheben. Bei 
einer einzigen Art (M. polycarpa) ist die Frucht, wie bei den Pi- 
lularien, fast kugelförmig, so dafs die verschiedenen Seiten gleich- 
mäfsig in einander übergehen. Bei der grofsen Mehrzahl der Ar- 
ten ist die Frucht stärker oder schwächer von der Seite zusam- 
mengedrückt, so dafs Rücken- und Bauchscite als meist abgerun- 
dete Kanten deutlich hervortreten. Die Rückenkante ist bei den 
meisten Arten geradlinig und biegt sich erst gegen die Spitze hin 
abwärts, um sich mit der in ihrer ganzen Längserstreckung‘ nach 
aufsen gewölbten Bauchkante zu vereinigen, wodurch die Frucht, 
wenn sie etwas in die Länge gezogen ist, eine schief oder halb- 
eiförmige Gestalt erhält (M. difusa und die verwandten Arten, 
M,. Drummondü, Capensis etc.); seltener ist die Rückenkante 
sattelartig eingebogen (M. Aegyptiaca, exarata, in geringerem Grade 
mitunter auch bei M. hirsuta und macra); oder sie ist fast ebenso 
stark nach aufsen gebogen wie die Bauchkante, wodurch die Form 


vom 11. August 1870. 699 


der Frucht breit elliptisch wird (M. mucronata nebst Verwandten, 
annäherungsweise M. Ernesti und salwatrir). Kommen sich Rücken- 
und Bauchkante mit einer plötzlicheren Biegung entgegen, so dafs 
die Spitze der Frucht abgestutzt erscheint, so kann man eine beide 
verbindende Stirnkante unterscheiden (M. Aegyptiaca, quadrata). 
Der Grad der Zusammendrückung der Frucht ist schr verschieden, 
daher die Seitenflächen bald stark bauchig, bald flacher gewölbt. 
Am stärksten ist die Wölbung bei M. mutica, welche sich hierin 
nahe an M. polycarpa anschliefst; zu den besonders dickfruchtigen 
Arten gehören ferner M. Ernesti, distorta, biloba; zu den Arten 
mit mäfsig zusammengedrückter Frucht M. quadrifoliata, difusa, 
Drummondii ete.; mit stark zusammengedrückter M. hirsuta, villosa, 
quadrata. Zuweilen ist die eine Seitenfläche (bei der seitlichen 
Niederlegung der Frucht die obere) stärker gewölbt als die andere. 
So in ausgezeichneter Weise bei M. pubescens, weniger beständig 
bei M. brachypus und villosa. Beschränkt sich die Wölbung der Sei- 
tenwände auf die mittlere Region, so dafs zwischen ihr und dem 
Rande eine schwache Depression eintritt, so erscheint die Frucht 
berandet (M. erosa, brachycarpa, gibba, Coromandeliana, subterranea). 
Bei einer einzigen Art (M. Aegyptiaca) kommt eine querlaufende 
(vom Rücken nach der Bauchkante hin sich erstreckende) Ein- 
drückung inmitten der Seitenwand vor, so dafs ein horizontaler 
Längsschnitt der Frucht geigenförmig erscheint. Bei M. subangu- 
lata und deflexa ist die Seitenwand von einer der Rückenkante 
näher als der Bauchkante liegenden stumpfen Längskante durch- 
zogen. Da bei diesen beiden Arten die Bauchseite abgeflacht und 
die Bauchfläche gleichfalls jederseits von einer Kante begrenzt ist, 
erscheint die Frucht derselben fünfkantig (im Querschnitt ungleich- 
seitig fünfeckig). Eine abgeflachte Bauch- und Rückenkante zeigt 
M. gymnocarpa; eine breit abgeflachte und in der Mitte in senk- 
rechter Richtung thalartig eingedrückte Stirnkante zeichnet M, 
Aegyptiaca aus. Ähnlich verhält sich nur noch M. quadrata, doch 
ist die Fläche der Stirnkante viel schmäler und sehr schwach aus- 
gefurcht. Eine der Länge nach rinnenartig ausgefurchte Bauch- 
kante zeigt M. exarata; in schwächerem Grade M. angustifolia, 
macra und elata. 

Was die Gröfse der Frucht betrifft, so ist zu bemerken, dafs 
sie bei manchen Arten ziemlich constant, bei anderen, besonders 
den 'grofsfruchtigen, bedeutenden Schwankungen unterworfen ist; 

[1870] 48 


700 Gesammtsitzung 


sie hat daher bei der Unterscheidung der Arten einen untergeord- 
Werth. Ich begnüge mich die Extreme und einige wenige Mittel- 
glieder anzuführen. Die kleinfruchtigsten Arten sind M. Burchellü 
mit 14— 13 Mm. Länge der Frucht und gleicher Breite; M. mus- 
coides mit 1%—2 Mm. Länge und fast gleicher Breite; M. brachy- 
carpa mit 2 Mm. Länge und gleiche Breite; M. polycarpa L. 2— 
24, B. 2—24; M. Aegyptiaca L. 2— 24, B. ebenso; M. trichopoda 
L. 2—3, B. 2; M. crenulata L. 24—3, B. 2; M. biloba und sub- 
angulata L. 3, B. 24; M. quadrata L. 3, B. ebenso. Mittelgrofse 
Früchte besitzen z. B. M. pubescens mit L. 4—54, B. 33—43, M. 
macra L. 44—5 (an cultivirten Ex. zuweilen bis 6), B. 34 —4; 
M. quadrifoliata L. 5—6, B. 343—4. Als grofsfrüchtig können be- 
reits gelten M. macrocarpa L. 54—63, B. 34 —4; M. Ernesti L. 
64—74, B. 44—54; M. macropus L. 7.—831 B.r5l Dieslbedeur- 
tenste Gröfse der Früchte erreichen einige australische Arten, na- 
mentlich im eultivirten Zustande, so namentlich M. Drummondiü 
(orientalis) L. 6—9, B. 4—5; M. salwatrix L. 7—10, B. 5—6. 
Die längsten Früchte sah ich bei M. elata, welche zugleich in Be- 
ziehung auf die Grölse der Frucht die veränderlichste aller Arten 
ist. Unter den von M° Kinlay gesammelten Früchten finden sich 
solche von 4 bis zu 9 Mm. Länge und 4—5 Mm. Breite, an der 
cultivirten Pflanze zeigen sie 7”—10 L. und 5—6 B., ich fand 
aber auch einige, welche bis 12 Mm. lang waren. 

Mit der Gröfse und besonders mit der Länge der Frucht hängt 
die Zahl der streifenartig verlängerten Häufchen der Sporenbehäl- 
ter (Sori) zusammen, welche sich, quer über die Seitenwände ver- 
laufend, an der inneren Wand der Frucht befinden. Zuweilen kann 
man ihre Zahl schon an den äufserlich sichtbaren, schwach erha- 
benen Querrippen der Seitenwände errathen, wie z. B. bei M. erosa, 
Coromandeliana, elata, während bei anderen Arten äulserlich keine 
‚Spur solcher Rippen oder Schwielen wahrnehmbar ist. Die Arten 
mit kleineren Früchten haben im Allgemeinen auch eine geringere 
Zahl der Sori, doch stimmen beide Verhältnisse ‚nicht genau zu- 
sammen, wie die Beispiele zeigen werden. Jederseits 2—3, also 
im Ganzen 4, 5 oder 6 Sori besitzen M. muscoides, Aegyptiaca; 
jederseits 3 fand ich bei M. brachycarpa und polycarpa; 3— 4 bei 
M. Burchelli, trichopoda, biloba, Nubica, quadrata, pubescens; 4—9 
bei M. subangulata, gibba, Coromandeliana (auch bis 6), crenulata 
(ebenso); 5—6 M. Capensis, hirsula, erosa, difusa, mutica; 6— 7 


vom 11. August 1870. 01 


M. brachypus, macra, deflexa, distorta;, 7—8 M. macrocarpa. Mit 
der Gröfse der Zahl wird auch die Veränderlichkejt gröfser; ich 
fand 7—9 bei M. quadrifoliata, Ernesti, vestita; 6—10 bei M. 
Drummondiü (orientalis); 8S—12 bei M. salvatrie; 7 —12 bei M. 
elata; 9—12 bei M. uneinata. 

Die Zahl der Macrosporen, welche in einer Frucht enthalten 
sind, hängt theils von der Zahl der Sori ab, theils von der Zahl der 
Macrosporangien eines Sorus, welche letztere zuweilen bis auf 1—2 
herabsinkt (M. hirsuta). Es stehen mir nur wenige Zählungun zn 
Gebot. Ich zählte in einer Frucht von M. muscoides 12, von M. bra- 
chycarpa 13, bei M. hirsuta (in 11 Häufchen) 13, bei M. polycarpa 
(in 6 Häufchen) 12—14, M. deflexa 40, M. mutica 55 —60, M. 
Coromandeliana 56— 60, M. pubescens 60— 90, M. elata 61— 76, 
M. Drummondü 70 —146, M. Ernesti 280. 

Bei Pilularia beträgt die Zahl der Sori 2 (2. minuta), 3 (P. 
Americana) oder A (P. globulifera, Mendoni, Novae Hollandiae); die 
Zahl der Macrosporen 2 (P. minuta), 39 (P. Americana, nach einer 
einzigen Zählung), zwischen 50 und 100 (P. globulifera), über 100 
bei P. Novae Hollandiae. 

Wichtiger als die Zahl der Sori ist die Beschaffenheit des Ner- 
vengerüstes, von welchem dieselben getragen werden. Nicht nur 
sind die beiden Gattungen Pilularia und Marsilia in der Verthei- 
lung der Nerven der Frucht bedeutend verschieden, auch die Mar- 
silien selbst zeigen unter sich Verschiedenheiten, welche für die 
Bildung zweier Sektionen Anhalt geben, die nach den von Presl 
und Fee bei den Farnen beobachteten Grundsätzen auf den Werth 
von Gattungen Anspruch machen könnten. Bei Marsilia tritt ein 
einziges, wie im Stiel des Blattes 2 Gefälsstränge umschliefsendes 
Bündel aus dem Stiel in den Rücken der Frucht ein, wo es in der 
weicheren Parenchymschicht innerhalb der harten Schaale dem 
Rücken entlang sich hinzieht und beiderseits einfach gabelig') 
sich theilende, an den Seitenwänden der Frucht herabsteigende 
Zweige abgiebt, um sich endlich im letzten Drittheil oder Viertheil 


E der Frucht in 2 Schenkel zu theilen, welche nach Abgabe einiger 


weiterer Zweige auf ihrer Aufsenseite zuletzt selbst zunächst der 
Spitze Seitenzweigen ähnlich an der Wand der Frucht herablau- 


!) Nur der erste Seitenzweig ist mitunter zweimal gegabelt. 


48* 


702 Gesammtsitzung 


fen. Die Zweige erreichen die Bauchkante, jedoch ohne sich mit 
denen der entgegengesetzten Seite zu verbinden. Bei der Mehrzahl 
der Arten bilden die Seitennerven in ihrem Verlauf keine Ana- 
stomosen; erst dieht an der Bauchkante verbinden sich gewöhn- 
lich die Schenkel der angrenzenden Gabeltheile, wie die beifolgen- 
den Figuren 1, 2 und 3 zeigen, welche die Seitenwand der Frucht 


\ 12 STE > 
KRIÜI> 


von M. Burchellii (1), Aegyptiaca (2) und quadrifoliata (3) von 
der Innenseite darstellen. Die Zahl der Nerven, welche an der 
Seitenwand herablaufen, ist, wie die Figuren zeigen, nach den 
Arten verschieden, aber auch, ebenso wie die Zahl der Sori, inner- 
halb gewisser Grenzen veränderlich. Sie ist stets grölser als 
die der Sori, da die äufsersten Nerven, sowohl am hinteren als 
vorderen Ende, keine Sori tragen. Die Lage der Sori, welche auf 
nach innen vorragenden, ausschlielslich aus langgestreckten Paren- 
chymzellen gebildeten, zwischen den Schenkeln der gabeltheiligen 
Nerven entspringenden Placentarsträngen sitzen, ist bei Fig. 4 an- 
gedeutet, 


vom 11. August 1870. 705 


Fig. 4 zeigt die Nervatur der ganzen Frucht von M. difusa 
im ausgebreiteten Zustande, die im Wesentlichen mit der der vori- 
gen Arten übereinstimmt. 

Ein anderes Verhalten zeigt dagegen die Nervatur der in F ig. 5, 
6 u. 7 dargestellten Früchte von M. polycarpa, subangulata und 
defleva, denen sich aufserdem noch M. subterranea anschliefst. 


ISIIIIÜNN 


EIN 


NUNIIII> 


S 


Vo; 


D 


SE 
A ET ai 
RRITÄURUIRÜÄÜC 


704 Gesammtsitzung 


Die Gabeltheile je zweier benachbarter Seitennerven verbinden 
sich hier sofort nach ihrem Ursprung, so dafs eine der Rücken- 
linie parallele Kette von Anastomosen etwas über der Mitte der 
Seitenwand gebildet wird. Von jedem der so gebildeten Verbin- 
dungsbögen entspringt ein einziger Nerv, der sich geradlinig nach 
dem Bauchrande hin fortsetzt, daselbst einfach verlöschend (Fig. 5), 
oder mit den benachbarten sich verbindend und eine zweite Kette 
von Anastomosen bildend (Fig. 6. 7). Es werden auf diese Weise 
zwei Reihen mit einander abwechselnder Maschen gebildet, von 
denen die der unteren Reihe die Sori aufnehmen, deren Lage in 
Fig. 5 und 6 angedeutet ist. Die 3 zuerst genannten Arten, denen 
eine solche Nervatur der Frucht zukommt, erweisen sich auch 
durch ihre sonstigen Eigenthümlichkeiten, die starke Auskielung 
des Blattstiels, die hohe Insertion der Früchte, welche weder 
Raphe noch Zähne besitzen, als Glieder einer besonderen, scharf- 
abgegrenzten Gruppe; selbst die auf das wärmere Amerika be- 
schränkte geographische Verbreitung!) deutet auf die nahe Stam- 
mesverwandtschaft derselben hin. Nur eine Art scheint störend in 
die scharfe Sonderung der beiden durch die Nervatur bezeichneten 
Sectionen einzugreifen, nämlich die vierte der oben genannten, die 
senegambische M. subterranea, welche denen von M. polycarpa ähn- 
liche Anastomosen zu besitzen scheint, während sie in ihren übrigen 
Merkmalen sich an die Arten mit getrennten Nerven der Frucht 
anschlielst. 

Die Nervatur der Frucht von Pilularia weicht von der der 
Marsilienfrucht dadurch wesentlich ab, dafs das in die Frucht ein- 
tretende Bündel sich sofort in zwei Theile spaltet. Die weiteren 
Theilungen der Nerven, sowie die Lage der Sori sind aus den 
beifolgenden Figuren ersichtlich, von denen 1 und 3 nach Aufnah- 
men von P. minuta und globulifera entworfen sind, während Fig. 3 
auf dem Versuche beruht, eine zwischen beiden anderen liegende 
Mittelstufe zu construiren, wie sie durch die Zahl der Sori und 
Klappen der Frucht für P. Americana gefordert ist. Die Figuren 
sind so gestellt, dafs sie die Oberseite der Axe, die Unterseite 
dem Blatt zuwenden. Der selbst wieder aus punktförmigen Häuf- 
chen zusammengesetzte linienförmige Sorus liegt hier nicht wie bei 


1) Einen seltsamen Absprung in der Verbreitung von M. polycarpa aus- " 


genommen (S. 656, 659). 


vom 11. August 1870. 705 


Marsilia in einer Gabeltheilung, sondern über einem ungetheilten 
Nerven. 

Die Nervatur der Marsilienfrucht hat ungeachtet aller Ver- 
schiedenheit eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der des Marsilien- 
blatts, zumal wenn man sich den abnormen Fall der Verlängerung 
desselben bei der Bildung dreier Fiederpaare (S. 685) vergegen- 
wärtigt. Die Frage nach der morphologischen Bedeutung der 
Sporenfrucht der Marsiliaceen, zunächst der Gattung Marsilia selbt, 
hat daher hier ihren natürlichen Anknüpfungspunkt. Der gleich- 
sam zusammengeklappte Verlauf der Nerven derselben, das Anein- 
anderliegen der beiden Seitenwände mit ihren von Indusien um- 
hüllten, auf Samenleisten-ähnlichen Vorragungen stehenden Sporan- 
gienhäufchen erinnert an die Aneinanderlegung der Blättchen der 
Laubspreite im Jugendzustand und erweckt den Gedanken, die 
Marsiliafrucht als ein der Länge nach zusammengefaltetes, mit den 
Rändern verwachsenes, auf der eingeschlossenen Oberfläche die 
Sporangien tragendes Blattgebilde, einem geschlossenen Fruchtblatt 
(z. B. einer Hülse) vergleichbar, zu betrachten.') Allein die Ent- 


!) Nach Endlicher (Genera pl. p. 68) soll die Frucht von Marsilia aus 
2, die von Pilularia aus 4 Fruchtblättern bestehen. Im Character der Fa- 
milie sagt er: „Sporocarpia ... nunc.e carpidiis duobus (in foliatis) nune 


706 Gesammtsitzung 


wicklungsgeschichte verbietet eine solche Auffassung. Nach den 
Untersuchungen von Mettenius') ist die Frucht der Marsilien bei 
ihrer Entstehung weder geöffnet noch hohl im Innern, sondern 
tritt am jugendlichen Blattstiel als ein dichtes, aus einer paren- 
chymatischen Mafse bestehendes Höckerchen hervor, in welches ein 
Zweig des Blattstielbündels eintritt, und in dessen Innerem alle 
später auftretenden Gebilde sich entwickeln. Nichts desto weniger 
werden wir, bei der Verwandschaft der Marsiliaceen mit den Far- 
nen, den Gedanken nicht so leicht aufgeben, die Sporenfrucht der- 
selben für ein Blattgebilde, und zwar nach ihrer bei Marsilia un- 
zweifelhaften Stellung am Rande des Blattstiels, für ein Fieder- 
blättchen zu halten, während bei Pilularia vielleicht eine Theilung 
des Blattes in einen vorderen und hinteren Theil, nach der Art 
von Ophioglossum vulgatum?) und Botrychium, anzunehmen sein 
dürfte. Die Sporenfrucht von Marsilia hat, wie ich gezeigt habe, 
selbst in dem Falle, wo man es äulserlich kaum wahrnimmt (M. 
polycarpa), eine entschiedene Rücken- und Bauchseite, und nach 
der Nervatur möchte ich dasselbe von Pilularia glauben. Ist nun 
die Bauchnaht nicht die Verbindung der zusammengelegten Ränder 
eines ursprünglich offenen Blattgebildes, also keine Naht im eigent- 
lichen Sinne, so kann sie doch betrachtet werden als die Verbin- 
dung der Ränder eines von der ersten Bildung her geschlossenen 
Blattheiles, d. h. eines solchen, dessen Unterfläche sich in dem 
Mafse entwickelt, dafs die Oberfläche gänzlich verschwindet und 
potentialiter ins Innere aufgenommen wird, wie wir es an zahlrei- 
chen auf der Oberseite mit einer Kante versehenen (oder auch stiel- 
runden) Blattstielen phanerogamischer Pflanzen verfolgen können, 
namentlich in solchen Fällen (Umbelliferen, Aroideen), wo der Stiel 
aus einer Scheide hervorgeht, deren Ränder in die Bauchkante 
desselben zusammenlaufen, und eine Spreite trägt, deren Ränder 
aus derselben Bauchkante wieder hervortreten. Dals die Oberfläche 


(in aphyllis) e carpidiis quatuor conflata, marginibus introflexis dissepimenta 
constituentibus bi-vel quadrilocularia.* 

1) Beiträge zur Kenntnils der Rhizocarpeen (1846) S. 23, Taf. II. 
Fig. 61—66. 

2) Ich nenne mit Absicht eine bestimmte Art, da in derselben Gattung auch 
der andere Fall, Bildung der sogenannten Ähren aus Randlappen des Blattes, 
vorkommt (Ophioglossum palmatum). 


vom 11. August 1870. 707 


des Blattes bei solchen Stielen eigentlich im Innern verborgen ist, 
zeigt sich an der Art, wie schildförmige Blattspreiten aus densel- 
ben hervortreten. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet dürfte 
auch die Bildung der Sporangien im Innern des Gewebes, für die 
es unter den blattbildenden Pflanzen kein Analogon') giebt, weni- 
ger aulserordentlich erscheinen. Die einseitige Stellnng der Fructi- 
ficationsfiedern (Sporocarpien) am Blattstiel von Marsilia dürfte 
keinen Anstols erregen, da ungleichseitige Ausbildung bei zweizei- 
ligen Blättern horizontalwachsender Stengel?) eine gewöhnliche Er- 
scheinung ist, aber räthselhaft ist der Umstand, dafs an den steri- 
len Blättern keine Spur von entsprechenden Gebilden gefun- 
den wird. Auffallend ist ferner die Angabe von Mettenius, 
dafs die Sporenfrüchte bei ihrem ersten Auftreten die Epider- 
mis des Blattstiels durchbrechen. Eine wiederholte Verfolgung 
der Entwicklungsgeschichte derselben wird hoffentlich über die- 
sen und andere dunkle Punkte in der Folge mehr Licht ver- 
breiten. Auf Mifsbildungen, welche Aufschlufs über die Natur des 
Sporocarpiums geben könnten, habe ich fortwährend geachtet, aber 
das bisher Gefundene ist von geringem Belang und beschränkt sich 
auf drei bei M. Drummondü vorgekommene Fälle, nämlich 1) eine 
im obersten Dritttheil getheilte, in zwei nebeneinanderliegende 
Spitzen auslaufende Frucht; 2) eine bis zum Grunde getheilte, so 
dals zwei divergirende Früchte auf der Spitze desselben Stiels 
standen; 3) einen Fruchtstiel, welcher an der Stelle der Frucht 
eine schmal-lanzetförmige, flache, von einem einfachen Nerven 
durchzogene Spreite trug. 


!) Selbst bei der den Marsiliaceen nächstverwandten Gattung Salvinia 
bilden sich die Sporangien ursprünglich nicht im Innern, indem das Sporo- 
carpium nach der Darstellung von Griffith, der auch Mettenius sich anschliefst 
(Beiträge etc. p. 55) sich nach Art eines Ovulums entwickelt, aus dessen Kern 
die Sporangien hervorsprossen, ehe das Integument sich völlig geschlossen hat. 


?) Wobei bald die obere Seite bevorzugt ist (Ficus stipulacea, Hama- 
melis), bald die untere (Ulmus, Celtis, Monstera, Dicoryphe, Vicia dumetorum, 
bei den letztgenannten die untere Stipula _gröfser).. Am merkwürdigsten in 
dieser Beziehung sind die einseitig gefiederten Blätter von Hosackia subpin- 
nata und Anthyllis tetraphylia, welche an der nach oben gewendeten Seite 
2—3 gröfsere, an der nach unten gewendeten nur ein kleineres Fiederblätt- 
chen haben. 


708 Gesammtsitzung 


Ohne auf den anatomischen Bau der Sporocarpien weiter ein- 
zugehen, hebe ich einige Eigenthümlichkeiten der Haut, welche die 
harte Schale der Frucht überzieht, hervor, weil sie sich bei der 
Charakterisirung der Arten verwerthen lassen. Nach Entfernung 
der Haare zeigt die Oberfläche der Furcht ein mehr oder minder 
rauhes und punktirtes Ansehen. Viele Arten lassen schon mit der 
Luppe unter den kleineren, kaum unterscheidbaren Punkten grös- 
sere umwallte Punkte, gleichsam kleine Krater, unterscheiden, die 
sich besonders leicht erkennen lassen, wenn die Haut der Frucht 
eine hellere, braungelbe oder graubraune Farbe hat, in welchem Falle 
sich die erwähnten Punkte durch dunkler braune, zuweilen purpurrothe 
oder fast schwarze Farbe hervorheben. Weniger auffallend sind sie bei 
Aunkelbrauner Färbung der Frucht und bei manchen Arten sind 
sie mit der Luppe überhaupt nicht unterscheidbar. Diese Punkte 
zeigen die Stelle der Luftspalten an, welche der Luft vermittelst 
eines die doppelte Schicht des dichten Pallisadengewebes der har- 
ten Schale durchziehenden Kanales Zutritt in das innere Gewebe 
der Frucht gestatten. Sie fehlen bei keiner Art, wenn sie auch 
nicht bei allen Arten gleich häufig sind. Selbst die Arten mit un- 
terirdischen Früchten, sowohl der Gattung Marsilia, als der Gat- 
tung Pilularia, besitzen diese Vorrichtung. 

Die mikroskopische Untersuchung der Haut zeigt eine einfache 
Lage polygonaler Hautzellen, kleiner als die der Blätter und ohne 
Buchtung, bei völlig reifen Früchten ohne bemerkbaren Inhalt, farb- 
los oder gelblich gefärbt, mit einer Cuticula überzogen, die bei 
reifen Früchten oft braun wird. Nur an der Basis der Frucht, 
über der Raphe und in der Gegend des oberen Zahns, wird die 
Haut mehrschichtig. Dieser obere Zahn selbst ist grolsentheils durch 
eine wuchernde Erhebung des Hautzellengewebes gebildet. Zwischen 
den Hautzellen zerstreut sieht man dreierlei verschiedene Bildungen, 
bei verschiedenen Arten in verschiedenem Verhältnifs gemischt: 

1. Kleinere, von oben gesehen kreisrunde Zellen von gold- 
brauner oder rothbrauner Farbe. Im Längsschnitt sieht man, dafs 
sie nach unten zu breiter sind und oft mit gewölbter Basis nach 
unten vorragen, während sie nach oben meist nur die halbe Höhe der 
Hautzellen erreichen. Es sind dies die Träger oder Ansatzzel- 
len der Haare. 

2. Meist gelblich gefärbte, längliche Zellpaare, welche sich in 
keiner Weise von den Schliefszellenpaaren gewöhnlicher Luftspal- 


vom 11. August 1870. 709 


ten unterscheiden, aber keine oder nur eine sehr kleine, linsen- 
förmige Lufthöhle unter sich haben. Ich will sie als kleine oder 
blinde Luftspalten (Microstomata) bezeichnen. Sie lassen sich 
besonders deutlich von der Unterseite der abgezogenen Haut er- 
kennen, da sie von den angrenzenden Hantzellen theilweise über- 
wölbt sind. Sie sind stets in weit gröfserer Zahl vorhanden als 
die folgenden grofsen Stomata, oft auch in gröfserer Zahl als die 
Ansatzzellen der Haare. 

3. Die grofsen Luftspalten oder Ringspalten (Macrostom ata), 
die, wie oben erwähnt wurde, schon mit unbewaffnetem Auge oder 
mit der Luppe sichtbar sind, liegen noch tiefer als die kleinen und 
sind von einem den länglichen Vorhof bildenden Kreise zahlrei- 
cherer (8—10, während es bei den vorigen meist nur 4 sind) stark 
gewölbter und gefärbter (gelb- oder rothbrauner) Hautzellen oder 
selbst von mehreren Kreisen solcher Zellen umgeben. 

Besonders deutlich und schon bei geringer Vergröfserung sicht- 
bar sind die Ringspalten bei M. uncinata, mucronata und vestita (pur- 
purroth auf hellbrauner Wand), M. macrocarpa (sehr zahlreich und 
dicht aneinandergedrängt), villosa, angustifolia (purpurschwarz auf 
hellbraunem Grund), exarata, hirsuta, gibba, Coromandeliana, Drum- 
mondiü (gegen die Basis der Frucht dichter gedrängt), biloba, Aegyp- 
tiaca; wegen dunkelbrauner Färbung der Frucht minder auffallend, 
doch mit Bestimmtheit unterscheidbar, sind sie bei M. brachypus 
(schwarz auf braunem Grund), quadrifoliata, diffusa, pubescens, 
Burchellü; sehr schwer zu erkennen bei M. crenulata, rotundata; 
mit der Luppe nicht zu erkennen bei M. polycarpa, subangulata, 
'mutica, Mexicana, Ernesti. 

Nur 2 Arten sind bekannt, deren Fruchthaut ein auffallend 
abweichendes Verhalten zeigt, nämlich M. gymnocarpa und Nubica. 
Bei beiden erscheint die Oberfläche der reifen Frucht glatt und 
glänzend schwarz, bei M. Nubica deutlich, bei M. Jymnocarpa un- 
deutlich mit sehr kleinen Pünktchen übersäet. Die für das blofse 
Auge schwarze Färbung hat ihren Sitz in der Haut und die ge- 
färbte Schicht löst sich als eine zusammenhängende, etwas spröde 
Schale von der Frucht ab, so dafs man sie leicht im Ganzen oder 
in einigen grolsen Stücken abheben und dadurch die innere, dickere 
und härtere, matt hellbraune Schale entblöfsen kann. Die mikro- 
skopische Untersuchung zeigt, dafs die sich ablösende äufsere 

- Schale nicht die ganze Haut darstellt, sondern nur von den stark 


710 Gesammtsitzung 


verdickten nach aufsen gekehrten Deckwänden und dem angren- . 
zenden, bis über die halbe Tiefe der Hautzellen herablaufenden 
Theil der Seitenwände gebildet ist. Unter dem Mikroskop erschei- 
nen diese die schwarze Schale bildenden verdickten Wände dunkel- 
goldbraun bis purpurbraun, während die unteren Wände der Haut- 
zellen, welche mit dem kleineren unteren Theil der Seitenwände 
an der Oberfläche der Pallisadenschicht (der inneren Schale) hän- 
gen bleiben, dünn und bleich sind. Ein senkrecht durch die 
schwarze Schale geführter Schnitt bietet ein Bild, welches sich 
mit dem Längsschnitt durch die Zähne des äufseren Peristoms 
vieler Moose!) vergleichen läfst. Von der Fläche gesehen zeigen 
die festverbundenen Wände die Zellgrenzen und Verdickungsschich- 
ten sehr deutlieh. Zwischen den dunklen Feldern (Deekwänden 
der Hautzellen) sieht man zahlreiche zerstreute helle Spalten, wie 
kleine Fensterchen, kürzer als die Länge einer Zelle, bei M. Nubica 
etwa 4 so breit als lang, bei M. gymnocarp@ so schmal, dals das 
Licht nur hier und da ein wenig durchdringt. Aufser den kürze- 
ren Spalten kommen in geringerer Zahl längere, von zahlreicheren 
(6— 8) Zellen begrenzte vor. Diese Spalten sind die Eingänge zu 
den kleineren und gröfseren Luftspalten, deren Schliefszellen zu sehen 
mir an der reifen Frucht nicht gelungen ist. 

An das sonderbare Verhalten der beiden genannten zeigen 
manche andere Arten dadurch eine gewisse Annäherung, dafs die 
reifen Früchte eine Haut besitzen, die sich abreiben läfst. Dies 
ist namentlich bei den australischen Arten der Fall, welche die 
Nardu-Früchte liefern, die, von den Eingeborenen gesammelt, nicht 
blofs ihrer Haare beraubt, sondern zum Theil auch durch Abrei- 
bung der Haut geglättet zu uns kommen, welches wahrscheinlich 
Folge absichtlicher Reibung und Schüttelung ist. Bei den wild 
gesammelten Früchten”) der östlichen Unterart von M. Drummon- 
dii ist es namentlich der obere Zahn der Frucht, dessen aus Haut- 
sewebe gebildeter Theil sich leicht abschält, wodurch ein niedriger 
elänzend schwarzer Höcker entblöfst wird. Auch Pil. globulifera 
zeigt an alten Früchten nach dem Aufspringen eine deutliche Ab- 
schälung der Haut in Form zarter papierartiger Fetzen. 


1) Vergl. Lantzius-Beninga in Nov. act. nat. cur. XXII. II. Taf. 59. 
60. 62. 63. 
2) Die cultivirten erreichen dazu nicht die erforderliche Reife. 


vom 11. August 1870. a 


Endlich ist noch auf die Unterschiede aufmerksam zu machen, 
welche sich in der Beschaffenheit der Haare der Frucht zeigen. 
Im Wesentlichen stimmt der Bau derselben mit dem der Blatthaare 
überein, doch sind sie im Allgemeinen straffer und stärker gefärbt, 
dabei oft kürzer, in anderen Fällen aber auch länger und feiner 
auslaufend als diejenigen der Blätter (M. Ernesti). Bei einigen 
Arten sind sie sehr spärlich vorhanden und hinfällig (M. gymno- 
carpa, Nubica, auch M. Coromandeliana), bei anderen reichlicher, 
aber doch zur Zeit der Reife sich mehr oder weniger verlierend 
(M. quadrifoliata, diffusa, erenulata, erosa), oder endlich auch die 
reife Frucht mit einer dichten Decke bekleidend (M. brachypus, 
villosa, hirsuta, Drummondii nebst allen Verwandten). Sie sind bald 
kürzer und dann gewöhnlich dicht anliegend (M.-Coromandeliana, 
brachypus, uncinata, strigosa, Capensis, diffusa ete.), oder länger und 
mehr oder weniger abstehend (M. vestita, villosa, biloba, brachypus, 
hirsutissima, distorta, Ernesti, subangulata); meist gerade gestreckt, 
selten schlaff, wellig und kraus oder selbst zusammengeknittert 
(M. deflexa, mutica). Die Zahl der Zellen wechselt wie bei den 
Haaren der Blätter; am häufigsten finden sich 3—5 (M. diffusa, 
crenulata, erosa, Aegyptiaca, Drummondii), selten weniger z. B. 2—3 
bei M. brachycarpa; oft dagegen mehr z.B. 5—8 bei M. quadri- 
Joliata, Coromandeliana, deflexa. Die entwickeltsten Haare fand ich 
bei M. macropus mit 5—10 Zellen. Bei den meisten Arten sind 
die Haare an allen Zellen mit kleinen, entferntstehenden, seltener dicht 
zusammengedrängten Wärzchen besetzt, so z. B. bei M. diffuse, 
crenulata, erosa, strigosa, macrocarpa, Capensis, Burchellü, macropus, 
villosa, Ernesti, Nubica. Besonders stark entwickelt sind diese 
Wärzchen bei M. uncinata, mucronata, vestita, tenuifolia, Aegyptiaca, 
biloba, brachypus, brachycarpa und gibba, dagegen sehr klein und 
wenig bemerkbar bei M. pubescens, Coromandeliana, muscoides, sub- 
angulata, polycarpa. Bei einer Reihe nahverwandter australischer 
‚ Arten beginnt die Warzenbildung erst mit der zweiten oder dritten 
Zelle des Haars, während die erste glatt und oft längsstreifig er- 
scheint. So bei M. Drummondi orientalis, salwatrix, elata, hirsutis- 
sima, macra, Mülleri, so wie auch bei M. hirsuta.. Kaum bemerk- 
bar sind die Wärzchen an den oberen Zellen von M. Drummondiü 
occidentalis. Völlig glatte Haare habe ich nur bei wenigen Arten 
gefunden, unter welchen hauptsächlich solche mit unterirdischen 
Früchten bemerkenswerth sind, nämlich bei M. Mexicana, mutica, 


712 Gesammtsitzung 


distorla, subterranea, defleva, aber auch bei M. quadrifoliata und 
angustifolia. 

Sehr sonderbar ist die Bildung der Fruchthaare bei Pilularia 
globulifera. Die erste flache Zelle derselben sitzt horizontal auf 
einer trichterförmigen Stielzelle wie bei Marsilia, aber die folgen- 
den Zellen haben eine ähnliche schildförmige Befestigung und liegen 
wie schief übereinandergeschobene längliche Blätter aufeinander, 
jede folgende die vorausgehende überragend. Die letzte geht in eine 
langgezogene Spitze aus. "Sie sind fast ungefärbt und glatt. Met- 
tenius') hat eine Entwicklungsgeschichte dieser Haare gegeben, 
welche einige Zweifel läfst und eine wiederholte Beobachtung wün- 
schenswerth macht. P. Novae Hollandiae verhält sich ungefähr 
ebenso wie P. globulifera, desgleichen P. Americana, aber die End- 
spitze des Haares der letztgenannten ist durch gewöhnliche Querwände 
noch in mehrere Zellen getheilt. Bei P. minuta sind die Haare 
weit schmäler als bei den anderen Arten, sehr dünnwandig und im 
trockenen Zustande vielfach gefaltet und zerknittert. So weit ich 
sehen konnte, sind die 3—5 Zellen, aus welchen sie bestehen, an 


den Verbindungsstellen nur sehr wenig, die äufsersten gar nicht 


übereinander geschoben. 

Ich habe es unterlassen, weiter auf die anatomischen Verhält- 
nisse der Marsiliaceen einzugehen, als zur Charakteristik der Arten 
nothwendig war. Eine ausführliche Darstellung derselben wird näch- 
stens von Dr. Russow in Dorpat erscheinen, dem ich selbst eine 
srolse Zahl bezüglicher, mit Meisterhand gefertigter anatomischer 
Präparate verdanke. Auch Hrn. Dr. Magnus bin ich zu grolsem 
Dank verpflichtet für die Hülfe, die er mir bei den einschlagenden 
Untersuchungen geleistet hat. 

Nachstehender Schlüssel, den ich zur Bestimmung der Arten 
entworfen habe, ist so eingerichtet, dafs die Arten, so weit es sich 
erreichen liefs, nach ihren Verwandtschaften geordnet sich folgen. 
Stellt man für jede Art das zusammen, was sich auf dem Wege 
des Schlüssels als ihr zukommend ergiebt, so hat man zugleich 
eine möglichst gedrungene Diagnose derselben. 


1) Beitr. zur Kenntn. der Rhizocarpeen S. 29, Taf. IL. f. 67. 


eh 


Zi 


vom 11. August 1870. 713 


I. Marsilia. 


A. Seitennerven der Frucht an der Theilungsstelle 
anastomosirend ($. 703, Fie. 5—7). 


a. Mehrere Früchte über der Basis des 
Blattstiels entspringend. Frucht ohne 
Raphe und ohne Zähne. 


a. Frucht fast kugelförmig, ohne Kanten, nickend 
auf seitlich abstehendem Stiel. 

T An einem Blattstiel 10—25 Früchte in einer 
hoch über der Basis beginnenden Reihe, Sori 3. 

M. polycarpa. 
Tr Nur 8—12 Früchte, die Reihe nahe am Grunde 
des Stiels beginnend. 
M. polycarpa var. 
Mexicana. 
P. Frucht mehr oder weniger verlängert, stumpf 
d kantig. 

T An einem Blattstiel 6— 10 Früchte, die Reihe 
nahe am Grunde desselben beginnend. Frucht- 
stiel seitlich abstehend. Frucht nickend, wenig 
verlängert. Sori 5. 

M. subangulata. 

ff Nur 2—3 Früchte nahe am Grunde. Frucht- 

stiel abwärts gebogen. Frucht stark verlängert, 
Sori 6—8. Haare der Frucht glatt. 

M. deflexa, 


b. Nur eine grundständige Frucht mit 
Raphe und (schwachen) Zähnen. Frucht- 
stiel senkrecht nach unten gebosen, 2 
mal so lang als die zusammengedrückte und 
berandete Frucht. Haare glatt. 


M, subterraneg, 


714 Gesammtsitzung 


B. Die gabeltheilisen Seitennerven der Frucht blei- 
ben bis zum Bauchrande getrennt (8.702 Fg.1-3). 


a. Mehrere (2 —5) Früchte theils nahe, 
theils ganz am Grunde des Blattstiels 
entspringend. 


ao. Die Fruchtstiele unter sich eine Strecke weit 
verwachsen (aufrecht oder schief abstehend). 


7 Fruchtstiele von der Basis des Blattstiels 
entfernt, doppelt so lang als die Frucht. 
Die reife Frucht kahl, zweizähnig. Haare 
d. Fr. glatt. 

M. quadrifoliata. 

77 Fruchtstiele fast an der Basis, 3—4 mal 
so lang als die grofse langhaarige Frucht, 
deren oberer Zahn nur schwach angedeutet ist. 
Haare d. Fr. warzig. 

M. macropus. 
+rr Fruchtstiele basilär. Beide Zähne der Frucht 


sehr schwach angedeutet. 
M. Brown. 


ß. Die Fruchtstiele unter sich frei oder am 


Grunde nur wenig zusammenhängend (auf- 
recht oder schief aufsteigend). 


7 Fruchtstiel kürzer als die Frucht, etwa 2 
so lang. Oberer Zahn länger als der untere. 


(Haare der Frucht lang und abstehend.) 
* Frucht mit sichtbaren Rippen. 
M. brachypus. 
*® Frucht ohne sichtbare Rippen. 
M. gracilenta. 
+r Fruchtstiel gleichlang oder länger als die 
Frucht. (Haare d. Fr. anliegend.) 


® Oberer Zahn etwas länger als der untere. 


1. Frucht gerippt und berandet. (Fruchtstiele 
oft etwas zusammenhängend, 14— 13 so lang.) 


M. erosa. 


vom 11. August 1870. 715 


2. Frucht ungerippt. 


Fruchtstiel 1— 14 so lang. Ringspalten 
deutlich sichtbar. 


M. cornuta.. 
Fruchtstiel 13 — 2 mal so lang. Ringspal- 
ten undeutlich. 
M. crenulata. 
*® Beide Zähne fast gleich. Frucht ungerippt. 
1. Frucht länger als breit. Sori 5—6. 
M. diffusa. 


2. Frucht nicht länger als breit, sehr klein. 
Sori 3, 
M. brachycarpa. 


b. Nur eine Frucht am Grunde des Blatt- 
stiels. 


a. Haut der Frucht bleibend (was auch von 
allen vorausgehenden gilt). 


f Blätter ohne Selerenchymzellen (wie 
bei allen vorhergehenden). 


J. Frucht mit 2 ziemlich gleichen Zähnen. 


1. Fruchtstiel kürzer als die Frucht. Hautzellen 
der Blätter ohne Höcker (wie in allen Abthei- 
lungen, bei welchen nichts darüber bemerkt ist). 

a. Zähne der Frucht kurz und stumpf. Frucht- 


stil &— 4 so lang, mit der Frucht zur 
Seite gebogen, Frucht etwas ungleichseitig, 


a) Haare länger und abstehend, sehr fein warzig, 
M. pubescens, 
ß) Haare kürzer, anliegend, stark warzig. 
M. strigosa. 
b. Zähne der Frucht stärker, Fruchtstiel 4— 
so lang, aufgerichtet, 
«) Frucht dick, auf der Bauchseite ausgefurcht, 


2 
2 


M, exarata, 


P) Frucht stärker zusammengedrückt, ohne Aus- 
furchung. ä 


M. hirsuta, 
2. Fruchtstiel länger als die Frucht, meist mehr 


als doppelt so lang. Hautzellen der Blätter 
| mit Höckern, 
[1870] 49 


716 Gesammtsitzung 


a. Frucht horizontal, klein (4—5 Mm. lang), 
Fruchtstiel 2-, höchstens 3 mal so lang. 

a) Bauchseite. der Frucht nicht ausgefurcht. 

Hautzellen nur auf der Oberfläche des Blatts 

höckerig. . 

i Blättchen ganzrandig, stark behaart. 

M. Howittiana. 

+77 Blättehen gekerbt, dicht seidenhaarig. 

M. sericea. 


{rT Blättchen tiefer gekerbt oder einge- 
schnitten, locker behaart. 


M. Muülleri. 


6) Bauchseite der Frucht leicht ausgefurcht. 
Landblätter auf beiden Flächen mit höckeri- 
gen Hautzellen. (Blättchen schwach gekerbt, 


schwach behaart.) 
M. macra. 


b. Frucht schief aufsteigend oder völlig auf- 
gerichtet, grols (meist über 5 bis 10 Mm. 
lang). 

a) Bauchseite der Frucht nicht ausgefurcht, nur 
die Hautzellen der Oberfläehe des Blatts 
höckerig. 

7 Frucht schwach geneigt oder aufrecht, 
oval. Fruchtstiel 2 mal so lang. 

* Blättchen ganzrandig, schwach be- 
haart. Haare der Frucht anlie- 
gend, kurz. 

M. oxaloides. 

”* Blättchen gekerbt, stark behaart. 
Haare der Frucht lang und ab- 
stehend. 

M. hirsutissima. 

11T Frucht stärker geneigt, schief eiförmig, 

auf straff aufrechtem Stiel, der 2—3 
mal so lang ist als die Frucht. 

* Blättchen ganzrandig, stark be- 
haart, Haare der Blätter warzig. 

M. Nardu 

(Drummondü orientalis). 

** Blättchen gekerbt, Haare der Bl. 
ohne Warzen. 

M. Drummondü (occidentalis). 


{Tr Frucht schwach geneigt, oval, auf 
leicht gekrümmtem Stiel, der 3—4 


vom 11. August 1870. 7; 


mal so lang ist. Blättchen am Rande 

gekerbt und wellig. 
M. salvatrix. 
ß) Bauchseite der Frucht ausgefurcht, die Haut- 
zellen beider Blattflächen mit Höckern. 
(Frucht aufrecht, Stiel vielmal so lang, 
Blättchen ganzrandig oder gekerbt, stark 

behaart.) 


M. elata. 


II. Frucht mit 2 Zähnen, deren oberer stachel- oder 
hackenartig verlängert ist. (Ringspalten der Frucht 
sehr grofs und auffallend.) 


1. Beide Zähne dicht beisammen, nur durch eine 
spitzwinkelige Bucht getrennt. Fruchtstiel kür- 
zer als die Frucht. (Blättchen breit und ganz- 
randig. Haare der Frucht dicht, lang und ab- 


stehend.) 
M. villosa. 


2. Beide Zähne durch eine breitere Bucht ge- 
trennt. 


a. Fruchtstiel kürzer als die Frucht, höch- 
stens gleich lang. (Oberer Zahn der 
Frucht gerade oder schwach gekrümmt.) 

y Blättchen sehr schmal, am Stirnrand 
mit einigen Zähnchen. (Haare der 
Frucht angedrückt.) 

M. tenuifolia. 

r Blättehen breiter und ganzrandig. 

* Bl. schwach behaart. Haare der 
Fr. anliegend. 
M. mucronata. 
”* Bl. stark behaart. Haare der 
Fr. lang und abstehend. 
M. vestita. 


b. Fruchtstiel länger als die Frucht, 11—2 
mal so lang. (Oberer Zahn meist hacken- 
förmig gekrümmt. Haare der Frucht an- 
liegend.) 

M. uncinata. 


II. Nur der obere Zahn der Frucht ausgebildet, der 
untere mehr oder weniger verflacht oder ganz feh- 


lend. (Fruchtstiel bei allen Arten verlängert.) 
49° 


18 Gesammtsitzung 


1. Hautzellen der Blätter ohne Höcker. (Frucht- 
stiel aufrecht und gerade. Frucht schief an- 
steigend oder horizontal.) 


a. Frucht stumpf oder fast spitz, ohne ver- 
längerten Stirnrand, ohne Ausfurchung. 
a) Der obere Zahn der Frucht kurz und stumpf, 

der untere nur wenig schwächer, abgerun- 
det !). 

+ Frucht fast kreisrund, fast horizontal. 

Ringspalten unkenntlich. Fruchtstiel 


2—3 mal so lang. 
M. rotundata. 


7r Frucht länglich, schief ansteigeud. 
Ringspalte sehr grofs und dicht ge- 
drängt. Fruchtstiel ungefähr 2 mal so 
lang. 
M. macrocarpa. 
ß) Der obere Zahn schärfer hervortretend, der 
untere ganz oder fast ganz verwischt. 
+ Zahn kurz kegelförmig. 


* Frucht länger als breit, gegen die 
Spitze schief abgeschnitten. (Haare 
der Frucht anliegend. DBlättchen 
meist ausgerandet oder zweilap- 
pig.) 

M. Capensis. 


** Frucht nicht länger als breit, sehr 
klein. (Haare der Fr. anliegend. 
Bl. ganzrandig.) 


M. Burchellii. 


+r Der Zahn stachelartig verlängert. (Fr. 
nicht länger als breit mit abstehenden 
Haaren. Blättchen einfach- oder dop- 
pelt zweilappig.) 
M. biloba. 
b. Frucht abgestutzt, mit verlängertem, aus- 
gefurchtem Stirnrand. 

u) Stirnrand breit ausgefurcht. Rückenkante 
sattelförmig. Seitenwand in der Mitte ein- 
gedrückt. Zahn sehr kurz und abgerundet. 

M. Aegyptiaca. 


1) Die beiden hierher gestellten Arten könnten nach der Beschaffenheit 
der Zähne der Frucht fast mit demselben Recht unter d, &, I (mit 2 gleichen 
Zähnen) gestellt werden; ich ziehe es vor sie hierher zu stellen wegen ihres 
unzweifelhaft natürlichen Anschlusses an die unter ß folgenden Arten. 


vom 11. August 1870. 719 


£) Stirnrand der stärker zusammengedrückten 
fast viereckigen Frucht schmal ausgefurcht. 

Zahn verlängert kegelförmig. 
M. quadrata. 
2. Hautzellen beider Blattflächen mit Höckern. 
(Fruchtstiel aus niedergebogener Basis aufstei- 
gend, 5—6 mal so lang als die schief aufge- 


richtete, berandete Frucht.) 
M. gibba. 


1V. Nur der untere Zahn deutlich, der obere mehr oder 
weniger verflacht oder ganz unmerklich. 


1. Fruchtstiel sehr kurz und aufrecht. (Frucht 
fast horizontal, an der Bauchseite ausgefurcht. 
Haare der Frucht glatt. Blättchen schmal mit 
der grölsten Breite in der Mitte.) 

M. angustifolia‘). 

2. Fruchtstiel mälsig verlängert (1—2mal so 
lang), niedergelegt oder abwärts gebogen. 


a. Raphe äufserst kurz, der obere Zahn noch 
ziemlich deutlich. (Stiel 2—# lang. Die 
Frucht gegen den Stiel nur wenig geneigt 
mit stark gewölbten Seitenwänden und 
dichtem Haarfilz. Haare warzig?). 

M. Ernesti. 


b. Raphe etwas verlängert, der obere Zahn 
unmerklich. 
T Stielgerade, horizontal oder absteigend, 
1—1;} so lang. Frucht gegen den 
Stiel geneigt fast bis zum Horizontalen, 
stark zusammengedrückt. Fruchthaare 
glatt. 

M. Mexicana. 
TT Stiel gebogen, 2— 2 mal so lang. Fr. 
gegen den Stiel abwärts geneigt. Bl. 

fast unbehaart. 


M. Berteroi. 


!) Wegen mangelnder Ausbildung des oberen Zahns in der Tabelle hier 
untergebracht, während sie naturgemälser neben NM. hirsuta und exarata ste- 
hen würde. 

?2) Könnte nach den Zähnen unter d, «, I (mit 2 gleichen Zähnen) ge- 
stellt werden, hat aber ihre nächsten Verwandten offenbar hier. » 


720 Gesammtsitzung 


{it Stiel absteigend und hackenförmig. 
Blätter grau behaart und fast seiden- 
glänzend. 
M. ancylopoda'). 
V. Frucht ohne Raphe (der Stiel unter der Frucht nnr 
etwas verdickt) und ohne Zähne (an der Stelle des 
oberen Zahns ein länglicher Fleck sichtbar). 
Fruchtstiel bald auf-, bald absteigend, 14 —2 
mal so lang. Frucht fast stielrund. Haare 


derselben glatt. 
M. mutica. 


17 Blätter mit Interstitialstreifen aus 
Sclerenchymzellen (S. 692). 

l. Fruchtstiel dünn, aufrecht, gerade, lang (23—6 
mal so lang). Frucht mit 2 deutlichen Zäh- 
nen, berandet uud gerippt. (Fruchthaare an- 
gedrückt, hinfällig, feinwarzig. Blättchen ganz- 
randig, kahl.) 

a. Frucht aufrecht, länger als breit. Sori 


4—6. 
M. Coromandeliana. 
b. Frucht etwas geneigt, wenig länger als 
breit... Sorb 3—4. 
MM, trichopoda. 
c. Frucht fast horizontal, nicht länger als 
breit, sehr klein. Sori 2—3. 
M. muscoides. 


2. Fruchtstiel, hin und hergebogen, niedergelegt 

“oder absteigend (24—3 mal so lang). Der 

obere Zahn der Frucht sehr schwach, flach ge- 

rundet. Frucht gegen den Stiel zurückgelegt, 

nicht berandet. (Haare der Frucht bleibend, 
lang, glatt.) 

M. distorta. 

ß. Haut der Frucht sich ablösend, eine 

äulsere, locker anliegende, glänzend 


!) Unvollständig bekannt, die Charakteristik künftig zu berichtigen und 


zu ergänzen. 


vom 11. August 1870. 721 


schwarze Schale um die Frucht bil- 
dend (8. 709). 
(Die reife Frucht ohne Haare, ohne vortre- 
tende Zähne, zusammengedrückt, mit langer 
Raphe. Der kurze Fruchtstiel vorwärts ge- 
neigt.) 
f Die Schale deutlich punktirt. Die Frucht 
gegen den L—4 langen Stiel horizontal. 
M. Nubica. 
Tr Die Schale undeutlich punctirt. Die Frucht 
gegen den 1—14 langen Stiel abwärts ge- 


bogen. 
M. gymnocarpe. 


Il. Pilularia. 


1. Frucht zweifächerig. 


 Fruchtstiel absteigend, lang. Sporen (deren nur eine 
in jedem Fach) ohne Einschnürung. 
P. minuta. 


2. Frucht dreifächerig. 


Fruchtstiel absteigend, verlängert, mit kurzer seitlicher 
Biegung ansitzend. Sporen zahlreich, ohne Einschnü- 
rung. 

P. Americana. 


3. 


Frucht vierfächerig. 
a. Fruchtstiel verlängert, absteigend. 
7 Ende des Fruchtstiels horizontal mit der Frucht 
verbunden, eine Raphe bildend. Sporen ohne 
. Einschnürung. 
P. Novae Hollandiae. 
+r Ende des Fruchtstiels fast gerade an die Frucht 


angesetzt. 
P. Mendoni. 


b. Fruchtstiel sehr kurz, aufrecht, gerade angesetzt. Spo- 


ren mit einer Einschnürung über der Mitte. 
P globulifera. 


722 Gesammtsitzung 


Systematische Übersicht der Arten mit Angabe 
der Synonyme und Fundorte. 


I. Marsilia. 
Gruppe der M. polycarpa. 


1. M. polycarpa Hook. et Grev. Je. Fil. (1831) t. 160; A. 
Br. Monatsb. d. Ak. 1863, S. 417. Wohl die merkwürdigste unter 
allen Arten, welche im Culturzustande beobachten zu können, be- 
sonders in Beziehung auf die Entwicklungsgeschichte der Sporen- 
früchte, von gröfster Wichtigkeit wäre. Da sie in Südamerika ver- 
breitet und häufig zu sein scheint, so dürfen wir wohl hoffen, durch 
Reisende reife Früchte zu erhalten. Die gröfste Zahl der an einem 
Blattstiel sitzenden Früchte, nämlich 23, habe ich an einem Exem- 
plar aus Cuba gesehen und gewils ist dies nicht das Maximum. 

Bekannte Fundorte der Normalform sind: Guyana: Demerara, 
am Essequibo (Parker 1828 in herb. Hooker); Surinam (Leprieur). 
Brasilien: Para (Spruce 1849 n. 42 in herb. Hook. etc.). Insel 
Cuba (Pöppig n. 290 steril in herb. Kunz.; Wright n. 1799. 1800 
in Mus. Par. etc... St. Thomas (Friedrichsthal in herb. Vind.). 
Sandwichsinseln: Tahiti (Barclay in h. Hook., Vesko in Mus. Par., 
Vieillard in herb. Lenorm., Wilkes sec. Brakenridge, Expl. Exped. 
p- 541). Als zweifelhaft hierher gehörig sind anzuführen sterile 
Exemplare von Santa Fe de Bogota (Bonpland in Mus. Par.) und 
Buenos Ayres (Commerson ibid.). 

Als Varietäten oder vielleicht nur Formen sind zu erwähnen: 

M. polyc. minor. M. Brasiliensis Martius Jc. plant. erypt. (1828 
—34) p. 122, t.73 aus der Provinz Bahia, in ausgetrockneten Tei- 
chen bei Joazeiro. Sie ist kleinblättrig und behaart und hat nur 
8—10 Früchte am Stiel, wahrscheinlich in Folge trockenen Stand- 
orts. Von Blanchet bei Bahia gesammelte Exemplare (n. 2409 
in herb. Mus. Par., Vindob., Lucaeano) scheinen die Mitte zwischen 
der Normalform und der von Martius zu halten. 

M. polyc. Mexicana, bei Mesachica in Mexiko von Schiede ge- 
sammelt (herb. Berol.), gleichfalls klein, aber kahl. Ich sah nicht 
über 8 Früchte, welche kugelig und ohne Kanten sind. 

M. picta Fee, I9me. Mem., Catal. des Foug. du Mexique (1857) 
p- 47. In den Kanälen bei Mexiko (v. Chrismar 1848, L. Hahn 


vom 11. August 1870. 123 


1868) und bei Chapultepec (Schaffner 1854). Wasserform mit ge- 
streiften, sowie Sumpf- und Landform mit ungestreiften Blättern, 
nur steril bekannt, daher nicht sicher bestimmbar, doch spricht der 
anatomische Bau der Blätter, namentlich die sehr kleinen Hautzel- 
len der Oberfläche, die nicht gröfser sind als die Stomata, für die 
nahe Beziehung zu M. polycarpa, während die meist mehrschichti- 
gen (bei M. polycarpa nur aus einer Reihe von Pallisadenparenchym 
gebildeten) Grenzwände der Lufthöhlen eine Verschiedenheit an- 
deuten. 

M. Stratiote.. So habe ich vorläufig eine von Spruce im Gapoö 
(Überschwemmungsgebiet des Amazonenstroms) bei Manaquiry nur 
im sterilen Zustande gesammelte Pflanze genannt, von welcher 
Spruce selbst sagt, sie scheine von M. polycarpa, die er bei Para 
gesammelt, verschieden zu sein. Es ist eine Wasserform mit un- 
ächten Schwimmblättern von ungewöhnlicher Gröfse, aber mit ver- 
hältnifsmälsig schmäleren Blättchen als bei den grofsblättrigen For- 
men der M. polycarpa. Dieselben sind 35—40 Mm. lang, 25—28 
breit, haben keine Interstitialstreifen, aber Luftspalten auf der Un- 
terseite. Die Hautzellen der Oberseite sind 2—3 mal so grofs als 
die Stomata, während sie bei M. polycarpa diese kaum an Gröfse 
übertreffen. 


2. M. subangulata A. Br. Sitzungsber. der Ges. naturf. 
Freunde vom 19. Juli 1870, S. 46. M. polycarpa Griseb. Fl. of 
the Brit. W. Ind. II. 645; A. Ernst, Vargasia No.7p.181. An den 
grölseren (3 Mm. langen), etwas in die Länge gezogenen, fast birn- 
förmigen, stumpf 5kantigen, mit äufserlich sichtbaren Rippen ver- 
sehenen Früchten, die grölsere Zahl der Sori (5) und die am Bauch- 
rande der Frucht etwas verzweigten und meist anastomosirenden 
Nervenenden (8. 703, Fig. 6) von M. polycarpa leicht zu unter- 
scheiden, ein merkwürdiges Mittelglied zwischen dieser und der 
scheinbar weitabstehenden M. deflexa bildend.. Weniger Gewicht 
kann ich auf die geringere Zahl der Früchte legen, da Schiede’s 
mexikanische Form von M. polycarpa in dieser Beziehuug mit M. 
subangulata übereinstimmt. Bei den Exemplaren aus Caracas fand 
ich 6—10 Früchte an einem Stiel, bei denen aus Jamaica 5—10. 
Grisebach giebt für die letzteren 3—8 an. — Völlig sicher ist nur 
der Fundort Caracas (A. Ernst 1570), von wo allein reife Früchte 
vorliegen. Die Exemplare aus Jamaica (Purdie 1844, herb. Hook.) 


724 Gesammtsitzung 


haben unreife Früchte, gleichen aber im Übrigen sehr denen von 
Caracas. Ebenso die aus Panama (B. Seemann 1846). Zweifelhaf- 
ter ist der Fundort Guatemala (Friedrichsthal no. 942 in herb. 
Vindob. et Kunz.), da ich die Exemplare seit Unterscheidung der 
MM. subangulata nicht wiedergesehen habe. 


3. M. deflexa A. Br. Monatsb. 1863, 8. 421; M. striata 
Mett. in Triana et Planch. Prodr. Fl. Novo-Granat. (Ann. d. sc. 
nat. Ser. 5,. T. III) p. 310... (Vergl. 5. 205), Pie. 7, Nervalır der 
Frucht.) — Brasilien: Prov. Piauhy (Gardner 1841, No. 2760. 
Herb. Vindob. Boiss. ete.); Neu Granada: Aposentos, Ilano de 
Ibague, prov. Mariquita (Triana, herb. Mett.). — Die an diese Art 
sich anknüpfenden Fragen und Wünsche habe ich oben (8. 672 — 
73) ausgesprochen. | 


4. M. subterranea (Leprieur ined. ex part.) A. Br. in Flora 
1839 S. 301 u. Monatsb. 1863 S. 433. — Senegambien, ohne nähere 
Angabe (Perrottet No. 996, herb. propr.; Depreaux in herb. Le- 
norm. et Mett.). — Diese in den Sammlungen seltene Art habe 
ich von Perrottet unter dem von mir beibehaltenen Namen erhal- 
ten; häufiger findet sich jedoch in den Sammlungen unter demsel- 
ben Namen eine andere senegambische Art, nämlich M. distorta, 
die sich durch. den mannigfach gebogenen Fruchtstiel, die auf den 
Stiel zurückgebogene Frucht und die hellen Selerenchymstreifen 
der Blätter leicht unterscheiden läfst. 

Ob diese Art unter den Arten mit anastomosirenden Frucht- 
nerven ihre richtige Stellung hat und für sich allein eine eigene 
Gruppe repräsentirt, ist mir etwas zweifelhaft, da ich die Nerva- 
‘tur wegen spärlichen Materials nur an einer einzigen Frucht un- 
tersucht habe. Sollte die von mir gesehene Nervenverbindung 
nicht constant sein, so würde ich sie wegen der berandeten und 
berippten Frucht an M. erosa anreihen. 


Gruppe der M. quadrifoliata. 


3. M. quadrıfolata L. Sp. pl. ed. I. ex anno 1762 (M. 
quadrifolia L. Sp. pl. I. et auct.); A. Br. Monatsb. 1863 8. 418; 


vom 11. August 1870. 725 


M. vulgaris Bory in Bojer hort. Maurit. (1837) p. 427 et Belanger 
Crypt. p.3 exp. (conf. M. cerenulata). — Im gemäfsigten Europa und 
Asien. Am Rhein bis Germersheim, 494 °, und noch nördlicher in 
Belgien (Lejeune u. Courtois). Fehlt in Britannien und Skandina- 
vien. Südlich in Frankreich bis Marseille, 43° (herb. Shuttlew.), 
wo sie mit dem Vorkommen von M. pubescens nahe zusammen- 
kommt; im nördlichen und mittleren Spanien und in Portugal, 42 
—40°. Im Osten bei Sarepta (Fischer) und Astrachan (?), wo sie 
M. strigosa und Aegyptiaca begegnet; ferner in Ciskaukasien (bei 
Kisliar) und Transkaukausien (bei Tiflis, 42°, und Lenkoran, 39°). . 
Nach Ledebour im Uralschen Sibirien ohne nähere Angabe des 
Fundorts, aber jedenfalls das nördlichste Vorkommen, während das 
südlichste bekannte das in Kaschmir, bei 30—33° n. Br., ist (Jac- 
quemont No. 87 u. 88 in herb. Mus. Par.).. Das Vorkommen in Ja- 
pan ist zweifelhaft, da die von Keiske, Wichura und Maximowiez 
gesammelten Exemplare unfruchtbar sind.) Sehr zweifelhaft ist 
das Vorkommen in Ägypten (siehe 8. 657). Die vielfach wieder- 
holte Angabe des Vorkommens auf Mauritius?) führe ich nur an, 
weil sich in Fee’s Herbarium in der That von Bory stammende 
und angeblich auf Mauritius gesammelte Exemplare befinden, die 
ich von M. quadrifoliata nicht unterscheiden kann, obgleich Fee 
sie als M. macrocarpa n. sp. unterscheiden zu müssen glaubt. Ich 
vermuthe, dafs hier ein Irrthum zu Grunde liegt. In der neuen 
Welt ist unzweifelhafte M. quadrifoliata am Bantam-See in Connec- 
ticut, 41—42°, von Timoth. Allen (1860) aufgefunden worden. 


6. M. Browniü A. Br. Monatsb. 1863, $. 418; M. quadri- 
Jolia R. Brown Prodr. Nov. Holl. (167) 23; M. Australiae R. Br. 
herb. — Ich kenne diese, wie es scheint, mit. der vorigen sehr 
nahe verwandte Art nur aus einem vor vielen Jahren gesehenen 
Exemplar des Wiener Herbariums und aus brieflichen Nachrichten 
von Seemann und Mettenius über die Originalexemplare im Brit. 
Museum. In vieler Beziehung ist sie mir nur unvollständig bekannt. 


!) Vergl. Miquel, Prolus. Fl. Jap. in Ann. Mus. Lugd. Bat. III. p. 185. 

*) Bory (bei Belanger 1. c.) fügt noch ausdrücklich bei „Absolument 
identique avec celle de l’Europe“. Alle sicher von Mauritius und Bourbon 
stammenden Exemplare, die ich gesehen, waren M. crenulata. 


726 Gesammtsitzung 


Seit R. Brown, der sie bei Port Jackson sammelte, scheint sie wenig- 
stens in fruchttragendem Zustande nicht wieder gefunden worden 
zu sein; ich glaube aber einige von Dr. F. v. Müller mitgetheilte 
sterile Formen, namentlich eine ziemlich kleinblättrige von Cabra- 
matta bei Port Jackson und eine sehr grofsblättrige (Wasserform) 
von Richmond in Neu Südwales (von Wilhelmi gesammelt) hierher 
rechnen zu dürfen. 


4. M. MmMacropus Engelm. in Sillim. Journ. Ser. 2, Vol. III, 
p- 56 (1847); A. Br. Monatsb. 1863, $S. 418. — Eine stattliche, 
aber leider bis jetzt nur sparsam in Frucht gesammelte Pflanze! 
Texas: Am untern Guadeloupe bei Victoria (Lindheimer 1846. pl. 
exsicc. III. no. 573); 100 (engl.?) Meilen höher oben am Guade- 
loupe (Dr. Gideon Lincecum 1866). Nach Dr. Engelmann’s Ver- 
muthung gehört ferner wahrscheinlich hierher eine von Drummond 
in Louisiana gesammelte sterile Pflanze. 


Gruppe der M. diffusa. 


8. M. dıffusa (Leprieur ined.) A. Br. in Flora 1839, p.300; 
Monatsb. 1863, p. 419; Bolle, Zeitsch. f. Erdk. neue Folge I. p. 280; 
Milde Fil. Eur. p. 294; Kuhn Fil. Afrie. p. 199; M. vulgaris Bory 
in Bojer hort. Maurit. p. 427 (quoad plant. Madagasc.); M. sarmen- 
tosa Bory herb.; M. superterranea Kunth herb.; M. erosa Kunze in 
herb. — Die häufigste unter den Arten Senegambiens, von allen 
dortigen Sammlern reichlich eingebracht und daher in den Herba- 
rien sehr verbreitet (Leprieur; Heudelot 1828 No. 548, 576; Le- 
lievre 1829; Perrottet No. 992, 993, 1001). In den oberen Nil- 
ländern: Am weilsen Nil (Speke 1863 in herb. Hook., Schwein- 
furth 1869 steril) und im Djurgebiet bei der Seriba Ghattas (steril, 
Schweinfurth).") In Algerien: Campagne Fourchault unweit Ras- 
sauta in der Ebene Meditja bei Algier (A. Letourneux in herb. 
Cosson). Auf der Insel Canaria bei dem Dorfe Aruca (Depreaux, 
Bourgeau 1846 in herb. Webb.). - Auf Madagascar (Perville 1841, 


1) Über andere Fundorte zweifelhaft hieher gehöriger steriler Formen 
siehe bei Kuhn I. c. 


vom 11. August 1870. 727 


No. 358, herb. Mus. Par. etc.) und auf der Insel Nossi-beh (Boi- 
vin 1849, No. 1959, herb. Boiss.). Meine frühere Angabe des 
Vorkommens auf Mauritius ist mir zweifelhaft geworden, da die 
unreifen Exemplare von Perrottet, auf welche sie sich stützt, nach 
wiederholter Untersuchung zu M. crenulata zu gehören scheinen. 

Die Exemplare verschiedener Gegenden zeigen kleine Abwei- 
chungen und selbst unter den Senegambischen lassen sich mehrere 
Formen unterscheiden. Bei der gewöhnlichen Form ist der Frucht- 
stil 2—24 mal so lang, die Frucht 35 Mm. lang, 3 breit, die 
Zähne spitz, der obere oft etwas länger, die Haare kurz, dicht mit 
Wärzchen besetzt. Bei einer forma microphylla sind auch die 
Früchte etwas kleiner, 3— 33 lang; bei einer forma gracilipes ist 
der Fruchtstiel 2%— 3 mal so lang, die Frucht deutlicher punktirt, 
die Blätter zarter und dünnstieliger. Die forma Nilotica hat (nach 
den wenigen, die ich an den Exemplaren von Speke sah) gerun- 
detere Früchte, die nur sehr wenig länger als breit sind, und kür- 
zere Zähne. Bei der forma Madagascariensis stehen die Frucht- 
stiele meist enger beisammen und sind durchschnittlich etwas kür- 
zer, 1; — 2 mal so lang. Die forma Canariensis hat etwas gröfsere 
Früchte, 33— 4 Mm. lang, und etwas kürzere stumpfere Zähne; 
die Haare der Frucht sind länger und lockerer warzig. Die forma 
Algeriensis hat unter allen die gröfsten Früchte von 4—5 Mm. 
Länge; in den Haaren stimmt sie mit der vorigen überein; die 
Blätter sind am Stirnrand gekerbt, während sie sonst gewöhnlich 
ganzrandig Sind. 


9. M. crenulata Desv. Prodr. Filie. (Ann. de la soc. Linn. 
d. Paris 1827) p. 178; M. cerenata Presl. Rel. Haenk. (1830) p. 84, 
t. XII, f.3; A. Br. Monatsb. 1863, S. 420; M. microcarpa, A. Br. 
in Flora 1839, 5. 300; M. vulgaris Bory in Bojer. hort. Maur. p. 
426 ex part.; M. minuta Blanco, Fl. de Filipinas (1845) p. 577. — 
Der vorigen sehr nahe stehend, durch verhältnifsmäfsig kürzere, 
am Grunde des Blattstiels dichter zusammengedrängte Fruchtstiele, 
etwas kleinere Früchte mit entschieden längerem oberem Zahn und 
am Stirnrand meist gekerbte Blätter verschieden. — Auf der Insel 
Bourbon (Commerson, Du Petit Thouars in herb. Mus. Par.); auf 
Mauritius (Bory in herb. Willd.'); Perrottet in herb. Boiss.; Dr. 


1) Auf demselben Blatte des Willd. Herbars ist aber auch ein Exem- 
plar von M. quadrifoliata aufgeklebt, Fee’s M. macrocarpa! (vgl. S. 725). 


128 Gesammtsitzung 


Ph. Ayres 1860 in herb. Hooker). Auf den Philippinen: Ohne 
nähere Angabe (Haenke); auf Luzon (von Chamisso in herb. Be- 
rvol., Eschscholtz in herb. Ledeb.). Sandwichsinseln: Oahu (in herb. 
Godet von Pamplin). Lu Tschu Inseln (Wright, herb. of the U. 
S. Pacifie Exploring Expedit. 1855—56, in herb. Hooker). 

M. cerenulata var. incurva A. Br. in Kuhn Fil. Afric. p. 198; 
M. difjusa v. incurva Monatsb. 1863, S. 410; M. Senegalensis A. 
Br. in Flora 1839, S. 300. Senegambien (Perrottet). Weicht von 
der gewöhnlichen Form durch den vorwärts gekrümmten Fruchtstiel 
und die dadurch nickende, kürzere und mehr abgerundete, oft ein- 
seitig geschwollene Frucht, kürzere Zähne, sowie durch härtere, 
stark blaugraue (stark gekerbte) Blätter ab. 


10. M. cornuta. M. diffusa var. cornuta A. Br. in Kuhn 
Fil. Afrie. (1868) p. 199. — Angola, im Distrikte Mossamedes, 
häufig in wenig tiefen Pfützen, auf sandigem Boden, längs des Ufers 
des Flufses Bero, fruchttragend im Juli 1859 von Dr. Welwitsch 
(It. Angol. No. 173) gesammelt. Eine wahrscheinlich derselben 
Art angehörige sterile, grofsblättrige Form in demselben Distrikte 
in Seen an der Mündung des Flufses Giraul (Welw. It. Angol. 
No. 174). — Gleicht zwar in der Tracht der M. diffusa, steht aber 
in mancher Beziehung der M. crenulata näher. Die Landform (173) 
langkriechend, kleinblättrig. Die Blätter etwas glaucescent, kahl, 
der hochgerundete Stirnrand derselben meist mit mehreren schwachen 
Kerben. Meist 2 Früchte nahe beisammen am Grunde des Blattstiels. 
Fruchtstiel so lang als die Frucht, selten etwas länger, aufwärts 
gekrümmt. Die Frucht horizontal, 4 Mm. lang, 24—3 breit (ver- 
hältnifsmäfsig länger als bei M. diffusa und cerenulala), reif fast 
kahl und ziemlich dunkelbraun mit sehr deutlich hervortretenden 
schwarzen Ringspalten. Der obere Zahn der Frucht hornartig ver- 
längert, doppelt-so lang als der untere (fast 1 Mm. lang), gerade 
aufgerichtet. Die Fruchthaare weniger dicht anliegend und länger 
gezogen, als es gewöhnlich bei M. diffusa der Fall ist, an allen 
Zellen stark, aber locker warzig. Sori jederseits 5—6. Die sterile 
Pflanze (174) hat einen scheinbar anderen, büscheligen Wuchs, aber 
es sind diese Büschel ohne Zweifel Zweige eines absterbenden krie- 
chenden Hauptsprofses. Die Blätter sind von bedeutender Gröfse, 
srölser als bei gewöhnlicher MM. quadrifoliata, die Blättchen 20— 
25 Mm, lang, 15—20 breit, der Stirnrand meist hoch gewölbt, mit 


vom 11. August 1870. 229 


10—15 sehr ungleichen zum Theil spitzen Zähnen, denen mancher 
Formen von M. erosa ähnlich. 


11. M. erosa willd. Sp. pl. V (1810) p. 540 et herb. no. 
20255; A. Br. in Flora 1838, S. 300; Monatsb. 1863, 8. 419; M. 
quadrifolia floribus umbellatis Klein in herb. Willd.; M. quadrifolia 
Burn, Bl. ind. (17167) p.297 ex p.; Roxb. Fl. ind. IV (in Car 
cutta Journ. IV) p. 7'); M. dentata Roxb. mspt. in herb. Mus. 
Brit.; M. minuta L. mant. II (1771) p. 308 excl. var. £. — Die 
häufigste Art in Ostindien, daselbst die Stelle der nahe verwandten 
M. difusa vertretend, von der sie sich durch meist gekerbten Blätt- 
chen, kürzere Fruchtstiele, die am Grunde oft etwas zusammen- 
hängen, durch etwas berandete und mehr oder weniger deutlich 
gerippte Früchte mit längerem oberen Zahn unterscheidet; doch giebt 
es Formen, bei welchen diese Charactere schwankend sind. Den 
verlassenen Linne’schen Namen ziehe ich nicht wieder hervor, da 
Linne zwei ganz verschiedene Arten vermischt hat und sein Name 
gerade für diese Art, welche zu den mittelgrofsen gehört, nicht 
passend ist. — Vorderindien: Tranquebar (Klein in herb. W.); 
Pondichery (Perrottet, No. 611 Normalform, 612 kleinblättrige Form); 
Madras (Wright); Lahore (Hook. et Thoms.); Calcutta (Wichura, 
grolsblättrige Form mit tief eingeschnittenem Stirnrand) ete. Cey- 
lon (Thwaites No. 1422 fructifieirend, No. 3051 steril mit ganzran- 
digen Blättchen). Hinterindien: Assam (Hook. et Thoms., gröfsere 
sterile Form mit ganzrandigen Blättchen, sehr ähnlich M. quadri- 
folia, und Jenkins, kleinblättrige sterile Form, beide zweifelhaft). 
Als Abarten unterscheide ich: 

M. erosa var. Zollingeri (als M. crenata var. im Monatsb. von 
1863 erwähnt), von Zollinger 1854 steril und 1855 mit Frucht 
(No. 3591) bei Bogor .auf Java gesammelt. Die Blättchen der 
Landform sind (ebenso wie die der sterilen Wasserform) ganzran- 
dig, schmal und kurz unter dem Stirnrand plötzlich breiter wer- 
-dend, wodurch sie eine eigenthümlich spathelförmige Gestalt er- 
halten. Die Früchte sind etwas kleiner als bei der Normalform, 
3 Mm. lang, 2 Mm. breit, deutlich berandet, aber undeutlich gerippt. 


!) M. quadrifolia Don Fl. Nep. p. 19 gehört wohl auch hieher, aber 
ich habe von Wallich in Nepal gesammelte Exemplare nicht gesehen, 


730 Gesammtsitzung 


M. erosa var. ambigua. Eine von Belanger bei Pondichery 
gesammelte Form, bei welcher die Rippen der Frucht ganz ver- 
schwunden, aber die Berandung noch bemerkbar ist. Die Frucht 
ist fast 4 Mm. lang, fast 3 Mm. breit und etwas abwärts geneigt, 
fast wie bei M. crenulata var. incurva, der sie sehr nahe steht. 
Der Fruchtstiel 14 mal so lang als die Frucht. 


12. M. brachycarpa A. Br. Monatsb. 1863, S. 420. Eine 
kleine, sehr zierliche Art, die sich zunächst an die kleinblättrigen 
und kleinfrüchtigen Formen der M. erosa anschliefst. Der früher 
gegebenen Beschreibung füge ich noch bei, dafs die Haare der 
(jüngeren) Frucht kurz und anliegend sind, aus 2—4 Zellen ge- 
bildet, die dicht mit Warzen besetzt sind. Eine ins Wasser ge- 
brachte Frucht entleerte 13 Macrosporen von 0,85—0,90 Mm. Länge 
und 0,55 Mm. Dicke, die leider nicht keimten. — Pegu (Me. Clel- 
land in Hook. et Thoms. herb. Ind. or... Wahrscheinlich gehört 
hierher auch eine von Jacquemont in der Provinz Gurwal im Thale 
Doon (Deyrah-Dun) gesammelte Form mit noch sehr jungen Früch- 
ten (No. 385 in herb. Mus. Par.). 


13. M. brachypus A. Br. Monatsb. 1863, S. 421. Auch 
diese Art ist mit M. erosa sehr nahe verwandt, durch stärkere 
röthliche Behaarung aller jüngeren Theile, besonders der Frucht, 
etwas kürzeren Fruchtstiel, gröfsere, nicht deutlich berandete 
Früchte von ihr abweichend. Die Haare der Frucht sind weniger 
hinfällig, bedecken die Frucht zottig, den unteren Rand weit über- 
ragend; sie sind lang und schmal ausgezogen, 6—8zellig, an den 
Scheidewänden knotig verdickt, mit starken, locker gestellten Wärz- 
chen bedeckt. — Vorderindien: Neilgherries (Wight No. 310). 
Ufer des Sutletsch (Hook. et Thoms. 1846, eine durch ungerippte 
Frucht abweichende, der folgenden sich anschliefsenden Form). 


14. M. gracilenta A. Br. Monatsb. 1863, 8.421. Viel- 
leicht nur eine Abart der vorigen. Die Haare der Frucht fand 
ich 3—5zellig, an den Gelenken nicht knotig, mit kleineren Wärz- 
chen besetzt. — Vorderindien: Concan (Stocks in Hook. et Thoms, 
herb. Ind. or. 397). 


vom 11. August 1870. 731 


Gruppe der M. pubescens. 


15. M. pubescens Tenore FI. Neap. prodr. suppl. I, p. 70; 
App. I ad catal. h. Neap. ed. II (1819), p. 67; Fl. Neap. IV, p. 
140 et V, p. 309, t. 250; A. Br. in Explor. scient. d’Alger. t. 38; 
Monatsb. 1863, p. 431; Gren. et Godr. Fl. de France Ill. p. 647; 
M. Fabri Dunal in Ann. d. sc. nat. VI 1836) p. 345: NIl 22% 
tab. 12 et 13; IX, p. 115, tab. 13; X, p- 378; M. quadrifolia Dest. 
Fl. Atl. II, p. 409; Moris, Stirp. Sard. Elench. Fase. I; M. strigosa 
«. planta Europaea Milde Fil. Eur. (1867) p- 295. — Neapel: In 
der Basilicata „Bosco di S. Leonardo tra Taranto e Pistini“ (Te- 
nore); Sardinien: Ozieri (Moris); Pula (Müller in herb. un. itin.); 
Sassari (Gennari). Languedoc: Roque Haute zwischen Agde und 
Bezieres') (Fabre, Dr. Wunderly). Algerien: Oran (Durieu, Ba- 
lansa No. 211); Koleah bei Bou Ismaöl (Durando); Chaiba (Clau- 
son in herb. Coss.). Tanger (herb. Cosson, steril). 


16. M. strigosa Willa. Sp. pl. V (1810) p. 539; herb. no. 
20254; Ledeb. Fl. Ross. IV, p. 494; A. Br. Monatsb. 1863, 8. 430; 
M. strigosa 2. planta Rossica Milde Fil. Eur. p. 295. — Die Un- 
terschiede von der vorigen Art, nämlich ein noch kürzerer Frucht- 
stiel, eine hellergefärbte, weniger hartschalige Frucht mit anliegenden, 
kürzeren, stärker und dichter warzigen Haaren, sind sehr gering; 
dennoch nehme ich Anstand beide zu vereinigen, da in der Tracht 
eine Verschiedenheit statt zu finden scheint. Niemals sah ich bei 
M. strigosa die für M. pubescens so charakteristischen langen Dop- 
pelreihen dicht aneinander gedrängter Früchte. Hoffentlich wird 
die Cultur beider Arten unter gleichen Verhältnissen Gelegenheit 
zur Prüfung der Frage nach ihrer Verschiedenheit geben. — Im 
südlichen Rufsland: Sarepta (Fischer, Veesenmeyer, Becker pl. 
Wolgae infer. No. 158); am Flufs Achtupa (Steven in herb. Ber.); 
bei Lenkoran (C. A. Meyer); in der Songarei an den Flüssen 
Ischim (Schrenk) und Ters Akkan (Schrenk u. Ruprecht in herb. 
Berol.). 

!) Über die eigenthümliche Flora dieser merkwürdigen Localität, an 
welcher mehrere andere Pflanzen ihren einzigen Standpunkt in Frankreich 
haben (Pitularia minuta, Riella Gallica, Elatine Fabri, Damasonium polysper- 
mum, Ranunculus lateriflorus), vergl. Duval-Jouve im Bull. de la soe. bot. 
de France 1869, p. 210. 

[1870] 50 


732 Gesammtsitzung 


Gruppe der M. hirsuta. 


(Australische Arten mit kurzgestielter Frucht und höckerlosen 
Hautzellen der Blätter.) 


17. M. angustifola R. Br. Prodr. Fl. Nov. Holl. ed. I. 
p. (167) 23. Von kräftigem Wuchse und ansehnlicher Gröfse. 
Blättchen fast kahl, lanzetförmig (seltener schmal keilförmig), ab- 
gestutzt, der Stirnrand meist gezahnt oder eingeschnitten. Frucht 
am Grunde des Blattstiels kurzgestielt (Stiel halb so lang bis gleich- 
lang, aufsteigend), fast horizontal, länglich (7 Mm. lang, 5 Mm.) 
breit), Rückenseite schwach auswärts gebogen, Bauchkante schwach 
ausgefurcht, Seitenwände ziemlich stark gewölbt, undeutlich gerippt. 
Raphe ziemlich lang mit einem stumpfen Zahn endigend; oberer 
Zahn unmerklich. »Sori jederseits ungefähr 3. Ringspalten deut- 
lich. Haare der Frucht angedrückt, dunkelbraun, glatt! Hautzellen 
der Blätter ohne Höcker und fast ohne Buchten. — Nord-Austra- 
lien: Carpentaria Golf (R. Brown); Baines Creek am Victoria 
River (Ferd. v. Müller in herb. Melb. et Hook.). 


ES. M. exarata. M. hirsuta microphylla A. Br. in herb. 
Hook. Langkriechend mit büscheligen Zweigen und kleinen der- 
ben Blättern. DBlättchen stark und glänzend behaart, breit keilför- 
mig, mit gerundeter ganzrandiger Stirn. Frucht sehr kurz gestielt 
(Stiel L— 4% so lang, aufwärts gekrümmt), aufsteigend, länglich (34 
— 4 Mm. lang, 3 Mm. breit) mit eingebogener Rückenseite und 
stark ausgebogener, ausgefurchter Bauchkante, stark gewölbten und 
breitgerippten Seitenwänden. Raphe kurz, mit dem Stiel eine 
starke Krümmung bildend. Zwei fast gleiche, stumpfe Zähne. 
Sori jederseits 5. Ringspalten deutlich. Haardecke der Frucht 
dicht, glänzend rothbraun; die Haare langgestreckt, an der ersten 
Zelle schwächer, an den folgenden stärker warzig. Hautzellen der 
Blätter ohne Höcker, stark gebuchtet. — Östaustralien: Queensland, 
am Brisbane River (F. v. Müller 1855 in herb. Hook.). 


419. M. hirsuta R. Brown. Prodr. Fl. Nor. Holl. (1810) 
p- (167) 23. Von mittlerer Gröfse. Blätter mehr oder weniger 
stark behaart, Blättchen meist breitkeilförmig, an der Stirn gerun- 
det, ganzrandig, selten etwas gekerbt. Frucht kurz gestielt (Stiel 
4+— 4 so lang, aufrecht), horizontal, wenig länger als breit (3—44 


vom 11. August 1870. 133 


Mm. lang, 23— 34} breit')); die Rückenseite schwach eingebogen 
oder fast geradlinig; die Bauchkante sehr stark ausgebogen, in der 
Mitte fast winkelartig vortretend, nicht ausgefurcht; Seitenwände 
ziemlich flach, ohne deutliche Rippen. Raphe lang. Zwei fast 
gleiche stumpfe Zähne. Sori jederseits 5—6. Ringspalten deut- 
lieh. Haardecke der Frucht dicht, glänzend röthlich; die Haare 
etwas abstehend, lang ausgezogen, von der 2. oder 3. Zelle an 
schwach warzig. Hautzellen der Blätter ohne Höcker, stark ge- 
buchtet. (Die Eigenthümlichkeiten der Keimpflanzen vergl. 8. 667.) 
— Scheint über einen grofsen Theil von Neu-Holland verbreitet 
zu sein. R. Brown giebt Port Jackson und die Nordküste an; die 
Exemplare seines Herbariums (die ich nicht selbst sah) sind von 
Broad Sound und Carpentaria Golf. Ich untersuchte fertile Exem- 
plare aus Neu-Südwales (F. v. Müller ohne nähere Angabe), Bris- 
bane (Früchte mitgetheilt von Durieu), Carisbrook (F. v. Müller 
in herb. Melb., kleinfrüchtige Form), Yarra Yarra (F. v. Müller), 
ferner von Macd. Stuarts Expedition (1862) ohne nähere Angabe 
des Fundorts (grofsfrüchtige Form, mitgetheilt, von F. v. Müller). 
Eine abweichende Form mit schmäler spatelförmigen Blättchen, 
nebst breitblätteriger Wasserform, von Baines Creek am Victoria 
River in Arnheemsland (F. v. Müller 1856) ist wegen unreifer 
Frucht nicht ganz sicher bestimmbar; andere zweifelhaft hierher- 
gehörige Formen von Dooroodoo (Dr. Beckler 1860, mit sehr 
weilshaarigen und gekerbten Blättchen), Lake Alexandrinae de 
Müller 1848), Gulong und Holdfafsbay (Mus. Melb.) habe ich nur 
steril gesehen. Ich überlasse es den australischen Botanikern, die 
mir zum Theil unbekannten Fundorte besser zu ordnen und die 


. mannigfaltigen Formen dieser Art weiter zu erforschen. 


!) Die Exemplare von verschiedenen Localitäten zeigten einige Ver- 
schiedenheiten in der Gröfse der Frucht. Die kleinsten Früchte (3— 34 lang) 
zeigten die von Carisbrook, Mittelgröfse die von Yarra und Brisbane, unge- 
wöhnliche Gröfse die von Stuart’s Expedition (5—54 und fast 6 Mm. Länge 
und fast 5 Breite). 


134 Gesammtsitzung 


Gruppe der M. Drummondii. 


(Australische Arten mit lang-gestielten Früchten und Höckern 
auf den Hautzellen der Blätter.) 


20. M. Howittiana'). Ich gebe von dieser und den fol- 
genden neu aufgestellten Arten keine Diagnosen, da sie in dem 
oben gegebenen Schlüssel ausreichend charakterisirt sind. Nur 
einige ergänzende Bemerkungen füge ich bei. Die Kenntnifs die- 
ser Art gründet sich auf ein einziges Exemplar, das ich Hrn. Wil- 
helmi verdanke, der es von Dr. Murray, dem Begleiter der Ho- 
witt’schen Expedition zur Aufsuchung Burke’s (1861) mit der Be- 
zeichnung: „Road to Coopers Creek“ erhalten. Es stellt eine ver- 
kleinerte M. Nardu (Drummondü orientalis) dar. Die Blätter sind 
ganzrandig und stark behaart, wie bei dieser. Die horizontale 
Frucht ist 4 Mm. lang, 3 breit, mit dichter, glänzend braunrother 
Haardecke. Der Fruchtstiel 10 Mm. lang. Die nur auf der Ober- 
fläche des Blattes vorhandenen Höcker der Hautzellen sind weniger 
scharf umschrieben als bei den folgenden Arten und dicht. 


21. M. sericea. M. Drummondi «. minor A. Br. in Linnaea 
XXV (1852) p. 221; M. erosa var. sericea Ferd. v. Müller in herb. 
Sonder. — Dombey Bay in Südaustralien, gesammelt von Wilhelmi 
(F. v. Müller in herb. Sonder); Onkaparinga-Flufs (F. v. Müller 
1851 in herb. Mus. Melb.).”) — Die kleinste unter den Ver- 
wandten, von der vorigen durch die kleineren, derberen, dich- 
ter seidenartig behaarten, am Stirnrand gekerbten Blätter ab- 
weichend. Die Frucht stimmt in Gröfse und Behaarung mit der 
der vorigen, sie ist 4—5 Mm. lang, 3 bis fast 4 breit, hat unge- 

1) Ich führe alle dieser Abtheilung angehörigen Formen hier vorläufig 
gesondert auf, ohne über ihren specifischen Werth entscheiden zu wollen. 
- Reichlichere Einsammlung fructificirender Exemplare an _ möglichst vielen 
Fundorten, sowie fortgesetzte Beobachtung derselben im cultivirten Zustande, 
werden später ein bestimmtes Urtheil darüber erlauben, ob alle diese Formen 
so innig zusammenhängen, dafs sie als Abarten einer Species betrachtet wer- 
den müssen, oder ob sich dieselben in mehrere unterscheidbare Arten 
gruppiren lassen. 

2) Wohl beides derselbe Fundort, wie ich nach der völligen Überein- 


stimmung der Exemplare vermuthe. 


vom 11. August 1870. 739 


fähr 6 Sori auf jeder Seite. Fruchtstiel fast 3 mal so lang. Die 
Haare der Frucht an den oberen Zellen sehr stark warzig. 


22. M. Müllerı A. Br. in Linnaea 1. e. p. 721. M. erosa 
F. v. Müller in herb. Sond. et nostro. Nachdem ich Exemplare 
von mehreren Fundorten und unter diesen auch fruchttragende ge- 
sehen, mufs ich die früher (Monatsb. 1863, 427) versuchte Ver- 
bindung dieser Art mit AM. salvatrix wieder aufgeben. Durch die 
kleinen Früchte (5—52 Mm. lang, 4—41 breit) schliefst sie sich 
den beiden vorigen an, und ist im fructificirenden Zustande fast so 
kleinblättrig, wie die vorige. Die Behaarung ist lockerer, die Blätt- 
chen der kleineren Form sind einfach oder doppelt ausgeschnitten, 
die der grölseren (fast ganz kahlen, sterilen) zeigen zahlreichere 
(5—6) durch tiefere Einschnitte gesonderte Läppchen am Stirnrand, 
welche meist selbst wieder in 2—3 Zähne getheilt sind. Die 
Höcker der Hautzellen sind ausgehöhlt. — Süd-Australien: Nel- 
sabe (F. v. Müll. mit Frucht); Flinders Ranges (F. v. Müll. eben- 
so); St. Vincents Golf (F. v. Müll. 1850, schwächliche Sumpfform 
hier und da mit Interstitialstreifen); an den Seen um Port Lincoln 
am Spencer Golf gesammelt von Wilhelmi (F. v. Müll., gröfsere 
und kleinere sterile Formen). Am See diesseits Bacchus March 
(F. v. Müller 1853, kleine Landform). 


23. M. macra A. Br. Ind. sem. hort. Berol. 1367, appd. 
p- 3. Im bot. Garten aus von Dr. F. v. Müller erhaltenen Früch- 
ten erzogen, welche wahrscheinlich in den Darling Downs gesam- 
melt sind (vergl. oben S. 663). Wild gesammelte fruchttragende 
Exemplare sind nicht bekannt, aber ein steriles Exemplar vom 
Light River neben den Bergen Barossa Range (F. v. Müll. 1848) 
gehört wahrscheinlich hierher. — Auch diese Art schliefst sich 
durch die kleineren fast horizontalen Früchte an die vorausgehen- 
den an, ist aber durch eine leichte Ausfurchung der Bauchkante 
der Frucht ausgezeichnet. Die Rückenkante der Frucht ist oft et- 
was eingebogen, wie bei M. hirsuta. Die wild gesammelten Früchte 
sind 44—5 Mm. lang, 34 — 4 breit; die cultivirten erreichen mit- 
unter 6 Mm. Länge. Sori jederseits 6—7. Der Fruchtstiel ist 2-., 
höchstens 3mal so lang als die Frucht. Die Behaarung ist an 
allen Theilen schwächer und weniger bemerkbar als bei den vori- 
gen. Die Haare der Blätter zeichnen sich durch eine sehr breite 


736 Gesammtsitzung 


erste Zelle und eine plötzliche Verschmälerung über derselben aus, 


sie sind an allen Zellen locker warzig, wie bei den vorhergehen- | 


den. Die Haare der Frucht sind fester anliegend und weniger be- 
ständig. Die Landblätter haben mit Höckern besetzte Hautzellen 
auf beiden Flächen, die Schwimmblätter uur auf der Oberfläche 


(vgl. S. 668, 691). 


=4. M. oxaloides. An der Westküste Neuhollands am 
Swan River von Drummond gefunden, welcher die ersten sterilen 


Exemplare mit der Bezeichnung „Oxalis an Hooker sendete. BR 


Fruchttragende Exemplare vom Jahre 1848 tragen die Nummer 
398 (herb. Hook.) oder 398B (herb. Boiss.). Sie ist grolsblättrig, 
die Blätter ganzrandig, die Behaarung sparsam, weich und glanz- 
los, bei einer gröfseren Sumpfform fast ganz fehlend. Die Haare 
der Blätter weichen von denen aller anderen Arten dieser Gruppe 
dadurch ab, dafs sie an den Gelenken eingezogen sind und aus 
dünnwandigen (schwach und locker warzigen) Zellen bestehen. _ 
Die Frucht ist 741—8 Mm. lang, 553—6 breit, stark zusammenge- 
drückt, an der Bauch- und Rückenkante schärfer als bei allen Ver- 
wandten, schwach geneigt oder völlig aufrecht. Die Haare der 
Frucht straff anliegend, aus meist 4 sehr diekwandigen Zellen, nach 
der Spitze zu warzig. 


23. M. hirsutissima. Im Innern Australiens: Wills Creek 
(Dr. Murray auf Howitts Expedition 1861), auch auf M’Douall 
Stuarts Expedition (1862) gesammelt und von Dr. F. v. Müller 
mitgetheilt. — Gleicht in der Gestalt und Richtung der Frucht der 
vorigen, aber die Bauchkante derselben ist abgeflacht. Länge der 
Frucht 54— 71 Mm., Breite 44—5. Fruchtstiel doppelt so lang 
als die Frucht. Die Blättchen sind stark gekerbt. Die Behaarung 
aller Theile ist sehr stark und auffallend. Die Haare der Frucht 
sehr lang, etwas kraus und abstehend, sehr schmal und lang aus- 
gezogen, aus 6—7 Zellen, die von der zweiten an warzig sind. 


26. M. Nardu. M. Drummondii orientalis im Vorherge- 
henden (S. 162, 193 ete.). M. Drummondü A. Br. in Linnaea XXV 
(1852) p. 721 ex part. (quoad var. megalophyllam?); Monatsb. 1863 
S. 426 (ex part.); Ind. sem. hort. Berol. 1867, app. p. 2; M. macro- 
pus Hook. Ie. pl. X (1854) ex part. (quoad plant. ad fluv. Lachlan 


vom 11. August 1870. 737 


lectam); Garden Ferns (1862) t. 65! M. hürsuta (quadrifolia var.) 
F. v. Müller in herb. (non R. Br.); M. serices Kunze herb. — Da 
ich mich überzeugt habe, dafs die seit 8 Jahren in den bot. Gär- 
ten cultivirte ostaustralische Pflanze, ungeachtet bedeutender Ähn- 
lichkeit, doch nicht identisch ist mit der von Drunmmmond in West- 
australien entdeckten Art, so ist eine neue Benennung für die er- 
stere nöthig, auch wenn man sie nur als Abart betrachten will. 
Ich wähle dazu den Namen, den die Eingeborenen den zur Brot- 
bereitung benutzten Arten geben, da die Art, um die es sich han- 
delt, ohne Zweifel die vorzüglichste unter den Nardu-Pflanzen ist, 
indem sie eine minder harte Fruchtschale besitzt als M. salvatrix und 
elata (vergl. Monatsb. 1863, S. 415). Besonders charakteristisch 
für diese Art sind die schief aufgerichteten, von unten nach oben 
schief abgeschnittenen Früchte, die dicker sind als bei den Ver- 
wandten, an der Bauchkante etwas abgeflacht, aber nicht ausge- 
furcht. Sie hat unter allen Verwandten den gedrungensten Wuchs 
und die grölste Fruchtbarkeit. — Ostaustralien wahrscheinlich bis 
weit ins Innere. Der von Hooker ]l. ec. angegebene Fundort Lach- 
lan River und Liverpoolplains (All. Cunningham) gehört wahr- 
scheinlich hierher, sicher die Exemplare in Hooker’s Herbar mit 
der Bezeichnung „Eastern subtropical Newholland (Mitchell)“. Fer- 
ner sah ich unzweifelhafte Exemplare von den Darling Downs 
(Darlachy et Goodwin) in der von Dr. v. Müller zur Ansicht mit- 
getheilten Sammlung. | 

M. Nardu var? megalophylla (M. Drummondiü y. megalophylla 
A. Br. in Linnaea XXV. p. 221) von Dombey Bay (F. v. Müller 
1851) und Spencers Golf (F. v. Müll. in herb. Melb.) unterscheidet 
sich durch auf beiden Seiten mit höckertragenden Hautzellen ver- 
sehene Blätter von ausgezeichneter Gröfse. Die Blättchen sind 
235 —25 Mm. lang, 25 —28 breit, dabei beiderseits stark behaart, 
ein Zeichen, dafs es keine Schwimmblätter sind. Des Fundorts 
wegen ziehe ich sie lieber hierher als zu NM. elata, zumal die cul- 
tivirte M. Nardu mitunter (an den falschen Schwimmblättern) 
gleichfalls auf der Unterseite höckerige Blätter zeigt. Ohne Früchte 
ist eine Entscheidung nicht möglich. 


27. M. Drummondı A. Br. in Linnaea XXV. (1852) 
p. 221 (ex part.); Monatsb. 1863, 5. 426 (ex part.); M. Drummon- 
di ‚occidentalis im Vorhergehenden (S. 690 etc.); M. macropus Hoo- 


138 (Fesammtsitzung 


ker Ic. pl. X. (1854) t. 909! (Cent. of ferns t. I!) mit Ausschlufs 
des Fundorts „Lachlan River ete.* Unterscheidet sich von der 
vorigen, mit der sie in der Form und Richtung der Frucht, so 
wie in der Länge des Fruchtstiels übereinstimmt, durch gekerbte 
Blätter mit schwächeren (soliden) Höckern auf den Hautzellen der 
Oberfläche und mit völlig glatten Haaren. Auch die Haare der 
Frucht, welche 5 — 6 zellig und sehr lang und schmal ausgezogen 
sind, sind beinahe glatt (an den letztern Zellen sehr fein punktirt). 


28. M. salvatrıx Hanstein, Monatsb. 1863, p. 103, 105 ce. 
tab.'); A. Br. ibid. p. 415. 427; Ind. sem. h. Ber. 1867, app. p. 3.— 
Die Früchte, aus welchen die seit 1863 eultivirte Pflanze erzogen 
wurde, sind vom Coopers Creek im Innern Australiens (unter 27° 
südl. Breite und 140 östl. Länge), der Gegend in welcher Burke, 
nach glücklich vollendeter Reise durchs Innere, auf der Rückkehr 
vom Carpentaria-Golf im Juni 1861 sein Leben endete; sie stammen 
wahrscheinlich von Howitts Expedition und wurden mir 1862 von 
Herrn Osborne überbracht. Getrocknete Exemplare derselben Pflanze 
vom Coopers Creek und Wills Creek, gesammelt von Dr. Murray 
und Howitt, verdanke ich Dr. F. v. Müller und Hrn. Wilhelmi. 
Zweifelhaft rechne ich hierher sterile Exemplare gesammelt von 
Dr. Wheeles „between Stockes Range and Coopers Creek (herb. 
Mus. Melb.). — Auszeichnend für diese Art sind die gekerbten 
Blättchen mit welligen Rändern, der leicht gebogene Fruchtstiel, die 
weniger schiefe und stärker zusammengedrückte Frucht. Sie 
gehört zu den ansehnlichsten der Gattung, ist auch im trocke- 
nen Land stärker kriechend als M. Nardu, die Blattstiele sehr 
gestreckt und biegsam (vergl. S. 679). Die Blätter färben sich 
im Spätjahr dunkelbraun (vergl. 8. 693) °); die Fruchtstiele sind 


!) Die von Hanstein unter Fig. 1. dargestellten Früchte zeigen eine den 
später erhaltenen und hier gezogenen Früchten ungewöhnliche Einbiegung des 
Rückens, die kleine Frucht (c) gehört schwerlich derselben Art an. Die 
Kahlheit der Frucht, welche Hanstein in die Diagnose aufgenommen hat, ist 
Folge der Abreibung (vgl. S. 710). 

?) In dem von Wills, dem unglücklichen Begleiter Burke’s, bis zum Ende 
seines Lebens geführten Tagebuche findet sich die Angabe, dafs er an einigen 
Stellen (des Cooper Creek) die Erde ganz schwarz mit Nardu bedeckt ge- 
funden habe. Dies bezieht sich ohne Zweifel auf die Farbe der Blätter. 


vom 11. August 1870. 139 


34—4 mal so lang als die Frucht und nach oben zu leicht ge- 
bogen; die Frucht geneigt, stärker zusammengedrückt, an der 
Spitze gleichmäfsiger gerundet als bei M. Nardu, 6—9, bei cultiv. 
Exempl. 7”—10 Mm. lang, 414—54 (cultiv. 3—6) Mm. breit, deut- 
lich gerippt; Sori jederseits 8—10, zuweilen selbst bis 12. 
Die Haare der Frucht sind anliegender und dunkler gefärbt als 
bei M. Nardu, von derdritten Zelle an deutlicher warzig als bei 
M. Drummondü. 


29. M. elata A. Br. Ind. sem. 1867, app. p. 3. — Wilde 
Exemplare sind von dieser Art nicht bekannt; die seit 1864 cul- 
tivirte Pflanze ist aus Früchten von M° Kinlay’s Expedition erzo- 
gen, die mir von Dr. F. v. Müller mit der Angabe „Northern 
Australia* mitgetheilt wurden. Wahrscheinlich sind sie aus der 
Gegend des Lake Blanche, südlicher als Cooper’s Creek. Von 
dieser Gegend wird in M° Kinlay’s Journal unter dem 10. Januar 
1862 (p. 41) angegeben, dafs die hauptsächliche Nahrung der Ein- 
geborenen in Fischen und „Addo* (dem Nardu Burke’s) bestehe. — 
Die sehr langgestielten aufrechten Früchte mit ausgefurchter Bauch- 
kante und die beiderseits mit Höckerchen besetzten Blätter lassen 
diese Art sicher erkennen. In Beziehung auf Gröfse und beson- 
ders Länge der Frucht ist sie sehr veränderlich (vergl. S. 700), 
ebenso in der Länge der Fruchtstiele (S. 695), die bei dieser Art 
ihr Maximum erreicht. Die Blättehen sind bei der Normalform 
ganzrandig; eine Form mit gekerbten Blättchen, die bei den wie- 
derholten Aussaaten öfters vorkam, kann als var. crenata unter- 
schieden werden. 


Gruppe der M. mucronata. 


30. M. vıllosa Kaulf. Enum. Fil. (1824) p. 272; A. Br. 
Monatsb. (1863) S. 425; Horace Mann, Hawaian plants (Proceed. 
of the Amer. Acad. VII) p. 222; M. quadrifolia Kaulf. 1. c. p. 271; 
Gaudich. in Freyc. Voyage p. 406. — Sandwichs-Inseln: Oahu 
(v. Chamisso, Gaudichaud, Remy, Eschscholtz, Mann). Eine aus- 
gezeichnete Art! Der Name bezieht sich weniger auf die Blätter 
als auf die Stengelspitzen, die mit einem dichten röthlichen Filz 
bedeckt sind, in welchem sich die gleichfalls dicht behaarten 


kurz gestielten Früchte verbergen. Der Fruchtstiel ist ungefähr & 


40 Gesammtsitzung 


so lang als die Frucht, welche stark zusammengedrückt und etwas 
einseitig gewölbt ist, wie bei M. pubescens. Sori jederseits 7. 


31. M. tenurfolia Engelm. in lit. 1847; A. Br. Monatsb. 
18635, S. 425. — Im westlichen Texas: bei Friedrichsburg an Was- 
serpfützen im sandigen Eichenwalde (Postoak, Quercus obtusiloba) 
am Pierdenales (F. Lindheimer 1847, Fl. Tex. exsicc. Fasc. IV, 
No. 745). Im östlichen Texas ohne nähere Angabe (Ch. Wright, 
Coll. du Texas or. 1848—49. Herb. Godet.) — Eine der australi- 
schen M. angustifolia analoge Art, aber, abgesehen von der wesent- 
lich verschiedenen Fruchtbildung, weit zarter, dünnstieliger und 
kleinblättriger. Die gröfsten Blätter, die ich sah, haben Blättchen 
von 20 Mm. Länge und 5 Mm. Breite; bei 15 Mm. Länge beträgt 
die Breite 14—2; die kleinsten Blättchen haben 5 Mm. Länge und 
kaum 1 Mm. Breite. Der Stirnrand der Blättchen ist schief abge- 
schnitten meist mit einigen (3—6) Zähnen. Die Frucht hat grolse 
Ähnlichkeit mit der von M. mucronata; sie ist 6—8 Mm. lang, 
4,—5 breit, reif horizontal, in der Jugend auf den Stiel zurück 
gelegt. Der obere Zahn ist gerade oder schwach rückwärts ge- 
bogen und nicht immer länger als der untere. Die Haare der 
Frucht sind angedrückt, breit, meist dreizellig, mit ungewöhnlich 
starken Warzen besetzt. Die sparsamen Haare der Blätter sind 
gleichfalls anliegend und kurz, aber etwas schmäler und schwächer 
warzig. Die Schwimmblätter sind leider unbekannt. Möchten wir 
doch Gelegenheit erhalten, diese eigenthümliche Art zu cultiviren! 


32. M. mucronata A.Br. in Sillim. Am. Journ. Ser. I, 
vol. III (1847) p. 55; Monatsb. 1863, S. 423; M. vestita 'Torr. Cat. 
of Nicollet’s Exped. app. p. 165 (non Hook. et Grev.); J/. quadri- 
Jolia Ward in herb. t. Engelm. — Minesota, auf der Hochebene 
zwischen Missouri und Mississippi in der Nähe des Shienne-Flusses 
und des Devils- Sees auf Nicollet’s Expedition entdeckt von Ch. 
Geyer 1839. Als zweifelhaft zu dieser Art gehörig führe ich an: 
eine sterile Form von Michaux aus Illinois („ad amnem Kaskas- 
kia* herb. de Franquev.); ferner Exemplare von Athens in Illinois 
(Elihu Hall 1862, mit unentwickelter Frucht); endlich eine lang- 
kriechende sterile Form von Neu Orleans (P. Häuser 1868). Als 
abweichende Form dieser Art betrachte ich: 


vom 11. August 1870. 741 


M. brevipes Nutt. in herb. Hook, aus Arkansas. Die Frucht 
ist kürzer als bei der Normalform, kaum 5 Mm. lang, 4 Mm. breit; 
der obere Zahn gerade aufgerichtet und doppelt so lang als der 
untere. Der Fruchtstiel kaum so lang als die Frucht. Die Haare 
der Frucht dicht anliegend. Die Blätter schwach behaart. Mit 
dieser stimmen auch von dem Capitain Le Conte (in Georgien?) 
gesammelte Exemplare im Pariser Museum überein, so wie eines 
aus Texas von Drummond gesammelt (herb. Fee). Eine sehr 
kleine Form, die sich gleichfalls hier am besten anzuschliefsen 
scheint, habe ich vorläufig als M. mucronata var. antrorsa bezeich- 
net. Sie ist von Ch. Wright auf der Expedition von West-Texas 
nach El Paso in Neu-Mexico (Mai — Oct. 1849), wahrscheinlich 
bei San Elceario am Rio Grande in W. Texas (wie Torrey im 
Rep. on the U. St. and Mex. Boand. Survey 1859, vol. II, p. 236, 
jedoch mit Citirung einer nicht hierher gehörigen Nummer, an- 
giebt) gesammelt und ‚unter der Nummer 811 vertheilt worden. 
Die äulserst kleinen Blätter (die Blättchen nur 3—5 Mm. lang!) 
sind grau, aber kahl. Die kleine, aber dick geschwollene Frucht 
nur 4 Mm. lang und fast ebenso breit, mit anliegenden Haaren 
bedeckt. Der obere Zahn sehr lang, hornförmig und nach vorn 
gekrümmt. 

M. mucronata hängt mit M. uncinata sehr innig zusammen 
und beide sind vielleicht von M. vestita nicht specifisch zu tren- 
nen. Weitere Prüfung im Vaterland und dürch Cultur werden 
hierüber entscheiden. 


33. M.vestita Hook. et Grev. Ic. Fil. II (1831) t. 159; 
Engelm. in Sillim. 1. c.; A. Br. Monatsb. 1863, S. 424; M. villosa 
(Kaulf.) Brackenr. Expl. Exped. p. 272 ex part.; M. lanuginosa 
Nutt. in herb. Hook. — Von der vorigen durch die starke, glän- 
zend röthlich-braune Behaarung der Knospen, Blätter und Früchte 
abweichend. Selbst die Blattstiele sind mit langen, abstechenden 
Haaren besetz# Die Haare der Frucht sind sehr lang und schmal 
ausgezogen, während sie bei M. mucronata kurz und breit sind. 
Sie scheint auf die Westseite von Nordamerika beschränkt zu sein. 
Oregon: Auf den Sandbänken bei den Wasserfällen („grand ra- 
pids*) des Columbia-Flusses (Scouler in herb. Hook.); bei Walla- 
Walla an demselben Flusse (nach Brackenr.); ohne nähere Angabe 
des Fundorts (Douglas, Geyer). Californien: im Thale des Sacra- 


742 Gesammtsitzung 


mento (nach Brackenr.).. Neu-Mexico: bei St. Barbara (Nutt. in 
herb. Hook.). 

M. vestita var. minima. So bezeichne ich eine von Wright in Neu- 
Mexico gesammelte sehr kleine Form, die in der Coll. Nov. Mex. 
1851 —52 unter No. 2112 ausgegeben ist. Sie ist nicht zu ver- 
wechseln mit Wrights No. 811 (M. mucronata v. antrorsa), da sie 
die starke und abstehende Behaarung der A. vestita besitzt. Die 
Frucht ist 5 Mm. lang, 4 breit; die Blättchen 5—6 Mm. lang. 


34. M. uncinata A. Br. in Flora 1539, p. 300; Engelm. 
in Sillim. Am. Journ, Ser. II, Vol. III (1847) p. 55; M. Beyrichü 
Sporleder in herb. Kunze. — Little Rock am Arkansas (Engelmann 
1835, Beyrich 1834). Von den beiden vorausgehenden weicht sie 
hauptsächlich durch den längeren Fruchtstiel, die kürzere Frucht 
und den meist hackenförmig zurückgebogenen oberen Zahn ab. 

M. uncinata v. Texrana (M. Texana Godet herb.) von Lindhei- 
mer im Jahr 1847 zwischen dem oberen Guadeloupe und Cibolo, 
bei Friedrichsburg, zwischen Braunfels und Comanche-Spring und 
anderwärts gesammelt, bildet einen deutlichen Übergang zu M. 
mucronata, von welcher namentlich die in Lindh. Fl. Tex. exsicce. 
Fasc. IV. unter No. 746 ausgegebene Form kaum unterscheidbar ist. 


Gruppe der M. Capensis. 


35. M. rotundata A. Br. in Kuhn, Fil. Afr. (1868) p. 200. 
— Von Dr. Welwitsch in Angola entdeckt: fruchttragende Exem- 
plare im Distrikt Huilla, in Sümpfen neben dem Flufse von Mum- 
pulla, in Gesellschaft von Ottelia, Xyris und Juncus-Arten, unge- 
fähr 4500 über M. im Juni 1870 (It. Ang. 171); sterile, sehr 
wahrscheinlich derselben Art angehörige Exemplare im Distrikt 
Zenza de Golungo, in einem Bache Namens Ribeira de Muchao 
im Sept. 1854 (It. Angol. 40). — Ich bin etwas zweifelhaft, ob 
diese Art hier die richtige Stellung gefunden hat, da die Ringspal- 
ten der Frucht unmerklich sind, während sie bei allen anderen 
Arten der Gruppe sehr auffallend hervortreten. In allen anderen 
Charakteren, namentlich in der schwachen Ausbildung beider Zähne, 
schliefst sie sich nah an M. macrocarpa an, von der sie sich haupt- 


vom 11. August 1870. 743 


sächlich durch kleine und verhältnifsmäfsig kürzere Früchte unter- 
scheidet. Die fructificirende Land- oder Sumpfform (171), hat un- 
gefähr die Statur von M. quadrifoliata, aber die Blättchen sind et- 
was schmäler, mehr keilförmig, am Stirnrand mehr oder weniger 
deutlich gekerbt, mit 7—8, bei kleinern Blättern 2—4 Kerbzähnen; 
sie sind kahl und etwas glaucescent. Der aufrechte, seltener ge- 
gen die Spitze etwas gekrümmte Fruchtstiel ist 241—3-, selbst 4- 
mal so lang als die Frucht. Die Frucht ist fastkreisrund, 4—5 Mm. 
lang, 33—4 breit, horizontal oder schwach aufsteigend, mit verlänger- 
ter Raphe und zwei flachgerundeten, wenig bemerkbaren Zähnen. 
Sori jederseits 7—8. Die Haare der Frucht, welche zur Zeit der 
Reife verloren gehen, sind fest anliegend, sehr allmählig verschmä- 
lert, aus meist 6 ungewöhnlich kurzen Zellen gebildet, von denen die 
erste gestreift ist, die folgenden mit gereihten Wärzchen besetzt. 
Die Wasserform (40) hat bedeutend gröfsere Blätter mit ganzran- 
digen Blättchen, die so breit als lang sind und auf der Unterseite 
die für die Schwimmblätter charakteristischen Interstitialstreifen 
zeigen. 


36. M. macrocarpa Presl in Abh. d. Böhn. Ges. d. Wiss. 
III (1843—44) S. 580; Kuhn Fil. Afr. p. 199; M. Dregeana A. Br. 
Monatsb. 1863, S. 428. — Im Capland (Drege als M. quadrif. a, 
c und b, letztere die sterile Wasserform; Burchell 3896). — Sie 
verdient ihren Namen eigentlich nicht, da die Früchte nur 54 — 64 
Mm. lang, 33—4 Mm. breit sind. Der Fruchtstiel ist 10—-14 Mm. 
lang. Sori 7—8. Gröfse der Schwimmbl. vergl. S. 669. 


37. M. Capensis A. Br. Monatsb. 1863, 8. 428; M. biloba 
Bory in herb. variis (non Willd.); M. quadrifolia @. Kunze in 
Linnaea X (1836) p. 555. — Im Capland die häufigste Art (Maire 
und Mundt in herb. Berol.; Carmichael in herb. Hook.; Alexan- 
der in herb. Hook.; Zeyher 4644; Drege als M. quadrif. d,e und f, 
die letzte eine sterile Wasserform); Natal (Robertson in herb. Hook., 
sterile zweifelhafte Form). — Eine der kleineren Arten, in der 
Blattform sehr veränderlich, mit ungetheilten bis tief zweilappigen 
Blättchen; die Frucht 3—34, selten bis 4 Mm. lang, 2—21 breit; 
der Fruchtstiel 5—6 Mm. lang. Sori 5—6. 

M. Capensis var. brachycarpa mit kürzerer, fast horizontaler 


744 Gesammtsitzung 


Frucht von 3 Mm. Länge und 24, Breite nähert sich der folgenden 
an (Ecklon et Zeyher No. 3). 


38. M. Burchellü A. Br. Monatsber. 1863, $. 429; MM. 
quadrifolia y. Burchellii Kunze in Linnaea X (1836) p. 556; M. 
minuta Burch. Cat. No 1625; M. pusilla A. Br. olim in herb. 
Drege; M. pumila (Schreibfehler statt pusilla) E. Meyer, pflanzen- 
geogr. Documente (Beigabe zur Flora von 1843) $S.58. — Cap- 
land (Burchell No. 1625 und 2123 in herb. De Cand. et Mett., 
letztere Nummer eine Form mit gröfseren Blättern; Drege als M. 
quadrif. g; James Backhouse). — Im Interesse der Wiederauffin- 
dung dieser kleinsten, sehr niedlichen Art mag die genauere An- 
gabe der bekannten Fundorte nicht überflüssig sein. J. Backhouse 
hat dieselbe im Jahr 1839 an einer Pfütze auf der Nordseite des 
grolsen Oranjeflusses, zwischen 29 und 30° s.B., 25 und 26° ö. 
L., am Weg von Philippolis nach Ramah gesammelt und glaubt, 
dafs dies dieselbe Stelle sei, an welcher sie von Burchell entdeckt 
worden sei. Drege giebt einen südwestlicher gelegenen Fundort 
an: Nieuweveld zwischen Brakrivier und Uitvlugt, 3000 — 4000’ 
üb. M. — Die Frucht ist nur 14— 13 Mm. lang und fast ebenso 
breit; die Blättchen 2—6, bei Burchell’s No. 2123 bis 10 Mm. lang. 
Die Nervatur der Frucht vergl. S. 702, Fig. 1. 


39. M. biloba Wwilld. Sp. pl. V (1810).p. 540; herb. 20257; 
A. Br. Monatsb. 1863. 5. 429; Kuhn, Fil. Afr. p. 198; M. glome- 
rata Presl in Abhandl. der Böhm. Ges. d. Wiss. III (1843 — 44) 
5. 5580. — Capland: In der Gegend der Mosselbay (Meuron in 
herb. Willd.); am Garip (Oranjeriver) bei Verleptpram (Drege, als 
M. quadrif. h). Eine grofsblättrige sterile Form ist Burchell’s No. 
4444. — Eine durch den einzigen (oberen), stachelartig verlänger- 
ten Zahn und die starke, abstehende Behaarung der Frucht, so 
wie durch die tief zweilappigen, bei der grofsblättrigen Form dop- 
pelt zweilappigen Blättehen sehr ausgezeichnete, von M. Capensis 
wohl verschiedene Art! Die Frucht ist kaum länger als breit (bei- 
nahe 3 Mm. lang, 23 breit), von unten nach oben schief abgeschnit- 
ten, die Seitenwände sehr stark gewölbt. Sori jederseits 4. Frucht- 
stiel 11—2mal so lang. 


Sr 


vom 11. August 1870. . 14 


Gruppe der M. Aegyptiaca. 


(Mit der vorausgehenden Gruppe nahe verbunden.) 


40. M. Aegyptiaca Willd. Sp. pl. (1810) p. 540; Delile 
Fl. d’Egypte p. 283, t. 50; Schweinf. Beitr. S. 218; Coss. et Kral. 
Sertul. Tunet. p. 61; Ledeb. Fl. Rofs. IV. p. 494; Kuhn Fil. Afr. 
p. 197; A. Br. Monatsb. 1863, S. 430; M. emarginata Del. in herb. 
Mus. Par.; M. tridentata Del. in herb. Fee. — Ägypten: Bei den 
Pyramiden von Gizeh (Delile, Kralik); bei Cairo (Th. Bilharz, 
Schweinfurth, Steudner); bei Abu-Zabel (W. Schimper et Wiest 
No. 33, Kotschy No. 408); bei Gezaieh (Husson, Schweinfurth); 
bei Mansurah und Essaui (Ehrenberg); am See Menzaleh bei Tanis 
(Sehweinfurth); bei Damiatte (Ehrenberg, Sieber); bei Rosette (Co- 
quebert in Mus. Par.). Tunis: bei Gabes (Kralik Fl. Tunct. ex- 
sicc. 396). Bei Astrachan (Blum in herb. Ledeb.). Ob eine von 
Dr. Steudner in Abyssinien bei Zasaga zwischen Keren und Adoa 
gesammelte sterile Pflanze hierher gehört, ist sehr zweifelhaft. — 
Über die Verschiedenheit der Land- und Wasserblätter vgl. S. 680, 
über die Fruchtbildung S. 699. 


41. M. quadrata. Eine neue Art aus Borneo (Lowe in 
herb. Hook.). In Gröfse und Wuchs der M. Capensis und Aegyp- 
tiaca vergleichbar, mit der letzteren überdies durch die horizontale 
und fast viereckige Frucht mit senkrechter, ausgefurchter Stirn- 
kante übereinstimmend. Die Blätter klein, derb, grau, etwas be- 
haart; die Blättchen keilförmig, einfach oder mehrfach ausgeran- 
det. Der Fruchtstiel aufrecht und gerade, 2--3 mal so lang als 
die im reifen Zustand kahle schwarzbraune Frucht, an welcher die 
Ringspalten nicht deutlich hervortreten. Sie ist 3 Mm. lang und 
ebenso breit, stark zusammengedrückt, mit sehr langer Raphe, ver- 
wischtem unterem und langem, kegelförmigem, aufrechtem oberem 
Zahn. Die Rückenseite gerade, nicht eingebogen. Die junge Frucht 
ist mit anliegenden kurzen Haaren bedeckt, welche 3—4 zellig und 
allenthalben warzig sind. 


42. M. gıbba. Neue Art, von Dr. Schweinfurth bei Gir 
im Djurgebiete im Juli 1869 entdeckt. Von mittlerer Grölse, die 
fructificirende Form ziemlich kleinblättrig, langkriechend. Die 


746 sesammtsilzung 


Blätter derb, mit wenigen, kaum bemerkbaren Haaren; die Blätt- 
chen breit keilförmig, ganzrandig oder am Stirnrand leicht buchtig. 
Der Fruchtstiel ungefähr 5 mal so lang als die Frucht, am Grunde 
nach unten gebogen, zuweilen eine Windung beschreibend, sodann 
aufsteigend. Die Frucht schief aufsteigend, länglich, 4—41 Mm. 
lang, 3 breit, an der Spitze gleichmälsig gerundet, berandet, mit 
hochgewölbtem Mitteltheil der Seitenwand, ungerippt. Die Raphe 
ziemlich kurz; nur der obere Zahn ausgebildet, niedrig, aber spitz. 
Ringspalten deutlich. Sori jederseits 5. DBehaarung der Frucht 
unscheinbar und fest anliegend; die Haare kurz, 4 zellig, allent- 
halben warzig. Die Hautzellen beider Blattflächen gebuchtet mit 
je 1—2 umschriebenen Höckern besetzt! 

Es ist schwer diese Art an irgend eine andere anzuschlielsen. 
Mit den australischen höckerblättrigen Arten hat sie keine Ver- 
wandtschaft. In der Form und Berandung der Frucht erinnert sie 
an Al. Coromandeliana, aber durch den einzigen Zahn schliefst sie 
sich den Gruppen der M. Capensis und Aegyptiaca an. Die Be- 
nennung bezieht sich auf die höckerartige Wölbung der Seiten- 
wände der Frucht, kann aber auch auf die höckertragenden Haut- 
zellen der Blätter bezogen werden. 


Gruppe der M. mutica. 


(Grofsentheils amerikanische Arten mit niederliegenden oder 
absteigendem Fruchtstiel, mit schwachen oder fehlenden Zähnen). 


43. M. Ernesti A. Br. Sitzungsber. d. Gesellsch. naturf. 
Freunde vom 19. Juli 1870, S. 46; M. striata A. Ernst, Vargasia 
No. 7, p. 181 (non Mett.) — Wurde gegen Ende v. Jahres von 
Ad. Ernst bei Caracas entdeckt, wo sie in Gesellschaft von M. 
subangulata vorkommt. Die Landform ist Kleiner und schmächti- 
ger als M. quadrijoliata, langkriechend. Die Blättchen breitkeil- 
förmig, vorn gerundet, ganzrandig, besonders auf der Unterseite 
mit sparsamen kurzen Haaren besetzt. Der Fruchtstiel nach unten 
gewendet oder, wo er Widerstand findet, horizontal niedergelegt, 
mit schlangenartig gebogenem, zuweilen selbst geringeltem Ende 
schief an die Frucht angesetzt, $>—} so lang als diese. Die 
Frucht geneigt oder fast gerade ausgestreckt, länglich, 64 — 7, 


vom 11. August. 1870. 47 


selten bis fast 8 Mm. lang, 45—5 Mm. breit, die Seiten stark und 
gleichmälsig gewölbt, so dafs die Bauch- und Rückenkanten fast 
verschwinden, fast ohne Raphe, indem der Stiel sich mit einer 
schiefen, auf der oberen Seite einen schwachen Zahn tragenden 
Ausbreitung ansetzt. Der zweite Zahn sehr flach gewölbt und we- 
nig bemerkbar. Sori jederseits 7”—9. Die Haare bilden einen 
dichten, etwas krausen Pelz; sie sind sehr lang und fein ausgezo- 
gen und bestehen aus meist 7 mit kleinen Wärzchen dicht besetz- 
ten Zellen. Die enthaarte Fruchthaut ist braun, matt, rauh und 
ohne deutliche Ringspalten. (Über Cultur, Keimung, Primordial- 
und Schwimmblätter dieser Art vergl. S. 662, 683 ete.). Den Na- 
men dieser Art wählte ich zu Ehren des Entdeckers derselben, 
Adolf Ernst, des Gründers nnd Vorstehers der physikalisch-natur- 
geschichtlichen Gesellschaft Vargasia in Caracas, eines eifrigen und 
insbesondere um die dortige Flora sehr verdienten Forschers. 


44. M. Mexicana. Neue, von Beechey bei Julisca (Xu- 
lisca) in Mexiko gesammelte Art (herb. Hook.). Sie erinnert in 
der Tracht an M. vestita und mucronata, schliefst sich aber in der 
Fruchtbildung entschieden der vorausgehenden an, von der sie sich 
durch dünnere Blattstiele, schmälere etwas stärker behaarte Blätt- 
chen, geraden (meist horizontal niederliegenden) Fruchtstiel, klei- 
nere (4—42 Mm. lange, 3 Mm. breite), meist horizontal am Stiel 
ansitzende, stärker zusammengedrückte Frucht mit etwas verlän- 
gerter Raphe und sehr schwach angedeutetem oberen Zahn, end- 
lich durch glatte Haare der Frucht unterscheidet. Sori jederseits 
8—9. 


48. M. Berteror. Insel $. Dominique, gesammelt von Ber- 
tero (im De Öandolle’schen Herbar, mitgetheilt von Balbis 1821). 
Scheint der vorigen sehr nahe zu stehen und bedarf noch genaue- 
rer Vergleichung, namentlich in Betreff der Haare der Frucht. 
Die Blätter sind kleiner und kahl; der Fruchtstiel etwas mehr ver- 
längert (1% bis fast 2mal so lang), geschwungen-niedergelegt, die 
Frucht rückwärts an den Stiel angelegt, 5—6 Mm. lang, 4 Mm. 
breit, mit anliegenden Haaren. y 

46. M. ancyclopoda A. Br. Monatsb. 1863, S. 434. Gua- 
yaquil (Jameson 1847 No. 394 in herb. Boiss.). Nicht hinreichend 

[1870] öl 


748 Gesammtsitzung 


bekannt, da die Früchte der wenigen gesehenen Exemplare noch 
sehr jung sind. Die hakenförmige Krümmung des absteigenden 
Fruchtsiels ist wahrscheinlich nur ein vorübergehender Jugendzu- 
stand, der Name in diesem Falle nicht gut gewählt. 


46. M. mutica Mett. Fil. Nov. Caled. p- 34 (Ann. d. se. 
nat. Ser. 4, Vol. XV, p. 88). In Neu-Caledonien von Vieillard 
entdeckt (1861 — 1867 No. 1698). — Die Land- (oder Sumpf-) 
Form von der Statur und Blattform der M. quadrifoliata, aber die 
Blättehen mitunter etwas gekerbt. Der Fruchtstiel 11—2 mal so 
lang als die Frucht, in seiner Richtung veränderlich, aufsteigend 
oder niedergestreckt. Die bald gerade ausgestreckte, bald gegen 
den Stiel geneigte Frucht länglich, 4 Mm. lang, 2 bis fast 3 Mm. 
breit und ungefähr ebenso dick, fast stielrund, zuweilen längs des 
Rückens vertieft und dann selbst etwas dicker als breit. Der Stiel 
tritt mit einer schwachen, nach der Rückenseite zu kaum stärker 
hervortretenden Verdiekung an die Frucht, weder eine Raphe noch 
einen Zahn bildend; die Stelle des zweiten Zahnes ist nur durch 
eine längliche, glattere Stelle angedeutet. Die Frucht ist in eine 
dichte Decke langer, fest ineinander gewirrter Haare gleichsam ein- 
gepackt; die Haare sind von ungewöhnlicher Länge, 4—5 zellig, 
wellig und zerknittert, ohne Spur von Wärzchen! Die enthaarte 
Frucht ist dunkelbraun, rauh, ohne bemerkbare Ringspalten. Sori 
jederseits 6. Trotz der mangelnden Zähne schliefst sich diese Art 
doch unzweifelhaft an M. Ernesti an. Eine gleichfalls von Vieil- 
lard gesammelte Wasserform mit sehr grolsen, auf der Unter- 
fläche mit braunen Intercostalstreifen versehenen Schwimmblättern 
gehört ohne Zweifel derselben Art an (vergl. S. 669, 671). 

M. quadrifoliata Brackenridge Expl. Exped. p. 340 und See- 
mann Journ. of Bot. I, p. 31 von den Feejeeinseln, wo sie haupt- 
sächlich in den Pflanzungen von Colocasia esculenta vorkommt, ist 
nur steril gesammelt worden, daher nicht sicher zu bestimmen. 


Gruppe der M. trichopoda. 


(Arten der alten Welt mit Intercostalstreifen aus Sclerenchym.) 


4%. M. Coromandeliana Willd. Spec. pl. V (1810) p. 539; 
A. Br. in Flora 1839, S. 300; Monatsb. 1863, S. 422; M. quadri- 


vom 11. August 1870. 749 


folia Burm. Fl. Ind. (1767) p. 237 ex parte, t. 62, £.3!1'). M. 
minuta 8. Coromandeliana L. Mant. Il (1771) p. 308; M. minuta 
Hedw. theor. gen. t. 8, f. 6—11 (sec. specimina herb. Hedw.); M. 
minuta pedunculis unifloris longioribus fiiformibus Klein in herb. 
Willd. 20253; M. merginata Kunze herb.; M. longipes Bory (in 
herb. Kunze). — Vorderindien, Küste Coromandel: Trankebar 
(Klein in herb. Willd.); Pondichery (Perrottet 1836); Madras 
(Thomson 1845 in herb. Hook.); ohne nähere Angabe (Wright 
herb. No. 3). Über das fragliche Vorkommen auf Mauritius vergl. 
8. 657; über Cultur und Keimung S. 661, 665; über die Scleren- 
chymstreifen 8. 692. 


48. M. trichopoda (Lepr. ined.) A. Br. in Flora 1839, 
S. 300; Monatsb. 1863, S. 422; Kuhn Fil. Afr. p. 200. — Sene- 
gambien (Leprieur, Perrottet, Heudelot No. 548). — Von der vo- 
‚rigen durch noch feinere längere Fruchtstiele, etwas kleinere, kür- 
zere, mehr geneigte Früchte und geringere Zahl der Sori abwei- 
chend, vollkommen die Mitte zwischen ihr und der folgenden 
haltend. 


49. M. muscoides (Lepr. ined. sec. Perrott.); A. Br. in 
Flora 1. ec.; Monatsb. 1863, 8.422; Kuhn Fil. Afr. p. 200; M. 
pygmaea Lepr. (in herb. Kunze); M. microphylla Welw. herb. An- 
gol. mspt. et in lit. ad Hook. — Senegambien, namentlich in der 
Gegend des „Cap de Nasse* (Leprieur 1827, comm. Perrottet). 
Angola: Im Distrikt Benguella, an etwas feuchten, sandig-lehmigen 
Stellen, welche im Sommer überschwemmt werden, zwischen der 
Stadt Benguella und Serra das Bimbas (Welwitsch Juni 1859, No. 
176); im Distrikt Loanda (Welw. Mai 1859, No. 109). Über die 
Art des Vorkommens in letzterer Gegend giebt Dr. Welwitsch fol- 
gende, für eine Marsilia bemerkenswerthe Mittheilung: „Ich fand 


1) Burmann ist selbst geneigt, die zwei von ihm vermischten ostindi- 
schen Arten, die nach seiner Angabe sogar besondere einheimische Namen 
haben, zu unterscheiden: „Indica Coromandeli collecta sub nomine Warra- 
larei multo tenerior europaea; petioli pollicares, capillo humano teneriores 
..; quae vero eodem in loco sub nomine Nier-raer-rei cum 'europaea 
convenit et major est, hine dubitandum, an non pro distinctis speciebus ha- 
bendae.* Die erwähnte zweite Art ist ohne Zweifel M. erosa W. 


51° 


750 Gesammtsitzung 


diese niedliche Art im Mai 1859 auf sandigem rothem Lehmboden 
zwischen Bemposta und Camama, circa 4 Meilen (geogr.) landein- 
wärts von der Stadt Loanda; sie hatte sich nicht allein auf man- 
chen zur Regenzeit (Nov. bis März) überschwemmten, nun aber 
fast aufgetrockneten kurzgrasigen Stellen rasenförmig ausgebreitet, 
sondern auch einen benachbarten Gemüse-Garten derart invadirt, 
dafs einige für Gemüsekultur zubereitete Abtheilungen desselben 
mit ihr gleich einem dichten Kleefelde überdeckt waren.“ — Nächst 
M. Burchellüi ist dies die kleinste Art der Gattung, durch Feinheit 
der Stengel, Blatt- und Fruchtstiele vor allen anderen ausgezeich- 
net. Die fast horizontale Frucht ist 1%, höchstens 2 Mm. lang 
und fast ebenso breit und hat jederseits 2—3 Sori. Die beiden 
Zähne sind deutlich und meist spitz. Der fadenförmige Fruchtstiel 
ist 24 bis 5mal so lang als die Frucht. Die ziemlich schmalen 
Blättchen sind ganzrandig, am Ende gerundet, mit nur 10—12 
in den Rand eintretenden Nervenenden und spärlichen, zuweilen 
ganz fehlenden Anastomosen. (Vergl. $. 680.) Die senegambi- 
schen Exemplare bilden einen äufserst dichten, niedrigen, moosar- 
tigen Rasen; die von Angola haben einen lockereren Wuchs und 
die zahlreichen Zweige mit gedehnteren Internodien sind aufstei- 
gend. Dadurch, sowie durch die mehr aufgerichtete Frucht, 
schliefst sie sich der M. trichopoda näher an. 


30. M. dıstorta A. Br. Monatsb. 1863, $. 433; M. subter- 
“ranea (Lepr.) in herb. Mus. Par., Kunth etc. (non Lepr. in herb. 
Perrott.). — Senegambien: Im Reiche Walo. bei Dagana - Ouallo 
(Leprieur 1828); bei Richard-Tol (Lelievre 1829). — Der Frucht- 
stiel ist dünn und lang (24—3 mal so lang) wie bei den vorigen 
Arten, aber niederliegend oder absteigend, hin- und hergebogen, 
zunächst unter der Frucht zuweilen einen Kreis beschreibend. Die 
Frucht ungefähr von der Gröfse derjenigen von M. Coromandeliana, 
34— 44 Mm. lang, 22— 34 breit, aber dicker und unberandet, auf 
den Stiel zurückgelegt, fast ohne oberen Zahn, mit langen ab- 
stechenden Haaren, welche völlig glatt sind. Sori jederseits 6—7. 
Die Blättchen am Stirnrande wellig oder gekerbt. Keine der vor- 
ausgehenden Arten zeigt eine so starke Entwicklung der durch- 
sichtigen Intercostalstreifen, deren Scelerenchymzellen sich durch 
sehr bedeutende Dicke der Wand auszeichnen. Dr. Kny hat die- 
selben auf Kieselerdegehalt geprüft, aber mit negativem Erfolg. 


vom 11. August 1870. vol 


Gruppe der M. gymnocarpa. 


(Afrikanische Arten, deren Fruchthaut sich als äufsere Schaale 
ablöst. Vergl. S. 709). 


81. M. Iymmocarpa Lepr. in herb. Perrott.; A. Br. in 
Flora 1839, S. 300; Monatsb. 1863, S. 432; Kuhn Fil. Afr. 
p. 199; M. pygmaea Lepr. sec. A. Brongn. in Diet. class. d’hist. 
nat.; M. leiocarpa Bory herb. — Senegambien (Leprieur, Perrottet). 
Eine der zierlichsten, aber nicht der kleinsten Arten. Ich halte 
es nicht für zweckmälsig den sicheren, bezeichnenden und ohne 
Zweifel von dem Entdecker selbst vorgezogenen Namen aufzuge- 
ben, um einen früher publicirten zur Geltung zu bringen, in Be- 
ziehung auf welchen in den Sammlungen Widersprüche bestehen. 
(Vergl. bei M. muscoides). 


82. M. Nubica A. Br. in Kotschy, Fl. Nub. exsice. 1841: 
A. Br. Monatsb. 1863, S. 432; Schweinf. Beitr. S. 218; Kuhn Fil. 
Afr. p. 200. — Am Berge Arasch-Kol in Kordofan, an ausgetrock- 
neten Wasserzusammenflüssen (Kotschy im Oct. 1839, No. 126). 
Der vorigen nahe verwandt. Abgesehen von der eigenthümlichen 
Ablösung der äufseren Hautschicht der Frucht schliefsen sich die 
beiden letzten Arten am nächsten an M. strigosa und pubescens an. 


883. M. Jimbrrata Schum. et Thonning in Dansk. Vidensk. 
Afh. IV. S. 235; A. Br. Monatsb. 1863, S. 432. — Guinea (Thon- 
ning). Kaum mehr als dem Namen nach bekannt. Vrgl. S. 654. 


II. Pilularıa. 


1. P. minuta Durieu Mspt.; A. Br. in Descript. seient. 
d’Algerie (ined.) t. 38, f. 1—20; Monatsb. 1863, S. 435; Milde 
Fil. Eur. p. 292; Kuhn Fil. Afr. p. 197; P. pygmaea Bory in lit. 
(herb. Kunze); P. minor De Notaris sec. Cesati in herb. de Fran- 
quev. — Algerien: Bei Oran (Durieu 1842, 1844, 1848; Balansa 
pl. d’Algerie No. 210). Sardinien: Bei Pula (De Notaris schon 


752 Gesammtsitzung 


1335); in derselben Gegend bei Cala d’Ostia in Gesellschaft von 
Isoetes Tegulensis (Ascherson und Reinhardt 1863); bei Decimo- 
mannu mit Marsilia pubescens (Gennari 1865, Erbario crittog. ital. 
No. 302). Südfrankreich: Roquehaute bei Agde mit M. pubescens 
und /soetes setacea (Balansa 1866, Duval-Jouve 1869. Conf. Bull. 
de la soc. bot. de Fr. 1869, p. 210). » Smyrna, am Berge Pagus 
(Balansa). 


2. P. Americana A. Br. Monatsb. 1863, 8. 435; Pilulariae 
sp. Nutt. in Transact. of the Amer. phil. soc. Philad. Vol. V (1837) 
p- 140; P, Valdiviana Philippi in lit. — Arkansas, bei Fort Smith 
(Nuttal); Georgia? (Capitain Leconte in Mus. Par.); Chili, bei 
Valdivia (R. A. Philippi, Vater, und Fr. Philippi, Sohn, 1869). 
Über Cultur und Nervatur der Frucht vergl. S. 660, 705. 


3. P. Mandoni. Neue in Bolivia von Mandon entdeckte 
Art. Als Fundort ist angegeben: La Paz, via ad Corvico, Lancha, 
in paludosis. Regio alpina 5000 Met. Mai 1857. (Mandou, plant. 
Andium Boliviens. No. 1534.) — Ich sah nur zwei kümmerliche 
Exemplare, das eine De Candolle’s, das andere Lenormand’s Her- 
barium, so dafs ich mir über die Zahl und Form der Sporen keine 
Kenntnifs verschaffen konnte. Die Zahl der Fächer ergiebt sich 
aus der Zahl der Klappen einer aufgesprungenen Frucht. Die 
Frucht hat einen Durchmesser von 23 Mm.; der Fruchtstiel ist. 
4—5 Mm. lang, bald aufwärts, bald abwärts gebogen; er setzt sich 
mit etwas verdicktem, kaum schiefem Ende an die Frucht an. Die 
Blätter sind kurz (3—4 Cm. lang) und verhältnilsmäfsig dick. 


4. P. Novae Hollandiae A. Br. Monatsb. 1863, $. 435; 
P. globulifera I. D. Hook. Fl. Tasm. II. p. 150; F. v, Müller, Fragm. 
Phytogr. Austr. V, p. 140. — In West-Australien am Swan River 
(Drummond No. 991); in Südost-Australien am Barwan River (Sam. 
Hannaford nach F. v. Müller l. c.); in Tasmanien bei Pengquite 
(Gunn No. 1561); in Neuseeland, am unteren Waikato River (J. 
Kirk 1869, steril, daher die Artbestimmung ungewils). Die Exem- 
plare vom Swan River und aus Tasmanien stimmen völlig überein. 


>. P. globuhfera L. Sp. pl. I; I. Agardh, Dissert. bot. 
1835; A. Br. Monatsb. 1863, S. 434; P. natans Merat, Fl. Par. 


vom 11. August 1870. 159 


ed. 2, I, p. 283 (eine im Wasser fluthende Form mit sehr langen 
Blättern). — Den früher angeführten Fundorten füge ich bei: Bor- 
deaux (Bory in herb. Fee); Portugal, in der Provinz Alemtejo, 
zwischen Grandola und Melides, nahe am Ufer des Meeres (Wel- 
wisch 1848); Corfu (C. Bolle). Im Herbarium v. Franqueville 
findet sich ein Exemplar mit der Bezeichnung Pilul. (globulifera) 
canariensis ohne Angabe des Sammlers. Wohl ein Irrthum? — 
Dr. Hooker führt als Grund gegen die specifische Unterscheidung 
der australischen von der europäischen Pilularia an, dals er auch 
bei Exemplaren aus England mitunter zurückgekrümmte Frucht- 
stiele und hängende Früchte gefunden habe, und ich verdanke sei- 
ner Güte ein Exemplärchen mit einer solchen Frucht aus Norfolk. 
Ich kann diese Angabe auch durch deutsche Exemplare bestäti- 
gen; ich habe an solchen von Sommerfeld und von Minden einzelne 
Früchte mit deutlich zurückgekrümmtem, etwas verlängertem Stiel 
gesehen, aber stets nur einzelne, so dafs auf dieses Vorkommen 
nicht einmal eine Abart gegründet werden kann. In solchen 
Fällen ist jedoch die Verlängerung des Fruchtstiels, den ich nicht 
länger als halb so lang als die Frucht sah, nie so beträchtlich, 
wie bei P. Novae Hollandiae, und der Fruchtstiel tritt gerade an 
die Frucht heran, während er bei der neuholländischen Art eine 
Strecke weit horizontal an derselben hinläuft und eine Raphe 
bildet. Überdies sind schon die Sporen ausreichend um beide Ar- 
ten sicher zu unterscheiden. 

Schliefslich spreche ich allen botanischen Freunden meinen 
Dank aus, welche mich in Bearbeitung dieser Familie mit Material 
unterstützt haben, sowie auch den Gärtnern, deren Aufmerksamkeit 
und Sorgfalt das Gelingen der Marsiliaceenculturen zu verdanken 
ist, insbesondere dem Inspector des botan. Gartens, Hrn. Bouch&, 
dem Universitätsgärtner, Hrn. Sauer, und dem Gehülfen im Uni- 
versitätsgarten, Hrn. Barleben. 


754 Gesammtsitzung vom 11. August 1870. 


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An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Max Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache deutsch von 
Karl Böttger. 2. Aufl. Leipzig 1870. 8. 

de la Rive, Zecherches sur la polarisation rotatoire magnetique des liqw- 
des. (Geneve 1870.) 8. 

Flora batava. Fasc. 212. Leyden 1870. 4. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


September und October 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt. 
Sommerferien. 


10. October. Sitzung der physikalisch -mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. Kummer las 


Über die aus älten Wurzeln der Einheit gebildeten 
complexen Zahlen. 


Für die aus 31ten Einheitswurzeln gebildeten complexen Zah- 
len ist, wie ich früher nachgewiesen habe, der erste Faktor der 
Klassenzahl gleich 9. Da diese Zahl ein Quadrat ist, so bleibt es 
unentschieden, ob es ideale complexe Zahlen giebt, deren neunte 
Potenz, und keine niedere, wirklich wird, oder ob schon die drit- 
ten Potenzen aller hierhin gehörenden idealen Zahlen wirklich sind, 
also ob in Beziehung auf diese Klassenzahl 9 im Gaufsischen 
Sinne Regularität Statt hat, oder Irregularität. Die Analogie mit 
den aus 29ten Einheitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, für 
welche der erste Faktor der Klassenzahl gleich 8 ist, für welche 
aber, wie ich aus der Theorie der Kreistheilung bewiesen habe, 
schon die zweiten Potenzen aller idealen Zahlen wirklich sind, 
giebt einen Anlafs zu der Vermuthung, dafs dies in dem hier zu 
betrachtenden Falle in ähnlicher Weise Statt haben möchte. Da 
nun Hr. Reuschle für die aus 31ten Einheitswurzeln gebildeten 
idealen Primfaktoren der Zahl 2 eine wirkliche Darstellung der 
[1870] 52 


756 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


neunten Potenz gefunden hat, während es ihm nicht gelungen ist, 
die dritte Potenz dieses idealen Primfaktors in wirklicher Form 
darzustellen, und da von der Zerlegung der einen Zahl 2 die Zer- 
legungen aller in dieselbe Kategorie gehörenden Primzahlen abhän- 
gig sind, so schien es mir namentlich auch für das von ihm her- 
auszugebende Werk über die Zerlegung der Zahlen in ihre com- 
plexen Primfaktoren von Wichtigkeit vollständig zu ergründen, ob 
keine niedere als die neunte Potenz des idealen Primfaktors von 
2 in dieser Theorie wirklich wird, oder was dasselbe ist: ob die 
dritte Potenz dieses idealen Primfaktors als wirkliche complexe 
Zahl sich darstellen läfst, oder nicht. 


BD ed 
Bezeichnet man mit 7, Yı,%2, %35 %4, %s die sechs fünf- 


gliedrigen, aus 3lten Einheitswurzeln gebildeten Perioden, geord- 
net nach der primitiven Wurzel 3, und die drei zehngliedrigen Pe- 
rioden 


5 5 10 5 5 10 5 5 10 
ty =, Yıtrı =1ı > yı +9 = H 


so hat man unter denselben die Gleichungen: 


bad 5 5 5 
nz een a 2 A 2a * % * 
55 5 5 5 5 


5 
Ye & in Nasa Zifie N el: 


55 5 5 5 5 
115 * 3, tnakh Bene az 
und 
10 10 ro 10 18 
ss = 10 +37, +47ı +4 27 
1010 10 10 


10 
NN an Zu 


10 10 10 10 10 
Namen 2 dr de 


vom 10. October 1870. 757 


Ferner hat man die nach dem Modul 2 den Perioden entsprechen- 
den Congruenzwurzeln: | 


5 
welche zu dem idealen Primfaktor /(„) der Zahl 2 gehören sollen. 
Betrachtet man nun die complexe Zahl 


b) 5 10 
nr a 


so findet man vermöge dieser Oongruenzbedingungen, dafs sie die 


5 5 
beiden idealen Primfaktoren von 2 f(„) und /(z;) enthält und weil 


10 10 10 
Ge) ln) 


ist, so folgt, dafs sie aulserdem keine anderen Primfaktoren ent- 
hält. Man hat daher die ideale Zerlegung 


10 er 
an IDEE. 
Wenn nun die dritte Potenz des idealen Primfaktors der 2 sich 


5 
als wirkliche complexe Zahl F(») darstellen liefse, so würde auch 


10 
die dritte Potenz von 1-+ ;, multiplieirt mit einer passenden Ein- 
heit, sich als Produkt der beiden wirklichen complexen Zahlen 


5 9, 
F«(s) und F(r;) darstellen lassen, man würde also haben 
0, ,.0 BF a5 
+) EG) = Fo) Fi) 


wo Elr ) irgend eine Einheit bezeichnet, welche nothwendig nur 
die zehngliedrigen Perioden enthält, weil alle Einheiten der aus 
den fünfgliedrigen Perioden gebildeten complexen Zahlen nur die 
zehngliedrigen Perioden enthalten können. Die drei conjugirten 
Kreistheilungseinheiten sind hier: 


92 * 


758 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


10 10 10 
e(,) = 7 +4 +29 


10 10 10 
e(7,) — —+ 47] ar 272 


10 10 10 
e(1n) =7+4r, +2n 


die numerischen Werthe der drei zehngliedrigen Perioden sind: 


10 10 10 
„= + 3,08387 , %ı = — 0,78680 ,„ %2 = — 3,29707 
und demnach 
10 10 10 
e(,) = +17,76188 , e(11) = — 2,74134 , e(y:) = — 0,02054 ,, 

10 19 10 } 
1+7= + 4,083897 , 1-+7ı = + 021320 , 141%, = — 2,29707. | 
Es folgt hieraus, dafs 

10 5 10 - 10 5 10 10 a 10 

— (une) Kern) ea) a 


alle drei positive Werthe haben. Sondert man nun von der Ein- 


10 10 
heit E() die Einheit — e(r,) ab, indem man setzt 


10 10 f 10 
E6h)=—ekh)E(n): 
so dafs 


10 10 10 5 B) 
— (1+,)’e(m)EG) = FiH)Fl@r); 


5 5 
so mufs, weil F(,) F(4;) überhaupt nur positiv sein kann, diese 


10 
Einheit E’(») die Eigenschaft haben, dafs sie mit ihren beiden con- 
jugirten zugleich nur positive Werthe hat. Eine solche Einheit 


E'(4) mufs aber nothwendig das Quadrat einer Einheit sein, wie 
leicht folgendermalsen gezeigt wir. Man kann zwar nicht eine 
jede Einheit selbst, aber doch eine gewisse Potenz einer jeden | 
Einheit als Produkt von Potenzen der Kreistheilungseinheiten aus- 
drücken. Man hat daher 


10 10 10° 
EG)" — Beln)*.e(n)”; 


vom 10. October 1870. 759 


wo n,«,@ ganze Zahlen sind, welche nicht alle drei grade sein 


10 
können, weil sonst schon die 3 Potenz von E’(r) sich durch Kreis- 
theilungseinheiten ausdrücken liefse. Aus den numerischen Wer- 


10 10 10 
then der e(n), e(1,), e(72) ersieht man nun sogleich, dafs die 
drei Grölsen 


10 2, 10 10.5 0, 10, 
e(n)* e(nı)” » elnı)“ e(n2)”, e(n2)“ e(n) 
nicht alle drei ein und dasselbe Vorzeichen haben können, aufser wenn 
c« und £ beide grade sind und darum n ungrade, n= 2v-+1. Es 
10 
muls also E’(„)’’*' das Quadrat einer Einheit sein und darum 
| 10 10 
auch E’(„) selbst das Quadrat einer Einheit E’(s) = (e(n))’- 
52.310 5 5 
Setzt man nun F(n)e(n) statt F(r) und demgemäfs auch F(r;) 


10 5 
&(r) statt F(r;), so erhält man die Gleichung 


are) Eee 


oder entwickelt: 


5 5 
— 1344 — 1137, — 15573, = FW) F(5). 


Die nothwendige und hinreichende Bedingung dafür, dafs die dritte 
Potenz eines idealen Primfaktors der 2 eine wirklich complexe 
Zahl sei, liegt also darin, dafs es eine wirkliche complexe Zahl 


5 
F(r) gebe, welche dieser Gleichung genügt. 


‚Setzt man nun 


5 45 5 5 5 5 5 
FG) = an + aıyı +a3172 + A313 + aırı + 4575 


und entwickelt das Produkt in die Form 


10 


5 5 10 10 
Fr) F(as) = — Ay — Aını — A212 ’ 


so erhält man, weil A= 134, 4, = 113, A, = 155 sein muls, 


folgende drei Gleichungen: r 


760 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


134 = 5Q— P’+a) +a3 — (a—a,)(a, —a,) 
+2(aa,+a;a,)+aa,, 
13 = 5Q—P’+a+a— (a1 —a,)(a,—a;) 
R + 2(a,a+a,a;)+a,a,, 
15 = 5Q— P’+a; +a’ — (a,—a,)(a; — a) 
+ 2(a,a, +a;,0,)-+ aa; , 


wo der Abkürzung halber 


P=a+ta+0+ga+qa,+a,, 
Q.=.a’ ai ra) Las gg? co: 


> 


gesetzt ist. Addirt man diese drei Gleichungen und multiplieirt 
mit 2, so erhält man 


(B.) 8004 = 31Q —5P?. 


Setzt man aufserdem 


R = (a—a,)’+(a—a;)’ + (a—a;)’ + («e— a,)’+ (a—a,)? 
+ (a, —43)’+ (aı—a;)’+ (a —a,)’+ (a —a,;)? 

+ (04,—a;)’+ (a—4a;)’+ (a—a,)? 

+ (a3 —a,)’+ (a,—a,)’ 

+ (a,—a;)? 


so hat man die identische Gleichung 
31Q—5P?’=-Q-+5R, 


also auch 
(C.) 84=Q-+5R. 


Nachdem so die ganze Frage darauf reducirt ist: ob die drei 
Gleichungen (A.) mit 6 unbestimmten Grölsen in ganzen Zahlen 
lösbar sind, oder nicht, untersuche ich zunächst die Congruenzbe- 
dingungen für den Modul 2 und sodann für den Modul 8, welche 
diese sechs Zahlen erfüllen müssen. 

Da die. Zahl F(„) den idealen Primfaktor f(r) der Zahl 2 
enthalten soll und da sie keinen der übrigen fünf conjugirten ent- 


vom 10. October 1870. 761 


halten darf, so hat man nach den oben angegebenen Uongruenz- 
wurzeln, welche den Perioden für den Modul 2 entsprechen: 


0 22.0, 1201 = 0, 
a4 ta: ra =l, 


Be mod. 2 
a, +0 + =1;, 
a+a 0; =]€;, 


woraus folgt, dafs die drei Zahlen a, a,, a, grade sein müssen 
und die drei Zahlen a,, a;, a, ungrade, oder 


a ou 2 1, — 2b, a, = 2er, 
EEE ee — DR 0 
Um weiter die nothwendigen Congruenzbedingungen nach dem Mo- 


dul 8 zu entwickeln, setze ich diese gefundenen Werthe der a, a,.. 
in die Gleichungen (A.) ein und erhalte so zunächst: 


4(b — b;)(db, —b,) + 4b Da oo on. 
4(b, —b,)(d: —b,;) +45b,d, + Ab; 
Alb, 0,)(05 5)  Ab,D, LA cn br 2de 


—2b,+2b,, mod. 8. 


Il 


aus welchen Congruenzen zunächst folgt, dafs 
web, ab, eb, , bar „Nnods2. 
sein muls, wodurch diese Congruenzen sich weiter vereinfachen: 


4b, +40, =2 — 2b, 
4b, =2b, +2b,, mod. 8. 
4=2b, + 2b,, 


und wenn statt der Zahlen d wieder die Zahlen a eingeführt 
werden: 


762 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


2a, 2a, =4—a, 
209; Za, +a,, mod. 2. 


4=0,+04,;,, 


Macht man nun die Gleichung (B.) zu einer Congruenz nach 
dem Modul 31, so hat man 


2=5P?, mod. 31. 
also 
pP?’=19, B= 293, mod.ar 


Da man alle Vorzeichen der 6 Zahlen a,a,... gleichzeitig ändern 
kann, so reicht es hin ? positiv zu nehmen; beachtet man aulser- 
dem, dafs P ungrade ist, so erhält man für P folgende’ Reihe mög- 
licher Werthe: 


Pi==9:,.53, 71 Us. 
Die aus (B.) zu berechnenden zugehörenden Werthe des Q sind 
Qr—n3g, Au Boy 
und die aus (C.) zu berechnenden zugehörenden Werthe des R 
BR se 


Da aber R als Summe von Quadraten nothwendig positiv ist, so 
bleiben nur die beiden Fälle übrig: 


1), =19,0@ 3 Ran 
2), DD 53 , Q 19 
Da in beiden Fällen P=1, mod. 4 ist, so hat man 


aa, +0, a; 4.4, <a, = 1 meod.A. 
also 
25+25, + 2b, + 25; +2b,+2b, =2 mod. 4. 


also nach den oben gegebenen Oongruenzen für den Modul’ s: 
D; = 0, mod.2 @; = 41, mod. 4 


Diese Congruenzen ergeben deshalb folgende Resultate: 


vom 10. October 1870. 763 


2 5 mod. Al) = Fasi Fa; = A med. 8, 


(D.) 


a3 


Il 


1, mcdd.4 ,„ a, -+a,=2, mod.8. 


Ich untersuche nun zunächst den ersten der beiden unterschie- 
denen Fälle, nämlich 
a #4, +9 0; -a, +0, =I, 
a aa? za +adi+ad= 39. 
Zerlegt man die Zahl 39 auf alle möglichen Weisen in die Summe 
_ von 6 Quadraten, und wählt man die Vorzeichen so, dafs die 
Summe der sechs Wurzeln gleich 9 ist, so erhält man folgende 


acht verschiedene Fälle für die Werthe der Zahlen a, a,,a ,a;, 
Q@4, @;, welche diesen beiden Gleichungen genügen: 


) +6, +1, +1, +1, 0% 0, 
2) +5, +3, +2, 0, 0, —1, 
3) +5, +2, +2, #2, —1l, —1i, 
4) +5, +2, +2, #1, +1, —2, 
5) +4, +4, +2, +1, —1, —ı, 
6) +4, +4, +1, +1, +1, —?2, 
) +4, +3, +43, +1, 0, —2, 
8) #3, #3, +2, +2, +2, =3. 


Die Fälle I, 2, 5 und 6 sind aber mit den für die drei graden 
Zahlen a, a,,a, bestehenden beiden Congruenzbedingungen (D.) 
unvereinbar. Ferner sind die Fälle 3, 7 und 8 mit den unter den 
drei ungraden Zahlen a,, a;, a, bestehenden beiden Congruenzbe- 
dingungen (D.) unvereinbar. Es bleibt also nur noch der Fall 4 
übrig, welcher mit diesen vier Congruenzbedingungen bestehen kann, 
wenn 


= 2, =41l,, =+2,9, =+5,4,=+41, 
0,=-+2 
genommen wird. Um zu sehen, ob diese Werthe der Aufgabe wirk- 


lich genügen, mufs man zu den Gleichungen (A.) zurückgehen. 
Man erhält für diese Werthe: 


764 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


5Q—P’+ai +al — (a —a;,)(a, —a,) 
— 2(aa,;, + a;a;) + A403 — alle 5) 


sie genügen also schon der ersten dieser drei Gleichungen nicht, 
nach welcher dieser Ausdruck den Werth 134 haben mufs. Es 
giebt also in dem ersten Hauptfalle wo P=9 Q = 39 sein muls 
überhaupt keine den drei Gleichungen (A.) genügenden Zahlen. 

Es bleibt nun noch übrig auch den zweiten Hauptfall zu un- 
tersuchen, wo 


P=53 , Q=49, R=®. 


Es sei m die kleinste der sechs Zahlen «a, a, , @2, @3, @dy4, Q,; die 
übrigen fünf seien m +Cı, mM +65, M+C;, mM +cı, m-+C;, 
so sind C,, Cg, C3, C4, €; Positive Zahlen, bei welchen jedoch auch 
der Werth 0 nicht auszuschliefsen ist. Setzt man nun zur Ab- 
kürzung 


Cı 63. CH rc re 

++ +tritd mg, 

(Ce, — 63)? + (Cı — c3)? + (ıı — CH)” + (Cı -—- 65)” + (ea —cC3)” 
+lo, = 6), 4 (365) le, ch) ter cc) 
al 

so hat man 
93 =6m—+P; 
479 = 6m?’+2mp-+g; 
69, —. a N, 


und wenn man aus diesen drei Gleichungen p und g eliminirt: 


414 = 106m — 6m?’ —r, 
und weil 9, g, r positive Zahlen sind, so ist 


58 > 6m, 
414 = 106m — m, 


woraus folgt, dafs m nur die drei Werte m=8, m=7 und 
m = 6 erhalten kann. 
Nimmt man zuerst m = 8, so ist für diesen Werth 


py= 5 , q=b ;, r=D50. 


vom 10. October 1870. 765 
Die einzige Art wie die Zahl qg = 15 in fünf Quadrate zerlegt 
werden kann ist aber 
5 =3’+2’+1’+1°+0°, 
welche, weil keine der Zahlen c,, Ca, C3, C4, C; negativ ist, nicht 
p=5, sondern p=7 giebt. Der Fall m = 8 giebt also keine 


Auflösung der Aufgabe. 
Nimmt man zweitens m = 7, so hat man 


p=17.,'q=3 , 1-3. 
Die Zahl q = 31 läfst sich aber nur auf folgende drei Arten als 
Summe von 5 Quadratzahlen darstellen: 
al 5 9.212 112.202, 
Sl 


ae 320 na 92 7502, 


Die erste derselben ist zu verwerfen, weil sie nicht p = 11, son- 
dern p = 9 ergiebt; die zweite und dritte sind mit dieser Bedin- 


‚gung im Einklange und ergeben für die fünf Zahlen c,, Ca, C3, C4, Cs 
die Werthe 


und demgemäls für die sechs Zahlen a, a,, @4s, Q3, dı, a, die 
Werthe 
11,10, 9, omeeare7D 


10 NO OR IT, ur. 


Die ersteren sind aber mit den unter den drei graden Zahlen a, 

Gy, a, nothwendigen beiden Congruenzbedingungen (D.) und die 

anderen mit den unter den drei ungraden Zahlen a,, a;, a, noth- 

wendig Statt habenden Congruenzbedingungen (D.) unvereinbar. 

Der Fall m = 7 giebt also ebenfalls keine Lösung der Aufgabe. 
Nimmt man endlich m = 6, so hat man: 


p=1l11 ,a a=5I , r=6. 


Da r eine Summe von 10 Quadraten ist, so ist die Zahl 6 als 
Summe von 10 Quadraten darzustellen, welches auf folgende zwei 
verschiedene Arten möglich ist: 


766 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


62 + +1 +70, 
a a en ee 


Es ist aber unmöglich, dafs von den 10 Differenzen je zweier der 
fünf Grölsen c,, C3, C3, C4, C;, aus deren Quadraten r — 6 be- 
steht, genau 7 gleich Null sind; denn wenn selbst vier dieser Zah- 
len einander gleich wären, so würden nur 6 dieser Differenzen 
gleich Null sein. Es bleibt also nur die zweite Darstellung von 
r = 6 zu betrachten, für welche 3 von den fünf Zahlen c,, cz, C;, 
C;, €; einander gleich sein müssen und die übrigen beiden auch 
einander gleich und wo die Differenzen der ersten drei gleichen 
von den anderen zwei gleichen gleich Eins ist. Da die Summe 
p dieser Zahlen gleich 17 sein mufs, so genügen keine anderen 
Werthe der c,,c5, 3, c4,c, als 


re en 


Die zugehörenden Werthe der 6 Zahlen a, a,,45,43, Q4,4, Sind 
demnach: 


welche sich in der That den einzelnen Zahlen a, a,, @3, @;, a,, Q, 
so zuordnen lassen, dafs den vier Congruenzbedingungen (D.) ge- 
nügt wird, und zwar nur auf folgende Weise: 


Aber auch diese Werthe genügen den drei Gleichungen (A.) nicht, 
denn man erhält für dieselben 


5Q—P’+ar +ai — (a—a;)(a,—a,) + 2l(aa;-+a;za,) 
+ a4; = 102, 


und nicht 134, welchen Werth dieser Ausdruck vermöge der ersten 
dieser Gleichungen haben mufs. 

Es ist also in allen Fällen unmöglich, die sechs Zahlen a, a,, 
Ay, dz, d4, d; So zu bestimmen, dafs sie den drei Gleichungen (A.) 
genügen und darum ist es unmöglich die dritte Potenz eines idea- 
len Primfaktors der Zahl 2 als wirkliche complexe Zahl F(r) dar- 
zustellen; es giebt also keine niedere Potenz des idealen Primfak- 
tors der 2, als die neunte, welche wirklich ist. 


vom 10. October 1870. 767 


Hr. Weierstrafs legte die folgende Abhandlung des Herrn 
H. A. Schwarz zu Zürich vor: 

Über die Integration der partiellen Differential- 

gleichung 
ou g’u 
98° DEyrER 
unter vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeits- 
bedingungen. 

Im August 1866 hat Hr. Weierstrafs der Königl. Akademie 
von einer Arbeit Mittheilung gemacht, welche die conforme Ab- 
bildung eines einfach zusammenhängenden Bereiches T auf die 
Fläche $ eines Kreises beziehungsweise auf die Fläche E einer 
Halbebene betrifft, für den Fall, dafs die Begrenzungslinie des Be- 
reiches 7 von geradlinigen Strecken oder von Kreisbogen gebildet 
wird. Für den allgemeinen Fall wurde die Lösung der angegebe- 
nen Abbildungsaufgabe unter der Voraussetzung, dals es überhaupt 
eine Lösung derselben gebe, auf die Integration einer gewöhnlichen 
Differentialgleichung und die Bestimmung einer endlichen Anzahl 
von Constanten zurückgeführt. 

Diese Zurückführung beruht im Wesentlichen auf folgenden 
Betrachtungen. 


—g 


Es sei z= x + yi eine complexe Variable, in einer Ebene 
geometrisch dargestellt durch einen Punkt mit den rechtwinkligen 
Coordinaten x, y. Die auf der positiven Seite der x-Axe lie- 
gende Halbebene sei der Bereich E£. Der von geradlinigen Strecken 
oder von Kreisbogen begrenzte Bereich 7 sei der geometrische 
Ort eines Punktes, durch welchen eine zweite complexe Variable 

= + ri geometrisch dargestellt wird. 

Es wird vorausgesetzt, dafs für alle im Innern von E liegen- 
den Werthe von 2 die Variable £ als eine eindeutige analytische 
Funktion von 2 mit dem Charakter einer rationalen Funktion so 
erklärt ist, dafs vermöge der Beziehung & = f(z) der Bereich E 
auf den Bereich T zusammenhängend und in den kleinsten Theilen 
ähnlich abgebildet wird. | 

Nun bilde man die Funktionen 


d? dz d dENZ 
us: — — 11 — —— —= 
dz? log dz +(z- log = 0 


768 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Hierbei sind für die Funktion E(z) als singuläre Werthe von z 
aufser dem Werthe z = » alle diejenigen Werthe im Innern und 
auf der Begrenzung von E anzusehen, welche den der Fläche 7 
angehörenden Ecken, Windungspunkten und unendlich fernen Punk- 
ten entsprechen. 

Für die Funktion F(z) hingegen gehören die vorkommenden- 
falls den unendlich fernen Punkten von 7 entsprechenden Werthe 
von 2 nicht zu den singulären Werthen des Arguments, wenn jene 
Punkte nicht zugleich Windungspunkte oder Ecken von T sind. 

Die Funktion F(z) hat für alle reellen Werthe von z eben- 
falls reelle Werthe. Es ist daher möglich, das Gebiet des Argu- 
mentes z, welches zufolge der ursprünglichen Erklärung der Funk- 
tion F(z) zunächst auf die Halbebene E beschränkt ist, dadurch 
auf die ganze Ebene auszudehnen, dafs conjugirten Werthen des 
Argumentes 2 conjugirte Werthe von F(z) zugeordnet werden. 
Hierbei ergibt sich, dafs die durch die erweiterte Definition für 
alle Werthe der unbeschränkt veränderlichen complexen Gröfse z 
definirte analytische Funktion 72) in der Umgebung aller singu- 
lären Werthe den Charakter einer rationalen Funktion besitzt und 
daher — nach einem Fundamentalsatze der Theorie der analyti- 
schen Funktionen — selbst eine rationale Funktion von 2 ist. 

Wenn die Begrenzungslinie von 7’ nur aus geraden Strecken 
besteht, ergibt sich durch analoge Betrachtungen, dafs schon die 
Funktion E(z) eine rationale Funktion ihres Argumentes ist. 

Es darf hierbei nicht übersehen werden, dafs diese Beweis- 
führung wesentlich auf der von vorn herein gemachten Voraus- 
setzung beruht, dafs es eine Funktion = f(2) gebe, durch 
welche die geforderte Abbildung vermittelt wird, — dals es dem- 
nach nicht erlaubt ist, hieraus umgekehrt auf die Möglichkeit der 
Lösung der angegebenen Abbildungsaufgabe einen Schluls zu 
machen, bevor nicht der Nachweis geführt ist, dals es möglich ist, 
für jede einfach zusammenhängende von geraden Strecken oder 
Kreisbogen begrenzte Fläche 7 die in die rationalen Funktionen 
E(z) beziehungsweise F'(z) eingehenden Constanten so zu bestim- 
men, dafs allen Bedingungen der Aufgabe Genüge geschieht. 

Während es leicht ist, specielle Fälle anzugeben, für welche 
die Bestimmung der Constanten ohne Weiteres gelingt, liegt bei der 
betrachteten allgemeinen Aufgabe die einzige sich darbietende 


vom 10. October 1870. 769 


Schwierigkeit von Belang in dem zu leistenden Beweis für die 
Möglichkeit dieser Constantenbestimmung. 

Der Königl. Akademie habe ich die Ehre, im nachfolgenden 
Auszuge von einem Verfahren Mittheilung zu machen, durch dessen 
Anwendung es, wie ich mich überzeugt zu haben glaube, gelingt, 
nicht nur die Frage nach der Möglichkeit der Constantenbestim- 
mung bei der erwähnten Aufgabe allgemein zu beantworten, sondern 
überhaupt die von Riemann in seiner Inauguraldissertation und in 
seiner Abhandlung „Theorie der Abel’schen Funktionen“ ausge- 
sprochenen allgemeinen Lehrsätze über die Integration der par- 

2 2 

tiellen Differentialgleichung Au = - + ” = (0 unter vorge- 
schriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbedingungen streng zu be- 
weisen. 

1. Bezeichnet f($) eine nach dem Intervalle 2” periodisch 
sich wiederholende, endliche, stetige und eindeutige reelle Funktion 
des reellen Argumentes $, so stellen die Gleichungen 


je 72 


————_(d = 
— 2rcos(V — P) + r? v,(@er<n, 


un) = 5 I; 
u(ll,d)= /(®); r=1) 


eine für alle Punkte z=x + yi=r.el? einer mit dem Radius ı 

um den Punkt z = 0 beschriebenen Kreisfläche S (o<r=1) ein- 

deutig definirte, endliche und stetige Funktion u dar, welche für 

das Innere von $ (0<r<<1) der partiellen Differentialgleichung 
\2 2 

Au= + — = 0 genügt. Die durch die obigen Gleichun- 
Y 

gen mit der Beschränkung o<r=ı dargestellte Funktion ist zu- 

gleich die einzige, welche für alle Punkte von ‚$ endlich, stetig 

und eindeutig ist, welche für das Innere von ‚S der partiellen Diffel. 


Au = 0 in der Art genügt, dafs die partiellen Ableitungen von 
N2 2 
— = a _! in demselben Umfange existiren, endliche, 
stetige und eindeutige Funktionen von x und y sind, und welche 
überdiefs auf dem Rande von $ mit /($) übereinstimmt. 
Einen Beweis dieser Sätze, welcher nach der von Riemann 
im Artikel 10. seiner Dissertation mitgetheilten Methode geführt 


770 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


ist, habe ich im XV. Jahrgange der Vierteljahrsschrift der Natur- 
forschenden Gesellschaft in Zürich 1870 pag. 113-128 veröffentlicht. 

9. Die eben definirte Funktion % ist für alle Werthe von r, 
welche die Einheit nicht überschreiten, in eine nach Produkten 
aus den Potenzen von r und den Sinus und Cosinus der gleich- 
namigen Vielfachen von ® fortschreitende Reihe entwickelbar und 
es finden auf diese Funktion diejenigen Betrachtungen Anwendung, 
welche überhaupt die analytische Fortsetzung von Funktionen, wel- 
che partiellen Differentialgleichungen genügen, betreffen. Insbesondere 
gilt der Satz: Wenn zwei Funktionen 4, und u,, welche für zwei 
Bereiche 7, und 7,, die ein einfach zusammenhängendes Gebiet 
T* von zwei Dimensionen gemeinsam haben, als endliche, eindeutige 
und stetige Funktionen erklärt sind und in dem erklärten Sinne 
der partiellen Diffgl. Au = 0 genügen, in einem noch so kleinen 
Theile dieses gemeinsamen Gebietes mit einander übereinstimmen, 
so stimmen sie für alle Punkte desselben mit einander überein, 
lassen sich unter Aufrechterhaltung der angegebenen Eigenschaften 
beide simultan gleich weit analytisch fortsetzen und stimmen längs 
jeder solchen Fortsetzung mit einander überein. 

3, Wenn eine Funktion u für einen Bereich 7 einschliefslich 
der Begrenzung desselben endlich, stetig und eindeutig ist und im 
Innern desselben der partiellen Diffgl. Au = 0 im angegebenen 
Sinne genügt, so hat dieselbe entweder in einem Theile des Ge- 
bietes einen constanten Werth und dann ist dieselbe überhaupt 
eine Constante, oder dieses ist nicht der Fall. Im letztern Falle 
möge der gröfste Werth von u mit g, der kleinste Werth mit k 
bezeichnet werden. Einen Beweis des Satzes, dafs eine stetige 
Funktion einer oder mehrerer Veränderlichen, welche nicht eine 
Constante ist, einen gröfsten Werth mindestens für einen Punkt 
‘m Innern oder auf der Begrenzung des Bereiches der Variablen, 
für welchen jene Funktion erklärt ist, wirklich erreicht, falls die 
Funktion einschliefslich der Begrenzung des Bereiches stetig ist, 
hat Hr. Weierstrafs in seinen Vorlesungen gegeben, auf den 
Bezug zu nehmen ich mir erlaube. Im vorliegenden Falle müssen 
die Punkte, in denen die Funktion u ihre extremen Werthe er- 
reicht, auf der Begrenzung liegen. (Vergl. Riemann’s Inaugural- 
dissertation Art. 11. Ill.) 

Wenn also die Funktion w nicht constant ist, so liegen alle 
Werthe, welche dieselbe für die innern Punkte des Bereichs 7 


vom 10. October 1870. 171 


unter den angegebenen Voraussetzungen annehmen kann, zwischen 
dem gröfsten ‚Werthe g und dem kleinsten Werthe & unter den- 
jenigen Werthen, welche u auf der Begrenzung von 7 annimmt. 

Wenn daher alle Werthe von u am Rande von T gleich Null 
Sind, so ist % auch für alle innern Punkte gleich Null. 

Wenn es mithin eine Funktion « gibt, welche unter den an- 
gegebenen Bedingungen für den Bereich 7 erklärt ist und in jedem 
Punkte der Begrenzung einen vorgeschriebenen, nach der Stetig- 
keit sich ändernden Werth besitzt, so gibt es nur eine solche 

‘ Funktion. 

4. Wenn ein einfach zusammenhängender Bereich (2) tür 
welchen eine Funktion u den angegebenen Bedingungen gemäfs 
erklärt ist, durch eine analytische Funktion 


Zn a nay) 


auf ein Gebiet ($)’ conform abgebildet wird und die Funktion F‘(z) 
für alle Punkte im Innern des Gebietes (2) den Charakter einer 
ganzen Funktion besitzt, während F’(z) im Innern desselben nicht 
gleich Null wird, so geht die Funktion u von x und y in eine 
Funktion von & und „ über und genügt für das Gebiet (5) und 
die Variablen E und » ebenfalls den allgemeinen Bedingungen. 

Dieser bekannte Satz macht es in Verbindung mit der in no. 1. 
angegebenen Formel möglich, für jeden einfach zusammenhängenden 
Bereich 7, welcher ganz im Endlichen liegt und in seinem Innern 
keinen Windungspunkt besitzt, die partielle Differentialgleichung 
Au = 0 vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu integriren, 
wenn die conforme Abbildung dieses Bereiches T auf die Fläche S 
eines Kreises bekannt ist. Unter denjenigen Bereichen, welche 
durch Vermittelung einfacher Funktionen auf die Fläche eines Krei- 
ses conform abgebildet werden können, sind hervorzuheben: 

@. Die von zwei Kreisbogen begrenzte Sichel oder Mond- 
figur. 

Wenn die Werthe z=2, und z=), die beiden Ecken der 
Mondfigur bestimmen, und der Winkel, den die Tangenten beider 
Kreisbogen in diesen Punkten mit einander bilden mit «= bezeich- 
net wird, so wird diese Figur durch die Funktion 


un 
I 
N 
aa 
un 
| Q 
© (>) 
8] 


772 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


auf eine in der Ebene der complexen Gröfse £ liegende Halbebene 
conform abgebildet. Die conforme Abbildung einer Halbebene auf 
das Innere eines Kreises wird aber bekanntlich durch eine ge- 
brochene Funktion ersten Grades vermittelt, welche für einen 
jener Halbebene nicht angehörenden Punkt unendlich grols wird. 

Zu den Gebieten dieser Art gehört auch das Kreissegment 
und der Halbkreis. 

b. Ein von drei Kreisbogen oder geraden Strecken begrenztes 
Stück der Ebene, oder Kreisbogendreieck, wenn zwei der 
Eckenwinkel Rechte sind und der dritte gleich «= ist, wobei je- 
doch « weder gleich Null noch einer ganzen Zahl gleich ist. 

Bezeichnet z—= z, die Ecke des Bereiches mit dem Ecken- 
winkel «r, z = z, den zweiten Schnittpunkt der im Punkte 2= 2, 
sich schneidenden Kreise, so wird dieser Bereich durch die Funktion 


auf die Fläche eines Halbkreises conform abgebildet, wodurch dieser 
Fall auf den vorhergehenden zurückgeführt ist. 
Zu den Gebieten dieser Art gehört auch der Kreissektor; 


in diesem Falle ist 2, = ®o und man hat $ = (2 — 20)= zu Setzen. 

Den unter a. und b. genannten Gebieten reiht sich an: 

c. Ein von drei Kreisbogen begrenztes ebenes Kreisbogen- 
dreieck, in welchem eine Ecke eine Spitze ist und die Winkel 
in den beiden andern Ecken Rechte sind. 

Bezeichnet z = z, die Lage der Spitze dieses Bereiches und 
2 —= zu te*”i.t für positive Werthe von t die Tangente der 
Spitze, so wird dieser Bereich durch die Funktionen 


e N, m 
eo ‚e=e° 


Mg 


auf die Fläche eines in der Ebene der complexen Gröfse $’ liegen- 
den Kreissektors conform abgebildet, und hierdurch ist dieser Fall 
auf den vorhergehenden zurückgeführt. 

Für die genannten drei Bereiche also, sowie für alle diejeni- 


gen Bereiche, welche auf diese conform abgebildet werden können, | 


kann die partielle Diffgl. Au = 0 vorgeschriebenen Grenzbedin- 
gungen gemäls integrirt werden. | 


vom 10. October 1870. 773 


9. Unter einer ebenen analytischen Linie versteht man eine 
ebene Linie, für welche die rechtwinkligen Coordinaten x und Yy 
eines beliebigen Punktes analytische Funktionen einer reellen Ver- 
änderlichen z sind. Es sei = t, ein specieller Werth von it, so 
ist also die Gleichung 


?=6+C(t—b)+6,(t— tt)? + --- in. inf. = /(t;t,) 


WO Co, €ı, Ey *** complexe Constanten von der Beschaffenheit. 
bezeichnen, dafs die Reihe für alle dem absoluten Betrage nach 
eine gewisse Grenze nicht überschreitenden Werthe von t— tu con- 
vergirt, die allgemeine Gleichung eines Zweiges einer analytischen 
Linie. Man betrachte ein Stück dieses Zweiges, welches so be- 
schaffen ist, dafs für keinen im Innern desselben liegenden Punkt 
- den Werth Null annimmt. 


In der analytischen Gleichung 


2 = f(t; t,) 


können der Variablen i auch complexe Werthbe beigelegt werden; 
dann vermittelt diese Gleichung eine conforme Abbildung eines 
Theiles der Ebene der complexen Gröfse t, welcher jene in Be- 
tracht gezogene Strecke der reellen Axe enthält, auf einen Theil 
der Ebene der complexen Gröfse z, welcher jenen betrachteten 
Bogen der analytischen Linie in seinem Innern enthält. Es ist 
auch möglich, zu beiden Seiten der geraden Strecke zwei solche 
Theile 7, und 7, abzugrenzen, dafs für keinen Punkt im Innern 


d ; A 
der so abgegrenzten Theile Sr gleich Null wird. Um die Vor- 


stellung zu fixiren, mag angenommen werden, dafs die beiden Be- 
reiche 7, und 7, zwei zu einander symmetrische Kreisabschnitte 
seien. Die beiden Theile 7, und 7, werden durch die analytische 
Funktion auf zwei zu beiden Seiten der analytischen Linie liegende 
Theile Z, und Z, der Ebene der complexen Gröfse 2 conform 
abgebildet. Für diese Bereiche kann also nach dem Inhalte von 
no. 1. und no.4. die Diffgl. Au = 0 beliebig vorgeschriebenen 
Grenzbedingungen gemäls integrirt werden. 

Es ist auch umgekehrt möglich, wenn in der Ebene der com- 
plexen Gröfse z eine analytische Linie gegeben ist, ein Gebiet 
Zı + Z, anzugeben, welches ein Stück der analytischen Linie 

Da 


774 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


in seinem Innern enthält und welches auf die Ebene der com- 
plexen Gröfse t conform so abgebildet werden kann, dafs dem 
Stücke der analytischen Linie eine gerade Strecke entspricht. 

Diese Eigenschaft ist für die analytischen Linien charakteris- 
tisch. 

In einigen Fällen bietet es Vortheile, statt der Variablen ? 
die Bogenlänge s der Curve, von einem festen Punkte bis zu einem 
beweglichen gezählt, als unabhängige Variable einzuführen. 

Es gibt zwar unendlich viele Funktionen, welche die Eigenschaft 
haben, die Gebiete Z, und Z, auf zwei andere durch eine gerad- 
linige Strecke getrennte Gebiete 7, und 7, conform abzubilden. 
Werden aber die Punkte von 7, und 7, durch Symmetrie einander 
zugeordnet, so ist das aus dieser Zuordnung hervorgehende punkt- 
weise Entsprechen der Gebiete Z, und Z, allein von der betrach- 
teten analytischen Linie, nicht aber von der besondern Wahl der 
abbildenden Funktion abhängig (Vergl. Borehardt’s Journal Bd. 70. 
pag. 106 und 107). Die Möbius’sche Kreisverwandtschaft ist ein 
specieller Fall eines solchen Entsprechens, welcher eintritt, wenn 
die analytische Linie ein Kreisbogen ist. 

6. Längs einer analytischen Linie Z im Innern eines Bereiches 
T, für welchen eine Funktion « im angegebenen Sinne der part. 
Diffgl. Au = 0 genügt, besitzt diese Funktion in Bezug auf den 
Bogen s dieser Linie den Charakter einer ganzen Funktion. Um- 
gekehrt: Wenn der Bogen L einer analytischen Linie einen Theil 
der Begrenzung eines Bereiches 7 bildet, für welchen eine Funk- 
tion u der Diffgl. Au —= 0 genügt, und die Werthe von % längs 
der Linie Z mit /(s) bezeichnet werden, so ist die nothwendige 
Bedingung dafür, dafs sich die Funktion u über die Linie Z hin- 
aus analytisch fortsetzen lasse, nämlich dafs /(s) eine analytische 
Funktion von s ist, welche für alle in Betracht kommenden Werthe 
von s den Charakter einer ganzen Funktion besitzt, für die 
Möglichkeit dieser analytischen Fortsetzung auch hinreichend. Ein 
specieller Fall dieses Satzes tritt ein, wenn die Linie Z eine ge- 
rade Strecke ist, längs welcher eine Funktion den Werth Null 
hat. In diesem Falle nimmt die Funktion « in solchen Punkte- 
paaren, welche in Bezug auf die Gerade symmetrisch liegen, ent- 
gegengesetzte Werthe an, ein Satz, welcher sein Analogon in der 
Potentialtheorie findet. 


vom 10. October 1870. 775 


Bei dieser Gelegenheit mag erwähnt werden, dafs, wenn die 
Funktion f(P) in no. 1. in Bezug auf $ an keiner Stelle den Charak- 
ter einer ganzen Funktion besitzt, dafs in diesem Falle die Peri- 
pherie der Kreisfläche S für die Funktion vw und für die analy- 
tische Funktion 


1 
Fe) = — Is) dl, mod e<ı, 
27 e 2 
0 


deren reeller Theil die Funktion % ist, hinsichtlich des Bereiches 
der Argumente dieser Funktionen eine natürliche Grenze bildet, 
welche von der Darstellungsform unabhängig ist. 

Auf den für die Funktionentheorie wichtigen Umstand, dafs 
der Bereich des Argumentes einer analytischen Funktion nicht 
immer ein willkürlich auszudehnender, sondern vielmehr in vielen 
Fällen ein bestimmt begrenzter ist, hat Hr. Weierstrafs vor 
einigen Jahren aufmerksam gemacht. (Monatsberichte 1866 pro: 

7. An die vorhergehenden Erörterungen schliefst sich eine 
Untersuchung der Unstetigkeiten an, welche eine Funktion vw in 
einem Punkte annehmen kann, wenn der Werth der Funktion bei 
der Annäherung an diesen Punkt dem absoluten Betrage nach 
einen endlichen Werth nicht überschreitet. Wenn eine Funktion u 
für das Innere eines beliebig grofsen um den Punkt z—= 0 mit dem 
Radius R beschriebenen Kreises so erklärt werden kann, dafs sie 
der Diffgl. Au = 0 im angegebenen Sinne genügt, und, wie grols 
auch $ sein möge, dem absoluten Betrage nach die endliche Grölse g 
nicht überschreitet, so ist die Funktion eine Constante. Der Be- 
weis dieses Satzes folgt aus der in no. l. angegebenen Formel, 


wenn in derselben r durch = /(P) durch u (R, &) ersetzt und 


dann zur Grenze lim R = co übergegangen wird. 

Wenn von einer Funktion u bekannt ist, dafs dieselbe für 
das Innere eines Bereiches 7 mit Ausnahme eines im Innern des- 
selben liegenden Punktes z,, (für welchen es noch ungewifs ist, 
ob die Funktion für denselben überhaupt einen bestimmten Werth 
hat,) im obigen Sinne der Diffgl. Au —= 0 genügt, und dafs, wenn 
in der Umgebung von z, ein beliebig kleiner Bereich abgegrenzt 
wird, alle Werthe von u im übrigen Bereiche, wie klein auch der 
ausgeschlossene sein möge, die endliche Grölse g dem absoluten 


776 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Betrage nach nicht überschreiten, wenn endlich eine durch Ab- 
änderung des Werthes von u im Punkte z, hebbare Unstetigkeit 
ausgeschlossen wird, — so genügt dieses, um zu schliefsen, dafs 
die Funktion u auch für den Punkt z, einen endlichen und be- 
stimmten Werth hat, dafs dieselbe überhaupt in der Nähe dieses 
Punktes, den Punkt z, selbst eingeschlossen, den Charakter einer 
ganzen Funktion besitzt. 

Im Innern eines Bereiches 7 kann also eine der Diffgl. Au = 0 
im Allgemeinen genügende Funktion keine anderen Singularitäten 
besitzen, als solche, bei denen die Funktion sich verzweigt oder 
unendlich grofse Werthe erreicht. 

Auch in dem Falle, wenn auf der Begrenzung von T ein ein- 
zelner Punkt z, liegt, für welchen die Eindeutigkeit und Stetig- 
keit von u ungewifs ist, während die Endlichkeit von v in der 
Umgebung dieses Punktes feststeht, läfst sich analogerweise der 
Schlufs auf das Vorhandensein dieser genannten beiden Eigenschaften 
machen, wenn erstens bekannt ist, dafs das Gebiet T conform so 
abgebildet werden kann, dafs einem Stücke der Begrenzung von 7, 
welches den Punkt z, im Innern enthält, eine gerade Strecke ent- 
spricht, und zweitens die Werthe von « längs der Begrenzung von T 
in jenem Punkte 2, eine Unterbrechung der Stetigkeit nicht er- 
leiden. 

Wenn dagegen unter im Übrigen unveränderten Voraussetzun- 
gen die Werthe von u längs der Begrenzung von T im Punkte z, 
eine Unterbrechung der Stetigkeit erleiden und der Punkt z, nicht 
zugleich eine Spitze der Begrenzung von 7 ist, so erhält man aus 
Yes 
2 8%, 
bei geeigneter Bestimmung der Constante C eine in diesem Punkte 
eindeutige und stetige Funktion. 

Ist aber der Punkt z, eine Spitze und sind die beiden die 
Spitze bildenden Linien Z, und Z, analytische Linien, so kann, 
ohne dafs der Allgemeinheit Eintrag geschieht, angenommen wer- 
den, dafs die die Ordnung der gegenseitigen Berührung der beiden 
Linien in der Spitze ausdrückende Zahl, welche stets eine positive 
rationale Zahl ist, nicht gröfser sei als die ebenfalls rationalen 
Zahlen, welche die Ordnung der Berührung der beiden Linien mit 
der Tangente der Spitze ausdrücken, da auf diesen Fall der 


der Funktion v durch Subtraktion eines Ausdruckes Carctg 


eom 10. October 1870. 771 


allgemeinere durch eine vorhergehende conforme Abbildung stets 
zurückgeführt werden kann. 

Wird dann die Spitze selbst zum Pol von Polarcoordinaten 
gewählt und entspricht ® = 0 der Tangente der Spitze, so erhält 
man aus der Funktion u durch Subtraktion eines Ausdruckes 


1 


C- — sinu® 


y 


bei geeigneter Bestimmung von C und x eine auch in der Um- 
gebung der Spitze stetige Funktion. Wird also der Grölse r ein 
constanter Werth von hinreichender Kleinheit beigelegt, so sind 
für die in Betracht kommenden Werthe von (5 die Änderungen 
von u um so genauer den Änderungen von $ proportional, je 
kleiner der Werth von r ist. 

In dieser Form gilt der Satz sowohl für den Fall einer Spitze 
als auch für den Fall einer Ecke. 

8. Wenn für die Werthe einer Funktion vu längs der Be- 
grenzung von Z Unstetigkeiten (endliche Sprünge) in einer end- 
lichen Anzahl von Punkten der Begrenzung zugelassen werden, 
so kann es ebenfalls nur eine Funktion geben, welche längs der 
ganzen Begrenzung vorgeschriebene Werthe hat, nirgends unend- 
lich grofs wird, mit Ausnahme jener Punkte stetig und eindeutig 
ist und im Innern von 7 mit Ausnahme einer endlichen Anzahl 
von Punkten im angegebenen Sinne der partiellen Diffgl. Au = 0 
genügt. 

Auch gilt unter denselben Voraussetzungen noch der Satz 
(vergl. no. 3.), dafs der Werth von % für einen inneren Punkt des 
Gebietes stets zwischen der oberen und unteren Grenze derjeni- 
gen Werthe liegt, welche diese Funktion auf der Begrenzung von 7 
annimmt. 

Die in no. 1. angegebene Formel stellt für die Fläche eines 
Kreises die einzige den obigen Bedingungen genügende Funktion u 
auch dann dar, wenn die längs der Peripherie vorgeschriebene 
Werthenreihe /(P) in einer endlichen Anzahl von Punkten un- 
stetig ist. 

9. Die vorstehenden Betrachtungen erfahren keine wesentliche 
Modifikation, wenn der Bereich T in seinem Innern Windungs- 
punkte enthält. 


778 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Der einfachste Fall eines solchen Bereiches ist der Fall einer 
m-blättrigen Kreisfläche, für welche der Mittelpunkt ein 
m — 1 facher Windungspunkt ist. Ist 2—=z, der Mittelpunkt, R 
der Radius der begrenzenden Kreislinie, so führt die eonforme Ab- 
bildung durch die Funktion 


auf den unter no. 1. betrachteten Fall einer einblättrigen Kreis- 
Näche zurück. (Vergl. Riemann’s Dissertation Art. 14.) 

Während die Funktion u auch für die Windungspunkte die 
Eigenschaft behält, Stetig und eindeutig bestimmt zu sein, wenn 
sie endlich bleibt, können ihre partiellen Ableitungen bei der An- 
näherung an diese Punkte unendlich grofs werden und hören für 
die Windungspunkte selbst im Allgemeinen zu exist'ren auf. Die 
Gültigkeit des unter no. 8. erwähnten allgemeinen Satzes wird je- 
doch durch die Zulassung von Windungspunkten für das Innere 
des Bereiches nicht beeinträchtigt. 

10. Es werde angenommen, für einen von einer endlichen 
Anzahl von Stücken analytischer Linien begrenzten Bereich 7 sei 
es möglich, die part. Diffgl. Au—= 0 im angegebenen Sinne be- 
liebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu integriren. 
Hierbei sollen die längs der Begrenzung von 7 vorgeschriebenen 
Werthe überall endlich und mit Ausnahme einer endlichen Anzahl 
von Punkten P, in welchen eine Unterbrechung der Stetigkeit ein- 
tritt, stetig und eindeutig erklärt sein. 

Für diesen Bereich ist dann, wie eine nähere Untersuchung 
zeigt, die Voraussetzung erfüllt, betreffend die Abbildbarkeit von 
Theilen des Gebietes T in der Nähe der etwa vorhandenen Ecken 
und Spitzen der Begrenzung von T auf zum Theil geradlinig be- 
grenzte Bereiche, welche in no. 7. gemacht wurde, und es finden 
daher auf den Bereich T die unter no. 7. und 8. angeführten Sätze 
Anwendung. 

Die Begrenzung von 7 denke man sich in eine endliche An- 
zahl von Strecken (Theilen) getheilt und diese wieder zu zwei 
Gruppen angeordnet, so dafs in jeder Gruppe mindestens eine 
Strecke enthalten ist. Den einzelnen Strecken lege man, jenach- 


vom 10. October 1870. 179 


dem sie der ersten oder zweiten Gruppe angehören, ungrade oder 
grade Ordnungszahlen bei. 

Dann ist die Anzahl derjenigen Punkte, welche eine Strecke 
mit grader und eine Strecke mit ungrader Ordnungszahl trennen, 
Jedenfalls eine endliche; dieselbe kann auch gleich Null sein, wenn 
die Begrenzungslinie aus mehr als einem geschlossenen Theile be- 
steht. Diese Punkte mögen mit P bezeichnet werden. Nach der 
Voraussetzung gibt es nun eine und nach dem Inhalt von no. 8. 
nur eine einzige Funktion u, welche mit Ausnahme der Punkte P 
und einer endlichen Anzahl anderer Punkte für den Bereich T der 
partiellen Diffgl. Au = 0 genügt und in allen Punkten der Be- 
grenzung den Werth Null oder + 1 hat, jenachdem die Ordnungs- 
zahl der Strecke, in deren Innerem der betreffende Punkt liegt, 
grade oder ungrade ist. 

Man denke sich nun im Innern von T eine endliche Anzahl 
analytischer Linien Z gegeben, welche mit den Strecken ungrader 
Ordnungszahl entweder keinen Punkt oder nur Endpunkte P der- 
selben gemeinsam haben. Im letzteren Falle wird Jedoch voraus- 
gesetzt, dals die Ordnung der etwaigen Berührung zwischen einer 
der Linien Z und einer Strecke ungrader Ordnungszahl in keinem 
der gemeinsamen Punkte ? höher sei, als die Berührung zwischen 
derselben Strecke ungrader Ordnungszahl und der in dem Punkte 
P anstofsenden Strecke mit grader Ordnungszahl. Für alle die- 
jenigen Werthe, welche die oben erklärte Funktion u für die Punkte 
der Linien Z annehmen kann, gibt es eine obere Grenze, beziehungs- 
weise ein Maximum. Diese obere Grenze q ist kleiner als ı. 
Nach der Beweismethode des Hrn. Weierstrafs, welche auch dem 
Beweise des in no. 3. erwähnten Satzes zu Grunde liegt, gibt es 
auf den Linien Z mindestens einen Punkt @ von der Beschaffen- 
heit, dafs, wenn von derjenigen Linie, auf welcher dieser Punkt 
liest, in der Umgebung desselben ein beliebig kleines Stück ab- 
geschnitten wird, die obere Grenze aller Werthe, welche die Funk- 
tion u für die Punkte dieses Stückes annehmen kann, ebenfalls 
noch g ist. Man betrachte einen dieser Punkte; liegt derselbe im 
Innern von 7, so wird der Werth q wegen der Stetigkeit der 
Funktion u in diesem Punkte erreicht; es ist q ein Maximum; da 
nun nach no. 8. der Werth von u für jeden innern Punkt zwi- 
schen dem Werthe 0 und +1 liegt, und keinen dieser Werthe 
wirklich annehmen kann, so ist q kleiner als ı. 


750 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Wenn hingegen der Punkt @ auf der Begrenzung von T liegt, 
so kann er nur mit einem der Punkte P zusammenfallen und dann 
ist g der Grenzwerth, welchem sich u nähert, wenn der ent- 
sprechende Punkt längs einer der Linien Z jenem Punkte P sich 
nähert. Dann folgt aber aus den gemachten Voraussetzungen, 
(vergl. no. 7.) dafs q kleiner als 1 ist. 

11. Es möge nun für denselben Bereich 7 bei derselben Einthei- 
lung der Begrenzung in Strecken mit grader und ungrader Ordnungs- 
zahl und für dieselben Linien Z eine Funktion v, bestimmt wer- 
den, welche für das Innere von 7 der Diffgl. Au, = 0 genügt und 
auf der Begrenzung längs der Strecken mit grader Ordnungszahl 
den Werth Null hat, und deren Werth längs der Strecken mit un- 
grader Ordnungszahl dem absoluten Betrage nach die Grölse gı 
nicht überschreitet. 

Betrachtet man nun die Funktion 


a ne een 


wo u dieselbe Bedeutung hat, wie in no. 10., so genügt diese der 
Diffgl. Au, = 0 und hat längs der Begrenzung von 7 zum Theil 
den Werth Null, zum Theil positive Werthe. Daher ist der Werth 
von u, für keinen Punkt im Innern von 7 negativ und es über- 
steigt somit der Werth von u, dem absoluten Betrage nach nir- 
gends den Werth von gı-u; längs der Linien Z übersteigt also 
der Werth von u, in keinem Punkte die Gröfse g,'g, wo die 
Zahl q die in no. 10. erklärte Bedeutung hat und kleiner als 1 ist. 

Auf diesem Satze beruht hauptsächlich das Gelingen des fol- 
senden Convergenzbeweises. 

12. Nach dem für eine Anzahl von einfach begrenzten Be- 
reichen gezeigt ist, dafs für dieselben die Diffgl. Au = 0 beliebig 
vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls integrirt werden kann, 
handelt es sich darum, den Nachweis zu führen, dafs auch für 
einen weniger einfachen Bereich, der aus jenen auf gewisse Weise 
zusammengesetzt ist, die Diffgl. Au = 0 beliebigen Grenzbedin- 
gungen gemäfs integrirt werden kann. 

Zum Beweise dieses Satzes kann ein Grenzübergang dienen, 
welcher mit dem bekannten zur Herstellung eines luftverdünnten 
Raumes mittelst einer zweistiefeligen Luftpumpe dienenden Ver- 


vom 11. October 1870. 781 


fahren grofse Analogie hat und welcher kurz Grenzübergang durch 
alternirendes Verfahren genannt werden kann. 

Es seien gegeben zwei von analytischen Linien begrenzte Be- 
reiche 7, und T,, welche einen oder mehrere Bereiche T* ge- 
meinsam haben. Die Begrenzung von 7, wird von der Begren- 
zung von 7, in eine Anzahl Stücke zerschnitten. Das System 
aller Theile der Begrenzung von 7,, welche aufserhalb 7, liegen, 
werde mit ZL,, das System aller übrigen, innerhalb 7, liegenden 
Theile mit Z, bezeichnet. Hierbei sollen alle den Begrenzungen 
von T, und 7, etwa gemeinsamen Strecken dem Systeme L, zu- 
gezählt werden. 

Ebenso zerfällt die Begrenzung von 7, in die Systeme ZL, 
und Z,;, wenn nämlich mit Z, das System aller Stücke, welche 
innerhalb 7’, liegen, mit 1 das System aller Stücke, die aulser- 
halb T, liegen, bezeichnet wird, wobei etwaige gemeinsame Be- 
grenzungstheile dem Systeme Z, zuzuzählen sind. 

Es wird vorausgesetzt, dafs die Systeme L, und Z, keine 
anderen Punkte gemeinsam haben, als solche, in denen die Be- 
grenzungen von 7, und 7, sich schneiden, und zwar, dafs in 
diesen Punkten. zwischen den betreffenden Linien der Systeme 
L, und ZL, nicht eine Berührung von höherer Ordnung stattfindet, 
als in demselben Punkte zwischen den betreffenden Linien der 
Systeme L. und L, Statt hat. 

Es wird ferner vorausgesetzt, es sei sowohl für den Bereich 7, 
als auch für den Bereich 7, möglich, die Diffgel. Au = 0 beliebig 
vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu integriren. 

Es wird behauptet, dafs es unter diesen Voraussetzungen mög- 
lich sei, auch für dasjenige Gebiet 7, + 7, — T*—=T, welches 
das Gebiet 7, und das Gebiet 7, als Theile enthält, bei welchem 
aber das beiden Gebieten 7’, und 7, gemeinsame Gebiet 7* nur 
einfach zu zählen ist, die Diffgl. Au = 0 beliebig vorgeschriebenen 
Grenzbedingungen gemäfls zu integriren. 

Sowohl für das Gebiet 7, und das System L, als auch für das 
Gebiet 7, und das System Z, sind die Bedingungen des in no. 11. 
entwickelten Hülfssatzes erfüllt, wenn im ersten Falle das System 
Lo, im zweiten das System Z, an die Stelle der Gruppe der 
Strecken mit grader Ordnungszahl tritt. Es ist daher möglich, 
zwei Zahlen g, und g, zu bestimmen, welche die Rolle der Zahl q 
in dem Hülfssatze vertreten und welche beide kleiner sind als ı. 


132 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Es seien auf der Begrenzung von 7, also längs L, und Z,, 
die Werthe für die Funktion u willkürlich vorgeschrieben; g sei 
die obere, & sei die untere Grenze dieser Werthe; die Differenz 
9 — k werde mit @ bezeichnet. 

Nun nehme man |längs Z, eine Werthenreihe willkürlich an, 
z.B. in allen Punkten von Z, den Werth k, und bestimme für 
das Gebiet 7, eine Funktion u,, welche längs Z, die vorgeschrie- 
benen Werthe, längs Z, den Werth %k hat und im Innern von T, 
der Differentialgleichung Au, = 0 genügt. Nach der über das Ge- 
biet 7, gemachten Voraussetzung gibt es eine solche Funktion. 

Die Werthe, welche die Funktion u, längs Z, hat, denke 
man sich fixirt und bestimme für das Gebiet T, eine Funktion u,, 
welche längs Z, die vorgeschriebenen Werthe hat, längs ZL, mit 
der vorher bestimmten Funktion u, übereinstimmt und für welche 
Au, = 0 ist. Nach der über das Gebiet 7, gemachten Voraus- 
setzung gibt es eine solche Funktion. 

Der Werth von u; — u, oder von u, — k längs ZL, ist kleiner 
als g—k—= @. 

Man bestimme nun für das Gebiet T, eine Funktion u,, wel- 
che längs ZL, die vorgeschriebenen Werthe hat, längs ZL, mit u, 
übereinstimmt und für welche Au, — 0 ist. 

Die Differenz u, —u, ist im Innern von 7, in keinem 
Punkte negativ und dem absoluten Betrage nach kleiner als G, 
längs L, aber nach dem erwähnten Hülfssatze kleiner als @- 915 
weil u; — u, längs ZL, den Werth Null hat und längs ZL, kleiner 
als @ ist. 

Den Werth der Funktion u; längs L, denke man sich fixirt 
und für das Gebiet 7, eine Funktion u, bestimmt, welche längs 
L, mit u, übereinstimmt, längs L, die vorgeschriebenen Werthe 
hat und für welche Au, = 0 ist. 

Die Differenz u, — u, hat längs Z, den Werth Null und ist 
längs L,, wo sie mit u; — u, übereinstimmt, positiv und kleiner 
als @ -q,; daher ist im Innern von 7, u, — u; nirgends negativ 
und beständig kleiner als @-g,, längs L, aber kleiner als G:08 >08 

Durch Fortsetzung dieses alternirenden Verfahrens gelangt 
man zu einer Reihe von unendlich vielen Funktionen mit ungradem 
und mit gradem Index. Die einen sind für das Gebiet 7,, die 
andern für das Gebiet T, so erklärt, dafs sie bezichlich längs L, 
und L; die vorgeschriebenen Werthe haben und im Innern der 


vom 10. October 1870. 783 


Gebiete, für welche sie erklärt sind, der partiellen Differential- 
gleichung Au = 0 genügen. 

Für das Gebiet 7’* sind sowohl die Funktionen mit ungradem 
als die mit gradem Index erklärt und zwar stimmen dieselben ab- 
wechselnd längs Z, und längs Z, mit einander überein. Längs 
L, ist nämlich u;„.ı = 4,, und längs L, Un = u. 

Die Funktionen mit ungradem und diejenigen mit gradem 
Index nähern sich mit wachsendem Index bestimmten Grenzfunk- 
tionen w und w”, welche durch die Gleichungen 


u = Uı + (u; 


u)+ (u —u,) + (Ur U) + ---ininf. 


"= +W—%)+(Ww—u) + (Usn+2  %n) + ininf. 


erklärt sind, denn die auf der rechten Seite stehenden Reihen eon- 
vergiren unbedingt und für alle in Betracht kommenden Werthe- 
paare x, y in gleichem Grade; es ist nämlich 


(lanzı Un 1) = GG: (91 -95)° , und 


ae U) Or areeg: 


Man denke sich nun für den Bereich 7, die Funktion % be- 
stimmt, welche längs L, die vorgeschriebenen Werthe besitzt, 
längs /, mit w übereinstimmt und für das Innere von 7, der 
Diffgl. Au = 0 genügt. Dann hat die Differenz 


(I — Ugn-+iı 


längs L, der Werth Null und ist längs Z, kleiner als 


Gala 
1 91.208 


Hieraus folgt, dafs u— u,,;ı auch für jeden innern Punkt von 
T, kleiner als diese Gröfse ist; daher ist u gleich lim %,,4, für 
n = ©o, und es stimmen somit die beiden Funktionen % und w für 
das Innere von 7, überein; also genügt w der Difgl. Au’ = 0. 
Auf dieselbe Weise wird gezeigt, dafs für das Innere von 7; 
Au 0. 


754 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


(Dafs Au’ = 0 und Au” = 0 erfordert einen besonderen Nach- 
weis, weil im Allgemeinen aus der in gleichem Grade stattfinden- 
den Convergenz einer unendlichen Reihe und der Differentirbar- 
keit der einzelnen Glieder nicht mit Sicherheit die Differentiirbar- 
keit der Summe geschlossen werden kann.) 

Sowohl längs L, als längs ZL, ist W= uw”; daher ist für 
jeden Punkt von 7* W= uw”, weil auf der ganzen Begrenzung 
von 7T* beide Funktionen’ mit einander übereinstimmen. 

Es sind demnach (s. no. 2.) die beiden Funktionen w und «" 
Werthe derselben Funktion u, welche für das ganze Gebiet 
T=T, + T, — T* erklärt ist, im Innern desselben der partiellen 
Differentialgleichung Au = 0 genügt und auf der Begrenzung 
L, + L; die vorgeschriebenen Werthe annimmt. 

Hiermit ist der Beweis für die oben ausgesprochene Behaup- 
tung geführt: unter den angegebenen Voraussetzungen ist es auch 
für den Bereich 7 möglich, die partielle Differentialgleichung Au = 0 
willkürlich vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu inte- 
griren. 

Durch wiederholte Anwendung des vorstehend erläuterten 
Grenrzverfahrens gelangt man, wenn es sich um eine endliche An- 
zahl von Bereichen 7,, 7, -- 7, handelt, welche durch Gebiete 
von zwei Dimensionen zusammenhängen, und aus diesen Bereichen 
ein einziger Bereich 7 gebildet wird, in welchem die Punkte der 
gemeinschaftlichen Gebiete auch nur einfach gezählt werden, zu 
einem Beweise desselben Satzes für diesen Bereich T. 

Den wesentlichen Inhalt von no. 10., 11. und 12. habe ich vor 
Kurzenn im XV. Jahrgange der Vierteljahrsschrift der Naturfor- 
schenden Gesellschaft in Zürich, 1870 pag. 272-286 veröffentlicht. 

13. Jeder ganz im Endlichen liegende Bereich 7, dessen Be- 
grenzung ausschliefslich von geraden Strecken oder von Kreisbogen 
gebildet wird, kann aus einer endlichen Anzahl solcher Bereiche, 
wie der in no. 1., no. 4.a, db, c und in no. 9. betrachteten durch Zu- 
sammensetzung so gebildet werden, wie es die Voraussetzungen 
des in no. 12 bewiesenen Lehrsatzes erfordern. 

Durch Zuhülfenahme der unter no. 5. betrachteten Bereiche 
wird der in no. 12. bewiesene Lehrsatz auf alle von einer endlichen 
Anzahl von Stücken analytischer Linien begrenzten Bereiche aus- 
gedehnt. 


vom 10. October 1870. 85 


14. Bisher wurde vorausgesetzt, dafs alle Punkte der betrach- 
teten Bereiche im Endlichen liegen. Diese Einschränkung ist 
nicht wesentlich. Denn die vorhergehenden Entwickelungen und 
Sätze lassen sich mit geringen Modifikationen von der Ebene auf 
die Kugelfläche übertragen, und es ist daher der Fall, in wel- 
chem der ebene Bereich 7 sich ins Unendliche erstreckt, durch 
Projektion auf die Kugelfläche mittelst reciproker Radii vektores 
ebenso leicht zu behandeln, wie der Fall eines ganz im Endlichen 
liegenden ebenen Bereiches. 

Das erläuterte Verfahren erstreckt sich nicht blofs auf den 
Fall, in welchem die das Gebiet 7' repräsentirende einfach oder 
mehrfach zusammenhängende Fläche in ihrer ganzen Ausdehnung 
in derselben Ebene oder auf derselben Kugelfläche ausgebreitet ist, 
sondern gilt, im Wesentlichen unverändert, auch für den Fall, in 
welchem diese Fläche auf einer aus mehreren ebenen oder sphäri- 
schen Flächen gebildeten Polyederoberfläche ausgebreitet ist. 

Das Beweisverfahren gilt auch für beliebige analytische Flächen, 
welche in jedem Punkte den Charakter algebraischer Flächen haben, 
und in ihrem Innern von singulären Stellen frei sind, weil für 
diese die Möglichkeit der conformen Abbildung von Theilen der- 
selben auf ebene Figuren nachgewiesen werden kann. 

Das Auftreten einer oder mehrerer Kanten im Innern des Be- 
reiches verursacht keine Schwierigkeit; auch das Auftreten von 
Ecken nicht, wenn für jede Ecke der Nachweis geführt werden 
kann, dafs es möglich ist, von dem Gebiete einen die Ecke im 
Innern enthaltenden einfach zusammenhängenden Bereich abzu- 
schneiden, welcher bis auf den Eckpunkt selbst conform auf die 
Fläche eines Kreises abgebildet werden kann. 

Dieser Nachweis ist für die erwähnten aus ebenen oder sphä- 
rischen Flächen gebildeten Bereiche nicht schwer zu führen. 

Wird die Ecke nur von ebenen Flächen gebildet und liegt 
der Eckpunkt im Endlichen, so schneide man von derselben durch 
eine Kugelfläche mit hinreichend kleinem Radius, deren Mittel- 
punkt mit dem Eckpunkt zusammenfällt, ein Stück ab, schneide 
dasselbe längs einer Kante auf und breite es als Kreissektor mit 
dem Centriwinkel 27 auf die Ebene der complexen Grölse z so 
aus, dafs dem Eckpunkt der Punkt 2 = 0 entspricht. 


786 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Durch die Funktion $ = = wird der Bereich auf die Fläche 
eines Kreises conform abgebildet. 

Auch der Fall, dafs die Ecke von ebenen Flächen gebildet 
wird, der Eckpunkt aber im Unendlichen liegt, — auf welchen 
Fall der Fall einer von sphärischen Flächen gebildeten Ecke stets 
zurückgeführt werden kann, — bietet, wenn er auch nicht ganz 
so einfach zu erledigen ist, wie der vorhergehende, principielle 
Schwierigkeiten nicht dar. 

15. Durch das im Vorhergehenden entwickelte Beweisver- 
fahren ist dargethan, dafs die partielle Diffgl. Au —= 0 für jeden 
von analytischen Linien begrenzten auf einer von ebenen oder 
sphärischen Flächen gebildeten Polyederoberfläche ausgebreiteten 
Bereich T beliebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäfs inte- 
grirt werden kann. 

Dieses Verfahren ist einer Ausdehnung fähig, dafs es auch 
noch den Fall umfafst, in welchem die Diffgl. Au = 0 in der 
Weise integrirt werden soll, dafs die Funktion « im Innern des 
Bereiches gewisse vorgeschriebene Unstetigkeiten annimmt. 

Die Unstetigkeitsbedingungen, welche bei der Riemann’schen 
Theorie der Abelschen Integrale in Betracht kommen, bieten zu- 
nächst das meiste Interesse dar. 

Unter diesen Unstetigkeitsbedingungen sind zwei Arten zu 
unterscheiden. 

a. Es ist für den Punkt z = z, im Innern des Bereiches, der 
kein singulärer Punkt ist, — hierauf läfst sich nöthigenfalls durch 
vorhergehende Abbildung der allgemeine Fall eines inneren Punktes 
stets zurückführen — eine Funktion complexen Argumentes von 
der Gestalt 


Bau). Ay TEE A Lö 
Bes) en nun, De 
(2 — 2,)” (2 — 29)” 1 2— 2 


+ (4+ Bi) log (e— 2.) 


vorgeschrieben; es soll die Diffgl. Au = 0 so integrirt werden, 
dafs die Differenz zwischen u und dem reellen Theile von p(z;2,) 
in der Umgebung des Punktes 2 —= z,, diesen Punkt eingeschlossen, 
endlich, stetig und eindeutig ist. 


vom 10. October 1870. 187 


b. Das Gebiet T ist durch Querschnitte in ein einfach zusam- 
menhängendes Gebiet 7’ verwandelt; es wird die Bedingung gestellt, 
es soll die Funktion % im Innern von 7’ eindeutig sein und beim 
Überschreiten Jedes Querschnittes sich um eine längs dieses Quer- 
schnittes constante Gröfse ändern, während die Werthe der Ablei- 
tungen zu beiden Seiten des Querschnitts dieselben sind. 

Wenn der Bereich 7 Begrenzungslinien hat, können überdiefs 
die Werthe der Funktion u längs dieser Begrenzungslinien will- 
kürlich vorgeschrieben sein. 

Es ist aber auch der Fall in Betracht zu ziehen, dafs der 
Bereich T ein geschlossener ist und demnach die Funktion nur 
durch Unstetigkeitsbedingungen zu bestimmen ist. 

16. Zunächst möge der einfachste Fall betrachtet werden. 

Es sei $ ein die Ebene der complexen Gröfse z überall nur 
einfach bedeckender, einfach zusammenhängender Bereich. Es sei 
2 = z, ein innerer Punkt desselben, in welchem die vorgeschriebene 
Unstetigkeit von u durch den reellen Theil Ap(z;2,) der Funktion 
P(2520) (8. no.15.) ausgedrückt wird. Wenn B einen von Null 
verschiedenen Werth hat, ziehe man von 2, aus nach einem Punkte 
der Begrenzung von S eine durch keinen Punkt mehr als einmal 
gehende Linie, durch welche der Bereich S in einen einfach zu- 
sammenhängenden Bereich ‚S’ übergeht. 

Für den Bereich S’ ist der Werth von Nb(z;2,) mit Aus- 
nahme des Punktes 2 = z, eindeutig erklärt. 

Die Differenz u— Rp(z;2,) ist nach der Forderung der Auf- 
gabe für den ganzen Bereich S eindeutig, endlich und stetig. Die 
Werthe dieser Funktion längs der Begrenzung von S ergeben sich 
durch Subtraktion der Werthe von Np(z;z,) von den für u vor- 
geschriebenen Randwerthen. 

Hierdurch ist also die Differenz u — Np(z;2o) für das Innere 
von S bestimmt und nach dem Vorhergehenden bestimmbar, mithin 
auch die Funktion u selbst. 

Analog ist zu verfahren, wenn für mehr als einen Punkt im 
Innern von S die Funktion w vorgeschriebene Unstetigkeiten an- 
nehmen soll. 

Auf den vorhergehenden Fall kann der Fall jedes einfach 
zusammenhängenden Bereiches 7' zurückgeführt werden und zwar 
so, dafs die die Ebene nur einfach bedeckende, einfach zusammen- 
hängende Fläche S5 eine Kreisfläche ist. 


[1870] 4 


4 \ 


788 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Um diesen Satz zu beweisen, hat man nur nöthig, zu zeigen, 
dafs es für jeden einfach zusammenhängenden Bereich 7 eine Funk- 
tion complexen Argumentes gibt, welche für einen Punkt im Innern 
von 7 logarithmisch unendlich wird und deren reeller Theil längs 
der Begrenzung von 7’ den Werth Null hat. (Vgl. Riemann’s 
Dissertation Art. 21.) 

Es wird zunächst der reelle Theil dieser Funktion bestimmt. 

Die Begrenzungslinie von 7 sei ZL,. Im Innern von 7 be- 
grenze man durch eine in sich zurückkehrende einfache analytische 
Linie L,, welche ganz im Innern von 7 liegt, ein Stück T,, 
dessen Inneres man als von singulären Stellen frei annehmen kann, 
und welches auf die Fläche S, eines Kreises mit dem Radius r, =1 
conform abgebildet werden kann. 

In der Fläche S, construire man einen mit der Begrenzung 
eoncentrischen Kreis, dessen Radius r, kleiner ist als r, und der 


; ; F 1 = 
Einfachheit wegen gleich r,-e”' = — angenommen werden möge, 
e 


wo e die Grundzahl des natürlichen Logarithmensystems ist. 

Die diesem Kreise in dem Gebiete 7’, entsprechende Linie 
sei mit L, und der zwischen ZL, und ZL, liegende zweifach zu- 
sammenhängende Theil von 7 mit 7, bezeichnet. 

Der zwischen Z, und ZL, liegende, den Gebieten 7T, und 7), 
gemeinsame, zweifach zusammenhängende Theil möge im Anschlufs 
an die in no. 12. gewählte Bezeichnungsweise mit 7” bezeichnet 
werden. Dem Mittelpunkte von S, entspreche der Punkt P,. 

Man bestimme nun für das Gebiet 7, eine Funktion u,, 
welche längs Z, den Werth Null, längs Z, den Werth — 3 nu 
--1 hat, und für welche Au, = 0 ist. 

Für alle im Innern von 7, liegenden Punkte liegt u, zwi- 
schen 0 und + 1; der grölste Werth, den u, längs L, erlangen 
kann, welcher mit q, bezeichnet werden möge, ist angebbar kleiner 
als 1. 

Längs L, denke man sich die Werthe von u, festgehalten 
und für das Gebiet 7, eine Funktion u, bestimmt, welche längs 
L, mit u, übereinstimmt und für welche im Innern von T, Au, = 0 
ist. Es ist vu, Zgı- 

Die Werthe von u, längs ZL, denke man sich fixirt und be- 
stimme für das Gebiet T, eine Funktion v;, welche längs L, den 
Werth Null hat, längs Z, mit 1 -+ w, übereinstimmt und für 


= 


vom 10. October 1870. 789 


welche Au, = 0 ist. Im Innern von 7, ist u; — u beständig 
kleiner als q, und längs Z, kleiner als g}. 

Hierauf denke man sich wieder die Werthe von %, längs der 
Linie L, festgehalten und für das Gebiet 7, eine Funktion Us 
bestimmt, welche längs L, mit u, übereinstimmt und für welche 
Au, =0ist. Dann ist u, — u, im Innern von 7, sicher kleiner 
als gi, da längs Z, ww — uw =u, — u, ist. 

Sodann denke man sich die Werthe von u, längs ZL, be- 
stimmt und für den Bereich 7, eine Funktion u, aufgestellt, 
welche längs Z, den Werth Null, längs L, den Werth ı +u, 
hat und für welche Au, —= 0 ist. 

Auf diese Weise denke man sich das alternirende Verfahren 
bis ins Unendliche fortgesetzt. 

Ähnlich wie in no. 12. ergibt sich, dafs die für das Innere 
von T, erklärten Funktionen u,, u;, u;,, ... und die für das In- 
nere von 7, erklärten Funktionen u,, u,, ... mit wachsendem 
Index sich zwei bestimmten Grenzfunktionen w und nähern, 
für welche ebenfalls Aw’ und Au” gleich Null ist. 

Die Funktion w hat längs Z, den Werth Null und stimmt 
längs L, mit w überein, längs ZL, hingegen hat die Differenz 
w— uw" den Werth +1. 

Bezeichnet nun r den Abstand eines Punktes der Kreisfläche 
S, von deren Mittelpunkt, so hat die Funktion — logr längs L, 
den Werth Null, längs Z,; den Werth +1 und genügt für das 
Innere von 7, mit Ausnahme des Punktes P,, wo dieselbe loga- 
rithmisch unendlich wird, der part. Diffgl. Au —= 0. Es stimmen 
demnach die beiden Funktionen w und u" — logr sowohl längs 
L, als auch längs Z, mit einander überein, folglich auch für jeden 
innern Punkt des Gebietes 7“ und es ist daher w’ — logr die ana- 
_ Iytische Fortsetzung der Funktion u. 

Setzt man nun v= — u für die Punkte im Innern von IR 
und u = — u’ +-logr für die Punkte im Innern von 7,, so ist die 
Funktion u für das Innere des Bereiches 7 eindeutig erklärt, hat 
‚längs der Begrenzung Z, desselben den Werth Null und wird für 
einen einzigen Punkt ?, im Innern des Gebietes logarithmisch 
unendlich. 

Man ziehe nun vom Punkte P, nach einem Punkte von 1D, 
eine einfache Linie Z, durch welche der Bereich 7 in einen eben- 
falls einfach zusammenhängenden Bereich 7’ übergeht. 

54° 


790 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Für das Innere dieses Bereiches 7’ läfst sich eine Funktion ® 
eindeutig so erklären, dafs u vi eine Funktion complexen Argu- 
mentes ist und zwar ist der Werth dieser Funktion eindeutig be- 
stimmt, sobald der Werth des imaginären Theiles für irgend einen 
vom Punkt P, verschiedenen Punkt fixirt wird. 

Beim Überschreiten der Schnittlinie L ändert sich der Werth 
dieser Funktion sprungweise um eine längs dieser Linie constante 
Gröfse, und zwar, wie sich aus der Betrachtung der Kreisfläche $, 
ergibt, um — 2ri beim Übergange von der negativen Seite auf 
die positive Seite von L. 

Durch die Funktion 


GE ne 


D> 


wird der einfach zusammenhängende Bereich 7 auf die Fläche $ 
eines in der Ebene der complexen Gröfse $ um den Punkt = 0 
mit dem Radius 1 beschriebenen Kreises conform abgebildet, so 
dafs dem Punkte P, der Mittelpunkt, der Begrenzungslinie Z, die 
Peripherie des Kreises entspricht. 

Vermöge der in v noch verfügbaren Constante kann bewirkt 
werden, dafs bei dieser Abbildung ein beliebig vorgeschriebener 
Punkt von ZL, einem vorgeschriebenen Punkte der Kreisperipherie 
entspreche. 

Ist $, = oe‘? irgend ein Punkt im Innern dieser Kreisfläche, 
so vermittelt die Funktion 


eine solche Abbildung des Bereiches 7’ auf einen Kreis mit dem 
Radius 1, bei welcher dem dem Punkte Z, entsprechenden Punkte 
von 7T der Mittelpunkt des Kreises entspricht. Hiermit ist, wie 
ich glaube, ein strenger Beweis des im Art. 21 der Riemann’schen 
Dissertation ausgesprochenen Lehrsatzes geführt. 

‚Zugleich ist hiermit ein Beweis erbracht für die Möglichkeit 
der Constantenbestimmung in den in der Einleitung zu dieser Mit- 
theilung erwähnten Formeln, durch welche die conforme Abbildung 
der Fläche eines ebenen von geradlinigen Strecken oder Kreisbogen 
begrenzten einfach zusammenhängenden Polygones auf die Fläche 
einer Halbebene beziehungsweise eines Kreises vermittelt wird. 


vom 10. October 1870. 791 


(Vergl. „Über einige Abbildungsaufgaben“, Borchardt’s Jour- 
nal Bd. 70 pag. 114 und 117.) 

Mit dem Beweise dieses Satzes ist zugleich die Grundlage 
für ein Beweisverfahren gesichert, durch welches dargethan wird, 
dals es stets möglich ist, die Fläche einer einfach zusammenhän- 
genden, die Ebene nur einfach bedeckenden, von einer überall con- 


vexen Linie begrenzten Figur conform auf die Fläche eines 


Kreises abzubilden, ohne dafs hierbei die Voraussetzung gemacht 
wird, dafs die Begrenzungslinie aus einer endlichen Anzahl von 
Stücken analytischer Linien bestehe, oder dafs dieselbe stetig ge- 
krümmt sei. Hinsichtlich dieses Beweisverfahrens erlaube ich mir 


auf eine Abhandlung „Zur Theorie der Abbildung“ Bezug zu neh- 


men, welche das Programm der polytechnischen Schule in Zürich 
für das Schuljahr 1869—70 begleitet. 

Durch den Beweis des angeführten Satzes ist auch der Fall 
jedes einfach zusammenhängenden Bereiches hinsichtlich des Nach- 
weises der Erfüllbarkeit von vorgeschriebenen Unstetigkeitsbedin- 
gungen auf den im Eingange dieser no. betrachteten Fall zurück- 
führbar, indem hierbei den die Unstetigkeiten definirenden Funk- 
tionen $(2529) ähnlich gebildete Funktionen Y (2; £,) entsprechen, 
welche jedoch im Allgemeinen nicht dieselben Coefficienten besitzen. 

17. Dem von Riemann ausgesprochenen Satze, dals es stets 
möglich sei, einen einfach zusammenhängenden Bereich zusammen- 
hängend und in den kleinsten Theilen ähnlich auf die Fläche eines 
Kreises abzubilden, steht ein anderer Satz zur Seite. Es ist stets 
möglich, einen einfach zusammenhängenden und geschlossenen Be- 
reich zusammenhängend und in den kleinsten Theilen ähnlich auf 
die Fläche einer Kugel abzubilden und zwar nur auf eine Weise 
so, dals drei beliebig vorgeschriebenen Punkten jenes Bereiches 
drei ebenfalls vorgeschriebene Punkte der Kugelfläche entsprechen. 

Dieser Satz soll hier für den Fall einer von ebenen oder 
von sphärischen Flächen gebildeten Polyederoberfläche bewiesen 
werden. 

Zu diesem Zwecke reicht es hin, zu zeigen, dals es für einen 
solchen Bereich eine Funktion complexen Argumentes gibt, welche 
für einen Punkt des Bereiches von der ersten Ordnung unendlich 
grols wird, für alle übrigen Punkte des Bereiches jedoch endlich, 
stetig und eindeutig ist. 


792 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Es wird zunächst der reelle Theil einer solchen Funktion 
bestimmt. 

Man construire wie in dem unter no. 16. betrachteten Falle 
zwei Linien Z, und ZL, und bezeichne die hierdurch entstehenden 
Gebiete wie in no. 16. mit 7,, 7T,, T*, mit dem Unterschiede, 
dafs hier die Begrenzungslinie Z, wegfällt und dafs das Gebiet 7", 
einfach. zusammenhängend und nur von der Linie L, begrenzt ist. 

In der Kreisfläche S, sei = r-e'?f. Dem Punkte !—= 0 
entspreche der Punkt ?,. An die Stelle der Funktion — logr 


ın no. 16. tritt hier die Funktion — cos, der reelle Theil von 
e 


1 l: i 2T9 
—. Es möge r, so klein angenommen werden, dafs g, = — : 
ag) 
angebbar kleiner ist als 1; (z. B.r, = 4r,.) — Zur Vereinfachung 
des Folgenden dient ein Hülfssatz, der vorher bewiesen werden 
soll. 


Q 


Längs L, werde irgend eine analytische Werthenreihe U(r,,®) 
angenommen und für den Bereich 7, (vergl. no. 14.) die Funktion 
U bestimmt, für welche AU= 0 ist und welche längs L, mit 
U(r,,d) übereinstimmt. Es wird behauptet, die über den Kreis 
mit dem Radius r —=r, und über den Kreis mit dem Radius 


“ 


r = r, erstreckten Integrale 


2r 2r 
SU, ‚P) dp und Sue, ‚p)dap 
0 o 


haben gleichen Werth. 
Beweis. Für jeden Kreis mit dem Radius r, r, £SrZr,, ist 
U 
der Werth des Integrales (as, wo — die bekannte Bedeu- 
. )p 
tung hat, gleich Null, weil die Kreislinie, über welche die Inte- 
gration erstreckt wird, im Innern des einfach zusammenhängenden 
Bereiches T', liegt, und weil AU = 0 ist. 


U U 
Nun ist n dann — dp, also ist auch 
oU 


a A nen in 


vom 10. October 1870. | 2933 


Durch Multiplication mit — und Integration zwischen den Gren- 
(M 


zenr=r, undr=[r, ergiebt sich dann 


[rer »,nar = de: ‚p) dp 


wie oben behauptet wurde. — 
Für den Bereich 7, bestimme man eine Funktion u,, welche 


.. . 1 so . . .. . 
längs L, mit — cos (p übereinstimmt und für welche Au, = 0 ist. 
rn 


27 2r 
Dann ist Sur; ‚p)dp = 0 also auch u lRr bh —I0. 
0 0 
1 ß 4 : R 1 
Die Funktion u, ist nirgends grölser als —. 


r; 
Für den Bereich 7, bestimme man eine Funktion u,, welche 


längs L, mit u, (r, „) — — cos $ übereinstimmt und für welche 
A 


2w 2r 
Au, — 0 ist... Es. ist In, (n7., b)dı, — fw (a, $)dp — O0. 
M) 0 


1 1 : 2 ae ; 
Wenn nun + — =g gesetzt wird, so ist vw, beständig kleiner 
= Du \ 5 
als g, längs des Kreises r—=r, aber kleiner als 29. — —— 
ee UP) 


oder kleiner als 9-9, , wo q, <1, wie sich aus der in no. 1. an- 
gegebenen Formel und aus der über r, gemachten Annahme er- 
gibt. 

Hierauf bestimme man für das Gebiet 7, eine Funktion «;, 


. ıl .. = “ .. 
welche längs Z, mit u, + — cos p übereinstimmt und für welche 
"2 


Au; =0 ist. Dann ist u, — u, überall kleiner als 9-g, , auch 


ist fü; (r} 9 $) dp =—=0. 
0 


Nun bestimme man für das Gebiet 7, eine Funktion «,, 


welche längs L, mit u, — — cos $ übereinstimmt und für welche 
rı 


Aus >00 ist. 
Der absolute Betrag von u, — u, ist beständig kleiner als 
9.gı und längs Z, kleiner als 9.91. 


734 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Sodann bestimme man für das Gebiet 7, eine Funktion Uisy 


welche längs Z, mit u, + =. cos (b übereinstimmt u. Ss. w. 
2 
Die für den Bereich 7, erklärten Funktionen Ui 
und die für den Bereich 7, erklärten Funktionen Us U 
nähern sich mit wachsendem Index zwei bestimmten Grenzfunktionen 
w und «', für welche Aw und Au gleich Null ist, und für welche 


die Differenz u’ — u" 


R 1 
längs Z, gleich on (b 
l 


f : 1 
längs ZL, gleich — cos & ist. 


1 
cos» 
r 


Es stimmt daher die Funktion w' mit der Funktion u" =! 


sowohl längs Z, als längs Z, also auch für das Innere von 7* 

i ; en 1 : : N 

überein, und es ist mithin «’ + — cos $ die analytische Fort- 
r 


setzung der Funktion «. 


Setzt man nun u=w für das Innere von 7T,, und u= wu” 
+ — eos p für das Innere von 7, so ist diese Funktion für das 
Innere des geschlossenen Bereiches 7 eindeutig erklärt und wird 
für den Punkt P, unendlich wie — cos db. 


Wird nun zu der Funktion u der imaginäre Theil vi bestimmt, 
so dals u+ vi eine Funktion complexen Argumentes ist, so ist v 
mit Ausnahme des Punktes P, für den ganzen Bereich 7 bis auf 
eine additive Constante eindeutig erklärt und es vermittelt die 
Funktion u—+ vi eine conforme Abbildung des einfach zusammen- 
hängenden geschlossenen Bereiches 7’ auf eine ganze Ebene, wobei 
dem Punkte P, der unendlich ferne Punkt der Ebene entspricht. 

Durch Verwandlung mittelst reciproker Radii vektores kann 
diese Ebene und mittelbar der Bereich 7 auf eine Kugelfläche con- 
form abgebildet werden. 

Mit diesem Beweise ist zugleich die Möglichkeit der Constanten- 
bestimmung in dem Integralausdrucke, durch dessen Vermittelung 
eine Kugelfläche auf eine von ebenen Flächen gebildete Polyeder- 
oberfläche conform abgebildet wird, bewiesen. (Vergl. Borchardt’s 
Journal Bd. 70 pag. 119, 121-—-136. Monatsberichte 1865 pag. 150.) 


A ee en a nn ren me 


u 


vom 10. October 1870. 795 


13.. Durch ein analoges Verfahren kann man zeigen, dafs es 
möglich ist, auch für einen geschlossenen Bereich die Diffgl. Au = 0 
so zu integriren, dafs die Funktion u in gegebenen Punkten des 
Bereiches vorgeschriebene Unstetigkeiten der unter no. 15. ange- 
gebenen ersten Art annimmt. Hierzu ist aber nothwendig, dafs 
die über alle Unstetigkeitspunkte ausgedehnte Summe X(A + Bi) 
den Werth Null habe. 

In ähnlicher Weise läfst sich die Untersuchung für die zweite 
der unter no. 15. angegebenen Arten von Unstetigkeitsbedingungen 
durchführen. Die nähere Ausführung darf hier wol unterbleiben, 
da die Anwendung wesentlich anderer Hülfsmittel als der im Vor- 
hergehenden angegebenen hierzu nicht erfordert wird. 

Es ist also das Dirichlet’sche Princip durch eine, wie ich 
glaube, strenge Beweismethode ersetzbar, welche für die Theorie 
der Abel’schen Integrale dasselbe leistet, was Riemann mit Hülfe 
dieses Principes hergeleitet hat. 


13. October. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Mommsen las über die Siebenbürgischen Wachstafeln. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vor- 
gelegt: 

G.L.v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. III. Bd. 
Erlangen 1870. 8. 

Wallace, Beiträge zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl. Deutsch von 
A.B. Meyer. Erlangen 1870. 8. 

Raikem et Polain, Coutumes du pays de Liege. Tome 1. Bruxelles 
1870. 4. 

Documenti di storia italiana. Cronaca della citta di Fermo. Commissioni 
di Rinaldo degli Albizzi. II. Firenze 1870. 4. 

A. Ghirardini, Studi‘ sulla lingua umana. Milano 1869. 4. 

Oeuvres de Frederic de Grand. Edition in 4. vol. 16—23. 


796 Gesammtsitzung vom 13. October 1870. 


Goertz, Archäologische Topographie der Halbinsel Tamcen. Moskau 1870. 
4. Mit Schreiben des Verf. d. d. Moskau 25. Mai 1870. 

Schriften der südslavischen Akademie in A gram. 4 Bände. Agram 1870. 8. 

Chevalier, Memoire sur la Sicile. Paris 1867. 8. 

Geraci, Le droit des Contribuables de la dette publique. Florenze 1870. 8. 
— Le leggi senza la civilt@.... Milano 1869. 8. 

Relazione sul manoseritti d’ Arborea. "Torino 1870. 8. 

Pessina, Quistioni naturali e Ricerche meteorologiche. Firenze 1870. 8. 

Nachtrag zur Sammlung der Gesetze und Perwaltungseinrichtungen im Kau- 
kasus. Petersburg 1870. 8. 

Eccardt, die retrograde Multiplication. Neidenburg 1870. 4. Mit Schrei- 
ben des Verf. vom 10. Septbr. 1870. 

Schlötel, die Philosophen - Versammlung in Leipzig. Hamburg 1870. 8. 
Mit Schreiben des Verf. vom 4. Septbr. 1870. 

Heinrich Fischer, das zoologische Museum der Universität Freiburg. 
Freiburg 1870. 4. 

Woodward, The histology of minute blood vessels. Washington 1370. 4. 

Abhandlungen der Math.-Physik. Klasse der Königl. Bayerischen Akademie 
der Wissenschaften. X. Bd. 3. Abthl. München 1870. 4. 

Zeitschrift für die Gesammten Naturwissenschaften. Berlin 1870. Bd. 1. 
Neue Folge. Beriin 1870. 8. 

Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bern aus dem Jahre 1869. 
Bern 1870. 8. 

Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. XXII. Bd. 3. Heft. 
Berlin 1870. 8. 

Verhandlungen d. Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft in Solothurn. 
Jahresbericht 1869. Solothurn 1870. 8. 

Nachrichten von d. K. Gesellschaft der Wissenschaften und der @. A. Uni- 
versität zu Göttingen. No. 10—20. Göttingen 1870. 8. 

Transactions of the Linnean Society XXVI, 4 XXVII, 1. 2. London 
1869—1870. 4. 

Acta universitatis Lundensis. Lund 1868. 4. 

Magnetische und meteorologische Beobachtungen auf der Prager Sternwarte 
im Jahre 1869. 30. Jahrgang. Prag 1870. 4. 

Barclay, Astronomical Observations. Vol. II. London 1870. 4. 

Atti dell’ Istituto veneto. Vol. XV, 3—6. Venezia 1860-1870. 8. 

Memoire dell’ Istituto veneto. XIV, 3. Venezia 1870. 4. 

Bulletin de l'academie de St. Petersbour.. XV, 1. 2. Petersburg 
1870. 4. 

Memoires de l'academie de St. Fetersbourg. Vol. XV. ib. 1870. 4. 

Compte rendu de la Commission archeologique pour l'annee 1868. Peters- 
burg 1869. 4. et Folio. 


Gesammtsitzung vom 20. October 1870. 197 


Nederlandsch Kruidkundig Archief. IV, 4. Leeuwarden 1870. 8. 
Archives du Musee Teyler. II, 1. Harlem 1870. 8. 


20. October. Gesammtsitzung der Akademie. 
Hr. Bonitz las: Zur Erklärung des Phaidon. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Il nuovo Cimento. Vol. III, 6. Pisa 1870. 8. 
"ApxaroAoyırn "Ebnuepis. No. 52—54. Athen 1870. 4. 


24. October. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Schott las über eine deutsche übersetzung mon- 
golischer märchen. 


Professor Jülg an der universität Insbruck gebürt die aner- 
kennung, die ersten mongolischen texte in Deutschland, ja, so wir 
nicht irren, in Westeuropa überhaupt, zum drucke befördert zu 
haben. Dem Siddhi-küür nach kalmykischer bearbeitung (Leipzig 
1866) folgte 1868 eine ostmongolische ergänzung des genannten 
nebst der gleichfalls ostmongolisch wiedergegebenen "geschichte des 
ehans Argi-Borgi. Eine petersburger handschrift ersteren textes 
(neun nachträgliche märchen) war dem herausgeber zur benutzung 
übersandt worden. Die sieben märchen des zweiten textes gehö- 
ren in den kreis der abenteuer Vikramäditja’s, und sind nach 
drei handschriften hergestellt. 

Während im Siddhi-kuür ein von einem dämon zeitweilig be- 
lebter leichnam erzählt, übernimmt dieses geschäft in dem anderen 


798 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


kleinen cyclus eine mystisch beseelte holzfigur. Der allerhöchste 
zuhörer fühlt nemlich starke versuchung, aus dem plötzlich zu tage 
gestiegenen throne des vorweltlichen Vikramäditja sich niederzu- 
lassen; aber 32 an den stufen befestigte holzpuppen verwehren dies 
ziemlich barsch, und eine derselben erzählt dem fürsten eine aus- 
wahl grosztaten seines urvorwesers, zu erhöhter unehre des nach- 
fahren, d.h. um ihn recht empfindlich fühlen zu lassen wie wenig 
er es verdiene, seine sitzteile mit dem hehren antiquarischen funde 
in berührung zu bringen. 

Beide sammlungen gehören in die classe der sehr zahlreichen 
übertragungen indischer originale, also nicht zur einigermaszen 
selbständigen mongolischen schriftstellerei, und haben also, von 
diesem standpunkt betrachtet, lange nicht gleichen wert wie z. b. 
die Geszer-sage, in welcher der hochasiatische bearbeiter das indi- 
sche element frei handhabt, und öfter seinem steppen-elemente un- 
terordnet. 

Herr Jülg stellt die verschiednen lesearten der texte zusam- 
men und begleitet sie zum teil mit ceritischen bemerkungen. Seine 
übersetzung giebt die urschrift im ganzen treu wieder, sein stil 
aber wird die meisten leser sehr wenig befriedigen. Der heraus- 
geber folgt einem von ihm in der vorrede ausgesprochenen grund- 
satze, möglichst eng den wendungen der mongol. sprache sich an- 
zuschlieszen, da seine arbeit nicht blosz für die grosze lesewelt be- 
stimmt sein, sondern auch bei erlernung des mongolischen ‘fördernd 
an die hand gehen’ sollte. Allein unsere lesewelt ist bis dato un- 
geheuer viel gröszer als die vergleichungsweise winzige welt der 
freunde und pfleger des mongolischen, und ausserdem kann man 
dem geiste, ja selbst der färbung (dem s. g. colorit) eines textes 
recht wohl treu bleiben ohne dass es auf kosten der muttersprache 
geschiht. Ohnehin ist unser lesendes publicum mit groszenteils 
recht angenehm erzählten märlein aus allen zonen fast überschüttet, 
und vieljärige gewöhnung hat es gegen ungelenkigkeiten des deut- 
schen ausdrucks empfindlich gemacht. Endlich sind die vorliegen- 
den texte — einzelne stellen abgerechnet — keinesweges so schwie- 
rig, dass nicht ein mit lebendigem sprachsinn begabter autodidact 
auch ganz ohne beihilfe einer übersetzung, sei sie frei oder unfrei, 
bald sich hineinlesen könnte. | 

Besonders störend und der rede einen schleppenden charac- 
ter gebend ist der oft ganz unnötige ja unrichtige gebrauch von 


vom 24. October 1870. 799 


während, nachdem, indem, wobeiu.s.w. Belege dazu kann 
Jeder leser selbst finden, daher wir lieber proben anderer wenig 
statthafter ausdrucksweisen hier folgen lassen. Aus mehrern der- 
selben wird sich ergeben, dafs der übersetzer auch mitunter ganz 
ohne not vom originale abweicht, also seinem eignen grundsatze 
zuwider handelt. S.146: ‘da sie den maszstab nicht kannte’, soll 
heissen ‘da ir das augenmals fehlte. 8.153: ‘einstmals aber... 
ging die alte aus ... bei welcher gelegenheit sie die kuh zu- 
hause zurückliesz. Wenn der verf. hier wörtlich verfahren wollte, 
so musste bei welcher gelegenheit fortbleiben, denn sein 'einst- 
mals’ steht schon für ‘bei einer gelegenheit' (nigen udir-dur), wo- 
mit der satz im texte anfängt. S. 155: als er das am felsen haf- 
tende euter gewahrte, schnitt er es unwillkürlich mit dem mes- 
ser ab und verzehrte es. Man sollte hieraus unzurechnungsfähig- 
keit des mannes argwöhnen; aber ‘unwillkürlich” (unabsichtlich, 
zufällig) geht auf das gewahren, nicht auf das abschneiden und 
verzehren. S.156: 'so gut es eben für sie anging. Verständ- 
licher und zugleich wörtlicher hätte herr J. die worte über-ün 
Cinege-ber mit ‘nach iren besten kräften’ übersetzt. 8. 159: jeke 
gani mungckak :heilst nicht ‘sehr beschränkten verstandes’, sondern 
erz- oder stockdumm. S. 197: ‘die übrigen knaben mussten als 
würdenträger, minister und adjutanten fungiren. Romanische 
fremdwörter (zu denen beispielsweise auch college auf s. 151, und 
commandirende aufsichtsbeamten auf s. 250 gehört) sollte man 
besonders in morgenländischen märchen möglichst vermeiden indem 
nichts das 'colorit ärger benachteiligt. Dem texte gemäsz über- 
setze etwa: die übrigen knaben dienten ihm als würdenträger und 
leibwächter. Kija ist nicht mongolisch, sondern das chinesische 
khi-hja (wörtlich unter der fahne’) bannerleute, gardisten;!) die 
übersetzung "adjutanten’ giebt demnach sogar eine falsche vorstel- 
lung. S. 202: ‘da erschien neuerdings noch ein zweiter ganz 
gleicher sohn. Der text lautet: basza nigen adali kübegün irebej 
d. h. wieder ein ähnlicher sohn kam. Neuerdings ist also ganz 
überflüssig. S. 229 äufsert könig A-B. nur in der übersetzung den 
wunsch, sich auf jenen thron setzen zu wollen. S$. 237: ‘selbst 


!) Bei leibe nicht Aj@ allein, wie bei Kowalewski fälschlich steht; denn 
dies bedeutet nur unterteil, unten. 


300 Sitzung der philosoph.-histor. Klasse vom 24. October 1870. 


die berittenen rosse blieben stehen, geschweige denn die 
menschen. Statt ‘geschweige denn’ wäre ‘wieviel mehr’ passender 
gewesen, und berittene rosse sind nach Grimm s. v. a. zugerittene, 
nicht solche auf denen eben geritten wird. $. 247: ‘bei diesem 
anlass sprach die königstochter: ich sollte eigentlich zu mei- 
nem vater dem könige gehen. Diese äusserung stimmt seltsam 
zu der sehr bedenklichen lage einer plötzlich verhafteten princess. 
Die worte des originals: 'ecige-degen ecikü bülüge (zu meinem vater 
zu gehen war) können doch keinen anderen sinn haben als: ‘was 
bringt ir mich nicht zu meinem vater?’ $. 248: “indessen frug 
Naran Gerel den Szaran, ob er irgend ein rettungsmittel kenne, 
aber der minister erwiderte dass es keinen ausweg gebe. Der 
text lautet: tüsimel etse Cima-dur arga buju kemebeszü, tüsimel arga 
üge) gebe, zu deutsch: (N. G.) fragte den minister: hast du [weis- 
sest du] eine auskunft? der minister sagte: eine auskunft giebt es 
nicht. Klingt jenes dagegen nicht lahm und schleppend?!) S. 250: 
da wagte der aufsichtsbeamte dem könige folgende vorstellung 
zu machen. Es entsprechen die worte: tere dsanygi chagan - dur 
atlatcharun d. h. da berichtete (stellte vor) der dsanggi dem könige, 
und von wagen ist nichts zu lesen, obwohl untertänige einwen- 
dungen, einem absoluten herrscher gemacht, immer etwas gewag- 
tes sein mögen. 

Mit diesen ausstellungen sollte dem leser keineswegs die mei- 
nung beigebracht werden als hätte herr J. alles unrichtige oder 
unpassende nicht selbst verbessern können ohne dafs ein anderer 
darauf hindeutete. Ich hielt es aber für geraten ihn besonders 
vor etwaniger künftiger missanwendung seines oben angedeuteten 
grundsatzes zu warnen. 


I) Wie sehr die verwandlung directer rede in indirecte dem eindruck 
einer erzählung schaden kann, beweist unter andern herren Behrnauers bei- 
spiel, wenn er die schlufsworte des tiefsinnigen und reizenden märchens 
von einem könige der den propheten Chisr sehen wollte (im Ayrk Wesir) 
'so wiedergiebt: “darauf verschwand der mann, nachdem er dem Schah noch 
gesagt hatte dass er selber Chisr sei. Dem türkischen texte gemäfs muls es 
heifsen: “zuletzt sprach er: ‘O schah, sihe, ich selbst bin Chisr! und ver- 
schwand. Ein gran ästhetischen sinnes hätte hingereicht um der directen 


rede treu zu bleiben. 


Gesammtsitzung vom 27. October 1870. 801 


27. October. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Kronecker las über die charakteristischen Eigenschaften 
des Potentials. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 

A. Frauenholz, Die Sonnenflecken was sie sind und woher sie kommen. 
Breslau 1870. 8. 

— Die Sonne und ihre Achsendrehung. Breslau 1870. 8. 


Översigt af Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar. XII. Helsing- 
fors 1870. 8. 


Bidrag till Kännedom af Finlands Natur och Folk. Heft 15. 16. ibid. 


18202 8. 
Proceedinys of the London mathematical Society. no. 29—31. London 
1870. 8. 


Proceedings of the American Pharmaceutical Association. XVII. Phila- 
delphia 1870. 8. 


MONATSBERICHT 


DER 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


November 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt. 


3. November. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Curtius las über die Münzen der griechischen 
Colonien in ihren Beziehungen zum Mutterlande. 


Im Anschlusse an frühere Untersuchungen, in welchen der Zu- 
sammenhang des griechischen Münzwesens mit dem Tempeldienste 
nachgewiesen wurde (s. Monatsbericht vom 10. Juni 1869) er- 
schien es als eine dankbare Aufgabe, die Münzen als Quelle der 
politischen Alterthümer in der Weise zu verwerthen, dafs man der 
Ausbreitung und Fortpflanzung der Prägbilder nachgeht, um darin 
die Beziehungen, welche zwischen den einzelnen Stadtgemeinden 
bestanden haben, zu erkennen. Als die wichtigste Form der Fort- 
pflanzung hat man seit Spanheim und Eckhel die Colonisation an- 
gesehen, ohne dafs bisher genauer untersucht worden ist, wie weit 
die Identität der Typen zwischen Mutter- und Tochterstadt als 
Regel angesehen werden könne und wie weit es gestattet sei, iden- 
tische Typen als urkundliche Abkunftszeugnisse der einzelnen 
Stadtgemeinden anzusehen. Es kam also darauf an, die Fälle aus- 
_ zusondern, in denen Typengleichheit durch anderweitige Gründe 
veranlafst worden ist, und zweitens die Thatsache zu erklären, 
‘dafs so viele Pflanzstädte mit der Mutterstadt keine Übereinstim- 
mung im Prägbilde zeigen. Es mufsten die Umstände beleuchtet 
werden, unter denen die angestammten Beziehungen gestört wor- 
den sind, indem sie entweder durch Auflehnung und Abfall zer- 
rissen oder durch neue landschaftliche Verhältnisse, in welche die 
Colonieen eintraten, und Veränderung der Handelswege zurückge- 

[1870] ; 55 


804 Gesammtsitzung 


drängt worden sind. Es mufste überhaupt der verschiedene Cha- 
rakter, welchen die Colonialmünze im Gegensatze zur mutterländi- 
schen hat, näher untersucht werden. Dabei zeigt sich, dafs die 
Beziehungen zwischen Colonie und Mutterstadt zuweilen in anderer 
Form als in der Gleichheit der Typen zum Ausdrucke kommen. 
Eine besondere Erwägung erforderten die unter delphischer Auto- 
rität dedueirten Colonien und endlich diejenigen, welche unter Theil- 
nahme verschiedener Stadtgemeinden zu Stande gekommen sind. 


Hierauf las Hr. G. Rose über einen angeblichen Me- 
teoritenfall von Murzuk in Fessan. 


Im Mai dieses Jahres theilte Hr. Dove nach einem Artikel 
des in Rom erscheinenden Bulletino meteorologico dell’ osservato- 
rio del Collegio romano vom 30. April 1870 (Num. 4, Vol. IX) 
die Nachricht mit, dafs in Murzuk ein Meteorit gefallen sei, dessen 
Fall einen benachbarten Beduinenschwarm so in Schrecken gesetzt 
habe, dafs sämmtliche Beduinen ihre Flinten auf die gefallene 
Masse abgefeuert hätten. Der Stein, von dem ungefähren Durch- 
messer eines Meters, sollte später nach Tripolis gebracht sein: 
Von dem Wunsche veranlafst, ein Stück dieses Meteoriten für die 
Meteoriten-Sammlung des mineralogischen Museums zu erhalten, 
wandte ich mich zu diesem Zwecke an das hiesige auswärtige Amt. 
Letzteres ging auch zu meiner grofsen Befriedigung auf meine 
Bitte ein, und da in Tripolis kein Consul des Norddeutschen Bun- 
des existirt, so veranlafste dasselbe die Österreichische Regierung 
dem Österreichischen Consul in Tripolis den obigen Auftrag zu er- 
theilen. 

Ich habe nun darüber ein Schreiben des Kanzlers des Nord- 
deutschen Bundes erhalten, dem eine Abschrift des k. k. Ministe- 
riums des Äufsern beigelegt war, sowie eine Italiänische Über- 
setzung eines Briefes des Scheichs von Murzuk an den Öonsul 
Rossi in Tripolis, und ich unterlasse nicht diese 3 Aktenstücke 
hier mitzutheilen, da die Nachricht von dem Meteoritenfalle in 
Murzuk nach dem Bulletino romano auch in andere Deutsche und 
auswärtige Zeitschriften übergegangen ist. 


vom 3. November 1870. 805 


Berlin, den 30. September 1870. 


In Erwiderung auf das gefällige Schreiben vom 13. Mai d. J. 
benachrichtige ich Euer Hochwohlgeboren ergebenst, dafs ich sei- 
ner Zeit die Gesandtschaft des Norddeutschen Bundes in Wien ver- 
anlafst habe, die Vermittelung der Kaiserlich Österreichischen Re- 
gierung in Anspruch zu nehmen, um durch deren Oonsul in Tripoli 
ein Stück des angeblich in Murzuk gefallenen und nach Tripoli 
geschafften grofsen Meteoriten für das mineralogische Museum der 
hiesigen Königlichen Universitä zu verschaffen. Die Antwort der 
Kaiserlichen Regierung nebst einem Schreiben des Scheich’s von 
Murzuk, wonach bei dem in Frage stehenden Phänomen ein Stein- 
fall nicht stattgefunden, beehre ich mich Eurer Hochwohlgeboren 
beifolgend ergebenst zu übersenden. 


Der Kanzler des Norddeutschen Bundes. 
In Vertretung 
Thile. 


An 
den Königlichen Geheimen 
Regierungs-Rath und Professor 
Herrn G. Rose 
Hochwohlgeboren. 


Verbalnote. 


In Folge der gefälligen Mittheilung der löbl. Gesandtschaft 
des Norddeutschen Bundes vom 28. Mai d. J., betreffend den 
Wunsch der Berliner Universität, ein Stück des angeblich im De- 
zember v. J. zu Murzuk in Fezzan gefallenen Meteorits zu erhal- 
ten, hat das K. K. Ministerium des Äufsern nicht ermangelt, den 
K. K. Consul in Tripolis entsprechend anzuweisen. 

Letzterer zeigt hierauf an, dafs wenn ein solcher Meteorstein- 
Fall in Murzuk wirklich stattgefunden habe, derselbe, wie aus den 
genauen Erkundigungen hervorgehe, welche er bei verschiedenen 
aus jenen Gegenden eingelangten Arabischen Kaufleuten einzog, 
keinesfalls so beträchtlich gewesen sein könne, wie er von Hrn. 
Carabella in den Journalen dargestellt worden sei. In dieser An- 
sicht wurde Hr. Rossi durch den Umstand bestärkt, dafs Dr. Nach- 
tigall, welcher sich zu jener Zeit eben in Murzuk befand, und mit 

welchem der Consul eine ununterbrochene Correspondenz unterhielt, 
95* 


806 Gesammtsitzung 


eines derartigen Ereignisses niemals Erwähnung that. Hr. Rossi 
hat sich indefs wiederholt an dortige Bekannte gewendet, ihm ge- 
naue Auskünfte über den fraglichen Meteoriten, und womöglich, 
ein Stück desselben zukommen zu lassen. 

Nach Schlufs des Berichtes war dem genannten K. K. Consul 
laut Nachschrift, das in Übersetzung mitfolgende Schreiben des 
Scheich’s von Murzuk zugegangen,') wonach bei jenem Phänomene 
ein Steinfall nicht stattgehabt hätte. 

Sobald das K. K. Ministerium des Äufsern in dieser Angele- 
genheit eine weitere Anzeige von Hrn. Rossi erhält, wird es die 
Ehre haben, selbe der löblichen Gesandtschaft des Norddeutschen 
Bundes mitzutheilen. 


Wien am 11. September 1870. 


.. 


Übersetzung eines Briefs d. d. 1. Rabi 'ul Ewwel (2. Juni), 
welcher mir durch Hrn. Hag Ibraim Ben Alua, Scheich Bled di 
Morzuk geschrieben wurde in Erwiderung auf meine Bitte, mir 
Auskunft zu geben über den in der Umgebung von Morzuk (Fez- 
zan) gegen Ende des Decembers 1869 niedergefallenen Meteoriten, 
und ein Stück desselben, wenn es möglich wäre, zu übersenden. 
„In Erwiderung auf Euer Ersuchen um Nachrichten über den 
Stern (Meteor), welcher in dieser Gegend gegen Ende des. Rama- 
dan (December) niedergefallen sein soll, — kann ich Euch Fol- 
gendes mittheilen. Ein Ombaschi (Korporal), welcher die Wache 
am Stadtthore hatte, hörte in der Nacht Schüsse gleich neun Flin- 
tenschüssen und setzte davon sogleich den Officier der Wache in 
Kenntnifs. Dieser trat zum Thore hinaus begleitet von fünf Mann, 
um zu sehen, was vorgefallen. Bei dem Auskundschaften begeg- 
neten sie einem Manne mit Namen Hag Habib, welcher ihnen auf 
ihre Frage. was das für Flintenschüsse gewesen, und wo sie ge- 
fallen, erwiderte, dafs die Knalle welche sie gehört, überhaupt nicht 
von Flintenschüssen hergerührt hätten, sondern vielmehr von einem 
Sterne (Meteor), welcher am Himmel zerplatzt sei, in der Richtung 
eines Dörfchens, Namus mit Namen. Hierauf wurden weitere 
Nachforschungen angestellt, und wurde uns von Leuten jenes Orts 


' 1) Die Italiänische Übersetzung ist hier wieder ins Deutsche über- 
tragen, G. R. 


vom 10. November 1870. 807 


versichert, dafs Nichts zur Erde gefallen sei. Schenkt deshalb nur 
dem Glauben, was ich Euch sage, und nicht den Worten irgend 
eines Andern; denn weder jetzt noch früher ist jemals Etwas vom 
Himmel gefallen. (Was also sagen will, dafs in Fezzan bisher 
keine Meteoriten gefallen sind.) 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
Archiv des historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg. 20. 
Bd. 3. Hft. Würzburg 1870. 8. 


Zeitschrift der deutschen morgenländ. Gesellschaft. 24. Bd. 3. Heft. Leip- 
zig 1870. 8. 

Württemberg. naturwiss. Jahreshefte. 26. Jahrg. Stuttgart 1870. 8. 

Tyndall, On the action of rays of high refrangiblity upon gaseous matter. 
(Philosophical Transactions, 27. Januar 1870.) 


Vincenzo Fiorentino, Prosa e poesie italiane della Raccolta arborense, 
Napoli: 1870. 8. 


7. November. Sitzung der physikalisch -mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. du Bois-Reymond las über die Krause-Kühne’sche Theo- 
rie der Muskelzusammenziehung. 


10. November. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Müllenhoff las über die vorptolemäischen Diathesen des 
; östlichen Europas. | / 


808 Gesammtsitzung 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Verhandlungen der Harlemer naturforsch. Gesellschaft. III. Serie, Vol. I, 
1.2. Harlem 1870. 4. 
Archives neerlandaises, par Baumhauer. Tome V, 1.2.3. La Haye 


18770778, 
Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indie. Deel 31. Batavia 
1869. 8. 


Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde von Nederlandsch Indie. 
V, 1. Gravenhage 1870. 3. 
Archiv für die Naturkunde Liv-, Ehst- und Kurlands. 2 Hefte. Dorpat 


1870, 275. 
Reports on experiments made with the Bashforth Chronograph. London 
1870. 8. 


17. November. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Rödiger las über die arabische Redaction der 
vorjustinianischen Kaisergesetze und deren Verhältnifs 
zum syrischen Texte. 


Die Akademie hat wiederholt Kenntnils genommen von den 
gründlichen und scharfsinnigen Untersuchungen Hrn. Rudorff’s 
über den Inhalt der von Professor Land herausgegebenen syrischen 
Übersetzung der den Kaisern Constantin, Theodosius und Leo zu- 
geschriebenen Gesetze. Hr. Rudorff wird eine grölsere Abhand- 
lung über den Gegenstand veröffentlichen. Derselbe hat, was das 


sprachliche Verständnifs der dazu gehörigen syrischen und arabi- 


schen Texte betrifft, meine Beihülfe in Anspruch genommen, und 
habe ich dieser Aufforderung selbstverständlich und gern entspro- 
chen. Von dem arabischen Texte jener Gesetze hat mir auf meine 
Bitte unser stets hülfreicher Correspondent Hr. W. Wright eigen- 
händig Abschrift gemacht aus dem Oxforder Cod. Thom. Roe 26, 
fol. 338—356 (s. Nicoll’s Catal. codd. mss. orient. bibl. Bodleianae 
P. II, p. 37, cod. XXXVI, no. 48), wozu mir noch einiges andere 
handschriftliche Material zur Hand ist. Das heute Vorgetragene 
wird sich der Abhandlung des Hrn. Rudorff anschliefsen. 


vom 17. November 1870. 809 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Schweizerische Meteorologische Beobachtungen. 6. Jahrg. Zürich 1869. 4. 

Fr. v. Stälin, Württembergische Geschichte. 4. Theil. 1. Abth. Stutt- 
gart 1870. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Verf. v. 20. Sept. 1870. 

Bulletin des naturalistes de Moscou. Annee 1870, no. 1. 

Götheborgs K. Vetenskaps och Vitterhets Samhälles Handlingar. Vol. I. 
Götheborg 1850. 8. 

Rud. Graf Stillfried, Geschichtliche Nachrichten vom Geschlechte Stillfried 
von KRattonitz. 1. u. 2. Bd. Berlin 1869. 4. Mit Begleitschreiben 
des Hrn. Verf. vom 17. Nov. 1870. 


21.Novemb. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Pertz las über das in der Herzoglichen Linie des 
Hochfürstlichen Hauses Braunschweig-Lüneburg gesetz- 
liche Alter der Mündigkeit für den Regierungs-Antritt. 

Diese Frage ward im dritten und vierten Jahrzehnd dieses 
Jahrhunderts durch den Herzog Karl zum Gegenstand der bitter- 
sten und grundlosesten Beschuldigungen gegen seinen Königlichen 
Oheim und Vormund Georg IV von Grofsbritanien und Hannover 
gemacht, indem er behauptete mit vollendetem 18. Lebensjahre zum 
Antritt der Regierung berechtigt, und dieses Rechts um ein ganzes 
Jahr beraubt worden zu sein. Über diesen Rechtspunkt entwickelte 
sich ein für den jungen Herzog seine Regierung und seine ganze 
Zukunft verderblicher Kriegsstand, welcher mit seiner Flucht und 
Absetzung durch die Agnaten und Deutschen Bundesmächte endi- 
gen sollte, zunächst aber die Nothwendigkeit herbeiführte die Rechts- 
frage zu voller Sicherheit zu bringen. Dieses erforderte die Unter- 
suchung der betreffenden Verhältnisse des Welfischen Fürstenhau- 
ses während eines tausendjährigen Zeitraums seiner Herrschaft in 
seinen verschiedenen Linien; die reichen Archive gewährten dazu 
die Mittel, und das Ergebnifs der Forschung war die hier mitge-. 


810 Sitzung der philosophisch-historisehen Klasse 


theilte Widerlegung der vorgeblichen Rechtsansprüche des durch 
falsche Rathgeber irregeleiteten Herzogs. 


H. Bekker gab bemerkungen zum Homer. 
6 


1. 

Warum steht A 557 (Neger yao For ye msgegero) co ye, und 
nicht das enklitische pronomen? das dem sinne genügen würde wie 
940 und 541. ist nicht etwa e’ x ye zu lesen? ro’ für cc zu ne- 
men wäre wenigstens, vor dem langen vokale, leichter als 170 (ovöe 
o’ dm aUres arınos Zuv cubevos zu mAoÜrcV acbvEsv), n ye aber wäre 
gebraucht wie, um die beispiele nur aus A zu entlehnen, ye 69 
33 97 101 190 320 342, % ye 496, rav y: 401, rw ye 304 581, 
or ye 485. 

dafs wer für s’ r’ verlange oder gar 9’, erwarten wir nicht. 
rc: darf seinen diphthong weder elidiren noch durch eine krasis 
trüben, wenn es verständlich bleiben will. yc«a 7’ ergänzt sich nur 


zu Yard Zen 


2. 


7 . . 
A 555 (mn ve magsimn) hat das digamma gewalt erlitten. auf- 
helfen würde ihm zagaıpy: vgl. A 792 
TIs 010 21 zEv 0 UV Ominovı Sumov Ogıvı 
7 > x S\ ’ I 3 c , 
mapsımov; ayaon Ö8 Tugaparis Errıw Eraiov. 
J S F E „ 
maoedr haben wir A 577, zagapaneros Q 771: so wechselt ddr 


o „ 
mit eiDaro. 


3. 
> 35 hört Thetis ihres sohnes klage um Patroklos, wie sie 
A 558 seine klage um die Briseide gehört hat, 

Yuzuy Ev BevSecsw 0.06 Mage marıı Yecovrı. 
unverzüglich taucht sie empor, tröstet den betrübten, verheilst zu 
morgen früh neue waffen für die verlorenen. die von Hephästos 
zu erbitten macht sie sofort sich auf den weg zum Olympos. +yv 


vom 21. November 1870. sil 


hev a9 OiAvumovde modes (P£gov sagt der dichter. anstatt sie nun 
aber zu begleiten und schleunigst der allein möglichen und drin- 
gend nötigen hülfe entgegen zu führen, verliert er sie der gestalt 
aus den augen, dafs er ihrer zunächst den ganzen übrigen teil 
des tages mit keinem worte gedenkt. und doch dauert der tag 
noch lang genug zu dem kampf um Patroklos leiche, zu ‘einer 
botschaft der Hera an den Peliden, zu dessen widererscheinen 
im felde, zu einer volksversamlung und einer abendspeisung der 
Troer, alles teilname erweckende und folgenschwere ereignisse, 
die, eben weil sie das sind, mit bequemster umständlichkeit in 
mehr als zweihundert versen vorgetragen sich recht stattlich aus- 
nemen, aber in die Olymposfahrt eingefalst zu werden wenig ge- 
eignet scheinen. 

die sonne geht unter. wie die Achäer die nacht zugebracht wird 
ausführlich berichtet: fragen wir nach der Nereide, so antwortet 
allein jenes rn» nev do OvAummevds modss deger. also wärend sonst 
ein gott, auch ohne besondern anlass zur eile, seinen weg abtut 
so schnell er ihn denkt, oder höchstens dreimal den fufs aufhebt 
und mit dem vierten mal am ziele steht, wie denn auch hier Iris 
wenige stunden vorher ihren in umgekehrter richtung gleich ‘wei- 
ten botenlauf, vom Olympos hinab an den Troerstrand und von da 
zurük zu ihrer herrin, zurükgelegt hat ohne den gang der hand- 
lung, worein sie eingreift, auch nur einen augenblik zu stören 
noch zu unterbrechen, troz dieser herschenden vorstellung von der 
geschwindigkeit göttlicher bewegungen ist Thetis unterweges und 
bleibt unterweges (P 700), wie mächtig auch mutterliebe und mutter- 
angst sie treiben mag, schneckengeleise ziehend durch den schnee 
von schlucht zu schlucht in. nacht und nebel. 

wie aber endlich der tag anbricht und das haus des Hephästos 
erreicht ist, (nicht allzu früh: denn der gott ist bereits in seiner 
werkstatt voller tätigkeit), empfängt er die göttin gastlich und 
unterhält sie mit erinnerungen aus seiner kindheit. gleich ruhig 
geht er an die arbeit, die von ihm verlangt wird. wie lange er 
daran zu tun hat? wahrscheinlich bis an den nächsten morgen: 
denn nicht eher kan die mutter das fertige geschmeide zu dem 
sohn hinunter bringen. das tut sie nun aber im habichtsfluge, als 
wolte oder könte sie noch einbringen was sie von zeit so schnöde 
vergeudet hat. 


812 Gesammtsitzung 


Erzälet so qui nil molitur inepte? schwerlich, wol aber mag 
ein diaskeuast in böser stunde gerade diesen glanz- und wendepunkt 
des gedichtes zum pranger gewält haben für seinen unverstand. 


4. 


Dafs die verse o 343-5 eine gnome sind, die des verwandten 
inhaltes wegen an den rand geschrieben durch fahrlässigkeit in den 
text geraten, das erhellt schon aus dem einen worte mAayzrosuvys, 
wofür die in diesem fall unumgängliche epanalepse «rs verlangte 
oder irgend eine ableitung von «an. 


5. 


Warum daszev Easzes (B 832 A 330 T 295 217) und nicht 
ERTHEV ERTHSS, OYVEcHE Or VETRoV (E 790 O 640) und nicht oixveirrze 
oiyvsiszov? die iterative form scheint an die einer contraction mit 
s empfänglichen charaktere @ e o gewöhnlich nicht zrzov zu fügen, 
wodurch freilich &rzov eiszov oüszov entstünde, sondern nur coxov, 
wie sie auch in der conjugation auf m tut: Aaszev Öorzov Erxov 
oUrESHEV ITTary, oraszev baczev. zu dieser conjugation gehören die 
passiven aoriste: daher daveszev für Edavn. gewöhnlich, wegen 
diAteszov und zarterzov: bıAsiszov und zuAsirzov wenigstens kommen 
nicht vor. 

auch in vızarzouev A 5ll haben wir also das « kurz zu 
sprechen. 

eben so erklärt sich die kürzung in #2o#ero & 41. 


27. November. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Borchardt las über ein die Pyramiden betreffendes Pro- 


blem des Maximus. 


vom 27. November 1870. 813 


Hr. Dove las über die Vertheilung des Regens in der 
jährlichen Periode im mittleren Europa. 


Die Vertheilung des Regens auf der Oberfläche der Erde habe 
ich 1851 im ersten Theil meiner klimatologischen Beiträge p. 77 
— 183 einer so eingehenden Untersuchung unterworfen, dafs ich 
glaubte, nicht mehr darauf zurückkommen zu dürfen. Um an- 
schaulich zu machen, warum dies dennoch nothwendig ist, mufs 
ich auf die Hauptpunkte jener Darstellung zurückkommen. 

Das Eintreten der Regen ist in der tropischen Zone so regel- 
mälsig, dals es die Eintheilung des Jahres bestimmt. Die India- 
ner des Orinocco theilen dasselbe in die Zeit der Regen und die 
Zeit der Sonnen. Das Herauf- und Herabrücken dieser Regen 
setzte Varenius in gerechtes Erstaunen, weil es „contra coelestem 
rationem“ sei. Mit gewohnter Klarheit beschreibt Dampier, wie 
diese Regen der Sonne folgen. Innerhalb noch weiterer Grenzen 
findet dies Herauf- und Herabrücken in dem Gebiet der Monsoons 
statt, und der Gegensatz einer heitern trocknen Himmels im Win- 
ter zu mächtigen Niederschlägen mit den heftigsten elektrischen 
. Entladungen im Sommer hat allen Anschauungen der Bewohner 
Hindostans die Vorstellung des Waltens zweier einander bekäm- 
pfenden Mächte aufgeprägt. Die Allgemeinheit dieser tropischen 
Verhältnisse blieb den Griechen fremd, und daher war das perio- 
dische Anschwellen des Nils für sie ein Problem, wenn auch He- 
rodot seiner Lösung nahe war. Ihr Gesichtskreis beschränkte 
sich auf subtropische Verhältnisse, und Lucrez hatte daher Recht, 
wenn er Frühling und Herbst, wo das himmlische Haus am häu- 
figsten vom Donner erschüttert werde, des Jahrs kriegführende 
Zeiten nannte, eine Bezeichnung, die für unsere Gegend vollkom- 
men unpassend wäre. Diese subtropischen Regen führte L. v. Buch 
im Jahr 1820 auf das Herabsinken des obern Passates zurück, 
während Gasparin in seinem 1828 erschienenen Aufsatz: „des 
climats Europeens par rapport aux pluis“, die Herbstregen Süd- 
europas in ihrem Gegensatz zu den Sommerregen des mittlern und 
nördlichen hervorhob und Dalton nachwies, dafs an der West- 
küste von Grofsbrittannien die Regencurven ein Maximum im 
Herbst haben, ein Ergebnifs, welches durch Miller für das Gebiet 
der Cuinberlandischen Seeen so auffallend bestätigt wurde. 


814 Gesammtsitzung 


Im Jahr 1835 habe ich in einem Aufsatz „über das Vorhan- 
densein zweier Regenzeiten im südlichen Europa“ die Gesammtheit 
der Regenverhältnisse der gemäfsigten Zone (auf der europäischen 
Seite) unter dem Gesichtspunkte zusammengefalst: die Winterregen- 
zeit an den Grenzen der Tropen tritt, je weiter wir uns von die- 
sen entfernen, immer mehr in zwei durch schwächere Niederschläge 
verbundene Maxima auseinander, welche in Deutschland in einem 
Sommermaximum wieder zusammenfallen, wo also temporäre Re- 
genlosigkeit vollkommen aufhört. Dies früher übersehene Früh- 
lingsmaximum ist in Italien schwach, tritt aber, wie neuere Beob- 
achtungen bestätigt haben, an bestimmten Stellen in Algerien, Spa- 
nien und Palästina entschieden hervor. In spätern Abhandlungen 
habe ich die entsprechenden Verhältnisse der südlichen Erdhälfte 
untersucht und die nördliche Grenze subtropischer Regen in ihrer 
durch Gebirgszüge sich verwickelnden Gestalt festzustellen mich 
bemüht. Das neuerdings in vorher ungeahnter Weise sich erwei- 
ternde Beobachtungsmaterial liefs mich hoffen, in reinerer Form 
für die einzelnen Gebiete die Jahrescurve der Regenmenge hervor- 
treten zu sehen, als die früher lückenhaften Beobachtungen dies zu 
leisten vermochten. Aber bei dieser neuen Bearbeitung fand ich 
dies nicht bestätigt. Selbst eine neunzigjährige Curve enthält Ab- 
weichungen von einer symmetrischen Vertheilung. Dafür mulste 
ein Grund gesucht werden, denn Regeliosigkeit ist kein Natur- 
gesetz. 

Die Luftströme sind abgesehen von den in sie hineinragenden 
Untiefen, die wir Gebirge nennen, uferlos. Sie verändern daher 
häufig ihre Betten, aber innerhalb bestimmter Grenzen. Zwischen 
den verschiedenen einander begrenzenden Witterungssystemen giebt 
es daher Übergangsgebiete, die bald dem einen, bald dem andern 
anheimfallen. Hierzu gehört im grofsen Ganzen Europa, es weils 
nie, ob es sich für das See- oder für das Continental-Klima ent- 
scheiden soll. Es blickt wie ein Janus nach entgegengesetzten 
Seiten, nach Ost und nach West. Im Frühjahr überwiegt der 
Einflufs seines östlichen gelegenen continentalen Nachbars. Dies 
spricht sich in den unbedeutenden Niederschlägen des Februar und 
März aus, und den vorwaltenden trocknen Ostwinden, welche bis 
in den Mai hinein Nachtfröste hervorrufen. Von dem Juni an ist 
es die Westseite der Windrose, welche die die Witterung bestim- 
mende Rolle übernimmt. Nur in seltnen Fällen ist der Verlauf 


vom 24. November 1870. 815 


ein andrer, und stellt sich als ein Verrücken der Erscheinungen in 
der Richtung der Meridiane dar. In beifsen Sommern gehört 
Deutschland der dann regenlosen subtropischen Zone an, während, 
wovon ein auffallendes Beispiel vorliegt, die Nilschwelle dann 
enorm wird, weil die tropischen Regen ungewöhnlich weit in den 
obern Lauf des Flufses eingreifen. In andern Jahren betheiligt 
sich hingegen Italien an unsern Sommerregen. Greifen im ge- 
wöhnlichen Verlauf die Verhältnisse der Westküsten weiter nach 
Osten, so bekommen wegen der Herbstregen Englands unsre Re- 
gencurven dic Tendenz ihr Sommermaximum erheblich im Jahr zu 
verspäten. Wollen wir daher das einem Grenzgebiet eigenthüm- 
liche Schwanken verstehen, so müssen wir nicht blos vieljährige 
Mittel betrachten, sondern bestimmte einzelne Jahre einer genauen 
Untersuchung unterwerfen. Im Jahr 1858 habe ich eine solche 
Arbeit in Pogg. Ann. 105 p. 490 unter dem Titel: „die diesjähri- 
gen Überschwemmungen in Schlesien und am Harz und ihre Ur- 
sachen“ veröffentlicht. Der Sommer 1870 ist ein dem vollkommen 
entsprechendes Beispiel furchtbarer Niederschläge nach einer un- 
gewöhnlich lange anhaltenden Dürre, veranlafst durch einbrechende 
kalte Westwinde, in eine in Westeuropa vorher überhitzte Atmo- 
sphäre. 

Die folgenden Tafeln enthalten aufser den gemessenen Regen- 
summen für die Stationen, wo mehrjährige Beobachtungen vorla- 
gen, den Überschufs der in pariser Linien ausgedrückten Menge 
Regens des August über die mittleren Werthe derselben, nach 
einem Juli, für welchen fast überall die Niederschlagssumme unter 
ihrem Mittel zurückbleibt. 

Die Aufeinanderfolge der Stationen ist in Deutschland im All- 
gemeinen von Nordost nach Südwest, nämlich von Ostpreufsen über 
Pommern, Mecklenburg, Holstein, die Mark nach Schlesien, Sach- 
sen, Thüringen, Westphalen, Niederrhein, Bayern, Baden und Würt- 
temberg, die in Italien hingegen von Nord nach Süd. Wegen der 
Breite des Beobachtungsgebietes mufste natürlich mehrfach zurück- 
gegriffen werden. 


816 Gesammtsitzung 

Deutschland. 

1870 Mittel Unterschied 

Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli Aug. 

Tilsit 21,25.17383:91 39.36 | 86.12 —18.11 2 
Claussen 30.63 | 36.12 32.59 | 283.93 — 1.96 1.19 
Königsberg 9.73 | 26.70 29.37 | 33.28 — 17.64 | — 6.58 
Conitz 28.63 | 54.07 28.94 | 33.01 — 0.31 21.06 
Cöslin 26.31. 1 09.099 28.70 | 36.61 — 2.39 22.98 
Regenwalde 21.05 | 76.80 28.48 | 38.26 — 7.93 33.54 
Stettin 14.31 | 91.02 24.83 | 33.87 — 10.52 57.15 
Putbus 17.28 | 84.68 26.10 | 37.22 — 8.82 47.46 
Wustrow 24.69 | 45.21 21.33 | 20.51 3.36 24.70 
Marnitz 25.76 | 74.04 25.45 | 28.29 0.31 45.75 
Rostock 18.60 | 36.90 22.57 | 23.92 — 3.97 12.98 
Lübeck 24.25 | 60.14 31.85 | 30.49 — 7.60 29.65 
Neustadt 13.78 | 26.88 20.02 | 26.17 — 6.24 0.71 
Eutin 16.99 | 55.34 29.53 | 34.70 — 12.54 20.64 
Kiel 20.61 | 51.50 26.68 | 33.12 — 6.07 13.38 
Neumünster 19.73 | 58.96 30.15 | 33.05 — 10.42 25.91 
Altona 26.49 | 67.20 37.00 | 35.09 —10.51 32.11 
Glückstadt 33.83 | 62.30 45.33 | 45.67 — 1.50 16.63 
Meldorf 17.36 48.39 — 31.03 
Segeberg 24.34 | 54.70 29.62 | 38.66 — 5.23 16.04 
Hadersleben 17.57 | 45.11 
Fiensburg 10.97 | 34.06 19.24 | 39.19 — 13.09 | — 5.13 
Apenrade 11.82 | 59.76 
Oldesloe 16.59 | 85.34 
Husum 21:01 | 29.39 33.48 | 35.75 —11.87 | — 6.36 
Gram 12.52 | 34.46 
Tondern 14.31 | 42.46 
Cappeln 15.96 | 36.02 
Cuxhaven 24.71 | 55.47 
Otterndorf 14.84 | 67.46 31.70 | 40.92 — 16.86 26.54 
Lüneburg 17.85 | 55.13 92.321272.97 — 14.67 27.16 
Hinrichshagen 20.08 | 72.00 28.16 | 28.63 — 8.08 43.37 
Berlin 25.51 | 68.36 31.91 | 28.51 — 6.40 39.85 
Prenzlau 21.07 | 60.07 24.55 | 25.79 — 8.38 | 34.28 
Lübbenow 39.94 | 66.68 36.25 | 31.50 3.69 35.18 


vom 27. November 1870. 817 


1870 Mittel Unterschied 
Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli Aug. 


Frankfurt a. O. 35.65 | 44.78 29.76 | 28.86 — 5.89 15.92 

Posen 32.06 | 41.08 | 28.86 | 32.79 3.20 8.29 

Bromberg 28.10 |! 38.17 27.72 | 30.84 0.38 33 

Ratibor — 93.75 31.66 | 38.63 — 15.12 

Zechen 54.15 | 39.77 | 30.26 | 34.96 23.89 4.81 

Breslau 37.67 | 40.42 29.97 | 36.31 7.70 4.11 

Wang 77.31 |109.78 38.41 | 46.81 38.90 67.97 

Eichberg 57.51 | 72.07 | 39.21 | 42.01 18.30 30.06 

Bunzlau 30.99 | 41.22 . 

Görlitz 22.35) 52.3711 36.191 33.76 1) — 13.77 14.11 

Torgau 18.94 | 35.75 33:35 1.25.33 — 14.41 10.42 

Halle 80.83 | 39.10 31.47 | 23.86 — 0.64 12.24 

| Riesa 14.81 | 40.53 27.03 | 20.92 —12.22 19.61 

Leipzig 17.83 | 64.07 29.93 | 26.94 — 12.10 37.13 

Dresden 27.15. 53.23 || 39.21.) 30.90 1 12.07 22.33 

Zwenkau 26.26 | 49.56 30.46 | 29.46 — 4.20 20.10 
Döbeln 18.27 | 57.70 

| Wermsdorf 14.89 | 38.82 35.13 | 26.09 — 20.76 12.73 

| Gröditz 20.88 | 53.34 | 32.00 | 31.79 | —ı1.12 26.55 
| Tharand 28.45 63.21 

Bautzen 28.42 | 41.53 32.95 | 23.66 — 4.55 17.87 

Zittau „2.17 | 83.22 | 29.75 | 35.45 | — 22.58 47.77 

| Zwickau 28.22 [100.02 32.00 | 34.87 — 3.78 65.15 

Chemnitz 20.15 | 68.56 28.48 | 31.81 — 8.33 36.65 

Königstein 49.79 | 62.57 40.35 | 29.37 9.44 33.20 

| Plauen 25.46 | 78.12 | 24.96 | 28.11 0.50| 5001 

Hinterhermsdorf 28.21 | 68.44 43.67 | 27.65 — 15.46 30.79 

Grüllenhurg 25.28 | 54.96 | 38.15 | 29.77 | —12.87 95.19 

| Freiberg 32.00 | 65.32 41.12 | 29.34 — 9.12 35.98 

‚# Elster 16.37 | 50.12:| 27.40 | 22.55 I —11.03 27.57 

| Annaberg 23.38 | 64.67 27.80 | 32.31 — 4,42 32.36 

0 Rehefeld 59.48 | 93.57 | 48.05 | 31.34 11.43 62.23 

Reitzenhain 32.49 | 84.14 | 35.88 | 36.75 | — 3.39 47.39 

WR Oberwiesenthal 27.80 | 89.31 37.25 | 42.68 — 9.45 46.63 
Greussen 20.45 | 42.04 


Treffurt 8.92 | 81.10 


am 


818 Gesamntsitzung 
1870 Mittel Unterschied 
Juli Aug. Juli Aug. Juli Aug. 

Arnstadt 40.15 | 44.52 | 30.54 | 24.63 9.61 19.89 
Holzengel 26.33 | 51.62 

Keula 16.16 | 89.99 

Sondershausen 13.11 | 64.93 26:39, 1 27:04 13.28 37.89 
Grofsbreitenbach 24.28 | 95.71 31.33 | 44.08 — 7.05 51.63 
Mühlhausen 16.10.| 53.40 

Wernigerode 21.38 | 69,79 | 28.26 | 30.065 1 — 27.38 39.74 
Heiligenstadt 10.42 | 43.96 | 32.02 | 31.39 | 21.40 12.57 
Göttingen 12.74 | 67.49 | 30.23 | 33:99 17.54 33.56 
Clausthal 21.20 |124.88 67.24 | 62.54 —46.04 62.34 
Harzigerode 13.56 | 76.88 

Braunschweig 8.93 | 55.84 | 25.12 | 32.25 | —16.19 23.59 
Hannover 18,80 | 63.59 | 30.50 | 29830 | — 11.70 33.79 
Kassel ra er era ae lo 19.69 
Altmorschen 27.25 | 66.47 | 29.83 | 42.61 | — 2.58 23.86 
Marburg 17.08 | 42.02 1 2152 1 9637 1 — 449 15.65 
Fulda 10.50 | 46.10 | 24.16 | 29.09 | —13.66 17.01 
Elsfleth 18.65 | 93.09 | 35.87 | 39.57 | —17.22 53.52 
Oldenburg 22.10 | 77.55 | 35:13 -38:75 | —13.03 38.80 
Jever 20.48 | 88.47 | 39.41 740.08 | — 11.93 48.39 
Weser-Leuchtthurm 10.02 | 39.66 

Emden 29.63 1.67.01 | 33.87.) 5837.| 294 283.64 
Lingen 22.34 | 46.21 | 35.53 | 35.74 | —13.19 10.47 
Löningen 24.10 | 48.11 36.96 | 34.34 — 12.86 37 
Münster 27.52 | 58.94 | 30072. 32.11 4 190 26.73 
Arnsberg 29.50 | 97.36 | 36.96 | 49.78 | — 7.46 47.58 
Gütersloh 23.28 | 73.01 | 33.21 | 34.71 — 9.93 38.30 
Olsberg 29.66 |129.08 | 40.28 | 55.28 | 1062 66.80 
Brüssel 25.57 | 05.80 1.31.43 3334 | — 386 42.03 
Cleve 39.50 | 76.36 | 34.98 | 36.24 4.52 40.13 
Crefeld 28.70 | 69.60 | 28.87 | 3243 | — 0.17 37.17 
Aachen 48.22 | 81.54 | 30.65 | 45.33 17T, 36.21 
Cöln 52.07 | 70.36 | 29.20 | 30.04 22.87 40.33 
Laach 10.04 | 720.09 ı Toa2 741238 °| — 0:08 27.71 
Boppard 29.69 | 80.78 | 29.71 | 31.52 | — 0.02 49.26 
Trier 16.70 | 39.21 | 32.80 | 32.038 | —15.33 7.18 


vom 24. November 1870. ; 819 


RE NIEREN, 
1870 Mittel Unterschied 
Juli | Aug. Juli | Aug. Juli Aug. 


Birkenfeld 11.53 | 32.70 32.81 | 32.81 —21.23 | — 0.11 
Frankfurt a. M. 47.63 | 50.75 32.71 | 28.47 14.92 21.28 
Wiesbaden 29.63 | 42.63 19.22 | 36.35 10.41 6.28 
Hanau 36.60 | 54.87 45.35 | 39.22 — 2.62 15.65 
Darmstadt 33.09 | 68.08 33.38 | 28.82 — 0.29 39.23 
Duschlberg 26.00 1130.42 22.80 | 66.52 3.20 63.90 
Seeshaupt 16.67 | 83.33 42.06 | 68.08 25.39 15.25 
Promenhof 12.58 | 71.83 18.79 | 48.67 | — 6.21 23.16 
Rohrbrunn 32.08 | 87.75 29.22 15315 6.87 34.60 
Ebrach 13.75 | 76.26 11.53 | 40.57 2022 25.69 
Altenfurt 17.92 |102.02 17.38 | 49.95 0.54 92.07 
Aschaffenburg 26.27 | 66.15 17.00 | 37.31 | 28.84 
Meersburg 41.23 | 46.55 

Mannheim 20.57 | 91.76 31.95 | 29.25 — 16.38 62.51 
Westheim 15.70 | 78.64 

Buchen 29.08 | 84.36 

Schopfheim == 76.20 

Schweigmatt — 73.01 

Villingen 24.91 | 24.29 

Freiburg 27.13 | 66.49 

Badenweiler 17.56 | 84.67 

Höchenschwand 30.10 | 70.08 

Carlsruhe 33.61 1129.75 34.71 | 30.17 ee 99.58 
Baden 37.68 1117.25 

Stuttgard 27.33 | 76.58 31.82 | 32.70 — 4.49 43.88 
Canstadt 31.54 | 66.00 31.63 | 33.54 —40.09 32.46 
Hechingen 49.43 | 72.50 36.93 | 34.90 12.50 37.60 
Hohenzollern 47.00 | 63.17 39.63 | 40.86 1:37 22.31 
Heilbronn 23.29 | 59.33 27.01 | 25.89 — 33.44 
Freudenstadt 42.08 | 89.17 87.55 | 49.60 4.53 39.57 
Calw 21.75 | 271.08 |. 32.47 | 3744 | —ı5.72 39.64 
Ulm 34.19 | 71.44 30.32 | 29.63 3.87 41.81 
Schopfloch 38.38 [123.30 51.82 | 50.87 —13.44 72.43 
Heidenheim 32.17 | 55.00 | 51.33 | 38.90 | —ı9.16 16.10 
Issny 54.16 | 99.71 70.72 | 72.73 | —16.56 26.98 
Friedrichshafen 39.21 | 29.44 40.05 | 41.52 — 0.84 | —12.08 


[1870] 56 


820 Gesammtsitzung 
1870 Mittel Unterschied 

Juli | Aug. Juli | Ausg. Juli | Aug. 
Mergentheim 16.08 | 72.97 25.95 | 32.43 — 9.87 40 54 
Biberach 20.93 | 73.78 
Hohenheim 17.34 | 58.40 38.01 | 82.090 — 16.23 25.85 
Wien 71.00 | 27.42 27.05 | 27.14 43.95 0.28 
Pesth 283.86 | 49.73 14.66 | 14.29 14.20 35.44 
Beregszasz 15.24 | 72.86 
Tokay 62.08 | 27.80 
Szolnok 54.58 | 30.28 
Szeged 33.50 | 64.38 
Becze 31.72 | 87.44 

Italıen. 
1870 Mittel Unterschied 

Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli Aug. 
St. Gotthard 23.14 | 49.61 40.06 , 62.06 —16.92 | — 12.45 
Sacra di S. Michel | 27.04 | 59.40 
Turin 27.84 | 56.08 36.90 | 36.99 — 9.06 19.09 
Moncalieri 18.22 A451 11.85 | 24.93 6.42 18.58 
Pinerolo 69.33 
Mondovi 60.01 | 45.44 21.45 | 28.96 38.56 16.48 
San Remo 24.25 | 38.79 9.60 | 10.39 14.65 28.40 
Genua 3.30 109,702 23.28 | 50.98 — 19.91 74.74 
Alessandria 20.31 | 38.04 17.12 6.12 3.19 31.92 
Casale Monferato 21.64 | 63.39 
Volpeglino 12.85 | 41.67 
Pavia 30.01 | 53.42 33.24 | 45.72 — 3.23 7.70 
Mailand 26.15 | 55.81 | 32.32 | 36.38 | — 6.17 | 10.43 
Lugano 46.77 | 65.61 56.47 | 58.16 — 9.70 7.45 
Breseia 35.42 | 62.06 32.04 | 47.04 3.38 15.02 
Cremona 16.14 
Guastalla 27.66 | 82.41 18.66 | 23.21 9.00 59.20 
Trento 9.75 
Mantua 36.13 | 64.19 30.00 | 30.96 6.13 33.23 
Padua 16.00 | 77.05 30.72 | 29.52 — 14.72 471.53 


vom 24. November 1870. 821 
ee ET LET TER 22. 
1870 Mittel Unterschied 
Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli | Aug. 


Udine 37.72 1102.93 73.40 | 59.00 — 35.68 43.93 
Vicenza 19.15° | 76.25 34.68 | 32.88 — 15.53 43.37 
Venedig 26.11 
Chioggia 12.68 | 79.04 
Ferrara 12.59 | 51.78 19.22 | 32.48 — 6.63 1.9.30 
Reggio (Emilia) 11.62 | 55.06 16.39 | 32.08 — 4.77 22.98 
Modena 17.81 | 67.47 15.59 | 31.05 229, 38.42 
Bologna 24.82 | 60.51 14.05 | 17.24 10.77 43.27 
- Forli 11.26 | 57.99 12.01 | 39.94 — 0.75 18.05 
Florenz 4.88 | 69.11 15.99 | 20.76 —11.11 48.35 
Livorno 4.21 | 49.21 16.48 | 24.77 — 12.27 24.44 
Porto feraro 2.79 5.01 
Siena 15.83 | 50.40 30.24 | 16.44 — 14.41 33.96 
Urbino 12.54 | 89.10 24.51 | 43.98 — 11.97 45.12 
Ancona 8.82 | 63.83 20.07 | 23.58 — 11.25 40.25 
Jesi 0.93 | 43.13 16.18 | 28.21 |, —15.25 14.92 
Camerino 12.41 | 15.07 17.24 | 22.70 — 4.83 | — 7.63 
Perugia 2.88 | 61.93 18.98 | 34.41 — 16.10 27.52 
Chieti 15.74 | 15.52 
Rom 16.32 4.47 7.14 | 12.68 9.18 | — 8.21 
Tivoli 9.00 | 16.04 
Villetri 4.92 6.30 
Neapel S.R. 8.02 | 11.80 4.58 | 16.91 8.44 | — 5.11 
— 00T 8.87 | 16.09 
Benevento 11.89 | 18.8 
Locorotondo 7.707 5.76 7.207) 12.33 — 5.43 | — 6.57 
Catanzaro 12.63 7.85 
Catania 19.06 
Palermo 25.00 1.64 2.58 4.03 22.42 | — 2.39 


56* 


822 Gesammtsitzung 


Nach Westen hin konnte die Untersuchung nur bis zur fran- 
zösischen Grenze fortgesetzt werden. Auf unserm Gebiete fallen 
die extremen Werthe in das Rheinthal. Am 1lten August betrug 
der Niederschlag in Carlsruhe 39'.’32, der achte Theil der Jahres- 
summe, in Baden 33’’29, in Badenweiler 32.80. In den 1779 in 
Carlsruhe beginnenden Messungen ist eine Monatssumme wie die 
des August 1870 nach Klauprecht bisher nie vorgekommen. 
Ähnliche auffallend grofse Tagessummen geben die Beobachtungen 
in Schwaben, 41.4 in Grofsaltdorf, 38.8 in Schopfloch, 37.4 in 
Bruchsal, 35.3 in Issny, 34.0 in Tübingen und Winnenden. Die 
hochgelegenen Stationen liefern überall bedeutende Mengen, Duschel- 
berg im bayerischen Wald (2776’) giebt für den August 130.42, 
Kirche Wang am Abhang der Schneekoppe in Schlesien 109.78, 
Olsberg in Westphalen 122.08, Clausthal auf dem Plateau des 
Harzes 124.88. Die Nordwestküsten Deutschlands geben relativ 
sehr hohe Werthe; dafs aber bei weiterem Fortschreiten von NO 
nach SW sich die Quelle erschöpft, zeigt Wien, welches bei einer 
Monatssumme von 27.42 an 18 Regentagen nur 8.80 als höchsten 
Niederschlag in 24 Stunden liefert. 

Die italienischen Stationen zeigen deutlich, dafs Unteritalien 
sich an der Erscheinung nicht mehr betheiligt. Dafs nach Norden 
hin Norwegen einem andern System angehört, zeigt deutlich fol- 
gende Tafel: 


Norwegen. 


1870 Mittel 
Juli | Aug. | Sept. | Juli | Aug. | Sept. 


Upsala 29.22 | 13.66 

Christiansund 14.63 2.57 | 60.73 31.03 | 32.36 | 35.46 
Aalesund 17.95 4.43 | 68.89 42.56 | 44.77 | 48.32 
Skudesnes 12.68 | 24.18 | 50.85 24,38 | 44.33 | 68.27 
Mandal 18.31 | 76.29 | 49.87 32.36 | 42.11 | 54.53 
Sandösund 27.04 | 20.13 | 26.60 17.29 | 44.33 | 39.01 
Christiania 21.19 | 12.82 | 29.48 29.70, | 35.91 | 28.37 


Dovre 7.98 2.35 | 20.79 16.40 | 16.40 7.98 


vom 24. November 1870. 823 


Unterschied 
Juli | Aug. | Sept. 


Upsala 

Christiansund — 16.40 | — 29.79 25.27 
Aalesund — 24.61 | —40.34 20.58 
Skudesnes —11.70 | —20.15 | —17.42 
Mandal — 14.05 34.18 | — 4.66 
Sandösund 9.25 | —24.20 | —12.41 
Christiana — 8.51 | —23.09 1. 
Dovre — 8.832 | —14.05 13.19 


Die diese Niederschläge im mittleren Europa hervorrufende 
Temperaturerniedrigung geht sehr deutlich aus der folgenden Tafel 
hervor. Diese enthält in Reaumurschen Graden die Abweichungen 
der fünftägigen Mittel für August 1870 vom mittlern Werthe der- 
selben berechnet aus zwanzig Jahren. Bedenkt man, wie ener- 
gisch bei der vorhergehenden ungewöhnlich hohen Wärme die Ver- 
dunstung eingeleitet gewesen sein muls, so begreift man, wie eine 
so bedeutende plötzliche Abkühlung die mächtigsten Niederschläge 
veranlassen mulste. In der That verdunstete auf den bayerischen 
Waldstationen Seeshaupt, Promenhof, Rohrbrunn, Altenfurt, Aschaf- 
fenburg von einer freien Wasserfläche eine Wasserschicht, deren 
Höhe im Juli 55.5 56.5 61.0 63.3 34.7 pariser Linien war, hin- 
gegen im Au- 
gust nur 39.0 29.1 24.2 30.9 15.9. 


824 


Gesammtsitzung 


Au 

25 — 29 380 —3 4—8 
Christiania 4.87 3.88 4.56 
Memel 1.13 3.74 3.19 
Tilsit 1.52 3.83 2.34 
Claussen 0.66 3.75 3.13 
Königsberg 1.13 3.39 3.49 
Hela 0.31 2.67 3.66 
Conitz 1.31 4.01 3.21 
Cöslin 1.86 3.36 4.08 
Regenwalde In; 218 4.30 
Stettin 1.11 2.97 3.67 
Putbus 1.45 2.81 4.18 
Wustrow 0.40 3.80 3.28 
Rostock 0.76 2.39 2.79 
Schwerin 0.99 2.74 2.98 
Kiel 1413 2.06 2.70 
Neumünster 1.83 2.47 3.47 
Altona 0.87 2.08 2.86 
Lübeck 1.20 2.85 3.97 
Eutin 1.96 2.50 3.18 
Ötterndorf 2.81 3.33 3.60 
Lüneburg 2.04 3.81 3.49 
Hinrichshagen 1.63 3.52 3.84 
Berliu 1233 2.95 3.15 
Frankfurt a. O. 1.41 2.99 4.04 
Posen 0.66 2.71 3.79 
Bromberg 0.91 3.32 3,57 
Ratibor un 2.74 2.66 
Zechen 0.70 2.46 3.08 
Breslau 0.62 2.72 2.93 
Eichberg 0.25 —_ 3.27 
Wang 0.33 3.29 2.87 
Görlitz 1.22 2.63 3.94 
Torgau 1.86 3.74 3.88 
Halle 2.07 3.39 3.17 
Erfurt 1.07 2.86 2.68 
Mühlhausen 0.44 2.78 2.71 


vom 24. November 1870. 


gust Sept. 
Sr 714 18; 7192-93: 94 — 28 92 
2.99 —0.46 —_ mag — 1.74 —1.58 
1.70 — 1.76 —2.69 2.18 — 60R 
2.02 99 Al 1.90 — 1.98 
1.83 54 — 3.44 9.06 — 1.68 
1.99 — 2.40 —3.03 | — E51 
1.55 —1.95 —2.57 Bey Al — 1.34 
2.17 — 2.67 — 3.07 —2.77 — 92.15 
2.50 — 2.30 — 2.30 23) —1.45 
1.99 — 2.26 — 2.12 —1.88 —1.53 
1.45 —1.60 — 9462 —3.02 — 2.00 
1.90 — 1.08 —2.13 — 2.39 —1.12 
1.08 |_—0.89 —1.97 —2.15 —0.72 
1.14 —119 | —2.16 —2.65 —1.36 
117 — 1.70 — 2.97 —2.92 —1.47 
1.04 —0.89 — 2.52 — 2.56 — 1.60 
1.40 —1.33 | —2.98 391 —0.88 
—0.04 —1.68 — 3.39 Al —2.00 
2.55 —0.21 —1.76 —1.72 —1.06 
1.53 —0.71 — 1.83 9.15 —0.99 
1.97 —0.12 — 2.50 — 2.24 —0.81 
1.84 —0.90 — 3.00 — 2.05 —0.80 
1.66 just —2.93 —2.89 —1.35 
0.77 —1.56 — 3.29 — 3,14 — 2.10 
1.19 —1.87 — 3,59 — 3.01 —1.92 
1.54 —1.97 —2.95 —3.03 —1.87 
2.42 — 2.89 — 2.89 — 2.86 —1.99 
0.74 DA — 3.39 — 3.05 —2.76 
0.46 — 2.24 — 3.26 —3.19 —1.65 
0.45 —1.89 — 3.46 —3.92 — 1.83 
0.68 — 1.34 — 3.02 2.18 — 1.27 
1.10 — il — 3.30 18 — 2.29 
0.47 —1.30 —3.56 —3.30 —1.51 
0.22 —1.32 — 3.21 —3.02 —1.86 
0.10 —1.40 983 —3.05 — 1.68 
—0.07 —11,07, — —3.94 3 
—0.83 —2.62 — 2.59 — 9907 


—0.01 


ı 


825 


826 


Gesammtsitzung 
Au 
25 — 29 30 —3 4—8 
Wernigerode 119 2.99 2.61 
Heiligenstadt 1.19 3.46 3.02 
Göttingen 1.18 3.70 2.77 
Clausthal Ira 3.95 2.15 
Hannover 1.98 3.80 3.32 
Oldenburg 2.58 3.38 3.07 
Jever 2.98 2.81 3.18 
Elsfleth 2.61 2.93 2.90 
Emden 2.36 2.82 3.07 
Lingen 2.86 3.59 8.19 
Löningen 2.41 3.37 3.04 
Münster 2.34 3.97 2.80 
Gütersloh ro 3.56 2.45 
Olsberg 2.73 2.72 2.42 
Brüssel 3.63 4.14 1.82 
Cleve 2.16 2.94 1997 
Crefeld 2.04 3.25 1.77 
Cöln 1.84 2.20 1.12 
Boppard 1.59 2.20 1.47 
Trier 2.63 2.24 1.30 
Birkenfeld 2.46 2.12 1.73 
Frankfurt a. M. 1.01 1.92 1.16 
Darmstadt 0.80 2.54 0.71 
Mannheim 0.37 —0.22 —0.18 
Carlsruhe 0.58 1.29 —0.40 
Heilbronn 0.16 1.65 —0.13 
Stuttgard 0.51 1.37 —0.15 
Hechingen 0.89 2.39 0.65 
Hohenzollern 0.57 2 40 —0.52 
Freudenstadt 0.32 2.49 —0.60 
Calw 1.42 1.64 0.73 
Ulm —0.73 1.22 —0.15 
Schopfloch —0.05 2.22 —0.86 
Heidenheim — 0.32 2.14 —0.13 
Friedrichshafen —0.64 0.25 — 0.93 
. Issny 1.13 2.28 —0.06 
Wien —0.16 1.02 1.01 
Rom 1.26 0,85 0.14° 


(een Enns unse, 


gust Sept. 
9—13| 14 —18| 9-23 | 2a —28 | 9—2 
ee ii yralan eninachiha®T zen ill Hana’) 
—0.07 178 — 3,64 360 187 
0.41 199 —3,29 — 3.40 eg 
0.36 212.97 36 2338 2a 
—0.05 Fo —417 Ei) — 2.04 
0.65 0.93 — 2.27 978 —_ 1.26 
1.51 —0.12 9399 = 0197, —1.01 
1.35 —0.64 —3.02 —2.69 119 
0.92 —1.92 —4.04 3815 _ 1,79 
1.08 —0.34 — 2.68 — 2.49 Ser 
0.70 037 ns 9:01 —1.52 
1.03 —0.65 —3.58 —3.27 —1.62 
1.33 —0.62 —3.41 —3.26 9.10 
0.69 —0.91 = 9.54 = 3.38 an 
0.83 —1.23 — 3.97 29193 19175 
1.27 —0.19 — 2,63 — 196 — 12.26 
050 | 070 — 2.99 = 3.10 2.1.37 
— 015 0.91 —3,64 ss, 188 
—0.30 435 —2.94 3.86 — 2.50 
—e — 1.28 on enoT — 2.10 
0.04 — 1.07 955 — 2.42 — 2.52 
0.75 —0.69 — 3.68 el ed 
—0.62 —0.92 —4.11 —4.41 —3.06 
139 = or0s —4.32 AH 2334 
— 198 as — 5.22 —5.38 od 
ns 9.38 a) —4.34 358 
—1.62 gl a 32 —4.40 
7.01 al 7 —4.04 = 316 
991 166 —3.32 | — 2.51 
—1.85 2159 2,9 — 4.67 —3.20 
9.10 —21.09 947 ART 370 
—0.19 — 161 29339 1 — 3.68 
—1.62 8 970 —4.69 = aalT 
04 — 2.41 —4.50 —5.29 —3.02 
los os 7 2 462 3.46 
ss — 0,44 le usb 900 
— 2.00 — 0.68 =. —4.82 BuolaR 
ee) — 1.38 — 3.64 Al —2,26 
—0.62 —0.44 21.94 —1.81 0.13 


vom 24. November 1870. 


827 


828 Gesammtsitzung 


Den entschiedensten Gegensatz zu den mächtigen Regen des 
August bildet die Regenlosigkeit des Frühlings, sie umfalst das 
ganze westliche Europa. In den Nouvelles meteorologiques bildet 
im Frübjahr die Trockenheit in Frankreich einen durch mehrere 
Monatshefte fortlaufenden Artikel. „Wir brauchen Wasser, Was- 
ser und es kommt nicht“, wird schon im April von Blois geschrie- 
ben. In Montpellier fallen im Mai im Mittel 42’.’11, 1870 bis 
zum ölten kein Tropfen. „Man spricht nur von der Trockenheit, 
heilst es im Mai von Verdun, welche alles in Gefahr bringt“; 
von Lavallade: „Jeder sagt auf Regen hoffend, wir werden an die 
Reihe kommen, aber 3 Monate und mehr, und dieselbe Voraus- 
setzung scheitert an derselben Lage, ‚du soleil et toujours du so- 
leil‘“, Man fragt sich ob die glühenden Ebenen der Sahara einen 
traurigern Anblick bieten als unsre Kalkgehänge. Der Himmel von 
Bezieres wird als d’une beaute implacable bezeichnet. In Beyrie 
(Landes) war im April nur ein Regentag, vom März bis Juli incl. 
fielen 45’!’10 statt 153'.’92. Von Tours schreibt man am 1. Juli: 
„täglich müssen die Landleute weite Strecken fahren, um Wasser 
für ihr Vieh zu holen, sie selbst trinken warmes Sumpfwasser und 
verkaufen zu niedrigen Preisen ihr Vieh, da sie es nicht erhalten 
können.* Ein Monat ohne Regen, eine afrikanische Sonne war 
das Bezeichnende des Juni in Beauficel. 

Da diese ungewöhnliche Trockenheit auf zwei ebenfalls trockne 
Jahre 1868 und 1869 folgte, so vermuthen die durch ihre schönen 
Arbeiten über die hydrographischen Verhältnisse des Seinebassins 
bekannten Hrn. Belgrand und Lemoine, dafs wie stark auch 
die Sommerregen ausfallen möchten, dies den Wassermangel der 
Quellen und Flüsse doch bis zum November nicht werde zu er- 
setzen vermögen. 

Auch die iberische Halbinsel erfuhr diese Trockenheit. In 
Lissabon war der Juni so trocken wie der Mai. In dem durch 
seine Regenmasse, der es seinen bekannten Beinamen verdankt, so 
berüchtigten San Jago fielen 2'504 statt 16.517 vom April bis 
Juni. Die Allgemeinheit der Trockenheit geht aus der folgenden 
Tafel hervor, während in Deutschland hingegen schon im Juni die 
Regenmenge überall die normale ist. Die Regensumme war: 


vom 24. November 1870. 829 
m mn nn 


| April | Mai | Juni | Summe 
a ne en Sa le. ea 

Beäuficel 6.12 19.81 2.26 2.349 
Fecamp 2.88 14.23 4.83 1.828 
Lille 3.63 12.99 7.00 2.135 
Soissons 2.22 4.65 2.22 0.757 
Paris 17 17.42 1.06 1.688 
Tours 1.68 11.53 0.44 1.138 
Blois 0.75 7.14 0. 0.657 
Montargis 1.86 71.23 1.64 0.894 
Chatillon 0.13 14.94 0.27 1.278 
Doulevant 2.48 25.58 1.24 2.442 

le Syndicat (Voges) 2.93 24.47 12.15 3.263 

I) Cemboine 2.48 25.93 7.18 2.966 
| Metz | 0.80 6.74 2.57 0.842 

Ichtratzheim 4.96 17.91 7.18 2.504 
Verdun | 7.23 11.79 3.86 1.907 
Lorient 2.51 9.49 1.51 1131 

Beyrie 3.19.) 20.39 6.52 2.508 
Lavallade 2.75 13.17 2.00 1.493 
| le Puy 17.24 33.73 4.92 4.658 

| | Rodez 19.99 11.79 1.86 2.803 

a : 

N Calöves 6.25 8.02 17.11 2.615 
| Bourg 1.20 8.69 2.66 1.046 
| Foix 11.39 24.60 23.36 4.946 

[| Warbes 19.68 49.20 19.95 7.402 

I are 1.20 24.56 14.45 3.351 

| Montpellier 14.67 5.76 3.32 1.979 

2 Bezieres 24.60 7.31 7.09 3.233 

I Cannes 9.31 7.36 21.67 3.195 
EN 0.00 3.99 0.0 0.333 
Biarritz 3.72 14.63 11.30 2.471 

Sieie 0.93 0.0 21.28 1.851 

Cap Gris- Nez 1.37 12.01 1.51 1.241 

| St. Matthieu 1.86 25.71 2.30 2.489 
HE Murcia 8.91 2.66 14.05 2.135 
1 San Jago* 18.00 12.37 3.77 2.845 

| Lissabon 4.96 17.91 7.18 2.504 


* statt [781.27 68.99 37.94 16.517 


830 Gesammtsitzung 


Ähnliches gilt von England. In Greenwich war nach Glai- 
sher die Regensumme 1'060, eine Menge, die so klein noch nie 
beobachtet worden ist. Für das erste Halbjahr Januar-Juni fielen 
4'888 statt 10'209, seit 1815, bis wohin zurück die Beobachtun- 
gen reichen, noch nie erlebt. Die folgende Tafel giebt ebenfalls 
in pariser Linien die gemessenen Regenhöhen. 


| April | Mai | Juni | Summe 
Guernsey 8.67 18.58 2.36 2.467 
Helston 2.25 16.21 7.43 2.157 
Truro 2.03 Kor 3.60 2.083 
Sidmouth 3.94 15.76 1.32 2.252 
Eastbourne 3.15 14.19 1,29 2.989 
Osborn 3.15 15.99 2.03 1.764 
Portmouth 2.36 15.09 3.38 1.736 
Taunton 5.40 11.03 6.76 1.932 
Wilton House 9.07 14.75 4.50 22.027 
Barnstaple 5.29 18.47 11.49 2.937 
Aldershot 4.17 14.75 4.17 1.924 
West Hampton 17.99 32.31 9.00 4.108 
Strathfield Turgiss 27. 20.94 6.64 2.574 
Weybridge Heath 3.60 8.44 6.64 1.557 
Bath 4.73 23.31 8.56 3.050 
Marlborough. Cot. 6.08 24.09 3.94 2.859 
Greenwich 3.04 5.29 4.39 1.060 
Streatley Vicarage 4.73 14.19 2.03 1.746 
Marylebone 5.63 9.34 8.78 1.979 
Camden 5.29 71.88 9.11 1.857 
Oxford 5.97 1.16 7.43 1.213 
Gloucester 6.98 14.30 11.15 2.702 
Royston 4.28 8.33 13.17 2.148 
Little Wratting 4.39 6.53 8.33 1.604 
Cardington 4.63 7.32 11.26 2.017 
Lampeter 13.06 23.42 8.11 3.716 
Leamington 6.98 7.32 8.11 1.867 
Somerleyton 6.76 6.87 11.82 2.121 
Norwich 10.36 7.99 17:12 2.956 


Wisbech 8.44 7.77 27.81 28.068 


} 


vom 24. November 1870. 831 


| April | Mai | Juni Summe 
Mendunde | 2331 8.22 11.94 3.622 
Derby 8.44 8.11 13.85 2.533 
Nottingham 5.86 8.89 10.92 2.139 
Holkham 10.13 6.19 18.58 2.075 
Boston 6.64 8.22 18.02 2.740 
Hawarden 14.64 11.49 8.78 2.909 
Liverpool 14.41 10.47 13.51 3.199 
Old Trafford 25.00 8.44 20.15 4.466 
Eciles 23.08 10.13 21.62 4.569 
Halifax 13.40 26.12 34.46 6.165 
Hull 5.52 6.19 32.31 3.668 
Stonyhurst 29.73 21.96 25.11 6.400 
Bradford 5.63 13.62 2.18 3.452 
Leeds 5.18 10.25 16.10 2.627 
Otley 8.78 23.87 19.37 4.335 
York 7.09 12.79 31.30 4.426 
Hawsker 4.28 15.76 36.14 4.682 
Cockermouth 23.76 45.27 22.18 7.601 
Allenheads 20.15 35.35 22.86 6.530 
Carlisle 9.79 18.69 19.82 4.025 
Bywell | 7.21 9.00 18.13 2.862 
North Shields 8.78 15.76 27.47 4.334 
Miltown 12.50 18.35 10.92 3.481 


Bestimmt man aus allen zwischen 50° und 55° N.B. gelege- 
nen Stationen für den ganzen Zeitraum April bis Juni die mittlere 
 Regensumme, so erhält man 3'161, also fast genau nur die Hälfte 
des in denselben Zeitabschnitt 1869 gefallenen 6'287. 


Hingegen gehört Norwegen nicht dem System an, wie fol- 
gende Tafel zeigt: 


832 Gesammtsitzung 


u 
= 
=) 
—r 
u 
S 
= 


| April | Mai 
| 


Christiansund 33.02 27.93 34.35 14.68 
Aalesund 41.89 27.13 39.37 17.95 
Skudesnes 41.09 21.55 16.58 12.68 
Mandal 17.29 32.89 16.46 18.31 
Sandösund 2247 25.49 25.93 27.04 
Christiania 5.41 17.60 24.42 21.19 
Doyre 8.42 6.87 26.60 7.58 
Brönö 37.24 23.85 60.42 32210 
Florö 98.01 67.91 76.16 52.05 
Tronsö 23.76 34.76 16.27 39.0% 
Bodö 36.39 24.91 12.10 31.21 
Leirdal 6.38 8.91 12.37 15.88 
Bergen 81.57 42.69 73.01 44.42 
Elverum 0.44 12.8383 43.84 36.97 


In meinen Untersuchungen über die Stürme habe ich nachge- 
wiesen, dafs die gefährlichste Form derselben im Herbst und Win- 
ter Deutchlands die ist, wo in eine durch einen anhaltenden Äqua- 
torialstrom aufgelockerte Atmosphäre senkrecht ein kalter Nord- 
west mit steigendem Barometer und plötzlicher Wärmeabnahme 
einbricht. Diese Form entspricht den hier betrachteten Erschei- 
nungen, beide Phänomene sind durch die Jahreszeiten modificirte 
Folgen derselben Grundbedingungen. Es giebt daher bestimmte 
Wetterstrafsen, deren Auffindung eine viel wichtigere Aufgabe ist, 
als die Aufsuchung auf enge Grenzen beschränkter Modificationen, 
welche man Wetterscheiden nennt, die eben nur eine locale Bedeu- 
tung haben. 

Erreichen die hier erörterten Erscheinungen, wie dies 1870 
der Fall war, extreme Werthe, so vermögen sie die Jahrescurve 
des Niederschlags so wesentlich zu modificiren, dafs ein solcher 
Jahrgang den Scheitel der Curve, wie er durch vieljährige Mittel 
bestimmt war, zu verlegen vermag. Dies ist der Grund, warum 
die sichre Feststellung dieser Curven stets erneuerte Untersuchun- 
gen erheischt. Die von mir in dieser Beziehung angestellten hier 
mitzutheilen, würde zu weit führen. 


vom 24. November 1870. 833 


Hr. Braun gab Mittheilungen aus den jüngsten Briefen des 
Reisenden der Humboldtstiftung, Hrn. Dr. Schweinfurth. 


Fast ein volles Jahr lang, vom 23. October v.J. bis zum 21. 
d. M. waren die Nachrichten des Reisenden ausgeblieben. Die an 
dem genannten Tage angekommenen Briefe sind vom 4. und 14. 
Juli, erstere von der entfernteren Seriba Ssabbi, letztere von der Se- 
riba Ghattas in Djur, der Hauptstation der Thätigkeit des Reisen- 
den, nach welcher er am 15. Juli zurückgekehrt war. Sie enthal- 
ten vorläufige Berichte über eine während achtmonatlicher Abwe- 
senheit von der Station ausgeführte Expedition in die kaum mehr 
als dem Namen nach bekannten Länder der Njam-Njam’s und 
Monbuttu’s, kriegerischer und kannibalischer, von der europäischen 
Cultur noch unberührter Völker. Die Hauptstadt der letzteren, 
Munsa, unter dem 3. Breitegrad oder etwas südlicher, war der 
entfernteste Punkt, den er erreichte, und woselbst er von dem Kö- 
nige der Monbuttu’s feierlich und gastlich empfangen wurde. Die 
auf dieser Reise gemachten umfangreichen Sammlungen wurden nach 
der Rückkehr zur Seriba Ghattas sofort nach der Meschra am 
Bahr el Ghazal befördert und befinden sich auf dem Wege nach 
Europa; der Reisende selbst blieb auf der Seriba um sich von 
den Anstrengungen der Reise zu erholen und die Erforschung des 
dortigen Gebietes durch einige weitere Exkursionen zu vollenden. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Geschichtv der Wissenschaften in Deutschland. 9.Bd. München 1870. 8. 

Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchatel. Tome VII. 
Neuchatel 1870. 8. 

Puclications de U'Institut de Luxembourg. Tome XI. Luxembourg 
1870. 8. 

The Quarterly Journal of geological Society. no. 101 — 104. London 
1870: 28. 


834 Gesammtsitzung vom 24. November 1870. 


Proceedings of the Royal Geographical Society. Vol. 14. London 


187.0,,, 18; 
Journal of the Royal Geographical Society. Vol. 39. London 
1870.28. 


et mn nn nenn Tan nn 


Nachtrae. 


7. Juli. Öffentliche Sitzung der Akademie zur 
Feier des Leibnizischen Jahrestages. 


Hr. du Bois-Reymond, an diesem Tage vorsitzender Se- 
kretar, eröffnete die Sitzung mit einem einleitenden Vortrag über 
Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissen- 
schaft. 


Mit Kant endet die Reihe der Philosophen, die im Vollbesitze 
der naturwissenschaftlichen Kenntnilse ihrer Zeit sich selber an 
der Arbeit der Naturforscher betheiligten. Leibniz dagegen steht 
als mathematischer Physiker noch so grofs da, dafs man seine 
Leistungen in der von uns eigentlich sogenannten Philosophie ver- 
schweigen oder herabsetzen könnte, ohne dafs er aufhörte als 
einer der gewaltigsten Geister zu erscheinen. Und man würde 
irren, wollte man die Verbindung der mathematisch-physikalischen 
mit ‚der speculativ-philosophischen Richtung in Leibniz aus 
einer polyhistorischen Neigung herleiten, die ihn auch Juristischen 
Erörterungen, diplomatischen Quellenstudien, sprachwissenschaftli- 
chen Forschungen zutrieb. Hätte nur ein äufserliches Band, durch 
Zufall und Laune geknüpft, diese ungleichartigen Dinge in seinem 
Kopfe zusammengehalten, dann wäre Leibniz nicht der würdige 
Heros des Cultus, den ihm mit gleicher Inbrunst beide Klassen 
dieser Akademie weihen. Nicht Vielwisser war °er, sondern, soweit 
der Mensch es kann, All- und Ganzwisser, und sein Erfassen, 
sein Erkennen war stets zugleich schöpferischer Act. Dem Insect 
gleich, das honigsammelnd den Blüthenstaub von Zweig zu Zweig 
trägt, hinterläfst sein beweglicher Geist, indem er von Disciplin 
zu Diseiplin schweift, reich befruchtende Spur, auch wo er nur 
tändelnd sich niederzulassen scheint. 

[1870] 


an 
I 


836 Nachtrag. 


Wie bei seinem Vorgänger Descartes war daher seine Phi- 
losophie mit seinen mathematisch-physikalischen Anschauungen 
innig verwebt. Die damals neuen mathematischen Begriffe des 
Unendlichen verschiedener Ordnung und der Stetigkeit, zum Theil 
seine Erfindung, spielen hinüber in seine Metaphysik, und seine 
Demonstrationen, Deductionen, Oonstructionen, die von ihm ge- 
wählten Beispiele und Gleichnisse, lassen überall den mathematisch 
angelegten und geschulten Kopf erkennen. 

Man hat bemerkt, dafs Leibniz philosophische Schriften trotz 
der Tiefe, in die sie führen, mehr exoterisch gehalten sind, und 
als Grund angegeben, dafs sie meist Gelegenheitsschriften seien, 
Briefe oder Darlegungen für hohe Gönner und Gönnerinnen, denen 
Leibniz gern so verständlich wie möglich war. Die anders 
entstandenen posthumen Nouveaux Essais sur ÜEntendement humain 
sind zum Theil wirklich schwerer geschrieben; allein der wahre 
Grund seiner deutlichen Schreibart dürfte in seiner mathemati- 
schen Denkart liegen. 

Prüft man vom heutigen Standpunkte die Frucht, die aus 
dieser Verbindung der Philosophie mit Mathematik und Physik 
erwuchs, so kann man bei Leibniz, wie bei Descartes, häufig 
eines Gefühles von Staunen und Enttäuschung sich nicht erwehren. 
Seine Schriften sind reich an glücklichen Blicken in die ferne Zu- 
kunft der Wissenschaft; aber in solcher Divination zeigt sich mehr 
sein natürliches Genie, als dafs die Stärke seiner Denkmethoden 
sich daran bewährte. Für diese liegt die Probe in seinen syste- 
matischen Entwickelungen, und hier erscheint nicht selten das Er- 
gebnils so unbefriedigend, bei aller formellen Strenge die Schlufs- 
folge so gewagt, der Bau übereinander gethürmter Aufstellungen 
so willkürlich, dafs man zweifelt, ob es sich um die Wahrheit, und 
nicht blofs um ein Spiel scharfsinnigen Witzes handelt. Man wird 
irre daran, ob wirklich, wie man glauben könnte, wachsende Ent- 
fremdung zwischen Philosophie und Naturwissenschaft die Schuld 
an ähnlichen Schwächen bei Kant’s Nachfolgern trage. 


Bei Descartes und Leibniz lassen sich aber für diese © 
Schwächen zwei Gründe angeben, welche neueren Philosophen 5 


nicht in gleicher Weise zur Entschuldigung gereichen. 


Einmal hatte zu Leibniz’, vollends zu Descartes’ Zeit, 1 


die Erziehung des menschlichen Geistes durch die experimentelle & 
\ 


Beschäftigung mit der Natur erst begonnen, durch welche allein 


Nachtrag. 837 


ihm das heilsame Mifstrauen in seine Kraft, die nöthige Achtung 
der Thatsache und Gleichgültigkeit gegen die Deutung, die richtige 
Ergebung gegenüber unlöslichen Aufgaben eingeflölst wird. 

Der andere Quell des Übels bei Leibniz ist die seine Zeit 
noch ganz in ihren Fesseln haltende, ihre Voraussetzungen überall 
unterschiebende, jedem unbefangenen Urtheil in den Weg tretende 
Theologie. Die geistige Arbeit des achtzehnten Jahrhunderts war 
noch nöthig, um den Menschengeist aus diesem grauen Larvenge- 
häuse zu befreien, in das er über ein Jahrtausend gebannt gewesen 
war; und so sind Leibniz’ Physik und Metaphysik noch ganz in 
den theologischen Schranken gefangen. Die Voraussetzungslosigkeit, 
die erste Voraussetzung unseres Philosophirens, ist, ihm unbewulfst, 
bei ihm so wenig vorhanden wie bei Descartes, in dessen Discours 
de la Methode der ontologische Beweis des Daseins Gottes eine 
nicht minder schrille Dissonanz wirft, als die so selbstgefällig vor- 
getragene, merkwürdig falsche Theorie des Blutumlaufes. Zwar 
stellt Leibniz die grofsen Principien vom zureichenden Grunde 
und von der Stetigkeit auf; aber der Wille Gottes, der doch frei, 
d.h. ohne zureichenden Grund handelt, gilt ihm als zureichender 
Grund, und Schöpfung und Wunder durchbrechen sein Gesetz 
der Continuität. Ein gutes Beispiel des Mifsbrauches theologischer 
Betrachtungsweise bei Leibniz ist sein Beweis der Unmöglich- 
keit, dafs es einen leeren Raum gebe. „Ich nehme an“, sagt er, 
„dals jede Vollkommenheit, welche Gott in die Dinge legen konnte, 
„ohne deren anderen Vollkommenheiten Abbruch zu thun, in die 
„Dinge gelegt worden ist. Stellen wir uns einen ganz leeren 
„Raum vor; Gott konnte Materie hineinbringen, ohne irgend einem 
„anderen Dinge Abbruch zu thun; folglich hat er sie hineinge- 
„bracht; folglich giebt es keinen ganz leeren Raum; folglich ist 
„Alles erfüllt.“ Ähnlich beweist Leibniz die Theilbarkeit der 
Materie in’s Unendliche oder das Nichtvorhandensein von Atomen.? 
Der Lehre von der Erhaltung der Kraft, welche unsere Welt- 
anschauung beherrscht, gab Leibniz zuerst den richtigen Ausdruck, 
und wie sinnreich ist das Bild, durch welches er das schein- 
bare Verschwinden von Kraft bei Umwandlung von Massenbewe- 
gung in Molecularbewegnng erläutert: es sei wie das Umwechseln 
eines grolsen Geldstückes in Scheidemünze.? Aber wie für Des- 
cartes ist auch für ihn die Constanz der Kraft nur ein Ausflufs 
des göttlichen Willens. 


57* 


838 Nachtrag. 


Die widernatürliche Verbindung der speculativen Theologie 
mit der Mathematik bei Leibniz zeigt sich nirgend greller als 
in dem Grundgedanken seiner Theodicee.. Von Kindheit auf, wie 
er selber berichtet‘, von dem Räthsel gepeinigt, welches der Ur- 
sprung des metaphysischen, physischen und sittlichen Übels in der 
Welt sei, — der Unvollkommenheit, des Leidens und der Sünde, — 
da doch Gott, als vollkommen gut und als allmächtig, das Übel 
anscheinend nicht hätte schaffen dürfen, wird Leibniz durch die 
Königin Sophie Charlotte von Preufsen, der Bayle’s Schrif- 
ten dasselbe Bedenken eingeflöfst hatten, um Aufklärung gebeten. 
Bekanntlich verdankte ihm die Theorie der Maxima und Minima 
der Functionen durch die Auffindung der Methode der Tangenten 
den grölsten Fortschritt. Nun stellt er sich Gott bei Erschaffung der 
Welt wie einen Mathematiker vor, der eine Minimum-Aufgabe, oder 
vielmehr, nach jetziger Redeweise, eine Aufgabe der Variations- 
Rechnung löst: die Aufgabe, unter unendlich vielen möglichen 
Welten, die ihm unerschaffen vorschweben, die zu bestimmen, für 
welche die Summe des nothwendigen Übels ein Minimum ist; 
wie man den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten, den gröfsten 
Flächenraum bei gleichem Umfange, die Curve schnellsten Falles 
bestimmt. Diese bestmögliche Welt hat Gott in’s Dasein gerufen; 
es ist die Welt, in der wir leben. 

Wenig speculative Gedanken haben auf die Literatur so un- 
mittelbaren Einflu[s geübt, wie dieser. Bis in die zweite Hälfte 
des achtzehnten Jahrhunderts beschäftigt er die Geister. Wäh- 
rend Pope in dem Essay on Man ihm auf seine Weise 
poetischen Ausdruck gab, machte ihn Voltaire zur Ziel- 
scheibe seines nie fehlenden Spottes. In seinem philosophischen 
Roman Candide setzt er dem Leibnizischen Optimismus eine 
Demonstration entgegen, ähnlich der durch welche Diogenes 
den Bewegung läugnenden Sophisten widerlegte. Die Behauptung, 
der Welten beste sei diese, verhöhnt er, indem er den Menschen 
als Spielball sinnloser Geschicke malt, und gräfsliches Elend un- 
schuldige Häupter treffen lässt, wovon das Erdbeben zu Lissabon 
ihm ein zeitgemäfses Beispiel bot. Versöhnung und Trost aber 
lehrte er, ein später von Goethe vielfach ausgeführter Gedanke, 
statt in Betrachtung des Göttlichen und Hinblick auf eine Zu- 
kunft jenseit des Grabes, in Entsagung und Arbeit finden. 


Nachtrag. 839 


Ohne mit Voltaire über den theodiceischen Gedanken zu 
spotten, kann man aller weiteren Erläuterungen ungeachtet nicht 
darüber hinaus, dafs, wie Niemand besser als Leibniz wulste, 
jede Maximum- und Minimum-Aufgabe stetige Veränderlichkeit des 
Werthes einer Function, oder der Function selber, unter gewissen 
Bedingungen voraussetzt. Die zu lösende Aufgabe hat also nur 
eine andere Form erhalten, denn wie stimmt es zur unbedingten 
Natur Gottes, dafs ihm irgend welche, vollends seinem Wesen 
widerstreitende Bedingungen vorgeschrieben waren, noch ehe es 
eine Welt gab? 

Als Urgrund aller Erscheinung gelten Leibniz die Monaden, 
einfache Substanzen im metaphysischen Sinne, unausgedehnt, doch 
im Raume vorhanden, selbstthätig, aber nicht nach Aufsen wirkend 
und äufseren Wirkungen unzugänglich. Die Monaden bilden eine 
stetige Entwickelungsreihe von Nichts bis zu Gott, der selber die 
höchste Monade ist, nach Analogie der Ordinaten einer Curve, die 
von Null bis Unendlich wachsen. Von einem gewissen Punkt an 
besitzen die Monaden Bewufstsein, welches sich in den höheren 
Gliedern der Reihe zu immer höherer geistiger Thätigkeit entfal- 
tet. Die menschlichen Seelen-Monaden nehmen irgendwo eine 
mittlere Stellung zwischen denen der Thiere und Engel ein. Übri- 
gens ist, wie wir schon sahen, der Raum nirgend leer, sondern in 
jedem kleinsten Theil unendlich voll von Wesen, daher jeder 
materielle Punkt, gleichviel ob eines organischen oder anorgani- 
schen Körpers, eine Welt von Monaden beherberst. 

Da die- Monaden als einfache Wesen nicht durch Zusammen- 
setzung entstehen und nicht durch Auflösung vergehen können, 
schliefst Leibniz, dafs Gott mit Einem Schlage sie in’s Dasein 
gerufen habe, und dafs auch er nur ebenso plötzlich sie vernichten 
könne. Da sie weder eine Einwirkung von Aufsen erfahren noch 
nach Aufsen wirken, oder, wie er in seiner lebhaften, bildlichen 
Art sich ausdrückt, da sie keine Fenster haben, durch die etwas 
in sie eindringen oder sie verlassen könnte’, so schlielst er, dafs 
in den Seelen-Monaden ein Flufs der Vorstellungen stattfinde, 
genau entsprechend den. äufseren Umständen, in welche sie 
gerathen. Wenn ich einen bellenden Hund sehe und höre und 
nach ihm schlage, dringen nicht etwa Botschaften von meinen 
Sinneswerkzeugen bis zum Sitze meines Bewufstseins und belehren 
mich, dafs ein bellender Hund da sei und mich beilsen wolle, und 


340 Nachtrag. 


es wirken nicht etwa Willensimpulse meiner Seele auf Nerven und 
Muskeln, um Arm und Stock zu bewegen. Sondern als Gott 
meine Seelen-Monade schuf, schuf er sie so dafs in demselben 
Augenblicke, wo der Hund sich auf meiner Netzhaut abbildet 
und sein Gebell mein Labyrinthwasser erschüttert, sie aus inneren 
Gründen im Flufs ihrer Vorstellungen auch gerade bei der Vor- 
stellung eines bellenden Hundes anlangt, und dafs sie sich vor- 
stellt, mein Körper schlage den Hund, in demselben Augenblicke, 
wo er rein mechanisch es wirklich thut. 

Dies ist Leibniz’ berühmte Lehre von der praestabilirten 
Harmonie, von der uns heute allerdings schwer fällt, uns zu den- 
ken, dafs er sie alles Ernstes geglaubt habe, durch die er aber 
mit gröfster Zuversicht das Räthsel der Verbindung von Körper 
und Geist gelöst zu haben meinte. Zerhauen hatte er den Knoten 
wohl, der darin besteht, dafs nicht zu begreifen ist, wie die im- 
materielle Seele auf den materiellen Körper wirkt und umgekehrt, 
aber längst glaubt Niemand mehr, dafs er ihn richtig entschürzt 
habe. Das Wesen der geistigen Vorgänge wird nicht klarer durch 
die Vorstellung, dafs sie sich von selber in den Monaden abwickeln, 
vielmehr ist an Stelle der gehobenen Schwierigkeit, die in dieser 
Form doch nur in dem Widerspruch willkürlich gebildeter Begriffe 
liegt, die andere getreten, dafs die geistigen Vorgänge ganz aulser- 
halb aller Causalität gestellt sind. In der That läfst Leibniz 
in der Monadenwelt keine anderen Bestimmungen zu als durch jene 
Endursachen, welche aus der Weltanschauung zu verbannen das 
Ziel theoretischer Naturforschung ist. 

Wenn dieser Fehlgriffe des grofsen Mannes heute, an seinem 
Ehrentage, hier gedacht wird, so geschieht dies nicht, um ihn zu 
verkleinern. Die Betrachtung der Irrwege eines solchen Kopfes 
ist vielmehr geeignet, uns selber zur Demuth zu stimmen. Der 
sich mit Vorliebe P’Auteur du Systeme de l’Harmonie preetablie 
nannte‘, und nicht erst spät und krankhaft wie Newton, sondern 
in voller Kraft und mit sichtlichem Behagen in theologischen Spitz- 
findigkeiten sich erging: es war der Nämliche, der mit Einem 
Federstrich Johann Bernoulli’s herausfordernde Probleme löste; 
es war der von welchem Diderot, selber der Begabtesten Einer, 


schreibt: „Wenn man auf sich zurückkehrt, und die Talente, die 4 


„man empfing, mit denen eines Leibniz vergleicht, wird man 
„versucht, die Bücher von sich zu werfen, und in irgend einem 


Nachtrag. 841 


„versteckten Weltwinkel ruhig sterben zu gehen.*” So werden wir 
inne, wie die stolze Höhe, auf der wir zu wandeln meinen, nicht 
unser Verdienst ist, sondern das unserer Zeit, und wie vielleicht 
unseren Nachfolgern, im Lichte der Erkenntnifs ihrer Tage, einst 
unsere beste Einsicht erscheinen wird. 

Aber noch in anderer Rücksicht ist es oft lehrreich, sich 
solcher Dinge zu erinnern. Es ist merkwürdig zu sehen, wie zu- 
weilen solche Philosopheme, nachdem sie das Schicksal mensch- 
licher Meinungen durchlebt haben, geglaubt und bestritten, gepriesen 
und verlacht, zuletzt durch ihresgleichen verdrängt und scheinbar 
vergessen wurden, im Bewufstsein folgender Geschlechter doch noch 
gleichsam ein latentes Dasein fristen, wie sie mifsverstanden, nur 
formell noch bestehend und mit anderem Inhalte gefüllt, nach Jahren 
wieder auftauchen, und wenn das Glück gut ist, zuletzt in so ver- 
änderter Gestalt einen dauernden Platz in der Wissenschaft erobern. 
Unsere heutige Naturwissenschaft läfst mehrere dergleichen Ausläufer 
Leibnizischer Gedanken erkennen, wenn sie auch in ebenso ent- 
stellender Verkleidung auftreten, wie der von Leibniz LudwigXIV. 
vorgelegte Plan zur Eroberung Acgyptens in Bonaparte’s kriege- 
rischem Abenteuer oder in Hrn. von Lesseps’ Friedenswerk. 

Die Lehre von der Erhaltung der Kraft ist nicht ein blofser 
Ausläufer zu nennen, und also nicht hierher zu rechnen. Auch wäre 
wohl kaum gerechtfertigt, wollte man eine solche Filiation der 
Ideen, wie die französische Sprache sich schwer übersetzbar aus- 
drückt, zwischen dem Leibnizischen Optimismus und unserer heuti- 
gen Einsicht annehmen, dafs in Rücksicht auf die gerade stattfind- 
enden äusseren Bedingungen die organische Natur jederzeit die 
möglichst vollkommene ist. Doch lohnt es sich, das gegenseitige 
Verhältnifs beider Lehren festzustellen. 

Vom Standpunkte der mathematischen Physik giebt es keine 
grössere oder geringere Vollkommenheit. Für diese Betrachtungs- 
weise, der sich alle übrigen theoretischen Naturwissenschaften 
mehr und mehr zu nähern streben, unterscheiden sich Chaos und 
Kosmos nur durch andere Vertheilung derselben Massen und 
Kräfte. Aber für eine andere Art der Betrachtung stellen sich 
Makrokosmos und Mikrokosmen als Ganze dar, deren Theile für 
gewisse Wirkungen, die wir als Zwecke auflassen, mehr oder 
minder passend eingerichtet sind. Da erscheinen bestimmte Thier- 
und Pflanzenformen vollkommener als andere, und lange konnte 


842 Nachtrag. 


man urtheilen, dafs entweder aus inneren Gründen, oder durch 
erneute Eingriffe einer schaffenden Macht, die organische Natur 
stufenweise zu immer vollkommneren Formen aufgestiegen sei. 
Es schien als seien ganze Schöpfungen plumper fremdartiger 
Gestalten gleichsam als erste rohe Versuche der bildenden Natur 
zu Grunde gegangen und hätten höher entwickelten, besser gelun- 
genen Geschöpfen Platz gemacht. Von der Darwin’schen Lehre 
aus lässt sich diese Anschauung ebensowenig billigen, wie die, 
nach welcher unser Planet einst sollte ein heroisches Zeitalter 
erlebt und noch mit gröfserer Zeugungskraft begabt die gewaltigen 
Gestalten der Vorwelt hervorgebracht haben. Sobald zwischen 
den Eigenschaften der organischen Wesen und ihren Lebens- 
bedingungen das Verhältniss erreicht ist, welches man Anpalsungs- 
Gleichgewicht nennen könnte, ist die Welt möglichst vollkommen, 
und bleibt so, wenn die Bedingungen die nämlichen bleiben. Bei 
der Langsamkeit, mit der in der Regel die klimatischen und 
geographisch-physikalischen Bedingungen eines Erdstriches sich 
ändern, reicht aber für die Herstellung des Anpafsungs-Gleich- 
gewichtes die Zeit stets aus. Somit ist in dieser Welt, bezüglich 
der Organisation der Pflanzen und Thiere, stets und überall das 
Maximum der Vollkommenheit erreicht; diese Welt ist jederzeit 
die gerade bestmögliche gewesen und wird es sein, so lange 
es Thiere und Pflanzen giebt und nicht plötzliche Katastrophen 
über deren Wohnstätten hereinbrechen. Die Unvollkommenheiten 
der Organismen aber, an denen kein Mangel ist, sind Wahr- 
zeichen des Compromisses, der zwischen den Bedingungen der 
Aussenwelt und der Organisation einerseits, andererseits den zum 
Bestande des Organismus nöthigen Forderungen stattfand. Sie 
entsprechen dem Übel in Leibniz’ bester der möglichen Welten. 
Das Ganze dieser Beziehungen läfst sich nicht besser ausdrücken 
als mit den Worten, in welche Leibniz seine eigene Lehre zu- 
sammenfalst: „Obschon die Welt stets gleich vollkommen war, 
„wird sie nie ganz (souverainement) vollkommen sein; denn sie 
„ändert sich stets und gewinnt neue Vollkommenheiten, während 
„sie andere einbüfst.*® So palst in gewissem Sinne der Leib- 
nizische Optimismus auf die organische Natur, und so führt 
merkwürdigerweise die mechanische Naturansicht, unter Aus- 


. „stolsung der Endursachen, schliefslich zu demselben Ergebnifs 


Nachtrag. 843 


wie der mit der Teleologie unzertrennlich verbundene theodicei- 
sche Gedanke. 

Die Monadenlehre, deren Wiederbelebung durch Herbart in 
mehr geläuterter Gestalt ausserhalb des Kreises unserer Betrach- 
tung liegt, hat auf die Naturwissenschaft einen bedeutenden Ein- 
fluls geübt, wenn auch nur auf Grund von Mifsverständnissen 
und falschen Analogien. Ausdrücklich hatte Leibniz davor ge- 
warnt, seine Monaden mit den Atomen anderer philosophischer 
Systeme zu verwechseln. Doch vermochten Gelehrte und Gebil- 
dete des achtzehnten Jahrhunderts diese Unterscheidung unausge- 
dehnter formloser metaphysischer Substanzen im Raum und klein- 
ster materieller Theilchen nicht immer festzuhalten. Die Behaup- 
tung, dafs jeder Punkt auch des scheinbar leeren Raumes, vollends 
Jedes Theilchen eines belebten Körpers, eine Welt von Monaden 
enthalte, wurde in’s Materielle übersetzt. Mancher Ausdruck bei 
Leibniz selber begünstigte die Verwirrun 


g. So wenn er sagt; 
„Jeden Theil der Materie kann man sich 


vorstellen wie einen 
„Garten voller Pflanzen, oder einen Teich voller Fische. Aber 


„jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Thieres, jeder Tropfen 
„seiner Säfte ist abermals solch ein Garten oder Teich. Und 
„obschon die Erde und Luft zwischen den Pflanzen des Gar- 
„tens, oder das Wasser zwischen den Fischen des Teiches, nicht 
„Pflanze oder Fisch ist, enthalten sie deren doch noch, aber meist 
„von unwahrnehmbarer Kleinheit.*° Was für das geistige Auge 
gemeint war, wollte das leibliche Auge sehen; und wenn man 
nicht geradezu versuchte, die Monaden mit dem Mikroskope zu 
entdecken, so glaubte man doch, sie oder etwas ihnen ähnliches 
beobachtet zu haben, als das Mikroskop wirklich jeden Tropfen 
einer Infusion von kleinen, scheinbar einfachen Wesen wimmelnd 
zeigte. Dafs Otto Friedrich Müller, unter Hrn. Ehrenberg’s 
Vorläufern einer der bedeutendsten, für dergleichen Formen den 
Namen Monas in die zoologische Nomenclatur einführte,!° war 
nur einer jener terminologischen Scherze, wie sie auch bei Linne 
die Trockenheit des Systemes anmuthig beleben; allein diese 
Anspielung deutet auf eine damals vorhandene Richtung der Geister, 
die bei phantasiereichen Persönlichkeiten zu schweren Irrthümern 
führte. 

Buffon glaubte merkwürdigerweise in Infusorien und Zoo- 
‚Spermien lebendige, ohne Unterlafs thätige, durch Feuer und Fäul- 


844 Nachtrag. 


nils unzerstörbare organische Urtheilchen zu erkennen. Wie ein 
Kochsalzwürfel aus unzähligen mikroskopischen Kochsalzwürfelchen 
bestehe, so sollten bei Entstehung, Ernährung, Wachsthum der 
Thiere und Pflanzen diese Urtheilchen ihr Einzelleben aufgebend 
sich zu den mannigfaltigen Organismen zusammenfügen, deren Ge- 


sammtleben die Summe jener Einzelleben sei. !! 


Die angeblichen 
organischen Urtheilchen nannte Buffon nicht Monaden, auch er- 
innert er bei dieser Gelegenheit nicht an Leibniz. Der so zu 
sagen materialisirte Leibnizische Gedanke ist aber in dem sei- 
nigen nicht zu verkennen, und vielleicht vermied Buffon den Ur- 
sprung seiner Lehre zu verrathen, weil ihr dies damals, wo in 
Frankreich durch Voltaire das Ansehen der Leibnizischen 
Philosophie untergraben war, nicht zur Empfehlung gereicht hätte. 

Aus der Annahme, dafs die Monaden im Anfang geschaffen 
sind, folgte für Leibniz selber unmittelbar die Lehre von der 
Einschachtelung der Keime, nach der z.B. alle Hühner, das eine 
in den Eierstöcken des anderen, kleiner und kleiner bereits in den 
Eierstöcken des ersten Huhnes vorgebildet waren." Die Praede- 
lineations-Theorie, welche schon an der Entdeckung der Zoo- 
spermien eine mächtige empirische Stütze erhalten hatte, erlangte 
so durch Leibniz eine in damaliger Zeit sehr wichtige 
metaphysische Grundlage, die sicherlich dazu beitrug, den erst ein 
Jahrhundert später durch Caspar Friedrich Wolff erfochtenen 
Sieg der Epigenese zu erschweren. '* Dagegen führte die Monaden- 
lehre Leibniz folgerichtig dazu, die Möglichkeit einer Urzeugung 
zu leugnen. '* 

In beiden Punkten dachte Buffon anders. Der Embryo bil- 
det sich nach ihm aus den bei der Ernährung überschüssig auf- 
genommenen organischen Urtheilchen, welche gleichsam in einer 
inneren Form (moule interieur) gegossen werden, wie Gyps und 
Metall in einer äufseren. Auch Buffon’s Theorie liefs die Urtheil- 
chen gegenwärtig nicht mehr entstehen; allein sie verführte ihn, an 
Needham’s fehlerhafte Versuche über Urzeugung in dem Sinne 
zu glauben, als könnten die Urtheilchen sich zu gröfseren Orga- 
nismen, Kleisterälchen, zusammenfügen. So ward seine Lehre in 
den durch Lazzaro Spallanzani bewirkten Untergang der Need- 
ham’schen Behauptungen verwickelt,'° während zugleich Bonnet, 
den man den Genfer Buffon nennen könnte, als Vertheidiger der 
Praedelineations-Theorie wider sie auftrat, '° obschon seine eigenen 


: ann N TE 


Nachtrag. 845 


Urkeime (germes primitifs) auch nichts anderes waren, als ver- 
kappte Leibnizische Monaden. !7 

Siebzig Jahre später, als Robert Brown die nach ihm ge- 
nannte Bewegung kleiner in tropfbaren Flüfsigkeiten aufgeschwemm- 
ter Theilchen entdeckte, tauchte Buffon’s Lehre wieder auf, um 
sogleich wieder zu scheitern. Brown glaubte auf belebte, selbst 
im Feuer unzerstörbare Urtheilchen aller organischen und anorga- 
nischen Körper gestolsen zu sein, ganz wie Buffon sie sich 
dachte, den er übrigens so wenig wie die Monaden erwähnt. !® 
Hr. C. A. Sig. Schultze, damals in Freiburg, spann den ge- 
schichtlichen Faden von der Brown’schen Vorstellung zur Leib- 
nizischen Monadologie zurück.” Er bewies zugleich, dafs die 
zitternde Bewegung der Theilchen nicht von dieser ausgehe, son- 
dern nur das Anzeichen einer zitternden Bewegung der tropfbaren 
Flüfsigkeit sei. Die Untersuchungen von Hrn. Christian Wie- 
ner“® und Hrn. Sigmund Exner?! haben neuerdings wahr- 
scheinlich gemacht, dafs diese zitternde Bewegung der Flüfsigkeit 
einerlei ist mit deren Wärmeschwingungen, zu denen die Schwan- 
kungen der Theilchen sich verhalten mögen, wie zu kurzen Wellen 
die langsamen Schwarkungen des grofsen Seeschiffs. 

Robert Brown’s Active Molecules waren also auch noch 
keine belebten Urtheilchen der Organismen. Dafs ein Mann wie 
er so irren konnte, zeigt, wie tiefe Wurzeln die Überzeugung 
geschlagen hatte, es müsse solche Theilchen geben. Dem da- 
mals herrschenden Vitalismus schien es, als würde den Lebens- 
kräften, die man die Wunder der Organisation verrichten liefs, 
ihr Geschäft erleichtert gleichsam durch Vervielfältigung der 
Etappen, durch Kleinheit des Bezirkes, in welchem sie feind- 
lichen anorganischen Kräften entgegen die organischen Aufgaben 
zu erfüllen hätten. Oken,?’? Heusinger,?® Purkinje?* und 
A. F. J. Carl Mayer*° (in Bonn) behaupteten dergestalt theo- 
retisch das Dasein organischer Urtheilchen, in denen eine En- 
telechie walte, die sie Monaden nannten, und zum Theil, ganz 
wie Buffon, als Infusorien und Zoospermien ein selbständiges 
Leben führen liefsen. Ähnlichen Meinungen begegnet man um die- 
selbe Zeit in Frankreich bei Raspail?® und Dutrochet.?? 

Man weils wie, nach den ernsten Arbeiten noch eines Jahrzehends 
mit dem verbesserten Mikroskope, schliefslich der Gedanke or- 
ganischer Urtheilchen durch Hrn. Schwann’s epochemachenden 


846 Nachtrag. 


„Untersuchungen“ verwirklicht ward. Jeder Organismus ist uns 
nun wirklich ein Aggregat mehr oder minder zahlreicher kleiner 
Einzelwesen, deren Eigenschaften die Eigenschaften des Gesammt- 
organismus fast so wiederholen, wie die Eigenschaften der Kry- 
stallmolekeln die Eigenschaften des Krystalls; welche auf eigene 
Hand sich ernähren, umbilden, bewegen, fortpflanzen, und durch 
die Summe ihrer normalen und anomalen Veränderungen die 
entsprechenden Veränderungen des Organismus bewirken. Wir 
nennen diese Wesen nach Hrn. Brücke’s Vorsehlag Elementar- 
organismen’°, eine Bezeichnung, welche alles Hypothetische und 
Streitige in ihrer Natur unberührt läfst. Freilich halten wir, mit 
Hrn. Schwann in seiner, im Einzelnen immerhin nicht überall 
zutreffenden, sonst aber für alle Zeit tief richtig gedachten „Theorie 
der Zellen“, die Veränderungen der Elementarorganismen, bis wir 
eines Besseren belehrt werden, für gleichartig mit den Vor- 
gängen der anorganischen Natur. Statt von einer Entelechie leiten 
wir sie von den unveränderlichen Kräften der Atome, und ihre 
Besonderheit von der besonderen Zusammenfügung der Materie in 
den Organismen ab. In Hrn. Schwann’s Augen hatten die Zellen 
mit den Monaden nichts mehr zu schaffen. Dennoch dankte die 
Zellenlehre die Bereitwilligkeit, mit der sie aufgenommen wurde, 
zum Theil dem Umstande, dafs darin für Viele der nie wieder 
ganz vergessene Leibnizische Gedanke gleichsam Fleisch ward; 
und der diese Lehre am lebhaftesten ergriff und am wärmsten vor- 


trug, Johannes Müller, war dieses Zusammenhanges so entschie- 


den sich bewufst, dafs er in seinem „Handbuch der Physiologie,“ 
unter Hinweis auf die Leibniz-Herbart’sche Monadologie, für 
die Zellen den Namen „organische Monaden“ vorschlug.”’ Des- 
selben Namens bediente sich auf denselben geschichtlichen Grund 


hin auch Hr. Henle bei seiner ersten theoretischen Darstellung 


der Zellenlehre in der „Allgemeinen Anatomie.“ ?° 


Die Leibnizische praestabilirte Harmonie stand in geradem 
Gegensatze zur Aristotelischen oder Locke’schen Lehre, dafs 
die Seele ursprünglich eine Tabula rasa sei, auf der die Vorstellun- 
gen erst allmählich durch die Sinneswahrnehmungen eingetragen 
werden, ja die Nowveaux Essais waren, wie ihr Titel zeigt, aus- 
drücklich auf die Kritik des Sensualismus gerichtet. Dies ist von 
der praestabilirten Harmonie, wie sie Leibniz sich dachte, eine 
Seite, welche bis heute lebendig und wirksam in der Wissenschaft 


Nachtrag. 847 


blieb. Die Physiologie bedient sich jenes Ausdruckes auch, um 
das unerklärte zweckmäfsige Ineinandergreifen der Vorgänge im 
Thierkörper zu bezeichnen, wie man z. B. ein solches annehmen 
muls, um die zweckmälsigen Bewegungen enthirnter Thiere durch 
Reflexmechanismen zu erklären, anstatt mit Hrn. Pflüger dem 
Rückenmarke sensorische Functionen zuzuschreiben. Doch wird 
unter praestabilirter Harmonie schlechthin gewöhnlich die Lehr- 
meinung verstanden, dafs es der Aufsenwelt entsprechende ange- 
borne Vorstellungen und Verstandes- Kategorien gebe. 

Hier wäre nicht Ort noch Zeit, den Verlauf des seit Leibniz 
über diese Lehrmeinung geführten Streites auch nur anzudeuten. 
Nur die Stellung, welche dazu die neuere Physiologie einnimmt, 
ist hervorzuheben. Durch die den Physiologen mehr als den spe- 
culativen Philosophen nah liegende Zergliederung der Sinneswahr- 
nehmungen wurden erstere meist dazu geführt, sich Locke’s An- 
sicht anzuschliefsen. Schon Johannes Müller! sprach sich in 
einer lichtvollen Auseinandersetzung wider die angebornen Kant’- 
schen Kategorien und für die Meinung aus, dafs das einzige ur- 
sprüngliche Vermögen des menschlichen Geistes darin bestehe, aus 
den durch die Sinne zugeführten Vorstellungen allgemeine Begriffe 
zu bilden; im Gegensatz zu den Thieren, welche höchstens zur 
Association gleichzeitig wiederkehrender Eindrücke sich erheben, 
wie Stock und Schläge, Hutaufsetzen des Herrn und Spazieren- 
gehen solche für den Hund sind. Sogar der Causalitätsbegriff 
braucht nicht angeboren zu sein, sondern man kann sich denken, 
dals der verallgemeinernde Verstand ihn aus dem regelmäflsigen 
Zusammentreffen der Vorstellungen ableitet. 

Zu ähnlichen Aussprüchen ist neuerdings Hr. Helmholtz 
gelangt, als im Verfolg seiner Bearbeitung der physiologischen 
Optik die altberühmte Frage nach dem Ursprunge der Raumvor- 
stellung ihm entgegentrat.°” Hr. Helmholtz setzt die beiden 
Lehrmeinungen, die der angebornen und die der erworbenen Vor- 
stellungen, einander gegenüber unter dem Namen der nativistischen 
und der empiristischen Theorie. Er besteht darauf, dafs, bis die 
Unmöglichkeit bewiesen sei mit dem Empirismus auszukommen, 
der Nativismus als ein Unerklärliches zurückzuweisen sei. Was 
insbesondere die Deutung unserer Netzhautbilder betrifft, so lassen 
seine Ausführungen keinen Zweifel, dafs, unter der V oraussetzung 
des Vermögens allgemeine Begriffe zu bilden, durch das Zusam- 


843 Nachtrag. 


menwirken der Netzhautbilder mit Tastempfindungen und Bewe- 
gungen, die Raumvorstellung entstehen könne. Wie in der nächst- 
folgenden Lebenszeit Gehen und Sprechen augenscheinlich erlernt 
werden, so gehen die ersten Monate des Lebens darüber hin, die 
nicht minder schwierigen Künste des Sehens und Greifens zu er- 
lernen. Molyneux’ sogenanntes Problem, ob ein Blindgeborner 
sehend gemacht eine Kugel von einem Würfel unterscheiden würde, 
die er schon früher durch den Tastsinn zu unterscheiden wusste, 
scheint durch mehrere Beobachtungen, namentlich durch den 
älteren Fall von Cheselden und den etwas neueren von War- 
drop, dahin entschieden, dafs der Öperirte seine Gesichts- 
eindrücke nur mangelhaft zu deuten versteht. 

Die metamathematischen Untersuchungen von Riemann, Hrn. 
Helmholtz u. A. über die der Geometrie zu Grunde liegenden 
Thatsachen haben dieser Anschauungsweise eine neue Stütze ver- 
liehen. Sie haben gezeigt, dafs Gröfsencomplexe mit den wesent- 
lichen Eigenschaften des Raumes sich logisch denken lassen, die 
nicht unser gemeiner Raum mit seinen drei Dimensionen sind. 
Die Vorstellung dieses Raumes, wird daher geschlossen, kann 
keine angeborne, sie mufs eine erworbene sein.” ® 

Eine Reihe von Problemen, der Frage nach den angebornen 
Vorstellungen verwandt, bieten die durch an sich mehr gleichgül- 
tige Sinneseindrücke hervorgerufenen Empfindungen der Lust und 
Unlust, sowie die instinetmälsigen Strebungen, dar. Auch hier 
handelt es sich darum, ob das Urtheil über Schön und Häfslich, 
über Angenehm und Widerwärtig, ob der Trieb zu bestimmten 
Handlungen der Seele ursprünglich eingepflanzt sei, oder ob sich 
Gründe angeben lassen, welche, wenn auch unbewulst, unser 
Gefühl und unsere Thätigkeit bestinmen. 

Ein solches Räthsel liegt vor in der Wirkung gleichzeitiger 
oder einander folgender Töne in Harmonie und Melodie. In seinem 
erstaunlichen Werk über die Tonempfindungen hat Hr. Helm- 
holtz versucht, für den Unterschied, den unser Ohr zwischen 
Consonanz und Dissonanz macht, den zureichenden Grund anzu- 
geben. Er hat gezeigt, dafs die Obertöne von Tönen, deren 
Schwingungszahlen in einfachem Verhältnifse stehen, miteinander 
keine, oder nur solche Schwebungen machen, welche noch nicht 
als widerwärtige Rauhigkeit, unerträglich wie das Flackern eines 
Lichtes, empfunden werden, und durch Verwirrung der Klangmasse 


Nachtrag. 849 


die Seele in peinliche Ungewifsheit versetzen. Er hat diese Lö- 
sung des alten Pythagoreischen Problems auch auf die Construc- 
tion der Tonleitern, ja auf die Melodie ausgedehnt, indem er als 
Bedingung wohlgefälliger Klangfolge die Verwandschaft der Klänge 
bezeichnet. Sie besteht darin, dafs die einander folgenden Klänge 
gemeinschaftliche Obertöne besitzen, gleichsam miteinander reimen. 
Eine melodische Wirkung an Obertönen armer Klänge, vollends ein- 
facher Töne ist nach ihm nur dadurch möglich, dafs wir die zu- 
gehörigen Obertöne in der Vorstellung unbewulst ergänzen. 

Wir wissen also nun, dafs gleichzeitig erklingende Töne von 
einfachem Schwingungsverhältnifs eine unangenehme Nebenwirkung 
nicht haben, welche Tönen von minder einfachem Schwingungs- 
verhältnifs eigen ist. Verstehen wir aber darum, weshalb solche 
Töne eine angenehme Wirkung üben? Warum entzückt denn 
mein Ohr jener ruhige Flufs, in welchem consonirende Töne ne- 
beneinander abfliefsen? Was vollends die Melodie betrifft, so wird 
keine solche Deutung je verständlich machen, weshalb eine be- 
stimmte Tonfolge nach bestimmtem Zeitmalse mein Herz mit 
schmerzlich süfser Rührung füllt, weshalb eine andere zu todes- 
muthigem Vorstürmen mich entflammt. Die Erklärung der Melo- 
die, welche Diderot Rameau’s Neffen in den Mund legt, sie sei 
eine Nachahmung der Sprache der Leidenschaft,?* ist nicht be- 
lustigend, wie die Haller’s, der meinte, hohe und schnelle Töne 
erheiterten, tiefe und langsame betrübten uns, weil wir in der Freude 
schnelle und hohe, in der Trauer langsame und tiefe Töne von uns 
gäben;°° aber sie palst einigermafsen doch nur auf das Recitativ, 
welches keine Melodie ist. Die positiv angenehme Wirkung der 
Harmonie und der Melodie, zu der sich bei letzterer eine spe- 
eifische psychische Wirkung gesellt, sind ein unergründliches Ge- 
heimnils, und es ist ziemlich einerlei, ob wir unsere Unwissenheit 
in dieser Form bekennen, oder indem wir sagen, zwischen den 
sinnlichen Eindrücken und der Seelenbewegungen herrsche eine 
praestabilirte Harmonie. 

Diderot’s Definition der Melodie gehört demselben Kreise 
seichter rationalistischer Erklärungen an, wie die im vorigen Jahr- 
hundert geläufige Erklärung der Liebe aus den Tugenden des ge- 
liebten Gegenstandes, die Abbe Pr&vost durch seine Manon Les- 
caut widerlegte.e In Wahrheit ist nicht einmal eine Erklärung für 
die Anziehung denkbar, welche die schönen Formen des einen 


850 Nachtrag. 


Geschlechtes auf das andere üben, geschweige für die individuellen 
Neigungen, denen Liebe entspringt. 

Doch sind dies besonders dunkle Probleme, bei denen es 
unter Anderem schwer fällt, aus den zu erklärenden geistigen Be- 
ziehungen den Antheil zu scheiden, der von unserer Bildung, von 
früheren Eindrücken stammt. Die Begriffe musikalischer und 
plastischer Schönheit wechseln so sehr vom Einen zum Anderen, 
von Volk zu Volk, dafs es milslich wäre, auf Beispiele allein aus 
dieser Sphaere die Annahme einer praestabilirten Harmonie zu 
stützen. Sieht man aber zahllose sonst sehr stumpfsinnige Thiere 
in kürzester Frist den vollständigen Gebrauch ihrer Sinne und 
Glieder erlangen, Kalb und Füllen neugeboren auf die mütter- 
lichen Zitzen zugehen, gleichviel ob durch das Gesicht, oder, wie 
Hr. Helmholtz vermuthet, durch den Geruch geleitet ?°; sieht 
man Schmetterling und Libelle auf kaum fertigem Flügel in die 
Lüfte steigen, Küchlein picken und Entchen schwimmen; erwägt 
man die mannigfaltigen Kunsttriebe, die bei jedem Individuum 
einer Species zu gewissen Lebenszeiten auch unabhängig von den 
äufseren Umständen sich einstellen, auf welche sie berechnet schei- 
nen, und die allein sie hervorrufen könnten: so verzweifelt man an 
der Durchführung der empiristischen Ansicht, und fühlt sich wider- 
willig, doch unausweichlich, auf eine praestabilirte Harmonie zu- 
rückgewiesen. 

Gegenüber solch überwältigender Masse des Unerklärlichen 
verliert man dann die Freude daran, diese Masse um einen ver- 
schwindenden Bruchtheil dadurch zu verringern, dafs man in einem 
einzelnen Falle, am menschlichen Kinde, mühsam ausführt, wie es 
durch eine unbewulst bewufste Thätigkeit wohl dazu gelangen 
könne, seine Sinneseindrücke richtig zu deuten, den Raum um 
sich zu entwerfen, seine Glieder passend zu bewegen, und den 
Satz vom zureichenden Grunde zu finden. Für angeboren im 
strengen Sinne, d. h. für zur Zeit der Geburt bereits vorhanden, 
braucht man darum diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht zu 
halten. Sie können in einem gewissen Alter noch fehlen und 
später plötzlich bemerkt werden, ohne dafs das Kind sie in der 
Weise sich erwarb, wie die empiristische Theorie meint. Das Ent- 
stehen des Gedächtnisses, der geschlechtlichen Vorstellungen und 
Strebungen, das von Goethe beobachtete Wachsen specifischer Ta- 
lente ohne Übung,??” und eine Menge ähnlicher Thatsachen scheinen 


Nachtrag. 851 


zu lehren, dafs im Gehirne die Bedingungen für gewisse geistige 
Vorgänge mit der Zeit von selber sich herstellen, heraufgeführt 
durch das Wachsthum des Organes, ganz wie dies mit den Ent- 
wickelungszuständen und Leistungen anderer Organe zweifellos 
der Fall ist. Während also beim Kälbehen schon während des 
Foetallebens eine (Gehirnentwickelung geschah, vermöge deren 
das neugeborne Thier im Raume Bescheid weils, seine vier Fülse 
in richtiger Folge zu setzen und seinen Schwerpunkt zu unter- 
stützen versteht, geht beim Kinde die entsprechende Entwickelung 
erst nach der Geburt, während der ersten Monate, vor sich. 
Nach dieser Ansicht wären die Raumvorstellung, die Verstan- 
des-Kategorien, weder angeboren noch erworben, sondern sie 
wücbsen dem werdenden Geiste allmählich zur richtigen Zeit von 
selber zu. Damit aber verständlich werde, warum ein sehend ge- 
machter Blindgeborner, ein an das Licht gelassener Caspar 
Hauser seine Gesichtseindrücke mangelhaft deutet, muls freilich 
hinzugefügt werden, dafs zur normalen Entwickelung der Sehsinn- 
substanz normale Gesichtseindrücke gehören: wofür es an Analo- 
gien nicht fehlt. 

Über die Art, wie die geistigen Vorgänge und die Vorgänge 
im Gehirne miteinander zusammenhängen, wird hier nichts vor- 
ausgesetzt, als dafs diese für jene die nothwendige Bedingung zu 
sein scheinen. Die Physiologie ist zwar die Wissenschaft von den 
näheren Bedingungen des Bewufstseins in der Welt; doch ist 
leicht zu zeigen, dafs es nie gelingen kann, auch nur die ersten 
Stufen .des Bewulstseins, Lust und Unlust, denkend zu begreifen. 

Das also ist der Sinn, in welchem von einer praestabilirten Har- 
monie zwischen unseren Vorstellungen und der Welt noch die 
Rede sein kann. Allein ehe wir uns zu ihrer Annahme auch nur 
in dieser Gestalt bequemen, wird es angemessen sein, zu versuchen, 
ob ein für unseren Verstand so peinliches Zugeständnifs sich nicht 
noch irgendwie bedingen lasse. Und es scheint allerdings, als ob 
neuere siegreiche Fortschritte der Wissenschaft uns erlaubten, die 
Marksteine unserer Erkenntnifs weiter hinaus zu schieben, und der 
praestabilirten Harmonie das supranaturalistische Gewand abzu- 
streifen, das ihr noch von Leibniz her anhängt. 

Eine der Grundthatsachen, auf denen die Darwin’sche Theo- 
rie ruht, ist die Möglichkeit der Vererbung aller erdenklichen kör- 
perlichen und geistigen Besonderheiten und Fähigkeiten, welche 


98 


852 Nachtrag. 


durch die Neigung zur Varietätenbildung entstehen. Sie können 
auf den Keim übergehen, können während langer Entwickelungs- 
abschnitte schlummern, und unter geeigneten Umständeu, als wären 
sie durch diese hervorgerufen, plötzlich in aller Stärke sich be- 
thätigen. So hat der grofse Britische Denker und Forscher das 
Räthsel vieler sonst nur durch praestabilirte Harmonie zu erklä- 
render, d. h. unbegreiflicher Kunsttriebe glücklich gelöst. 

Sollte man sich nicht denken können, dafs auch die soge- 
nannten angebornen Ideen dergestalt ein natürliches Erbtheil un- 
seres Geschlechtes seien? Sollte nicht hierin die wahre Entschei- 
dung des alten Streites zwischen Empirismus und Nativismus lie- 
gen, eine Entscheidung, die zugleich eine Versöhnung wäre, da 
beide Theile Recht behielten? Denn indem diese Anschauung 
die praestabilirte Harmonie für das menschliche Individuum zu- 
lälst, wie in Dirgen des Instinctes für die einzelne Biene oder 
Ameise, läfst sie für das ganze Geschlecht die sensualistische An- 
sicht gelten. So bietet sie überdiefs noch einen Vortheil. Die 
schwierige Arbeit, welche der Sensualismus dem einzelnen Men- 
schenkinde während der ersten Lebensmonate zumuthet, von denen 
es noch dazu etwa elf Zwölftel schlafend verbringt, vertheilt sie auf 
eine unermelsliche Reihe von Geschlechtern, die sich, ihre Errun- 
genschaften durch Vererbung steigernd, folgweise an jener Arbeit 
betheiligen. Abermals trifft hier die Leibnizische Lehre zusam- 
men mit der Lehre Darwin’s, um durch sie formell bestätigt, dem 
Inhalte nach aber besiegt zu werden: denn es ist dergestalt die 
praestabilirte Harmonie gleichsam in den mechanischen Weltpro- 
cess aufgenommen. 

In den mittelalterlichen Bauten Italiens sieht man oft Temnpel- 
trümmer einer versunkenen Religion als Werkstücke eingemauert. 
Seiner Bestimmung entfremdet, kaum kenntlich, fesselt der mar- 
morne Architrav einen Augenblick den sinnigen Wanderer. Acht- 
los vorüber eilt die Menge. So birgt der unscheinbare, aber sichere 
Bau heutiger Empirie manche Trümmer einer glänzenden, einst die 
Wissenschaft beherrschenden Speculation, in der unsere Zeit das 
Heil nicht mehr sucht. Von Vielem, was wir, des Ursprunges 
unserer Schätze nicht immer eingedenk, das Unsere nennen, könnte 
Leibniz, nach zweihundert Jahren wiederkehrend, im sicheren 
Gefühle geistiger Urheberschaft sagen: Das ist Geist von meinem 
Geist, und Gedanke von meinem Gedanken. 


Nachtrag. 853 


Anmerkungen. 


I! @. 6. Leibnitii Opera philosophica etc. Ed. J. E. Erdmann. 
Berolini 1840. 4°. p. 758. 

2l..c. 

® L.c. p. 775. „Les forces ne sont [pas] detruites, mais dissiptes 
„parmi les parties menues. Ce n’est pas les perdre, mais c’est faire comme 
„font ceux qui changent la grosse monnaie en petite. “ 

= 1. c.D. 476, 

L. ce. p. 705. 

° Kuno Fischer, Geschichte der neuern Philosophie. Heidelberg 
1867. Bd. II. S.289. 

” _Oeuvres de Denis Diderot. Paris 1798. t. VI. 266. 267. 

Inre.p. 724: 

9° L. c. Monadologie. $. 67. 68. p- 710. 

10° Animaleula Infusoria fluviatilia et marina, opus posthumum. Cura 
Othonis Fabrieii. Havniae 1786. 4. p. 1. 4. 

'ı Histoire naturelle, generale et particuliere. Aux Deux-Ponts 1785, 
t. IV. p. 22: „Les ötres vivants contiennent une grande quantite de mo- 
„lecules vivantes et actives; la vie de l’animal ou du vegetal ne parait ötre 
„que le resultat de toutes les actions, de toutes les petites vies particulieres 
„(sil m’est permis de m’exprimer ainsi) de chacune de ces molecules ae- 
„tives, dont la vie est primitive et parait ne pouvoir &tre detruite,“ ete. 

El. cp. 195, 597. 711. 

1% Oeuvres de Fontenelle etc. Paris 1792. p. VII Eloge de Hart- 
soeker. p. 216. 217. 

SEE aD. 71l, 

1° Vergl. diese Berichte, 1868. S. 49. 

16 Considerations sur les Corps organises etc. Amsterdam. 1762. 
t. 1 p. 95 et suiv. 

17 Vergl. Rixner, Handbuch der Geschichte der Philosophie. Sulz- 
bach 1823. Bd. III. S. 224. 

18° A Brief Account of Microscopical Observations ... on the Partiecles 
eontained in the Pollen of Plants; and on the General Existence of Active 
Molecules in Organie and Inorganie Bodies. — Als MS 1828 in London 
gedruckt. | 

19 Mikroskopische Untersuchungen über des Herrn Robert Brown 
Entdeckung lebender, selbst im Feuer unzerstörbarer Theilchen in allen 
Körpern, und über Erzeugung von Monaden. Carlsruhe und Freiburg 1828. 4°. 


98* 


854 Nachtrag. 


2° Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1863. Bd. CXVII. S. 79H. 4 

?! Untersuchungen über Brown'’s Molecularbewegung. In den Sitzungs- N | 
berichten der Kais. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1867. Bd. LVI. " 
S. 116. | 

?2 OÖOken, Die Zeugung. Bamberg und Würzburg 1805. S. 22. ’R 

?? De Organogenia. Particula I. de Materia organica amorpha. Pro- 
gramma. Jenae 1833. 4°. 

?4* S. in Joh. Müller’s Handbuch der Physiologie. Coblenz 1840. 
Bd. IE2@S: 559. 

?5 Supplemente zur Lehre vom Kreislaufe. Heft 1. Bonn 1827. 4°, 
S. 21; — Heft 2. Bonn 1836. $. 41; — die Metamorphose der Monaden. | 
Bonn 1840. 

26 Chimie organique. $. 831. 832. 1556. 4421 et suiv. — Citat bei 
Henle, Allgemeine Anatomie u. s. w. 8. 128. 


een Eee Fi 


?7T Memoires pour servir a l’Histoire anatomique et physiologique des 
Vegetaux et des Animaux. Paris 1837. t. II. p. 468. a 

28 Wiener Sitzungshberichte, 1861. Bd. XLIV. S. 381 ft. = 

IE PA. ONBA LES 999: 

ONE Ara. 102 Leipzig! 1841275 74127,,132: 

31 Handbuch der Physiologie. Bd. U. S. 517. 

32 Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1867. S. 427 ff. 

33 Helmholtz, Les Axiomes de la Geometrie, in Alglave’s Revue 


des Cours scientifiques et litteraires. 1870. p. 498. — Aus der Academy 
übersetzt. | 
34 „Le chant est une imitation, par les sons, d’une &chelle inventee 
„par lart ou inspiree par la nature, comme il vous plaira, ou par la voix 
„ou par linstrument, des bruits physiques ou des accents de la passion.“ 


35 „Mihi -quidem res non adeo difficilis videtur. Laetitiam nempe 
„homines exeitatis et celeribus sonis, tristitiam lentis et gravibus ab ipsa 


„natura docti exprimunt . .. Quare ex lege adsociationis idearum, celeres 
„son; eum in cerebro et in mente statum revocant, cujus signa sunt ii celeres 
„soni, et graves pariter eum animi adfectum restituunt, cujus dialectus in 


„gravibus tonis est.“ Elementa Physiolog.ae Corporis humani. 4°. .t. V. 
Lausannae 1763. p. 504. 
36 Die neueren Fortschritte in der Theorie des Sehens. Preufsische " 
Jahrbücher 1868. n) 
37 Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren sei- 3 | 
nes Lebens. Leipzig 1836. Th. II. S. 132. 133. Bi 


MONATSBERICHT 


DER . 
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


December 1870. 


Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt. 


1. December. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Kummer las: 


Über eine Eigenschaft der Einheiten der aus den 
Wurzeln der Gleichung «* —=1 gebildeten complexen 
Zahlen und über den zweiten Faktor der 
Klassenzahl. 


Die Einheiten der complexen Zahlen sind, wenn man von den 
einfachen Einheitswurzeln absieht, welche als Faktoren hinzutreten 
können, stets reale Gröfsen. Betrachtet man eine beliebige solche 
Einheit mit allen ihren conjugirten zusammen, so erhält man eine 
Reihe von realen Gröfsen, welche im Allgemeinen zum Theil po- 
sitiv, zum Theil negativ sein werden, welche aber in dem beson- 
deren Falle, wo die gegebene Einheit ein Quadrat ist, nothwendig 
alle positiv sind. Hieran knüpft sich nun die Frage, ob auch um- 
gekehrt alle diejenigen Einheiten, welche die Eigenschaft haben, 
dafs sie mit allen ihren conjugirten nur positive Werthe haben, 
vollständige Quadrate von Einheiten sein müssen, oder wenn dies 
nicht der Fall ist, welche weitere Bedingungen hierzu nöthig sind. 
Diese Frage ist es, welche ich hier für die aus Aten Einheitswur- 
zeln gebildeten complexen Zahlen erörtern will; sie hat auch da- 
rum ein besonderes Interesse, weil ihre Lösung eine neue Eigen- 
schaft des schwer zugänglichen zweiten Faktors der Klassenzahl 
ergiebt, nämlich eine Bedingung seiner Theilbarkeit durch Zwei. 

[1870] 59 


856 Gesammtsitzung 


Es sei y eine primitive Wurzel der Primzahl ?, ferner sei Y; 
der kleinste positive Rest von y*, nach dem Modul ?, und @«’—=1, 
so wird das System der conjugirten Kreistheilungseinheiten darge- 
stellt durch 


für k=0,1,2,...#» —1, wo %, wie auch in dem Folgenden, 
a MA—IL., : 
gleich on ist. Wei 
27% 27 


Rn = cos — + isin — 9 


so hat man auch 


woraus man ersieht, dafs e, positiv ist, wenn y, und %,;+ı beide 
zugleich kleiner als 3, oder beide zugleich gröfser als 5 sind und 
dafs e, negativ ist, wenn von den beiden Zahlen y, und y;,ı die 
eine gröfser als 3, die andere aber kleiner als z ist. Da 


ee, E92 seee Ea—1 — —Y 


ist, so folgt, dafs die Anzahl der negativen unter den conjugirten 
Kreistheilungseinheiten eine ungrade ist, dafs diese also niemals 
alle positiv sind. 

Es soll nun weiter untersucht werden, unter welchen Bedin- 
gungen eine aus den Kreistheilungseinheiten zusammengesetzte Ein- 
heit, welche sich als ein Produkt von Potenzen der conjugirten 
Kreistheilungseinheiten darstellt, die Eigenschaft haben kann, dafs 
sie mit allen ihren conjugirten nur positive Werthe hat. Es sei 
die zu betrachtende Einheit 


mu re Cu—1 
Br=he en 10, Zune 


vom 1. December 1870. 857 


WO 2%, &jy.... &u-, irgend welche ganze Zahlen sind, so handelt 
es sich darum diese Exponenten so zu bestimmen, dafs allgemein 


— un! 


positiv sei, für jeden der Werthe k—= 0 5 12, en. a eich 
bestimme nun die Zahl c, so, dafs sie für Jeden Werth des % nur 
einen der beiden Werthe 0 oder 1 habe und zwar: 


%.=0 für die Werthe des k, für welche e, positiv, 


%—=1 für die Werthe des k, für welche e, negativ ist. 


Die Bedingung, dafs E, positiv sei, ist alsdann gleichbedeutend 
mit der, dafs‘ 


C;X —. C;+1 %ı -+ Ck+2 1) — suenoie — C.—-ı Lu—1 


eine grade Zahl ist und weil diese Bedingung für jeden der u 
Werthe des & erfüllt sein soll, so hat man das System der Con- 
gruenzen: 


ex +eıkı +eoglg een ots 0, 
CT + egal, 40532, + + 700, =; 0 
LE) mod. 2. 
Ca% + 03%} a O4 Wo A cnren Ca 10), 
H„-ı Ct CL +0,82 +. TEC, olurı =O. 


_ Dieses System läfst sich wie bekannt durch die uten Wurzeln der 
Einheit auflösen; bezeichnet man mit w eine jede beliebige primi- 
tive oder nicht primitive Wurzel der Gleichung w* — 1, multipli- 
eirt diese Congruenzen der Reihe nach mit 1, We, ol und 
addirt, so erhält man 


(D CHsWw Wi rc. ur (ano Erw te. 1 W 
u 


=0, mod. 2 


Ich setze nun zur Abkürzung 
998 


858 Gesammtsitzung 


c+H1w+gwW+..+e, ,uwri='l(w), 


so ist die Determinante dieses Systems von Congruenzen gleich 
der vollständigen, über alle primitiven und nicht primitiven Wur- 
zeln der Gleichung w* = 1 sich erstreckenden Norm von (w), 
welche ich durch N\/(w) bezeichne. Wenn nun diese Determi- 
nante NY (w) nicht congruent Null ist, mod. 2, so müssen bekannt- 
lich alle Werthe der Unbekannten x, x,, ....2,_ı einzeln congru- 
ent Null sein, nach dem Modul 2, also die Einheit E mufs in die- 
sem Falle ein vollständiges Quadrat sein. 

Wenn nur E eine Einheit ist, welche sich nicht als ein Pro- 
dukt von Potenzen der Kreistheilungseinheiten darstellen läfst, so 
läfst sich nach einem bekannten Satze doch stets eine bestimmte 
Potenz von E in dieser Weise ausdrücken und man hat allgemein 
für jede Einheit E eine Gleichung von der Form 

Br ge lo 

WO N,2,&1y.... 2,—ı ganze Zahlen sind, deren eine man gleich Null 
nehmen kann, und welche nicht alle zugleich einen gemeinschaftlichen 
Faktor haben. Wenn nun N\(w) nicht durch 2 theilbar ist, so 
kann E” mit seinen conjugirten nicht stets positiv sein, ohne dafs 
%, 8159... du Alle grade sind; alsdann mufs n, welches nicht mit 
allen diesen einen gemeinschaftlichen Faktor haben soll, ungrade 
sein und weil E” ein Quadrat ist und n ungrade, so muls E selbst 
ein Quadrat sein. Man hat demnach folgenden Satz: 


„Für alle diejenigen Werthe der Primzahl ?, für welche 
„die vollständige, über alle der Gleichung w* —= 1 ge- 
„nügenden » Werthe des w sich erstreckende Norm 

(L.) „N4(w) nicht durch 2 theilbar ist, ist eine jede aus 
„ten Einheitswurzeln gebildete Einheit, welche mit 
„allen ihren conjugirten nur positive Werthe hat, noth- 
„wendig ein Quadrat einer Einheit. 


Die Bedingung, dafs die vollständige Norm NY (w) nicht 
durch Zwei theilbar sei, ist identisch mit der Bedingung, dafs der 
erste Faktor der Klassenzahl der aus Aten Einheitswurzeln gebil- 
deten complexen Zahlen nicht durch Zwei theilbar sei. Um dies 
zu zeigen, verwandle ich den Ausdruck der complexen Zahl Y(w) 
in folgender Weise: 


vom 1. December 1870. 859 


Es sei r der Index von 2, für die primitive Wurzel y, oder 
y"z=2, mod.?, so ist 
2% — Yır 9 wenn %; < 3 b) 


2% = Yırt%, wen y>4#, 


also wenn y, und y.;ı beide zugleich < $ oder beide zugleich 
> 5 sind, d.i. wenn c, = 0 ist, so hat man 
EZ iR ch Shrıdr 


wenn aber von den beiden Zahlen %, und y4+ı die eine grölser, 


die andere kleiner als 3 ist, d.i. wenn c,—= 1 ist, so hat man 


2 ya — Yır Maier, 


also in beiden Fällen hat man allgemein 


Ya 2 Yarı — Yen Antigen CN 


und demgemäfls 


RZ Ytr 7 Yatitr z Mod. 2. 
Hieraus folgt 
M—1 


“—1 
Y(w) = = 20, w* == Sr (Yarr ar) WW , mod. 2. 


und weil für jeden Werth des &, yj;, = %— y, und demgemäfs 


Yırn — Vrtıta = Yk—— Yrr+ı, MOd. 2, ist und wit" — w*, so kann 
man diese Summe auch so darstellen: 


#"—1 


(E.) (uw) = wr m (Ya — Yrrı)w" , mod. 2. 


Betrachtet man nun andererseits den ersten Faktor der Klas- 
senzahl, welchen ich (Crelle’s Journal Bd. 40 p. 110) so dargestellt 
habe: 


pi PAY .... 009) 


ygr—il em 9 


860 Gesammtsitzung Ä | 
| 
in 
wo 2 eine primitive Wurzel der Gleichung @*-! = 1 ist und | 
al 

I) = ı1+yı8 + yß? ++ yo," 


und welcher, wenn & eine jede Wurzel der Gleichung = —ı 
bezeichnet, auch so dargestellt werden kann: a 


# 

N Na) K 

Dar | 

wo die Norm über alle » Wurzeln der Gleichung £* = — 1 sich Ah 


erstreckt; so hat man zunächst 


—2 
1 —- L)H(B) = z (yE— Yarı) P%* 
und weil 


(Yan TER N) Re = (yE— Yr+1) I 
so ist 


ee 4 
1— 2")o(b) = 2 2, SE 2% # 
also wenn durch 2 dividirt und mit &”” multiplieirt wird: 


37a —- FIN) =YM, 


r#—1 | 
\(9) = PFEn— Yarı) ER. 2 


Nimmt man nun die vollständige Norm in Beziehung auf alle | 
Werthe, welche der Gleichung 2" = — ı genügen, so hat man 
N(1— 27!) = 2 und demgemäls | 

ul N\Y(£) 5 


oder als Congruenz nach dem Modul 2: : | 


Bi N(6) + mod.) 


Die complexe Zahl \(£) hat nach dem Modul 2 ganz diesel- | 
ben Coefficienten, als die obige complexe Zahl Y(w). Da ferner | 
in den beiden Gleichungen uten Grades 


vom 1. December 1870. 861 
Bl und v"—= +1 


alle Coöfficienten der einen den Coöfficienten der andern congruent 
sind, nach dem Modul 2, so folgt, dafs auch eine jede symmetri- 
sche Funktion aller Wurzeln der Gleichung £* = — ı derselben 
symmetrischen Funktion der Wurzeln der Gleichung w* = 1 con- 
gruent sein mu[s, nach dem Modul 2. Es ist daher 


NY) =,.NL(2) = PB" mod. 2. 


Die Bedingung, dafs NL (w) nicht durch 2 theilbar sei, ist also 
identisch mit der, dafs der erste Faktor der Klassenzahl nicht 
durch 2 theilbar sei. Der obige Satz läfst sich daher auch so aus- 
sprechen: 


„Für alle diejenigen Primzahlen ?%, für welche der 
„erste Faktor der Klassenzahl nicht durch Zwei theil- 

(II.) „bar ist, ist jede complexe Einheit, welche mit ihren 
„conjugirten nur positive Werthe hat, ein Quadrat einer 
„Einheit. 


Hieraus ergiebt sich nun unmittelbar die Bedingung dafür, 
dafs der zweite Faktor der Klassenzahl nicht durch 2 theilbar sei. 
Wenn nämlich der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei theil- 
bar ist, so giebt es nothwendig eine Einheit E von der Art, dafs 


DE 1 00 Cu—1 
E ee e eı 69 vv... en-ı 9 


WO &, &1...0,-ı ganze Zahlen sind, deren eine gleich Null genom- 
men werden kann, und welche nicht alle den gemeinschaftlichen 
Faktor 2 haben. Wenn aber der erste Faktor der Klassenzahl 
nicht durch 2 theilbar ist, so giebt es keine solche Einheit 


x %ı _%9 Tu—1 
e e] 0) .... Eu—1 6) 


welche mit allen ihren conjugirten positive Werthe hat, ein solches 
Produkt von Potenzen von Kreistheilungseinheiten kann also nicht 
ein Quadrat, also nicht gleich E? sein. Hieraus folgt: 


„Der zweite Faktor der Klassenzahl ist niemals durch 
(II.) „Zwei theilbar, wenn nicht zugleich auch der erste 
„Faktor der Klassenzahl durch Zwei theilbar ist. 


862 Gesammtsitzung 


Dieser Satz über die Theilbarkeit der Klassenzahl durch 2 ist voll- 
kommen analog dem früher von mir bewiesenen Satze über die 
Theilbarkeit der Klassenzahl durch A. 

Wenn der erste Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar ist, 
also die Bedingung der Gültigkeit der oben aufgestellten Sätze (I.) 


und (I.) nicht erfüllt ist, so giebt es stets Einheiten von der 
Form 


Ei =teeNetun. ee 
welche mit allen ihren conjugirten nur positive Werthe haben, 
ohne dafs die Exponenten x, cr, .... alle durch 2 theilbar sind. 
Eine solche Einheit E ist nur in dem Falle ein vollständiges Qua- 
drat, wo nicht nur der erste, sondern auch der zweite Faktor der 
Klassenzahl durch 2 theilbar ist, welches im Allgemeinen nicht der 
Fall ist, wie die folgenden ausgeführten Beispiele zeigen. 

Unter den Primzahlen %, welche im ersten Hundert legen, 
giebt es nur eine, für welche der erste Faktor der Klassenzahl 
durch 2 theilbar ist, nämlich A = 29. Unter den 14 conjugirten 
Kreistheilungseinheiten sind, wenn die primitive Wurzel y=3 zu 
Grunde gelegt wird, nur folgende fünf negativ: 


a > 
es ist also 
go 4,46, = m=cum]1);, 
-(,>-m, = (, =, = =0(,1 = 69-60. 
Setzt man diese Werthe der Gröfsen e in das System der Con- 


gruenzen (C.) ein, so erhält man durch Auflösung desselben alle 
Werthe der Exponenten x, die demselben genügen, dargestellt durch 


Il 


a mod. 2, 


Il 


, =1l,8 =1l, u El,2p = 0, lu alle 0, %s 


und durch die cyklischen Vertauschungen derselben, deren es nur 
7 verschiedene giebt. Es folgt hieraus, dafs für X = 29 alle Ein- 
heiten, welche mit ihren conjugirten nur positive Werthe haben, 
durch die eine Einheit 


E = ee, & 6, & Ey &g &ıı 


vom 1. December 1870. 863 


und durch ihre conjugirten gegeben sind, wenn man von den Qua- 
draten von Kreistheilungseinheiten absieht, welche beliebig hinzu- 
treten können, weil die Exponenten x nur nach dem Modul 2 be- 
stimmt sind. Die Ausdrücke der Kreistheilungseinheiten sind hier: 


e 


| 


1+02 +2 n 
4 =1+ta +0 „ 
eilt all ga. 
eg =1+0et +at , 
& =1-+ el? + «712 R 
e, =1+tad a , 
5 =1l+tue +07 , 
. =1+ua? +05 „ 
5 =ltat tal, 
9 =1+.! Ha]! , 
en =1l+tell a1 , 
eıı =1l+ta +! , 
ee =l+tat +07 , 
3: =1+ua +0” 


Aus diesen folgt: 


ee, = — (« — ) i = — («12 ar « 12) $ 
also 


E=(e+ta1)(e? Ha) (1+e+a!)(1 + a2 + RE) 


Die Einheit E ist, wie man hieraus ersieht, nur von den vierglie- 
drigen Perioden der Wurzeln der Gleichung «2° = ı abhängig, be- 
zeichnet man diese, nach der primitiven Wurzel y — 3 geordnet, 
durch 4,915 %95 735 %4> 755 %g, So erhält man durch Ausführung 
der Multiplikation 

al Ce) 
und hieraus weiter 


E6) = er en mt eng: 


864 Gesammtsitzung 


Um nun zu untersuchen, ob diese Einheit E(z) ein vollständiges 
Quadrat ist, oder ob nicht, reicht es hin von einer Congruenzbe- 
dingung nach dem Modul 4 Gebrauch zu machen, welche jede 
complexe Zahl f(«) erfüllen mufs, wenn sie ein vollständiges Qua- 
drat sein soll, nämlich die Bedingung 


Ile): — f(«°?) = 0, mod. 4. 


Wenn nämlich f(«) = p(«)? ist, so ist f(«) = $#(a?), mod. 2, 
also f(«)? = p(«”)?,. mod. 4, also auch (a) = le mode 
Damit E(r) ein Quadrat sei, mufs also E(r)? — E(r,) = 6, mod.4, 
sein. Die Ausführung der Rechnung ergiebt aber 


E(n)? — Ha) 2 mod, 


also nicht =0. Die Einheit E(r) ist also nicht ein Quadrat; also 
für X = 29 ist der zweite Faktor der Klassenzahl nicht durch 2 
theilbar. 

Um noch ein zweites Beispiel dieser Art zu erhalten, habe 
ich auch einige Primzahlen ?% im zweiten Hundert untersucht und 
unter diesen A = 113 als eine solche gefunden, deren erster Fak- 
tor der Klassenzahl durch 2 theilbar ist- 

Für ? = 113 wird, wenn die primitive Wurzel y= 10 ge- 
nommen‘ wird, e, negativ und folglich c,—= 1 für folgende 29 
Werthe des k: 


k=1,83,4,9, 14,16, 17, 18,.19,000, 0900109210720 
31,34, 35,136,.37, 39, 49, A445, 46, 49, 50, 514 53, 


Für die übrigen 27 Werthe des k ist c,—= 0. Die Auflösung der 
Congruenzen (Ü.) ergiebt nun folgende Werthe der Exponenten «: 


2. = 1 für. k =10,% 14, 21,528, 85,12 29 
i, 8,15, 22, 29, 36.43.50 
2, 9, 16, 23, 30, 37, 44, 51 
5,12, 19, 26, 33, 40, 47, 54 


für die übrigen 24 Werthe des % ist x, = 0, mod. 2. Setzt man 
nun 


vom 1. December 1870. 865 
H,= er+7 Or+1a Or+21 Ortas Or+35 ORr42 Ok+4g 
so ist, abgesehen von Quadraten der Kreistheilungseinheiten, 
E=HH, H,H, 


mit ihren conjugirten die einzige, als Produkt von Potenzen der 
Kreistheilungseinheiten darstellbare Einheit, welche nur positive 
Werthe hat. Um diese Einheit E, welche wie man hieraus ersicht 
nur aus den 7 Perioden von je 16 der Wurzeln der Gleichung 
all3 — 1 zusammengesetzt ist, die ich nach der primitiven Wurzel 
10 geordnet mit 7, 715 %9> N35 %4> %55 7g bezeichne, bemerke ich 
zunächst, dafs 


ee, Ego ıı.. ee [64 
172 51 at 


ist. Wird nun der Abkürzung wegen 
ar" -- m e). 
gesetzt, und 


SR) ’ ’ ’ ’ ’ ) 
er Or Orr7 Ortıa Orr2ı rrag Or+35 Or+42 Ck+4g > 


so zeigt die Ausführung der Multiplikation, dafs &, gleich dem 
Produkte zweier Perioden 


ER TT NRNRHS 
ist, und dafs durch die Einheiten 7, H, ... ausgedrückt 
2% = — Hy Hıyı Hısa 
ist. Hieraus folgt weiter 


e1°3244%5 = HH, H,H,(H,H,H,H,), 
also, wenn von dem quadratischen Faktor abgesehen wird, 
& &g &4 €; = E 
und durch die Perioden ausgedrückt, wird 
en Ma) > 


also, wenn wieder von dem quadratischen Faktor abgesehen wird, 


866 Gesammtsitzung 


stellt sich die Einheit, welche mit ihren conjugirten nur positive 
Werthe hat, dar als 


E(r) N NET 


Die Ausführung der Multiplikation ergiebt: 
EG) = 12 — Hy +H #243 + —4re: 


Wenn diese Etnheit ein Quadrat sein sollte, so müfste, wie im 
vorigen Beispiele gezeigt worden, 


Er)” —E(:)=0, mod. 4 


sein; man findet aber 
E@)’ — Eis) S 24 + 291 + 244 42915 +2 , mod. 4. 


Es ist also E(») nicht ein Quadrat, und darum auch für A = 113 
der zweite Faktor der Klassenzahl nicht durch Zwei theilbar. 

Nach dieser Methode läfst sich auch allgemein eine neue Be- 
dingung dafür ableiten, dafs der zweite Faktor der Klassenzahl 
durch 2 theilbar sei. Wenn dieser Fall statt haben soll, so muls 
es eine Einheit 


E(«e) — Mo) ses“ 2 ea 


geben, welche ein Quadrat einer Einheit ist, ohne dals die Expo- 
nenten &,&, ... &4_ı alle durch 2 theilbar sind, wenn einer der- 
selben gleich Null genommen wird, wo e(«),e(a”) .... e(«’»-ı) 
die oben mit e,e; .... e„_ı bezeichneten Kreistheilungseinheiten 
sind, also 


ER aan a N 
© SG ) ea? —2 a? — a7? 
le) er ya Eye ee 


(a? + «=? — 2) (a? — a?) 


also wenn gesetzt wird 


vom 1. December 1870. 867 


e(«)" = e(a?)(1-+2/(e)) , mod. 4, 
so erhält man 


I) = + 


—_ mod. 2. 
0 2 


Demnach wird 


E(e)’ = Ela?) (1 + 2 (af(e) + 81 fla”) + --- +2,_1F(@""))), 
mod. 4. 


Wenn nun E(«) ein Quadrat sein soll, so mufs, wie oben gezeigt 
worden, 


E(e)? = E(a?). mod. 4 


sein, folglich auch 


afle) + 21er) ++ Re — 0% 3mod. 2. 


welche Congruenz, weil sie ebenso für die » mit « conjugirten 
R—1 . 

Wurzeln «, «@°, ... «? gelten muls, ein System von # Congru- 

enzen repräsentirt. Setzt man für /(«) seinen Werth ein, und 


wendet das Summenzeichen an, so kann man dieses System von 
Congruenzen auch so darstellen: 


Ka ( —1 1 ) 
—y — 
>, rs 0, mode 
0 a 1 et 


. .o oe . ne „hA+]1 
Multiplicirt man nun mit «=?? und summirt in Beziehung auf 


alle A — ı verschiedenen Werthe der Wurzel «&, so hat man 


n—1 ee azyır! 
> De er en ER —n 
Trrk = Haze: se a 0 mod. 2. 


In den beiden Summen, welche sich über alle Werthe der Wurzel 
« erstrecken, kann man statt dieser Wurzel eine beliebige andere 


zu Grunde legen; setzt man daher in der ersteren Summe « statt 
way 
S 


k+1 
und in der anderen « statt «?””” , so erhält man 


868 Gesammtsitzung 


—_yh—-k+1 —_yi—k 
ze „ze Eilar2® ER 
= ee N io, 


1— « FA —R 


Aus der Gleichung 


= a+2a’ +30’ He + (iR — 1)ar!, 


I: 
welche auch so dargestellt werden kann: | 
—ı > ve yr—2 
1 — IT RN a Zi nee ae - 
Zr CR 


folgt aber, wenn mit «"?” multiplieirt und in Beziehung auf alle 
» — 1 verschiedenen Werthe der Wurzel « der Gleichung 
at a”? He. Ha +1=0 summirt wird: ) 


—ıL\, —S = Sl en ron 72007 


und weil 


A) 
a ak Pr 
so folgt, wenn durch A dividirt wird: 
yN el 
Kae 2 —1 # 
>. N Viele . % 
1—« 2 Im Bi 


Macht man von dieser Summation Gebrauch, so hat man: 


k—1 
a, Or Tr Yn-k) 20, mod. 2. 


Durch Multiplikation mit w*, wo w eine jede primitive oder nicht 
primitive Wurzel der Gleichung w* — 1 bezeichnet und durch 
Summation in Beziehung auf die Werthe A=k,k+1,...k+n—1 
wird dieses System von # Congruenzen in folgende Form gebracht: 


p—1 ktn—1 ef n % 
S >. je v oe Se N 
Dec (Ynrı Ya) W204 09, mod. 


0 


vom 1. December 1870. 869 


woraus endlich, wenn } in A+ % verwandelt wird, folgt 


M—]1 n—1 
> —7: S k,,—k Ze 
= On = 3,0. Zur Wer —.0, molg> 


Nach der oben gegebenen Congruenz (E.) ist aber 


r—1 2 
= Ynı -y)ur = —wrl(w!), mod. „ 


also hat man 
M—1 
(F.) we) 2,2%,.0° = 0, mod.>, 
0 


als neue Bedingung für die Bestimmung der Exponenten Dt 
24-1, während die nach der anderen Methode gefundene bei (D.) 
aufgestellte 


R—1 
Y(w).3,2,w* = 0, mod. 2, 
0 


war. Die schon oben hieraus abgeleitete nothwendige Bedingung 
dafür, dafs nicht alle Exponenten &, x, ... %,-ı Congruent Null 
sein müssen, nach dem Modul 2, dafs also der zweite Faktor der 
Klassenzahl durch 2 theilbar sein könne, nämlich dafs die voll- 
ständige Norm von /(w) durch 2 theilbar sein muls, läfst sich 
aber auch so aussprechen, dafs die complexe Zahl Y (w) einen 
complexen (idealen) Primfaktor von 2 enthalten mufs. Die Ver- 
gleichung der Congruenz (F.) mit der obigen (D.) ergiebt nun, 
dals die complexe Zahl L(w7!) denselben complexen P 
tor von 2 enthalten mufs als L(w). Also 


rimfak- 


„Wenn der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei 
„theilbar ist, so enthält die complexe Zahl L(w!) 
„nothwendig denselben complexen Primfaktor von 
„Zwei, welchen /(w) enthält, 


(IV.) 


Es ist leicht zu erkennen, dafs die nothwendige Bedingung dieses 
Satzes für die Werthe ? = 29 und X = 113 nicht erfüllt ist, dafs 
also der zweite Faktor der Klassenzahl für dieselben nicht durch 


Zwei theilbar ist, was oben durch specielle Ausrechnungnachgewie- 
sen worden ist. 


870 Gesammtsitzung 


Die Methode, nach welcher diese nothwendige Bedingung der 
Theilbarkeit des zweiten Faktors der Klassenzahl durch 2 gefun- 
den worden ist, läfst sich mit demselben Erfolge auch auf die 
Theilbarkeit dieses zweiten Faktors der Klassenzahl durch irgend 
eine ungrade von ? verschiedene Primzahl g anwenden. Es muls 
hier die Einheit 


E(e) = e(e)"elaY)"! 2... lat") eri 
eine gte Potenz einer Einheit sein, ohne dafs die Exponenten 
%, 0 ee. 2u—ı Alle durch q theilbar sind, wenn einer derselben 
gleich Null genommen wird. Eine nothwendige Bedingung dafür, 
dafs E(«) eine gte Potenz sei, ist aber 


E(«)? = E(e?) , mod. g°; 
denn setzt man E(«) = \(«)?, so hat man bekanntlich 


Y (a)? = Yl(e?), mod.g 
oder 


(a)? = Ya) + 94%); 


und wenn man diese Gleichung auf beiden Seiten zur gten Potenz 
erhebt und die Vielfachen von q? wegläfst, so hat man 


Ya)” = Ylar)?, mod. g?, 


und wenn für U («)? sein Werth E(«) und für \ (a2)? ebenso E(«?) 
zurückgesetzt wird, so erhält man die aufgestellte Congruenz. 
Um dieselbe anzuwenden, ist zunächst die gte Potenz von 


Vagaen, a? 


(a) = - 


x — a! 


nach dem Modul g? zu entwickeln. Erhebt man « — «7! 


Potenz, so erhält man 


(e— a!) = a —a2+gP(e), mod.g’, 


zur gten 


vom 1. December 1870. 871 


1 
Ple) = AED LA N en 7 (@ = &m2), 


2 . 
mod. 9, 


und demnach 


e(«)? = u 00) 
27a 124 g0(e) 


,» mod.g?, 


welches man auch in folgende Form setzen kann: 


e(e)? = e(a?) (1 + q,/(e)) » mod.g?, 


Ta EN OERR ICH 


a2 — 1 Er IE 02 mod. GE 


Hieraus folgt ohne Schwierigkeit 


E(e)? = E(e2) (1 #FgF(e)) , mod. g?, 
wo 


I a) yaey.. 02,070), medig 


und weil 
E(e)? = E(a2) , mod. g? 


‚sein soll, so folgt hieraus 
F(e) =0, mod. q. 


‚ Die complexe Zahl F(«) hat die Eigenschaft, dafs sie unverändert 
bleibt, wenn « in «”! verwandelt wird, sie enthält daher nur die 
zweigliedrigen Perioden und kann in die Form gesetzt werden: 


Fe) = Clatan!)+C, («? +7?) Zwei; Gerlach 


Die Bedingung, dafs F(«) congruent Null sei, nach dem Modul q 
erfordert also, dafs die Coeffieienten Ö, Cr... C,_ ; -alle einzeln 
congruent Null seien nach dem Modul 9. Multiplieirt man F(e) 


ar 9 und nimmt die Summe in Beziehung auf alle 
A — 1 verschiedenen Wurzeln «, so erhält man 
| [1870] 60 


872 Gesammtsitzung 
N (ar? es 2). Kl) - 


Multiplicirt man nun weiter mit w”, wo w eine jede beliebige Wur- 


zel der Gleichung w“ —= 1 bezeichnet, mit alleiniger Ausnahme 
von w = 1, und nimmt die Summe für A= 0,1, 2,...4 — 1, 80 


erhält man 


Rk—1 a—1 

Er rn h a 

NN Oh > do File). 

f) 0 

Es ist aber 
an at —yıh h ee yh 
Inte ai ) w = 2,« uw = (w,«) 
) 0 


die bekannte Lagrangesche Resolvente der Kreistheilung, also 


n—1 


2A =n0 wi =. >. (wo PAle)e 


Setzt man nun den oben gegebenen Werth des F(«), und in dem- 
selben den Werth des /(«) ein und bemerkt, dafs nach einer be- 
kannten Eigenschaft der Lagrangeschen Resolvente der Kreis- 


theilung 
(w $) «) = wR (w 5 a’ > a wir! (w s au) ; 


so erhält man: 


r#—1 1 
>35 1 N 
2 A m C, W ———, 


more PR Bee 


rk u 67 


ro Eaeg >; 3« Fi a 


Setzt man in der ersten dieser beiden Summen « statt «” und in 
. k+1 . A . . 
der zweiten & statt «”” , wodurch nichts geändert wird, weil alle 


Werthe des « genau dieselben sind, als alle Werthe des «”" oder 


@ ‚so wird: 


1 ee w,e) p(a) 


>33 une ER >. k 


Ich setze nun 


vom 1. December 1870. 873 


2) = 3 


a2 371 


so ist, wenn für («) der oben angegebene Werth eingesetzt wird 


2 a „e f ma) (ee — 0,429) 
i 


a1 — a1 


Um den einfachsten Ausdruck des Y(w) zu finden, betrachte ich 
die allgemeine Summe 


BC ae ed, 


(ae 


N - 401.8 : 
ich setze in derselben & statt «“ und bezeichne mit H die kleinste 
Z 


positive Wurzel der Congruenz 


so wird | 
un LE 

und weil 

ze Sl er ie 
ae le ein Milgelelin zu alelıa 
so erhält man 

fo Jaelele, Jesse... -lBeite 

BE: au 


+ 0 + — sr000 


Die in Beziehung auf alle Werthe des x zu nehmenden Summen 
bl. 
der einzelnen Theile, deren Anzahl gleich 2 I. 1ıSt, werden, wenn 


60* 


874 Gesammtsitzung 


der Exponent der Potenz von « nicht durch ? theilbar ist, gleich 
— 1, wenn aber dieser Exponent durch ? theilbar ist, so geben sie 
%—1. Es wird aber einer der Exponenten in der ersten Zeile 
und zugleich der entsprechende gleiche, aber negative Exponent | 
der zweiten Zeile nur in folgenden zwei Fällen durch A theilbar: 


grade ist und gröfser als %, zweitens 


erstens wenn 


| 
— + 
a 


b ce 
7 a 


Fall auch 


wenn 


ungrade ist und grölser als Null. Da der erste 


-(- 


gesprochen werden kann, oder was dasselbe ist, 


) ungrade und gröfser als Null aus- | 


b 
a 
ungrade und grölser als Null, da ferner die eine der beiden Zahlen 


b b 


a 


NG, 


Qq 


C 


qa 


und 


stets grade, die andere aber ungrade 


ist, so erhält man folgenden Werth der Summe S$: 1 


wo 2=1 ist, wenn die ungrade der beiden Zahlen 


=,C 
a 


den Werth Null hat. 


und 


positiv ist, und wo im entgegengesetzten Falle e 


Um dieses Resultat auf den vorliegenden Ausdruck des Y(w) 
anzuwenden, nehme ich a=g,b=g-—2i, c=y”, so wird 


b 


a 


C 


qa 


“a 
q 


pe 


2“ | 
q 


er 
' 


wenn g=y*, mod.” ist. Es wird demnach 


M—1 
von h unabhängig und 3,w” = 0 ist, so fällt 
0 


und weil | as 
q 


vom 1. December 1870. 875 


dieser Theil weg und man hat, wenn der gemeinschaftliche Factor 
2% weggehoben wird: 


Bel 2 ei 
Y(w) == Sn = 


Die Gröfse e hat nur die beiden Werthe 1 und 0 und zwar ist, 
Ge 


wenn einfach durch v;, bezeichnet wird, e = 1, wenn von 


den beiden Zahlen v,— y,_, und 1, — Y,_e+„, deren eine noth- 
wendig grade, die andere ungrade ist, die ungrade zugleich positiv 
ist, im entgegengesetzten Falle ist e=0. Setzt man „_,=n, 
so wird A— g=indn, mod. A — 1, setzt man ferner y,_o4.—=n, 
sowird A—og+n=indn, mod.% — 1, also indn’ = indn, mod.%, 
also wenn man von der in Beziehung auf A zu nehmenden Summe 
nur diejenigen Glieder beibehält, für welche = nicht gleich 0, son 
dern gleich 1 ist, so hat man: 


de 
(G.) Y(w) = w? z; (wind; DL ind; DL wind), 


welche Reihe, wenn v, grade ist, bis zu dem Gliede wird), und 
wenn v, ungrade ist, bis zum Gliede wind(2) fortzusetzen ist. 

Die nothwendige Bedingung dafür, dafs die zusammengesetzte 
Kreistheilungseinheit E(«) eine gte Potenz einer Einheit sei, wel- 
che oben darauf zurückgeführt ist, dafs die Coöfficienten C/, alle 
congruent Null, mod. p, sein müssen, stellt sich demnach dar, als: 


“—1 
(H.) Y(w).2,x,w*, mod. g, 
0 
welche Congruenz für jeden Werth der Wurzel w der Gleichung 


Ol ae = (0 


Statt haben muls. Es folgt hieraus, dafs wenn Y(w) keinen com- 

plexen (idealen) Primfaktor des q enthält, also die vollständige 

Norm NY(w) nicht durch q theilbar ist, nothwendig der andere 
»—1 

Faktor >,x,w” alle complexen Primfaktoren des q enthalten und 

0) 


876 Gesammtsüzung 


folglich durch q theilbar sein mufs, für jeden der «— ı Werthe 
des w. Die aus den Wurzeln w der Gleichung w""! + w"? +... 


RA—1 
+w+1= 0 gebildete complexe Zahl Z, x, w*, welche vermittelst 
0 


dieser Gleichung auf den »— 2ten Grad erniedrigt wird, kann 
aber nicht für alle Wurzeln ww congruent Null sein, nach dem Mo- 
dul g, wenn nicht die »— ı Coöfficienten x — Be ee 
24-2 — %,_, einzeln congruent Null sind, oder, was dasselbe ist, 
wenn nicht die #» Exponenten x, 21, ... &,_ı Alle einer und der- 
selben Zahl congruent sind, für welche man auch die Null nehmen 


kann, weil man einen beliebigen derselben gleich Null setzen kann. 
Also: 


„Wenn die Einheit 
Be) — ee) ee)... oe 


„eine gte Potenz einer anderen, fundamentaleren Ein- 
„heit ist, so dafs die Exponenten x, x, der 

(N) „Kreistheilungseinheiten nicht alle congruent Null sind, 
„nach dem Modul qg, wenn einer derselben — 0 ge- 
„nommen wird, so muls die complexe Zahl Y(w) einen 
„complexen (idealen) Primfaktor von g enthalten und 
„demgemäls die vollständige Norm von Y(w) durch q 
„theilbar sein. 


Hieraus folgt sodann unmittelbar der Satz: 


„Eine ungrade Primzahl g kann nicht Theiler des zwei- 
„ten Faktors der Klassenzahl sein, wenn nicht die 

(VL) „eomplexe Zahl Y(w) einen complexen Primfaktor von 
„q enthält, also die vollständige Norm von Y(w) durch 
„g theilbar ist. 


Wenn die für die Theilbarkeit des zweiten Faktors der Klas- 
senzahl durch die Primzahl q nothwendige, aber nicht hinreichende 
Bedingung erfüllt ist, dafs Y(w) einen idealen Primfaktor von q 
enthält, so kann der Fall eintreten, dafs dieser Primfaktor des q 
in Y(w) nicht für die primitiven Wurzeln w der Gleichung w* —=1ı 
vorhanden ist, sondern für gewisse nicht primitive Wurzeln, wel- 
che der Gleichung niederen Grades w’* — 1 angehören, wo m ein 
Factor von a ist. Es sei » = mm’ und die Norm von Y(w'), für 


vom 1. December 1870. 877 


alle primitiven Wurzeln der Gleichung w”“ = 1 sei durch q theil- 
bar, so zeigt die Congruenz 


k—1 
Ylw). >, z,u® = 0, mod.g, 


| 


dafs für alle diejenigen Werthe des w, für welche Y(w) keinen 
A—1 

complexen Primfaktor des q enthält, 3, x, w* congruent Null sein 
0 

mufs, nach dem Modul g. Es sind dies die Werthe des w, wel- 

che der Gleichung w””' — 1 genügen, ohne der Gleichung w" = 1 

zu genügen, also die Werthe des w, welche der Gleichung 


1 — me 
a an Ir um em... Logan — 09 
= W 


genügen. Hieraus schliefst man, dafs 


PM—1 
Now = (1 +w" + wre + we") F(w) 
() 


sein mufs, wo /(w) nur bis zum Grade m — 1 in w aufsteigt 


und hieraus folgert man weiter, dafs 
& = Lt m = Ürrmer = Ye (m—1)an? mod. vb) 


sein mufs. Man hat daher folgenden Satz: 


„Wenn die complexe Zahl Y(w) nicht für die primiti- 
- „ven Wurzeln w der Gleichung w* = 1, sondern für 
„die primitiven Wurzeln der Gleichung w” = 1, wo 
„a = mm, einen idealen Primfaktor von g enthält, so 
(V1.) „kann die fundamentalere Einheit, deren gte Potenz 
„sich als Produkt von Potenzen der Kreistheilungsein- 

„beiten ausdrücken läfst, nur die m Perioden von je 

„2m’ Gliedern der Wurzeln der Gleichung «* = 1 ent- 


„halten. 


Ein einfaches Beispiel für den Fall, wo der zweite Faktor 
der Klassenzahl nicht gleich Eins ist, ist = 229. Für diesen 
Werth des ?* haben schon die aus den zwei Perioden von je 114 
Gliedern gebildeten complexen Zahlen drei verschiedene Klassen, 


878 Gesammtsitzung 


welche durch die drei verschiedenen quadratischen Formen 
a +ay—57y?, 30° + a2y— 19y? und 30° — 2y — 19y? reprä- 
sentirt werden. Der zweite Faktor der Klassenzahl mufs darum 
für A = 229 durch drei theilbar sein. Bezeichnet man die beiden 
je 114 Glieder enthaltenden Perioden mit „ und x,, so findet man 
die aus der Entwickelung des Produktes e 69 &4 *... E19 Zu bildende 
Kreistheilungseinheit gleich 


1823 + 2264 = (8 + y)}. 


Die vollständige Norm der complexen Zahl Y(w) ist hier in der 
That durch 3 theilbar, da für den Werth w—= — ı Y(w) = 6 
wird. Die fundamentalere Einheit 8 + 7, deren dritte Potenz sich 
durch die Kreistheilungseinheit ausdrücken läfst, enthält auch, wie 
der letzte Satz es verlangt, nur die 2 Perioden von je 114 Glie- 
dern. 

Der Werth % = 257 giebt ein zweites Beispiel derselben Art, 
wo der zweite Faktor der Klassenzahl durch 3 theilbar ist. 

Ein Beispiel anderer Art giebt A —= 163. Dasselbe ist darum 
besonders bemerkenswerth, weil hier nicht wie im vorigen Beispiele 
die quadratische Form, sondern die ceubische Form, in welche die 
Normform gesetzt werden kann, bewirkt, dafs der zweite Faktor 
der Klassenzahl nicht gleich Eins ist, sondern durch Zwei theilbar. 
Für %= 163 und für die primitive Wurzel y=70 des Canon 
arithmeticus erhält man den Werth der bei (E.) gegebenen com- 
plexen Zahl Y(w): 


1 +w zu + w wi wi L yl4 
+ w!6 + wi8 + w19 + wi + w3 + w4 + w2 
YW)=wT} + 3% + 31 + 35 + 38 + wit 4 1046 + w!7mod.2 
+ wel + 052 + w55 + w58 + w59 + wel 62 
+ wi? + wit + w65 + W664 WET + WTA 16 


wo w eine beliebige primitive oder nicht primitive Wurzel der 
Gleichung w®l = ı ist. Nimmt man nun für w eine dritte Wur- 
zel der Einheit, so dafs w® = 1 ist, so erhält man 


vom 1. December 1870. 879 


YWw)=13+11w-+ 11w?,, mod. 2, 


also 


L(w)=o, mod.2. 


Es sind also hier die beiden nothwendigen Bedingungen der Theil- 
barkeit des zweiten Faktors der Klassenzahl durch 2 erfüllt, dafs 
Y(w) einen complexen Faktor von 2 enthalte, und dafs Y(w-!) 
eben denselben enthalte. Der zweite Faktor der Klassenzahl kann 
also für X = 163 durch 2 theilbar sein. Dafs dies auch wirklich 
der Fall ist, wird nun aus der Betrachtung der Kreistheilungsein- 
heiten nachgewiesen, welche in der That als Quadrate von funda- 
mentaleren Einheiten sich darstellen. Diese Einheiten können hier, 
nach dem oben bewiesenen Satze (VII.) nur die drei Perioden von 
je 54 Gliedern enthalten. Werden dieselben, nach der primitiven 
Wurzel y = 70 geordnet, mit 4, Yı, %a bezeichnet, so hat man 
für die Rechnung mit denselben die Formeln 


„= 544204 4169, + 17%, , 
7Yı = 164, 1, 1 217,, 
192. = Ivy 2lyı 4 1l6n,. 


Als das System der unabhängigen Kreistheilungseinheiten kann 
hier gewählt werden: 


k k 
=’ +0”, 


Bildet man ’run das Produkt 
BR=—0.e,.e. 


... erg 5) 


so erhält man nach Ausführung der Multiplikation, die aus den 3 
Perioden von je 54 Gliedern gebildete Kreistheilungseinheit 


E—= 26897 6241 — 49%, 9 


welche, wenn ihre conjugirten mit EZ, und E, bezeichnet werden, 


EEE, =-+1 


880 Gesammtsitzung 


giebt. Die nothwendige und zugleich auch hinreichende Bedingung 
dafür, dafs für A = 163 der zweite Faktor der Klassenzahl durch 
2 theilbar sei, ist nun die, dafs die zusammengesetzte Kreisthei- 
lungseinheit 


Er. Erı 222 


gleich einem Quadrate einer Einheit sei, für irgend welche Werthe 
der £,&%ı,%3, welche nur gleich 0 oder 1 zu nehmen sind. Es 


ist aber hier schon E selbst ein vollständiges Quadrat, denn man 


hat 


an 000, A ee 


wie vermittelst der Formeln für die Multiplikation der Perioden 
leicht nachgewiesen wird. 


Für ?} = 163 ist also der zweite Faktor der Klassenzahl durch 
Zwei theilbar und man hat in diesem Falle die Einheiten 5 + r, 
5-+r,,5-+7,, welche fundamentaler sind, als die Kreistheilungs- 


einheiten. 


Ein anderes Beispiel dieser Art, wo die kubische Form be- 
wirkt, dafs der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei theil- 
bar ist, giebt'A = 937. 


vom 1. December 1870. 81 


Hr. Kronecker knüpfte an den Vortrag des Hrn. Kummer 
die folgende Auseinandersetzung einiger Bigenschaften 
der Klassenanzahl idealer complexer Zahlen. 


Eines der hauptsächlichsten theoretischen Resultate in der so- 
eben vorgetragenen Abhandlung ist der Satz, dafs der zweite Fak- 
tor der Klassenzahl idealer aus Aten Wurzeln der Einheit gebilde- 
ter Zahlen nur‘ dann durch Zwei theilbar sein kann, wenn auch der 
erste Faktor durch Zwei theilbar ist. Als mir mein Freund Kum- 
mer vor einiger Zeit diesen Satz mittheilte und die offenbare Ana- 
logie desselben mit seinem älteren, die Theilbarkeit der beiden 
Faktoren der Klassenzahl durch ? betreffenden Satze hervorhob, 
suchte ich mir nähere Aufklärung darüber zu verschaffen, warum 
grade die Zahl Zwei in dem Kummerschen Satze eine Rolle spielt. 
In diesem Sinne bemühte ich mich zuvörderst die in dem Satze 
enthaltenen Eigenschaften der beiden Faktoren der Klassenzahl un- 
mittelbar aus deren Definition herzuleiten, oder wenigstens ohne, 
wie es in dem Kummerschen Beweise geschieht, die entwickelten 
Ausdrücke der beiden Faktoren zu benutzen. Da der zweite Fak- 
tor der Klassenzahl selbst als Klassenzahl der aus zweigliedrigen 
Perioden gebildeten complexen Zahlen definirt werden kann, so ist 
der erste Faktor als Quotient zweier Klassenzahlen bestimmt. So- 
bald es mir nun gelungen war auf diese Definition einen Beweis 
des Kummerschen Satzes zu gründen, erkannte ich sogleich, dafs 
die dabei angewendete Methode nicht auf zweigliedrige Perioden 
beschränkt, sondern auf beliebige Perioden anwendbar ist, und dafs 
alsdann in dem Kummerschen Satze an Stelle der Zahl Zwei die 
Primfaktoren der Gliederzahl der Periode auftreten. Ich erkannte 
ferner, dafs der Satz in allgemeinerer Fassung nicht blos für com- 
plexe aus Aten Wurzeln der Einheit gebildete Zahlen, sondern für 
beliebige complexe Zahlen gilt, sobald nur hierfür der Begriff der 
idealen Zahlen resp. der verschiedenen Klassen derselben festge- 
stellt ist. Die Entwickelung dieser Begriffe bildet die Grundlage 
eingehender und umfassender Untersuchungen, welche ich schon 
vor langer Zeit, nämlich vor etwa dreizehn Jahren, über die Theo- 
rie der allgemeinsten complexen Zahlen und der damit zusammen- 
hängenden in Linearfaktoren zerlegbaren Formen angestellt und 
deren Hauptresultate ich damals meinen mathematischen Freunden 
mitgetheilt habe. Obgleich ich darüber bisher, durch andere Ar- 


832 Gesammtsitzung 


beiten in Anspruch genommen, noch nichts veröffentlicht habe, will 
ich dennoch die vorliegende Frage für den Fall beliebiger com- 
plexer Zahlen erörtern, weil bei dieser allgemeineren Behandlung 
die wesentlichen Gesichtspunkte klarer hervortreten. 


Se 


In den Artikeln 305 und 306 der „Disquisitiones arithmeticae“ 
hat Gaufs eine Anordnung der verschiedenen Klassen quadratischer 
Formen auf die Theorie der Composition gegründet und Hr. Sche- 
ring hat neuerdings der weiteren Ausführung dieses Gegenstandes 
eine Arbeit gewidmet, welche im XIV. Bande der Abhandlungen 
der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen ver- 
öffentlicht ist und namentlich, wie es auch der Titel angiebt, eine 
sachgemäfse Aufstellung von „Fundamentalklassen“ zum Zwecke hat. 
Die überaus einfachen Prinzipien, auf denen die Gaufs’sche Me- 
thode beruht, finden nicht blos an der bezeichneten Stelle, sondern 
auch sonst vielfach und zwar schon in den elementarsten Theilen 
der Zahlentheorie Anwendung. Dieser Umstand deutet darauf hin, 
und es ist leicht sich davon zu überzeugen, dafs die erwähnten 
Prinzipien einer allgemeineren, abstrakteren Ideeensphäre angehören. 
Deshalb erscheint es angemessen die Entwickelung derselben von 
allen unwesentlichen Beschränkungen zu befreien, sodals man als- 
dann einer Wiederholung derselben Schlufsweise in den verschie- 
denen Fällen des Gebrauchs überhoben wird. Dieser Vortheil 
kommt sogar schon bei der Entwickelung selbst zur Geltung und 
die Darstellung gewinnt dadurch, wenn sie in der zuläfsig allge- 
meinsten Weise gegeben wird, zugleich an Einfachheit und durch 
das deutliche Hervortreten des allein Wesentlichen auch an Über- 
sichtlichkeit. - 

Es seien 6', 6", 6"', ... Elemente in endlicher Anzahl und so 
beschaffen, dafs sich aus je zweien derselben mittels eines bestimm- 
ten Verfahrens ein drittes ableiten läfst. Demnach soll, wenn das 
Resultat dieses Verfahrens durch f angedeutet wird, für zwei be- 
liebige Elemente # und 5", welche auch mit einander identisch 
sein können, ein #"' existiren, welches gleich: f (5, 6") ist. Über- 
dies soll: 


vom 1. December 1870. 883 


I — (0, 0) 
nee, 6) = Fl, ) , e”) 


und aber, sobald 6” und 6”' von einander verschieden Sind, auch: 
f(@, 6”) nicht identisch mit f(#, 6”) 


sein. Dies vorausgesetzt, kann die mit f(#, 9”) angedeutete Ofpe- 
ration durch die Multiplikation der Elemente $#' 6" ersetzt werden, 
wenn man dabei an Stelle der vollkommenen Gleichheit eine blofse 
Äquivalenz einführt.') Macht.man von dem üblichen Äquivalenz- 
zeichen: a» Gebrauch, so wird hiernach die Äquivalenz: 


G, g" ao gr" 
durch die Gleichung: 
fe, 6") = gr 


definirt. — Da die Anzahl der Elemente 9, welche mit n bezeich- 


net werden möge, als endlich vorausgesetzt ist, so haben dieselben 
folgende Eigenschaften: 


I. Unter den verschiedenen Potenzen eines Elementes 9 
giebt es stets solche, die der Einheit äquivalent sind. 
Die Exponenten aller dieser Potenzen sind ganze Viel- 
fache eines derselben, zu welchem — wie ich mich aus- 
drücken werde — das betreffende 8 gehört. 


Il. Gehört irgend ein 8 zum Exponeuten v, so gehören 
auch zu jedem Theiler von v gewisse Elemente 4. 


III. Wenn die beiden Exponenten e und s, zu denen resp. 


die Elemente 6’ und 6” gehören, relative Primzahlen 
sind, so gehört das Produkt #. 6" zum Exponenten e0. 


Er Ten, die kleweis Zeil, welehe die sänmtlichen Rx. 
ponenten als Theiler enthält, zu denen die n Elemente 
9 gehören, so giebt es auch Elemente, welche zu n, 


') Anstatt der Multiplikation kann auch die Addition gebraucht wer- 
den, welcher Gaufs bei Einführung einer Symbolik für die Composition der 


quadratischen Formen aus leicht erkennbaren Gründen den Vorzug gege- 
ben hat. 


554 Gesammtsitzung 


selbst gehören. Denn, wenn r, in seine Primfaktoren 
zerlegt gleich: p* g’r?... ist, so giebt es nach II. 
Elemente 6' die zu p“, ferner Elemente #" die zu g°, 
Elemente 6” die zu r? etc. gehören, und das Produkt: 
6.6". 8”... gehört alsdann nach III. zu: p°.g®.r?... 
d. h.izum,. 


Der hier mit n, bezeichnete Exponent ist der gröfste von al- 
len, zu denen die verschiedenen Elemente $ gehören; zugleich ist 
n, ein ganzes Vielfache von jedem dieser Exponenten und es fin- 
det demnach für jedes beliebige 8 die Äquivalenz: #*ı co1 statt. | 

Gehört 8, zum Exponenten n,, so läfst sich der Begriff der 
Äquivalenz dahin erweitern, dafs zwei Elemente 6' und 6" als „re 
lativ äquivalent“ angesehen werden, wenn für irgend eine ganze 
Zahl k: 


br. 6% co 8" 


ist. Das Äquivalenzzeichen oo bleibt hier, wie im Folgenden, für 
den früheren engeren Begriff der Äquivalenz reservirt. Sondert 
man nun aus sämmtlichen Elementen $ ein vollständiges System 
solcher aus, die untereinander nicht relativ äquivalent sind, so ge- 
nügt dasselbe den für das System sämmtlicher Elemente 8 oben 
aufgestellten Bedingungen und besitzt daher auch alle daraus abge- 
leiteten Eigenschaften. Es existirt also namentlich eine der Zahl 
n, entsprechende Zahl n;, welche so beschaffen ist, dafs die n;te 
Potenz eines jeden 6 relativ äquivalent Eins ist, und es existiren 
ferner Elemente @,, für welche keine niedrigere als die n,te Po- 
tenz der Einheit relativ äquivalent wird. Da für jedes Element A 
6 die Äquivalenz: 8*ı co 1 stattfindet und also a fortiori 9%ı auch 
relativ äquivalent Eins ist, so muls nach I. die Zahl n, ein Viel- 
faches von n, sein. Ist nun 


02 k 
co. 


«u 


und erhebt man die Ausdrücke auf beiden Seiten zur Potenz: 


n 1 re 
— , so erhält man, wenn — = m gesetzt wird, die Äquivalenz: 
Na Ng 


mnq 
, O2 Ir 


vom 1. December 1870. 855 


aus welcher, da d, zum Exponenten n, gehört, unmittelbar folgt, 
dals m ganz und also k ein Vielfaches von n, sein muls. Es 
giebt demnach ein Element d,, definirt durch die Äquivalenz: 


m 


dessen n,te Potenz nicht blos relativ, d. h. im weiteren Sinne, 
sondern auch im engeren Sinne der Einheit äquivalent ist und 
welches (im zwiefachen Sinne des Wortes) zum Exponenten n, 
gehört. 

Indem man nunmehr je zwei Elemente 6', 6” als relativ äqui- 
valent ansieht, für welche: 


RZ 


ist, gelangt man zu einem dem Elemente #, entsprechenden 05 
welches zum Exponenten n;, einem Theiler von n;, gehört u. s. f. 
und man erhält auf diese Weise ein „Fundamentalsystem“ von 
Elementen: 6,,0,,03,..., welches die Eigenschaft hat, dafs der 
Ausdruck: 


h Rh h 
Ua ee Bra 1,2% I, 0. ,) 


im Sinne der Äquivalenz sämmtliche Elemente $ und zwar jedes 
nur ein Mal darstellt. Dabei sind die Zahlen Di Wo Dann aaa 
zu denen resp. 8,,#,,9,,... gehören, so beschaffen, dafs jede der- 
selben durch jede folgende theilbar ist, das Produkt: n,n; Malııe 
ist gleich der mit n bezeichneten Anzahl sämmtlicher Elemente e, 
und diese Zahl n enthält demnach keine anderen Primfaktoren als 
diejenigen, welche auch in n, enthalten sind. 

‚Wenn man unter den Elementen $ ein System von nicht äqui- 
valenten idealen Zahlen oder ein System von nicht äquivalenten 
zusammensetzbaren arithmetischen Formen versteht, so fällt die 
hier entwickelte Darstellung sämmtlicher Elemente 6 durch ein 
Produkt von Potenzen ausgewählter Elemente 6, ,9,,6,,... voll- 
ständig mit derjenigeu zusammen, welche sich in der oben erwähn- 
ten Abhandlung des Hrn. Schering angegeben findet. 


886 Gesammtsitzung 


Sa 


Wenn #&(2) = 0 und ® (x) = 0 irreduktible ganzzahlige Glei- 
chungen der Grade nı und # bedeuten, von denen die erstere un- 
ter Adjunction einer Wurzel der letzteren reduktibel wird, so las- 
sen sich die m Wurzeln der Gleichung %(2) = 0 in %# Gruppen 
sondern, deren jede einer der » Wurzeln von ®(x) — 0 entspricht. 
Bezeichnet man demgemäls (m = um gesetzt) mit: 


Wn,k (Ri, 2, 0.. Ka 1525 u) 
die am Wurzeln von $(x) = 0 und mit: 
en (h = 15 2, ... k) 


die Wurzeln von ®(x) = 0, so ist, insofern der Co£fficient von zit 
in &(x) und der Coöfficient von «* in ®(x) gleich Eins vorausge- 
Setzt wird: 


m ıl @—- 07) = 8) ; r — 9.) = ®(a) 
und ferner: 


nl une) = Zoe So,)e 


wo die Co£fficienten der mit F bezeichneten ganzen Function mten 
Grades von x rationale Functionen von £, Sind, und die Buchsta- 
ben Ak wie überall im Folgenden resp. die Werthe: 1,2,...u 
und 1,2,...m annehmen. Ferner ist o, eine rationale Function 
von w;,, und zwar so, dafs eine und dieselbe Gleichung: 


Er Ten, x) 


für alle Werthe von % besteht. Dies vorausgeschickt läfst sich 
eine Theorie ganzer complexer in w rationaler Zahlen f(w) auf- 
stellen, unter welchen auch die in < und also auch in w rationalen 
Coefficienten von F(x) enthalten sind. Alsdann sind auch die 
Partialnormen: 


11 Fon, ’) 
k 


ganze complexe Zahlen /(»), und man kann demgemäfs aus irgend 
einem System nicht äquivalenter idealer Zahlen /(w) diejenigen 


EEE 


55 


vom 1. December 1870. 8837 


aussondern, welche Partialnormen der bezeichneten Art äquivalent 
sind. Diese mögen, da die Partialnormen wirklicher Zahlen /(«) 
rational in 9 sind, mit (ge) und die nach den Bestimmungen des 
$. 1 ausgewählten fundamentalen mit: 


Pi (2) » Pa (>) » Pa (e) ’ 


bezeichnet werden; auch möge in dem dort erläuterten Sinne des 
Wortes $, zum Exponenten v,, d, zum Exponenten v, u.s, f£. 
gehören. 


Erweitert man den Begriff der Äquivalenz für die idealen 
Zahlen in » dahin, dafs f’(w) und f”(w) als „relativ äquivalent“ 
angesehen werden, wenn im engeren Sinne die Äquivalenz: 


Fe) O8 PL).f'(«) 


stattfindet, so existirt nach dem Inhalte des $. 1 auch ein System 
fundamentaler idealer Zahlen: 


Jı(e@) ; F: (») ’ F: (») » 009 


welche im Sinne der relativen Äquivalenz resp. zu den Exponen- 
ten n,,n3,n;,... gehören. Hiernach sind die sämmtlichen im 
ursprünglichen engeren Sinne des Wortes unter einander nicht 
äquivalenten Zahlen /(w) in dem Ausdrucke: 


Pi ()* 1 Sn (w)@ı B P2(e)*2. fr (w)@2. PD GO) 32h (z)®3 Br 


enthalten, wenn man darin den Exponenten «, a der Reihe nach 
die Werthe: 

eu —1,2,...01 5.8 —1,;,2,...05 5 etc. 

a 2en, aa — 1,02, Jun; etc: 
beilegt. Die Klassenzahl für die complexen Zahlen f(w) ist also, 
wenn: 


Nn=N,.N2.N3 eo, v—Vj1.V9.V5 te 


gesetzt wird, genau gleich n.v, und jeder dieser beiden Faktoren 
n und v hat auch für sich die Bedeutung einer Klassenzahl. 
[1870] | 61 


8835 Gesammtsitzung 


Nach der obigen Definition der Zahlen $ (2) ist jede dersel- 
ben der Partialnorm einer Zahl /(w) äquivalent, und es sei dem- 


gemäls: 


Pı (la) fon) . 


Auf Grund der festgesetzten Bedeutung von n, muls andrerseits 
eine ideale Zahl (>) existiren, für welche 


end ® Plen) 


ist und also, wenn auf beiden Seiten die Partialnorm gebildet wird: 
n » m 
PO dl". 


Ist nun der grölste gemeinsame Theiler von m und v, und er- 
hebt man die Ausdrücke auf beiden Seiten der Aquivalenz zur 


I 
1 ° 9 : © SR o o 
Potenz: —, so wird die rechte Seite der Einheit äquivalent, weil 


+ 


mv 


der Exponent: ein ganzes Vielfache von v, ist. Es muls 


demnach auch die linke Seite der Einheit äquivalent also auch: 


Nnı vı a Er 
ein Vielfaches von v, d.h. 


b 


n, durch r theilbar 


sein. Da ferner nach Inhalt des $.1 die Zahl v keine andern 
Primfaktoren enthält als v,, so mufs die Zahl n, und folglich 
auch die durch n, theilbare Zahl n jeden Primfaktor enthalten, 
welcher den beiden Zahlen m und v gemeinsam ist. Die hiermit 
erlangten Sätze lassen sich folgendermalsen aussprechen: 


Es sei » Wurzel einer irreduktibeln Gleichung mten 
Grades, deren Coöfficienten ganze complexe Zahlen ® (2) 
sind, wobei der Ausdruck „irreduktibel“ also im Sinne 
eben dieser complexen Zahlen zu verstehen ist. Als- 
dann ist die Klassenzahl für complexe Zahlen /(»), 
welche die Zahlen ıp(z) mit in sich begreifen, ein Pro- 
dukt zweier Faktoren, von denen der eine die Klassen- 
zahl für die Zahlen (p(>) bedeutet. Jeder in diesem 


Faktor enthaltene Primtheiler von m ist auch in dem 1 


andern Faktor enthalten. Wenn es ferner ideale (nicht 


vom 1. December 1870. 889 


wirkliche) Zahlen «(g) giebt, deren mte Potenz wirk- 
lich ist, so giebt es auch unter denjenigen idealen Zah- 
len f(»), welche keiner Zahl P(e) Äquivalent sind, sol- 
che, deren mte Potenz einer Klasse der Zahlen Ple) 
angehört. Ist endlich d irgend ein Divisor von m, 
für welchen eine ideale Zahl P(e) zur dten Potenz er- 
hoben wirklich wird, ohne dafs dies schon für eine nie- 
drigere Potenz der Fall wäre, so giebt es auch ideale 
Zahlen ff), die so beschaffen sind, dafs die dte Po- 
tenz derselben, aber keine niedrigere, einer der idealen 
Zahlen p(g) äquivalent wird. 


Die angegebenen Sätze lassen sich unmittelbar auf die ans 
Wurzeln der Einheit gebildeten complexen Zahlen anwenden, wenn 
man für w eine primitive Wurzel der Gleichung &° = 1 und für 
e eine der Perioden nimmt, welche aus den Wurzeln dieser Glei- 
chung gebildet werden können. Die Gliederzahl der Perioden ist 
alsdann gleich dem oben mit m bezeichneten Grade einer irreduk- 
tibeln Gleichung, deren Wurzeln gewisse Potenzen von w, deren 
Coöfficienten aber rationale Functionen einer Periode e sind, und 
der Fall des im Eingang erwähnten Kummerschen Satzes tritt ein, 
wenn für ?. eine Primzahl und m = 2 angenommen wird. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
Jahrbuch der K. K. Geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1870. 20. Bd. 
Wien 1870. 8. 
Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen naturwissenschaftlichen Ge- 
sellschaft während des Vereinsjahres 1868—69. St. Gallen 1869. 8. 
C. G. Homeyer, Die Haus- und Hofmarken. Berlin 1870. 8. 
Colnet d’Huart, Memoire sur la theorie malhematique de la chaleur et 
de la lumiere. Luxembourg 1870. A. 
Colding, Extrait d'un Memoire sur les lois des courants. (Copenhague 
ro 
Memorie del veale Istituto veneto. XV... 1. VMenezia2.1870. 4. 
61 


890 Gesammtsitzung vom 8. December 1870. 


Atti del reale Istituto veneto Disp. 7—9. Venezia 1869—70. 8. 

Journal and Proceedings of the Asiatie Society of Bengal. Calcutta, Mai 
— June 1870. 8. 

Transactions of the Edinburgh Geological Society. Vol. I, 3. Edinburgh 
1870. 8 

Silliman, Journal of science. no. 147. New Haven 1870. 8. 


5.December. Sitzung der physikalisch-mathemati- 
schen Klasse. 


Hr. Reichert las eine Fortsetzung seiner am 4. August ge- 
lesenen Abhandlung über das Skelett der Wirbelthiere, namentlich 
über Myxinoiden, Leptocephaliden, knorpliche Ganoiden, Protopte- 
rus anguilliformis und über Chimären. 


8. December. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Droysen las über die Lage der Politik im Anfange des 
ersten schlesischen Krieges. 


EEE Se ae ie 


en 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Ferd. Römer, Geologie von Oberschlesien. Mit Atlas. Breslau 1870. 
8. Mit Begleitschreiben des Verfassers v. 30. Nov. 1870. 

Atti della accademia delle scienze di Torino. Vol. 5. Torino 1869. 8. 

Publications de la section historique de U’Institut de Luxembourg. Vol. 25. 
Luxembourg 1870. 4. 

Bulletino meteorologico ed astronomico dell’ universita di Torino. Anno 
IV. Torino 1869. 4. | R 


10 


Gesammtsitzung vom 15. December 1870. 891 


15. December. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Roth las über die Lehre vom Metamorphismus und die 
Entstehung der krystallinischen Schiefer. 


Hr. Kummer trug folgende von den Hrn. Dr. Felix Klein 
in Düsseldorf und Dr. Sophus Lie in Christiania ihm zugegan- 
gene Mittheilung vor: 


Über die Haupttangenten-Curven der Kummerschen 
Fläche vierten Grades mit 16 Knotenpunkten. 


Die Kummersche Fläche vierten Grades mit 16 Knotenpunk- 
ten ist bekanntlich’) für einfach unendlich viele Complexe des 
zweiten Grades Sigularitätenfläche, d. h. diejenige Fläche, welche 
der geometrische Ort ist für solche Punkte, deren Complexkegel 
in zwei Ebenen zerfallen ist, oder, was auf dasselbe hinauskommt, 
die umhüllt wird von solchen Ebenen, deren Complex-Ourve sich 
in zwei Punkte aufgelöst hat. Die Betrachtung dieser Complexe 
zweiten Grades führt fast unmittelbar zu der Bestimmung der 
Haupttangenten-Curven der Fläche, wie im Nachstehenden gezeigt 
werden soll. 

1. Aus der einfach unendlichen Zahl der zu der Fläche ge- 
hörigen Complexe zweiten Grades heben wir einen heraus. 

Die demselben innerhalb einer Tangentialebene der Fläche 
entsprechende Complex-Curve hat sich in zwei Punkte aufgelöst. 
Diese beiden Punkte sind diejenigen, in denen die in der Tangen- 
tialebene enthaltene Durchschnitts-Curve vierter Ordnung mit der 
Fläche von einer bestimmten, durch den Berührungspunkt gehen- 
den Geraden, die dessen zugeordnete singuläre Linie genannt wird, 
noch aufser in diesem Berührungspunkte geschnitten wird. 


I) cf. Pluecker: Neue Geometrie des Raumes, gegründet auf die Be- 
trachtung der geraden Linie als Raumelement. (B. G. Teubner 1868, 69.) 
n. 310 ff. Vergl. auch, hier und im Folgenden, Klein: Zur Theorie der 


- Complexe des ersten und zweiten Grades. Math. Ann. II, 2. 


892 Gesammtsitzung 


Man kann nun nach denjenigen Punkten der Fläche fragen, 
deren zugeordnete singuläre Linie eine Haupttangente der Fläche 
ist. Die übrigen Tangenten der Fläche in einem solehen Punkte 
gehören offenbar auch dem Complexe an. Andererseits sind diese 
Complexgeraden die einzigen, welche die Fläche berühren, ohne 
zugleich singuläre Linien des Complexes zu sein. Betrachten wir 
nun in einer beliebigen Ebene den Complex-Kegelschnitt und die 
Durchschnitts-Curve vierter Ordnung mit der Fläche. Dieselben 
berühren sich in vier Punkten, und die Tangenten in diesen Punk- 
ten sind die in der Ebene gelegenen singulären Linien.') Aufser 
diesen doppelt zu zählenden Tangenten haben die beiden Curven, 
als bez. von der 2ten und der 12ten Classe, noch 16 Tangenten 
gemein. Die Berührungspunkte derselben mit der Durchschnitts- 
Curve vierter Ordnung sind Punkte der gesuchten Beschaffenheit. 

Die Punkte der Kummerschen Fläche, deren zuge- 
ordnete singuläre Linien Haupttangenten der Fläche 
sind, bilden also eine Curve der l16ten Ordnung. 

2. Die so bestimmte Curve ist nun eine Haupttan- 
genten Curve der Fläche. 

Zum Beweise bemerken wir zunächst, dafs zwischen den durch 
eine Complexlinie, — welche nur keine singuläre Linie sein darf, — 
hindurchgelegten Ebenen und den Berührungspunkten der in den- 
selben enthaltenen Complex-Curven mit der Linie projectivisches 
Eintsprechen Statt findet. Hieraus schliefst man, dafs einer unend- 
lich kleinen Verschiebung des Punktes auf der Linie eine Drehung 
der Ebene entspricht, deren Gröfse von derselben Ordnung des 
Unendlich-Kleinen ist. 

Nun ist die Verbindungslinie zweier consecutiver Punkte der 
eben bestimmten Curve eine Complexlinie, ohne zugleich singuläre 
Linie desselben zu sein. Die beiden Tangentialebenen in den bei- 
den Punkten enthalten dem Complexe angehörige Strahlbüschel, 
deren Scheitel diese Punkte sind. Die beiden Tangentialebenen 
sind also zwei Ebenen, deren Complex-Curven die angenommene 
Tangente in zwei consecutiven Punkten berühren. Hieraus folgt, 
nach der vorstehenden Bemerkung, dafs, wenn man auf der Curve 


!) Pluecker: Neue Geometrie. n. 318. 


ee ES RE 


Er EN 


vom 15. December 1870. 893 


fortschreitet, die Tangentialebene der Fläche sich um die Tangente 
der Curve dreht. 

Das aber ist die characteristische Eigenschaft der Haupttan- 
genten-Curven einer Fläche; unsere Behauptung ist also erwiesen. 

Da der Begriff der Haupttangenten-Curve, sowie der des Com- 
plexes, sich selbst dualistisch ist, folgt, dafs die dualistisch entge- 
genstehenden Singularitäten der Curve einander gleich sind. Ins- 
besondere ist ihre Olasse gleich ihrer Ordnung, also 
gleich 16. 

Da ferner die Curve sich selbst dualistisch in einziger Weise 
durch den Complex bestimmt ist, geht sie, wie dieser, durch ein 
System linearer, sowie reciproker Transformationen in sich über.') 
Man schliefst hieraus eine Reihe von Eigenschaften derselben, die 
wir hier nicht weiter verfolgen können. 

38. Auf die auseinandergesetzte Weise erhalten wir einem je- 
den der einfach unendlich vielen Complexe zweiten Grades, die 
zu derselben Kummer’schen Fläche gehören, entsprechend eine 
Haupttangenten-Curve. Hiermit hat man aber alle Haupttangen- 
ten-Curven, wofern nicht etwa Umhüllungs-Curven derselben exi- 
stiren, da man für jeden Punkt der Fläche einen der Complexe 
angeben kann, ‘der die eine oder die andere der beiden Haupttan- 
genten in demselben zur singulären Linie hat. 

Unter den zu der Fläche gehörigen Complexen zweiten Gra- 
des befinden sich sechs, doppelt zu zählende, lineare Complexe. 
Als die singulären Linien derselben sind die Doppeltangenten der 
Fläche anzusehen, so zwar, dals jedem der sechs Complexe eines 
der sechs von den Doppeltangenten gebildeten Systeme angehört. 
Entsprechend diesen Complexen gibt es sechs ausge- 
zeichnete Haupttangenten-Gurven. Dieselben sind, wie sich 
durch dieselben Betrachtungen ergibt, durch die wir Ordnung und 
Classe der allgemeinen Curve bestimmt haben, nur noch von der 
Sten Ordnung und der Sten Ülasse. 

3. Wir gehen jetzt dazu über, die Singularitäten der Haupt- 
tangenten-Curven zu bestimmen. Hierzu gelangen wir, indem wir 
der allgemeinen "Theorie solcher Curven die folgenden Sätze ent- 
lehnen. 


1!) c£. die bereits citirte Abhandlung: Zur Theorie etc. n. 13. 


894 Gesammtsitzung 


Die Haupttangenten-Curven einer beliebigen Fläche haben in 
den Knotenpunkten derselben Spitzen. 

Überhaupt haben sie Spitzen in den Punkten der parabolischen 
Curve, vorausgesetzt, dafs diese nicht selbst Haupttangenten-Curve 
ist. In dem letzteren Falle ist sie Umhüllungs-Curve für die übri- 
gen Haupttangenten-Curven. Dies gilt besonders, wenn die para- 
bolische Curve aus ebenen Berührungs-Curven besteht. 

Ferner haben die Haupttangenten-Curven in den Durchschnitts- 
punkten mit der Curve vierpunktiger Berührung stationäre Tangen- 
ten, wofern die Curve vierpunktiger Berührung nicht zugleich pa- 
rabolische Curve ist, was eine besondere Betrachtung verschiedener 
Fälle verlangt, die wir hier nicht nöthig haben. 

Endlich können die Haupttangenten-Curven aufser in den an- 
gegebenen Fällen keine Spitzen und keine stationären Tangenten 
haben. 

In unserem Falle hat man 16 Knotenpunkte, in denen also 
die Haupttangenten-Curven Spitzen haben. 

Die parabolische Curve, welche von der 32ten Ordnung sein 
mufs, besteht aus den 16 Berührungskegelschnitten in den 16 Dop- 
peltangentialebenen der Fläche. Sie ist also Umhüllungs-Curve der 
Haupttangenten-Curven. Die 16 Ebenen sind dabei stationäre Ebe- 
nen dieser Ourven, wie dies überhaupt die Ebenen ebener Berüh- 
rungs-Öurven sind. 

Man überzeugt sich nun leicht, dafs die Haupttangenten-Cur- 
ven in jedem Knotenpunkte nur eine Spitze haben und nur je ein- 
mal die Doppeltangentialebenen stationär berühren. Die Curve 
kann nämlich mit der Doppeltangentialebene nur 16 Punkte ge- 
mein haben; 4 davon kommen auf die stationäre Berührung, und 
12 auf die 6 Spitzen in den 6 in der Ebene liegenden Knoten- 
punkten. 

Die Haupttangenten-Curven haben hiernach 16 (in 
die Knotenpunkte der Fläche fallende) Spitzen und 16 
(mit den Doppeltangentialebenen derselben identische) 
Stationäre Ebenen. 

Die Curve vierpunktiger Berührung besteht in unserem Falle 
einmal aus den 16 Berührungs-Kegelschnitten, die hier nicht wei- 
ter in Betracht kommen, da sie schon erledigt sind. Andererseits 
besteht sie aus den sechs ausgezeichneten Haupttangenten-Curven 
Ster Ordnung, die den 6 linearen Complexen angehören. Es geht 


Sn 5 


vom 15. December 1870. 895 


dies daraus hervor, dafs die singulären Linien dieser Complexe, 
wie schon angeführt, Doppeltangenten der Fläche sind. Weitere 
Curven umfafst die Curve vierpunktiger Berührung nicht, da die 
aufgezählten zusammen die richtige Ordnung, 80, besitzen. 

Wir müssen jetzt die Zahl der Durchschnittspunkte einer 
‚ Haupttangenten-Curve mit den 6 ausgezeichneten bestimmen. 

Diese Durchschnittspunkte sind dadurch characterisirt, dafs 
die vierpunktig berührende Haupttangente eine Linie des Com- 
plexes zweiten Grades ist, dem die gegebene Haupttangenten-Curve 
zugehört. Die in den Punkten einer der 6 Curven vierpunktig 
berührenden Haupttangenten bilden aber eine Linienfläche von der 
Sten Ordnnng, da der vollständige Durchschnitt derselben mit der 
Kummerschen Fläche aus der gewählten Curve besteht, welche 
vierfach zählt. Mit einer solchen Fläche hat aber der Complex 
zweiten Grades 16 Linien gemein. Man erhält also, jeder der 6 
Ourven entsprechend, 16 Durchschnittspunkte. Wir haben somit 
den Satz: | 

Die Haupttangenten-Curven haben 6.16 — 96 statio- 
näre Tangenten. 

Fügen wir noch hinzu, dafs die Haupttangenten-Curven kei- 
nen wirklichen Doppelpunkt und also auch keine wirkliche Dop- 
pel-Osculationsebene besitzen können, da in keinem Punkte der 
Kummer’schen Fläche, der nicht auf der parabolischen Curve liest, 
die beiden Haupttangenten demselben Complexe als singuläre Li- 
nien angehören, so können wir die sämmtlichen Singularitäten der- 
selben, von denen die dualistisch entgegenstehenden gleich sind, 
ohne Weiteres bestimmen. Insbesondere finden wir: den Rang 
— 48, die Zahl der scheinbaren Doppelpunkte —= 72, die Ordnung 
der Doppelcurve der Developpable = 952, das Geschlecht —= 17. 

5. Für die 6 ausgezeichneten Haupttangenten-Curven wird 
die Zahl der Spitzen und stationären Oseulations-Ebenen gleich 
Null. Eine solche Curve geht nämlich durch jeden der Doppel- 
punkte einfach hindurch und hat in ihm eine der 6 ihn enthalten- 
den Doppeltangentialebenen zur Osculationsebene. Man hat sich 
den stetigen Übergang zwischen den allgemeinen Curven und die- 
sen besonderen so vorzustellen, dafs die letzteren doppelt zählen 
und aus der Vereinigung je zweier in einer Spitze zusanımen- 
stolsender Zweige der übrigen entstanden sin. Darum sinkt 
Ordnung und. Classe auf die Hälfte. Hiernach mülste auch 


896 Gesammtsitzung 


der Rang halb so grofs sein, wie der der anderen, also gleich 24. 
Das aber findet man auch, wenn man die Zahl der stationären 
Tangenten berechnet. Für dieselbe kommt nämlich jetzt 40, in- 
dem die Curve jede der anderen nicht mehr 16mal, sondern, weil 
sie 2mal zählt, nur Smal schneidet, und das nicht 6mal, sondern 
nur 5mal geschieht. 

Wir finden weiter: die Zahl der scheinbaren Doppelpunkte 
gieich 16, die Ordnung der Doppelcurve der Developpable gleich 
200, das Geschlecht gleich 5. 

6. Wie man sich die Auf- 
einanderfolge der Haupttangen- 
ten-Curven zu denken hat, ist 
in der nebenstehenden Zeichnung 
für den Fall, dafs die 6 zuge- 
hörigen linearen Complexe reell 
sind, schematisch dargestellt. 

In diesem Falle haben näm- 
lich die Theile der Fläche, für 
welche die Haupttangenten reell 
werden, die Gestalt eines von 
zweiKegelschnittstücken begränz- 
ten Segmentes, das sich von ei- 
nem Knotenpunkte nach einem 
anderen hinzieht. Die beiden be- 
sränzenden Curvenstücke gehö- 
ren den Berührungskegelschnit- 
ten in denjenigen beiden Doppel- 


tangentialebenen der Fläche an, 
welche beide Knotenpunkte zu- 
gleich enthalten. 

Innerhalb eines solchen Segmentes verlaufen nun zunächst 
zwei der sechs ausgezeichneten Haupttangenten-Curven. Dieselben 
gehören denjenigen zwei der sechs linearen Gomplexe an, denen 
in den zwei Knotenpunkten, zwischen denen sich das Segment er- 
streckt, die beiden dasselbe begränzenden Doppeltangentialebenen 
entsprechen. Die betreffenden Curven sind in der Figur stärker 
ausgezogen. Dieselben haben eine Sförmige Gestalt. Sie ziehen 
sich von dem einen Knotenpunkte zu dem anderen hin, indem sie 
in jedem eine der beiden Begränzungs-Curven berühren. Aufser 


| 
| 
| 


vom 15. December 1870. 897 


in den beiden Knotenpunkten schneiden sich dieselben in einem 
beiden gemeinsamen Wendepunkte, der den Mittelpunkt der Zeich- 
nung bildet. — Übrigens setzen sich diese Curven über die beiden 
Knotenpunkte hinaus auf weitere, ähnlich gestaltete Segmente der 
Fläche fort. 

Von den übrigen Haupttangenten-Curven, deren drei gezeich- 
net sind, weils man, dafs sie in den Knotenpunkten eine Spitze 
haben, dafs sie jeden der beiden begränzenden Kegelschnitte ein- 
mal berühren, und dafs sie dort, wo sie, aufser in den beiden 
Knotenpunkten, die beiden ausgezeichneten Curven treffen, einen 
Wendepunkt besitzen. Hiernach wird es leicht sein, ihrem Ver- 
laufe in der Figur zu folgen. 


(. Die im Vorstehenden gegebene Bestimmung der Haupt- 
tangenten-Curven der Kummer’schen Fläche, welche wir an die 
Betrachtung der zugehörigen Complexe zweiten Grades geknüpft 
haben, kann noch unter einem anderen Gesichtspunkte gefalst wer- 
den, indem man von einem der sechs unter denselben befindlichen 
linearen Complexe ausgeht. Die Fläche ist nämlich Brennfläche 
eines diesem Complexe angehörigen Strahlensystems: des einen 
Systems ihrer Doppeltangenten. Wir wollen nun zeigen, dafs 
das Problem: die Haupttangenten-Curven auf der Brenn- 
fläche eines einem linearen Complexe angehörigen 
Strahlensystems zu bestimmen, identisch ist mit dem 
anderen: die Krümmungs-Curven einer gewissen Flä- 
che zu finden. In unserem Falle wird diese Fläche die Fläche 
vierter Ordnung, welche den unendlich weit entfernten imaginären 
Kreis doppelt enthält; und da man deren Krümmungs-Curven kennt, 
so erhält man eine Bestimmung der Haupttangenten-Curven der 
Kummer’schen Fläche, die natürlich mit der oben gegebenen über- 
einstimmt. 

Man beziehe nämlich die Linien des gegebenen linearen Com- 
plexes eindeutig auf die Punkte des Raumes, indem man, vermöge 
der gegebenen linearen Gleichung und der zwischen den Linien- 
Coordinaten bestehenden Identität zwei der sechs Linien-Coordina- 
ten, die sich auf zwei sich schneidende Kanten des Tetraöders be- 


898 Gesammtsitzung 


ziehen, als Functionen der vier übrigen auffalst und diese letzte- 
ren als Punkt-Coordinaten interpretirt.') 

Man findet, dafs dann allen Linien des Complexes, welche 
durch einen Punkt hindurchgehen, die Punkte einer geraden Linie 
entsprechen, und dafs diese gerade Linie einen festen Kegelschnitt 
schneidet, der für die Abbildung fundamental ist. Das Strahlen- 
system, welches dem linearen Complexe mit einem Complexe nten 
Grades gemein ist, bildet sich ab als Fläche 2nten Grades, wel- 
che den Kegelschnitt nfach enthält. Insbesondere ist das Bild 
einer geraden Linie, d. h. der dieselbe schneidenden Complexlinien, 
eine Fläche zweiten Grades, die durch den Kegelschnitt geht. 

Wir wollen fortan für den fundamentalen Kegelschnitt den 
unendlich weit entfernten imaginären Kreis wählen, so dafs also 
das Bild einer geraden Linie eine Kugel wird. 

Sei jetzt eine beliebige Fläche gegeben und auf derselben eine 
Krümmungs-Curve. Die Fläche ist das Bild eines dem linearen 
Complexe angehörigen Strahlensystems, die Curve das Bild einer 
in demselben enthaltenen geradlinigen Fläche. Wir behaupten, 
dafs diese geradlinige Fläche die Brennfläche des Strah- 
lensystems nach einer Haupttangenten-Öurve berührt. 

Zum Beweise bemerken wir zunächst, dafs, rückwärts, das 
Bild dieser Brennfläche dasjenige Strahlensystem ist, dessen Linien 
gleichzeitig die gegebene Fläche berühren und den unendlich weit 
entfernten imaginären Kreis schneiden. Einer jeden geraden Linie, 
welche die Brennfläche berührt, entspricht hiernach eine die gege- 
bene Fläche berührende Kugel. Imsbesondere entspricht einer 
Haupttangente eine stationär berührende Kugel. 

Eine der beiden in einem beliebigen Punkte der Krümmungs- 
Curve stationär berührenden Kugeln enthält aber drei consecutive 
Punkte der Krümmungs-Curve. Also schneidet eine der beiden 
Haupttangenten der Brennfläche in einem Berührungspunkte mit 
der umgeschriebenen Linienfläche drei consecutive Erzeugende der- 
selben, mit anderen Worten, ist eine Haupttangente auch der letz- 
teren. 


1) Dieses Abbildungsverfahren ist bereits gelegentlich von Hrn. Nöther 
angegeben worden: Zur T’heorie der algebraischen Functionen mehrerer com- 
plexer Veränderlichen. Gött. Nachrichten 1869. 


vom 15. December 1870. 899 


Man hat aber allgemein den Satz: Wenn zwei Flächen sich 
nach einer Curve berühren und in jedem Punkte dieser Curve ist 
ihnen eine Haupttangente gemeinsam, so ist die Curve eine Haupt- 
tangenten-ÖOurve. 

Damit ist unsere Behauptung erwiesen. 

Wenn man nun insbesondere für die gegebene Fläche eine 
Fläche vierter Ordnung nimmt, die den unendlich weit entfernten 
imaginären Kreis doppelt enthält, — eine solche ist das Bild eines 
dem linearen Complexe angehörigen Strahlensystems zweiter Ord- 
nung und Olasse, — so erhält man auf diesem Wege die Haupt- 
tangenten-Öurven der Kummer’schen Fläche, welche die Brennfläche 
eines solchen Strahlensystems ist. 


> 


Die in der letzten Nummer enthaltenen Betrachtungen sind es 
gewesen, durch die der Eine von uns (Lie)'!) zuerst zu der Be- 
merkung geführt wurde, dafs die Haupttangenten-Curven der Kum- 
merschen Fläche algebraische Curven der 16ten Ordnung sind; 
hierauf fand der Andere (Klein) die Beziehung dieser Curven zu 
den Complexen zweiten Grades, die zu der Kummerschen Fläche 
gehören, und bestimmte, ‚wie im Vorstehenden auseinandergesetzt 
ist, ihre Singularitäten. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


J. Muir, Original - Sanskrit- Texte. Vol. 1. 3. 4. 5. London 1863 — 
1370. 8. 


1) vergl. Lie: Über eine Classe geometrischer Transformationen. Be- 
richte der Akademie zu Christiania. 1870. 


900 Gesammtsilzung 


19. Decemb. Sitzung der philosophisch-historischen 
Klasse. 


Hr. Trendelenburg las: Zur Geschichte philosopbischer 
Termini. Zweiter Beitrag: Moralische Gewilsheit. 


22. December. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Bonitz las: Bemerkungen über Platons Charmides. 


Hr. W. Peters legte eine monographische Übersicht 
der Chiropterengattungen Nycteris und Atalapha vor. 


v 


I. Nrereriss Geoffroy. 


1803. Nycteris Geoffroy, Desmarest Nouv. dict. d’hist. nat. XV. p. 501. 

1809. Nyctere Geoffroy St. Hilaire, Deser. de U’ Egypte. Hist. Nat. Mammi- 
‚feres. Planche 1. | 

1811. NycterisGeoffroy, Illiger Syst. mamm. et avium. p. 119. 

1813. Nycteris GeoffroySt.Hilaire, Descer. Mammif. en Egypte. p.113; Ann. 
du Mus. XX.p.11. 

1838. Nycteris et Petalia Gray, Magazine of Zoology and Botany. Il. p. 494. 

1866. Nycteris, Nycterops et Pelatia Gray, Proc. Zool. Soc. Lond. p. 83. 


Die Organisation der hierher gehörigen Arten ist sehr überein- 
stimmend, die Verbindungshaut der Ohren immer vorhanden, nur mehr 
oder minder deutlich, und kann daher aus dem Fehlen oder Vorhanden- 


sein derselben ebensowenig wie aus der blofsen Länge der Ohren 


vom 22. December 1870. 901 


ein Character zur Unterscheidung mehrerer Gattungen entnommen 
werden, wie dieses von Hrn. Dr. J. E. Gray versucht worden 
ist. Es sind viel mehr Arten aufgestellt worden, als in der Natur 
vorhanden sind und die sehr verwickelte Synonymie zu entwirren 
würde mir ohne Untersuchung der meisten Originalexemplare nicht 
möglich gewesen sein. Gebifs stets = T ra os Die verschie- 
dene Entwickelung des zweiten unteren Praemolarzahns bietet ein 


beachtenswerthes Merkmal zur Unterscheidung der Arten dar. 


a. Ohren so lang oder kaum länger als der Kopf, 
obere Schneidezähne dreilappig. 


l. Nycteris hispida. (Taf. Fig. 1, 2.) 
1759. Campagnol-volant, Daubenton, Mem. de U’ Acad. Roy. des 
Scienc. Paris. p.388. 
1763. No. DEDIX. Autre chauve-souris, Daubenton, Buffon Hist. 
“nat. X.p.88. Taf. 20. Fig. 1.2. 
1775. Vespertilio hispidus Schreber, Säugethiere. I. p.169.190. 
Taf. LVI (cop. Daubenton). 
1788. Vespertilio hispidus Gmelin, Linne Syst. nat. ed. XIIL I. 
p- 48. 
1813. Nyeteris Daubentonü, Geoffroy St. Hil aire, Deser. des 
Mammif. Egypte. p-113; Ann. Mus. XX. p.19. 
1820. Nycteris Daubentoniü, Desmarest, Mammalogie. p.128. 
1343. Ithinolophus Martini Fraser, Proceed. Zoolog. Soc, Lond. 
p. 25. 


1843. Nyeteris Poensis Gray, Cat. Mamm. Brit. Mus. p.24 (no- 

{ men!). 

1866. Nycterops pilosa Gray, Proceed. Zool. Soc. Lond. 1866. 
p. 83. (nomen!) 

Diese zuerst durch Adanson von dem Senegal nach Europa 
gebrachte Art ist später von Fraser aus Fernando Po, von der 
württembergischen Mission aus Guinea, durch Hrn. J. Un gar aus 
Accra (Guinea) nach Europa gebracht und durch den ver unglück- 
ten Hrn. Wilcke in Dongola, sowie durch Hrn. Dr. Schwein- 
furth inPort Rek (Sudan) gesammelt worden. Die Art, obgleich der 
Daubentonschen Abbildung und Beschreibung nach wohl zu erken- 
nen, ist vermuthlich deshalb verkannt worden, weil sich in der 
zootomischen Sammlung des Jardin des plantes ein Schädel einer 
Nycteris als „N. hispida“ bezeichnet befindet, welcher einer andern 


902 Gesammtsitzung 


Art, wahrscheinlich der N. thebaica, angehört, vielleicht auch mit 
dem von Daubenton |. c. p. 91 unter No. DCDXI. erwähnten 
identisch ist, während das Originalexemplar von N. hispida sich 
nicht wieder auffinden läfst. Auch Desmarest hatte sich nach 
Vergleichung von N. thebaica mit den Originalexemplaren zu den Be- 
schreibungen von No. DÜDX und DCDXI (Buffon 1. ce. p. 91) be- 
reits für die Übereinstimmung dieser Exemplare ausgesprochen. 
Ohrklappe am vordern Rande concav. 

Das männliche Exemplar, welches unsere Sammlung aus Ac- 
cra besitzt und dessen Abbildung ich hier vorzulegen mir erlaube, 
ist kaum ein wenig kleiner als die Exemplare aus dem Sudan, 
sein Gebifs aber ganz mit ihnen übereinstimmend. 


Mafse eines ausgewachsenen Exemplars aus Port Rek: 

Meter 
Fotallänger 1.0, 2. IT DEN EEE 
Kopf u. ur td a areas ren UL ee De oe 
Ohrhöhe: 1.20. EETLLIHTER A. un ae ode 
Ohrbreite 1 sale 722299 2. HR MDR DIENEN a Et 
OÖhrklappe.... „nun. 2° aOHBRIERER MEAERNTEE Re DT SE or 
Schwanz’ 0 ea EN We ee Ba eo BAUR 
Oberarm; , ea ea ee ee RO 
Vorderarm ..-.. 000 20 er a ne ee 
L.1.E. Mh, 0.00535,-1:Gl. 0,0042; 72G]. 0,0022... 0... an a2 2 oe 


L. 2:E25 - 0503655, > 4.050. use nee ae ie een a ans 
L.3.E. - 00355 - 0,0223; > 20,0215;,, K:p1:0,0035 
L.4.F. - 0,0335 -.1.20,0125 5 = + 30500875) ©... 0,001 
L.5.EF. - 0,0855 ° =  20,01955 - 0.0098, =. 10,9018 


Oberschenkehb 355 „mu Ra Ne. RE eo 
Unterschenkel: .-. u. man. 0 
False ra 2 ERDE OSTEN A BEE EN SEO 01 


Sporn ° e ® ® o . o . o . o @ . o o D o o 0,017 


2. Nycteris villosa Ptrs. (Fig. 3.) 
1852. Nycteris villosa Peters, Reise nach Mogambique. Säuge- 
thiere. p.48. Taf. xı. | 
Diese Art ist äufserst nahe verwandt mit der vorhergehenden, 
unterscheidet sich aber, abgesehen von einigen geringeren Merkma- 
len, durch die stärkere und weiter ausgedehnte Behaarung der 


vom 22. December 1870. 903 


Flughäute und merklichere Gröfse des zweiten untern falschen 
Backzahns. 

Das bisher noch immer einzige Exemplar von meiner Samm- 
lung (Mus. Zool. Berol. Mammalia. No.394) stammt, wie ich angege- 
ben habe, aus Inhambane, in Südostafrika. 


b. Ohren auffallend länger als der Kopf, obere 
Schneidezähne zweispitzig. 


% Der zweite untere Praemolarzahn sehr klein und ganz 
nach innen gedrängt. 


3. Nyeteris thebaica Geoffroy. (Fig. 4.) 

1809. Nyctere de la Thebaide, Geoffroy St. Hilaire, Descript. 
del’ Egypte. Mammiferes. Pl. 1. Fig. 2, Pl.4. Fig.1, 1‘, 1“. 

1813. Nycteris thebaicus Geoffroy St. Hilaire, Descngt de 
U’ Egypte. Hist. Nat. Mammif. p.119; Mem. du Museum. XX. 
p- 20. 

1820. Nycteris Geofroyi Desmarest, Mammalogie. p. 127. 

1839. Nycteris hispida Blainville, Osteographie. Taf. vn. 

1840. Nycteris thebaica et albiventer Wagner, Schreber Säugethie- 
re. Suppl. I. p.439. 

1855. Nycteris thebaica (Geoffroy) Wagner, Sdugethiere. p.645. 

1861. Nycteris labiata Heuglin, Beitr. zur Fauna der Sdäugethiere 

'ordost- Africas. p.5. (Acad. Leop. Carol. Vol. XXIX.) 


Aegypten, Abyssinien (Keren). 


4. Nycteris angolensis n. sp. (Fig. 5.) 

Durch die Güte des Hrn. Barboza du Bocage habe ich 
verschiedene Exemplare einer Nyeteris zur Untersuchung erhalten, 
welche ich für identisch mit N. fuliginosa aus Mogambique gehal- 
ten habe.') Eine genauere Untersuchung hat mir aber gezeigt, 
dafs, obgleich sie in der Färbung mehr mit dieser letztern über- 
einstimmt, sie durch die Entwicklung des kleinen zweiten untern 
falschen Backzahns und aueh durch eine etwas geringere Länge 
des Sporns der N. thebaica näher steht und dafs sie von dieser 
nur durch eine etwas stärkere Entwickelung dieses äulserst kleinen 


!) ef. Jornal de Sciencias mathem. phys. e nat. Acad. R. Scienc. Lisboa. 
1870. No.X. p. 123, 


[1870] 62 


904 Gesammtsitzung 


Zahnes von ihr verschiedeu ist. Der Tragus zerfällt, wie gewöhn- 
lich, in zwei Abtheilungen und die obere abgerundete Abtheilung 
hat, wie bei N. thebaica und capensis, den vordern Rand convex. 


Fotallänge?. _.. >.’ 2. SEEN. BES REER Zune Er 
Kopf A ae 3) ra ses 
Ohrhöhe re ae la, re En 51 2 
Ohrbreiter 200200 wg RE ee 
Ohrklappe = u 20 SW ae Eee 
Schwanz: ı_sincHh adar adesralemerı tk Dre: 
Oberarm 000 ren She a u EEE 


Vorderarm  . .. » fahrt) FEorTianr ri 
L.1.F. Mh. 0,0058; 1 Gl.0,005; 2 Gl. 0,002 . . 
L.2. FE. -:7.0,0405 0er 
I. 3: RE 050368571 = 105026400) 00,020 Kpk 
L.A4.F. = 0,038; = 0,01 Nora We 
LH]. -7°.0,038;5 - 0,0155 =>  0,01255 - 


Oberschenkel® 2. mu Ben wer 
Unterschenkel « ..... 1 mn ae De re. 
Bultrr 2 9 Vo ee ten. ee ee ee 
SPOLT' 4 an laufe le ee ae ae: 


Meter 
0,113 
0,0195 
0,030 
0,020 
0,008 
0,066 
0,023 
0.045 
0,013 
0,0415 


0,023 
0,023 
0,012 
0,017 


Diese Art ist in Caconda, Biballa und Rio Coroca von 


Hrn. Anchieta gefunden worden. 


ß. Der zweite untere Praemolarzahn klein und iin der Zahn- © 


reihe zwischen dem ersten und dem ersten Molarzahn zu- 


sammengedrückt, mehr entwickelt an der inneren alsan 


der äufseren Seite der Zahnreihe. 


5. Nycteris capensis Smith. (Fig. 6.) 


1829. Nycteris capensis et affınis Smith, The zoological Journal. 


IV. p.434. 


1840. Nycteris discolor Wagner, Schreber Säugethiere. Suppl. 1. 


p. 440. 


Die geringen Farbenunterschiede ebenso wie die geringere oder 
gröfsere Länge des letzten Schwanzgliedes und die Verschiedenheit der 
Ohrengröfse innerhalb der angegebenen Grenze, sowie endlich derleicht 
bei der Präparation der zarten Zwischenkiefer entstehende Zwischen- 


raum zwischen den obern Schneidezahnpaaren bilden durchaus keine 


vom 22. December 1870. 905 


unterscheidenden Merkmale und das Gebifs ist vollkommen überein- 
Stimmend. Dafs auch die Exemplare aus der Ecklon’schen Samm- 
lung, nach denen Wagner seine N. discolor aufstellte, durchaus 
nicht hiervon verschieden sind, davon habe ich mich durch directe 
Vergleichung derselben überzeugt. 

Im Innern Südafrikas (Kafferland) und in Port Natal. 


6. Nycteris damarensis n. sp. (Fig. I) 


Aus dem Damaralande haben das Berliner, das Stockholmer 
und das British Museum Exemplare einer Nycteris erhalten, wel- 
che der capensis Smith äufserst nahe steht, durch die ganz 
schneeweilse Unterseite, ohne bräunliche Schattirung an der Seite 
der Brust vor der Schulter, auffällt und sich durch eine etwas stär- 
kere Entwickelung des kleinen zweiten untern falschen Backzahns 
auszeichnet. Ich lasse dieser Art den Namen, unter welchem sie 
im British Museum und in dem Catalogue of Mammalia von 1843 
(p. 24) aufgeführt ist, obgleich sie niemals beschrieben wurde. 


Meter 
Tele. ee en 0,118 
Kope R oe a Bomb amd °...:0.0222 
Ohrlänge 0,035 
Ohrbreite 220.10000:033 
asus, a ren el ra ng “220,009 
DEDIWED ZI ER ERINNERT BDA ES 0,056 


Or aa OR a eb rusih 0,022 
Vorderarm BR EIER RAS are yualan)i 
L1.E. Mh. 0,005571:G1.:0,005572/G170,0025 0 7 sohung 0,013 
HS2E 29210 050405'0 =! 0,0 


ae, 0,040 

L.3.F. - 009725 - 0,0955 - 0,095; Kpl. 0,005 

BsAB. u 0,0085. = 0,0145) 0-2 0,0175 0 = 0,0015 

L.5.F. - 0,8085 -- 0,0175 - 001175 - 0,002 

Blue nsoltenkelsn: en. in, Mae, up nor a “0,0235 
\Unierschenlkall Po) sam a ...0,023 

aufs. 2... ; es NA re +40 0,012 00 

Sporn ne ea m a a ee 


Wir haben diese Art durch Hrn. Hahn aus Otjimbingue. 


62* 


906 Gesammtsitzung 


7. Nyteris fuliginosa Ptrs. (Fig. 8.) 
1852. Nycteris fuliginosa Peters 1.c.p.46. Taf.x. 

Diese Art schliefst sich ebenfalls zunächst an N. capensis Smith 
an, hat aber die Ohrklappe schmäler und den zweiten untern fal- 
schen Backzahn gröfser. Sie ist später von Dr. Kirk am Zam- 
beze in Shupanga und von dem Baron C. von der Decken 
an der Küste von Zanzibar wieder gefunden worden. 


y. Der zweite untere Backzahn wohl entwickelt. 


8. Nycteris grandis Ptrs. 
1865. Nycteris grandis Peters, Monatsb. Berl. Akad. d. Wissen- 
schaft. p. 358; ibid. 1866. p. 672. 

Der zweite untere falsche Backzahn erreicht nur ein Drittel 
der Grölse des ersten bei dieser riesigen Art, von welcher mir bis 
jetzt nur zwei Exemplare, ein trocknes im Leidener und ein Wein- 
geistexemplar im British Museum, beide aus Guinea, bekannt 


sind. 


9. Nycteris javanica Geoffroy. (Fig. 9.) 
1813. Nycteris javanicus Geoffroy St. Hilaire, Ann. du Mu- 
seum. XX. p.20. 
1828. Petalia javanicaGray, Mag. Zool. & Bot. II. p.494. 
1866. Pelatia javanica Gray, Proc. Zool. Soc. Lond. p.83. 

Bei dieser Art, dem einzigen bisher bekannten Repräsentanten 
der Gattung im indischen Archipel, welche auch nur auf Java 
gefunden wurde, erreicht der zweite untere Backzahn zwei Drittel 
der Gröfse des ersten- und. die Ohrklappe ist am vordern Rande 
nicht convex, sondern grade abgestutzt, Eine bogenförmige quere, 
die Basis der Ohren verbindende Haut ist aber bei ihr ebensowohl 
vorhanden wie bei den afrikanischen Arten und eine generische 
Abtrennung von denselben scheint mir durchaus nicht begründet 
zu Sein. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1—1c. Nycteris hispida Schreber. Aus Accra. Natürl. Gröfse. 
2. Unterkieferzähne von Nycteris hispida Schreber. Aus Port Rek. 
3. Dieselben von Nycteris villosa Ptrs. 


» 


” 


vom 22. December 1870. 907 


Fig. 4. Dieselben von Nycteris thebaica Geoffroy. 
9. Dieselben von Nycteris angolensis Ptrs. 

6. Dieselben von Nycteris capensis Smith. 

7. Dieselben von Nycteris damarensis’P trs. 

8. Dieselben von Nycteris fuliginosa Ptrs. 

» 9. Dieselben von Nycteris javanica Geoffroy. 


Fig. 2 bis 9 viermal vergröfsert. 


II. Araraprna Rafinesque. 


1814. Atalapha Rafinesque, Precis des decowertes et travaux somiologiques 
p.12. 

1820. Atalapha Desmarest, Mammalogie. p. 146.1) 

1838. Scotophilus-Lasiurus- Atalapha Raf. Gray, Mag. Zool. Bot. II. p.498. 

1841. Nycticejus Temminck, Monogr. Mammal. II. p. 154 (ex p.). 

1854. Atalapha Gervais, Hist. nat. Mammif. I. p.214. 

1856. Atalapha Gervais, Docum. zool. Cheiropt. Sud- Americ. p. 72. 

1857. Lasiurus Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p. 34. 

1864. Lasiurus Allen, Monograph of the Bats of North- America. p.14. 


Die Synonymie der hierher gehörigen Arten zu entwirren, ist 
äulserst schwierig und würde nur möglich sein durch eine directe 
Vergleichung der Originalexemplare, die kaum ausführbar sein 
dürfte. Anstatt, wie ich hoffte, die Zahl der aufgestellten Arten 
zu vermindern, bin ich genöthigt, dieselbe noch zu vermehren. 


!) Desmarest und nach ihm Temminck, Gervais u. A. citiren 
eine Abhandlung „Prodrom. de Somiologie“ von Rafinesque, die gar nicht 
existirt, indem derselbe wohl eine Schrift „Principes fondamentaux de Somio- 
logie“. Palerme 1814. veröffentlicht hat, worin aber der Name Atalapha gar 
nicht vorkommt. Überhaupt behalte ich den Namen Atalapha nur defshalb 
bei, weil Rafinesque ausdrücklich den V. novaeboracensis als hierher gehörig 
anführt, da die von ihm angeführten Merkmale (Mangel der Schneidezähne 
etc.) falsch sind und weil Desmarest zuerst seine Gattung unter demselben 
Namen näher begründet hat. Das Rafinesquesche Werk „Nature“, welches 
Hr. Gray für den Namen Lasiurus eitirt, habe ich nicht zu Gesicht bekom- 
men können, da es der Königl. Bibliothek fehlt. 


908 


Gesammtsitzung 


a. Schenkelflughaut ganz oder bis auf den hintersten 
Rand behaart; Backzähne: Fr Atalapha s. s. 


1. Atalapha novaeboracensis. 


1 rhrlrR 


1785. 


1792. 


1796. 


1814. 
1817. 


1843. 


1854. 


1857. 
1864. 


Vespertilio novaeboracensis Erxleben, Syst. regn. anim. 
p. 159. 

Vespertilio novaeboracensis et lasiurus Gm elin, Linn. Syst. 
nat. p. 50. 

Vespertilio lasiurus Schreber, Säugethiere. IV. p.636. Taf. 
LXIL.B, 

Vespertilio rubellus Palisot de Beauvois, Cat. Peale’s 
Mus. (fide Allen). 

Atalapha americana Rafinesque, ].c. 

Vespertilio monachus et tessellatusRafinesque, Am. Monthl. 
Mag. IV. p. 445 (fide Allen). 

Lasiurus rufus Gray, Cat. Mammal. Brit. Mus. p.32 (fide 
Tomes). 

Atalapha novaeboracensis et lasiurus Gervais, Hist. nat. 
Mammif. p. 214. 

Lasiurus novaeboracensis Tomes, Proc. zool. Soc. p. 34. 
Lasiurus novaeboracensis Allen, 1. c.p.15. 


Über ganz Nordamerica verbreitet. Das Berliner Museum 
besitzt zwei Exemplare durch Eversmann von den Aleuten und 
nach Geoffroy und Temminck soll die Art auch in Cayenne 
und Surinam vorkommen. 


2. Atalapha Pfeifferi Gundlach. 


1861. 


Cuba. 


Atalapha Pfeifferi Gundlach, Monatsb. Berl. Akad. p.152. 


3. Atalapha Frantzü n. sp. 


Diese Art ist der A. novaeboracensis sehr ähnlich; aber abge- 
sehen von geringeren Unterschieden in der Färbung sind die Ohren 
etwas kleiner, die Ohrklappe kürzer und mehr zugespitzt, der Rand 
der Schenkelflughaut kahl und die Behaarung an der Bauchseite längs 
dem Vorderarm sehr kurz und sparsam. Auch ist der Kopf klei- 
ner und die Extremitäten sind mehr gestreckt. Die Flughäute ge- 
hen bis an die Zehenwurzel, so dafs diese Art auch nicht zu A. 
Grayi Tomes gehören kann, bei der die Flughäute nur bis zur 
Mitte der Fufswurzel reichen. 


vom 22. December 1870. 909 


Ob V. bonariensis Lesson zu dieser oder, wie andere Auto- 
ren behaupten, zu V. novaeboracensis gehört, darüber kann ich nicht 
urtheilen, da das Originalexemplar verloren gegangen zu sein 
scheint und die Abbildung und Beschreibung zu einem genauern 
Vergleich zu ungenügend sind. 

Unser Museum verdankt zwei Exemplare dem Hrn. Dr. v. 
Frantzius, welche in Costa Rica gesammelt sind, und besitzt 
aulserdem ein Exemplar aus Brasilien von einem nicht genauer 
bestimmten Fundorte. 


Meter 
Toluol Al al. 25 rs mae 
Kopt 5 oe Na ae nz 
Ohren 
Morderer-Ohrrand! a Par Tea am NEN % 0,008 
Olebretenen er ne OSB an 0,008 
Ohrklappe . ö 5 0,007 
Dalssramz "  SUER Samy Beeiie el Nak  r  r 0,057 
Ve nr 0,027 
Vordlaa NSCEN 0,039 
BR NMh. 0,6035, 1 GI. 0,0055, 261. 0,0085... 2.2... 0,010 
I, 24, 10 Dee RE 0,050 
L.3.F. -> 0,0485; - 0,0173; - 0,0195; Kpl. 0,0045 
DAR 000; 008; - 005 - 0,002 
15.1) - 0.036357 = 0.008285; - 0,008; - 0,0018 
Oberschenkel... ..:.2 .. .. 7... a Sigi unustnch,, T 0,0195 
nlenschenkel „sr. u wehrte hye ereignet en. 0,0195 
Wlan er WA AG WCERERFER SRERGER WEL Ba HERRN ER 0,008 
en leere ei alhenr uls ren: 001 
Abstand..der obern Eckzahnspitzen:.: .... 1. a un... 0,0037 


4. Atalapha varia. 
1835. Nycticejus varius Pöppig, Reisen in Chile, Peru ete. I. 
p-. 451. 

Ich habe schon früher (Monatsber. Berl. Akad. 1861 p-153) auf 
die Eigenthümlichkeit dieser Art aufmerksam gemacht. Wir be- 
sitzen dieselbe aus Peru und Chile. Äufserlich ist sie leicht dadurch 
zu unterscheiden von den verwandten N. novaeboracensis u. a. dersel- 
ben Gröflse, dafs sämmtliche Flughäute gleichförmig schwarz sind. 
Wir haben sie mit einem Exemplar aus der Leipziger Sammlung, 


910 Gesammtsitzung 


welches von Pöppig selber bestimmt ist, durch die Güte des Hrn. 
Prof. Dr. Leuckart vergleichen können. 


5. Atalapha Grayi. 
1857. Lasiurus Grayi Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p.40. 


Diese von mir nicht untersuchte Art steht nach Hrn. Tomes 
zwischen A. novaeboracensis und A. pruinosa (cinerea) und hat die 
Flughäute nur bis zur Mitte der Fufswurzel herabsteigend. Sie 
soll nicht allein in Chile, sondern nach Hrn. Gray (Proc. Z. S. 
Lond. 1862. p. 143) auch auf den Sandwichsinseln! und in 
Nordamerica (bei Nisqually, Juan da Fuca) vorkommen. 


6. Atalapha cinerea. 

1796. Vespertilio cinereus Palisot de Beauvois, Catal. Peale's 
Mus. (fide Allen). 

1823. Vespertilio pruinosus Say, Long’s Exped. Rocky Mount. p.67. 

1842. Vespertilio pruinosus Dekay, Nat. Hist. NewYork. Zoology. 
p. 7. Taf.2. Fig.2. 

1857. Lasiurus pruinosus Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p.37. 

1864. Lasiurus cinereus Allen, Monogr. Bats N. Am. p. 21. 

Von dieser ausgezeichneten und lange bekannten Art besitzt 
die Berliner Sammlung zwei südamericanische Exemplare aus Men- 
doza und durch Hrn. Dr. Hensel eins aus Montevideo, wel- 
che mir keinen Unterschied von den nordamericanischen zeigen. 


7. Atalapha pallescens n. sp. 


Diese der vorhergehenden sehr nahe verwandte Art fällt gleich 
durch ihre sehr viel hellere Farbe, nicht allein der Behaarung, son- 
dern auch der nackten Körpertheile, als verschieden auf, indem auch 
der Ohrrand und Schnauzenrand nicht schwarz, sondern gelbbraun 
gefärbt sind. Die Ohren sind bei sonst gleicher Körpergröfse 
etwas kleiner, schwächer behaart, der vordere Theil der Helix we- 
niger entwickelt, nicht mit seinem vordern untern Ende nach hin- 
ten spitz vorspringend. Die Behaarung der Schulterflughaut, der 
Lendenflughaut und der Schenkelflughaut ist nicht so reichlich, 
auch sind die Haarflecke der Rückseite auf der Mittelhand des 
Daumens, auf der Basis des fünften Fingers und über dem Ellbo- 
gen an der Aufsen- und Innenseite der Vorderarmes weniger ‚stark 
und die Mittelhand des fünften Fingers ist länger als bei A. 
cinerea. 


vom 22. December 1870. 911 


Die Haare des Rückens sind an der Basis dunkel rostbraun, 
haben dann einen breit gelben, dann einen schmalen rostrothen Ring 
und hellgelbe Spitzen; die der Schenkelflughaut sind rostroth mit 
blafsgelben Spitzen, die Haarflecke auf dem Daumen, dem 5. Fin- 
ger und auf dem Vorderarm blafsgelb. Die kürzeren Haare der 
Bauchmitte sind ähnlich gefärbt, wie die der Rückseite, die der 
Bauchseiten, der Lenden- und Schenkelflughaut gelbbraun. Die quere 
hellgelbe Kehlbinde ist, wie bei A.cinerea, nach hinten scharf ab- 
gegrenzt. 


Mafse eines ausgewachsenen Weibchens: 
Meter 


Moral ing ae. ni a ent. ee on 
De 35. Ben ee 


Ohrhöhe u, 0 
Vorderer Ohrrand bis zur Mitte de ee Winkels 0,009 
Uhrlpreiee Sr ee A Re a LS EEE 0,013 


Glrkippen ln SU ae ER ZHRE) CRONRO ROSE 0,0085 
VEN WEONZ ra an ae ale Da ei 0,060 
Ülbereium.: Tersggrgnngerii Bla A a EEE SE 0,036 
Dionderaıme San mn BORN BE eNDANIhUA 25h. 238 0,0535 
TR. Mh20,005; 1 GL1,0.0005 2 Gl: 0,0: =. ev eh 0,014 


112, 21 Das Ve a a a 0,065 
L.3.F. - 0,0605 - 0,020; - 0,024; Kpl. 0,005 
L.4.F. - 00545 - 0,018; - 00145 - 0,0015 
L.5.F. - 00485 - - 0,008; - 0,0095  - 0,002 
Sbezchanka ie ee 0,023 
Pier cnenken ae ee DOREEN IB STR ROTE 0,023 
Ki Emiskerallen ie a STORE 0,011 
ONCE : BERN ee u Re DE ae, KOR0RO 
Distanz der obern ee Bars ; 0,0055 


Fundort: Paramo de la Culata, Andes de Merida (Re- 
gion frigida), Venezuela; durch Hrn. Karsten. 


Ich war Anfangs geneigt, diese Art nur für eine Farbenvarie 
tät von der vorgehenden zu halten, zumal da die Exemplare aus 


E ‚den La Plata-Staaten, also aus viel südlicheren Gegenden, die 


gar keine Verschiedenheit von der Atalapha cinerea aus den nord- 
americanischen ‘Staaten zeigen, das Vorkommen einer verschiede- 
nen Art in den dazwischen liegenden Gegenden sehr auffallend er- 


912 Gesammtsitzung 


scheinen liefsen. Indessen ist zugleich zu beachten, dafs die ho- 
hen Gebirgsgegenden anderer Länder auch oft Arten liefern, die 
von denen der Ebene verschieden sind. 


b. Die Rückseite der Schenkelflughaut ist nur bis zur 
Mitte oder etwas über zwei Drittel behaart; Backzähne: 


& 12; subgen. Dasypterus. 


a. Nur das letzte Drittel der Schenkelflughaut unbehaart. 


8. Alalapha intermedia. 
1862. Lasiurus intermedius Allen, Proceed. Acad. Nat. Sc. Phi- 
ladelphia. p.46; Monogr. Bats N. Am. p.25. 
Mexico (Matamoras). 


9, Atalapha egregia n. Sp. 


Ohren höher als breit, am vordern Rande stark, am hintern 
Rande flach convex, mit vier Querfalten; ein Kiel rother Haare 
nahe der unteren Hälfte des inneren Randes und die Mitte der in- 
nern Oberseite nach oben hin mit feinen rothen Haaren sparsamer 
bekleidet; der Antitragus nur durch einen flachen Ausschnitt von 
dem hintern Ohrrande abgesetzt; Ohrklappe ziemlich spitz, nur mit 
der Spitze nach vorn gekrümmt. Nasenöffnungen vorspringend. 
Der untere erste falsche Backzahn reichlich halb so grofs wie der 
zweite; Cingulum dieser letzteren an der äufsern Seite deutlich 
zweilappig. Flughäute bis an die Zehenwurzel gehend. Die Be- 
haarung der Rückseite der Schenkelflughaut läfst ungefähr das 
letzte Drittel frei; an der Bauchseite erstreckt sich die Behaarung 
nur auf das Basalviertel. Auf dem Rücken ist die Basis des Dau- 
mens und die Aufsenseite des Ellbogens mit rothen Haaren beklei- 
det. An der Bauchseite finden sich sparsam längere rothe Haare 
zwischen der Basis des 4. und 5. Fingers, zu beiden Seiten des 
Vorderarms und zwischen der Endhälfte des Oberarms und dem 
Knie, während die Gegend zwischen der Grundhälfte des Ober- 
arms und dem Oberschenkel sowohl auf der Rücken- wie auf der 
Bauchseite dichter mit langen Haaren bekleidet ist. 

Die Haare des Oberkopfes und des Nackens sind an der Ba- 
sis schieferfarbig, dann breit hellgelb und an der Spitze schön roth; 


diese rothen Spitzen werden an den Rückenhaaren nach hinten hin. i 


immer länger und unterdrücken allmählig die gelbe Zwischenfarbe 


vom 22. December 1870. 913 


und die Haare der Schenkelflughaut sowie der Hinterextremitäten 
sind einfarbig roth. Kehle und Unterkinn nebst dem Vorderkopf 
haben hellgelbe Haare mit rothen Spitzen. Die Haare der Brust 
und des Bauches sind an der Basis schieferfarbig und an der Spitze 
rostroth, die des Hinterbauchs und der Schenkelflughaut einfarbig 
rostroth. Die Flughäute sind schwarz, mit Ausnahme der Schen- 
kelflughaut, des an den Vorderarm grenzendon Theils der Schul- 
terflughaut und der Fingerflughäute zwischen Daumen, Zeigefinger 
und Mittelfinger, welche von brauner Farbe sind. 


Meter 

. Totallänge ne on 
Kopf ee 2010908 
lEhöleiy u a ara Al Eee rer 0500 
Berdeser Onrzand 209,000 ee 208015 
Ohroreite 22,00, 0. ya an 000 
Ed Der an u: ...2.0,0095 
Selen ee ee N 
Überamn np  EHN ae nl 
Vorderarm . EN RL Re 0,047 
L.1.F. Mh. 0,0042; 1 Gl. 0,005885. 2 Gl. 0,0055... . 0,0, 0008 


Us a a 0,0065. 1 > Sa A ken. 
De 00008; > 0,02035 - 0,0225; Kpl. 0,0055 
DAS 00, oo > 0,013975  - 0,0023 
L.9. BR. - 0083; - 0,0095 0,0095  - 0,0012 
Vpersuhenkel eg en. 00205 
Urierschenlel a .. . 0,0225 
"ul e.. 8820, Sa 708010 


SROHR“ oa a 0,020 
Distanz der oberen Eekzahnspiizen  . me 0,005 


Aus Sta. Catharina in Brasilien. 


Diese Art ist sehr nahe verwandt mit A. intermedia Allen, 
welche aber, abgesehen von der ganz verschiedenen Färbung, un- 
ter anderem durch spitzere, am hinteren Rande etwas ausgerandete 
Ohren, den höheren, abgerundeten und durch einen viel tieferen 
Ausschnitt von dem hinteren Ohrrande abgesetzten Antitragus, den 
stumpferen, weniger zugespitzten Tragus, den verhältnifsmäfsig klei- 
neren ersten unteren falschen Backzahn und die ungelappte Beschaf- 
fenheit des Cingulums an der äufseren Seite des zweiten unteren 


914 Gesammtsitzung 


falschen Backzahns ausgezeichnet ist. Auch ist diese Art gröfser 
und unter anderem die erste Phalanx des 4. Fingers verhältnifs- 
mäfsig länger (Vorderarm 0%053; Schwanz 0068; 1 Gl. des 3. Fin- 
gers 00021, des 4. Fingers 0'%0155, des 5. Fingers 0009). 


ß. Die Behaarung der Schenkelflughaut reicht nurbis zur Mitte. 


10. Atalapha Eya. 


1856. Nycticejus Ega Gervais, Docum. zool. Oheiropt. Sud- Amer. 
p- 72. 
1857. Lasiurus Aga Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p.43. 
Brasilien, woher auch die Berliner Sammlung ein getrockne- 
tes Exemplar durch Sello besitzt. | 


11. Atalapha caudata. 
1857. Lasiurus caudatus Tomesl. c. p. 42. 


Diese Art ist mir aus eigner Anschauung nicht bekannt und 
scheint mir die Verschiedenheit derselben von der vorhergehenden 
noch nicht ganz ausgemacht zu sein, da der Hauptunterschied in 
der bedeutenderen Länge des Schwanzes liegen soll und bei der Ver- 
gleichung nur ein einziger Balg von N. ega zu Grunde gelegen hat. 

Die von Hrn. Tomes zu dieser Art gerechneten beiden Exem- 
plare stammen aus Pernambuco und Chile. 


Hr. Mommsen legte die von den Hrn. Henzen und Hüb- 
ner erstatteten Berichte über den Fortgang der Arbeiten am Cor- 
pus inscriptionum Latinarum während des Arbeitsjahrs 1. Nov. 1869 
— 31. Oct. 1870 nebst seinem eigenen Berichte vor. Auch in 
diesem bewegten Jahr hat die Arbeit und der Druck, wenn nicht 
ohne Störungen, doch im Ganzen ununterbrochen fortgeführt wer- 
den können. 


vom 22. December 1870. 915 


Hr. Henzen und Hr. Bormann haben die Drucklegung der 
stadtrömischen Inschriften (Bd. VI) begonnen und bis p. 112 
geführt, wobei theils während Hrn. Bormanns Abwesenheit im 
Felde der in dieser Zeit in Berlin anwesende Hr. Henzen den 
Druck leitete, theils nach dessen Rückkehr nach Rom Hr. Bor- 
mann, der inzwischen von seiner bei Mars-la-Tour am 16. Aug. 
d. J. empfangenen Wnnde wieder einigermafsen hergestellt und 
nach Berlin zurückgekehrt war. Die sacrae sind damit zum grös- 
seren Theil abgeschlossen. Die Kaiserinschriften sind zum Druck 
fertig. — Hr. Hübner hat vor Kurzem mit dem Druck der In- 
schriften von Britannien (Bd. VII) den Anfang gemacht. — Die 
von Hrn. Zangemeister bearbeiteten Wand- und Griffelinschrif- 
ten von Pompeii (Bd. IV) sind ausgedruckt und gelangen demnächst 
zur Versendung. — Der Druck der von Hrn. Mommsen bear- 
beiteten Bände ist in Band III von $. 640 bis S. 800 vorgeschrit- 
ten, womit dieser Theil bis auf die allerdings umfangreichen An- 
hänge und die Indices abgeschlossen ist; in Bd. V von $. 168 bis 
S. 328, welche die östliche Hälfte Oberitaliens bis Verona um- 
fassen. — Die finanzielle Lage des Unternehmens ist befriedigend, 
die Förderung des Druckes, wenn nicht allen Wünschen ent- 
sprechend, doch merklich und erfreulich. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 
| Correspondenzblatt des Naturforscher -Vereins zu Riga. 18. Jahre. Riga 
1870. 8. 
Denkschrift des Naturforscher -Vereins zu Riga, herausgeg. in Anla/s der 
Feier seines 25jähr. Bestehens. Riga 1870. 4. 
W. v. Gutzeit, Zur Geschichte der F orschungen über die Phosphorite des 
mittleren Ru/slands. Riga 1870. 4. 
Siebenundzwanzigster Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für vater- 
ländische Cultur. Breslau 1870. 8. 
Abhandlungen der Schles. Gesellsch. F. vaterl. Cultur. Abth. J. Naturw. u. 
Medicin. 1869 | 70. Philos.-hist. Abth. 1870. Breslau 1870. 8. 


916 Gesammtsitzung vom 22. December 1870. 


V. Rose, Anecdota Graeca et Graecolatina. 2. Heft. Berlin 1870. 8. 
Mit Begleitschreiben d. Verf. d. d. 20. Dec. 1870. 
Vierteljahresschrift der Astronom. Gesellschaft. 5. Jahrg. 4. Heft. Leipzig 
1870. 8. | 
Schriften der Universität zu Kiel. 16. Bd. Kiel 1870. 4. 
Mainardi, Auszüge aus den Atti dei Noovi Lincei. (Roma 1870.) 4. 


Annual Report of the Commissioner of patents for 1867. Vol. 1—4. Wa- | 


shington 1868. 8. 


Verbesserungen und Druckfehler. 


. 657 Zeile 5 statt crenata lies crenulata. 

— in der Note Zeile 2 statt Saude lies Sande. 

658 letzter Absatz Zeile 2 statt Mendoni lies Mandoni. 

659 Zeile 1 statt Dominica lies St. Domingo. 

.689 Zeile 6 statt angustifolia lies tenuifolia. 

704 Zeile 7 von unten statt Fig. 3 lies Fig. 2. 

747 No. 45 Zeile 1 statt S. Dominique lies St. Domingo. 

748 Zeile 5 statt No. 46 lies 47. Die folgenden Nummern 47 
bis 53 sind sämmtlich um 1 zu erhöhen. 


A c i [7 5 
; Fr 
y 

« i 

; 

Im - 1 

y“ % 
I: 

zu 

» 
' 


Namen -Register. 


(Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind im Monatsbericht nicht 


aufgeführt.) 


Baxt, N., Neue Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Rei- 


zung in den motorischen Nerven der Menschen, 184. 

Bekker, Bemerkungen zum Homer, 810. 

Blau, Otto, Dritter Bericht über römische Alterthümer in Bosnien, 619. 

du Bois-Reymond, Jahresbericht der Humboldtstiftung, 44. — 
zur Abhandlung über die aperiodische Be 
537. — *Über die Krause-Kühne’sche Th 
hung, 807. — Über Leibnizische Gedanke 
schaft, 835. 

Bonitz, “Zur Erklärung des Phaidon, 797. — 
Charmides, ‚900. 

Borchardt, 
812. 


Braun, Neuere Untersuchungen über die Gattun 


Nachtrag 
wegung gedämpfter Magnete, 
eorie der Muskelzusammenzie- 


n in der neuern Naturwissen- 


“Bemerkungen über Platon’s 


*Über ein die Pyramiden betreffendes Problem des Maximus, 
gen Marsilia und Pilularia, 


r. Schweinfurth, 833, 
Buschmann, *Zusätze zur sonorischen Grammatik, 183, 


Curtius, Über griechische Personennamen, 159. — Über die Münzen der 
griechischen Colonien in ihren Beziehungen zum Mutterlande, 803. 

Dove, Alfred, Über die Handschriften von Arborea, 90. 

Dove, *Über die Compensation der in Europa i 


OD Mittheilungen über die Reise des D 


m Januar 1870 beobachte- 
ten Kälte durch eine ungewöhnliche Erhöhung der Temperatur in Ame- 


rika, 126. "Über die Wärmevertheilung im Polarmeer, 182. — Über die 
Temperaturvertheilung im Winter 1877, 209. — Über die Zurückführung 


[1870] 63 


920 Namen-Register. 


der jährlichen Temperatureurve auf die ihr zum Grunde liegenden Be- 
dingungen, 365. — Über die Vertheilung des Regens in der jährlichen 
Periode im mittleren Europa, 813. 

Droysen, *Über die Lage der Politik im Anfange des ersten schlesischen 
Krieges, 890. 

Ehrenberg, Über die Bacillarienbänke im Hochlande Californiens, 126. — 
Über die wachsende Kenntnifs des unsichtbaren Lebens als felsbildende 
Bacillarien in Californien, 259. 

Ewald, *Über einige die Geologie der Anden betreffenden Fragen, 326. 

Gerhardt, Zur Geschichte der Algebra in Deutschland. Zweiter Theil, 141. 

Groth, Über Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Constitu- 
tion bei einigen organischen Verbindungen, 247. 

Haupt, “Über die Perser des Aeschylus, 247. — Bericht über die Hand- 
schriften von Arborea, 64. 

Hofmann, Nachträgliche Bemerkungen über die Entschw efelungsprodukte 
des Diphenylsulfocarbamids, 171. — Über substituirte Melamine, 191. — 
Über die Darstellung der Äthylamine im Grofsen, 154. — Über die Iso- 
meren der Cyanursäure-Äther, 198. — Weitere Beobachtungen über das 
Methylaldehyd, 525. — Über die aromatischen Cyanate, 576. — Über 
die Einwirkung des Cyans auf das Anilin, 597. — Einwirkung des 
Cyans auf das Triphenyl-Guanadin, 597. — Über eine neue Klasse von 
Cyansäureäthern, 599. — Über Bildungsweise der Isonitrile, 600. — 
Reaction auf Cyanursäure, 601. — Reaction auf Chloroform, 602. — 
Diagnose primärer, secundärer und tertiärer Amine, 603. — Zur Kennt- 
nifs des Phenylxanthogenamids, 606. — Über die Einwirkung der Es- 
sigsäure auf das Phenylsenföl, 611. — Zur Geschichte der Äthylenba- 
sen, 612. — Zur Kenntnifs des Aldehydgrüns, 618. — Über die Mo- 
leculargröfse des Chinons, 615. 

Homeyer, Über Hausmarken, 175. 

Jaffe, Über die Handschriften von Arborea, 74. 

Ketteler, Über den Einflufs der ponderablen Moleküle auf die Dispersion 
des Lichtes und über die Bedeutung der Constanten der Dispersionsfor- 
meln, 132. 

Kirchhoff, Über eine jüngst publieirte vermuthlich lakonische Urkunde, 51. 
— Über die Tributlisten der Jahre Ol. 85,2 — 87,1, 575. 

Klein, Felix und Sophus Lie, Über die Haupttangenten-Curven der Kum- 
mer’schen Fläche vierten Grades mit 16 Knotenpunkten, 891. 

Kny, Über die Morphologie von Chondriopsis coerulescens Crouan, und die 
dieser Alge eigenen optischen Erscheinungen, 425. 

Köhler, Ulrich, Über zwei Inschriften aus dem äufseren Kerameikos von 
Athen, 272. 


Namen-Register. 927 


Kostka, Über die Auffindung der ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren einer 
homogenen um eine feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, 116. 

Kronecker, Hugo, Über die Gesetze der Muskelermüdung, 629. 

Kronecker, *Über die charakteristischen Eigenschaften des Potentials, 801. 
— Einige Eigenschaften der Klassenanzahl idealer complexer Zahlen, 
831. 


Kummer, *Festrede, 183. — Über die einfachste Darstellung der aus Ein- 


heitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, welche durch Multiplication 
mit Einheiten bewirkt werden kann, 409. — Bericht über Preisfragen, 
571. — *Über die algebraische Strahlensysteme dritter Ordnung, 584 — 
Über die aus 31ten Wurzeln der Einheit gebildeten complexen Zahlen, 
755. — Über eine Eigenschaft der Einheiten der aus den Wurzeln der 
Gleichung a* —= ı gebildeten complexen Zahlen und über den zweiten 
Faktor der Klassenzahl, 855. 

Lepsius, *Über die altägyptischen Jahreszeiten und Monate, 105. 

Mommsen, *Bei Assuan aufgefundene römische Inschriften, 1. — Jahres- 
berichte über das Inschriften-Werk, 13. 914. — *Über das römische 
Consulartribunat, 617. — *Über die Siebenbürgischen Wachstafeln, 795. 

Müllenhoff, *Beiträge zur Geographie der Alten, 183. — *Über die vor- 
ptolomäischen Diathesen des östlichen Europa, 807. 

Olshausen, Otto, Über die Isomeren der Cyanursäure-Äther, 198. 

Olshausen, Beiträge zur Kritik des überlieferten Textes im Buche Gene- 
sis, 380. — *Über den gegenwärtigen. Zustand der alttestamentlichen 
Textkritik, 380. 

Parthey, *Über Horapollo’s Hieroglyphica, 583. 

Pertz, Sammlung von Schrifttafeln zum Gebrauche bei diplomatischen Vor 
lesungen, 139. — Über das im Hause Braunschweig - Lüneburg gesetz- 
liche Alter der Mündigkeit, 809. 

Petermann, *Über die Eroberung von Jerusalem durch Saladin, 139. 182. 

Peters, Über den Ductus pneumaticus des Unterkiefers bei den Crocodilen, 
15. — Über die afrikanischen Warneidechsen und ihre geographische 
Verbreitung, 106. — Beitrag zur Kenntnifs der herpetologischen Fauna 
von Südafıika, 110. — Über die Verwandtschaft der Ctenodactyli mit 
den Chinchillen, 207. — Über Platemys tuberosa, eine neue Schildkrö- 
tenart aus British-Guiana, 311. — Über Propithecus Deckenii, eine neue 
Art von Halbaffen aus Madagaskar, 421. — Über neue Arten von Spitz- 
mäusen aus Ceylon, Malacca, Borneo, China, Luzon und Ostafrika, 584. 
— Über neue Amphibien des Königl. zoologischen Museums, 641. — 
Monographische Übersicht der Chiropterengattungen Nycteris und Ata- 
lapha, 900. 

Poggendorff, Über eine neue Influenzmaschine, 245. — Über einige neue 


63* 


922 Namen-Register. 


merkwürdige Eigenschaften der diametralen Conduction an der Electro- 
maschine, 275. 

Rammelsberg, Über die Stellung des Thalliums in der Reihe der Ele- 
mente, 237. — Über die Zusammensetzung der Meteorite von Shalka 
und von Hainholz, 314. — Beiträge zur Kenntnifs der Meteoriten, 440. 

Ranke, *Literarische Erörterungen betreffend den Ursprung des siebenjähri- 
sen Kriegs, 619. 

Reichert, *Über das Skelet der Wirbelthiere, 619. 890. 

Rie/s, Theorie der neusten Elektrophormaschine und der überzähligen Con- 
duktoren, 1. 

Rödiger, Über einige zum Theil fragmentarische phönikische Inschriften 
aus Cypern 264. — Über die arabische Redaktion der vorjustinianischen 
Kaisergesetze und deren Verhältnifs zum syrischen Texte, 808. 

Rose, Über den Zusammenhang zwischen hemiedrischer Krystallform und 
thermoelektrischem Verhalten beim Eisenkies und Kobaltglanz, 327. — 
Über einen angeblichen Meteoritenfall von Murzuk in Fessan, 804. 

Roth, Über die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung der kry- 
stallinischen Schiefer, 899. 

Schott, Über eine deutsche Übersetzung mongolischer Mährchen, 797. 

Tobler, Über die Handschriften von Arborea, 80. 

Trendelenburg, *Zur Geschichte des Wortes Person, 22. — Aus Frie- 
drichs des Grofsen politischen Vermächtnissen, 23. — *Zur Geschichte 
philosophischer Termini. Zweiter Beitrag, 900. 

Weber, *Über das Rämäyana, 184. — Über das zweite Buch der Atharva- 
Samhitä, 462. ' 

Weierstrafs, *Über die 2nfach periodischen Funktionen, 139. — *Bemer- 
kungen über das sogenannte Dirichlet’sche Princip, 575. 


Dach -Register. 


Äthylamine, Darstellung im Grofsen, 154. 

Äthylenbasen, 612. 

Aldehydgrün, 613. 

Algebra, Geschichte, 141. 

Amine, Diagnose primärer, secundärer und tertiärer, 608. 

Amphibien, 15. 106. 110. 311. 641. 

Arborea, Fälschungen, 64. 

Arthroleptis dispar Ptrs., 649. 

Atalapha Raf. (Übersicht der Gattung), 907. 

Atalapha Frantzii Ptrs., 908. 

Atharvan-Samhitä, 462. 

Bacillarien, 126. 259. 

Boppstiftung, 571. 

Bosnien, römische Alterthümer, 619. 

Botanik, Morphologie von Chondriopsis coerulescens Crouan, 425. — Un- 
tersuchungen über die Gattungen Marsilia und Pilularia, 653. 

Californien, 126. 259. 

Cercosaura glabella Ptrs., 641. 


Chemie, Darstellung der Äthylamine im Grofsen, 154. — Entschwefelungs- 
producte des Diphenylsulfocarbamids, 171. — Isomeren der Cyanursäure- 


Ather, 198. — Stellung des Thalliums in der Reihe der Elemente, 237. 
— Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Constitution, 247. 


— Zusammensetzung der Meteorite von Shalka und von Hainholz, 314. 


— Beiträge zur Kenntnifs der Meteoriten, 440. — Weitere Betrachtun- 
gen über den Methylaldehyd, 525. — Über die aromatischen Cyanate, 
976. — Beobachtungen vermischten Inhalts, 596. 


Chiropteren, 900. 
Chloroform, 602. 


Chondriopsis coerulescens Crouan, 425. 


924 Sach-Register. 


Chondrodactylus angulifer Ptrs., 111. 

Complexe Zahlen, 409. 755. 855. 

Conductoren, diametrale, 276. — Überzählige, 9. 

Cophomantis punctillata Ptrs., 651. 

Crocidura ceylanica Ptrs., 591. — Doriae Pirs., 587. — froetida 
Ptrs., 586. — fuscipes Ptrs., 594. — gracilipes Ptrs., 590. — Iu- 
zoniensis Ptrs., 595. — media Ptrs., 592. — microtis Pirs., 589 
— monticola Ptrs., 588. — retusa Ptrs., 585. — sumatrana Ptrs., 
593. — Waldemarii Ptrs., 590. 

Crocodile, 15. 

Ctenodactyli, Verwandschaft derselben, 207. 

Cyan, seine Einwirkung auf das Anilin und Triphenylguanidin, 597. 

Cyanate, aromatische, 576. 

Cyansäureäther, 599. 

Cyanursäure, 601. 

Cyanursäureäther, 198. 

Cystignathus diplolistris Ptrs., 648. 

Dispersion des Lichtes, 132. 

Doppelmaschine, neue, 295. 

Ductus pneumaticus, 15. 

Eisenkies, 327. 

Eleotromaschine, 1. 275. 

Entomoglossus pustulatus Ptrs., 647. 

Entschwefelungsproducte des Diphenylsulfocarbamids, 171. 

Essigsäure, ihre Einwirkung auf das Phenylsenföl, 611. 

Festreden, 23. 571. 835. 

Genesis, Beiträge zur Kritik des Textes, 880. 

Geophis annulatus Ptrs., 643. 

Geschichtspreis, 44. 

Gleichgewichtsfiguren, 116. 

Griechische Münzen, 809. 

Griechische Personennamen, 159. 

Hausmarken, 175. 

Hemidactylus muriceus Ptrs., 641. 

Homerisches, 

(U. A 557. 555. & 35), 810. 
(Od. o 343), 812. 

Hoplocephalus frenatus Ptrs., 646. 

Humboldtstiftung, 54. 833. 

Hylodes Henselii Ptrs., 648. — rugulosus Pitrs., 648. 

Influenzmaschine, neue, 245. 


Sach-Register. 925 


Inschriften, 
gefälschte sardinische, 100. 
griechische, 
aus dem Kerameikos, 272. 
lakonische von Tegea, 51. 
phönicische aus Cypern, 264. 
römische 
Corpus inscriptionum Latinarum, 13. 915. 
aus Bosnien, 626. 
Isonitrile, 600. 
Kobaltglanz, 327. 
Krystallform und chemische Constitution, 247. — hemiedrische, ihr 
Zusammenhang mit thermo-elektrischem Verhalten, 327. 
Lakonische Sprachformen, 60. 
Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft, 835. 
Magnete, aperiodische Bewegung gedämpfter, 537. 
Marsilia, 653. 
Mathematik, Über die Auffindung der ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren 
einer homogenen, um eine feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, 116. 
— Zur Geschichte der Algebra in Deutschland, 141. — Über die ein- 
fachste Darstellung der aus Einheitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, 
welche durch Multiplikation mit Einheiten bewirkt werden kann, 409. 
— Über die aus den 31ten Wurzeln gebildeten complexen Zahlen, 755. 
— Über eine Eigenschaft der Einheiten der aus den Wurzeln der Glei- 


*—= ı gebildeten complexen Zahlen und über den zweiten Fak- 


chung a 
tor der Klassenzahl, 855. — Auseinandersetzung einiger Eigenschaften 
der Klassenanzahl idealer complexer Zahlen, 881. — Über die Haupt- 
tangenten-Curven der Kummerschen Fläche vierten Grades mit 16 Kno- 
tenpunkten, 891. 

Meteoritenfall, angeblicher, von Murzuk in Fessan, 804. 

Meteorite, 314. 440. 

Methylaldehyd, 525. 

Mineralogie, Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Consti- 
tution, 247. — Zusammensetzung der Meteorite von Shalka und von 
Hainholz, 314. — Über den Zusammenhang zwischen hemiödrischer 
Krystallform und thermoelektrischen Verhalten beim Eisenkies und Ko- 
baltglanz, 327. — Beiträge zur Kenntnifs der Meteoriten, 440. 

Moleculargröfse des Chinons, 615. 

Mongolische Märchen, 797. 

Monitores, 106. 

Münzen, griechische, 803. 


926 Sach-Register. 


Muskelermüdung, 629. 

Namen, griechische, 159. 

Nerven, motorische, 184. 

Nycteris Geoffroy (Übersicht der Gattung), 900. 

Nyeteris angolensis Ptrs., 903. — damarensis Ptrs., 905. 

Optische Erscheinungen an Chondriopsis coerulescens, 425. 

Phenylanthegenamid, 606. 

Phenyleyanat, 576. 

Phyllobates verruculatus Ptrs., 650. 

Physik, Theorie der neuesten Elektrophormaschine, 1. — Einflufs der pon- 
derablen Molekule auf die Dispersion des Lichtes, 132. — Temperatur- 
vertheilung im Winter 18$2, 209. — Neue Influenzmaschine, 245. — 
Über einige neue merkwürdige Eigenschaften der diametralen Condukto- 
ren an der Elektromaschine, 275. — Zurückführung der jährlichen Tem- 
peraturcurve auf die ihr zum Grunde liegenden Bedingungen, 365. — 
Aperiodische Bewegung gedämpfter Magnete, 537. — Vertheilung des 
Regens in der jährlichen Periode im mittleren Europa, 813. 

Physiologie, Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den motorischen 
Nerven der Menschen, 184. — Gesetze der Muskelermüdung, 629. 

Pilularia, 653. 

Platemys tuberosa Ptrs., 311. 

Preisfragen, 571. 

Propithecus Deckenii Pirs., 421. 

Rana longirostris Ptrs., 646. 


Regenvertheilung im mittleren Europa, 813. 

Säugethiere, 207. 421. 584. 900. 

Sardinische Fälschungen 64. 

Geschichte, 90. 

Scaphiophis albopunctatus Ptrs., 645. 

Sitzungen, Öffentliche, 23. 183. 535. 

Spitzmäuse, neue Arten, 584. 

Südafrika, 110. 

Temperaturcurve, 365. 

Temperaturvertheilung im Winter 1883, 209. 

Thallium, seine Stellung in der Reihe der Elemente, 237. 

Tropidolepisma striolatum Ptrs., 642. 

Uriechis lineatus Ptrs., 643. 

Warneidechsen, 106. 

Zoologie, Ductus pneumaticus des Unterkiefers bei den Crocodilen, 15. — 
Über die afrikanischen Warneidechsen und ihre geographische Verbrei- 
tung, 106. — Beitrag zur Kenntnils der herpetologischen Fauna von 


Sach-Register. 927 


Südafrika, 110. — Die wachsende Kenntnifs des unsichtbaren Lebens 
als felsbildende Bacillarien in Californien, 259, — Verwandschaft der 
Ctenodactyli mit den Chinchillen und anderen Gruppen der Nager, 207. 
Platemys tuberosa, eine neue Art von Schildkröten aus British-Guiana, 
311. — Propithecus Deckenii, eine neue Art von Halbaffen aus Mada- 
gaskar, 421. — Neue Arten von Spitzmäusen, 584. — Neue Amphibien, 
Ban Monographische Übersicht der Chiropterengattungen Nycteris 
und Atalapha, 900. 


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