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Full text of "Monatshefte für Kunstwissenschaft 11.1918"

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1817 


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x MONATSHEFTE 


KUNSTWISSENSCHAFT 


HERAUSGEGEBEN VON 
PROF. DR. G. BIERMANN 


XI.JAHRGANG 1918 


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M74 


— 


Heft 1: 
Méller, Emil, Zwei bisher unbekannte Bildnisse der Mona Lisa 
Rosenberg, Marc, Eine seltene Granulationsarbelt . . . . . + + + + + * `° >, 
Stierling, Hubert, Kleine Beitráge zu Peter Vischer. Nr.3. Zwei unbekannte Vischer- 
Werke im Dom zu MeiBen e, 20 


Heft 2/3: 
Hoeber, Fritz, Die attischen reif schwarzfigurigen Vasen von rotfigurigem Stil . 
Singer, Hans mer ume Der Vierfarbendruck in der Gefolgschaft Jacob Christoffel 
le Blons ; P RP „ NL M de ies er vi. ле 


Heft 4: 
Gerland, Otto, Zwei Altarflügel nach Albrecht Dürers Marienleben 
W est, Robert, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassenkampfes innerhalb 
der abendlündischen Kulturwelt . E 
Strzygowski, Josef, Der Zustand unserer бейшен Воле: 


Heft 5: 
Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 4. Das Rätsel des Sebaldus- 
grabes ; e EE Wd ERO DE wd š 


West,Robert, Die Übergangestilo als ee ass Ideen- und Rasssnbsmpiós inne: 
halb der abendlindischen Kulturwelt (Forteetzung) . ç 
Grotte, Alfred, Ostjüdische Sakralkunet und ihre Ausstrahlungen adt dauischas Gebiet 


Heft 6: 
Steinmann, Ernst, Die Zerstórung der Grabdenkmiler der Püpste von Avignon. 
Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 4. Das Rátsel des Sebaldus- 


grabes. Nachtrag. š : А 
Der Zustand unserer fachmünnischen Beurteilung. E (Tákács) . 
Erwiderung (Strzygowski) . .............. .. 


Heft 7: 
Ehrenberg, Hermann, Anton Müller, der Maler von Danzig . š 
von Loga, Valerian, Spanische Maler des 15. Jahrhunderts in Neapel . , 
W est, Robert, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassenkampfes TN 
halb der abendländischen Kulturwelt (Schluß) CE 


Heft 8: 
Hirschmann, Otto, Karel van Manders Haarlemer Akademie 
Habicht, V. Curt, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst. 


Heft 9/10: 
Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 5. Vorbilder, een 
Weiterbildungen . б. 
Feulner, Adolf, Die Ee der " Katharina von P. P. Rubeni in Lille. 
Dresdner, Albert, Noch einmal Karel van Manders Haarlemer Akademie. . A 
Habicht, V. Curt, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst (Schluß) . 


Heft 11/12: 
Grolman, W.v., Zur Würdigung des Veit StoB . ; 1 
Schmidt, Dr. Paul F., Karl Philipp Fohr. Sein Leben аба Sina Kunat 
West, Robert, Der romanische Kreuzgang an der Stiftskirche in Berchtesgaden 
Stierling Hubert, Kleine eee su Peter Vischer. Nr. 6. Das Urbild des Sebaldus- 


Seite 
I —14. 
15—16 


17—320 


33—51 


52—73 


8x— 86 


. 87— 100 


. 101—105. 


. 113—125. 


. 126—134 


135—138- 


. 145—171 
. 172 


. 173—174 
. 174—175 


. 181— 190 


. 191—193. 


. 194—201 


. 213—231 
. 233—238- 


. 245—268" 
. 269—275 
. 276—277 
. 278—290 


. 497—399 
. 310—320 
. 331—340 


- 341—344 
HI 


Heft 4: 


Mayer, August L., Cipper, genannt Todeschini, als Pseudo-Spanier . . . . . + + 


Heft 7: 


Sommerfeldt, Gustav, Das Krodelbild Nr. 1958 der Kónigl. Gemäldegalerie zu Dresden 


Seite 


202 


REZENSIONEN nns 


Bernard, Emile, Erinnerungen an Paul Cézanne. 
(Kahns), S. 176. 

Bruck, Robert, Ernst zu Schaumburg, ein kunst- 
fórdernder Fürst des 17. Jahrhunderts (von 
der Gabelentz), S. 26. 

Cohen, Hermann, Ásthetik des reinen Gefühls 
(Bieber), S. 205. 

Dáubler, Theodor, Der neue Standpunkt (Scha- 
pire), S. 139. 

Daun, Berthold, Veit StoB und seine Schule 
(Kaemmerer), S. 176. 

Erbacher, Konrad, Griechisches Schuhwerk 
(T. O. Achelis), S. 29. 

Flemming, W., Die Begründung der modernen 
Asthetik und Kunstwissenschaft durch Leon 
Battista Alberti (K. Freyer), S. 239. 

Floerke, Hanns, Die Moden der italienischen 
Renaissance von 1300—1550 (R. Schapire), 
S. 350. 

Glauning, Otto, Neven und der Raub Nürn- 
berper Kunst- und Bücherschütze im Jahre 
1801 (Ernst Steinmann), S. 208. 

Glück, Heinrich, Türkische Kunst (Strzygowski), 
S. 240. 
Gradmann, Gertrud, Die Monumentalwerke 

der Bildbauerfamilie Kern (Schmidt), S. 139. 

Haack, Friedrich, Funde und Vermutungen zu 
Dürer und zur Plastik seiner Zeit (S. Schwa- 
bacher), S. 241. 

Habicht, V. Curt, Die mittelalterliche Plastik 
Hildesheims (K. Gerstenberg), S. a5. 
Hadeln, Frhr. O. v., Das Museum au pauvre 

diable zu Maubeuge (Gerstenberg), S. 77. 

Háhnle, Karl, Arretinische Reliefkeramik (Ache- 
lis), S. 109. 

Heidrich, Ernst, Beiträge zur Geschichte und 
Methode der Kunstwissenschaft (Kahns), 
S. 107. 

Heise, Carl Georg, 
(E. Römer), S. 291. 


Norddeutsche Malerei 


Heymann, Walther, Max Pechstein (R. Scha- 
pire), S. 108. 

Hildebrand, Adolf, Gesammelte Aufsütze (Rob. 
West), S. 294. 

Hind, Arthur M., Catalogue of drawinge by 
dutch and flemish artists in the British Mu- 
seum (O. Hirschmann), S. ar. 

Hirschmann, O, Hendrick Goltzius als Maler 
(M. J. Friedlander), S. 21. 

Hirschvogel, Augustin, Ein deutscher Meister 
der Renaissance. Von Karl Schwarz (G. J. 
Kern), S. 141. 

Kramer, Johannes, Metallne Grabplatten in 
Sachsen vom Ende des 14. bis in den An- 
fang des 16. Jahrb. (Hubert Stierling), S. 345. 

Lorenzen, Wilhelm, Gammel Dansk Bygnings- 
kultur (Rich. Haupt), S. 239. 

Medicus, Fritz, Grundfragen der Asthetik (Rosa 
Schapire), S. 28. 

Metzger, Rudolf, Die dynamische Empfindung 
in der angewandten Kunst (R. Schapire), S. 77. 

Pap,Julius, Kunst und Illusion (Lütbgen), S. 292. 

Rembrandt, Handzeichnungen, herausgegeb. von 
Carl Neumann (Schapire), 8. 178. 

Singer, Hans W., Handbuch fiir Kupferstich- 
sammlungen (H. Wolff), S. 209. 

Strzygowski, Josef, Altai-Iran und Völker- 
wanderung (Supka-Budapest), 8. 74. 

Thomsen, Wilhelm, Une inscription de la trou- 
vaille d'ordeNagy-Szent-Miklós(Supka),S.203. 

Vogel, J., Otto Greiners graphische Arbeiten inLitho- 
graphie, Stich und Radierung (Singer), S. a: 4. 

Volba ch, W. Fr., Der heilige Georg (Escherich), 
S. 140. i 

W aetzold, Wilhelm, Deutsche Malerei seit 1870 
(G. Biermann), S. 209. 

Walzel, Oskar, Wechselseitige Erhellung der 
Künste (E. Rómer), S. 348. 

Weixigärtner, Arpad, August Pettenkofer 
(Uhde-Bernays), S. 207. 


IV 


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ANG-HEFT 1 ——1ANUAR 1918 


) KLINKHARDTéBIERMANN LEIPZIG 


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Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjábrlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 1 
ABHANDLUNGEN REZENSIONEN 


TW O. Hirschmann, Hendrick Goltzius als er 

EMIL MÖLLER, Zwei bisherunerkannte "e en SC 
Bildnisse der Mona Lisa. Mit 6 Ab- Arthur M. Hind, Catalogue of drawings by 
> dutch and flemish artists .... in the British 
bildungen auf 3 Tafeln ....... S. 1 Museum. — Vol. L. Drawings by Rembrandt 
and his school (Hirschmann) 8. ar 
MARC ROSENBERG, Eine seltene У. Curt Habicht, Die mittelalterliche Plastik 
Hildesheims (Gerstenberg)........ 8. a5 


Granulationsarbeit. Mit r Abbildung Rob. Bruck, Ernst zu Schaumburg, ein kunst 
S.15 fürdernder, Fürst des 17. Jahrhunderts M d. 


Gabelentz) ) 26 
. ; Fritz Medicus, Grundfragen der Asthetik (Ries 
HUBERT STIERLING, Kleine Beitráge Schaf S. a8 


; : Konrad Erbacher, Griechisches Schuhwerk. 
zu Peter Vischer. 3. Zwei unbe- Eine anilquarischa Untetsuchung (Achelis) 
kannte Vischer-Werke im Dom zu 8. a9 
Meißen“. Eine Entgegnung. Mit 3 Ab- RUNDSCHAU .............. S. 30 
bildungen auf r Tafel....... S.17 NEUE BUCHER............ S. 32 


JULIUS BOHLER : MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR 8« MAJ. DES KAISERS UND KONIGS — KGL BAYR HOFANTIQUAR 
BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITATEN 


A. S. DREY Ausstellung 


Königlich Bayer. Hoflieferant kostbarer Antiquitäten + Ein- und 
MUNCHEN Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Maximilianplatz Nr. 7 Gemälde, Porzellane, Möbel und 

Antiquitäten jeder Art. 


Paris, 55 avenue des Champs Elysées. 


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ZWEI BISHER UNERKANNIE BILDNISSE 
DER MONA LISA 


Mit sechs Abbildungen auf vier Tafeln Von EMIL MÓLLER 


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er kein Werk des groBen Meisters ist schon so viel geschrieben, keines ist 
der Bevölkerung aller fünf Erdteile so vertraut geworden, als dies eine Ge- 
milde, das in unseren Tagen noch durch sein geheimnisvolles Verschwinden und 
unerwartetes Wiederauftauchen die Welt zwei Jahre lang in Spannung gehalten 
hat: gerade als ob ein findiger Unternehmer das Interesse für jenes Wunderwerk 
der Malerei noch hatte steigern wollen. 

Wie es gewöhnlich geht, so hat auch hier die allgemeine Teilnahme für ein Kunst- 
werk noch nicht in die Tiefe geführt. Trotz des Überflusses an guten und 
schlechten Beschreibungen, Stimmungsergüssen und phantasievollen, leider öfters 
lüstern gefürbten Dichtungen ist unser Wissen über das Malwerk und besonders 
über die Person der Dargestellten doch sehr lückenhaft und mit Irrtümern durch- 
setzt. Die folgende Abhandlung wird Gelegenheit bieten, im Lichte neu untersuchten 
Materials oder auf Grund eigener Beobachtungen einiges Neue über dies Meister- 
werk Leonardos zu sagen, wenn ich mir hier auch nicht die hohe Aufgabe gestellt 
habe, es allseitig zu behandeln’). 

Es ist aber gewiß von großer Bedeutung, weitere Bildnisse von einer so aus- 
gezeichneten und von so viel Geheimnissen umkleideten Persónlichkeit kennen zu 
lernen, denn wir erlangen dadurch nicht nar eine deutlichere Vorstellung von ihrer 
kürperlichen Erscheinung, sondern wir werden vor allem auch instand gesetzt, 
manche bis heute bestehende Zweifel über Leonardos Arbeit zu lósen, Ich bin in 
der angenehmen Lage, gleich zwei nach der Natur gezeichnete Bildnisse 
der Gioconda beizubringen. Das eine wurde von einem Leonardoschüler — hóchst 
wahrscheinlich dem Salai — in der Werkstatt des Meisters geschaffen, wührend 
die Dame dem Maler saß. Das andere Werk ist — eine unbezweifelt echte, große 
Zeichnung in ganzer Figur von der Hand Leonardos selbst! Die Überraschung 
sollte eigentlich noch gréfer werden, nicht jedoch in eine Enttduschung umschlagen, 


(1) Über die Person der Gioconda gab uns Prof. Gio. Poggi, der geschützte Direktor der Uffizien- 
galerie in der Zeitschrift II Marzocco vom 21, Dezember 1913 eine wertvolle Mitteilung. Die bisher 
allgemein glüubig hingenommene Nachricht des Vasari und des Lomazzo, daß die Dame aus einem 
neapolitanischen Geschlechte der Gherardini stamme, war falsch. Schon Mintz (L. d. V. 416) 
hatte vergeblich im Archiv von Neapel Nachforschungen nach einer solchen Familie anstellen lassen. 
Nun hat Poggi in einer Florentiner Grundsteuerrolle von 1480 gefunden, daB der Florentiner Antonio 
Maria di Noldo Gherardini, wohnhaft im Stadtviertel S. Spirito, in der Via Maggio die Eintragung 
machte: Lisa mia figliola d'età d'anni uno senza principio di dota igniuno. Ein Lácheln 
überkommt uns, wenn wir hören, daß der Vater sich bei dem einjährigen Migdlein schon Sorgen 
macht, daß es nicht einmal einen „Schimmer von einer Mitgift" besitze, nicht ahnend, daß ihm da 
ein gans einziges Juwel der Frauenwelt in der Wiege liegt. Lisa war also 1479 in Leonardos 
Vaterstadt geboren und záhlte, als der Meister sie malte, 24—26 Jahre, was genau mit der 
Schätzung des klugen Cassiano del Pozzo übereinstimmt. — Was man sonst noch oft über die M. Lisa 
und ihr Verhältnis zu L. lesen muß, trägt vielfach den Stempel müBig-lüsterner Erfindung an der 
Stirn, wie das angebliche Liebesverhältnis zu Leonardo — eine Erfindung des als L.-Schreiber be- 
rüchtigten Arsene Houssaye — oder es offenbart einen sehr mangelhaften Einblick in Leonardos Lebens- 
verhültnisse, wie die Angabe Malaguzzi-Valeris (La Corte di Lod. il Moro II 575), daß Leonardo das 
Bild mit nach Mailand genommen und es an Franz I. für 4000 Dukaten verkauft habe. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft ı 1 I 


wenn ich hinzufüge, daB es sich um zwei jedem zugiingliche, oft abgebildete 
Arbeiten handelt. | 


I. Die Zeichnung des Leonardoschülers gegen 1505. 


Das Blatt 426 der Uffiziensammlung (Abb. 3) wurde schon 1879 von C. Brun 
(Leonardobiographie in Dohmes Kunst und Künstler, S. 33) und gleichzeitig von 
W. Lübke (Gesch. d. ital Malerei, S. 81) unter hohen Lobsprüchen als Arbeit 
Leonardos im Holzschnitt abgebildet; nach Photographie brachte es zuerst Müller- 
Walde's Leonardobuch, Abb. 70, weiter Rosenberg, Abb. 103 u. a Keiner hat 
m. W. bisher geahnt, wer die dargestellte Dame sei, wogegen ich seit vielen 
Jahren bereits für mich die Zeichnung als ,,Naturstudie eines Leonardoschiilers 
nach der M. Lisa“ benenne. 

Die Zeichnung miBt 235><155 mm und ist auf leicht grünlich geténtem Papier mit 
dem Silberstift sorgfáltig, aber hart ausgeführt. Die Modellierung ist stark betont 
und wie metallisch spiegelnd, die Formenkenntnis gering, die Zeichnung schwach, 
besonders das linke Auge. Die übertreibende Manier der Modellierung, die wie 
entzündet erscheinenden Augenlider und die Zeichnung der Haare stehen den künst- 
lerisch besseren Zeichnungen des noch viel umstrittenen Ambr. Preda nahe, dem 
Morelli (Studien 1434) und v. Seidlitz (A. Preda-Studie 29) das Blatt zugesprochen 
haben. , 

In einer dem Profil sich nühernden Ansicht, genau derselben, die Leonardo für 
den älteren Jakobus beim Abendmahl benutzte, wendet sich der Kopf nach der 
rechten Schulter, während die Büste noch ein Geringes aus der Vorderansicht 
nach der entgegengesetzten Seite gedreht ist. Der Blick geht in der Höhe des 
Kopfes nach der Richtung, der das volle Gesicht zugewendet ist. Ein dünner, un- 
durchsichtiger Schleier, der auf beide Schultern herabhüngt, bedeckt den Kopf bis 
über die Haargrenze, láBt aber seitlich die leicht gewellten, dünnen Strühnen auf 
die Büste herabflieBen. Auch über der Stirn sind die Haare leicht gewellt. Sehr 
bemerkenswert sind manche Einzelheiten: der Schleierrand ist in der Hóhe des linken 
Auges umgeschlagen, wie wir es auf dem Urbild noch mit Mühe erkennen. An 
der rechten Schlüfe steht der Schleier vor, was auch auf dem Original trotz der 
Vorderansicht noch bemerkbar ist. Das flüchtig behandelte Kleid hat einen tiefen, 
anscheinend runden Halsausschnitt; an der Einfassung sind einige gekrüuselte 
Fültchen angedeutet. Das linke, stark verzeichnete Auge hat schmale Offnung, 
mit schwerem, müden Oberlid; die geschwollenen Ränder wirken wie entzündet 
und sind ohne Wimpern. Die Augenbrauen fehlen! Ebenso auffällig stimmt mit 
dem Gemälde der starke Fettwulst überein, der das linke Auge von der Schläfe 
trennt. Die Nase mit breiter Wurzel und etwas vorspringendem Knopf stimmt trotz 
unfeiner Auffassung in der Form mit dem Bild und der unten zu besprechenden 
Zeichnung Leonardos überein. Der Mund ist klein und zierlich gebildet; das stark 
gerundete Kinn tritt kräftig hervor, was mehr einer Neigung des Zeichners als dem 
Modell entsprochen haben wird. Unter dem Kinn deutet ein Fettwulst Anlage zu 
üppigen Formen an. Die Wangen sind breit, das Jochbein tritt durch Schattierung 
stark hervor. Die Beleuchtung ist genau dieselbe, die Leonardo bei der Mona Lisa 
benutzte, denn das Licht fällt von halblinks, schräg vqn oben. Die schlanke Linie 
des Nackens ist von den Haaren freigelassen; bemerkenswert sind die ebenso wie auf 
Leonardos Zeichnungen vor 1500 scharf betonten Hautfalten auf der abgewandten 
Seite des Halses. Die Zeichnung wirkt in ihrer kleinlich-sorgsamen, fast mädchen- 
haften, wenig verstandenen, trockenen Mache wie ein Puppenköpfchen. 


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Veras ee 
\\-2 3-5) 
71026. 

Es kann nicht der geringste Zweifel obwalten, daB hier die Mona Lisa dar- 
gestellt ist. Wenn wir berücksichtigen, daB der Zeichner ein geringer, nüchterner 
Künstler war, so müssen wir sagen: die Zeichnung stimmt in Haltung, Beleuch- 
tung, Tracht, Haaren und Formen fast Zug um Zug mit dem Gemilde überein! 

Wer aber war der Zeichner des Blattes? 

Auf Grund eindringlichen Studiums aller erreichbaren Handzeichnungen und Ge- 
mälde Leonardos und seiner Umgebung muB ich sagen: Es ist zunächst unmög- 
lich, dies Blatt als Kopie einer Zeichnung Leonardos aufzufassen; in solchem 
Falle nimlich würde die Zeichnung, besonders das linke Auge, nicht nur richtiger 
und feiner dastehen, sondern auch die Strichführung, wie aus anderen Schiiler- 
kopien jener Zeit sich nachweisen läßt, eine wesentlich andere sein. Auch die 
Stellung des Profils nach links wählt der Linkshänder Leonardo selten. 

Wegen der noch ganz frühmailündischen Technik der Zeichnung ist es 
zweifellos, daB der Zeichner zu den mailündischen Schülern Leonardos aus den 
neunziger Jahren gehört! Die stark betónte Plastik der Modellierung, die Schärfe 
der Zeichnung, die nicht ungeschickte Behandlungsweise der Haare und die ge- 
schwollenen Augenlider weisen auf Beeinflussung durch den damals in Leonardos 
Werkstatt in Mailand am stärksten hervortretenden Ambrogio Preda hin. Die 
noch ziemlich zahlreich erhaltenen Gemälde und Zeichnungen dieses Malers sind 
größtenteils von so vortrefflicher Beschaffenheit, daß sie verbieten, ihm — zumal 
um I505 — eine Zeichnung von so geringem Formenverstündnis zuzuweisen 1). 

Wer war nun jener unbedeutende Schüler, der seine Lehrzeit in den neunziger 
Jahren in Leonardos Werksatt durchmachte und noch in Florenz bei ihm. weilte? 

Aus einem Briefe, den der Karmeliter Pietro da Nuvolaria im April 1501 an 
Isabella d'Este schrieb, wissen wir, daB damals in Leonardos Werkstatt zwei 
Schüler an Bildnissen arbeiteten. Der eine von ihnen ist bisher ganz unbekannt 
geblieben; er wird aber kein Mailänder Schüler gewesen sein, da aus Leonardos 
Aufzeichnungen nur ein einziger bekannt ist, der mit ihm über Mantua und Venedig 
nach Florenz reiste. Dieser war der vielgenannte Salai, der in Leonardos Auf- 
zeichnungen zuerst am 29. Januar 1494 (MS. H* 16) erscheint? und bei ihm ver- 
bleibt, bis Leonardo Italien verläßt. Er wird von Nuvolaria, aber auch vom Meister, 
als discepolo bezeichnet und hat als Bote und Factotum Leonardos allerlei Auf- 
tráge auszuführen. Wohl hat Leonardo bei der Ausführung der Schlacht von 
Anghiari noch manche andere Gehilfen zur Hand. Einen Schüler aus Mailand habe 
ich nirgends feststellen können“). — Zu dem, was wir über Salai wissen oder ver- 
muten dürfen, würde unsere Zeichnung vortrefflich passen. Daß ein unbedeuten- 
der Gehilfe des Meisters, wührend letzterer eine vornehme Dame malt, sich in 


(z) Über Preda vergleiche man meinen Aufsatz über das Bildnis der Gallerani in den Monatsheften 
für Kunstwiss. 1916, September, S. 316 f. 

(a) Seidlitz 1158 schreibt irrig 14. März. 

(3) Eine Zeitlang habe ich geglaubt, daß Ferrando Spagnuolo, d. i. Ferrando Yañez de Almedina, 
der andere Leonardoschüler und der Zeichner unserer Studie sei. Dann müBte dieser Maler schon in 
Mailand bei Leonardo gewesen sein. Nun begegnet uns tatsüchlich in Leonardos Aufzeichnungen des 
Jabres 1494 der Name „ferando“ (M.S, Н? 46). Gegen diese Ansicht spricht aber, daß in den Bildern 
des Yañez neben zahlreichen Entlehnungen aus florentinischen Arbeiten, besonders Leonardos, keine 
einzige aus der mailündischen Zeit nachweisbar ist. Schwerer wiegt aber, daB der 1507 an dem 
großen Hochaltar in Valencia schaffende Ferrando Yañez trotz seines offenbaren Anlehnungsbedürf- 
nisses und seiner Weichheit gegen 1505 schon weiter fortgeschritten gewesen sein muß, als der 
Zeichner der Naturstudie. 


3 


einer” Naturstudie derselben versuchen darf, weist auf ein vertrautes Verhiltnis des 
Schülers zum Meister hin. Das trifft bei keinem der damaligen Schüler Leonardos 
in so hohem Maße zu, wie bei dem als Künstler zweifellos unbedeutendem, auch 
als Mensch durchaus nicht tadelfreiem Lieblingsschüler des Meisters, dem lockigen 
Salai. Die von Gustav Pauli einmal geäußerte, sonst sehr ansprechende Ver- 
mutung, daB Salai vielleicht der Maler der groBen Bildergruppe sei, die wir nach 
Morellis Vorgang dem Giampietrino zuschreiben, halte ich nicht für zutreffend, 
weil der Charakter dieser Malwerke und der zugehörigen Zeichnungen erst der 
zweiten mailündischen Periode Leonardos nach 1506 entspricht, derselben Zeit 
übrigens, in der Leonardo auch einen gianpetro unter seinen Gehilfen aufzeichnet. 
(C. A. 264°»), Dem Zeichner der Mona Lisa, wahrscheinlich also dem Salai, 
dürften u. a. noch folgende Blátter angehüren: Die kleine Zeichnung eines Mádchen- 
kopfes auf blauem Papier, Profil n. l. in Windsor N. 15512, Müller-W., Abb. 52, 
Rosenberg, Abb. 98. Die Büste ist von Leonardo hinzugefügt. Ferner der Frauen- 
kopf mit aufgelóstem Haar, groBen, starren Augen und doppelter Halskette in der 
Ambrosiana, Braun 33, Rosenberg N. 94. Beide Blatter hat v. Seidlitz dem Preda 
zugeeignet. Ferner in Windsor, Rouveyre, Physionomies F. 6 und im Cod. Atl. 
verschiedenes, auf das ich später einmal eingehen möchte. 

Ist uns die unvollkommene Zeichnung auch schon wertvoll als Beispiel der 
Fähigkeiten und des Stiles jenes mailändischen Schülers, der Leonardo nach Florenz 
begleitete, d. i. wahrscheinlich des Salai, so besitzt sie doch eine unvergleichlich 
höhere Bedeutung, weil sie uns in den Stand setzt, die Persönlichkeit der Mona 
Lisa bésser zu erkennen und Leonardos Schépfung zutreffender zu beurteilen. 

Überraschend klar treten uns bei einigem Nachdenken die Umstünde entgegen, 
unter denen Leonardo die M. Lisa malte! Während die junge Gemahlin des 
Giocondo zwanglos im Armstuhle saß, Gesicht und Blick auf den Meister gerichtet, 
hat der seitlich rechts von ihm sitzende Schüler die Gelegenheit benutzt, eine 
Naturstudie nach der Dame zu machen. Ja, es läßt sich nachweisen, daß Leonardo 
damals am Kopfe malte (was bei Leonardos Arbeitsweise darauf schließen läßt, 
daß das Gemälde sich der Vollendung näherte!) Denn während der Kopf auf der 
Zeichnung einschlieBlich des Schleiers und der Haartracht mit dem Bilde überraschend 
übereinstimmt, ist seine Stellung zum Rumpfe stark verändert: anstatt der leichten 
Wendung zur linken Schulter auf dem Gemälde erblicken wir auf der Zeichnung 
eine starke Drehung zur rechten Schulter in der Richtung auf Leonardo zu, wo- 
gegen der Kórper dem Schüler zugewendet war. Die so sicher zu erratende Szenerie 
kónnte fürwahr einen Historienmaler reizen, uns ein anziehendes, getreues Bild 
aus Leonardos Studio vorzuführen! 

Wir erkennen weiterhin, daB Leonardo nur im Beiwerk seinen Erfindungsgeist 
und Schónheitssinn hat spielen lassen. Von der wunderbaren Gebirgslandschaft 
des Gemäldes ist ja bekannt, daB sie nur im Geiste des Meisters vorhanden war, 
der aus den seltsamen Erdpyramiden Toskanas (Beobachtung von Felix Rosen), 
aber auch aus den von ihm Ende 1499 besuchten Dolomiten die Grundformen ent- 
nommen hat. 

Ahnlich verhült es sich mit der Kleidung. Ein wenig Überlegung bei Be- 
trachtung des Originalgemáldes sagt uns schon, daB die reizvoll verschlungenen 
Schnüre unterhalb des Halssaumes des Kleides auf dem in engen Kräuselfalten 
liegenden, weichen Seidenstoff gar nicht aufgenüht sein kónnen, wenn auch der 
obere Fries Halt genug in sich selbst hat (Abb. 2). Die Zeichnung des Schülers 
zeigt uns das Kleid sehr schlicht mit wenigen Fältchen unter schmuckloser Ein- 


4 


fassung. Auch auf dem Karton Leonardos (Abb. 5 u. 6) begegnet uns dasselbe 
schlichte Kleid. Wenn man einwenden wollte, daB die Dame ein reicheres Ge- 
wand getragen haben wird, als der Künstler an diesem Teile des Bildes malte, so 
könnte ich aus ähnlichen Teilen in Leonardos Werken nachweisen, daß das wunder- 
voll gestaltete Gewand im einzelnen weit mehr eine Phantasieschipfung des Künst- 
lers ist, als ein Naturstudium. Sehr viele der unzähligen Fältchen, die da stehen — 
die meisten sind unter Firnis und Nachdunkelung versteckt und nur auf der Kopie 
im Prado (Abb. 4) zu erkennen — lassen sich im Stoff gar nicht so legen; sie 
sind von der Natur nur angeregte, freie Schöpfungen in Leonardos eigentümlichem 
Schünheitsempfinden; so arbeiten heißt in des Meisters Sprechweise „fare di fan- 
tasia appresso li effetti di natura“ (Trattato 39). 

Dagegen hat Leonardo in der Darstellung des Körperlichen in seinem 
Gemälde ein bewundernswert getreues Abbild der Mona Lisa gegeben, 
wie es seinen Grundsätzen über die Bildnismalerei entspricht. Es hat nicht an 
Kunstschriftstellern gefehlt, die behaupteten, die Mona Lisa sei eher ein aus Leo- 
nardos grübelndem, konstruierendem Geiste geborenes Symbol des Weibes, als das 
Abbild einer ehemals lebenden Person. Selbst W. v. Seidlitz schrieb in seinem 
Leonardobuch (П 49): Leonardo wollte (in der Gioconda) nicht den unmittelbaren 
Hauch des Lebens wiedergeben, sondern ein inneres Bild, das ihm vorschwebte, 
wobei das zufällig (!) vor ihm sitzende Modell dabei nur insofern in Betracht kam, 
als es der Verdeutlichung des Bildes diente... Darin hat der Engländer Pater in 
seiner eindringenden (!!) Kritik (!) des Bildes durchaus recht, daß es viel mehr ein 
Symbol als Wirklichkeit darstelle. — Die schon 1869 erschienenen kritiklosen Phan- 
tastereien des Schüngeistes Walter Pater sind selbstverständlich für die Auffassung 
des Bildes ohne Belang. Diese ganze, Leonardos Werk und Kunstziele schwer 
mißdeutende Auffassung erledigt sich schon durch die Anforderung, die der Meister 
in seinem Buche über die Malerei (Ausg. v. Ludwig-Herzfeld 193) an ein Bildnis 
stell. „Die Malerei ist am lobenswertesten, die am meisten Übereinstimmung mit 
dem dargestellten Gegenstande hat.“ Dasselbe ergibt sich auch aus der oft an- 
geführten Erklärung, die Leonardo von einem Gemälde gibt: „una cosa naturale 
veduta in uno grande specchio.“ 


Wer Leonardos Persönlichkeit und seine Kunstweise erfaßt hat, welche den | 


starken, ins Kleinste eindringenden Realismus des Naturforschers und die tiefste, see- 
lische Erfassung des Denkers, sowie die wissenschaftliche Konstruktion des Mathe- 
matikers und das Aufbauen des Architekten mit den anmutig spielenden Formen des 
Schónheitsschwürmers zu einem unauflóslichen Ganzen verbindet, der weiß aller- 
dings, daß er von diesem einzigen Künstler kein plattes, naturalistisches Spiegel- 
bild der Natur zu erwarten hat, sondern ein im Geiste des Künstlers vertieftes 
und in eine höhere Welt emporgehobenes Abbild! Zu diesem Zwecke bedient 
sich Leonardo aber nicht einer Abünderung der kürperlichen Erscheinung, was er 
ja als Unwahrhaftigkeit verurteilen müßte, sondern der künstlerischen Anordnung 
der Beleuchtung, der von Schönheit durchtrünkten Gestaltung des Beiwerkes, 
namentlich der Kleidung und bei unserem Bilde vor allem einer unvergleichlichen, 
wie ein großartiges, märchenhaftes Traumbild gestalteten Landschaft, die durch 
ihre ungeheure Stimmungsgewalt eine wunderbare Steigerung des Persönlichen 
ins Allgemeine, Zeitlose zustande bringt’). 


(z) Noch i. J. 1914 hat, wie ich aus einer freundlichen Sendung von Marie Herzfeld ersehe, André- 
Charies Coppier in Les Arts N. 145 in einem Artikel „La Gioconde est-elle le portrait de 


5 


. n 


In der nüchternen Zeichnung des Schülers, der ganz gewiñ nur gegeben hat, 
was er vor sich sah, kehren alle Formenelemente von Leonardos Gemälde wieder: 
die dünnen, geringelten Haare, dieselben Falten des gleich angeordneten Schleiers, 
die breiten Wangen (alquanto larghetta nennt Pozzo treffend das Antlitz der Gio- 
conda) mit dem. sich deutlich abzeichnenden Jochbein, die schmalen Augen mit 
den etwas geschwollenen unteren Lidern und den auffallenden Fettpolstern über 
den oberen Lidern nach den Schlüfen zu; endlich fehlen ebenso wie auf dem Ge- 
málde die Augenbrauen, die der Schüler ganz gewiß gezeichnet hätte, wenn sie in 
der Natur vorhanden gewesen wären. Auf diesen letzten Punkt müssen wir 
noch tiefer eingehen, um den von namhaften Leonardoforschern verbreiteten Irrtum 
zu zerstören, daß auf dem Gemälde Leonardos di Augenbrauen gemalt ge- 
wesen seien. 


Die Quelle des Irrtums ist die wortreiche Beschreibung des Bildes durch Vasari, 
wo es heißt: Le ciglia per avervi fatto il modo del nascere i peli nella carne, 
dove pit folti e dove piú radi, e girare secondo i pori della carne, non potevano 
essere piú naturali!). 

W. v. Seidlitz (П 52) übersetzt: „Die Brauen, bei denen er dargestellt hatte, 
wie die einzelnen Haare aus der Haut herauswachsen, bald dichter, bald dünner, 
und stets so, daB sie in ihrer Richtung durch die Poren bestimmt waren, konnten 
nicht natürlicher gedacht werden.“ Nun heißt aber ciglio lat. = cilium, franz. = 
cil „Augenwimper“, während die Augenbraue sopracciglio, lat. — supercilium, franz. 
== sourcil genannt wird. Veranlassung zu diesem Ubersetzungsfehler bot der 
groBe Wortmacher Vasari, denn nur bei Augenbrauen kann man von bald dichter, 
bald dünner stehenden Haaren sprechen. So ist sogar Eugéne Müntz (L. d.V. 420), 
nachdem er zuerst genau „les cils“ übersetzt, im Verlaufe seiner freien Über- 
setzung auf ,les sourcils* gekommen. Auch Rosenberg (102) und Emmi Hirsch- 
berg (in ihrer von greulichen Fehlern strotzenden Übersetzung des Leonardobuches 
von Solmi 193), schließlich aber auch noch О. Sirén (L. d. V. 71 „ögonbrynen“) 
sind diesem Irrtum verfallen. Auch Malaguzzi-Valeri, der noch 1915 über Leonardo 
weitläufig geschrieben hat, gebraucht, obgleich Italiener, le ciglia bei Vasari und soprac- 
ciglia unterschiedslos, indem er sich auf die famose Darstellung von Coppier in Les 


la Mona Lisa?" diese Frage verneint und dem Zuge der gegenwürtig herrschenden Anschauungen 
folgend hat er das Gemülde für eine ideale Schópfung Leonardos ausgegeben. Ja, er glaubt in der 
Dargestellten die nach Ant. de Beatis für Giuliano Medici gemalte „Donna fiorentina“ — die aber 
doch „facta di naturale" heißt — zu finden und schließt daraus, daß das Bild im Louvre erst 1512 
gemalt sein kónne. Malaguzzi-Valeri, La Corte 11576, nennt das hóflich eine ,ingegnosa ipotesi!" 
Coppier meint auch, daß Leonardo in der Landschaft den See von Misurina mit der Poppe und dem 
Sorapiß (andere, wie Malaguzzi-Valeri, suchen die Naturvorbilder dieser echten Phantasieschöp- 
fung an der Adda) dargestellt habe — leider als Spiegelbild, aber Leonardo schrieb ja „Spiegel- 
schrift“! Es ist zum Lachen! Man tut solchem feuilletonistischen Geschreibsel, das mit einigen aus 
der Leonardoliteratur erborgten Notizen verbrámt ist, Ehre genug an, wenn man Unkundige vor ihm 
warnt; denn dem Kundigen enthüllt der Verfasser auf Schritt und Tritt, wie fremd ihm Leonardos 
Schaffen geblieben ist. 


(x) Angesichts der grofen Bedeutung, die dieser Beschreibung leider immer noch beigelegt wird (so 
schreibt z. B. sogar v. Seidlitz П 52: „Die Augenbrauen müssen aber vorhanden gewesen sein, weil 
Vasari sie schildert!^), obschon Vasari das Bild nie gesehen hat, iet es vielleicht gut, zu sagen, da6 
al die Lobsprüche über anscheinend genau beobachtete Einzelheiten auf jedes fein durchgeführte 
Bildnis einer schónen, láchelnden Frau passen. Von der wunderbaren Landschaft weiß er gar nichts. 
Vasaris Schilderung beweist nur den Ruhm des Bildes, sonst nichts! 


6 


Arts N. 145 stützt; auch behauptet er, daß Cassiano del Pozzo auf dem Bilde die 
„sopracciglia“ vermißt habe. (La Corte di Lod. il Moro 11575.) Sogar bei W. von 
Seidlitz (II 52) heißt es, daß Pozzo noch Teile der Augenbrauen auf dem Gemälde 
gesehen habe. Es ist ein verwirrendes Durcheinander von Ungenauigkeiten, als 
wenn Brauen und Wimpern dasselbe wären!!) Was sagt nun Pozzo eigentlich? 

Cassiano del Pozzo, der das Gemälde 1625 in Fontainebleau sah und über- 
raschend genau beschrieben hat, ist als gebildeter und kunstbegeisterter Mann — 
er war mit Rubens befreundet — der bei weitem wichtigste Zeuge, den wir 
für das Aussehen des Bildes in ülterer Zeit haben. Er hat offenbar nach den von 
Vasari so überaus genau beschriebenen „ciglia“ gesucht. ,Notamo che à quella 
Donna paltro bella mancava qualche poco nel ciglio che il Pittore non gl'ié l'hà 
fatto molto apparire come che essa nó doueua hauerlo*!), 

Also: ,Wir bemerken noch, daB es jener im übrigen so schónen Dame ein wenig 
an den Wimpern mangelte, die der Maler bei ibr nicht zahlreich hat erscheinen 
lassen, wie sie solche auch nicht gebabt haben muB.“ Somit stellt Pozzo im 
Gegensatz zu der Beschreibung, die Vasari von den Augenwimpern der M. Lisa 
gibt, die Behauptung auf, daß sie auf dem Gemälde nur spärlich zu sehen seien, 
und erklärt diese auffällige Erscheinung mit einer Eigentiimlichkeit des Modells. 

Wir kónnen also feststellen, daB weder Vasari noch Pozzo von Augenbrauen 
auf dem Gemälde der M. Lisa gesprochen haben, was ganz im Einklang steht mit 
der efwa 1505 gezeichneten Naturstudie des Leonardoschülers und auch der Mode- 
richtung der Zeit entsprach, denn Baldassare Castiglione berichtet in dem 1516 er- 
schienenen Cortigiano, daß die Damen sich damals die Augenbrauen auszurupfen 
pflegten?). | 

Nunmehr erhebt sich noch die Frage, ob wir Pozzo vertrauen diirfen, der 1625 
noch vereinzelte Wimperhaare auf dem Gemälde gesehen hat! Ich bin über- 
zeugt, daB seine Beobachtung zuverldssig ist, wie er denn überhaupt das Bild sehr 
liebevoll betrachtet und mit vorzüglichem Urteil beschrieben hat. 

Einen überraschenden Beweis für die Wahrheit von Pozzos Behauptung besitzen 
wir noch in der alten flämischen Kopie der Gioconda im Prado, die allen mir be- 
kannten an Genauigkeit überlegen ist (Abb. 5). Dr. G. Frizzoni (Ztschr. f. b. К. 1894,74) 
bezeichnet sie mit Recht als niederlündisch-flàmisch, irrte aber gewaltig, als er dem- 
selben Maler auch die Auferstehung Christi im Berliner Museum zuschrieb. Ich 
kann nur nach der vortrefflichen Photographie von Anderson (N. 16109) urteilen 
und halte das Gemälde für bald nach 1550 entstanden, zumal da es eine ungeheure 
Menge von Einzelheiten enthält, die Pozzo am Urbild wegen eines schweren Fir- 
nisses offenbar nicht mehr hat erkennen kónnen. Auf der Photographie sieht ein 
scharfes Auge am rechten Oberlid im äußersten Winkel drei oder — wenn es 
sich um keinen Schatten handelt — vier Wimperhaare, am linken Oberlid aber 
über dem äußeren Rande der Iris zwei Haare! Nun hat zwar der Kopist auch 
eine sehr dünne, anscheinend von einem- späteren verstärkte Linie als Andeutung 
der Brauen oder besser als Begrenzung der Augenhóhle und ebenso Falten an den 


(1) Über die Auslegung von „ciglia“ wolle man die berichtigende Schlußbemerkung S. 14 beachten! 
(2) Text nach meinen Aufzeichnungen aus dem Originalcodex Ms. Bibl. Ap. Barb. Lat. 5688 f. 194r, 
die der damalige Prüfekt der Vaticana, P. Ehrle, S. J., trotz der vor sich gehenden Umordnung der 
Bibliothek freundlichst ermöglichte. 

(3) Angeführt bei H. Wölfflin, Die klassische Kunst, Note S. 33. Castiglione spricht allerdings von 
„pelarsi le ciglia e la fronte", aber an das Ausreißen der Wimpern kann man doch schlecht glauben. 
Auch Wölfflin nennt in seinem Text nur das AusreiBen der Brauen. 


Fingergelenken hinzugefiigt, jedoch die vereinzelten fünf oder sechs Wimper- 
haare sind so auffällig, daß sie sich nur durch die Annahme erklären lassen, daß 
das Originalbild sie damals noch aufwies! 

Es ist mir leider in den letzten Jahren nicht vergünnt gewesen, das Urbild im 
Louvre zu sehen und die größten Photographien gestatten hier kein Urteil wegen 
der vielen Farbenrisse mit ihren Reflexen. Aber M. Durand-Gréville hat Eugéne 
Müntz (L. d. V. 418) mitgeteilt, daß zwei oder drei Wimperhaare (cils, die 
W. von Seidlitz wieder als Brauen deutet!) mit der Lupe noch wahrzunehmen seien, 
ebenso wie der Schlagschatten der Hauptlinie der Wimpern, der sich in 
der äußersten Ecke des (welches?) unteren Lides befindet). 

M. Durand-Gréville ist anscheinend nicht durch die Kopie in Madrid beeinfluBt 
gewesen und hat nur erklürt, was seine Augen sahen. Es würde eine glänzende 
Rechtfertigung meiner Behauptungen sein, wenn 'sich diese Spuren der Wimper- 
haare vielleicht an jenen Stellen befánden, wo sie auf der Kopie stehen. 

Der Erklürungsversuch Pozzos für die Mangelhaftigkeit der Augenwimpern auf 
dem Bilde ist sicher verfehlt, Die Malerei hatte vielmehr vor 1625.schon erheb- 
lich gelitten — il vestito é stato da certa vernice datali cosi malconcio..con tutte le 
disgratie che questo quadro habbi patito . . schreibt Pozzo. Daß wir darunter 
auch Abwaschungen verstehen dürfen, ist sicher. Auch in späteren Jahrhunderten 
ist Abwaschen und Firnissen das Allheilmittel der Gemäldepfleger in den Samm- 
lungen der französischen Könige. ,,N’a besoin que d'être lavé et verni“ ®t ein 
stehender Ausdruck in den Verzeichnissen, die Ferd. Engerrand (Bailly, Inventaire 
des Tableaux du Roy, Paris 1899) herausgegeben hat, und gerade bei der M. Lisa 
heißt es noch 1788 ,laver et vernir“, Die Folgen sieht man deutlich genug an 
Nebendingen: Die Sáule zur Rechten ist nahezu verschwunden! 

Wenn auch in Leonardos Gemälden und Zeichnungen Augenwimpern nur selten 
und nur in frühen Arbeiten zu finden sind, so möchte ich doch glauben, daß Leo- 
nardo auf diesem Bildnis wirklich Augenwimpern gemalt und daB Pozzo noch Teile 
davon gesehen habe, ja, ich glaube, daB heute noch die von Durand-Gréville ge- 
meldeten Spuren nachweisbar sind. Freilich hat der Schüler in seiner geringen 
Zeichnung die Wimperhaare ausgelassen, was aber nicht viel bedeutet, da sie in 
einigem Abstande nicht mehr gesehen werden. Wie leicht konnten die als letzte 
Feinheiten hinzugefügten Wimperhaare, Dinge, die Leonardo mit dem feinsten 
Pinsel in unvergleichlicher Sicherheit leicht wie einen Hauch hinsetzte, einer der 
häufigen Abwaschungen zum Opfer fallen!?) 


(т) D'aprés M. Durand-Gréville deux ou trois cils seulement sont encore visibles à la loupe, ainsi que 
l'ombre portée de la ligne générale des cils, qui se trouve sur le coin extréme de la 
paupière inférieure. 
(2) Bei dieser Gelegenheit will ich, einer tin Untersuchung vorgreifend, die mir bisher auf- 
gefallenen wesentlichsten Beschüdigungen des Gemáldes kurz anführen, 1. Starke 
Abwaschungen in der Landschaft, an den Säulen und an Gesicht und Büste; von den Händen 
haben die Fingerspitzen gelitten. a. Am Schleier, besonders an der rechten Gesichtsseite und 
über der Stirn sind die Begrenzungslinien ziemlich plump erneuert. 3. Durch einen trüben Firnis 
sind groBe Teile der Kleidung, des Schleiers, der Haare (namentlich seitlich von der linken Wange), 
des Armstuhles und die feine Rusticaverzierung der Brüstungswand, die bisher anscheinend un- 
bemerkt geblieben ist, fast unerkennbar geworden. Von einem Firnis Leonardos kann seit Jahrhunderten 
natürlich keine Rede mehr sein. 

An Restaurierungen läßt sich folgendes feststellen. Nach dem Zeugnis der Kopie im Prado 
muß das Urbild bereits um 1550 durch Abwaschungen (vgl. die Augenwimpern) geschädigt gewesen, 


IL Der Karton der St. Anna in der Kgl. Akademie zu London. (Abb. 5 u. 6). 

Trug schon die Zeichnung des Schülers wesentlich dazu bei, die Persónlichkeit 
der Mona Lisa und den Wirklichkeitscharakter der Schópfung Leonardos erkennen 
zu lassen, so muf es noch bedeutungsvoller erscheinen, дай der Meister selbst auf 
einem seiner berühmtesten Werke, dem Karton der S. Anna in London, die M. Lisa 
in voller Gestalt verwendet hat. | 

In jenem stillen Saal der Diploma Gallery, in den sich nur selten ein Besucher 
der Royal Academy verirrt, habe ich in verschiedenen Jahren manche Stunden vor 
jenem trotz aller Schüden so kostbaren Originalkarton Leonardos zugebracht. Die 
hl Jungfrau, die auf dem rechten Knie der Mutter Anna sitzt, zeichnet sich vor 
den schlanken, . mehr jungfräulichen Madonnen der mailändischen Zeit Leonardos 
aus durch eine fraulich-reife Gestalt von starken Schultern, deutlich hervortretenden 
Brüsten und kräftigen, gerundeten Knieen. Der Kopf ist der am sorgfältigsten 
durchgeführte Teil der Zeichnung. Die Haare sind ziemlich dünn, in der Mitte 
gescheitelt und mit einem diademartig geschlungenen Schleiertuch bedeckt. Die 
niedergeschlagenen Augen sind nicht gerade groB; Brauen sind nicht festzustellen; 
die feine, schmale Nase wölbt sich an der Spitze zu einem fleischigen Knopf; um den 
Mund spielt ein sinnendes, mütterliches Lächeln. Ein zartes, sonniges Spiel von 
Lichtern und Schatten huscht über das etwas breite, rundliche Gesicht und hebt 
das Wangenbein kráftig hervor. Man kann sagen: soweit es bei der Verschiedenheit 
der Technik und der Schnelligkeit der Ausführung möglich war, ist hier ein Gegen- 
stück zu dem lebendigen Lichterspiel auf dem Gemälde der Gioconda zu schauen. 
Bei dem auf ideale Bildungen gerichteten Leonardo sind wir, selbst bei einem 
Karton zu einem Altarbilde, nicht darauf gefaßt, ein „Modell“ in solcher Klarheit 
auftauchen zu sehen,wie es hier offensichtlich der Fall ist. 

Man darf ja sagen: mit Ausnahme der frei fließenden Haare kehren fast alle körper- ` 
lichen Züge, die wir aus dem Gemälde Leonardos und der geringen Zeichnung des 
Schülers als bezeichnend für die M. Lisa gesammelt haben, in dem Londoner Karton 
wieder! Im einzelnen erkennen wir besonders noch die zierliche Form der Nase, 
die auch auf dem Gemálde einen schmalen Rücken und einen erbreiterten Knopf 
hat, der auf der Schülerzeichnung gewöhnlich und unschön gestaltet ist, ebenso 
genau wieder, wie den lieblichen Mund mit der ganz leise hervortretenden Unter- 
lippe. Ja, selbst das Kleid mit dem weiten, runden Ausschnitt, unterhalb dessen 
der Stoff in Fältchen eng zusammengezogen ist, stimmt mit den beiden bereits 
erkannten Abbildern überein. Dazú kommt noch die nach dem gleichen malerischen 
Ziele strebende weiche Beleuchtung und lebendige Modellierung des Kopfes!). 
in den Gewandteilen aber noch sehr klar gewesen sein. Als Pozzo 1625 das Bild sah, lag schon ein 
so schwerer Firnis darüber, daf er nicht erkennen konnte, ob das Kleid ,schwarz oder dunkelbraun“ 
(negro o lionato scuro) sei. In Wirklichkeit ist es bláulich-grún. Nach der Abwaschung von 1788 
ist wahrscheinlich noch eine weitere Instandsetzung erfolgt, als die Bilder für das Musée Napoléon 
hergerichtet wurden. 

Ich glaube nicht, da8 die Kenntnis von Leonardos Gemálde durch die Zusammenstellung sámtlicher 

Kopien noch merklich gefördert werden könnte, was Dr. Frizzoni annimmt. Wahrscheinlich aber würden 
große Photographien bei geeigneter Behandlung und scharfer Beleuchtung des Bildes noch manches 
herausholen können. 
(1) Wie war es möglich, daß man diese Übereinstimmung bisher übersehen hat! NurGeorg Gronau, 
L. d. V., Lond. 1903, 138 schrieb, daß beide Köpfe der Ы. Frauen mit ihrem feinen, kaum wahr- 
nehmbaren Lächeln direkt an die M. Lisa erinnern. Außerdem sagt Siren, L. d. V. 263, daß das 
Brustbild der Madonna durch sein malerisches Sfumato mit der M. Lisa wetteifere. Doch unser 
einziger Müller-Walde wußte das seit 30 Jahren und sprach zu einzelnen Fachgenossen davon! 


Aber da wendet vielleicht ein Kenner der Leonardoliteratur ein, daB die all 
gemein angenommene Datierung des Londoner Kartons es uns unmöglich mache, 
ihn mit der M. Lisa zu verbinden! Allerdings haben sämtliche Leonardoforscher 
und -Schriftsteller mit Marks und Herb. Cooks schöner Studie beginnend bis zu 
Siren — eine Ausnahme bilden nur der mit irreführendem Beweisgrunde arbeitende 
Anton Springer (Ztschr. f. b. К. 1889, 141 fl.) und der vortreffliche Hans Klaiber 
(Leonardo-Studien 48), dessen Beweisführung mir unklar geblieben ist und auch 
Unzutreffendes enthält — die Ansicht vertreten, daß der Londoner Karton bereits 
in Mailand entstanden sei und dem 1501 in Leonardos Werkstatt befindlichen, 
der dem Bilde im Louvre zugrunde liegt, voraufgehe. Aber bisher hat kein For- 
scher auch nur einen einzigen annehmbaren Beweisgrund für diese Ansicht vor- 
gebracht, und der unanimis consensus ist, wie so oft in der Leonardoforschung, 
auch hier nur ein communis error zu nennen, 

Ich kann mich nunmehr nicht mehr der Aufgabe entziehen, meine abweichende 
Datierung des Londoner Kartons, die eigentlich in der seit vielen Jahren vorberei- 
teten Darstellung von „Leonardos Madonnenkompositionen“ Platz finden sollte, 
bereits an dieser Stelle zu begründen. | 

Der Karton der Royal Academy füllt in das Jahr 1503, was mein hochverehrter 
Freund Dr. Paul Miiller-Walde i. J. 1912 mir gegenüber offen als zweifellose 
Tatsache bezeichnete, wührend ich damals über die Datierung der verschiedenen 
Entwürfe und Studien noch nicht mit mir ins reine gekommen war. Meine For- 
schungen in dem Lichte dieses wertvollen Fingerzeiges wieder aufnehmend, kam 
ich dann zu der folgenden Begründung: 

I. Die Weise der Zeichnung, ihre Breite und Weichheit und die Ausarbeitung 
feiner Beleuchtungswirkungen, vor allem aber die Schraffierung passen nicht 
mehr zu der Zeit vor 1500; letztere nühert sich der um 1503 bei dem Künstler 
zuerst namentlich in anatomischen Zeichnungen auftretenden Manier, der Rundung 
der Formen zu folgen. Man beachte die linke Hand der S. Anna! 

2. Noch viel stürker offenbart sich in diesem Werke in den einfachen, groBen 
Formen der Komposition, vor allem in der „klassischen“ Gestaltung der Ge- 
wandung eine starke Beeinflussung des Künstlers durch die Antike, die, wie ich 
aus vielen Tatsachen nachweisen kann, von 1502 an stattgefunden hat. G. Gronau 
hat daher richtig empfunden, daß die Gewandung der ,,Tauschwestern“ im Par- 
thenonfries das Einzige sei, was sich mit Leonardos Karton vergleichen lasse — 
woran ich noch gewisse sitzende Figuren des jungen Michelangelo reihe, wie das 
Madonnentondo im Bargello, die Madonna in Brügge, den Moses und verschiedene 
Sibyllen und Propheten der Sixtina-Fresken. 

3. Das von Leonardo in Mailand gehegte Madonnenideal — leider gibt es aus 
den neunziger Jahren keine einzige Madonnenstudie mehr — ist, wie oben gezeigt, 
verlassen und eine reife, frauenhafte Bildung an die Stelle getreten, 

4. Der schlagendste Beweisgrund für die Entstehung des Kartons in der 
florentinischen Periode ist jedoch die nicht zu leugnende Übereinstimmung der 
hl. Jungfrau mit der Mona Lisa, die Leonardo 1503 zu malen begann. Aus 
hier nicht náher ausführbaren Ursachen hat Leonardo in diesem Jahre eine neue 
Komposition des Altarbildes für SS. Annunziata begonnen, aber gleich darauf auf 
den Auftrag verzichtet, der noch im selben Jahre dem Filippino Lippi zuteil wurde. 


* = 


10 


Die Tatsache, dañ Leonardo hier eine uns bekannte Person als Natur- 
vorbild für eine Altartafel verwendet hat — der einzige bei ihm nachweisbare 
Fall dieser Art — ist bedeutungsvoll genug, um dabei noch etwas zu verweilen. 

Aus dem Umstande, daB die edle Florentinerin dem Künstler für eine Darstel- 
lung der hi. Jungfrau ,gesessen“ hat, müssen wir schlieBen, daB Mona Lisa einen 
starken, inneren Anteil an Leonardos Kunst.genommen habe. Wer den bezaubern- 
den Eindruck dieses einzigartigen Frauenbildes in seiner Seele empfunden hat, 
wird solches gern glauben. Die Gioconda war ein in jeder Hinsicht wiirdiges 
Naturvorbild für einen so erhabenen Zweck, wobei von einer peinlichen, vulgären 
Nebenbedeutung des Wortes „Modell“, dessen ein Künstler ja nicht entraten kann, 
unbedingt abgesehen werden muß. Für Menschen aber, die aus dem hier auf- 
gedeckten Umstande vielleicht wieder einer Verstärkung häßlicher Vorstellungen 
entnehmen mögen, die nur der Argheit des eigenen Herzens entspringen, sei noch 
ein Wort gesagt. 

Wie Leonardo niemals so tóricht gewesen ist, bei der Herstellung eines Bild- 
nisses eine Studie nach dem unbekleideten Kürper zu machen (was ihm wahrhaftig 
Kunsthistoriker haben zuschieben wollen!), so bedurfte der unvergleichliche Kenner 
der Anatomie auch nicht einmal eines Aktstudiums, wenn er eine bekleidete Ge- 
stalt in ein Historienbild einschieben wollte. Man lasse sich nicht täuschen durch 
die unbekleideten Gestalten in manchen Entwürfen und die Bewegungsstudien zum 
Dreikónigsbilde: alle diese Zeichnungen sind nicht vor der Natur gemacht! Die 
Mona Lisa hat selbstverstiindlich nur in ihrem faltenreichen Gewand dem Maler 
für die Darstellung der hl. Jungfrau gesessen, anscheinend in demselben, das sie 
auf ihrem Gemälde trägt. Aus dieser Verwendung dürfen wir schließen, daß die 
Dame Leonardos hohen Anschauungen von körperlichem und geistigem Adel der 
Frau in hohem MaBe entsprochen hat, wie das beim Betrachten ihrer zwei Bilder 
von des Meisters Hand ja auch einleuchtend erscheint. 

Bei dieser Gelegenheit soll eine.leider sogar von ernsthaften Kunstgelehrten, dar- 
unter selbst Leonardobiographen, genührte Vorstellung mit gróBter Entschiedenheit 
abgewiesen werden: daß die unbekleidete Dirne auf dem Carton des Condé- 
Museums in Chantilly, die dort unter dem Titel „La Gioconda" als Arbeit Leo- 
nardos ausgestellt ist, einen anderen Zusammenhang mit der Mona Lisa und mit 
Leonardo habe, als den einer pietätlosen Nachahmung durch einen Schüler. Der 
Karton (abgebildet bei Seidlitz, II 50 und Müntz, L. d. V. TA. 19) ist nach meiner 
Überzeugung eine den bekannten Kartons in der Ambrosiana nahestehende Arbeit 
des Beltraffio, mindestens aber seiner Werkstatt, wo auf Verlangen eines „Mäzens“ 
eine feiste, mailündische Kurtisane in der ungeführen Haltung der Gioconda ge- 
zeichnet und auch gemalt wurde. Das Gemälde befand sich in der 1916 an- 
scheinend nach Amerika verkauften Sammlung Chabriéres-Arlés und ist in seinem 
reichgeschnitzten Rahmen in der Zeitschrift Les Arts 1905, Nr. 39 abgebildet. 
Nachbildungen dieses Schaustückes, das natürlich allezeit seine besonderen Lieb- 
haber gefunden hat, gibt es viele; die bekannteste, mit einer Dolomitenlandschaft 
hángt in der Eremitage (Abb. bei Rosenberg, N. go) und ist, wie P. Müller-Walde 
glaubt, wohl eine Arbeit des Salai. Möge die Direktion des köstlichen Musée Condé 
den sicherlich von keinem einzigen Kunsthistoriker gebilligten bisherigen Titel des 
Kartong recht bald abiindern, etwa in: Zugeschrieben der Werkstatt des G. Beltraffio, 
Mailindische Kurtisane in der Haltung der Gioconda!). 

(1) Damit würde krankhaft veranlagten, öfters gar auf niedrige Instinkte spekullerenden Schriftstellern 
ein wirksames Element ihrer Phantasien genommen. Es handelt sich bei M. Lisa um eine geschicht- 


II 


Schon im 17. Jahrhundert spukt augenscheinlich die sinnlose, háBliche Ver- 
mengung der dargestellten Dirne mit der Mona Lisa. Zwar wuBte der verstündige 
Pozzo 1625 trotz seiner Gründlichkeit noch nichts davon zu sagen, oder vielleicht 
verschmihte er es, auf ein pikantes Gerede dieser Art einzugehen. Aber bereits 
1642 sah sich Pére Dan (Trésor des Merveilles de Fontainebleau 136) genötigt, 
gegen ein derartiges „оп. dit“ aufzutreten. „Le cinquième en nombre et le premier 
en estime est le portrait d'une vertueuse dame italienne nommée Mona Lissa“ 
schreibt er und erklärt, „daß sie keine Courtisane sei, comme quelques-uns croyent 
(man war am Hofe Louis XIV.!) mais la vertueuse épouse de François Jocondo, 
gentilhomme ferrarois“ (sic!). 

Hiermit ist meines Wissens das e n Material zur Mona Lisa er- 
schüpft. Es gibt allerdings noch zwei andere Zeichnungen, die in der Leo- 
nardoliteratur mit der Gioconda in Verbindung gebracht sind und denen wir hier 
auf den Grund gehen wollen. Da war zunüchst in der Sammlung Gius. Vallardi 
ein angeblicher Karton Leonardos zu seinem Bilde, den Vallardi (Disegni di Leo- 
nardo d. V. posseduti da G. V. Milano 1855, S. 65) als ersten seiner Kartons auf- 
führt. „Eine lebensgroße Zeichnung der M. Lisa mit schwarzer Kreide auf weißem 
Papier gemacht und mit etwas Bleiweiß gehöht, der Hintergrund mit Strichen 
schattiert Zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand sieht man ein 
Rohr mit einer Andeutung von Bláttern, also vielleicht eine Palme.“ Nach einer 
von Müntz, L. d. V. 511 aufgenommenen Notiz aus Gaz. B.-A. 1861 befand sich 
unterhalb der Hinde auch ein Rad, wodurch die Dargestellte als S. Katharina ge- 
kennzeichnet ist. Vallardi hatte die Zeichnung von den Erben der Marchesi Cal- 
derara-Pino in Mailand erworben, ebenso wie jene kostbare Naturstudie Leonardos 
nach der Isabella d'Este, die seit 1861 dem Louvre gehört. Er behauptet sogar, 
der Karton habe ehemals dem Pompeo Leoni gehört. — C. Brun schrieb 1879 in 
seiner Leonardostudie (a. O. 39), der Karton habe sich damals bei dem mailindi- 
schen Advokaten Rosmini befunden und sei von P. Pozzi photographiert; Malaguzzi 
Valeri (a. O. II 584, Anmerk.) sagte 1915, er sei heute nicht mehr auffindbar. — 
Brun hielt den Kopf für eine eigenhündige Arbeit Leonardos, wogegen die übrigen 
Teile von anderer Hand seien, die den Karton auch für eine hl. Katharina benutzt 
habe, wie solche ja mehrfach zu finden sind. Wenn Bruns Ansicht zutrüfe, müBte 
die untere Hälfte des großen Blattes entweder ebenfalls von Leonardo entworfen 
oder erst spüter angeklebt sein. Leider habe ich weder den Karton, noch dessen 
Photographie zu Gesicht bekommen. Der von Vallardi seinem Katalog beigegebene 
Stich ist nicht nur sehr klein, sondern auch zugunsten der behaupteten Über- 
einstimmung mit dem Gemälde gefälscht! Er weist nicht einmal die Palme auf, 
geschweige denn das von Vallardi übergangene Rad. — Bei der Unmüglichkeit, 
während des Weltkrieges andere Erkundigungen einzuziehen, wandte ich mich 
an meinen hochverehrten Freund Dr. Paul Müller. Dieser teilte mir freundlichst 
mit, daB er schon 1890 in Casa Vallardi in Mailand den Karton, der in Kreide und 
Kohle gemacht sei, gesehen habe und daB es sich nur um eine Fülschung des 
19. Jahrhunderts handle, die für eine Ausstellung in Mailand angefertigt sei. Durch 
dies Urteil dieses eminentesten aller Leonardoforscher dürfen wir wohl den ge- 
heimnisvollen Karton für erledigt halten. 

Viel kürzer kinnen wir eine Zeichnung in der Künigl Kupferstichsammlung in 
München erledigen, von der ebenfalls C. Brun unter Berufung auf Férsters Vasari- 


liche Persönlichkeit, um eine vornehme Dame von hohem Geistesadel, die schon des großen Leonardo 
wegen Anspruch auf respektvolle Behandlung hat. 


12 


ausgabe Ш 32 erzählt und worin eine Profilzeichnung der Gioconda mit hangenden 
Haaren dargestellt sein soll. Auf meine Anfrage bei der Direktion der Königlich 
Bayrischen Graphischen Sammlung gab Herr Dr. Bredt freundlichst Auskunft 
durch Übermittlung der Beschreibung des Katalogs. Die Rötelzeichnung auf weißem 
Papier im Profil nach rechts (Inv. Nr. A.207. IV.2155) ist eine Kopie nach dem 
Uffizienblatt zur Isabella d'Este, wie schon Müntz 525 richtig bemerkt hatte. 
Nach dieser Abschweifung schlieBe ich mit der tiefempfundenen Schilderung des 
Bildes der Mona Lisa durch unsere österreichische Landsmännin Marie Herzfeld, 
meine hochgeschitzte Freundin: | 
„Diese in aller Zerstörung durch die Zeit dennoch unsterbliche Malerei, in der 
Leonardo alles zusammengetragen hat, was ihm auf Erden kistlich und teuer war, 
die romantische Landschaft mit dem so geliebten Wasser, das sich wellt wie 
Frauenhaar, mit den so viel studierten Felsen, uralten Wundergebilden der Erde, 
mit jener weichen, lichtdurchtrünkten, aber nicht sonnigen Luft, die den Zügen der 
Frauen, wie er sagt, so viel holde Anmut leiht, und dann die Gioconda selbst mit 
den wie von ihm erfundenen Zügen — so voll Ruh und Güte, so hoch über aller 
Banalität, daß die Sprache für ihren Adel keine Bezeichnung hat, mit diesen schönen, 
so geduldigen Händen, die vom Leben zu wissen scheinen und teilzunehmen an 
jenem vielsagenden Lücheln, dessen Geheimnis hundert Leben nicht ganz ent- 
schleiern könnten, weil nur hundert Leben, das Leben von Geschlechtern, die 
hundert Möglichkeiten dieser Frau zu entwickeln vermöchten, — ist das nicht 
Leonardo selbst? Der Eine, Vielfache, der rätselvolle Rätseldurchschauer .. . 2). 


* * 
* 


Der besseren Übersichtlichkeit wegen seien zum SchluB die wichtigsten Er- 
gebnisse der vorstehenden Untersuchung zusammengefaßt. 

Die anziehende Persónlichkeit der edlen Mona Lisa trat uns in zwei bisher un- 
erkannten Werken entgegen: in der Naturstudie eines Leonardoschiilers, höchst 
wahrscheinlich des Salai, gezeichnet um 1505 in Leonardos Werkstatt und in der 
hL Jungfrau auf dem Londoner Annakarton, der infolgedessen endlich eine sichers, 
von den bisherigen Ansichten stark abweichende Datierung empfängt. Aus diesem 
Karton ergab sich erstmalig die bei Leonardos Kunstweise für viele überraschende 
Tatsache, daB der Meister ausgewühlte Modelle in heilige Darstellungen herüber- 
nahm und die Wahrnehmung, daB er durch die M. Lisa zu einem neuen, frau- 
licheren Madonnenideal gekommen ist. Die Großzügigkeit und Einfachheit der 
Komposition und die plastische Auffassung offenbaren, daß Leonardo 1503 starke 
Eindrücke von antiken Bildwerken empfangen hatte. 

Wir gewannen eine willkommene Bereicherung über das Aussehen und den 
Charakter jener edlen Florentinerin, vor allem durch das Bild der ganzen, herr- 
lichen Frauengestalt von Leonardos Meisterhand, während die mangelhafte Schüler- 


( Marie Herzfeld, Leonardo der Denker, Forscher und Poet. 3. Aufl. 19, S. 93. Verlag Eugen 
Diederichs in Jena. Das Buch irrt zwar ebenso gut wie die besten anderen in manchen wichtigen 
Fragen über Leonardos Schaffen, weil die Verfasserin die vermeintlich sicheren Ergebnisse der bis- 
herigen Leonardoliteratur mit zu groBem Vertrauen hingenommen hat; aber es bleibt für denkende 
und fühlende Menschen, tür die Leonardofreunde vor allem, das wabrste, innerlichste und wertvollste 
aller Leonardobücher, weil es nicht nur reiche, unverfälschte Auszüge aus des Meisters Schriften 
bietet, sondern Leonardos Wesen mit glühendem Sehnen gleichsam divinatorisch nahe kommt und 
sein Leben und Schaffen, Denken und Fühlen in edier, oft hinreiBend schöner Sprache schildert. 


I3 


zeichnung namentlich deshalb unschätzbar ist, weil sie erkennen läßt, daß das 
Gemälde im Louvre — weit entfernt, ein Idealbildnis zu sein, wie die meisten 
Leonardoschriftsteller annehmen — ein getreues, lebensvolles, wenn auch durch 
die Umgebung dem Alltag entrücktes Abbild der Wirklichkeit ist. Im einzelnen 
wird die alte Streitfrage, ob die M. Lisa Augenbrauen besessen habe, schon durch 
die nüchterne Naturstudie des Schülers verneint!). 

Wenn der offenbar in den neunziger Jahren in Mailand ausgebildete Zeichner 
der Naturstudie der in Leonardos Florentiner Werkstatt arbeitende vielgenannte 
Salai ist, wofiir gewichtige Griinde sprechen, so haben wir endlich eine Arbeit von 
ihm, an die sich andere Werke angliedern lassen. 

Nebenbei konnte das Verhültnis der bisher ganz im Dunkel gebliebenen Donna 
nuda zu dem Bildnis der Gioconda festgestellt werden. Es handelt sich nur um 
eine dreiste Anlehnung bei der Darstellung einer Dirne, um eine Arbeit der Werk- 
statt des Beltraffio. 

Dap diese reiche Ausbeute nicht auf wenigen Seiten dargestellt und wissenschaft- 
lich begründet werden konnte, versteht sich wohl leicht. Der Verfasser wollte, 
bevor er eine Kritik der neueren Leonardoliteratur veröffentlicht, hier noch an 
einem neuen Beispiel zeigen, wie nach seiner Ansicht die Leonardoforschung, die 
vielfach noch in den wichtigsten und meistbehandelten Fragen in die Irre geht, 
sogar aus dem alten, hundertfach durchgesehenen Material wertvollste Ergebnisse 
gewinnen kann, wenn sie sich auf gründliche, natürlich vieljähriges Studium 
voraussetzende Einzeluntersuchungen verlegen will Anders arbeiten bringt 
auf diesem unsicheren Gebiet nur neue Verwirrung und unausbleiblichen MiBerfolg. 


(1) Nach geschehener Korrektur dieses Beitrags bin ich zu der Überzeugung gekommen, daB ver- 
schiedene Ausführungen über die ,ciglia" (S.6—8) nicht gebalten werden kónnen. — Mit meinen 
bescheidenen Hilfsmitteln glaubte ich feststellen zu dürfen, daß ciglio und cil ähnlich wie cilium nicht 
die Bedeutung Braue haben könnten. Nun verwenden aber, wie ich eingesehen habe (abgesehen von 
dem auch bei anderen Vólkern vermengenden Sprachgebrauch des Alltags), Vasari und Castiglione 
„ciglio“ als Braue. Wegen der bedauerlichen Doppeldeutigkeit von ciglio kann ich daher den Vorwurf 
der falschen Übersetzung nicht aufrecht erhalten! Allerdings würe es sehr wünschenswert gewesen, 
auf den Doppelsinn von ciglio hinzuweisen. Was Pozzo mit ciglio gemeint hat, geht aus seinen 
Worten nicht hervor. Aber Durand-Gréville hat cils zweifellos als Wimperhaare verstanden, 
denn nur von diesen, nicht von den Brauen, kann „die Hauptlinie einen Schatten auf die äußerste 
Ecke des unteren Augenlides werfen“ (s. oben S. 8). Hier mindestens ist also unrichtig übersetzt 
worden. 

Zur Sache möchte ich noch folgendes sagen: Vasaris wortreiche, in der Leonardoliteratur bisher 
mit vollem Unrecht hochgeschützte Beschreibung des Bildes, die den Streit um die Augenbrauen an- 
gestiftet hat, muß künftig als inhaltlich wertlos beiseite bleiben. Ob Pozzo noch Reste von Brauen 
oder von Wimpern gesehen hat, wird man erst nach genauer Untersuchung des Urbildes entscheiden 
wollen. Aber die Aussage von M. Durand-Greville und die Kopie in Madrid mit ihren höchst auf- 
fälligen, vereinzelten Wimperhaaren, die auf unserer Abbildung allerdings unsichtbar sind, sprechen 
für meine Deutung. — Das Ergebnis der noch anzustellenden, schwierigen Untersuchung des Urbildes 
hat glücklicherweise keine alleinige Bedeutung für die Frage, ob die M. Lisa Augenbrauen getragen 
und ob Leonardo solche gemalt hat. Zwar ist Bald. Castigliones Bericht über die Unsitte der Depi- 
lation ebensowenig entscheidend, wie zahlreiche zeitgenössische Bildnisse, weil hierdurch nur die 
Moderichtung, nicht aber der einzelne Fall bezeugt wird. Dagegen erscheinen mir von vollkommen 
ausreichender Beweiskraft die beiden oben bebandelten Bildnisse der M. Lisa, die peinliche Naturstudie 
des Schülers und Leonardos Karton zur St. Anna, denn auch dort babe ich nichts gefunden, was 
man als Augenbraue bezeichnen könnte. 


Pe ee A Faqàu»lj—̃ mm... ne äT— ↄ——. . —.—....;ñ,x. ———. TT E a ETE 
14 


EINE SELTENE GRANULATIONSARBEIT 


esooooooooo00ooooooo0oooooooooo0ooooo0o0ooooooo Mit geben Abbildungen €0009000000000000000009090000000090000000000009000 


as Wort „Filigran“ — oder sagen wir „Körnerdraht“ — deckt drei verschie- 

dene Techniken: die Drahtarbeit, das Spiel mit Goldkürnern, und das Werk, 
das Draht mit Körnern verbindet. Die an zweiter Stelle genannte Technik, die 
Kleinarbeit mit Goldkirnern, ist bisher am wenigsten beachtet worden, denn sie 
hat keine Verbindung mit der Neuzeit. Im orientalischen Altertum geboren, ist sie 
fast schon im klassischen Altertum gestorben, und nur mühsam schleppt sie sich 
bis an die Schwelle des frühen Mittelalters. Im hohen Altertum, in jener Zeit, da 
sich Orient und Griechentum mischten, hat sie ihre Triumphe gefeiert. Keine 
lauten, rauschenden auf dem Markt, aber stile und bescheidene im Kreise der 
Kenner, unter den Feinschmeckern auf dem Gebiete einer subtilen, mit sicherer 
Hand und feinen Gerüten durchzuführenden Goldarbeit. In der Hauptsache besteht 
das Verfahren darin, winzige Goldkügelchen, möglichst von gleicher Abmessung, 
dicht nebeneinander auf eine Goldplatte zu lóten. Die erzielte Wirkung ist nicht 
die eines aufgesetzten Ornaments, sondern einer Aufrauhung, einer Mattierung, 
die den Rezipienten ganz oder teilweise wie mit einem zarten Flaum iiberzieht. 
Das ist die Idealtechnik und zugleich die verbreitetste. Aber es gibt noch viele 
andere. Die eine, wahrscheinlich die älteste, bestand darin, daß man in den Re- 
zipienten kleine Lager eintiefte und die Körner einzeln darin verlótete. Aus Zeit 
und Ort eines so gearbeiteten Fundes darf man schlieBen, daB dieses Verfahren 
»primo huius artis fore“ angewendet worden sei. Auch eine praktische Erfahrung 
führt mich zu dieser Annahme. Mit Versuchen, die alte Technik wiederzufinden, 
beschüftigt, lieB ich einen geschickten Goldarbeiter verschiedene Granulationsarbeiten 
ausführen. Er traute dem einfachen Anlóten nicht, ebenso wenig, wie man im 
Beginn des Eisenbahnbaus der glatten Schiene traute, und machte für jedes 
Korn eine Vertiefung im Metall, gerade so wie es die alten Kreter mit einem 
goldenen Nadelkopf gemacht haben, der sich jetzt im Museum von Kandia befindet. 


Wührend wir im Verlaufe der Entwicklung an den meisten Státten die früher 
geschilderte Normalarbeit antreffen, finden wir an anderen eine merkwiirdige Ab- 
art, die darin besteht, einzelne Kügelchen in regelmäßigen Abständen an einen 
runden Draht festzulóten, und dann einen zweiten 'an die entgegengesetzte Seite 
der Kügelchen in derselben Weise zu befestigen. So kónnte der technische Vor- 
gang gewesen sein, aber für das Auge ergeben sich zwei parallele Drühte, zwischen 
die, so wie die Triglyphen Architrav und Geison voneinander trennen, einzelne 
Kügelchen in Intervallen eingesetzt sind. Das ergibt eine granulierte à-jour Arbeit, 
für die wir die erSten schüchternen Beispiele aus der zweiten Schicht von Troja 
besitzen, kühnere unter den Funden von Dahschur kennen. Wir stehen damit in 
der Zeit kurz nach 2000. Seitdem ist diese Spezialtechnik für unser Auge ver- 
schwunden, und wir hatten guten Grund, anzunehmen, daß sie tatsächlich unter- 
gegangen sei, denn eine andere war an ihre Stelle gerückt, Es zeigt sich nümlich 
im Orient eine Granulierung auf dicht nebeneinander geführten Drähten, eine ,,Gra- 
nulation auf Doppeldraht“, wie jenes eine Granulation zwischen weiter auseinander 
liegenden Drähten war. DerSchluB, daß hier eine Stabilisierung der früheren Technik 
vorliegt, ist gerechtfertigt, nicht aber die Folgerung, die wir ziehen wollten, daB das 
vorausgehende Verfahren untergegangen sei. 


15 


Im Berliner Kunsthandel befand sich vor kurzem ein indischer Nasenring, der 
uns darüber belehrt. Wir bilden ihn auf den Tafeln 5—7 in natürlicher GróBe sowie 
auch stark vergrößert ab. Eine Datierung zu geben, bin ich auBerstande. Orna- 
mentale Anhaltspunkte mögen auf das rr. nachchristliche Jahrhundert hinweisen, 
die Arbeit kann aber auch älter oder wesentlich jünger sein. Die Abbildungen 3 
und 4 auf Tafel 5 zeigen Scheiben von verschiedener GróBe, die mit ihren metal- 
lenen Zwischenperlen gleichsam das Gehünge nach unten bilden. Man sieht, wie 
konzentrisch gelagerte Drühte durch Intervallkügelchen, zu dreien gruppiert, mit- 
einander verbunden werden. Im Grunde ist es ganz dasselbe, wie in Troja und 
Dahschur, nur reicher; ein spátes, endlich wieder gefundenes Beispiel einer Technik, 
die wir seit 4600 Jahren verloren glaubten. 


. i Marc Rosenberg. 


Abb, 7. Qranulationsarbeiten aus Dabschur im Museum Kairo 


Vergl Ausfübrlicheres über Granulation bei Marc Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst auf 
technischer Grundlage. Abteilung Granulation. Frankfurt a/M. 1918. 


KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER». 


3. „ZWEI UNBEKANNTE VISCHER-WERKE IM DOM ZU 
MEISSEN*. EINE ENTGEGNUNG 


Mit drei Abbildungen auf einer Tafel Von HUBERT STIERLING 


Tu Cramer hat in seiner Dissertation, Metallne Grabplatten in Sachsen (1912), 
Seite 40, die Tafel des Domherrn Heinrich Stürcker von Mellerstadt der 
Vischerschen Hütte zugewiesen. Kurz darauf traf Hans Joél im Dezemberheft 
dieser Zeitschrift 1914 dieselbe Bestimmung und gab eine Abbildung. Karl Simon 
wies dann in diesen Blättern 1916, 184 darauf hin, daB Cramer die Priorität ge- 
bühre. Ich glaube trotzdem nicht, daB diese dreifache Zuweisung das Richtige trifft; 
jedenfalls handelt es sich ganz und gar nicht um eine hervorragende Arbeit, wie 
Joël mit vielen, teilweise romanhaften Worten glauben machen will; denn wie die 
Abbildung 3 zeigt, steht der Domherr unendlich hart in seinem Rahmen und blickt 
starr und schwerfällig. Besonders unglücklich ist der rechte Arm, der den Kelch 
hšlt, und dabei in lauter schweren, unklaren Falten stecken bleibt. Ich glaube, 
daß bei dieser Zuschreibung einer der vielen Fülle vorliegt, die eigentlich nur in 
dem Anfangsstadium einer wissenschaftlichen Beschäftigung erlaubt sind, nämlich 
daß alles, was einigermaßen ähnliche Züge trägt, an den einen großen Namen, in 
diesem Falle Vischer, gekettet wird. Es ist hier aber doch beträchtlich vieles 
anders als in den anerkannten Werken des Nürnberger Meisters. Zuerst die Schrift, 
die schief und krumm um das Bild herumläuft und nicht entfernt die wohltuende 
Regelmäßigkeit und Klarheit der echten Werke erreicht. Schon die ältesten In- 
schriften, etwa in Bamberg, sind hier unendlich überlegen und zeigen einen Meister, 
der sich ihres dekorativen Wertes voll bewußt ist. Außerdem gehört es bei Vischer 
zu den verschwindenden Seltenheiten, auf dem einen Rande zwei Schriftreihen 
anzubringen, wenn er sich sonst mit einer begnügt; zudem betrachte man auch ein- 
mal die unsymmetrische Einfassung dieser zweiten, schief beginnenden Schriftreihe! 

Ungewohnt ist ferner das Format der Tafel. Im gesamten Vischerwerke gibt 
es vielleicht zwei oder drei Platten, die diese halbe Größe haben. Schon deshalb 
wird man also zu einer gewissen Zurückhaltung geneigt sein. 

Dieses Gefühl verstärkt sich gegenüber den Evangelisten-Symbolen, die Cramer 
und Joél zwar beide loben, jedoch sich der Erkenntnis nicht verschließen können, 
hier einen seltenen Typus vor Augen zu haben. Sie verweisen darauf, daß sich 
ähnliche Tiere auf der Grabplatte des Callimachus (gest. 1496, Daun Abb. 16) 
finden, jedoch wird man hieraus eher einen Schluß gegen, als für Vischer herleiten 
dürfen, denn die Callimachusplatte ist in jeder Beziehung so völlig unvischerisch, 
daß schon Daun sich bewogen fühlte, das Modell von Veit Stoß herrühren zu lassen. 
Außerdem finden sich solche Tiere auch noch auf der Platte eines unbekannten 
Cardinals in Krakau (Daun Abb. 17); wohl gemerkt, also stark im Osten, zweimal 
in Krakau und einmal in Meißen! Schon hierin liegt wieder eine Aufforderung 
zur Vorsicht, denn der ganze erzreiche Osten ist in Hinsicht auf die Gießkunst 


(z) Da die Beiträge fortgesetzt werden sollen, erscheint es zweckmäßig, sie unter diesem Obertitel 
zusammenzufassen. Danach gilt „Dürer in der Vischerschen Werkstatt“ VIII, 366 ff. als Nr.ı; „Die 
Grabplatte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297 fi. als Nr.2; der obige Artikel als Nr. 3. Studien 
zum selben Thema sind ferner die ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an P. Vischers 
Sebaldusgrab IX, 341 fi. und Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330 ff. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 1 a 17 


noch ein terra incognita, in der um 1500 zahlreiche Meister gearbeitet haben, die 
kunstwissenschaftlich noch völlig ungreifbar sind, weil sie sich nicht, wie man 
ruhig behaupten darf, zur Höhe der Vischer haben aufschwingen können. Jeden. 
falls soviel wird wohl jeder zugeben migen, daB die vier Symbole auf der Platte 
des Heinrich Stürcker nicht im entferntesten nürnbergisch anmuten; im Gegenteil 
tritt in ihnen ein schwer zu definierender östlicher Einschlag zutage. 

Nun ist es gewiß nicht zu leugnen, daB einige Vischersche Motive hier vor- 
handen sind. Aber waren denn solche AuBerlichkeiten nicht unendlich leicht zu 
übernehmen, zumal die Zeit vor Vischer bereits von ihnen einen bescheidenen 
Gebrauch gemacht hatte? Etwa das gotische Kircheninnere, das durch einen 
Brokatteppich abgeschlossen wurde? Ich halte es durchaus für anfechtbar, wenn 
Cramer sagt, daß das Muster des Vorhangs „allein Beweis genug für die Zugehürig- 
keit zur Werkstatt in Nürnberg“ gewesen sei. 

Nun noch ein Wort über den Gesichtsausdruck. Vergleicht man diesen etwa 
mit dem des im gleichen Jahre gestorbenen Herzog Ernst, dann wird doch ein 
groBer Unterschied offenbar. Im Antlitz des Domherrn liegt etwas unangenehm 
Gespanntes, vielleicht hervorgerufen durch das technische Unvermigen. Herzog 
Ernst dagegen blickt ruhig und milde, wie es fast der gesamten Vischerschen 
Arbeit durch alle Jahrzehnte eigen blieb. Der Ausdruck mag manchmal ein wenig 
leer erscheinen, jedenfalls aber hält er sich fast immer von dem Gequilten und 
Gespannten fern, das die Spütgotik so gerne anwandte. Auch hierin ist die Platte 
des Callimachus und einige andere, auf die ich unten zurückkomme, völlig un- 
vischerisch. Nebenbei bemerkt ist auch die Haarbehandlung von derselben 
harten Art! 

Endlich kommt noch folgendes hinzu: Etwa бо km von Meißen entfernt liegt 
Altenburg. Wer hier die stimmungsvolle SchloBkirche betritt und das Bildnis des 
Domherrn Heinrich Stircker von Mellerstadt im Gedichtnis trügt, der sieht sich 
plötzlich einer großen Schar nahe verwandter Erzplatten gegenüber. Ganz über- 
wiegend sind es Rundbilder derselben Größe, nur daß die Meißner Platte auñer- 
dem noch durch einen rechteckigen Schriftrahmen eingefaBt wird. Jedesmal sind 
es wieder Hüftbilder und zwar der gleichen Haltung und Stellung, wie in MeiBen. 
Aus der Zahl der Altenburger Rundbilder stelle ich nur zwei!) neben das Meißner, 
von denen das ültere sogar aus fast dem gleichen Jahre stammt. Die Gegenüber- 
stellung überhebt aller weiteren Schilderung; besonders zeigt sie auch, daB der 
MeiBner Heinrich Stircker durchaus nicht etwa das Glanzstiick dieser Reihe ist, 
denn das Altenburger Bildnis des Friedrich Busch von 1501 ist ihm in der Wieder- 
gabe der menschlichen Persónlichkeit entschieden überlegen. (Abb. r.) 


* ` * 
* 


(1) Die Altenburger Aufnahmen verdanke ich der gütigen Unterstützung Sr. Hoheit des Herzogs Ernst. 
Durch den Photographen A. Kersten Sohn Nacht, Inh. J. Bernath, Altenburg, S.-A., AlbrechtstraBe 9, 
sind folgende Platten erstmalig hergestellt: r. Petrvs Hofemann, + 1486; 2. Gregorius Schortzvf, + 1488; 
3. Friedrich Busch, + 1501; 4. Nicolaus Sifridus, + 1503; 5. Michael Bach, + 1505; 6, Gregorius Bosch- 
witz, T 1506; 7. Nicolaus Czengker, o. J.; 8. Denkmal des Anarck Herrn su Wildenfels-Schónkirchen 
und Ronneburg, im Schlo8, inschrifüich bez. Peter Mülich. Diose Tafel ist nahe verwandt den gleich- 
falls bezeichneten Werken Mülichs in der Weimarer Stadtkirche; 9. Grabplatte der Herzogin Marga- 
rethe, T 1486. Von diesem wichtigen Jugendwerke Peter Vischers gab es bisher nur die Cramersche 
Teilaufnahme, welche in dieser Zeitschr., IX, Jabrg. 1916, Heft s, abgebildet ist. 

Nachtrüglich habe ich geseben, da& auch MeiBen selber mehrere verwandte Platten bietet, die aus 
derselben sächsischen Hütte stammen wie der Stárcker. Die Aufnahmen verdanke ich der großen 
Liebenswürdigkeit von Geheimrat Gurlitt, Dresden. (Photograph: R. Schröder, Meißen, Porzellanfabrik). 


I8 


In dem gleichen Aufsatze hat Joël es dann unternommen, die Meißner Platte des 
Bischofs von Weißenbach (gest. 1486) der Vischerhütte zuzuweisen. Simon 
hat aber wiederum darauf hingewiesen, daß bereits Cramer in seiner Dissertation 
es abgelehnt habe, diese Platte sowie diejenige Dietrichs IV. von Schünberg 
und Andreas’ von Kénritz (beide im Naumburger Dom) mit Vischer in Ver- 
bindung zu bringen. Ich halte seine Ablehnung für vollkommen berechtigt und 
möchte meinerseits nur mit wenigen Worten auf diese Gruppe eingehen, um zu 
verhindern, daß mühsam gewonnene Begriffe Vischerischer Formbehandlung durch 
Zuweisung fremder Art. wieder verwirrt werden. Auf der Tafel des Bischofs von 
WeiBenbach ist alles anders als in den beglaubigten Werken. Wo kümen der- 
artige, kurz gesagt — Riemenschneider-artige — Falten vor? Die Tafel des Calli- 
machus in Krakau, an die Joél denkt, darf durchaus nicht herangezogen werden, 
denn für ihren Vischerschen Ursprung fehlt jeder Beweis! Ebenso wenig be- 
rechtigt ist es, wenn Joël auf die Tumba Thilos von Trotha verweist, denn hier 
gehórt nur die Deckplatte der Nürnberger Hütte. Die drei Seitenplatten sind zu 
anderer Zeit gegossen worden (die vierte ist nie ausgeführt worden, so daB die 
Tumba an die Wand gerückt werden mußte) und zeigen nach Joéls eigenen Worten 
»Engelgestalten in absolut anderem Stile"; und zwar ist der hier auftretende Stil 
wiederum so völlig anders, daß wir sie mit keinem der zweifellosen Vischerwerke 
vergleichen können, sondern nur mit der bereits genannten Gruppe des Weißen- 
bach (Meißen), Künritz und Schönberg (Naumburg) und des Callimachus (Krakau). 


Ebenso unvischerisch ist alles übrige. Der Nürnberger Meister hat niemals ein 
solches Stabwerk gebildet. Es ist geradezu grotesk, ihm etwas derartiges zu- 
zuschreiben, wo der Vergleich mit früheren und späteren Tafeln nicht im entfern- 
testen etwas Ahnliches ergibt. Die ülteren Platten zeigen bei Vischer ein schünes, 
klares MaBwerk, die jüngeren ein geistvoll und im hóchsten Grade ornamental ge- 
bildetes Laubwerk; beide Arten lassen überhaupt keinen Vergleich mit der Platte 
des Weißenbach zu. Vielleicht ist sogar das Laubwerk auf der Altenburger Tafel 
der Kurfürstin Margarete (gest. 1486) vor der MeiBner Platte des Weifenbach 
gebildet. Cramer weist mit vollem Recht darauf hin, daß man Vischer das Meißner 
Laubwerk nicht mehr zutrauen dürfe, wenn das Altenburger vorher entstanden sei. 


Ähnlich verhält es sich mit allem übrigen. Nirgendswo schwebt bei Vischer der 
Dargestellte derartig in der Luft. Vischer verwendet entweder standfeste Kon- 
solen oder läßt den Dargestellten auf dem Fußboden stehen. Ebenso haben die 
Wappentiere nicht ihresgleichen. Dagegen ist es sehr charakteristisch, daB sich 
die gleiche Art der zu strickartigen Strühnen geordneten Mühnenhaare an den seit- 
lichen Engeln der Merseburger Tumba Thilos von Trotha wiederfinden, die auch 
sonst aus dem Vischerschen Werke völlig herausfallen. 


Von der Umrahmung der Platte ist wenig erhalten. Die Evangelisten-Symbole 
zeigen vielleicht eine gewisse Ahnlichkeit, jedoch ordnet Vischer sie um diese Zeit 
ganz regelmäßig in Vierpässen an, während hier Dreipässe verwendet sind. AuBer- 
dem beschränkt er sich stets auf die vier Ecksymbole, während hier, soweit man 
nach dem kleinen erhaltenen Stück urteilen kann, noch weitere Wappenschilder 
eingestreut waren. 

Auf die Platten von Dietrich IV. von Schönberg und Andreas von Könritz, beide 
im Naumburger Dom, gehe ich nicht näher ein; Joél erwähnt nur die erste, die er 
für vischerisch hält, ganz kurz. Cramer hat sie der Nürnberger Hütte bereits mit 
Recht abgesprochen. Für Dietrich von Schönberg gilt sinngemäß, was oben über Schrift, 


19 


Laubwerk, Falten, Löwenmähne usw. gesagt ist. Andreas von Künritz (gest. 1496) 
kommt den Vischerschen Vorbildern am nüchsten, etwa der Platte des Conrad v. Stein?) 
(gest. 1499) in Erfurt. Jedoch die typischen Backenknochen, die verwandte Arm- 
haltung, die harten Falten usw. lassen es richtig erscheinen, wenn Cramer ihn mit 
den beiden vorbesprochenen zu einer „Gruppe nichtvischerischer Reliefplatten um 


1490“ zusammenstellt. 


(1) Vergl. Buchner, Zeitschr. f. christl. Kunst XII, 174 m. Abb. 


20 


O. HIRSCHMANN, Hendrick Goltzius 
als Maler. — Quellenschriften d. Kunst- 
geschichte, IX. Haag, M. Nijhoff, 1916. 

Der Verfasser hat sein Thema, das Leben und 
die Kunst des Hendrick Goltsius, energisch und 
von allen Seiten in Angriff genommen. Die wich- 
tigsten Ergebnisse seiner Arbeit bietet er nicht in 
dem vorliegenden Bande, sondern sie sind im 
9. Heft der ,Meister der Graphik" (bei Klinkhardt 
& Biermann in Leipzig) zu erwarten, welches Heft 
zwar abgeschlossen, aber, soviel ich weiñ, noch 
nicht ausgegeben worden ist. Dort wird der Kupfer- 
stecher Goltzius gewürdigt. Hier dagegen werden 
seine bisher wenig beachteten Malereien besprochen. 
Die gründliche Einleitung mit der Lebensgeschichte 
des Meisters ist mit einigen Ergänzungen aus dem 
Bande der ,Meister der Graphik" übernommen. 

Das Biographische ruht sicher auf den aus- 
führlichen Angaben van Manders, der in diesem 
Falle vollkommenes Vertrauen verdient, da er in 
Haarlem ais Zeitgenosse des Goltzius lebte und 
mit ihm eng befreundet war. Indem van Mander 
die Grundsätze und Ideale des Kupferstechers teilt, 
klingt seine Biographie wie eine Huldigung, und 
etwas von dieser unkritisch bejahenden Auffassung 
färbt das Urteil der neueren Kunstforscher, die 
sich an van Mander halten. 

Goltzius hat spät zum Pinsel gegriffen. Der 
1558 geborene Meister war schon hochberühmt 
durch stupende Grabstichelarbeiten, als er zu An- 
fang des 17. Jahrhunderts zu malen begann. 

Seine Bilder sind anmaßliche Verirrungen. Die 
Zeichnung ist maniriert geworden bei der viel- 
jährigen Übung der Stichelführung. Viele Eigen- 
schaften seiner Bilder erklären sich daraus, daß 
der Autor ein Kupferstecher war. In der Be- 
urtellung dieser kalten, übermäßig plastischen und 
erklügelten Leistungen berücksichtigt der Ver- 
fasser zu wenig die Ahnen dieses Stils, Jan Gos- 
saert und Martin Heemskerk, beachtet auch nicht 
genug, wio die niederländische Manier auf der 
Stufe: von 1600 sich ühnlich wie im Schaffen der 
Qoltzius in der Produktion anderer Meister, z. B. 
der B. Sprangers äußert. Der Zusammenhang mit 
der venezianischen Malerei berührt dagegen nicht 
das Wesentliche, und mir scheint, darauf legt der 
Verfasser zu viel Wert, | 

Höchst verdienstlich und gründlich ermittelt ist 
die Liste der Bilder, in der auch verschollene 
Schöpfungen notiert sind. Wichtig ist die nega- 
tive Feststellung, daß die vielen kleinen auf Kupfer 


gemalten Bilder, die zumeist auf Kupferstiche des 
Goltzius zurückgehen, nicht von seiner Hand her- 
rühren, Leider wird kein Bildnis, das als seine 
Arbeit gesichert wire, bekannt, Der Fahnen- 
tráger in der Münchener Pinakothek wird mit 
Recbt abgelehnt, 

Die 13 Abbildungen genügen zu einer deut- 
lichen Anschauung. 

Der Verfasser erfreute sich wáhrend eines linge- 
ren Aufenthaltes in Holland der Unterstützung 
vonseiten so erfabrener Kunstkenner wie Bredius 
und Hofstede de Groot. Er hat vermutlich auch, 
zum Vorteil seiner Arbeit über den Kupferstecher 
Goltzius, sich der hinterlassenen Papiere des uh- 
gemein gewissenhaften, leider vor einigen Jahren 
gestorbenen Moes bedienen dürfen, 

Der vorliegende Band wird sich mit dem hoffent- 


lich bald erscheinenden Band in der Folge der 


Meister der Graphik zu einer umfassenden Mono- 


graphie zusammenschließen. 
M. J. Friedlander, 


ARTHUR M. HIND, Catalogue of 
drawings by dutch and flemish ar- 
tists . . . . in the British Museum. — 
Voll. Drawings by Rembrandt and 
his school — London 1915. III SS, 
und 64 Tafeln. 


Versuche, um Zeichnungensammlungen zu kata- 
logisieren, sind erst in jüngerer Zeit und nur ganz 
vereinzelt gemacht worden. Eine Arbeit, die allen 
wissenschaftlichen Anforderungen, die man stellen 
kann, genügt, liegt erst mit diesem Katalog des 
British Museums vor, Dieser ist als erster Band 
einer größeren Serie gedacht, in der die Direktion 
des Print Rooms alle ihre Schütze an Zeicbnungen 
alter Meister zu beschreiben gedenkt. Ein zweiter 
Teil soll Rubens, van Dyck und die Zeichner ihrer 
Schule, ein dritter die übrigen bollündischen und 
flämischen Meister des 17. Jahrh. behandeln, usf. 
Dieses schöne Programm läßt uns die Lücke emp- 
findlich fühlen, die durch das Fehlen ähnlicher 
Ausgaben in der kunstwissenschaftlicben Literatur 
noch besteht; zugleich betont es die Dankbarkeit 
der Aufgabe, die durch fast alle grüBeren Kabi- 
nette in dieser Richtung noch zu leisten ist, 

Einteilung, System und Ausstattung des vor- 
liegenden ersten Teiles scheinen mir bis in die 
Einzelbeiten hinein gleich glücklich. Auf eine 
kurze biographische Einleitung folgt der eigent- 
liche Katalog der Zeichnungen Rembrandts, zu- 


21 


nüchst die durch Hind angenommenen Blátter 
in möglichst chronologischer Reihenfolge; daran 
schlieBen sich die zugeschriebenen, aber zweifel. 
haften Blütter, Kopien und — ein besonders inter- 
essantes Kapitel — die Zeichnungen anonymer 
Rembrandtschüler. Die mit Namen bekannten 
Schüler folgen in alphabetischer Reihe. Man ver- 
mißt unter ihnen Jacob Backer und Roeland Rogh- 
man, Die Gründe, mit denen der Verfasser ihre 
Weglassung zu rechtfertigen sucht, vermügen 
nicht recht zu befriedigen. Verschiedene Register 
und Zusammenstellungen vermehren nicht uner- 
heblich die praktische Brauchbarkeit des Bandes. — 
Die Einzelbeschreibungen geben auf alle Fragen, 
die man bei einer Zeichnung stellen kann, Ant- 
wort: Beschreibung, Maße, Material, Herkunft 
und Datum der Erwerbung, Inventarnummer, Ver- 
meldung bestehender Reproduktionen, Literatur- 
nachweise; daran schließen sich jeweilen persón- 
liche Bemerkungen des Verfassers, in die eine 
Menge von feinen Beobachtungen und Hinweise 
auf Beziehungen verarbeitet sind, — Ungeteiltes 
Lob verdient meines Erachtens auch die W'eise, 
wie die Frage der Illustrierung gelóst ist, die mit 
so šuñerlichen, aber darum nicht weniger lüstigen 
Faktoren wie Format und Verkaufspreis zu rechnen 
hat, Von den etwa 300 katalogisierten Nummern 
sind mehr als die Hälfte abgebildet; diese Repro- 
duktionen, Netzdrucke, sind klein aber scharf, je 
zwel bis drei auf einer Seite vereinigt. Dem un- 
mittelbaren Studium kónnen und wollen sie nicht 
dienen. Aber sie vermögen bei dem, der mit der 
Ausdrucksweise der betreffenden Meister einiger- 
maBen vertraut ist — und diese Vertrautheit darf 
man doch bei der Mehrzahl derer, die das Buch 
zur Hand nehmen, voraussetzen — eine durchaus 
anschauliche Vorstellung des Originals zu er- 
wecken, und durch ihre Reichhaltigkeit bilden aie 
ein hochwillkommenes Vergleichsmaterial. Zu be- 
grüßen ist auch die Art der Auswahl: Von Rem- 
brandt sind vorzugsweise die noch nicht reprodu- 
zierten, von den Schülern die besonders charak- 
teristischen Blätter wiedergegeben. Die zweifel- 
baften oder sonst problemreichen Zeichnungen 
sind fast alle reproduziert und so in den Bereich 
der Diskussionen gerückt. 

Es sei mir nun gestattet, zu einzelnen Blättern 
ein paar Bemerkungen anzubringen, die sich mir 
bei der anregenden Beschäftigung mit dem Katalog 
aufgedrängt haben. 

Zu den Rembrandtzeichnungen. Hinsichtlich 
der Echtheitsfragen nimmt Hind einen Standpunkt 
zwischen den beiden extremsten Kritikern, Hof- 
stede de Groot und v. Seydlitz, ein, der sich aber 


22 


immerhin dem des erstgenannten wesentlich nähert, 
Trotzdem ist eine beträchtliche Anzahl der durch 
Hofstede de Groot noch als Rembrandt beschrie- 
benen, zum Teil allerdings von ihm selbst schon 


als zweifelhaft bezeichneten Blätter in den Ab- 


schnitt „Attributed...., but doubtful” verwiesen. 
Diese Gruppe möchte man eigentlich lieber mit 
„Verworfene Blätter“ oder ähnlich überschrieben 
sehen, Des Verfassers Urteil würde, wie aus 
vielen seiner eigenen Bemerkungen hervorgeht, 
dieser entschiedeneren Rubrifizierung kaum wider- 
sprechen. Den Bedenken, die v, Seydlitz gegen- 
über manchen Blättern der Sammlung erhoben 
hat, verhält sich Hind in den meisten Fällen ab- 
lehnend. Diese Skepsis erscheint mir verständlich 
etwa bei den schönen Landschaften Nr. 112 u. 114. 
Hinsichtlich der. ersten ist es doch noch nicht 
ausgemacht, ob die Dresdener Wiederholung ihr 
vorzuziehen ist; festzustehen scheint mir nur, daß 
die beiden Blätter nicht von derselben Hand sein 
können. Bei Nr. 114, deren Motiv Lugt mit der 
St. Anthoniespoort in Amsterdam identifiziert hat, 
kann ich mich — mit Hind — angesichts der 
kraftvollen und wirkungssichern Ausführung nicht 
in den Gedanken finden, daß irgendein bekannter 
oder unbekannter Schüler ihr Urheber sein soll. 
Andrerseits aber hat Hind in seiner Zurückhaltung 
ein paar Blätter unter die „echten“ eingereibt, in 
denen auch ich unmöglich Rembrandts Hand 
wiedererkennen kann, wie z. B. Nr. ı5, Predigen- 
der Apostel (?) vor einer Volksmenge, oder Nr. 34, 
Verstoßung der Hagar. Bei diesem letzten Blatt 
bemerkt Hind, daß die drei Hauptfiguren „sehr 
ähnlich behandelt“ seien, wie auf der Zeichnung 
desselben Gegenstandes in der Sammlung Hof- 
stede de Groot (HdG. 1247). Ich kann Überein- 
stimmungen nicht in der Behandlungsweise, son- 
dern nur in den Motiven sehen. Hier ist sie aber 
so groß, daß man von einer Kopie sprechen muß; 
die Hagar ist in ihren Bewegungen und bis in 
die Einzelheiten ihrer Ausrüstung buchstäblich 
herüber genommen; ihr linker Fuß mit seinen 
vier Zehen ist Zug um Zug genau nachgeschrieben. 
Dazu kommt die ganz allgemein schlechte Hal- 
tung des Blattes; man vergleiche nur etwa den 
Ausblick links mit der stümperhaften Nachbildung 
des Rembrandtschen Baumschlages! Es sind der 
Anhaltspunkte genug, um in dieser Zeichnung 
eine bloße Nachahmung, wenn nicht eine bewußte 
Fälschung zu sehen. Auch in den Nrn. 62, Heil. 
Familie, und 82, Gabriel erscheint dem Zacharias — 
um bei den belangreichen Blättern zu bleiben — 
finde ich weder Rembrandts Geist noch Handschrift. 

Bei Nr. 74 erwähnt Hind die zwei Zeichnungen 


nach indischen Miniaturen mit Rembrandts eigen- 
hindigen Aufschriften; als deren letzten Verbleib 
gibt er mit einem Zitat aus Vosmaer die Ver- 
steigerung van der Willigen 1874 an. Hofstede 
de Groot hat die beiden Blätter inzwischen als 
in der Sammlung des groBherzogl. Schlosses in 
Weimar befindlich beschrieben (HdG. 541, 542). 

Die Landschaftszeichnung Nr. 127 (unter den 
„Zweifelhaften“) könnte von Leupenius sein. Zu 
vergleichen wäre besonders das bezeichnete Blatt 
in Dresden (Abb. Wörmann, IX, Taf. 5). 

Von den verschiedenen Meisternamen, die für 
die drei Knabenstudien Nrn. 145—147 vorgeschla- 
gen werden, bleibt der van Eeckhouts doch am 
meisten nachklingen. Es sei hingewiesen auf 
das sehr verwandte, bezeichnete Blatt mit dem 
eingeschlafenen Knaben auf einem Stuhl im Am- 
sterdamer Kabinett, Eine ähnliche Studie, mit 
einem seifenblasenden Knaben, wurde auch jüngst 
mit der Sammlung Goldschmidt in Frankfurt a/M, 
(Nr. 187) als van Eeckhout versteigert. 

Nr, 157. Eine im Motiv gans analoge Zeich- 
nung von der Hand des Furnerius ist im Teyler- 
museum in Haarlem (abgebildet bei Lugt, Wan- 
delingen met Rembrandt, Abb. 40). 

Nr. 161. Von derselben Hand ist die durch 
Hofstede de Groot als Rembrandt beschriebene, 
aber seither wohl auch fallen gelassene Zeichnung 
in der Bibliothek in Aschaffenburg, HdG. 14 (Lugt, 
Abb. 42). 

Nr. 162. Hier móchte man gerne den Satz ge- 
tilgt sehen, daß diese Zeichnung der Manier von 
Lievens gleiche. | 

Nr. 163. Hind schwankt zwischen Ph. de Koning 
und Furnerius: Ein auf der Rückseite original 
,P. Kooning“ bezeichnetes Blatt in genau der- 
selben Ausführung und mit sehr ähnlichem Motiv, 
das sich im Teylermuseum befindet, entscheidet 
dio Frage für diesen Meister. 

F. Bol Nr. 1, Heilige Familie, ist als un- 
zweifelhafte Vorzeichnung für die entsprechende 
Radierung eine absolut gesicherte Zeichnung Bols 
und als Ausgangspunkt für andere Zuschreibungen 
von außerordentlicher Wichtigkeit. In Verband 
damit befriedigt die Katalogisierung der beiden 
Darstellungen von Jacobs Traum (Nrn. 2 und 3) als 
Bol keineswegs; unzutreffend ist hierbei auch der 
Hinweis auf eine angeblich in der Behandlung 
áhnliche Zeichnung des Teylermuseums. 

A. van Borssom. Nrn. 3 u. 3. Ausgezeichnet 
ist die Beobachtung, daß diese zwei Zeichnungen 
von derselben Hand seien, wie das vermeintliche 
Rembrandtblatt HdG. 1485 in Wien, sicher un- 
richtig dagegen die Vermutung, daß die gleiche 


Ortlichkeit dargestelit sei, — Nr. 6, Blick auf 
Ransdorp, kommt mit ganz geringen Abweichun- 
gen in der Staffage und kleinen Erweiterungen 
links und rechts genau noch einmal vor im Teyler- 
museum in Haarlem, Die Übereinstimmung ist 
derart, daß man beinahe annehmen muß, das eine 
der beiden Blatter sei eine Kopie. Die Haarlemer 
Zeichnung ist unzweifelhaft original, zudem auf 
der Vorderseite echt und voll bezeichnet; auf der 
Rückseite trägt sie von späterer Hand dieselbe 
verhunzte Ortsbezeichnung (het dorp Raarop In 
Waterlant), wie das Londoner Blatt, aber keinen 
Künstlernamen, wie dieses. Die Umstände sprechen 
gegen die Zeichnung des Brit, Mus. Doch wage 
ich an Hand der kleinen Reproduktion nicht zu 
entscheiden, ob es sich bei diesem wirklich um 
eine fremde Kopie oder aber um eine eigenhän- 
dige Wiederholung handelt. 

L. Doomer. Nr. 7, Windmühle bei Nantes. 
Eine nur in der Staffage leicht veränderte, sicher 
eigenhändige Wiederholung besteht im Museum 
Boymans in Rotterdam. 

J. Koninck. Hind läßt diesen Meister, wie in 
den meisten Biographien geschieht, Hofmaler in 
Kopenhagen und als solchen beinahe 100 Jahre 
alt werden, Es ist von anderer Seite schon auf 
den Widerspruch aufmerksam gemacht worden, 
der zwischen den feinen Landschaftsbildern aus 
Konincks früher oder mittlerer Zeit und den trocke- 
nen Leistungen des dänischen Hofmalers gegen 
1700 besteht, Nun teilt Dr. Bredius mit, daß in 
Amsterdam im Februar 1668 ein Jacob Koninck 
begraben wurde (vgl.Künstler-Inventare IV, 8.1366). 
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß dies der 
Maler, der ältere seines Namens, war. Von ihm 
wären dann die stimmungsvollen Landschaften, die 
bezeichnete Radierung und u. a. die beiden schönen 
Zeichnungen des Brit. Mus. Die schwerfälligen 
spätern Bilder hingegen wären auf den gleich- 
namigen Sohn, der sich in Kopenhagen nieder- 
gelassen hatte, zu beziehen. 

J. Lievens. Der auf Nr. 1 Dargestellte soll der, 
wie Hind selbst hinzufügt, 1631 verstorbene Kupfer- 
stecher Jacob Matham sein. Daß diese Bildnis- 
zeichnung aber nicht spätestens um 1630 ent- 
standen sein kann, geht, wie mir scheint, schon 
aus der künstlerischen Auffassung, sowie aus der 
Kieidertracht des Porträtierten mehr als deutlich 
hervor, Zudem kennen wir ein durch Beischriften 
bezeugtes, durch verschiedene Stichreproduktionen 
überliefertes Altersportrát. Mathams von P. Sout- 
man (z. B. in de Bies Gulden Cabinet, p. 475, 
Ant. van der Does sculp.), dessen Züge mit dieser 
Zeichnung auch nicht die geringste Übereinkunft 


23 


zeigen. Die Identifizierung Hinds beruht offenbar 
-auf einer Uberlieferung; vielleicht steht diese doch 
nicht ganz in der Luft. Der Dargestellte könnte 
dann der Sohn Jacobs, Adriaen Matham, sein, der 
ebenfalls Kupferstecher war. — Nr, 8 ist fälsch- 
lich als Portrát des Jan de Witt katalogisiert. 
Dieses Blatt ist nichts als eine ganz grobe Teil- 
kopie nach Lievens prachtvoller Zeichnung des 
Dichters Jan Vos im Stádelschen Institut in Frank- 
furt a/M., von der es noch eine zweite vollstän- 
digere und erheblich bessere Kopie im Prenten- 
'kabinett in Amsterdam gibt. — Nr. о, Porträt von 
Petrus Scriverius, weicht in seiner Strichbehand- 
lung von der uns geläufigen Manier von Lievens 
sehr stark ab. Hind weist selbst hin auf die Be- 
ziehungen, die zu einem durch Cornelis Visscher 
nach; Soutman .gestochenen Blatt bestehen. (P. 
Soutman pingebat, et excudebat Harlemi 1649. — 
Corn. Visscher sculpsit P. Soutmanno Dirigente). 
Diese sind so eng und offenkundig, daß Stich 
und Zeichnung in einem unmittelbaren Verhiltnis 
zueinander stehen müssen. Das auf der Zeichnung 
stehende Lievens-Monogramm ist m. E. falsch; in 
dieser Vermutung bestürkt mich die Jahreszahl 1637 
(od. 1631), die so ganz und gar nicht zu der 
äußerlichen Aufmachung dieses sicher erheblich 
später entstandenen Porträts paßt. Auch die Le- 
sung 1651 soll zur Not möglich sein. In diesem 
Jahre hätte die Zeichnung aber kaum anders als 
im Anschluß an den damals vorhandenen Stich 
entstehen können. Dann müßte sie aber nicht 
gegenseitig zu diesem sein, was jedoch der 
Fall ist. Daß es sich um eine Kopie nach dem 
' Gemälde Soutmans handelt, ist bei dem äußerst 
frischen Eindruck, den die Zeichnung macht, noch 
weniger wahrscheinlich. Ich sehe darum in diesem 
‘Blatt eine Studie von Soutman für sein nachher 
durch Cornelis Visscher gestochenes Porträt des 
Scriverius. 

Jan Andrea Lievens ist nicht nur wahr- 
scheinlich, sondern ganz sicher der Sohn von Jan 
Lievens gewesen. Diese Wissenschaft ist keines- 
wegs neu und ich weiß nicht, warum Hind an 
ihr zweifelt In der jüngsten Literatur sei auf 
die Künstler-Inventare von Dr. Bredius (L) ver- 
wiesen, die zahireiche Belege für dieses Sohnes- 
verhültnis enthalten. 

N. Maes. Nr.3. Anbetung der Hirten im Stall, 
gehörte in den Abschnitt „After Rembrandt pic- 
tures“; es ist eine genaue Kopie nach dem ent- 
sprechenden Bild Rembrandts in der älteren Pina- 
kothek in München; ob von Maes, ist mehr als 
fraglich. 

C. van Renesse. Daß Nr. ı, Joseph wird 


24 


von seinen Brüdern verkauft, eine Studie zu Re- 
nesses Radierung des gleichen Themas sein soll, 
wie Hind gerne möchte und worauf er die Zu- 
schreibung stützt, scheint mir nicht so sicher. 
Die Übereinstimmungen sind zu allgemeiner Natur, 
als daß sie den Schluß gestatteten. Auch scheint 
mir der Strich frischer und flotter, als er mir von 
Renesses etwas mühsamen Zeichnungen geläufigist. 

J. Ruisscher. Äußerst glücklich ist die Be- 
ziehung dreier Landschafts - Blätter auf diesen 
interessanten Zeichner, wobei immerhin die Zu- 
weisung von Nr. ı weniger überzeugt als die der 
beiden folgenden Zeichnungen. | 

J. J. van Vliet. Bei diesem Blatt, der Steini- 
gung des Stephanus, zitiert Hind die Meinung 
Hofstede de Groots, der hier mehr Anklinge an 
Moyaert zu sehen glaubt. In der Tat besitzt Hof- 
stede de Groot selbst eine durch eine alte Auf- 
schrift gesicherte Zeichnung dieses Künstlers, die 
durch ihre analoge Behandlung und Typik ge- 
stattet, auch diese Steinigung des Stephanus für 
Moyaert in Anspruch zu nehmen. 

P. de With ist einer der noch wenig bekann- 
ten Künstler, von dem wahrscheinlich noch 
manches W'erk aus den heute als ,unbekannte 
Rembrandtschüler^ katalogisierten Landschafts- 
zeichnungen herauszulesen ist. Dabei wird das 
bezeichnete und das andere damit unmittelbar 
zusammengehende Blatt des Brit. Mus. von großer 
Wichtigkeit sein. Hind irrt aber, wenn er meint, 
seine Nr. I sei die einzige bekannte mit dem 
Namen signierte Zeichnung Pieter de Withs. In 
Holland existieren noch zwei voll mit eben diesem 
Namen bezeichnete Landschaften, die eine im 
Prentenkabinett in Amsterdam, die andere in dem 
Album amicorum des Jacobus Heyblocq, jetzt in 
der königl. Bibliothek im Haag, in dem sich u. a. 
auch zwei Eintragungen von Rembrandt befinden. 
Diese — im ganzen also drei — bezeichneten 
Blätter scheinen auf den ersten Blick jedoch jedes 
von einer anderen Hand zu sein. Die Amster- 
damer Zeichnung ist eine charakteristische Dilet- 
tantenarbeit ohne alle künstlerischen Qualititen; 
sie macht durchaus den Eindruck, nach einer 
Radierung aus dem Kreise Rembrandts kopiert 
zu sein. Wenn nicht überhaupt von anderer 
Hand, ist sie im besten Fall eine unbebolfene 
Leistung des noch gánzlich ungeschulten — und 
wenig Geist verratenden — Anfängers. Bei der 
Haager und der Londoner Zeichnung kënnen 
bei niherem Zusehen hingegen wohl die ver- 
wandten Züge einer und derselben Hand fest- 
gestellt werden, besonders in der Behandlung der 


Staffage. So haben wir denn wenigstens zwei 


Bichere Ausgangspunkte, von denen aus man ев 
unternehmen kann, das Werk dieses liebenswiir- 
digen Rembrandtepigonen wieder zusammen- 
zutragen. Hind hat durch die Herbeiziehung 
seiner Nr. 3, einem Blatt, das als Jan Lievens 
aus der Sammlung Salting gekommen ist, einen 
guten Anfang gemacht. Wie ich glaube, befindet 
Sich auch unter den zweifelhaften Rembrandt- 
blättern im Amsterdamer Kabinett noch eine 
Zeichnung von Pieter de With (Inv. Nr. 2413, 
Sammlung de Vos 405). Sie ist am besten dem 
nicht bezeichneten Londoner Blatt anzuschlieBen. 
Ich meine, de Withs Manier hier wiederzuerkennen, 
besonders im Baumschlag mit seinen geschlosse- 
nen Konturen und in der Art der Háuserzeich- 
nung mit den Parallelschraffuren. Auch das Motiv 
und die Weise des Ausschnitts wären charakte- 
ristisch. — 

Meine Bemerkungen wollten nicht an der Ge- 
diegenheit dieses vorbildlichen Kataloges rütteln. 
Vielleicht sind es zum Teil Beobachtungen, die 
dessen Verfasser selbst gemacht hütte, wenn sein 
Vornehmen, vor dem Abschluß seiner Arbeit die 
hollándischen Sammlungen noch einmal zu be- 
suchen,durch die alle Verbindungen unterbrechende 
Weltlage nicht unmóglich geworden wire. 

. O. Hirschmann, 


V. CURT HABICHT, Die mittelalter- 
liche Plastik Hildesheims. Studien 
z. deutschen Kunstgeschichte. 195. Heft. 
Straßburg 1917. ; 
Der Verfasser will mehr geben als eine Ge- 
schichte der Bildwerke aus der Epoche des heil. 
Beonward, wie man zuerst vermuten kónnte. Es 
gilt ihm das Vorurteil zu zerstreuen, daB die stets 
gewürdigten Denkmiler ausreichen, eine Vorstel- 
lung von den Leistungen Hildeshelms zu ver- 
mitteln und daß die übrigen Arbeiten kaum eine 
eingehendere Beschäftigung lohnen. Daneben will 
Habicht das enge Verknüpftsein der Denkmäler 
untereinander erweisen, das ihn dazu führt, von 
einer Hildesheimer Schule, ja von einem Hildes- 
heimer Stil zu sprechen. So gliedert sich das 
Buch in zwei Teile, wovon der längere in aller- 
dings etwas ungleichen Einzeluntersuchungen die 
Entwicklung der Hildesheimer Plastik von 1100 
bis ısoo verfolgt, der kürzere aber die Eigenart 
und Stileigentümlichkeiten der Hildesheimer Kunst 
festlegen will. Die beonwardinische Kunst berührt 
Habicht nur summarisch. Domtür und Säule 
möchte er wieder einer Hand zuweisen, die Unter- 
schiede aus technischen und inbaltlichen Gründen 


erklären. Den Wirkungskreis der nachbeonwardi- 
nischen Kunst zieht Habicht sehr weit: ganz Nieder- 
sachsen und vielfach auch Westfalen soll von 
Hildesheim aus mit Erzbildwerken versorgt wor- 
den sein. So läßt er bei dem Godehardsarkophag 
(nach 1132) Zusammenhänge mit Werken des 
Rogerus von Paderborn nicht mehr gelten und 
will auch das Kopfreliquiar Friedrichs I. in Kappen- 
berg zu den Hildesheimer Bronzegußarbeiten zählen. 
In St. Godehard und St. Michaelis dokumentiert 
sich dann der neue ‚Stil unter oberitalienischem 
Einfluß. Die Berechnungen der sog. Seligprei- 
sungen in den Äbtissinnengräbern in Quedlinburg 
umII29 sind durch Goldschmidt aufgehellt. Habicht 
aber möchte eher an eine Einwirkung von Hildes- 
heim aus glauben machen und dreht dem leidigen 
„Fortschritt“ zuliebe das zeitliche Verhältnis um, 
obwohl es doch eine häufige Erscheinung der 
Plastiken aus dem Ausgang des 12. Jahrhunderts 
ist, daß sie roher und unbeholfener wirken als die 
früheren. Dem Meister des Tympanons der St. Go- 
dehardikirche weist Habicht auch die Grabsteine 
des Bischofs Adelog und des Presbyters Bruno 
zu. Mit Unrecht, wie mir scheint. Diese Grab- 
steine zeigen eine so ausgesprochene Eigenart 
und Kraft unter Wahrung eines strengeren Stile, 
der den Gesichtern noch ein fratzenhaftes Lächeln 
in dem Drang nach Lebendigkeit mitteilt. Da- 
gegen sehe ich dann im Tympanon den Unter- 
schied einer neu aufkommenden Generation, die 
ihre Anschauungen an französischen Vorbildern 
im Sinne der Klassik gereinigt hat. Bei der im 
wesentlichen von sächsischen Vorbildern abhän- 
gigen Holzplastik des 13. Jahrhunderts erübrigt 
es sich, mit dem Verfasser über einzelne Datie- 
rungen zu rechten, die Auferstehung aus Wien- 
hausen ist aber mit 1280 entschieden zu früh an- 
gesetzt. Auch irrt der Verfasser in der Annahme, 
der Hauptaltar der Stadtkirche zu Northeim sei 
älter als der ehemalige Hochaltar des Mindener 
Doms in Berlin. Die Überschätzung der Hildes- 
heimer Kunst hat ihm den Blick dafür getrübt, 
daß gerade jene ungleichen Elemente der archi- 
tektonischen Dekoration im Schrein, nämlich ein- 
mal grobe Medaillons mit Vierpässen und dann 
wieder Kielbögen, die nicht einfach mit Maßwerk 
ausgesetzt sind, sondern durch wiederholtes Ein- 
setzen von Nasen zu spitzenartigen Mustern, einem 
sehr späten Motiv, werden, allein schon beweisen, 
daß hier ein unsicher nachtappender Vertreter der. 
Provinzkunst vor uns steht. Damit fallen auch 
die Folgerungen: weder der Mindener noch der 
Northeimer Altar haben etwas mit indigener Hil- 
desheimer Kunst zu tun. Bei dem Versuch, die 


25 


Altire um 1400 bestimmten Werkstätten zuzu. 
weisen, ist nur die Gruppierung der Altüre in der 
Minoritenkirche zu Hannover und in der Gode- 
hardikirche in Hildesheim völlig zweifelsfrei, 
Unter den Altären um 1450 sitzt der Altar aus 
Bockel als ein Fremdkörper. Habicht hätte besse 
getan, statt mittelrbeinischen Einfluß zuzugeben, 
das Werk aus der so ruhig gleichmäßigen Reihe 
zu streichen, die künstlerische Qualität nicht um 
die Mitte des Jahrhunderts gegenüber den Altären 
um 1400, in denen Einflüsse kölnischer Kunst 
und des Grabower Altars vom Meister Bertram 
sich mischten, Seit dem Chorgestühl der Gode- 
hardikirche 1466 strömen die Anregungen aus den 
Niederlanden. Zu Beginn des ı6. Jahrhunderts 
dann noch ein letzter Aufschwung dieser mittel- 
alterlichen Plastik, wieder unter westlichem Ein- 
flu8, diesmal von der Calcarer Schnitzerschule. 
Es ist ein beachtenswerter Gedanke Habichts, daß 
bei dem Meister des Beichtkapellenaltars in der 
Michaeliskirche eine der Wurzeln der Kunst Hans 
Bruggemanns zu suchen sei, gleichzeitig dann der 
hochstehende Meister des Benediktaltars in St. Go- 
dehardi, an dem eine Geschichte der deutschen 
Plastik nicht mehr wird vorübergehen können. 
Hier eröffnet sich eine interessante Perspektive. 
Die unleugbare Verwandtschaft mit Riemen- 


schneider führt Habicht dazu, dieser Verbindung ` 


nachzugehen und er weist nach, daß das Chor- 
gestühl in St, Godehardi eine Quelle der Kunst 
Riemenschneiders darstellt und daB vermutlich 
sogar verwandtschaftliche Beziehungen mit einer 
in Hildesheim nachweisbaren Familie Remen- 
snyder vorliegen. 

Der zweite Teil, der die Eigenart der Plastik 
. Hildesheims herausarbeiten will, hätte ein Grund- 
pfeiler für die Anschauungen Habichts werden 
müssen, da er in seinen Beiträgen zur nieder- 
sächsischen Kunstgeschichte, in denen dies Buch 
den zweiten Band bildet, ja überhaupt erst den 
Nachweis eines niedersächsischen Formsystems 
erbringen muß. Denn innerhalb der Zone ge- 
meinsamer optischer Auffassung Niederdeutsch- 
lands liegt begrifflich fassbar doch allein der nie- 
derrheinische und westfälische Stil fest. Kein 
Zweifel, dieser Beweis wird sich führen lassen, 
aber der Weg hierzu muß vom allgemeinen zum 
besonderen führen und nicht umgekehrt. Erst 
innerhalb der niedersächsischen Stileigentümlich- 
keiten könnte wieder ein Hildesheimer Stil, wenn 
man überhaupt davon sprechen darf, ausgeschie- 
den werden. Habicht nennt als ikonographische 
Eigentümlichkeiten Hildesheims den Hang zur 
Abstraktion und den Drang nach symbolischen 


26 


Verdeutlichungen. Damit ist nicht viel gewonnen. 
Als formale Grundstimmung hat Habicht nur die 
feierliche Ruhe aufzuweisen. Auch hierin ver- 
mag ich nichts spezifisch Hildesheimisches zu 
sehen. „Nur die Gesichtstypen bilden eine Hand- 
habe, die Herkunft einer Plastik aus der Hildes- 
heimer Diözese festzustellen.“ So liegt das eigent- 
liche Verdienst der Arbeit in den geschichtlichen 
Untersuchungen. Die Einwendungen richten sich 
darin gegen einzelnes, sollen aber den Wert des 
Ganzen nicht schmálern, Vielmehr muß das wich- 
tige Ergebnis des Verfassers unterstrichen werden, 
daB er dort, wo nur Inseln zu sein schienen, zu- 
sammenhingendes Land nachgewiesen hat, und 
daß damit ein wichtiger Abschnitt der nieder- 
sichsischen Kunstgeschichte seine grundlegende 
Darstellung erfabren bat. Ein reiches Abbildungs- 
material auf 40 Lichtdrucktafeln unterstützt die 
Ausführungen. Ein sorgfültiges Register und eine 
chronologische Tabelle erhöhen die Brauchbarkeit 
als Nachschlagewerk. 
Im Felde. 


ROB. BRUCE, Ernst zu Schaumburg, 
ein kunstfórdernder Fürst des 17. 
Jahrhunderts. Berlin, Verlag von Ernst 
Wasmuth 1917. 

Einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der 
kunstgeschichtlich interessanten Übergangszeit von 
deutscher Renaissance zum Barock bietet Robert 
Bruck in seinem Buch: Ernst su Schaumburg, 
ein kunstfórdernder Fürst des 17. Jahrhunderts. 

In: dem Fürsten Ernst lernt man eine anziehende 
Persónlichkeit kennen, einen Mann, der mit Tat- 
kraft und Umsicht regiert, den Wohlstand seines 
Volkes zu heben versteht und die gesteigerten 
Einkünfte seines Landes in kunstsinniger, edler 
Weise verwendet. 

Als einer der ersten deutschen Fürsten unter- 
nimmt Ernst von Schaumburg die ,Kavaliertour" 
nach Italien. Kaum zwanzigjährig, bezieht der 
junge Fürst 1589 die Universitit Bologna und 
besucht Mailand, Florenz, Rom. 1593/94 reist er 
zum zweitenmal nach Italien. Die Frucht jener 
Studien und Reisen ‚waren enge Beziehungen zu 
Kunst und Künstlern in Italien, die für die kultu- 
rellen Bestrebungen des Fürsten maßgebend wurden. 

Im Schloß Sachsenhagen, dem Wohnsitz des 
Fürsten vor seiner Ubersiedlung nach Stadthagen 
und später nach der Residenz Bückeburg, erinnern 
zwei Portale am alten Schloß, dem sog. Amts- 
haus, an architektonische Vorbilder der italieni- 
schen Spätrenaissance. Die kannelierten Rustika- 
säulen toskanischer Ordnung scheinen mir auf 


Kurt Gerstenberg. 


Anregungen des Bologneser Architekten Sebastiano 
Serlio surückzufübren sein, dessen viel benutztes 
Architekturwerk sicher auch dem deutschen Bau- 
enthusiasten bekannt war. 

Seit 160r residierte Fürst Ernst in Stadthagen. 
Hier lieB er sein prachtvolles Mausoleum errichten, 
das, 1609 begonnen, erst fiinf Jahre nach dem 
1622 erfolgten Tode des Fürsten vollendet wurde. 

Der Baumeister des Mausoleums war Giov. 
Maria Nosseni aus Lugano, ein vielbeschüftigter 
Künstler, der als Hofbildhauer und Maler am kur- 
sichsischen Hof tütig war, von dort nach Stadt- 
bagen berufen wurde. Unstimmigkeiten swischen 
ihm und dem Bauherrn führten zum Rücktritt 
Nossenis von der Bauleitung und zur Berufung 
eines Deutschen, Albrecht Dutthorns, der an Nos- 
senis Stelle den Bau vollendete. 

In der höchst eigenartigen Grundrißbildung des 
Mausoleums, einem Siebeneck, sieht Bruck eine 
Nachbildung des hl. Grabes von Jerusalem. Mög- 
lich, da8 die Erinnerung an die hl. Grabeskirche 
bei der Anlage mitgesplelt hat; jedenfalls war der 
Zentralbau (mit rundem oder polygonalem GrundriB) 
eine Lieblingsbauform der italienischen Renaissance- 
künstler. Unter anderem beschäftigte sich auch 
der oben genannte Bolognese Serlio mit der schwie- 
rigen Lösung eines Zentralbaues von polygonaler 
Grundform mit ungleicher Seitenzahl. Für die 
Grundrißbildung einer Kirche ist, wie Serlio be- 
merkt, ein Polygon von ungleicher Seitenzahl un- 
geeignet, da Haupteingang und Altar schwer in 
Einklang zu bringen sind (den Seiten liegen Winkel 
gegenüber!) Bei einem Mausoleum war jedoch 
diese Form wobl ansuwenden, wenn man das 
Grabmal in die Mitte des Polygons setzte, wie 
im Mausoleum zu Stadthagen. | . 

Das Äußere des Baues ist ganz im Geist der 
italienischen Spätrenaissance erdacht, mit korin- 
thischen Pilastern, von Rundbogen überwölbten, 
vertieften Wandfeldern, einer auf den Bauherrn 
bezüglichen Inschrift am Hauptyesims, der auf 
dem Hauptgesims aufsitzenden Attika, der äußer- 
lich durch ein Zeltdach verkleideten, von einer 
zierlichen Laterne bekrónten Kuppel. Nur wenig 
Bauten auf deutschem Boden können sich so 
reiner Formen und Verhältnisse rühmen wie dieser 
Grabbau. 

Den Hauptschmuck des Innern bildet das pracht- 
volle Grabmal des Fürsten Ernst, ein Prunkstück 
barocker Grabmalkunst, das Adrian de Vries, der 
Schüler Giovanni da Bolognas, in den Jahren 1618 
bis 1620 ausführte. Das Monument gipfelt in der 
hochaufgerichteten, edel aufgefaßten Gestalt des 
Auferstandenen. Vier lebhaft bewegte Wüchter 


an einen Kirchenbau. 


sitzen zu Füßen des Sarkophags, der mit dem 
Reliefbildnis des Verstorbenen geschmückt ist. 
Die Wächter erinnern an die „Sklaven“, die ein 
anderer Schüler Giovanni da Bolognas, Pietro 
Tacca, in ähnlicher Weise an dem Standbild des 
Großherzogs Ferdinand des Ersten von Toskana 
in Livorno anbrachte, und lassen wie diese die 
Wirkung michelangelesker Formensprache er- 
kennen. Bezeichnend für den Zeitgeschmack sind 
die an Beziehungen reichen figürlichen Sockelreliefs. 

Für den übrigen plastischen und malerischen 
Schmuck am Mausoleum werden u. a. Sebastian 
Walther, Zacharias Hegewald, Hans Wolff (Wand- 
epitaphien), Anton Boten (Kuppelmalereien mit 
musizierenden Engein) genannt, alles deutsche 
Künstler, die mehr oder weniger im Geiste der 
italienischen Spätrenaissance arbeiteten, deren 
Werke aber immerhin verdienten, der völligen 
Vergessenheit entrissen zu werden. Ganz im ita- 
lienischen Geschmack ist der Fußbodenbelag, für 
den Michele Sanmicheli das Vorbild gegeben haben 
könnte in seiner Capella Pellegrini bei S. Bernar- 
dino zu Verona. 

In Herzog Ernsts Regierungszeit fällt der Bau 
der protestantischen Stadtkirche von Bückeburg 
(beg. 1611) mit ihrer überreichen Schauseite, deren 
Architektur mehr an ein Prunkmöbel erinnert als 
Für den üppigen Verzie- 
rungsstil bot die Anregung Wendel Dietterleins 
Architekturwerk, dem auch die Vorlagen für die 
Kapitäle im Innern entnommen sind. Der Grund- 
riß der Kirche entspricht einer spätgotischen Hallen- 
anlage. Eine Neuerung bildet die Einführung von 
Emporen, die im protestantischen Kirchenbau 
späterhin allgemein beibehalten wurde. 

Das Taufbecken von 1615, zeitlich dem Grab- 
mal von Stadthagen vorausgehend, ist gleichfalls 
ein Werk Adrian de Vries’, wie jenes reich an 
allegorischen Beziehungen. Die Hauptgruppe der 
Taufe Christi erscheint wie eine barocke Weiter- 
bildung von Sansovinos Taufgruppe am Baptiste- 
rium zu Florenz. 

Weitere glänzende Beispiele deutscher Spät- 
renaissance-Architektur bieten die Torbauten des 
Bückeburger Residenzschlosses, an denen neben 
holländischen Einflüssen wiederum Anregungen 
von Wendel Dietterleins Architekturwerk wahr- 
zunehmen sind. 

Im Innern des Bückeburger Schlosses stammen 
die Schloßkapelle und einige Säle aus der Regie- 
rungszeit Herzog Ernsts. Die reich vergoldeten 
Holzschnitzereien der Schloßkapelle wurden von 
Eckbert Wolff d.J., die Malereien von Hans Wolff, 
Christoph Gertner, Joseph Heintz ausgeführt. Von 


27 


Eckbert Wolff stammt auch die Prachttür im gol- 
denen Saal, reich mit mythologischen Figuren ver- 
ziert, unter denen eine Nachbildung des berühm- 
ten Merkur Giovanni da Bolognas am meisten in 
die Augen fällt. Noch andere Künstlernamen sind 
‘in den Urkunden erhalten » ohne daB bestimmte 
Werke mit ihnen in Verbindung gebracht werden 
könnten. 

Beseichnend für die Kunstrichtung am Hofe 
Herzog Ernsts ist die Vermischung italienischer, 
niederländischer und deutscher Kunsteinflüsse, die 
sich zu einem reichen, anziehenden Bild vereinigen. 
Gemälde von Paolo Veronese, Federigo Baroccio, 
Dionigio Calvaert und Hendrik van Balen werden 
neben solchen von Hans Rottenhammer, Barthol. 
Spranger, Joseph Heintz genannt. 

Außer am Grabmal in Stadthagen und dem 
Merkur im Bückeburger Schloß lebt die Erinne- 
rung fort an Italien, insbesondere an Giovanni 
da Bologna, in verschiedenen Bildhauerarbeiten 
des Adrian de Vries, von denen zwei Bronze- 
gruppen auf der Schloßbrücke genannt seien: 
Venus und Adonis (1620) und Raub der Proser- 
pina (1621). Für Adrian de Vries, wie übrigens 
auch für seinen berühmten Zeitgenossen Bernini 
boten Giovanni da Bolognas Bravourstücke, wie 
beispielsweise der Raub der Sabinerin in der 
Loggia dei Lanzi zu Florenz das bewunderte Vor- 
bild. | 

Den Einfluß von Wendel Dietterleins phanta- 
stischer Architektur verrát auch die reich belebte 
Gartenarchitektur des kleinen Lustechlosses Baum 
bei Bückeburg, dem der letzte Abschnitt des Buches 
gewidmet ist. df 

Das Buch von Bruck gibt uns ein reizvolles 
Bild wieder eines kunstbegeisterten Fürsten und 
einer kleinen deutschen Residenzstadt in den fried- 
voll-glücklichen Zeiten, die den Stürmen des 
Dreißigjährigen Krieges unmittelbar vorausgingen. 

Die im Anhang mitgeteilten Urkunden und die 
vorzüglichen Abbildungen erhóhen noch den Wert 
dieser Veróffentlichung. v. d. Gabelentz. 


FRITZ MEDICUS, Grundfragen der 
Asthetik. Verlegt bei Eugen Diederichs, 
Jena 1917. 

Aus Abhandlungen und Vortrágen entstanden, 
die bis in das Jahr 191a zurückgehen, bildet dieses 
Buch doch eine Einheit. Es gibt so viele Bücher, 
denen man das Zufállige ihres Entstehens an- 
merkt, die nichts anderes sind als Feuilletons in 
Bucbform, ohne inneren Zwang geschrieben. Diese 
Vortrige muBten gehalten, diese Aufsátze geschrie- 
ben werden, denn sie offenbaren nicbt weniger 


als ,ein Stück Selbsterkenntnis eines an künst- 
lerischen Inhalten genährten Lebens.“ Hinter 
jeder Zeile spürt man, daß es dem Verfasser um 
seine Fragestellung und seine Probleme Ernst ist, 
daß ihm Ästhetik, nicht minder wichtig ale Logik 
oder Ethik, nur als Teil der unauflöslichen philo- 
sophischen Einheit erscheint. Ein Versuch ihrer 
Verselbständigung rächt sich dadurch, „daß die 
Probleme nicht mehr aus der substantiellen Wirk- 
lichkeit entspringen und darum oberflüchlich wer- 
den, mógen sie auch an den Scharfsinn die äußer- 
sten Anforderungen stellen.“ 


Das Buch ist von einem starken Glauben an 


die Kunst der Gegenwart getragen. Der jahre- 
lange Aufenthalt des Verfassers in der Schweiz 
gibt ihm ein gewisses Lokalkolorit, doch ist es 
ein Bekenntnis und kein Partelbuch. Unser Ver- 
háltnis zur Welt ist kein festes, unabinderliches. 
Jede Epoche, ja jede Generation hat ihre eigenen 
Aufgaben zu lósen, in sittlicher so gut wie in 
künstlerischer Hinsicht, Im Kunstwerke offen- 
baren sich Geist und Wesen einer Zeit am un- 
mittelbarsten. Es gibt keine nur formale Kunst; 
der Schaffende kann der Kulturgemeinschaft, in 
die er gestellt ist, nicht entfliehen. Er findet auch 
keine fertige Wirklichkeit vor, er schafft eine neue 
Welt und eine neue Wahrheit. ,Und wie es 
keine rein formale Kunst geben kann, so ist auch 


‘das Idealzeitalter der Kunst ein Phantasiegebilde. 


Das perikleische Zeitalter und die italienische Re- 
naissance in allen Ehren: — aber die Wirklich- 


-keit ist lebendig. Der Ausdruck, den das Leben 


vergangener Jahrhunderte und fremder Kultur- 
gemeinschaften gefunden hat, ersetzt uns nicht 
die Anschauung des Lebens, in dem wir stehen. 
Und jedes Kunstwerk ist vollkommen, das im 
höchsten Sinne wahr ist, d. h. jedes Kunstwerk, 
das in dem engen Umfang seiner Erscheinung 
das grenzenlose Leben der Kulturgemeinschaft 
offenbart, von der es geboren iet" (S. 59). Auch 
kann es nicht im Sinn eines Kandinsky darauf 
ankommen, das Geistige von der Materie los- 
zulósen und sich in den Bereich der absoluten, 
vom Gegenständlichen befreiten Malerei zu flüchten. 
„Der Geist muß in der Wirklichkeit selbst gesucht 
werden: in ihr und nur in ibr ist er wirklich ... 
Er führt kein von der sichtbaren Materie ge- 
trenntes Leben — — — die ganze Wirklichkeit 
ist Leben, ist lebendiger Geist.“ (S. 32.) 

Es kann nicht die Rede davon sein, den Reich- 
tum des Buches in einer Anzeige auszuschöpfen. 
Vorträge über: Philosophie und Dichtung (1912), 
Bildende Kunst und Wirklichkeit (1912), Schón- 
heit und Wahrheit (1913), die künstlerische Wahr- 


—— v. un 


@ 
heit (1915), die künstlerische Überwindung des 
Gegenstandes (1916) und Abhandlungen ,über den 
Begriff der Ásthetik, die überzeitlichen MaBstibe 
der künstlerischen Beurteilung und die Unend- 
lichkeit des Kunstwerkes (sämtlich 1916 geschrieben) 
bilden seinen Inhalt. Gedruckt lagen bisher nur 
zwei der Vortrüge vor, im Band IV des ,Logos“ 
und im erstenJahrgang der , Geisteswissenschaften", 

Rosa Schapire. 


KONRAD ERBACHER, Griechisches 
Schuhwerk. Eine antiquarische Unter- 
suchung. (Wiirzburger Inaugural-Disser- 
tation 1914. Würzburg, Buchdruckerei 
Franz Staudenraus 1914. — IV, 78 S. 
8% 1 Tafel. 


Nach einer Besprechung der griechischen Be- 
zeichnungen der verschiedenen Schuhsorten gibt 
Erbacher an der Hand der Darstellungen die Ge- 
schichte der Fußbekleidung bei den Griechen in 
ihren drei Hauptgattungen: Sandale, Schuh, Stiefel, 
von denen nur die Sandale eine nationale griechi- 
sche Fußbekleidung seit ältester Zeit gewesen ist, 
Schuh und Stiefel wurden seit dem 6. Jahrhundert 
übernommen, während die Mode des Schnabel- 
schuhs sich nicht eingebürgert hat. — Die Arbeit 
ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der an- 
tiken Tracht; freilich hätte sich das Thema für 
eine akademische Festrede nicht geeignet, wie 
Lobeck in seiner witzigen Rede: de Momo eiusque 
fratre Moro bemerkt. (Neues Schweizerisches Mu- 
seum I [1861], S. 70.) T. O. Achelis. 


29 


RUNDSCHAU ... n 


DER CICERONE. 

IX, 21/22. 

WALTER BOMBE; Die Sammlung Dr. иели 
von Schnitzler in Cóln. (26 Abb.) 

H. FRIEDEBERGER: Die Sammlung Richard 
von Kaufmann-Berlin. (13 Abb.) 


IX, 23/24. 

WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard 
von Schnitzler in Cóln. (Fortsetzung.) 

OTTO GRAUTOFF: Die Münchner Kunstgewerbe- 
ausstellung in Paris im Jahre 1910 und die fran- 
sösischen Künstler während des Krieges. 


OUDE KUNST. 
III, I. 
HANS SCHNEIDER: Nederlandsche schildereijen 


in het Museum Czartoryski te Krakau. (1 Tafel, 
5 Abb.) 


S. KALFF: Een Haarlemsche Gildebeker. (1 Abb.) 


IMA BLOK: Teekeningen van Es. v. d. Velde, 
J. v. Goijen en P. de Molijn. (3 Abb.) 


H. G. van HUFFEL: Handkleur. (4 Abb.) 

III, 2, 

H. MARTINI: De ı7e eeuwsche friesche schilder 
Nicolaas Wieringa. (9 Abb.) 


D. F. SLOTHOUWER en CORN. J. GIMPEL: 
Oude Architektenteekeningen. (6 Abb.) 


M. W. de VISSER: De Weefster en de Herder. 
(1 Abb.) 


N. G. van HUFFEL: Een merkwaardig Oranje- 
portret. (r Abb.) 

> ш, 3. 

С. HOFSTEDE DE GROOT: De Apostel Paulus 
van Rembrandt. (1 Taf.) 


Een Landschap van MEINDERT HOBBEMA. 
(1 Taf.) 


D. v. ADRICHEM: St, Nicolaas in het Westen, 
(10 Abb.) 


A, O. v. KERKWIJK: Dure en siechte tijden op 
penningen herdacht. (13 Abb.) 


J. О, KRONIG: Een portret dor Hendrik Gerritsz. 
Pot. (т Abb.) 


OUD HOLLAND. 

XXXV, 3. 

Q. J. HOOGEWERFF: Rembrandt en een italia- 
ansche Maecenas. 


F. A. HOEFER: De Overijsselsche schilder Jan 
Grasdorp. 

H. J. A. RUYS; De schilder-dichter Bernart Vollen- 
hove. 

E. van BIEMA: Het dagboek van een pommersch 
officier in Staatschen dienst. (II.) 


J. PRINSEN J. LZN.: Eeen paar seltsame trou- 
gevallen. 


30 


A. BREDIUS: Een hollandsch beeldhouwer-atelier 
omstreeks 1570 te Cordova. 


Korte Mededeelingen. 


—— M 


DIE KUNST. 
XIX, 1. 


G. J. WOLF: Wilhelm v, Diez und seine Schule. 
(2 farb., 1 schw. Taf, ar Abb.) 


W. WARTMANN: Hermann Haller, (1 Tafel, 
12 Abb. 


W. RÜMANN: Menzels Radierungen. (8 Abb.) 
F. KUMMER: Vom Umbau alter Hauser. 


Arch. LOSSOW ч. KÜHNE-Dresden: Haus Ross- 


kothen und Haus Wiede. (а Taf., 21 Abb.) 


Eine BRUNO PAUL-MONOGRAPHIE. (1 farb. 
Taf., 5 Abb.) 


F. THIECKE: Treibarbeiten von Georg Mendels- 
sohn. (3 Abb.) 


G. J. WOLF: Münchner Plakatkunst. (a Tafeln, 
22 Abb.) 


LAURA EBERHARDT: Atzen der Batikarbeiten 
an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule. (то Abb.) 


RICHARD GRAUL: Mehr Kunstgewerbe auf der 
Leipziger Messe. (s Abb.) 

XIX, 3 

J. BETH: Die freie Sezession 1917 in Berlin. 
(x farb. Taf., 20 Abb.) 


W. v. SEIDLITZ: Ergebnis der Umfrage, betreffend 
die Vorbildung unserer Künstler. 


KARL VOLL: Uber Kunstauktionen im Kriege. 


AUG. L. MAYER: Zum 7o. Geburtstage Ad. von 
Hildebrands. (8 Abb.) 


E. W. BREDT: Toni von Stadler +. 
MAX EISLER: Karl Sterrer, (r Taf, 7 Abb.) 


W. F. STORCK: Kriegergedenktafeln und -Ge- 
denkblätter. (1 Taf., 19 Abb.) 


H. BEHRMANN: Kunst und Geschäft auf der 
Leipziger Messe. 


P. THIECKE: Zu den Arbeiten von Karl Joh. 
Mossner. (5 Abb.) 


H. STRAUBE: Eisenguß in der angewandten 
Kunst. (a Taf, 17 Abb.) 
XIX, 3. 


PAUL KRAEMER: Axel Gallén, Finnlands groBer 
Maler. (4 Taf, 7 Abb.) 


MAX GEITEL: Vor hundert Jahren. 
G. J. WOLF: Norbert Grund. 1 Taf, 10 Abb) 


HANS MACKOWSKY: Menzels Impressionen aus 
Alt-Berlin. (2 Abb.) 


KARL SCHWARZ: Philipp Franck. (1 Taf., 8 Abb.) 


MOELLER van den BRUCK: Die Ausstellung 
des deutschen Werkbundes 1917 in Bern. (a Taf., 
48 Abb.) 


— 


DIE RHEINLANDE. 


XVII, 10/11. 

LISBETH SCHÄFER: Große Berliner Kunstaus- 
stellung 1917 im Kunstpalast zu Düsseldorf. (6 Abb.) 
J. F. HÁUSELMANN: Kunstwissenschaftliche Be- 
trachtungen über bšuerliche Bauformen. (21 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION, 
XXI, 1. 

KARL SCHWARZ: Lovis Corinth. (2 farbige, 
5 echwarze Tafeln, 18 Abb.) 

ADOLF BOHNE: Vom einheitlichen Ziel der Kunst. 


THEODOR VOLLBEHR: ,Altestes bewahrt mit 
Treue, freundlich aufgefaBt das Neue“. 

OSKAR STRUAD: Einiges Theoretische zur Raum- 
gestaltung. (15 Taf., 12 Abb.) 

A. E. BRINCKMANN: Das Grabmal. (7 Taf., 9 Abb.) 


RICH. KLAPHEK: E. Fahrenkamps Qrabdenk- 
mäler und Kriegergedenksteine. (3 Abb.) 


KUNO MITTENZWEY : Ausstellung der Münchner 
Sezession r917. 


R. ST.: Herbstausstellung der Dresdner Künstler- 
vereinigung . | 


KUNO MITTENZWEY: Ausstellung der ,Neuen 
Sezession" München 1917. 

XXI, 3. 

KURT GERSTENBERG: Der Künstler und diese 
Zeit. 

KARL HECKEL: Harmonie und Stil, 


ULRICH CHRISTOFFEL: Kunstgeschichtliche 
Bildung und künstlerische Erziehung. 


GUSTAV E. PAZAUREK: Von Glasperlen und 
Perlenarbeiten. 


ERNST ZIMMERMANN: Dekorative Keramik 
(9 Abb.) 

M. ZUNDORFF: Kúnstlerischer Christbaum- 
schmuck. (s Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 


XVI, 1. 
EMIL WALDMANN: Organisation im Museums- 
wesen. 


HEINRICH WOLFFLIN: Adolf von Hildebrand, 
(17 Abb.) 

KARL SCHEFFLER: Max Pechstein. (rr Abb.) 
HANS TROG: Deutsche Malerei in der Schweiz. 
EMIL WALDMANN: Die Hodler-Ausstellung in 
Zürich. 

XVI, 3. 

MAX LIEBERMANN: Anschauung und Idee, 
KURT GLASER: Gustav Doré. (ar Abb.) 


FERDINAND BULLE: Hermann Haller. (7 Abb.) 
FELIX SZKOLNY: Die Gewinnbeteiligung der 
Künstler. 

XVI, 3. 


MAX J. FRIEDLAENDER: Dürers Denken und 
Gestalten. (z Abb.) 


ALFRED LICHTWARK: Der junge Künstler und 
die Wirklichkeit. (ro Abb.) 


VICTOR HUGO: Das Buch und der Stein, (13 Abb.) 


KARL SCHEFFLER: Gelegentlich der 31. Aus- 
stellung der Berliner Sezession. 


K. SCH.: Winckelmann. 


KUNST UND KUNSTHANDWERK. 
XX, 9 / 10. 

MORIZ DREGER: Die Linzer Wollenzeug- und 
Teppichfabrik. (38 Abb.) 

L. PLANISCIG: Annibale Fontana, der Meister der 
Bronzeleuchter im Dome su Preßburg. (9 Abb.) 
HARTWIG FISCHEL: Aus dem Wiener Kunst- 
leben. 


ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST. 
Neue Folge, XXIX, 1. 


JULIUS BAUM: Schwibische Bildwerke im Zeit- 
alter der Mystik. (12 Abb.) 


JOS. AUG. BERINGER; Emil Lugo. (17 Abb.) 


XXIX, 2. 
HERMANN UHDE-BERNAYS: Zur Feier Johann 
Joachim Winckelmanns. 


JOSEF ENGELHART: Dem Andenken Eugen 
Jettels. (s Abb.) 


О. F. HARTLAUB: Gustav Doré und seine Illu- 
strationen, (30 Abb.) 


JULIUS VOGEL: Luther als Junker Jórg. (6 Abb.) 


AUG. L. MAYER: Das Selbstbildnis des Velazquez 
im Provinzialmuseum in Hannover. (т Abb.) 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 
KUNSTSAMMLUNGEN. 

XXXIX, 2. 

BODE: Erweiterungen innerhalb der Abteilung 
der deutschen Plastik. (2 Abb.) 

HUBERT SCHMIDT: Frühgeschichtlicher Gold- 
schmuck. (3 Abb.) 

XXXIX, 3. 

OSKAR FISCHEL: Wanderungen eines antiken 
Motivs. (4 Abb.) 


FRITZ GOLDSCHMIDT: Die Gédtterfiguren des 
Alessandro Vittoria. (5 Abb.) 


31 


NEUE BÜCHER encinas 


FERDINAND AVENARIUS: Klinger als Poet. 
Mit einem Briefe von Klinger und einem Beitrag 
von Hans W. Singer. Herausg. vom Kunstwart. 
Im Kunstwartverlag von Georg D. W. Callwey zu 
München. 

FRIEDRICH JODL: Ästhetik der bildenden Künste. 
Herausgegeben von Wilh. Bórner. J. G. Cottasche 
Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart u. Berlin 1917. 
Hessenkunst 1018. Herausg. von Dr. Christ. 
Rank; Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Verlag 
von N. G. Elwert, Marburg. 

MAX v. BOEHN: Vom Kaiserreich zur Republik. 
Eine franzósische Kulturgeschichte des 19. Jabr- 
hunderts. Hyperion-Verlag, Berlin. 


KARL SCHWARZ: Augustin Hirschvogel, ein 
deutscher Meister der Renaissance. Mit 77 Ab- 
bildungen. Julius Bard, Berlin 1917. M. 20 (25). 


LUDWIG RICHTER-ZEICHNUNGEN. Mit einer 
Einleitung herausgegeben von Willibald Franke. 
Comenius-Bücher, Bd. I. Verlag Grethlein & Co. 
Leipzig-Berlin, (Preis M. 3.60.) 


ZUR GESCHICHTE DER BARMHERZIGKEIT 
IM ABENDLANDE. Rede, gehalten zur Feier 
des Antritts des Rektorats am 18. Oktober 1917 
in der Aula der Rheinischen Friedrich Wilhelms- 
Universität zu Bonn von Friedrich Маг. Bonn. 
Verlag von Peter Hanstein. 


XI. Jahrgang, Heft I. 


Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im 
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, 
Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK- 
HARDT & BIERMANN, Leipzig. 

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Elisabetbstr. 51. | 


In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: 
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. : 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467. 


Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- 
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans R Berlin W. 13, Uhland- 
straße 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


Tafel 1 


27 


— Sang z 
WI A h D. 
Gd 4 


(Teilstück.) 


Leonardo da Vinci, Mona Lisa. 


Abb. 2. 


(Louvre.) 


Leonardo da Vinci, Mona Lisa. 


Abb. I. 


EMIL MÓLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA 


Zu: 


M. f. K., XI, ı 


Tafel 2 


TA dst an rth 23.5 


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(Uffizien.) 


Abb. 3. Naturstudie des Salai (?), nach der Mona Lisa. 


EMIL MÓLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA 


Zu: 


M. f. K., XI, 1 


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Tafel 4 


Leonardo da Vinci, Die hl. Jungfrau aus dem Anna-Karton -= Mona Lisa 


Abb, 6. 


EMIL MOLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA 


Zu 


M. f. K., XL 1 


M. f. K., XI, 1 


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Abb. І, Abb. 2. 
Abb. 3. Арс 


Zu: MARC ROSENBERG, EINE SELTENE GRANULATIONSARBEIT 


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Tafel 8 


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I. Friedrich Busch, 7 1501. Altenburg, Schloßkirche 2. Petrus Hofemann, + 1486. Altenburg, Schloßkirche 


Aus einer sächsischen Hütte. 


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3. Heinrich Stárcker von Mellerstadt, + 1483. Meißen, Dom 
Aus einer sáchsischen Hütte. 


Zu: HUBERT STIERLING, ,ZWEI UNBEKANNTE VISCHERWERKE* 


M. f. K., XL, 1 


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| X-IAHRGANG-HEF T 2/3 FEBR-MÄRZ 1018 
| VERLAG KLINKHARDTÖBIERMANN:LEIPZIG 


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| Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 2/3 


ABHANDLUNGEN völker in die Treibhäuser geistigen Lebens. 
" Anknüpfend an einen Scbatzfund in Albanien. 

FRITZ HOEBER, Die attischen reif ır ang Abbildungen auf то Lichtdrucktafeln, 
schwarzfigurigen Vasen von rotfigu- (Supka-Budapest) ...... uiis e a 8. 74 
rigem Stil. Mit 27 Abbildungen auf O. Frhr. v. Hadoln, Das Museum au pauvre 

7 Tafeln 2169 are S. 33 diable zu Maubeüge (Gerstenberg) . . . S. 77 


HANS WOLFGANG SINGER, Der Rudolf Metzger, Die dynamische Empfindung 
Vierfarbendruck in der Gefolgschaft in der angewandten Kunst. Ein Beitrag sur 
Jacob Christoffel le Blons. Mit 6 Ab- künstlerischen Gestaltung der Technik. Mit 
bildungen auf 5 Tafeln ...... 8.52 56 Abbildungen (Rosa Schapire) .. . . 8. 77 


REZENSIONEN RUNDSCHAU .............. S. 79 
Josef Strsygowski, Altai-Iran und Vólker- 


wanderung. Ziergeschichtliche Untersuchun- 
gen über den Eintritt der Wander- und Nord- NEUE BÜCHER ............ S. 80 


JULIUS BÖHLER : MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR fa MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR 
BRIENNERSTRASSE 19 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÁLDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBAREB 
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A.S.DREY | Ausstellung 


Königlich Bayer. Hoflieferant kostbarer Antiquitäten Ein- und 


Verkauf wertvoller Skulpturen, 
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Antiquitáten jeder Art. 


Paris, 55 avenue des Champs Elysées. 


DIE ATTISCHEN 
REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON 
ROTFIGURIGEM STIL Von FRITZ HOEBER 


Herrn Prof. Dr. Frans Winter in dankbarer Verehrung! 
Mit siebenundzwanzig Abbildungen auf sieben Tafeln eeeccccccc00000000000000000000000000000000000000000000000009 


I. 


Bi der Stilanalyse der attischen älteren rotfigurigen Vasenmalerei, des epikte- 
tischen Kreises und der streng rotfigurigen Meistervasen besonders, wurden 
regelmäßig von der Forschung künstlerische Darstellungsmittel festgestellt, die nicht 
im Sinn des eigentlichen rotfigurigen Vasenstils, des Stils der neuen Körperlichkeit 
und der neuen Bewegungsmiglichkeiten, lagen, sondern sich stilistisch noch ganz 
in der flachen Silhouettenmanier jener strengen und eckigen Linien hielten, die 
das Charakteristische der ülteren schwarzfigurigen Vasenmalerei ausmachen. Und 
umgekehrt wiederum liefen sich auch attische jüngere schwarzfigurige GefüBe 
finden, die, obwohl in der alten gewohnten Technik ausgeführt, doch bereits den 
geschmeidigen LinienfluB, z. B. der Gewandfalten, die reichere Bewegung, die Kopf- 
typen oder die Gesamtkomposition der streng rotfigurigen Malerei aufwiesen. — Was 
lag also náher, als der Hypothese einer zeitweiligen Parallelitüt der beiden Stil- 
arten in der attischen Vasenmalerei Raum zu geben, einer Annahme, die ja um so 
natürlicher war, als sie der allgemeinen kunsthistorischen Erfahrung entspricht, daB . 
wichtige technische und künstlerische Neuerungen sich niemals sofort und voll- 
stándig durchsetzen, sondern neben der alten Weise eine Zeitlang einhergehen, bis 
sie diese vollkommen besiegt haben. Dieses können wir ja auch an vielen attischen 
Vasen des ausgehenden sechsten Jahrhunderts, den Amphoren des Andokides und 
seiner Schule und den Schalen des epiktetischen Kreises beobachten, die die beiden 
Techniken auf einem Stück vereinigen, oder bei manchen reif schwarzfigurigen Vasen- 
fabrikanten, wie vor allem bei Nikosthenes, der trotz seiner Befangenheit in der 
alten Tradition, sich doch in dem einen oder andern Gefäß bereits in der moder- 
neren Malweise versucht hat. Derjenige, der diese Parallelitüt der attischen 
schwarzfigurigen und rotfigurigen Vasenstile am energischsten in Theorie und 
Museumspraxis wissenschaftlich vertreten hat, ist Edmond Pottier. In seinem 
Catalogue des Vases antiques de terre cuite!) schreibt er auf S. 647ff. in 
einem Kapitel: Prolongation de la peinture à figures noires: „Si utile que soit une 
réforme, elle n'est jamais acceptée tout entiére par tout le monde, surtout dans le 
domaine industriel; la tradition et la routine sont des puissances avec lesquelles il 
faut compter. On s'imagine trop aisément qu'une fois la figure rouge inventée, la 
figure noire ne tarda pas à mourir et laissa la place sans conteste à son heureuse 
rivale. On voit les meilleurs archéologues conclure qu'un motif est nécessairement 
antérieur à l'époque des figures rouges, parce qu'il se trouve sur des vases à figures 
noires de style tardif. Les classements ordinaires des musées et des catalogues 
entretiennent cette idée. Nos étudiants se figurent trop souvent que l'époque de 
la figure rouge se superpose exactement à celle de la figure noire, comme les en- 
fants croient que les Romains remplacent les Grecs. Ces cadres rigides empéchent 


(z) Études sur l'Histoire de la Peinture et du Dessin dans l'Antiquité. Troisième Partie: l'École Attique 
(Paris, Librairies-Imprimeries réunies. Éditeur des Musées Nationaux. Motteroy, Directeur, 7 Rue Saint- 
Benoit, 1906). 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XL Jahrg. 1918, Heft 2/3 3 | 33 


de voir des synchronismes qui sont l'essence méme et la vie de l'histoire.* — Und 
dann hat Pottier in der Salle F der Collection Campana, der groBen Vasensamm- 
lung des Louvre, unter den dort befindlichen reif schwarzfigurigen attischen GefüBen 
eine spezifische Gruppe ausgesondert, fiir die er bereits ,,des influences de la figure 
rouge“ konstatiert. In dem dem Katalog zugehürigen Photographienalbum ,,Vases an- 
tiques du Louvre par E. Pottier. 2. Serie: Salles E-G. Le style archaique a figures 
noires et à figures rouges. Ecoles Jonienne et Attique“ stellt er in Abbildungen auf 
Pl. 75—77 und 84—87 die nach seiner Meinung hier in Betracht kommenden Gefäße 
zusammen’). 

Trotz dieser somit allgemein durchgedrungenen Ansicht über die zeitweilige 
Parallelitit des schwarzfigurigen und des rotfigurigen Stils wird es doch noch von 
Interesse sein, eine Reihe von reif schwarzfigurigen Gefäßen aus verschiedenen Samm- 
lungen genau stilkritisch zu analysieren, um das, was Pottier im allgemeinen und 
noch etwas unbestimmt annimmt, durch konkrete, augenscheinliche Tatsachen, 
durch die Analogie der Formen selbst, kunsthistorisch festzulegen. 


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1. BERLINER HYDRIA, Nr. 1897. (Abb. r.) 

Eines der merkwiirdigsten Beispiele für den reif Geir ies attischen 
Vasenstil jener letzten Phase, die bereits unter dem deutlichen Einfluß der neu ent- 
deckten rotfigurigen Malweise steht, stellt sich uns in der prachtvollen Hydria 
Nr. 1897 der kgl. Vasensammlung in Berlin dar, von der Furtwüngler?) bemerkt: 
„Höchste Korrektheit und Sauberkeit in Allem. Die Augenzeichnung nicht mehr 
ganz kreisrund, sondern etwas oval Der Stil ist viel mehr der streng rot- 
figurige als der schwarzfigurige. Er läßt Hischylos als Meister vermuten.“ 
In der Tat erscheint der Stil der Malerei auf dieser Berliner Hydria so fortge- 
Schritten, daB, wenn man sie nur in UmriBzeichnung wiedergegeben sühe, man sie 
sicher als streng rotfigurig bestimmen würde, so sehr stimmen ihre sämtlichen 
Linien mit den Errungenschaften der streng rotfigurigen Darstellungsweise überein). 

Man versteht, wie Furtwüngler darauf kam, diese Hydria dem schwarzrot- 
figurigen Tüpfer Hischylos zuzuschreiben, wenn man den kleinen schwarzfigurigen 


(1) Auf deutscher Seite bat sich vor allem Friedrich Hauser mit großem wissenschaftlichen Erfolg 
für die entwicklungsgeschichtliche Parallelität des schwarz- und rotfigurigen Vasenstils eingesetzt (im 
Text zur Amphora des Amasis im Vatikan. Furtwingler-Reichhold A 125). Seine These faßt sich 
in der Behauptung zusammen, daB bereits die entwickelten Vasenbilder des reifechwarzfigurigen 
Meisters Exekias stilgeschichtlich und chronologisch jünger sind als die rotfigurigen 
Bilder des in beiden Manieren arbeitenden Andokides. — Hausers feinsinniger Scbüler, Ernst 
Buschor, hat in seiner vorzüglichen Gesamtdarstellung der „Griechischen Vasenmalerei* (r. Aufl., 
München 1912. 2. Aufl, ebd. 1914 auf S. 143 u. ff.) das Problem in Kürze so formuliert: Der neue — 
rotfigurige — Stil hat den alten — schwarzfigurigen — durchaus nicht jah verdrängt, es sind uns 
aus der Zeit seiner Herrschaft vielleicht mehr schwarzfügurige Vasen erhalten als aus der voran- 
gehenden. In den führenden Ateliers wurden auch eine Zeitlang, oft von denselben Malern, beide 
Techniken nebeneinander geübt. Die Wagschale neigte sich rasch zugunsten des aussparenden Stils, 
und nach den Übergangszeiten des Andokides und Pamphaios versuchen sich nur wenig starke Indi- 
vidualitäten mehr im alten Silhouettdnstil. Aber, obwohl aus der führenden Stellung verdrängt, bat 
dieser alte Stil, mindestens bis in den Anfang des 5. Jahrhunderts, sich noch stark an der Produktion beteiligt. 
(2) Kgl. Museen zu Berlin. Beschreibung der Vasensammlung im Antiquarium von Adolf Furtwüngler. 
I. Band, Berlin 1885, 8. 383—386. 

(3) Dieselbe Ansicht vertritt auch Buschor, a. a. O., 8. 144, der die Berliner Hydria in die Zeit des 
Euphronios, also an das Ende des 6. Jahrhunderts, rückt. 


34 


Teller Nr. атоо, ebenfalls der Berliner Vasensammlung, betrachtet, den ein FuB in 
Art der Schalenfüße trägt, und dessen Inschrift mit großer Sicherheit [I] oyv[Alosg 
éxoli{cev] ergänzt wurde!) (Abb. a): In der kreisrunden Fläche steht ein Mann, einen 
Napf vorsichtig in der linken Hand haltend. Die Zeichnung ist überaus zierlich, be- 
sonders die sehr fein plissierte Haube, wie sie sich sowohl im Kreis des Epiktet, 
wie in dem des Euphronios vorfindet. — Aber trotz allgemeiner Ahnlichkeit ist die 
Hydria doch entwickelter in ihrem individuellen Stil: ihre Formen sind größer, 
runder, weniger grazil und feinteilig. 

Die 43,7 cm hohe Hydria von entwickeltster Gefäßform und allererster kiinstle- 
rischer Qualität?) stellt in ihrem Hauptbild das Anschirren eines Viergespanns dar, 
während sie in ihrem friesartigen Schulterbild drei weit gestellte Kämpferpaare gibt, 
in ihrem Sockelstreif zwei Panther, einen Widder, einen Lówen und einen Stier, 
diese ornamentalen Streifenbilder durchaus stereotyp im Sinn der reif schwarz- 
figurigen Handwerksüberlieferung gehalten, Nur das Hauptbild kann ein Beispiel 
sein für eine Malerei rotfigurigen Stils in schwarzfiguriger Technik: Was im 
ganzen sogleich auffällt, ist die monumentale Größe der Gruppe, dieser 
stolzen, nur wenig, aber zierlich bewegten Pferde, der in groBzügiger Vertikale 
dazu gestellten Männer, die Freiheit, mit der das Bild belebt, der Raum ausgefüllt 
ist. Und GróBe und Freiheit sind auch für die Detailierung dieser Zeichnung 
charakteristisch: Das lehrt ein Blick auf die schóne Faltengebung der Gewandung 
des Jünglings links, der, die Zügel in der Hand haltend, darauf wartet, den Wagen 
zu besteigen. Ein runder Faltenwurf des Chiton zieht sich bei ihm quer unter der 
rechten Achsel nach der linken Schulter empor; der linke Oberarm ist der Aus- 
gangspunkt klar gezeichneter, groBer Fücherfalten, die nach der Rückensilhouette 
zu in schwungvollem Rund verlaufen. Der untere Faltensaum bewegt sich nur in 
groBen Motiven. Eine charakteristische Einzelheit sind die kleinen quastenühnlichen 
Punkte, in denen die drei Zipfel des Chiton endigen, und die so auch bei den streng 
rotfigurigen Meistern, z. B. bei Duris, vorkommen. — Interessant für die Faltengebung 
erscheint auch das in großen Enden herabhingende Hüfttuch des Pferdeknechts rechts: 
es ist in lauter runden Linien. durchgeführt; in den Durchsteckungen und Über- 
schlügen offenbart sich ein gewisses plastisches Gefühl, das dem mit scharfeckigen 
Brechungen arbeitenden, arcbaisch schwarzfigurigen Faltenstil, der alles ins Flüchen- 
mäßige reduziert, völlig fern liegt. 

Diese Plastik finden wir auch in der Bildung der Körper auf unserer Amphora 
wieder: man sehe sich daraufhin die Beine und den Torax des sich vorbeugenden 
Pferdeknechts an. Das Detail der Muskelzeichnung ist das fortgeschrittene der 
streng rotfigurigen Meisterperiode, z. B. die stereotype Andeutung der Schlüssel- 
beine durch häckchenförmige Linien, wie sie Euphronios und Duris lieben. — Die 
Kopftypen unserer Hydria bilden zwar eine Individualität für sich. Gerade für das 
Gesicht hatte der rotfigurige Stil eine ganz andere Zeichnung, das Profil weniger 
scharf ausgeschnitten, die Formen größer, besonders die Augen bedeutender, ent- 
wickelt, so daß ein Vergleich zwischen schwarz- und rotfigurigen Köpfen immer 
nur im allgemeinen bleiben kann und man dieselben Formen übersetzen muß, 
sich erinnernd, daß derselbe Künstler für ein und dieselbe Form im schwarzfigurigen 
Stil diesen technischen Ausdruck, im rotfigurigen jenen gewählt hätte. Trotzdem 


(1) Beschreibung der Vasensammlung I. 8. 460—461. 
(2) Abgebildet u. a. bei Eduard Gerhard, Auserlesene Vasenbilder, Band IV. Tafel 249, 250; danach 
Abb. 101 auf S. 141 bei Buschor, a. a. О. f 


85 


läßt sich ohne Zwang auch bei diesen frühattischen Gesichtsprofilen, teils an 
Duris, wegen ihrer runden Formen, teils an Euphronios, wegen der an der Spitze 
etwas aufgebogenen, weit vorspringenden Nasen, denken. Fiir letzteren seien ver- 
gleichsweise die Kipfe der beiden rechtssitzenden Jiinglinge aus dem ,,Vortrag des 
Flótenspielers" dem Reversbild des Pariser Antaioskraters, herangezogen!), bei 
denen vor allem auch die Haartracht merkwürdig mit dem hinter dem weiß- 
bekleideten Wagenlenker stehenden, nach rechts sich wendenden Epheben unserer 
Berliner Hydria übereinstimmt. 

Es ist der entwickelte Archaismus der attischen Kunst kurz vor der Zeit der 
Perserkriege, der sich in diesen kraftvollen Kopfprofilen mit der spitzen Nase, dem 
vollrund ausladenden Kinn und der individuellen Haartracht der abgeteilten Kalotte 
des Hinterkopfes, dem das Gesicht umrahmenden Lickchenkranz und dem ab- 
stehenden Nackenschopf gut charakterisiert. Als Parallelen aus der Plastik lassen 
sich die etwas ültere Bronzefigur des sogenannten Apollon Piombino im Louvre 
und die in etwas freierer Weise entwickelte Marmorfigur des sogenannten Apollon 
Strangford im British Museum anführen?) In der Vasenmalerei stellt sich dieser 
Gegensatz in den beiden mindestens teilweise zeitgenössischen Meistern, dem älteren 
Euphronios und dem jüngeren Duris dar, und die Berliner schwarzfigurige Hydria 
steht in allen ihren zeichnerischen Einzelheiten zwischen beiden rotfigurigen Meistern: 
So haben die Hánde des Jünglings links z. B. die kleine, gedrungene Form des 
spüteren Duris, die FüBe dagegen sind durchweg so flach und so lang gestreckt, wie 
das noch Euphronios aus der schwarzfigurigen Tradition übernommen hatte. 

Auch die Pferde, besonders ihre wundervoll fein detailierten Kópfe, gehen über 
das übliche Schwarzfigurige weit hinaus. Schon die Proportion des kleinen kurzen 
Pferdekopfes zu dem breiten starken Hals, die Art der gehäuften Halsfalten unter 
dem Unterkiefer erinnert an Jüngeres (Innenbild der Geryoneusschale des Euphro- 
nios in München, Wiener Vorlegeblätter, Serie V, Tafel Ш). Und gar die neue Art 
der auf dem Kamm des Pferdehalses aufgerichteten Máhnen hat im schwarz- 
figurigen Stil gar keine Analogie, der es vielmehr liebt, vom Hals seiner Pferde ein 
Segment abzuschneiden, das dann von senkrechten zitterigen Linien, den Mähnen- 
haaren, gefüllt wird (vergl. die Pferde der Francoisvase: Wiener Vorlegeblätter 1888, 
TafelII, dritter Streifen und, von fortgeschrittenerem Stil, die Pferde des Nearchos: 
ebd., Taf. IV, Fig. 3d). 

SchlieBlich unterstützt auch noch das Ornament unsere spüte Ansetzung der 
Berliner Hydria: der untere Tierstreifen unter dem Hauptbild und das Netzornament 
über ihm, das völlig dem gleicht, welches wir 2. B. in den Seiten der rotfigurigen 
Bilder der Andokides-Amphoren antreffen, sind zwar althergebrachte Requisiten der 
schwarzfigurigen Manier, aber das fortlaufende Palmettenornament der Seiten- 
binder, dessen Ursprung im Ionischen zu suchen ist, schlieBt sich ganz den groBen 
Henkelpalmettenkompositionen an, wie sie die streng rotfigurigen Schalenmaler, Duris 
insbesondere, bevorzugten ?). 


(1) Abb. u. a. bei A. Furtwängler und K. Reichhold. Griechische Vasenmalerei. Eine Auswahl her- 
vorragender Vasenbilder. Tafel 92 ff. 

(2) Abb. u. a, bei Emanuel Lówy. Griechische Plastik. Leipzig 1911. Tafelband 8, 23 ч. 22. 

(3) Die große Bedeutung der Palmettenkompositionen für die Entwicklung der streng rotfigurigen 
Schalendekoration hat mit Recht Franz Winter gelegentlich hervorgehoben. — Auch Buschor 
weist a. a. O., S. 143 auf den für den Stilumschwung so charakteristischen Wechsel von der schwarz- 
figurigen Kette aus Lotosblumen mit dazwischengefügten Palmetten zu der rankenumschriebenep 
Palmettenreihe des rotfigurigen Stils, als dem neuen Rahmenornament, hin. 


36 


2. MÜNCHENER AMPHORA, Nr. 14163). (Abb. 3.) 


Diese stattliche schwarzfigurige Amphora der Vasensammlung in München läßt 
sich in ihrem von der rotfigurigen Weise augenscheinlich stark beeinflußten Stil 
einigermaßen der soeben besprochenen Berliner Hydria anschließen, wenn auch frei- 
lich ihre mehr dekorative Ausführung sie in der Qualitüt weit unter die künst- 
lerisch so ausgezeichnete Berliner Vase stellt. Die Gefäßform ist die entwickelt 
schwarzfigurige, wie sie schon die Amphoren des Andokides zeigen. Das schöne 
fortlaufende Palmettenornament der seitlichen Bildrahmenstreifen der Berliner Hydria 
treffen wir hier als Dekor des Mündungsrandes der Amphora. Ihre Bilder zeigen 
auf der einen Seite bekrünzte, musizierende Sänger und Tänzer mit beigeschriebenen 
Namen, auf der andern Herakles' Apotheose: Herakles mit seinem Begleiter Jolaos 
auf dem Viergespann im Beisein der Athena und des Hermes. — Diese Szene mit 
dem Viergespann bleibt ganz in der archaischen Tradition befangen. Dagegen zeigt 
das Bild mit den Tänzern und Musikanten eine so ungemein lebendige Bewegung 
fortgeschrittenster Art, daB es uns nicht wundern darf, wenn wir eines der Sche- 
mata, das des tanzenden Mannes rechts mit den Krotalen, auf dem Reversbild der 
berühmten Münchener Amphora des Euthymides, ó Полот (Adolf Furtwängler und 
Karl Reichhold, Griechische Vasenmalerei, München, Tafel 14; danach unser Aus- 
schnitt Abb. 4) wiederfinden, wenn hier natürlich auch fortgeschrittener in der Mus- 
kelzeichnung und einheitlicher zusammengenommen im Körperumriß. Auch die 
lang herabwallenden Hüfttücher geben analog der Berliner Hydria manches Neue, 
Plastische in ihren runden Überschlägen und Durchsteckungen und in ihren fließenden 
Faltenlinien. 


3. ZWEI GRÖSSERE AMPHOBEN IM LOUVRE. — F. 234 und F. 258°). 

a) Amphora in der Salle F. Vitrine G. Nr. 234. 

Es handelt sich um ein Gefäß typisch reif schwarzfiguriger Form von nur mittel- 
mäßiger Ausführung, die sich besonders auch in dem schnell hingesetzten, ganz 
konservativen Ornament zeigt: am Fuß die aufrecht strebenden Strahlen, dann die 
übliche Knospenkette, durch elliptische Stengel verbunden, und am Hals die Lotos- 
knospen-Palmettenkette. Der ringsherum laufende Bildstreifen, dessen «beiderseitige 
dreifigurige Darstellungen von durchaus typischer Komposition sind, wird unter den 
Henkeln durch große symmetrische Palmettenranken in Vorder- und Rückseite ge- 
teilt, wie sie bei dieser Amphorenklasse regelmäßig vorkommen. 

Auf der einen Bildseite tritt uns Nereus zwischen seinen beiden Töchtern ent- 
gegen, wührend auf der andern Bildseite der in der schwarzfigurigen attischen 
Vasenmalerei so häufig dargestellte Ringkampf zwischen Herakles und dem Meer- 
gott Triton mit einer nach links fliehenden Nereide zu sehen ist. 

Für den Einfluß des rotfigurigen Stils auf die Zeichnung dieser schwarzfigurigen 
Amphora erscheint besonders die Faltengebung, namentlich die der weiblichen Ge- 
wünder, charakteristisch: Viele parallele Vertikalen sind schnell eingekratzt. Ihre 


(1) Führer durch die kgl. Vasensammlung in der Alten Pinakothek zu München; München 1908, S. 78. 
Otto Jahn, Beschreibung der Vasensamml. Kónig Ludwigs in der Pinakothek zu München; München 1854, 
S. 124, Nr. 379. 

(a) Cat. d. Vases Ant. III, p. 789, 790. Von den Pariser Vasen, des Louvre und der Bibliothéque 
Nationale, sollten, unserer ursprünglichen Absicht nach, auch Abbildungen gebracht werden: Der 
Krieg hat das leider unmöglich gemacht! Deshalb muß sich der Leser mit den Beschreibungen 
der übrigens den anderen Stücken der Berliner und Münchener Sammlungen durchaus entsprechen- 
den Vasen und dem Hinweis auf die Abbildungen des Cat. d. Vases Ant. begnügen. 


37 


unteren, treppenfórmig absteigenden Zickzacksšume sind durch abgesetzte rote Pinsel- 
striche bordiert (Nereus und seine beiden Tüchter, die Nereide der Tritonseite). 
Die laufende Bewegung der Beine ist nach unten durch eine mehr oval geschwungene 
Gewandfältelung ausgedrückt. 

Auch die Gesamtbewegung der drei Müdchen, der chiastisch kontrastierte Rhyth- 
mus von Armen und Beinen, der sich vielleicht am besten bei der Frau links be- 
obachten lüBt, hat seine Analogien im frühen streng rotfigurigen Stil: man denke an 
die fliehenden Frauengestalten auf dem Antaioskrater des Euphronios oder auf der 
Poseidonschale des Duris!) Endlich erinnert auch noch die Kopfbildung des alten 
Nereus mit dem stark über der Nasenwurzel herausspringenden Stirnbein, der vor- 
dern kahlen Stirn, um welche die hinter dem Haarschopf befestigte Stephane sich 
herumlegt, und mit der charakteristischen Barttracht ganz an Euphronios, an den 
Kopf des schäkernden Alten auf dem Innenbild der Eurystheusschale und an den 
gleichen Figurentyp, der noch einmal auf demselben Gefäß ganz rechts auf der 
Außenseite erscheint, in der Szene, wo Herakles mit dem Eber auf den in’s Faß 
sich verkriechenden Eurystheus einstürmt?) Und ebenso läßt sich auch noch die 
Frisurenbildung der Mädchen, die in Chignons aufgebundenen Haare an Stelle jener 
auf die Schultern herabfallenden, langen Locken des schwarzfigurigen Archaismus, 
als im Stil früh rotfigurig ansprechen. | 


b) Amphora in der Salle F. Vitrine H. Nr. 258. 

GefáBform und ornamentale Dekoration erscheinen ganz analog wie bei der Am- 
phora F 234, somit typisch spát schwarzfigurig. Auch bei diesem Stück ist die 
Ausführung nur mittelgut. Beide Bildseiten zeigen Szenen, wie sie hundertmal in 
der jüngern schwarzfigurigen attischen Amphoren- und Hydrienmalerei vorkommen. 

„Dionysos zwischen zwei Mänaden“ und ,,Waffenriistung eines jugendlichen Helden 
zwischen einer männlichen Gottheit und Athena“ bilden die beiderseitigen Dar- 
stellungen. Besonders die letztere Seite erscheint in ihrer Komposition typisch 
für den streng rotfigurigen Amphorenstil; man denkt etwa an Euthymides. Und 
weiterhin ist mit dessen individueller Art der so geschmeidig bewegte, sich seine 
linke Beinschiene anlegende Jüngling zu vergleichen, unter dessen gehobenem Fuß 
ein großer "korinthischer Helm auf dem Boden liegt, wie er ebenfalls erst zur 
Zeit der streng rotfigurigen Malerei allgemeiner wird. Der Kopf des Jünglings mit 
dem kleinen und zierlichen, ganz rundlichen Profil und seine Frisur mit den in die 
Stirn gehenden, einzeln gestrichelten Haarsträhnen entspricht völlig dem entwickel- 
ten Gesichtstyp des späteren Duris. Athena, daneben stehend, vom Rundschild ge- 
deckt und auf ihren aufgerichteten Speer gelehnt, in stolzer, monumentaler Vertikale, 
geht hierin fast schon über das hinaus, was die ältere streng rotfigurige Vasenmalerei 
anstrebt und gemahnt bereits im Ausdruck der ganzen Gestalt an ähnliche statua- 
rische Figuren der sogenannten „polygnotischen Vasen“, wenn auch die Füße dieser 
Athena noch in sehr archaischer Weise in’s gegensätzliche Profil, also nach rechts, 
zu der Kopfdrehung nach links, gewendet erscheinen. 

In dem Bild der andern Seite zeigen eigentlich nur die Mänaden einen fort- 
geschrittenern Stil in der hübschen freien Armbewegung und den verschiedentlich indi- 
viduell geneigten Köpfchen. Dionysos selbst bleibt hingegen noch ganz archaisch statuen- 
haft in der stereotypen Pose dieser ja in allem Wesentlichen überlieferten Szene. 


(1) Vasensammlung des Louvre. Abb. u. a. bei Edmond Pottier, Douris et les peintres des vases 
Grecs. (Les grands Artistes. Paris, Henri Laurens, Editeur). Fig. 13 auf S. 65. 
(2) Vasensammlung des British Museum. Abb. u. a. Wien. Vorlegebl. V. Serie, Taf. VII, Fig. $. 


38 


Auf eigentlich neue Motive in der Gewandfiltelung hat sich der Vasenmaler der 
Amphora F 258 nicht eingelassen. Bei den beiden bekleideten Mšnnergestalten, dem 
Dionysos hier und der Figur rechts von dem sich rüstenden Epheben dort, finden 
sich die über die Arme herabhängenden typischen Umhängetücher, Chlamiden, die 
u. a. auch bei den bekannten Mánnern und Frauen des Andokides in charakteristischer 
Weise vorkommen. 

Beide analysierte Amphoren künnen uns Beispiel sein für eine durchaus übliche 
Vasensorte der bereits streng rotfigurigen Periode, fabriziert von Handwerkern, die 
im bequemen Schlendrian ihre billige Tonware, so wie sie es die handwerkliche 
Überlieferung von Väterzeiten her lehrte, immer wieder verfertigten und nach 
altem Schema dekorierten, ohne daß sie sich den modernen Einflüssen der neuen 
rotfigurigen Weise und der modernen Nachfrage, die etwas anderes als steife Sil- 
houettenschemen verlangte, ganz verschließen konnten. 

Von dieser Gattung der jüngsten reif schwarzfigurigen Keramik, die allenthalben 
den deutlichen Einfluß des rotfigurigen Stils verrät, bietet die Vasensammlung des 
Louvre überhaupt eine Fülle von Beispielen, vor allem in Vitrine H der Salle F 
(Collection Campana) vereinigt, wie z. B. Nr. 265 derselben Vitrine: „Ringergruppe 
und Faustkämpfer mit Zuschauern“!). Wir haben nur die allerbezeichnendsten Bei- 
spiele hervorgehoben. 


4. STAMNOS Nr. 251 IM CABINET DES MÉDAILLES (BIBLIOTHÈQUE 
NATIONALE) IN PARIS. 

Unsere stilkritischen Beobachtungen beschrinkten sich bis jetzt in der Hauptsache 
auf Bewegung, Typus und Gewandstil von Figuren. — Ein charakteristisches 
Beispiel fiir ein ausgesprochen streng rotfiguriges groBes Palmettenrankenornament 
bietet uns ein kurzhalsiger Stamnos der Vitrine III in der Salle de Luynes der 
Pariser Bibliothéque Nationale, der die laufende Nummer 251 trügt und bei A. de 
Ridder, Catalogue des Vases peints de la Bibliothéque Nationale (Paris 1902, Ernest 
Leroux) auf p. 158 angeführt ist”). Dieser Stamnos ist von einer bereits ziemlich 
entwickelten Gefäßform, wie sie sich chronologisch etwa in die zweite Hälfte des 
streng rotfigurigen Stils einreihen läßt. Die beiderseitigen figürlichen Darstellungen 
des rings um die Vase herumlaufenden tongrundigen Frieses halten sich noch ganz 
in der archaisch schwarzfigurigen Tradition. Als fortgeschrittener läßt sich höchstens 
der bis in den Nacken hoch hinaufgezogene Mantel der Frau rechts auf dem Bild 
des DreifuBraubes ansehen, ein häufiges Requisit auch im Kreis von Euphronios, 
Euthymides und Hieron, und die Gewandfaltelung des Dionysos, die sich durchaus 
in konvergierenden Motiven bewegt. Dagegen erscheinen noch allenthalben auf den 
Gewändern die großen archaischen Tupfen in Weinrot. 

Wenn sich somit die ganze bildliche Zeichnung unsers Stamnos als sehr hand- 
werklich erweist, und wenn sie als durchaus unselbstündig noch von der allge- 
meinen schwarzfigurigen Tradition beherrscht wird, so wird wohl um so mehr das 
üppige Rankenpalmettenornament unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen 
dürfen, das sich an beiden Gefäßseiten, wo die kurzen horizontalen Henkel an- 
setzen, groß aufgemalt findet. Das ganz souverän in schwarzer Pinselzeichnung 
ausgeführte Ornament gruppiert sich symmetrisch um eine senkrechte Achse, die in 
der Mitte zwischen den beiden Ansätzen des Henkels durchläuft. In runden Kurven 


(1) Cat. des Vases Ant. III, p. 788. 
(2) Abbildung der beiden Bilddarstellungen ohne die Gefäßform: Duc de Luynes, Description de quel- 
ques vases peints etc. Paris 1840 PL, IV, V. a) Dreifußraub, b) Dionysos und Gefolge. 


39 


schwingen sich die Ranken zu großen Fücherpalmetten von kreisfórmigem Umriß 
hin, deren Blütter, schon in fortgeschrittener Weise, deutlich voneinander getrennt 
sind. An mehrern Stellen bilden die Ranken kleine Verschlingungen; ferner finden 
sich in solchen Verschlingungen manchmal Ringelchen eingestreut, alles Symptome 
für die verhültnismáBige Reife dieses Ornaments!) Ebenso flüchtig sind die 
Knospen der Rankenpflanze aus wenigen Strichen und Tupfen zusammengesetzt. 
Die selben Knospen sind auch mit den häßlichen pleonastischen Motiven gemeint, 
die groß und plump ausgeführt, die senkrechte Mittelachse der ornamentalen Kom- 
position betonen: sie, jedes Detail, wie vor allem auch der Gesamtcharakter dieser 
Palmettenranken weisen den Stamnos in die letzte Hälfte der streng rotfigurigen 
Epoche, d. h. in das den Perserkriegen vorausgehende Jahrzehnt. — Trotzdem sind 
auch im Ornament unserer Vase noch ültere Bestandteile vorhanden, das typische 
Stabornament der archaischen Periode auf der Schulter des Stamnos und die ebenso 
typischen schwarzen Strahlen auf tongrundigem Fries, von der FuBplatte nach 
oben aufstrebend; eine hóchst charakteristische Mischung von Altem und Neuem, 
die wieder zur Evidenz das vor Augen führt, was Edmond Pottier als die ,,per- 
sistance de la figure noire pendant la période de la figure rouge“ bezeichnet. 


5. KANNEN UND KRUGE DER BERLINER VASENSAMMLUNG. 
(Abb. 5— 11.) 

In dieser und in der folgenden Nummer unsrer Materialaufzählung seien gewisse 
Gruppen von kleineren schwarzfigurigen Gefäßen aus verschiedenen Samm- 
lungen zusammengestellt, deren Darstellungen und Ornamente den rotfigurigen Ein- 
fluBstil beweisen: 

a) Qo Kanne aus jüngerer sdiwarzfiguriger Zeit mit zylindrischer Mündung. 

Abb. 5. 

Saal XII. Nr. 1915. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 400): Fischbereitung. 
Für den rotfigurigen Einfluß sind besonders die großen Palmetten am Hals des 
GefáBes charakteristisch. 


b) Attischer Krug. (Abb. 6.) 

Eine Art zylindrischer Kanne ohne Henkel, in derselben Vitrine daneben stehend, 

als spätere Erwerbung noch nicht in den Katalog (1885) aufgenommen. 
Das stark fragmentierte Stück zeigt in seinem rings herumführenden Fries einen 
Opferzug: Mädchen, die Tabouretstühle über den Kópfen tragen, im Motiv nicht un- 
ühnlich den berühmten Stuhltrigerinnen des Parthenonfrieses, wechseln mit Knaben 
ab, die Stócke über die Schultern gelegt haben, von deren Enden erlegte Tiere, ab- 
wechselnd Hasen und Füchse, ihnen im Rücken herabhängen. Der regelmäßige Wechsel 
zwischen den großen und den kleinen Gestalten, den Mädchen mit den Stühlen 
und den Knaben, erinnert in seiner Komposition entschieden an figürliche Friese 
auf rotfigurigen Schalen, wie sie sich etwa in den beiden Päderastenschalen des 
Duris und in ähnlich angeordneten Szenen darstellen (vgl. Wiener Vorlegeblätter, 
herausgegeben von Alexander Conze, VI. 8a,b. VII. s). Und in die selbe Richtung 
weisen auch die Einzelformen der Figuren, ihre durchaus das Körperliche beto- 
nende, in großzügigen Falten angeordnete Gewandung, der kleine Kopftypus mit 
dem von uns bereits an der Berliner Hydria 1897 beschriebenen runden, zierlichen 


(1) Vergleiche mit diesen chronologischen Kriterien die Abbildungen und die Ausführungen von Franz 
Winter im Jahrbuch des archäologischen Instituts, Bd. VII, 1892, S. 105—117: Die Henkelpalmette 
auf attischen Schalen. | 


و ` 49 


mama — ER. ee 


Profil und der kalottenartig anliegenden Haartracht der Jünglinge der entwickelten 
streng rotfigurigen Meister. 


c) HEttishe Kanne mit Kleeblattmündnng. (Abb. 7.) 
in derselben Vitrine daneben stehend, als spátere Erwerbung noch nicht in 
den Katalog aufgenommen: Gymnasionsszene. 
Der sich auf seinen Stab stützende bärtige Mann, der in seiner zum Kopf empor- 
geschwungenen Rechten eine Hantel hält, erscheint in der Ausführung wie auch 
als Motiv den streng rotfigurigen analogen Darstellungen verwandt. 


d) Attische Kanne mit zylindrischer Mündung. (Abb. 8.) 
Nr. 4000 derselben Vitrine. (Beschreibung der Vasensammlung II, S. rors.) 


Die beiderseitige Palmettenborde erscheint allein von fortgeschrittenem Stil. Die 
stereotype Figurengruppe des Ringkampfs von Peleus und Thetis ist hingegen noch 
in der zierlichen Manier des schwarzfigurigen Stils reichster Entwicklung ausge- 
führt. 


e) Attische Kanne mit zplindrischer Mündung. (Abb. 9.) 
Nr. 1914 derselben Vitrine: Drei bärtige Männer im Tanz. 


Uber die Gewandung äußert sich Furtwängler in der Beschreibung der Vasen- 
sammlung I, S. 400: ,,Bekleidung je blos durch ein kurzes Schultermüntelchen mit 
freien Falten“. 


f) Attische Kanne mit Kleeblattmündung. (Abb. ro.) 

Nr. 1936 derselben Vitrine. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 408): Männer- 

gesprüch. 
Die teilweise stark abgesprungene Firnismalerei auf ziemlich hellem Tongrund er- 
innert, besonders wenn man das Stabornament der Gefäßschulter und die doppelte 
Punktreihe zwischen Parallelen am Hals in Betracht zieht, stark an die weiBgrun- 
digen Bilder der gleichzeitigen attischen schwarzfigurigen Lekythen. — Auf einem 
Klappstuhl sitzt ein bärtiger Mann, zu dessen beiden Seiten sich je ein Mann im 
Mantel, bequem auf einen langen Stock gestützt, vorlehnt. Die Stellung kehrt 
stereotyp wieder bei den bärtigen Liebhabern usw. auf Gymnasionsbildern der 
streng rotfigurigen Schalen!) Auch das Gewandmotiv des die Brust freilassenden 
Mantels bei dem einen Mann gehürt dieser spütern Vasenperiode an. Und hiermit 
stimmen endlich auch das Detail der Faltengebung und die rotfigurigen Kopftypen 
überein. 


g) Attische Kanne mit Kleeblattmündung. (Abb. 11.) 
In derselben Vitrine daneben stehend, als spütere Erwerbung noch nicht in 
den Katalog aufgenommen: Opferspende. 


Rechts befindet sich ein Altar mit Flamme vor ithyphallischer Herme. Ein Kitharode 
spendet. Vor ihm, mehr nach links, steht ein Aulet. — Die Bewegungen der 
beiden Jünglinge, die spendende Hand des Kitharoden z. B., verraten deutlich die 
Einwirkungen des rotfigurigen Stils, ebenso das schrüg über die Brust gelegte, über 
die linke Schulter in langem Zipfel herabhüngende Gewand und dessen Faltengebung 
bei dem Auleten. 


(1) Weiterhin sind solche Mantelfiguren, die sich auf einen Knotenstock lehnen, besonders bei Duris 
und bei Hieron beliebt. 


41 


6. EINE SPEZIFISCHE GRTTUNG KLEINER AMPHOREN 
vertreten in Beispielen aus dem Louvre, der Bibliotheque Nationale und der 
Berliner Vasensammlung. (Abb. 12—19.) 


Eine in sich bestimmte Gattung kleiner Amphoren scheint offenbar noch den 
schwarzfigurigen Stil wührend der ültern rotfigurigen Periode fortgesetzt zu haben. 
Fünf Exemplare weist die Sammlung des Louvre auf, Saal F, nur in der Vitrine J K, 
Nr. 385—389. Die ziemlich handwerklich bemalten Gefüfe haben alle eine Hóhe von 
18—22 cm bei einer größten Breite — in der Höhe der Henkel gemessen — von 
11,5—13 cm. Die Gefäßform und die Dekoration ist durchaus gleichmäßig: Auf 
einer schlichten Fußscheibe erhebt sich der stark sich einziehende, eifórmige 
Amphorenleib. Der schlanke Hals ist trichterförmig; die Mündung setzt sich von 
ibm nur wenig ab. Die aufrecht stehenden Henkel sind als Doppelrühren gebildet. 
Das Ornament ist sehr sparsam, vor allem zeigt diese Gruppe kleiner Amphoren 
weder FuBstrahlen noch irgendwelche Palmettenbildungen unter den Henkeln. Der 
Hals weist vorne und hinten je ein Arrangement aus drei Palmetten auf, die mitt- 
lere nach oben, die beiden andern, seitlichen, nach unten gekehrt. Auf beiden Seiten 
ist je ein nahezu quadratisches Bildfeld im Tongrund auf dem sonst schwarz gefir- 
nisten Leib ausgespart, das mit dem Hals durch ein aus einfachen Strichen be- 
stehendes Stabornament beiderseits auf der Gefäßschulter verbunden ist. — Soweit 
sich noch der Fundort ermitteln läßt, stammen diese Amphoren meistens aus Nola 
in Campanien. 

- Von den Exemplaren des Louvre bildet E. Pottier in seinem Tafelband: Vases 
antiques du Louvre, 2. Série, auf Pl. 87 F 387 und F 388 ab, die er dann auch im 
Text, Catalogue des vases antiques III, p. 811, 812 behandelt. 


a) Louvre. F 385. 

a) Herakles, Alos zats, und Kyknos. 
Die Komposition ist noch ziemlich archaisch, obwohl die Bewegung, besonders des 
Herakles, schon recht frei erscheint. Zu der schwarzfigurigen Tradition in der Kom- 
position vergleiche man die Darstellung eines Kriegers und einer Amazone auf 
einer Amphora des Amasis im British Museum (Wiener Vorlegeblitter, herausge- 
geben von Otto Benndorf, 1889. Taf. Ill, Fig. 38). 

B) Amazone und Krieger. 
Trotz aller Lebendigkeit in der Bewegung, bleibt das Detail noch in der alten 
handwerklichen Überliererung befangen. So sind die Gewandfalten an der Chlamys 
des Kyknos sehr primitiv in vielen parallelen Vertikalen eingeritzt, und an den in 
derselben geringen Technik gegebenen Zickzacksäumen erscheinen die typischen ab- 
gesetzten Borden in flüchtigen roten Tupfen gehöht. — Vgl E. Pottier, Catalogue 
des Vases antiques III, p. 810: La technique sacrifiée se refugie sur des vases de 
moindre importance jouant un róle plus effacé et plus secondaire. Ebenso Ernst 
Buschor, a. a. O., S. 144: Von den panathenäischen Amphoren und anderen Gefäßen 
abgesehen, die aus rituellen Gründen konservativ bleiben, pflegt nur mehr ge- 
ringe kleine Ware den alten Stil weiter. 


b) Louvre. F 386. 
a) Herakles und die Hydra. 
B) Der sagenhafte Taschenkrebs, der der Hydra zu Hilfe kommt, wird von 
Athena besiegt. Jolaos mit dem Bogen stürmt nach links. 
Die künstlerische Ausführung zeigt die charakteristischen Anzeichen eines Alters- 
stils, des vólligen Verfalls der schwarzfigurigen Vasendekoration. Die Figuren er- 


42 


scheinen ausgesprochen überlang. In den weit ausschreitenden und ausholenden Be- 
wegungen herrscht eine groBe Flottheit, bei ziemlich geringwertiger, nicht viel über 


die Gestaltungsmittel der schwarzfigurigen Technik herausgehenden Mache, — Der 


Gewandstil entspricht ganz dem bei F 385 analysierten. 


c) Lonvre. F 387. 
a) Herakles und die stymphalischen Vögel. 
B) Jolaos und die stymphalischen Vögel. 


Charakteristisch für den EinfluB des rotfigurigen Stils ist die Faltengebung des 
Mantels, den Jolaos zur schirmenden Abwehr über seinen linken Arm gehüngt hat: 
AuBer den üblichen, hier etwas natürlicher nach oben konvergierenden Vertikal- 
falten, die den unten im Zickzack geschlossenen, zusammengerafften Stoffpartien 
entsprechen, findet sich ein zentrales Motiv der Falten vor, welche in der zusam- 
mengeballten Faust des Helden zusammenlaufen. Man vergleiche zu dieser Spirale 
besonders die Faltenbildungen bei Hieron (etwa Wiener Vorlegeblitter, heraus- 
gegeben von Otto Benndorf, Serie C. Taf. IV), die einen entsprechenden Niedergang 
des Gewandstils darstellen. Auch hier erscheinen die Kórperlüngen, wie bei F 386, 
grotesk übertrieben!). 
d) Louvre. F 388. 
a) Hypnos und Thanatos heben die Leiche eines Kriegers auf. 


E. Pottier bringt diese eigentümliche Darstellung mit vollem Recht mit Lekythen 
in Beziehung, die ja auch noch lange bis in's 5. Jahrhundert hinein den schwarz- 
figurigen Stil bewahren. 

Auf p. 812 des Catalogue des Vases antiques III schreibt E. Pottier über dieses 
Amphorenbild: „Оп fera la comparaison avec le méme sujet traité en figures rouges 
[С 163 Cat. III, p. rorr—rorg4 et la coupe de Pamphaios: Klein, Meistersignaturen, 
P. 94 (abgebildet in den Wiener Vorlegeblättern, Serie D, Taf. III), dont la peinture 
a été attribuée à Euphronios], et l'on se convaincra que ces petits tableaux des 
amphores noires subissent directement l'influence des progrès réalisés par la tech- 
nique nouvelle (ci— d. III, p. 648): jusque dans la facture des pieds crispés du ca- 
davre on saisit limitation“ — wobei freilich zu bedenken ist, daB der Vergleich 
zwischen jenen rotfigurigen Vasen von hoher künstlerischer Qualitát und unserer hand- 
werklichen, kleinen schwarzfigurigen Amphora nur im allgemeinsten gelten kann. 


B) Griechischer Hoplit und asiatischer Bogenschütze. 


Der Stil der beiden Darstellungen ist recht entwickelt: Die emporgestellten Flügel 
von Hypnos und Thanatos zeigen eine sehr leicht und beweglich eingravierte Zeich- 
nung mit reichlicher Höhung in Rot. Dem entspricht auch der „barocke“ Faltenstil 
der kurzen Chitone mit ihren sich wellig kräuselnden Sáumen, die fliichtige senk- 
rechte Faltengebung der Chlamiden bei dem griechischen Hopliten und dem asia- 
tischen Bogenschützen. — Die Bewegung ist in beiden Bildern lebhaft und entspricht 
ebenso wie die lockere Komposition ganz der zweiten Hälfte des streng rotfigurigen 
Stils. Die Gesichtsprofile sind klein und rund und zeigen z. B. auch schon das volle 
Kinn dieser spätern Stilperiode. d 


e) Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel (Abb. 12 u. 13.) 
E. Pottier hat im AnschluB an die Darstellung: a) ,Hypnos und Thanatos heben 
die Leiche eines Kriegers auf* der Amphora F 388 des Louvre, mit Recht auf ein 


(1) Jolaos und die stymphalschen Vögel: abgeb. im Catalogue des Vases antiques du Louvre Pl. 87, F 387. 


43 


fe 


sehr áhnliches Vasenbild aufmerksam gemacht, das sich auf einer Amphora der 
Sammlung Bourguignon in Neapel befindet und von P. J. Meier in den Annali 
dell’ Instituto di Corrispondenza Archeologica, Vol. 55, 1883, p. 208, Tav. d'agg. Q: 
Sopra un’ Anfora della Collezione Bourguignon in Napoli, publiziert wurde. Dieses 
Gefäß gehört ganz und gar nach seiner Größe, seiner Form, seiner Dekoration und 
seinem Bilderschmuck unserer Amphorengruppe an. 


a) Zwei Krieger heben die Leiche eines Gefallenen auf, dessen Seele in Form 
eines gewappneten Eidolon, ganz wie bei der Darstellung auf der Louvre- 
vase F 388, entflieht. | 


B) Die geflügelte Eos fliegt mit der Leiche ihres Sohnes Memnon, über dem 
der Totenvogel schwebt. Links von ihr lšuft ein Hoplit, der im Spiegelbild 
fast genau dem Kyknos der Seite a der oben betrachteten kleinen Amphora 
F 385 im Louvre gleicht. 

Im Stil und in der Qualität der Ausführung erscheint dieses Stück durchaus der 
Amphora im Louvre F 388 ähnlich: dieselbe Schlaffheit in den Körperhaltungen, 
z. B. der beiden die Leiche aufhebenden Krieger, analoge Bildungen des Details, 
wie der Flügel der Göttin oder der lockern Faltengebung. Das Gesicht der Göttin 
Eos mit dem in einer Haube eingebundenen Haarknoten entspricht dem Typus des 
jüngern epiktetischen Kreises. — Von der Hóhung in Kirschrot ist auch hier noch 
reichlich Gebrauch gemacht. 


f) Louvre. F 389. ; | 
Diese Amphora ist eines der überzeugendsten Beispiele aus unserer Gruppe für die 
rotfigurige Stilbildung schwarzfiguriger Vasenzeichnungen. 


a) Ein Lyraspieler auf einem Bema steht. einem sich aufstützenden, bürtigen 
Mann im Mantel, der einen Gabelstock trägt, gegenüber. 


B) Ein Aulet auf einem Bema steht einem Jüngling gegenüber, der, indem er 
sich mit der eingewickelten Rechten auf einen Stock stützt und in der 
Linken ebenfalls eine Gabel horizontal hält, zuhört. 


Betrachten wir die Merkmale des rotfigurigen Stils in diesen beiden schwarzfigu- 
rigen Darstellungen: bei a ist die weit ausholende Bewegung des Lyraspielers 
durchaus im Sinne des höchst entwickelten rotfigurigen Stils empfunden. Bei dem 
Mann gegenüber ist das schöne Standmotiv mit dem zurückgesetzten linken Fuß 
zu beachten und der groß gezeichnete Mantel mit dem weit über die Schulter 
herabhängenden Gewandzipfel Hier ziehe man zum Vergleich die „Mantelfiguren“ 
des Duris, der Gruppe, die sich an die Wiener Schale mit dem Ostrakismos der 
Helden (Wiener Vorlegeblütter VI, 1) anschlieBt, heran, denen der Mann unserer 
kleinen Amphora im Louvre F 389 auch im Kopftypus und in Haar- und Barttracht 
sehr nahe steht. | 

Auf der Amphorenseite 8 erscheint der Aulet, wie der Kitharode, in weiBer feier- 
licher Tracht. Besonders auffallend für eine im Silhouettenstil gemalte Gestalt ist 
die kühne Kürperwendung mit übereinander geschlagenen Beinen des dem Flóten- 
spieler gegenüberstehenden Epheben rechts. Zu seinem schrüg über die linke 
Schulter geworfenen Chiton mit langen, über dem Rücken und dem linken gehobenen 
Arm herabhängenden Enden vergleiche man wieder. jene „Mantelfiguren“ des Duris. 
Die Faltengebung geht prinzipiell vom nackten Körper aus: Große, runde Schräg- 
falten ziehen sich über die Brust, während fächerförmig nach unten sich ausbrei- 


44 


* 


tende Vertikalfalten vom linken Armgelenk herabhängen. Unten kehrt der typische 
rot gehöhte Saum der schwarzfigurigen Überlieferung wieder. 


g) Cabinet des Médailles, (Bibliothéque Nationale). 
Salle de Luynes. Vitrine IV, Nr. 219. 
Diese Amphora schließt sich in Größe, Höhe 20,5 cm, Breite 13cm, Form und De- 
koration vollkommen den bisher betrachteten kleinen Amphoren des Louvre und 
der Sammlung Bourguignon, die unsere spezifische Klasse bilden, an. | 
a) Zeus mit dem Kind Dionysos und Hera. 
B) Athena mit Stier und Herakles. | 
Besonders charakteristisch für den rotfigurigen Stil ist die Gewandung des Zeus: 
weiBes Untergewand mit über die linke Schulter schrüg gelegten, in groBen Falten- 
enden herabfallendem Mantel, und der Hera: diese mit aufgehobenem Zipfel des 
Untergewands!) (De Ridder, Catalogue des Vases peints de la Bibliothèque 
nationale, p. 136.) 


h) Nr. 1837 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 14 und 15.) 
Es ist das größte Stück der Gruppe, 24 cm hoch und r4 cm größte Breite, aber 
in Dekoration und Form mit den anderen Exemplaren durchaus übereinstimmend. 
(Beschreibung der Vasensammlung I, S. 333 und 334: ,,Fliichtige freie Zeichnung.") 
a) Athena Geburt. 
B) Peleus und Atalante im Ringkampf. : 
Bezeichnend für den rotfigurigen Einfluß sind vor allem auf Bild а die Gewand- 
falten der weiten Chitonärmel und des Mantels des Zeus und der Chlamys des 
Hermes, ferner die Frisur und Gesichtsbildung der vor Hermes stehenden Frau; 
auf Bild 8 der Kopftyp und die Frisur der Atalante. Ä 


i) Nr. 3995 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 16 und 17.) 

Das Stiick ist fiir unsere stilgeschichtliche Annahme typisch. (Beschreibung der 
Vasensammlung II, S. 1013.) 

a) Amazone zu Pferd und Amazone zu FuB. 

B) Amazone als Lenkerin eines Viergespanns. 
Besonders fiir den rotfigurigen Stil charakteristisch ist die von ihrem Schild ge- 
deckt daherschleichende Amazone auf Bild a und die lebendig bewegten Pferde auf 
Bild 8. | 


k) Nr. 1839 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 18 und 19.) 
(Beschreibung der Vasensammlung I, S. 334.) 
a) Reitende Amazone mit Handpferd und einem in weiß gemaltem Hund zieht 
nach rechts. 
B) Dieselbe Gruppe nach links gewendet. 
Besonders auf Bild В erscheinen im Stil entwickelter die stark im Nacken zurück- 
gebogenen, gedrungenen Pferdeküpfe. — 


(1) Dagegen gehört nicht zu dieser Gruppe die in den Größenmaßen ähnliche kleine Amphora Nr. 224 
der Kollektion Oppermann, ebenfalls im Cabinet des Médailles, die wesentlich andere Formen, mehr 
horizontal abgesetzte Schultern, und eine gunz andere Dekoration, keine ausgesparten Bildfelder, son- 
dern einen ringsum laufenden, tongrundigen Figurenfries und Fufstrahlen, Schachbrettfries und typisch 
reifschwarzfigurige Henkelpalmetten zeigt. Dem Gewandstil zufolge ist diese Vase wohl kurz nach 
der Zeit des feinschwarzfigurigen Meisters Amasis anzusetzen. 


45 


Die ganze Gattung dieser spät schwarzfigurigen kleinen Amphoren, deren Bei- 
spiele sich noch aus andern Vasensammlungen, wie etwa der des Musée royal 
des Antiquités (Palais du Cinquantenaire) in Briissel, leicht vermehren lieBen, re- 
präsentiert eine nur handwerkliche Stilübung, die sich unter dem steten, übermäch- 
tigen Einfluß der streng rotfigurigen guten Vasenkunst als veraltete billige Ware 
etliche Jahrzehnte noch nach dem eigentlichen künstlerischen Ende des schwarz- 
figurigen Stils gehalten hat. Etwa um das Jahr 490 wird sie erloschen sein. 


III. 


Aus Heft II, Taf. 47—78, der Veröffentlichung von Botho Graef: „Die antiken 
Vasen von der Akropolis zu Athen“, Berlin 1911, seien ebenfalls einige Stücke bei- 
. gebracht, die den typischen Charakter der schwarzfigurigen attischen Vasenmalerei 
von rotfigurigem Stil gut reprdsentieren. 


Taf. 62, Nr. 1050, 1051. Taf. 63, Nr. 1053. 

Der Text auf S. 123 bringt diese Scherben, die Fragmente von Jünglingen, Köpfe, 
Torsi, vier nackte Läufer enthalten, mit der von Furtwängler dem Hischylos nahe 
gerückten Berliner Hydria in Zusammenhang, die wir auch oben ausführlich be- 
sprochen haben. Dafür spricht der kleine rundliche Kopftypus von 1051 und gewiß 
auch die Muskulatur von 1050 und 1053, dann, in wesentlichem Maß, das geballte 
Händchen des einen Mannes von 1050. 


Taf. 67, Nr. 1174. J 

Der Text sagt auf S. 130: ,,Halsstiick einer großen Lutrophoros. Sehr fein und 
sorgfältig, jüngerer Stil. Das Weiß sehr dick aufgetragen, sehr feine Richtung, aber 
nicht an den Umrissen.^ Für unser Problem erscheinen ausgiebig die weichen und 
fließenden eingravierten Linien der schon recht entwickelten Muskulatur (vgl. Furt- 
wängler-Reichhold, Taf. 88b). 


Taf. 6r, Nr. 1062. 

Text S. 122: „Fund: 11. Dezember 1888 im Perserschutt, verbrannt, flott, jüngerer 
Stil, ohne Farben, sehr reichliche Vorreiñungen. Ringer, links der Rest einer Figur 
im Mantel, des Aufsehers.“ Der Kopftyp erscheint noch schwarzfigurig, die Körper- 
bildung aber und die Bewegung sind schon fortgeschrittener. 


Taf. 64, Nr. 1110, IIII, х2, 1125, 1126 (Abb. 20). Taf. 65, Nr. rr13a und b, 

1123 a und b. 

Diese Scherben stammen alle von panathendischen Preisamphoren der jüng- 
sten Periode, letztes Drittel des vierten Jahrhunderts, und demonstrieren in vielen 
Einzelheiten das konservative Festhalten an der schwarzfigurigen Technik bei einem 
malerisch viel weiter entwickelten Stil (eine Vasengattung, auf die sogleich im fol- 
genden in genereller Weise einzugehen sein wird) Besonders bezeichnend dafür 
erscheinen der Kopftypus 1125 und 1126 (Abb. ao), fast portrütartig skizziert, und 
die reiche wellige Muskulatur der Wettläufer von 1113b, die dieselbe große anato- 
mische Kenntnis verrát wie die gleichzeitige Plastik des Lysippos, all dieses von 
Rückseiten panathenüischer Amphoren, während der „Ares“ von Nr. 1113 a, wie 
man ihn gedeutet hat, eine typische Gewandfigur des späten vierten Jahrhunderts, 
auf einer Säule stehend, von der Vorderseite einer solchen Amphora stammt. 


Taf. 54, Nr. 859a (Abb. ar). 
Text S. 104: „Fragment ganz singulärer Art. Zeichnung von größter Feinheit und 
Sorgfalt, besonders umfahrener Umriß. Der ganze Tongrund ist nach der Zeich- 


46 


nung mit rotem Firnis tibermalt, jüngster Stil“. Das Fragment (Abb. 21) stellt einen 
FuB dar, der sich aus einem reich ornamentierten Gewandstiick, offenbar im Lauf 
herausstreckt; er wird, da nicht mit Weiß gedeckt, einem Mann angehören. Dieser 
Fuß, der aus dem Gewande herauskommt, ist in seiner guten, kurzen und kleinen 
Bildung — man beachte die Zehen, die Wölbung der Sohle, den hohen Reien des 
Fußes — stark mit Fußbildungen, wie sie bei Brygos vorkommen, verwandt. Die 
Zerlegung der Falten in gequetschte Róhrenfalten mit längern, rundlichen Schwingungen 
dazwischen, ist für eine Gattung von groBfigurigen Vasen des sogenannten „schönen“ 
Stils typisch, der um 460 blühte. Diese Gruppe kennt auch die Ornamentik mit 
breiten Borten, mit Fransen und einer schartenfórmigen Linie, wie sie auch auf 
den Lekythen der Zeit vorkommt. Dem entspricht auch der kleine Palmetten- 
knospenfries in seinem ganz lockern Charakter und die großen Henkelspiralen, so daß 
man mit einer Ansetzung um die Mitte des fünften Jahrhunderts wohl das richtige 
Datum für dieses Stück trifft. — 

Die schwarzfigurigen Vasen von rotfigurigem Stil finden natiirlicherweise ihre er- 
gänzende Parallele in den rotfigurigen Gefäßen von schwarzfiguriger Stil- 
tradition. Es wäre gewiß eine lohnende Aufgabe, einmal die schwarzfigurigen 
künstlerischen Elemente prägnant herauszulösen, die noch bei den frühen streng 
rotfigurigen Meistern, wie etwa Chelis und Phintias, Oltos und Euxitheos vor- 
herrschen. Ja selbst für Euphronios behauptet die typenbildende, schwarzfigurige 
Überlieferung noch einen weit größeren Raum, als man in der Regel bei diesem 
genialen, ganz individuellen Künstler anzunehmen geneigt ist: man vergleiche so 
z. B. die berühmte mittlere Ringergruppe auf seinem Antaioskrater des Louvre mit 
den kanonischen schwarzfigurigen Amphorenbildern „Herakles würgt den nemeischen 
Löwen.“ 

IV. 

So stellt sich uns denn an diesen wenigen, keineswegs vollständig zusammenge- 
tragenen Beispielen ein entwicklungsgeschichtliches Phänomen von großer Merk- 
würdigkeit dar: zwei Stile, zwei künstlerische Auffassungen ringen miteinander, die 
alt eingesessene, gerade jetzt auf ihrem künstlerischen Höhepunkt angelangte Sil- 
houettenmalerei hier und der aus Ionien kurz nach der Mitte des 6. Jahrhunderts nach 
Attika importierte Stil der hellen, plastisch differenzierbaren Figuren auf dunkel abge- 
decktem Grunde dort. Nehmen wir den Anfang der rotfigurigen Malerei mit Ando- 
kides kurz vor 540 an, und erinnern wir uns dann, daß wir eine Reihe unserer 
spät schwarzfigurigen Vasenbilder stilistisch in die Zeit des entwickelten Duris, 
also kurz nach 490 zu setzen gezwungen waren, so erhalten wir für diese interessante 
Parallelität in der Geschichte der attischen Malerei den langen Zeitraum von gut 
einem halben Jahrhundert. Künstlerisch charakterisiert er sich als eine Zeit des 
Übergangs, als eine Zeit wechselweiser Beeinflussungen: der schwarzfigurigen 
Tradition auf die rotfigurigen Neubildungen, aber auch der neuen rotfigurigen künst- 
lerischen Errungenschaften auf die noch konservativ beharrende Malerei der dunkeln 
Silhouetten. 

Natürlich 1äßt sich von Parallelität, von einem Kampf der beiden Stile nur reden, 
solange sich die Produktion auf beiden Seiten noch auf gleicher Höhe hielt. Von 
unsern angeführten Beispielen war das eigentlich nur bei der Berliner Hydria mit 
dem Anschirren des Rennwagens der Fall. Bei der in ihrer Geschlossenheit 
freilich als Gruppe überzeugenden Gattung kleiner Amphoren z. B. mußten 
wir mehr als einmal die blos handwerkliche, künstlerisch aber entschieden minder- 
wertige Ausführung monieren. — Auf solchen handwerklichen Vasen ist nun denn 


47 


auch die schwarzfigurige Malerei immer weiter geübt worden, und sie fand erst 
ihr Ende mit der Vasendekoration in Malerei überhaupt, die dann von einer De- 
koration in kunstgewerblichem Flachrelief abgelóst wurde. Kleine schwarzfigurige 
GefüBe, Kindergeschirr, Lekythia, Aryballoi aller Art hat es immer gegeben, da ja 
ein Zeichnen mit dem vollen Firnispinsel in flotter Silhouettenmanier viel bequemer 
war, als das sorgfiiltige Umziehen und Aussparen der hellen Gestalten auf dunk- 
lem Grund, dessen miihevolle Arbeit sich nur bei den gróBern, wertvollern Vasen 
rentierte. — 

Außer dieser geringen Töpferware sind es vor allem drei wichtigere Vasen- 
gattungen, die noch lünger den schwarzfigurigen Stil auf hellem Grunde bewahren: 
die attischen Lekythen, die attischen Preisamphoren und die böotischen 
»Kabirionvasen“, endlich noch die frühhellenistischen, in Alexandrien her- 
gestellten „Hadravasen“ und verwandte Erscheinungen der Spätzeit in verschie- 
denen Gegenden“). 

Die Lekythen sind ihrem ganzen sachlichen Wesen nach den soeben genannten 
spielerischen Gefäßchen verwandt. Wohl nicht viel später, als der rotfigurige Stil 
aufkam, überzog man den Leib der Lekythos mit dem charakteristischen weißen 
Pfeifenton, und nun dauerte es natürlich lange, etwa bis zur Mitte des fünften 
Jahrhunderts, bis man eine Zeichenweise fand, die gerade für diese hellgrundigen 
Lekythen die archaische Silhouettenmanier in geeigneter Weise abzulósen imstand 
war. Das konnten natürlich nicht die hellen Figuren auf dunklem Grund der rot- 
figurigen Schalen, Amphoren, Hydrien und Krater sein; das war vielmehr die 
frei hingesetzte Zeichnung in linearen Umrissen,  Etliche, herausgegriffene Bei- 
spiele aus den Sammlungen des Louvre und der Bibliothéque Nationale mögen 
dieses Nachleben der schwarzfigurigen Dekoration von rotfigurigem Stil auf atti- 
schen Lekythen illustrieren?). 

a) Lekythos im Louvre. Salle F, Nr. 438 in Vitrine H. Catalogue des Vases an- 

tiques III, p. 815. 
Diese schwarzfigurige tongrundige Lekythos von etwas bauchiger Form zeigt drei 
im Tanz dahinschreitende Mädchen. Die Bewegung der zurückgewandten gesenkten 
Köpfe und der in graziósen Gegensätzen sich ausstreckenden Arme erscheint ganz 
fortgeschritten im Sinn des rotfigurigen Stils, ebenso die Coiffure der drei Frauen 
und die vóllig nach dem Kórperrhythmus gegliederten Gewanddraperien, bei denen 
alle Falten in den wesentlichen Punkten des Bewegungsmotivs konvergieren?). 

b) Lekythos im Louvre. Salle F, Nr. 368 der Mittelvitrine. 

Das weiBgrundige Stück stellt in seinen schwarzen, in Gravierung gezeichneten Ge- 
stalten einen Hahnenkampf im Gymnasium dar, wie er in der attischen Vasenmalerei 
kurz nach 500 des óftern vorkommt. Diesem Inhalt entspricht auch der Stil der 
drei Gestalten, welcher der entwickelten rotfigurigen Weise, etwa des Hieron, 
gleichkommt: man vergleiche die Art, sich auf einen Stock aufzustützen, und die 
charakteristische Faltengebung, besonders die spiraligen Einrollungen an Stellen, wo 


(т) Buschor, a. a, O., S. 144: ,Wirklich fortschrittlich waren diese jüngsten schwarsfigurigen 
Gefäße höchstens in der Ausbildung einer lockeren, frei schwingenden vegetabilen Ornamentik; aber 
diese Fortschritte berubten auf der reinen Pinseltechnik, nicht auf dem alten Ritzstil.“ 

(a) Vgl. E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 808: Lécythes à fond blanc. Dans cette 
période ot la figure noire lutte si péniblement contre la figure rouge triomphante, une seule catégorie 
so maintient avec quelque avantage pendant tout le cours du Ve siécle: celle des vases à fond blanc. 
(3) Vgl. E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 808: Parfois le vêtement laisse voir les 
mouvements du corps et les accompagne, comme dans les oeuvres à figures rouges. 


48 


die Falten, von einer zugreifenden Faust geschürzt, zusammenlaufen (vgl. den oben 
analysierten Gewandstil auf Bild В der kleinen Amphora im Louvre, F 387, 6c - 
unserer Aufzählung). 

c) Weißgrundige Lekythos im Cabinet des Médailles (Bibliotheque Nationale). 
Salle de Luynes, Vitrine IV. Nr. 303. Zwei Jünglinge im Gespräch; Eros und 
Frau. Alle Figuren sind in mittels Gravierung gezeichneten Silhouetten gegeben. 
(Abgebildet bei Duc de Luynes, Description de quelques vases peints etc., 
Paris 1840, Pl. XV und bei Salomon Reinach, Répertoire des vases peints 
grecs et étrusques. Paris 1900, Ernest Leroux. Tome II, p. 255, 4.) 

Der Stil und der Gegenstand der beiden sich unterhaltenden Paare erinnert sehr 
an die Päderastenschalen der reifen streng rotfigurigen Meister. Der in der Mitte 
fliegende Eros mit einem groBen Kranz in der Rechten ist ungemein lebendig und 
leicht in seiner schwebenden Bewegung wiedergegeben. Alles Detail der Gewand- 
falten, der Kopftypen usw. steht auf derselben reifen rotfigurigen Kunststufe. 

d) Weißgrundige Lekythos im Cabinet des Médailles (Bibliothéque Nationale). 
Salle de Luynes. Vitrine IV, Nr. 299. Speerschleudernder nackter Krieger von 
Pfeilen getroffen. (Abgebildet bei Duc de Luynes, Pl. XVI und bei Salomon 
Reinach, Répertoire des vases peints. grecs et étrusques. Tome II, p. 255, 6.) 

Die Figur ist ganz als schwarze Silhouette ausgeführt, mit Ausnahme des Helms, 
der hell wie der weiBe Grund geblieben und genau so wie der Schild in linearem 
Umriß gegeben ist. Die sehr entwickelte Innenzeichnung des Körpers, die bereits 
alle anatomischen Errungenschaften -des entwickelten rotfigurigen Stils aufweist, 
ist in feinen Linien eingeritzt. 

Im Jahrbuch des kaiserl. deutschen Archäologischen Instituts, Bd. VII, 1892, auf 
S. 185—188 hat J. Six mit Hilfe eines Klischees nach Luynes' Kupferstich, das gar 
nicht die Innenlinien des Körpers des Kriegers wiedergibt, zu zeigen versucht, daß 
wir in dieser Lekythenzeichnung eine Nachbildung einer berühmten Statue des 
Kresilas vor uns haben, einer Statue, die den GroBvater des Hermolykos darstellte, 
der 472 in der Schlacht bei Mykale verwundet wurde. — Auf diese Weise kümen 
wir chronologisch mit dieser Lekythos gar bis in die perikleische Zeit hinab, 
eine Ansetzung, die mir doch etwas zu weitgehend und im Widerspruch mit dem 
Stil der Lekythenzeichnung selbst zu sein scheint. Mit Heinrich Brunn, Probleme 
in der Geschichte der Vasenmalerei, S. 53, meine ich vielmehr, „daß hier das aus 
einigen rotfigurigen Vasen strengern Stils bekannte künstlerische Motiv eines 
Hektor ziemlich unverándert für eine schwarze Figur mit eingezeichneten Konturen 
verwendet ist“ i). v 


Für die panathendischen Preisamphoren, die, wie schon angedeutet, in kon- 
servativer Religiosität immer an dem archaischen schwarzfigurigen Zeichenstil fest- 
hielten, mögen, außer den schon angeführten, als weitere Beispiele unter vielen noch 
zwei Exemplare der Berliner Vasensammlung genannt und abgebildet werden, — 
für das ganze, sehr reiche Material sei auf die neuerliche, ausführliche Publikation 
von G. von Brauchitsch verwiesen — die deutlich genug für unsere These zeugen: 
Die beiden Berliner Preisamphoren sind große Gefäße von barocker, ziemlich 
schlanker Form. Die trichterförmigen Mündungen, von den aufrecht stehenden, 
breiten aber wenig dicken Henkeln gestützt, zeigen in der Mitte des Halses 


(1) Zuletzt hat Adolf Furtwängler die Darstellungen auf Vasenbildern, die dieses Motiv des „Zurück- 
sinkenden“ zeigen, in seinem Werk „Aegina, das Heiligtum der Aphaia“, München 1906, Textband, 
auf 8. 343—347 und in Abb. 272--277 zusammengestellt und behandelt. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 2/3 4 49 


einen plastischen Absatz, eine flache Einstufung. Unter dieser Zšsur befindet sich 
beidesmal ein Stabornament, darüber hier eine sehr deformierte Lotospalmetten- 
kette, dort ein groBblštteriger ringsum laufender Zweig, wie er als Schmuck sowohl 
auf attischen wie auf unteritalischen Gefäßen des vierten Jahrhunderts häufig genug 
anzutreffen ist. — Auf den Reversbildern der beiden Amphoren, deren eines metopen- 
fórmig, das andere friesfórmig herumlaufend gestaltet erscheint, sehen wir gym- 
nastische Wettspiele dargestellt, die übliche Ergänzung zu den großen Figuren der 
Göttin Athena auf dem Vorderbild. Die drei wettlaufenden Jünglinge (Abb. 22), im 
Thema von sehr alter Tradition, tun in ihrer schlenkernden „barocken“ Bewegung, 
in den Dreiviertelansichten des Rumpfs, in der locker gravierten Muskelzeichnung 
mit Deutlichkeit die späte Zeit ihrer künstlerischen Entstehung dar. 

Noch auffallender treten uns diese barocken Stilkriterien bei der zweiten panathe- 
ndischen Preisamphora entgegen, die uns ein Wettrennen vorfiihrt (Abb. 23): In wildem 
Galopp bšumen sich die stattlichen Rosse. Ihre Körper sind in vollen Rundungen ge- 
zeichnet, Mähne und Schweif in welligen Linien. Die Reiter selbst, von fast weibisch 
weichlicher Charakterisierung, sitzen mit erhobenem Arm zu Pferd. Elegante atti- 
sche Bügelhelme mit lang dahinwehenden Büschen bedecken die Küpfe. Die kurzen, 
gegürteten und bauschig gerafften Chitone der beiden Reiter zeigen den ausge- 
sprochenen Faltenstil der Mitte des vierten Jahrhunderts: wenig zusammenhängende, 
vollgeschwungene Kurven, die in ganz malerischer Weise den Eindruck des pla- 
stisch reich bewegten Stoffes wiedergeben sollen. Unten werden diese Gewänder 
von ebenso wellig bewegten Sáumen begrenzt. — Als das seltsamste für griechische 
Vasenmalerei erscheint aber in dem Bild dieser Berliner panathenüischen Preis- 
amphora die zwischen den beiden Reitern stehende Pappel, ein hoher Stamm mit 
lanzettfórmiger Krone, die durch Gravierung und durch Punkte etwas zu charakteri- 
sieren versucht wo:den ist; ein die Ortlichkeit angebendes Detail, das allein schon 
eine sehr späte Ansetzung der Vase befürwortet. — 

In die gleiche Reihe wie diese Preisamphoren, in die Reihe einer verspüteten 
schwarzfigurigen Technik von durchaus gegensützlichem rotfigurigem 
Stil gehórt auch noch eine groBe, plumpe, krateráhnliche Amphora mit hohem Mün- 
dungsrand derselben Sammlung, die als spátere Erwerbung noch nicht in Furtwünglers 
Katalog verzeichnet ist (Abb. 24 und ?5): Auf der einen Seite dieses sehr handwerk- 
lichen Gefäßes schreitet ein junger Fischer mit weißer Kappe dahin; auf der Schulter 
balanziert er eine Tragstange, an deren Enden zwei runde Körbe hängen. Links 
von ihm steht ein Hund, rechts kauert am Boden ein Fischerknabe, auch mit einer 
weiBen Kappe bekleidet und liest eine Anzahl Fischchen vom Boden auf. Auf der 
andern Seite schreitet entsprechend ebenfalls ein Fischer daher, an dessen Trag- 
stange zwei mächtige Thunfische (d brot) baumeln. — Die Amphora stellt den 
offenbaren Verfallstil dar: Die Figuren sind in einer rohen und handwerklichen 
Art hingeschmiert, die zum mindesten in der Qualität bereits an die Vasenmalereien 
der Gefäße aus dem Kabirion, unserer dritten verspätet schwarzfigurigen Vasen- 
gattung, gemahnen, wenn auch manches Detail, z. B. die Faltengebung bei dem 
hockenden Knaben, die etwa an Hieron erinnert, noch auf streng rotfiguriger Stufe 


steht. 
VI. 


Die böotischen Kabirion-Vasen wurden 1888 bei den Ausgrabungen des 
Kabirionheiligtums bei Theben gefunden. Die ausführliche Beschreibung der inhaltlich 
durch ihre burlesken Mythenparodieen gewiB sehr bedeutenden Gattung hat damals 
Hermann Winnefeld in den Mitteilungen des Kaiserl deutschen archdologischen 


50 


Instituts, Athenische Abteilung, XIII. Band, 1888, auf S. 412—428 und Tafel IX— XI 
unternommen. Winnefeld hat auch die Datierung dieser Vasen auf die erste Hülfte 
des 4. Jahrhunderts festgestellt. Seither haben die gréBern Vasensammlungen, der 
Louvre und das Berliner Antiquarium vor allem, typische Stücke dieser Vasen- 
gattung erworben. — 

Unsere Untersuchung kann nur der Stil dieser verspätet schwarzfigurigen Ka- 
birionkeramik interessieren: ihn wollen wir an den durch Winnefeld veróffentlichten 
Abbildungen in Kürze beschreiben. — Die stereotypen Tassenformen mit breiten 
ringförmigen Henkeln (Winnefeld, Abb. 1 auf S. 415) dieser Gefäße zeigen zwischen 
mehrfachen Horizontallinien oder auch Pflanzenranken Figurenfriese mit mytholo- 
gischen und sakralen, auf den Kult des Gottes Kabiros bezügliche Darstellungen. 
Die oft sehr bewegten Figuren sind mit breitem Firnispinsel schnell und flüchtig 
hingemalt, die Innenzeichnung ist eingraviert. Vereinzelt ist ein aufgesetztes W'eiB 
zur Hilfe genommen, ferner auch ein schónes Purpurrot zum Schmuck dieser Sil- 
houetten. Die Ausführung erscheint häufig sehr gering und nimmt bisweilen einen 
karikaturhaften Zug an. — Da zusammen mit den Kabirionvasen auch eine betrücht- 
liche Anzahl attischer Gefäße in dem Heiligtum bei Theben gefunden wurde (Winne- 
felds Aufzählung S.412—414) ist ein Einfluß der attischen Vasenmalerei von vorn- 
herein anzunehmen: Auf einer groBen Scherbe des Berliner Museums (Winnefeld, 
Abb. 17 auf S. 425) sind, sehr fragmentiert, ein sitzender Gott Kabiros, ein Tisch 
mit einem Gaukler und ein diesem zuschauender Mann zu sehen. Dieser ist in 
einen faltigen Mantel gehüllt, den rechten Arm hat er in die Hüfte gestützt, sich 
mit der Achsel auf einen langen Knotenstock lehnend. Gerade bei letzterem Motiv 
muB man, wie das auch Winnefeld getan hat, an Duris oder an Hieron denken. 
Und auf der Vasenscherbe, die Tafel X abbildet, mit dem flótenden Silen und den 
beiden Mánaden, erinnert die Gewandung dieser beiden Frauen mit dem glocken- 
fórmig sich ausweitenden Bausch an den Gewandstil, der von Hierons Thiasos-Dar- 
stellungen seinen Ausgang nimmt!), wenn auch die eigentliche Handschrift, der Linien- 
stil der eingeritzten Falten und der wildbewegten Haare, barocker, fortgeschrittener 
im Sinn des vierten Jahrhunderts erscheint (Abb. 26). Endlich läßt sich die dritte 
Scherbe (Tafel IX) im Motiv wie in Komposition gut mit bekannten streng rotfigurigen 
Schalenbildern vergleichen: Der Gott Kabiros ist beim Symposion hingelagert; vor ihm 
steht ein bedienender Pais, wie wir das oft bei Dionysos-Darstellungen des gleichen 
Themas aus jener Periode sehen. Die Formensprache, wie sie sich in der Physiognomie 
und der Muskulatur, der Haar- und Gewandbehandlung üuBert, ist aber auch hier 
wieder jünger, etwa dem Anfang des vierten Jahrhunderts entsprechend (Abb. 27). — 

Somit finden wir auch in den böotischen Kabirion-Vasen eine handwerkliche, 
künstlerisch zurückgebliebene, schwarzfigurige Keramik, auf die der weiter ent- 
wickelte attische Stil der rotfigurigen Vasen seinen deutlichen Einfluß ausgeübt 
hat, eine höchst beachtenswerte interprovinzielle Parallele zu dem kunstge- 
schichtlichen Phünomen, das wir für Attika zu verfolgen ausführlich Gelegenheit 
nahmen. Daß sich aber das südliche Böotien in dieser Weise von Attika künst- 
lerisch ins Schlepptau nehmen lieB, wissen wir nicht zuerst und nicht allein von 
den Kabirionvasen. Das ist in weit höherm Maß bekannt von den berühmten Terra- 
kotten Tanagras, die ja einen keramisch-industriellen Ableger der groBen Kunst 
des Praxiteles darstellen. 


(1) Dionysischer Gottesdienst. Außenbild einer Schale des Hieron aus Vulci in Berlin: abgeb. u. a. in 
Wien. Vorlegebl. Serie A, Taf. IV die andere Hälfte derselben Schale, ein ees bei 
Buachor, a. a. O., 8. 177, Abb. 127. 


51 


DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLG- 


SCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS 


MIT OEUVRE-VERZEICHNISSEN DER FAMILIE GAUTIER- 
DAGOTY, J. ROBERTS, J. LADMIRALS UND C. LASINIOS 
Mit sechs Abbildungen auf fünf Tafeln (Schuß) Von HANS WOLFGANG SINGER 


JEAN ROBERT 


jean Robert ist, wie es scheint, nur durch Gautiers ,,Briefe“, und die Bezeich- 
nungen auf seinen Arbeiten bekannt. Bellier-Auvray und die Nouvelle Biographie 
erwühnen ihn nicht. | 

Eigentlich künnten zwei Blitter die ich bei Leblon beschrieben habe ebensogut 
unter J. Robert stehen: doch darf man annehmen, daB seine Beteiligung eine rein 
mechanische war. Aus Jacques Gautiers Brief (Observations 1755, 17° partie S. 125) 
erfahren wir daB J. Robert ,Louis XV“ sehr groB in drei Farben geschaffen habe 
für Leblon (Nr. 40 meines Leblonverzeichnisses), sowie nach dessen Tod als letzter 
Schüler Leblons, die „Eingeweideplatte“ (Nr. 49 meines Verzeichnisses) vollendete. 

Leblanc (Manuel III. S. 340) erwühnt von einem J. Robert, die radierten Platten 
zu einem „Memorial de Paris“ Paris, 8°, 1749, zwei Bände, die ich nicht kenne. 
Ob es sich um unseren Künstler handelt läßt sich nicht, bei der Gewöhnlichkeit 
des Namens, bestimmt behaupten. 


1—3 P. Tarin Adversaria / Anatomica, / De omnibus Corporis humani par- 
tium, tum descriptionibus, / cum picturis, / Adversaria Anatomica Prima, / De 
omnibus cerebri, nervorum & organorum functionibus animalibus / inserventium, 
descriptionibus & iconismis. / Autore Petro Tarin, Medico / /— — / . & / 
Parisiis, / Ex Typis Johannis Francisci Moreau patris, vid vulgo Galande, | sub 
signo Velleris aurei. / / M.DCC.L. 


Paris; 4?:1750 8 unnumerierte 8S, und 88. (1)—(48) 


Der Band enthält zunächst „Tab. I’— XV“ in schwarzer Stricharbeit, Taf. V, VIT, IX, X und 
XIII sind „М. Reboul“, Taf, Xil, XIV und XV „Elis. Haussard" bezeichnet, die anderen unbezeicbnet, 
Auf Taf, IV—XV steht oben „Iconographia cavitatum cerebri et cerebelli.“; auf Tab. I —III fehlt das. 
und sie sind nicbt durchgearbeitet, gleichsam nur Umrißstiche, und so sind ihnen drei Zweifarben- 
druck Wiederbolungen derselben Vorwürfe, auch in Linienarbeit, von J. Robert gearbeitet, beigebunden, 
Auf jeder dieser drei Farbentafeln, in rot und schwarz gedruckt, sieht man anatomische Gebirn- 
schnitte, usw. auf weißem Hintergrund. 


1 „Tab. I.“ (oben 1) mit der Schrift „Pag. 8" „Iconographia cavitatum cerebri et cerebelli“ und 
"Imprimé par Richomme Гаіпє“, 


Bes, „J. Robert del. ad nat, & sculp.“ 

Rad, und gest. in zwei Platten in Rot und Schwarz: Pl. 208 : 298 
2 „Tab, II“ (oben 1) mit der Schrift wie auf Nr, 1 

Bez, wie Nr. I 

Wie Nr. 1: Pl. 242: 187 
3 „Tab. III“ (oben 1.) mit der Schrift wie auf Nr. 1 

Bez. wie Nr. 1 

Wie Nr, 1: Pl 220: 201 

Choulant, 8, 111 

München, Kgl, Hof- und Nat, Bibl. 


4 (Dezallier d'Argenville, fils, A.N.) Voyage Pittoresque / de Paris; / ou 
Indication / de tout ce qu'il y a de plus beau / dans cette grande Ville / en Pein- 


52 


ture, Sculpture, et Architecture. / Par M. D.*** / Nouvelle Edition, / (Vignette) / 
Gravé en couleur par J. Robert. / A Paris, / Chez de Bure, l'ainé, Libraire, / Quai 
des Augustins a l'lmage St. Paul. / Avec Approbation et privilége du Roy. 


Paris; 1200: 1752 Fructispiz, 88. (r) —(r2) und 1—375, dann 59 unnumerirte SS., Register und 
„Additions“ und (I)—XLVI) == Straßenregister | 
4 Die Vignette des Titelblatts zeigt einen auf Wolken ruhenden Putto, der nach 1 herüber blickt 
und ein offenes Buch r., in seiner R. außerdem ein Lorbeerreis bält. Auf dem Buch steht „Curiosi | 
Tés | De Paris. / — | 1751. Sonstige gestochene Schrift, wie oben 
Bez, in Typendruck, siehe oben. 
Radiert und gestochen von zwei Platten in Rot auf Schwarz: Pl. 137: 76 
Kat. Halle 34 (Nr. 419 um so Mk. ausgeboten, dann in der Verst. Halle, München, 15 Juni 1909 
Nr, 384 um 181 Mk.) р 
Dresden 


5—31 M™ Le Boursier du Coudray Abrégé / de l'Art / des Accouche- 
ments, — /—/—/—/—/—]/—./ Nouvelle Édition. / Volume in-8° avec Figures 
gravés en taille-douce & imprimées / en couleurs, / Par Madame Le Boursier Du 
Coudray, / Maitresse Sage-femme de Paris, — / — | — /— | Les Prix et de sept 
livres quatre sols, relié. / —/X/ A Paris, / Chez Debure, Pere, Libraire, Quai des 
Augustins, / au coin de la rue Git-le-Coeur, Maison du Notaire. / / M.DCC.LXXVII. / 
Avec Approbation & Privilege du Roi. | | 

Paris: 80: XVI und 208 SS, ein Frontispiz-Bildnis und 26 Tafeln. 

(Die erste Auflage, deren Privileg am 2, Juli 1757 erteilt wurde, hatte keine Abbildungen.) 

Sämtliche Tafeln sind in Linien gestochene Mehrplattendrucke. 


Die Platten messen rd, 197: 130, die doppelten E.-L. rd, 180: 115 die Darstellungen aber blos 50 
bis 70:60 bis go, Letztere stehen auf weißem Feld, auf dessen unterer weißer Hälfte die ein- 
gestochene erklärende Schrift steht. 

Oberhalb der E.-L. steht immer 1, die Seiten-, r. die Tafel Nummer: gerade über der unteren E.-L. 
steht immer 1. ,Peint par P. Chaparre* und r. ,Gravé en Couleurs par J, Robert" Die erste Tafel 
ist in zwei Farben, Gelb und Schwarz, die zweite in vier Gelb, Schwarz, Rot und Blau (möglicher- 
weise ist das Blau nur gemalt?), alle übrigen sind in drei Farben, Gelb, Schwarz und Rot, gedruckt, 


s Frontispiz Brustbild einer Frau in Haube und reicher Kleidung, etwas nach r.: das Gesicht ist 
in Punkten alles übrige in gestochener Linienarbeit gehalten, und das Ganze im Rahmen ge- 
halten. Darüber ein Wappen (Hund, vier Sterne und „Ad Operam"), darunter eine Tafel mit 

,Angélique Marguerite Ducoudray, | Pensionnée et envoyée par le Roy, pour | enseigner а pra- 
tiquer l'art des Accouche-/ments dans tout le Royaume." Mit doppelten E.-L. auf liniiertem Grund. 


Bez, unten 1, ,Gravé par J. Robert“ | 
6 „P. 15.“ „Pl. L“ „Cette premiere figure ... les trous Ciatiques“ == in 6 Zeilen: ferner die 
Buchstaben ABCDDEEFFGGHH 
7 „Р. 17.“ „Pl. IL“ „Cette seconde figure .... à son extremité^ == in 8 Zeilen: ferner die 
Buchstaben ABBCCDDEEFFGGHIKL 


8 „P. sr" „Pl. UL“ „Cette figure représente . . . leur situation naturelle“ — in ro Zeilen: 
ferner die Buchstaben ABCDEEFFGGHHIIKL 


9 „P. 55." „PL IV.“ „Cette figure réprésente . . . à son Orifice = in 2 Zeilen 
10 „P. 55.“ „Pl. V.“ „Cette figure réprésente .... contient le bain.” = , 3 „ 
11 „P. 57.“ „Pl. VL" „Troisième dégréde ..... commence à paroitre" == „ 3 „ 
12 „P. 69.“ „Р. VIL" „Себе figure represente .... causer le décollement." = „ 5 „ 
13 „P. 69.“ „PL VIII.“ „ „ „  TÉprésente . . . . . tirer еп bas.“ = o 2 „ 
х4 „Р. 95.“ „Pl. IX“ „ „ „ falt. . trouver son passage.” = „6 „ 
zs „P. 95." „Pl. x,“ . 5. . enfant de sortir," = , 5 „: ferner 
| die Buchstaben ABCC 
16 „Р. 95." „Pl. XL" „Autre vice de... . une femme barrée,“ ==, 5 „: ferner 
die Buchstaben AABB | 
17 „P. 101.“ „PL XII.“ „Quatrième dégré de... . col de l'Enfant.“ = „3 „ 
18 „P. 109.“ „PL XIIL“ „Cette figure réprésente . . . . droit du bassin,“ = „3 „ 
19 ,P.109." „Pl. XIV.“ „Dans cette figure..... gauche du bassin.“ =, 4 „ 
20 „P. 109.“ „PI. XV.“ „Cette figure réprésente . . . . des os Pubis.“ = „ 2 „ 


33 


21 „P. 111.“ „Pl. XVI“ „Cette figure étant. . de l'os Sacrum.“ = in 6 Zellen 
зз „P. 113.“ „Pl. XVII.“ „ „ Planche fait..... se présente seul.“ = „ 4 » 
зз „P. 113.“ „Pl. XVIII.“ „ „ = réprésente ..... face en arrière.“ =, 8 „ 
24 „P. 115.“ „PL XIX.“ „ „ figure réprésente . . sort avec facilité“ == y „ 
25 „P. 121.“ „PL. ХХ.“ „ „Оп réprésente par... le faire sortir.“ m= „ 4 م‎ 
2б „Р.123.“ „PL XXI.“ „Cette figure fait... . qui se présente,“ =, 4 >» 
27 „P. 125.“ „Pl. XXI" „ „ B ke dans les Campagnes." = 7و‎ „ 
28 „Р.т20.“ „Pl. XXIII.“ On réprésente dans .... sortie des enfants." =, 7 3 
29 „P. 137.“ „Pl. XXIV.“ „ „ » par... 8a sortie," = „4 » 
30 „P. 139.“ „Pl. XXV.“ „Cette Planche réprésente . . . . cette méme main." = „ 7 „ 
31 „P. 151.“ „Pl. XXVL“ „ „ » š: . . . . de la Matrice.“ = , 3 „ 


Kat. Halle 32 (Nr. 24o schënes Exemplar in Lederband mit dem Wappen Louis XIV. um 6o Mk.; 
dann im Kat. Halle- München 34, Nr. 42 und bei Halle am 19. Marz 1903); Hiersemann (Lei, zig, 
den 5. Feb. 1906 ein Exemplar für Mk. 160 ausgeboten) 


32 Christus am Kreuz nach dem Gemiülde von Nic. Delobel jetzt in ? 


An einem großen Kreuz hängt Christus etwas nach r., das Haupt nach 1. hintibergeneigt, mit 
großem, weißem Lendentuch bekleidet, die Füße nebeneinander auf einem dreieckigen Kcilpfiock ge- 
nagelt. Man sieht Felsenabhinge l. und die Stadt mit weißen Mauern und Gebäuden rückwärts r. 
Am Kreuz oben flattert ein Papier mit der Schrift ,Jesvs | Nazarénvs, | Rex | Judaeórum." Unten 


l. auf dem Felsen steht: Gravé en Couleurs 
par J. Robert d'apres Avec 
le Tableau Original Privilege 
peint par N. Delobel, Peintre] du Roi. 
ordinaire du Roy. | 


Bez. wie angegeben 

Von vier geschabten Farbenplatten, mit wenig Linienarbeit (in der Maserung, den Dornen und 
den Blutstreifen); B. 454: 361 

J. Gautier (Observations 1755, ı7me partie p. 125 und in Toussaints Observ. périod. Oct. 1756) er- 
wähnt das Blatt als Neuarbeit, das er zwar für die Leblongemeinde geschaffen habe, aber es wire 
ein Vierfarbendruck, und was gut daran wäre ginge auf seire, Gautiers, Anweisungen zurück. Der 
mir bekannte Druck ist fahl grau-grün und farblos wie die schlechtesten Leblons. 

Berlin (um 365 Mk. auf der Verst. Halle München, 29 Nov. 1904 Nr. 1005 erworben; aufgezogen) 


33 Die hl. Jungfrau nach dem Gemälde von? 

Man sieht Kopf und Schultern fast von vorn. Sie blickt herab und neigt sich leicht nach 1. Ihr 
1. Ohr ist sichtbar. Sie trägt ein rotes Gewand, das am Hals einen weißen Hemdstreifen hervortreten 
läßt, blauen Mantel, grünes Kopftuch und ein weißes Band im Haar. Hinter dem Haupt ist ein Licht- 
schein in dem sonst dunkelblüulichen Hintergrund zu sehen. 

Bez. am Unterrand gegen r. „I. ROBERT FECIT 1747“ 

Von den vier geschabten Farbenplatten: Pl. u. B. 313:241 

Die Zeichnung (wohl auch des Originals) ist recht mšBig, die Fürbung aber ziemlich lebhaft. 

Verst. Halle (München, Juni rgog Nr. 383 um 420 Mk.) 

Boston, Smlg. Marrs; Braunschweig (aus der Smlg. Vasel, Nr. 4933 in deren Katalog und 
seinerzeit von Claus in Dresden erworben) 


34 Sechs spielende Putten nach einem Gemälde von F. Lemoine 

Sie befinden sich am Rand eines Waldes. Zwei arbeiten 1. als Steinbrecher. Derjenige ganz r. 
sitzt und unter ihm liest man ,Gravé en Couleurs Par J. | Robert d'aprés l'Esquisse Original | de 
méme grandeur, Peint par F:le | Moine premier Peintre du Roy." 

Bez. wie angegeben 

Von drei (Schwarz, Blau, Gelb) geschabten Platten: Pl. und B. 159: 225 

Delaborde, 8. 381 


35 Sechs spielende Putten nach einem Gemälde von F. Lemoine 


Sechs kleine Putten mit dem Löwenfell und der Herakleskeule spielend. 

Bez. unten ,Gravé en couleur par J. Robert, d'aprés l'esquisse originale de méme grandeur. — 
Peint par F. Le Moine, premier peintre du roi. 

Farbendruck: Pl. und B. (?) 157: 223 

Die Angaben für diese Nr. gehen auf Delaborde, S. 381 zurück, und wenn er sie genau gemacht 
hat, handelt es sich um ein Gegenstück zu Nr. 34 


54 


JAN LADMIRAL 


jan Ladmiral wurde, laut Immerzeel, 1€98 in der Normandie geboren, und er- 
lernte zu London, unter Leblons Aufsicht, das Verfertigen von Farbendrucken. In 
Amsterdam sich niederlassend, war er als Miniaturmaler und Kupferstecher tätig. 
Dort ist er am 2. Juni 1773 (Wurzbach; nach Delaborde Juli) gestorben. 

Sein jüngerer Bruder, Jakob, hat unter and. eine naturwissenschaftliche Folge 
von Schmetterlingen usw. radiert, die zum Kolorieren bestimmt waren. Kramm 
meint in diesem Werk, — das gelegentlich für eine Arbeit Jans gehalten worden 
ist, — zwei verschiedene Hände zu erkennen, und schreibt einen Teil davon, einem 
gleichnamigen Sohn Jacobs zu. Es ist aber möglich daß sich Jacob, als jüngerer 
Bruder, gelegentlich ,,Ladmiral jun.“ nannte. 

Die Bildnisse zu Van Mander beziehe ich in meine Nummerfolge mit ein, da 
damit das Werk des Ladmiral „nach dem heutigen Stand der Wissenschaft“, voll- 
stindig wird. Da sie aber schwach sind und den Farbendrucksammler natürlich 
gar nicht interessieren, führe ich sie nur ganz kurz an, ohne auf Einzelheiten 
näher einzugehen. Während Immerzeel sie meines Erachtens mit Recht, sehr 
gering einschátzt, meint Kramm er besáBe Probedrucke, vor späteren Zutaten, die 
recht gut wären. Diese Zustandsdrucke sind mir nicht zu Gesicht gekommen. 

Delaborde (S. 379 und 280) behauptet, wohl ohne Grund, die beiden Ladmiral 
hätten Leblons „Louis XV“ geschabt, während er nach besseren Quellen von 
Blakey begonnen und Robert vollendet wurde. 


1 Bernardi Siegfried Albini / Anatomes & Chirurgicus in Academia Batava, / 
quae Leidae est, Professoris / Dissertatio / de / Arteriis et Venis / Intestinorum 
Hominis / Adjecta Icon Coloribus Distincta. / X / Leidae Batavorum. / Apud Theo- 
dorum Haak Bibliop. / Et prostat quoque Amstelaedami, / Apud Jacobum Graal, 
& Henricum De Leth. / MDCCXXXVL 


Leiden: 40: 1736 Zwei weiße Seiten, SS. (1)— 10 und zwei weiße Seiten dahinter, nebst einer 

Farbentafel, Der Titel in Rot und Schwarz steht auf S. (1): der Text ist lateinisch 
1 Tafel: Vorgetáuscht ist ein Blatt Papier, das die Darstellung, — ein Stück Eingeweidebaut, — 
trägt und auf grünem Grund liegt. 

Schabkunst u. Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 128: 170 (auf ungefähr 
dieses Maß sind die Blätter zugeschnitten, mit einem feinen Goldrand bemalt und dann leicht auf- 
geklebt, 

Bez. unten 1. „I: LADMIRAL .Fecit“, ferner oben fünfmal „A“, unten sechsmal „В“ 


2 Bernardi Siegfried Albini / Anatomes & Chirurgicae in Academia Batava, / 
quae Leidae est, Professoris / Dissertatio Secunda. / De / Sede et Caussa / Co- 
loris Aethioporum / Et / Caeterorum Hominum. / Accedunt Icones Coloribus Di- 
stinctae. / ж / Leidae Batavorum, / Apud Theodorum Haak, Bibliop. / Prostat 
etiam, Amstelaedami, / Apud Jacobum Graal, & Henricum de Leth. / MDCCXXXVIL 


Leiden: 4%: 1737 Zwei weiße 88., SS. (1)—(18), nebst einer Farbentafel. Der Titel in Rot und 
Schwarz steht auf S. (i): der Text iat lateinisch. 


s "Tafel: Drei Hautproben auf grünem Grund 

Schabkunst u. Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 116: 160 (vergl. Nr. x oben) 

Bes. unten r.; „J. LADMIRAL,. Fecit“; ferner „I“, „U“, „Ш“, viermal „A“, viermal „B“, viermal 
„С“, zweimal „D“ und ein „Е“ in der Darstellung 

3 Icon / Durae Matris / In concavá Superficie visae, / Ex capite foetus humani 
octó cisciter à conceptione / mensium, desumtae; ad objectum artificiosissime / 
praeparatum à / Clarissimo Viro / Fred. Ruyschio, / Med: Doct. Anatomes & Bota- 
nices Professore &c. / Delineata, & coloribus distincta typis impressa / à / Joanne 


55 


Ladmiral / (Vignette) / Prostat Amstelodami, / Apud Jacobum Graal & Henricum 
De Leth, / Lugduni Batavorum. / Apud Theodorum Haak. / MDCCXXXVIII. 

Leiden: 49:1738 vier unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette auf der ersten) 
und eine Tafel. 

Der Text ist lateinisch und französisch. 

Tafel; ein Gehirn von unten 

Schabkunst und Rad. in Blau, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 125:170 (vergl. Nr. x oben) 

Bez. unten 1. „I. LADMIRAL, Fecit.“, ferner 2 „A“, 4 „В“, „С“, „D“, „E“, a „F“, 5 kleine Kreise 
und 4 Sternchen in der Darstellung 

4 Icon / Durae Matris / In convexá superficie visae, / (weiterhin genau wie der 
Titel bei Nr. 2). 


Leiden: 4°: 1738 vier unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette, auf der ersten) 
und eine Tafel . 


Der Text ist lateinisch und franzësisch. 

Tafel: ein Gehirn von oben 

Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (dieses, in der Schrift, ist möglicherweise 
dick aufgetragenes Blau: manche Plattenstelle scheint mit Lokaltónen eingefürbt zu sein); B. 126: 170 
(vergl. Nr. 1 oben) 

Bez. unten 1. „I: LADMIRAL, FECIT“, und vier „A“, vier „В“, „C“, zwei „D“, vier „E“, zwei 
nF“, „G“, zwei „Н“, vier „I“ und fünf kleine Kreise in der Darstellung. 


5 Icon / Membranae Vasculosae / Ad Infima / Acetabuli Ossium Innomina- 
torum / Positae, ex puero desumtae; ad objectum artificiosissime / (weiterhin genau 
wie der Titel bei Nr. 3). 

Leiden: 4?:1738 vier unnumerierte SS. (der Titel wie bei Nr. 3) und eine Tafel 

Der Text ist lateinisch und franzósisch 

Tafel: Knochen, usw. 

Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 128: 170 (vergl. Nr. т oben) 

Bez. unten l. „I: LADMIRAL Fecit," und 3 „А“, „В“, „С“, „р“, „Е“, „Е“, „G“, „H“, „I“ und 
Sternchen 

6 Effigies / Penis Humani, / Injectá Сега Praeparati / Exhibens Inventa Ana- 
omica / Aliquot Nova; / Et / Proprio Colore Typis Impressa / A Joanne Ladmiral. / 
(Vignette) / Leidae Batavorum, / Apud Cornelium Haak, Bibliop. / Prostat quoque 
Amstelodaemi, / Apud Jacobum Graal, Et Henricum De Leth. / MDCCXLL 


Leiden: 40: 1741 acht unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette auf der dritten) 
und eine Tafel 

Der Text ist lateinisch, franzósisch und hollündisch 

Tafel: Penis nach oben r. gerichtet 

Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 205 : 250 (vergl. Nr. 1 oben) 

Bez. unten г. ,I LADMIRAL. Fecit." und zwei „A“, vier „B“, drei „C“, drei „D“, vier „E“, 
vier ,F*, zwei „8“, „Н“, zwei „I“, zwei „K“, vier „L, zwei ,M* und „N“. 

Delaborde, S. 380 Choulant, S. 106 Lebl. 1 und 2 

FarbendruckAusst, Leipzig 1902 (Nr. 154 — 9: Wiener und Hiersemannsche Drucke) 

Verst. Bause (Leipzig, bei Weigel, 24. Sep. 1860 Nr. 1 und 8, nur unsre Nrn. r und a); Kat. 
Halle 32 (München, 1903. Nr. 24a, vollständig und gebunden, um Mk. 225 ausgeboten, dann in 
Verst. Halle, München, Juni 1909 Nr, 382) 

Boston, Smig. Marrs (nur Nrn. 1 und a; W des Textes = Schild mit drei Querbalken und Fleur- 
delys); Braunschweig (nur Nr. und 2 aus der Smig.Vasel, Nr. 3278 in dessen Katalog, der sie 
von Franz Meyer, Dresden erworben hatte); Dresden (sechs Einzeihefte, in Mappe, um Mk. 153, 
1903 von K. Hiersemann erworben); Dresden (Nr. 5 allein, um 42 Mk. auf der Verst, Halle, 


München, 13. Nov. 1090 erworben); Leipzig, Buchgewerbemuseum (alle sechs Hefte): Wien (nur 
fünf Hefte); Wien, k. k. österr. Mus. 


7 Ein Herz 


Im Spátherbst 1916 erging an die Sammler und Kabinette eine Subskriptionsaufforderung von 
Herrn Dr. N. О, van Huffel zu Utrecht, zum Bezug einer Veröffentlichung, in der ein Neudruck von 
Leblons nichtssagendem Coloritto, Erórterungen über den Dreifarbendruck, und eine Ladmiral-Platte, — 


56 


H 


ein Herz darstellend, — mit Registerdrucken erscheinen sollten. Noch vor JahresschluB, wie an- 
gekündigt, ist das Buch nicht erschienen, oder wenigstens nicht nach Deutschland gelangt. Ich 
nehme vorläufig an, daß es sich um ein siebentes Heft, in der Art der vorbeschriebenen sechs, handelt, 
das im 18.Jahrhundert nicht zur Ausgabe gelangte. „ж a к 


8—58 Het / Leven / Der / Doorluchtige Nederlandsche еп eenige Hoogduitsche/ 
Schilders, / Voormaals / Byeen-vergaderd en beschreven / Door / Karel Van Mander / 
Kunst-Schilder, / En nu, —/ —/ —/—/— | Door Wylen / Jacobus De Jongh, / En 
na deszelís overlyden door eene bekwaame hand. / —/ —/—/ —/*/ Te Amster- 
dam, / By Steven Van Esveldt, / Boekverkoper in de Kalverstraat, het derde huis / 
van de Roomsche Kerk, de Papegaay. 1704. 

Amsterdam, 8°., 1764 Zwei Bände I = 36 unnumerierte 8S., SS. 1—354 und ro unnumerierte SS, 


Frontispiz (von 8. Fokke), Bildnis van Manders (anonym) und 32 Bildnis Tafeln. II == 8 unnume- 
rierte SS., SS, 1—(273) und 64 unnumerierte SS. mit dem Register (Bladwyzer) und 1g Bildnistafeln 


Am Ende jeden Bandes stehen genaue Register über die Bildnistafeln und Anweisungen für den 
Binder, wo sie einzuetellen sind. 


Die Tafeln messen rd. 160: xot und sind bezeichnet (manchmal sehr versteckt) mit „Jan Ladmiral 
Fecit 1759", „Jan Ladmiral F.“, ,L, Fecit^ und andere Abweichungen. Ferner tragen sie alle unten 
einen gestochenen Buchstaben und zwar in Bd. I, ,A"—,2" (dabei ein zweites B, das U genau wie 
V gestochen) und ,AA— FF", im Bd. П, „GG*— 22“. Es sind durchschnittlich drei, aber auch zwei, 
vier und ein Bildnis, jedes in besonderem Rahmen, oder auf besonderem Blatt in eine Komposition 
eingefügt, auf jeder Tafel. 


Nagler (Lex. 7 8.231) kennt das Werk, erwähnt aber nur zwei der 31 Bildnisse Lebl. 3 
Berlin, Kgl. Bibl. 


59 Selbstbildnis nach einem eigenen Gemälde 


Brustbild ohne Hände im Oval nach 4., mit Blick von vorn. Er trägt Lockenperücke, hat hohe 
Stirn, ist bartlos, und ist in schlichtem Rock mit umgelegtem Mantel gekleidet. Oben 1. sieht man 
einen Vorhang, r. eine Palette, unten 1. Miniaturen auf einem Stein vor einem Medaillon, und r. 
Kupferplatten mit Bildnissen und Atzwasserflasche. Auf einem Stein davor steht ,Effigies Ioann | 
Ladmiral | se ipse Pinx. | et Incis" (schwerleserlich). Unten r. sieht man wieder einen Vorhang. mit 
offenem Buch darauf, wo zu lesen ist 1. „Icon | Duramatris | A | Joanne Ladmiral" und r. ein durch- 
schnittenes Gehirn. 


Bez. wie angegeben 
Rad., einfarbig Schwarz: Pl. und B, 156: 101 


Hamburg 


60 Lourens de Coster nach eigener Zeichnung (?) 


Brustbild, dreiviertel nach r., in ovaler Einfassung. 


Ich kenne das Blatt nur aus dem Duplessis etc. Katalog der Bildnisse des Pariser Kabinetts. 
(Ва. ш. 8. 52 Nr. 10833 — 17) 


Breslau, Smig. Toebe 
61 "Vignette für Büchertitel nach eigener Zeichnung 


Eine Sonne bestrahit fünf Flaschen mit naturwissenschaftlichen Prüparaten, die auf einem Tisch r. 
stehen, Ebenda ein Putto, der mit seiner L. auf die Flaschen weist, wührend 1. ein Skelett in der 
Haltung eines Erschreckten sitzt. 


Bez. unten 1. „Jan Ladmiral in. et fecit.“ 
Radierung, einfarbig Schwarz: Pl. 54: 112 E.-L. 49: 107 
Die Vignette ist benutzt auf den Titelblättern zu unsren Nrn. 3—6. Siehe diese. 


62 Antike Landschaft 


Hinten r. steht ein turmartiger Bau mit Kuppel. Im Mittelgrund sieht man einen Treiber mit zwei 
Eseln auf einer Holzbrücke. Vorn L sitzt ein Mann und steht eine Frau mit einem Speer. 


Bes. unten r. „J Ladmiral f." 

Radierung, einfarbig Schwarz: Pl. und B, 80: 116 
Lebi. 4 

Hamburg 


57 


CAVALIERE CARLO LASINIO 


Es ist bezeichnend daß Ticozzi, der sich bemühte so viele falsche Angaben über 
lingst verstorbene Künstler zusammenzubringen, es nicht fiir lohnend hielt genaue 
Angaben über seine Zeitgenossen zu überliefern. Lasinio war durch seine klassi- 
schen Folgen gewiß berühmt genug, um Ticozzis und Goris Aufmerksamkeit auf 
sich zu lenken. Er soll im Jahr 1757 zu Treviso geboren sein. Am ro. Okt. 1839 
wurde eine Grabschrift auf sein Denkmal gebracht, wie uns das Titelblatt eines 
„Omaggio“ (Pisa, 8°, 1839) belehrt. Wenn er sich Venezianer (auf der Venusplatte) 
nennt so gilt das für die Provinz. Auf dem Titelblatt der 1789 erschienenen 
„Ornati“ nennt er sich „Trevignianio“ (aus Treviso in Venetien); auf dem der 
Campo Santo Fresken „Сау. Carlo Lasinio, Conservatore del Medesimo“, nämlich 
der Pisaner Fresken. 

Durch seine historischen Mappeawerke hat er der KansteescuichtMonichungd seiner 
Zeit Dienste geleistet. W'enngleich diese Schwarzweißblätter künstlerisch gering- 
wertig sind, mag man nicht vergessen, daß die Pisaner Folge immerhin Hebamme 
einer so gewichtigen Bewegung wie des englischen Praeraphaelitismus geworden ist. 

Diese Blätter!) haben für uns, namentlich für den Sammler von Farbstichen, 
nicht das geringste Interesse: ich nehme sie auch nicht in mein Verzeichnis mit 
auf, was nur Sinn gehabt hitte, wenn es sich nur um einige wenige Arbeiten 
handelte — wie etwa bei Ladmiral —, deren Aufnahme das Verzeichnis, nach 
derzeitigem Vermögen, vollständig gemacht hätte. Außer den richtigen Farben- 
drucken nahm ich nur solche Platten mit auf, von denen es, irgendeiner Nachricht 
zufolge, wenigstens farbig eingeriebene Einplattendrucke gibt. 

Als Farbendrucker ist Lasinio der letzte Ausläufer des Leblonschen Systems 
und unmittelbarer Schüler Edouard Gautiers. Die meisten seiner Arbeiten sind 
geringwertig und haben sein Atelier nicht ohne die ausgiebigste Handbemalung 
verlassen. Seine Autoritrattifolge ist gewiß ein ungewöhnlich großes Unternehmen. 
Welch wesentliche Rolle der Drucker Labrelis spielt, geht schon daraus hervor, 
daß sein Name fast immer auf der Platte mit eingestochen ist. 

Wie Ed. Gautier wollte Lasinio wohl seine großen Arbeiten als numerierte Folge 
herausgeben. Ich kenne Nr. 4 Bildnis Gautiers; Nr.7 Die Dichtkunst (1783); Nr. 9 
Der Jäger (1784 ?); Nr. ro Musentanz (1784); Nr. 11 Venus mit dem Hündchen (1784); 
Nr. 12 S. Johannes (1784); Nr.13 Die Familie Mieris (1784). Auf diesen Nrn.9, ro, 
II und 13 kommt ein Monogramm M (CM?) vor, das ich nicht zu erklüren weiB. 


1—10 Die Folge von Wiedergaben nach den Fresken in Sa. Annunziata 
zu Florenz 
I Der hl. Philippus bekleidet einen Aussitzigen isch dem Gemälde des Andrea 
d’Angeli 


Im Hintergrund 1. nahen die drei Mönche, in der Mitte treffen sie den Aussätzigen, und r. gibt 
ihm der Hi. Philippus seinen Mantel: vorn eilt er von L herbei um dem Heiligen, der mit zwei 


(1) Ritratti degli Archivescovi e Vescovi di Toscana — Firenze, 1787 

Ornati presi da Graffiti e Pitture antichi, essistenti in Firenze — Firenze 1789 (40 Tafeln) 

Pitture a fresco del Campo Santo di Pisa — Firenze, 1810 (dann 1812; 1828) (4r Tafeln) 

Raccolta degli imperatori Romani 

Affreschi celebri di XIV—XV secolo, incise dal Cav. Carlo Lasinio su i disegni dal Cav. Paolo 
Lasinio, suo Figlio — Firenze 1825—1841 (a4 Tafeln) 

Auch für Pagni und Bardis (Firenze, 1791) ,Etruria Pittrice" schuf Lasinio Tafeln, und an manch 
anderen der zahlreichen Werke eeines Sohnes G. Paolo wird er mitgearbeitet haben. 


58 


Mönchen r. steht su danken. Unten steht „Dedicata al Cittadino aiuto GF ) < Estense 


Tassoni" 

Bes. ? 

Von den vier geschabten Farbenplatten (?): Pl. etwa 630: 470 

Ich habe keinen Druck gesehen: daher meine unbestimmten Angaben. Es ist das erste Blatt der 
Annunziata Folge. 

Breslau, Smig. Geh. Baurat Toebe 

Florenz (Nr. 14208 im Kupf. Kab. der Uffici) 


2 Die den Hl. Philippus verhóhnenden Spieler werden vom Blitz erschlagen 
nach dem Gemälde des Andrea d’Angeli 
Ich kenne keinen Druck des Blattes: nehme aber an daß Lasinio die ganze Folge ausführte, da 
kein Grund vorlag ein Blatt von zehn, aus der Mitte der Folge fortzulassen. Sind mir ja secbs von 
diesen zehn vorderhand nur in je.einem Druck bekannt geworden. 
Es ist das zweite Blatt der Annunziata Folge 


3 S. Philippus heilt eine Besessene nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli 


Sie fallt in Ohnmacht in den Armen ibrer Eltern vor einem Torbogen. Ihrem Mund ist ein Teufel 
entfabren, den der 1. neben zwei welteren grauen München stehende Hl. Philippus ausgetrieben hat. 
L. stehen noch ein rot gekleideter Jüngling und zwei Frauen, r. sechs Männer als Zuschauer, bei den 
Eltern zwei Männer. Im Fenster oben 1. eine Frau, mittlings drei Personen, r. nur ein weißes und 
ein rotes Tuch. Im Unterrand steht gestochen: 


Andrea del Sarto inv:, e dip: a fresco esiste nell’ ingresso della Chiesa della SSa Annunziata di 
Firense Giuseppe Miller diseg: 


` 


Dedicata a Sua Exzellenza 
il Sig:re Marchese Luigi Trionfi, Patrizio Anconitano ec. ec, 
Approvata dal Cellb:e Sig:¢ Tommaso Ghe- Maestro della Reale Accademia di Firenze, 
rardini | Wappen 
-Lasinio incise Labrelis impresse 


Labrelis in segno d’ossequio D.D.D. 
Bez. wie angegeben 
Von den vier (?) geschabten Faibenpluten: Pl. 633:473 B. (oben abgerundet) 570: 473 š 
Es ist das dritte Blatt der Annunziata Folge 


Libreria Mascelli (Florenz, 18. Febr. 1909, schlechtes, bemaltes, eingerissenes ond mattes Exem- 
plar um 20 lire angeboten) 


4 Die Leiche des Hl. Philippus erweckt einen Toten nach dem Gemäldė des 
Andrea d'Angeli | 


Die Leiche liegt vor einer Kapellen-Nische: ein Mönch küßt ihr die Hand, vier Mönche und ein 
Greis stehen ihr zu Häupten L, vier Júnglinge und Frauen ihr zu Füßen r. Davor am Boden sitzt 
ein zum Leben erweckter Knabe und liegt ein toter. Vorn 1. ein Greis in lila Rock mit roter Schärpe 
und ein Mann mit langem, grünem Mantel: r. ein Mann fast vom Rücken gesehen, und ganz r. ein 
andrer der sich der Kapelle nähert. Auf besonderer (angeschweiBter?, 58: 463) Platte steht unten 


gestochen: , 
Andrea del Sarto inv: e dipinse a fresco Giuseppe Miller disegnd. Carlo Lasinio. 
nell’ ingresso della Chiesa della Sma An- nose: Labrelis impresse a Colori 
nunziata di Firenze Wappen | Mae dei Riccardi di Patrizio Fiorentino ec. 
All: II: ne Rev:mo Sig: re Cañco Subdecano | re 
Gabbriello Labrelis in segno d'ossequio D. D D. 


Approvato dal Sig: Tommaso Gherardini 
(iut dem einzigen bislang mir bekannten Druck ist die letzte Zeile nur geschrieben) 
Bez. wie angegeben 


Von verschiedenen, mehrfarbig eingeriebenen Schab- und Kreidemanier Platten: PI. und B. (oben 
abgerundet) 559: 463 


Es ist das vierte Blatt der Annunziata Folge 
Wien (stark überinalt) 


* 


59 


5 Das Gewand des hl. Philippus heilt einen Knaben nach dem Gemälde des 
Andrea d’Angeli 

Vor einem Altar in einer Kapellennische reicht ein Servitenmönch einem Knaben, den seine Mutter von: L 

herbeifúbrt, das Gewand des Hl. Philippus. Rechts eine knieende Frau in grün, ein knieender Mónch 

und drei Männer, von denen der vorderste, barbüuptige, einen roten Mantel trägt. Auf den Stufen 

ganz r. ein Greis. Links Mönche, Frauen, Kinder usw. Auf der Stufe mittlings steht ,AD.M:D-X**, 

in der Scheibe oben 1, „Virtus | De Illo / R.“ in jener г. „Е Sana | Os“; sodann unten auf besonderer, 
angeschweiBter Platte (62: 474) 


Andrea del Sarto inv: е dipinse а fresco 7 . Q. Miller disegnó. Lasinio incise acolori. 
nell’ Ingresso della Chiesa della 8.83 An- Labrelis impresse. 
nunziata di Firenze | 
Marchese Nicolao Santini, 
Dedicata a 8. E. il Sig:re Wappen 

Inviato Straordinario della Sereniss;ma Repubb:ca di Lucca alla R. Corte di Tos- 
| сапа ес: ес: 

Te Labrelis in segno d'ossequio D.D.D. 


coin in tutte le sue partie dal Celeb:e Sig:e J. Gherardini Maestro di questa 
R.e Accad:a di Pittura. 
Bez. wie angegeben 
Von mindestens drei mehrfarbig eingeriebenen Platten in Kreide-, Punktier- und Schabmanier: 
Pl. und B. (oben abgerundet) 562 : 475 | 
Es ist das fünfte Blatt дег Annunziata ена 


Wien (stark bemalt) 


6 Der Zug der Hl. Drei Könige nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli 


Der reiche Zug bewegt sich nach 1, wo rückwürts zwischen Tempelsáulen Maria mit dem Kind 
herbeleilt (?). In der Tür 1. eine Gestalt in rotem Mantel: usw. usw, Auf dem Stein vorn m der 
Mitte steht „X“, und unten auf besonderer, angeachweißter Platte (62 : 468) 


Inventé et Peint par André del Sarto. Existe dans le Vestibule del’ Eglise de l'Annonclation a Florence — 
Dessiné par Mr Joseph Miller Gravé par Mr Lasinio Imprimé en couleur par Labrelis 


Dédié à Monseigneur le Comte Francois Bielinski Grand Notaire de Pologne 


Chevalier des ordres de Sa Majesté ec. ec. ec. 
Wappen 


par Votre trés humble et 
trés obeissant Seruiteur Labrelis 


Approuvi par Monsieur Tomas Gherardini Maitre de Peinture de l'Academie de Florence 

Bez. wie angegeben 

Von mehreren, mehrfarbig eingeriebenen Punktier-, Kreide- und Schabplatten: Pl. und B. (oben 
abgerundet) 559 :470 

Es ist Blatt sechs der Annunziata Folge ; 

Braunschweig (aus der Smlg. Vasel, Nr. 3315 in dessen Katalog, der es auf der Versteig. 
Pommer Esche in Berlin, bei Amsler & Ruthardt, 37. Nov. 1899 Nr. 1593 erworben hatte; ohne Unter- 
rand): Wien (stark bemalt) 


7 Die Geburt Mariae nach dem Gemálde des Andrea d'Angeli 


Anna sitzt r. aufrecht im Bett; eine Magd bringt ihr Erfrischung. Vorn 1. sitzen zwei Frauen 
mit Maria beim Kamin; in der Mitte stehen zwei weitere: usw. 


Bes. ? 

Von mehreren Farbenplatten: Pl. und B. (oben abgerundet) ungeführ 560: 470 

Da icb keinen Druck selbst gesehen habe, vermag ich genauere Angaben vorläufig nicht zu machen. 
Es ist das siebente Blatt der Annunziata Fo'ge 

Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, 19 Juni 1900, Nr. боо um so Mk. an Kennedy) 


8 Die Vermählung Mariae nach dem Gemälde des Franc. Bigio 


. Der Priester hält mit seiner L. Marias L., auf die Joseph den Ring zu stecken im Begriff steht. 
Der Jüngling der Reißig über seinen Fuß bricht sitzt unten r.: usw. Unter der E.-L. ist gestochen 
„Francabigio dip: Giuseppe Miller del: esiste nell’ ingresso della Chiesa | Wappen | della sañta An- 
nunclata di Firenze Lasinio incis: Labrelis imp:“ 


Bez. wie angegeben 


Von mehreren (?) farbig eingeriebenen Platten gedruckt (ich sah nur den Artariadruck, und das 
war ein farbig eingerlebener Einplattendruck: B. (oben abgerundet) 568 : 469 


Es ist das achte Blatt der Annunziata Folge 


Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, 19. Juni 1900 Nr. 601, schlechter, bemalter Druck, um 45 Mk. 
an Artaria; dann von Artaria, Wien, 24. Jan. 1902 um Mk. 150 ausgeboten) 


9 Die Heimsuchung nach dem Gemálde von Jac. Carrucci da Pontormo 


Vor einer Nischenarchitektur kniet Elisabeth r. auf Stufen vor der sich zu ihr neigenden Maria. 
L. von Maria andere Frauen von denen eine ein Kind trägt, die vorderste auf den Stufen sitzt, R. von 
Elisabeth fünf Gestalten, darunter ein nackter Knabe, der vorn auf den Stufen sitzt; usw. 


Bes. ? 
Von den vier geschabten Farbenplatten (?): PL etwa 630:470 В. oben abgerundet 


Ich babe keinen Druck geseben: daher meine unbestimmten Angaben: Es ist das neunte Blatt der 
Annunziata Folge 


Florenz (Nr.14211 im Kupf. Kab. der Uffizi) 


10 Die Himmelfahrt Mariae nach dem Gemälde von G. B. Rossi (Fiorentino) 


Unten die zwölf Apostel in großen Mänteln, die Augen auf Maria gerichtet, die in einer Engel- 
wolke nach oben steigt. 


Bes. ? 
Von mehreren geschabten Farbenplatten (?): Pl. etwa 630: 470 


Ich habe keinen Druck gesehen: daher meine unbestimmten Angaben: Es ist das zehnte Blatt der 
Annunziata Folge 


Florens (Nr. 14210 im Kupf. Kab. der Uffizi) 


11—14 Die vier Weltalter nach den Fresken des P. Berrettini in der Sela 
della Stufa des Pal Pitti zu Florenz. 
Ir Das goldene Zeitalter — 


Auf dem Baum oben 1. pflückt ein Jüngling Früchte; darunter ein Schäfer und eine Schiferin. 
R. ein Lówe unter Putten und Frauen. | e 


Bez. unter der E.-L. ,Pietro da Cortona dip: L'Età Dell' Oro C. L. inci: 


Mehrfarbig eingeriebener Einplattendruck, Radierung mit Kreide-Punktier-Ton; Pl. 553: 442 B.-L. 
518 : 420 Р 
| I — Statt des Titels in der Inschrift steht ,presso Labrelis in Firenze“ 

П — Wie beschrieben 


12 Das silberne Zeitalter — 


Vorn 1. Bacchus und Ceres; dahinter Herakles. R. drei Musen mit einem fiötenden Knaben, 
Liwen usw. Rückwürts eine Schafschur. 


Bes. wie Nr. її nur mit ,L'Età Dell’ Argento* 
Wie Nr. 11 ; Pl. 556:436 E.-L. 517: 410 
I wie Nr. 11 
П wie Nr. 11 


I3 Das eherne Zeitalter — 


Rechte verteilt ein Herrscher Verdienstkronen: 1. steht ein Gesetzgeber mit kleinen Tafeln; vorn am 
Boden drei Gefangene, usw. 


Bez. wie Nr. 21 nur mit ,L'Età Del Rame" 
Wie Nr. rz ; Pl. 557: 446; ,E.-L. 533: 418 
BEBE I wie Nr. 11 
II wie Nr. 11 
I4 Das eiserne Zeitalter — 
Vorn r. wird eind Frau, in der Mitte ein Greis, und 1. in einem Tempel ein Priester ermordet; usw. 
Bez. wie Nr. 11 nur mit ,L'Età Del Ferro“ 
Wie Nr. 11 ; Pl. 552:444  E.-Ig. 522: 423 


I wie Nr. 11 
II wie Nr. 11 f " 


Lebl. 105 


61 


Jacob Levi (Wiesbaden, 6. Mai 1904 ein farbig-hšBlich in Blau, Rot, Braun und Grün gedruckter, 
Stark bemalter Satz von II. um 160 Mk. ausgeboten); Verst. Gutekunst (Stuttgart, Mai 1905 Nr. 824, 
nur das silberne Zeitalter als „Herbst“ im guten Druck von I, W = Gori Livini E Compagni um 52 Mk, 
an Kempner); Verst. Halle (München, 15 Juni 1907 Nr. 407 um 76 Mk.) 

Berlin (Satz von I; W. == „Gori Livini E Compagni" und „Colle in Toscana“, grünlich-bläuliches 
Kolorit) 


15—26 Die Folge der Florentiner StraBentypen 


Es sind alles Einzelgestalten in ganzer Figur, zerlumpte Typen, mit ganz wenig Andeutung der 
Landschaft und ohne Angabe des Himmels. Die zwólf, Mehrplatten-Farbendrucke sind nicht numeriert. 
Ich folge der Reihe von Darstellungen, wie sie auf dem Titel im Umriß stehen. Das dritte Blatt ist 
„Carlo Lasinio" die übrigen ohne Vornamen ,Lasinio“ usw. bezeichnet, Bei Blatt Nr. 16 nur gebe 
ich die volle Bezeichnung; sie weicht nur in unbedeutenden Einzelbeiten auf den anderen Blättern ab, 


15 Pollaiolo als Titelblatt. Ein Bänkelsänger von vorn, mit der Guitarre am Band um 
den Hals an der L., die R. erhoben, den schwarzen Dreimaster auf dem Kopf, steht da in rotem Rock, 
grüner Weste, blauer Kniehose, weißen Strümpfen und schwarzen Schuben. Am Stämmchen neben 
ibm bängt ein großes Blatt, mit Umrissen der 12 Darstellungen. Darunter steht gestochen: „Serie 
de 12 Ritratti | di persone facete, che servono | a divertire il Pubblico Fiorentino. | disegnate e incise 
da Carlo Lasinio. | POLLAIOLO“, und im Unterrand ,Gaet: Calamandrei impres. a colori — In 
Firenze presso la Società Calcografica." 

Bez. wie angegeben 


Radiert, Kreidemanier usw. von mehreren Platten: Pl. 391: 258 


16 Claudi Er steht vorn und spielt die Laute, in schwarzem Hut mit riesiger steifer Krempe, 
blauem, langem Rock, geblümter, grauer Weste, schwarzer Kniehose usw. Auf einem Stein unten 1. 
steht ,CLAVDI“ 

Bez. unten ,Lasinio disegno, e incise dal vero In Firenze presso la Società Calcografica 
Gaet:0 Calamandrei impresse a Colori" 


Wie Nr. 15 ; Pl. 390: 259 


17 Antonio Niccolai Er steht nach 1 mit Kopf und Blick nach vorn, neben seinem 
eblauen Guckkasten, auf dessen Aufschrift „ANTONIO NICCOLAI* er mit seiner L. weist und den er 
mittels Fadens mit der R. aufzieht, Er ist barhüuptig, mit Puderperücke, schwarzem langen Rock, 
brauner, offener Weste, schwarzbrauner Kniehose, usw. bekleidet. 

Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 : Pl. 391: 260 


18 Cicerone Er steht nach I., blickt uns lüchelnd an und bält ein Buch mit dem Wort 
CICERONE" in seiner R. Die herabgelassene L. hält den Dreimaster. Bis auf die zerrissenen 
braunen Strümpfe ist er ganz schwarz angezogen. | 

Wie Nr. I$ 
Wie Nr, 15 : Pl. 392: 257 


I9 Carlo Er steht, scheinbar blind, im Profil nach 1., und hält mit beiden Händen den Stock 
an dem ein Becher mit „CARLO“ gebunden ist, worin r. auch eine Münze liegt. Er trägt Haube, 
langen braunen Rock, blaue W'este und Hose, usw. und sein groBer schwarzer Schiapphut liegt am 
Boden 1. | 

Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 : PL 390 : 260 ^ 


20 Bambino Giorgio Er steht von vorn gesehen, geradeaus schauend, mit einem Sack 
über der L Schulter, auf dem man „Babö Giorgio“ liest. Am 1, Arm bängt ihm ein Korb, die R. 
hilt er an die Wange; sein Dreimaster mit Kokarde ist schwarz, sein langer Rock und die Weste 
blau, die Hose rot, die Schürze schwarz, usw. 
Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 ; Pl. 392:262 
21 Niccole Er steht von vorn, die L. berabgelassen, die R. zum Mund geführt, in mäch- 
tigem schwarzem Dreimaster, grünem Rock, blauer Weste, schwarzer Kniehose, brauner Lederschürse, 
blauen Strümpfen, usw. Unten r. auf einem Stein steht „NICCOLE“, 
Wie Nr. 15 


Wie Nr. 15 ; Pl. 388: 255 
62 


22 Basana Eine fette Pilgerin sitzt nach r., den Blick auf ' uns gerichtet, mit Stab und 
Chisntiflasche binter sich, den Rosenkranz in den Händen, ein schwarzes Tuch mit blauer Schleife 
auf dem Kopf, Blumen an der Brust, braunem Kleid, weiBer Schürze, strumpflos und mit schwarzen. 
ldcbrigen Schuhen. Das Gesicht sieht wie das eines Mannes aus. Auf einem Stein L steht „BASANA“ 


Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 ; Pl. 394: 260 


23 Calabria Der nach r. stehende Mann hält in seiner L. ein Flugblatt mit einem Pelikan 
und der Schrift CALABRIA“, an seinem r. Arm einen Korb mit Rosenkränzen, Fiugblätiern, usw. 
Er trágt schwarzen Dreimaster und Rock, blaue offene Weste, rote Kniehose, usw. | 

Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 ; 394: 260 


94 Pierannizzi Der nach r. stehende, uns anblickende Mann, bält in seiner L. eine Hane- 
wurst-Puppe, wührend vor ihm ein Hund mit Haube Männchen macht. Einen zweiten Hund tršgt 
er in seiner gelben Schürze auf der „PIERANNIZZI“ steht. Hut und Rock sind zerlumpt und schwarz, 
die Hose blau: er ist strumpflos. 


Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 ; PL 397: 261 


25 Domenico Bartolini Ein nach r. stebender, uns unter seinem Dreimaster anlšcheln- 
der Mann, ruht seine Tastenzither auf ein Gestell, das die Schrift „DOMENICO BARTOLINI" trigt 
Er spielt mit beiden Händen und trägt blauen Rock und Kniehose, weiße Weste, usw. Hier, etwas 
mehr Landschaft im Hintergrund. 


Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 ; Pl. 394: 260 


.26 La Signora Maddalena Sie steht etwas nach 1. die Hände über den Leib gekreust, 
in wei3er Haube mit Blimen uni bantsn Bindern, schwirzem Brusttu:h. blausm К eid, weißer, zor- 
rissenen Schürze. Auf einem Stein vorn 1. steht: „LA SIG:ra MADDALENA“. Hier, wieder etwas 
mebr Landschaft im Hintergrund. 


Wie Nr. 15 
Wie Nr. 15 Pl. 397: 260 


Die Originalaquarelle, angeblich, befanden sich im Besitz des Herrn Tenente Corrado Nobili su 
Florenz, der sie am 2. Mai 1903 zum Kauf anbot. 


FarbendruckAusst. Leipzig 1902 (Nr. 173-4 = unsre Nrn. 20 und 24, Dresdener Drucke) 


Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, 19 Juni r900 um 54 Mk. an Herrn Tilge in Berlin); Verst. 
Gutekunst (Stuttgart, 16 Mal 1904, Nr. 827, volls indige Reihe um 390 Mk. zurückgekauft) ; Verst. 
Pettenegg (Wien 1go6, Nr. 1366 Basana und Maddalena um 15 Kr., Nr. 1367, Giorgio, Bartolin. 
und Niccolo um aa Kr.); Libreria Mascelli (Florenz, 18. Il. 1909, Giorgio, schöner Druck, im Papier 
susgebessert, um 10 lire) 

Dresden (Cicerone, Basana, Pierannizzi, Bartolini, Calabria und Giorgio, schöne Drucke um 75 Mk. 
auf der Verst. Qutekunst, 20. Mai 1901 Stuttgart) Dresden, Smig. Prof. H. Brockhaus (Maddalena 
und Niccolai); Florenz; Florenz, Smlg. C. Nobili (mit hdschr. Titel und Bezeichnungen ,XII ritratti 
di persone eccentriche del volgo florentino. Veduti in disegni originali, coloriti del Lasinio, 1 Claudi 
2 I] Cicerone 3 Il fioraro dal mondo novo 4 Erilo calzolaro dalla porta Romana 5 La Bazana 6 Il 
Creco dal Saltero 7 Papa Giorgio Cenciainolo 8 Vende ostriche ossia Bastone 9 Carlo то Siga. 
Maddalena dalla porta Romana 11 Pierannuzzi do il Bucatinaro 12 Vende Santi el Storie) 


27—37 Die Toskanischen Volkstrachten. 

Der Titel zeigt eine Umrahmung von Wein und Getreide um die Schrift „I Contadini / Della 
Toscana | Espressi Al Naturale | Secondo Le Diverse | Loro Vestiture | In Sessanta Stampe | a 
Colori | Firenze l'An: 1796 | presso Gius: Bardi in via Maggio Firenze. | Con privilegio di S.A.R.“ 
Darunter tanzen sieben Personen, 

Bez. unten 1. ,Lasinio Trevisano F.“ und r. „Giarre scris.“ 


Rad. und gestochen, einfarbig: Pl. rd. 340:240 


Von den sechzig Tafeln sind die ersten elf von Lasinio. Sie sind Einplattendrucke, meist nur 
wenig farbig eingerieben und gewöhnlich stark ausgemalt. Sie sind punktiert mit Stricharbeit und 
td, 340:240 die Darstellungen rd. 245:185 groß. Alle sind bezeichnet „Ant. Bicci del. Gius. Vardi 
innpresse С. Lasinio inc.“ (nur Blatt 1 trägt „Gaet.“ statt ,Ant.“), darunter jeweils der Titel, und 
dmrunter ,presso Gius. Bardi in via Maggio Firenze | Con Real Privilegio." sowie unten r. die Nummer. 


27 1 „Abito Delle Contade: Del Piano Di Ripoli / Nei contorni di Firenze“. Zwei Frauen, 
jene r. mit Strohhut und Blumenkórbchen in ihrer 1. Hand. 


. 28 a ,Abito De Contadini Sposi | Nei Contorni di Firenze". Die Braut 1; der Brüutigam in 
der Mitte reicht seine L. einem kleinen Mädchen т. 


29 3 „Abito: De Contadni: Giovani Del Piano Di Ripoll: Nei contorni di Firenze" Ein kleiner 
Knabe L, hinter einem Mädchen i, d. M., das Blumen nimmt a. d. Korb den ihr ein Mann r. anbietet. 


30 4 ,Abito Degli Ortolani Di Legnaja | Nei contorni di Firenze" Eine Marktfrau sitzt r. und 
hšlt einen topé desgl. tut stehender Mann, der ferner etwas aus dem Korb eines Knaben r. nimmt, 


31 5 ,Abito Delle Donne Tessitore | .... | de contorni di Firenze" Ein Knabe 1., seine Mutter 
r. und swischen beiden hinten eine Dienstmagd: beide halten cinen Wollstrang. 


32 6 ,Abito Delle Contadine del Galluzco: | nei contorni di Firenze" Ein Knabe hilt seine 
Schürze mit der L. und wird von seiner Mutter nacb 1. geführt. 


33 7 ,Abito Delle Contadine Ragazze | nei contorni di Firenze“ Ein Knabe wird von einer 
Frau nach r. geführt: sie hält ihre R. unter die Schürze, 


34 8 ,Abito Dei Contadini Del Poggio A Cajano | nei contorni di Firenze“ Eine Frau mit 
Geflügel 1,; r. sitzt ein Mann auf einem Stein und hat die Chlantiflasche neben sich. 


35 9 ,Abito Del Pecorajo Della Montagna / di Pistoja^ Ein Hirt schreitet nach L; vor ihm 
ein kleiner Hund; r. ein Schaf. 


36 ro „Abito Dei Contadini Di Casale / Nel Pistojese^ Eine Frau L mit einer Betschwester 
an der R.: r. ein Mann vom Rücken gesehen, der nach einem Gebäude r. weist. 


37 11 „Abito Dei Giovani Sposi | Nel Contado Pisano" Eine sitzende Frau J.; ein Mann steht 
am Tisch т. und hilt einen Stab in seiner L.: 1. ein Fenster. | 


Die anderen Tafeln sind von Q. Canacci, Cavini, G. B. Cecchi, Mugnon, Gius. Pera, Ant. Scoffo, 
Qaet. und Pietro Zancon gestochen. 


Helbing (München, in seinem Anzeiger Nr. 14, S. 7 Nr. 48 bot ein Ex. mit nur 56 Blatt um 
500 Mk. aus); Hiersemann (Leipzig, ein Exemplar mit nur 49 Blatt am 7. Des. 1900 um 150 Mk. - 
ausgeboten) 


38—423 Die Folge der Selbstbildnisse 


Ein Exemplar mit gedrucktem Titelblatt oder mit Text ist mir nicht unter die Hand gekommen. 
Mir sind die nachstehend alphabetisch aufgezüblten Bildnisse bekannt. Das sind lange nicht alle die 
z. B. der franzós. Katalog der Uffizi von 1869 anführt; dagegen fehlen in diesem Katalog sehr viele, 
namentlich neuere Italiener, die bei Lasinio vorkommen. 


Nicht alle Platten sind beschriftet und noch weniger bezeichnet. Die Bezeichnung, oft auf beson- 
derer (angelegter oder angeschweiBter) Schriftplatte, wenn vorhanden, siebt ungeführ so aus: 


-Lasinio Veneziano del: e inc. Labrelis impres: 
FRANCES SOLIMENA 
No. an: 1657 Mo. an: 1747 
Es gibt aber auch kürzere Bezeichnungen, z. B. nur mit dem Mgrm, ,CL“ im Unterrand. 


Von den Bildnissen die in meiner Liste mit einem * verseben sind kenne ich Drucke mit der Be- 
zeichnung. In der folgenden alphabetischen Liste sind alle Bildnisse aufgefübrt, die mir unter die 
Hand gekommen sind. Da es sich vielfach um nur handschriftlich betitelte Exemplare handelt, mag 
es vorkommen, daß einige der Namen die ich angebe nicht stimmen, denn ich hatte nie die vielen 
fraglichen Exemplare zusammen bei der Hand zum Vergleich, 


Diese, nach meinen Ermittelungen, 388 Bildnisse stellen an sich schon eine merkwürdige und be- 
achtliche Leistung dar. 


Einzelblütter der „Ritratti“ kommen häufig vor. Auf der Verst. Gutekunst vom 23. Арг. 1894 gingen 
sieben Stück um zwei Mark (!) an Lauser: ich selbst kaufte 1903 44 Stück um 26,35 Mk. in Florens. 
Andrerseits kam der Fil. d'Angelis auf der Verst. Gutekunst in Stuttgart vom 15 Mai 1896 Nr. 356 
auf 30 Mk. In der Smig. Dr. Cornelius Loewe in Berlin befinden sich 36 Stück schöne Drucke; in 
der Smlg. Marrs zu Boston 28, in Dresden 56, in Hamburg 2, in Braunschweig (aus der Vasel 
Smig) 5; usw. Interessant sind aber eigentlich erst die großen Folgen. 


Drei größere Exemplare sind mir bekannt. 


Dasjenige in London ist in drei Binden gebunden und birgt 246 (108, 69 und 69) ausgezeichnete, 
fast gänzlich gedruckte Bildnisse. Es wurde 1879 erworben und hat einen hds. Titel: „Rittratti De’ 
Pittori | Esistenti / Nella Reale Galleria Di Firenze | Disposti per Scuole, e Cronologicamente per Età. | 
Divisi in Tre Tomi. / I. Fiorentina, o Toscana. | II. Veneziana. | Romana, e Napoletana. | Lombarda, 
e Bolognese. | III. Genovese, e Turinese. | Francese, e Spagnuola. | Inglese, e Ginevrina. | Tedesca, 
Olandese, e Fiamminga. | — | Ogni Pictore espresse se stesso col/proprio Pennello. | — | Venezia | 
M DCC LXXXIX. 


64 


Am 4. Mai 1905 bot Hiersemann-Leipzig ein Exemplar um 225 Mk. aus, das 172 Bildnisse umfañtte 
Es waren sämtlich Drucke von der Zeichnungsplatte in einer (meist bräunlichen) Farbe und bis au. 
eine Ausnahme mit nur geschriebenen, nicht gestochenen Titeln. In manchen Fillen mag die Platte 

eingerieben gewesen sein, und alle Bilder waren ausgemalt. Das W. war Schild mit Gori 
Livini E Compagni. Die Bildnisse waren hds. numeriert und betitelt: sonst kein Text. 


Auf der Verst. Theobald (Stuttgart, Gutekunst 12 Mai 1910 um 1950 Mk. an Halle verkauft, der 
es kurz vor Ausbruch des Kriegs nach París weiter verkaufte) erschien ein gans hervorragendes Exem- 
plar in drei Bänden mit 350 (120, 133 und 97) Blatt, (Nr. 4 des ersten Bandes fehlte, Bazzi als Razzi- 
Sodoma erscheint zweimal im aten Bd.); bei Nr. 26 „F. Benedetto de Greus stand „l'originale e fatto 
a penna“). Der geschriebene Titel lautete: „Raccolta | Di 350 Ritratti Di | Pittori | Incisi da Carlo 
Lasinio Veneziano, | Divisi in tre Volumi, | De’ quali i due primi contengono і | Pittori Italiani, | 
П terso gli Stranieri. | Volume 1%, | Ritratti No. 120" (3 == No. 133: 3 == No. 97). Aus dem „Aver- 
timento“ geht hervor дай die hdechr. Titel aus, Orlandi, Zani und Lansi gezogen sind. ,Questa serie 
di Ritratti rappresenta | la preziosa raccolta dei Ritratti di Pittori, che / si sono da se stessi dipinti, 
e che si conser-/vano nella Duchale Galleria di Firenze", 


38 Agar, Jacques d' 85 *Bimbi, Bartolommeo 133 *Chiavistelli, Jac. 

39 Aikman, William 86 *Biszelli, Giovanni 134 *Chimenti, J. da Empoli 

40 Albano, Francesco 87 Bloemaert, Abraham 135 Ciabelit, G. 

41 *Alberti, Cherubino 88 Boccaccini, Camillo 136 *Cignani, Cario 

43 *Alberti, Giovanni (Bucacci) 137 Cinque, Giovanni 

43 Aldovrandini, Tom. 8g Bocciardi, Clemente 138 Ciocchi, Q. M. 

44 Allori, Alessandro до Bol, Ferdinand 139 Colonna, Michelangelo 

45 * „  Cristofano 91 Bombelli, Sebast. 140 Commodi, Andrea 

46 *Aloisi, B. Galanino 92 *Borgianni, Orazio 141 *Conca, Sebast. 

47 Amerighi,M.A.Caravaggio оз *Boscoli, Andrea 142 Contarini, Giovanni 

48 Amerling, Friedr. 94 *Bottani, Giuseppe I43 Conti, Francesco 

49 Angeli, A. del Sarto 95 *Botti, F. 144 Coppi, Giacomo 

50 *Angelis, Filippo de 96 Botti-Scifone, Ida 145 Corvi, Domenico 

sx Anguisciola, Sofonisba 97 Bouchardon, Edmond 146 Courtois, J. Borgognone 

ss Antonie, Kurf. von Bayern 98 Brun, Charles Le 147 Coypel, Antoine 
(Bavièra) 99 *Buonaccorsi, Perino del 148 Crespi, Daniele 

53 Aretusi, Cesare Vaga 149 » Giuseppe M. 

54 Arlaud, Jacques A, roo *Buonarotti, Michelangelo 150 *Cresti, Domenico Passi 

55 Baccherelli, V. ror Buoncore, G. B. gnano 

56 *Bagnoli, Giov. B. 102 *Buontalenti, Bernard 151 *Curradi, Francesco 

57 Bakker, Frans de 103 Burino, Antonio 153 *Dagoty, E. Gautier 

58 *Balasei, Mario 104 Caccianemici, Franc. 153 *Dandini, P. 

59 Baldacci, Maria M. 105 Caccianiga, F. 154 Dansig, Salomon von 

60 Baldrighi, Giuseppe 106 Caccioli, Giuseppe 155 Dolci, Carlo 

61 Balestra, Antonio 107 Cairo, Francesco 156 *Dosai, Dosso 

62 Bambini, Pompeo 108 Calcar, Johann von 137 Dou, Gerard 

63 *Bandinelli, Baccio 109 Caliari, Paolo Veronese 158 Douwen, Jan Frans 

64 Barbarelli, Giorgione 110 Callot, Jacques 159 Duchamp, Jean Camps 

65 *Barbatelli, Bern. Poccetti 111 Cambiaso, Luca · (Campino) 

66 Barbieri, G. F. Guercino 113 Campagna, G. D. 160 Duerer, Albrecht 

67 Baroccio, Ambrogio 113 Campana, J. J. (F.) 161 Duflos, Philothée (De Flos) 

68 š Federigo 114 Campiglia, Giov. D. 162 Dijck, Anthonis van 

69 Batoni, Pompeo 115 Campi, Galeazzo 163 Eisheimer, Adam 

70 *Bazzi, G. A. Sodoma 116 Carracci, Agostino 164 Facini, Pietro 

31 *Beccafumi, Dom. Meche- 117 „ Annibale 165 Faes, Pieter v. d. Lely 
tino 118 = Antonio ı66 Fanti, Vincenzio 

72 *Beccalini, G. 119 „ Francesco 167 Favray, Antoine 

73 Bel, Jean Le 120 * „ Lodovico 168 Feltre, Morto da 

74 Bellini, Giovanni 121 * Cardi, Lod. Cigoli 169 Ferrabosco, Gir. Fora- 

75 Bellotti, Pietro 122 Carriera, Rosalba boschi ` 

76 Bellucci, Antonio 123 Casini, Giovanni 170 Ferrari, Luca 

77 Bemmel, Julius 124 Cassana, Giov. Agost. 171 Ferretti, Giov. Dom. 

78 *Benefiali, Marco 125 Е „ Franc. 172 *Ferri, Ciro 

79 Benwell, Maria 126 s Nicoolo 173* „ Gesualdo 

80 Berkbeijden, Job Brecken- 127 Casserotti, Violante 174 Fontana, Lavinia 
berg 128 Castiglione, Benedet. 175 *Franceschini, B. Volter- 

81 *Bernini, Giov. Loren. 129 Cavedone, Jacopo rano 

83 *Berrettini,PietrodaCortona 130 Cerrotti, Viol. Siries 176 Franceschini, Marcantonio 

83 Bertini, Ant. Seb. 131 *Cesari, G. d'Arpino 177 *Franchi, Antonio 

84 *Bettini, S. 132 *Chiari, Giuseppe 178 Franck, Frens F. 


Monatshefte für Kanstwissenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft 2/3 3 655 


179 Fratellini, Giovanni Mar- 
mocchini Cortesi 

180 *Furini, Francesco 

181 Gabbiani, Ant. Dom. 

182 * G. A. 

183 Gallantini, F. Ippolito 

184 *Galeotti, S. 

185 Galletti, Fil. Maria 

186 Gambacciani, Francesco 

187 Gaulli, G. B. Baciccio 

188 Gennari, Benedetto 

188a а Севаге 

189 *Gherardini, Alessandro 

18да m Tommaso 

190 *Ghezzi, Pier Leone 

191 Gianuzzi, Giulio Romano 

192 *Giordano, Luca 

193 Glain, Pasquale do 

194 Grati, G. B. 

195 Greys, F. Benedetto de 

196 Grisoni, G. 

197 Guidi, Tom. Masaccio 

198 Guttenbrunn, L. 

199 Hastner, Hieronymus 

200 Hesse, Ferdinand 

201 Hickels, Joseph 

202 Hoare, Prince 

303 Hodan, Q. 

204 Holbein, Hans 

205 Honthorst, Gerard 

206 Jacobsz, Luc, v. Leiden 

207 Jordaens, Jacob 

208 Kauffmann, Angelika 

209 Klockner, David 

210 Kneller, Godfrey 

211 Koningh, Philips 

212 Kranacb, Lukas 

213 Laer, P. de Bamboccio 

314 Lairesse, Gerard 

215 Lanfranco, Giovanni 

216 ®Lapi Niccolo 

217 Largilliére, Nicholas 

218 Legnani, Stefano M. 

219 


221 Ligozzi, Jacopo 

222 Liotard, J. Etienne 

223 “Lippi, Lorenzo 

224 Longhi, Pietro 

aas Lopez, Christobsl 

226 Loth, Karl 

227 Luti, Benedetto 

228 *Macpherson, Joseph 

229 Maganza, Giov. B. 

230 *Manetd, Rutilio 

331 *Manussi, Giov. Da San 
Giovanni 

Manzuoli, Tom. Da San 
Friano 

233 Maratti, Carlo 

234 Mari, Giuseppe 

235 *Marinari, Onorio 

236 Maron, Anton 

337 Marteau, Franc, 

238 Martinoti, Jacopo 

239 *Marucelli, Giov. St. 

240 *Mazzanti, Giov. 


233 


Leisman, Joh. Anton Cousin 
220 *Licinio, G. A.daPordenone 


241 *Maszanti, Lodovico 

243 *Mazzucchelli, Pier F. Mo- 
razzone 

243 Mazzuoli, Franc. Parme- 
gisno 

244 *Medici, Pietro 

245 Medina, Giov. Batt. 

246 Mengs, Ant. Raphael 

(Meusnier) 

Messini, Ferd. 

Metsu, Gabriel 

Metsijs, Quentin 

Meucci, Vincenzo Ы 

Meus, Livius 

Meijtens, Maerten A. 

Miel, Jan 

Mieris, Frans van 

Milani, Aurelio 

Mola, P. Francesco 

Molijn, P. Mulieribus 

(Tempesta) 

258 Мопагі, Cristofano 

259 *Monetti, N. 

260 Montano, Giuseppe 

261 Monti, Francesco 

262 Moor, Antoon 

263 Karel de 

264 *Morandi, Giov. Maria 

265 More, James 

266 Moro, Lorenzo del 

267 *Moroni, Giov. Batt. 

268 Murray, Thomas 

269 Musscher, Michiel 

270 Nanteuil, Robert 

271 *Nasini, D. Antonio 

272 „ S. N. 

273 Natoire, Charles 

274 *Nebbia, Cesare 

275 *Niasini, C. G. 

276 Northcote, James 

277 *Nuzzi, Mario 

278 *Pagani, Gregorio 

279 *Paggi, Giov. Batt. 

280 *Pagholo, Fra Bartolom- 
meo 

28: Paglia, Francesco 

2823 *Paladini, Arcangela 

283 *Palma, Jacopo d. J. 

284 Panfi, Romolo 

285 *Paolini, Pietro 

286 Pareya, Giovanni da 

287 Parodi, Domenico 

288 *Passeri, Giuseppe 

28g Passerotti, Bartolommeo 

290 » Tiburzio 

291 » Ventura 

292 Pazzi, Antonio 

293 Pellegrini, Antonio 

294 Pencz, Georg 

295 Pendelli, G. 

296 *Pertichi, P. 

297 "Petrazzi, Astolfo 

298 Petrucci, F. 

299 Piattoli, Anna 

goo š Qaetano 

301 Piella, F. 

soa *Pignoni, Simone 


247 
248 
249 
250 
251 
252 
253 
254 
255 
256 
357 


303 
304 
305 


306 
307 
308 
309 
310 
311 
312 
313 
314 
315 
316 
317 
318 


319 
320 
331 
322 
323 
324 


325 
326 


327 


329 
330 
33% 
333 
333 
334 
335 


* 


Pinacci, Q. 

Pittoni, Qiov. Batt. 

Plattenberghe, Mat., Platte- 
Montagne 

Poerson, Charles de 

Ponte, F. da Bassano 


» J. ” n 

n * وو‎ n 
Pourbus, Frans 
Pozzi, P. Andrea 


Preissler, Joh. J. 


*Preti, Mattia 


Preziado, Francesco 


*Primaticcio, Franc. 


Quadal, Marin F. 

Quilliard, P. 

Ramenghi, Bart. 
Bagnacavallo 


*Redi, Tommaso 


Rendelli, G. 
Reni, Guido 


*Resani, Arcangelo 


Reynolds, Joshua ` 
Ribera, Giuseppe 
Spagnoletto 
Ricci, Sebastiano 
Riccio, D. Brusasorci 


*Ricciolini, Michelangelo 
328 * 


n Niccolo 
Ridolfi, Claudie 


Rigaud, Hyacinthe 
*Riminaldi, Orazio 


Riviera, Francesco 


*Robusti, Domenico 


Marietta 


*Roncagli, Cristofano 


336 *Rosa, Salvatore 


337 
338 
339 
349 
341 
343 
343 
344 
345 
346 
847 
348 
349 
359 
351 
353 
353 
354 
355 
356 
357 
358 
359 
360 
361 
362 
363 
364 
365 


Roslin, Alexander 
Rosselli, Matteo 
Rossi, Alessandro 
Antonio 
„ F. Salviati 
Rotari, Pietro 


*Rubens, Pieter P. 


Rijn, Rembrandt H. van 
Sagrestani, Giov. C. 
Salimbeni, Ventura 

Salvi, G. Sassoferrata 
Sandraert, Joachim 


*Santi, Raffaello 


Scacciati, Andrea 
Schaicken, Gotfried 


*Schiavone, Andrea 


Schoonjans, Antoon 
Schwartz, Christoph 


Scorza, Sinibaldo 


Segala, Giovanni 
Seghers, Gerard 

Sevin, Claude A. 
Seybolt, Christian 
Simonini, Francesco 
Siranl, Qiov. B. Andrea 
Soderini, F. 

Sole, Giuseppe del 


*Solimena, Francesco 


Sorbi, Giovanni 


366 *Sorri, Pietro 


367 Spada, Leonello 387 *Trevisani, Francesco ` 406 *Vignali, Jacopo Casentino 


368 Sparvier, Pierre 388 Troy, F. de 407 *Vinci, Leonardo da 
369 “Speranza, Giovanni В. 389 „ Jean F. de 408 Visa, Sebastiano da 
370 Spinelli, Chiara 390 *Vanderbrach, Niklaer 409 Visentini, P. A. 

371 Spranger, Bartholomaeus 391 Vanderhelst, Barthol. 410 "Vivien, Joseph 

372 *Stefaneschi, F. Giov. B. 392 Vanderneer, Aernout 411 *Vlivelli (sic), Cosimo 
373 Storer, Christoph 393 Vanderwerff, Adriaen 412 Voet, Ferdinand ' 
374 Sustermans, Justus 394 Vanerton, Franc. 413 Vos, Maerten de 

375 Taruff, Emilio 395 Vanni, Franc. 414 Vouet, Simon 

376 Tavarone, Lazzaro 396 *Vannini, Ottavio 415 Vump (sic), Jan 

377 Terburg, Christoph (sic) 397 Vannucci, P. Perugino 416 Webrlein, Wenzel 
378 *Terzi, C. 398 Varotari, Chiara 417 Werthmiller, G. B. 
379 *Testa, Pietro | 399 Vasari, Giorgio 418 Wulky, Michael 

380 Tiarini, Alessandro 400 *Vassilacchi, Antonio 419 Zampieri, Domen. Domeni- 
381 Tibaldi, Pelleg. Pellegrini 401 Vecelli, Tiziano chino 

382 *Titi, Tiberio 402 "Velazquez, Diego 420 Zanchi, Antonio 

383 "Tito, Santo di 403 Venesiano, Antonio 421 Zoffany, John 

384 Torelli, Felice 404 Veracini, Agostino 422 *Zuccaro, Federigo 
385 š Lucia 405 = Benedetto 4233 * „ Taddeo 


386 Trevisani, Angelo 


II Die Einzelblätter 


424 Die Beweinung Christi nach dem Gemälde von Andrea d'Angeli, jetzt in 
der Pitti Galerie Nr. 58 

Es ist die bekannte Darstellung in der Christus, nach r. sitzend, gestütst wird. Auf dem Hügel 
vorn 1. sieht man zwei Bäume, auf jenem hinten r. vor einer Bergkuppe ein Kastell, Johannis Rock 
ist blau, sein Mantel rot, Mariae Kleid rot, Überwurf und Haube weiß: Magdalena ist grünlich weiß 
und rosa wei8, Petrus gelb, Paulus wei6 mit rotem Mantel gekleidet. Unten in der Mitte steht ein 
Hostiengefäß,. 

Bez. (wohl auf besonderer Platte?) 

Von den vier geschabten Farbenplatten: B. 490: 493 

Auch gestochen von Forster, G. Marri und Pauquet, 

Verst. Per! (Berlin, ar Febr. 1910 Nr. 1616 sehr bemalt, leidlich erhalten, W. == Gori Livini « 
Compagni, im Unterrand steht in Tinte „Andrea del Sarto pinxit, esiste dans La royalle Gallerie de 
florence Desente du Croix Lasinio incise Labrelis imp") 


Dresden (1904 um 33 Mk. von Breslauer und Meyer in Berlin erworben: stark übermalt und flau) 


425 Johannes der Täufer nach dem Gemälde von Ann. Carracci im Pal. Corsini 
zu Florenz 


Der Heilige steht von vorn gesehen, nackt bis auf Laub und Schafpelz um die Lenden, und stützt 
sich mit der erbobenen L. auf seinen Stab. Die R. weist auf den Jordan, der nach der Ecke vorn r. 
fließt: ebenda ruht am Boden das Lamm. Auf einem Felsen 1. liegt die Schöpfkelle. Auf besonderer 
Platte (53: 373) unten steht: 

Annibale Caraci fece: esiste nel Palazo Corsini di Firenze C:de Lasinio del: e incize l'an: 

f 1784. Labrelis impresce. 
"E S. GIOVANNL | 
Dedicato А == Š = Ec = Il Principe Don Lorenzo Corsini Gran Prior di Pisa, Magior Dome 
2 di S == А =— R == Іа Gran Duchesa di Toscana: ес == OC mu OC w 
i E Lasinio D: D: D... 


Bez. wie angegeben. Hr 


Von den vier Farben-Schab (und Roulette) Platten: ohne Linien: Pl. und B. 498: 397 

Verst. Chramosta (Wawra, Wien, 18. Apr. 1904 Nr. 440, aufgezogen und gerahmt) 

Braunschweig (bemalt: aus der Smig. Vasel, Kat. Nr. 3313 der es von Prihi (?) in Berlin er, 
warb); Wien (bemalt) 

426 Der hl. Markus nach dem Gemälde von Bartolomeo Pagholo, jetzt in der 
Pitti Smlg. zu Florenz, Nr. 125 


Der Heilige sitzt in einer steinernen Nische, mit der Concha oben, nach 1. den Kopf aber nach r. 
zurückgewandt und hält ein Buch aufrecht auf seinem r. Knie mit beiden Händen, während in der R. 
sich noch ein Gänsekiel befindet. Er trägt ein blaues Gewand und roten Mantel: am seinen Kopf ein 
Reif als Heiligenschein. Oben 1. steht: „Lasinio del, e incise“ r. ,Labrelis imprese“ und auf der 


MEME | 67 


Steinstufe unter dem Heiligen, ,S== MARCUS EVF“, endlich auf dem Steinsims ganz unten, F: Bar- 
tolome della Porta dipe — esiste nel Regio Palazo Pitti di Firenze =“ 


Bez. wie angegeben 
Von (mindestens) vier Farbenschabplatten; wenig Linienarbeit: B. 508: 393 
In Lafenestre & Richtenbergers „Florence“ wird das Blatt irrtümlich dem J. P. Lasinio zugeschrieben. 


Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 32. Mai 1911 Nr. 1204 um 85 Mk. an Soelke, in meinem Lanna 
Kat. Nr. 8480 des IL Bdes.; schöner, ganz leicht bemalter Druck: W = große Kartusche mit Gori 
Livini /E/ Compagni) 

Dresden (um 13,10 Mk. von Breslauer & Meyer in Berlin 1904) 


London (gutes, etwas bemaltes Exemplar, erworben auf der 51. Gutekunst Verst. Stuttgart, 
х. Mai 1899 Nr. 504 durch Colnaghis um 1s Guineen. W = wie das Lanna Ex.); Wien (um 140 Kr. 
auf der Verst. Falkenhain erworben; W = dasselbe) 


427 Die Sibylla Samia nach dem Gemälde von G. F. Barbieri in den Uffizi 
zu Florenz Nr. 1114 | 


Sie steht dreiviertel nach r. gerichtet, mit dem Kopf nach 1. zurückgewandt und schaut zum Himmel 
hinauf, Beide Hinde ruhen auf einem offenen Buch, das auf einem Piedestal r. liegt. Auf dessen 
1, Seite liest man ,SALVA CASTA | SYON PERMVL | TAQVE PASSA | PVELLA: | SYBILA 
SAMIA"; auf der r. Seite „Guercino da Cento | inv = e. dip= | esiste nella R== / Galleria di 
Firenze | n | Lasinio fec— Labrelis imp—“. Sie ist als Hüftfigur dargestellt, trägt einen grünen 
Turban, Perlen im braunen Haar, ein rotes Kleid mit blauem Futter und einen gelben Mantel. Auf 
einem Tisch I. liegen ein Buch, Tintenfaß und Gänsekiel. 

Bes. wie angegeben 

Von den vier (?) Farben-Schabplatten (alle mir bekannten Drucke sind besonders stark bemalt): 
B. 496:405 

I Vor der Schrift 
II mit der Schrift 

Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22 Mai 1911 Nr.1203, um 140 Mk. an die Lanna Erben; in meinem 
Lanna Kat Bd.II Nr.8481; stark bemalt W. = Wappen mit GL / C (= Gori, Livini e Compagni); 
Vorst. Hollstein-Puppel (Berlin, 16 Apr. 1913 Nr. 851); Verst. Gutekunst (Prestel, Frkft. a/ M. 
5 Juni 1916 Nr. 4231 um 200 Mk., zuvor in der Verst. Theobald, bei Gutekunst in Stuttgart, 12. Mai 
1910 Nr. 397, W. Gori Livini e Compagni, die Schrift mit Tinte = „SALVE CASTA | SYON 
PERMVL | TOQVE PASSA | PVELLA | SVBYLA SAMIA“ und r. ,Guercino da / Cento in:e | 
dipin : esiste | nella R. Gal:/leria di Firenze | Lasinio incise“, und auf dem Buch 1. unter dem Tinten- 
glas ,Labrelis imp.“: reichlich, aber gut bemalt, um 190 Mk. an Muller-Amsterdam) 


Berlin (vor der Schrift; bemalt; W. == „Colle in Toscana", um 333 Mk. auf der Verst, Dietze, 
bel Ameler & Ruthardt, Berlin, 30 Jan. 1892, Nr. 87a erworben) 


428 Die Madonna del Sacco nach dem Gemälde von Andrea d'Angeli in der 
Annunziata zu Florenz 

Die Farben des Originals sind im allgemeinen wiedergegeben, aber es ist ein Rundbild aus der 
Darstellung (auf viereckiger Platte) gemacht worden, indem oben r. und 1. von den Pfeilern etwas 
abgenommen, und unten zugesetzt wurde. Der Bogen oben ist hinaufgerückt worden und verschwindet 
r. und 1. ohne Schluß. Unten 1, auf dem Sockel steht: „Andrea del Sarto fece.esiste nel Chiostro 
della SS. Nunciata di Firenze“ und r. ,Lasinio del:e incise a colori . . Labrelis impresse" 

Bez, wie angegeben 

Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: Pl. 503:496 B. Durchmesser 493 

Verst. Amsler € Ruthardt Berlin, 36 Apr. 1910 Nr. 837 um 510 Mk); Verst. O. v. z. Mühlen 
(Berlin, Amsier 4 Ruthardt, 35. Mai 1914 Nr 1595 um 100 Mk., mäßiger, rund ausgeschnittener, ziem- 
lich bemalter Druck, auf grobes Papier aufgezogen auf dem unten in vergilbter Tinte steht ,La Ma- 
donna del Sacco | А.еа del Sarto:in e dip: a Fresco nel chiostro della SS. Nonziata di Firenze Carlo 
Lasinio incíse a Colori in Firenze. Labrelis impresse.") | 

Braunschweig (aus der Smig. Vasel, Nr. 3314 in dessen Katalog, der es von Prihl () in Berlin 
erworben hatte); Dresden (guter, rund ausgeschnittener Druck, wenig bemalt und früher auf Lein- 
wand gezogen, W. == Wappen mit Gori, Livini E Compagni, erworben um 270 Mk. auf der Ver- 
steigerung Amsler & Ruthardt, Berlin, Juni 1902 Nr. 639 c) 


429 Madonna mit dem Kind in der Nische nach einem dem Leonardo da Vinci 


zugeschriebenen Gemülde, jetzt in ? | 


Maria sitst in ganzer Figur, von vorn gesehen, auf einer Steinbank in einer Nische die einen 
doppelten Bogen aufweist: r. verbindet ein Mauerteil die zwei Bögen. Maria trägt ein blaues Kleid 
und einen ebensolchen, violett gefütterten Mantel, den sie über den Kopf geschlagen hat. Ihr Unter- 


68 


kleid ist rot, das Hemd weiß. Sie hält das gans nackte Christuskind auf ihrem 1. Arm: es greift mit 
beiden Hinden nach der Mutter 1. Brust, die durch einen Schlitz des Kleides, der oben geneatelt ist, 
durchdringt. Beide blicken den Beschauer an und haben Heiligenscheine. 

Bes. (auf besonderer Platte unten ?) 

Von den vier geschabten Farbenplatten: Pi. rd. 495: 385 

Verst. Halle (München, 15 Juni 1909 Nr. 408, um 120 Mk.; dann Verst. Halle, München, 25 Apr. 
тїї Nr.439 um 80 Mk., gutes, stark bemaltes Exemplar ohne Rd. und Schriftplatte, voll aufgezogen, 
an den Rindern leicht beschšdigt; unten steht mit Tinte ,Leonardo da Vinci inv: e dip: esiste nella 
R. Galleria di Firenze Lasinjo incise. Labrelis impresse." was wohl ziemlich genau dem Wortlaut 
auf der etwaigen Schriftplatte entsprechen wird) 

430 Tanz der Musen mit Apoll nach dem Gemälde des Giulio P. dei Gianuzzi, 
jetzt in der Pitti Smig. zu Florenz Nr. 167 

Fünf Musen hüpfen 1., vier r., Apollo ist etwas r. von der Mitte, von vorn gesehen, bat Köcher 
mit Pfeil und Bogen und trágt Lorbeer auf dem Haupt. Der Hintergrund ist eintónig, der Boden un- 
gegliedert. Auf letsterem erstreckt sich vorn ein Band worauf in griechischen Buchstaben: ,Kalliope, 
Klio, Erato, Melpomene, Terpsichore, Polyhymnia, Euterpe, Thalia, Urania“ steht. L. von der Band- 


rolle am Boden ein Zeichen „CM“. Unten ist r. u. 1. bis zu 20 mm Höhe etwas von der Platte ab- 
gesägt, so daß es einen Schriftrand bildet, mit 1. „Giulio Romano in. e dipinse. Esiste nel Regio 


Palazo Pitti^; i, d. M. ,IL BALLO DELE NOVE MVSE w^"; r. „Carlo de Lasinio del. e incise in 
Firenze an. 1784. Labrelis impresse A“ und in der r. unteren "Ecke „Nr. X". 

Calliope, Melpomene, Apollo und Polyhymnia haben bläuliche, die anderen rötliche Gewänder an: 
Erato und Thalia tragen rote Mützen. Clio, Erato, Apollo, Euterpe und Urania haben Schuhwerk an, 
die übrigen nicht. 

Bes. wie oben angegeben 

Von (mindestens) vier Farben Schabplatten: ohne Linien: B. 479:597, darunter noch der Schrift- 
streifen 20: 586 

Verst. Theobald (Gutekunst, Stuttgart, 12 Mai 1910 Nr. 398; ausgiebig, aber geschmackvoll be- 
malt: gut erhalten: W. großes Wappen mit Gori Livini | E | Compagni: um Mk. 7o an Ströfer) 

Berlin (schöner Druck, ziemlich bemalt, W. == Colle in Toscana); Berlin (mäßiger Abdruck, stark 
bemalt und oben verschnitten; W. — dasselbe) 


431 Die Venus mit dem Hündchen nach dem Gemilde von T. Vecelli in den 


Uffizi zu Florenz, Nr. 1117 


Sie liegt mit dem Kopf 1. nackt auf weißem Laken und Kissen über rotem ace » mit Rosen in 
der R. Im Hintergrund sieht man 1. einen griinen Vorhang, r. eine offene Halle mit zwei Frauen, 
von denen eine in einer Truhe kramt. Das Hündchen schläft am Fuß des Bettes r. Unten r. steht „ 
Auf besonderer (angeschweißter) Platte (57:491) unten steht: 


Tiziano inv =, e діріп == esiste nell = Real Gaftia di Firenze ¥ an == 17::84 Carlo Lasinio Veneziano 
del, e incize... Labrelis impres: 


VEN= zERE 
Consecrata á Sua Altezza Reale PIETRO | Mediceer | LEOPOLDO  Arciduca d'Austria Principe 
d'Vngharia e di Boemia Wappen Reale | Granduca di Toscana. 
ec. ec. ec. 
Lasinio D, D. D. 
Bez. wie angegeben No. XI: 


Von den vier (?) Farben-Schab (und Roulettierten) Platten; wenig Linienarbeit: Pl. und B. 402 : 518 
F. Ver Cruys hat das Bild, gegenseitig zu Lasinio gestochen. 
Wien (guter Druck, nicht schematisch gedruckt und ziemlich viel bemalt) 


432 Das Urteil des Paris nach einer Kopie des Gemäldes von P. P. Rubens 


jetzt in der Nat. Gal. zu London 

Paris sitzt r. unter einem Baum hinter dem Merkur steht. In der Mitte sieht man Juno, dann 
Venus, gans r. Pallas, und vor dieser am Boden einen Putto: usw. 

Nicht bezeichnet 

Von mindestens vier, geschabten und roulettierten Farbenplatten gedruckt: B. 484 : 597 

In Berlin wird das Blatt irrtümlich Ed. Gautier-Dagoty zugeteilt, vielleicht weil man annahm es sei 
nach dem Londoner Original geschaffen, das aus der Smig. Orléans stammt, Die Vorlage für den 
Farbetich war aber 1. und r. breiter als das Londoner Bild, der 1. Fuß der Pallas ist in London nicht 
verdeckt, Pallas’ Lanze wird in London nicht vom Schild verdeckt, usw. Die Technik und die Zeich- 
nung sprechen entschieden für Lasinio, was die W. und die Art der Übermalung aller bekannten 
Exemplare bekräftigen. 


Berlin (stark übermalt, 1851 erworben, W. == Colle in Toscana); Boston, Smig. Marra (W. = 
desgl.; it. Aussage des verstorbenen 8. R. Koehler, wäre dieses Exemplar ein Braun, Grün und 
Fleischfarben eingeriebener Einplattendruck, der im übrigen übermalt ist); Dresden (gutes, stark be- 
maltes Exemplar, mit W = Gori Livini E Compagni, um 340 Mk. erworben auf der Verst. Gute - 
kunst, Stuttgart, Mai 1905 Nr. 554) 


433 Die Dichtkunst nach dem Gemälde von C. Dolci im Pal. Corsini zu Florenz 


Halbfigur nach r. mit grünem Lorbeer im roten Haar, gekleidet in ein weißes Hemd mit schmalem 
goldgelbem Kragenband, rotem Unterkleid und blauem, mit edelweiß förmigen Sternen besticktem 
Mantel. Sichtbar sind ferner eine hellblaue Rosette mit Agraffe und ein Buch. Entlang des oberen 
Randes steht in Kursivsschrift: „Lasinio incise Carlo Dolci dipinse nel Palazzo Corsini di Firenze 
Labrelis impresse" 

Bez. wie angegoben 

Von den vier (?) Farben Schabplatten: . sind pre POUR mit mehr als einer Farbe 
eingerieben, denn es gibt sweierlei Gelb, usw.: Pl. und B. 508:4 

Das Bild haben auch R. Strange und R. Morghen (gleichseitig Gm Lasinio) gestochen. 

Verst. Liphart (Boerner, Leipzig, 5 Dec. 1876 Nr. 1063 um 302 Mk. an Günther für Colnaghi); 
Verst. Dietze (Berlin, Amsler & Ruthardt, 30 Jan. 1893 Nr. 344) 


Berlin (etwas bemalt); Manchester, Smig. F. Gerald Falkner (hier soll die Schrift lauten: ,La 
Poesia Carlino Dolci in. e dipinse. esiste nel Palazzo Corsini di Firenze: Lasinio del. e incise l'an 
1783. Labrelis impresse. Nr. 7.“) 

434 Der Tod der Dido (?) nach dem Gemälde von L. Giordano jetzt in ? 


Die erstochene Dido (?) stirbt 1. auf Kissen zurückfallend und von zwei verzweifelten Frauen um- 
geben. Eine dritte Frau dahinter hilt einen Vorhang empor. Aeneas (?) kniet r. den Dolch in der 
Hand und wird von zwei Kriegern, von denen der 1. in voller Panzerrüstung steht, angesprochen, 
Unten 1. steht ,Peint par Giordan. de la Collection de M: le Chev; Bailli Martelli^ und r. ,a Florence 
Gravée par Lasinio . . imp: par Labrelis.“ 


Bez. wie angegeben 
Von den vier (oder mehr?) geschabten Farbenplatten: Pl. und B. 493: 495 
Vielleicht die beste Arbeit Lasinios und eine Art Gegenstück zu Edouard Gautier-Dagoty's Catilina. 


Farbendruck Ausst. Leipzig (1902, Buchgewerbemuseum Nr. 170; ich mutmaße, daß der „Tod 
einer Fürstin", dieses Blatt war) 


Verst. Halle (München, 11 Nov. 1901 Nr.370, sehr guter Druck aber schlecht erhalten; W. == 
Colle in Toscana); Libreria Mascelli (Florenz, 18 Feb, 1909, ähnliches Exemplar um aoo lire 
ausgeboten) 


Dresden (sehr schón erhalten, nur wenig bemalt, um 282 Mk. auf der Verst. Schubart (bei 
Boerner, Leipzig, 1900 Nr. 250) 

435 Apotheose auf die Familie Louis XVI nach W. Hamilton 

Unten steht ,London, publ. 1799 by W. Dickinson“ 

Punktiert: Einplattendruck (?) groB Folio 

Bartolozzi hat die Darstellung auch gestochen (Tuer 1040) | 

Verst. Artaria (Wien, 16 Mai 1892 Nr. 195); Verst. Dorotheum (Wien, 19 Nov. 1912 Nr. 120) 

Breslau, Smig. Toebe 


436 Le départ pour Vienne de la Princesse Marie Therése Charlotte fille du 
Roi Louis XVI. 

Das Blatt habe ich mit obigem Titel und der Bezeichnung „А. Deif del. C. Silanio sc. 1795" qu. fol. 
angeführt gesehen. Die Namen sind Anagramme für A. Fedi und Carlo Lasinio, Ob es sich um 
einen farbig eingeriebenen (Einplatten-)Druck handelt, weiß ich nicht bestimmt. 

437 Das sogenannte Konzert nach dem Gemälde von G. Barbarelli (T. Vecelli?) 
jetzt in der Gal. Pitti zu Florenz, Nr. 185 

Die bekannte Darstellung mit den drei Mánner-Halbfiguren, 1. der Júngling mit Federbarett, mitt- 


lings der musisierende, r. der kahlköpfige Mönch. Die Färbung des Originals ist so ziemlich bei- 
behalten. Unten ist ein Rand der Schrift vorbehalten: darauf i. d. M. ,LVTERO Ww CALVINO‘ 


Nicht bez. 
Von den vier Farben Schabplatten; fast ohne Linien: Pl. 500:456 B. 482:454 


Libreria Mascelli (Florenz, 18. II. og ein ausnehmend schlechter Druck, anscheinend ohne die 
blaugrüne Platte == ao lire) 

Dresden (gut, auf Leinwand gezogen, etwas bemalt, W. = „Gori Livini e Compagni": um 118 Mk. 
auf der Verst. Amsler & Ruthardt, zo. Juni 1903 Nr. 639 erworben; mit Tinte steht im Unterrand 
geschrieben ,Giorgione da Castel franco in: e fec. esiste nel R. Palazo Pitti^ und r. ,Lasinio fece") 


79 


438 Die Dame und der Jäger nach dem Gemälde des G. Metsu in den Uffizi 


zu Florenz, Nr. 972 

In einem Gemach steht r. eine Dame, von vorn gesehen, an einem Tisch auf dem sich Schmuck- 
kistchen und Spiegel befinden. Sie trügt weifen Atlas Rock, lila Taille und weiBen Shawl darüber, 
nebst weißem Kopftuch. Ein 1. hereingetretener Jäger, mit Rebhuhn in der L. und Federhut in der R. 
grüBt sie. Sein Haar ist lang und er trágt wei6 und rote Krawatte, gelben Wams mit roten Bündern, 
graue Kniehose, eigentümliche, weiße Stulpen und schwarze Halbschuhe mit Rosetten. Man sieht 
neben ibm seinen Hund, hinten einen Kamin, einen Stuhl und die offene Tür. Unten r. steht „A“. 
Auf einem weißen Streifen entlang des Unterrandes steht gestochen: 

Mist fece: esiste nella Real Gall: di Firenze IL CACIATOR FIAMINGO Lasinio del: e incize 
Гап 1774 . . Labrelis impresse . . 

Bes. wie angegeben 

Von den vier Farben-Schab(usw.) Platten; fast ohne Linienarbeit: Pl. 514:397 B. 495: 397 

I (angeblich) vor dem Unterrand und vor „Il Caciator Fiamingo“ (siehe unten, Verst. Boerner) 
D Wie beschrieben 

Libreria Mascelli (Florenz, 18 Feb. 1909, schlechtes Exemplar, um 200 lire ausgeboten); Verst. 
Halle (München, Juni 1909 Nr. 410, zusammen mit Nr. 440 zurückgekauft um 1610 Mk); Verst. Theo- 
bald (Gutekunst, Stuttgart, 12 Mai 1910 Nr. 399 um 310 Mk. an Muller, Amsterdam; W. == Colle in 
Toscana, viel, aber geschmackvoll bemalt, guter Druck mit der Schrift und gut erhalten); Verst. Halle 
(München, 25 Apr. 1911 Nr. 441 um 550 Mk., wohl zweifellos das vorige Hallesche Exemplar); Verst. 
Van Gogh (Amsterdam, 8 Apr. 1913 Nr. 1118); Verst. Boerner (Leipzig, März 1913 Nr. 238 um 
320 Mk.) 

Wien (sehr bemait) 


439 Die Familie des Malers nach dem Gemälde von F. Mieris, d. ae. in den 


Uffizi zu Florenz, Nr. 981 

In der Mitte des Zimmers sitzt des Malers Frau in Lilakleid und roter, pelzverbrámter Jacke nach 
1, und trinkt cin Glas Wein, das ihr ibr Sohn eben dargereicht hat. Dessen langes Haar fällt auf 
seinen grünen Rock herab. Vorn l. steht die ältere Tochter in Rückenansicht, gekleidet in weißen 
Atlas, mit blauer Schirpe, usw. Sie blickt nach r. wo ein Affe sich über Früchte auf einem Tisch 
hermacht. Auf dieses Tier weist der Maler selbst, der mittlings, schwarzgekleidet, die Gruppe rück- 
wärts abschließt. Er und die Tochter halten je eine Guitarre. Zwei weitere Personen sieht man im 
Torbogen hinten r. Ein geschnitzter Engel hingt oben herab und 1. befindet sich ein plastisch ver- 
sierter Kamin, nebst rotem Vorhang. Unten r. steht: „. Auf besonderer Platte (55:377) unten, 
steht: 

Miris fece. l'originale esiste nella Reale C..Lasinio del: e incize a colori Г 
Galleria di Firenze š LA FAMIGLIA MIRIS 1784.. Labrelis impresce 

Dedicata A Sua Ecc= il Sig= Conte Antonio di Thurn, e Wallesassina, Caualre dell’ Insegne Ordine 
del Toson d'oro, Ciamberlano Consig-liere Intimo attuale di Statto di S — M — Ie Reale Apostolica, 
Tenente Maresciallo e Colonello Proprietario d'un Regimento d' Infanteria nelle sue Armate, e Maggior- 
domo Meggiore della Real Corte di Toscana 

XIII. C... Lasinio D. D. D. 

Bez, wie angegeben | 

Von (mindestens) vier Farben-Schabplatten: Pi. und B. 506:395 

I Vor der Schrift 
II mit der Schrift 

FarbendruckAusst. Leipzig 1902 (Nr. 171, Der Dresdener Druck) 

Libreria Mascelli (Florenz, 18. Feb. 1909, mäßiges, bemaltes Exemplar vom I. Zust. um 200 lire 
ausgeboten); Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 33 Mai 1911 Nr. 1202 um 140 Mk. an Soelke, in meinem 
Lanna Kat. Bd. II Nr. 8479, stark bemalt W. == Schild mit GL / C); Verst. Boerner (Leipzig, März 
1933 Nr. 239 „als Musizierende Gesellschaft nach Metsu“ um 250 Mk.) 


Boston, Smig. Marre (W. = wie Smig. Lanna); Dresden (Smig. Friedr. Aug. П); Wien 


440 Die trinkende Dame nach dem Gemälde von G. Terborgh in der Uffizi 


Galerie, Nr. 958 | 

Sie sitzt L und trinkt aus einem Kelchglas, während sie mit der R. einen offenen Krug auf ihrem 
Schoß hält. Hinter dem Tisch schläft r. mit aufgelegten Armen ein junger Mann. Auf diesem Tisch 
sieht man zwei weiße Tonpfeifen und ein Glas, hinten r. ein Himmelbett. 


Nicht bezeichnet 

Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: B. 492 : 396 

Das Original hat Chevillet (gegenseitig zu Lasinio) gestochen, ferner L. Duval und Prudhomme, 
Farbendruck Ausst, Leipzig 1902 (Nr. 172, Der Dresdener Druck) 


71 


. Verst. Halle (München, Juni 1909 Nr. 409 — um 1620 Mk. zusammen mit dem ,Cacciator Fiam- 
mingo"; dann in der Verst. Halle, München, April топ Nr. 440 um 500 Mk.; angeblich auf be- 
sonderer Platte stand ,Le Repos Flamand“ gestochen und hdschr. ,peint par Gerard terburgh, della 
Gallerie de Florence. ” Gravés ` par Lasinio imprimes en couleur par La Prelis.“) 

Dresden (schóner, wenig bemalter Druck, um 684 Mk. auf der Verst. Schubart bei Boerner, 
Leipzig 3900, Nr. 230) 


441 Dante. Allighieri nach einer alten Maske 


In fast balber Figur etwas nach 1., hat er eine rote Haube und einen Lorbeerkranz auf dem Kopf, 
der nach r. gerichtet ist. Mit beiden Hánden hilt er 1. ein offenes Buch. Sein Gewand ist grün 
und darüber trügt er eine ürmellose Schaube. Das Bildnis steht in einer Steinumrehmung, wie der 
Boccaccio, mit einer neunzeiligen Schrift: „Dante Allighieri / Nacqué in Firenze — | — | — [| — | — — 
La Divina Commedia. | copiata da una Maschera originale posseduta dal nobile Sigor Bali del Borgo./ 
Angelo Volpini dis. Lasinio incise | In Firenze presso la Società Calcografica con Real Privilegio.“ 

Bez. wie angegeben 

Rad. und punktierter Einplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 331:205, B. 292: 186 

Seitenstück zu den Boccaccio und Petrarca Bildnissen 

A. Weigel (Leipzig, 1908 um so Mk. ausgeboten) 


442 Giovanni Boccaccio nach einem Gemülde von A. Allori jetzt in ? 


Brustbild ohne Hände von vorn, der Kopf nach 1. gerichtet. Das Gesicht ist glatt und rund; er 
hat ein weiBes Tuch um Kopf und Schultern und einen Lorbeerkranz darauf, sein Mantel ist rot. Ein 
Steinrahmen schließt das Bildnis ein; auf dessen Sockel steht, in Majuskeln gestochen: „Giovanni 
Boccaccio / Nacque nel 1313. E' incerto il Luogo del suoi natali, Tra-/lascid la Mercatura a cui il 
Padre destinavolo P dedicarsi | agli studj. Fü benemerito ristauratoro, & propagatore delle | Belle 
Lettere, e grande amico del Petrarca, La Repub: Fior: Lo impie-/gd in varie Ambascerie. Mori 
nel 1375 in Certaldo d'onde trae-/va l'origina la sua famiglia. Lasció opere scritie in | prosa, ed in 
versi. Tra tutte Il Decamerone tiene il Pri-/mo Luogo", und cursiv „Copiata da un Quadro di Ales- 
sandro Allori. | Ang. Volpini dis. Lasinio inc: | In Firenze presso la Società Calcografia“ 

Bez. wie angegeben 

Radiert und punktiert, Einplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 308:204 B. (ohne Stein- 
umrahmung) 201 : 149 

Seitenstück zu den Bildnissen von Petrarca und Alligbieri 


Breslaaer 4 Meyer (Berlin, 4. Aug. 1904, mäßiger, bemalter Druck um 20 Mk. ausgeboten) 


443 Franz, Erzherzog von Toskana nach dem Gemilde von ? jetzt in ? 

Brustbild ohne Hinde nach 1. eines etwa zebnjübrigen Knaben. Er sieht uns an und sein 1. Auge 
steht etwas tiefer als das andere. Er trägt gepuderte Perücke, schwarze Schleife im Nacken, gelblich- 
weißen Rock mit rotem Kragen, schwarzes Halsband, Spitzenjabot und den Goldenen Vließ Orden. 
Unten steht auf besonderer 60:279 Platte „Lasinio inc: Labrelis imp: / Francois vn | Grand Prince 
de Toscane, & & & AY 

Bez. wie angegeben 

Von den vier geschabten Farbenplatten: Р]. 385 : 283 


Verst. Halle (München, 15 Juni 1909 Nr. 411 um 620 Mk: hübsches, stark aber geschmackvoll 
bemaltes Exemplar, W. z Schild mit Gori Livini E Compagni: im Katalog abgebildet) 


444 Bildnis des Ed. Gautier-Dagoty nach dem Gemälde von Heinsius in der 
Smlg. Otto Bethmann zu Paris 


Brustbild eines Mannes nach r., in weichem Filzhut, rétlich-braunem Rock, und weißem weichen 
Hemdkragen mit Falbel. Er tršgt eine Mappe unter seinem r. Arm unter deren blaues Band er den 
Daumen seiner L. steckt. In seiner R. hült er einige Pinsel. Unten ein grüner Schriftrand mit: 
„Portrait d' Edouard Dagoty inventeur de la gravure en cóleurs / noè a Paris l'An. 1745. mort a Flore ce 
l'8. Maj. 1783. | Pent par Kanchsius Grave, et desinee par de Lasinio Imprime par Labrelis. Nr. 4“ 

Bez. wie angegeben 

Von den vier Farben Schabplatten; ohne Linienarbeit: Pl. 503 : 433 


Im Katalog der Pariser Farbendruck Ausst. wird der Name des Malers und der Standort des Origi- 
nals wie oben angegeben. Auf einem der Drucke die ich gesehen stand geschrieben: „Odoardo Dagoty| 
Inventore d'incidere a Colori / pintosto migliatori, poiché l'invenzione / ë dovuta a Giaco Le Blond | 
In Parigi nato 1745 Morto 1784 in Milano“. Das Blatt ist, auBer in Katalogen, im Augustheft 1906 
p.57 von L'Art decoratif* abgebildet. 

Lebl. 149; 

Farbendruck Ausst. Leipzig 1902 (Nr, 169, das Wiener Exemplar) 

FarbendruckAusst. Paris 1906 (Nr.578, das Exemplar des Pariser Cab.) 


72 


Verst.Defer-Dumesnil (Paris, 17. Маі rogor Nr. 354 um 1330 fcd. an Rapilly); Verst. Gute- 
kunst (Stuttgart, 20. Mai 1901 Nr. 649: ziemlich farblos aber sonst gut: W.c= Kartusche mit „Colle 
in Toscana“; um 1090 Mk. an R. Gutekunst in London); Verst. Halle (München, rr. Nov.rgor Nr.371 
um Mk. 1650); J. Rosenthal (München, bot 1902 ein Exemplar für rooo Mk. aus); Verst. Amsler 
& Ruthardt (Berlin, ro.Juni 1902 Nr. 4554, sehr schlechtes, aufgesogenes Exemplar um 815 Mk. an 
Bihn in Paris); Verst. Theobald (Stuttgart, 13. Mai 1910 Nr. 401, ziemlich farblos, W. Colle in 
Toscana; wahrscheinlich das Exemplar Verst. Gutekunst 1901: um Mk. 390 an Muller, Amsterdam); 
Verst. Halle (München, as April 1911 Nr. 438 um 7150 Mk.); Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22. Mai 
1911 Nr. 120: um 2900 Mk. an Soelke; Nr. 8478 im 2. Bd. meines Lanna Kataloge); Verst. F. R. 
Halsey III (Anderson, N.Yk., 11. Dec. 1916 Nr. 236, aufgezogen und ganz úbermalt, vielleicht das Ex. 
der Verst. Amsler & Ruthardt 1902) 


Boston, Smig. Marrs (nur 473:397; W. = Gori Livini e Compagni); London (sehr stark und 
schlecht bemalt; mit der Nummer, um 2 47. 5. — durch Colnaghi auf der Verst. Gutekunst, Stutt- 
gart, 14. Mai 1899 Nr. 503 erworben); Paris; Wien (sehr schöner Druck, unbemalt; wie die meisten 
Exemplare ohne die Nummer) 


445 Justus Lipsius und seine Schüler nach dem Gemiilde des P. P. Rubens in 
der PittiGal. Nr. 85 


An einem mit Büchern belegten Tisch sitsen Philipp Rubens, Lipsius und Grotius: 1. steht Pieter 
P. Rubens. Im Hintergrund I. ein Vorhang, mittlings Blick auf eine Landschaft, r. in einer Nische 
eine Seneca Büste: usw. Die Einzelheiten des Originals sind beachtet, jedoch sind die Typen durch 
mangelhafte Zeichnung verschlechtert, usw. 


Bes. (wahrscheinlich im Unterrand: siehe unten) 
Von den vier (geschabten) Farbenplatten: Pl. und B. 500: 448 


Verst. Halle (München, 13 Nov. 1900 Nr. 499 um 55 Mk., stark bemalt, ohne Rand und auf- 
gezogen: auf der Unterlage stand mit Tinte ,P. P. Rubens inv: e dip: esiste nel Real P. de Pitti di 
Firenze FILOSOFI ~~ Lasinjo inci: a colori. Labrelis impre“); Verst. Amsler & Ruthardt 
(Berlin, Juni 1903 Nr. 639a um 340 Mk. an Gasch: stark, besonders mit Rot aber geschmackvoll 
bemalt und auf Leinwand aufgezogen: auf dem Papierrand stand in alter Tinte, ,Pietro Paolo Rvbens 
in: e dip: esiste nel Regio Palazzo Piti di Firenze Lasinio del. e inci. Labrelis | P. P, Rvbens A Filippo 
suo fratello Givsto Lipsio A Vgo Grozio“: dann, aber von der Leinwand abgenommen, so daß das W. 
== Schild mit Gori Livini E Compagni sichtbar wurde, auf der Verst. Theobald bei Gutekunst in 
Stuttgart, 13. Mai 1914 Nr. 400 um 290 Mk. an Muller in Amsterdam); Vorst. Gilhofer u. Ransch- 
burg (Wien, 25. Apr. 1904 Nr. 322, auf Leinwand gesogen, bemalt, um 300 Kr. zurückgekauft); Verst. 
Helbing (München, 12. Márz 1906 Nr. 1140, ohne Rand und aufgezogen); Libreria Mascelli 
(Florens, 18. Feb. 1909 ein miserables, bemaltes Exemplar um 20 lire ausgeboten) 


. Berlin; Berlin, Smig. Dr. Cornelius Leewe (n. Angabe des Besitzers hdechr, bezeichnet „P. B. 
Rubens — Filippo suo fratello — Giustio Lipsio — Ugo Grozio | Rubens f. esiste nel Regio Palazo 
Pitti | di Firenze | Lasinio del: e incize": vor 1896 erworben) 


446 Francesco Petrarca nach einem Gemilde des Simone Memmi in Florenz. 


Brustbild nach r. Er zeigt ein hageres glattes Gesicht, mit weißem Kopftuch und Lorbeerkranz 
darauf. Sein roter Kapusenmantel ist grün gefüttert. In seiner L. hält er eine Papierrolle auf der 
eben ,AVRA" su lesen ist. Eine Steinumrahmung umgibt das Bildnis, mit einer neunseiligen 
Schrift: „Francesco Petrarca | Nacque in Arezzo — — | — | — | — | — modello della Lirica 
Italiana Poesia. | Copiata da un ritratto di Simone Memmi esistente nel Cappellone di S. M. Novella | 
Angelo Volpini dis; Lasinio incise | In Firenze presso la Società eee con Real Privilegio“ 


Bes. wie angegeben ` 


Radiert und punktierter Binplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 3ı1:303 B (ohne Um- 
rabmung) 201: 148 


Seitenstück zu den Boccaccio und Allighieri Bildnissen. 


Bresiauer und Meyer (Berlin, 4. Aug. 1904, ein guter Druck um зо Mk. — " Verst. 
O. v. 3. Mühlen (Berlin, Amsler & Ruthardt, 25. Mai 19r4 Nr.1596 um 30 Mk.) 


REZENSIONEN eo 


STRZYGOWSKI, JOSEF, Altai-Iran 
und Völkerwanderung. Ziergeschicht- 
liche Untersuchungen über den Eintritt 
der Wander- und Nordvölker in die Treib- 
háuser geistigen Lebens. Anknüpfend an 
einen Schatzfund in Albanien. Mit 229 Abb. 
und ro Lichtdrucktaf. Leipzig, Hinrichs, 
1917. 

Die Kunstgeschichte im landläufigen Sinne, wie 
sie uns in Handbüchern und Vorlesungskatalogen 
vor Augen tritt, ist im großen und ganzen auf 
jene künstlerischen Hervorbringungen eingestellt, 
die im Gebiete zwischen dem 2o.und dem 40.? n. Br. 
ihre Entstehung dem menschlichen Geiste verdanken 
und deren Ausstrablung sich noch etwa dem so. 
Breitegrade nähert, doch durchwegs im Banne 
dieser südlicheren Kulturen steht, 
biet des Wendekreises des Krebses, dessen rei- 
fende Wärme den handeinden Menschen, das 
Drama zeitigte und als seelisches oder sachliches 
Geschehen in den Mittelpunkt der bildenden Künste 
rückte. Der Begriff des Ästhetisch-Schönen ist 
bier mit dem Geschehen aufs engste verwoben; 
die nimmer ruhende Göttin Maja erscheint da als 
Lebensideal und selbst das seligmachende Kef 
dient nur als äußere Beruhigung, um dem Geiste 
umso größere Freiheit der Phantasia gógnen zu 
können. Die Verkörperung dieses Lebensideals 
erkennen wir ebenso in den wild wogenden Skulp- 
turen indischer Tempelgrotten, wie in den dra- 
matischen Mysterien Agyptens oder den Kory- 
bantenaufsügen der klassisch-antiken Welt, oder 
aber auch in den fratzenhaften Göttererscheinungen 
des Balkans von Amerika: Mexiko. Tritt auch 
nun in diesem Weltenstriche eine Differenzierung 
nach Längegraden ein: das Gefühl für das T'iefen- 
sehen der Plastik bleibt unverändert und es ent- 
steht ein, das Dramatische auch im Formalen 
ausbildendes Schónheitsideal, das sich auf Ver- 
einigung, auf die Einheit zuspitst. 


In dem Striche zwischen dem so. und 60. Breite- 


grade, natürlich hier und da auch gegen den 
40. Grad zu ausstrahlend, erkennen wir dem gegen- 
über in historischer Nähe andere Kulturen, die 
andere Lebensideale zu Voraussetzungen haben. 
Anstatt der dramatreibenden Kraft eines vereini- 
genden Prinzips finden wir hier eine zersetzende 
Tendens im Vorherrschen, deren soziale Aus- 
prägung unter dem Namen des Totem bekannt 


ist. Es ist die einzige soziale Form der noma- 


74 


Es ist das Ge- 


disierenden Vülker, ob wir sie in Europa, Asien 


oder Amerika unter dem besagten Himmelstriche 
suchen. Der Eber und die Ente der keltischen 
Nomaden, der Hirsch, der Adler und der Bär bei 
den Wandervölkern Zentralasiens, und der ganze 
totemistische W'appenlexikon der Indianer sind 
die. Zeugen dieser sozialen Einrichtung. Das 
Totem ist zugleich der epische Kern sämtlicher 
geistiger Erzeugnisse dieser Gebiete, während die 
Darstellungsform am Zweidimensionalen, am grü- 
beinden Zeriegen und Zergliedern der gegebenen 
Rahmen- oder Natureinheiten in das Prinzip der 
Flächenbildung haftet. Wie ihr Leben selbst, so 
zerklüftet, grenzenlos und sonder Beengung er- 
scheint auch die Kunst dieser Völker: os ist das 


klassische Gebiet des Nomadenteppichs mit dem 


endlosen Muster, des Tiergeringels der germani- 
schen wle der nordchínesischen Kunst, und der 
Textilornamentik der Indianerdecken, 

Andere Ideale verlangen andere Beurteilung. 
Unser, seit zweitausend Jahren auf das südliche 
Kunstideal eingestellte Auge, verlernte die Schön- 


. heiten der ebenso lebensberechtigten nordischen 


Wesenheiten zu erkennen, ja, es verhinderte во- 
gar das einfache objektive Erkennen jener künst- 
letischen Vorstöße, die die südlichere (in Europa) 
Mediterrankunst seitens der Nordkulturen zu er- 
leiden hatte. Im Sichtkreise unserer geschicht- 
lichen Kenntniese war der bedeutendste dieser 
Vorstöße derjenige, der sich in der Zeit um Christi 
Geburt am europäischen Kontinente abspielte. Die 
Kunstforscher erkannten schon verhältnismäßig 
früh das Hereinbrechen einer, dem klassisch- 
antiken Formprinzip fremden, mit dem heran- 


 reifenden Mittelalter Schritt haltenden Natur- 


anschauung, und es fehlten auch die verschiedenen 
Erklärungs versuche nicht. Der eine suchte diese 
Anderung durch das Verringern der plastischen 
Kraft der antiken Kunst zu erklären; der zweite: 
in dem ganzen Dahinsiechen der klassischen Kultur; 
der nächste wieder durch den Einfluß der ost- 
mediterranen Gebiete in spätantiker Zeit, usf. Die 
einfache geschichtliche Tatsache, daß schon zu 
römisch-republikanischer Zeit das im Sinne der 
Nomadenkunst zersetzende Element des Kelten- 
tums in das antike Gebiet eindrang und von Nord- 
westfrankreich ausgehend in einer Diagonale bis 
nach Kleinasien seBhaft wurde; und die andere, 
daß seit der römischen Kaiserzeit, ja, seit der 
Skythenzeit, immer mehr zunehmend, ein starker 
Strom aus dem Herzen Asiens, aus türkischen 


Gebieten sich über Europa, über dessen südliche 
Ausliufer — die Ursitze der mediterranen Kultur — 
ergoB, diese beiden primitiven Tatsachen schienen 
sich bisher der Kenntnis unserer Kunstforscher 
entzogen zu haben. Und doch liegt darin der 
Größtteil jeder möglichen Erklärung jenes Wan- 
dels, den wir — im Gegensatz zur Antike — ge- 
meinhin als Mittelalter bezeichnen!). Bewahr- 
heitet sich das bekannte Wort von der Kunst: 
ein Stück Natur durch ein Temperament gesehen, 
so bedeutet eben Temperáment in diesem Sinne 
nichts anderes ais die Bedingtheit des Menschen- 
geschlechts durch denjenigen Weltenstrich, unter 
dem es wohnt, und der gewisse Prádispositionen 
der Naturanschauung heranbildet; veründert ein 
Teil der Menschen seine Sitze, so bringt er seine 
frühere, einem anderen W eltenstriche entsprechende 
Naturanschauung mit; es findet ein Temperament- 
wechsel statt (im gegebenen Falle ist dafür der 
landläufige, wenn auch nur teilweise richtige Aus- 
druck: Annehmen der rómisch-christlichen Zivili- 
sation) und nach mennigfachem Hin- und Her- 
wogen ist eine Überhandnahme des einen oder 
anderen Temperamentes nacbzuweisen. Es ent- 
steht eine synkretistische Kunst, in der aber unter 
den neu angenommenen Formen die früheren 
Prädispositionen noch Jahrhunderte hindurch zu 
erkennen sind. Das Linkische in der Plastik des 
frühen Mittelalters erklärt sich durch die Über- 
wucherung der zweidimensionalen Anschauung 
des Nomadenauges durch das plastische Wesen 
eines südlicheren Weltenstriches: die Veranlagung 
ist aber — wenn auch immer mehr abgeschwächt 
— auch nach Jahrhunderten noch in der graphi- 
schen Art der germanischen Völker, und der or- 
namentalen Art der europäischen Aniranier (Ma- 
gyaren, Bulgaren, Türken) zu erkennen. Die 
Durchdringung ist aber beiderseitig, und wenn 
das keltische Nomadentum schon zur Latenezeit 
in der italischen Halbinsel, am Balkan und in 
Kleinasien (abgesehen natürlich von den galli- 
schen Gebieten) eine zweidimensionale Verzierungs- 
kunst in die Hóhe brachte, so bedeutet die Völker- 
wanderung für die südlicheren Gebiete einfach 
ein Überrennen durch wesensfremde Kunstart, 
für die ein schlagender Beweis in der lombardi- 
schen Kunst und deren späteren venezianischen 
Nachblüte vorliegt. 

Dieses Ringen zwischen den Temperamenten 
(in diesem geobiologischen Sinne) verschiedener 


Naturanschauung bildet den (unausgesprochenen) 


(з) Der Unterseichnete verwies hierauf in einem Aufsatze 
im 41. Jahrgang der „Österreichischen Monatsschrift für 
den Orient" (1915, S. 77, 88): 


Untergrund von Str.s neuestem Buche, das schon 
in der Ausstattung und Aufmachung mit der Pri- 
tension der übrigen Fahnenwerke dieses Forschers 
(Orient oder Rom, Kleinasien, Amida) auftritt. 
„Der einst mit »Orient oder Rome und »Hellas 
in des Orients Umarmung« begonnene Kampf geht 
also, auf größere Raum- und Zeitgebiete aus- 
gedebnt, weiter,“ sagt Str. selbst, und bekennt 
sich auch damit zu seinem Leitideale zurück, wo- 
nach nur das durch Irrungen durchdrungene Wahr- 
heitsuchen den Namen der Forschung verdient. 
Dieses Suchen, das ihn bei der Erforschung der 
Grundlagen unserer mittelalterlichen und neueren 
Kunst einst in das byzantinische und koptische 
Gebiet, dann nach Syrien und dem Irak führte, 
in weiterem rastlosen Erkenntnisdrange aber nach 
Iran, Indien und selbst bis China leitete und bei 
dem allen eine Menge neuer und gährung-bilden- 
der Ergebnisse für das Studium der Kunstgeschichte 
erbrachte, inzwischen auch den Ausbau einer 
Systematik ermöglichte, dieses durch Einzel- 
forschungen geläuterte Suchen führte nun den 
verdienten Wiener Forscher dahin zurück, wo er 
intuitiv schon vor Jahren stand, als er — in den 
Preußischen Jahrbüchern — für die Wichtigkeit 
des Studiums der Völkerwanderungskunst eintrat. 

Den tatsächlichen Ausgangspunkt bildet für ihn 
diesmal ein einheitlicher Fund, der in Albanien 
zutage kam, dann aber leider im Marktwege zer- 
streut, später hinwieder zum größten Teil durch 
den verblichenen Morgan sen. für seine eigene 
Sammlung angekauft wurde. Mit einer brillanten 
Stilkritik werden die einzelnen Schichten dieses 
im ganzen 4r Stücke zählenden Schatzfundes, der 
sich somit zu Recht mit den großen Schatzfunden 
der Völkerwanderung vergleichen läßt, voneinander 
geschieden. Es sind das vor allem vier Gold- 
pokale, zwei Goldschalen, eine Goldschale. mit 
ornamentiertem Griff (die aber stilistisch eigent- 
lich zu den später anzuführenden Schmuckstücken 
gehört), zwei einfache, tektonische Goldscheiben; 
dann ein Silberkessel (ähnlich dem Taufkessel im 
Ung. Nationalmuseum), eine Silberschale mit Griff, 
ein Silberkrug mit mittelgriechischen Inechriften 
und Monogrammen; endlich eine Reihe von gol- 
denen Schmucksachen, von denen vierzehn einer 
besonderen Ornamentik entbehren, fiinfzehn aber 
eine charakteristische Rankenornamentik, und ein 
Stück einen Greifen in Durchbrucharbeit aufsu- 
weisen hat. Daß wir es hier mit einem Werk- 
stattfunde zu tun haben, beweist der Umstand, 
daß mehrere der Schmucksachen noch im Roh-. 
gusse (ohne Ziselicrung), mit den daran haften- 
den GuBkuchen, vorhanden sind und дай sich in. 


75 


dem Funde auch ein roher Goldbarren, mehrere 
Golddrahtstücke und goldene Nägel befanden. 
Für Str.’s neues Werk ist nun diese letztere 
Gruppe mit der Greifen- und Rankenornamentik 
ausschlaggebend. Ihrer Versierung nach gehört 
die Gruppe streng mit jenen Stücken aus unga- 
rischer (und seltener österreichischer) Erde zu- 
sammen, die unter dem Namen der Keszthely- 
kultur in der Fachliteratur bekannt war; wenn 
aber die letztere ausnahmslos aus Bronzeobjekten 
bestand, so ist es umso auffälliger, daß die alba- 
nischen Stücke durchwegs aus Gold verfertigt 
sind. Str. unternimmt es nun, diese Art von 
Rankenornamentik, für die er den sehr bezeich- 
nenden Namen der „Kreislappenranke“ verwendet, 
nach Innerasien zurückzuleiten und sie in dieser 
Folge nicht als ein vegetabiles, sondern als ein 
geometrisches Verzierungselement anzusprechen. 

Es muß erwähnt werden, daß diese sehr bezeich- 
nende Art von Ornamentik nur in einem streng 
umschlossenen territorialen Gebiete und Zeitab- 
schnitte vorkommt. Der letztere wird durch Münz- 
fande auf die Zeit zwischen 450 und sso datiert; 
das Fundgebiet wird aber durch sechs größere 
Fundgruppen in Transdanubien umschrieben, außer 
dem nur hie und da einige zerstreute Funde an 
der Theißlinie und in Österreich nachzuweisen sind. 
Außer diesem Gebiete (und nun dem albanischen 
Schatze) ist die Gruppe sonst weder in' Europa, 
noch in Asien nachzuweisen; nur die Greifenorna- 
mentik scheint an der Kaukasuslinie bekannt ge- 
wesen zu sein. Dieses Zeit- und Fundgebiet ent- 
spricht aber vollständig der Gepidenherrschaft, der 
dann das awarische Reich an den Fersen folgte. 
Es scheint mir sonach, daß der albanische Schatz 
aus der Werkstatt eines awarischcn (für die ja 
das protzige Verwenden des Goldes bezeichnend 
ist) Goldarbeiters herstammt, wodurch auch die 
andere Schicht des albanischen Fundes — als Raub- 
und — erklärt werden dürfte. Die Awaren drangen, 
bekanntermaßen, bis nach Albanien vor, wo man 
in den heutigen Morlaken Awarennachkommen ver- 
mutet. In diesem Gepidengebiete tritt nun in der 
Rankenornamentik auch eine andere Schicht her- 
vor, die in der Rankenführung und in der Ausbil- 
dung der Rankenblüten eine ausgesprochene florale 
Tendenz aufzuweisen hat. Es wäre daher anzu- 
nehmen, daß Str.’s Annahme einer geometrischen 
Ranke insofern eine Änderung erleiden könnte, 
daß man eine neutrale Urform der Ranke annimmt, 
die sich im zentralasiatischen Gebiete einesteils in 
eine geometrische, anderesteils in eine florale Orna- 
mentik spaltete. Auf jeden Fall gesichert bleibt 
aber das. Ergebnis jener glänzenden Herableitung 


76 


Str. 6, die ihre Belege auch in den historischen 
Tatsachen findet, daB die islamische Arabeske eine 
ihrer Vorstufen in der türkischen Rankenornamen- 
tik Zentralasiens hat, Die Weinranke, der Str. 
einst die Mschatta-Arbeit widmete, erhált in dieser 
Folge ihre ornamentgeschichtliche Ergünzung. An- 
dererseits versteht es aber Str. meisterhaft, daB 
bisher aus Sibirien und Zentralasien bekannte, recht 
spürliche archaeologische Material zu einem leben- 
digen Bilde der Kunstübungen dieser nórdlicheren 
Striche zu vereinigen: ein recht willkommenes Unter- 
nehmen für diejenigen Forscher, denen das rus- 
sische, finnische und schwedische Material nicht 
recht zugänglich ist. Auch verdient die vorläufige 
Veröffentlichung der Ergebnisse jener Chorasan- 
expedition Erwähnung, die das kunsthistorische 
Institut an der Wiener Lehrkanzel Str.'s unternahm, 
und der die Wissenschaft — außer den mannigfal- 
tigen, für die Genesis islamischen Kunst wichtigen 
Entdeckungen — auch die Bekanntmachung der 
prächtigen Inschriftenfriese von Chargird und Säng- 
bäst verdankt. Grundlegend ist weiters die Stellung- 
nahme Str.’s zur bekannten Keilschnitt- Theorie 
Riegis —, der diese Technik bekanntlich für die 
römische Antike in Anspruch nahm; mit scharfer 
Diakrise erkennt Str. den Vorläufer dieser zwei- 
seitig arbeitenden Technik in der einseitig arbei- 
tenden, auf Glanzwirkung hinzielenden „Schräg- 
schnitt“. Technik Zentralasiens, und bringt hiefür 
schlagende Beweise (vgl. das Tier aus Kelermes) 
aus dem ostskythischen Gebiete. Ebenso erfahren 
die bisherigen Annahmen in Bezug auf die beiden 
anderen Grundelemente des Vélkerwanderungs- 
stiles: der Zellenverglasung und des Bandgeflechtes 
durch das neue Werk eine Neuorientierung. Über 
Dalton hinweggreifend, der die ,,inlaid jewellery 
bis an die Oxuslinie verfolgte, geht nun Str, weiter. 
und bringt Tatsachen für die natürliche Annahme 
des indischen Ursprunges dieser Technik bei; das 
Bandgeflecht hinwieder, samt der Durchbrucharbeit 
des frühen Mittelalters und der polygonalornamen- 
tik der Moslim wird auf ein Gebiet surückgeführt, 
das — bei Vorführung des interessanten Koökar- 
Schatzes in der Eremitage — etwa durch das Gou- 
vernement Semirjeátensk zwischen Pamir und Altai, 
an den Hängen des Tien-šan, die durch Str. so- 
genannte „sakische‘ Ecke (Kreusungsstelle zwischen 
eranischen und aniranischem Wesen) umschrieben 
wird, „Die Hauptsache ist, sagt Str. —, daß die 
Kunsthistoriker in jener Gegend zum Spaten greifen- 
Ich möchte auch hier wieder betonen, daß wir 
zu wenig mit der neben den Treibhauspflanzen am 
Nil, am Euphrat- und Tigrisgebiete und in Hellas 
d. h. neben der Kunst des „Altertums“ bestehen- 


den Art der Nomaden- und Nordvëlker rechnen —, 
die trotz der hohen Kultur des Südens weiter lebt, 
ihren Brennpunkt in Mittelasien hat und nach der 
vorübergehenden Blüte der darstellenden Kunst um 
das Mittelmeer herum bei den Germanen und im 
Islam zum Vorschein kommt“. 

Wenn wir auch nicht in Allem den ethnisch- 
philosophischen Ausführungen Str.'s, die an diesem 
Punkte einsetzen, zu folgen vermögen; wenn wir 
insbesondere die Gleichung der Saken-Jranier be- 
stroiten müssen (da Saka die Einzahl von Sk yth 
ist, von welch letzteren aber Str., ja selbst annimmt, 
daß sie Turkvélker, also Aniranier, Turanen sind), 
und folglich im Grundprinzipe der ethnischen Zu- 
teilung und der damit eng zusammenhüngenden 
Kulturbewertung entgegengesetzter Meinung sind —, 
sO müssen wir trotzdem mit Bewunderung jenen 
idealistischen, hohen Schwung anerkennen, womit 
Str. seiner Weltanschaunng Ausdruck verleiht. Wie 
aus Erz gehämmert, fest und herb erklingt seine 
Erklärung: „Für die Bewegung, die hoffentlich 
jetzt mit dem Kriege einsetst, werden nicht die 
örtlich und zeitlich eingeschachtelten historisch-phi- 
lologischen Spezialisten in Betracht kommen, son- 
dern Fachleute, die den Erdkreis im Auge haben 
und über Religion ohne konfessionelle, über Staat 
und Recht ohne politische, über Kunst, Wirtschaft, 
Technik usf, ohne die europäische Schranke arbei- 
ten, Fachmänner, die neben der üblichen, „gelahr- 
ten‘ Arbeitsweise der Universitäten und Akademien, 
soweit die geisteswissenchaftliche Richtung in 
Betracht kommt, zunächst einmal über das Wesen 
ihres Fachs nachgedacht und auf dem Wege der 
vergieichenden Methode gelernt haben, die Ergeb- 
nisse der historisch-philologischen und philosophi- 
schen Arbeit fachgemäß, d. h. ihrem Wesen nach, 
su ordnen, entwicklungsgeschichtlich aufzubauen 
und für das Leben nutzbar bereitzustellen. Sie 
werden ebenso wie die Naturwissenschaften, For- 
schungsinstitute brauchen. in denen induktiv ver- 
arbeitet wird, was ais Fach-Tatsache kritisch fest- 
gestellt worden ist. Ihr Ziel wird die planmäßig 
geordnete Vorführung von Möglichkeiten des We- 
sens und der Entwicklung sein, die sie dann im 
Sinne der angewandten Forschung in den Dienst 
der Gegenwart stellen, Damit im Zusammenhang 
wird in Zukunft als Maßstab für die Auswahl der 
goisteswissenschaftlichen Probleme deren Lebens- 
wert, vor allem in der Richtung deutsch-arischer 
Eigenart und sittlicher Freiheit, mitzusprechen 
haben.“ 

., * 

Der Verlag brachte das Buch — trotz der schwie- 

rigen Kriegezeiten — in einer, der Bedeutung des 


Werkes vollauf Rechnung tragenden Ausstattung 
heraus; ein Umstand, der in den heutigen Tagen 
einer besonderen Erwühnung bedarf. 

| Supka- Budapest. 


O. Frhr. v. HADELN, Das Museum 
au pauvre diable zuMaubeuge, Stutt- 
gart, J. Hofmann, 1917. 

Maubeuge, die nette, kleine Festung aus dem 
18, Jahrhundert, mit ihren friedlichen, baumbestan- 
denen Willen, ist durch den Krieg zu einem reig- 
vollen Museum gekommen. Es ist erstaunlich, 
was hier ein geschickter Architekt aus der Un- 
gunst winkeliger, niedriger Räume in einem alten 
Warenhaus gemacht bat. Durch Einziehung eini- 
ger Wünde sind wohnliche Kabinette geschaffen, 
von deren Hchten Bespannungen die Bilder fest- 
lich heiter herabblicken. Im Auftrag eines Armee- 
Oberkommandos hat Hadeln einen Katalog ge- 
schrieben, der in rund so Abbildungen eine Aus- 
wahl der Pastelle La Tours und der übrigen Kunst- 
werke bringt. In kritischer Würdigung führt Hadeln 
durch den ausgestellten Kunstbesitz. Die weiß- 
gestrichene Holzfigur einer Badenden aus Schloß 
Coulaincourt spricht Hadeln als Vorstufe zu der 
Statue Falconets im Louvre an. Dann müßte Fal- 
conet sein Propo:tionsgefúbl von Grund auf ge- 
ündert haben, Ein anderer Geist dokumentiert 
sich in dieser Figur mit ihrer kühlen Gemessen- 
heit, Kein Zweifel: es ist ein Werk des Empire, 
Einige Pastelle, wie das Bild der Tünserin Puvigné 
(Nr. go) sind von kräuseinden W asserstrichen durch- 
laufen, untilgbare Reste aus der Zeit, wo die fran- 
sósische Verwaltung in St. Quentin die Bilder im 
Keller vor den Deutschen verbarg, auf andern Bil- 
dern aber (Nr.35, 37, 91 u. a.) aber sind die meist 
auch nur am Rand auftretenden Schimmelflecke 
bis auf gans schmale Wasserlinien zurückgegangen, 
so daß ich glauben möchte, hier habe schon vor 
1914 einmal Feuchtigkeit eingewirkt. 

Im Felde. Kurt Gerstenberg. 


RUDOLF METZGER, Die dynamische 
Empfindung in der angewandten Kunst. 
Ein Beitrag zur künstlerischen Gestal- 
tung der Technik. Mit 56 Abbildungen 
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1917. 

Als Leitsatz stellt Metzger seiner Broschüre 
einen Brief von Klinger voran, der davon ausgeht, 
daB jede Zeit, die ihren eigenen Stil hat, ,auch 
ihre eigene, ganz absolut eigene Vorstellung und 
Darstellung der menschlichen Figur batte." Auf 


77 


dieser Grundlage baut sich alles übrige auf, ,ob 
das nun Haus sei oder Kaffeetasse, ist völlig gleich." 
Sie haben ihren eigenen Charakter, vorausgesetzt 
daß die betreffende Generation ihre eigene Kórper- 
vorstellung hat. 

Im ersten, dem theoretisch-philosophischen Teil 
analysiert. der Verfasser Wesen und Ursprung der 
Empfindungen, im sweiten, der ,praktischen An- 
wendung*, wird die gewonnene Erkenntnis, даб 
der Mensch das Май aller Dinge sei, an Dingen 
aller Art, an Wagen, Säulen, Stützen, Brücken- 
bogen, Auslegern von Kranen, Dachkonstruktionen 


usw. erhärtet. Die Abbildungen haben keinen 
Eigenwert; trotz ihres winzigen Maßstabes unter- 
stützen sie Metzgers klare präzise Ausführungen 
auf das Glücklichste. Aus der anregenden Schrift 
spricht der Glaube an die treibenden Kräfte un- 
serer Zeit. Metzger glaubt, der Augenblick für 
die Technik sei gekommen, wo „jeder so ver- 
traut ist mit dem Kräftespiel der neuen Konstruk- 
tionen und Materialien“, daß er „die Maschine 
sich sosial untertan machen kann“ und nach „Mög- 
lichkeiten suchen wird, Persönliches auszudrücken.“ 

Rosa Schapire. 


78 


RUNDSCHAU WC 


DER CICERONE. 

X, 1/2. 

F. ROH: Ein never P. Bruegel. (2 Abb.) 
HANS HILDEBRANDT: Die Sammlung Kirchhoff 
in Wiesbaden. (7 Abb.) 

HERMANN UHDE-BERNAYS: Karl Voll, 

X, 3/4. 

WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard 
von Schnitzler in Cöln (Schluß). (14 Abb.) 

H. FRIEDEBERGER: Werke deutscher Künstler 
des 19. Jahrhunderts. Ausstellung bei Fritz Gurlitt. 
(1 farb. Taf, ro Abb.) 


DIE RHEINLANDE. 


XVII, 12. 
DOROTHEA STERN: Mittelalterliche Wand- 
gemälde aus dem Großherzogtum Hessen, (17 Abb.) 


DIE KUNST. 

XIX, «4. 

IGNAZ BETH: Die Herbstausstellung der Ber- 
liner Sezession, (13 Abb.) 


L. F. FUCHS: Granitne Denkmäler. 


H. A. SCHMID: Bócklin und die alten Meister: 
L Der junge Böcklin. (rr Abb.) 


AUGUST RODIN 1. 


PAUL EHRENBERG: Der Radierer Frits Pauli. 
(10 Abb.) 


HERMANN MUTHESIUS: Zwei Bauten: 1) Herren- 
haus Wendgräben bei Loburg. 2) Haus Wild, 
Nikolassee. (2 Taf, 17 Abb.) 

JOSEPH POPP: W. Nida-Rüme lin. (23 Abb.) 
XIX, 5. 

L BETH: Werke deutscher Künstler im Kunst- 
salon Gurlitt-Berlin, (1 farb. Taf, 12 Abb.) 


K. SCH.: Wilhelm Trübner f. (r Abb.) 
MAX OSBORN: Franz Metzner. (1 Taf., 14 Abb.) 


L BETH: Die groBe Berliner Kunstausstellung 1917. 
IL Teil, (6 Abb.) 


R. BRAUNGART: Kari L. Voss. (6 Abb.) 


Q.J. WOLF: Gobelin-Entwürfe von Th. Th. Heine. 
(r farb, Taf., 7 Abb.) 


MAX EISLER: Oskar Strnad. (r Taf, 9 Abb) 


G. J. WOLF: Das Bamberger Klerikal- Seminar, 
(7 Abb.) 


KUNST UND KUNSTLER. 
XVI, 4. 
ZWEI DEUTSCHE MÁRCHEN mit Illustrationen 


von Max Slevogt und Leopold von Kalkreuth. 
(9 Abb) 


MAX v. BOEHN: Das Bühnenkostüm in Mittel- 
alter und Neuzeit. (x farb. Taf., 16 Abb.) 


KARL SCHEFFLER: Walter Bondy. (8 Abb.) 
KARL SCHEFFLER: Ernst Barlach. (r Abb.) 


* 


dam. 


DEUTSCHLANDS KUNST. 

Zeitschrift des Bundes der Freunde deutscher Kunst. 
1917, I. 

HANS THOMA: Deutschlands Kunst. 


ROBERT VOLZ: Deutsche Kunst im Zeitalter 
der Reformation. (26 Abb.) 


ARTHUR DOBSKY: Der Monumentalbrunnen in 
Buenos Aires. (9 Abb.) 

O. v. FRITZ: Die alten Bauten in Lemgo. (8 Abb.) 
F. A. GEISSLER: Zur Verwilderung der deutschen 
Kunst. 


ARTHUR DOBSKY: 101 Exlibris von Prof. Bruno 
Heroux. (a Abb.) 


— Í—ÁÀ 


REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN- 
SCHAFT. 

XL, 5/6. 

KARL LOHMEYER: Domenico Egidio Rossi und 
seine Schloßbauten in Deutschland. (15 Abb.) 
F. ROH: Venus und Adonis bei Rubens. (3 Abb.) 
ERICH RÓMER: Materialien zur Dürerforschung. 
(2 Abb.) 

HANS MACKOWSKY : Karl Frey +. 

JOSEF KREITMAIER S. J.: Zur Datierung und 
Geschichte des großen jüngsten Gerichts von 
Rubens. 

LUDWIG v. BALDASS: Der angebliche Anteil 
des Veit StoB an den Erzfiguren des Innsbrucker 
Grabmals. Eine Berichtigung. | 

ERNST EHLERS: Ephrussis ,Etude de fleurs" 
von Dürer. (r Abb.) i 
WINFRIED LÜDECKE: Mengs-Bibliogrsphie. 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 
KUNSTSAMMLUNGEN. 

XXXIX, 4. 

M. J. FRIEDLAENDER: Uber Antwerpener Glas. 


malerei in der ersten Hülfte des 16. Jahrhunderts. 
(a Abb.) 


F. SCHOTTMÜLLER: Arbeiten von Giuliano da 
Majano. (5 Abb.) 


OUDE KUNST. 
Ш, 4. 
M. W. de VISSER: De Genji Monogatari. (4 Abb.) 


J. O. KRONIG: Een portretgroep door Barent 
Fabritius. (x Taf.) 

HERMAN F. E. VISSER: Een zestiende-eeuwsch 
portret van een onbekend Meester. (2 Taf.) 

W. ZUIDEMA: Nog eens chineesche Schimmen. 


J IMA BLOCK: Tentoonstelling van perzisch-indische 


Miniaturen in's Rijks-Prentenkabinett te Amster- 
(a Abb.) 


79 


N E U E B Ü C H E R ла ß ĩ 8 


EUGENE DELACROIX, Briefe I, 1813 — 1346. 
Deutsch von Wilhelm Stein. Benno Schwabe 
& Co. Verlag. Basel 1918. 

TRÜBNER, Des Meisters Gemälde in 450 Ab- 
bildungen. Herausgegeben von Jos. Aug. Beringer. 
Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1917. 


- 


Prof. ALBIN MULLER (Mitglied der Künatler- 
kolonie Darmstadt): Werke der Darmstidter Aus- 
stellung 1914 und andere Arbeiten. Mit Vorwort 
von Prof. Dr. G. Biermann. Verlegt bei Karl 
Peters, Magdeburg. 9o Tafeln in groß 4°. Geb. 
M. 31.50. 


XI. Jahrgang, Heft 2/3. 


Herausgeber u. verantwortL Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im 
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, 
Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK- 
HARDT & BIERMANN, Leipzig. 

Vertretungen der Schriftieitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Elisebetbstr. 51. | 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: 
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr.65. 

Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467. 


Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- 
. stimmten Mittellungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland- 
straße 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


Tafel 9 


Abb. 1. Entwickelt schwarzfigurige Hydria Nr. 1897 der Berliner Vasensammlung: 
Anschirren eines Rennwagens 


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KC 0 ° 
“a ZS ` 

Ve 5 


Abb. 2. Teller des Hischylos. 
Berliner Vasensammlung Nr. 2100 


Abb. 3. Reif schwarzfigurige Amphora. 
Münchener Vasensammlung Nr. 1416: 
Tänzer und Musikanten 


Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON IRÓTFIGURIGEM STIL 
M. f. K., XI, 2'3 


Tafel ro 


Abb, 4. Streng rotfigurige Amphora des 'Ev9vuidrs 
ó [oiov der Münchener Vasensammlung. Aus- 
schnitt aus dem Reversbild: Tanzender Mann 


Abb. s. Attische Kanne aus jüngerer 
schwarzfiguriger Zeit mit zylindrischer Abb. 7. Attische Kanne mit Kleeblatts- Abb. 8. Attische Kanne mit zylindrischer 

Mündung: Fischbereitung mündung der Berliner Sammlung: Mündung: Ringkampt von Peleus u. Thetis 
Berliner Vasensamml. Saal XII. Nr. 1915 Gymnasiumsszene BerlinerVasensamml. Saal XII. Nr. 4000. 


Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL 


M. f. K., XL, 2/3 


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Tafel 12 


Abb, 12 und 13. Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel: 
Krieger mit Gefallenen. Eos mit der Leiche des Memnon. 


Abb. 14. Spät schwarzfigurige kleine Am- Abb. 15. Spat schwarzfigurige kleine Am- Abb. 16. Spát schwarzfigurige kleine Am- 
phora der Berliner Vasensamm!]l. Nr. 1837: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1837: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 3995: 
Athena-Geburt Peleus und Atalante im Ringkampf Amazone zu Pferd und Amazone zu Кий 


Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL 


M.T. Ku Sl: 2: 3 


| Tafel r3 


Abb. 18. Spat schwarzfigurige kleine Am- Abb. 19. Spat schwarzfigurige kleine Am- 


Abb. 17. Spat schwarzfigurige kleine Am- 
hora der Berliner улеш Nr. 3995: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1839: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1839: 
, mazone als Lenkerin eines Viergespanns Reitende Amazone mit Handpferd und Reitende Amazone mit Handpferd und 
! Hund zieht nach rechts Hund zieht nach links 


rh 


e =— 
Abb. 22. Panathenäische Preisamphora der Abb. 23. Panathenäische Preisamphora der 
Berliner Vasensammlung. Berliner Vasensammlung. 
Reversbild: Wettläufer Reversbild: Wettrennen 


Zu: FRITZ HOEB ER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL 
МЕК ХІ 2! 
ә T 3 


Tafel 


Abb. 2o. Kopftypus von der Scherbe einer 
panathenaischen Preisamphora. 


/ 


Akropolis-Museum Athen Abb. 21. Fuß mit Gewandstück auf einer Scherbe 
(nach Botho Graef, Die antiken Vasen von des Akropolis.Museums Athen 
der Akropolis zu Athen Berlin 1911, Heft II, (nach Botho Graef, Die antiken Vasen von der Akropolis 
Taf. 64, Nr. 1126) zu Athen, Berlin 1911, Heft II, Taf. 54, Nr. 859a) 


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Abb. 26a und 26b. Vasenscherbe aus dem Kabirion im Nationalmuseum zu Athen: 
Mänaden und flótenspielender Silen. 


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Abb. 27. Vasenscherbe aus dem Kabirion im Nationalmuseum in Athen: Symposion 


14 


Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL 


M. f. K., XL, 2 3 


Tafel 15 


Abb. 24. Spätschwarzfigurige, krateráhnliche Amphora der Berliner Sammlung: 
Fischer und Fischerknabe 


Abb. 25. Spátschwarzfigurige, krateráhnliche Amphora der Berliner Sammlung: 
Fischer mit Thunfischen 


Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL 


M. f. K., XI., 2/3 


Tafel I6 


Abb, 1. Jean Robert: Christus am Kreuz nach dem Gemälde von Delobel (Nr. 32) 


Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT 
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS 


MEK: Al 2 3 


Tafel 17 


Abb. 2. Jean Robert: Die heilige Jungfrau (Nr. 33) 


Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT 
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS 


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Tafel 18 


A — "` gé. й Er * 


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Abb. 3. Lasinio: Madonna mit dem Kind nach einem Lionardo zugeschriebenen Gemälde (Nr. 429) 


Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT 
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS 


M.f.K., XL, 2/3 


Tafel 19 


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Abb. 4. Lasinio: Die Venus mit dem Hündchen nach dem Gemälde Tizians in den Uffizien (Nr. 431) 


Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT 
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS 


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Abb. 2. Jean Robert: Die heilige Jungfrau (Nr. 33) 


Zu; HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT 
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS 


M. f. K. XI ala 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 4 


ABHANDLUNGEN 

OTTO GERLAND, Zwei Altarfifigel 
nach Albrecht Dürers Marienleben. 
Mit 4 Abbildungen auf 2 Tafeln S. 81 

ROBERT WEST, Die Übergangsstile 
als Exponenten des Ideen- und Rassen- 
kampfes innerhalbder abendlindischen 
Kulturwelt S. 87 

JOSEF STRZYGOWSEI, Der Zustand 
unserer fachmännischen Beurteilung 


S.ror 

MISZELLEN 
August L. Mayer, Cipper, genannt Todeschini, 
als Pseudo-Spanier. Mit 6 Abbildungen auf 
3 Tafeln... 2.9 o nn S. 106 


A.S.DREY 


Königlich Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximilianplatz Nr.7 


Paris, SS avenue des Champs Elysées. 


JULIUS BOHLER - MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR Ba MAJ. DES KAIBERS UND KONIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR 


REZENSIONEN 
Ernst Heidrich, Beiträge sur Geschichte und 
Methode der K (Kahns) 8. 107 


Walther Heymann, Max Pechstein. Mit 
4 Farbendrucken, 44  Netzütsungen nach 
Gemälden und 58 Strichätzungen im Text 
(Schapire). ................ 8. 108 

Karl Hähnle, Arretinische Reliefkeramik. Ein 
Beitrag zur Geschichte des antiken Kunst- 
gewerbes (Achelis)............ 8. 109 


RUNDSCHAU ............. S. 110 


NEUE BÜCHER ........... S. 112 


Ausstellung 
kostbarer Antiquitäten • Ein- und 


Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Gemälde, Porzellane, Möbel und 


Antiquitäten jeder Art. 


BRIENNERSTRASSE 19 
AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBABER 


ANTIQUITATEN 


ZWEI ALTARFLÜGEL NACH ALBRECHT 
DÜRERS MARIENLEBEN : 


Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von OTTO GERLAND 


90900090000000900000000009 90900090090090000000600000000000000090000000000000000000000000000040000000000000000000000000000000000000 


Vorzugsweise benutzte Schriften. 


Bertram, Geschichte des Bildbaues Hildesheims. 2 Bünde. 1899 und 1916. 

Engelhard, Beiträge zur Kunstgeschichte Niedersachsens. Göttingen 1891. 

Derselbe, Hans Rapbon. Ein niedersächsischer Maler um 1500. Leipzig 1895. 

Gerland, Hildesheim und Goslar. (Nr. as von Seemanns berühmten Kunststätten). Leipzig 1904. 

Habicht, Die mittelalterliche Plastik Hildesbeims (Heft 19 der Studien zur dtsch. Kunstgeschichte) 
Straßburg 1917. 

Knackfuß, Albrecht Dürer (Band V von Knackfu&' Kinstlermonographien). 2. Auflage. Bielefeld 
und Leipzig 1895. 


Ruttenauer, Unserer Lieben Frauen Leben ín 20 нешс иеп уоп Albrecht Dürer. Düsseldorf, 
ohne Jahreszahl. 


Springer. Albrecht Dürer. Berlin 1891. 

Thansing, Dürer, Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Leipzig 1875. 
Wölfflin, Die Kunst Albrecht Dürers. München 1908. 

Zucker, Dürer. Halle a/8. ` 


* 


Z Anfang des то. Jahrhunderts bestanden in Hildesheim acht lutherische 
Kirchen, und es waren die Einkünfte der daran angestellten Geistlichen so 
gering, daB aus diesen Kreisen selbst, nachdem Hildesheim durch den Reichs- 
deputations-HauptschluB von 1802 preuBisch geworden war, bei der Kriegs- und 
Domänenkammer zu Halberstadt der Antrag gestellt wurde, durch Aufhebung der 
Hälfte dieser Kirchen mit deren Einkünften die Lage der an den übrig bleibenden 
Kirchen angestellten Geistlichen zu verbessern. Dem Antrag wurde stattgegeben 
bei den damaligen Wirren kam die Angelegenheit aber erst 1809, nachdem Hildes- 
heim zum Königreich Westfalen geschlagen war, zur Erledigung. Es wurden die 
Kirchen zu St. Annen, St. Georg, St. Michaelis und St. Pauli aufgehoben. Die Ge- 
büude dieser Kirchen wurden auf Abbruch verkauft oder anderweit verwertet, das 
Inventar wurde auf dem Wege der öffentlichen Versteigerung in alle Winde zer- 
streut, wie ich dies an einer anderen Stelle ausführlicher dargestellt habe. Das 
Gebäude der aufgehobenen Dominikanerkirche zu St. Pauli ist erhalten und 
in spüteren Jahren zu einem Vergnügungslokal — der jetzigen Stadthalle — um- 
gebaut, zum Inventar dieser Kirche gehörte ein Altar, der uns hier näher be- 
schiftigen soll!) 

Dieser Altar bestand nach dem für die Versteigerung angefertigten Inventar 
aus einem „Tisch“ und einem „Schrank“, der auch als „Schnitzaltar“ bezeichnet 
wurde. Wir haben uns den Altar daher als einen Flügelaltar mit einem steinernen 
Untersatz und einem darauf gesetzten Schreine zu denken, der gemalte Flügel 
und im Inneren geschnitzte Darstellungen besaß. Der „Altarschrank“ — Schrein- 


(т) Die ebenfalls aufgehobene Michaeliskirche wurde 1855 für die damals noch bestebendo Martini- 
gemeinde neu hergestellt, deren Kirchergebäude dann zur Aufnabme des vom Senator Hermann 
Roemer gegründeten und nach diesem benannten Museums verwandt wurde. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1938, Heft 4 6 81 


altar — wurde für fünf Taler verkauft, der steinerne Untersatz — „Tisch“ — 
brachte einen etwas höheren Erlös. Man sieht daraus, wie gering damals und 
insbesondere auch in Hildesheim derartige Gegenstände geschätzt wurden, es war 
zu der Zeit, wo durch die zahlreichen Aufhebungen von Klóstern und Stiften eine 
Menge solcher Sachen, die der damalige Geschmack überhaupt nicht hoch wertete, 
auf den Markt geworfen wurde. Neben dem hier besprochenen Altar wurde in 
Hildesheim noch ein zweiter — aus der Georgenkirche — versteigert, über den 
uns gar keine Nachricht erhalten ist. 


Welche Bilder in dem Schnitzwerk unseres Altars enthalten waren, kann nicht 
gesagt werden, da man nicht weiß, wohin sie gelangt, zerstreut oder verschleppt 
sind. Da die Altarflügel, die uns hier besonders beschäftigen werden, vom 
Schrein getrennt worden sind, so behält die allgemeine Annahme, der Altar sei 
zerstört, gegenüber der Annahme, er sei nur verschleppt: worden, recht, denn 
jedenfalls sind die Flügel vom Schrein abgetrennt, was man nur als eine Zer- 
störung des Altars bezeichnen kann. Mit Rücksicht darauf, daß auf den Flügeln, 
wie wir nachher sehen werden, Darstellungen aus dem Leben Marias, mit 
dieser als Mittelpunkt der Darstellung, enthalten sind, wird man annehmen dürfen, 
daß die Mutter Gottes, die Heilige des Stifts Hildesheim, und daß auch wohl der 
Apostel Paulus, der Heilige des Stifts, angebracht waren, aber weiterer Ver- 
mutungen müssen wir uns enthalten. 


Was für die Rheinlande die Gebrüder Bieber waren, ersetzte für Hildesheim 
und Umgegend der Oberbaurat Hausmann zu Hannover, der zur Zeit des König- 
reichs Westfalen zahlreiche Bilder, z. B. aus der in alle Winde zerstreuten Galerie des 
dann ohne jeden Grund niedergerissenen Schlosses Salzdahlum, aus dem Nachlasse 
des Reichspropstes Grafen von Beroldingen zu Hildesheim usw. aufkaufte. In 
Hausmanns Sammlung gelangten auch die Tafeln des Altars von St. Pauli, ob 
durch unmittelbaren Kauf von Hausmann oder einen Geschüftsführer, oder vielleicht 
auch durch die Sammlung des Grafen v. Beroldingen, kann nicht gesagt werden. 
Die Hausmannsche Sammlung wurde spüter von Künig Georg V. von Hannover 
gekauft und befindet sich jetzt mit anderen Stücken des von diesem am 18. Juni 
1861 gestifteten Welfenmuseums in der Fideikommißgalerie des Gesamthauses 
Braunschweig-Lüneburg (Katalognummer 724a und b). Sie sind jetzt als Eigentum 
Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs v. Cumberland, Herzogs von Braun- 
schweig und Lüneburg, im Provinzialmuseum zu Hannover aufgestellt. Für die 
von Seiner Königlichen Hoheit gnädigst mir erteilte Erlaubnis, die Bilder der Altar- 
flügel in photographischen Nachbildungen veröffentlichen zu dürfen, ermangele ich 
nicht, hier meinen tiefgefühltesten Dank abzustatten. Es ist die erste Veriffent- 
lichung dieser wertvollen Bilder. 


Die beiden hervorragend gut erhaltenen Altarflügel haben je eine Breite von 
1,12 m und eine Höhe von 1,84 m. Auf jedem Flügel oder jeder Tafel sind zwei 
Bilder dargestellt, die durch ein reizendes Rankenwerk, in dem Putten sitzen, ge- 
trennt oder vielmehr verbunden werden. 


Unsere Bilder zerfallen in zwei Gruppen, die in einem gewissen Paralleliemus 
zueinander stehen, die beiden oberen die Tafeln (Abb. r und 3, und die beiden 
unteren (Abb.2u.4). Die beiden ersten zeigen unbedingte Anlehnung an niemanden 
geringeres als Albrecht Dürer und dessen Marienleben. Die beiden anderen 
Bilder zeigen eine ausgesprochen undürerische Art. In ihnen; hat man wohl die 
unbeeinflußte Manier des Künstlers zu sehen, der sich übrigens auch in den beiden 


an Dürer anklingenden Darstellungen seinen Blättern nur äußerlich angeschlossen 
hat. Seine Anlehnungen beschränken sich auf die Wiederholung der Architektur- 
kulissen, auf Übernahme einzelner Figuren und Gruppen, die er wörtlich wieder- 
holt, ohne sie doch auch sinngemäß zu verwenden. Das ganz aufs tektonische 
abgestellte Gefüge der Dürerschen Kulissen unterbricht er durch flatternde und 
sitzende Engelchen, die gerade die statisch wichtigen Linien und Formen unter- 
brechen, die moderne Architekturkulisse verbindet er auf Abb. 3 mit einem durch- 
aus nach älterer Manier gezeichnetem Raumbilde, und die Vermischung der Dürer- 
schen Engelgruppen mit solchen eigener Empfindung zeigt, wie auch die ganze 
Raumfüllung der Bilder, daß er das wichtigste Neue an Dürer, die neue Klarheit 
des Aufbaues und der Erzählung, die neue Einheit des Tones und die Kühnheit 
der Komposition nicht begriffen hat. 

Die Blätter aus dem Marienleben erregten so großes Aufsehen, daß sie vielfach 
nachgestochen wurden, was nach einer nicht widerlegten Überlieferung Dürer 
1505 zu seiner zweiten Reise nach Venedig veranlaßte, um dort sein Recht vor 
der Signoria zu suchen. Besonders beliebt war das Biatt: Die Ruhe in Ägypten, 
von der insbesondere auch die Architekturvordrucke öfter im Bilde und sogar im 
Basrelief nachgebildet wurden. So hat denn auch der Maler der hier besprochenen 
Bilder das Blatt vor Augen gehabt, als er die Bilder in Abbildung ı und 3 schuf, 
wenn er es auch nicht ohne zum Teil wesentliche Abänderungen benutzt hat. 
Aus dem erwähnten Parallelismus der Bilder könnte man vielleicht schließen, daß 
unserem Künstler eine allzugroße Erfindungsgabe nicht beschieden gewesen sei. 
Der Betrachtung der Bilder an ihrem ursprünglichen Aufenthaltsorte dürfte es aber 
keinen Eintrag getan haben, denn da jeder Flügel 1,12 m miBt, so hatte das Innere 
des Altarschreins eine Breite von etwa 2,50 m, daß man bei Betrachtung des 
Altarwerkes in der Nähe die beiden Flügel nicht gleichzeitig überschauen konnte, 
während bei einer Betrachtung des gesamten Altarwerkes aus einiger Entfernung 
ein nicht unangenehm empfundener Rhythmus dem Beschauer entgegentrat. 

Gehen wir zur Betrachtung der Bilder im einzelnen über. Die erste Tafel zeigt 
im oberen Bilde die heilige Familie kurz nach der Geburt des Heilandes 
noch im Stalle zu Bethlehem (Abb. 1), darunter die Ausgießung des hei- 
ligen Geistes (Abb. 2). Auf der zweiten Tafel erblicken wir im oberen Bilde 
die Ruhe in Ägypten (Abb. 3) und darunter den Tod der Maria (Abb. 4). 
Es empfiehlt sich, die Parallelbilder zusammen zu besprechen. Abweichend von 
Dürer, der in seiner Ruhe in Ägypten Maria auf die Seite geschoben hat, setzt 
unser Künstler sie auf beiden Bildern als Hauptperson in die Mitte, was, da es 
sich wohl um einen Marienaltar handelt, wie wir oben annehmen durften, begründet 
ist, und hat Joseph in den Hintergrund geschoben. Maria sitzt in Abbildung ı 
vor einem stallartigen Gebäude, sie hat den Spinnrocken beiseite gestellt, das Kind 
aus der Wiege genommen und reicht ihm die mütterliche Brust, während hinten 
ihr Josef Zimmermannsarbeit verrichtet. Kleine Engel tragen die dabei abfallenden 
Späne weg und helfen Maria in der Hauswirtschaft, holen Wasser aus einem nach 
vorn geschobenen Ziehbrunnen und füttern seitwärts Ochs und Esel. Über den 
Hof hinweg sieht man in eine Landschaft. Von oben schaut Gott Vater segnend 
herab. In Abbildung 3 (die Rast in Ägypten), sitzt Maria vor einem ruinenhaften 
Gebäude und spinnt am Rocken, während Joseph im Hintergrund zimmert; das 
überaus schnell herangereifte Christkind sitzt zu Füßen seiner Mutter und spielt 
die Orgel, kleine Engel sind um alle drei beschäftigt, an einem ruinenhaften Ge- 
bäude vorbei schweift der Blick in die Landschaft, und auch hier erblicken wir 


83 


Gott Vater, aus den Wolken die Gruppe segnend. Diese beiden Bilder zeigen 
starke Anlehnungen an Dürer, enthalten aber auch selbständige Erfindungen unseres 
Künstlers, namentlich hat er Dürers Rast in Ägypten stark benutzt, dagegen in 
Abbildung ı auch Dürers Anbetung der Könige herangezogen, indem er diesem 
Blatt die Architekturkulisse entlehnt hat. In Abbildung r ist die Maria ganz Dürer 
nachgebildet, in Abbildung 3 sehen wir — abgesehen von der räumlichen Ver- 
schiebung — Joseph genau in derselben Stellung, wie in Dürers Rast, der auch die 
(wie wir schon sahen) so besonders beliebte Architektur und zum Teil der Hinter- 
grund mit der Burg entlehnt ist. Alles übrige ist freie Erfindung unseres Künst- 
lers, der namentlich in der Maria in Abbildung 3 etwas durchaus Liebliches ge- 
schaffen hat. Die Verschiebung Josephs nach hinten in Abbildung 3 hat den 
Nachteil im Gefolge, daß er bei Dürer beglückt auf die Gruppe von Mutter und 
Kind schaut, auf unserem Blatt 3 aber aus der Handlung hinausgeschoben ist. Im 
allgemeinen aber muß man sagen, daß unser Künstler sich als tüchtiger Maler er- 
wiesen hat. 

Gehen wir zu den beiden anderen Paralleldarstellungen, der Ausgießung des 
heiligen Geistes (Abb. 2) und dem Tode Marias (Abb. 4) über. Maria thront in 
der Mitte der Jünger, der heilige Geist senkt sich in Gestalt einer Taube von 
Gott Vater auf sie herab, während Engel über ihr Weihrauchgefäße schwingen. 
Zwei Ausblicke öffnen sich rechts und links von der Gruppe. Zur Rechten sieht 
man in eine Straße mit städtischem Verkehr, zur Linken erscheint der auferstan- 
dene Heiland mit der Siegesfahne einer reizenden Frauengestalt, der Maria Magda- 
lena, durch die aufgehobene Hand andeutend: Noli me tangere. Dies Bild ist eine 
von Dürer unabhängige, vollständig freie Komposition, es gestattet aber namentlich 
durch die beiden Ausblicke interessante Schlüsse auf die Person des Meisters. 
Das Straßenbild zeigt vlämisch-burgundische Elemente, die sich am Rhein und 
in dem gesamten niederdeutschen Kunstgebiet noch sehr lange erhalten hatten. 
Da nun auch die Christusfigur in der ausgesprochen gothischen Zierlichkeit ihrer 
Bewegung rückwärts zu weisen scheint, die Flügel aber, bei ihren Beziehungen 
zum Dürerschen Marienleben nicht über den Jahrhundertanfang hinaus rückwärts 
gerückt werden können, so hat man den Künstler unserer Bilder wohl in einer 
stilleren Gegend Deutschlands, abseits der großen Kunststraßen, zu suchen, wo 
sich die frühere Art länger erhalten hatte als in Nürnberg oder Augsburg, und 
dürfen wir besonders annehmen, daß wir es mit einem mitteldeutschen Meister zu 
tun haben. Das letzte Bild (Abb. 4) zeigt uns Maria auf dem Sterbebette, um- 
geben von den Jüngern, die teils beten, teils ihr die Sterbesakramente reichen. 
Eine Entlehnung von Dürer wird man hier ausschließen müssen, die Ähnlichkeit 
liegt eben im Gegenstand der Darstellung. Auch unterscheidet sich die selbst im 
Sterben noch liebliche Maria wesentlich von der herberen Darstellung Dürers. 

Damit kommen wir auf die Zeit der Entstehung unserer Bilder zu sprechen. 
Könnte man vielleicht an eine frühere Zeit denken, so zwingt uns doch die An- 
lehnung an Dürers Marienleben, uns an die Zeit der Entstehung dieser Bilder- 
folge anzuschließen. Die ersten Blätter sind im Anfang des 16. Jahrhunderts er- 
schienen, das Marienleben als Ganzes wurde 1511 ausgegeben. Wir werden des- 
halb annehmen müssen, daß die Tafeln nicht vor dem Anfang des Jahrhunderts 
entstanden sind. Da aber das Dominikanerkloster 1542 aufgehoben worden ist, 
so können sie nicht nach diesem Jahre entstanden sein. Es ist auch nicht an- 
zunehmen, daß die Mönche gerade in der letzten Zeit des Bestandes ihres Klosters 
ein so kostspieliges Altarwerk aufgestellt haben und dies um so weniger, weil 


84 


gerade die Münche dieses Klosters sich schon vor dessen vollstindiger Aufhebung 
zerstreut haben. Wir kónnen also die Zeit von 1512 bis vielleicht 1525 als die 
Entstehungszeit unserer Bilder ansetzen. 

Die letzte Frage, die noch zu beantworten bleibt, ist die nach dem Künstler, 
dem wir diese Bilder verdanken. Daß er ein mitteldeutscher und insbeson- 
dere wohl ein niedersüchsischer Meister gewesen ist, kann nach dem oben Ge- 
sagten nicht wohl einem Zweifel unterworfen werden, um so weniger aber, als 
solche Altarwerke meist in der Nachbarschaft der Bestimmungsorte angefertigt 
wurden, wenn es sich nicht um Werke weit bekannter Künstler handelte, ein 
Fall der hier ausgeschlossen ist. Wir dürfen aber auch annehmen, daß unser 
Meister ein nicht ungeschickter Maler war, dem das damals hochgeschätzte 
Dürersche Marienleben in seinen einzelnen Bláttern oder als Ganzes zu Gesicht 
gekommen ist und der sich dann mit Liebe in seine Arbeit versenkt hat, Die 
„Ruhe in Ägypten“ muß ihn besonders angezogen haben, sonst würde er sie nicht 
zweimal, wenn auch teilweise mit nicht unerheblichen Abünderungen, sich zur 
Anregung haben dienen lassen. 


Nun lebte um die Wende des Jahrhunderts in der Umgegend von Hildesheim 
Hans Raphon, von dem wir sicher nur wissen, daB er aus Northeim an der 
Leine stammt und für die Gegend zwischen Göttingen, Einbeck, Halberstadt und 
Walkenried Werke geliefert hat. Auch die innerhalb dieses Gebietes liegende 
Stadt Hildesheim besitzt zwei Altarwerke von ihm oder doch aus seiner Schule. 
Das eine befindet sich jetzt in der Beichtkapelle der Michaeliskirche, in die es 
(vergleiche oben Anmerkung 1) aus der Martinikirche, der früheren Franziskaner- 
kirche, mit den beiden inneren Flügeln geschafft wurde, während die schon früher 
abgetrennten äußeren Flügel in dem in der Martinikirche errichteten Roemer- 
Museum verblieben und dort noch vorhanden sind. Dieser Altar ist also für die 
Franziskaner in der Martinikirche angefertigt worden. Das andere Werk ist ein 
Flügelaltar, der bis vor etwa 20 Jahren in der Kapelle des Arnekenhospitals auf- 
gestellt war, von da aber auf meine Anregung in das Roemer- Museum übertragen 
wurde, nachdem eine kunstsinnige und wohltátige Dame in Hildesheim eine Kopie 
des Altars für die Hospitalskapelle gemalt und gestiftet hatte. Auf welchem Wege 
das Kunstwerk in das Arnekenhospital gelangt ist, kann nicht festgestellt werden, 
es kann aber nicht für das Hospital angefertigt sein, weil dies erst im letzten 
Drittel des 16. Jahrhunderts gegründet ist, als Hans Raphon schon längst tot 
war. Das Werk ist aber so gut erhalten, daß man annehmen muß, es habe nicht 
viele W'andlungen erlebt. "Vielleicht ist es kurz vor der Reformation für eine 
Hildesheimer Klosterkirche gemalt und von da nach deren infolge der Reformation 
eingetretenem Schluß oder aus einer anderen evangelisch gewordenen Kirche bei 
Beseitigung der Bilder in das Hospital übertragen worden. Da wir also wissen, 
daB aus Raphons Werkstett Bilder nach Hildesheim und insbesondere in die 
Franziskanerkirche gelangt sind, so ist wenigstens die Vermutung nicht aus- 
geschlossen, daB auch die hier besprochenen Bilder von Hans Raphon selbst 
oder doch in dessen Werkstatt angefertigt sind. Es lassen sich aber bei einer 
genauen Vergleichung unserer Bilder mit den Flügeln des Alters in der Michaelis- 
kirche sowie den dazu gehürigen im Roemer- Museum eine Reihe auffallender 
Übereinstimmungen finden. 


Das Haupt Marias ist nicht von einem Heiligenschein umgeben, sondern es 
geben von ihm lichte Strahlen aus. In beiden Werken ist dem Gesicht Marias 


85. 


eine besondere Lieblichkeit beigelegt. Der archaisierende Auferstandene im Noli 
me tangere zeigt sehr viele Ahnlichkeit mit dem auf dem einen Flügel im Roemer- 
Museum in der Taufe durch Johannes dargesteliten Heiland. Die phantastischen 
Hintergründe der Abbildungen 1 und 3 finden Áhnlichkeiten sowohl in der Be- 
gegnung von Maria und Elisabeth in der Michaeliskirche, als bei der Taufe Christi, 
einzelne Figuren in beiden Bilderzyklen scheinen auf dasselbe Modell zurück- 
zugehen. Und endlich zeigt auch die feine Malweise erhebliche Anklünge. Wir 
dürfen also die Vermutung, daB unsere Bilder Hans Raphon oder doch seiner 
Werkstatt zuzuschreiben seien, als eine keineswegs unbegründete aufstellen. 


DIE ÜBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES 


IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND- 
LANDISCHEN KULTURWELT ` Non ROBERT WEST 


€90090909090900000000090000000000000000000000000000000900006009090000000000090000000005302300009009000000000009000000990090000900000000 


ie Kunstgeschichte teilt die gesamte künstlerische Produktion in einzelne groBe 
Stilgruppen auf. Jede Stilgrüppe entspricht einer bestimmten Kulturphase, 
kann bis zu einem gewissen Grade als Exponent des Zeitcharakters angesehen 
werden. Außer einer zeitlichen Stilbildung haben wir auch noch die völkische zu 
berücksichtigen. Diese ist jedoch niemals so prügnant wie der Zeitstil. Eine go- 
tische Kathedrale in Spanien und eine Domkirche der Backsteingotik im deutschen 
Norden sind unter sich absolut verschieden. Vergleicht man sie miteinander inner- 
halb des zusammenfassenden Begriffes: Gotik, so treten die Unterscheidungsmerk- 
male mit solcher Stirke hervor, daB die gemeinsame Stilzugehürigkeit ganz in den 
Hintergrund gedrüngt wird und die Frage liegt nahe, ob ein Zusammenfassen so 
grundverschiedener Dinge unter einen einzigen Gattungsbegriff nicht ein willkiir- 
liches Schematisieren bedeutet. Das Bild ändert sich aber mit einem Schlag, wenn 
wir die beiden gotischen Kirchen mit einem Barockbau vergleichen. Diesem gegen- 
über verschwinden die Verschiedenheiten und die gemeinsamen Züge treten mit 
bestimmter Deutlichkeit hervor. Wir sehen den Beweis, daB die Übereinstimmnng 
der künstlerischen Produktion innerhalb eines Zeitraumes immer grüBer ist als die 
Übereinstimmung innerhalb einer Volksgruppe. Der völkische Sonderstil ist ledig- 
lich eine Modifikation des Zeitstils. Es ist ein kunstgeschichtliches Problem, wie 
weit von den einzelnen Nationen das besondere Wesen jedes Zeitstils zum Aus- 
druck gebracht wird. Im Falle der Gotik z. B. steht Italien in zaghafter Schüch- 
ternheit der eigentlichen Stilforderung gegenüber. Die klassische Renaissance bleibt 
in ihrem Wesenskern, der Neubelebung der Antike, von Deutschland gänzlich un- 
verstanden. 

Die Gründe für das Übergewicht des Zeitstils vor dem Nationalstil sind zu 
suchen in der ungefähren Gleichartigkeit der Kulturentwicklung. Religiöses Emp- 
finden, wissenschaftliche Forschung, wirtschaftliche Bedingungen und technische 
Errungenschaften bleiben nie auf ein Volk beschränkt, sondern teilen sich in größe- 
rem oder geringerem Grade allen Nationen mit, gleichen sich wechselseitig aus. 
Der Niederschlag dieses Vorgangs zeigt sich in der bildenden Kunst, denn es ist. 
das materielle Bedürfnis und das technische Können, welche zusammen mit der 
Ethik und dem Schönheitswollen den Stil einer. Zeit bilden. Die charakteristischsten 
Beispiele jedes Stils werden sich an den jeweiligen Kulturzentren finden. 

Die Grenzgebiete, an denen sich ein Stil vom anderen .löst, in welchen also die 
vorherrschenden Merkmale zweier Stile gleichwertig nebeneinander bestehen, 
nennen wir Ubergangsstile. Aus ihnen offenbart es sich, daß es innerhalb einer 
einheitlichen Kulturwelt keinen Stil gibt, der nicht auf der Grundlage des ihm 
zeitlich vorangehenden erwachsen wäre. Eine solche: Kultureinheit bildet die 
abendliindisch-christliche Welt. Innerhalb dieser Kultureinheit läßt sich der Zu- 
sammenhang der Teile und ihre Charaktereinheit dartun. Die Kunstgeschichte einer 
solchen Kultureinheit ist die Biographie. einer Kunstseele. Wir finden in ihr Stil- 
einheit und Stilwandlung zugleich, das heißt, wir sehen in den einzelnen Stil- 
gruppen scheinbar fertig in sich abgeschlossene Sonderexistenzen und wir be- 
merken in jedem Übergangsstil den unmittelbaren Zusammenhang des Werdenden 


87: 


mit dem Vergehenden. Nirgends findet sich eine Zäsur. Die Bedeutung dieser 
Stilwandlung bei einer gleichbleibenden Stilgrundlage läßt sich nur in den Uber- 
gangsstilen erkennen, denn nur hier offenbart sich der Kampf der Krüfte, nur hier 
finden wir das neue Motiv, den Ausgleich mit der traditionellen Konvention suchend. 
Alle fruchtbaren Lebensmomente, alle hemmenden und zersetzenden wie alle neu- 
schaffenden Krüfte, welche in einer fast zweitausendjáhrigen Epoche die abend- 
ländisch-christliche Welt gebaut haben, finden ihren Kampfplatz in der bildenden 
Kunst so gut wie im Staatsleben. So wird die Geschichte der Übergangsstile zu 
einer Geschichte des Kampfes widerstreitender Elemente um die Herrschaft. 
Das ewige Auf- und Abwogen geistiger Strömungen kristallisiert sich hier zu geo- 
metrischen Formen. Wie jede Stilphase Exponent einer Kulturphase ist, so illu- 
striert jeder Stilübergang einen Kulturkampf. Die Art des Kampfes und das Wesen 
des Sieges werfen ein belles Licht auf den festgefügten Bau jener Kultur, die wir 
in den allbekannten und ais notwendige Erscheinungsformen des christlichen Abend- 
landes angesehenen Kunststilen verkürpert sehen. 

Die Beispiele für meine Ausführungen entnehme ich vorzugsweise der Archi- 
tektur und Bauornamentik, weil sich hier der Zeitstil immer reiner zeigt wie in 
Malerei und Plastik. Die künstlerische Individualitüt tritt fast ganz zurück hinter 
den Gedanken der Korporation. Die Betrachtung der einzelnen Kunstwerke lehrt, 
daB die Anfánge jedes neuen Stils sich auf die atektonischen Bestandteile beziehen, 
wührend das Ende jedes Stils tektonisch ist. Stilwandlungen, welche die Struktur 
des Baues berühren, vollziehen sich naturgemäß langsamer wie ornamentale Neu- 
bildungen. Die Änderungen, welche das Zeitempfinden hinsichtlich des Gerlistes 
fordert, finden wir vollendet immer nur auf der Höhe jeder Stilphase. Die Struktur 
bleibt dann als festes Gefüge als sichere Grundlage stehen, wenn eine neue Stil- 
bildung einsetzt. Die Neubildung erwüchst auf der Struktur des ülteren Stils. Hier 
also, im Augenblick des Übergangs, fassen wir die Tektonik des Fertigen, Gewor- 
denen, zugleich mit der atektonischen Entwicklung des W'erdenden. Was vom 
ülteren Stil übrig bleibt, ist das Tektonische. Hier finden wir es befreit vom Zu- 
füligen und Wuchernden, das Schünheits- und Stilwollen der Periode in groBen 
Linien festgebannt. Halten wir dieses Endwort einer Entwicklung zusammen mit 
‚ ihren Anfüngen, so erkennen wir in diesem das Schünheitswollen, aus dem der 
Stil wurde in seiner noch nicht materialisierten Idealitit und im Zusammenhang 
mit seiner Vergangenheit Die grundlegende Struktur ist demnach im Übergangs- 
stil noch die der Vergangenheit, das Ornament gehürt dem neuen Stilwollen an. 
Das tritt am schirfsten in der Architektur hervor, wo jeder neue Stil sich zunichst 
in der Bauornamentik und den Ziergliedern dartut. Die ersten Werke eines neuen 
Stils sind immer solche, welche halb der Architektur, halb der Plastik angehören, 
wie Grabdenkmiiler, Kanzeln, Chorstühle, Portale. Die Kunst ist hier beweglich, 
die Phantasie des Künstlers hat größere Bewegungsfreiheit, dem neuen Stilwollen 
kann demnach hier früher Rechnung getragen werden als in der strengen Archi- 
tektur, deren Zweck es ist, die Zeit zu überdauern und dem sich wandelnden Ge- 
schmack durch unwandelbare Gesetze Halt und Richtung zu verleihen. Das über- 
miiBig starke Hervortreten der Einzelheiten, welches die Anfünge jedes neuen Stils 
charakterisiert, das Betonen der für sich bestehenden Glieder auf Kosten der Har- 
monie des Ganzen hat zur Folge, daß dem Laien ein Stil immer nur durch seine 
Ornamentik bekannt ist, das heißt, er kennt das erste Wort des Stils und seine 
Oberfliche. Er sieht demnach vor allem die unterscheidenden Merkmale, nicht 
das Bleibende, die Stileinheit, welche sich nicht in der Teilform, sondern in der 


wam amam ee — — x An ͤ — sd 


Anlage offenbart. In jedem primitiven oder Übergangsstil erscheint die Teilform 
zerstreut und ihr Verhältnis zum Ganzen ungeklärt. Um so leichter läßt sie sich 
isolieren und für sich begreifen. Sie wurde auch zunächst nur für sich begriffen. 
Im allmählichen Reifeprozeß fügt sich die Teilform dem Ganzen als organisch zu- 
gehöriges Glied ein, wird sie eingebunden in das Ganze. Die Stileinheit der künst- 
lerischen Produktion im christlichen Abendland ist aber so groß, daß sie sich bis 
in die Einzelformen hinein geltend macht, wodurch manchmal die Datierung der 
Kunstdenkmäler in überraschender Weise erschwert wird. Eine auffallende Über- 
einstimmung zeitlich weit auseinander liegender Phasen bieten die nordische Spät- 
gotik und das Barock, Hier zeigt sich klar der Sieg einer bestimmten Richtungs- 
linie. 

Die Eigentümlichkeit unserer Kunstgeschichte, verglichen mit der klassischen 
Antike oder Agypten, liegt in dem Moment des Problematischen. Diese Proble- 
matik ist zuriickzufiihren auf einen, jetzt fast zwei Jahrtausende in ihren Formen 
auf- und abwogenden Rassenkampf und Ideenkampf. Jede neue Stilphase bedeutet 
das Oberwiegen der einen oder der anderen Rasse, der einen oder der anderen Idee. 

Diesen Rassen- und Ideenkampf fassen wir in den Ubergangsstilen, Der voll- 
endete Stil bedeutet den Ausgleich der widerstreitenden Krüfte, die Lósung des 
abendlündischen Kulturproblems bald im Sinne der einen, bald im Sinne der an- 
deren Weltanschauung. 

Der erste Übergangsstil, durch welchen sich die Biegung von der antik-klassi- 
schen Welt zur abendländisch-christlichen vollzieht, nennen wir die frühchristliche 
Epoche. Die frühchristliche Antike erscheint aber ihrerseits noch so fest ver- 
ankert in der unmittelbar vorangehenden alten Kunst des Abendlandes und des 
Orients, daß auch diese Zäsur als eine willkürliche erscheinen kënnte, wenn wir 
nicht immer das Prinzip der Stilwandlung: neues Schünheitswollen als Folge- 
erscheinung einer neuen Ethik, im Auge behielten. Die alten Formen werden im 
Sinne eines neuen Geschmacks umgebildet. Der Geschmack erwiichst immer auf 
dem Boden der Sittlichkeit. Dieser Ethik des Schönen begegnen wir in der Kunst 
überall als Stil. Der Ubergangsstil predigt die neue Schönheitsform darum mit 
dem Eifer der ersten Bekenner. Ganz besonders deutlich zeigt sich das in der 
friihchristlichen Antike, wo es sich tatsáchlich um einen neuen Glauben handelte, 
wo es galt, Proselyten zu machen. Die Tempel der antiken Welt wurden ver- 
lassen, sie waren das letzte Wort der alten Kultur, die neue konnte auf dieser 
so wenig aufbauen, wie sie ihre Religion aus der schon entwerteten Gütterlehre 
Roms entwickeln konnte. Die christlichen Gemeinden der abendlindischen Welt 
standen einen Augenblick lang auBerhalb aller Kunstform. Sie waren ganz auf 
sich gestellt und muBten, wie in jeder primitiven Epoche, aus dem Wohnhaus, 
also auf der Basis des einfachsten Bedürfnisses, der nackten Notwendigkeit heraus 
arbeiten. Das antike Wohnhaus wurde zum Ausgangspunkt der christlichen Kirche 
aus dem einfachen Grunde, daß die Christen ihre ersten Gebetszusammenkünfte 
in ihren Wohnhäusern hatten. 

Die Bezeichnung dieser ersten gottesdienstlichen Stiitten, die zuniichst ja gar 
keine Kirchen sein sollten, ist schwankend; bald heiñen sie Ecclesia, bald Domi- 
nicum, bald Conventiculum. Konstantin befiehlt die Bethäuser zu erhöhen, sie 
linger und breiter zu bauen. Das ist nur eine Anderung des MaBstabes, die Ba- 
silika steht zu seiner Zeit schon fertig da — ihren Namen aber erhält sie erst 
nach der Vergrößerung, die sie in Konstantinischer Zeit erfahren, Er ist demnach 
ungeführ gleichalterig mit der Einführung des Christentums als Staatsreligion. Die 


89 


eigentliche Entwicklung zum Frühchristlichen vollzieht sich um diese Zeit, Anfang 
des 4. Jahrhunderts. Diese Datierung stimmt natürlich wie jede kunsthistorische 
Datierung nur ungefähr, aber Tatsache ist, daB wir zu Konstantins Zeit, im Moment 
der staatlichen Anerkennung des Christentums, die entscheidende Wendung vom 
Antiken zum Frühchristlichen in der Kunst finden, d. h. die Tektonik des alten 
Stils, der Antike, ist noch vorhanden, aber überwuchert von den Zierformen des 
neuen Stils. Ich wähle das Datum unmittelbar vor der Verlegung der kaiserlichen 
Residenz nach Byzanz (330 n. Chr.), weil sich durch diese schon die Wege des 
christlichen Kunstschaffens teilen. Der Übergangsstil von der klassischen Antike 
zur frühchristlichen Antike liegt in der Epoche gemeinsamer Entwicklung, ehe 
durch das Aufkommen von Byzanz dem weströmischen Reiche ein oströmisches, 
also den Orient wieder im Gegensatz zum Abendland betonendes Kulturzentrum 
entgegengestellt wurde. i 

Wir haben in der Basilika das Gerüst des antiken Wohnhauses, das letzte Wort 
also der antiken klassischen Kultur des Abendlandes. In dieses abendlindische 
Wohnhaus zieht die neue orientalische Lehre ein. Achselzuckend sieht der vor- 
nehme, klassisch gebildete Römer auf das ihm unbegreifliche semitisch-orientalische 
Wesen: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Langsam und sicher verdrängen 
die Formen Palästinas und Syriens die wundervollen alten Werke einer reifen 
Kultur. Mit der hebräischen Lehre, mit den Gesetzestafeln Mosis und den Hirten- 
legenden von dér Geburt des göttlichen Knaben in einem Stall stimmen die Zier- 
formen der Tempel und Paläste Roms nicht mehr zusammen. Zeichen und Sym- 
bole, geometrische Mystik der Form, Pflanzenwuchs vom Wegrand entsprechen 
besser den Gedanken, die auf Uberirdisches und zugleich Naturnahes gerichtet 
sind. Überall bildet sich für die Phantasie des Gläubigen ein Kreuz, jedes Ding er- 
hült für ihn neue Bedeutung, eine andere Wesenheit. Er sucht und sieht in der 
umgebenden Wirklichkeit andere Dinge wie die Rómer, und weil er anderes sieht, 
ist auch seine Darstellung eine andere. 

Man hat das Wesentliche in der Bauform der christlichen Basilika gegenüber 
der Anlage des heidnischen Tempels darin gesehen, daB dieser ganz als Außen- 
architektur gedacht ist, sich allenthalben nach außen öffnet, während jene als reine 
Innenarchitektur ohne allen Bezug auf das Äußere entsteht. Das ist richtig und 
hierin liegt ein wichtiges Moment des christlichen Baugedankens, sofern wir ihn 
mít dem antik Klassischen vergleichen, welcher in spüteren Jahrhunderten dann 
doch auch wieder in der christlichen Kunstentwicklung Geltung erlangt. Es han- 
delt sich nun aber an dieser Stelle vor allem darum, die Momente der Stileinheit 
innerhalb der christlich-abendlündischen Kunst aufzuweisen und da finde ich als. 
das bedeutsamste Moment in der gesamten künstlerischen Produktion nicht die 
Innerlichkeit, sondern den Tiefenzug, das Interesse für den Raum. Dieser Tiefen- 
zug tritt überall in der Stilentwicklung zutage, trotz aller gelegentlichen Reaktion 
zum Flüchenhaften und zur Entwicklung in die Breite. Er wird begleitet von der 
Höhenrichtung, welche in der Gotik ihren Kulminationspunkt erlebt. Das erste 
Einsetzen der Hóhenentwicklung sehe ich in dem Befehl Konstantins, die Bet- 
häuser zu erhöhen. Ein praktisches Bedürfnis lag nicht vor, die Anordnung trug 
also lediglich dem veränderten Geschmack der Zeit Rechnung. Ich gebrauche 
dieses trivial scheinende Wort mit Willen, denn es faßt den Begriff eines alle 
Kreise bezwingenden Stilwollens am ehesten. Im Geschmack einer Epoche offen- 
bart sich mit unvermeidlicher Sicherheit ihre innerste Sinnesrichtung. Der kaiser- 
liche Befehl, die Bethüuser zu erweitern und zu verlingern, war dagegen zunüchst 


` 


nur auf die Notwendigkeit zurückzuführen, der größeren Menge der Glilubigen 
Raum zu schaffen. Hier aber im GrundriB der Basilika füllt augenblicklich das 
starke Übergewicht der Längenausdehnung gegen die Breite auf, und nicht nur 
dies — der antike Tempel war ja auch linger als er breit war — die Lüngsachse 
wird in ihrer Tiefenrichtung energisch betont, durch das Portal am Westende 
oder die Eingangshalle, die ihm vorgelagert ist und die Apsis im Osten. Die nach 
innen verlegten Säulenreihen ziehen sich vom Eingang hinauf zum Altar der Apsis, 
die ganze Anlage der Kirche zwingt Auge und Fuß des Eintretenden nach der 
Tiefe zu. Das längliche Rechteck des Grundrisses mit seiner zwingenden Richtung 
in die Tiefe bleibt trotz aller Modifikationen, welche der Grundriß des christlichen 
Kirchenbaus innerhalb der Jahrhunderte seiner Entwicklung durchmacht, unverkenn- 
bar erhalten, im Kölner Dom so gut wie in der Jesuitenkirche Vignolas in Rom. 

Mit noch überzeugenderer Deutlichkeit wie in der Architektur, wo sich der 
Tiefenzug immer zugleich auch als praktisches Bedürfnis geltend macht, tritt er 
aber in der Malerei und Plastik hervor. Hier, wo er die Fläche erst überwinden 
muß, deren Beschaffenheit an sich die Tiefe verneint, wird das Stilwollen beson- 
ders deutlich. Die Entwicklung der Malerei und Plastik des christlichen Abend- 
landes ist auf die Eroberung der Tiefe gerichtet. In der italienischen Renaissance 
trat diesem Tiefenzug ein retardierendes Moment entgegen in der Wiederaufnahme 
des antiken Reliefschemas, aber diese Reaktion wurde zum Ausgangspunkt eines 
mit leidenschaftlicher Energie im Barock durchbrechenden Tiefendranges. Bis 
heute läßt es sich beobachten, daß fast alle wirklich populär gewordenen Bilder — 
sofern ihre Popularität nicht auf außerkünstlerischen Motiven beruht — auf die 
Tiefenwirkung angelegt sind, die Tiefe des Raumes betonen, so etwa Pieter de 
Hoochs Intérieurstiicke, Hobbemas Allee von Middelharnis, Hackaerts Eschenallee, 
Schwinds ruhender Wanderer, Thomas Landschaften, in welch letzteren durch die 
Größe der Vordergrundfigur und die Kleinheit der Landschaft ein äußerst kräftiger 
Tiefeneindruck erzielt wird. 


Was die abendländisch-christliche Kunst von den anderen uns bekannten großen 
Kunstkulturen unterscheidet, sind Perspektive und Chiaroscuro. Ohne Berücksich- 
tigung dieser beiden Faktoren wäre eine Geschichte der abendländischen Kunst 
seit annähernd zweitausend Jahren nicht denkbar. Die ganze mittelalterliche Malerei 
ringt um die lineare Perspektive. Als sie gefunden, ist der Jubel so groß, daß die 
Bilder im italienischen Quattrocento mehr der architektonischen Perspektive wegen 
gemalt sind als wegen des darzustellenden Gegenstandes. Gleichzeitig geht das 
Bemühen um die Luftperspektive. Die hier gemachten Beobachtungen an Licht- 
und Schattenwirkungen sind der Ursprung des Chiaroscuro, dessen höchste Voll-. 
kommenheit, vereint mit einer in der linearen Perspektive unerhörten Tiefen- 
‚wirkung, sich bei Tintoretto und Rembrandt findet. Als ein letzter Ausläufer des 
Chiaroscuro erscheint dann der Impressionismus, der durch die Auflösung alles 
festen Formengefüges die licht- und luftdurchflossene Endlosigkeit und Grenzen- 
losigkeit der Tiefe zu geben versucht. 


Der Tiefenzug, wie er überall in der bildenden Kunst anzutreffen ist, datiert aus 
den ersten christlichen Basiliken; und in dem goldschimmernden Dunkel der Gottes- 
häuser liegen die ersten Chiaroscurowirkungen der christlichen Kunst. Diese Wir- 
kungen waren den frühmittelalterlichen Menschen so wohl bewußt wie uns, sie 
bilden einen wesentlichen Bestandteil der neuen Geschmacksrichtung wie der neuen 
Weltanschauung, was deutlich daraus hervorgeht, daß der Romane sich dem Chia- 


gr 


roscuro in seinen Kirchenbauten niemals mit der PEE оркен hingab wie 
der Nordlinder in seiner Gotik und seinem Barock. 

Die Basilika mit ihrer Tiefenrichtung ist die typische Form des ersten und für 
das Abendland dauernd wichtigsten Bausystems, dessen Ableitung aus dem antiken 
Wohnhaus erwiesen scheint. In ihm offenbart sich der Tiefenzug des abend- 
ländisch-christlichen Kunststils am deutlichsten. Scheinbar im Widerspruch zu 
dicser Richtung steht das zweite der abendlündischen Bausysteme, der kuppel- 
gekrónte Zentralbau, Der Ursprung dieser Bauform aus den kreuzfórmigen Grab- 
kirchen des Orients ist nach den Forschungen der letzten zwanzig Jahre gesichert. 
Daß er vom Abendland mit so lebhaftem Interesse ergriffen wurde, daß das Problem 
der Kuppelwülbung des Zentralbaus und die Vereinigung von Zentralbau und Basi- 
lika die abendlindischen Baumeister immer wieder zu leidenschaftlichen Anstren- 
gungen spornte, beweist, daß dieser kuppelüberwölbte Zentralbau dem abendländi- 
schen Kunstwollen in hohem Maße entsprach. Ein Blick auf die berühmtesten 
Werke dieses Systems, die Hagia Sophia in Konstantinopel, die Markuskirche in 
Venedig, die Palastkapelle Karls des GroBen in Aachen, San Vitale in Ravenna 
lehrt, daB es sich hier im Gegensatz zum griechischen Tempel ausschlieBlich um 
die Gestaltung des Raumes handelt, nicht um die Gliederung der Massen. Hier 
ist der Punkt, wo sich die Identität des Stilwollens in der Anlage der Basilika wie 
der Kuppelkirche findet, es handelt sich bei beiden um die Bewültigung des Raumes, 
die Eroberung der dritten Dimension. Tiefenzug, Perspektive, Chiaroscuro sind 
alle Erscheinungsformen dieses einen Triebes in der bildenden Kunst: der Gestal- 
tung des Raumes. In der Gotik wurde ein Höhepunkt dieser Raumgestaltung er- 
reicht. Das Einsetzen der Renaissance bedeutet hier ein retardierendes Element. 
Die Betrachtung wurde von der Raumgestaltung wieder auf die klare Gliederung 
der Massen gelenkt. aber auf der dadurch gewonnenen neuen Grundlage setzt 
wieder die Reaktion des Barock ein, die zum zweitenmal im abendlündischen 
Kunstkreis für die Begrenzung und Gestaltung des Raumes eine eigenartige Lósung 
findet. MaBgebender als die Gestaltung des Raumes an sich bleibt aber für die 
abendlándische Architektur die Gewinnung der Tiefe. Der Prozentsatz der Zentral- 
bauten ist ein geringer im Verhültnis zu denen des basilikalen Systems. Die 
typischste Form des Kirchenbaus für das Abendland ist die Basilika mit der 
Vierungskuppel Hier findet sich gleichzeitig der Tiefenzug und die ideale Raum- 
form. 

Es ist mit Ausnahme der Zentralbauten immer möglich, den Grundriß einer 
christlichen Kirche durch Fortlassen seitlich ausladender Gliederungen auf das 
Schema der frühchristlichen Basilika zu reduzieren. Wie immer die Anlage der 
Kirche sei, die Entwicklung des Baus führt vom Eingang in die Tiefe. Die we- 
sentlichen Züge in der Anlage der Basilika sind die Apsis und der Vorhof, welche 
beide sich sowohl außen wie innen geltend machen. Dazu kommt, was das Innere 
anbelangt, dic Sdule und über dieser der Bogen an Stelle des Architravs. Als 
bewegliche Bauglieder, die zum Teil mehr der Plastik angehören, kommen hinzu 
Altäre, Kanzeln, Ambonen, Chorstühle, Bischofsitze, Brunnen, Taufbecken, Weih- 
wasserbehülter. Von dem ersten Jahrhundert christlichen Kunstschaffens bis heute 
haben sich diese Züge um nichts wesentliches vermehrt. Die Ausgestaltung der 
Kirche, in baulicher wie ornamentaler Hinsicht, wird bestimmt durch den Kultus. 
Die Bedeutung des Abendmahls tritt hier stark in den Vordergrund. Dadurch ge- 
wann der Altar an mystischer Bedeutung und die Trennung der Kleriker von den 
Laien wurde stürker betont. Der Kulminationspunkt der gottesdienstlichen Hand- 


lung wurde in die Apsis an den Hauptaltar verlegt, so daß diese fensterlose 
Tiefe hier mehr und mehr mit einer buntsteinigen leuchtenden Dämmerung erfüllt 
wurde. 

So weit ist die Entwicklung rein durch die Idee, welche ihr zugrunde liegt, be- 
dingt: die Form des neuen Glaubens ist gefunden. Bezeichnenderweise ist diese 
Entwicklung in allen vom Christentum erfaBten Lündern eine gleichartige. Orient 
und Abendland bauen dasselbe Gotteshaus. Diese Entwicklung gehürt rein der 
Zeit und der Idee. Aber diese Idee ist nicht abendlündisch, sondern semitisch. 
Die christliche Kunst beginnt nicht jetzt, als das Christentum staatlich sanktioniert 
worden, sie begann schon im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung. 
Hier liegt ein Problem vor uns, dessen Lösung unabweisbar zu der Annahme 
drängt, daß einzelne Judengemeinden schon unmittelbar vor den Anfängen der 
ersten christlichen Gemeinden sich in einer Weise künstlerisch betätigten, welche 
dem mosaischen Verbot des Bildermachens zuwider lief. Mag sein, daB, wie 
Wulff!) meint, diese nur die „halb hellenisierten Großstadtjuden der Diaspora" 
waren, immerhin entnahmen. dann die ersten sich absondernden christlichen Sek- 
tierer aus der Mutterkirche eine Anzahl von Formen und bildlichen Vorstellungen, 
mit denen sie für ihre gottesdienstlichen Zwecke nicht anders schalten und 
walten mochten wie die Lutheraner mit dem Kunstgut der katholischen Kirche. 
Der Zwiespalt zwischen Juden und Christén ging nicht einmal so weit. Es han- 
delt sich ja nur um die Negierung oder Anerkennung der Person Christi als der 
des verhei&enen Messias. Die ganze jüdische Religion blieb Besitz der ersten 
Christen. Daher auch die Erklärung, daß die ersten christlichen Malereien vor- 
zugsweise Sujets aus dem Alten Testament darstellen. 

Der ganze Entwicklungsgang, welchen die christlich-abendländische Kunst seit 
ihrer Entstehung bis ins fünfte Jahrhundert hinauf durchmacht, 188% sich als eine 
Orientalisierung bezeichnen. Alexandria und Antiochia sind die Mutterstüdte jener 
Kunst, die, nach Rom verpflanzt, sich dort der Antike vermählt. In Rom wird 
der Ausgleich zwischen dem Orient und dem Abendland, dem semitischen und 
dem klassischen Geist durch die Vermittlung hellenischer Form gefunden. Das 
Judentum Alexandrias war hellenisiert, die ersten Christengemeinden fanden dort 
eine Kunstrichtung vor, welche in überraschender Weise mit der alttestamentlichen 
Poesie übereinstimmte. Das Ende einer überreifen Kultur traf hier mit den pri- 
mitiven Vorstellungen eines Nomadenvolkes zusammen. Die alttestamentlichen 
Hirtengeschichten konnten sich leicht durch die aus Kulturmüdigkeit geborenen 
Hirtenidyllen der Ptolemáerzeit interpretieren lassen. Aber das semitische Element 
war stürker als das hellenische, so daB die wührend des ganzen zweiten und dritten 
Jahrhunderts andauernde Verbreitung der alexandrinischen Kunst im Abendland 
vorwiegend das Eindringen semitischer Ideen in hellenistischem oder hellenisiertem 
Gewand bedeutet. Mehr noch als Alexandria leistet Syrien und vor allem An- 
tiochia für die Entwicklung der christlichen Bilder- und Formvorstellungen und 
endlich traten noch Palästina und Jerusalem selbst in so nahe Beziehungen zum 
römischen Reich, daß die jungen Christengemeinden hier unmittelbar an der Quelle 
ihres Glaubens zu schüpfen vermochten, Die ersten Typen der Heilsgeschichte 
werden auf dem Boden Agyptens, Syriens und Palistinas durch jüdischen Geist 
gezeugt Mit ihnen entstehen neue Ornamentformen oder werden einheimische 


(1) Wulff: Altchristliche und byzantinische Kunst. Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin-Neu- 
babelsberg, Akademische Verlagsgesellechaft M. Koch. 


93 


modifiziert. Diese Typen und Zierglieder gibt der Orient an Rom weiter, welches 
damals die groBe Vermittlerin zwischen dem Orient und dem Abendland ist. Ehe 
die Forschung jene weiten Gebiete des ersten christlichen Kunstschaffens erschloß, 
mochte daher Rom als Pflanzstätte aller christlichen Kunstformen angesehen 
werden!) Tatsache bleibt auch noch, daß sich hier die Modifikation der antik- 
klassischen Formelemente durch orientalisch - semitische Sinnesrichtung vollzog. 
Hier war der Boden, wo der erste Kulturkampf des Christentums ausgefochten 
wurde, die erste Lösung des Problems als „frühchristliche Antike“ gefunden wurde 
und wo der erste Sieg des Orients und des Judentums über Abendland und Klassik 
errungen wurde. 

Die wechselseitige Befruchtung der Kunstkreise seit Alexander dem Großen ist 
eine so komplizierte, daB sie nur im Licht der historischen Forschung verstiindlich 
erscheint. Alexander hatte die Hellenisierung des Orients in politischer Hinsicht 
begonnen. Unter den Diadochen hatte sich diese Hellenisierung in kultureller Hin- 
sicht fortgesetzt, gleichzeitig hatten die Beziehungen der Kolonien zu dem Mutter- 
land eine Orientalisierung des Hellenentums erzeugt. Rom übernahm seit der 
Unterwerfung Griechenlands diese orientalisch - hellenistischen Elemente. Schon 
vor dem Eindringen des Christentums war die römische Kunst also hellenisiert 
und orientalisiert, Die jüdische Lehre fand dort schon einen Boden vor, auf dem 
sie auch typologisch und ikonographisch verstündlich werden konnte. Der Orient 
war dagegen zur Zeit der ersten Christengemeinden schon so hellenisiert, дай den 
jungen juden-christlichen Gemeinden der Formenschatz des klassischen Griechen- 
tums vertraut war. Wir haben also zur Zeit der staatlichen Anerkennung des 
Christentums eine allgemeine, lokal modifizierte, orientalisch-hellenistische Kunst- 
übung, welche überall da, wo Judenchristen zu bauen und zu formen beginnen, 
durch jüdische Vorstellungen und jüdischen Geschmack entscheidend beeinfluBt 
wird. Daraus folgt naturgemüB, daB die Zierformen den hellenistischen Charakter 
behalten (siehe das Kranzgesims am Bau Konstantins des GroBen über dem heiligen 
Grabe zu Jerusalem*), während die Typen der Heilsgeschichte, formal von den 
Griechen entlehnt, doch schneller den spezifischen Charakter des „Christlichen“ 
annehmen, d. h. der auf jüdischem Boden erwachsenen neuen Ethik entsprechend 
umgebildet werden. 

Das bekannteste Beispiel ist die Statuette des guten Hirten im Lateran. Diese 
Gestalt unterscheidet sich formal noch in nichts von spithellenistischen Arbeiten, 
nur die Idee, der sie Ausdruck gibt, ist jüdisch - christlich. Aus dieser Idee aber 
entwickelt sich langsam der Wandel in der Darstellung, der schlieBlich in der goti- 
schen Figuralplastik gipfelt. Es ist bekannt, daß die frühesten Christusdarstellungen 
wie das Relief des Berliner Museums aus Sulu Monastir, das Strzygowski dem 
vierten Jahrhundert und „einer von Rom unabhängigen kleinasiatischen Kunst- 
gruppe“ zuweist, auf die Philosophen- und Dichterstatuen der griechischen Kunst 
zurückgehen. Gerade hier ist die Orientalisierung im jüdisch-christlichen Sinn, die 
bis zu den verzerrten, blutüberströmten Gekreuzigten des r4. und 15. Jahrhunderts 
geht, besonders auffallend. Die Darstellung der spinnenden Maria, die sich wie 
ein deutsches Märchen der Verkündigung ausnimmt, können wir zurückverfolgen 
bis in die Grabanlage von Palmyra, wo die Verstorbenen mit vom Haupte herab- 
fallendem Schleier und der Spindel in der Hand abgebildet sind. Auf der Schmal- 


(2) .Wickhoff, Kraus, Riegi, L. v. Sybel. 
(s) Strsygowski: Orient oder Rom, 
94 


seite des Sarkophags der Pignatta in Ravenna finden wir bei der Verktindigung 
Maria sitzend mit der Spindel in der Hand und einem Korb Wolle zu ihren FüBen. 
Auch diesen geflochtenen Korb kennen wir schon als Attribut der palmyrenischen 
Frau. Der Engel der Verkiindigung, der vor ihr steht, ist ein Nachkomme der 
altgriechischen Nike !). Der Palmenwedel in der Hand Gabriels, jenes stehende 
Attribut der Verkündigungsszene, erinnert, daB sie sich in Palästina abspielt. Wir 
sehen also bei der Typenbildung wührend des vierten, und fünften Jahrhunderts 
den jüdisch-christlichen Geist am Werk, hellenistische Formen umzubilden. In 
dieser Zeit erhält das Abend]and vom Orient seine biblischen Gestalten. 

Spricht bei der Typenbildung das semitische Element deutlicher mit wie bei den ^ 
Bau- und Ornamentformen, so finden wir in diesen wiederum leicht das Ein- 
dringen des allgemein orientalischen Geschmacks in Europa. Die stärkere Be- 
gabung der jüdischen Rasse für das Ornamentale wie für die reproduzierende Kunst 
muß bei einer Betrachtung der frühchristlichen Ornamententwicklung bis zu einem 
gewissen Grade berücksichtigt werden, denn die ersten Christengemeinden waren 
überall entweder Juden oder doch stark von jüdischen Elementen durchsetzt. Die 
Orientalisierung der hellenistischen Kunstweise, welche in der Diadochenzeit be- 
gonnen, wird also in den ersten christlichen Jahrhunderten durch eine weitere 
Semitisierung vervollständigt. In Syrien fand das Judentum außerdem schon eine 
hochentwickelte und charakteristische Ornamentik vor. Zwei Typen des Orna- 
ments herrschen in Syrien wie in Palästina, das geometrische — welches dem 
ganzen Orient geläufig ist — und das Pflanzenornament. Als christliche Symbole 
dringen die alten geheiligten Zeichen der Syrer in Rom ein, die Rosette, das kreuz- 
fürmige Sonnenrad, der sechsstrahlige Stern, die geflügelte Sonnenscheibe finden 
sich leicht verändert oder durch Kreuz und Monogramm Christi zu christlichen 
Symbolen umgedeutet, iiberall wieder, wo der Meißel christlicher Bildhauer 
zuerst die Altäre und Sarkophage, die Chorschranken, Ambonen, Katheder und 
Kanzeln der abendlündischen Kirchen zu schmücken begann. Die syrische Ranke 
schlingt sich an christlichen Bauwerken um Kapitell und Relief, Efeu und Feigen- 
blitter, Weinlaub und Trauben wachsen, wo nur der Akanthus Heimatrecht zu 
haben schien. Aber der Akanthus behauptet sich ebenso wie die antike Palmette ). 
Die syrische Ranke wird Akanthus, der Akanthus nimmt die Form syrischer Pflanzen 
an. Allmühlich findet sich der Ausgleich in der Stilisierung des Pflanzenornaments, 
dem bald der antike Akanthus, bald das syrische Weinlaub zur Grundlage dienen. 
Die symbolischen Lümmer und Palmen, welche jetzt háufig an Stelle der antik 
gewandeten Figuren auf den Seiten der Sarkophage erscheinen, sind syrischen 
Ursprungs, und aus Syrien kommen die girlandentragenden Pfauen, aus Syrien 
die Vógel und Figurengruppen, die zwischen dem Laubwerk des Pflanzenornaments 
hervorlugen. Von jüdischen Sarkophagen entnimmt der christliche Steinmetz das 
sogenannte Strickmotiv, das in seinem Ursprung den Ölblattstab bedeutet. Ein 
syrischer Künstler schnitzt die Felsengrotte von Golgatha auf seine Elfenbein- 
pyxis*) und dieses Motiv wird von abendlündischen Bildnern übernommen, viel- 
leicht ohne Verständnis seiner lokalen Bedeutung, ein syrischer Goldschmied stellt 
auf einer getriebenen silbernen Schüssel das Kreuz zwischen Engeln dar‘) und 


(х) Studniczka: Die Siegesgóttin. — Stuhlfauth: Der Engel in der altchristlichen Kunst. 

(3) Über die Entwicklungsgeschichte des Akanthus und der Palmette in vorchristlicher Zeit siehe 
Alois Riegl: Stilfragen, Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik. 

(3) Elfenbeinbúchse im Berliner Museum, Syrien, fünftes Jahrhundert. 

(4) Patene, Sammlung Stroganoff, Rom. 


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auch dieses palüstinensische Motiv nimmt das Abendland auf. Aus Alexandrien 
stammt das hellenistische Motiv der Lokalpersonifiketion, das noch lange im abend- 
ländischen Mittelalter nachklingt, orientalisch ist die Anbringung kleiner Städte- 
bilder auf Mosaiken und Reliefdarstellungen. Der Zug der Geschenke bringenden 
Weisen aus dem Morgenland hat sein Vorbild in Assyrien und Persien, wo die 
Tributiiberbringung ein beliebtes Thema der Reliefkunst war. Auch hier ver- 
mittelt Antiochia die Gedanken des alten Orients. 


Ich greife diese Beispiele hier und da beliebig aus dem Ganzen des frühchrist- 
lichen Kunstschaffens heraus. Sie gehüren durchschpittlich einer Periode an, die 
schon jenseits des Konstantinischen Zeitalters liegt, aber sie zwingen zu einem 
Rückschluß auf die Entwicklungstendenz der ihnen unmittelbar voraufgehenden 
Vergangenheit. Mehr als illustrierende Bedeutung messe ich den Einzelbeispielen 
nicht zu. Indizienbeweise dieser Art sind immer trügerisch, denn aus der Fülle 
der konkreten Erscheinungen lassen sich wohl auch eine Reihe von Beispielen 
aufführen, welche geeignet würen, das gerade Gegenteil meiner Hypothesen zu be- 
weisen. So lange wir uns an Einzelbeispiele halten, wird das Problem: Orient 
oder Rom, sich bald in diesem, bald in jenem Sinne lösen’). Maßgebend erscheint 
mir hier der allerdings viel schwerer zu demonstrierende, vielleicht immer nur 
gefühlsmäßig zu erfassende Hinweis auf das Ganze der Kulturerscheinung. Der 
Sarkophag der Pignatta in Ravenna wird auch dem ungeübtesten Auge sofort als 
Denkmal einer neuen Stilrichtung erscheinen. Der jüdisch-orientalische Geist, un- 
faßbar im einzelnen, macht sich mit zwingender Gewalt fühlbar. Dieser Sarkophag 
mit seinen Dattelpalmen, seinen weit im Raum verteilten malerischen Figuren, 
seinem jugendlichen Christus, den schweren, unbeholfenen Gewändern, der derben 
Behandlung aller Formen, den kanellierten Pilastern, dem runden, mit mächtigen 
Kreuzen gezierten Deckel, ist der jüdischen Geschmacksrichtung entsprossen. Der 
Geist, der ihn schuf, war heimisch am Jordan und in Zion. 


Die frühchristliche Antike entfernt sich zugleich von dem Naturalismus der Syrer, 
wie von der strengen Bildung der Antike. Der Eierstab, die lesbische Welle, der 
Zahnschnitt, diese drei typischen Ornamentmotive der Klassik werden dem neuen, 
von Syrien stammenden Formensinn entsprechend verändert. Eine völlig neu- 
artige Relieftechnik entsteht. Das Ornament wird flacher, das Relief erinnert an 
Elfenbeinschnitzerei, so flach, scharf und fein ist es gehalten. Das Blattwerk er- 
scheint durch Unterschneidung und Ausstechen des Umrisses wie auf den Grund 
aufgelegt. Trotz der scheinbaren Richtung auf das Flächige gewinnt doch auch 
hier schon wieder der Tiefenzug in der Stilentwicklung die Oberhand, denn der 
Grund, von welchem sich das Ornament abhebt, wird ganz als dunkle Tiefe auf- 
gefaßt, durch Bemalung der Zierformen wird eine reiche koloristische Helldunkel- 
wirkung erzielt, die ebenfalls mit zum orientalischen Gepräge der neuen Bauten 
beiträgt. Ein Vergleich mit der figuralen Reliefplastik zeigt deutlich die Stilrichtung 
an, welche die ornamentale Reliefplastik beabsichtigt. Durch das syrisch-helleni- 
stische Mittel des hohen Horizontes mit seiner Folgeerscheinung der Figuren- 
staffelung zur Andeutung der Raumtiefe wird dem Tiefenzug der abendländischen 
Kunst ein bedeutsamer Ausweg gewiesen. Die sämtlichen figuralen Reliefs der 
frühchristlichen Antike drängen auf Raum und Tiefendarstellung. Der Bildner hält 


(1) Vergleiche die Arbeiten Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft; L. v. Sybel: Die 
christliche Antike; Strzygowski: Orient oder Rom; Wulff: Altchristliche Kunst und die älteren 
Arbeiten von Wickhoff und D. H. Kraus, 


96 


immer den Gedanken an den seine Gestalten umflieBenden Raum und die hinter 
ihnen sich ausdehnende Tiefe fest!) Es ist selbstverstündlich, daß diese orienta- 
lischen Züge nicht allein an christlichen Bildwerken zu beobachten sind. Die 
heidnische Reliefplastik der rómischen Kaiserzeit weist genau dieselben Wirkungs- 
momente auf, durch welche sie sich von der klassischen Antike unterscheidet, 
der rein praktische Grund hierfür ist zu suchen in der Zuwanderung syrischer 
Künstler, der stürkeren Berührung mit dem Orient, dem Bekanntwerden mit orien- 
talischen Werken, das eigentlich entscheidende Motiv aber ist auch für die heid- 
nische Kunstiibung doch die neue Geschmacksrichtung. Der Orient drang mit Wort 
und Form überall siegreich vor. Das Christentum war nur die eine aber wich- 
tigste Phase seines Einflusses. Durch die Religion brachte er mit seinen Formen 
auch seine Ideen zur Herrschaft. Das Wort Julians: „Du hast gesiegt, Galiläer,“ 
bedeutet den Abschluß eines Jahrhunderte dauernden Kulturkampfes. Palästina 
und Jerusalem überwanden Rom. | 


Nirgends macht sich der Kulturkampf so deutlich geltend wie an jenen typischen 
Baugliedern der Antike: Kapitell und Fries. Der betonte Kontrast von tragenden 
und getragenen Gliedern war der neuen Geschmacksrichtung schon damals un- 
sympathisch. Er gelangte erst wieder in der italienischen Renaissance zur Geltung. 
Der Bogen bietet an sich schon einen Ausgleich, er trägt und ruht. In der Basi- 
lika verdringt er den Architrav. Die Sáule verbindet sich mit dem Bogen. Das 
ist die wichtigste konstruktive Neuerung der frühchristlichen Antike, auch sie stammt 
aus Antiochia. Der Ansatz des Bogens bedarf eines stürkeren Auflagers, die christ- 
lichen Baumeister schieben den Kämpferaufsatz zwischen ihn und das Kapitell. 
An anderen Stellen wird der Kämpfer nötig, weil antike Säulen verwendet werden, 
die von verschiedener Größe sind. Das Säulenkapitell ist entweder noch eine antike 
Bildung, rein korinthischer Akanthus mit Palmette oder der christliche Steinmetz 
arbeitet es nach antikem Vorbild. Aber seine Augen sind geblendet durch syrische 
Ornamentik, seine Hand ist unsicher geworden durch jüdischen Geschmack. Immer- 
hin erhalten wir hier über der Sáule zunüchst noch das antike Akanthus-Kapitell. 
Für den Kümpfer liegt keine Tradition vor, die orientalische Phantasie überspinnt 
ihn mit neuen, poetisch-malerischen Formen, welche die alten in den Schatten 
stellen. Dann greifen diese Formen auch auf das Süulen-Kapitell über. An den 
Kapitellen 148t sich der Sieg des Orients am deutlichsten erkennen. Von dem 
noch immer klassischen Adel des korinthischen Akanthuskapitells der Studiosbasilika 
in Byzanz gelangen wir am Ende der Entwicklung zu den Korbkapitellen von San 
Marco und San Vitale. Was dazwischen liegt, ist die Orientalisierung des Abendlandes. 

So gänzlich war hier das orientalisch-semitische Element Sieger, daß es des An- 
sturmes einer stärkeren, dem Orient wie der klassischen Antike völlig verstündnis- 
los gegenüberstehenden Rasse bedurfte, um eine neue Machtverschiebung zugunsten 
des Abendlandes herbeizuführen. Die Antike vermochte zundchst nichts mehr. 
Die romanische Rasse war selbst schon zu dekadent, zu sehr von orientalischen 
Elementen zersetzt, als daß sie sich dem Orientalismus gegenüber hätte behaupten 
können. Die Völkerwanderung führte die germanischen Stämme in die Kultur- 
entwicklung des Abendlandes ein und alsbald begann der zweite Kulturkampf des 
frühen Mittelalters, dessen Endergebnis in der Kunst als romanischer Stil dasteht. 

Die Anfünge dieses Stils múchte ich, obgleich auch diese Datierung wieder eine 
willkürliche ist, von dem Moment annehmen, in welchem die ganze mittelalterliche 


(1) Wulff: Altehristiiche Kunst; derselbe: Die umgekehrte Perspektive. 
Monatshefte für Kunstwissenachaft XL Jah. 1918, Heft 4 7 97 


Kunst in drei Gruppen zerfüllt: die byzantinische Kunst, die Kunst des Islam und 
die abendlindische. Auf den ersten Blick wird es kenntlich, daB die orientalischen 
Elemente nach Byzanz und den islamitischen Gebieten zurückgedrüngt werden. 
Die nordischen Völker bringen eine eigene primitive Kunstfertigkeit mit, antike 
und orientalische Gebilde erscheinen ihnen gleichwertig, fremd, unverstündlich, 
aber begehrenswert. Wie Kinder greifen sie nach dem Bunten, Glänzenden, Leuch- 
tenden des Orients, nach dem Formschönen, Klaren, Festen der Antike. Die Welt 
des untergehenden Römertums überliefert ihnen eine Kultur, zu der sie noch nicht 
reif sind, und einen Glauben, den sie noch nicht aufnehmen können. Ihre Bildung, 
soweit sie dieselbe annehmen, bleibt eine äußerliche, ihr Christentum ein Kinder- 
glaube. Den Tempel der christlichen Kultur lassen sie stehen, wie ihre Lehr- 
meister ihn errichtet haben. In der Basilika dienen die jungen nordischen Völker 
dem Nazarener, wie einst das hochgebildete Römervolk im Wohnhaus seiner Väter 
dem Hebräergott die ersten Opfer brachte. 

Es ist nicht, als ob diese nordgermanischen Völker noch keine eigene Baukunst 
besessen hätten. Ihre Königshallen legen Zeugnis ab von einem schon entwickel- 
ten, baukünstlerischen Vermügen!) In dieser germanischen Baukunst aus der Zeit 
vor ihrer Berührung mit den älteren Kulturvölkern drückt sich ein ganz anders 
geartetes Stilwollen aus als das in den christlichen Gebieten des Abend- und 
Morgenlandes zu entscheidendem Ausdruck gelangte. Die Betonung der Querachse 
im Grundriß der Halle ist wohl das bedeutsamste Unterscheidungsmerkmal zwischen 
der germanischen und der Basilikenkunst des römischen Reichs. Der Germanen- 
kunst fehlt vor der Völkerwanderungsepoche vollständig jener Tiefenzug, der eine 
neue Geschmacksrichtung in der Kunst der alten Welt inaugurierte. Die Germanen 
waren aber in weit höherem Maße wie die lateinische Rasse prädisponiert, diesen 
Tiefenzug zur folgerichtigen Entwicklung gelangen zu lassen. Sie griffen ihn in 
ihrer Baukunst mit der Selbstverständlichkeit einer Naturnotwendigkeit auf, zuerst 
in bloßer Nachbildung, später in bewußtem Umformen und Ausgestalten. Typische 
Beispiele für diese Wandlung des frühgermanischen Baustils unter dem Einfluß 
des Orients und der Antike erscheinen mir die karolingischen Kaiserpfalzen zu 
Aachen und zu Ingelheim. In Aachen fand Karl der Große offenbar einen mero- 
wingischen Königssaal vor, welchen er durch den Anbau einer halbrunden Apsis 
an der einen Schmalseite zur Basilika umgestaltete. Er gab damit der Hauptachse 
des Gebäudes anstatt der Querlage die Tiefenrichtung. Genau dasselbe geschah 
unter Ludwig dem Frommen an der Pfalz zu Ingelheim. Auch hier zeigt der 
Grundriß wieder die Form der durch Anfügung einer Apsis an der Schmalseite 
zur Basilika erhobenen Königshalle mit entsprechend veränderter Achsenrichtung. 
Die deutschen Kirchen, die uns aus dem Ende des achten Jahrhunderts bekannt 
‚sind — (der Zeit also, welche die entscheidende Wendung zum eigentlichen roma- 
nischen Stil herbeiführte) — zeigen einen Grundriß, der sich durchaus-von dem der 
typischen karolingischen Basilika unterscheidet, durch das Fehlen eines Querhauses, 
den geraden Chorschluß und die Dreiteilung des Chors durch trennende Zwischen- 
mauern°). Wir finden diesen Grundriß auch in Oberitalien*) und Spanien‘), vor 


(1) A. Haupt: Die spanisch-westgotische Halle zu Naranco und die nordischen Königshallen. Monats- 
hefte für Kunstwissenschaft, Jahrgang IX, Heft 7. 

(2) G. Weise: Zur Architektur und Plastik des früheren Mittelalters. Teubner, Berlin 1916. 

(3) Agliate und Sta. Maria in Valle in Cividale. 

(4) Haupt: Die älteste Kunst insbesondere die Baukunst der Germanen. 


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allem aber begegnen wir ihm seit dem sechsten Jahrhundert in Syrien!) Die 
Frage nach der Entstehung dieses Grundrißtypus ist noch ungeklärt. Ich weise 
darauf hin, weil das Vorkommen dieses syrischen Baugedankens im Deutschland 
des achten Jahrhunderts mir wichtig erscheint hinsichtlich der Befruchtung des 
germanischen Geistes durch den Orient. 


Die bauliche Gesamterscheinung des frühgermanischen Mittelalters, zu welcher 
wir allerdings nur durch ein rekonstruierendes Verfahren gelangen kënnen, bietet 
uns also geradezu das Schulbeispiel eines neuen Stils, der in seinem Anfang das 
tektonische Endergebnis der älteren Epoche ist, während sich das neue Kunst- 
wollen zunächst nur im Ornamentalen hervorwagt, hier halb unbewußt wirkend. 
Das Gerüst nahm der Germane, wie er es vorfand, von der klassischen Antike, 
denn trotz der auffallenden Erscheinung, daß der basilikale Grundriß im Orient 
schon in den frühesten Zeiten allgemeine Geltung erlangt hat, halte ich doch bis 
auf weiteres an der Annahme fest, daß die ersten christlichen Gemeinden Roms 
und der römischen Provinzen die Basilika dem antiken Wohnhaus entlehnten. Die 
Übereinstimmung ist zu auffallend, um ohne zwingenden Grund außer acht gelassen 
zu werden. Das Ornament wie überhaupt die bildende Kunst hatte sich inzwischen 
unter dem Einfluß Alexandrias, Syriens und Palästinas völlig verändert. Neben 
dieser orientalisierten Kunst aber hatten die klassisch-antiken Formen noch immer 
ihre Geltung behalten, schon durch die Fülle der aus vorchristlicher Zeit erhal- 
tenen Baudenkmäler, die zum Teil wie das Pantheon Agrippas und der Tempel 
der Mater Matuta eine andere Bestimmung erhalten hatten, zum Teil in Trümmern 
und Bruchstücken bei christlichen Neubauten Verwendung fanden. Die einbrechen- 
den nordischen Volksstimme fanden also zwei Formengruppen vor, die antik- 
klassische und die orientalische. Hier stoßen wir auf einen in rassegeschichtlicher 
Hinsicht überraschenden Zug. Die nordgermanischen Völker gingen in ihrer Kunst- 
übung sofort die engste Verbindung mit der semitisch-orientalischen Formenwelt 
ein, während sie achtlos an der Antike vorübergingen. Der nordische Geist ver- 
einigte sich mit dem aus Syrien und Palästina eingedrungenen zu einer neuen Um- 
bildung der römischen Antike. Dies geschieht in dem Augenblick, in welchem der 
lebendige und unmittelbare Einfluß des Orients durch die geschichtliche Entwick- 
lung unterbunden wird. Südeuropa mit Griechenland, Asien und Ägypten haben 
von da ab ihre eigene Religion, ihre eigene Kultur und ihre eigene Kunst. Das 
Abendland bleibt sich selbst überlassen. Es ist bezeichnend, daß unsere hervor- 
ragendsten Kunstforscher noch nicht zur Klarheit gelangt sind über die Frage 
nach der Beteiligung des Orients, der Antike und der germanischen Rasse selbst 
an der sogenannten „Völkerwanderungskunst“. Die Beteiligung der nordisch- 
germanischen Völker ist sogar schon verneint worden und die Entstehung jener 
wunderbaren phantasievollen aber unleugbar barbarischen — das heißt fremd- 
artigen — Kunst, die wir als frühromanisch bezeichnen, wird bald auf orienta- 
lische, bald auf antik-römische Einflüsse zurückgeführt. Einen charakteristischen 
Fall bietet der Fund von Nagy-Szentmyklos, der von einigen Gelehrten als rein- 
germanisches Werk, von anderen als gänzlich abhängig von der Antike angesprochen 
wurde, bis ihn ein neuer Forscher mit Bestimmtheit als Produkt der „einst blühen- 
den innerasiatischen, synkretistischen türkischen Kunst bezeichnet). 


(1) Butler: Publications of an American archaeological expedition to Syria in 1899. 
(2) G. Supka-Budapest, Das Rätsel des Goldfundes von Nagyszentmiklés, im Januarheft io der 
Monatshefte für Kunstwissenscbaft, IX. Jahrg., Heft 1. x 


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Es liegt hier in dem frühromanischen Kunstschaffen wieder der Fall vor, in 
welchem sich aus Einzelformen die verschiedensten SchluBfolgerungen ziehen 
lassen, wührend nur die vorurteilslose Betrachtung der Gesamterscheinung das 
Wesen und den Grundzug gewahren lassen. Eine Bezeichnung wie die der 
„Völkerwanderungskunst“ hätte sich nie eingestellt, wenn nicht die frühmittelalter- 
lichen Werke des Abendlandes jenen wilden nordischen Charakter trügen, den wir 
aus der Geschichte der Goten und Langobarden, der Hunnen und Vandalen kennen. 

| (SchtuS folgt.) 


DER ZUSTAND unserer FACHMANNISCHEN 
BEURTEILUNG | Von JOSEF STRZYGOWSKI 


f dem Kongresse zu Darmstadt habe ich 1906 den Versuch gemacht, dem Fach 
eine feste Durchbildung (Organisation) zu geben. Wir waren dort alle ver- 
einigt, auf die es damals im Rahmen der deutschen Gruppe ankam. Der Gegen- 
stoß der Begründung des „Deutschen Vereines für Kunstwissenschaft" hat diese Ab- 
sicht nicht zur Durchführung gelangen lassen. Die gedruckten Verhandlungen und 
persönlichen Folgen geben über diesen denkwürdigen Augenblick in der Geschichte 
des Faches zur Genüge Auskunft. Am schlimmsten sind die Auswüchse inzwischen 
in der fachminnischen Beurteilung gewachsen. Musterbeispiele liefert dafür die 
Wickhoff-Schule. 

Rintelen hat in den Monatsheften (X, 1917, S.97f.) einen ausgiebigen Beleg bei- 
gebracht. Eine Zuschrift, die den Aufdruck trägt: „Direktion der Sammlungen von 
Waffen und kunstindustriellen Gegenständen des Allerhöchsten Kaiserhauses“ ver- 
anlaßt mich, hier Dinge zur Sprache zu bringen, die ich seit dem Tage des Lehr- 
antrittes an der Wiener Universität auf Schritt und Tritt wirksam beobachte, ohne 
den stillen Urheber fassen zu können. Freilich kenne ich ihn seit dem Nekrolog, 
der imJ.1906/7 im Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses, XXVI, S. 255f. erschien 
und worin die Mühe, die ich mit Wolfgang Kallab jahrelang in Graz hatte, verschwiegen 
ist. Ich merkte dann seinen Einfluß in der Akademie der Wissenschaften. Er muß 
darauf hinausgelaufen sein, mich zum Dilettanten zu stempeln. Es läßt sich daher 
erwarten, daß dafür auch öffentlich nach Belegen gefahndet wurde. Der Anlaß 
bot sich einmal in der Akademie selbst, wo v. Karabacek mich lächerlich zu machen 
suchte!). Ich habe darauf mit meinem Werke „Altai-Iran und Völkerwanderung“ 
geantwortet, das sich u. a. gegen die Lehren Riegls richtet, des einen als Schutzgott 
mißbrauchten Namens der sog. Wiener Schule. Auf die zweite Gelegenheit be- 
zieht sich der Brief mit dem Aufdruck „Direktion der Waffensammlung“ usf. Ihn 
schrieb ein Beamter dieser Direktion, der ebenfalls Julius v. Schlosser vorsteht. 

Im Jahre 1916 erschien ein kleines Buch „Die bildende Kunst des Ostens“, in 
dem ich unter Ankündigung zweier größerer Arbeiten auf die Probleme hinzuweisen 
suchte, wie sie sich mir im Osten aufdrängen. Das eine dieser Werke, eben 
‚Altai-Iran“, ist, wie gesagt, inzwischen erschienen. Eine Wiener Fachzeitschrift 
„Die graphischen Künste", nimmt nun in ihren „Mitteilungen der Gesellschaft für 
vervielfältigende Kunst“, 1917, S. 36, Anlaß, das Büchlein zusammen mit diesem 
Bande zu besprechen. Da es sich in beiden Veröffentlichungen um Zier- und 
Baukunst handelt, ist man freilich etwas erstaunt, diesen Angriff in den „Graphi- 
schen Künsten“ zu finden; noch mehr überrascht der Ton, in dem sich diese von 
Wiener Fachgenossen geleitete Zeitschrift gefüllt. Ich gebe als Probe die rein 
persönlich gerichtete Einleitung: 

„Feuilletonistische Schriften, wie die vorliegende, müssen energisch bekämpft 
werden. Sie sind gefährlich, nicht nur darum, weil sie leichtsinnige und wissen- 
schaftlich nicht genügend gestützte Hypothesen aufstellen, sondern auch, weil sie, 
` für die Menge unschwer zugänglich, in journalistischen Kreisen allzuleicht Boden 
gewinnen und von dort aus falsche Ansichten verbreiten können. 


(1) VgL Ton und Inhalt seiner Schrift „Problem oder Phantom? Eine Frage der islamischen Kunst- 
forschung“. Sitzungsberichte phil.hist, Klasse, 178. Bd., 3. Abh. Vgl. „Altai-Iran“, bes. 8. 174, 184 u. 219. 


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Das Biichlein bietet natürlich nicht das, was sein Titel verspricht. Dem Leser 
werden darin nicht in gedrángter Form Aufklärungen über die Hauptprobleme der 
Kunst des Ostens gegeben, sondern in polemischem Ton einige Lieblings-, man 
möchte fast sagen: fixe Ideen des Verfassers vorgetragen, die im höchsten Grade 
unmotiviert sind. 

Strz. kämpft nämlich gegen Windmühlen, wenn er behauptet, daß er mit „dem 
zšhen Widerstande der herrschenden geisteswissenschaftlichen Gruppe“ abzurechnen 
habe. Man kann es mit gutem Gewissen in Abrede stellen, daB die heutige Kunst- 
wissenschaft unter dem Banne gewisser vorgefaßter Meinungen stehe. Strzs An- 
sichten wurden nach und nach von besonnenen Kritikern nicht aus parteiischer 
Voreingenommenheit zurückgewiesen, sondern lediglich darum, weil sie unbegründet 
waren. 

Der Vorwurf des aggressiven Verhaltens ist in Wirklichkeit gerade nur Strz. 
gegenüber berechtigt. Er ist es eben, der seine Anhänger parteipolitisch organisiert 
und mit Hilfe einer systematischen , Expansion“ überall unterzubringen versucht 
und somit , Macht und Besitz“ anstrebt. Mit welchem Rechte dieses Mal?“ 

Der so spricht ist kein Wiener; die Wickhoff-Schule läßt ihn nur in der in Wien 
weit verbreiteten Zeitschrift „Die graphischen Künste“ los, vielleicht weil ihr daran 
liegt, die Kaltstellung des Ordinarius der Universität in allen Fachangelegenheiten 
Österreichs zu begründen. Ich habe mich um diese „Kritik“ nicht bektimmert, bin 
ich ja derartige Auslassungen gewohnt, seit Max Dworäk die in meinem „Orient 
oder Rom“ behandelten Fragen als Schulheftprobleme bezeichnete!) War die Sache 
mir also gleichgültig, so doch nicht den Herren, die hier in Wien aufopfernd und 
selbstlos mit mir arbeiten. Einer von ihnen, Dr. Artur Wachsberger, der Leiter der 
ostasiatischen Abteilung des kunsthistorischen Institutes meiner Lehrkanzel, sandte, 
vorübergehend aus dem Felde in Wien, der Schriftleitung eine sachliche Erwide- 
rung, die dadurch in meine Hände kam, daß Leutnant Wachsberger abkommandiert 
wurde und die unter dem Aufdruck „Direktion der Sammlungen von Waffen“ usw. 
eingelangte Ablehnung samt seiner Abwehr in meine Hände legte. Die Ablehnung 
lautet (20.1. 1918): „Sehr geehrter Herr Doktor! Wie Sie selbst im Anfang Ihrer 
Entgegnung ganz richtig andeuten, fällt die Besprechung von Dr. Takäcs eigent- 
lich aus dem Rahmen der „Mitteilungen der Ges. f. vervielfältigende Kunst“. Wir 
haben sie aus Gefälligkeit gegen unseren langjährigen Mitarbeiter und in der Hoff- 
nung aufgenommen, daß wenigstens von Zeichnungen darin mehr die Rede sein 
werde, als es leider tatsächlich der Fall ist. Sie werden es daher begreiflich finden, 
wenn wir eine Replik, der wieder eine Duplik folgen müßte, lieber gerne ver- 
mieden. Würde Herr Hofrat Strzygowski selbst entgegnen, so stünden -ihm selbst- 
verständlich die Spalten unserer Zeitschrift offen, die wir Ihnen, sehr geehrter Herr 
Doktor, als einem Dritten aus den dargetanen Gründen und zu unserem größten 
Bedauern verschließen müssen. Ihr Manuskript folgt mit dem höflichsten Danke 
zurück. In ausgezeichneter Hochachtung Dr. Arpad Weixlgiirtner.“ 

Ich richtete hierauf am 5. IL. eine Zuschrift an die Redaktion der Graphischen 
Künste, die zunüchst den eben mitgeteilten Brief anführt und dann fortführt: ,,Die 
aus Gefälligkeit in der Hoffnung, daß darin von Zeichnungen die Rede sein würde, 
abgedruckte ,Besprechung* werden die Herren, die hinter diesem unter dem Auf- 
druck ,Direktion der Sammlungen von Waffen und kunstindustriellen Gegenstiinden 
des Allerhöchsten Kaiserhauses“ geschriebenen und von Dr. Arpad Weixlgürtner 


(1) Vgl. darüber mein „Altai-Iran“, S. 290 und 304 f. 
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unterzeichneten Briefe stehen, inzwischen ja wohl gelesen haben. Vielleicht haben 
Sie sich auch die Mühe genommen, die beiden Bücher doch einmal anzusehen und 
ihren Inhalt mit dem zu vergleichen, was in jener Besprechung": steht. Sie wer- 
den dann vielleicht begreifen, daB ich mich in der Lage eines Mieters befinde, dem 
jemand Schmutz vor die Wohnungstüre gelegt hat und den der Hausmeister auf- 
fordert, diesen Schmutz selbst wegzurüumen, statt auf den Vorwurf zu húren, die 
Leute und Sachen, die im Hause ein- und ausgehen, genauer ins Auge zu fassen. 
Wir, die graphischen Künste und ich, der Professor der Kunstgeschichte an der 
Wiener Universitit, wohnen beide in Wien. Ich meine, wir sollten diese Stütte 
gemeinsamen Wirkens rein halten und nur aus diesem Grunde beantworte ich die 
Einladung der Schriftleitung mit einer Gegenbitte: móchten die Herren nicht um 
des Anstandes willen und weil sie die Sache nun einmal angeschnitten haben, eine 
Besprechung bringen, deren Beantwortung mich nicht herabwürdigt? Ich werde, 
wenn diese auch nur entfernt auf den Umfang der Probleme und der ihnen zu- 
grunde liegenden Tatsachen, die meine beiden Bücher besprechen, eingeht, gern 
antworten und mich freuen, daß man anfängt, sich in Wien überhaupt mit meinen 
Arbeiten sachlich zu beschäftigen.“ 

Auf mein Drüngen um eine Antwort erhielt ich dann folgenden Brief: ,Sehr ge- 
ehrter Herr Hofrat! Nein, wir haben keinen Moment daran gedacht, Ihre Zuschrift 
abzudrucken, ebensowenig, als wir daran dachten, sie zu beantworten. Auf Ihre 
Karte vom 7. d. hin wiederhole ich nur, was ich bereits Herrn Dr. Wachsberger 
geschrieben habe: eine sachliche Entgegnung von Ihnen auf die Besprechung von 
Dr. Takács hätten wir selbstverständlich gebracht, — aber Sie weigern sich ja, auf 
dieses Anerbieten einzugehen. Damit ist die Angelegenheit für uns erledigt. Hoch- 
achtungsvollst A. W'eixlgürtner.* Ich wandte mich darauf an den Obmann des 
Verwaltungsrates der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, der aber, nachdem 
er vorher aus eigenem Antriebe seine Unbeteiligtheit an dem Vorgehen der Re- 
daktion versichert und zugleich seine Verantwortung in der Sache freiwillig ein- 
gestanden hatte, sich schlie&lich doch auf die Seite der Redaktion stellte. 

Es handelt sich hier vom Standpunkte des Faches um Folgendes. Man mag 
über meine Arbeiten denken wie man will; in keinem Falle geht es an, einen Streit 
vom Zaune zu brechen und dann mutwillig zu verhindern, daß die Würde des An- 
gegriffenen gewahrt bleibe. Man lese die „Besprechung“ von Takács und wird 
zugeben, daB ich darauf nicht antworten konnte. Wachsberger, der sich durch eine 
als Bd.III der Arbeiten meines Institutes erschienene Schrift?) als mein Mitarbeiter 
fachmünnisch eingeführt hatte?), wäre von jeder sachlich vorgehenden Schrift- 
leitung, auch ohne daß dabei Gründe des Anstandes am Orte des Angriffes vor- 
gelegen hätten, als zur Beantwortung berechtigt anerkannt worden. Es ist die 
Art der Wickhoff-Schule, mit Waffen zu kümpfen, wie sie Rintelen und ich dar- 
gelegt haben. Zum Schlusse die zurückgewiesene Besprechung des Dr. Wachs- 
berger: 


„Zur Besprechung von Strzygowskis „Die Kunst des Ostens“ und „Altai- 
Iran“ von Zoltán v. Takacs in Heft 2/3, Jhrg. XL (1917) der „Graphischen Künste.“ 
Es wird manchem Leser verwunderlich erschienen sein, wie Bücher, die sich 

mit der Kunst Hoch- und Ostasiens beschäftigen, in dieser Wiener Zeitschrift zur 


(1) ,Stilkritische Studien zur Wandmalerei Chinesisch - Turkestans". Zweite Sonderveróffentlichung 
der Ostasiatischen Zeitschrift 1916. 
(2) Vgl. mein Vorwort zu dieser Schrift. 


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Besprechung gelangen konnten. Wir erblicken in dieser Tatsache eine erfreuliche 
Ausdehnung des Gesichtskreises auf ferne Gebiete, doch zwingt uns Art und Cha- 
rakter des zitierten Aufsatzes zu einer Erwiderung. 

Der Verfasser hat in den einleitenden Worten sich bewogen gefiihlt, vor Strzy- 
gowski und seinem Schülerkreis zu warnen, weil er ,seine Anhünger parteipolitisch 
organisiert und mit Hilfe einer „systematischen Expansion“ überall unterzubringen 


versucht und somit „Macht und Besitz“ anstrebt.“ Gegenüber dem ehrlichen 


Ringen und der völlig unabhängigen, intensiven Arbeit dieses kleinen Kreises be- 
deutet diese Feststellung eine Entstellung schlimmster Art, deren treibenden per- 
sönlichen Beweggründen hier nicht nachgegangen werden soll. Verschiedene Be- 
merkungen des Aufsatzes verlangen jedoch vor objektivem, wissenschaftlichem 
Gewissen eine Richtigstellung und Entgegnung. So heißt es: 

„Es steht aber von dieser provinziellen Kunst (Chinesisch Turkestans) fest, daß 
sie ein Export der chinesischen Tangkultur ist“ 

Das steht schon darum nicht fest, weil es niemals festgestellt worden ist. Das 
ist nur eine Behauptung Takäcs, die um so merkwürdiger klingt, als Takäcs die 
Behauptungen anderer Leute als „willkürlich und leichtfertig verurteilt. Über die 
Kunst Chinesisch Turkestans liegen nur die Publikationen Grünwedels und Le Coqs 
vor, die Probleme des Zusammenhanges selten berühren und wenn sie es tun, dann 
in einem der Behauptung Takäcs ganz entgegengesetzten Sinn, ferner die Arbeiten 
Steins, die auch stärker nach dem Westen tendieren als nach dem Osten und 
schließlich von den schwer erreichbaren russischen und den unbedeutenden japa- 


nischen Veröffentlichungen sowie von gelegentlichen Aufsätzen abgesehen, die Arbeit . 


des Verfassers, die die ungeheure Vielgestaltigkeit des Problems der chinesisch- 
turkestanischen Kunst darlegt. 

Weiter heißt es bei Takäcs: „Wir müssen aber sowohl die in Rede stehende 
Ranke als auch das Lambrequinmotiv auf chinesische Vorbilder zurückführen, da 
beide „die grundlegenden Elemente“ der dekorativen Kunst sind, die uns in den 
Ornamenten der urchinesischen Bronzen erhalten geblieben ist.“ 

Wir müssen durchaus nicht, wir dürfen sogar nicht. Denn niemand hat ähn- 
liches je festgestellt, und eine derartige Behauptung könnte so gestrengen Kritikern 
von der Art Takäcs „genügen, seine (statt im Original Strzygowskis) willkürliche 
und jeder wissenschaftlichen Disziplin entbehrende ... Theorie... umzuwerfen.“ 
So einfach ist das Problem der chinesischen Ornamentik und ihrer grundlegenden 
Elemente keineswegs, als daß es in einer polemischen Kritik apodiktisch gelöst 
werden könnte. Dazu wird es ernster wissenschaftlicher Arbeit, umfassender 
Quellenstudien und auch vorzunehmender Ausgrabungen bedürfen. Dürftige Finger- 


zeige dazu gab der unterzeichnete Verfasser in einer Besprechung von Strzygowskis. 


„Altai-Iran“ in der Ostasiatischen Zeitschrift, IV. (1915/6), S. 153f. Bemerkt sei hier, 


daß unserem heutigen Wissen nach das Prinzip der ursprünglichen chinesischen Orna- 


mentik sich eher als isolierendes, denn als verbindendes erweist, daB Ornament- 
formen, denen in der ganzen Weltkunst, vornehmlich in der griechischen, der innere 
Drang nach rhythmisch kontinuierlichem Fortlauf geradezu motorisch innewohnt, 
wie dem Mäander und dem Rankenglied, daß diese Formen mit Vorliebe starr in 
sich zurückkehren und ungebunden gereiht werden, wie Wickhoff das schon für 
den chinesischen Miiander beobachtet hat. Ohne damit die selbstándige Entstehung 
der fortlaufenden Wellenranke in China in Abrede stellen zu wollen (der Stand der 
Forschung gestattet eben kein abschließendes Urteil), muß die Behauptung Takács, 
die Ranke würe ein grundlegendes Element der urchinesischen dekorativen Kunst, als 


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unbegrtindet und nicht erwiesen, wahrscheinlich aber falsch zurückgewiesen werden. 

Die Feststellung, daß die früheste dekorative Kunst der hochasiatischen Nomaden 
mit chinesischen Zierformen zusammengehe, ist ganz unoriginell. Strzygowski hat 
dieser Tatsache nie widersprochen. Wozu also die Erregung? Dagegen bedarf 
die folgende Behauptung Takács, daß die skythischen Tierornamente chinesische 
Einflüsse erkennen lassen, eines weit eingehenderen Studiums der offenbaren 
Wechselbeziehung chinesischer und skythischer Ornamentformen, als der „Meinung“ 
Takäcs im Archaeologiai Ertesitö. Daß der Schrägschnitt ferner nicht irgendeine 
„technische Eigentümlichkeit“, sondern der Ausdruck eines starken Formempfindens 
und Formwillens ist, möge derjenige bei Riegl, Spätrömische Kunstindustrie in 
Österreich-Ungarn, Seite 154 ff. nachlesen, dem Strzygowski „zu luftige Hypothesen 
aufbaut.“ | 

Strzygowski tritt selbst in grof angelegten Arbeiten nie mit derartigem Anspruch 
auf absolute Gültigkeit seiner Betrachtungen und Theorien auf, wie Takács dies in 
seiner mehr persönlichen als sachlichen Kritik tut. Und wenn der Ursprung und 
die Entwicklung des mehrstreifigen Bandornamentes einerseits und der Polygonal- 
ornamentik der islamischen Kunst andererseits auch nach Strzygowskis Ausführungen 
für Takács offene Fragen bleiben, so wird die Wissenschaft darum nicht trauern 
und Strzygowski dennoch dafür Dank wissen, daß er zum erstenmal nach Riegls . 
„Stilfragen“ in seinem Altai-Iran das Problem der islamischen Ornamentik in um- 
fassender W'eise von einer neuen Seite beleuchtete und zu lósen versuchte. 

Unverantwortlich erscheint die Behauptung Takacs, Strzygowski hätte das Problem 
der chinesischen Landschaftsmalerei mit seinen tastenden, mehr fragenden als be- 
hauptenden Bemerkungen in der „Kunst des Ostens“ abtun wollen. Einzig die 
Stimmungslandschaft hat Strzygowski zu Fragen inhaltlichen Zusammenhanges an- 
geregt, wobei er sich von jedweder Feststellung formaler oder entwicklungsgeschicht- 
licher Fakten fernhielt. Es geht wohl nicht an, daB man einem Leserkreise, dem 
die Kunst Hoch- und Ostasiens ziemlich ferne liegt, mit einer polemischen Kritik 
von der Art ,Zwei Fliegen auf einen Schlag“ kommt, dabei die Tatsachen entstellt 
und, was das Seltsamste ist, dieselbe Kritik von einigen Spalten dazu benützt, 
eigene Entdeckungen humoristisch-umstürzlerischer Art vorzubringen. Das ist des 
Guten zu viel und fordert ehrlich. denkende Menschen zur Anwendung des ge- 
schmackvollen SchluBsatzes Takács auf ihn selbst auf: „Liest man dergleichen, so 
muß man fürchten, daß einem noch weitere sensationelle Offenbarungen dieser Art 
bevorstehen.“ Ich meine damit die neue Theorie Takäcs, daß in den Ideogrammen 
der chinesischen Schrift der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen ist. 
Das wird auch dem, der nur gelegentlich etwas von dieser hohen Kunst gehört 
hat, wie ein Faschingsscherz klingen, ist aber mit dem ganzen Hilfsapparat wissen- 
schaftlichen Ernstes und Erkennens vorgebracht. 

Es darf nicht unbemerkt bleiben, daß Takäcs weder den Grund, noch die be- 
deutenderen Gedanken und Erkenntnisse der beiden kritisierten Werke auch nur 
mit einem Wort erwähnt. Das Urteil über Wert und Charakter einer solchen Be- 
sprechung möge der Leser fällen. Dr. Artur Wachsberger. 


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CIPPER, genannt TODESCHINI, ALS PSEUDO- 


SPANIER 


Von AUGUST L. MAYER 


Mit sechs Abbildungen auf drei Tafeln €0000000000000009000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 


D* inhaltsreiche Aufsatz Benno Geigers im 

Augustheft dieser Zeitschrift gibt höchst er- 
wünschten Aufschluß über den bisher rätsel- 
haften Autor einer ganzen 'Reihe interessanter 
Genrestücke, die, ähnlich wie die meisten von 
Geiger angeführten, bisher für spanisch gehalten 
wurden. Ich muß gestehen, daß auch ich ver- 
schiedene der nachfolgenden Gemälde für spanisch 
angesprochen habe und die bald Murillo, bald 
Castillo oder gar Velasquez zugewiesenen Arbeiten 
wegen ihrer breiten Vortragsweise und der all- 
gemeinen Verwandtschaft mit den Werken des 
älteren Herrera mit diesem Künstler in Verbin- 
dung zu bringen gesucht habe, Als erstes Bild 
nenne ich das früher als Selbstporträt Magnascos 
geltende Bildnis des Malers vor der Staffelei im 
Besitz des Herrn Kommersienrats A. Leifmann in 
Düsseldorf (Abb. 1), das, wie man sieht, ganz mit 
dem von Geiger als Abb. з wiedergegebenen Stück 
zusammengeht. Weiter möchte ich auf das große 
Genrebild der Sammlung E. Boross in Larchmond 
bei New York hinweisen (Abb. 3), das man als eines 
der gelungensten Stücke des Künstlers betrachten 
darf, ferner auf den bisher als Murillo ausgegebenen 
„Knaben mit Taube“ bei Baron Schrenk-Notsing in 
München (Abb.3) sowie auf das wirkungsvolle, mit 
dem Gemälde aus der Sammlung Somsée eng susam- 
menbüngende lebensgroße Genrestück (Abb. 5), das 
1914, gleichfalls als Murillo, sich im Mailänder Kunst- 
handel befand. Bei diesem Bild ist man sich nicht 


im Zweifel, daB es schon dem 18. Jahrhundert an- 
gehört, während man bei den anderen Stücken, 
namentlich den Interieurs, kaum an eine solche 
späte Zeit denkt. Die meisten Todeschinis wirken 
viel mehr als Arbeiten des 17., denn des 18. Jahr- 
hunderts und durch ihren Naturalismus sowohl 
wie durch das tiefe Kolorit, die Vorliebe für ein 
warmes Braun und die überaus kräftige Vortrags- 
weise, die derbe höchst flotte Pinselführung und für 
den fetten Auftrag ist es nur zu verständlich, daß 
man diese Bilder mit dem älteren Herrera in 
Verbindung bringt. Daß aber der Unterschied 
doch bald erkennbar wird, zeigt vielleicht am 
besten ein Vergleich des Porträts Todeschinis an 
der Staffelei mit dem Selbstportrit Herreras in 
der Sammlung Lazaro zu Madrid (Abb. 4). 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf 
einen anderen Pseudospanier verweisen; es ist 
der Autor des lebensgroBen Hirten, der mir in den 
Ehrich Galleries in New York vor einigen Jahren 
als Murillo geseigt wurde (Abb. 6). Man wird kaum 
fehlgehen, wenn man auch hier den Künstler 
unter den Oberitalienern des 18. Jahrhunderts sucht. 
Es scheint mir wenig zweifelhaft zu sein, daß 
dieses recht dekorative Bild mit der leicht senti- 
mentalen Note dem Mailinder Francesco Londonio 
(1723—1782) zuzuschreiben ist, der gerade Spe- 
sialist für derartige bukolische Stücke war, wie 
seine Bilder in der Brera und in mancher ober- 
italienischen Villa beweisen. 


REZENSIONEN EE 


ERNST HEIDRICH, Beiträge zur Ge- 
schichte und Methode der Kunst- 
wissenschaft. Verlag Benno Schwabe 
& Co., Basel 1917. 

Die beiden bier zuerst abgedruckten Vortrige 
stellen das Fragment einer leider nicht mehr zu. 
stande gekommenen Arbeit dar, die Entwicklungs- 
geschichte der neueren Kunstgeschichtsschreibung 
behandelnd. Nach den vorliegenden Proben würen 
höchst reizvolle Aufschlüsse methodischer sowie 
geschichtsphilosophischer Art zu erwarten ge- 
wesen; doch vermögen schon diese knappen, fein 
durchdachten Ausführungen uns wenigstens die 
Hauptlinien der Heidrichschen Gedanken dar- 
zulegen und zu zeigen, wie sich auch in der 
Kunstgeschichte über das rein Gegenständliche 
hinaus die Färbung des geistigen Lebens in den 
einzelnen Epochen ausdrückt. 

_ Vasari und Winckelmann sind die beiden Gegen- 
pole der Begründungsperiode. Der Italiener geht 
von den Bedürfnissen der Künstlerschaft aus. 
Neben der Absicht, die künstlerische Produktion 
durch das Bewußtsein des Zusammenhangs mit 
der Vergangenheit zu steigern, unterstreicht er 
die soziale Stellung eines neuen Standes und geht 
auf die Erziehung des jungen Künstlers aus, wo- 
bei dann oft jene zum flachen Raisonnement aus- 
artende moralisierende Tendenz durchbricht. Die 
Charakterisierung der nationalen Eigenart wird 
durch das Ausspielen der bespnderen Vorzüge 
der jeweiligen künstlerischen Leistungen angebahnt. 
Mit der starken Betonung der Kunsttheorie will 
er an Stelle der fehlenden historischen Legitimi- 
tät eine axiomische Begründung des neuen Stand- 
punktes geben. Der bei den Nachfolgern V.s sich 
zur größten Schwerfälligkeit entwickelnde antiqua- 
rische Apparat ist gleichfalls auf die Bedürfnisse 
der Praxis zugeschnitten. Eine nur scheinbar ein- 
heitliche Geschichtskonstruktion, bei der die Frage 
nach der Leistung in Relation auf einen willkür- 
lich fizierten Punkt der Entwicklungsgeschichte 
das erste ist, schließt das historische Verständnis 
jeder Epoche von vornherein aus, ebenso wie die 
direkte Verbindung der Renaissance mit der An- 
tike unter gánslicher Ausschaltung des Mittelalters 
eine antihistorische Fiktion. ist. Künstlerisches 
Schaffen wird nach dem Können beurteilt, die 
Ambition kritisch fundierter, auf objektive Er- 
kenntnis ausgehender Forschung liegt V. fern. 
Eine ideengeschichtliche Wendung des Themas 
macht schon der ausgeprägte Individualismus der 


Zeit unmöglich. Mit den Nachfolgern wird die 
lebendige Überzeugung, die das intensive Anteil- 
nehmen an künstlerischen Fragen bei V. immer- 
hin zeitigte, zur klassizistischen Doktrin; die Hi- 
storiker beginnen sich negativ ablehnend gegen 
die interessantesten Zeiterscheinungen zu verhalten. 

Mit Winckelmann hört die Kunstgeschichte auf, 
eine interne Standesangelegenheit zu sein. An 
Stelle des geschmacklichen Qualitätsurteils mit 
dem Maßstab der Gegenwart tritt jetzt eine plan- 
mäßige Stilanalyse. Wirkliche Probleme der 
historischen Erkenntnis werden angeschnitten: die 
Erklärung der Ursachen, aus denen das Phänomen 
der Kunst herzuleiten ist und die dadurch bedingte 
Gesetzlichkeit des Stils. Die Kunst tritt ins engste 
Verhältnis zur historischen Wissenschaft, Nun ent- 
wirft W. von der griechischen Kunst in letzter 
Linie ein Idealgemilde und will damit auf die 
Gegenwart einwirken, einer bereite vorhandenen 
klassizistischen Bewegung die historische Begrün- 
dung verleihen. Aber in dieser Tendenz sprechen 
jetzt Weltanschauungsfragen mit. Begriffe wie 
Echtheit und Ursprünglichkeit des Empfindens 
werden in die Wertrechnung eingestellt. Die 
Sehnsucht der Zeit nach Einfachheit, Stille, Frei- 
heit und Natur klingt in W.s Betrachtungen wieder. 
Ein neues Ideal wird in der Verbindung von Kunst 
und Leben aufgestellt. Die Gegenwartskunst ist 
krank, die Idealität der griechischen Kunst unver- 
einbar mit dem Geist des ancien régime. Das 
künstlerische Denken ist wie das politische eine 
oppositionelle Bewegung des dritten Standes. — 
Wenn W. die Zusammenhänge auch mehr noch 
geahnt als erlebt hat, so hat eine spätere Zeit die 
von ihm gezogenen Umrisse nur schärfer und 
richtiger bestimmt. Seine Gesichtspunkte blieben 
anerkannt, wenn auch mit Einschränkungen und 
Modifikationen. Zwar zeigen sich schon bei W. 
die Gefahren einer abstrakten Geschichtsschreibung, 
aber seine Bedeutung bleibt doch bestehen in der 
Durchgeistigung des Stoffs. Über die griechische 
Kunst tangiert die Kunstgeschichte zur allgemeinen 
Geisteswissenschaft. Die Gewalt des sprachlichen 
Ausdrucks, eine Folge des entbusiastischen Schauens 
und die Forderung nach Autopsie der Denkmäler 
sind Vorzüge, die noch heute anerkannt werden 
müssen. | 

Die ungeheure Erweiterung des Horizonts im 
19. Jahrhundert stellte der zunächst hinter der 
Archäologie zurückgebliebenen neueren Kunst- 
geschichte Anforderungen, denen die alte, durch 


107 


Vasari inspirierte Methode nicht mehr gewachsen 
war. Die Eigenbedeutung der Nationen sowie 
das geschmähte Mittelalter kamen unter dem Ein- 
flu der Romantik zur vollsten Geltung. Das 
Kónnen blieb nicht der Wertmesser der Beurtei- 
lung. Die neu einsetzende Schitzung der Primi- 
tiven ist ein Anzeichen für diese Verschiebung 
der Stellungnahme. Neben der nationalen Note 


spricht nun das.religióse Moment mit, das bei. 


Winckelmann kaum eine Rolle spielt. Mit Schnaase 
tritt die neuere Kunstgeschichte in die strenge 
Systematik ein und wird unter Hegels Einfluß zum 
groB angelegten Geschichtsbild. Anschauungen 
werden zu Begriffen stabilisiert. Doch die ge- 
dankenliche Konstruktion überwiegt die sinnliche 
Anschauung, das Gefühl, vor einem interessanten 
Problem zu stehen, läßt nicht die volle Stärke des 
künstlerischen Eindrucks aufkommen. In der lite 
rarischen Darstellung seigt sich der Konflikt in 
einer äußerlichen Verbindung des eigentlichen 
ideengeschichtlichen Textes mit historischen No- 
tizen. Die „Niederländischen Briefe“ werden durch 
eine merkwürdig weite Distanz von dem Kunst- 
werk gekennzeichnet. 

Erst Burckhardts Cicerone ist zum ersten Male 
eine Geschichte der Kunst, die vor den Denk- 
mälern selbst entstand, die bewußt auf kunst- 
philosophische Exkurse verzichtet. Sein Genie 
beruht auf dem Vermögen, Eindrücke von per- 
sönlichster Färbung mitzuteilen, die künstlerischen 
Ereignisse möglichst ohne das Dazwischentreten 
von Reflexionen zu intensivieren. Empirismus von 
böchster Klarheit ist sein Programm. Das Kunst- 
werk hat bei ihm wieder seine Daseinsberechtigung 
gefunden als Quelle für einen naiven und un- 
reflektierten Genuß. Es ist nicht mehr ausschließ- 
liches Stildokument. Die freie Sinnlichkeit des 
Lebensgefühis und das Selbstbewußtsein der Per- 
sönlichkeit sind die Faktoren, die B.s Neigung 
zur italienischen Renaissance erklären. Die letzten 
Kategorien seiner Beurteilung der Richtungen und 
Persönlichkeiten sind ethische, nicht ästhetische. 
Reinheit und Ausgeglichenheit der Gesinnung 
geben den letzten Ausschlag. So entstehen Misch- 
urteile, die dem natürlichen Verbalten entsprechen 
und den höchsten Reichtum künstlerischer Er- 
kenntnis gestatten. B.s Geschichtebild ist eine 
subjektive künstlerische Schöpfung höchsten Reises, 
nichts mehr, aber die zu weitgebende Objektivität 
der ideengeschichtlichen Spekulation bedeutet auch 
eine Vergewaltigung der Wirklichkeit. 

Eine den Vortrigen beigegebene Besprechung 
von ,Jantzens „Niederländischem Architekturbild“ 
führt in sachlichster Polemik gegen Alois Riegl 


108 


diesen letzten Gedanken an einem Beispiel durcb 
und zeigt die Einseitigkeiten und Gefahren, die 
das Abhören des Entwicklungsganges auf von 
vornherein festgelegte Begriffe mit sich bringt. 
Eine Schematisierung bedeutet es nach Heidrich 
immer, wenn man es unternimmt, die Kunst- 
geschichte zur Problemgeschichte umsubilden, Eine 
begriffliche Ableitung aus scheinbaren Prümissen 
ist ihm nichts anderes als moderne Scholastik 
und krankt wie diese an einer starren Termino- 
logie und willkürlicher Verzeichnung des Tatsüch- 
lichen, Hans Kahns. 


WALTHER HEYMANN: Max Pech- 
stein. Mit 4 Farbendrucken, 44 Netz- 
ätzungen nach Gemälden und 58 Strich- 
ützungen im Text. München, R. Piper 
& Co., 1916. 

Es ist kein Zufall, daß Pechstein als erster aus 
der Generation der einstigen „Brücke“ eine Mono- 
graphie erhalten hat. Gerade, daß er mehr auf 
der Oberfliche bleibt als Nolde, Schmidt- Rottluff, 
Heckel oder Kirchner und mit gröberen, äußer- 
licheren Mitteln arbeitet, bat ihm Erfolg bel jenen 
gesichert, die wohl die äußere Geste, aber nicht 
die innere Notwendigkeit des neuen Kunstwollens 
erfassen. | 

Heymann versucht nicht einmal eine Synthese 
von Pechsteins Kunst und der Art seines Werde- 
ganges zu geben. Bilder aus der Zeit von 1908 
bis 1913 werden mit Worten umschrieben, Pech- 
steins Südseereise bildet den äußeren Abschluß 


des Buches. Der Verfasser ist von restioser Liebe ` 


und Bewunderung für den Maler erfüllt. „Ich 
wünsche ausdrücklich su bekennen, daß meine 
Augen nichts Größeres erreicht haben, als diese 
befehlende und sarte Sicherheit, die eine Rich- 
tungswende in der Kunstgeschichte heraufzwang" 
(8.77). GewiB ist es die Liebe, die das Feuer 
brennend erhält, aber Heymann {st seiner Aufgabe 
trotzdem nicht gewachsen. Er weiß nicht su 
scheiden, da ihm Pechstein als ein losgelöstes 
Einselwesen erscheint, was dessen geistig-schóp- 
ferisches Eigentum ist und welche Elemente die 
Zeit ihm sugetragen hat. So erscheint ihm Pech- 
stein, ,der Giotto unserer Zeit", der ,Genius, der 
die Einheit mit sich selber unverlierbar errungen 
hat“ als Schöpfer eines neuen Stils, während die 
„Richtungswende“ von anderen geschaffen wurde 
und Pechstein nicht Führender, sondern Geführter 
ist. Wenig glücklich ist die Ausstattung des 
Buches trotz zahlreicher, guter Reproduktionen und 
eines schönen Farbholzschnittes. Die Strich- 
atsungen — darunter einige sehr reizvolle Zeich- 


— — — — —— 


nungen — über den Seitenrand oben und unten 
hinausgehend, zerreißen das Satzbild in peinlich- 
ster W'eise. Der bildende Künstler ist an dieser 
Anordnung hoffentlich unschuldig. 

Rosa Schapire. 


KARL HÄHNLE, Arretinische Relief- 
keramik. Ein Beitrag zur Geschichte 
des antiken Kunstgewerbes. Diss. phil. 
Tübingen 1914. Stuttgart ıgı5. 78 S, 
I Taf. 8° 

Vorliegende Dissertation ist nur ein Teil der 
groBen Arbeit des Verfassers über die Relief- 
keramik von Arezzo, die nach dem Kriege mit 
dem reichen Bildermaterial bisher unveröffentlich- 
ter Stücke erecheinen soll. 


In Arezso entwickelte sich um die Mitte des 
ersten Jahrhunderts vor Chr. eine reiche Ton- 
industrie, die gegen Ende des ersten nachchrist- 
lichen Jahrhunderts aufhórte. DieLage der Stadt 
begünstigte den Export, Hähnle untersucht die 
Erzeugnisse der Relieftópfereien und gibt auf 
Grund der reichen Funde in Arezzo, der Bestünde 
des archüologischen Museums in Florenz und des 
Thermenmuseums in Rom, der Sammlungen des 
Bostoner Museums, der Funde in Germanien usw., 
„ein genaues Bild der arretinischen Relieftöpfer 
im einzelnen und ihres Zusammenbanges" (S.11).— 
Auf die vollständige Ausgabe wird nach Erscheinen 
ausführlicher zurückzukommen sein. 


T. O. Achelis. 


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— r asua ñÑ-m rm sam ——dbö—— . n —— —— — 


109 


RUNDSCHAU T —Ha 


DER CICERONE. 


X, 5/6. 

H. H. HOUBEN; Bilderzensur im Vormärz. Frag- 
mente aus einer Geschichte der Zensur. 

ECK. v. SYDOW: Karl Schmidt-Rottluff. (5 Abb.) 


‘WALTER BOMBE: Die Neuordnung der Dússel- 
dorfer Kunstgewerbeschule. 


DIE KUNST. 
XIX, 6. | 


JULIUS VOGEL: Die Erwerbungen des Museums 
der bildenden Künste in Leipzig in den Jahren 
1912—1917. (х farb. Taf, 23 Abb.) 

KARL VOLL +. Zwei satirische Anleitungen zur 
Kunstkennerschaft. 

ALEXANDER v. GLEICHEN-RUSSWURM: Georg 
Broel (12 Abb.) 

KARL VOLL Die Gemaldesammlung Baron 
Albert Oppenheim- Köln. 

GEORG JACOB WOLF: Emanuel v. Seidis Mur- 
nauer Bauten. (2 Taf., 20 Abb.) 

MAX RAPHAEL: Das Buch mit Abbildungen. 
DEUTSCHE MODE: (8 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
XXIX, 4/5. 

MAX J. FRIEDLAENDER: Jan Wellens de Cock. 
(6 Abb.) 


ALBERT KÖSTER: Johann Joachim Winckel- 
mann. (r Taf.) , 


HANS TIETZE: Oekar Kokoschka. (17 Abb.) 


KARL LILIENFELD: Philipp Wirth, ein ver- 
gessener deutscher Meisterportrátist. (4 Abb.) 


BERLINER MUNZBLATTER. 

XXXIX, 194. 

E. BOHLEN: Collectio Seideliana. Eine Richtig- 
stellung nach 225 Jahren. 


GEORG GALSTER: Der Búnstorffer Brakteaten- 
fund (Schluß). 


OUDE KUNST. 

Ш, 5. 

W. VOGELSANG: Tweé schilderijen uit de ver- 
zameling Onnes van Nyenrode. (2 Taf) 

FRITZ LUGT: Naar aanieiding der veiling von 
Kaufmann. 

J. W. ENSCHEDE: De Galerie Musicale van Hess- 
Kippelin-Engelmann. 

JUST HAVELAAR: Ommegang door onze Musea. 
(2 Abb.) 


110 


J. W. ENSCHEDE: Oude Boekdruckkunst en nied- 
versierte Nederlandsche folio-titels tusschen 1700 
en 1825. (6 Abb.) 


— —— 


BERICHTE AUS DEM KNOPFMUSEUM 
HEINRICH WALDES. 

II, 2/4. 

R. FORRER: Kleiderverschlüsse mit Wedgewood- 
Einlagen. (z Taf., 6 Abb.) 


ALFONS TOMANEK u. BÉETISLAV SETLIK: 
Beiträge zur Geschichte der Perlmutter - Industrie 
in Osterreich. (3 Abb.) 


HERMANN STARCKE: Kleiderverschlüsse in den 
Kgl. Sammlungen zu Dresden. Das kgl. Grüne 
Gewólbe II. (r Taf, 4 Abb.) 


HEINRICH WALDES: Der Kleiderverschlu8 Arm- 
Amputierter und Arm-Beschiidigter. (8 Abb.) 


— — zm 


KUNST UND KÜNSTLER. 
XVI, 5. 


KARL SCHMIDT - HELLERAU: Der deutsche 
Lebrling. 
ERICH HANKE: Lodewijk Schelfhout. (7 Abb.) 


MAX von BOEHN: Das Bühnenkostüm in Mittel- 
alter und Neuzeit II, (13 Abb.) 


KARL SCHEFFLER: Wilhelm Trübner +. 
EMIL WALDMANN: Rodin f. 


XVI, 6. 


EMIL WALDMANN: Januskópfe der Genialität. 
GEORG GRONAU: Piero della Francesca, (17 Abb.) 


RUDOLF EBERSTADT: Eine Dorfsiedelung des 
I8. Jahrhunderts. (2 Abb.) 


JULIUS ELIAS: Ulrich Hübner. (4 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION 


XXI, 4/5. 

FRANZ SERVAES: Ausstellung der Berliner Se- 
zession. (6 Taf., 12 Abb.) 

EMIL UTITZ: Kunstgewerbliche Graphik, 
WILLY GEIGER: Epistel aus dem Felde. (r Taf., 
6 Abb.) 

F. KULLBERG: Maler Arthur Illies - Hamburg. 
(a Taf. 4 Abb.) 

EDUARD KAPRALIK: Zu den Gemälden von 
Rudolf Glotz-Wien. (r Taf, 4 Abb.) 

Zu den Bildern von R. OTTO-Dresden -Loschwitz. 
(т Taf., 3 Abb.) 

BERNHARD MÜLLER: Neuere Werke von Hein- 
rich Jobst. (2 Taf., 22 Abb.) 


GUSTAV E. PAZAURBK: Der Sieg der Qualität. 
K. PRELLWITZ: Sehen lernen. 
K. WIDMER: Wilhelm Trübner +. 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 
KUNSTSAMMLUNGEN. 
XXXIX, s. 


W. v. BODE: Die Venus mit dem Orgelspieler 
von Tizian im Kaiser Friedrich-Museum. (4 Abb.) 


BORCHARDT : Sphinxzeichnung eines ägyptischen 
Bildhauers. (a Abb.) 

XXXIX, 6. 

R. OLDENBOURG: Neues über Jan Lys. (5 Abb.) 
WOLFGANG FRITZ VOLBACH: Ein palästi- 
nensisches Amulett. (2 Abb.) 


CH. HÜLSEN: Zum Berliner Cameo des Dios- 
kurides. (2 Abb.) 


NEUE BÜCHER н 


KUBIN, Ein Totentanz, Verlag Bruno Cassirer, 
Berlin. Preis M. 7.— geb. 


Zur Kunstgeschichte des Auslandes: Verlag J. M. 
Ed. Heitz, Straßburg. 

Heft 115, WITTING, Michelangelo da Caravaggio. 
Preis M. 5.—. 

Heft 114: Geschichte des Treppenbaus der Baby- 
lonier und Assyrier, Agypter, Perser und Griechen. 
"Preis M. 8.—. 

Heft 115: DEXEL, Untersuchungen über die fran- 
zösischen illuminierten Handschriften der Jenaer 
Universitätsbibliotbek. Preis M. 4.—. 

Heft 116: SEDLMAIER, Grundlagen der Rokoko- 
Ornamentik in Frankreich. Preis M. 10.—. 

Heft 117: HAHR, Bewegungsgestalten in der 
griechischen Skulptur. Preis M. 3.—. 


SÖRGEL, Architektur- Ästhetik. Verlag Piloty & 
Léehle, München. Preis br. M. 8.—. 


Bibl. für Kunst- und Antiquitštensammler. 
Band 111: BERCHEM, Siegel. 


Band 112; SCHOTTMÜLLER, Bronzestatuetten' 


und Geräte. Verlag Rich. Carl Schmidt & Со, 
Berlin. Preis je M. 8.—. 


WULFF, Grundlinien und kritische Erdrterungen 
zur Prinsipienlebre der bildenden Kunst. Verlag 
Ferd. Enke, Stuttgart, Preis M. Yı 


BEHRENS, Über die Beziehungen der künstle- 


rischen und technischen Probleme. Verlag E.S. 
Mittler & Sobn, Berlin. Preis 0.60. 


Mitteil. des ung. wiss, Instiruts in Konstantinopel. 
Heft 1; GLÜCK, Türkische Kunst. 
Heft 3: Gótteridealeu. Porträts in der grisch. Kunst. 


Die Baltischen Provinzen, Teil Ш: Bauten und 
Bilder. Verlag Felix Lebmann, Berlin. Preis M. 4.—. 


ROTHES, Krieg und bildende Kunat. „ Verlag 
Parcus & Co., München. 


HARTMANN, Die Wiedergeburt der deutschen 
Volkskunst. Verlag R. Oldenbourg, München. 
Preis M. 3.— . 

Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Verlag 
J. M. Ed. Heitz, Straßburg. 

Heft 199: VOLBACH, Der Ы. Georg. Preis M. 8.—. 
Heft 200: LUTHGEN, Die niederrheinische Plastik. 
Preis M, 40.—. 

Heft 201: STEIN, Die Erneuerung der heroischen 
Lendschaft nach 1800. Preis M. 8.—. 

Heft 203: STRAUSS, Zur Entwicklung des seich- 
nerischen Stils in der Köln. Goldschmiedekunst 
des r2. Jahrhunderts. Preis M. 8.—. 

LAZAR, Studien sur Kunstgeschichte. Verlag 
Anton Schroll & Co., Wien. Preis M. 6.—. 
FRIMMEL, Studien und Skizzen zur Gemälde- 
kunde. Verlag Gerold & Co., Wien. 


XI. Jahrgang, Heft 4. 


Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im 
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, 
Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — и уоп KLINK- 


HARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 23. | 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


Geschiiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13467. 


Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- 
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland- 


straße 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
- Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


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Abb. 2. CIPPER, Hiusliche Szene Larchmond, N. Y., Sammi. E. Boross 


Abb. r. CIPPER, Selbstbildnis Düsseldorf, Samml. Leifmann 


Zu: AUGUST L. MAYER, CIPPER, GENANNT TODESCHINI, ALS PSEUDOSPANIER 


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Abb. 3. CIPPER, Knabe mit Taube München, Smig. Frhr. v. Schrenk-Notsing Abb.4. FR. HERRERA D. À., Selbstbildnis Madrid, Samml, Lásaro 


Zu: AUGUST L. MAYER, CIPPER, GENANNT TODESCHINI, ALS PSEUDOSPANIER 


M. f, K. XL, 4 


Tafe 


Abb. s. CIPPER, Die Mahlzeit Mailand, Kunsthandel 


Abb. 6. LONDONIO, Der Hirte 
New York, The Ehrich Galeries 


Zu: AUGUST L. MAYER, CIPPER, GENANNT TODESCHINI, ALS PSEUDOSPANIER 


M. f. K. XI., 4 


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Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 5 


ABHANDLUNGEN REZENSIONEN 
HUBERT STIERLING, Kleine Beiträge Theodor Dáubler, Der neue Standpunkt 


ar А Gin „ 8. 139 
zu Peter Vischer. 4. Das Rátsel des Gertrud @radmann, Die Monumentalwerke der 


Sebaldusgrabes. Mit ro Abbildungen Bildhauerſa milie Kern, (Studien zur deutschen 
auf y ela 8.113 Kunstgeschichte, Heft 198.) Mit 7 Lichtdruck- 


tafeln (Schmidt) ............. 8. 139 | 


ROBERT WEST, Die Übergangsstile w. rr. Volbach, Der heilige Georg. Bildliche 
als Exponenten des Ideen- und Rassen- Darstellung in Süddeutschland mit Berück- 


А ilándi sichtigung der norddeutschen Typen bis zur 
kampfes innerhalb der aben dischen Renaissance. Mit 35 Abbildungen auf 8 Tafein. 


Kulturwelt (Fortsetzung). . . S. 126 Studien zur deutschen Kunstgeschichte, 


TT Sakral- Heft 199 (Escherich) .......... 8. z40 
ALFRED GROTTE, Ostjtidische e Augustin Hirschvogel, Ein deutscher Meister 


kunst und ihre Ausstrahlungen auf der Renaissance. Von Karl Schwarz (Kern) 
deutsches Gebiet. Mit 11 Abbildungen 8. 141 


sut S Tu ria S.135 RUNDSCHAU ............. S. 143 


A.S.DREY Ausstellung 


Königlich Bayer. Hoflieferant kostbarer Antiquitäten «Fineund 
MÜNCHEN Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Antiquitáten jeder Art. 


Paris, 55avenue des Champs Elysées. 


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HOFANTIQUAR ва МАЛ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR 
BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÄLDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITÁTEN 


я шю со RENEE Lan Ub B WC uy ¿w 709 A 0 . A ORT e Р m ew 


KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. 
4. DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES | 
Mit zehn Abbildungen auf sieben Tafeln Von HUBERT STIERLING 


er deutsche ErzguB des 15. und 16. Jahrhunderts ist relativ wenig erforscht. 

Die Zeit vor Vischer und nach Vischer bietet noch immer eine Fiille von 
Problemen, die der Lósung bedürfen. So steht in MeiBen die groBe Tumba Fried- 
richs des Streitbaren (+ 1428), über die wir weder stilistisch noch zeitlich irgend 
etwas Sicheres wissen; auch ihre seitlichen Gravierungen haben sich nicht auf 
ihre Vorlagen zurückführen lassen, so deutlich man auch spürt, daB hier Kupfer- 
stiche zugrunde liegen. Ja, selbst die Vischer, die ihrer überragenden Bedeutung 
nach sich wie eine Dynastie über die Geschlechter der mitlebenden GieBer er- 
heben, bieten noch viele und groBe Rátsel, obwohl die Forschung seit 80 Jahren 
hart um sie ringt. Ihr Ahnherr. Hermann wird von einem fast mystischen Dunkel 
umgeben, denn wir kennen nur ein einziges sicheres Werk seiner Hand, das 
Wittenberger Taufbecken, und dieses ist so besonderer Art, daß es nicht möglich 
ist, ihm weiteres glaubhaft zuzuschreiben. Nur einmal ist, wie Lüer in seiner 
Geschichte der Metallkunst I (1904), S. 348, mitteilt, vor etlichen Jahren ein diesem 
ähnliches Becken im Handel aufgetaucht, über das ich aber auf Anfrage beim 
Verfasser nichts näheres erfahren konnte?). 

Hermanns größerer Sohn Peter tritt uns mit Hilfe seiner bezeichneten Werke 
und der Neudörferschen Nachrichten schon viel greifbarer entgegen; und doch, 
wie viele, wie grundlegende Rätsel bleiben auch bei ihm! Gerade um das Werk, 
welches seinen Ruhm durch die Jahrhunderte getragen hat, das Sebaldusgrab, 
wogen die Wellen des Meinungsstreits unaufhörlich seit vielen Jahrzehnten. Viel- 
leicht, ja hoffentlich ist es den folgenden Ausführungen beschieden, diesen Kampf 
zu schlichten, oder wenigstens seiner Lösung nahe zu bringen. Es läßt sich dabei 
nicht umgehen, die Meinungen der Hauptforscher wenigstens der letzten 40 Jahre 
kurz zu registrieren. | 

In dem Dohmeschen Sammelwerk Kunst und Künstler erschien 1878 eine Lebens- 
beschreibung aus der Feder R. Bergaus, der sich vorher in einer Fülle von Auf- 
Sützen mit Peter Vischer beschiftigt hatte. Es war ihm dabei zur GewiBheit ge- 
worden, daß ein großer Teil der künstlerischen Arbeitsleistung am Sebaldusgrab 
dem jüngeren Peter gut zu schreiben sei Aber er setzt das Geburtsjahr dieses 
Sohnes mit 1494 um sieben Jahre zu spšt an (S. 5). Trotzdem teilt er ihm die 
kleinen Figuren und das Ornamentale des Sockels zu, indem er auf die von Neu- 
dörffer bezeugte Lust dieses Sohnes an Historien und Poeten Bezug nimmt und 
auf die sogenannte Rössnersche Chronik, welche angeblich berichtet, daß der jüngere 
Peter das meiste am Sebaldusgrabe gemacht habe. (Ich komme auf Róssner noch 
ausführlich zurück) Bergau zeigt sich hier von richtigem Stilgefühl geleitet, aber 
seine Annahme zugunsten des jüngeren Peter vermag er nur durch einen zweiten 
Irrtum zu stützen, indem er nämlich S. 24 annimmt, daß 1516 nach der Rückkehr 
Hermann Vischers aus Italien ein künstlerischer Umsturz in Richtung auf die Früh- 
renaissance stattgefunden habe, und daß alle Teile des Sebaldusgrabes, welche 


(1) Nahe verwandt ist auch das Ochsenfurter Taufbecken, das aber wohl von einem der Söhne Peter 
Vischers d. À. herrührt. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft XI. Jahrg. 1918, Heft 5 8 II3 


diesen neuen Geist atmen, erst damals ausgefiihrt seien. So hat er sich aus dem 
Dilemma des späten Geburtsdatums Peter Vischers d. J. herausgezogen und läßt 
ihn 1516 im Alter von etwa 22 Jahren die grundlegende Bereicherung des goti- 
schen Kernes vornehmen. Diese Ansicht möchte plausibel erscheinen, nur läßt 
sie sich nicht mit dem technischen Tatbestand in Einklang bringen, denn gerade 
diejenigen Teile, welche den quellenden Reichtum der Frührenaissance zeigen, sind 
untrennbar mit dem datierten Sockel von 1508/9 verbunden und gleichzeitig mit 
ihm gegossen! Damit ist Bergaus These erledigt, wenngleich ihr ein richtiges 
Gefühl zugrunde liegt. | | 

Auch Bode nimmt in seiner Geschichte der deutschen Plastik 1885, S. 146, für 
Peter Vischer d. J. das falsche Geburtsdatum 1494 an. Trotzdem kann auch er 
sich S. 148 dem Gedanken nicht verschlie&en, daB ,die Tritonen und Sirenen, die 
Harpyien und Satyren, wie die spielenden Kinder, ihrer Mehrzahl nach der Er- 
findung und Hand des jüngeren Peter zuzuweisen seien, dessen Lust an Historien 
und Poeten Neudörffer ausdrücklich hervorhebt, und dessen bezeichnete Arbeiten 
in Formgebung und Erfindung den ähnlichen Charakter tragen.“ Dieser Hinweis 
auf die späteren Werke des jüngeren Peter, die den genannten Teilen des Sebaldus- 
grabes verwandt sind, ist ganz gewiß sehr richtig. Wenn aber Bode hinzufügt, 
daB diese gesamte Genreplastik des Sebaldusgrabes ,,als letzter Schmuck des Mo- 
numentes gearbeitet“ sei, so begeht er denselben Irrtum wie Bergau, denn wir 
können nun einmal nicht um die Tatsache herum, daß der Sockel mit allem Bei- 
werk in zwei Teilen 1508/9 gegossen ist; damals hätte der jüngere Peter aber, 
wenn das Bergau-Bodesche Geburtsdatum richtig wire, erst 14 Jahre gezühlt. 

Erst Georg Seeger bringt 1897 in seiner Dissertation über Peter Vischer den 
Jüngeren Klarheit in diese Wirrnisse, indem er auf die Medaille desselben auf- 
merksam macht, welche die Aufschrift trägt: EGO PETRUS VISCHER MEVS 
ALTER 22 ANO 1509. Damit endlich wissen wir, daß der Künstler 1487 ge- 
boren ist und in den für das Sebaldusgrab entscheidenden Jahren 1508/9 22 Jahre 
zählte, also zufällig ebenso viel wie Bergau und Bode annahmen, welche sein 
Geburtsjahr auf 1494 setzten und die Renaissanceteile des Sockels auf 1516. Wie 
diese seine Vorgünger schreibt auch Seeger dem jüngeren Meister alle jenen Teile 
des Grabes zu, welche der lebendige Anhauch des neuen Geistes getroffen hatte. 
Aber während jene sich noch allgemein und zurückhaltend äußern, greift er mit 
der Sicherheit, die der jahrelange Verkehr mit demselben Künstler erzeugt, viel 
energischer in das Sebaldusproblem hinein. Er schreibt dem jüngeren Meister 
S. 120 den größten Teil der Sockelreliefs, die vier Helden, die vier Kardinal- 
tugenden, einzelne Kindergruppen, zwei der vier Reliefs aus der Sebalduslegende, 
die beiden nackten Jünglinge, welche die Reliefs stützen, nebst den Köpfen in den 
Bogenzwickeln zu; ebenso habe er bei den Apostel-Statuetten und bei den oberen 
I3 Gestalten schópferisch mitgewirkt und den Petrus und einige verwandte Ge- 
stalten, sowie den David geschaffen. Auch ich glaube auf Grund jahrelanger 
Kenntnis der Vischerwerke, daß Seeger im wesentlichen auf dem richtigen Wege 
war. Seine weitausgreifenden Überlegungen haben viel Überzeugendes an sich, 
doch fehlt immer noch die letzte, wirklich durchschlagende Erklürung, wie es 
kommen konnte, daß die beiden großen Sockelhiilften von 1508 und 1509 zwei so 
grundverschiedene Stile beherbergen, und ob es denn nicht möglich sei, diese 
beiden Kunstweisen auf einem noch einwandfreieren Wege, als ihn die Stilkritik 
bietet, zu trennen. Gerade hierauf hoffe ich die Antwort bringen zu können, muß 
aber vorläufig noch auf dem registrierenden Wege verharren. 


114 


Das Seegersche Buch hat nicht die Anerkennung gefunden, die ihm gebührt. 
Vor allem schrieb im Jahre 1900 Weizsäcker im Repertorium 23 eine m. E. viel 
zu harte Kritik. "Vielleicht haben wir es ihr zu verdanken, daf Seeger, dessen 
Sachkenntnis und warme Begeisterung noch manches erhoffen ließen, sich niemals 
wieder zu seinem Thema geäußert hat!) Weizsäcker sagt S. 304, aus guten 
Gründen kónne er nicht weiter gehen, als dem jüngeren Meister nur zwei allego- 
rische Frauengestalten am Sockel und die vier Leuchterweibchen zuzuschreiben. 
Er bleibt also damit nicht nur hinter Seeger, sondern auch hinter Bergau und 
Bode zurück. Gleich darauf bekennt er aber, daB auch er sich im Hinblick auf 
die vier groBen Sebalduslegendenreliefs immer versucht gefühlt habe, an einen der 
jüngeren Mitwirkenden zu denken, von dem dann aber alle vier Reliefs und nicht 
bloß zwei herrühren müßten, denn in Form und Technik bestehe zwischen ihnen 
kein ernstlicher Unterschied (S. 305). Darin pflichte ich Weizsiicker bei und bin 
in der Lage, die Frage mit neuem Vergleichsmaterial aufzuklären, welches zeigt, 
wie sehr diese Reliefs den Geist des jüngeren Peter atmen. | 

Diese Weizsickersche Besprechung, die im übrigen viel Kluges und Frucht- 
bringendes enthält, hat im wesentlichen das Ausmaß dessen bestimmt, was man 
künftig dem begabten Sohne zuzuweisen geneigt war. Im Jahre r905 ließ Daun 
seine bekannte Künstler-Monographie über Vischer erscheinen, deren Existenz 
wegen ihres Bilderreichtums zwar ein Segen ist, von der man aber dringend 
wünschen muB, daB sie in der zweiten Auflage wesentlich vertieft wird (vergl. auch 
die Besprechung von Hampe in diesen Heften, 1905, 8r ff). Daun erklärt S. 29 im ver- 
steckten Hinblick auf Seeger, daB die Persünlichkeit des jungen Peter nicht greif- 
bar geworden sei, und daß sich deshalb für uns vorläufig der Kunstcharakter des 
Vaters im allgemeinen mit dem seines Sohnes decke! Eine Trennung der Arbeits- 
anteile werde immer strittig bleiben. Der Vater sei zeitlebens das geistige Haupt 
der Werkstatt geblieben, und die von seinem gleichnamigen Sohne 1508 aus Italien 
mitgebrachten Skizzen hätten genügt, auch dem Vater ein tieferes Verständnis für 
die Renaissancewelt beizubringen. Eine reichlich naive Vorstellung, daß Skizzen- 
blätter hinreichen könnten, aus einem alten, gotisch erzogenen Manne einen Renais- 
sancekünstler von übersprudelndem Temperament zu machen, einem Temperament, 
das man in seiner Lebensfülle und Unerschópflichkeit nicht anders als genial be- 
zeichnen kann. So bildet denn Dauns Monographie einen Rückschritt über alles 
vorangegangene. Er schreibt dem jüngeren Peter am Sebaldusgrab nichts als 
selbstindige Leistung zugute, ja, er übergeht mit Worten und Abbildungen sogar 
die vier Leuchterweibchen, die in der deutschen Kleinplastik nicht ihresgleichen 
haben. Dagegen verwendet er drei Klischees auf die Nürnberger Madonna, sa- 
pienti sat! "M 

Auch Dehio erklärt 1908 im Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler III, 345 
die Ausführung des Grabes für so einheitlich, daß eine Ausscheidung des Anteils 
der, Söhne nicht möglich sei und daß diese nur als ausführende Gehilfen des 
Vaters erschienen. | | 

Endlich sei noch die Genreplastik am Sebaldusgrabe von Alexander Mayer?) 
(1911) erwühnt; der Verfasser stellt sich im wesentlichen auf den Standpunkt 
Weizsäckers, nur daß er auch die vier großen Reliefs der Sebalduslegende dem 


(1) Ich sehe nachträglich, daß er die zweite Auflage von G. Autenrieth, Das Sebaldusgrab P. V.'s, 
historisch und kúnstlerisch betracbtet (Nürnberg 1899), besorgt hat. 
(3) Vergi. meine Besprechung in diesen Heften IX, 341 ff. 


I15 


Vater zuschreibt, so daB für den Sohn nur die vier Leuchterweibchen und zwei 
Frauengestalten am Sockel als selbstündige Arbeiten übrig bleiben. Merkwiirdig, 
wie viel tiefer doch Bergau und Bode bereits gesehen hatten, obwohl ihnen nicht 
entfernt das gute Vergleichsmaterial des heutigen Tages zu Gebote stand. 

Ich persönlich bin wie Seeger immer der Meinung gewesen, daß die Früh- 
renaissance am Denkmal im wesentlichen als Frucht der Reise des jüngeren Peter 
zu werten sei, der, wie Seeger wahrscheinlich gemacht hat, gerade um 1508, im 
kritischen Jahre des Arbeitsbeginns, aus Italien zurückkehrte. Die Parallelen zu 
den Sockelpartien, den groBen Reliefs, den Leuchterweibchen usw. lassen sich in 
den spüteren beglaubigten W'erken des Sohnes so überzeugend nachweisen, daB 
man sich nur einem natürlichen Gefühle hinzugeben braucht, um bereits in den 
frühen Teilen des Sebaldusgrabes die gleiche Hand zu spüren. Das alles jedoch 
bleibt Gefühl, so lange es nicht gelingt, greifbare Beweise aufzubringen. Dazu 
aber darf man sich nicht damit begntigen, die Dinge nur mit den Augen zu be- 
trachten, sondern man muß sie auch abtasten. Tut man dies an den kritischen 
Teilen des Sebaldusgrabes, so spürt man etwas Unerwartetes. Man merkt nüm- 
lich genau an der Stelle, wo die gotische in die Renaissance-Sockel-Platte über- 
geht, einen deutlichen Ansatz, und vor allem, dieser Ansatz wiederholt sich nicht 
nur auf der Gegenseite, sondern an jedem Sockel auf jeder Seite. Sogar die Ab- 
bildungen lassen es erkennen. Auf Abb. 1 sieht man ganz dicht am linken Rande, 
oberhalb des Reliefkopfes, deutlich eine Ansatzstelle in der Sockelplatte. Wer sie 
hier erkannt hat, findet sie wahrscheinlich auch auf Abb. 2, ebenfalls dicht am 
linken Rande in gleicher Hóhe wieder. Hier auf dieser Abbildung ist es ferner von 
Wichtigkeit zu sehen, daß unmittelbar darüber die Renaissance-Sockel-Platte durch- 
aus nicht in einen entsprechenden gotischen Teil übergeht, wie etwa auf Abb. r, 
sondern daß sie ganz sorglos zwischen zwei gotischen Profilen mündet. Noch 
besser sieht man das auf Abb. 3 und 5, wo man besonders deutlich erkennt, 
daß der jüngere Meister gar nicht mal das Bestreben hatte, die Fuge zwischen 
alter und neuer Arbeit zu verwischen. Damit ist also gesagt, daß der Renaissance- 
Sockel nicht zur selben Zeit geformt ist, wie der gotische, sondern daß er später 
hinzugekommen ist. Da nun aber die beiden Grundsockel auf die Jahre 1508/9 
durch Inschrift festgelegt sind, so bleibt nur die Möglichkeit, daß die Veränderung 
bereits im Wachsmodell geschehen sei. 

Sind die Gedanken einmal in diese Richtung gelenkt, dann finden sie noch weiter 
reiche Nahrung. Etwas tiefer herab ist nämlich das Grabmal ringsum von einer 
etwa 8 cm breiten, nach innen 11/, cm aufgewölbten gotischen Wellenkante (auf 
die der Löwe auf Abb. 2 und 3 seine Vorderpranke legt) umgeben, welche von 
den Grundkanten der Renaissance-Sockel in merkwürdiger Weise direkt über- 
schnitten wird (Abb. 37). Unwillkürlich wird man dadurch іп dem Verdachte be- 
stärkt, der sich oben etwa 20 cm höher schon ergab, daß nämlich diese Renais- 
sance-Sockel nicht zum ersten Entwurfe gehören, sondern später heran kom- 
poniert sind. | 
` Soll diese Beobachtung aber richtig sein, dann muß sie in irgendeiner Form 
auch auf die weiter nach innen zurück liegenden Zwischensäulen (Abb. 3, die 
Säule hinter dem eben erwähnten Löwen), welche den Sarg des Heiligen tragen, 


` (х) Besonders lehrreich ist die groß: Abbildung bei Mayer, Genreplastik, 8. 7, da sie erkennen läßt, 
wie die Renaissance-Sockel um das ganze Denkmal herum fast bis an die äußerste Kante heran- 
gerückt sind 


116 


zutreffen, und auch das ist der Fall! Wie die Abb. r zeigt, befinden sich nämlich 
an dieser Stelle drei merkwiirdige Stiimpfe, die sich um das ganze Denkmal wieder- 
holen. Ganz überwiegend hat man es mit solchen Stümpfen zu tun, zweimal aber 
auch mit abgerundeten, nach innen gebogenen, kurzen Stüben (Abb. 2) Was ist 
das nun? Soviel ist in Abb. 1 auf den ersten Blick klar, daß hier mit dem Messer 
ein glatter Schnitt durch ein weiches Material geschehen ist. Mit anderen Worten, 
hier müssen einmal Säulen aufgestrebt haben. Dem widerspricht durchaus nicht 
Abb. 2, denn auch hier sind diese Sáulen abgeschnitten, nur etwas hóher und die 
Stümpfe sind, als ob sie ein Ornament wáren, nach innen an den Sockel heran ge- 
bogen. In Wirklichkeit sind sie durchaus kein Ornament, sondern man hat versucht, 
aus der Not eine Tugend zu machen, oder anders ausgedrückt: an Stelle des einen 
heutigen, schün und breit ausladenden Renaissance-Ballusters haben ursprünglich 
diese drei Säulen gestanden. Sie haben annähernd die Stärke derjenigen gehabt, 
welche gegenwürtig die Leuchterweibchen tragen, und sie haben ferner den müch- 
tigen gotischen Pfeilern, vor welchen die Apostel stehen, entsprochen, so daB ein 
Wechsel zwischen einem starken Pfeiler und drei dünnen Säulen regelmäßig be- 
stand. Das muß ein böses Gestänge gewesen sein, umso schlimmer, wenn man 
sich auch noch die parallel laufenden Stangen des Gitters hinzudenkt. Es war ein 
Bild frei von aller Anmut, das nicht viele befriedigt haben mag, umso weniger, 
als sich in jenen Jahren der neue Geist mit ganz anderen Formbedürfnissen meldete. 

Nun muß man sich erinnern, daß gerade damals (nach Seeger) der junge Peter 
aus dem Lande dieser neuen Kunst zurückkehrte. Liegt da die Vermutung so 
fern, daß er es gewesen ist, der jene Stangensäulen abgeschnitten habe, und daß 
er es gewesen sei, der jene neuen Renaissance-Sockel vor die Hauptpfeiler gesetzt 
habe? Es ist das eine Frage, die auf dem Papier und vor Abbildungen schwer 
entschieden werden kann. Wer vor dem Sebaldusgrab gestanden hat und jene 
regelmäßigen Absätze an den Sockelplatten gefühlt hat, wer ferner persönlich 
empfunden hat, wie unorganisch die Renaissance-Sockel mit ihrer Unterkante die 
gotisch aufgewellte Randleiste überschneiden, der wird hoffentlich mit seiner Zu- 
stimmung nicht zurückhalten. Nur an Ort und Stelle vermag man auch zu emp- 
finden, wie völlig anders der Stil der vorgelegten Renaissanceteile ist! Die Photo- 
graphie verwandelt alles in ein freundliches Beieinander. In Wirklichkeit aber 
sind die gotischen Teile von einer ganz auffallenden Härte, ja Geistlosigkeit. Es 
sind aus dem Formenschatz der Gotik wirklich nur die längst verbrauchten Motive 
genommen; von dem Malerischen der Spätgotik findet man nicht eine Spur. Man 
kann das gar nicht scharf genug betonen im Gegensatz zu den unendlich weichen, 
erfindungsreichen Renaissanceteilen, die, wie aus einem gnädigen Füllhorn ge- 
schüttet, dauernd Neues bringen; ihr Schöpfer mußte einen Formenvorrat im Herzen 
tragen, wie ihn keines der älteren Vischerwerke auch nur andeutungsweise be- 
sitzt, und wie er ihn nur im Ursprungslande dieser neuen Kunst in sich auf- 
genommen haben konnte. 

Wer mag es ferner verkennen, daß sich in diesem märchenhaften Reichtum und 
in dieser unverkennbaren Liebe zum nackten Körper ein junges Gemüt offenbart? 
Der ältere Meister aber stand damals bereits im sechsten Jahrzehnt. Streicht man 
einmal diese Renaissancewelt fort und denkt sich an ihrer Stelle die Sockelplatte 
lediglich durch einige kleine Tierfiguren belebt, wie sie der ältere Vischer in 
Magdeburg verwendet oder auf seinem Entwurf von 1488 angedeutet hat, so bleibt 
ein ziemlich kahles Gerüst über, das gewiß nicht den Ruhm des alten Meisters 
erhöht hätte. Das mag er (oder mögen andere, die ein Wort mitzureden hatten) 


117 


gefühlt und daher dem begabten Sohne freie Hand gelassen haben. Wir wissen 
ja außerdem durch Neudörffer, daß die Sachen, welche der älteste Sohn des Meisters 
aus Italien heimbrachte, bei seinem Vater Wohlgefallen erregt haben!) Man darf 
sich ferner daran erinnern, daß das Magdeburger Denkmal, so herrlich und un- 
übertrefflich es ist, nach dieser malerischen Seite nicht die geringsten Ansätze 
zeigt; im Gegenteil, wir haben den geschlossenen Erzstil wie in einem Muster- 
beispiel vor uns. 

Die Langseiten des Denkmals zeigen somit bis auf den heutigen Tag deutlich 
die damals geschehenen Eingriffe; sie bestehen in der Vorblendung der Renaissance- 
Sockel und in der Ersetzung der gotischen Stangensáulen durch italienische Ba- 
luster. Veründerungen haben aber auch die beiden Schmalseiten getroffen, denn 
die beiden starken profilierten Bodenrippen, die auf Abb. 4 neben der Gerechtig- 
keit (vgl. auch Mayer, Genreplastik, Tafel 18!) erscheinen, sind mit einem glatten 
Schnitt unvermutet beendigt worden. Die Ursache ist nicht ohne weiteres klar; 
nur soviel vermag jeder, der vor dem Grabe steht, leicht zu konstatieren, daB diese 
máchtigen Rippen, wenn sie fortgesetzt würen, die Seitenfláchen der Renaissance- 
Sockel derart beeinträchtigt hätten, daß die Anbringung von Ornamenten hier voll- 
kommen ausgeschlossen gewesen wire. "Vielleicht sind sie aus diesem Grunde 
dem jüngeren Peter unbequem gewesen und er hat sich ihrer mit einem raschen 
Schnitt entledigt. An die Schnittfliche lehnen sich heute kleine Putten, ebenso 
wie auf einer der abgeschnittenen Stangensüulen an der Nordwestecke des Grabes 
einmal ein Frosch sitzt! Die Liebe zu solchen Genrefigürchen scheint den Vischern 
im Blute gesteckt zu haben; wir sehen sie am Wittenberger Taufbecken des Groß- 
vaters, sie kehren wieder auf dem ältesten Entwurf des Vaters zum Sebaldusgrab 
und wir finden sie endlich an den W'erken des gleichnamigen Sohnes. Allein der 
sich kratzende Hund, einerlei wer ihn modelliert hat, ist uns wohl ein halbes 
Dutzend Mal erhalten. 

Wann sind nun diese tief eingreifenden Veründerungen geschehen? Schon in 
den Jahren 1508/9? Wahrscheinlich! Jedenfalls vor 1512, denn in der damals 
erschienenen Ausgabe der Kosmographie des Pomponius Mela heißt es bereits: 

»Quis vero solertior Petro Fischer in celandis fundendisque metallis? Vidi ego 
totum sacellum ab eo in es fusum imaginibusque celatum, in quo multi 
sane mortales stare missamque audire poterunt. De sarcophagis candelabrisque 
eius mirantur quicunque conspexerint, tanta est subtilitas concinnaque proportio 
fusarum in es grande imaginum." 

Dieselbe Hand nun, die im letzten Augenblick mit der unendlichen Bereicherung 
des Sockels eingriff, hat noch weitere Spuren ihrer Tätigkeit hinterlassen. Es ist 
ziemlich allgemein die Vorstellung verbreitet, daB die vier Leuchterweibchen 
an den Ecken des Grabes von Peter Vischer d. J. seien. Eine Beweisführung 
würde offene Türen einrennen, und es genügt vollauf, wenn man ein Leuchter- 
weibchen mit der Allegorie der Vergänglichkeit zusammenstellt (Abb. 5 und 6). 
Es ist derselbe gedrungene und dabei zierliche Akt, dessen weiche Formbehand- 
lung sich überall am Sockel und in den beglaubigten Werken des jungen Künstlers 
spáter wiederholt. Darüber hinaus sind beiden Figuren selbst solche AuBerlich- 
keiten wie die Armhaltungen gemeinsam. Überhaupt muß man sagen, wer Peter 
Vischer d. J. diese vier Sirenen zuschreibt, der legt ihm künstlerische Fihigkeiten 


(1) Übrigens unterscheidet Neudörffer zwischen Kunstsachen, die Hermann aufgerissen und die er 
gemacht hat; er scheint also auch ausgeführte Kleinigkeiten mitgebracht zu haben. 


118 


bei, die lange ausreichten, die Kleinplastik des Sockels zu schaffen! Ja, man darf 
ruhig behaupten, daß die deutsche Kleinplastik des 16. Jahrhunderts nichts hervor- 
gebracht hat, was geistvoller in der Form und reicher im Gehalt würe. — Diese 
vier Sirenen sind in der GuBbehandlung feiner ausgeführt als die Sockelfiguren, 
Man muB aber in Betracht ziehen, daß sie unmittelbar vor das Auge des Be- 
schauers gerückt sind und an den Ecken des Denkmals, also an ausgezeichneten 
Plátzen stehen; da sie ferner als kleine Einzelstücke gegossen sind, so sind sie 
selbstverständlich auch technisch besser gelungen, so daß ein nachtrügliches Ver- 
schneiden kaum erforderlich war. Wenn die Sockeihälften gar zu unverschnitten 
und alla prima geblieben sind, so darf man wiederum daran erinnern, daf das 
durchaus nicht die Art des alten Meisters gewesen ist. Seine Werke zeigen überall 
den sorgfültig ausbereiteten GuB. Das Sebaldusgrab weist allein schon durch seine 
Technik darauf hin, daB hier eine andere Hand mit am Werk gewesen ist. Auch 
Peter Vischer d. J. ist in späteren Jahren mehr dazu übergegangen, seinen Guß 
einer nachtrüglichen Überarbeitung zu unterziehen; wenn es am Sebaldusgrab 
unterblieben ist, so hat das auf mich immer den Eindruck eines jugendlichen Un- 
gestiims gemacht, das seine Freude daran findet, sich mit dem Uberlieferten in 
Gegensatz zu bringen. Außerdem sind ja alle diese Teile einer scharfen Betrach- 
tung des stehenden Beschauers fast entzogen. Jedenfalls wird man wohl zugeben, 
daß es durchaus nicht die Art eines älteren Mannes wäre, plötzlich mit den GuB- 
überlieferungen der ganzen Vergangenheit so zu brechen. Ja, nicht einmal die be- 
rauschende Fülle junger Menschenleiber paßt zu dem älteren Peter, den wir weder 
vorher noch nachher in irgendwie vergleichbaren Bahnen wandeln sehen. 

Die weichen, bewegungsreichen Meerfrauen haben ihren Platz auf merkwiirdig 
harten Säulen gefunden. Ich möchte glauben, daß hier ein Kompromiß stattgefunden 
habe; denn daß es für den jüngeren Künstler, der das Denkmal mit Hunderten 
wechselnder Figürchen geschmückt hat, und der über den Formenschatz der neuen 
Kunst in souveräner Weise verfügte, keine Mühe gewesen wäre, auch hier lebens- 
volle Baluster zu entwerfen, das sollte gerade im Hinblick auf den quellenden 
Reichtum des Sockels keine Frage sein. Wenn trotzdem unter den Sirenen und 
den Aposteln die harten gotischen Stangen verwandt sind, so beruht das vielleicht 
darauf, daß hier fertiges Material Verwendung finden sollte. 

Es ist lange erkannt, daß diesem gewaltigen Formenaufgebot des Sebaldusgrabes 
ein geistiger Inhalt zugrunde liegt. Seeger und besonders auch Weizsäcker haben 
hier fördernde Erklärungen gebracht. Wenn jedoch der letztere im Repertorium 23, 
309 sagt, daß die Figur der harfenspielenden Muse dem Titelholzschnitt der Qua- 
tuor libri amorum des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) entnommen sei, so ist sein 
Hinweis nicht ganz überzeugend, da sich nur das Allgemeine wiederholt. Da- 
gegen bin. auch ich des festen Glaubens, daß der Schöpfer der Sockelpartien 
die Werke des Conrad Celtes, der 1487 in Nürnberg (also im Geburtsjahr und in 
der Geburtsstadt Peter Vischers d. J.) als erster deutscher Dichter gekrönt war 
und dessen Name damals in aller Munde lag, gekannt habe. Vielleicht kehrt sein 
Bildnis in einem lorbeerumkränzten Medaillonkopfe am Zwickel eines der großen 
Sebalduslegendenreliefs wieder; jedenfalls besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit 
dem -Holzschnittbildnis, welches Hans Burgkmaier im Jahre 1507 von ihm ge- 
schaffen hat!). Sicherlich hat er auch die Quatuor libri amorum gekannt, denn die. 


(1) Abb. s. B. bei Kónnecke, Bilderatlas zur deutschen Literaturgeschichte 1912, 118. Der Medaillon- 
kopf abgebildet von Mayer im Münchser Jabrbuch 1913, 282. 


119 


Situation der Musizierenden, die dort auf dem Titelholzschnitt gegeben ist, kehrt 
doch recht ähnlich wieder auf einer aquarellierten Federzeichnung des Berliner 
Kupferstichkabinetts, die ihm Braun jiingst in diesen Heften 8, 2 richtig zugeschrieben 
hat. Ja, sogar der groBe Brunnen im Hintergrund entspricht ‘ganz merkwiirdig 
dem letzten Holzschnitt des genannten Buches. Ich glaube nicht, daB solche Ent- 
lehnungen fiir Peter Vischer d. J. viel zu bedeuten haben, denn selten ist jemand 
die Erfindung und schlagende Gestaltung leichter geworden als gerade ihm. An- 
dererseits darf man sicher annehmen, daB eine Erscheinung wie Celtes nicht spur- 
los ah ihm, dessen Lust an Poetereien durch Neudórffer, durch Schwenter, durch 
die Pariser Handzeichnungén und die Sockel des Sebaldusgrabes nachdrücklich be- 
zeugt ist, vorübergegangen sei. Hier liegt noch ein Kapitel der Vischerforschung, 
das seinem Bearbeiter Erfolg verspricht. 

Nun die vier groBen Reliefs aus der Sebalduslegende. Ich kann mich auch 
hier kurz fassen, denn bereits der sehr zurückhaltende Weizsäcker hat nicht umhin 
gekonnt, in ihnen die Hand des jüngeren Meisters zu erkennen. Ja, er ging sogar 
über Seeger hinaus, der ihm lediglich zwei von vieren zuerkennen wollte. Meiner- 
seits nur wenige Worte: In der Bestrafung des Ungläubigen (Daun 24) finden sich 
keine wesentlichen Analogien zu Peter Vischer d. J.; in den brennenden Eiszapfen 
(Daun 25) dagegen erinnert die knieende Frau bereits auf das Lebhafteste an die 
Lautenspielerin, die sich an einem der 1508/9 gegossenen Sockel findet (Mayer, 
Genreplastik, Tafel 9). Beide zeigen die typische venezianisierende Gewand- 
behandlung, die der jüngere Peter lebenslang geübt hat. Wie die Falten über 
den Unterleib geordnet sind, das kann wohl nur von einer und derselben Hand 
geschehen sein?). 

Enger und greifbarer sind die Zusammenhänge mit dem jüngeren Meister in den 
beiden anderen Reliefs. Die Gegenüberstellung in den Abb. 7 und 8, von denen 
die letztere längst als Werk des Sohnes erkannt ist, überhebt einer eingehenden 
Beschreibung. Die beiden Frauengestalten zeigen wieder den leicht gerundeten, 
zierlichen Körper, als seien sie Geschwister; sie erheben den einen Arm mit der 
gleichen Geste gegen das geneigte Haupt, usw. Die Verwandtschaft ist so nahe, 
daß man glauben mag, beide Reliefs seien so ziemlich zu gleicher Zeit entworfen. 
Auch die Figur vom Tintenfaß in Stanmore (Daun, Abb.46) gehört hierher. 

Ferner läßt sich auch das Relief der Füllung des Weinkruges, seit Braun die 
Berliner Handzeichnungen zum Schwenter Codex wieder gefunden hat, sicher als 
eine Arbeit des jüngeren Peter in Anspruch nehmen (Abb. 9 u. 10). Denkt man 
sich aus der Zeichnung den ruhenden Herkules fort, dann ist der Aufbau der Gruppe 
aufs engste verwandt: die beiden inneren Figuren stehen jedesmal auf erhöhtem 
Boden, und von den äußeren sind der Somnus und der Hi. Sebald sich mehr als 
ähnlich: sie nehmen die gleiche Beinstellung ein, sie biegen den Arm im gleichen 
Winkel und vor allen Dingen beugen sie sich mit der gleichen leichten Rundung 
vorntiber und schließen so die Gruppe weich ab. 

. Wann diese vier großen Reliefs entstanden sind, ist schwer zu sagen. Da aber 
die Berliner Handzeichnung zum Schwenter Codex auf 1515 festgelegt ist, und die 
Plaketten und Tintenfässer allgemein in diese oder in eine wenig spätere Zeit ge- 
setzt werden, so ist es wohl angezeigt, auch die vier großen Legendenbilder für 


(1) Übrigens wiederholte sich dieses Konzert mit zwei Personen übereinstimmend auf einem anderen 
großen Werke Vischers, dem Fuggergitter. Die Nachzeichnung im Kupferstichkabinett des SE 
Museums. Auch dieses Werk geht für mich fraglos auf den jüngeren Peter zurück. 


120 


spšte Arbeiten am Sebaldusgrab zu halten. Technisch steht dem, glaube ich, nichts 
im Wege, da alle vier einzeln gegossen und alsdann auf den Kern aufgelegt sind. 

Über die Apostel vermag ich hinsichtlich ihres Schöpfers nichts Entscheidendes 
zu. sagen. Eine sehr alte Uberlieferung, die ich am SchluB dieses Aufsatzes zitiere, 
weist den Apostel Bartholomäus dem Hermann Vischer zu. Ob aus seiner Hand 
noch weitere Gestalten hervorgegangen sind, wird sich wohl nie entscheiden lassen, 
da uns die Vergleichspunkte völlig fehlen. An seinen jüngeren Bruder Peter mag 
ich hinsichtlich der Apostel nicht so recht denken, denn wenn man an Ort und 
Stelle den Blick über die ganzen Reihen der Gestalten hingleiten läßt, dann ist 
doch eine gewisse flachbrüstige Gleichmäßigkeit nicht zu verkennen, Jedenfalls 
besteht ein unendlicher Unterschied zwischen ihnen und den Sockelpartien: dort 
geniales Schüpfen aus einem Vorrate, der kein Ende zu finden scheint, dort ferner 
die improvisierende Technik, die den Blick nur auf das Ganze gerichtet hat und 
deshalb von der Ausbereitung des Gusses wie selbstverstündlich absieht; hier da- 
gegen eine merkwürdig gleichmäßige Technik und Handhabung der Formen, die 
nirgendswo Überraschungen zumutet. Intensiveres Leben zeigt sich erst in den 
Köpfen, von denen Mayer im Münchner Jahrbuch 1913, S. 278 einige schöne Auf- 
nahmen bietet. * , * 

Es sei mir gestattet, hier einen Augenblick vom eigentlichen Thema abzuschweifen. 

Alexander Mayer hat a. a. О. den dankenswerten Nachweis geführt, daß die Figur 
des Hl. Sebald an der Schmalseite des Sebaldusgrabes, welche dem Selbstbild 
Peter Vischers auf der anderen Seite entspricht, die Züge Sebald Schreyers trage. 
Es war ja dem Mittelalter nichts Ungewöhnliches, heiligen Personen die Züge 
Sterblicher, etwa der Stifter, zu verleihen; und die Künstler haben besonders gern 
die Gelegenheit benutzt, ihre eigenen Züge auf die Gestalten ihrer Bildwerke zu 
übertragen, einerlei, ob es himmlische oder irdische Personen waren. Ganz be- 
sonders nahe lag die Veranlassung hierzu, falls etwa ein Heiliger den Namen des 
Künstlers trug und dadurch in eine Art vertrauensvoller Patronatsstellung gerückt 
war. Unter solchen Umständen dürfte es nicht überraschen, wenn Peter Vischer 
etwa dem Hl. Petrus seine eigenen Züge gegeben hätte, genau wie der Hl. Sebald 
an korrespondierender Stelle die Züge Sebald Schreyers trágt. 

Nun kehrt in den Werken der Vischerschen Gießhütte viermal der gleiche Petrus- 
kopf wieder, nämlich am Petrus des Magdeburger Ernst-Grabes, am Petrus des 
Sebaldusgrabes, am Petrus des Tucher-Reliefs in Regensburg und am Petrus der Grab- 
tafel von Peter Kmita in Krakau!) Immer haben wir den starkknochigen, vier- 
eckigen Schádel mit dem kurzen, lockigen Vollbart und der krüftigen Nase vor uns. 
Das Haupt ist kahl bis auf die typische Petruslocke. Uber den Schläfen dagegen hat 
das Haar dem beginnenden Alter noch krüftigen Widerstand geleistet. Dieser viermal 
wiederholte Kopf macht es nun von vornherein wahrscheinlich, daB wir es mit einem 
Menschen zu tun haben, der den Vischern hüufig vor Augen stand, und wenn man 
ihn nun mit dem bekannten Kopfe Peter Vischers vom Sebaldusgrab zusammenstellt, 
dann múchte man wohl sagen, daB es der Meister selber gewesen ist, dessen Züge 
sich in den Petrusgestalten widerspiegeln. Vergleicht man das Selbstbild (Daun,S. 30) 
mit dem Nürnberger Apostel, dann darf man auch noch darauf aufmerksam machen, 
daB die krüftigen Backenknochen mit den etwas einfallenden Wangen und auch 
vielleicht die vollen Lippen wiederkehren. 


(2) A. Mayer bildet die Këpfe der beiden ersten im Münchner Jb. 1913, 278, der beiden letzten im 
Rep. 37, 101 ab, 


121 


Es liegt in der Reihenfolge der Vischerschen Werke begründet, daB dieser Kopf 
am jüngsten auf dem Magdeburger Ernst-Grab erscheint. Gereifter tritt er uns im 
Haupte des Nürnberger Petrus entgegen, doch wird der Vergleich hinsichtlich des 
Lebensalters sehr erschwert, da man sich der Annahme kaum entziehen kann, 
daß die Köpfe von verschiedenen Händen modelliert seien. Es folgen die Köpfe in 
Krakau und Regensburg, die jedoch sicher nicht von derselben Hand stammen, die 
den Nürnberger Petruskopf geschaffen hat. Das Tucher-Relief in Regensburg ist 
frühestens 1521 entstanden. Die Ansetzung der Krakauer Tafel schwankt. Daun 
datiert in seiner Monographie S. 19 offenbar nach dem Todesjahr 1505. Mayer im 
Repertorium 37,103 denkt an die Zeit um 1520, denn ihm gelingt in den Abbil- 
dungen ro—12 der Nachweis, daß die Regensburger Platte in ihren zwei Aposteln 
die Kopien der beiden Krakauer Apostel liefert. Eine Entscheidung hinsichtlich 
der Priorität eines der beiden Werke ist schwer zu treffen; jedenfalls aber dürfte 
es ins Gewicht fallen, daB auf der Krakauer Platte neben der Frührenaissance noch 
gotische Baldachine in typischer Ausbildung verwandt sind. 

Endlich kehren die Gesichtszüge Peter Vischer d. A. noch ein sechstes Mal wieder, 
und zwar in der Statue des Hl. Wenzel an dem bekannten Leuchter des Prager 
Doms, welcher 1532 von Prager Ziinften gestiftet wurde. (Das Holzmodell befindet 
Sich im Germanischen Museum.) Diese Figur stammt nun sicher nicht mehr aus 
den Hünden des Altmeisters, denn dieser war vor drei Jahren gestorben, und auch 
sein gleichnamiger Sohn war bereits verschieden. Wir haben es hier also wohl 
mit einem Werke des Hans Vischer zu tun, der aus dem Gedächtnis heraus dem 
Ritter die Züge des leicht idealisierten Vaters verlieh, wie er in seinen besten 
Mannesjahren die Nürnberger Hütte zu Ansehen gebracht hatte. In Übereinstim- 
mung mit dem Selbstbilde am Sebaldusgrabe sehen wir auch hier wiederum, daß 
Peter Vischer d. Á. von ziemlich untersetztem, aber krüftigem Wuchs war. 

* ж 


* 

Nun zurück zu den r2 Aposteln. Ich habe in Heft 8/9 (1917), 331 darauf hin- 
gewiesen, daß es nicht ganz unwahrscheinlich sei, in diesen Gestalten die großen För- 
derer desSebaldusgrabes zu vermuten. Obwohl ich in Nürnberg bei einer raschen Durch- 
sicht der Patrizier-Portrátsammlung nicht das Erwartete gefunden habe, so möchte 
ich doch noch immer an dem Gedanken festhalten. Es kommt vor allen Dingen 
darauf an, annähernd gleichzeitige Stiche oder Bilder heranzuziehen. Bisher habe 
ich nur eine entfernte Ahnlichkeit in den Zügen des Hl. Andreas mit einem Bilde 
Anton Tuchers d. Á, gestochen von J. F. Leonhart 1672, bemerken kénnen. 

Dagegen müchte ich eine mündliche AuBerung Theodor Hampes nicht unter- 
drücken, wenn sie auch nur eine Kleinigkeit betrifft Nach seinen Worten standen 
in vorvischerischer Zeit um den Sarkophag des HL Sebald zwölf Leuchter, welche 
den Namen „Die zwölf Apostel“ führten. Es liegt gewiß nicht fern, zu glauben, 
daB Vischer in seinen Apostelgestalten diese alte Überlieferung wieder aufgenommen 
habe. Ja, man kann vielleicht sogar glauben, daB die vier leuchtertragenden Sirenen 
eine bewußte Erinnerung an das alte Bild der zwölf Kerzen seien. 

Die zwilf heiligen Gestalten stehen heute vor konkaven Pfeilern, deren Rundung 
den natürlichen Hintergrund für sie bildet. So ansprechend uns diese Gestaltung 
der Pfeiler erscheint, so dürfte auch sie nicht in der ültesten Absicht gelegen 
haben, denn am Sockel sind die entsprechenden Teile Beie und es ist nicht 
versucht, einen Ausgleich zu finden! 

Wie ein Stück Mittelalter mutet es an, daB hoch oben am Sebaldusgrabe und 
doch gleichsam auf den Schultern der Apostel — also in umgekehrter Reihenfolge — 


123 


die Propheten erscheinen. Sie waren in mehr als 4 m Höhe jahrhundertelang 
dem Auge entrtickt und haben für die Forschung nie eine Rolle gespielt. Alexander 
Mayer hat sie in seinem oft genannten Aufsatze des Miinchner Jahrbuchs erst- 
malig abgebildet. Ich muß gestehen, daß ich mich hier wiederum lebhaft ver- 
sucht fühle, die Hand eines jüngeren Mitwirkenden zu spüren. Freilich, ob es 
immer die Hand des jüngeren Peter gewesen sein muB, bleibt zweifelhaft. Jeden- 
falls haben wir hier wieder die geistvollen Improvisationen und den sorglosen 
Guß, so sorglos, wie er nur einem Gemüte der jungen Generation gefallen konnte. 
Eine Überarbeitung der Figuren war hier wie am Sockel umso entbehrlicher, als 
das Auge wegen der Entfernung sich begnügen muß, die Konturen zu fassen. 
Manche von diesen Gestalten mag ein wenig kürperlos geblieben sein, und man 
fühlt sich gelegentlich in der auffallenden Betonung des Kopfes (z. B. bei Abb. 31) 
und der Vernachlässigung des Körpers an ältere Gepflogenheiten der Kunst erinnert. 
In anderen dagegen glaubt man mit unbedingter Sicherheit die Hand des jungen 
Peter zu erkennen. So vor allen Dingen im David (Mayer Abb. 21). Dies merk- 
würdige Jünglingshaupt mit den verhaltenen Zügen, deren Gesinnung so schwer 
zu deuten ist, hat mich immer an die Art des jüngeren Meisters erinnert. Gerade 
er liebte es, auf solche rštselvollen Seelenstimmungen einzugehen, und man braucht 
nicht nur auf die unbezeichneten Sirenen und manche Sockelfigur hinzuweisen, 
sondern auch auf Werke, die ihm allgemein zugeschrieben werden, wie die Tinten- 
füsser und Plaketten. Auch die Modellierung mit dem scharf betonten und be- 
grenzten Unterleib erinnert ganz an seine Hand. Wer einmal ein unverbrauchtes 
Titelbild für Peter Vischer d. J. sucht, der darf sich dieses David erinnern. 


* " * 

Es ist im vorstehenden immer und immer wieder die Rede von dem genialen 
Sohne gewesen, dem nur ein kurzes Leben beschieden war und der ohne Zweifel 
eine Fülle grofer, unvollendeter Gedanken mit ins Grab genommen hat. Dasselbe 
Jahr 1528 hat der deutschen Kunst zwei schwere Wunden geschlagen, indem es 
gleichzeitig Albrecht Dürer und Peter Vischer d. J. mit sich nahm. Sein gewal- 
tiger Arbeitsanteil am Sebaldusgrab ist aus stilistischen Gründen hoffentlich wahr- 
scheinlich geworden. Wir sind jedoch in der glücklichen Lage, auch alte Urkunden 
zu besitzen, die uns mit nüchternen Worten sagen, was wir mit liebevollem Nach- 
fühlen herauszufinden suchten, und zwar gehen diese Urkunden auf vortreffliche 
Gewährsmänner zurück, nämlich auf einen Freund Peter Vischers d. J. und auf 
den Lieferanten des Rohmetalls. Beide Urkunden haben jahrzehntelang als ver- 
schollen gegolten. Maximilian Moritz Mayer druckte sie in seinem Nürnberger 
Geschicht ...... Freund 1842, S. 269 ab. Jedoch in einem Falle nicht nach 
dem Original Es ist das groBe und für die Vischerforschung unschitzbare Ver- 
dienst des Nürnbergers Alfred Bauch, in den Mitteil. des Vereins f. d. Geschichte der 
Stadt Nürnberg 1899 in einer anerkennenden Besprechung des Seegerschen Buches 
darauf hingewiesen zu haben, daf beide Urkunden, die seit dem Tode Mayers aus 
dem Gesichtskreis der Forschung entschwunden waren, noch vorhanden sind, und 
zwar befindet sich die einerim Germanischen Museum als Codex 4425,2°, und die 
andere in Bamberg in der Kgl Bibliothek als J. H. Msc. hist. 21a. Ich habe beide 
Urkunden an Ort und Stelle verglichen und gebe im folgenden ihren genauen Wort- 
laut In Bamberg befindet sich die Chronik des Kunz Róssner, welcher für das 
Sebaldusgrab das Metall geliefert hat. Aus seinen Worten geht nichts über den 
Anteil des jüngeren Peter hervor, trotzdem ist es nútig, seine Worte voranzustellen, 


123 


Sie lauten auf S. 193: ,Anno 1519 Jar am 19 tag Junyo ist Sanndt Sebaltz grab 
In sant Sebalts Kirchen auff gesetzt worden, vnd hat gewegen an Messing I57 
Centner 29 Pfund, vnd Cost der Centner daran 20 fl, thut In Suma 3145 fl. vnd 
hat In Maister Peter vischer Ratschmid an sant Katherina graben (gegossen) vnd 
ich hab Im den messing dartzu geprennt vnd zu kaufen geben." 

Diese wichtige Stelle hat Pankratz Schwenter, über den Braun hier in VIII, 2 
berichtet hat, ausgeschrieben oder vielmehr für sich ausschreiben lassen. Diese 
Hs. aus dem Besitz Schwenters kam spáter in die Hánde des genannten M. M. 
Mayer und darauf ins Germanische Museum. Die Stelle lautet S. 173a ebenso, nur 
heißt es hier in der ersten Zeile deutlich Julius, während man in Bamberg wohl 
Junio zu lesen hat. Ferner heißt es gegen den Schluß statt „vnd ich habe Im den 
messing dartzu geprennt“ „Ich Konntz Rosner . .. Schwenter oder sein Ab- 
Schreiber mußte den Namen Rößner einfügen, während es im Bamberger Original, 
das Rössner selbst geschrieben hatte, natürlich unnötig war. Außerdem steht am 
Rande neben Zeile 2 ,,stet zwei mol her Innen es ist an der Jarzall verstossen.“ 
Diese Bemerkung bezieht sich darauf, daB auf S. 141 derselben Chronik sich fol- 
gende Eintragung findet: ,, Anno domini 1506 Jar wurde Sant Sebalds sarch Im Chor 
S. Sebalds Kirchenn gesetz In Nurmberg, den hat gemacht Peter Vischer ein 
Messinggisser vnnd grosser W'erckmaister sambt seynen sónenn, petrum der In 
Kunsten den Vatter ubertroffenn, herman, hansen, paulsen. Aber Jacob hot 
wenig dazu geholfenn.“ 

Diese wichtigen Worte über Peter Vischer d. J. finden ihre Bestätigung in einem 
Manuskript der Nürnberger Stadtbibliothek, dessen Auffindung das große Verdienst 
Seegers ist. Ich habe auch diese Worte an Ort und Stelle verglichen. Sie lauten 
(unter richtiger Benennung der Hs.: Will IIL 933b, 8°) folgendermaßen: „. . hat 
am Messing 157 centner, ist der Centner verdingt und Bezalt worden um f. 20. 
Peter Vischer der Jünger hat den Mehrern theil gethan, dann Er mit 
der Kunst Seinen Vatter und Bruder übertroffen, Hermann hat allein den 
apostel Bartholomäum und etliche Tabernakel gemacht.“ Diese Hs. stellt einen 
kurzen Neudörffer-Auszug dar. Ihr Verhältnis zum Original ist noch nicht geklärt; 
sie betitelt sich „Aus Albrecht Dürers Und anderer Berühmten Künstler Leben.“ 
Nach einer raschen Schätzung Mummenhoffs stammt sie aus der Zeit um 1630. 

In diesen beiden zuletzt genannten Hss. hören wir also zweimal, was ich vorher 
aus stilistischen Gründen und im Hinblick auf sichtbare Gußfugen wahrscheinlich 
zu machen suchte, nämlich daß Peter Vischer d. J. den größeren Teil der Arbeit 
am Sebaldusgrab geleistet habe, Ja, wir dürfen sagen, hätte er nicht das Gewebe 
feinster Kräfte über das Denkmal gebreitet, dann hätte es nie und nimmer seine 
unvergleichliche Bedeutung erlangt. | 

Wer nun alles dieses im Kopfe hat und weiß, wie die Renaissanceteile mit deut- 
licher Fuge ansetzen, und wer ferner bedenkt, daß zwei alte Urkunden die Haupt- 
tátigkeit des Sohnes krüftig betonen, für den wird endlich auch die dritte Urkunde, 
die weniger deutlich von diesem Sohne spricht und sich am Grabe selber befindet, 
eine neue Bedeutung erlangen. In den äußeren Sockelrand sind nach Vollendung 
des Denkmals die bekannten Worte eingraviert: „Peter Vischer pürger zu Nüren- 
berg machet das werk mit seinen Sunnen und ward folbracht im jar 1519 und 
ist allein got dem almechtigen zu lob und sanct Sebolt dem himelfürsten zu eren 
mit hilff frummer leut von dem allmossen bezalt.“ 

Ich glaube, daß es durchaus kein Zufall ist, daß das Sebaldusgrab außer den 
beiden ältesten Inschriften von 1508/9 noch diese von 1519 trügt Denn wir 


124 


kënnen es Peter Vischer d. J. nachfühlen, daB er seine eigene Arbeit, welche das 
Denkmal geradezu grundlegend bereichert hatte, auch urkundlich festgelegt sehen 
wollte. Von seinem Standpunkt aus ist der Wortlaut dieser Inschrift so bescheiden 
als möglich, denn er stellt noch immer den Vater voran. und vermerkt seine eigene 
Arbeit nur gleichzeitig mit der seiner Brüder. 

E e * 

Wer die Geschichte des Humanismus in Nürnberg kennt und weiß, wie zögernd 
der neue Geist dort empfangen wurde, — Max Herrmann hat das 1898 in seiner 
Rezeption des Humanismus in Niirnberg aus umfassender Literaturkenntnis dar- 
gestellt, — der wird sich ungeführ vorstellen kónnen, mit welchen Gefühlen man 
dort dies erste groBe Werk des neuen Geistes entstehen sah. Die Zahl der Freunde 
des Altertums war um 1500 in Nürnberg noch verschwindend klein. Ihr geistiger 
Führer war Sebald Schreyer, den wir an allen derartigen Unternehmungen be- 
teiligt sehen. Seeger hat es wahrscheinlich zu machen gesucht, daB er es gewesen 
sei, welcher den jungen Vischer nach Oberitalien sandte, um für ein anderes 
Schreyersches Unternehmen, die Schedelsche Weltchronik, tütig zu sein. Schreyer 
lebte in einem tief freundschaftlichen Verkehr mit dem Haupte des damaligen deut- 
schen Humanismus, Conrad Celtes, dessen Bild sich mutmaßlich am Sebaldusgrabe 
findet. Schreyers eigenes Porträt ist in’der Gestalt des Hl. Sebald dort erhalten. 
Schreyer wird es wohl auch gewesen sein, welcher dem jungen Vischer mit seinen 
literarischen Kenntnissen zur Seite stand, als er die Fülle antiker Bildungen für 
das Grabmal schuf. Ich will versuchen, auf diesen sprúden Stoff in anderem Zu- 
sammenhang noch einmal zurückzukommen!). 


(1) Da die genauen Maße des Sebaldusgrabes nirgendswo gegeben werden, so seien sie hier mit- 
geteilt: Einfassungsgitter einschließlich Leuchterspitze 1,34 m hoch. Sebaldusgrab: Länge 2,72, Breite 
1,53, Höhe 4,71 m. Die beiden Grundsockel messen im Grundriß 1,36 >< 1,53 m; ihre Höhe wechselt, 
und zwar beträgt sie bis zum :Ansatz der konkaven Pfeiler 45 cm (ohne Schnecken), am Balluster 
48 cm, an der Vereinigung beider Gußstücke jedoch nur 35 cm; Schnecken 19 cm hoch. Grundsockel 
(mit Schriftrand) 25 cm hoch; die abgeschnittenen gotischen Sáulen 2,9 cm stark; gotische Boden- 
welle 8 cm breit, 1!|, cm stark. Neue Sockelhóhe ar cm; Sockelplatte ab Kapitälfuß 15 cm. 4 Eck- 
helden 27 cm hoch; durchschnittene Bodenrippe der Schmalseite 8 cm stark; Peter Vischer-Statuette 
35 cm hoch; groBe Sebalduslegenden-Reliefs 58 cm hoch; Sirenen 24 cm., mit Leuchter und Kugel 
40 cm hoch; Apostel 54 cm hoch. | 


125 


DIE ÜBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES 


IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND- 
LANDISCHEN KULTURWELT (Fortsetzung) Von ROBERT WEST 


x 8 a * 
e0950990099000000000000000000900000009000000000000000009000000900000000000000000009990000000009090009009000000000009090090009909000009 


E ist notwendig, den Ubergangsstil immer da zu suchen, wo der Kulturkampf 
einsetzt, sei es als Rassen- oder als Ideenstreit. Nicht immer findet die end- 
gültige Lósung des Stilproblems dort statt, wo es zuerst gestellt wurde, daher die 
hüufigen Meinungsverschiedenheiten über die Herkunft eines Stils. Der Übergang 
zum Romanischen wird in Oberitalien vollzogen — die Vollendung des romanischen 
Stils, die vollgültige Ausprägung aller in dieser Stilrichtung erhaltenen künstle- 
rischen Möglichkeiten gehört Deutschland. Ich entnehme meine Daten für die 
zeitliche Abgrenzung der Stile absichtlich der politischen Geschichte, schon darin 
liegt das Bekenntnis, daß sie nur. approximativ zu verstehen sind. Rein kunst- 
geschichtliche Abgrenzungsdaten gibt es überhaupt nicht. Der Wahrheit am 
nächsten kommen wir daher, wenn wir die Kunstübung bestimmter Epochen im 
Rahmen zeitgeschichtlicher Ereignisse betrachten, mit denen sich die Anfänge 
und Endpunkte eines Stiles ungefähr decken. Die frühchristliche Antike in ihrer 
Loslösung von der klassischen Antike datiere ich mithin von der staatlichen An- 
erkennung des Christentums im Anfang des vierten Jahrhunderts. Ihr Höhepunkt 
liegt in Ravenna. Ihr Ende verlege ich an den Schluß des fünften Jahrhunderts 
in das Todesjahr Odoakers und den Beginn der Gotenherrschaft in Italien. Die 
Völkerwanderung macht der frühchristlichen Antike ein Ende. Es folgen Jahre 
des Verheerens mit nur geringfügig erscheinenden Ansätzen zu formalen Neubil- 
dungen!) Seit dem sechsten Jahrhundert haben wir in Oberitalien die Lango- 
bardenkunst, welche nichts anderes ist als die entscheidende Germanisierung des 
klassischen und orientalischen Elementes, soweit dieses durch das Medium des 
Frühchristlichen in den Bereich der langobardischen Werkstatt geriet?) Es war 
für die Entscheidung des Rassenkampfes in der Völkerwanderungsepoche ver- 
hängnisvoll, daß die Langobarden im Gebiet der Keszthelykultur, in Pannonien, in 
nahen Beziehungen zu den Syrern gestanden. Der syrische Einfluß, der schon in 
der Kunstübung des kaiserlichen Rom eine so große Rolle spielt, überflutete nun 
im Strom der Völkerwanderungskunst wiederum mit germanischen Elementen ge- 
mischt den klassischen Boden Italiens. Die Germanisierung der frühchristlichen 
Antike geschieht deshalb im Anfang durch ein Anknüpfen an die schon vorhan- 
denen syrischen Elemente. Überall im Italien des frühen Mittelalters treffen wir 
auf syrische Künstler, syrische Heilige, syrische Päpste“), syrische Tracht und Sitte. 


Es ist üblich, den romanischen Stil vom 10. bis 12. Jahrhundert zu datieren 
(etwa 919—1 138). Als Ubergangszeit liegen demnach fünf Jahrhunderte, die ganze 
zweite Hälfte des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung vor uns. Innerhalb 
dieser Zeit müssen natürlich längere Epochen der künstlerischen Sterilität und der 
Vernichtung angenommen werden, trotzdem wire diese Zeitdauer einer Stilschwan- 


(1) Über die Leistungen der Ostgoten in Italien, der Westgoten in Spanien usw. vgl. Haupt: Die 
šlteste Kunst, insbesondere die Baukunst der Germanen. 

(3) Stückelberg: Die langobardische Plastik. Zürich 1896. Zimmermann: Oberitalienische Plastik. 
Leipzig 1897. | 

(3) Kaspar Schneele: Die Päpste. Rothenburg a. N. Verlag von Wilhelm Busch 1905. 


126 s ‘ 


kung nicht zu erklären, wenn ein Blick auf die historischen Zustände uns nicht 
tatsächlich einen annähernd fünfhundertjährigen Kulturkampf zeigte, dessen Ein- 
setzen die Langobarden in Italien eröffnen. Die Völkerwanderung und zugleich mit 
ihr die Christianisierung der nordgermanischen Völker führt ein bisher unbekanntes 
Rasseelement in den Kulturkreis der alten Welt. Byzanz, in seinem kulturellen 
Sein das Produkt von Syrien, Ägypten und Griechenland, behauptet sich als 
Hüterin der frühchristlichen Tradition, durch Byzanz wird die Einwirkung des 
Orients auf Europa erhalten. Der erste Zusammenstoß der nordischen Rassen mit 
dem Orient ist ein so gewaltiger, daß er zunächst die Zersetzung der halbklassi- 
schen, halborientalischen Bildungen zur Folge hat. In Italien geht vom sechsten 
bis zum elften Jahrhundert eine stetige Germanisierung aller Stilelemente vor sich, 
untermischt mit byzantinischen und islamitischen Einflüssen. Diese Germanisie- 
rung geschieht in zwiefacher Weise: Einerseits zwingen die eingedrungenen Völker 
der einheimischen Rasse ihre Ornamentformen auf, andrerseits modeln sie die vor- 
gefundenen Zierglieder und Ornamente nach ihrem Geschmack um, daraus entsteht 
dann jene frühmittelalterliche Ornamentik, welche von einigen Gelehrten als rein 
germanischen Ursprungs, von anderen als Verwilderung des klassischen Typus 
angesehen wird. Eines der frühesten Beispiele hierfür bietet das Zangenornament 
am Grabmal des Theoderich in Verona, das von vielen als entartetes lesbisches 
Kyma bezeichnet wird. Der Streit um die Entstehung der frühromanischen Orna- 
mentkunst wird heute mit einer gewissen Erbitterung geführt. Es ist hier eine 
ausgesprochene „Los von Rom-Bewegung“ im Gange, während die neue Richtungs- 
linie der Kunstforschung von einer Seite direkt nach Altai-Iran ), von der anderen?) 
nach Norden gewiesen wird?) Schwerlich wird es sich in den meisten Fällen 
entscheiden lassen, wo der erste Gedanke einer neuen Ornamentform entsprungen 
ist. Bei der größten Anzahl als typisch frühmittelalterlich geltender Ornamente, 
wie das Zangenornament, das Flechtwerk, das Tierornament, bei technischen Mo- 
menten, wie Kerbschnitt und Konturierung in der Plastik, Zellenverglasung in der 
Goldschmiedekunst, sehe ich ein Ineinandergehen zweier von verschiedenen Seiten 
kommender Strömungen. Bestimmend wirkt aber in allen Fällen abendländischer 
Produktion seit der Völkerwanderung der germanische Geschmack. Er trifft im 
Vorhandenen die Auswahl und verarbeitet diese nach seinem Sinn. Die Zellen- 
verglasung mag wohl vom Orient stammen), aber die Neigung zu dieser Art 
Technik liegt in der von den Germanen beeinflußten romanischen Kunstweise über- 
haupt vor. Die Inkrustierung der kleinen Architekturglieder, Ambonen, Säulchen, 
Altäre usw. mit bunten Steinen, die sogenannte Kosmatenkunst, gehört hierher; 
ebenso das opus sectile, pavimentum sectile und opus tesselatum, und auch die 
Flächenverzierung der Außenmauern mit bunten Ziegeln wie an dem Baptisterium 
bei S. Stefano in Bologna. Ähnliches findet sich an den fränkisch-merovingischen 
Bauten und auch an der von karolingischem Klassizismus zeugenden Torhalle des 
Klosters Lorsch. Späte aber glänzende Beispiele dieses Inkrustationsstiles sind 


(1) Strzygowski: Die bildende Kunst des Ostens. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt. Leipzig 1916. 
(2) Haupt: Die älteste Kunst, insbesondere die Baukunst der Germanen. Ludwig Degener, Leipzig 1909. 
(3) Es liegen bereits eine Fülle interessanter Einzelbearbeitungen dieser Themen vor, Waertvoll waren 
vor allem die im Aprilheft (1917) der Monatshefte für Kunstwissenschaft erschienenen Ausführungen 
von G. Supka-Budapest, Strzygowski, Wulff, | 

(4) Labarte: Histoire des Arts industriels. Paris 1866. Riegl: Die spätrömische Kunstindustrie, 1901. 
J. v. Falke: Das frühe Mittelalter von der Vólkerwanderung bis zu den Karolingern, im ersten Band 
der Illustrierten Geschichte des Kunstgewerbes. Verlag von Martin Oldenbourg, Berlin, 


127 


der Dom zu Pisa und die Markuskirche in Venedig, und es ist im Zusammenhang 
dieser Ausführungen von Interesse festzustellen, daß sich eben diese allenthalben 
in der Bauweise der germanischen Stámme zu eigenartiger Entwicklung gelangende 
Technik des Inkrustierens nach Mesopotamien zurückverfolgen läßt ). 

Diese teppichartige Flüchenbehandlung hüngt wieder eng zusammen mit einem 
anderen W'esenszug des germanischen Stils, der Gewohnheit, Struktur und Orna- 
ment voneinander zu trennen. Ein frühmittelalterliches Bauwerk lieñe sich im 
Gegensatz zur Antike stets von aller Ornamentik entkleiden, ohne daß die funktio- 
nellen Glieder irgend berührt würden. Das Ornament ist demnach nicht mit der 
Struktur gewachsen, sondern ist nachträglich hinzugefügt. Diese Gepflogenheit 
kann ihren praktischen Grund in der Herkunft der germanischen Plastik aus der 
Holztechnik haben, wo die Balken erst nachträglich mit Schnitzereien versehen 
wurden. Ein weiterer Zug der frühmittelalterlichen Kunst, der sowohl germa- 
nischer wie orientalischer Sinnesrichtung zu entsprechen scheint, ist die gefühls- 
mäßige Behandlung der Massen auf die malerische Wirkung hin, im Gegensatz zu 
den streng berechneten symmetrischen Gliederungen der Antike. Die Triforien- 
galerien, Fenster und Emporenöffnungen eines friihmittelalterlichen Baues wirken 
in den dicken Mauern wie Felsenhöhlen, jedes einzelne solcher Bauglieder ist nur 
im Zusammenhang des Ganzen verständlich, während in der Antike jedes Glied 
für sich durchdacht und durchgebildet ist. Das Gleiche wiederholt sich dann in 
Renaissance und Barock. Das Ornament überspinnt. in regelloser Anhäufung die 
ihm zu Gebote stehenden Flächen, es nimmt keinen Bezug auf die Struktur; die 
Phantasie des Schnitzers nimmt ihren freien Lauf in grotesken: Linien, wurmartig 
verschlungenen Tieren, bizarren drachenhäuptigen Bändern. Diese Phantasie ist 
nordisch und orientalisch zugleich. Welche Ähnlichkeit zwischen der germanischen 
und orientalischen Geschmacksrichtung jener Zeit besteht, beweist ein Blick auf 
Arbeiten von zweifellos orientalischer Herkunft, wie die koptische Holztruhe im 
Dom zu Terracina, und die persisch-hellenistische Stuckornamentik von Sta. Maria 
in Valle zu Cividale, die sich doch in nichts von den übrigen im Völkerwanderungs- 
gebiet erzeugten Arbeiten unterscheiden. 

Für das Flecht- oder Rankenwerk, welches als ureigenstes Kunstgut der Lango- 
barden und Germanen erscheint, lassen sich zweifellos analoge Formen im Orient 
finden, jedoch soweit meine Kenntnisse reichen, keine, die so ausgesprochen den 
Charakter der geflochtenen Riemen trugen. Den Kerbschnitt hat Alois Riegl schon 
in der spätrömischen Kunstindustrie nachgewiesen, aber die römischen Bronze- 
arbeiten, Gürtelschnallen und dergleichen, an welchen nicht nur der Keilschnitt, 
sondern auch sonst verwandte germanische Motive auftreten (Bandgeflecht, Wellen, 
Ranken), unterscheiden sich doch in der Disposition des Ornamentes ganz wesent- 
lich von den germanischen Spangen und Fibeln. Unberührt lasse ich hier die 
Frage, inwieweit das römische Ornament schon vor der Völkerwanderungsepoche 
von der germanischen Stammeskunst berührt gewesen sein mag. Die gelegentliche 
Verwendung von Tierformen in einer Kunst, welche wie die West- und Ost-Roms 
kaum eine künstlerische Möglichkeit in der Welt der plastischen Formen übersah, 
ist selbstverstindlich. Die Besonderheit des friihmittelalterlichen, als germanisch 
bezeichneten Tierornaments liegt aber in der ganz anderen Art, wie dieses erfaßt 
und aufgefaßt wurde. 


(z) Mothes: Baukunst des Mittelalters in Italien. Eine interessante und erschöpfende Darstellung des 
Inkrustationsstils in Toskana gibt Adolf Behne in seiner Inaugural-Dissertation vom 24. Sept. 1912. 
Emil Ebering, Berlin NW. 


128 


An kirchlichen Bauwerken jener Frühzeit ist natürlich nichts so intakt erhalten, 
daß sich Konstruktion und Ornament zugleich daran demonstrieren ließe. Der 
Grundriß ist durch Anbauten verändert oder der ursprüngliche Bau selbst ver- 
schwindet unter späterem Bauwerk. Dann wieder sind architektonische Zierglieder 
aus dem organischen Zusammenhang herausgerissen worden, in welchem sie allein 
ganz verständlich waren. Wo immer sich noch ein frühromanischer Kirchen- 
grundriß auffinden läßt, erhalten wir den unveränderten Typus der altchristlichen 
Basilika, wührend alle Zierglieder und Ornamente, die uns erhalten sind, eine 
gänzlich neue Geschmacksrichtung aufweisen. Diese Geschmacksrichtung ist zu- 
gleich semitisch-orientalisch und nord-germanisch. Die antiken Elemente werden, 
wo sie zur Nachahmung'gelangen, in diesem Sinne modifiziert. Die germanische 
Rasse ist aber insofern die stürkere, als sie es ist, welche sich die orientalischen 
Formen assimiliert und mit diesen frei schaltend ein eigenartig neues Stilgebilde 
hervorbringt. Der zweite Kulturkampf des Mittelalters wird zugunsten der ger- 
manischen Rasse entschieden. Dabei darf nicht vergessen werden, daß innerhalb 
jeder Stilperiode einzelne künstlerische Individuen sind, welche, dem herrschenden 
Geschmack entgegen arbeitend, in eigenwilligem Gebaren ihr cigenes Kunstwerk 
schaffen. Karl der Große muß in seiner Umgebung solche Künstlerpersönlich- 
keiten gehabt haben, welche, entgegen dem Regellosen, Malerischen, Unklaren der 
Germanen und Orientalen, mit Sicherheit auf das Gesetzmäßige, Maßvolle, Klare 
der klassischen Antike hinwiesen. So konnte es mitten im Strom des germanisch- 
orientalischen Stils zu einer karolingischen Renaissance kommen.  Freilich ver- 
griffen sich auch die karolingischen Baumeister hiiufig in den Vorbildern. Sie 
kannten die Antike durch das Medium von Byzanz und manches byzantinische 
Motiv erschien ihnen als klassisch antik. So behauptete sich denn trotz dieser 
Wiederaufnahme der antiken Formelemente doch die allgemeine Stilrichtung und 
wir erhalten am SchluB der Epoche in der romanischen Kunst die Synthese des 
Kulturkampfes zwischen den wandernden Germanenstimmen, dem alten Orient 
und der Antike. 

Die germanischen Lünder geraten vóllig in den Bann der Mittelmeerkultur, die 
altnordische Heimat wird vergessen, die klassische Antike zerfällt in Trümmer, 
wird begraben unter dem Schutthügel der zusammenstürzenden germanischen 
Reiche. Der Beginn der romanischen Epoche deckt sich ungeführ mit der Grün- 
dung des deutschen Reiches durch Heinrich L Ich wühle dieses Datum aus fol- 
genden Gründen: org trat Heinrich L, der Gründer des deutschen Reiches, seine 
Regierung an. Er war es, der den Quedlinburger Dom erbaute. Die politische 
Sphüre des Stils wird demnach bestimmt durch die Ottonen, das salische Kaiser- 
haus, durch Heinrich IV. und Hildebrand-Gregor, was Deutschland und Italien be- 
trifft In England haben wir die Zeit Alfreds des Großen, die Dänenherrschaft 
und die Schlacht bei Hastings, in Frankreich den Ausgang der Karolinger, die 
Festsetzung der Normannen an der Seine und Hugo Capet. Der Beginn der Kreuz- 
zugsperiode ist der glünzende Kulminationspunkt dieser Epoche. Das Ende der 
romanischen Epoche und der beginnende Übergang zu neuen, als gotisch bezeich- 
neten Stilformen verknüpft sich mit der wachsenden Stellung Frankreichs im 
europäischen Staatensystem und der beginnenden Verschiebung aller sozialen Ver- 
hiltnisse. 1137 beginnt in Frankreich der Bau der Grabkirche von St. Denis. Wir 
haben dort also schon den Anfang der Gotik, wührend diese in Deutschland erst 
etwa ein Jahrhundert spiter einsetzt. 

Bis dahin haben wir als baukünstlerische Erscheinungsform des Abendlandes 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XL Jahrg. 1918, Heft 5 9 129 


das gebundene romanische System. Was zu ihm führte, war die Fesselung des 
` freien nordischen Geistes durch semitische Mystik und rómische Kultur. Die Ent- 
scheidung des Kulturkampfes war zugunsten des germanischen Elementes aus- 
gefallen, aber die germanischen Völker nahmen, indem sie sich die orientalischen 
und römischen Formen assimilierten, so viel von den fremdrassigen Elementen in 
sich auf, daß ihre nordische Eigenart völlig mit Orient und Rom verschmolz. Semi- 
tischer und antiker Formwille bestimmen die stärksten deutschen Schöpfungen des 
romanischen Stils. Gerade hier in Deutschland aber schuf diese Stilrichtung so 
Wunderbares, war die Entwicklung eine so durchaus gesunde und fruchtbare, daß 
eine Reaktion des Germanischen gegen das fremde Kulturelement nicht erfolgen 
konnte. Diese setzte in Frankreich ein, wo die Voraussetzungen der Versöhnung 
des romanischen und germanischen Elements völlig andere waren. Das Franken- 
reich setzte sich zusammen aus den Nachkommen der salischen Franken, der West- 
goten und Burgunder, zu ihnen gesellten sich in der romanischen Epoche noch die 
Normannen. Aber das römische Element war durch den Sieg Chlodowechs über 
Syagrius keineswegs unterdrückt. Im Gegenteil, es erweist sich hier als zäher 
denn die germanische Volkskraft, so daß sich im Lauf der Jahrhunderte ein dem 
deutschen und englischen Volkstum völlig heterogener Volkstypus herausbildet. 
Seit der Reichsteilung von Verdun datiert das allmähliche Heranwachsen neuer 
Nationalitätentypen. An die Stelle des Begriffs: Römer und Germanen treten jetzt 
die neuen abendländischen Staatengruppen: Deutschland, England, Frankreich, Italien. 
Das römische Element wiegt in den letzteren entschieden vor, während die beiden 
ersten das Germanische am reinsten bewahrt haben. Innerhalb der einzelnen 
Länder machen sich natürlich starke Stammesunterschiede geltend, vor allem in 
Frankreich, wo wie sonst nirgends lateinische und nordische Rassen aufeinander 
stoßen. Allenthalben gleichen sich diese aber innerhalb jedes einzelnen Landes 
zu einem bestimmten Nationalcharakter aus, der sich klar von dem der übrigen 
Völker abhebt und dessen Modifikationen sich nur innerhalb der Landesgrenzen 
bemerkbar machen. Die Entstehung der Landessprachen bietet hierzu den besten 
Beleg, wie die zweierlei Sprachen Frankreichs, Langued’oc und Langued’oil denn 
auch eine Trennung sowohl des Volkswesens wie des Baustils bezeichnet. 


Der Ausgleich zwischen der germanischen und der Mittelmeerkultur ließ sich 
dort also nicht auf dem gleichen Wege wie in Deutschland durch Assimilierung 
und selbständige Umformung des Fremdrassigen finden. Das Germanische konnte 
sich andererseits nicht mit der Unbedingtheit wie in England behaupten. Inwie- 
weit die Verschiedenheit der Stämme auf die baukünstlerische Erscheinung der 
einzelnen Länder gewirkt hat, läßt sich heute schwer entscheiden. Als Tatsache 
erkennbar ist nur, daß in Sachsen, im alemannischen Schwaben, am Rhein, in 
Norddeutschland, in Bayern einerseits, in England andererseits eine Stilentwicklung 
vor sich geht, welcher die Burgunder und Franken ablehnend gegenüber stehen. 
Die romanische Architektur der Provence und Burgund ist noch ganz durchtränkt 
von antik-römischem Geist. Die Bauten Aquitaniens weisen auf Venedig und auf 
den Orient!) Die interessante Mannigfaltigkeit der romanischen Baukunst in Frank- 
reich stammt eben daher, daß dort die einzelnen Stämme den Versuch machten, 
das Kulturproblem in der jedem gemäßen Weise für sich zu lösen. Es kam da- 
durch, daß wir eine Fülle einzelner Formen von hohem Reiz und eine Anzahl von 


(1) Clemen: Antwort auf Emile Males Studien über die deutsche Kunst. Monatshefte für Kunst- 
wissenschaft, Jahrg. X, Heft 4 (1917). 


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Schulen finden, aber keine romanische Baukunst im deutschen Sinn, d. h. keine 
Synthese des Vorhandenen, keinen Ausgleich des Kulturkampfes. Die ersten An- 
fünge der Gotik sind daher der erste Schritt Frankreichs, einen ihm gemäßen, 
also anders gearteten Ausgleich des Rassenkampfes herbeizuführen. 


Der Kulturkampf der vorromanischen Zeit wogte zwischen der antik-römischen 
Kultur und der nordisch-germanischen. Deutschland brachte diesen zur Entschei- 
dung und löste das Problem im mittelalterlichen Sinn, d. h. eben insoweit es sich 
nur um Römertum hier, Germanentum dort handelte. Diese Frage war entschieden. 
Inzwischen wuchsen aber neue Probleme auf, setzte ein neuer Kulturkampf ein, 
in welchem die Elemente des jüngst Vergangenen nur noch hineinspielten. Diese 
neuen Kulturkampfmomente lassen sich in Kürze andeuten durch die historischen 
Daten: Kreuzzüge, Papst- und Kaiserkümpfe (Investiturstreit), Guelfen und Ghi- 
bellinen, Aufkommen der Stüdtemacht, Scholastik und Ketzerwesen, Rittertum und 
Mónchtum. Eine Unzahl neuer Ideen, neuer Begriffe lösten sich aus diesen Insti- 
tutionen und Ereignissen, überall gšrt es, neue Formen des Daseins zeugen neue 
formale Äußerungen des Volksbewußtseins und des Volkswillens. Die Psyche der 
einzelnen Nationen wird wach. Es gibt fortan keine Franken mehr, sondern 
Deutsche und Franzosen. In Südfrankreich hatte von jeher die Antike fast ebenso 
stark nachgewirkt wie in Italien, stürker zweifellos wie in dem langobardischen 
Oberitalien. Schon zu Ende des elften Jahrhunderts wird in der Provence aus der 
instinktiven, gewohnheitsmäßigen Nachahmung der Antike ein bewußtes, programm- 
mäßiges und von da strahlt die Kraft der Antike wieder nach den übrigen Landes- 
teilen aus. In Burgund bildet die Antike trotz allem individuellen germanischen 
Umgestalten doch die maßgebende Grundlage aller Formen. Ganz anders gebärdet 
sich der Norden Frankreichs. Die Normandie vor allem zeigt in ihrer Kunstweise 
germanischen Charakter. In eigenartiger Weise drängen diese beiden ganz hetero- 
genen Stilgruppen zu derselben Lösung des Rasseproblems vor. Der Süden wie 
der Norden beschäftigen sich während der ganzen romanischen Periode eifrig mit 
dem Gewölbebau, welchem die germanischen Völker seit ihrer Berührung mit der 
südlichen Baukunst immer zaghaft gegenüber gestanden hatten. Hier in Frankreich 
entstehen jene von römischen Vorbildern abgeleiteten Hallenkirchen, welche die 
Baumeister vor neue konstruktive Probleme stellten, deren Lösung den Strebe- 
bogen wie den Strebepfeiler forderten. Das auvergnatische Wölbungssystem mit 
dem zweigeschossigen Aufbau der Seitenschiffe und den durch Halbtonnen ge- 
wölbten Emporen arbeitet der Gotik schon wirksam vor, während gleichzeitig in 
der Normandie das Kreuzgewölbe zur Ausbildung gelangte. Beide Typen der bau- 
lichen Erscheinung trafen in der Isle de France aufeinander und züchteten hier 
den ersten Keim des zweiten germanischen Baustils: der Gotik. Es ist kein Zufall 
spöttischer Nomenklatur, die diesen Namen veranlaßte. Vasaris ästhetisches Fein- 
gefühl empfand mit unbeirrbarem Instinkt das Nordisch-Germanische, das die antike 
Klassik verneinende Moment im Stil der französischen, englischen und deutschen 
Kathedralen des Mittelalters. Diese von Frankreich gefundene Lösung des mittel- 
alterlichen Kulturproblems war eine Tat der germanischen Rasse. Die germa- 
nischen Länder, England und Deutschland, assimilierten sich die neuen Formen 
augenblicklich, während Italien sie niemals zum Ausdruck seiner nationalen Eigen- 
art brauchen konnte. Während in Frankreich, wo die Zisterzienser stark vor- 
gearbeitet hatten?), die Entfaltung der gotischen Baukunst schnell vor sich ging, be- 


(1) Hans Rose: Die Baukunst der Zisterzienser. Bruckmann, München 1916. 
131 


hauptete sich in Deutschland noch ein jahrhundert lang der romanische Stil. Ein 
genaueres Zusehen zeigt uns aber in dieser Zeit schon überall die Vorbereitung 
auf die Anfang des :3. Jahrhunderts einsetzende Stilwandlung. Die Formen 
drängen auch hier ganz selbständig auf eine Weiterentwicklung im Sinne der Auf- 
lósung des Massenbaues in einen Gliederbau und auf malerische Raumwirkung. 
Wie die Verwendung des von Säule zu Säule gespannten Rundbogens an Stelle 
des Architravs die Konstruktion der frühchristlichen Basilika im Gegensatz zur 
antiken Bauweise bestimmte, so darf der Spitzbogen als die geometrische Formel 
der Gotik, im Gegensatz zum Rundbogen des romanischen Stils angesehen werden. 
Von der konstruktiven Verwendung des Spitzbogens hüngt die ganze gotische 
Struktur ab. Dieser Spitzbogen wurde aber zuerst um seines dekorativen Wertes 
willen in die Architektur aufgenommen und erst dann ergab sich seine konstruk- 
tive Brauchbarkeit. Es ist bezeichnend für den gotischen Stil, daß das Vorkommen 
des Spitzbogens auch an kunstgewerblichen Gegenständen ihre Zugehörigkeit zur 
Gotik vindiziert. Die Gotik ist der einzige Stil, bei welchem ein tektonisches Motiv 
in der Weise dekorativ verwendet wird, daB es als Kriterium des Stils gentigt. 
Der Übergang von der romanischen Konstruktion zur gotischen vollzieht sich 
schneller wie bei den übrigen Stilwandlungen. Das liegt in der praktischen An- 
wendbarkeit des Spitzbogens begründet, welche sich den Baumeistern sofort auf- 
drängen mußte. Dieses dekorative Moment war der Schlüssel zur Lösung des 
Wölbungsproblems, das sie die ganze romanische Epoche hindurch beschäftigt 
hatte. Es ließ sich jetzt in ganz neuer Weise bewältigen. Bei der Gotik ist es 
meist schwer, zu sagen, welche Formen ursprünglich nur dekorativ gedacht und 
dann in ihrer tektonischen Brauchbarkeit erkannt wurden, welche Formen aus 
rein konstruktiven Erwägungen entstanden, dann als dekorativ wertvolle Momente 
erkannt wurden. Geschmack und Auge der spätromanischen Bauklinstler waren 
dermaßen geschult, daß sie den malerischen Reiz jeder Form sofort für den Ge- 
samteindruck ihres Werkes zu sichern wußten. Charakteristisch ist der Schaft- 
ring, welcher an den Säulen des Übergangsstils erscheint. Dieser Zungenstein wird 
unter den Händen der mittelalterlichen Steinmetzen zu einem wirksamen Ornament. 
Das ganze System der Strebepfeiler mit ihren Diensten, der Strebebögen, das Zer- 
legen der Gewölbefelder in Unterabteilungen, die polygone Gestaltung des Chors, 
das Verdrüngen der römischen Lisene am AuBenbau durch Strebepfeiler, alle diese 
für die malerische Erscheinung der gotischen Kathedralen so wesentlichen Momente 
sind rein tektonisch erfunden. Sie bilden das Gerüst, dessen hoher. dekorativer 
Wert, sobald er erkannt wurde, zu immer weitergehender Auflösung der Mauer- 
massen und Beschränkung der raumabschließenden Teile zugunsten der struktiven 
führte. Wie sehr aber die bauliche Anlage des romanischen Stils für die Gotik 
bestimmend war, zeigt sich in der Tatsache, daß der Strebebogen erfunden werden 
mußte, um die neue Gewölbekonstruktion mit dem basilikalen Schema zu ver- 
einigen. Die abendländisch-christliche Stileinheit ist hierin klar erwiesen. Die 
Gotik ist vielleicht der einzige Stil, welcher für den Laien nicht aus seinen Zier- 
gliedern, sondern aus der Gesamtanlage des Baues erkennbar ist. Nichtsdesto- 
weniger zeigen die Bauten des Übergangsstils doch noch deutlich in Grundriß und 
Aufbau das romanische Schema, in welches sich neues gotisches Formempfinden 
drängt. Das läßt sich am besten an einer Reihe von Beispielen erweisen: Die 
Gesimselemente des gotischen Stils sind die gleichen wie die des romanischen 
Stils: Rund- und Viertelstübe, Hohlkehlen, Platten und Plättchen. Auch der gotische 
Wasserschlag findet sich schon an romanischen Bauten. Das Eindringen einer 


132 


neuen Geschmacksrichtung macht sich hier bemerkbar durch die Vertiefung und 
Erweiterung der Hohlkehlen und entsprechende Verkleinerung der Rundstäbe, die 
stürker unterschnitten werden. Daraus entwickelt sich dann in der Hochgotik der 
Birnstab. In der romanischen Periode wurden sowohl die Stübe wie die Kehlen 
mit Ornamentik übersponnen. Die Gotik mit ihrer ausgesprochen antirömischen 
Tendenz beschränkt ihre Ornamentik durchaus auf die Hohlkehlen und läßt alle 
Stübe glatt. Das charakteristischste Schmuckelement an der AuBenseite des roma- 
nischen Gebüudes ist der Rundbogenfries, dieser nimmt lange vor der Einführung 
des Spitzbogens schon die Form des Kleeblattfrieses an, welcher spiiter in geringer 
Modifikation zu dem typischen Ornamentmotiv der Gotik wird, wo er noch lange 
rundbogig bleibt Die romanische Zwergbogengalerie wird weiter ausgestaltet und. 
erscheint als „Königsgalerie“ in wirkungsvollem Zusammenhang mit der neuen 
Monumentalplastik !). ` 

Das Säulenkapitell bietet auch hier wieder den sichersten Gradmesser für 
die Stilentwicklung. Das romanische Wiirfelkapitell wird mehr und mehr aus- 
geschaltet, das römische Kelchkapitell hingegen beibehalten und zu neuer, 
lebensvoller Entwicklung gebracht. Das romanische Kelchkapitell war eine Ab- 
straktion des korinthischen. Noch ehe sich irgend eine gotische Konstruktion 
bemerkbar macht, beginnt der germanische Geist die harten Knollen des roma- 
nischen Kapitells zum Knospen und Keimen zu bringen. Rundlappige Blätterbüschel 
wachsen vom Boden des Kapitells auf und rollen sich unter der Deckplatte wieder 
ein. Die Freude an der vegetabilischen Naturform, welche den realistischen Stil 
der gotischen Bildhauerei mit bestimmt, macht sich hier entgegen der Starrheit 
romanischen Zwanges geltend. Ebenso beginnt der veränderte Formensinn an der 
Basis der Säulen zu rühren, deren attisches Profil durch Flechtwerk und Eckblatt 
germanisiert worden war. Der untere Pfühl quillt so weit über die Plinthe vor, 
daß er das Eckblatt verdrängt, die Profilierung wird einfacher. Die reich gegliederte 
Pfeilerbildung der Gotik ist im Grundriß des spätromanischen Kreuzpfeilers schon 
angedeutet. Die abgestuften, mit Säulen besetzten Gewände der Portale und 
Fenster leiten zu der malerischen Fenster- und Portalbildung der Gotik hinüber’). 
In den durch Rundbogen oder Spitzbogen geschlossenen romanischen Fenster- 
gruppen und der Durchbrechung der oberen Mauerfläche durch Lichtöffnungen 
war der Ausgangspunkt des gotischen Maßwerkes gegeben. 

Bei all diesen ornamentalen Neubildungen und Umbildungen fragt es sich nun, 
welches das treibende Element in dem Kampf der Formen war. Welches Kultur- 
ideal, welche Rassenbesonderheit zwang die mittelalterlichen Völker, sich von dem 
zu glanzvoller Entwicklung gelangten Stil ab-, der neuen Gotik zuzuwenden??) Die 
alte Romantiker-Legende vom „deutschen Stil“ hat wieder einmal eine ernste histo- 
rische Wahrheit durch spielerische Verwirrung der Begriffe ausgedrückt“). Die 
Gotik ist nicht „deutsch“, aber sie ist germanisch. Französisch ist sie nur im Sinn 


(1) Genewein: Vom Romanischen bis zum Empire. I. Band. Hirt & Sohn, Leipzig 1911. Hauser: 
Stillehre der architektonischen Formen des Mittelalters. Jakobstal: Grammatik der Ornamente. Un- 
gewitter: Lehrbuch der gotischen Konstruktion. | 

(s) Redslob: Das Kirchenportal. Deutsche Plastik. Costenoble, Jena. 

(s) Hinsichtlich des Streites über den Ursprung der Gotik vergleiche Dehio und v. Besold: Die 
kirchliche Baukunst des Abendlandes. Stuttgart 1901. 

(4) Friedrich Schlegel: Grundzüge der gotischen Baukunst. Sämtliche Werke. Bd. VI. Wien 1846. 
Reider: Die Bemühungen der Deutschen in Erforschung der Denkmäler altdeutscher Baukunst. Bam- 
berg 1841. 


333 


von fršnkisch. Es war der frinkische Geist, der sie schuf, da wo er am stürksten 
war in der Isle de France, dem Zentrum des franzüsischen Kënigtums und der 
Ritterschaft, dem Zentrum der Wissenschaft und der Städtemacht. Der Zister- 
zienser-Orden brachte den Stil in Burgund zur Anwendung. Der Übergang zur 
Gotik im übrigen Abendland bedeutete dann den AbschluB der ersten Periode des 
Mittelalters und den Beginn einer neuen, durch Wissenschaft und Bürgerwohlstand 
demokratisierten Zeit. | 

In Frankreich entstanden die Kirchen Notre Dame in Paris, die Sainte-Chapelle, 
die Kathedralen von Chartres, von Amiens, von Beauvais, von Reims. In Deutsch- 
land erhoben sich die Liebfrauenkirche in Trier, die Elisabethkirche in Marburg, 
die Münster von Freiburg, von Straßburg und Köln, von Regensburg, Ulm und Wien. 
In England reifte der neue Stil an den Kathedralen von Canterbury, Salisbury, 
Lincoln, Lichfield, Exeter, York, Gloucester und Winchester. In Italien trieb er 
nur spürliche Blüten. Die italienische Gotik war von Anfang an ungotisch, das 
beweisen Sta. Croce und die Dome von Florenz, Siena, Orvieto. Es sind Werke 
eines hochentwickelten bautechnischen Könnens, eines kultivierten Geschmacks, 
denen man doch immer anmerkt, daB der Erbauer in einer fremden Formensprache 
zu reden gezwungen war. Während noch überall sonst im Abendland die Gotik 
zu immer reicherer, hochstrebender Entfaltung gebracht wurde, schrieb in Italien 
Filarete: ,Verflucht, wer diese Pfuscherei erfand; ich glaube, nur Barbarenvolk 
konnte sie nach Italien bringen.^ Das war richtig. Italien hiitte niemals eine 
Gotik erfinden können. Deutsche hatten sie über die Alpen gebracht und die latei- 
nische Rasse wehrte sich mit aller Gewalt gegen das fremde Element. Das Ger- 
manentum und der germanisierte Semitismus, wie ihn die abendlündische Kunst 
seit der Vólkerwanderung darstellte, war den Nachkommen des klassischen Roms 
gleich unsympathisch. Hatte ihm bisher die Kraft gefehlt, sich zu behaupten, so 
erwuchs jetzt in dem kraftvollen Bürgertum der Stüdte ein Geschlecht, das fühig 
war, seine eigene Persónlichkeit entgegen allem herrschenden politischen oder kul- 
turellen EinfluB durchzusetzen. Hand in Hand mit dieser Erstarkung der latei- 
nischen Rasse geht aber der Zug des Zeitgeistes auf Befreiung des Individuums, 
Betonung der nationalen Sonderart, antikirchliche Gesinnung, humanistische Be- 
 strebungen. Der auf Klarheit und Genauigkeit, auf rationalistische Erkenntnis ge- 
richtete lateinische Charakter, welcher in den ersten christlichen Jahrhunderten 
durch die phantastische unklare Sinnesweise sowohl der Orientalen wie der Ger- 
manen völlig unterdrückt schien, kann sich jetzt Luft machen, weil er vom Zeit- 
geist getragen erscheint. Instinktiv wendet er sich an die beiden Lehrmeister, die 
allein befähigt sind, ihm zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit die Wege zu 
weisen: Natur und Antike. Durch Naturstudium und antiquarische Interessen wird 
die lateinische Rasse in den Stand gesetzt, eigene künstlerische Formen den rasse- 
fremden germanischen entgegenzusetzen ). (Schluß folgt.) 


(1) J. Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien, bearbeitet von Prof. Dr. Heinrich Holtzinger. 
Eßlingen а. N. Paul Neff Verlag 1912. Swarzenski: Das Kunstgewerbe der Renaissance in Italien. 
Geschichte des Kunstgewerbes. Band I. Verlag Martin Oldenbourg, Berlin. | 


134 


OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE 
AUSSTRAHLUNGEN aur DEUTSCHES GE. 


BIET 4 Mit elf Abbildungen auf fünf Tafeln Von ALFRED GROTTE 


u den kunsthistorisch beachtenswerten Entdeckungen, die das AufschlieBen der 

besetzten östlichen Kriegsgebiete gezeitigt hat, gehören die Kultbauten Polens 

und seiner angrenzenden Gebiete. Es handelt sich hierbei in erster Linie um 

` Holzbauten, zu denen das waldreiche Land den wohlfeilen Baustoff lieferte, Stein- 

bauten sind seltener und wenn auch in ihrer Gestaltung eigenartig, so doch nicht 

annähernd so urwüchsig wie die aus Holz erstellten, deren Wesensart als durchaus 
originell bezeichnet werden muß!). 

Unter diesen Sakralbauten befindet sich eine nicht unwesentliche Zahl hölzerner 
Synagogen. Wenn deren lückenlose Aufnahme und topographische Feststellung 
bis heute nicht erfolgte, so wird dies in Anbetracht der bisherigen Verhältnisse 
des Landes nicht wunder nehmen. Aber auch ein zweiter Umstand trug dazu bei. 
Galt es doch als feststehende Tatsache, daß den Juden eine besondere Kunst- 
betütigung ritueller Richtung — eine irrtümliche Auslegung des biblischen Gebotes 
— verboten sei; ja, einem so vielseitigen Forscher, wie Gurlitt, ist der Ausspruch 
(Handb. d. Arch. IV. 8) zuzuschreiben, daB, wer im mosaischen Sinne fromm sei, 
»die Kunst zu hassen* habe. Nun zeigt sich aber das Merkwürdige, daB gerade 
in Polen, der Hochburg orthodoxen Judentums, genau das Gegenteil zutrifft. Hier 
entwickelte sich die Baukunst und Malerei zu einer immerhin beachtlichen Hóhe 
und Eigenart. Für uns Deutsche ist diese stille, von außen nur wenig beeinflußte 
Kunstbetätigung aber von besonderem Interesse. Es ist im Grundkern deutsche 
Kunst, wenn auch solche mit einem gewissen „Jargon“-Einschlag, wie ja auch 
Sprache und Kleidung sich von den mittelalterlichen Zeiten der Auswanderung 
frünkischer Juden bis heute durch Uberlieferung fortgepflanzt haben. Die Ein- 
drücke, die die im Is. Jahrhundert vertriebenen und in Polen gastíreundlich auf- 
genommenen Juden von Deutschland mit hinübernahmen, mußten überaus tief sein 
und wurden kaum beeinfluBt von den sprachlichen und künstlerischen Einwirkungen 
der aus anderen Ländern vertriebenen Glaubensgenossen. Dies gilt ganz beson- 
ders von der Malerei; weniger von der Baukunst, die, wie auch bei den west- 
lichen Juden, meistens nichtjüdischen Meistern oblag. Der Synagogenbau ist 
demnach — soweit es sich um hölzerne Bauwerke handelt — in auffallender Kon- 
gruenz zum Kirchenbau feststellbar und von diesem eigentlich nur durch das Fehlen 
der Glockentürme abweichend. Ein neu hinzutretendes, recht seltsam anmutendes 
Motiv ist jedoch das Dach. In seiner Urform auf das gotische deutsche Steildach 
zurückgreifend, treibt dessen Formengebung im Wandel zweier Jahrhunderte die ab- 
sonderlichsten Blüten und zeigt bisweilen Gestaltungen, die an die noch östlicheren 
Pagodendächer erinnern. Man wird vergeblich nach formalistischen Zusammen- 
hángen suchen, vielmehr hierin ein hilfloses Verschmelzen von Kunst, Konstruktion 
und Ritus annehmen müssen. Die talmudische Vorschrift, es müsse das Dach des 
Gotteshauses alle übrigen Gebäude des Ortes überragen, hat zu diesen, in vielfachen 
Absätzen steil aufsteigenden Dächern geführt; aber auch zu der ungewöhnlichen 


(1) Vergl. auch im Novemberheft 1915 d. Ztschr. den Aufsatz S. H. des Prinzen Johann Georg von 
Sachsen, 


135 


Hóhe (nachweisbar bis 30,00 m) des Innenraumes. Dieses Hochbauen hat dann 
auch Mißfallen bei der Obrigkeit erregt, und ich glaube in der Vermutung nicht 
fehlzugehen, wenn alsdann, und wo große Höhe nicht gestattet wurde, die Dach- 
absätze als typische Form des „hohen“ Daches beibehalten wurden, gleichsam 
als Gegengewicht der vis major. So bildete sich für diese Art Sakralbau ein ganz 
bestimmter Typ aus, ohne klar zu verfolgende Entwicklungslinie zwar, aber mit 
seinen deutlichen Ansätzen einer Fortschreitungstendenz nicht uninteressant für 
den Forscher. Wir sehen beispielsweise in Narow!) an der Westseite — ganz 
nach dem Muster deutscher romanischer Kirchen —- zwei turmartige Ansätze als 
Rudimente deutlich feststellbar. Dasselbe gilt auch von den Synagogen in Nasielsk 
und Wolpia (Abb. 1)?), allerdings in abgeschwächter Form. Als weitere einheit- 
liche Baumotive können ferner gelten die fast immer nachträglich angebauten 
Frauenschiffe, deren geringere Höhenentwicklung und Pultdächer dem Bauwerk 
basilikalen Charakter verleihen. Umlaufende Galerien, Arkaden, Rundbogenfriese 
sind sonstige, fast überall feststellbare Schmuckformen der im übrigen aus schlich- 
tem Bohlenwerk erstellten Bauwerke. 


Vom deutschen Standpunkte sind in erster Linie die Ausstrahlungen dieses 
in einer für die Kunstbetätigung der Ostjuden überaus günstigen politischen Epoche 
(16. und 17. Jahrhundert) entstandenen Sakralstiles auf deutsches Gebiet von Wich- 
tigkeit. Sie zeigt sich in zweifacher Art: im zeitlichen Zusammenhang mit der 
Baugeschichte selbst (Ostdeutschland) und als mit dieser örtlich unzusammen- 
hängende Verpflanzung nach Süddeutschland (Bayern). 


Als westlichstes, noch erhaltenes Beispiel ist die 1767 erbaute Synagoge in 
Kurnik (nächst Posen) feststellbar (Abb. 2—5). Sie zeigt in Bauart und Dachform 
eine architektonisch überaus klare und reife Gestaltung. Auch in der kühnen Kon- 
struktion des Dachbinders äußert sich gutes handwerkliches Können und eine starke 
Beeinflussung deutscher Zimmerkunst. Hier ist auch der Baumeister nachweis- 
bar, wenngleich indirekt. Hillel Benjamin aus der Lodzer Gegend baute die Syna- 
goge in Lutomiersk (Abb. бо. 7)*) undZloczow; bei dieser fand er durch Absturz 
vom Gerüst den Tod. Die auffallende Ähnlichkeit zwischen den Bauwerken von 
Lutomiersk und Kurnik läßt auf den gleichen (hier jüdischen) Architekten schließen, 
von dem nachgewiesen ist, daß er die „Zimmerkunst in Deutschland lernte“. 
Zweifellos ist Kurnik gegen Lutomiersk der jüngere Bau; seine Formen sind ein- 
facher, ruhiger, die Konstruktion sicherer und kühner. Die Frauempore ist hier 
gleich beim Bau berücksichtigt. Von größerem kunstgeschichtlichen Werte ist 
jedoch nur der Schrein (Abb. 4), dessen reiche durchbrochene Schnitzereien und 
lebhafte Farbengebung auf mehr östliche Beispiele und Malereien dieser Art zurtick- 
greifen. 

Völlig als im Banne der polnischen Sakralkunst stehend, ist die aufgelassene, 
vom Ortspfarrer erworbene und pietätvoll erhaltene Synagoge in Czieszowa 
(Kr. Lublinitz, O.-S.) anzusehen (Abb. 8). Dort sind Kirche und Synagoge dem gleichen 
Baumeister zuzuschreiben. Ein weiter westliches Vordringen des jüdischen Sakral- 
baues zeigt merkwürdigerweise das Verschmelzen mit dem Kirchenbau protestan- 


(1) Vergi. des Verfassers: „Deutsche, böhmische und polnische Synagogentypen des 11. bis 19. Jahr- 
hunderts.“ Berlin 1915 (hieraus Abb. a— 5). | | 
(2) Abb. т, 8 und 9 aus einem Aufsatz des Verfassers über polnische Synagogen in Ostd. Bauzeitung 
1916/52, 53. 

(3) w. d. Verf. Autaatz im Zentralblatt d. Bauverw. 1916/50: „Die alte Synagoge in Kurnik“. 


1 36 


D ` 


tischer Richtung. Diese Bauwerke mit ihrem enggestellten Stánderriegelbau (s. Abb. 9) 
entstanden im Anfange des то. Jahrhunderts. Sie zeigen auffallende Ahnlichkeit 
mit den Kirchen protestantischer Diaspora-Gemeinden. Aber nur im Äußeren; 
innen sind diese Bauwerke, wenn auch stark dekadent, so immerhin von der ost- 
jüdischen Sakralkunst beeinfluBt. 

Weit wichtiger in kunstgeschichtlicher Hinsicht als die Baukunst ist indessen 
die Malerei Hier stehen wir überrascht vor einem ebenso seltsamen als inter- 
essanten und reifen Kunstzweige. Seine Erforschung ist schon vor Jahren durch 
die Veröffentlichungen der Krakauer k. k. Kommission der Kunstdenkmäler (Spra- 
wozdania komisyi do badania historyi sztuki w Polsce) durch Wierzbicki be- 
gonnen worden. Mehr als diese, größtenteils auf polnische Fachleute beschränkt 
gebliebene Arbeit, haben die in sauberer Technik erstellten Genrebilder Isidor 
Kauffmann's-Wien diese dekorative Malerei grüBeren Kreisen bekannt gemacht. 
Galizien selbst ist reich an solchen Beispielen, deren bestes (Chodorow) der Ver- 
fasser in seinem in Fußnote r, S. 2 angeführten Werke eingehend gewürdigt hat. 
In einer nur noch durch maurische Kunst übertroffenen Fülle an Ornamentik und 
glühender Farbenpracht sind sämtliche Wände und die Decke reich geschmückt. 
Offenbar entstand diese Kunst aus dem Bedürfnisse, die kahlen, aus wagrechten 
Bohlen gezimmerten Wände zu beleben (Abb. 10). Hierbei hat die Verschmelzung von 
Schrift und Ornament so auffallende Beziehungen zu der Malerei der islamitischen 
Kunst, daß die Behauptung, die Beeinflussung sei durch Handelsgegenstände durch- 
reisender asiatischer Kaufleute erfolgt, nicht von der Hand zu weisen ist. Nur so 
erklárt sich auch die symbolische Verwendung von Tiergestalten, deren Beziehung 
zu Polen sonst kaum zu ergründen ist. Denn neben den typischen, auch in der 
westlichen Kunst der Juden immer wieder angewandten Lówen und Adlern finden 
wir hier Dromedare, Pelikane, Bären, Zebra, Tiger usw. vielfach zur Belebung der 
Ornamentik herangezogen. In eine triforienartige Teilung der Wünde sind Sprüche 
aus Bibel und Talmud verzeichnet, innige Worte des Glaubens und der Weisheit. 
So lesen wir da im Urtext: . 

„Еїпе Gabe im Geheimen bedeckt den Zorn Gottes“ (Talmud). 

„Denn ihr pflüget Böses und erntet Übeltat und esset Lügenfrüchte'* (Hosea 10/13). 

„Бег Mensch sorgt nur um den Verlust seines Geldes, aber nicht um den 
Verlust seiner Tage. Das Geld nutzt ihm nichts, aber seine Tage kehren 
nicht zurück . . .“ (Talmud). 

Endlich sei noch als Pruhkstiick der Ausmalung das stets wiederkehrende Stadt- 
bild Jerusalems erwühnt, ein medaillonartiges Bild einer mittelalterlichen Stadt mit 
zahlreichen Türmen und Giebeln. Als Motive der Ornamentik finden die stilisierten 
Ranken und Blätter romanischen Ursprunges fast ausschließlich Verwendung; sie 
sind durch Inzucht von der Zeit, da die Juden in Deutschland Schmuckmotive für 
Kultzierate heranzogen, vererbt und, wie schon eingangs erwähnt, als „Jargon“ 
der romanischen Urmotive anzusehen. 

Auch diese Kunstbetätigung der Malerei ist in ihrer Ausstrahlung auf deutsches 
Gebiet feststellbar, hier aber nicht wie vorhin entwicklungsgeschichtlich verfolgbar, 
vielmehr als eine Art Episode aufzufassen. Als im 18. Jahrhundert die bis dahin 
glänzenden Verhältnisse der Ostjuden einer Beschränkung ihrer Freiheit und Rechte 
Platz machten, wanderten einzelne Gemeinden aus und wandten sich bezeichnen- 
derweise nach Franken, der Heimat so vieler ihrer Vorfahren. (Vergl. die Namen 
„Frank“, „Frankel“, ,Frünkel*) Mit diesen Rückwanderern aber ging deren Kunst 
auch nach der früheren Heimat. In kleinen Städtchen und Dörfern des oberen 


137 


Maintales (Horb, Redtwitz), nahe der Stadt Würzburg (Allersheim, Kirchheim usw.), 
‚ferner nächst Ansbach (Bechhoven) erbauten die aus Polen Vertriebenen schmuck- 
lose, nüchterne Betstuben, auBen scheunenartig, aber innen nach dem Vorbilde der 
erwähnten Gotteshäuser reich bemalt. Wir verdanken die Kenntnis und Aufnahme 
dieser farbenprüchtigen Innenräume dem Direktor des Düsseldorfer Kunstgewerbe- 
museums, Frauberger, der diese Arbeiten im Auftrage der ,,Gesellsch. zur Er- 
forschung jüd. Kunstdenkm.“ (Frankf. a. M.) in eingehender Weise durchgeführt hat. 
Bechhoven (Abb. 11), das vollkommenste Beispiel, ist im Gegensatze zu den übrigen 
noch als Gotteshaus benutzt, wührend die anderen Bauwerke dem Untergange ge- 
weiht sind. In Würdigung des kunsthistorischen Wertes dieser Innenräume wurde 
jedoch Kirchheim vom bayrischen Staate erworben und 1912 dem Luitpoldmuseum 
zu Würzburg eingereiht Von Bechhoven und Horb ist uns auch der Name des 
Baumeisters und Malers (?) erhalten; es war Elieser, der Sohn des Salomo Suß- 
mann!) der sich, in der Gesellschaft der Rückwanderer befindend, hier, auf frünki- 
schem Boden, die Bauwerke streng nach dem Muster polnischer Vorbilder er- 
richtete. Bezeichnenderweise sind aber beim AuBenbau bereits starke Anklinge 
an die deutsche Umgebung wiederum feststellbar. 

Für die Beurteilung der Frage über Kunstbetütigung der Ostjuden gewinnen alle 
diese neuen Forschungen Beachtung. Es ist leider anzunehmen, daB der Krieg 
hier viele Werte vernichtet hat. Wünschenswert wäre es, wenn die überaus 
gründliche Art, mit welcher deutscher Forschungsgeist in den besetzten Gebieten 
arbeitet, sich auch auf dieses Kunstgebiet ausdehnen wollte. Man hat diese eigen- 
artigen Werke einer ebenso innigen wie in sich abgeschlossenen Kunst bisher 
kaum gewiirdigt. Was sich hierüber in polnischem Fachbiicherwesen verstreut 
findet, ist, abgesehen von den schon genannten „Sprawozdania“ kaum als Unter- 
lage zu wissenschaftlicher Forschung geeignet (Bersohn, Moklowski, Gloger). Die 
galizischen Beispiele hat der Verfasser in seiner schon erwühnten Arbeit berück- 
sichtigt. 

Ergünzend sei noch auf die Steinsynagogen des Ostens verwiesen, deren hoch- 
monumentale Bauart des Äußern und Innern bemerkenswert ist. Eine Ausstrah- 
lung auf deutsches Gebiet ist nur in einem einzigen Beispiel nachweisbar, der 


1815 errichteten Synagoge in Kempen (Posen) Ein besonderer Zweig dieser 


Sakralbauten, die ,Synagogenburgen", soll von mir an anderer Stelle besprochen 
werden. 


(1) Der Name findet sich noch heute in Westbéhmen. 


THEODOR DAUBLER: Der neue 
Standpunkt. Hellerauer Verlag,Dresden. 
Hellerau 1916. 

Wie es Dichter waren, die über Runge und 
Kaspar David Friedrich die schönsten Seiten ge- 
schrieben haben, so hat auch die vom Naturalis- 
mus losgelóste bildende Kunst unserer Zeit Dichter 
gereizt, zu ihren Problemen Stellung zu nehmen. 
Kasimir Edschmid schreibt über Hoetger, Hey- 
mann über Pechstein, Bahr, der nie alternde, über 
„Expressionismus“, Däubler über den „neuen Stand- 
punkt*. 

Niemand hat vor Dáubler Sinn und Willen der 
jüngsten Kunstrichtung in so schöner und ein- 
dringlicher Weise ergriindet. Er ist ein Wort- 
künstler, der den Eindruck eines Bildes, ohne ins 
Literarische zu verfallen, mit W'orten umschreibt 
und nachdichtet. Er findet neue Wortverbindungen, 
um Farbeneindriicke zu vermitteln und den me- 
tallisch-kühlen, erregend-heißen, blumenhaft-zarten 
Farbcharakter zu veranschaulichen. Dem grund- 
legenden Kapitel ,Simultanitit" folgen  rück- 
schauende Betrachtungen über „unser Erbteil", 
dann die stolze Reihe expressionistischer Bildnisse: 
Munc, Barlach, Matisse, Rousseau, Chagall, Marc, 
Picasso. Betrachtungen über Futuristen und Ex- 
pressionismus bilden den Schluß. Kein biogra- 
phisch-anekdotisches Detail stört die Struktur des 
Buches, nur das Wesen des Künstlers, soweit es 
sich in seinem Werk offenbart, wird klargelegt. 
Die Tonart wechselt. Werden Munch und Chagall 
„das kosmische Kind“, „der Märchenprinz mit ab- 
soluter Farbe“ aus der Welt ibrer Vorstellungen 
ergründet, so stehen bei Matisse, dessen Farbflecke 
Sätze sind, „die aus trefflichsten Hauptwürtern 
bestehen. Jeder, Satz für sich. Punkt“, formale 
Probleme im Vordergrund. Picassos „Farb- 
schnitzelportrüts" werden aus der „Hysterie un- 
serer Zeit“, die allein ein so abstraktes Programm 
für bildende Kunst aufstellen konnte, gedeutet. 
Der Spanier und jene, bei denen er Schule ge- 
macht hat, sind „Darsteller einer psychologischen 
Geometrie, keine Gestalter mehr im alten Sinn“. 

Däubler gibt einen Querschnitt, Vollständigkeit 
liegt ihm fern, auf den Expressionismus, der seine 
Formung in Norddeutschland gefunden hat, auf 
Nolde und Schmidt-Rottluff geht er nicht ein, und 
doch wirkt sich gerade bei Schmidt- Rottluff das 
Wollen unserer Zeit am Stärksten und Unbeding- 
testen aus. — Eine Überraschung für den Kunst- 
bistoriker ist das sorgfältige und ausführliche Re- 


gister. Da für Diubler künstlerische Werte allein 
gelten, ist ihm alte Kunst ebenso vertraut wie die 
der allerjüngsten Gegenwart. Кова Schapire. 


GERTRUD GRADMANN, Die Monu- 
mentalwerke der Bildhauerfamilie 
Kern. (Studien zur deutschen Kunst- 
geschichte, Heft 198.) Mit 7 Lichtdruck- 
tafeln. StraBburg, J. H. E. Zeitz, 1917. 


Die Kunst des 17. Jahrhunderts in Deutschland 
ist wenig bearbeitet worden; zumal in der Plastik 
schreckt das Handwerkliche und der Massenbetrieb 
einer unselbständigen Zeit. Gleichwobl sind die 
Werke zahlreich und treten mit stolzem Bewußt- 
sein vor den Beschauer, Man erinnert sich, daß 
in die erste Hälfte des Jahrhunderts einer der 
großen Höhepunkte europäischer Kunst fällt, daß 
in Italien, Spanien, den Niederlanden das Barock 
in höchstem Glanze steht, und fragt sich, wie 
Deutschland dazu sich stellen möge. Das Bild 
ist, abgesehen von der Baukunst, die sich auf 
wahre Monumentalität beginnt, nicht erhebend. 
Von Malern kann man neben Elsheimer kaum 
noch Flegel nennen, beide sind im Grunde Klein. 
meister; und die Vertreter des wirklichen Barock 
wie Willmanns machen nicht den Anspruch auf 
unbedingte Selbständigkeit, Die Plastik erhebt 
sich nirgends über dekorative Bedeutung. Als 
Schmuck von Grabmälern, Portalen, Kanzeln und 
Brunnen bildet sie den Gegenstand einer hand- 
werksmäßigen Übung und nimmt eine Zwitter- 
stellung zwischen Renaissance und Barock ein, 
zu einer Zeit noch, da Bernini längst gestorben 
ist, Die Abhängigkeit dieser braven Zunftmeister 
von begabteren Ausländern ist überall nachzu- 
weisen. Nach 1620 verschwinden diese Muster 
und die einheimische Bildnerei breitet sich trotz 
des großen Krieges ausgiebig in Deutschland aus, 
mit einer erstaunlichen Gleichartigkeit aller Formen, 
Es handelt sich dabei weniger um Kunst als um 
Kunstgewerbe, und nicht sowohl um Stil als um 
eine, freilich sehr lang andauernde Mode. 

Eine Anzahl der bedeutenderen Meister ist schon 
durch Monographien ans Licht gezogen; so die 
westfälischen Gröninger von F. Koch, die Dresdner 
Walther in Haendtkes Buch über sächsische Plastik, 
Erth und vor allem Dehne in Magdeburg von 
Deneke; auf die Familie der Junker am Unter- 
main hat Schulze-Kolbitz, wenn auch flüchtig, 
hingewiesen (in seinem Buch über das Aschaffen- 
burger Schloß). Ihnen reiht sich das vorliegende 


139 


Werk von Gertrud Gradmann an, welches die 
weitläufige Familie Kern in Unterfranken mit dan- 
kenswerter Ausführlichkeit behandelt. 

Das Buch besitzt alle Vorsüge, die eine Arbeit 
über einen so wenig dankbaren Stoff haben kann; 
einen Stoff, den zu. meistern die Geduld und 
der Mut einer Erstlingsarbeit gehört. Der Stoff 
ist übersichtlich gegliedert und so knapp wie 
möglich behandelt; die Schreibweise rein und von 
erfreulicher Deutlichkeit; die Zuschreibungen und 
Ablehnungen ohne weiteres anzunehmen — soweit 
ich die Dinge aus eigener Anschauung kenne, 
welches der größere Teil ist; Stilkritik und Werk- 
beschreibung besonnen und klar! Man stellt mit 
Vergnügen die Entschiedenheit der kunsthistori- 
schen wie schriftstellerischen Eignung der Ver- 


fasserin fest und hofft, das nächste Werk einem : 


dankbareren Gegenstand gewidmet zu sehen, 

Als wesentlichete Resultate seien hervorgehoben: 
die Geschichte der Familie Kern in Forchtenberg 
am Kocher, die sich vom Handwerk zum (rela- 
tiven) Künstlertum emporarbeitet. Das Werk des 
Hauptmeisters Michael III. (1580—1649), dae zwi- 
schen Main und Neckar zahlreiche plastische De- 
korationen birgt: die Würzburger Domkanzel, das 
Portal in Dettelbach (O. A. Kitzingen), umfang- 
reiche Epitaphien und Tumben in Wertheim, 
Langenburg, Michelstadt, Ohringen, Würzburg 
u. a. О.; Altáre, namentlich in der prunkvollen 
Klosterkirche zu Schönthal und in der erzbischdf- 
lichen Hauskapelle, Würzburg. Stilkritik und Ver- 
gleich mit den Werken der Zeit führen zu den 
schon angemerkten Resultaten. Die nächste Ver- 
wandtschaft mit Kern haben die drei Junker (von 
Hans die Aschaffenburger Schlo&kapelle, von 
Michael der Blutaltar in Walldürn). Sein Schwan- 
ken zwischen strengerer Renaissance und barocken 
Neigungen (die sich jedoch wesentlich nur im 
Ornament zeigen, wo er als einer der Frühesten, 
schon um 1614, Knorpeiwerk verwendet), ist ebenso 
typisch wie der spielerische Aufbau der Archi. 
tektur, die Vorliebe für Alabaster und der damit zu- 
sammenhingende krause Reichtum des Plastischen 
sowie die Verwertung zeitgenóssischer Stiche für 
die bedeutenderen Relief kompositionen. 

Den zweiten Bildhauer von Rang in der Familie 
stellt Michaels Bruder Leonhard dar (1588— 1662). 
Seine Haupttätigkeit vollzog sich auf dem Boden 
` der Elfenbeinschnitzerei, und darin ist er einer 
der frihesten und bahnbrechenden, freilich nicht 
bedeutendsten Meister. Aber dies: fällt außerhalb 
der Gradmannschen Untersuchung (und ist von 
Christian Scherer im Jahrb. d. Kgl. PreuS. Kunet- 
sammlungen, Bd. 37 — 1916 — Heft IV besprochen 


140 


worden); sie behandelt nur seine Steinbildwerke, 
unter denen die vier Monumentalfiguren an den 
Nürnberger Ratbausportalen von 1617 den ersten 
Platz einnebmen. Als Künetler steht Leonhard 
Kern über seinem Bruder; seine italienische Schu- 
lung, seine eingehenden Aktkenntnisse sicherten 
ihm einen Vorrang vor den übrigen Bildhauern, 
auf welche diese Umstände nicht zutrafen: jedoch 
ist er von Natur weit schwerf&lliger und sein Kreis 
ausschließlich auf Aktdarstellungen beschránkt, 
so daß er am Ende mehr einen Einzelfall in dem 
plastischen Betrieb Deutschlands bildet ais eine 
wirkliche Erscheinung von Eigenwert. Seine 
Elfenbeinwerke machen dies vollends klar. 

Von den übrigen Mitgliedern der Familie kommt 
nur noch Achilles Kern, der Sohn Michaels, in 
Betracht, von dem einige große Grabdenkmäler 
und vermutlich der Michaelsaltar in Schönthal 
herrühren. Er starb 1691 und führte die Kunst 
des dekorativen Halbbarock bis weit in die zweite 
Hälfte des 17. Jahrhunderts, 

' Eine sorgfältige, 66 Nummern umfassende Samm- 
lung archivalischer Belege endigt den stattlichen 
Band. Paul F. Schmidt. 


W. FR. VOLBACH, Der heilige Georg. 
Bildliche Darstellung in Süddeutschland 


mit Berücksichtigung der norddeutschen 


Typen bis zur Renaissance. Mit 35 Ab- 
bildungen auf acht Tafeln. Studien zur 


deutschen Kunstgeschichte, Heft 199. 


J. H. Ed. Heitz, Straßburg 1917. 


Die christliche Ikonographie, das so unendlich 
wichtige Hilfsgebiet der Kunstgeschichte, weist 
noch zahlreiche Lücken auf. Eine davon zu 
füllen, ist die Aufgabe des vorliegenden Buches. 
Der Verfasser hat sich den deutschen Lieblings- 
heiligen Georg gewählt, um an ihm den Reich- 
tum der Auffassungen, mit dem die deutsche 
Kunst den Heiligen behandelt, abzuwandeln. Die 
Untersuchung entstand „sowohl aus rein ikono- 
grapbischem Interesse, als auch, um durch die 
gewonnenen Resultate noch nicht lokalisierte Werke 
einer bestimmten Landschaft und Schule zuweisen 
zu können.“ Für diesen Doppelzweck ist der hi. 
Ritter Georg um seiner weit verbreiteten Kultur 
willen die geeignetete Persönlichkeit. Die Auf- 
teilung erfolgte streng schematisch in die ver- 
schiedenen Typen: Georg zu Fuß, zu Pferd, mit 
Drache, ohne Drache, mit Schild, mit Fahne; 
Lanzenkampf, Schwertkampf; sonstige Darstellun- 
gen aus der Legende. Der Kult des Heiligen, 
seit dem 6, Jahrhundert im Norden nachweisbar, 


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beginnt in ausgebreiteter Weise erst im 12. Jahr- 


hundert. Darstellungen dee Drachenkampfes er- 
scheinen nicht vor ca. 1230.. Die frühesten Dar- 
stellungen zeigen den Heiligen zu Fuß, ohne 
Drachen. Seit dem 14. Jahrhundert entwickelt 
sich der Drachenkampf als das herrschende Motiv. 
Der Drache ist, als Fabeltier der Phantasie weiten 
Spielraum gebend, vielgestaltig, doch immer inner- 
halb der Grenze des Tierbaften; als wirklicher 
Teufel — wie häufig bei St. Michael — tritt er 
nicht auf. Volbach kennt nur ein Beispiel , eine 
Miniatur von 1436, wo der Drache teufelartig ge- 
bildet ist. Dieses Blatt enthült auch das seltene 
Motiv des Kampfes wider den fliegenden Drachen, 
das eich, wohl auch ganz vereinzelt, auf dem 
schónen Stich des Meisters von Zwolle (Karls- 
ruher Kupferstichkabinett Nr, 3968) wiederfindet. 
Eine dankenswerte Feststellung ist die Lokalisie- 
rung des hundsartigen Drachen fir Frankreich. 
Hierdurch konnte der Holzschnitt des Germ. Nat.- 
Museums, Schreiber 1447, den Bouchot in Parallele 
mit dem Drachenkampf eines französischen Leder- 
kästchens im Sigmaringer Museum als französisch 
bezeichnet, der deutschen Kunst zurückgegeben, 
konnte für die oberrheinische Malerei (Meister 
von 1445) ein neuer Beleg für burgundische Be- 
einflussung erbracht werden. Dagegen scheint 
mir bei dem Meister von 1445 in der Beigabe 
der verwesenden Leiche vor der Drachenhöhle 
ein italienischer Einfluß nicht bedingt, da dieses 
Motiv auch der Kölner Meister der Georgslegende 
verwendet. Wünschenswert wäre eine Erklärung 
über das Auftreten des zweiten Drachen (S. 54, 
70, 78/79) gewesen. Ist dieser wirklich das Drachen- 
junge, wie V. angibt, und wenn, existiert im Georgs- 
mythus ein Anhaltspunkt dafür? Oder handelt es 
sich, wie ich, wenigstens bei der Sierenzer Tafel 
annehme, um einen Fall von Juxtaposition? Für 
eine Gruppe kleiner Alabasteraltärchen in Weißen- 
burg, im Germ. Museum und im Nationalmuseum 
za München erbrachten die ikonographischen 
Merkzeichen die nähere Lokalisierung auf Franken, 
wodurch meine Vermutung (Zeitschr. f. chr. K., 
1916, S. 61), daß Dürer das Alabasterrelief des 
Germ. Museums — dessen Georg sich als Vor- 
bild zu Dürers „Christlichem Ritter“ trotz spott- 
reich gewappneter Anrempelung (Kchr. 1916, 
Sp. 409—123) nicht aus dem Sattel werfen läßt — 
kannte, eine Stütze erhält. 

Ein wichtiges Ergebnis ist die einwandfreie Zu- 
weisung des Teigdrucks aus derWeigeliana (Weigel 
und Zestermann 401, Schreiber 2844) an den Mittel- 
rhein vermöge ikonographischer Übereinstimmung 
mit einer Tonform aus Nierstein (S. 67); ebenso 


der Hinweis, daß die Schrotblätter, Schreiber 2833, 
2635, 2636 in Burgund* bzw. unter burgundischem 
Einfluß entstanden sind. Nicht als Georg hat 
sich der bisher als solcher angesprochene Ritter 
vom Memorienportal des Mainzer Doms erwiesen. 
Dies nur einige Beispiele aus der Fülle des Ge- 
botenen. Volbach hat das über den Heiligen reich- 
lich vorhandene Material fleißig genutzt, gründ- 
lich gesiebt und seine Schlüsse daraus mit sach- 
licher Vorsicht und Gewissenhaftigkeit gezogen. 
So ist diese ikonographische Georgsmonographie 
ein sehr brauchbares Buch geworden, das beson- 
ders bei der Lokalisierung von Kunstwerken treff- 
liche Dienste leisten wird. Mela Escherich. 


AUGUSTIN HIRSCHVOGEL, Ein deut- 
scherMeister der Renaissance, Von 
Karl Schwarz. Verlag Julius Bard, Ber- 
lin 1917. 

Bisher ist man an Hirschvogel ziemlich achtlos 


| vorübergegangen. Man kannte wohl seine Land- 


schaften und sollte ihnen anerkennende Worte, 
brachte auch seinen Namen mit verschiedenen 
kunstgewerblichen Erzeugnissen in Verbindung, 
begnügte sich aber im allgemeinen mit kurzen 
Notizen. Nicht einmal die biographischen Daten 
waren unzweideutig festgelegt, so дай man den 
widereprechendsten Angaben über sein Geburts- 
jahr und Leben begegnete. Auf Grund eingeben- 
der Forschung wird hier zum ersten Male ein Bild 
von dem Leben und Scbaffen dieses in seiner 
Eigenart noch nie gebührend gewürdigten Künst- 
Jers, dessen Gesamterscheinung die eines der viel- 
seitigsten und charakteristischen Renaissance- 
meister darstellt, entworfen und in den Rahmen 
seiner Zeit eingefügt. x 

Eine Reihe neuer Entdeckungen, so vor allem 
die Auffindung eines groBen Zyklusses von Feder- 
zeichnungen und Scheibenrissen — die umfang- 
reichste Serie, die aus dem 16. Jahrhundert be- 
kannt ist — die Ergänzung des gıaphischen 
Werkes um eine Reihe bisher unbekannter, be- 
deutender Radierungen, die Festlegung vieler 
Lebensdaten ergänzen die allgemeine Anschauung 
über den Künstler und gestatten dem Verfasser, 
in einem stattlichen, dazu gut ausgestatteten Bande 
die Monographie Hirschvogels den übrigen Biogra- 
phien altdeutscher Kunst einzureihen. 

In allen Kapiteln dieses trotz seiner strengen 
Wissenschaftlichkeit angenehm lesbaren, trotz 
seiner Prägnanz nicht trocken wirkenden Buches 
finden sich interessante Neuerungen gegenüber dem 
bisher über Hirschvogel, oft an schwer zugüng- 
lichen Stellen veróffentlichtem Material. 


141 


Kapitel I enthšlt eine genaue Festlegung des 
Stammbaumes, Richtigstellung seines Verhältnisses 
zum Kunstgewerbe, besonders zu der durch Neu- 
dörfier entstandenen Konfusion betreffend das Kom- 
pagniegeschäft mit der Hafnerwerkstatt Nickel- 
Reinhardt. 

Kapitel II behandelt Hirschvogels geometrische 
Studien und Pläne. Besonders wertvoll erscheinen 
seine Arbeiten für den Freiherrn von Herberstain, 
die er als Illustrator seiner Werke fertigte, unter 
Anlehnung an die Burgkmairsche Genealogie. Der 
dritte Abschnitt stellt auf Grund wertvoller, in 
Ungarn gemachter bistorischer Funde das Ver- 
bültnis Hirschvogels zu dem ungarischen Magna- 
ten Peter Perényi zum ersten Male fest und bildet 
nicht nur eine Erweiterung unserer Kenntnis des 
Künstlers, sondern bietet auch ganz neue Auf- 
schlüsse zur Geschichte der Reformation in Ungarn. 
Im vierten Abschnitt wird das große, bisher völlig 
übergangene Verdienst Hirschvogels als eines 
Forschers auf dem Gebiet der praktischen Geo- 
metrie gewürdigt. Er verdient als der Erfinder 
der Triangulierung in der deutschen Wissenschaft 


143 


einen Namen, was an der Hand seiner Befesti- 
gungspläne und Basteibauten nachgewiesen wird. 

Kapitel III behandelt das graphische Werk in 
Einzeluntersuchungen der verschiedenen Blätter 
und unternimmt eine Einfügung der bisher un- 
bekannten Radierungen in das vorhandene Material, 

Kapitel IV enthält die wichtige kunsthistorische 
Feststellung, daß nicht alle bisher unter dem 
Namen Hirschvogel segelnden Zeichnungen von 
seiner Hand stammen, daß dagegen der in Buda- 
pest befindliche Zyklus von Federzeichnungen un- 
bedingt vom Künstler herrührt, wodurch das 
Schaffensbild des Meisters erst seine volle Ab- 
rundung erhält und die in 

Kapitel V unternommene Gesamtcharakteristik 
seines künstlerischen Wirkens und Einordnung in 


die geschichtliche Entwicklung rechtfertigt. 


Es folgen wissenschaftliche Anhänge wie Re- 
gesten, Beilagen aus den schriftlichen Aufzeich- 
nungen Hirschvogels, ein ausführliches Literatur- 
verzeichnis und ein wohl mit der größten Genauig- 
keit durchgeführter Katalog seiner Werke. 

G. J. Korn. 


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RUNDSCHAU ees 


DER CICERONE. 

X, 7/8. 

A. L. MAYER: Miinchener Malerei von бё bis 
1890. (7 Abb.) 

D. HEUBACH: Ein Werk des Bildbauers Lan- 
dolin Ohmacht. (1 Abb.) 


H. FRIEDEBERGER: Die Corinthausstellung der 
Berliner Sezession. 


D ——— 


DIE KUNST. 

XIX, 7. 

AUGUST L. MAYER: Toni von Stadler. 
Ia Abb) 

H. A. SCHMID: Bócklin und die alten Meister II: 
die reifen Jahre. (14 Abb.) 

ADOLF SCHINNERER: Wilhelm Gerstel. (13 Abb.) 
K. SCHW.: Der Samariterbrunnen in Homburg. 
(z Taf.) 

„UM 1800“. Innenausstattungen und Möbel aus 
der Zeit um 1800, (1 Taf., ar Abb.) 
WILHELM MICHEL: Frankreich und das deutsche 
Kunstgewerbe. 

W.: Zu Ferdinand Spiegels dekorativen Bildern, 
(s Abb.) 

RICH. MEYER: Spielzeug aus der Hamburger 
Kunstgewerbeschule. (8 Abb.) 


(1 Taf., 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
XXI, 6. 

ARTHUR ROESSLER: Der Bildnismaler Victor 
Hammer. (1 Taf., 4 Abb.) 


JOS. AUG. BERINGER: Edmund Steppes-München. 
(2 Taf, 5 Abb.) 

OSCAR GRAF - BERG: Adolf Büger - München. 
(x Taf., 2 Abb.) 

OTTO SCHULZE-ELBERFELD: Scherenschnitte 
Walter Kampmanns. (I Taf, ro Abb.) 

FRANZ SERVAES: Neue deutsche Tapeten. (a farb. 
Taf., 9 Abb.) 


EMIL UTITZ: Kunstgewerbliche Graphik: Fest- 


und Eintrittskarten von Cipriani und Bartolozzi. 


(9 Abb.) 


GEORG HABICH: Neue Münchener Medaillen. 
(ar Abb.) 


Ex libris von ADOLF M. SCHWINDT. (12 Abb.) 
JOS. AUG. LUX: Gustav Klimt 1. 


KUNST UND KÜNSTLER. 
XVI, 5. 
KARL SCHEFFLER: Erich Heckel. (8 Abb.) 


WERNER WEISBACH: Matthias Grünewald. 
(11 Abb.) 


EDUARD PLIETZSCH: Neuerwerbungen des Ber- 
liner Museums, (1 Taf, 5 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
Neue Folge, XXIX, 6. 

FRANZ DÜLBERG: Über den Bildhauer Frederik 
Engel Jeltsema. (r0:Abb.) 

AUGUST L. MAYER: Die spanischen Handzeich- 
nungen in der Kunsthalle zu Hamburg. (10 Abb.) 


HANS F. SECKER: Ein Frühwerk van Руске 
im Danziger Stadtmuseum. (3 Abb.) 


HANS WOLFF: Graphische Arbeiten von R. R. 
Junghanns. (6 Abb.) 


Neue Folge, XXIX, 7. 

HEINRICH WOLFFLIN: Jacob Burckhardt. (1 Taf.) 
HANS F. SECKER: Beiträge zur Dürerforschung. 
I. Direr und Mantegnas Fresken in Padua. (13 Abb.) 


JULIUS VOGEL: Das Freskobild des Erzengels 
Michael im Museum der bildenden Kinste zu 
Leipzig. (2 Abb.) | 


— — 


BERLINER MUNZBLATTER. 


XXXIX, 195/196. 
EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als kurbranden- 
burgische Miingstitte. 


KARL W. SCHERER: Ein Beitrag zur pfälzi- 
schen Münzkunde (Nachtrag), (x Taf., 3 Abb.) 


E. BOHLEN: Zur Vierbundertjahrfeier der Re- 
formation. 


L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916—1918. 
M. v. B.: Zum Goldschatz von Brescello. 


DEUTSCHLANDS KUNST. 
1918, r. 
(Zeitschrift des Bundes der Freunde deutscher Kunst.) 


HANS WOLFGANG BEHM: Unser Weg. Ein 
Frontwort zum Wegen deutscher Kunst, (1 Abb.) 
RICHARD BRAUNGART: Leo Samberger. (1 farb. 
Taf., 14 Abb.) 

ARTHUR DOBSKY : Der Bilderschmuck des Hauses 
einst und jetzt. (za Abb.) 

HANS WOLFF: Meister der Zeichnung. (10 Abb.) 
WILLY DOENGES: Johann Joachim Winckel- 
mann. 


ERNST COLLIN: Deutsche VVV 
im Kriege. 


— — 


143 


OUDE KUNST. AMTLICHE BERICHTE Aus DEN KGL. 


J. F. M. STERCK: Twee allegorieë Rubens KUN MMI 
huwelijken. (a Abb.) ЕИ EE ЭТВА UNGEN, 
M. F. HENNUS: Jets over Benjamin Bolomey XXXIX, 7. 


en zijn gegraveerde portretten. (8 Abb.) FRITZ' GOLDSCHMIDT: Ein Plakettenmeister 
FRITZ HAVELAAR: Ommegang door onze Musea. der Riccio-Werkstatt. (7 Abb.) 


(4 Abb.) 
N. Q. v. HUFFEL: Een Familiengroep van Jo- a нна EES : Ein 


hannes Buns. (т farb. Tafel, x Abb.) 


XI. Jahrgang, Heft 5. 
Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im 
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, 
Berlin W. r5, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK- 
HARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretungen der Schriftleitung: [n MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In ÓSTERRBICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 23. | 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-Jaan 61 | In der SCHWEIZ: 
Dr. JULES COULIN, Basel, Euleratr. 65. | 

Geschüftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467. 


Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- 
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland- 
straße 158 zu richten. . 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


144 


Tafel 2: 


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Abb. 1. Vom Sockel des Sebaldusgrabes: Von den drei Sáulenstumpfen befindet sich der mittlere hinter dem Lówen, die beiden anderen im Hintergrund. 
Der linke Hinterfuß des Löwen steht auf der got. Bodenwelle. Vor dem Kopf des Löwen eine Spitze vom Schutzgitter. Die Ansatzstelle des Renaissance- 
sockels 1,5 cm vom linken und 3,7 cm vom oberen Bildrand entfernt. 


M. f. K., XL, 5 Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES 


Tafel 27 


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Abb. 2. Vom Sockel des Sebaldusgrabes: Von den drei umgebogenen Sáulenstumpfen befindet sich der mittlere hinter dem Kopf des Lówen. 
Eine kleinere Ren. Platte mündet r cm höher unorganisch 


Ansatzstelle der Ren.-Sockelplatte 2,2 cm vom linken und 4,6 cm vom oberen Rand entfernt 
zwischen zwei gotischen Profilen. 
HUBERT STIERLING, DAS RÄTSEL DES SEBALDUSGRABES 


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Vordertatze ruht auf der Bodenwelle, davor eine Spitze des Schutzgitters. Die Bodenwelle wird links unten vom Renaissancesockel überschnitten. 


Zu: 


Abb.3. Südostecke des Sebaldusgrabes: Die Überschneidung der got. Bodenwelle durch die unterste Ren.-Sockelplatte (Sockelfuñ) ist zweimal deutlich zu erkennen. 
Die Ansatzstellen der oberen Ren.-Sockelplatten liegen im Schnittpunkt der Pfeile aa, bb. 
4. f. K., XI., 5 Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES 


x. 


Abb. 4. Sockelpartie der óstlichen Schmalseite des Sebaldusgrabes mit den abgeschnittenen Bodenrippen neben den Putten, Links neben der 
„Gerechtigkeit“ ein umgebogener Sáulenstumpf. 
Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES 


Abb. s. Allegorie der Vergänglichkeit vom Sockel des Sebaldusgrabes (Südostecke) Abb. 6. Leuchterweibchen vom Sebaldusgrab (Südostecke) 
Die Stange im Vordergrund links gehórt zum Schutzgitter 


Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES 


M, f, K., XI., 5 


Tafel 31 


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Abb. 7. Großes Relief der Blindenheilung vom Sockel des Sebaldusgrabes (nach GipsabguB!) 


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Abb. 8. Orpheus und Eurydice. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum 
Zu: HUBERT STIERLING, DAS RÄTSEL DES SEBALDUSGRABÉS 
M. f. K., XL, 5 


Tafel 32 


Abb. 9. Großes Relief der Füllung des Weinkruges vom Sockel des Sebaldusgrabes (nach Gipsabguß!) 


Abb. 10. Peter Vischer d, J., Aquarellierte Federzeichnung im Berliner Kupferstichkabinett 7 


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Zu: HUBERT STIERLING, DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES — — Ab 


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Abb. 1. Polnische Holzsynagogen (nach Bersohn, Moklowski und Gloger). 


Zu: ALFR. GROTT E: OSTJÚDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET 


M. f. K., XL, 5 


Tatel 34 


Abb. 2. Kurnik in Posen 


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Abb. 3. Kurnik (Querschnitt) 


Zu: ALFRED GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN) AUF 


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Tafel 35 


Abb. 7. 


Lutomiersk (Querschnitt) 


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Abb. s. 


Abb. 6. Lutomiersk 
Kurnik (Deckenuntersicht) 


M. f. K., XL, 5 


Zu: ALFR. GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET 


Tafel 36 


Deutsch-Krone (WestpreuBen) 


Abb. 9. 


Czieszowa (O.- S.) 


Abb. 8. 


OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET 


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Jablonow, Galizien (nach ,Sprawozdania^ IV) a. d. J. 1674 


Tafel 37 


Abb. п. Bechhoven in Bayern 


Zu: ALFRED GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF 


M. f. K., XI., 5 


DEUTSCHES GEBIET 


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|XHAHRGANG-HEFT 6 JUNI 1918 
| VERLAG KLINKHARDT&BIEF 


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Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjšhrlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 6 


ABHANDLUNGEN REZENSIONEN 
ERNST STEINMANN, Die Zerstörung Berthold Daun, Veit Stoß und seine Schule. 
der Grabdenkmäler der Päpste von Zweite, völlig umgestaltete und erweiterte 


Š - w Auflage. Leipzig 1916. K. W. Hiersemann. 
Avignon. Mit 14 Abbildungen auf 89. 248 S. mit 108 Abb. (Kaemmerer) S. 176 


7 Tafeln................ S.145 EmileBern ard, Erinnerungen an Paul Cézanne. 
HUBERT STIERLING, Kleine Beitrüge Benno Schwabe & Co., Basel 1917 (Kahns) S. 178 
zu Peter Vischer. 4. Das Ratsel des Rembrandt, Handzeichnungen, herausgegeben 


von Carl Neumann, mit vierundneunzig Ab- 
Sebaldusgrabes. Nachtrag EJA bildungen. R. Piper & Co. Verlag. München 


Der Zustand unserer fachmännischen 1918 (Schapire).............. 8. 178 
Beurteilung. Entgegnung (Jákács) 173 
Erwiderung (Strzygowski)...... 174 RUNDSCHAU ..4.5.4 9493 S. 179 


A.S.DREY 


Königlich Bayer. Hoflieferant 


MUNCHEN 


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Ausstellung 


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DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER 
DER PAPSTE VON AVIGNON 


Mit vierzehn Abbildungen auf sieben Tafeln ° Von ERNST STEINMANN 


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aBt endlich die Herrschaft der reinen Philosophie ihren Anfang nehmen! 

Franzosen! Zerstört die Grabdenkmüler! Ihr dürft nicht zögern! Laßt die 
Könige von Saint-Denis verfaulen an der Seite jener Unglücklichen, die ihre Üppig- 
keit gezwungen hat, in Armut zu sterben. Zerstört die Grabdenkmäler der Könige, 
und in Eueren Verwaltungsbezirken wird man die Denkmäler der Herzöge zer- 
stören — und bald werden überall diese stolzen Überreste der Tyrannei der einen 
und der Knechtschaft der anderen vernichtet sein, die Zeugnis ablegten von Fana- 
tismus und Unwissenheit und von dem allgemeinen Unglück verflossener Geschlechter.“ 

So schrieb Lequinio, der Bürgermeister von Rennes, das Mitglied des National- 
konvents, der „Bürger des Weltalls“ in einem Buch, das er im Jahre 1792 unter 
dem Titel: Les préjugés détruits herausgab!) Seine Stimme verhallte nicht un- 
gehürt. In jenem Dekret vom r. August 1793, das mit einer feierlichen Beschwürung 
der ,feigen, niederträchtigen und grausamen“ Politik der britischen Regierung 
beginnt, heißt es im Artikel XI: Die Grabdenkmäler and Mausoleen der früheren 
Könige, die in der Kirche von Saint-Denis, in den Tempeln und anderen Ortes er- 
richtet worden sind, werden im Bereich der Republik am 10. August zerstört werden‘). 

Wenige Wochen spüter, am 7. September, erhob Lequinio im Nationalkonvent 
öffentliche Anklage, daß die Zerstörung der Königsdenkmäler noch immer nicht be- 
endigt sei, dann begab er sich sofort als Abgesandter des Konvents in die Vendée’). ` 
Er vergaß nicht, seine „zerstörten Vorurteile“ mitzunehmen, und wir hören, daß er 
es sich angelegen sein lieB, vor versammeltem Volk seine Grundsütze darzulegen 
und Abschnitte seines Buches vorzulesen ). 

Wer in Saint-Denis die wiederhergestellten Königsgräber betrachtet, „dies ent- 
setzliche Durcheinander von Trümmerstücken jeder Art und jeder Zeit“), wer in 
Aix nach den Denkmälern der Grafen von Provence, in Troyes nach den Grab- 
mälern der Grafen der Champagne fragt, — die vom Erdboden verschwunden 
sind — wer in Bourges das wenige aufsucht, was von den Denkmälern des 
prachtliebenden Jean de Berry übrig blieb, oder wer in Souvigny vor den schauer- 
lich verstümmelten Grabsteinen Karls I. von Bourbon und seiner Gemahlin Agnes 
von Burgund gestanden hat — der erkennt mit Schaudern die schreckliche Ernte 
einer fürchterlichen Saat. ,,Allmichtiger Gott,“ hatte einmal Jean Jacques Rousseau 
ausgerufen, ,befreie uns von der Kultur und den todbringenden Künsten unserer 
Vüter, gib uns die Unwissenheit, die Unschuld und die Armut zurück!“ 

Das Los, das den Palásten beschieden war, konnte den Kirchen nicht erspart 
bleiben. Was die Künige und Herzóge Frankreichs über sich ergehen lassen muBten, 
(1) Les préjugés détruits par J.M. Lequinio, membre de la Convention nationale et citoyen du globe. 
Paris 1792, S. 299 und 300. Vgl. Quérard, La France littéraire V, 201. Das Buch erlebte bereits im 
folgenden Jahre eine neue Auflage. | 
(3) Vgl. J. Guillaume, La destruction des tombeaux des rois in La Révolution francaise 52 (1907), 
8. 332. Guillaume unternimmt es hier, die Zerstörung der Königsdenkmäler zu rechtfertigen. 

(s) Guillaume, a. a, O., 8. 333. 

(4) La Révolution francaise 28 (1895), S. 124 (Ch. L. Cbassin, La mission de Lequinio et de EES 
à Rochefort et en Vendée, 

(s) Montalembert, Oeuvres. Paris 1861. VI, 293. 


Monatshefte für Kunstwissenechaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 6 10 145 


das war von den Pipsten und Kirchenfürsten nicht mehr abzuwenden. Denn mit 
dem Kénigtum wurde auch das Christentum in Acht und Bann getan. Die herr- 
lichsten Kathedralen Frankreichs wurden in niichterne Tempel der Vernunft ver- 
wandelt! in denen man systematisch zu zerstören suchte, was an den alten 
Glauben erinnerte, und Robespierre selbst führte den Kultus des „Höchsten Wesens“ 
ein, als dessen Hoherpriester er verehrt zu werden wünschte). 

Man sah im alten Frankreich hüufig die Piipste derselben Ehren teilhaftig werden 
wie die Kinige selbst. Über einem der Stadttore in Lille thronte der Apostel- 
fürst selbst in vollem püpstlichen Ornat?) An den Portalen der Kathedralen von 
Chartres und Reims sieht man noch heute zwischen den Statuen der Könige auch 
Püpste stehen mit Stola und Dalmatica und der einfachen spitzen Tiara, noch 
ohne die dreifache Krone‘). Vor allem aber begegnete man vor der Revolution 
Bildnissen und Statuen von Püpsten in der bilderreichen Hauptstadt Frankreichs. 
Aber wo sollen wir heute die Statue Papst Cólestins, des Vorgängers Bonifaz VIIL, 
suchen, die einst die Mitte des Hauptportals seiner vom Erdboden verschwundenen 
Kirche zierte, die mit Saint-Denis und Notre-Dame zu den ehrwürdigsten Denk- 
mälern Frankreichs zühlte")? Wo sind die Papstbildnisse geblieben, die noch 
Thiéry in der Sorbonne betrachten konnte*), oder die Wachsstatuen Gregors IX. 
und seines Nepoten (?), die Lemée beschrieben hat”), oder das Bildnis Gregors VII. 
mit der GeiBel in der Hand als ,,Flagellum Principum* in Saint-Germain dar- 
gestellt, von dem Sauval zu berichten weiB?*) An jenem Tage, als man in Paris 
im Garten des Palais Royal den Papst in effigie verbrannte, wurde auch seinen 
Bildnissen in Frankreich das Todesurteil gesprochen?). 

Daujon, der berüchtigte „Künstler“, den die Regierung beauftragt hatte, alle 
Zeichen der Tyrannei von Kirchen und Palüsten zu entfernen, begann sein zer- 


(1) Grégoire berichtet in seiner Geschichte der Sekten (Bd. I, 8. 87), daß im Laufe von ao Tagen 
nicht weniger als 2346 Kirchen in Tempel der Vernunft umgewandelt wurden. Das bedeutete die 
Zerstörung aller Heiligenbilder, die Vernichtung aller Abzeichen des christlichen Kultus, der kirch- 
lichen Geräte, Paramente usw. Fast immer beschloß ein solches Fest ein Tanz um den Scheiter- 
haufen, auf dem alles verbrannt wurde, was früheren Jahrhunderten verehrungswürdig erechienen war. 
(2) Aulard, Le culte de la Raison, S. 364. Als der. schwerverwundete Robespierre in der Nacht vom 
9. auf den ro. Termidor Tinte und Feder verlangte, hóhnte der Gefüngniswürter: As-tu. dessin d'écrire 
à ton Étre supréme? 
(3) Rohault de Fleury, La messe. Paris 1889, УШ, 142. 
(4) A. de Baudot, La sculpture francaise. Paris 1878, Pl. XVII und Vitry | et Briére, Documents de 
sculpture francaise du Moyenáge. Paris 1904, Pl. XLII, 5 und Р]. LXVI, 4. 
(5) Abgebildet bei Millin, Monuments français (Antiquités nationales), Paris 1802, La 8.11. Vgl. über 
die Zerstórung der Kirche: Revue universelle des arts VI, 1857, 8. 411 und Lebeuf, Histoire de Paris. 
Paris 1883—1890, I, 330 und VII, 340. 
(6) Thiéry, guide des amateurs . . à Paris. Paris 1787, II, 338: Dans la grande salle des actes se 
voient les portraits des papes depuis Benoit XIV, présens faits à la Sorbonne, par chacun des Pon- 
fes regnans. 
(7) Tralté dea statues. Paris 1688, S. 58: in Notre-Dame. Ebendort sah man nach Éméric David 
(Histoire de la sculpture francaise. Paris 1853, S. 103) eine Statue von Benedict XI. Bonfons (Anti- 
quitez de Paris, Paris 1608, 8. 198) endlich spricht von Gregor II. Er sah noch die Säulen, auf 
denen diese und eine andere Wachsstatue gestanden hatten. Welcher Papst wirklich dargestellt war, 
wird schwer zu entscheiden sein. | 
(8) Histoire et recherches des antiquités de la Ville de Paris, 1724, П (Anhang), S. 35. Von gans 
besonderem Interesse müssen die Glasgemilde mit der Darstellung von Päpsten, Kaisern, Königen 
und Kirchenfürsten als Winzer gewesen sein, von denen Sauval S. 33 spricht. 

(9) Gautherot, Le Vandalisme jacobin. Paris 1914, S. 24. 


146 


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stórendes Werk im Januar 1793 in Saint-Pierre-de-Caillot. Drinnen und drauBen 
vernichtete er die piipstlichen Insignien von Schlüssel und Tiara und ersetzte sie 
auch wohl durch eine rote Jacobinermütze. Man bewilligte ihm für die Arbeit, 
die er so „sauber“ ausgeführt hatte, einen Lohn von 431 livres und то sous!!) ' 

Mit bewuBter Absicht ließ man damals in Frankreich vielleicht nur eine einzige 
Papststatue unangetastet, jene Marmorstatue Clemens V., die man noch heute am 
Nordportal der Kathedrale von Bordeaux betrachten kann. Der schnóde Witz eines 
Jakobiners rettete sie: „Man lasse Clemens V., wo er ist, als Portier des Tempels des 
Höchsten Wesens“, schlug er vor”). Und dieser Vorschlag wurde angenommen. 

Schon im Jahre 1119 wurde ein rómischer Papst in Frankreich begraben und 
durch ein marmornes Grabdenkmal geehrt. In diesem Jahre starb Papst Gelasius II. 
(1118—1119) in der Abtei von Cluny und wurde ,zwischen Kreuz und Altar“ im 
hohen Chor der Kirche beigesetzt?) Jedermann kennt das furchtbare Schicksal der 
herrlichen Abtei und ihrer Denkmäler in der französischen Revolution. „Ihr habt 
Eure große und schöne Kirche verkaufen und zerstören lassen,“ antwortete Napo- 
leon I. den Abgeordneten von Cluny in Macon, als sie ihn baten, ihre Stadt zu be- 
suchen. „Geht! Ihr seid Vandalen; ich werde Cluny nicht besuchen!“) Am 
29. November 1793 wurden Kirche und Kloster von Cluny der Plünderung preis- 
gegeben). Die Gräber wurden zerstört und geschändet, die gemalten Fenster- 
scheiben zerbrochen, die Denkmäler in Stücke geschlagen. Am nächsten Tage 
aber wurde ein mächtiger Scheiterhaufen angezündet, auf dem man alles Kirchen- 
gestühl, die Holzstatuen, die Manuskripte, die Bücher, die kirchlichen Gewänder in 
Flammen aufgehn sah. Die Kirche wurde verkauft und bis auf das Querschiff 
abgetragen. Damals ist auch das Grabmal Gelasius IL, wenn es nicht schon früher 
zugrunde ging, vom Erdboden verschwunden. 

Das war während der Herrschaft des Schreckens das Schicksal von vielen hun- 
derten von Kirchen in Frankreich. Als Joachim H. Campe im Jahre 1802 von 
London nach Paris reiste, kam er nach Montreuil, wo man einmal fünf oder sechs 
Kirchen sah‘). „Es stand davon nicht eine mehr,“ schreibt er, „alle lagen in 
Schutt. Wir hatten ein ganzes Heer zerlumpter, junger Barfüßler hinter uns, die 
uns anbettelten. Einer der Mitreisenden ergriff, als wir gerade bei einer nieder- 


(z) Gautherot, Le Vandalisme jacobin. Paris 1914, S. 144. | 

(2) E. Münts, La tiare pontificale du УШ. au ХУІ. siècle in Mémoires de l'institut national de France 
XXXVI (1898), 8. 276, Anm. 2. Die Statue Clemens V. ist hier abgebildet, Der Kopf des Papstes 
und seine rechte Hand sind moderne Ergänzungen. Vgl. Courajod, Musée de sculpture comparte 
(Trocadéro). Paris 1892, S. 8, Nr. 611. 

(3) Clacconius, Vitae et res gestae Pontificum. Romae 1677, I, 931:  Visitur monumentum ejus inter 
crucem et aram, quae est post chorum magnae basilicae, marmoreum quidem illud sed ex lapide can- ` 
dido, opere Tusco constructum. Ob Gregor VI. (1044—1046) in Cluny oder in Sankt Peter in Rom 
beigesetzt war, läßt schon Ciacconi unentschieden. Vgl. E. Müntz, Les tombeaux des papes en 
France in Gazette des Beaux Arts, Bd. 36 (1887), S. 276. 

(4) Vgl. Sommerard, Les arte au moyen áge (1838), Ш, 193 und C. Pelargus, Vorrede zu Lorain, 
Geschichte der Abtei Cluny, Tübingen 1858, S. III und S. 68, 

(5) Bruel, Fr. L., Cluni, Album historique et archéologique (1910), 8. 6 und 7. 

(6) Reise durch England und Frankreich in Briefen an einen jungen Freund in Deutschland, Braun- 
echweig 1803, II, 151. Campe gehürte damals zu den uneingeschrünkten Bewunderern der franzd- 
sischen Nation. Es handelt sich also um ein ganz objektives Zeugnis auch bei den furchtbaren Ver- 
wüstungen, die er sonst noch auf dieser Reise, z. B. in Amiens und Chantilly vorfand. Trotzdem 
konnte er schreiben (a. a. O., 8. 173): „Wahrlich, die Fransosen sind keine Barbaren, wofür sie 
damals durch ganz Europa ausgeschrien wurden!" | 


147 


gerissenen Kirche vorbeigingen, einen von diesen scherzend beim Schopfe und 
sagte: ,Schlingel, hast du diese Kirche eingerissen?* ,Nein, antwortete der Junge 
in festem Tone, ,das hat das franzósische Volk getan, — non! c'est la nation qui 
l'a fait.“ 

° Nicht weniger bezeichnend für die Zerstürungswut, die während des Schreckens 
und vorher und nachher ganz Frankreich erfaBt hatte, ist ein anderes Reiseerlebnis, 
das Pujoulx in seinem Buche über Paris erzühlt!) Er fuhr im Jahre 1794 in der 
Post mit zwei Reisenden zusammen, die ihm erzáhlten, sie führen nach Paris, 
um dort die Mittel für die Errichtung eines Getreidespeichers beim Nationalkonvent 
durchzusetzen. Erstaunt fragte ich sie, ob sie denn gar kein öffentliches Gebäude 
besüBen. — „Nicht ein einziges,“ lautete die Antwort. „Zwar hatten wir eine 
große und schöne Kirche, aber wir haben sie zerstört.“ — „Warum denn?“ fragte 
ich naiv und unbesonnen. — „Wir haben es doch gesagt,“ antworteten beide zu- 
gleich, mit einem Ausdruck, den ich nicht wiederzugeben vermag — „es war eine 
Kirche!“ 

Die uneingeschränkten Bewunderer der französischen Revolution und alle die, 
welche von vornherein entschlossen sind, jeden Akt des Vandalismus zu beschönigen, 
berufen sich auf eine Anzahl von Dekreten des Nationalkonvents und anderer In- 
stanzen, in denen die Denkmäler in Schutz genommen werden, in denen sogar 
solchen schwere Strafen angedroht werden, die sich an ihnen vergreifen würden. 
Sicherlich fehlte es nicht an erhaltenden Tendenzen, die in der rastlos rettenden 
Tätigkeit von Alexander Lenoir und in Grégoires berühmten Berichten den stärk- 
sten Ausdruck finden. Es wurden ausführliche Instruktionen abgefaßt, wie Kunst- 
schätze zu unterhalten seien, es wurden Inventare angelegt, es wurden feierliche 
Gesetze gegeben. „Man sieht,“ schreibt Courajod?), „wie der Konvent, die Kom- 
mission der Monumente, die zeitweilige Kommission der Künste von einem wirk- 
lich guten Willen beseelt sind. Aber sie sind meistens völlig machtlos gegen eine 
geheime, oft unbewußte Kraft, die die Seele der Revolution war und sie drängte, 
die Vergangenheit in allen ihren Erscheinungen zu verfolgen, vor allem aber im 
Stein, im Marmor und im Erz. Allen diesen Instanzen gehorchte man, wenn sie 


(2) J. B. Pujoulx, Paris à la fin du XVIII. siècle (1801), S. 201. "Vgl. bierzu einen Bericht aus Paris 
vom 16. September 1796 im Teutschen Merkur 1796, III, S. 382 Anm.: ,Eine kleine, arme, in einem 
entlegenen Winkel der Vogesen gelegene Dorfgemeinde versammelte sich im Herbste 178g an einem 
schönen Abend; gewaffnet mit Beilen, Hämmern, Hacken, Schaufeln u. dergl. zogen sie frohlockend 
aus und rissen unter lauten Ausrufungen einen noch stehenden Bogen einer alten zerfallenen, eine 
Viertelstunde vom Dörfchen gelegenen Halle nieder. Ein Vorbeigehender fragte sie, warum sie das 
täten. „Ei ja," antworteten sie, „wir hätten den Schimpf nicht auf uns gelassen, daß wir nicht auch 
gerevolutzt und das alte Wesen bei uns zerstört hätten.“ Mich dünkt, dieser Zug ist ebenso charak- 
teristisch für die Jahre 1789 und 1790, als es wahr und charakteristisch ist, йай man in den Jahren 
1793 und 1794 viele Landgemeinden überreden wollte, daß sie keine guten Patrioten wären, wenn sie 
nicht einen oder etliche ihrer reichsten Mitbürger als Volksverráter zum Blutgerüste schicken wollten.“ 
(2) Courajod, Alexandre Lenoir (Paris 1878), I, 22. Auch Gautherot (a. a. O., 8. XI) schreibt bei der 
Besprechung des Buches von Rücker (Les origines de la conservation des monuments historiques en 
France. 1790—1830, Paris 1913) die beachtenswerten Worte: M. Rücker — et les auteurs de son 
école — ne volent pas surtout, ou font suffisamment voir à quel point sont fallicieux les textes 
législatifs de la „grande époque". C'est une forêt vierge, qui réserve aux pionniers de la vérité de 
fait, les pires surprises. Als einer der ersten hat sich Hennin in den Monuments de l'histoire de 
France eingehender mit dem Thema beschäftigt und, obwohl im einzelnen überholt, wird man seine 
Ausführungen — Destinée des Monuments historiques — auch heute noch mit Nutzen und Interesse 
lesen. I (Paris 1856), S. 155 ff. 


148 


———— 


befahlen zu zerstóren, aber man gehorchte ihnen nicht mehr, wenn sie befahlen 
zu erhalten. Denn die Revolution bedeutete für die Massen die Vernichtung und 
den völligen Untergang der Vergangenheit.“ 

Aber es fehlte nicht nur die Macht, sondern auch ein zielbewuBtes Streben, eine 
wirklich durchgreifende Energie, die sich entschlossen zeigte, konsequent zu han- 
deln und dem Gesetze die wirksame Kraft zu verleihen. Im Gegenteil! Die Ab- 
gesandten des Nationalkonvents unterstützten mit ihrer uneingeschrünkten Autorität 
das furchtbare Werk der Zerstórung. Man lese die Erlasse, die Zerstürung aller 
Wappen, aller Bronzen, aller Glocken, der kirchlichen Geräte, der Grabdenkmäler 
und der Königsstatuen betreffend, man lese den Erlaß des Prokonsuls Aristide 
Couthon vom 8. Frimaire an II (28. November 1792), als er in der Auvergne das 
Evangelium der Revolution verkündigte!): ,Der Magistrat von Riom wird noch : 
heute aus seinem SchoBe eine Kommission ernennen, der vier Abgeordnete der 
Volksgenossenschaft und vier Abgeordnete des Sicherheitsdienstes beizuordnen sind. 
Diese Kommission wird hierdurch bevollmächtigt, sich in die Kirchen und an an- 
dere Orte zu begeben, wo Bilder und Statuen von Heiligen oder andere Embleme 
des katholischen Kultus zu finden sind. Sie werden alles zusammentragen lassen, und 
man wird der Vernunft und der Philosophie öffentlich einen Scheiterhaufen errichten.“ 

Und was tat Garnier in der Kathedrale von Mons, als er von der Kanzel aus 
dem Volke das neue Evangelium der Vernunft verkündigte? Als die Gemüter 
schon aufs äußerste erregt waren, schrie er plötzlich: „Fallt zu Boden, ihr ge- 
meinen Abzeichen des Aberglaubens,“ und gleichzeitig feuerte er eine Pistole in die 
Luft Und plótzlich stürzten krachend und klirrend nach vorher getroffener Verein- 
barung alle Kreuze, alle Gemälde, alle Heiligenstatuen zu Boden’). 

Scheiterhaufen wurden seit dem ro. August 1792 überall in den Städten Frank- 
reichs errichtet, und zahlreiche Berichte bezeugen uns noch heute, daß nicht nur 
die bewegliche Habe der Kirchen, sondern auch ganze Bibliotheken und Archive 
bei solchen Festgelegenheiten ein Raub der Flammen wurden’). 

Avignon, der Stadt der Päpste, der Stadt der tausend Glockentürme, der tönen- 
den Stadt, wie sie Rabelais genannt hat, ist es bei dieser Gelegenheit nicht besser — 
nein, noch schlechter ergangen als den meisten Städten der neuen Republik. 
Leider ist das Manuskript Calvets: Über die Verwüstung der Stadt Avignon im 
Jahre 1794 — noch immer nicht veröffentlicht worden. Wir kennen nur Auszüge, 
und diese beschränken sich auf allgemeine Bemerkungen‘). Aber wenn wir sie 
lesen, so sehen wir, wie recht der Betteljunge in Montreuil hatte, als er die Nation 
anklagte, die Kirchen Frankreichs zerstört zu haben. „Wir sehen die Tore der 


(1) Francisque Mege, Le Puy-de-Dome en 1793 et le proconsulat de Couthon. Paris 1877, 8. 326. 
(2) Aulard, Le culte de la raison et le culte de l'étre supréme (1793— 1794). Paris 1892, 8. 187, 
Anm. 2. 

(3) Vgl. Aulard, a. a. O., S. 191 u. 137. Baleydier, Histoire de Lyon I, 86. Bordier, Les archives 
de la France, spricht von 64 Verbrennungen von Departements-Archiven vom IO. August 1793 bis 
März 1794. „Die Verbrennungen,“ schreibt Boutaric, „haben aber bereits im Juni 1792 begonnen.“ 
Revue des questions historiques XII (1872), S. 329. Gautherot, a. a. O., S. 339 ff. macht auf zwei 
Publikationen aufmerksam, die das Autodafé der Archive in Abbéville und in Angers behandeln. 
Leider sind derartige Lokalforschungen in den Bibliotheken Deutschlands nur in Ausnahmefällen zu 
finden, und man darf mit Recht wünschen, daß es unter Deutschlands großen Bibliotheken wenigstens 
eine gäbe, die sich die Anschaffung solcher Forschungen angelegen sein liese. 

(4) André Hallays, Avignon (Les villes d'art celébres), Paris 1911, S. gg, wieder abgedruckt von 
Gautherot, Le Vandalisme jacobin, S. 18. 


149 


Stadt geschleift,“ schreibt Calvet, ,die Zinnen ihrer Mauern abgebrochen, den 
Palast der Päpste geplündert, die Kirchen zerstört, die Glocken zertrümmert, Klöster 
von Männern und Frauen, die einen dem Erdboden gleich gemacht, die anderen 
verwüstet, die Gräber geöffnet, die Leichen der ehrwürdigsten Männer, der Päpste, 
der Kardinäle, der Bischöfe entweiht. Die Bäume selbst auf unseren Spazierwegen 
sind nicht verschont worden. Und diese Verwüstungen dürfen etwa nicht dem 
Augenblick der Leidenschaft eines entfesselten Pöbels zugeschrieben werden — 
nein! Mit kalter Überlegung hat man sich an unseren Denkmälern der Architektur 
und Plastik vergriffen. Die Maurermeister wurden Tag für Tag bezahlt, um die 
Werke der Kunst zu vernichten.“ 

Ein Bericht, der der Redaktion des Magazin Encyclopedique bereits im Frühjahr 
1795 über den Zustand Avignons nach den Verwüstungen der Revolution zuging, 
ergünzt das wenige, was wir heute aus den Aufzeichnungen Calvets wissen, in 
einigen bemerkenswerten Einzelheiten?) Hier werden die Denkmäler aufgezählt, 
die am meisten geliten haben, und es lohnt sich der Mühe, diese Aufzeichnung 
ungekürzt wiederzugeben. Es heißt hier: 

„Die Kunstdenkmäler, die am meisten gelitten haben, sind folgende: 

„Mehrere Grabdenkmäler der Metropolitan-Kirche, unter anderen das Denkmal 
Johanns XXIL, das sehr bemerkenswert war. 

„Der schöne Altar der Dominikaner mit seinem Baldachin, der von Säulen ge- 
tragen wurde. 

„Das prächtige Grabmal des Abts von Simiane Lacoste, das in der Kirche der 
Benediktiner aufgestellt war. Diese Werke des berühmten Matthieu Pereu sind 
fast alle zerstört?). 

„Ein Grabmal des Geschlechts der Issards in der früheren Kapitelkirche von 
Sankt Peter ist stark beschädigt. Es stellt Christus dar, der im Grabe liegt, mit 
mehreren großen Statuen aus weißem Marmor. Dies Denkmal aus dem Jahr- 
hundert Franz I. war eine sehr schöne Arbeit. 

„Alle anderen Denkmäler der Plastik in den Kirchen Avignons sind zerbrochen 
und zerstört. 

„Die Gräber der Päpste in der Kathedrale, die goldenen Kelche und der ganze 
Kirchenschatz sind zerbrochen oder gestohlen, wie die Monstranzen der anderen 
Kirchen, von denen mehrere mit Diamanten besetzt sind. 

„Ein anderes Grabmal, eine vornehme Frau, vor ihrem Betpult knieend, ist in der 
Kirche der Celestiner zerstört worden?). 

„Das kostbare goldene Kreuz, das denselben Brüdern gehörte, ein Geschenk des 
Königs René, von gutem Geschmack und vollendeter Arbeit, trotz der Barbarei 


(1) Extrait d'une lettre adressée aux rédacteurs du Magasin Encyclopédique sur l'état des monuments, 
des objets de sciences et arts à Avignon in Magazin Encyclopédique I (1795) 8, S. 45. 

(2) Michel Peru ist sowohl der Schöpfer des Hochaltars der Dominikanerkirche, wie des Denkmals 
des Abtes Simiane Lacoste, das sich heute im Musée Calvet befindet. Vgl. Lami, Dictionnaire des 
sculptures de l'école francaise sous le règne de Louis XIV, Paris 1906, 8. 403. Vgl. über beide 


Kirchen und die furchtbaren Verwüstungen, denen sie anheimfielen, J. B. Joudou, Essai sur l'histoire | 


de la ville d'Avignon (Avignon 1853), S. 407 u. 410— 1a: „Il n'y a plus rien de cette grande et belle 
basilique,“ sagt Joudou von der Dominikaner-Kirche. ,Tous les ouvrages d'art, tous ces souvenirs 
de rois d'Aragon, de Louis de Tarente, de Jeanne de Naples, toute cette poésie du XIV. siécle, sont 
enfouis dans les ruines,“ schreibt Joudou von der Benediktiner-Kirche, 

(3) Vgl. über den Vandalismus in dieser Kirche, einer Schópfung des Gegenpapstes Clemens VII, 
Joudou, a. a. O., 8. 413—416. 


150 


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des Jahrhunderts, in dem es entstand, wurde am Ende des Jahres r792 zerbrochen. Man 
trug ein Stück zur Münze nach Marseille, um etwas über die Reinheit des Goldes zu 
erfahren, und es wurde festgestellt, daB es nur eine ganz geringe Legierung enthielt. 

„In der Dorfkirche von Gadagne wurde ein Denkmal aus weißem Marmor voll- 
ständig zerstört. Es stellte zwei Mitglieder des Hauses von Gadagne dar, und war 
besonders künstlerisch ausgeführt.“ 

Man kann es den Franzosen nicht verdenken, wenn sie solche Blätter in ihrer 
wechselvollen und blutigen Geschichte nicht gerne aufschlagen. Man begreift, wenn 
der gelehrte Millin, dem wir ein köstliches Buch über die Kunstschätze Süd-Frank- 
reichs verdanken, die er gleich nach der Revolution zu beschreiben unternahm, 
meist mit trauerndem Stillschweigen die furchtbaren Zerstórungen zudeckt, die sich 
seinen Blicken offenbarten. Aber während er in Aix den Untergang der Grab- 
denkmäler der Grafen von Provence nur als Tatsache aufführt und mit einer Elegie 
über die Grabdenkmäler von Königen und Helden im Dámmern gotischer Kirchen 
einleitet, gelingt es ibm in Avignon nicht, seiner Bewegung Herr zu werden P, Er 
muB dort furchtbare Dinge gesehen haben! ' 

»In keiner Stadt,“ so schreibt er, ,hat die Revolution so blutige und so furcht- 
bare Spuren hinterlassen wie in Avignon. Die Verwiistungen sind hier bis zum 
äußersten durchgeführt worden. Klöster, Kapellen, Kirchen sind zerstört, wie alle 
Monumente, die sie bargen. Man würde hier vergeblich nach den Denkmälern der 
Püpste suchen. Die Erinnerung an den zürtlichen Petrarca hat Lauras Denkmal 
nicht zu retten vermocht. Das Skelett, von dem man sagte, Künig René habe es 
gemalt, ist zerrissen. Der tapfere Crillon vermochte sein Grabmal nicht mehr zu 
verteidigen. Alle diese Monumente, die der Frómmigkeit, der Schónheit und der 
Tapferkeit errichtet waren, sind heute zerstórt, und die Bilder, die die Kirchen 
schmückten, sind in alle Winde zerstreut“ ). 

Wie seltsam nimmt sich angesichts solcher Tatsachen die Entrüstung Aulards 
aus, als ihm im Palaste der Päpste zu Avignon der Führer das verstümmelte 
Portal der Palastkapelle zeigte und die Revolution anklagte, diesen Vandalismus 
begangen zu haben’). Aber wenn am 5. Dezember 1883 in der Deputiertenkammer 
Frankreichs ein Abgeordneter urbi et orbi mit lauter Stimme verkiindigte, es sei 
eine falsche und gehässige Legende, wenn behauptet würde, die Kirchen Frank- 
reichs seien in der französischen Revolution von den Republikanern zerstört wor- 
den — dann ist es Pflicht, gegen eine so ungeheuerliche Fälschung historischer 
Tatsachen die Stimme zu erheben“). Und das haben sogar die Franzosen selbst 
getan, soweit sie sich von nationalen Vorurteilen frei zu machen wußten. 

Schon bei Fisch, dem Schweizer, lesen wir in seinen Reisen durch die süd- 
lichen Provinzen Frankreichs eine sehr treffende Bemerkung darüber, wie wenig 
die furchtbare Geschichte Frankreichs in Ubereinstimmung zu bringen ist mit dem 
Anspruch der Franzosen, als das erste Kulturvolk Europas zu gelten“). Er schreibt: 


(1) Aubin-Louis Millin, Voyage dans les départements du midi de la France. Paris 1807. II, 284/85. 
(2) a. a. O., S. 166. Das Gemälde, das dem König René zugeschrieben wurde, befand sich in der 
Cdlestiner-Kirche. Joudou erzählt (a. a. O., S. 415), daß die Jakobiner von Marseille das Bild erst 
durch die Straßen Avignons schleiften und dann verbrannten. Die Reste des Grabmals Crillon werden 
beute im Musée Calvet bewahrt. 

(3) A. Aulard, Boniments contre - rèvolutionnaires in La Révolution francaise LXIII (1912), S. 541. 
(4) Vgl. Trévédy, Catalogue des objets échappés au vandalisme dressé l'an III par Cambry, président 
du district de Quimperle. Rennes 1889, S. VIII. 

(s) Jobann Georg Fischs Reise durch die südlichen Provinzen von Frankreich vor dem SSES? der 
Revolution. Zürich 1795, S. 65/66. 


151 


„Es ist doch eine seltsame Erscheinung, daB gerade die Nation, welche sich die 
aufgeklirteste von der ganzen Welt nennt, die schrecklichsten Untaten auf ihrer 
Rechnung hat; daß nur bei ihr Albigenserkriege, Micheladen, Mördereien von Alet 
und Merindoes, Bartholomäusnächte und Palmsonntagsfeiern von Nimes entstehen 
muBten. Nenne mir eine Stadt in Deutschland oder in der Schweiz, wo der eine 
Teil der Einwohner die andere Hälfte in einer schönen Nacht verráterisch im Bette 
mordet, wie zu Alet im oberen Languedoc! Nenne mir eine einzige Gegen- 
geschichte zu der tigermüBigen Grausamkeit des Marschalls von Montreval!!) Und 
doch sind die Deutschen und wir Schweizer nichts anderes als ein paar Horden 
halb kultivierter Barbaren, wie die Franzosen — ein paar hellere und mit ihren 
Nachbarn besser bekannte Küpfe ausgenommen — uns gewühnlich zu benennen 
belieben. Priesterwut und Fanatismus und Jesuiterpolitik haben auch auf deutschem 
Boden schwere Verbrechen erzeugt, aber wahrscheinlich keines, das nur die ge- 
ringste von den Mord- und Brandgeschichten der liebenswiirdigen, sanften, húfischen, 
freundlich lichelnden Franzosen in ihrer aufgeklártesten Epoche halb aufwiegen 
könnte.“ 

Und diese Worte wurden in Nimes am 20. Dezember 1786 einige Jahre vor dem 
Ausbruch der Revolution geschrieben, die alles in den Schatten stellen sollte, was 
in Frankreich noch jemals an Vergewaltigung von Menschen und W von 
Denkmälern begangen worden war! 

Es wird nicht leicht sein, jemals ein vollständiges Bild von den Verlusten zu 
geben, die Frankreichs Kultur und Kunst während der französischen Revolution 
erlitten hat. Man kann nur sagen, es übersteigt jede Vorstellung, und es spottet 
jeder Beschreibung, was damals teils im Sturm der Leidenschaft, teils in kalt- 
blutig -haß erfüllter Überlegung an Denkmälern der Kunst in Paris und Frankreich 
zugrunde gerichtet wurde. Ein Mann, der mit klarem Blick und ungetrübtem Urteil 
durch die Ruinen dahinschritt, „mit denen ganz Frankreich bedeckt war“, ein 
Franzose, der sich die Mühe gab, festzustellen, was in den Grenzen eines Depar- 
tements an Kunstwerken noch übrig geblieben war, brach angesichts der Trümmer 
eines Grabdenkmals des 11. Jahrhunderts — jener beginnenden Blüteperiode fran- 
züsischer Plastik — in eine erschütternde Klage und Anklage aus: „Dies Kleinod 
vergangener Zeiten ist nicht mehr! Betrauern wir es wie hunderttausend andere, 
die die Barbarei eines Augenblicks vernichtet hat. EntschlieBen wir uns auf 
immer, unwissend zu bleiben, nachdem unser blutdürstiger Instinkt und unsere 
eigene Roheit uns verführt haben, wie bösartige Kinder die Seiten unserer eigenen 
Geschichtsbücher zu zerreißen!“ 

Trotz solcher Geständnisse der Mitlebenden, trotz all der Blutzeugen, die sich 
in den Trümmern zerstürter Denkmiler selbst erhalten haben, trotz der vorurteils- 
freien Forschungen von Courajod*), de Laborde‘), Boutaric®) und neuerdings von 


(1) Die Greueltaten des Marschalls von Montreval in Nimes hatte Fisch in den vorangehenden Seiten 
ausführlich erzühlt. | 

(2) Cambry, ed. Trévédy, a. a. O., S. 239. 

(3) Alexandre Lenoir, son journal et le musée des monuments français par Louis Courajod. Tome L 
Paris 1878. 

(4) De Laborde, Les archives de la France. Paris 1867. 

(s) Edgard Boutaric, Le vandalisme révolutionnaire. Les archives pendant la révolution francaise 
in Revue des questions historiques XII (1872), 8. 335—396. Guillaume geht mit einem seiner Lande- 
leute, Georges Cain, scharf ins Gericht, weil er das Dekret vom Oktober 1793, das die Zerstörung der 
Königsdenkmäler anordnete, ,stupide" genannt hatte. (La destruction des tombeaux des rois in La 


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152 


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Gautherot — um nur die bedeutendsten zu nennen — gibt es noch heute in Frank- 
reich Historiker, die dem nationalen Ehrgefiihl die historische Wahrheit skrupellos 
zum Opfer bringen. Wie peinlich dem franzósischen Volk die Erinnerung an die 
Vernichtung seiner glorreichsten Denkmäler ist, beweist der Umstand, daß man 
sich nach Kräften bemüht hat, die Spuren des Vandalismus auszulöschen. Aber 
was konnte man erreichen? Man hat durch moderne Wiederherstellungen und 
stillose Ergänzungen nur den Charakter der Denkmäler als Ausdruck ihrer eigenen 
Zeit gefülscht. 

Den Vandalismus der Französischen Revolution in einem umfassenden Bilde dar- 
zulegen und unwiderleglich als Tatsache historisch festzustellen, würde heute 
immerhin schon móglich sein. Was Gautherot für Paris getan hat, indem er den 
„legalen“ Vandalismus aktenmäßig belegte, das hat auch die überaus rege Lokal- 
forschung in Frankreich schon überall versucht. Aber das kostbare Material ist 
in den verschiedensten, oft nur schwer zu erreichenden kleinen Publikationen und 
Zeitschriften der Stüdte und Departements verstreut. 

Nur über die näheren Umstände der Zerstörung der prächtigen Papstdenkmäler 
in Avignon sind wir auch heute noch ungenügend unterrichtet, obwohl die Schreckens- 
tage dort so oft beschrieben worden sind. Vielleicht werden einmal die Aufzeich- 
nungen Calvets Licht in das Dunkel bringen. Sie liegen noch heute ungedruckt 
im Archiv seiner Vaterstadt, der er eins der merkwiirdigsten Museen hinterlassen 
hat, das Frankreich besitzt: ein Museum des Vandalismus. 


Das Grabmal Clemens V. (1305—1314) in Sainte-Marie d'Uzeste 
in der Gironde. 


UnermeBlich ist die Anzahl von Denkmiilern geistlicher W'ürdentrüger, die — 
einst in den Abteien, den Klöstern, den Kathedralen Frankreichs verstreut — heute 
spurlos vom Erdboden verschwunden sind. Äußerst gering sind aber auch die 
Reste, die sich von den prüchtigen Papstmausoleen in Uzeste, in Avignon, in Chaise- 
Dieu, in Villeneuve und in Marseille erhalten haben. Besäßen wir nicht in den 
Lebensbeschreibungen der Püpste alte Zeichnungen, es würde uns überhaupt nicht 
mehr möglich sein, von der Marmorpracht eine Vorstellung zu gewinnen, die einst 
über den Ruhestátten der Tiaratriger in Frankreich erglinzte. Jedes dieser 
Gräber wurde geschündet, jedes dieser Grabdenkmäler wurde mit barbarischem 
Mutwillen zerstört. Nur klägliche Trümmerstücke sind es gewesen, die man später 
zusammensuchte und in Museen oder Kirchen vor völligem Untergange gerettet 
hat. Und nicht einmal diese Disjecta membra sind echt! Um das zerstörte An- 
denken dieser Pápste wieder herzustellen, trug man mehr als einmal Fragmente 
zusammen, die niemals zu einem Papstgrab gehürt hatten, oder suchte durch Er- 
gänzungen wieder herzustellen, was doch unwiederbringlich verloren war. Zu 
solchen apokryphen Papstmonumenten gehört das Denkmal Clemens V. in Notre- 
Dame in Uzeste. | | 

Clemens V., Bertrand de Got, einst Erzbischof von Bordeaux, їп der Weltgeschichte 
bekannt durch seine Abhängigkeit von Philipp dem Schönen und die Vernichtung 
des Templerordens, ist der erste unter den römischen Päpsten gewesen, der seinen 


Révolution francaise LII (1907), S. 331). Havard (Histoire de l'orfevrerie francaise, Paris 1896) hat es 
sogar unternommen, die Französische Revolution da weiß zu waschen, wo sie geradezu vernichtend 
gewirkt hat, nämlich in der Goldschmiedekunst. Er ist von E. Roulin ad absurdum geführt worden. 
Vgl. Revue de l'art cbrétien XL (1897), S. 143 ff. 


153 


Sitz in Avignon aufschlug, das damals noch Karl II. von Neapel gehórte. In Rom 
beschiftigte ihn die Wiederherstellung des Laterans nach dem furchtbaren Brande 
von 13081). In Paris, im Museum von Cluny, wird eine goldene Rose Clemens V. 
aufbewahrt, die er dem Bischof von Basel verehrte?) Die Statue des Papstes am 
nördlichen Seitenportal in Bordeaux würde das einzige einigermaßen erhaltene 
Porträtdenkmal eines avignonesischen Papstes in Frankreich sein, wenn nicht ge- 
rade der Kopf ergänzt worden wire‘). 

Clemens V. hatte bestimmt, in Notre-Dame in Uzeste begraben zu werden. Sein 
Denkmal wurde ihm von seinem Neffen errichtet‘), Es war erst im Jahre 1359 
vollendet. Ciacconi weiß zu berichten, es sei mit acht Jaspissäulen geschmückt 
gewesen"), aber dieser Schmuck scheint schon im Jahre 1577 zugrunde gegangen 
zu sein, als das Denkmal von den Calvinisten geschändet wurde. Man raubte aus 
dem Grab die Kleinodien und verbrannte den Leichnam des Papstes. In den Acta 
Sanctorum ist wenigstens noch der Sarkophag des Papstes abgebildet, wie man 
ihn in Uzeste vor 1685 sah). (Tafel 38, Abb. r.) Der Tote ruht, in priesterliche 
Gewünder gehüllt, auf dem Haupte eine Art von Mitra, die Hünde übereinander 
gelegt, auf einem völlig schmucklosen, altarähnlichen Sarkophag. „Nichts,“ schreibt 
ein Forscher, der das Grabmal sorgfältig untersucht hat”), „nichts berechtigt uns, 
in dieser Arbeit von mittelmäßiger Ausführung ein Bild Clemens V. zu erkennen. 
Der Stil des Ganzen, die Ornamentik und vor allem der Greif zu den Füßen des 
Toten deuten auf das 16. Jahrhundert, während der Charakter der Inschrift auf 
das 14. Jahrhundert hinweist. Das Gesicht ist gänzlich zertriimmert. Es läßt sich 
nichts mehr daran erkennen.“ 

Das Grab erhob sich einmal mitten im Chor, den der Papst selbst erbaut hatte. 
Heute muß man den ausgeleerten Sarkophag mit der erneuerten Statue zwischen 
Schiff und Chor in einem Winkel der Kirche suchen. 


Die Grabmäler Johanns XXIL (1316—1334) und Benedikts XII. (1334—1342) 
in Notre-Dame-des-Doms in Avignon?) 


Wie wundertitige Reliquien in goldschimmerndem Schrein, so ruhten einst die 
Gebeine Johanns XXII. mitten in der Kapelle des hl Joseph in der Kathedrale 


(1) Ph. Lauer, Le palais de Lateran. Paris 1911, S. 242. 

(2) J. de Laurière et E. Müntz, Le tombeau du pape Clement V à Uzeste in Mémoires de la société 
nationale des antiquaires de France XL VIII (1888). In dieser sorgfältig gearbeiteten Studie sind auch 
alle álteren Schriftquellen zusammengestellt, die sich auf das Grabmal Clemens V. beziehen. 

(s) Courajod und Marcou, Musée de sculpture comparée. Palais de Trocadero. Paris 1893, S. 7, 
Nr. 611. Die Statue Clemens V. ist auch besonders behandelt in einer Arbeit, die mir nicht zugáng- 
lich war: Commission des monuments historiques de la Gironde IX (1847/48), 8. 20. 

(4) Stephanus Baluzius, Vitae Paparum Avenionensium. Parisiis 1693, I, 734. 

(5) Vitae et res gestae pontificum Romanorum. Romae 1677, II, збо. Hier finden sich auch Einzel- 
heiten über die Schändung des Grabes im Jahre 1577. 

(6) Acta Sanctorum Maii, Tom. V (Antverpiae 1685), S. 74. Eine Abbildung des Grabmals, wie man 
es heute als traurige Ruine in Uzeste sieht, bringt Schillmann in der dritten illustrierten Auflage der 
Grabdenkmäler der Pápste von Gregorovius, Leipzig 1911, S. 37. 

(7) E. Müntz, Les tombeaux des papes en France in Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), 8. 278. 
(8) Über diese beiden Grabdenkmáler besitzen wir aus dem Jahre 1738 folgende Beschreibung, die 
für den Zustand der Denkmäler und für die Geschichte der Tiara von Wichtigkeit ist. Monsignor 
de la Beaume schrieb an Vettori, den Verfasser des Fiorino d'oro antico illustrato (Firenze 1738), 
8. 35 über diese Denkmáler wie folgt: H Deposito di Giovanni XXII che sarà ben presto rovinato, 


154 


Notre-Dame-des-Doms in Avignon. (Tafel 39, Abb. 2 und 3.) In der berühmten 
Abtei von Longpont konnte man noch vor der Revolution zwei Grabmäler bewun- 
dern, die vielleicht als Urtypus für die Denkmäler Johanns XXII. und Innocenz VI. 
ausgesprochen werden dürfen. Hier sah man gleichfalls in einem gotischen Gehüuse 
Enguerrand IV. von Coucy (T 1312) und seine Mutter Marie de Montmirail (+ 1271) 
unter prüchtigen Marmorbaldachinen ruhn!) Aber ein Freigrab von solcher Pracht 
wie das Denkmal Johanns XXII. war wohl noch niemals einem geistlichen oder 
weltlichen Fürsten errichtet worden. Keines der mosaikgeschmückten gotischen 
Wandgriber von Pápsten in Rom, in Perugia, in Viterbo, in Arezzo ließ sich mit 
diesem kunstreichen Abbild eines gotischen Domes vergleichen, in dessen Nischen 
man mehr als sechzig Marmorstatuen sah. 

Das schien in der Tat das würdige Denkmal eines Nachfolgers Petri zu sein, 
der Philipp V. von Frankreich ermahnen durfte, beim Anhören der Messe seine 
Aufmerksamkeit ganz auf göttliche Dinge zu richten und nicht nach rechts und 
links mit seinen Begleitern von weltlichen Geschüften zu reden?), der vom Kénig 
von England mit Erfolg die Rückstünde eines Tributes eintrieb, den Johann ohne 
Land Innozenz IIL vor 100 Jahren versprochen hatte, der gegen Ludwig den Bayern 
den Bannstrahl schleuderte und seinen Gegenpapst Pietro di Corbara als zer- 
knirschten Sünder zu seinen Füßen sah‘). 

Jobann XXII fühlte sich zuerst ganz heimisch in Avignon*), wo er den Bau der 
Papstfeste begann, um der Welt zu zeigen, daB ein Papst seine geistigen Waffen 
in Frankreich ebenso erfolgreich führen künne wie in Rom.  Neunzigjührig die 
Welt verlassend, lieB er der Kirche einen ungeheuren Schatz zurück, Aber von 
seinen Bauten in und um Avignon hat sich heute nichts mehr erhalten, als jener 
mächtige Turm Trouillas des Papstpalastes, der ihm dort zu Recht oder zu Un- 
recht zugeschrieben wird’). 

Das Grabmal Johanns XXIL wurde im Jahre 1759 aus der Mitte der Josephs- 
Kapelle in eine Ecke versetzt. „Am 8. März 1759,“ so berichtet der Chronist®), 


ai vede nella Cappella di S. Giuseppe, che conduce alla Sagrestia: ë fatto con maniera Gottica. П 
Pontifice nella sua statua di marmo bianco, ë vestito . col Triregno, che finisce in punta, 
come una piramide, e con due · corone solamente. 

H Deposito di Benedetto XII, successore del ` sopradetto Giovanni XXII, si vede nella Cappella 
della Purificazione, detta communemente de’ Sartori. Questo Deposito ë affatto rovinato, non vi ë 
rimasta pid che la gran statua di marmo del Pontefice, alzata sopra una mole, fabbricata nuovamente 
dal Capitolo per conservare detta statua, la quale rappresenta il Papa vestito pontificalmente col Tri- 
regno, simile a quello, che portano oggi i Papa cioë con le tre corone: ë tondo tanto nella cima, 
come nel cinto della testa. | 
(1) Vgl. Marcel Aubert, Les tombeaux de L’Abbaye de Longpont in Congrés archéologique de France 
78, з (1911), 8. 305ff. Die Denkmäler verschwanden in der Revolution — ein unersetzlicher Verlust! 
Aber sehr merkwürdige Zeichnungen haben sich in der Sammlung Gaignieres erhalten, die Aubert 
reprodusiert hat. Es würde sich der Mühe lohnen, diesen — soweit ich sehe — noch niemals fest- 
gestellten Zusammenhingen zwischen Longpont und Avignon weiter nacbzugehen. 

(a) Jules de Saint-Felix, Le palais des papes à Avignon in Revue de Paris XXIX (1841), S. 115. 

(3) Gregorovius, Lateinische Sommer. Leipzig 1864, S. 334. 

(4) Maurice Faucon, Les arts à la cour d'Avignon in Mélanges d'arcbéologie et d'histoire II (1883), 
8. 43 ff. 

(s) Über die Herkunft des Namens Trouillas, der uns auch sonst in französischen Schlössern begegnet, 
sind sich die Gelehrten nicht einig. "Vgl. Visite des monuments historiques d'Avignon le mercredi 
5 Beptembre 1855 in Congrés archéologique en France, 1855, S. 446. 

(6) Mintz, Les tombeaux des papes en France, a. a. O., S. 282. ; 


155 


„wurde das prächtige Mausoleum des Papstes, das ganz aus Stein von Vellerons 
errichtet war, abgetragen. Es war weiß wie Alabaster und mit einer Anzahl von 
Statuen aus weißem Marmor von köstlicher Arbeit geschmückt“ Ebenso sorgfältig 
wie das Denkmal behandelte man die Reliquien des Papstes, den man in perlen- 
geschmückten priesterlichen Gewündern, die Mitra auf dem Haupt, unberührt in 
seinem Sarg aus Zypressenholz fand. Er wurde mit aller Feierlichkeit in die neue 
Ruhestütte gebettet, und das Protokoll der Überführung wurde nach Rom gesandt. 

Man kann also annehmen, daß das Grabmal Johanns XXII. bei dieser Gelegen- 
heit keine schweren Beschädigungen erlitten hat. Wenn es trotz der Restaurationen 
in den Jahren 1825 und 1840 heute nur eine Ruine ist!), so trifft die Schuld 
auch hier die Bilderstürmer der Revolution. Damals wurden die schlanken Türmchen, 
die zierlich gearbeiteten Tabernakel zerbrochen, damals wurden die Statuetten 
herabgestürzt und verschleudert, damals wurde auch das steinerne Bild des toten 
Papstes zerstört. Und getreu dem Grundsatz, die Wirklichkeit zu verschleiern, 
und auf Kosten der Wahrheit den Beschauer zufrieden zu stellen, hat man die 
Statue irgendeines Bischofs in den Totenschrein des Papstes gelegt?) Aber der 
Wissende sieht in dem Grabmal Johanns XXII, wie es heute gezeigt wird, nur 
den Rumpf eines völlig zerstörten Organismus. Ihm ist diese Ruine mit ihren Fäl- 
Schungen und Wiederherstellungen ebensowenig ein historisches Dokument wie 
das Grabmal Clemens V. 

Noch skrupelloser ist das System der Tüuschungen bei dem Grabmal Bene- 
dikts XII. durchgeführt, der wie sein Vorgünger in Notre-Dame-des-Doms die letzte 
Ruhe fand. | | 

Benedikt XIL, der strenge Papst, der keine Verwandten haben wollte“), der 
mehr theologische Gelehrsamkeit als politischen Scharfblick besaB, dem Petrarca 
Mangel an jeglicher Kultur vorgeworfen hat, ist doch der Erbauer jener Papstfeste 
gewesen, die Froissart ,la plus belle et la plus forte maison du monde“ genannt 
hat, und deren trotzige Mauern noch heute wie ein unbezwingliches Denkmal der 
Vergangenheit über die Häuser Avignons emporragen‘). Benedikt versagte sich 


(z) Hallays, Avignon et le comtat-Venaissin. Paris 1909, 8. 18. Eine Zeichnung nach dem wieder- 
hergestellten Denkmal findet sich bei J. F. A. Perrot, Lettres sur Niemes et le midi. Nismes 1840, 
П, S. 224. Andere Abbildungen des gegenwärtigen Zustandes geben Mints und Hallays. Eine ziem- 
lich klare Vorstellung von der ursprünglichen Pracht des Denkmals gewinnen wir aus dem Stich bei 
den Bollandisten, wenn hier auch der ganze Statuenschmuck weggelassen worden ist. Acta sanctorum 
Maii, Tome V, 79. | 

(a) Mints, а. a. O., S. 283. Verlaque, Jean XXII, sa vie et ses œuvres. Paris 1883, S. 217, Anm. 1, 
Jakob Burkhardt (Beitráge zur Kunstgeschicbte in Italien. Basel 1898, S. 156) nimmt an, Giotto habe 
die Züge Johanns XXII. auf jener Altartafel für den Dom von Lucca festgehalten, wo die vier Stadt-. 
patrone dem Erlöser einen Papst und einen Kaiser empfehlen. Ein authentisches Porträt Johanns X XII 
ist uns in einer Miniatur in der Nationalbibliothek in Paris erhalten, die Maurice Faucon ais Titel- 
blatt seiner Geschichte der Bibliothek der Pápste von Avignon abgebildet bat. (La librairie des 
papes d'Avignon. Paris 1886). Die Miniatur ist auch bei Robault de Fleury, La messe VIII, Pl, DCLXVI 
reproduziert. Auf ein besonders fein ausgeführtes Bildnis desselben Papstes weist Otto Hartig bin in 
seiner ergebnisreichen Schrift: Des Onophrius Panvinius Sammlung von Papstbildnissen in der Biblio- 
thek Johann Jakob Fuggers (Codd. lat. топас. 155—160) im Historischen Jahrbuch 38 (1917), 8. gor. 
(3) Hic nihil dare voluit alicui de suo genere vel consanguinitate. Baluze, a. a. O., 8. 236. 

(4) Fr. Ehrie, Historia bibliothecae Romanorum Pontificum tum Bonifatianae tum Avenionensis. 
Romae 1890, 1,35. E. Müntz, L'histoire des papes dans la ville d'Avignon pendant le XIV. siécle. 
Paris 1888, S. 17, wo die Schriftquellen über den Bau zusammengestellt sind. „Quelle honte,“ äußerte 
sich Petrarca, „Че voir construire des palais magnifiques ой l'or brille partout, des tours superbes, 


156 


den Bitten der Römer, die ihn beschworen, nach Rom zurückzukehren. Aber er 
ließ das baufüllige Dach der Petersbasilika mit großem Aufwand wieder herstellen. 
Und dieser Fürsorge ist es zu danken, daB wir noch heute in den Grotten von 
Sankt Peter das wohlerhaltene Bildnis dieses Papstes finden: eine Halbfigur in 
Marmor, den segnenden Papst mit zweifacher Krone darstellend, von der wenig 
kunstgeübten Hand des Paolo von Siena ausgeführt!). 

In der Hauptkirche Avignons, mitten in der Kapelle, die der Jungfrau Maria und 
dem heiligen Georg geweiht war, erhob sich einmal das stolze Monument Bene- 
dikts XII. ). Vier Kirchenfürsten, Bertrand d'Albi, Elie de Saint-Yzier, Faydit 
d'Aigrefeuille und Jean de Cros hatten sich einer nach dem andern mit ihren ein- 
facheren Grabsteinen um das Papstdenkmal geschart. Wir kennen den Bildhauer, 
der gleich nach dem Tode Benedikts XII. sein Denkmal in Angriff nahm: Jean 
Lavenier, auch Jean de Paris genannt?) Er hat nicht für die Ewigkeit gearbeitet! 
Die Abbildung bei den Bollandisten vermittelt uns heute noch allein eine Vor- 
stellung von diesem Denkmal*), das man einem Prunkbett mit reichem Baldachin 
vergleichen móchte, auf dem der Papst, die Tiara auf dem Haupt, in seinen hohen- 
priesterlichen Gewiindern ruhte. (Taf. 38, Abb. 4.) 

Bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts blieb der Friede der Toten ungestört, 
blieben ihre Grabdenkmäler unberührt. Da entfernte man im Jahre 1689 den 
brüchig gewordenen Baldachin vom Grabmal Benedikts XIL Im Jahre 1738 konnte 
de la Beaume schreiben, das Denkmal sei eine Ruine. Im Jahre 1765 wurde auf 
Antrag der Schneiderinnung von Avignon, die ihre Kapelle neu herrichten wollte, 
das Papstdenkmal aus der Mitte der Kapelle an eine Seitenwand gertickt. Das 
Freigrab wurde in ein Wandgrab verwandelt, und bei dieser Gelegenheit auch 
der Sarg des Papstes geöffnet, den man im Zustand völliger Verwesung vorfand. 

Dann hat die Revolution die Zerstörung vollendet. Die Kapelle der Schneider 
wurde geplündert, wie alle übrigen Kapellen auch. Die Gebeine des Papstes und 
der Kirchenfürsten wurden zerstreut, die Grabstatuen zerbrochen, und Schmuck 
und Wappen wurden herabgeschlagen. Was noch vom Grabmal Benedikts XI. 
übrig war, ist damals fast spurlos zugrunde gegangen. 

Aber im Jahr 1828 beschloß man, der Kathedralkirche von Avignon die Glorie 
dieses Papstgrabes wieder zu schenken und ein Denkmal wieder herzustellen, von 
dem nichts mehr vorhanden war. Die Trümmer des Grabmals des Kardinals 
de Cros wurden zusammengelesen und wieder aufgebaut. Bildhauer Casimir Poi- 
tevin erhielt den Auftrag’), das Grabgehäuse mit der ruhenden Statue eines Papstes 


qui menacent le ciel dans cette nouvelle Babylone, pendant que la capitale du monde est en ruine.“ 
Vgl. Frery, Monuments d'Avignon, du comtat Venaissin etc. Paris 1838, S. 65. Ebendort ist auch 
das falsche Grabmal Benedikts XII. abgebildet. 

(z) Vgl. Georges Daumet, Le monument de Benoit XII dans la basilique de Saint-Pierre in молан 
d'archéologie et d'histoire XVI (1896), 8. 2193—97. 

(2) Die folgende Schilderung beruht auf der ausgezeichneten Studie von L. Duhamel, Le tombeau de 
Benoit XII à la metropole d'Avignon in Bulletin monumental LIV (1888), S.381—412. Vorher hatte 
schon Fuzet die Unechtheit des Denkmals Benedikts XII. E. Münts gegenüber (Société des antiquaires 
de France, Bull. 1882, p. 262) nachgewiesen. (Revue de l'art chrétien. Nouvelle série II, 1884, 8. 175.) 
(s) Vgl. Barbier, Benoit XII et son tombeau à Avignon in Revue de l'art chrétien XL (1897), 8. 149, 
und M. Faucon in Mélanges IV (1884), S. roo. 

(4) Acta Sanctorum Maii V, 8.85. 

(s) So liest man in den Rechnungen. Woher Fuzet den Namen Cournot hat, den sich auch Mantz 
(Gazette des B, A, 1887, 8.373) zu eigen gemacht bat, vermag ich nicht anzugeben. (Revue de l'art 
chrétien 1884, 8. 175.) 


157 


zu schmticken. So wurde das Denkmal wieder als Wandgrab in Notre-Dame-des- 
Doms aufgerichtet, so wird es dem Leser in Frarys Denkmiilern von Avignon vor 
Augen gestellt!). „Aber vom ursprünglichen Denkmal,“ schreibt Duhamel*), ist 
nichts mehr vorhanden, weder der Sockel noch die Statue, noch die Wappen, 
noch das Grab selbst, noch die Tabernakel. Der Kardinal Jean de Cros hat dem 
Papst Benedikt ХП. seine Wappen geliehen.“ (Taf. 40, Abb. s.) 

Mehr als ein ernsthafter Historiker ist durch diese Fälschung getäuscht worden?), 
und es ist anzunehmen, daß sie weiter die meisten Reisenden täuschen wird, die 
in Avignon die fast erloschenen Spuren seiner Püpste aufzusuchen sich bemühen. 


.Das Grabmal Clemens VI. (1342—1352) in La Chaise-Dieu. 


Glänzend, wie noch kein anderer Papst, hat Clemens VL zehn Jahre lang in 
Avignon Hof gehalten. In einem Denkmal, wie es so prüchtig noch niemals einem 
Papst errichtet worden war, wollte er auch begraben sein. Und als erfahrener 
Welt- und Menschenkenner glaubte dieser Papst aus dem vornehmen Geschlecht 
' der Grafen von Beaufort gut daran zu tun, die Sorge für ein solches Unternehmen 
nicht der Zukunft zu überlassen*) Bereits im Jahre 1349 finden wir Meister Pierre 
Roy und seine Gehilfen beschäftigt, in Villeneuve-les-Avignon den reichen Statuen- 
schmuck des Grabmals auszuführen?) Im Frühling 1351 war das Wunderwerk 
vollendet, das in jener Benediktinerkirche von La Chaise-Dieu seinen Platz finden 
sollte, als deren Mónch und Priester einst der Papst seine glorreiche Laufbahn 
begonnen hatte?) 3500 Goldgulden — eine ungeheure Summe — wurden Pierre 
Roy als Lohn zuerkannt. Ja, um seiner besonderen Zufriedenheit Ausdruck zu ver- 
leihen, ordnete der Papst an, die Arbeit an seiner Grabstatue dem Künstler noch 
besonders mit 120 Talern in Gold zu vergüten. Wie glinzend dieser Lohn war, 
ermißt man am besten aus dem Umstande, daß Jean de Paris vor wenig mehr 
als ro Jahren für das Prunkgrab Johanns XXII. überhaupt nur 650 Gulden erhalten 
hatte ). | 

Welche wunderbaren Bilder höchsten irdischen Glanzes müssen sich unter diesem 
prachtliebenden Papste in der finsteren Feste von Avignon entfaltet haben!?) Wie 


(1) a. a. O. Paris 1838, з. Aufl., S. 64. 

(3) Bulletin monumental LIV (1888), S. 407. Diese Wappen sieht man an der Wand des Grab- 
gehäuses aufgehängt. Drei Fragmente von Arkadenbogen vom Grabmal Benedikts XII. werden heute 
nach Mintz (a a. O., S. 375) im Musée Calvet aufbewabrt. Die Originalaufnahme dieser merk- 
würdigen Fälschung verdanke ich Herrn Professor Hamann in Marburg. Man siebt hier deutlich das 
Wappenemblem des Kardinals de Cros auch auf die Tiara Benedikts XII. übertragen! 

(3) So spricht auch Gregorovius in seinen Grabdenkmilern der Päpste (a. Aufl., 1881, 8. 76) von 
den schönen gotischen Monumenten Johanns XXII. und seines Nachfolgers Benedikts XII. im Dom 
zu Avignon. Auch Schillmanns Angaben über das Grabmal Benedikts XII, (a. a. O., S. 107, Anm. 39) 
sind danach richtigzustellen, 

(4) Baluse, Vitae paparum Avenionensium, Parisiis 1693, I, 300: In sepulcro novissimo, quod ipse in 
Villanova Avionensis diocesis fleri sibi fecerat fabricari, quodque politissimi et pretiosissimi operis 
est, illuc delato et in capella, quam . . ad hoc a fundamentis ibi construi fecerat . . sepultus est, 

(5) Die folgenden Ausführungen beruhen im wesentlichen auf der durch eine Reihe von Dokumenten 
belegten, sehr sorgfültigen Studie von Maurice Faucon über die Kirche von La Chaise-Dieu und ibre 
Denkmäler im Bulletin archéologique du Comité des Travaux historiques et scientifiques 1884, S. 41617. 
(6) Chaise-Dieu liegt im Département Haute-Loire. Vgl. Joanne, Dictionnaire géographique de la 
France. Paris 1869, S. 462. 

(7) Faucon, a. a. O., S. 423/24. 

(8) Christophe, J. B., Histoire de la papauté pendant le XIVe siècle. Paris 1853, ll, 87. 


158 


viele Namen von historischem Klang begegnen uns am Hofe dieses Clementissimus 
Clemens, wie ihn ein Historiker genannt hat: Giovanni Colonna, dessen Haus eine 
Akademie der Wissenschaften war; Elie de Talleyrand-Perigord, von dem man 
sagte, er ziehe es vor, die Tiara zu vergeben als sie sich selbst aufs Haupt zu 
setzen; Petrarca, der an diesem Papst einen huldvollen Beschiitzer fand, wenn er 
ihn auch vergeblich zu bewegen suchte, die Kónigin unter den Stüdten der Erde 
aus dem Staube zu erheben und nach Rom zurückzukehren; Petrarcas Freund, 
Simone Martini, der große Maler von Siena, der in Avignon seine letzten Fresken 
malte und hier bereits im Juli 1344 starb!). 

Hier erschien einige Jahre spšter auch Cola Rienzi mit Stefano Colonna in gleicher 
Mission wie Petrarca?) Er erschütterte das Gemüt des Papstes durch seine feu- 
rigen Schilderungen von dem trostlosen Zustand Roms, aber es gelang ihm nicht, 
Clemens VI. der Pracht seines üppigen Hofes zu entreiBen. Und vor demselben 
Papst hielt Johanna von Neapel, die Enkelin des groBen Kónigs Robert, ihre be- 
rühmte Rede, um sich vom Verdacht des Gattenmordes zu reinigen. Von Papst 
und Kardinalskollegium freigesprochen, verkaufte sie, um schnellstens mit könig- 
licher Pracht und sicherer militürischer Begleitung nach Neapel zurückkehren zu 
künnen, die Stadt Avignon, ihr Erbgut, für 800000 Goldgulden an Clemens VI. 

Nun erst waren die Püpste keine Fremdlinge mehr in ihrer Residenz, sondern 
Herren in Avignon, wie Herren in Rom. Und diese erste Freude am Besitz hat 
auch in der umfassenden Bautätigkeit und den fruchtbaren künstlerischen Bestre- 
bungen des Pierre Rogier de Beaufort beredten Ausdruck gefunden 8). 

Unerschüttert von dem Untergang, der alles, was geworden ist, bedroht, unbeirrt 
von dem Gesetz der Vergünglichkeit, das er tüglich sich erfüllen sieht, kann doch 
der Mensch den Glauben an die Dauer seiner Schópfungen nicht verlieren. 
Clemens VI. sah Rom, die alte Stadt der Pápste, dem unaufhaltsamen Verfall ent- 
gegengehen, aber er glaubte an die Zukunft Avignons. Und wie in diesem Papste 
der Sinn für sein eigenes und seiner Familie Wohlergehen den Allgemeinsinn über- 
wog, SO richteten sich auch seine Bau- und Kunstbestrebungen vor allem auf das 
Persünliche: auf den Palast, den er lebend bewohnte, und auf das Denkmal, das 
im Tode seine Asche bergen sollte. Clemens VI. tat für den Papstpalast in 
Avignon, was Sixtus IV. spiter für den Vatikan in Rom tun sollte; er baute die 
prächtige Palstkapelle*): und um diese Kapelle und andere neuerbaute Säle würdig 
zu schmiicken, lieB er die Maler aus Italien kommen. Aber Zeit und Menschen- 
hände haben fast alle diese Wahrzeichen eines glänzenden Papstregimentes aus- 
gelöscht’). Menschenhände haben auch längst den marmornen Totenschrein zer- 


(х) E. Mints, Les peintures de Simone Martini à Avignon in Mémoires de la société des antiquaires 
de France 45 (1884), S. 74 und Agnes Gosche, Simone Martini. Leipzig 1899, S. 96 ff, 

(з) Revue de Paris III, ser. 32 (1841), S. 106. Gregorovius, Lateinische Sommer, 8. 336. 

(3) Über die Bautätigkeit Clemens VI. in Avignon vergl. E. Mintz, L'histoire des arts dans la ville 
d'Avignon pendant le XIV. siècle. Paris 1888, S. 23 ff. 

(4) Clemens VI. erbaute auch den Saal des Konsistoriums und den Turm Saint-Jean des Papstpalastes. 
in Rom vollendete er die Fassade von San Paolo fuori le mura. Das Wappen Clemens VI. mit den 
sechs Rosen in zweigeteiltem Felde hat sich noch im Klosterhof des Laterans erhalten. Vgl. E, Mintz, 
Fresques inédites du palais des papes à Avignon etc. in Gazette archéologique X (1885), S. 393. 

(5) Wie diese Fresken noch im XIX. Jahrhundert von den Offizieren der Militärverwaltung behandelt 
wurden, die über ihre Erhaltung wachen sollten, darüber äußert sich Müntz (Memoires de la société 
des antiquaires de France 1884, 8. 81): L’un en 1817 encourage des mutilations par l’achat à ses 
soldats des tétes et des mains, qu’ils parviennent à détacher des murailles. L’autre en 1836 achéve 


159 


stUrt, den sich Clemens VL mit nie gesehenem Aufwarid über seiner Gruft im 
hohen Chor von La Chaise-Dieu hatte errichten lassen. 


Uber das Schicksal dieses Mausoleums und der Gebeine des Papstes finden sich 
schon bei Ciacconi ausführliche Angaben"): ,, Man sah,“ so schreibt er, ,vor jenen 
pestbringenden Kriegen zwischen Katholiken und Calvinisten seine Marmorstatue 
über seinem Grabe. Aber im Jahre 1562 wurde das Kloster von den Soldaten der 
Calvinisten belagert, der Tempel geplündert, die Marmorstatue zerbrochen, das 
Grab geschändet und beraubt. Man sah hier Clemens wie einen Bewaffneten ruhn, 
denn sein ganzer Kürper war mit Blei bedeckt. Als man es entfernte, fanden sich 
nur Knochen und Asche. Sie wurden den Flammen übergeben und die Statue 
Clemens VI. in Stücke geschlagen." 


Spáter hat man die Trümmer gesammelt. Auf den allein intakt gebliebenen 
Sarkophag von schwarzem Marmor wurde der Rumpf der Papststatue gebettet. 
Der Kopf, die Hände und die Füße wurden ergänzt. So finden wir das Grabmal 
Clemens VI. in den Acta Sanctorum abgebildet*), so ist es noch heute im Chor 
von La Chaise-Dieu zu sehen. (Taf. 41, Abb. 6 u. 7). Denn an diesen kläglichen 
Resten eines der glänzendsten Grabdenkmäler des Mittelalters scheint sich die 
Revolution nicht mehr vergriffen zu haben. Wohl die Abgelegenheit des Ortes 
hat dies Papstgrab vor einer zweiten Schündung bewahrt. Aber da alles ver- 
schwunden oder ergünzt ist, was einst an diesem Denkmal historisch merkwiirdig 
und künstlerisch bedeutend war, so ist es heute ein ebenso gleichgültiges Monu- 
ment, wie die anderen sogenannten Papstdenkmäler Frankreichs auch’). 


In mehr als einem Sinne zeichnete sich einst das Denkmal Clemens VL vor allen 
Papstdenkmälern diesseits und jenseits der Alpen aus. Wo sah man sonst noch 
an einem Grabmonument einen so reichen und sinnreichen Schmuck? Man spürt 
es deutlich, daB es der Papst selbst gewesen ist, der alle Angaben für die Bild- 


de détruire la grande composition, qui couvrait le fond de la salle du consistoire en la coupant par 
des voutes etc. Über den beklagenswerten Zustand, in dem sich der Papstpalast noch i. J. 1892 be- 
fand, hat sich Müntz an anderer Stelle geäußert. Vgl. Le vandalisme à Avignon et Salon in L'ami 
des monuments VI (1892), S. 289 ff. Vgl. ferner Montalembert, Oeuvres VI, S. 31 und 46. 

(1) Vitae et res gestae pontificum Romanorum. Romae 1677, 8. 483. Daß die Gebeine Clemens VL 
verbrannt wurden, ist später bestritten worden. Bei einer Öffnung der Gruft im Jahre 1709 fand man 
die angeblichen Gebeine des Papstes unversehrt. Auch der Schädel war vorhanden und strafte die 
Legende Lügen, im Jahre 1562 habe man aus dem Schädel des Papstes einen Trinkbecher gemacht. 
Vgl. Note relative à la violation de la tombe de Clement VI im Bulletin du Comité des travaux histo- 
riques etc, 1884, S. 442. Die Angaben bei Ciacconi sind aber so genau, daß mit der Möglichkeit zu 
rechnen ist, die Gebeine Clemens VI. seien durch fremde Gebeine ersetzt worden. 

(a) а. a. O., Mail, Tom. V, S. 89. Andere Abbildungen bei Faucon, a. a. O., S. 416, Pl. XI, bel 
Vitry und Briére, a. a. O., Pl. C, bei Gregorovius, Die Grabdenkmiler der Pápste, ed. Schillmann, 
8. Aufl. (1911) 8. 39. Eine Lithographie des Denkmals in Folio soll sich auch bei Taylor, Voyages 
pittoresques et romantiques dans l'ancienne France (Auvergne), Nr. 151 bis befinden. 

(3 Auch Rohault de Fleury (La messe VIII, 143) hat ohne weiteres zugegeben, daß der Kopf 
Clemens VI. ergänzt worden ist. Es befand sich außerdem in La Chaise-Dieu ein Porträt des Papstes 
in Wachs ausgeführt (Faucon, a. a. O., S. 413). In der Sorbonne in Paris sah man ein Glasgemälde 
Clemens VI. „ubi flexu genu et manus ad caelum tendens, supplicique habitu virginem sacram vene- 
ratur (Ciacconi II, 483). Aber aus den Acta sanctorum, a. a. O., S. 88, Nr. 16, erfahren wir, daß dies 
Gemälde bereits im Jahre 1685 längst zerstört war. Verschwunden ist auch das dem Orcagna zu- 
geschriebene Porträt Clemens VL, das man einmal in Santa Croce in Florenz sah (Vasari, ed. Mila- 
nesi I, 6or). 


160 


werke seines Denkmals gemacht hat, und daB er selbst und seine Angehörigen die 
Ausführung ihrer Absichten sorgfältig überwacht haben’). 

Nicht weniger als 44 Marmorstatuen sah man einst rings die Wände dieses 
Grabmals schmücken. Der ganze Leichenzug, der einmal die sterbliche Hülle des 
Papstes zu Grabe geleiten sollte, war hier bereits im Stein verewigt worden. 
Man sah die drei Offizianten, die noch heute die Absolution des Toten zu voll- 
ziehen haben, den Zug eröffnen: den Priester mit dem Weihwasser, den Diakon 
mit dem Evangelienbuche und den Akolythen. Dann folgten vier Kardinäle, ein 
Bruder und drei Neffen des Papstes, ferner fünf Erzbischöfe und neun Bischöfe, 
fast, alle wiederum Nepoten Sr. Heiligkeit. Den Schluß dieses Totengepränges 
aber bildeten seine weltlichen Verwandten, an ihrer Spitze das Haupt der Familie, 
der Graf von Beaufort mit Frauen, Kindern und Enkeln, und endlich die Schwestern 
des Papstes mit ihren Gatten und Kindern’). 

Der Gedanke, am Sarkophag des Toten sein Leichenbegängnis darzustellen, be- 
gegnet uns früher und später noch häufig in der französischen Grabskulptur. Man 
sah schon im Grabmal des Bischofs Pierre de Poitiers in Fontevrault, das im 
13. Jahrhundert entstand, das ganze Leichengefolge um den Toten versammelt’). 
In den berühmtesten Fürstengrabmülern Frankreichs, des Herzogs von Berry in 
Bourges und der Herzüge von Burgund in Dijon, sah man die Statuetten der ,,pleu- 
reurs“, der Leidtragenden, in Nischen, rings um die prüchtigen Sarkophage auf- 
gestellt‘). Im Grabmal des Philippe Pot aber — einst in Citeaux, heute im Louvre — 
hat diese Übung ihren monumentalsten und, man darf wohl sagen, ihren vollendeten 
Ausdruck gefunden. Hier tragen acht heroische Gestalten gesenkten Hauptes, in 
schleppende Trauergewänder gehüllt, die offene Bahre auf ihren Schultern, auf der 
der tote Seneschall von Burgund in voller Rüstung ausgestreckt ruht’). 

So häufig der Gedanke wiederkehrt, am Grabe des Toten sein Begräbnis dar- 
zustellen, so einzigartig muß an diesem Grabdenkmal die Verherrlichung des Nepo- 
tismus gewesen sein. Zwar besitzen wit im Grabmal des Artus Gouffier in Orion 
noch ein anderes Beispiel der Trauer der vornehmen Verwandtschaft um das 
Familienoberhaupt, und Familienangehörige betrauerten auch in einem heute zer- 
stórten Monument den Hingang der Patriarchen von Antiochia in der Kathedrale 
von Saintes e), aber in den Papstdenkmälern hatten noch immer die Madonna, die 
Heiligen, Allegorien von Tugenden und Künsten den Glauben und die Lebens- 
grundsütze des toten Pontifex symbolisch dargestellt. Niemals, weder früher noch 


(1) Daher mußte auch Pierre Roy seine Werkstatt in Villeneuve-les-Avignon aufschlagen, wie Baluze 
ausdrücklich bemerkt (I, 378): quod ipsemet vigens et vivens in Villanova Avinionensis Diocesis sibi 
fecerat fabricari. | 

(3 Faucon fand das merkwürdige Dokument, in dem diese Statuen beschrieben werden, im Vatika- 
nischen Archiv, und es gelang ihm, jede einzelne der genannten Personen festzustellen. Vgl. Bulletin 
du Comité etc. 1884, S. 419 und 441. 

(s) Abgebildet bei Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture IX, S. 37. Vgl. über eine 
ábnliche Darstellung am Sarkophag zweier Kinder in Le Val des choux: Voyage littéraire de deux 
religieux Bénédictins, Paris 1717, I, 113. : ; 
(4) Vgl. Courajod, Jacques Morel in Gazette archéologique X (1885), S. 238. 

(s) Ein schöneres Ritterdenkmal konnte der menschliche Geist nicht erfinden. Ein Stich bei Alexandre 
de Laborde (Les monuments de la France. Paris 1836, II, Pl. 215) zeigt uns das vor dem Vandalis- ` 
mus der Revolution in den Garten des M. de Vesvrotte in Dijon gerettete Denkmal. Es befindet sich 
heute im Louvre. 

(6) Vgl. Palustre Léon, La renaissance en France, Paris 1885, III, 232, wo auch das práchtige Denk- 
mal Gouffiers — furchtbar verstümmelt von den Vandalen von 1568 — wiedergegeben ist. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1938, Heft 6 fi 16r 


spšter, haben es die Nepoten und Kreaturen Sr. Heiligkeit gewagt, sich an das Grab 
ihres Beschützers zu drüngen. In Rom wire ein solches Denkmal der Verwandten- 
liebe unmöglich gewesen. Aber ach, es war auch in La Chaise-Dieu dem Unter- 
gange geweiht! Wie hoch muB die Kunst eines Bildhauers entwickelt gewesen 
sein, wenn er es unternehmen konnte, in vierundvierzig Portrütgestalten dem toten 
Papst alle die zu Begleitern zuzugesellen, die ihm im Leben teuer gewesen waren! 
Wie würde uns heute eine solche Galerie historischer Portrüts aus dem Mittelalter 
entzücken!)! Wie mächtig würde in der langen Reihe der Papstdenkmäler den Histo- 
riker gerade dieses Denkmal anziehen, dieses Denkmal, in dem der Glaube an die 
weltbeherrschende Mission des Papsttums völlig untergegangen war in dem stolzen 
Gefühl eines Edelmannes, die Seinigen reich und mächtig und groß gemacht zu haben! 

In diesem Sinne steht das Grabmal Clemens VI. einzig da unter den Grabmälern 
der Püpste — aber nicht nur in diesem Sinne allein ist sein Untergang so be- 


klagenswert. 
Das Grabmal Innocenz VI. (1352—1362) in Villeneuve-les-Avignon. 


Die ungeheure Lebenskraft des Papsttums wird nicht zuletzt durch das bestándig 
sich erneuernde Blut bedingt, das in ewig wechselnden Geschlechtern durch die 
Adern der Tiaratrüger rinnt. Die Püpste leben ja nicht lange, bemerkte schon 
Clemens VIL, der Medici-Papst. So wurde es dem Kardinalskollegium niemals 
schwer gemacht, bei einer Neuwahl sich selbst zu korrigieren. Es konnte einen 
Mann, dem persönliche Interessen höher standen als das Wohl der Kirche, durch 
einen Papst ohne Familienanhang ersetzen. Es konnte der Verweltlichung des 
Papsttums sofort durch die Wahl eines Asketen Einhalt gebieten. Es konnte 
wiederum ein allzu enges und strenges Regiment klug durch die Wahl eines groB- 
zügigen Mannes ersetzen. So wühlte man im Jahre 1352 als Nachfolger des 
prachtliebenden Clemens VI. den strengen Innocenz VI. 

Daß mit dem neuen Papst ein neuer Geist in Avignon erwachen würde, mußten 
die Höflinge sofort erkennen, als Innocenz, trotzdem die Vorbereitungen bereits ge- 
troffen waren, sich weigerte, nach seiner Wahl wie üblich in feierlichem Aufzug 
durch die StraBen seiner Residenz sich dem Volke zu zeigen’). 

Aber wenn auch der neue Papst der Verschwendung Einhalt gebot, die Bischöfe, 
die am Hofe seines Vorgängers ein üppiges Leben geführt hatten, in ihre Diözesen 
zurücksandte, das Mönchtum erneuerte und das Papsttum zu reformieren ver- 
suchte®), — Avignon blieb nach wie vor der Mittelpunkt eines kräftig pulsierenden 
Lebens, an dem die ganze Umwelt Anteil nahm. Die Wirren in Rom unter Rienzi, 
die Belagerung Avignons durch Armand, den ,,Erzpriester“, die Pest im Jahre 1360 
bedeuteten wohl Hemmungen, vermochten aber nicht, Ansehen und Macht des 
Papsttums dauernd zu schwüchen, das damals in dem spanischen Kardinal Alvarez- 
Albornez einen Staatsmann und Feldherrn größten Stils besaß. 

Als Bauherr hat sich Innocenz VI. mehr auf dem rechten Ufer der Rhone be- 
tütigt als auf dem linken. Villeneuve verdankt ihm mehr als Avignon, wo er nur 


(1) In dem Bericht über die Zerstórung des Grabmals Clemens VL, den Faucon (a. a. O., 8. 442) aus 
den Annalen der Benediktiner publiziert bat, beißt es: Ils brisérent aussi les mains et les pieds de la 
figure de marbre blanc et tous les ornements qui étoient autour du tombeau, qui étoient magnifiques 
et dont il en reste quelques-uns à la bibliothéque. Ob von diesen Fragmenten noch heute in La Chaise- 
Dieu etwas erhalten ist, habe ich nicht festzustellen vermocbt. 
(a) Ciacconi, a. a. O., П. 523 ff. 

(3) Christophe, Histoire de la papauté pendant le XIV siécle II, 224. Us 


162 


die Stadtbefestigungen verstürkte und die Papstfeste durch zwei neue Türme zu 
sichern versuchte!) Aber in Villeneuve gründete Innocenz VI. die berühmte Kart- 
hause, die wührend der Revolution in Lose aufgeteilt wurde und seitdem verfallen 
ist; hier baute er der Dreieinigkeit eine Kapelle, die er mit einem glänzenden 
Freskenzyklus schmücken lieB*), und hier bestimmte er sich selbst sein Grab‘). 
(Taf. 42, Abb. 10.) 

Im Jahre 1576 gelangten die Hugenotten unter Führung des Kapitüns Parabére 
bis an die Höhen von Villeneuve und zerstörten dort das steinerne Kreuz von 
Montaux, eine prachtvolle, figurenreiche Stiftung Innocenz VI.“). Aber das empörte 
Volk vertrieb die Eindringlinge, und die Karthause wurde damals vor der Plün- 
derung gerettet’). Um so schlimmer haben hier die Sansculotten gehaust. Zer- 
rissene Reste der einst so glinzenden Architektur, halberloschene Fresken in der 
Dreieinigkeitskapelle, ein mühsam aus tausend Fragmenten wieder zusammen- 
gesetztes Papstgrabmal in der Kirche des Hospitals — das ist alles, was von der 
glänzenden Schöpfung Innocenz VI. übriggeblieben ist). 

Betrachtet man das wieder zusammengesetzte Gehüuse dieses Papstdenkmals in 
Villeneuve, so erkennt man sofort, daB der Gedanke, der das Grabmal Johanns XXII. 
schuf, hier wieder aufgenommen worden ist. (Tafel 41, Abb. 9). Nur mußte 
natürlich das neue Denkmal das alte an Pracht und Figurenreichtum übertreffen. 
Auch Innocenz' VL Totenschrein ist nichts anderes als ein herrliches Reliquien- 
gefäß ins Monumentale übertragen, oder als das sorgfältig ausgeführte Modell einer 
reichen gotischen Architektur. Auch hier sieht man den Papst in einem Freigrabe 
auf hohem Prunkbett unter einem Baldachin mit zahllosen Türmen und Tabernakeln 
ausgestreckt, und alle Heiligen des Paradieses haben einst dies Heiligtum bewacht. 
So sah es noch kurz vor der Revolution der Schweizer Fisch und las hier die Jahres- 
zahl 1362. „Die gotische Kunst,“ so schreibt dieser sonst sehr nüchterne Be- 
obachter”), „scheint alle Schönheiten, deren sie fähig ist, an diesem Grabmal ver- 
schwendet zu haben. Das Bildnis des Papstes liegt auf einem gevierten Sarkophag, 
und über demselben erhebt sich ein Wald von Verzierungen nach gotischer Zeich- 
nung, alles so rein, so schlank, so kühn auf-geschlungen und ineinander ver- 
flochten, daß man dem Künstler, der alles das aus einem Block herausarbeitete, 
seinen Beifall und seine Bewunderung nicht versagen kann.“ 


(1) Revue de l'art chrétien X (1892), S. 186. 

(s) E. Münts, Fresques inédites du XIV siécle à la chartreuse de Villeneuve in Gazette archéologique 
XII (1887), 8. 398 ff. Hier gibt Müntz, Anm. a, auch die Spezialliteratur über Villeneuve, die mir 
größtenteils nicht zugänglich war. 

(3) Gasette des Beaux Arts XXXVI (1887), S. 378, Anm. 2. 

(4) Joudou, Esca! sur l'histoire de la ville d'Avignon. Avignon 1853, S. 466. 

(s) Aus Furcht vor den Hugenotten waren damais die Gebeine des Papstes aus seinem Grabe ent- 
fernt und in der Kapelle der Dreieinigkeit in die Mauer eingelassen worden. Man ließ sie dort auch, 
als die Gefahr vorüber war, und bedeckte den Platz mit einem Stein, auf dem man die ruhende Ge- 
stalt Innocenz VI. sah. Hier erscheint der Papst — wie auch in der Fugger-Sammlung in München — 
ohne Bart. Dieser Stein ist, wie es scheint, spurlos verschwunden, aber die Bollandisten haben uns 
eine Nachbildung erhalten. Acta Sanctorum Maii V, S. 90. (Taf. 38, Abb. 8.) 

(6) Über den Zustand der Abtei von Villeneuve im Jahre 1849 vgl. die Beschreibung von Pinard in 
der Revue archéologique VI, 1 (1849), S. 331. Ebendort, Pl. 120, gibt Pinard auch eine Abbildung 
des Denkmals nach der Restauration von 1835. "Vgl. auch Hallays, Avignon, S. 119. 

(7) J. G, Fisch, Reise durch die südlichen Provinzen von Frankreich kurz vor dem Ausbruch der 
Rewrolution. 2. Aufl, Zürich 1795, S. 580. 


. 


Siebenundvierzig Jahre später besuchte der Franzose Mérimée die Stadt. „Ich 
begab mich heute nach Villeneuve,“ schreibt er am 11. September 1834!), „шп das 
gotische Grabmal Innocenz VI. zu sehen. Die Karthause, die es einst geborgen 
hat, ist zur Zeit der Revolution stückweise verkauft worden, und das Denkmal, das 
zu einem der Verkaufslose gehörte, muß man heute in der verfallenen Hütte eines 
armen Weingärtners suchen. Fässer, Olivengestrüpp und riesige Leitern sind in 
dem engen Winkel aufgespeichert, wo sich das Mausoleum befindet. Es ist mir 
unbegreiflich, daB bei solchem bestündigen Holen und Bringen von Gegenstünden 
von diesen feinen Türmchen, von diesem eleganten Mafiwerk, von diesen schlanken 
Pfeilern noch irgendetwas erhalten geblieben ist. Nichts Leichteres, nichts An- 
mutigeres, nichts Reicheres kann man sich vorstellen als dieses Steingebilde. Ur- 
sprünglich schmiickten eine Fülle von Alabasterstatuetten den Sockel des Denk- 
mals. Man hat sie stückweise verkauft. Im Innern des Sockels aber hat sich der 
Besitzer des Anwesens einen Schrank eingerichtet. Die Marmorstatue des Papstes 
ist arg verstiimmelt. Kurz, es gibt keine Schmach, die man diesem herrlichen 
Denkmal nicht zugefügt hätte. Und doch ist es trotz aller Verstümmelungen eins 
der schónsten Exempel gotischer Schmuckarchitektur im 14. Jahrhundert.“ 

Weniger glücklich als Mérimée hatte Perrot kurz vorher das Denkmal günzlich 
von Werkzeugsutensilien und Reisigbündeln bedeckt gefunden. Er beschloB, es 
küuflich zu erwerben, und gab so endlich dem Magistrat der Stadt den letzten An- 
stoß, das Denkmal aus seiner unwürdigen Lage zu befreien und in der Hospital- 
kirche von Villeneuve unterzubringen. Bei dieser Gelegenbeit ist es auch schlecht 
und recht wiederhergestellt worden. Vor allem wurde das Gesicht des Papstes 
erneuert, der, wie man auch bei den Bollandisten erkennen kann, einen Bart ge- 
tragen haben muß). 

Von all den Statuen, die dieses Mausoleum einst geschmückt haben, sieht man 
heute noch drei hoch oben unter prächtigen Tabernakeln erhalten. Einige andere 
Fragmente werden im Musée Calvet bewahrt. 

Das ist die Geschichte des Prunkgrabes Innocenz VL! Man siebt, mit wie un- 
erbittlicher Konsequenz sich das Verhängnis an den Denkmälern der Päpste von 
Avignon vollzogen hat. Was nicht schon den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts 
zum Opfer fiel, das wurde mit untrüglicher Sicherheit von den Bilderstürmern der 
Revolution aufgespürt und mit Beil und Hacke erbarmungslos auseinander ge- 
schlagen. Nur zuweilen geschah es, daß die Zerstörungswut nicht alles auf einmal 
bezwingen konnte oder daB die Mittel nicht ausreichten, die methodische Ver- 
nichtung alles dessen, was vergangene Jahrhunderte geschaffen hatten, fortzusetzen. 
Es gehörten viele Arme dazu, ein Monument wie die Karthause von Villeneuve 
mit allen Denkmälern und Kunstschützen so vom Erdboden verschwinden zu machen, 
wie die Abtei von Cluny oder die Kathedralen von Arras und Cambray. Dann und 
wann ließ man wohl den Rumpf eines Denkmals stehn. Und an diesem konnten 
dann später die Restauratoren ihre Künste versuchen. Solch ein bescheidenes Glück 


(т) Prosper Mérimée, Notes d'un voyage dans le midi de la France. Bruxelles 1835, 8. 153. 

(2) Perrot, Lettres sur Nismes et le midi. Nismes 1840, I, 8.337: La statue en marbre du pape est 
couchée dans toute sa longueur et il a un lion à ses pieds. (Heute durch einen Gipslöwen ergänzt). 
Cette figure était bien mutilée et cependant elle conservait un beau caractère; aujourd'hui elle est par- 
faitement restaurée, Perrot hat auch die Zeichnung gemacht, die hier reproduziert worden ist. (Taf. 41, 
Abb.9.) Ein Idealportrit des Papstes, dessen Barttracht erst Julius IL wieder aufgenommen hat, findet 
sich in der Grablegung von Simon de Chalons v. J. 1552, ebenfalls im Hospital von Villeneuve, Vgl. 
Müntz, Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), S. 381, Anm, a. 


164, 


ist auch dem Grabmal Innocenz VL widerfahren. An der Fülle seiner ornamen- 
talen Pracht ist der Arm der Bilderstürmer erlahmt. Der hochgetürmte Baldachin 
‘war mit dem Hammer nicht ohne weiteres zu erreichen. So finden wir ín diesem 
erst zerstörten, dann wieder hergestellten Gehäuse noch heute die Spuren einstiger 
Pracht, wenn auch das Wesentliche fehlt: ein authentisches Bildnis des Toten und 
die Fülle der Statuen, die einst überall die Architektur belebten. Das Rahmenwerk 
ist geblieben, aber die Bilder wurden zerstirt. 


Die Grabdenkmüler Urbans V. (1362—1370) in St.-Victor in Marseille 
und'in Saint-Martial in Avignon. 


Mit Urban V. richteten sich die Blicke der römischen Püpste wieder auf Rom. 
Die schwere Belagerung, die Urban in Avignon durch Sóldnerbanden auszuhalten 
hatte, mochte ihm zu denken geben. Aber einem Papste von so groBer Ge- 
sinnung wie Urban V. muBte sich auch sonst ohne weiteres der Gedanke auf- 
drängen, daß der weltbeherrschenden Stellung des Papsttums auf die Dauer durch 
eine Residenz wie Avignon Abbruch getan werden mußte. Dazu kamen die Be- 
schwörungen Petrarcas und die Bitten der Römer, die im Jahre 1364 wieder in 
Avignon erschienen!) So machte sich Urban nach langen Vorbereitungen am 
30. April 1367 nach Italien auf. Wir kennen sein Itinerar in allen Einzelheiten?). 
Aber es hielt ihn nicht in Rom, wo er mit groBem Glanz residierte und Kaiser 
und Könige an seinem Hofe empfing. Auch die hl. Brigitta, die ihm einen baldigen 
Tod in Frankreich weissagte, vermochte nicht, den Heimwärtsstrebenden zurück- 
zuhalten. Am 16. Oktober 1367 war Urban V. unter dem Jubel der Bevilkerung in Rom 
eingezogen, am 5. September 1370 verlieB er Italien wieder, nicht ohne am Tiber 
dauernde Zeugen einer umfassenden Bautätigkeit zurückgelassen zu haben. Vor 
allem lieB der Papst in Vatikan und Lateran groBe Wiederherstellungsarbeiten vor- 
nehmen?) Noch heute sieht man in der lateranischen Basilika das Marmor- 
tabernakel, das er zu Ehren der Apostelfürsten über dem Hochaltar errichten ließ‘); 
es ist mit dem Wappen Urbans V. geschmiickt — eins der wenigen Wappen eines 
Papstes von Avignon, die heute noch an den Baudenkmälern Roms zu finden sind. 

Am 24. September war Urban V. wieder in Avignon, und wenige Monate später 
schon ging die Weissagung der hl. Brigitta in Erfüllung. Im Dezember 1370 er- 
eilte den Papst der Tod. 

Schon zu seinen Lebzeiten, lesen wir bei Ciacconi, wurde Urban V. wie ein 
Heiliger verehrt’). Überall in den Kirchen Frankreichs und Italiens sah man seine 
Bildnisse. Sie gingen bis auf einige unbedeutende Machwerke zugrunde. Ein Tafel- 
bildchen in Bologna, auf Goldgrund gemalt, gibt heute allein noch eine schwache 
Vorstellung vom Aussehen des letzten rechtmäßigen Papstes, der seinen Sitz in 
Avignon gehabt hat“). | 
` (z) Gregoróvius, a. а, O., 8. 347. 

(2) Vel. J. P. Kirsch, Die Rückkehr der Pšpste Urban V. und Gregor XL von Avignon nach Rom 
in Quellen und Forschungen der Görresgesellschaft. Paderborn 1898. 

(3) E. Mints, Lavori d'arte fatti eseguire a Roma dai Papi d'Avignone (1365— 1378) in Arch. stor. 
dell’ arte IV (1891), S. 1267. 

(4) Lauer, Le palais de Lateran, 8. 264 ff. 

(s) П, 560: Jam ipsis suis temporibus ut sanctus coli et talis in ecclesiis pingi. In diversis et pluri- 
mis ecclesiis, etiam Patriarchalibus, etiam Romae imago eius tamquam sancti pingitur et honoratur. 
Ein besonders gutes Bildnis Urbans V. befand sich im Augustinerkloster in Toulouse. 

(6) Abb. bei Goyau, Peraté, Fabre. Le Vatican. Paris 1895, 8.462. Uber andere Porträtdarstellungen 


165 


Nicht weniger als drei Grabdenkmäler sind Urban V., eins nach dem andern, er- 
richtet worden. Kaum ein anderer Papst kann sich eines solchen Andenkens bei 
der Nachwelt rühmen, die verstorbene Päpste schnell zu begraben und zu ver- 
gessen pflegt. Gregor XL setzte seinem Vorgünger ein monumentales Denkmal in 
St.-Victor in Marseille, und ebendort, wo Urban V. einmal seine Laufbahn begonnen 
hatte, fanden auch seine sterblichen Reste ihr Grab’). In Avignon selbst aber er- 
richteten ihm die dankbaren Benediktiner, deren Ordenskleid der Papst getragen 
hatte, ein glänzendes Kenotaph*). Und einen ähnlichen Gedenkstein sah man kurz 
vor der Revolution auch noch im Chor von St.-Victor in Marseille. , Er wurde 
wahrscheinlich errichtet,“ schreibt der Biograph dieser-Kirche?), „um das Denkmal 
selbst zu ersetzen, als es vom Chorgestühl verdeckt wurde. Es sollte hier auch 
eine Inschrift angebracht werden, die aber niemals gesetzt worden ist. Die mar- 
morne Maske des Papstes, die auf das steinerne Antlitz des Papstes gelegt ist, 
gibt einen hohen Begriff von den Talenten des Künstlers, der sie ausgeführt hat. 
Sie ist so scharf nach der Natur beobachtet, daB sie nur ein Porträt dieses Papstes 
sein kann.“ 

In der Französischen Revolution ist dieses Kenotaph in St.-Victor ebenso zugrunde 
gegangen, wie das Monumentalgrab ebendaselbst. Aber einStich in den Acta sancto- 
rum vermittelt uns noch heute eine Vorstellung von der Pracht des Denkmals, 
das einmal die Gebeine Urbans V. umschloß )). 

Von allen Denkmälern der Püpste in Frankreich ist dieses allein ein Wandgrab ge- 
wesen, (Taf. 43, Abb. 11.) Unten sah man Urban V. ausgestreckt in einer Nische ruhen, 
die oben und unten durch gotische Lisenen verziert war. Darüber erhob sich ein 
auffallend schwerer, glünzender Aufbau. Unten im Tympanon schwebte die Seele 
des Papstes empor und über ihr waren Maria und Christus dargestellt. Darüber 
erhob sich ein schwer lastendes Tabernakel mit spütgotischem Maßwerk, in dem 
man Gottvater in der Mitte thronend sah. Ganz in der Húhe endlich gab ein 
Triforium dem Denkmal einen horizontalen Abschlu8. Engel und Heilige waren 
überall an den Seitenpfeilern, in den Triforiumnischen und hoch oben über dem 
ganzen Aufbau angebracht, der als Ganzes am besten einem reichen gotischen 
Kirchenportal von mißglückten Proportionen zu vergleichen ist. 

Bereits im Jahre 1381, so erzählt Ruffi in seiner Geschichte von Marseille‘), 
mußte das Denkmal, das schlecht gebaut war, restauriert werden. Man öffnete bei 


Urbans V. vgl. E. Müntz, La statue du pape Urban V au Musée d'Avignon in Gazette archéologique 
IX (1884), 9. roa und 103. Weitere Literatur gibt Courajod im Katalog des Musée de sculpture com- 
parée (Trocadéro). Paris 1892, S. 44/45, Nr. 656. 

(1) Ciacconi, a. a. O., II, 9. 558. Acta sanctorum Mail, Toro. II, 93, wo die Abbildung gegeben ist: 
sicut illud post multam instantiam nec sine sumptu delineatum tandem accepi; simulque intellexi, 
totum opus unius generis saxo, eoque non valde pretioso constare. | 

(a) Von Müntz in der oben genannten Studie in der Gazette archéolog. (1884) ausführlich bebandelt . 
(3) (Grosson) Notice des monuments conservés dans l'église . . . de l'Abaye de St.-Victor de Mar- 
seille . . . Marseille s. a. (1786), S. 9. 

(4) Die Originalzeichnung für diesen Stich hat sich in der Bibliothek von St.-Vietor in Marseille er- 
halten. Sie ist von Schillmann (Gregorovius, Grabdenkmäler, S. 40) wiedergegeben worden. Schill- 
mann konnte auch die Nische aufnehmen, in der man einmal das Papstdenkmal sah, dessen kümmer- 
liche Reste heute von einem modernen Bildnis Urbans V. fast gans verdeckt werden. | 

(5) De Ruff Antoine, Histoire de la ville de Marseille. з. ed. Marseille 1696, П, 158. In den Acta 
sanctorum, a. a, O., 8.93, heißt es von dem Denkmal (1685): hodie extat, licet a parte inferiori pes- 
sime habitum maleque custoditum. | 


166 


` 


dieser Gelegenheit auch den Sarg des Papstes. Damit aber in Zukunft das Denk- 
mal keinen Schaden mehr nehme, ernannte man einen der Briider von St.-Victor 
zu seinem besonderen Hiiter. Im Jahre 1397 wird Johannes de Comitis ausdrtick- 
lich als ,custos sepulcri sanctae memoriae Urbani V“ aufgeführt!) Eine solche 
Ehre ist in der neueren Geschichte vielleicht nur noch einem einzigen Denkmal 
von Weltruf zuteil geworden: dem Jüngsten Gericht Michelangelos in der Sixtini- 
schen Kapelle in Rom, an dem Michelangelos Diener und Freund, Urbino, dieses 
Ehrenamtes waltete. 

Noch eine andere Eigenart zeichnete das Grabmal Urbans V. vor allen übrigen 
Papstdenkmälern aus: der Kopf des Papstes war in Silber ausgeführt?) Er wurde 
bereits wührend der Religionskriege im 16. Jahrhundert entwendet. Aber im 
übrigen scheint sich dies prüchtige Denkmal ziemlich unversehrt bis zum Ende des 
I8. Jahrhunderts erhalten zu haben. Es wurde nur durch das Chorgestühl ver- 
deckt, als man dieses hinter den Hochaltar zurückschob. So ist das Denkmal auch 
Fisch entgangen, der die Abtei von St.-Victor im Herbst 1787 besuchte und hier 
im reichen Schatz des Stiftes auch die Reliquienkästen Urbans V. erwühnt?) Aber 
die Sansculotten von Marseille, die in der ganzen Provence Schrecken verbreiteten, 
haben es zu finden gewuBt, und ihre verbrecherische Hand scheint auch dieses 
prüchtige Papstdenkmal bis auf geringe Fragmente vernichtet zu haben. Als man 
gelegentlich der Seligsprechung Urbans V. im Jahre 1870 Nachforschungen an- 
stellte, fand man wohl noch Nische und Postament. Alles übrige war zerstürt. 
Und ebenso spurlos verschwand damals auch das Kenotaph im Chor, von dem sich 
in der Bibliothek von Aix noch eine Zeichnung erhalten haben soll‘). | 

Und nicht viel besser erging es damals dem anderen Kenotaph Urbans V. in der 
Benediktinerkirche Saint-Martial in Avignon, wo mit ihm alle Erinnerungen an die 
Kënige von Aragon, an Johanna von Neapel, an den Kardinal Lagrange in Schutt 
und Trümmer begraben wurden“). 

Der Rumpf der Statue Urbans mit dem verstümmelten Kopf wurde spiiter wieder 
aufgefunden und ins Musée Calvet gerettet“). (Taf. 44, Abb. 12.) Man sieht den 
Papst hier mit der dreifachen Tiara geschmiickt”), und man erkennt in dem aus- 
drucksvollen Kopf künstlerisches Vermügen und das erfolgreiche Bestreben nach 


(z) Ruffi, a. a. O., 8. 159. 

(2) Ruff, a. a. O., 8. 158. ° 

(s) Fisch, a, a. O., S. 460/461. 

(4) Gazette archéologique IX (1884), S. 103, Anm. a. 

(s) Joudou, a. a. O., 8, 411/13. Das Monument des Kardinals Lagrange war das prüchtigste Prülaten- 
grab in Avignon und, wie wir aus der von Mints wieder aufgefundenen Zeichnung ersehn können, 
vielleicht das stolseste Denkmal, das jemals ein Kirchenfürst sich selbst errichtet hat. Vgl. L'ami 
des monuments et des arts IV (1890), S. 85 ff. 

(6) Die Abbildung ist nach der Aufnahme von E. Múnts in der Gazette archéol. 1884, Tafel rs, ber- 


gestellt. 
(7) Braun, J., Die liturgische Gewandung im Oksident und Orient. Freiburg 1907, 8. 505, hat den 
Kopf Urbans V. als Benedikt XII, reproduziert und an ihn Schlüsse geknüpft, die nicht ganz zu- 
treffen. Der Zeitpunkt, wann die Päpste die dreifache Krone annahmen, ist noch nicht einwandfrei. 
bestimmt, und die Frage bedarf noch auf Grund dessen, daß fast alle authentischen Porträts der Päpste 
von Avignon zerstört sind, erneuter Nachprüfung. Von ausschlaggebender Bedeutung für diese Frage 
dürfte die Sammlung des Panvinius in der Hof- und Staatsbibliothek in München sein, die O. Hartig 
der Forschung erschlossen hat. Hier erscheint Benedikt XII. zuerst mit der zweifachen Krone, des- ' 
gleichen sein Nachfolger Clemens VL, wührend Innocenz VI. — hier obne Bart و‎ = zuerst 
das Triregnum trägt. Vgl. Hartig, a. a. O., S. 305. | f 
167 


porträthafter Darstellung. Welch ein Fortschritt gibt sich kund, vergleicht -man 
diesen Kopf mit den Bildnissen Bonifaz УШ. und Benedikts ХП. in den Vatika- 
nischen Grotten! Aber den langen Weg, der zwischen diesen Schöpfungen liegt, 
kónnen wir nicht mehr verfolgen. Alles, alles hat die Revolution zerstürt! 


Das Grabdenkmal des Gegenpapstes Clemens VIL (1378—1394) in der 
Kirche der Cölestiner in Avignon. 


Am 13. September 1376 verlieB Gregor XL, der Nachfolger Urbans V., der Neffe 
Clemens VL, Avignon und verlegte damit trotz des Protestes des Königs und der 
Geistlichkeit von Frankreich den Sitz der Päpste auf immer nach Rom zurück. Wie 
stark aber die Interessen waren, die Frankreich daran hatte, die Päpste auch ferner 
in Avignon zu fesseln, sollte gleich nach dem Tode Gregors XI. das groBe Schisma 
offenbaren, Zwei Gegenpüpste haben noch in Avignon residiert: Clemens VIL, der 
Franzose, und Benedikt XIIL, der Spanier. Benedikt fand ein unberühmtes Grab in 
seiner Heimat in Peniscola, nachdem er seine Ansprüche bis zuletzt mit größter Hart- 
näckigkeit behauptet hatte. Clemens VIL regierte fünfzehn Jahre lang die Kirchen 
von Frankreich und Spanien von Avignon aus, wo er mit nicht geringerer Pracht 
residierte, wie einst die rechtmäßigen Päpste). Hier entfaltete Clemens VIL, der an 
Macht und Einfluß dem rauhen Urban VI. seinem Widersacher in Rom, nichts nach- 
gab, eine ziemlich rege Bautitigkeit. Er sorgte für die Erhaltung der siebentürmigen 
Papstfeste, er baute in Kirchen und Klóstern, und er gründete endlich die Kirche 
der Cölestiner, wo er selbst begraben wurde?) Dort ließ ihm gleich nach seinem 
Tode der Erzbischof von Narbonne ein prüchtiges Grabdenkmal errichten, zwar ein 
Denkmal ohne jenen reichen, gotischen Aufbau, der sich sonst wie ein Kapellenbau 
über den ruhenden Püpsten wilbte, sondern nur ein miichtiges Freigrab, auf dem 
man die Statue Clemens VII. erblickte. In den Acta sanctorum ist auch dieses 
Grabmal abgebildet und beschrieben worden?) (Taf. 44, Abb. 13. Es war ganz 
aus weiBem, teilweise in dunkle Schattierungen übergehendem Marmor hergestellt. 
Man sah den Papst in vollem Ornat wie auf einem Paradebett ruhn, das tiara- 
geschmückte Haupt unter einem Baldachin, die Füße auf einem Kissen, das mit 
seinem Wappen geschmückt war. Ringsherum an den Wänden aber standen in 
gotischen Tabernakeln zwanzig Heilige und hielten die Totenwacht. 

Im Jahre 1658 wurde das Grabdenkmal vom Platz vor dem Hochaltar in die Mitte 
des Chors versetzt, und hier stand es noch völlig unversehrt bis zur Französischen 
Revolution‘). 

Damals teilten die Cölestiner das Schicksal aller übrigen Kirchen in Avignon. 
„Das schöne Gebäude,“ schreibt ein Chronist dieser Stadt, „wurde schwer be- 
schädigt, die Revolutionäre zerstörten den größten Teil allen Schmuckes und aller 
Skulpturen der Kirche. Alles Silber und alles Gold, alle kostbaren Kirchengewänder 
verschwanden spurlos. Die Kapelle des hi. Michael wurde verkauft und in ein 
Café umgewandelt. Die Kirche selbst wurde als Waschhaus hergerichtet 5). ` 


(1) E. Mintz, L’antipape Clement VII, essai sur l'histoire des arts à Avignon vers la fin du XIV. siècle 
in Revue archéologique III. ser., Tome XI (1888), 8. 8f. Danach ist das Zitat bei rn Musee 
de sculpture comparée, S. 59, zu berichtigen. 

(2) Dubamel, Les oeuvres d'art du couvent des Célestins à Avignon in Bulletin monumental ur 
(1888), 8, тод und 217. ih dd 
(3) a. a. O., 8. 103. POR ж © E | 2 
(4) Duhamel, a. a. O., S. 114. 

(s) Revue archéol., 1888, 8. 171. 


168 


Damals ereilte auch das Grabmal Clemens VII. das Schicksal aller übrigen Papst- 
denkmäler in Avignon. Es wurde gänzlich zerstört: Nichts ist erhalten geblieben 
als einige Trümmerstücke im Musée Calvet, wo man vor allem noch den bis zur 
Unkenntlichkeit entstellten Kopf des Papstes sieht. Es ist unmöglich, aus diesen 
Resten ein Urteil zu gewinnen über den künstlerischen Wert dieses letzten unter 
den Papstgrabmiilern in Frankreich’). (Taf. 44, Abb. 14.) 

& | š Ф 

Welch einen unvergleichlichen Schatz hat Frankreich noch Біз vor wenig Menschen- 
altern in diesen Mausoleen seiner Püpste besessen! Es konnte sich rühmen, einer 
der merkwiirdigsten Epochen seiner Geschichte in vielen Denkmiilern gleichsam 
ein einziges Denkmal gesetzt zu haben, ein Denkmal von ganz geschlossenem 
Charakter, von ganz eigentümlicher Bedeutung. In Italien ist später der Typus 
des Papstgrabes der Renaissance und des Barock entstanden, aber in Frankreich 
ist das Papstdenkmal des späten Mittelalters geschaffen worden. Der französischen 
Kunst ist es auch zuerst gelungen, in diesen Papstdenkmälern das Idealporträt zu 
beseitigen und den toten Päpsten individuelle Züge zu verleihen. 

Diesen Ruhm haben die Franzosen selbst zerstört. Es gibt heute in Frankreich 
keine Papstdenkmäler mehr. Wie die Gebeine sämtlicher Päpste in Frankreich in 
alle Winde zerstreut wurden, so wurden die köstlichen Schreine, die sie bargen, 
erbarmungslos in Stücke geschlagen. 

Und leider blieb solch ein niegesehener Vandalismus, der ohne jede Nötigung die 
ehrwürdigen Zeugen vergangener Jahrhunderte zu Boden warf, nicht allein auf 
Frankreich beschränkt. Dieselben Männer, die in ihrer eigenen Heimat zu ver- 
nichten trachteten, was an ein göttliches und weltliches Regiment auf Erden 
mahnte, kämpften wenige Jahre später als siegreiche Soldaten in Italien. Kann es 
wundernehmen, daß sie nicht zögerten, auch dort Hand anzulegen an Zeugen der 
Vergangenheit, die ihnen nicht gefielen? 

In Bologna und Ravenna gelang es mühsam, die Bronzestatuen Gregors XIII. 
und Alexanders VII. zu retten?) Man setzte Gregor XIII. statt einer Tiara eine 
Mitra aufs Haupt und nannte ihn den heiligen Petronius, den Schutzherrn Bolognas. 
Aber in Rom wurden damals die Bronzestatuen Sixtus V. und Clemens XII. ein- 
geschmolzen, und die Marmorstatuen Pauls IV. und Innocenz XIL wurden in Stücke 
geschlagen?) In Ascoli Piceno, wo die Brüder Lodovico und Girolamo Lombardi 
das Andenken Gregors XIII. durch eine der herrlichsten Bronzestatuen Italiens ver- 
ewigt zu haben glaubten, beschworen die Einwohner den Führer der französischen 
Eroberer, den Stolz und das Wahrzeichen der Stadt nicht zu zerstören‘). Ver- 
gebens! Französische Hände schlugen dies Papstdenkmal in Stücke, wie sie einst 
in Frankreich die Statuen der Könige zu Boden gestürzt hatten, ja, man zwang 


(х) Das Urteil von Müntz über dieses Denkmal lautet sehr ungünstig (Gazette des Beaux Arte 1887, 
S. 386/87). Es ist aber mit Vorsicht aufzunehmen, da Müntz die Tendenz hat, die Verbrechen der 
Revolution su verschleiern und den Verlust an Kunstwerken als möglichst gering darzustellen. Da- 
gegen spricht Gonse. (Les Chefe-d'oeuvre des musées de France, Paris 1904, S. 81) von dem vor- 
nehmsten Trümmerstück des Clemens-Monumentes mit den Ausdrücken höchster Bewunderung. 

(2) Cavazza, Francesco, Della statua di Gregorio XIII sopra la porta del Palazzo Publico in Bologna. 
Bologna 1888. 

(3) E. Steinmann, Die Plünderung Roms durch Bonaparte, in der Internationalen Monatsschrift XI (1917). 
(4) Cantalamessa Carboni, Notizie storiche su di una statua in bronso eretta dalla città di Ascoli nei 
eecolo XVI a! sommo pontifice Gregorio XIII, in Giornale arcadico 1845, 8. 331 ff. ` 


169 


einige unglückliche Priester, die Triimmer dieser Erzstatue an Stricken durch die 
Straßen zu schleifen! 

Es ist heute besonders lehrreich, im großen Buch der Weltgeschichte diese 
dunklen Blätter wieder aufzuschlagen. Bild und Andenken ausgezeichneter Menschen 
der Nachwelt zu übermitteln — das ist von jeher die erhabene Aufgabe der Bild- 
hauerkunst gewesen. Mit wenigen anderen Völkern der Geschichte teilten die Fran- 
zosen den Ruhm, diese Kunst in jahrhundertelanger Fortentwicklung auf eine 
wunderbare Höhe geführt zu haben. Aber es gibt wohl kein zweites Beispiel in 
der Geschichte, daß die Söhne die Bilder ihrer Väter in den Staub getreten haben, 
daß die Nachkommen frevelhaft in einem Augenblick zerstörten, was der Genius 
der Vorfahren in unermüdlichem Bestreben langsam verwirklicht hatte. Ein drei- 
faches Sakrileg hat sich hier vollendet bei einem Volke, das sich riihmte, das erste 
unter den Kulturvülkern der Erde zu sein: gegen das Andenken der Toten, deren 
Gräber geschändet wurden; gegen den Ruhm der Künstler, deren Werke zerstört 
wurden; gegen die zeitgeweihten Güter von Volk und Vaterland, deren Denkmäler 
vom heimischen Boden vertilgt wurden. Seltsame Ironie des Schicksals! Hatten 
nicht gerade die Franzosen von jeher den Ruhm als das höchste aller Güter und 
die Vaterlandsliebe als größte aller Tugenden gepriesen? 

Wer sich vorzustellen vermag, wie in jenen schicksalsvollen Tagen die Kinder 
eines Volkes sich erhoben, sich gegenseitig umzubringen, wie sie in unheilvoller 
Verblendung ihr eigenes Vaterland zerstörten und tausende von historischen Denk- 
miilern vernichteten, um die sie alle Völker der Erde beneiden mußten, der trauert 
mit dem Genius der Menschheit, wie man trauert, wenn ein hoher, himmel- 
anstiirmender Geist unrettbar in die Nacht des Wahnsinns versinkt. 

Die lange, leidvolle Geschichte der Menschheit hat auf ihren Tafeln nicht viele 
Episoden von so furchtbarem Ernst, von so erschiitternder Tragik zu verzeichnen. 
Die alten Griechen wußten wohl, warum sie vor dem Zorn der Götter zitterten, 
die von jeher mit unerbittlicher Strenge die Selbstüberhebung sterblicher Menschen 
gestraft hatten. 


170 


VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN!). 


1, Grabmal des Papstes Clemens V. (1305— 1314) in Uzeste. Aus Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 74. 
s. Grabmal des Papstes Johanns XXII. (1316—1334) in Notre-Dame-des-Doms in Avignon. Acta 
Sanctorum Mali, Tom. V, 79. - 
3. Überreste des Grabmals Johanns XXIL in Notre-Dame-des-Doms. Aus AndréHallays, Avignon et 
le comtat Venaissin, 8. 17. ' 
4. Grabmal Papst Benedikts XII, in Notre-Dame-des-Doms in Avignon. Acta Sanctorum Май, 
Tom. V, 85. 
5. Das wiederhergestellte Grabmal Benedikts XII. (Grabgehäuse des Kardinals Jean de Cros mit der 
modernen Grabstatue des Papstes). Nach einer mir gütigst zur Verfügung gestellten Original- 
aufnahme von Herrn Professor Hamann in Marburg. . 
6. Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu. Acta Sanctorum Mali, Tom. V, 89. 
7. Grabmal Clemens VI. (1342—1352) in La Chaise-Dieu (heutiger Zustand). Aus Vitry und Brière, 
Documents de sculpture francaise du moyen áge. Paris 1904, P1. C, z. 
8. Grabstein Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon. Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 90. 
9. Grabmal Innocens VI. (heutiger Zustand). Nach einer Zeichnung von Perrot in Lettres sur Nismes 
et le midi, Nismes 1840, I. 332. | 
10. Grabmal Innocens VI. in Villeneuve-les-Avignon. Acta Sanctorum Май, Tom. V, go. 
zz. Grabmal Urbane V. (1362—1370) in St.-Victor in Marseille. Acta Sanctorum Mali, Tom. V, 93. 
їз. Kenotaph Urbane V., einst in Saint-Martial in Avignon. Überreste im Musée Calvet, nach einer 
Wiedergabe in der Gazette archéologique IX (1884), Pl. 15. 
13. Grabmal Clemens УП. in der Kirche der Cólestiner in Avignon. In Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 103. 
x4. Trümmerstück vom Grabmal Clemens VIL im Musée Calvet in Avignon. Aus Hallays, Avignon 
et le comtat Venaissin, 8. 183. | | 


(z) Die Abbildungen mußten zum Teil nach ungenügenden Vorlagen ausgeführt werden, da mir mein 
reiches, in Rom befindliches Material für diesen Aufsatz nicht sur Verfügung stand. 


171 


KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. 
NACHTRAG ZU NR.4: „DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES:“ 
000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000020::0006000:««.9.. VON HUBERT STIERLING 


u meinem Aufsatze im Maiheft des laufenden Jahrgangs, welcher die Genesis 

des Sebaldusgrabes behandelt, habe ich noch eine Kleinigkeit nachzutragen, 
Ich habe dort ausgeführt, daß Peter Vischer d. J., als das gotische Wachsmodell 
seines Vaters bereits fertig war, dieses im letzten Augenblick durch renaissance- 
mäßige Kleinarbeiten bereichert und in grundlegender Weise verändert hat. Man 
wird verstehen, daB dieser Plan, der wohl in ziemlicher Eile ersonnen und aus- 
geführt worden ist, nicht gleich fertig und absolut dem Hirn des jungen Künstlers 
entsprungen ist. Gewisse Schwankungen dürfen wir ohne weiteres voraussetzen, 
und eine derselben hat ihre. sichtbaren Spuren bis auf den heutigen Tag hinterlassen. 

In der Mitte der Abb.2 (vgl. auch Abb. 3 in der Mitte links) sieht man nämlich 

ein merkwürdiges Fragment, dessen Bedeutung mir bisher unklar war. Da es nun 
dasselbe Profil aufweist wie die beiden flach gewölbten Rundbogen rechts und 
links, auf denen die Putten sitzen, so ist es wohl klar, daB es sich um den Ansatz 
eines dritten Rundbogens handelt, der sich einst entsprechend nach vorwürts wilbte. 
Unklar ist es nur, wie weit er hier ging und ob er die Vorderkante des Grabes 
erreichte, indem er hier vielleicht von einem kurzen Sdulenschafte aufgenommen 
wurde. Jedenfalls schließt dieser Bogen die gleichzeitige Existenz des heutigen 
Liwen aus, da er auf der aufgewülbten Vorderkante mit diesem kollidiert haben 
würde. Peter Vischer d. J., welcher allein in Frage kommt, muß den Bogen doch 
schlieBlich als unbequem empfunden haben. Er entschloB sich darum, ihn kurzer- 
hand an der Wurzel zu kappen, wie er e$ ähnlich mit den darunter liegenden 
gotischen Säulen seines Vaters gemacht hatte. Charakteristisch bleibt dabei wieder 
die Sorglosigkeit, die sich nicht an diesem doch recht betrüchtlichen Blocke stieB, 
der mit leichter Mühe im Wachsmodell ausgetilgt werden konnte. 
. Betrachtet man die große Aufnahme des Sebaldusgrabes in Mayers Genreplastik, 
dann hat es den Anschein, als ob mit Hilfe dieses projektierten Bogenschlages 
auch die Zwischenballuster eine Verbindung zur äußersten Vorderkante des Grabes 
haben sollten,. entsprechend den Renaissancevorlagen der Hauptpfeiler. Die heutige 
Lösung aber, welche die Balluster zurücktreten läßt, entspricht ohne Frage dem 
Bilde bewegter Gliederung besser. | 

Wie ich schon angedeutet habe, sind die Löwen, welche sich vor den Ballustern 
lagern und die gotische Bodenwelle überschneiden, erst möglich geworden, nach- 
dem die Idee des Bogenschlages gefallen war. Man ist darum von vornherein 
geneigt, auch sie als Werke des jungen Vischer anzusehen, und dem entspricht 
ihre völlig unverschnittene Technik durchaus. 

Ich vermag aus dem Gedächtnis nicht zu sagen, wie oft sich dieses Bogen- 
fragment wiederholt; für zwei- bis dreimal möchte ich aber einstehen. Das deutet 
also darauf hin, daß der junge Vischer seinen eigenen Gedanken schon während 
der Arbeit wieder hat fallen lassen, denn sonst würde das Fragment sich regel- 
mäßig an allen Ballustern wiederholen, soweit der Platz vor ihnen nicht durch 
die vier Figuren der Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigkeit und Klugheit (Mayer, 
Genreplastik, Tafel 18—21) in Anspruch genommen ist. 


DER ZUSTAND UNSERER E 
FACHMANNISCHEN BEURTEILUNG" 


. D - : š 
9009090909000009000000009000000900900000000009900000000990090000000000000000000000000000000000000000000000000000000000009000000000000000 


ofrat Professor Strzygowski erhob gegen mich unter dem obigen Titel (Monats- 
hefte für Kunstwissenschaft 1918, Aprilheft, Seite ror — 105) eine Art Anklage 
wegen der Kritik, die ich über sein Buch: „Die Bildende Kunst des Ostens“ in 
den Mitteilungen der Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst, Beilage der ,,Graphi- 
schen Künste“ (Jahrgang 1917, Seite 36—37) veröffentlicht habe. — Er richtet 
zugleich seine Beschuldigungen gegen Hofrat Professor Julius v. Schlosser, Hofrat 
Josef R. v. Karabacek, Dr. Arpad Weixigärtner und überhaupt gegen die Wiener 
Wickhoff-Schule. "TN | 

Über den Wert und die Berechtigung eines derart ausgebreiteten Angriffes mag 
wohl ein jeder denken was er will. Was mich betrifft, habe ich nie zu der mit 
Recht hochangesehenen Wickhoff-Schule gehürt und auch jetzt — wie immer — 
auf eigene Faust gehandelt. | 

Es hat für mich keine Eile, auf die gegen meine Art und Weise und wohl auch 
gegen meine Person gerichteten Auslassungen Strzygowskis einzugeben, denn er 
läßt sich auf eine wissenschaftliche Polemik nicht ein. Dieser Aufgabe hat sich 
aber sein Schiiler, Artur Wachsberger, unterzogen. Seine Erwiderung wird von 
Strzygowski gleichfalls mitgeteilt. Gegen den Inhalt dieser Replik kann ich nicht 
umhin, folgendes anzuführen: 

. t. Es wurde bisher deshalb nicht ausdrücklich festgestellt, daß die mittelalter- 
liche Kunst Chinesisch-Turkestans ein Export der chinesischen T’angkultur war, 
weil das eine Selbstverständlichkeit ist. Le Coq und Grünwedel behaupten durch- 
aus nicht das Gegenteil, sondern nur — mit vollem Recht — daß sowohl die 
figuralen als auch die dekorativen Motive dieser Kunst letzten Endes zum großen 
Teil von der Antike herstammen. 

2. Sehr richtig bemerkt Wachsberger, daß „unserem heutigen Wissen nach das 
Prinzip der ursprünglichen chinesischen Ornamentik sich eher als isolierendes, 
denn als verbindendes erweist, daß Ornamentformen, denen in der ganzen Welt- 
kunst, vornehmlich in der griechischen, der innere Drang nach rhythmisch-konti- 
nuierlichem Fortlauf geradezu motorisch innewohnt, wie dem Mäander und dem 
Rankenglied, daß diese Formen mit Vorliebe starr in sich zurtickkehren und un- 
gebunden gereiht werden, wie Wickhoff das schon für den chinesischen Mäander 
beobachtet hat.“ Auch ich behauptete nicht, daß die Ranke ein grundlegendes 
Element der urchinesischen dekorativen Kunst sei. Ich sagte nur, daß wir „so- 
wohl die in Rede stehende Ranke als auch das Lambrequinmotiv auf chine- 
sische Vorbilder zurückführen müssen, da beide ‚die grundlegenden Elemente‘ 
der dekorativen Kunst sind, die uns in den Ornamenten der urchinesischen Bronzen 
erhalten geblieben ist.“ Die Urform der chinesischen Ranke ist meiner Meinung 
nach z.B. in den Kranzmotiven zu erkennen, welche die auf den Chüch genannten 
Bronzegefäßen angebrachten Knöpfe zieren. Man wolle nur im Po-ku-t'u-lu, Bd. 14 
oder 15 nachsehen! — Das Zattelmotiv kommt auf BronzegefüBen verschiedener 
Form unzähligemal vor. Man sehe nur die von Chavannes (Mission archéologique 
dans la Chine septentrionale, Pl. CCCXXII, Nr. 524) publizierte Vase und die Ana- 
logien bzw. verschiedenen Variationen ihres Schmuckes im Po-ku-t'u-lu, Hsi-tsing- 
ku-kien usw. | 


e 


133 


3. Ich habe selbstverstindlich nicht behauptet, daB ,in den Ideogrammen der 
chinesischen Schrift der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen ist.“ 
Die betreffende Stelle lautet bei mir: ,Und er (Strzygowski) ist geneigt, diesen 
arischen Geist auch in der chinesischen Landschaftsmalerei zu entdecken ... So 
einfach läßt sich aber auch dieses Problem. . . nicht abtun. Es wird in der 
ültesten hieroglyphischen Schrift der Chinesen eine ganze Reihe von Begriffen all- 
gemeinen Inhalts symbolisch durch Pflanzenformen bzw. landschaftliche Andeu- 
tungen ausgedrückt, Begriffen, bei denen Ahnliches anzuwenden uns kaum ein- 
fallen würde. Man sehe daraufhin die Ideogramme bei Chalfant — Early Chinese 
Writing — für die Begriffe — schwer (difficult — chun, 102), Ruhm (hua, 106), 
herauskommen (to issue — ch'u, 107), Ursprung (source of — chih, 108), her- 
vorbringen, gebüren (shéng, 109), stehen bleiben (chih, 110), gerade, genau 
(chéng, 111), luxuriös (féng, 112), roh (mang 115), Ost (tung, 121), hüngend 
(ch'ui, 272), zerstörter Wuchs (wi, 379), nicht (pu, 380), zurückweisen, nein 
(fou, 381), noch picht (wei 387) ohne (mo, 388), keiner (wu, 389). In dieser 
Ideologie bzw. in den urzeitlichen Beobachtungen, die dazu geführt haben, ist der 
Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen und nicht in irgendwelchem 
westlichen Import ...“ Ich fühle mich freilich nach wie vor nicht veranlaBt, mich 
dieser meiner ,Entdeckungen humoristisch-umstiirzlerischer Art“ zu schimen. Im 
Gegenteil: ich habe auch weitere Beobachtungen gemacht, die meine in den obigen 
Zeilen angedeutete Ansicht rechtfertigen. Hoffentlich werde ich bald in der Lage 
sein, sie zu ergänzen und zusammenfassend darzulegen. | 

Im übrigen verweise ich einstweilen auf meine Besprechung des Strzygowski- 
schen Werkes „Altai-Iran“ in der Zeitschrift „Türän“, 1918, Heft 1/2, Seite 97— 107. 

| 2. v. Takács. 


ERWIDERUNG 


u dem vorstehenden Versuch einer Rechtfertigung ist zu bemerken: Es war die 

4 Absicht, das zu erwartende Hin- und Herreden nutzbringend für das Fach und 
nicht auf Rechthaberei hinauslaufen zu lassen, als der allgemein gehaltene Titel: 
„Der Zustand unserer fachmännischen Beurteilung“, gewählt wurde. S. ror f. hat 
sich nur mit dem Vorgehen der Wiener Kollegen. beschiftigt, jetzt, da Dr. Wachs- 
berger unerreichbar im Orient weilt, muß ich wohl für ihn auf die vorstehend ab- 
gedruckten Ausfldchte antworten, so zwecklos mir das auch, soweit der Gegner іп 
Betracht kommt, erscheint Um wenigstens den Fachgenossen einen Gewinn zu 
sichern, sei gesagt, daB der in den Jahren vor dem Kriege zwischen West- und 
Ostasien in Chinesisch-Turkestan gefundene, unerhürt reiche Schatz bildender Kunst 
gestattet, die bisher in zwei Welten auseinanderfallende Kunst Eurasiens in ört- 
lichem Zusammenhange zu sehen. Damit konnte der für die Entwicklung unseres 
Faches entscheidende Schritt zur vergleichenden Kunstforschung mit dem Ziel einer 
Entwicklungsgeschichte unternommen werden, wie ich das in meinen beiden Werken; 
„Die bildende Kunst des Ostens“ und „Altai-Iran und Völkerwanderung“ versucht 
habe. Wenn nun oben in Punkt ı neuerdings behauptet wird, die mittelalterliche 
Kunst Chinesisch-Turkestans sei ein Export der chinesischen Tangkultur, aller- 
dings mit der drolligen Rückversicherung, „die selbst letzten Endes zum großen 
Teil von der Antike herstammt“ (wobei auch noch Le Coq und Grünwedel als 
kunsthistorische Sachverständige, überdies fälchlich, zitiert werden’), so wird der 


(1) Vgl. Grünwedel, Zeitschrift für Ethnologie 41 (1909), S. 891 f. 
274 


klare Tatbestand ohne jeden Einblick in die Denkmiiler und ihre Wesensart auf 
den Kopf gestellt. Die Kunst Chinesisch-Turkestans hüngt ebenso mit Indien und 
dem Westen unmittelbar wie mit China zusammen. In der Tangzeit (618—906) 
hat sie qualitativ ibren Hóhepunkt überschritten. 

In dhnlicher Weise stellt Punkt 2 China als den allein gebenden Teil der bei den 
nordasiatischen Nomaden verbreiteten Motive von geometrischer Ranke und Zattel- 
motiv hin. Was nebenbei als „Meinung“ geäußert wird, steht schon in meinem 
»Altai-Iran“, nur werden die Motive dort nicht als chinesisch hingestellt, sondern 
auf die Bronze- und Zeltarbeit der Wanderhirten zurückgeführt. Der, einfache 
Schlüssel ,,Alles ist chinesisch“ bedeutet nur eine neue эрен дез alten ,Alle 
Wege führen nach Rom“. | 

Die unbedenklich auf Einfálle gestellte Arbeitsart des Gegners kommt vielleicht 
am deutlichsten heraus in Punkt 3. Er fand bei Chalfant eine Ableitung der chine- . 
sischen Schrift, die auf eine scharfe Naturbeobachtung schließen läßt; sofort sah 
er darin den Quell der hochentwickelten chinesischen Landschaftsmalerei. In der 
Tat bietet die chinesische Schrift (vgl. zuletzt Schindler, Ostasiatische Zeitschrift III 
1914/15, S. 451 f.) wertvolle Belege für die Erforschung der ältesten chinesischen 
Kunst, so vielleicht auch für die Begabung zu landschaftlicher Beobachtung. Aber 
eine solche ist auch in den Hieroglyphen da, ohne daB die geistige Entwicklung 
der Agypter ein so unbefangenes Anschauen, wie es bei den Chinesen in der 
Blütezeit ihrer Kunst zu finden ist, zugelassen hätte. Es kommt auf die geschicht, 
liche Gestaltung der Verhältnisse und nicht auf die Begabung der Chinesen an, 
insbesondere inwieweit die Macht der Kunst Freiheit der Entfaltung lie&. Ob 
Wachsberger daher die Schrift selbst oder ihre Voraussetzung nannte, läuft auf 
das gleiche hinaus. 

Was die „Besprechung“ meines „Altai-Iran“ in der Zeitschrift „Turan“ anbelangt, 
so ist sie von genau der gleichen Art, die Wachsberger oben, S. 103 f., zur Genlige 
gekennzeichnet hat, 

J. Strzygowski. 


y 
A AAA A AA AAA AAA A A EE Ee 
DEENEN RER 


175 


REZENSIONEN 


BERTHOLD DAUN, Veit Stoß und 
seine Schule. Zweite, völlig umgestal- 
tete und erweiterte Auflage. Leipzig 1916. 
K. W. Hiersemann. 8% 248 S. m. 108 Abb. 


Daune Stoßstudien, die sum erstenmal 1903 er- 
schienen und durch ihr Eingehen auf die Arbei- 
ten des Meisters und seiner Werkstattgenossen 
auSerhalb Nirnberge und Krakaus, die Benutzung 
der polnischen Literatur und neue Abbildungen 
vorteilhaft aufflelen, liegen jetzt — nach 13 Jahren — 
in zweiter, wesentlich erweiterter und umgearbei- 
teter Auflage vor. Inzwischen hatte Ptasnik im Kra- 
kauer Jahrbuch die auf Stoß’ dortigen Aufenthalt 
besüglichen Urkunden, Franz Kopera die Krakauer 
Arbeiten des Meisters in vortrefflichen Lichtdrucken 
publiziert, vor allem aber war 1912 in Leipzig bei 
Zeitier ein umfassendes Werk über Veit Stoß, die 
Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben 
erschienen, das auf lange Zeit die Stoßforschung 
absuschlie&en schien und das gesamte Quellen- 
material zu ungekürstem Abdruck brachte. Maz 
Lossnitzer, der sich mit dieser reifen und me- 
thodisch mustergültigen Monographie in vorteil- 
haftester Weise in die Wissenschaft einführte, 
flel als eines der ersten Opfer des Weltkrieges im 
jugendlichen Alter von 26 Jahren am 9. Septem- 
ber 1914 bei Chálons, aufrichtig betrauert von allen 
Fachgenossen, die ihn und seine zu so schónen 
Hoffnungen berechtigende Erstlingsarbeit kennen 
gelernt. Es berührt wenig sympathisch, wenn 
Daun im einleitenden Kapitel seines Buches 
für diese Arbeit, an der er schlechterdings 
nicht vorübergehen kann, nur Worte lauer An- 
erkennung findet und mit nicht mißzuverstehender 
Absicht in unmittelbarem Anschluß daran es als 
Hauptaufgabe seiner Neubearbeitung bezeichnet, 
das ,Stofmaterial von haltlosen Hypothesen zu 
reinigen“. Jeder unbefangene Vergleich lehrt viel- 
mehr, daß die Umgestaltung und Erweiterung von 
Dauns Buch in erster Linie auf Lossnitsers Arbeit 
im guten, auf Dauns eigene im weniger guten 
Sinne zurückzuführen ist. Losenitzer war es, der 
zuerst eine Ableitung von Stoß’ Stil aus der frán- 
kischen und Passauer Skulptur — auch aus den 
Werken des Hans Brandt, Nicolaus Gerhart van 
Leyen und Simon Laimberger — mit Glück ver- 
suchte, der seine Sonderart mit scharfem Blick 
und Ausdruck kennzeichnete, der mit erstaun- 
licher Griindlichkeit allen Spuren nachging, die 
in Urkunden oder Denkmälern weitesten Um- 


176 


kreises sich boten, kurz, ein selbständiges, abge- 
rundetes und lebensvolles Bild des Meisters hin- 
stellte, wo Daun mit unsicheren Strichen an einer 
Charakteristik herumgebosselt und sich allzusehr 
an die ältere, zum Teil völlig unkritische Literatur 
geklammert hatte, um sie dann hämisch zu glos- 
sieren. Die neue Auflage von Dauns Buch, dessen 
Inhalt inzwischen in einer Knackfußmonographie 
1906 noch einmal dem größeren Publikum in ge- 
drängter Form vorgesetzt wurde, zeigt leider die 
Schwächen seiner früheren Arbeitsweise, den 
Mangel an Festigkeit des Urteile und des Aus- 
druckes in wenig empfehlender Wiederkehr. 
Begreiflicherweise sind die 248 Seiten des vom 
Verleger vornehm ausgestatteten Bandes vor- 
wiegend mit Auseinandersetzungen gefüllt, die 


 Lossnitsers und anderer jüngerer StoBforscher An- 


sichten und Zuschreibungen teils anfechten, teils 
ihnen mit sauersüßer Miene Gerechtigkeit wieder- 
fahren lassen. 

In einem solchen Streit der Meinungen von Fall 
su Fall Stellung nehmen, bieñe, ein weiteres dickes 
Buch über StoB schreiben wollen, wozu ich weder 
Neigung noch Beruf fühle, und hier nicht der Platz 
ist. Es wird meines Erachtens stets ein mehr oder 
weniger vergebliches Bemiihen bleiben, aus der 
großen Zahl von Arbeiten, die unter dem Namen 
des früh kapitalkräftigen, skrupellosen Großunter- 
nebmers Veit Stoß seine Werkstatt verließen, 
die eigenbindigen von Gesellenwerken mit voller 
Gewißheit zu scheiden. Dazu bedürfte es wenig- 
stens eines einzigen Stückes, bei dem die aus- 
schließliche Ausführung durch den Meister über 
jeden Zweifel erhaben ist. Die Meistermarke 
an sich bietet dazu keine genügende Handhabe, 
so wenig wie eine Urkunde, die Auftrag oder Be- 
zahlung an den Unternehmer richtet. Es wird sich 
vielmehr immer nur darum handeln können, aus 
der großen Masse, die den allgemeinen Stilbegriff 
„Stoßischer Kunst" verkörpert, die wertvollsten und 
von persönlichem Kunstwillen am stärksten er- 
fülten Stücke heraussuheben und als Werke des 
Meisters hinzustellen oder, wie Liebermann ein- 
mal es witzig ausdrückte: es ist Aufgabe der 
Kunstgeschichte, den Künstlern, wenn sie einmal 
tot sind, ihre schlechten Werke abzusprechen, 
Dazu gehört ein Blick für Qualitäten, den ich 
in Lossnitzers Darlegungen eher zu erkennen ver- 
mag, als in denen Dauns. Jedenfalls versteht 
jener die objektiven Beweismittel für seine An- 
Sicht klarer und überseugender su verdeutlichen, 


und Daun kann Lossnitzers angeblich „haltlose 


Hypothesen“, z. B. über die Mitwirkung von 
Gesellenhinden an dem grofen Krakauer Marien- 
altar nicht einfach durch Fragezeichen und un- 
begründete gegenteilige Geschmacksurteile (8. 28) 
aus der Welt schaffen, zumal bei einem Werk 
von dem Umfang und der Zeitdauer des Krakauer 
Altars ganz selbstverstindlich weitgehende Ge- 
sellenarbeit anzunehmen ist und die Namen von 
Gehilfen direkt in den Urkunden genannt werden. 
Hier bat Lossnitzer mit Recht eingesetzt, um 
Meisterwerk und Gesellenarbeit zu trennen. Ebenso 
móchte ich mit L. an die Mitwirkung von Jerg 
Huber an den Steingrabplatten in Gnesen und 
Wioclawek glauben, wobei nicht zu übersehen 
ist, da6 das schwer zu behandelnde Material — 
Salzburger oder ungarischer Rotmarmor — eine da- 
für besonders geschulte Hand voraussetzte!). 


Der Umstand, daß Stoß auch als Stecher tätig 
war, spricht ohnehin für die Wahrscheinlichkeit, 
daß or wie andere Meister der Zeit zeichnerische 
Visierungen, wie sie sich in Krakau und Budapest 
erhalten haben, seinen Werkstattgesellen zur Aus- 
führung überließ. Damit wird die stilkritische 
Sichtung in vielen Fällen noch schwieriger, ja 
nahezu aussichtslos. Wer freilich, wie Daun 
das heute verschollene Marientodrelief der Samm- 
lung Streit in Kissingen (S. 44) als eigenhindiges 
Frühwerk Stoß’s ansieht, dürfte meines Erachtens 
auch die bekannte Rosenkranztafel im Germani- 
schen Museum nicht in den Orkus der Schul- 
arbeiten (S. 127 ff.) verbannen. Lossnitzers Aufstel- 
lung eines eigenen Meisters für die letztere, an Dürer- 
sche und schwübische Vorbilder erinnernde Schnitze- 
rei vermügen die gewundenen Gegenargumente 
Dauns nicht zu erschüttern. Und so wird wohl 
Daun bei vielen Arbeiten, die er — wie z. B. die 
Glogauer Steinfiguren — für Stoß retten möchte 
schwerlich auf Zustimmung rechnen dürfen. Daß 
die Manier des Meisters durch seine zahlreichen 
Söhne, Gehilfen und Schüler sich schnell und weithin 
— besonders im Osten — verbreitete, zeigen z. B. 
in der Provinz Posen auf Schritt und Tritt Beispiele, 
die derselben Beachtung wert sind, wie sie Daun 
einigen willkürlich herausgegriffenen angedeihen 


(1) Hier sei eingeschaltet, daß der kujawische Bischof, den 
Daun hartnäckig Pietro Bnina nennt, Piotr Mossynski hieß 
und nur aus Bnin, einem Städtchen der heutigen Provinz 
Posen, stammte (geb. ca. 1430, 1481 - 83 Custos der Kathe- 
drale zu Gnesen, später Bischof von Przsemysi und ge- 
storben 1493 als Bischof von Wioclawek). Das Schloß 
„Vino, auf dem Sbignew Olesniecki den widerspenstigen 
Schnitzer Hans 1486 gefangen setste (S. 19), dürfte Uniejow 
(a. d. Warthe, im Gouvernement Kalisch gelegen), ein 
Lieblingssits der Gnesener Ersbischüfe im 15. Jahrhundert, 
sein. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jabrg. XI, 1918, Heft 6 


läßt. Dazu sei bemerkt, daß über den Altar der 
katholischen Pfarrkirche su Koschmin Dr. Horn im 
Repertorium 1915, über die schlesiscben Schnitz- 
werke der Stoßschule Prof. Patzak in der Zeitschrift 
für christliche Kunst 1916 Studien veröffentlicht 
haben, die Daun, der sonst die Literatur sehr ge- 
wissenhaft verfolgt, entgangen sind. — 


Dankbar zu begrüßen ist es, daß es dem Ver- 
fasser gelang, in Meister Paul“ und dem iltesten 
Sohn des Veit Stoß, Stanislaus, zwei Individuali- 
täten der Stoßschule schärfer zu umreißen, als es 
bisher geschehen, Hier stimme ich ihm auch 
hinsichtlich des Torrigiani-Engels in der Jakobs- 
kirche zu Nürnberg zu, den er mit Dehio für 
Stanislaus Stoß reklamiert, während ihn Loss- 
nitzer als Arbeit des Vaters bezeichnete. Das 
weitentwickelte, breite Schönheitsideal, die gelöste 
Bewegung und auch die Einzelformen passen 
besser zu der Vorstellung, die wir uns von der 
Kunst des talentvollsten unter Veits Söhnen bilden, 
der aber unmöglich zugleich für die ganz anders 
geartete Münnerstädter Kreuzigungsgruppe (8. 96) 
verantwortlich gemacht werden kann. 


Auch für die Ausführungen über die Schnitz- 
arbeiten der Wolgemutwerkstatt (S. 214 ff.) dürfen 
wir Daun danken, wenngleich eine straffere Ökono- 
mie seiner Arbeit deren Weglassen gefordert hätte. 
Daß er die Frage der Vischerschen Grabplatten mit 
in seine Auseinandersetzungen hineinzieht (S. 52 ff.), 
belastet diese nach meinem Dafürhalten unnötig 
und trägt nur zur Verunklärung des ohnehin so 
schwer zu gewinnenden Bildes von StoBischer 
Eigenart bei. Hier sind vielleicht neue Aufschlüsse 


von Dr. Dettloff, der sich mit einer gründlichen 


Dissertation über den Entwurf Peter Vischers zum 
Sebaldusgrab von 1488 (Posen 1915) vorteilbaft 
eingeführt hat, demnächst zu erwarten. 


All diese Exkurse, die die Aufmerksamkeit des 
Lesers von dem wesentlichen Inhalt des Buches 
ablenken und. die Geschlossenheit der Darstellung 
stören, sind nicht nur Schönheitsfehler, sie lassen 
vielmehr erkennen, daß es dem Verfasser noch 
nicht gelungen ist, den gewiß schwer zu bän- 
digenden Stoff so zu durchdringen und zu formen, 
wie es für eine abschließende Arbeit unerläßlich 
wäre. Bei aller Anerkennung des bewiesenen 
Sammeleifers muß das Fehlen scharf sichtender 
Kritik bedauert werden. Sie allein kann aus Zwei- 
feln zur Wahrheit führen und läßt sich wohl mit 
Vorsicht verbinden. Nur daß Vorsicht allein es 
nicht tut, zumal diese Mutter der Weisheit oft keinen 
Grund hat, auf ihre eigenen Ahnen stolz zu sein. 


Kaemmerer, 


12 177 


EMILE BERNARD, Erinnerungen an 
Paul Cézanne. Benno Schwabe & Co. 
Basel 1917. 

Die Erinnerungen entstanden 1904, gelegentlich 
eines Besuchs Bernards bei dem alternden Cézanne, 
der sich in fast krankbafter Menschenscheu die 
letzten siebenundzwanzig Jahre seines Lebens von 
den Menschen fern hielt. Weil er in jungen Jahren 
einmal für den Meister literarisch eingetreten war, 
gelang es B., das Vertrauen und die Zuneigung 
des einsamen Sonderlings zu gewinnen. So sind 
denn seine Aufzeichnungen zusammen mit dem 
Briefwechsel, der sich an diesen und einen zweiten 
Besuch anschloß, interessante Dokumente für das 
Leben des für die moderne Kunst so wichtig ge- 
wordenen Mannes. Wir erfahren manches über 
seine eingezogene Lebensweise und den Kampf, 
den der Alternde mit dem Kérperlichen zu be- 
stehen hatte, über die Zusammensetzung seiner 
Palette und seine Arbeitsweise, die mit denSchatten- 
partien anfing, zuerst leichte, fast neutrale Tóne 
anschlug, um dann in beständiger Steigerung der 
Skala mit stürkerem Konzentrieren der Halbtóne 
fortzufabren. Das eigenartig kleinstüdtische Be- 
denken, das Cézanne gegen die Verwendung des 
weiblichen Modells hegte, mag befremden, aber 
gelegentliche Schwerfälligkeiten seiner Formgebung 
weiblicher Akte werden dadurch erklärt. Cézannes 
Beziehungen zu Zola werden leicht gestreift, wir 
hören von den Malern und Dichtern, die er liebte 
von seiner Bewunderung der Venetianer und der 
ablehnenderen Haltung gegen die Primitiven. Be- 
sonders auffallend ist Cézannes ungünstiges Ur- 
teil über Gauguin, „der nur chinesische Bildchen 
gemacht“. Die besonderen Züge seiner Perspektive 
und Optik erklärte Cézanne mit der Mangelhaftigkeit 
seiner Augen. Gerne hätte man von Bernard noch 
etwas Ausführlicheres über Cézannes Stellung zum 
Räumlichen gehört, als die wenigen, eingestreuten 
Bemerkungen, die kein klares Bild hierüber er- 
geben. Ein bisher unpubliziertes Porträt Cézannes 
von Bernards Hand ist der durch Hans Graber be- 
sorgten Übertragung beigegeben, deren Wert noch 
dadurch gesteigert ist, daß die französische Auf- 
lage, eine teure und in der Anzahl beschränkte Biblio- 
philenausgabe, heute vergriffen ist, Hans Kahns. 


REMBRANDT, Handzeichnungen, 
herausgegeben von Carl Neumann, mit 
vierundneunzig Abbildungen. R. Piper 
& Co. Verlag. München 1918. 


Rembrandt als Zeichner dem kunstliebenden 
Laien nüherzubringen und dem Wissenschaftler, 
der nicht in der Lage ist, sich die Ausgabe von 
Lippmann und Hofstede de Groot für seine Prívat- 
bibliothek anzuschaffen, die Móglichkeit zu bieten, 
Abbildungen stets bei der Hand zu haben, ist 
gewiß ein großes Verdienst. Die Auswahl unter 
der überreichen Fülle ist besonders glücklich. 
Gegenüberstellungen wie die beiden Fassungen 
des Abendmahls in Dresden und Berlin, der An- 
kunft des barmherzigen Samariters in London und 
Amsterdam oder der in Behandlung des Hinter- 
grundes verwandten Beschneidung Christi in 
München und der Szene aus dem batavischen 


‚Unabhängigkeitskampf (ebenda) sind sehr auf- 


schlußreich. 


Der Vergleich mit den vor zwölf Jahren von 
Graul (Fünfzig Zeichnungen von Rembrandt, aus- 
gewählt und eingeleitet von Richard Graul, Leipzig 
1906) herausgegebenen Rembrandtzeichnungen 
drängt sich auf. In kaum zehn Fällen sind die 


gleichen Blätter reproduziert, die von Neumann 


getroffene Auswahl ist sehr viel charakteristischer 
und die Abbildungen besser. 


Neumann gliedert Rembrandts Zeichnungen in 
drei Stilperioden und umschreibt seine im Laufe 
der Jahre wechselnde Art zu zeichnen in fein- 
sinniger Weise. Nicht immer gehen Maler und 
Zeichner die gleichen Wege, der junge Rembrandt 
ist gelegentlich als Zeichner dem Maler überlegen. 
Bei den Abbildungen unterscheidet Neumann zwi- 
schen Einzelstudien, die meist nach der Natur ge- 
zeichnet sind, und Kompositionen. Innerhalb dieser 
Reiben, die in Unterabteilungen zerfallen, beob- 
achtet er die zeitliche Abfolge. Eine dritte, „Zur 
Kritik“ benannte Abteilung umfaßt das Original 
des unartigen Kindes in Berlin, die Kopie des 
gleichen Blattes in Budapest und vier Zeichnungen 
mit späteren Korrekturen. 


Rosa Schapire. 


178 


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DER CICERONE. 


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HEDWIG KUSEL: Antikes Kunstgewerbe im 
Hamburger Museum für Kunst u. Gewerbe. (18 Abb.) 


HANS WAHLIN: Ein neuentdecktes Lutherbild. 
(1 Abb.) 


CONRAD STRAUSS: Die Kari Heinrichsche 
Fayencefabrik zu Frankfurt a/O. 


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KUNST UND KÛNSTLER. 

XVI, 8. 

MAX J. FRIEDLAENDER: EE EN Kunst- 
historie und Ästhetik, 


KARL SCHEFFLER: Eiternbildnisse. (8 Abb.) 


GRETE RING: Das Kunstwerk im Museum und 


an seinem geschichtlichen Standort. 


WERNER WEISBACH; Mathias Grünewald I. 
(9 Abb.) 


ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST. 


XXIX, 8. 

MAX LEHRS: Alfred Lichtwarke Briefe. (r Abb.) 
KARL SIMON: Aus Peter von Cornelius’ Frank- 
furter Tagen. (8 Abb.) 

P. SCHUMANN: Arbeit — Wohlstand — Schön- 
heit, Ein neues Monumentalgemälde Max Klingers. 
(z Tafel, x Abb.) 


ZEITSCHR.FÜRCHRISTLICHE KUNST. 


XXX, 11/12. 

ADOLF DYROFF: Über die Bedeutung des Stup- 
pacher Marienbildes von M. Grünewald. (1 Taf) 
HEINRICH OIDTMANN: Alte Glasmalereien eines 
spitgotischen Portaloberlichtes in der ehemaligen 
Klosterkirche zu Niederwerth bei Coblenz a/Rh. 
(1 Abb.) 

J. A. ENDRES: Die Darstellung der Gregorius- 
messe im Mittelalter. (2 Abb.) 


DIE KUNST. 

XIX, 8. 

FRIEDRICH BACK: Carl Bantzer. (1 farb. Taf., 
13 Abb.) 

KURT REINHARDT: Die neue religióse Malerei. 
Q. J. WOLF: Altmünchner Bilder. (ro Abb.) 

J. BETH: Max Slevogts Fries für ein Musik- 
zimmer. (3 Abb.) 

J. BETH: Renée Sintenis. (9 Abb.) 

J. BETH: Auktionseilhouetten. 

HERMANN SCHMITZ: Das Haus Hirsch in 
Messingwerk bei Eberswalde von Architekt Paul 
Mebes-Berlin. (9 Taf., 16 Abb.) 

FRITZ HOEBER: Die Aufgabe der Baukunst in 
der Kultur unserer Zeit. 


BERLINER MUNZBLATTER. 

XXXIX, 197. 

Dr. A. KRENKEL: Kriegsgeld von Deutsch-Ost- 
afrika. (3 Abb.) 

EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als Kurbranden- 
burgische Münzstätte. (3 Abb.) 

Dr. PHIL, LEDERER: Selge. 

L. v. L.: Das deutsche Notgeld 1916—1918. 


MITTEILUNGEN DES VERBANDES 
DES DEUTSCHEN KUNST- UND ANTI- 
QUITATENHANDELS. 

I, 2. 

Zur Frage eines Ausfubrverbotes von Kunstwerken. 
M. Original, Replik und Kopie. 

GÜNTHER KOCH: Echtheitszweifel. 

OUDE KUNST. 

Ш, 7. 

HIDDE NIJLAND: Hindeloopen. (11 Abb.) 

N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (r: Abb.) 
J. W. ENSCHEDÉ: Al is ons Prinsje nog zo klein, 
8. KALFF: De Schilder Frans Post. (a Abb.) 
Kunstwerken in deNalatenschap van Hans Bouwers. 


XI. Jahrgang, Heft 6. 


Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, 


z.Zt. im 


Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, 
Berlin W. 15, Uhlandstraße 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK- 
HARDT & BIERMANN, Leipzig. 

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In ÓSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. | 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: 
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 

Geschiiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467. 


Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- 
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 18, Uhland- 
straße 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. i 


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Kunstgeschichte der romanischen Lander 


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Kurt Badt, Andrea Solario, sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur 
Kunstgeschichte der Lombardei. Mit 21 Tafeln in Lichtdruck M. 20.—. à 


I. Teil: Bericht über die Literatur. II. Teil: Die Persönlichkeit. Ш. Teil: Das Werk. 
IV. Teil: Die Kunst des Andrea Solario. ` ` e 


Lu ee аа аара ааа ааа ааа ааа ааа аана ара аараан 
Fritz Burger, Die Villen des Andrea Palladio. EinBeitrag zur 
Entwidklungsgeschichte der Renaissance-Architektur. Mit einem Titelbild u. 48 Tafeln. 
Geh. M. 12.—, geb. M. 14.—. | 
... Burgers Werk hat eines der sdiwerwiegendsten Probleme der Ardtitekturgeschichte endgültig der 
L sung nahe gebracht, und damit wird das Buch für jeden Kunsthistoriker, Architekten, selbst für 
Archäologen, die die Beziehungen der Antike zur Renaissance auf dem Gebiete der Baukunst inter- 
| essieren, unentbehrlich“, tu 


Konrad Escher, Barock und Klassizismus. Studien zur Geschichte 


der Architektur Roms. Mit 21 Tafeln. Geh. M. 12.—, geb. M. 14.—. 

„Der Verfasser will mit seiner Arbeit auch weiteren Kreisen das richtige Verständnis für die Würdigung 
der Monumente des römischen Barocks vermitteln, indem er auf den von Heinridı Wölfflin in seiner 
‚Klassischen Kunst‘ gewiesenen Wegen weitergeht. Er gibt für die von ihm behandelte Zeit die leiten- 
den Gesichtspunkte und Analysen der wichtigsten Monumente und legt dabei das Hauptgewicht auf den 
Unterschied der drei Perioden: der frühen, der reifen und der ausgehenden klassizistischen Zeit des Barock“. 


Fritz Goldschmidt, Pontormo, Rosso and Bronzino. Ein 
Versuch zur Geschichte der Raumdarstellung. Mit 11 Tafeln. Geh. M. 7.—. 


Hans Timoteus Kroeber, Die Einzelporträts des Sandro 
Boticelli. mit 12 Tafeln. Geh. M. 5.—, geb. M. 6.—. 


Hug. L. Mayer, Die Sevillaner Malerschule. Beiträge zu ihrer 


Geschichte. Mit 60 Tafeln. Geh. M. 20.—, geb. M. 22.50. š 

„Zur Klärung mancher verwickelten Fragen, als Anregung zu eingehender teg A) deutscher Kunst- 

historiker mit der spanischen Kunst ist Mayers Buch eine überaus wertvolle Ersa deer éi = Т 
nch. Neueste Nachr. 


Aug. L. Mayer, Geschichte der spanischen Malerei. 


2 Bünde mit 285 Abbildungen. Geh. M. 40.—, geb. M. 43.—. 
„Wo größere Arbeiten über einzelne Meister schon vorliegen, hat Mayer sich ziemlich kurz gefaßt, etwas 
breiter sind solche Künstler behandelt, die bisher namentlich in deutscher Sprache, nodi keine richtige 
Einschätzung erfahren haben. Nur so war es móglidi, in zwei Bänden wirklich eine Geschichte der 
spanischen Malerei, an Stelle einer Sammlung von nze anhand ungen über die ragencen Gipfel Zurbaran, 
Murillo, Velasquez usw. zu geben. Die Darstellung Mayers ist nicht so „brillant“, wie die einiger sehr 
beliebten Kunstgeschichten, aber was ihr an feuilletonistishem Glanz abgeht, wiegt sie reichlich durch 
dn ruhiges, abgeklürtes Urteil auf. Es kommt ihr stets auf die Sache und nicht auf gasireiche Pin- 
e an“. n. Zeitung. 


ENS DE ы ш с е к к MEME I Uy LT 
W. H. von der Mülbe, Die Darstellung des jüngsten 


Gerichts an den romanischen und gotishen Kirdienportalen Frankreidis. 


Mit 15 Tafeln. Geh. M. 4.80, geb. M. 6.—. ` : Ç 
Die Weltgerichtsbilder an französischen Kirchen sind nach zwei Seiten hin interessant: Einmal durdi 
die Art wie sie die Darstellung anderer Länder beeinflußt haben, dann aber auch an sich durch die 
logische Entwicklung des Themas, die zu elner feststehenden Darstellungsweise führte, zu einem un- 
zertrennlichen Glied der französischen Gotik überhaupt. Erst auf Grund dieser Dokumente französischer 
Kunstgeschichte wird auch das Weltgerichtsbild außerhalb Frankreichs verständlich. 


Julius Vogel, Bramante und Raffael. Ein Beitrag zur Geschichte der 


Renaissance in Rom. Mit 6 Tafeln. Geh. M. 5.—, geb. M. 6.50. 
Der Verfasser bietet in seinen Ausführungen einen Beitrag zu der wichtigen Frage der Erhaltung der 
römischen Baudenkmäler des klassischen Altertums im Zeitalter der Renaissance. Grundlage seiner 
Untersuchung bildet eine mehrfach schon besprochene Münchner Handschrift über den Zustand der rúmi- 
schen Ruinenwelt, die bisher meist Raffael zugeschrieben wurde, nach dem Verfasser aber von keinem 
anderen als dem großen Bramante, dem Baumeister von Sankt Peter, stammt. Der Verfasser sucht 
nachzuweisen, daß Raffaels Name überhaupt mit der Erhaltung der römischen Baudenkmäler nicht zu- 
sammenhängt, daß der Künstler überhaupt kein gesetzlich bestellter Kommissar gewesen ist. Im Mittel- 
punkt der ganzen Bestrebung, die die Miinchner Handschrift so bedeutungsvoll charakterisiert, steht 
vielmehr Bramante und sein Auftraggeber, der große Papst Julius II. 


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VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG 


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Grabmal Clemens V. in Uzeste 


Abb. I. 


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Grabmal Benedicts XII. in Avignon 
(Ursprünglicher Zustand) 


Abb. 4. 


Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON 


Grabstein Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon 


Abb. 8. 


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Tafel 40 


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Sogenanntes Grabmal Benedikts XII. in Avignon 


Nach einer Originalaufnahme von Professor Hamann-Marburg 


Abb. s. 


Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON 


M. f. K., XL, 6 


Tafel 41 


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Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu 


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Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu (Restauration) 


Abb. 7. 


Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER 


DER PAPSTE VON AVIGNON 


Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon (Restauration) 


Abb. g. 


M. f K., XI., 6 


Tafel 42 


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Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon 


Abb. 10. 


ERNST STEINMANN, DIE GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON 


Zu: 


M. f. K., XI., 6 


Tafel 43 


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Abb. rr. Grabmal Urbans V. in St.-Victor in Marseille 


Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON 


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ONATSHEF TE. 


Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjührlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 7 


ABHANDLUNGEN 

HERMANN EHRENBERG, Ant. Müller, 
Der Maler von Danzig. Ein Beitrag 
zur Kenntnis des Einflusses der ita- 
lienischen und der niederlündischen 
Kunst auf die deutsche Malerei der 
Spütrenaissance. Mit 3 Abbildungen 
auf 2 Tafeln 

VALERIAN VON LOGA, Spanische 
Maler des 15.Jahrhunderts in Neapel. 
Mit a Abbildungen auf 2 Tafeln . 191 

ROBERT WEST, Die Übergangsstile als 
Exponenten des Ideen- und Rassen- 
kampfes innerhalb der abendländischen 
Kulturwelt. (Schluß) 


MISZELLEN 


Gustav Sommerfeldt, Das Krodelbild Nr. 1958 
der Königl. Gemäldegalerie zu Dresden S. 202 


REZENSIONEN 


Wilhelm Thomsen, Une inscription de la 
trouvaille d'or de Nagy-Szent-Miklös (— Det 
Kgl. Danske Videnskabernes Selskab, Historisk- 


A.S.DREY 


Kóniglidi Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximilianplatz Nr.7 


Paris, 55 avenue des Champs Elysées. 


filologiske Meddelelser: I, 1) Kobenhavn, 1917, 
28 Seiten (Dr. Supka) . 


J. Vogel, Otto Greiners graphische Arbeiten in 
Lithographie, Stich und Radierung. Wissen- 
schaftl. Verzeichnis von Julius Vogel mit 40 
Tafeln in Lichtdruck. Dresden, E. Arnold. 4°. 
1917 (Singer) 

Hermann Cohen, Asthetik des reinen Gefühls. 
2 Bde. Berlin, Bruno Cassirer, 1912 (Bieber) 

S. 205 

Arpad Weixlgártner, August Pettenkofen. 
Herausgegeben vom k. k. Ministerium für Kultus 
und Unterricht. Zwei Teile. Wien 1918. Ger- 
lach u. Wiedling (Uhde-Bernays) . . . 8. 207 


Otto Glauning: Neveu und der Raub Nürn- 
berger Kunst- u. Bücherschätze im Jahre 1801. 
In den Mitteil. des Vereins für Geschichte der 
Stadt Nürnberg. XXII (1918), S. 174—243 
(Ernst Steinmann) ° 


Hans W. Singer, Handbuch für Kupferstich- 
sammlungen, Vorschlige zu deren Anlage u. 
Führung. Hiersemanns Handbücher, Bd. IX. 
Leipzig 1916 (H. Wolff) S. 209 

Wilhelm Waetzold, Deutsche Malerei seit 
1870. Mit 55 Abb. Verlag von Quelle & Meyer. 
Leipzig 1918 (Georg Biermann) . . S. 209 


Ausstellung 


kostbarer Antiquitáten + Ein- und 


Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Gemálde, Porzellane, Móbel und 
Antiquitáten jeder Art. 


AN TON MOLLER, DER MALER von DANZIG. 


EIN BEITRAG ZUR KENNTNIS DES EINFLUSSES DER ITA- 
LIENISCHEN UND DER NIEDERLANDISCHEN KUNST AUF 
DIE DEUTSCHE MALEREI DER SPATRENAISSANCE 

Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von HERMANN EHRENBERG 


m die Wende des 16. zym 17. Jahrhundert lebte in der damals reich auf- 
blühenden Hansastadt Danzig ein Maler, namens Anton Miller, der durch die 
Gediegenheit nnd Vielseitigkeit seiner Tätigkeit weit über zahlreiche Künstler in 
Deutschland hervorragte und schon längst eine eingehende Würdigung verdient 
hitte. Ich selbst habe mich jahrelang mit einem solchen Plane getragen, habe 
viel Stoff hierfür gesammelt und bin nur durch das Zusammentreffen verschiedener 
ungünstiger Umstünde an der vülligen Ausführung meiner Absicht behindert worden. 
Jetzt hat nun ein jüngerer Kunsthistoriker, Walter Gyssling, sich dieser Arbeit 
unterzogen (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 197, Straßburg i. Elsaß, 
Heitz und Mündel, 1917) und hat dies mit so viel Liebe und mit so eindringendem 
Verstündnis getan, daB ich mich meiner selbstgestellten Aufgabe tiberhoben er- 
achten würde!) wenn nicht eine nach meiner Meinung irrige Auffassung durch die 
ganze Arbeit hindurchginge, die für die Kenntnis und Beurteilung der allgemeinen 
künstlerischen Entwicklung Deutschlands in jener Zeit von einer nicht unerheb- 
lichen Bedeutung ist, und wenn ich nicht zugleich ein weiteres wichtiges Werk 
Möllers bekanntgeben könnte!). 

Gyssling hat sich durch die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts verleiten 
lassen, eine größere italienische Reise unseres Malers anzunehmen und in ihr den 
Kern und Angelpunkt für seine Würdigung zu erkennen. Ausdrücklich erblickt er 
in seinen Ausführungen über die „italienisch-renaissancistische Befruchtung“ der 


(1) Sein Verdienst ist um so anerkennenswerter, als er die Arbeit während des Heeresdienstes fertig 
gestellt hat. Man wird deshalb eher, als es sonst der Fall sein dürfte, geneigt sein, die zahlreichen, 
zum Teil geradezu entsetzlichen Fremdwörter mit Nachsicht aufzunehmen. Auch Jassen sich sach- 
liche Versehen und Druckfehler auf diese Weise am besten entschuldigen. Z. B. soll Georg Penz in 
Königsberg gestorben sein (Seite 16), während dieser Künstler bereits auf der Reise dorthin endete 
(vgl. Ehrenberg, Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen). Und Paolo Veronese war 1601 
nicht mehr am Leben (er starb 1588), als Möller sein Bild vom Zinsgroschen malte (S. 100). Ledig= 
lich eine Wiederholung früherer Irrtümer ist es, wenn er (8. 6) meint, йай die oberdeutsche Kunst 
relativ spät in Danzig eingedrungen sei. Ich beabsichtige, dies demnächst an anderer Stelle zu wider- 
legen, das Gegenteil ist richtig. 

(a) Leider iet es mir nicht geglückt, ein auch von Gyssling (S. 139f.) erwähntes Gemälde Möllers, 
welches im amtlichen Auftrag die Stadt Danzig schilderte und 1600 als Geschenk dem venesianischen 
Staatssekretär Marco Ottobuono übergeben wurde, in Italien zu ermitteln. Meine eingehenden Nach- 
forschungen nach dem Bilde sind erfolglos geblieben; die Hoffnung, daß es sich doch noch an irgend 
einer versteckten Stelle finden werde, ist indessen nicht aufzugeben. — Das ausgeseichnete Bild der 
Stadt Danzig vom Anfang des 17. Jahrhunderts (?), das sich im Danziger Stadtmuseum befindet, hat nicht 
das mindeste mit Müller zu tun. — Bei dieser Gelegenheit mëchte ich dem dringenden Wuneche 
Ausdruck geben, daß die beiden im Kassenzimmer des Rathauses vorhandenen, ganz verschmutsten 
und verdunkelten Gemälde Möllers endlich einmal sachgemäß gereinigt würden. Die Kosten bierfür 
sind gering, und eine Stadt, die mit Recht so stolz auf ihre Vergangenheit ist und stets bedeutende 
Summen für die Erhaltung ihrer eigenartigen Schönheit ausgegeben hat, wird gewiß gern auch diese 
wichtigen Denkmale ihrer Vergangenheit wieder an das Licht des Tages ziehen wollen. 


Monatahefte fir Kunstwiesenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft 7 13 181 


niederdeutschen Malerei einen Hauptzweck seines Buches. Anton Miller soll die 
nordostdeutsche Parallelerscheinung fiir siiddeutsche Kiinstler, wie Joseph Heintz 
und Rottenhammer sein. Man sieht, es handelt sich um einen Lehrsatz, der zwar 
nicht von welterschiitternder Bedeutung, aber immerhin wichtig genug ist, um 
gründlich erürtert zu werden. Gyssling hat viel Beweise herbeigebracht und sie 
geschickt gruppiert, der Fernstehende kann von ihnen geblendet werden, es wird 
deshalb nútig sein, sie eingehend zu widerlegen. Ich schicke den Lebenslauf des 
Malers mit kurzen Worten voraus. 

Anton Möller wurde etwa 1563 in Königsberg ais Sohn des herzoglich preuBi- 
schen Hofbarbiers und Hofwundarztes geboren. Über seine erste Jugend ist nichts 
näheres bekannt. Doch wuchs er am herzoglichen Hofe in guter künstlerischer 
Umgebung auf und wird durch die damals noch nachklingende Tätigkeit des kunst- 
begeisterten Herzogs Albrecht mächtig angeregt worden sein. Später siedelte er 
nach Danzig über, wo er nach Gs Meinung etwa 1586/7 weilte, um 1588 auf 
2—3 Jahre nach Italien zu reisen. Vor diese angebliche Fahrt füllt das groBe 
Altarbild, das er für die Steindammer Kirche in Königsberg schuf, sowie eine 
Kirmesschilderung, die er laut Inschrift 1587 in Marienberg in Westpreußen zeich- 
nete. Im Jahre 1590, also nach der angeblichen Reise, malte er eine Folge von 
Aposteln größten Formats. Es folgten kleinere Arbeiten, ferner vier Gemälde für 
das Kassenzimmer des Danziger Rathauses (1601), eine Holzschnittfolge mit Dan- 
ziger Frauentrachten (1601), sein berühmtestes Werk, das Jüngste Gericht im 
Artushof (1602/3), eine große Tafel mit den Werken der Barmherzigkeit in der 
Danziger Marienkirche (1607), eine Altarmalerei für die Danziger Katharinenkirche 
(1609) und das Epitaph für den Oberburggrafen Wolf von Wernsdorf und Gemahlin 
im Königsberger Dom. Im Januar 1611 ist Möller gestorben. 

Für die italienische Reise führt Gyssling zwei Zeugnisse an, die er urkundlich 
(dokumentarisch) nennt, die aber urkundlichen Charakter nicht besitzen. Das eine 
ist eine Nachricht aus dem Jahre 1741. Ein Danziger Sammler, Andreas Schott, 
hat damals in seinen Kollektaneen erwähnt, daß Möller von Danzig aus eine Reise 
nach Venedig unternommen habe. Woher Schott diese Nachricht hatte, wird nicht 
gesagt. Sie ist überhaupt nicht nachzuprüfen, da die Kollektaneen heute nicht 
mehr auffindbar sind. Und da: Sie volle 1½ Jahrhunderte nach dem fraglichen 
Ereignis niedergeschrieben ist, und da es damals gleichsam in der Luft lag, eine 
Reise nach derjenigen Stadt, die als ein Hauptsitz der Malerei und als schönstes 
Ziel fast jedes jungen Künstlers galt, für einen beachtenswerten Maler ohne weiteres 
anzunehmen, so kann der Schottschen Nachricht bis auf weiteres irgendeine Be- 
weiskraft nicht beigemessen werden. 

Die zweite Nachricht ist wertvoller, sie ist unter allen Umständen eine will- 
kommene Ermittlung Gysslings, wenn sie auch anders zu deuten ist, als er es tut. 
Lancellotti, der Prior des bei Siena belegenen, berühmten Klosters Mont’ Oliveto 
Maggiore sagt in einem 1636 in vierter Auflage in Venedig erschienenen Werke’): 
„Anton Moler erzählte vor noch nicht 50 Jahren, in der Stadt Danzig in Preußen 
mit eigenen Augen ein höchst sinnreiches Kunstwerk gesehen zu haben, vermöge 
dessen man .... Webstühle. . .. treiben konnte.“ Gyssling meint, daB an der 
Identität dieses Anton Moler mit unserm Anton Möller kaum ein Zweifel erlaubt 
sei und folgert hieraus, daß unser Künstler Mont’ Oliveto Maggiore, und sonach 


( Die von Gysaling angeführte italienische Literatur nachzuprüfen, dürfte nur in Italien selbst mög- 
lich sein, ist somit während des Krieges ausgeschlossen. 


182 


Mittel-Italien, besucht habe, 1586 (so Jahre vor 1636) aber noch in Danzig gewesen 
sei; die italienische Reise miisse demnach recht langdauernd gewesen sein. 

Eine bedenklichere Schlußfolgerung kann man kaum vornehmen. Erstens wider- 
spricht ihr das von Gyssling erwühnte in Kupfer gestochene Bildnis Lancellottis 
von 1629, wonach dieser damals 47 Jahre alt war. 1636, zur Zeit des Erscheinens 
seines Werkes, war er 54 Jahre alt. Er kann sich also nicht auf Erzáhlungen be- 
ziehen, die 50 Jahre zurücklagen und die in eine Zeit fielen, wo er ein kleines 
Kind war. Zweitens kann eine solche Zeitbestimmung für eine gelegentliche münd- 
liche Erzählung nicht, wie G. dies tut, wörtlich aufgefaBt werden. Das ist schon 
in Deutschland nicht angüngig, vollends aber nicht in Italien, wo man es noch 
heute, wie jeder Kenner des Landes weiß, mit Zahlen im Gespräch nicht allzu 
genau nimmt; Angaben, wie z. B. zwei Minuten oder roo Jahre entbehren jeden 
greifbaren Inhalts. Drittens kann dieser Anton Moler ein ganz anderer, und zwar 
der jüngere Anton Müller sein, der gleichfalls ein Maler war und dessen Ent- 
deckung durch Gyssling wirklich sehr dankenswert ist. Es ist gar nicht abzusehen, 
warum der Altere nach Mont’ Oliveto und Siena gegangen sein sollte. Diese Orte 
waren für den damaligen Italienfahrer durchaus nicht in Mode, ihr Ruhm und ihre 
Bedeutung lag hundert Jahre zurück, auch bilden sie bekanntlich keine Durchgangs- 
punkte auf der maßgeblichen Reiselinie Florenz — Rom. Der Jüngere ist aber, wie 
G. nachgewiesen hat, tatsüchlich in Mont' Oliveto Maggiore gewesen, er war katho- 
lisch und ist augenscheinlich ganz verwälscht. Daß er der Sohn des Älteren ge- 
wesen sei, ist durch nichts erwiesen. Er bezeichnet sich vielmehr ausdrücklich 
als „geringer Herkunft“, der Ältere aber war der Sohn des herzoglichen Hofwund- 
arztes und hielt sehr große Stücke auf sich und auf den Wert seiner Persönlich- 
keit, das lehrt uns allein schon sein Jüngstes Gericht im Artushof Auch gab es, 
wie G. (S. 28f.) selbst hervorhebt, sehr viele des Namens in Danzig, die durchaus 
nicht miteinander verwandt waren. Wenn nun der Jüngere jahrelang, und zwar 
gerade zur Zeit der Niederschrift des oben erwühnten Buches, in Mont' Oliveto 
gelebt und gemalt hat (seine Wandmalereien in der Vorhalle der Libreria des 
Klosters stammen aus dem Jahr 1631), so ist es ganz klar, daB Lancellotti an ihn 
und nicht an den älteren gedacht hat. Es ist nur nötig, in dem oben wörtlich 
wiedergegebenen Satze das satzteilende Komma nicht, wie G. es tut, hinter ,,50 Jahre“, 
sondern sprachgemäß hinter „erzählte“ zu setzen. Und sofort ist ein richtiger Sinn 
des Satzes gewonnen: der Jüngere hat dem Abt von seinen heimatlichen Jugend- 
erinnerungen erzählt. 

Ich meine also, daß die „urkundlichen“ Beweise G.'s in nichts zerfallen. Aber 
auch innere Gründe lassen sich für einen längeren italienischen Aufenthalt Möllers 
nicht erbringen. G. sagt Seite 25, daB Müller hüchstens drei Jahre in Italien ge- 
wesen sei; er scheint an 2—3 Jahre zu denken. Das ist eine sehr bedeutende 
Zeitspanne, die unmüglich spurlos an einem Menschen, vollends an einem Künstler 
vorübergehen kann. Nirgends aber finden wir eine solche Spur. Niemals wendet 
Möller die italienische Sprache an, wie das gerade Künstler gern tun und wie dies 
gleichzeitig auch in Danzig ein aus Itelien zurückgekehrter deutscher Baumeister 
Walter Clemens tat, der sich öfters Gualterio Clemente nannte. Niemals hören 
wir etwas von italienischen Angewohnheiten. Niemals aber, und das ist die 
Hauptsache, finden wir eine unmittelbare Einwirkung venezianischer oder allgemein 
italienischer Kunst auf die Werke unseres Malers. Das muß G. selber zugeben, 
und nur der Umstand, daB G. sich so unbedingt in den Glauben an die große ita- 
lienische Reise versenkt hat, läßt ihn den Widerspruch übersehen, der aus seinen 


183 


eigenen Darlegungen zu uns spricht. An den verschiedensten Stellen seines Buches 
hebt er bei der Einzelbesprechung der Werke Millers (Seite 4, 24, 33, 56,.67, 91, 
IIO, 135 usw.) den niederlindischen Charakter seiner Kunst hervor; von der ersten, 
nach der angeblichen Italienfahrt entstandenen Malerei, der groBen Apostelfolge 
von 1590 sagt er sogar (S. 88), daB sie ,eine unveründerte Einstrómung der roma- 
nistisch gerichteten niederländischen Kunstwollens" zeige, die italienische Kunst 
habe keinen ersichtlichen Wandel in seiner Kunst mit sich gebracht, während er 
umgekehrt bereits bei dem vor der angeblichen Reise entstandenen Steindammer 
Altar italienische Elemente erkennt (S. 87). 

Endlich aber ergeben sich auch zeitliche Schwierigkeiten gegen die Annahme 
eines zwei- bis dreijährigen italienischen Aufenthaltes. Er soll von 1588/90 gewährt 
haben. Die oben erwähnte Apostelfolge aber fällt in das Jahr 1590 und bedeutet 
mit ihren etwa lebensgroBen Gestalten eine so bedeutende Arbeit, daß sie nicht bloß 
in die allerletzten Wochen des Jahres gesetzt werden kann, sondern den größeren 
Teil desselben ausgefüllt haben muB. Für das Jahr 1588 aber kann ich eine 
Bilderfolge Móllers nachweisen, die Gyssling entgangen ist und die ebensoviel 
oder vielleicht noch mehr Zeit in Anspruch genommen hat, so daB der Zwischen- 
raum zwischen den beiden Zeitpunkten recht knapp wird und die Annahme einer 
zwei- bis dreijàhrigen Reise ohne weiteres begraben wird. 

Da diese von Gyssling übersehene Arbeit bisher noch nirgends gebiihrend be- 
sprochen ist (Simson, Der Artushof zu Danzig, Danzig 1900, S. 187 f), so mag sie 
hier mit einigen Worten beschrieben werden. 

Die Gemälde befinden sich im Artushof zu Danzig, unmittelbar unter Möllers 
Jüngstem Gericht. Es sind fünf Querbilder, jedes 40'/, cm hoch, 76 cm breit!). 
Am mittelsten befindet sich auf einer Säule die Jahreszahl 1588, auf einer andern 
das wohlbekannte Monogramm Anton Möllers, zwar stark nachgedunkelt, aber bei 
hellem Wetter und scharfer Beobachtung klar erkennbar; an seiner Urheberschaft 
ist nicht zu zweifeln. Inhaltlich handelt es sich um sog. Gerechtigkeitsbilder. Von 
den Schöffen 1588 bestellt, sollten sie an dieser Stelle, wo das Recht gepflegt wurde, 
die Richter daran mahnen, stets in unparteiischer Strenge ihres Amtes zu walten. 
Von rechts nach links (von Süden nach Norden) stellen sie dar: r. die Gesetz- 
gebung Mosis (Simson sagt a. a. O.: die Sintflut); 2. die Huldigung der Tugenden 
vor der Gerechtigkeit; 3. die Darstellung des gerechten, 4. die des ungerechten 
Richters und 5. das Jüngste Gericht. 

I. Das jüdische Volk ist auf die Erde niedergefallen in entsetzensvollen Gebürden 
vor den im Feuer erscheinenden Gesetzestafeln, die auf dem Berge sichtbar werden. 
Links im Hintergrund ein Zeltlager. 

a. In freier Landschaft scharen sich sechs, zum Teil nackte oder halbbekleidete 
Figuren (u. a. die Unschuld, Mäßigkeit, Wahrheit, Klugheit, Tapferkeit), um die in 
der Mitte erhöht sitzende Gerechtigkeit. Zum Zeichen ihrer engen Zusammen- 
gehörigkeit sind sie durch eine Kette miteinander verbunden (ein Motiv, das Möller 
in seinem Jüngsten Gericht wieder aufgenommen hat). Im Hintergrunde rechts ist 
die Stadt Danzig sichtbar (nicht bloß die Türme, wie Simson sagt). (Abb. r.) 

3. In einer Halle, die mit prächtigen Säulen ausgestattet und von einem ge- 
wölbten Umgang umgeben ist, sitzt der vollbürtige, ehrwürdige judex terrarum; zu 
seiner Seite zwei Fráuen, von denen die eine als Themis deutlich gekennzeichnet 


(1) Zwischen ihnen sind zur Erinnerung an die Stifter Wappen (etwa im Stil des Jost Ammann oder 
des Virgil Solis) angebracht, jedes 33'|, cm hoch und 35 cm breit, 


184 


ist. Rechts und links je sechs bejahrte Männer in langen, abwechselpd roten oder 
weiBen Kleidern mit weiBem Kragen; sie haben keine Hinde zum Zeichen ihrer 
Unbestechlichkeit. AuBerdem vier Männer mit Büchern, zum Teil mit spanischer 
Krause. 

4. In tonnengewölbter, düsterer Halle thront links der ungerechte Richter, inner- 
lich erregt, mit hohen, langen Eselsohren. Unwissenheit und Argwohn suchen ihn 
zu beeinflussen. Wut, Verleumdung, Neid und Lüge schleppen stürmisch die Un- 
schuld heran. Rechts unten kauert verzweifelt die Reue. Über ihr fliegt die Zeit 
(mit Sanduhr und Flügeln) heran, in den Armen die nackte Figur der Wahrheit 


haltend. Es handelt sich, wie man sieht, um die bekannte Darstellung der Ver- 


leumdung des Apelles (vgl. Förster im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 
Bd. 8). Und zwar wird unserem Künstler der Kupferstich von Giorgio Ghisi (1560) 
nach Luca Penni als (unmittelbares oder mittelbares) Vorbild vorgelegen rn 
das er freilich in mehrfachen Beziehung änderte. (Abb. 2). 

5. Das Jüngste Gericht ist leider nur zur oberen Hälfte noch vorhanden, da es 
1807 bei der Belagerung durch eine Bombe beschädigt wurde. 

Die Malereien sind nicht einwandfrei. Seelische Durchwärmung der Figuren 
ist dem Künstler nicht gegliickt. Die Frauen auf dem zweiten Bilde sehen sogar 
recht langweilig und gelangweilt aus. Im Streben nach weiterer Abrundung ver- 
greift sich Möller öfters recht grüblich in den Formen, Kniee und Waden zeigen 
mehrfach erhebliche anatomische Fehler. Freilich ist auch die Erhaltung der Male- 
reien, selbst wenn wir von 5. absehen, nicht tadellos. Sie haben durch die Sonne 
stark gelitten, die hier am hellen Tage ungehemmt hereinbricht!) Die Farben 
sind dadurch recht ausgeblaBt, grünliches Fleisch und überhaupt grünliche, violette 
und gelbe Tóne walten vor. Die Pinselführung ist breit, krüftig, flott trotz des 
kleinen MaBstabes, die Übergünge sind weich, aber nicht verwaschen und ver- 
schwommen. Der Gedanke an eine schlechte Ausbesserung ist nicht auszuschlieBen, 
wie überhaupt Millers Gemälde durch Ubermalungen recht beeinträchtigt zu sein 
scheinen ). 

Bedauerlich ist, daß gerade die kleine Darstellung des Jüngsten Gerichts den 
schwersten Schaden gelitten hat. Möller hat offenbar Freude an der Schilderung dieses 
gewaltigen Stoffes gehabt. 

Zum großen Bilde im Artushofe haben wir eine Vorstudie von 1595 im Stadt- 
museum, ferner findet sich das Jüngste Gericht auch auf dem Altar der Steindammer 
Kirche in Königsberg und auf der soeben erwähnten Tafel der sieben Tugenden, 
auf dem Altar der Danziger Katharinenkirche und auf einem verloren gegangenen 
Bilde im Königsberger Stadtgericht, so daß wir bereits insgesamt sechs Bilder des 
Jüngsten Gerichts von ihm nachweisen können. Es würde sich lohnen, des näheren 
zu verfolgen, wie er diesen seinen Lieblingsstoff in seinen verschiedenen Lebens- 
altern aufgefaßt und verarbeitet hat. Um wenigstens eine Anschauung von der 
Art seiner Auffassung zu geben, will ich mich hier darauf beschränken, den Inhalt 


(1) Infolgedessen haben die photographischen Aufnahmen nicht ganz klar werden können, was ich bei 
den hier wiedergegebenen Abbildungen zu beachten bitte. 

(2) Als ungebetener Gast bin ich vor Jahren selbst zufällig Zeuge gewesen, wie das große Jüngste 
Gericht an vielen Stellen neu bemalt wurde, ohne daß ich es hindern konnte. Aber auch die sehr 
bemerkenswerte Tafel der sieben Tugenden (in der Danziger Marienkirche), die, weil an dunkler Stelle 
zu hoch angebracht, kaum besichtigt werden kann und auch von Gyssling nicht näher. untersucht 
worden ist, macht einen so unbarmonischen Eindruck, daß der Gedanke an eine üble Wiederherstellung 


recht nahe liegt. 
185 


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der grüBten Darstellung des Stoffes (auf dem Wandbild im Danziger Artushof) zu 
schildern. | 

Der Aufbau und die ganze Anordnung des umfangreichen Bildes (es miBt in der 
Breite etwa 6.30 m, in der Hóhe etwa 8 m) schlieBt sich der spitzbogigen Um- 
rahmung in dem spätgotischen Hallenraum eng an!) Hoch oben thront Christus 
mit der Weltkugel, von den göttlichen Sonnenstrahlen beschienen, zwischen Maria 
und Johannes auf dem Regenbogen. Ihn umgeben die Gestalten christlicher Tugen- 
den, Engel und frommer, erlöster Personen. Von links schweben aus der Tiefe 
herauf in schmalem Zuge, durch Posaunentine gelockt und begrlißt, weitere Selige. 
Ganz unten die Hoffnung und zwei mit besonderer Sorgfalt gemalte Gerettete, die 
von einem Engel liebevoll heraufgeleitet werden. Friede, selige Zuversicht, ruhige 
Beschaulichkeit herrschen in diesem Teil des Bildes, — Viel größer aber ist der 
Raum, den die Schar der Verdammten einnimmt. IhreSchilderung hat den Künstler 
offenbar mehr angezogen. Erzengel Michael, der in- eleganter Haltung als Voll- 
strecker des Willens Christi von diesem herabschwebt und mit dem Schwert die 
Bösen und die Laster vertreibt, nimmt in viel höherem Maße als Christus die ge- 
bietende Mittelstellung im Bilde ein. In buntem Gewirr fliehen und stürzen die 
Verdammten hernieder. Rechts neben Michael vier modisch gekleidete Personen 
(mit spanischer Halskrause): die Hoffahrt, Putzsucht, Trügheit und Wollust. Unter 
ihm mehrere Kriegsknechte, als Sinnbilder der Rohheit und des Jühzorns, mit dem 
sie angeblich gegen den alten, ihnen ihr Todesurteil vorlesenden Mann vorgehen. 
Rechts daneben Vertreter der Schlemmerei und Vüllerei: der eine hat angeblich 
Heringe in der Tasche, der andere sucht üngstlich sein Glas in Sicherheit zu 
bringen, ein dritter gibt das Genossene wieder von sich, Karten und Brettsteine 
fallen hernieder. — Weiter unten die Hauptpersonen, in erheblich größerem Maß- 
stab gemalt. In der Mitte die Frau Welt, nach mittelalterlicher Auffassung die 
Verkürperung der weltlichen Lüste, eine auf das Prächtigste gekleidete Frau, in 
halb liegender Stellung, auf ihren linken Unterarm sich aufstützend, das Haupt von 
einer durchsichtigen Glaskugel umgeben. Rechts von ihr der Unglaube, eine derbe, 
rohe Figur, die mit sichtlichem Behagen ein Kruzifix zerbricht. Unter ihr die Erb- 
sünde mit Schlange und Totenknochen.. Links von der Frau Welt von oben nach 
unten Neid und Verleumdung, auf einem Hirsch (mit frei heraustretendem ge- 
schnitztem Kopf und natürlichem Geweih): die üppige, ganz nackte Weibsgestalt 
des bösen Gewissens, und endlich die Verzweiflung, mit dem Kopf nach unten, im 
Begriff sich zu erdrosseln. Die letztgenannten Figuren sind durch Ketten unter- 
einander verbunden, ein Motiv, das Müller bereits 1588 in seiner Allegorie der 
Tugenden verwendet hat. Ganz unten links wird das Bild abgeschlossen durch 
eine felsige Landschaft, in deren Hintergrund sich die turmreiche Stadt Danzig 
zeigt. Rechts unten zieht eine groBe Schar von Menschen dahin, die sich, wie 
Simson behauptet, der Weltlust anschlieBen und einen von Freudenfeuern ge- 
krönten Triumphbogen durchschreiten will Ein Boot führt der Unterwelt zu. An- 
geblich ist es mit dem Malerwappen geschmückt, und unter den Insassen befindet 
sich der Maler selbst mit der Palette; durch einen Engel wird er noch mit einem 
Haken von der Fahrt ins Verderben zuriickgehalten. 

An das inhaltreiche Bild, aus dem nur die wichtigsten Figuren hier aufgezühlt 
sind, haben sich zahlreiche Anekdoten geknüpft, von denen die bekannteste die ist, 
daß die Figuren der Weltlust und der Hoffart Bildnisse der Töchter des damals 


(1) Die Abbildung in Simson, Der Artushof, Danzig 1900, ist viel besser als die bei Gyssling. 
186 


regierenden Bürgermeisters seien, die auf einem Ball dem Maler aus Hochmut den 
Tanz versagt und dadurch die Rache des Künstlers hervorgerufen hštten. Diese 
Erzühlungen sind in der Regel innerlich unwahrscheinlich, so alt sie auch sein 
mógen und so haftnickig sie bis auf den heutigen Tag immer wieder berichtet 
werden. Aber sie beweisen uns nicht bloB die groBe Volkstümlichkeit des Bildes, 
sondern auch seine vereinzelte Stellung im Gebiet der nordostdeutschen Kunst. Wir 
besitzen dort, wie ich demnichst ausführlicher zu zeigen hoffe, genug Werke der 
Malerei und Plastik aus den verschiedensten Jahrhunderten. Aber nirgends wieder 
findet sich die Neigung zu lehrhaft allegorischer Behandlung des Stoffes, als allein 
bei Anton Müller, der sie bei den oben beschriebenen Gemülden von 1588 und 
auch sonst ófters noch anwendet. Recht bezeichnend dürften hierfür auch seine 
Tuschzeichnungen: das Venusfest von 1606 (Berlin), die Macht des Geldes (Kónigs- 
berg, Prussia-Museum) und die Verehrung des Esels (Kinigsberg, Stadtbibliothek) 
sein, die Gyssling eingehend beschrieben hat. Wir dürfen daraus auf eine beson- 
dere persónliche Veranlagung unseres Künstlers schlieBen, werden uns aber nicht 
der Wahrnehmung verschließen können, daß er die Anregung dazu durch irgend 
welche niederländischen Einflüsse empfangen haben muß. In Flandern und Holland 
blühte die Freude an sinnbildlicher Behandlung eines Stoffes. Und wenn einst 
Hagen und jetzt mit eifrigem Nachdruck Gyssling darauf hinweist, daB bei der Aus- 
schmückung des venezianischen Dogenpalastes am Ende des 16. Jahrhunderts die 
Allegorie eine große Rolle gespielt habe, so läßt sich doch bei näherem Zu- 
sehen ein Vergleich zwischen der venezianischen und der Móllerschen Kunst kaum 
ziehen. In den Niederlanden und bei Móller handelt es sich um etwas anderes, 
um ausgeklügelten trockenen Gelehrtenkram, der im vollen Gegensatz zu der ur- 
sprünglichen Frische Venedigs steht. Das gegenseitige Verhülthis der Allegorien 
im einzelnen nüher zu ergründen, mag berufenen Literaturhistorikern vorbehalten 
bleiben. ° 

Wichtiger für uns ist die Frage nach den sonstigen Quellen und Voraussetzungen 
der künstlerischen Eigenart Müllers. Es handelt sich für uns darum, ob wir aus 
seinen Werken eine unmittelbare Beeinflussung durch italienische Kunst heraus- 
lesen können oder nicht. Gewiß gab es, namentlich in den letzten Jahren des 16. 
und im Anfang des 17. Jahrhunderts so viel persönliche Beziehungen zwischen 
` Danzig und Italien, auch reisten so viel junge Danziger damals nach Venedig und 
Rom!) daß die Möglichkeit einer italienischen Reise Müllers von vornherein nicht 
bestritten werden kann. Und ganz unzweifelhaft weist Múllers Malerei einige ita- 
lienische Elemente auf. Mit Recht ist von Hagen und Gyssling an die venezia- 
nische Schule, besonders an Veronese und Tintoretto erinnert, sowohl der groß- 
zügige Aufbau wie das hellfarbige, leuchtende Kolorit besitzt verwandte Züge. 
Auch muß an Michelangelos allmächtigen Einfluß erinnert werden;' einige Gestalten 
auf dem Zinsgroschen und auf dem groBenJiingsten Gericht weisen durchaus Michel- 
angelos Muskulatur und Gliederbau auf. 

Aber diese unleugbaren Beziehungen dürfen uns nicht zu Trugschliissen ver- 
leiten. Von Michelangelos W'erken war ungeführ die gesamte Künstlerwelt am 
Ende des 16.Jahrhunderts mehr oder weniger beeinflußt. Seiner gewaltigen Formen- 
sprache hatten sich nur einzelne entziehen können. Namentlich war es die nieder- 
lündische Kunst, die von ihm in geistige Fesseln geschlagen worden war. Und 


(1) Näheres bei A. Bertling, Der Maler von Danzig und seine Zeit. Danziger Zeitung vom 29. No- 
vember 1885. | 


187 


sie ist es, die, wie schon seit dem Ende des Is. Jahrhunderts, ganz besonders im 
letzten Viertel des 16. und im Anfang des. 17. Jahrhunderts die wesentliche Quelle 
der Danziger Kunstübung bildet und die auch unsern Miller auf das Tiefste und 
Nachhaltigste befruchtet hat. Niederlindisch ist seine Malweise, aber nicht italie- 
nisch. Freilich niederlindisch nicht im Sinne eines Rogier van der Weyden oder 
eines Rubens, aber wohl im Geiste der niederlándischen Romanisten, die im Ver- 
lauf des 16. Jahrhunderts allzuwillig sich italienischer Kunst gebeugt hatten. 

Von der oberdeutschen Kunst war Müller ausgegangen; er hat nachweislich in 
seiner Jugend Dürersche Stiche nachgezeichnet, auch scheint er Hans Sebald 
Behams Werke gekannt zu haben. Die Überlieferungen der Künigsberger Hofkunst 
migen dabei mitgewirkt haben. Dann aber, oder vielleicht auch gleichzeitig von 
vornherein hat, wie Gyssling richtig erkannt hat, die Kunst des Pieter Breughel 
und namentlich des Hendrik Goltzius ihn miichtig gepackt. Ich mache in dieser 
Hinsicht auf Breughels Zeichnung einer Dorfkirmes (London, Brit. Museum) auf- 
merksam, die mehr noch als Breughels Gemiilde sich als eine Art Ahnberr der 
hübschen Kirmes-Zeichnung offenbart, die Müller 1587 in Marienburg in West- 
preußen angefertigt hat (Berlin, Kupferstichkabinett, abgeb. Jaro Springer, 20 Feder- 
zeichnungen aus dem Besitz des kgl. Kupferstichkabinetts Berlin, Tafel 18; auch bei 
Henne am Rhyn und bei Gyssling). 

Als unmittelbaren Vorlüufer Müllers, als Zwischenstufe zwischen ihm und Breughel 
glaube ich bis auf weiteres Pieter Balten ansehen zu sollen, der 1569 Dekan der 
Lukas-Gilde in Antwerpen war. Von ihm haben wir ein gemaltes S. Martinsfest 
und eine in Kupfer gestochene Dorfhochzeit Man sieht deutlich, daß Pieter 
Balten älter als Möller ist. Aber der enge Zusammenhang seiner volkstüm- 
lichen Kunst mit den ersten Arbeiten Möllers ist unverkennbar. 

Auch auf die Stiche des Pieter van der Borcht und des Johann Sadeler (geb. 
etwa 1550, T in Venedig 1600) mache ich aufmerksam. Auf des letzteren groBer 
Darstellung des Jüngsten Gerichts erinnern die leicht heraufschwebenden nackten, 
seligen Frauen und Engel links uns an dieselben Gestalten bei Möller an der- 
selben Stelle. Auch die alte Anordnung, daB Christus oben auf der Weltkugel sitzt, 
dürfte aus diesen Quellen herzuleiten sein. Namentlich aber ist es der ausgezeich- 
nete Maler und Kupferstecher Hendrik Goltzius, an dessen Formensprache und Auf- 
fassung wir bei Müllers Arbeiten immer wieder erinnert werden. Ich nenne z. B. 
die Erweckung der Seligen ünd den Sturz der Verdammten, die Goltzius nach Jan 
van der Straet gestochen hat, einem niederländischen Künstler, der längere Zeit in 
Florenz gelebt hat. 

In rein malerischer Hinsicht scheint mir die Kunst des Franz Floris (etwa 1516 
bis 1570), der damals hohen Ruhm genoß, als der „flämische Raffael“ galt und 
mehr als 120 Sthüler gehabt haben soll, den stürksten Einfluñ auf den jungen 
PreuBen ausgeübt zu haben. Will man etwas kühn sein, so wird man sagen 
können, daß der Name Floris ihm von Kindheit her vertraut in die Ohren ge- 
klungen hat. 1570 wurde im Königsberger Dom dem 1568 verstorbenen hoch- 
betagten und hochverdienten Herzog des Landes ein überaus kostbares und groBes 
Denkmal errichtet, eine Schöpfung des Antwerpener Meisters Cornelis Floris. Es 
ist sicher, daß die Ankunft der vielen prächtigen Marmor- und Alabasterarbeiten 
und ihre Aufstellung in Kónigsberg ein gewaltiges Aufsehen hervorgerufen hat und 
naturgemáB die empfüngliche und leicht bewegliche Seele des Sohnes des herzog- 
lichen Wundarztes und Barbiers stark angeregt haben und ihm unvergessen ge- 
blieben sein wird. Jedenfalls sind bei Franz Floris und Möller Aufbau, Kolorit und 


Gesamtauffassung durchaus verwandt. Man vergleiche z. B. das Jüngste Gericht 
des Franz Floris (Wien, Kunsthistor. Hofmuseum, Nr. 774) mit dem Möllerschen 
Bilde, und man wird manche Ahnlichkeit in den vielen kleineren und grüBeren 
Gruppen finden. Und sein Sturz der Verdammten und seine Auferstehung der 
Seligen (Sammlung Pitt Rivers) zeigen trotz grundverschiedener Komposition eine 
ühnliche Behandlung des weiblichen Kürpers und eine gewisse Gemeinschaftlich- 
keit der malerischen Auffassung. Zu beachten ist ferner Peter de Wittes (c. 1548 
bis 1628) Erzengel Michael mit dem Sturz der Verdammten (Wien, kunsthist. Hof- 
museum, Nr. 806), wo die Farbentóne und das Herabschweben des Michael aus 
den vom himmlischen Licht durchglänzten Wolken sehr an Möller erinnern. End- 
lich nenne ich noch Martin de Vos, einen Schüler des Franz Floris und des Tin- 
toretto (etwa 1531—1603). Auf seinem großen Jüngsten Gericht in Spanien er- 
kennen wir trotz aller Verschiedenheit der Komposition eine wesentliche Ver- 
wandtschaft mit Müller in der Muskulatur und in den Kürperstellungen. Ahnliches 
gilt von seiner Gesetzgebung Mosis (kgl. Museum im Haag, gemalt 1575, angeblich 
mit dem Bildnis Tintorettos). 

Bei Müller bewegen wir uns also durchaus im niederländischen Kreise. So wich- 
tige Dinge, wie die Proportionierung der Gestalten, der Schnitt der Gesichter, das 
Kostüm, sind bei ihm in der Regel niederlindisch (Antwerpenerisch) In dieser 
Beziehung dürfte die Wiedergabe einer der besten Tuschzeichnungen Millers (einer 
fröhlichen Tanzszene in einem Dorfwirtshaus zu Osterwiek in Westpreußen von 
1597) für unsere Leser von tiberzeugender Beweiskraft sein (Abb. 3). Dazu tritt 
das, was Gyssling an verschiedenen Stellen betont hat. Warum sollen wir nun 
unter solchen Verhältnissen durchaus an einen längeren italienischen Aufenthalt 
Müllers glauben? Es ist ja die Möglichkeit nicht auszuschließen, daB der Künstler 
irgendwann einmal in Italien gewesen ist. Aber beweisen läßt sich das nicht, 
und nötig ist eine solche Annahme auch nicht. Nichts spricht für sie. Wir wer- 
den gut tun, sie bis auf weiteres in der Versenkung verschwinden zu lassen. 

Daraus ergibt sich die für die allgemeine Kunstgeschichte nicht unwichtige Tat- 
sache, дай der Romanismus und Venezianismus, wie er in der zweiten Hülfte des 
16. Jahrhunderts für Oberdeutschland (Heinz, Rottenhammer u. a.) und für die 
Niederlande gilt, den Nordosten Deutschlands, in welchem Anton Müller damals 
der bedeutendste Vertreter der einheimischen Kunst war, nicht unmittelbar be- 
rührt bat, sondern nur mittelbar. Und daB8 diese Erscheinung nicht vereinzelt, 
sondern tief verankert in den allgemeinen künstlerischen, wirtschaftlichen und poli- 
tischen Zuständen Danzigs zu jener Zeit war, sei zum Schlusse dieses Aufsatzes 
noch in wenigen Worten angedeutet. 

Familien- und Handelsbeziehungen haben bereits im r5. Jahrhundert einen engen 
künstlerischen Zusammenhang zwischen Danzig und den Niederlanden herbeigeführt, 
worüber ich demnüchst umfangreiches Material beizubringen hoffe. Am Anfang 
des 16. Jahrhunderts werden von Antwerpen reiche Schnitzaltáre nach Danzig 
und den umliegenden Ortschaften, wie Praust und Zuckau geliefert, von denen der 
wichtigste, der Reinholds-Altar in der Danziger Marienkirche durch keinen gerin- 
geren, als den niederrheinischen Meister vom Tode Mariü mit schónen Malereien 
ausgestattet war (vgl die wertvollen Ausführungen Kümmerers im Jahrbuch der 
kgl. PreuBischen Kunstsammlungen 11), die ich, wenigstens teilweise, bald zu ver- 
öffentlichen gedenke. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wird eine überaus kost- 
bare und prüchtige Taufe aus den Niederlanden nach der Danziger Marienkirche 
geliefert, die, wie ich nachweisen kann, sehr wahrscheinlich von Cornelis Floris in 


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Antwerpen entworfen ist, demselben Meister, der auch die groBartigen marmornen 
Herzogsdenkmäler in Königsberg gearbeitet hat (vgl Ehrenberg, Die Kunst am 
Hofe der Herzöge von Preußen). Dann folgt die Familie von dem Blocke, deren 
Mitglieder zahlreiche Bauten und Monumente in Ost- und Westpreußen ausführten. 
Der tüchtigste unter ihnen war wohl Wilhelm von dem Blocke aus Mecheln, der 
1586/8 das Hohe Tor in Danzig!) nach dem Vorbild des vor einigen Jahrzehnten 
leider abgerissenen, nach Sanmichelis Vorbild?) erbauten Georgs-Tores in Antwerpen 
errichtete. Als Baumeister entfaltete seit 1593 Anthony van Obbergen aus Mecheln 
eine glanzvolle Tätigkeit, die der Innenstadt Danzig bis auf heute ihren besonderen 
Reiz aufgeprügt hat. Ihm gesellten sich zu der Steinbildhauer Wilm Bart aus Gent 
(seit 1585 ia Danzig) und vielleicht auch der Holzbildhauer Simon Herle (Höer!), von 
deren Wirksamkeit gleichfalls noch genug Spuren auf uns gekommen sind. Als 
Ratsbaumeister war zeitweilig (1592—1596) Jan Vredeman de Vriese aus Leeu- 
warden tätig, der im Artushof eine seiner großen phantastischen Architekturmale- 
reien, mit einer Verherrlichung des Orpheus, sowie ein höchst reizvolles, bisher 
unbeachtet gebliebenes, mit seinem Monogramm versehenes Holzgestühl geschaffen 
hat. Und wenn wir schließlich erwägen, daß sich kurz zuvor zahlreiche an- 
gesehene und kunstgebildete niederländische Familien, die ihre. Heimat. wegen 
der Glaubensunruhen hatten verlassen müssen, in Danzig niedergelassen hatten 
(ich nenne 1558 den Kaufmann Hilger Spemann aus Orsoy, dessen Sohn große 
Pracht und Kunstliebe in Danzig entfaltete, 1559 den Orgelmacher Bert Kock aus 
Utrecht, 1560 den Buchbinder Wentzel Rüdiger aus Brüssel und den Maler Anton 
Lion aus Valenciennes, 1561 den Steinmetz Cornelius Brun aus Brüssel und 1562 
den Steinmetz Hieronymus von Linden aus Antwerpen), so kommen wir zu dem 
unabweisbaren Schluß, daß diese nordostdeutsche Hansastadt damals geradezu als ein 
wichtiger Außenposten niederländischer Kunst und Kultur anzusehen und daß hier 
alle Bedingungen gegeben waren, um einen jungen, heranwachsenden Künstler 
in ihren Bann zu ziehen und in ihm zu erhalten. Wie stark aber in der Stadt- 
verwaltung die Neigung für die niederländische Kunst vorwaltete, ersehen wir dar- 
aus, daß, als 1594 ein neuer Münzstempel durch den Münzmeister Jonas Silber her- 
gestellt werden sollte, hierfür in amtlichem Auftrage ein niederländischer Dukaten 
abgezeichnet wurde und daß 1602, „umb allerley in der Architektur zu erkundigen“, 
ein besonderer Abgesandter, namens Johann Losius, sich „mit Rekommandation- 
Briefen an hohe Personen in die Niederlandt begeben“ mußte und die beträcht- 
liche Summe von 616 Mark Reisegeld ihm hierzu bewilligt wurde. Innere und 
äußere Gründe reichen sich somit in besonderer Fülle die Hand, um unsere Mei- 
nung zu erhärten, daß Anton Möller kein unmittelbarer Schüler der Italiener ge- 
wesen, sondern als eine Zweigerscheinung der niederländischen Kunst vom Ende 
des 16. Jahrhunderts anzusehen und zu bewerten ist. 


(z) Abgeb. Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance. Vgl. über ibn auch Ebrenberg, a. a. O. 
(2) Vgl. Dianoux, les monuments de San Micheli, 


I90 


SPANISCHE MALER DES 15. JAHRHUNDERTS 
IN NEAPEL 


Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von VALERIAN von LOGA 


A 23. November 1442 schrieb Don Alfonso von Aragonien, dem, wie den bur- 
gundischen Fürsten selbst im Feldlager die Kunst Bedürfnis war, zu sehr 
Spanier, um nicht Werken heimatlicher Produktion den Vorzug zu geben, aus 
Neapel nach Hause, man sollte ihm ,,lo fil del mestre Jacme Jacomart pintor“ 
schicken!) Am 14. Mai ernennt ihn Alfonso zu seinem pintor por todas las tierra 
y senorias del monarca. Als dem König nach langer Belagerung endlich die Stadt 
durch den Beistand der Jungfrau in die Hände gefallen war, gab er für die auf 
dem Campo vecchio, wo wührend der Belagerung sein Zelt gestanden, errichtete 
Votivkirche das Altarbild, eine Virgen de la Pace ihm in Auftrag. Zwei Jahre 
spüter ist der Altar aufgestellt worden. Ende 1446 weilte der Künstler in der 
Heimat. Am 24. Juli 1447 hatte der König in Tivoli Standarten bei Jacomart be- 
stellt. Vielleicht hat der Maler damals Rom betreten, sogar Roger van der Weyden 
kennen gelernt, der zum Jubeljahr in der ewigen Stadt weilte. 

Vier Jahre später sehen wir Bazo in Valencia für die Kathedrale verschiedene 
dekorative Arbeiten ausführen. Am 16. Juli 1461 ist er dort gestorben und in 
S. Domingo begraben. Sein reicher Nachlaß fiel der Gattin Magdalena zu. 

Ausgehend von dem in einer Urkunde vom 233. Januar 1460 als Arbeit Jacomarts 
erwähnten Altar der Pfarrkirche zu Cati?) läßt sich heute ein ziemlich umfang- 
reiches Werk des Meisters nachweisen. Der Epiphaniasaltar bei den Augustine- 
rinnen in Rubielos de Moras, ein thronender Petrus in S. Juan zu Morella?), sowie 
der mit der Jahreszahl 1447 bezeichnete S. Martinsaltar des Clarissinnenklosters 
zu Segorbe*) Eine besondere Pracht zeichnet das Mittelbild aus, während bei 
den kleinen Tafeln mit der Legende des Heiligen ein Ungeschick im Komponieren 
auffällt. Nur noch bei den Altsienesen findet man echtes Gold für die Ornamente 
und Brokatstoffe oder guijochiert als Hintergrund in ähnlicher Vollendung auf- 
getragen. In dieser ,Serena majestad“ erstrablt auch der Retablo des Kardinals 
Alfonso Borgia"), des späteren Papstes Calixt III. in der Colegiata von Jativa, der 
zwischen 1444 und 1455 entstanden sein muB, denn Borgia hatte den roten Hut 
im Jahre 1444, die Tiara elf Jahre später erhalten. In der Zeit hat er Valencia 
nicht betreten, und Jacomart muß in Italien, in Rom und Tivoli oder in Neapel am 
Hofe Alfonsos den Auftrag für dieses Meisterwerk empfangen haben. Die drei 
groBen Tafeln mit der heiligen Anna, die fast gleich auf dem Altar in Rubielos 
gebildet ist, S. Ildefonso und S. Augustin sind heute in einem prüchtigen Renaissance- 


(1) Jaume Bazo alias mestre Jacomart nennt er sich in seinem Testament, Tramoyeres im Almanague 
de las Provincias para 1906, p. 155 u. ff. Tormo y Monso, Jacomart y el arte hispano flamenco 
quatrocentista. Madrid 1914. Remon Casellas in Veu de Catalanya 28; Aug. 1906. Emile Bertaux, 
Les primitives espanole. Revue de l'art ancien et moderne XXII, p. 339 u. ff. 

(2) Abgebildet in Revue de l'art ancien et moderne XXII, p. 341 und bei Tormo, a. a. O. 

(3) Abgebildet bei Bertaux, a. a. O., p. 355 und im Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunst. 
sammlungen XXX, 1909, p. 181 

(4) Abgebildet Revue de l'art XXX, p. 343. Michel, Histoire de l'art III, p. 777 und Mayer, Q. d. ep. 
Mal. I, p. 71. 

(s) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 357. Michel, Histoire de l'art III, p. 776. 


191 


rahmen vereint. Zwei Predellenstiicke mit der Kasel-Übergabe an S. Ildefonso’) 
und der Taufe S.Augustins?) wurden in einem anderen Retablo der Kathedrale 
eingelassen. Das Musée des arts decorativs zu Paris besitzt in der Einkleidung 
des heiligen Vincenz Ferrer?) vielleicht ein Fragment des Altares der Kathedrale 
von Valencia; hierher mag auch die Tafel mit dem heiligen Dominikaner im Kapitel- 
saale stammen, wo auch ein heiliger Benedikt und ein segnender S. Ildefonso seine 
Hand zeigen. Auch die verstümmelten Flügel mit der heiligen Helena‘) und dem 
stutzerhaft gekleideten langhaarigen S. Sebastian in S. Francisco zu Jativa und der 
heilige Bernardin von Siena im Besitz von D. Luis Tortosa in Ontenientes") sind 
wohl sein Werk, wührend die Tafel mit den Heiligen Santiago und Gil im Museum 
zu Valencia für ihn doch zu schwach erscheint. Ganz in die Nähe des thronen- 
den Petrus in Morella muß man den Tragaltar im Berliner Kunstgewerbemuseum?) 
und die Halbfigur S. Peters bei Herrn Cuno Kocherthaler in Madrid setzen. Dem 
S. Martin in Segorbe und den Borgia-Flügeln steht ein thronender S. Blasius im 
Berliner Privatbesitz sehr nahe (siehe Abbildung), der wohl wie der heilige Bischof 
von Tours das Mittelstück eines verstümmelten Retablo gebildet hat. Hier be- 
gegnen wir neben den nach katalanischem Geschmack in Stuck aufgesetzten Säumen 
und Schmuckstlicken auf den über den Goldgrund mit Lasurfarbe gemalten Stuhl 
wangen üppigster Gotik. 

Neapel besitzt heute noch zwei Werke, die die Stilkritik Jacomart zugeschrieben 
hat. S. Franciscus, der die Regel seinen Anhängern erteilt in S. Lorenzo maggiore) 
und einen thronenden heiligen Severin, der das Mittelstück eines neu zusammen- 
gestellten Altars in der Kirche dieses Heiligen bildet). Die schlecht erhaltenen 
Fresken der zerstürten Johanneskapelle unterhalb Nazareths bei Camaldoli, auf 
denen ihr Entdecker Camillo Guerra die heute erloschene Inschrift Macomarte ge- 
lesen, lassen kein Urteil zu, ob die Bezeichnung nicht Jacomarte gelautet haben 
mochte. Man ist geneigt, die Entstehung dieser mittelmäßigen Malerei noch in 
eine Zeit zu setzen, als Jacomart in der Heimat weilte. Ungeübtheit in der Fresko- 
technik kann nicht allein die Mängel der Zeichnung entschuldigen. 

Eine so starke künstlerische Persönlichkeit wie Jacomart mußte in dem politisch 
von Aragonien abhängenden Neapel seine Spuren zurücklassen. Der dem heiligen 
Vincente Ferrer geweihte Altar in S. Pietro Martire zeigt deutlich eine solche Ab- 
hängigkeit. Der Maler dieses in neuerer Zeit auch Simon Marmion*?) zugeschrie- 
benen Kunstwerkes scheint kein anderer als jener mythische Maestro Colantonio, 
den Sumonte im Jahre 1524 einen Schüler König Renés nennt. Pietätvoll hatte 
der Meister den dilettierenden Anjou vorn unter die Andächtigen angebracht, die 
der Predigt des Dominikaners lauschen ie). Ein heiliger Hieronymus „їп atto di 
studiare“, den d'Eugenio Caracciola im Jahre 1623 auf demselben Altar wie das 


(1) Abgebildet bei Tormo las Tablas de la iglesias de Jativa, Madrid 1912, p. 20. 
(2) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 359. 
(3) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 345. 
(4) Abgebildet bei Tormo Nr. ao und ar. 
(s) Abgebildet bei Tormo Nr. a5. 
(6) Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen XXX, 1909, p. 180. 
(7) Abgebildet bei Wilhelm Rolfe, Geschichte der Malerei Neapels, Leipzig 1910, Tafel 41 und bei 
Bertaux, a, a. O., p. 349, von dem diese Zuweisung stammt, die Tormo ablebnt; a. a, O., p. 160. 
(8) Photographie Alinari, Abbildung bei Rolfs, Bertaux und Mayer, Geschichte der spanischen Malerei. 
(9) Bolletino d'arte 1907, I. Fasc. 6. 
(ro) Abbildungen in Bolletino und bei Rolfs. 


192 


Franciscusbild in S. Lorenzo gesehen, war ziemlich kritiklos nach Domenicis Bei- 
spiel mit der gleichfalls aus dieser Kirche stammenden Tafel des Neapolitaner 
Museums!) verwechselt worden. Hier ist der Heilige in seinem Studierzimmer 
beschiiftigt, den Dorn aus der Pranke des Liwen zu ziehen?) Allein dieses Ge- 
miilde, das seine Berühmtheit hauptsächlich Waagens Zuweisung an Hubert van 
Eyck verdankt, zweifellos ein Werk aus der zweiten Hälfte des ı5. Jahrhunderts, 
hat mit jenem heiligen Franciscus nicht die geringste Verwandtschaft; Colantonio 
aber scheint der Maler auch dieser Tafel zu sein, dem sie ja schon Sumonte zu- 
schrieb. Dem S. Vicente-Altar steht sie stilistisch sehr nahe, das reizvolle Biblio- 
theks-Stilleben, das dort seinen Vorläufer?) hat, lebt bei Colantonios Schüler Anto- 
nello da Messina fort. Für die Entstehungszeit des Altars in S. Pietro Martyre 
gibt außer der Kanonisation des valencianischen Dominikaners 1458 das Alter der 
Stifterin Isabella de Chiaramonte den Anhalt. Von dem Retablo selbst existiert in 
der Iglesia del sangre, zu Segorbe eine alte Kopie; bezeichnend genug für die leb- 
haften Wechselbeziehungen beider Länder. 

Die großen Flügel mit den königlichen Magiern im Museo nationale zu Neapel 
wird man auf einen an den Werken dieses spanischen Neapolitaners geschulten 
Künstler zurückführen müssen. Auch der Maler des viel umstrittenen „Triumphes 
des Todes“ im Palazzo Scalafani zu Palermo war zweifellos ein Spanier‘). 

Der cordovesische Maler Pablo de Cespedes spricht in seinem durch Cean Ber- 
mudez*) mitgeteilten Traktat von Sargas mit der Geschichte des Amadis de Gaula 
»Hechas en España de algun buen official antes que se inventava la pintura al olio“, 
die er, hoch in Ehren gehalten, in der Guardaropa eines Edelmannes zu Neapel 
gesehen. Er erzählt ferner, und diese Notiz scheint von der niederländischen Kunst- 
forschung bisher nicht beachtet zu sein, daß ein Spanier jene meist Justus von Gent 
zugeschriebenen Porträts berühmter Männer im Camerin des Palazzo ducale zu 
Urbino (vergl. die Abbildung) gemalt habe’). So erklärt sich manches Unerklär- 
liche bei diesen Tafeln. 

Von mehreren anderen in Neapel und im Auftrag der Päpste tätigen Spaniern 
berichten Urkunden. Ein gewisser Diego Serrano arbeitete im Jahre 1457 in Piedi- 
grotta, Juan da Valencia fand im Jahre 1451 durch Papst Nicolaus V. Verdienst, 
Salvador di Valencia erhielt von Calixt III. den Auftrag, für den vom Papste ge- 
planten Kreuzgang Standarten zu malen. 


(1) Unter Colantonio in Rinaldis Catalogo de la Pinacoteca nel Museo nationale di Napoli, p. 363. 
Abbildung bei Rolfs und Bertaux, a. a. O., p. 351. 

(a) Sobotka in Thieme-Beckers Allgemeinem Künstlerlexikon VII, p. 186. 

(3) Abgebildet im Bolletino. 

(4) Leandro Ozzola, El Triomfo della Morte nelPalazzo Scalafani di Palermo. Monatshefte für Kunst- 
wissenschaft II, 1909, p. 199. ` | 

(s) Diccionario V, p. 305: ,y otro pintor espanol, que en el palacio de Urbino, en un camarino del 
duque pinto, unas cabezas à manera de retratos de hombres famosos, buenas à maravilla". 


193 


DIE ÜBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES 


IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND- 
LÄNDISCHEN KULTURWELT _ (Schiue):) Von ROBERT WEST 


leichzeitig geht aber in Deutschland, das ich als Zentrum des germanischen 

Geistes auffasse, eine analoge Bewegung vor sich. Lange vor der Einführung 
antiker Formelemente ist hier ein Stilwandel am Werk, welcher dem Geist der 
Neuzeit auf deutsche Weise Rechnung trügt?) Die deutsche Spätgotik geht zeit- 
lich mit der italienischen Frührenaissance Hand in Hand, In ihr wird das treibende 
Stilmoment der französischen Gotik verneint. Das Nervise, Bewegliche und doch 
scharf Berechnete der französischen Hochgotik wird in Deutschland abgelöst durch 
eine langsamere Rhythmik der Architekturform, durch ein von germanisch unklarer 
Phantasie erzeugtes Raumgefühl?*) Im Ornament wird die spätgotische Ranke, 
welche seinerzeit das Akanthusmotiv endgültig verdrüngt hatte, von einer Ranken- 
bildung abgelöst, die in ganz auffallender Weise wieder an das frühromanische, aus 
der Völkerwanderungskunst übernommene Bandornament erinnert. Die spätgotische 
Ranke hat dies mit dem Bandornament des frühen Mittelalters gemeinsam, daß 
sie über jede Fláche hinüber gesponnen werden kann in endloser Wucherung und 
daB sie, was gerade im Zeitalter des naturalistischen Pflanzenornaments auffallend 
ist, bis zur völligen Verwischung des grundlegenden Motivs stilisiert erscheint. 
Die Ahnlichkeit der spütgotischen Ranke mit dem romanischen Bandornament ist 
keine zufüllige. Es liegt in der spáten Gotik und der frühen Renaissance Deutsch- 
lands ein ganz entschiedenes Wiederanknüpfen an jenen romanischen Stil den die 
aus Frankreich eindringende Gotik verdrüngt hatte, indem sie eine schon in der 
romanischen Architektur Deutschlands vorhandene Stilneigung weiterführte. In der 
Gotik haben wir den Höhepunkt des germanischen Rassen- und Kultursieges ge- 
sehen. Frankreich und Deutschland bilden im zwölften Jahrhundert zwei Zentren 
germanischer Rassenherrschaft. Das Übergewicht des germanischen Elementes 
in Deutschland bringt es mit sich, daß dieses hier ein anderes Volkstum gebiert 
wie in dem von lateinischen Rasseelementen stark durchsüuerten Frankreich der 
Merowinger. Das germanische Element wandelt sich am Rhein und an der Donau, 
an Elbe und Oder in ein deutsches, das frünkische an Rhóne und Seine in ein 
franzüsisches, So modifiziert sich der germanische Stil der Gotik in logischer 
Entwicklung dort zu einem französischen, hier zu einem deutschen. Diese 
„deutsche“ Modifikation ist nichts anderes als die Entwicklung des gotischen Stils 
in der vom Romanischen angebahnten Richtung. Die erste Epoche der Gotik er- 
scheint in Deutschland zum Teil als eine Weiterentwicklung des Vorhandenen, 
zum Teil als ein von außen eingedrungener Stil, der erst dem deutschen Wesen 
assimiliert werden muß. Sobald diese Assimilierung vollzogen ist, fällt das für 
Deutschland unbrauchbare, das typisch Französische in dem germanischen Stil der 
Gotik ab und die Weiterentwicklung erscheint als notwendige Konsequenz des 
Romanischen. Die deutsche Renaissance, in welche die deutsche Sondergotik aus- 
läuft, ist darum ganz sichtbar die zeitliche Neubildung des romanischen Stils. Die 
antikisierenden Elemente, weiche in die deutsche Renaissance erst spät eindringen, 


(1) Siehe Monatsh. f. Kunstw. IX, 8. 87ff. u. 126ff. 
(2) Gerstenberg: Deutsche Sondergotik. Delphin-Verlag München. 
(3) Hanfstaengel: Hans Stethaimer. Leipzig топ. 


194 


sind entweder belanglos, oder sie fügen sich dem Ganzen in der Weise ein, wie 
sie es schon in der romanischen Stilperiode taten. Sie werden mit den deutschen 
Motiven zu einer Synthese verarbeitet. Die Bewertung der deutschen Spšt- oder 
richtiger Sondergotik hat in den letzten Jahrzehnten einen bedeutenden Umschwung 
erfahren. Allgemein sind die Sachverstündigen sich jetzt darüber einig, daB es 
sich dabei keineswegs um einen Verfall des Stils handelt, wie wir denn überhaupt 
mit den Begriffen: Blüte — Verfall vorsichtiger operieren als früher!) Die An- 
wendung der philosophischen Methode auf die kunstwissenschaftliche Forschung 
hat uns gelehrt, die innere Berechtigung eines jeden Zeit- oder Nationalstils aus 
der Besonderheit der Ziele und Anlagen zu entnehmen. Wir sehen heute in der 
deutschen Sondergotik eine in sich reifende Kunst, die zugleich das Ende einer 
Epoche und der Anfang einer neuen war. Notwendig folgt aus dieser Erkenntnis 
die weitere, daß auch die deutsche Renaissance in ihren Anfängen kein von Italien 
abgeleiteter Stil war, sondern organisch im Inland aus der Sondergotik hervorwuchs?). 
Das Rómertum, wie es sich in Italien als grundlegendes und immer entscheiden- 
des Rasseelement erhalten hatte, war dort ebenfalls in der romanischen Epoche 
zuletzt zur Geltung gekommen. Darum spricht die Kunstgeschichte schon lange 
bei Bauten wie S. Miniato in Florenz von einer ,,Protorenaissance“*). Mir scheint 
es einfacher, die frühe Renaissance des Quattrocento als eine naturgemäße Weiter- 
bildung des selben Stilwollens anzusehen, das im rr. Jahrhundert San Miniato 
schuf. Die Gotik Italiens war eine Verarbeitung germanischer Formen ohne zwin- 
genden inneren Grund. Italien mußte durch diese Phase hindurchgehen, weil der 
Zeitgeist, der diesmal die germanische Rasse emportrug, immer Herrscher blieb. 
Einem „Stil“ kann sich ein Volk des gleichen Kulturkreises so wenig wie dem 
Jahrhundert seines Werdens selbst entziehen. Italien hatte sein Mittelalter durch- 
gemacht, eine neue Zeit kam herauf, die der lateinischen Rasse günstiger war, 
und sofort streift Italien als erstes Volk in Europa alles Mittelalterliche und damit 
Germanische von sich ab. Es schuf instinktiv in der Weise, in welcher seine 
Künstler geschaffen hatten, bevor die Gotik die Weiterentwicklung seiner Baukunst 
im toskanischen Sinn unterbunden hatte. In Italien wird der Kulturkampf des 
lateinischen Elementes gegen das deutsche und französische wie gegen den Orien- 
talismus begonnen, in Italien wird das Kulturproblem der neuen Zeit gelóst, in 
Italien der erste definitive Sieg des antik-klassischen Elementes über das Germa- 
nisch-Orientalische errungen. Daher kommt es, daß sowohl Deutschland wie Frank- 
reich schlieBlich gezwungen werden, ihre Sonderart, d. h. ihre Lósung der Zeit- 
frage, den in Italien gefundenen Formen anzupassen. Der Renaissancestil ist in 
seinem Wesenskern italienisch. Darum sind die deutsche Renaissance wie die 
französische Renaissance auf ihrem Höhepunkt nur völkisch bedingte Modifikationen 
des transalpinen Stils. In der frühen Renaissance Deutschlands und in seiner 
Sondergotik haben wir den Ansatz des Stils, den Deutschland ohne den Einfluß 
Italiens entwickelt hätte. Die Reaktion des Germanischen im Barock beweist, wie 
erzwungen das klassizistische Gebahren der Deutschen zur Renaissancezeit war. 
Der Übergang zur Renaissance, der zeitliche Kulturkampf also zwischen Mittel- 
alter und Neuzeit und der räumliche Rassenkampf zwischen Germanentum und 
Lateinertum setzt in Italien ein. Die Entscheidung fällt aus zugunsten der Neuzeit 
und der lateinischen Rasse. Das ganze ı5. Jahrhundert hindurch war die christ- 


(1) Wölfflin; Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Bruckmann, München 1915. 
(2) Haenel: Spätgotik und Renaissance. Stuttgart 1894. 
(3) Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien. 


195 


liche Welt durch die beginnenden Reformbestrebungen innerhalb der Kirche 
seelisch erschüttert. Die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Entdeckung 
Amerikas trugen das ihrige dazu bei, den Gesichtskreis zu erweitern, das Denken 
in rascheren Schwung zu versetzen. Es ist kein Zufall, daß die deutsche Renais- 
sance erst mit der lutherischen Reformation einsetzt. Das Mündigwerden der 
Völker in geistiger Hinsicht, ihre Befreiung von der kirchlichen Autorität äußert 
sich in der baulichen Erscheinung der Epoche in einem entsprechenden Zurück- 
treten der Kirchenarchitektur gegen den Profanbau. Trotzdem halte ich zur Er- 
lüuterung meiner Thesen von der abendlündischen Stileinheit und dem in den 
Übergangsstilen zur Erscheinung kommenden Rassen- und Kulturkampf am Kirchen- 
bau fest; denn die Kirche ist in weit höherem Maße als der Profanbau Exponent 
des Zeitstils. Die nationale Sonderart Italiens, Deutschlands, Frankreichs prügt 
sich aus in den Palastbauten der Strozzi, Pitti und Piccolomini, in den Schlóssern 
von Heidelberg und Stuttgart, den Rathäusern von Rothenburg und Bremen, den 
Bürgerhäusern Nürnbergs und Augsburgs, von Danzig und von Lübeck, in den 
Cháteaus von Blois und Fontainebleau. Die Kirche ist international Die latei- 
nische, überall gültige Sprache des Gottesdienstes ist typisch für die Stellung der 
Kirche über dem Völkerleben. Aber die Kirche ist auch die Trägerin des semi- 
tisch-orientalischen Elementes im Abendland. Dieses semitisch-religióse Element 
ist das Bindeglied zwischen den rassefremden abendlündischen Völkern. Es ist be- 
zeichnend, daß kaum ein Jahrhundert, nachdem Luther sein kerniges Burg-Lied 
gesungen hatte, der zionistische Sehnsuchtsgesang ertünt, ,Jerusalem, du hoch- 
gebaute Stadt“. Das allgemein gültige, allen gemeinsame Entwicklungsmoment 
wird der Stil also immer in der Kirchenarchitektur aufweisen. 

Anders wie in den früheren Jahrhunderten haben wir gerade in Italien eine An- 
zahl von Bauten des Übergangsstils, die so weit unveründert erhalten sind, daB 
wir den ursprünglichen Baugedanken klar an ihnen ablesen können. Zunächst 
unterscheiden sich die Kirchen des Quattrocento baulich in nichts von den Kirchen 
der Gotik oder des romanischen Stils. Nur dem Ornament kommt die Bezeichnung 
frühe Renaissance“ zu!) Unsere Vorstellung der italienischen Frührenaissance 
beruht daher auch fast ganz auf Einzelheiten und vor allem auf architektonischen 
- Detailstücken wie Kanzeln und Grabdenkmälern. Das Marmortabernakel der Ver- 
kündigung Donatellos in Sta. Croce ist ein Wunderwerk der Synthese von Archi- 
tektur und Plastik, von romanisch-mittelalterlicher Tektonik und frühem Renaissance- 
ornament. Ich vermeide das Wort klassizistisch trotz der Entlehnungen aus dem 
Formenschatz der Antike, weil die Verwendung des Eierstabes durchaus individuell 
und in dieser Zusammenstellung neu ist. Ahnliches gilt von Desiderio da Settignanos 
Grabmal des Marsuppini, das besonders charakteristisch ist für einen Wesenszug 
der Frührenaissance, die gleichwertige Behandlung architektonischer Formen mit 
figuraler und ornamentaler Plastik, als lose zusammengruppierte Teile. Bei einer 
solchen Schöpfung der Frührenaissance ist kein Teil mit dem anderen verwachsen. 
Sie sind wie bei einem Stilleben aufgebaut und jedes Glied lieBe sich abnehmen 
oder herausstellen. Diese lockere Komposition 188% sich auch bei gróBeren archi- 
tektonischen Werken wie der Badia von Fiesole beobachten. Ich führe sie zurück 
auf das BewuBtsein der Bildbauer-Architekten des Quattrocento, ihre ornamentalen 


(1) „Der Stil der Frührenaissance in Venedig verdient sogar kaum noch den Namen eines Baustils.“ 
Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien S 43, bearbeitet von Holtzinger. Eßlingen a. N. 
Paul Neff Verlag 1912. 


196 


Formen auf ein fertiges und feststehendes Gerüst zu übertragen. Die hängende 
Zier, welche zwar wohl aus der Antike entnommen, doch wieder aus dem 
frischen Naturstudium der Zeit herkommt, ist symbolisch für diesen Charakterzug 
der Epoche. 

Diese architektonische Plastik wird mit besonderer Liebe durchgebildet, ebenso 
wie auch dem Bau verwachsene Einzelheiten, Fenster, Türen, Pilaster so gebildet 
sind, daB sie als selbständige Kunstwerke unabhängig von der Gesamtanlage be- 
trachtet werden künnen, ja erst in dieser Isolierung zu voller Wirkung gelangen. 
Ein Säulenkapitell der Frührenaissance ist ein Juwel der Plastik, der Reiz seiner 
Formen würde sich auch dann geltend machen, wenn es vom Sdulenschaft ab- 
getrennt nur um seines eigenen Wertes willen zur Aufstellung gelangte. Die 
frühesten Renaissancekirchen Italiens haben darum einen hohen intimen Reiz, wir 
empfinden ihre Grazie als etwas Vertrautes, menschlich Nahes. Je einfacher die 
Anlage ist, desto würmer wirkt diese Ruhe und Klarheit!) Die móglicherweise 
auf Brunellesco zurückzuführende Kirche der Badia von Fiesole?) ist beinahe kahl 
zu nennen. Der Künstler hat hier den Grundriß der spätmittelalterlichen Kirche 
beibehalten, aber alle schmückende Zutat entfernt, um statt dessen neue, aber 
spärlich verwendete Formgedanken zu versinnlichen. Typisch für die Frührenais- 
sance sind ferner die venezianischen Kirchen S. Zaccaria und die kleine Sta. Maria 
de Miracoli. Deutlicher wie die toskanischen Kirchen der Zeit weisen sie das 
Wiederanknüpfen der frühen Renaissance nicht nur an klassisch-antike, sondern an 
byzantinische Vorbilder auf. Der jetzt so gern in seiner Bedeutung verkannte John 
Ruskin hat für diese Bauten den Begriff: ,byzantinische Renaissance“ geprügt?), 
welcher sich zwar nicht ohne Vorbehalt auf die toskanische Architektur über- 
tragen läßt, aber doch den Kern der Sache trifft hinsichtlich des Zusammenhangs 
dieser Frührenaissancebauten mit den unter byzantinischem Einfluß entstandenen 
romanischen Bauten Italiens. Die Fassade Sta. Maria Novellas, eine der feinsten 
Schópfungen Leon Battista Albertis, ist in der Komposition wie in den Einzelformen 
von S. Miniato abhüngig. Bezeichnend ist hier die Verwendung der Inkrustation, 
die als mittelalterliche Technik in Florenz bald wieder aufgegeben wird. Wie 
zwanglos die Renaissance mit der Gotik verschmolz, zeigt sich am besten bei dem 
durchaus harmonischen Bau des Florentiner Doms. Entstanden zu einer Zeit, in 
welcher noch kein Architekt anders als in gotischem Stil bauen konnte, ist er in 
Grundriß und Aufriß ein charakteristisches Werk der italienischen Gotik, aber seit 
dem Ende des 14. Jahrhunderts finden sich an diesem gotischen Bau Schmuck- 
formen, die unmittelbar nach antik-rómischen Vorbildern gearbeitet sind, Akanthus- 
ranke, Palmette und Eierstab drücken dem mittelalterlichen Ganzen den Stempel 
der neuen Zeit auf. Durch diese ornamentalen Einzelformen wird das stolze Bau- 
werk von Florenz der Renaissance gewonnen, die endlich neben den gotischen 
Turm die krönende Kuppel Brunellescos setzt, den Auftakt zur konstruktiven Neu- 
bildung des Architekturstils. Der Kuppelbau der Renaissance ist der Ausdruck des 
einigenden religionsgeschichtlichen Momentes im Abendland. Vom Orient stammend 
symbolisiert die Kuppel den latinisierten Semitismus im Kulturleben Europas. 

Es gibt in Deutschland nichts, was sich an Wert neben die Kirchen der italie- 


(z) Vergleiche hierzu: Swarzenski, Das Kunstgewerbe in der Renaissance. 

(2) Willich: Die Baukunst der Renaissance in Italien. Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin- 
Neubabelsberg. Akademische Verlagsgesellechaft Athenaion. 

(3) John Ruskin: Stones of Venice. 


Monatshefte für Kunstwissenechaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 7 14 : 197 


nischen Frührenaissance stellen lieBe. Der Übergang vollzog sich hier unter stür- 
kerer Gegenwehr des germanisch-gotischen Stils. In Italien ist kaum ein Kámpfen 
der Formen zu beobachten. Der Sieg der lateinischen Rasse vollzieht sich fast 
geräuschlos. In Deutschland tritt der Kulturkampf in einem mächtigen Aufrauschen 
und sich Bäumen der widerstrebenden Glieder zutage. Die Kirchen des Jesuiten- 
ordens im Rheinland, obzwar erst dem 17. Jahrhundert entstammend, sind vielleicht 
die charakteristischsten Beispiele. Die Jesuitenkirche in Köln gehört in tektonischer 
Hinsicht ganz der späten Gotik an, aber ihre äußere Erscheinung ist durchtränkt 
mit Renaissancemotiven und Renaissanceformen. Die italienische Hochrenaissance 
. sandte ihre Künstler nach Deutschland. Deutsche Architekten zogen über die 
Alpen und lernten von den Bauten Bramantes, Michelangelos, Raffaels und Palladios. 
Was die italienische Renaissance in formaler Hinsicht brachte, war die klare Glie- 
derung der Teile, den straffen Aufbau, die durchdachte Symmetrie, die plastische 
Bestimmtheit aller Form, die Betonung der linear begrenzten Fläche, der Silhouette. 
Es war kein Raum mehr für phantastische Willkür und malerische Tiefenwirkung. 
Der Stil der italienischen Renaissance ist ein streng tektonischer. Die übersicht- 
liche Einteilung der Flächen ist dem Renaissancebaumeister wichtiger wie die 
bildmäßige Erscheinung des Ganzen. Der Tiefenzug der abendländischen Kunst 
wird aufgegeben zugunsten eines linearen Flüchenstils. Die Absicht des Renais- 
sancestils geht auf Einheitlichkeit mit strengster Wahrung des Eigenwertes jeder 
Form!) Diese Einheit konnte in den Frühwerken noch nicht erreicht werden, 
weil Gerüst und Ornament noch nicht verschmolzen war. Sie wird erreicht im 
Cinquecento und teilt sich von da aus an Deutschland mit, soweit der deutsche 
Nationalcharakter lateinischer Formenklarheit und überlegter Konstruktion zugüng- 
lich ist. Der Heidelberger Otto-Heinrichsbau kommt dem italienischen oder Re- 
naissance-Stilwollen am nächsten. Aber diese klassische Ruhe der Formen, die 
maBvolle Gliederung des Ganzen, die funktionelle Bestimmtheit aller Teile blieb 
dem germanischen Geiste fremd wie der Sinn der Gotik den Italienern fremd ge- 
blieben war. 

In Italien selbst war das Element der germanischen Rasse immerhin so stark, 
daB es eine weitere Ausbildung der Kunst in der Richtung des Klaren, Geordneten, 
Übersichtlichen nicht zulieB. Hier wie nördlich der Alpen setzt eine Reaktion nach 
der Seite des Malerischen, Unübersichtlichen ein. Diese rassegeschichtlich be- 
gründete Reaktion wurde unterstützt durch ein das ganze Abendland ergreifendes, 
machtvolles Aufwallen des semitischen Geistes. Barock und Jesuitismus oder 
Gegenreformation sind synonym. Dieser Stil ging von der Kirche aus. Die orien- 
talische durchgeistigte Sinnlichkeit, die in ihr lebt, die von Generation zu Generation 
fortgepflanzt wurde, konnte sich mit der nüchternen Klarheit der Lateiner jetzt so 
wenig zufrieden geben wie in jenen ersten Tagen als die römische Kirche ihre 
Vorbilder aus Syrien und Palästina holte. Das Barock ist die glänzendste Inszenie- 
rung kirchlicher Frómmigkeit, die rauschendste Interpretation einer Geschichte, die, 
in Mesopotamien beginnend, in Jerusalem endet, Jeder Name in der Bibel ist 
semitisch. Durch die Bibel wurden Namen und Ideen Palästinas im Abendland 
eingebürgert. Als die Völker sich von der Kirche zu entfernen begannen und ihre 
Blicke wieder auf die heidnische Antike, das vorchristliche Rom lenkten, wurde 
das semitische Element stark in den Hintergrund gedrüngt. Sobald die Kirche 
wieder Macht gewinnt, bricht sich auch die Tradition des Ghetto Bahn. Es ist 


(1) Wólfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Bruckmann, München 1915. 
198 


einer jener, die Geschichte illustrierenden Zufälle, daß Rembrandt, die stärkste 
Persönlichkeit im nordischen Barock, seine Typen aus dem Ghetto, seine Themen 
aus dem Alten Testament wählte. Rembrandt ist der Maler des Judentums ge- 
worden mit seiner Mystik und seinem Prunk. Keiner ist so tief wie dieser Hol- 
länder in die Seele der Propheten des alten Bundes eingedrungen. Es liegt im 
Barock etwas, das man Messias-Hoffnung nennen könnte. Kostbarkeit des Mate- 
rials, Üppigkeit der Form, malerisch verwirrende Anordnung, mystisches Licht, 
glühendes Dunkel, unheimliche Pracht, schimmernder Glanz, farbendurchflutete 
Räume, Steigerung jeder Bewegung ins Kolossale, das sind die Elemente des 
Barockstils. Es sind zugleich die Elemente der orientalischen Kunst, es sind die 
Elemente, aus denen das Judentum seine poetische Inspiration zog. Wieder wie 
zur Völkerwanderungszeit geht der germanische Geist in seiner deutschen Phase 
sofort die Verbindung mit dem semitisch-orientalischen ein, während der Lateiner 
immer noch seine Sonderart behauptet. Die römischen Barockkirchen Borrominis 
sind kalt neben den Werken unserer deutschen Baumeister, man vergleiche nur 
San Carlo alle Quattro Fontane (1667) mit der Münchner Johannes-Nepomukkirche 
(1735). Der Unterschied liegt nicht in der Zeit begründet, sondern im Volks- 
charakter. Der barocke Stil ist international, weil er von der Kirche ausgeht, aber 
er trifft sich mit den gleichgerichteten Rassetendenzen Deutschlands, wo er wie 
eine Fortsetzung der Sondergotik erscheint. 

Der Tiefenzug, welchen ich als wesentliches Stilmoment der abendländischen 
Kunstentwicklung auffasse, erreichte zum erstenmal einen Höhepunkt in der Gotik 
als ein Tiefenzug ins Dunkle. Er erreicht zum zweitenmal einen Höhepunkt im 
Barock als Tiefenzug ins Lichte. Die Barockkünstler arbeiten zuerst mit Licht 
und Luft, im Sinne von Helligkeit, als Faktoren der künstlerischen Wirkung. Ohne . 
eine Berücksichtigung der Luft, des Untastbaren, ist es unmöglich, die Barock- 
kunst in ihrem Werte zu verstehen. Bei der Plastik ist das vielleicht noch offen- 
barer wie bei der Architektur. Das Zusammenwirken aller Künste im Barock ist 
aber so groß, daß Plastik und Malerei als wesentliche Bestandteile der Architektur 
erscheinen. Rieselndes Licht und flutende Luft sind das Kriterium des Barock. 
Licht und Luft sind es, welche die Formen auflösen, die Konturen verwischen, das 
Ruhende in Bewegung bringen. 

In der letzten Epoche der Gotik hatte die ihr innewohnende Tendenz zur Ver- 
schleifung!) den Unterschied zwischen den statisch tätigen und den getragenen 
Gliedern fast ganz aufgehoben. Gerstenberg faßt diese Aufhebung des Unter- 
schiedes zwischen stützenden und gestützten Gliedern, zwischen vertikalen und 
horizontalen Gliedern als Reduktion des Funktionellen auf. Ich sehe darin die 
letzte Konsequenz des Vertikalismus, welcher jede horizontale Linie ausschaltet, 
jede Auflagerung verschleiert. Der Wegfall des Kapitells ist bezeichnend. Dem 
gegenüber betont die Renaissance gerade die Gelenke. Vertikale und horizontale 
Glieder werden klar zum Ausdruck gebracht. Der Drang nach absoluter tekto- 
nischer Anschaulichkeit führt in Italien zu der sogenannten Reliefordnung, zur Be- 
handlung der Wandfliche als Gerüst, hinter welchem die raumabschließenden 
Mauern liegen. Die wichtigsten architektonischen Glieder dieser Reliefordnung sind 
natürlich die Wandsäulen oder Pilaster und die auf ihnen ruhenden Gesimse. 
Abgesehen von diesem extremen Fall geschieht die Gliederung der Wandflüchen, 
der Fassaden vor allem, immer durch Pilaster oder Säulen und Gesimse. Fenster 


(x) Gerstenberg: Sondergotik, Kapitel II. 
199 


und Türen werden hervorgehoben durch eine Umrahmung von Säulen (Pilastern) 
und Gesimsen. Aus einem Renaissencebau läßt sich mithin jeder einzelne Teil 
herauslósen als ein in sich funktionell bestimmtes Glied, das sich dienend dem 
Ganzen einfügt. Aus dieser in sich ruhenden Bestimmtheit der Teile ergibt sich 
die Ruhe des Renaissancestils, in welchen zuerst Michelangelos Feuergeist den 
Odem einer neuen Bewegung blies. 

Deutschland, das inzwischen den italienischen Raumstil ins Malerische und Be- 
wegte umgedeutet hatte, ergriff sofort die in Italien nur angedeutete Richtung in 
die Tiefe. Pulsierendes Leben, strómende Bewegung erfüllt die Massen, es schwillt 
und gührt in allen Formen. Die Giebel brechen auseinander, die geraden Linien 
báumen und krümmen sich, die Sáulen drehen und winden sich wie vom Sturm- 
wind zerzauste Stämme. Noch bleibt der Renaissancebau stehen, aber jede Form 
an ihm wird lebendig. Vom Grundriß bis in das kleinste Ornament gerät Leben 
und Bewegung hinein. Im Gegensatz zur Gotik, die ein tektonischer Stil war, ist 
das Barock ein atektonischer Stil, der Triumph des Atektonischen. Aber ehe die 
Tektonik des älteren Stiles überwunden war, mußte er überwuchert sein von den 
malerischen Gewächsen des Barock. Tremignans S. Moisé in Venedig ist charak- 
teristisch für diese Wucherung plastischer Zierglieder auf dem noch ruhig stehen- 
den Renaissancebau. Der Salzburger Dom wird noch in der ruhigen Strenge der 
italienischen Hochrenaissance errichtet und nur in der ornamentalen Ausgestaltung 
feiert die neue Geschmacksrichtung ihre Orgien. 

Das Salzburger Barock ist für die rassegeschichtliche Entwicklung des Stils von 
Bedeutung, weil sich hier italienische und nordische Einflüsse trafen. Der Dom 
selbst ist noch von einem Italiener, Santino Solari erbaut, die vornehme Kühle des 
lateinischen Geistes beherrscht noch die Regung ins Ausschweifende und Phanta- 
stische. Wohin der nordische Geist wollte, zeigt sich dann leise in Fischer von 
Erlachs Kollegiumskirche, in weicher das Oval Berninis schon mit deutscher Orna- 
mentbehandlung verbunden erscheint. 

Es dient vielleicht am besten zum Verständnis des barocken Geschmacks, sich 
zu erinnern, daß er, von Michelangelo ausgehend, in Rubens seinen glänzendsten 
Vertreter fand. Diese nordische Steigerung ins Maßlose, alle Gesetze Durch- 
brechende konnte im Süden nicht Platz greifen. Die letzte Ausgestaltung des 
Barock, das Rokoko, gelangte dort überhaupt kaum zur Entfaltung. Die Reaktion 
des lateinischen Geistes gegen diese Barockkultur setzte bezeichnenderweise in 
Frankreich, dem Land der modernen revolutionären Bestrebungen ein. Die üppige 
Blüte des germanischen Geistes verwelkte dort, der Quell der germanischen Künstler- 
Phantasie versiegte, die Kunst verarmte. Der sogenannte „stile Louis XVL“ ist 
nichts anderes als der Übergang von Barock und Rokoko zum Empire. In Louis XVI. 
sehe ich das Einsetzen des blutig endenden Kulturkampfes im 18. Jahrhundert. Man 
kann diesen Ubergangsstil als LüuterungsprozeB auffassen; im Sinne des lateini- 
schen Kulturideals ist es ein solcher. Daß er in Deutschland im Biedermeier aus- 
lief, beweist seine Rassefremdheit. Der deutsch - völkische Sinn flüchtete vor der 
höfischen Strenge ins Bürgerlich-Behäbige, vor der klassizistischen Kälte in roman- 
tisches Märchenland. In die vom Klassizismus und Verstandeskühle hervorgerufene 
Leere drang die deutsche Romantik ein. Im Ornament setzt das Louis XVL, der 
»Zopfstil*, sich zuerst durch, indem es dieses Ornament, wo immer möglich, ab- 
streift und die darunter liegende Struktur nackt zutage treten läßt. Die krummen 
Linien werden wieder gerade.. Überschneidungen werden vermieden, Verkröp- 
fungen und Ausbuchtungen treten in die Fläche zurück, Symmetrie, Klarheit, Ord- 


200 | 


nung lósen das Regellose, Malerische, Wirre des Barock ab. Die gerade Linie 
bestimmt die Gestaltung des Grundrisses, wie sie jede Bauform bestimmt. 

Dieser letzte Stil hat keine tektonische Zeugungskraft besessen. Wir haben 
darum nach Empire und Biedermeier keine weiteren Übergünge zu neuen Stilen, 
sondern lediglich ein unsicheres Tasten und Suchen nach älteren Richtungen. 
Rokoko und Empire sind reine Dekorationsstile, sie gehören daher streng genommen 
nicht mehr in den Bereich der vorliegenden Untersuchung. Die Architektur- 
geschichte des Abendlandes findet einen ersten AbschluB mit der letzten Barock- 
kirche. Die bauliche Entwicklung ist von da ab nicht mehr an die Kirche geknüpft, 
sondern an den Profanbau. Hier aber zeigt sie sich immer völkisch, ja lokal be- 
dingt. Es fehlt das einigende Moment eines internationalen Gestaltungsprinzips, 
wie es die Kirche bot. Seit der Gegenreformation ist die Kirche nicht mehr wie 
in früheren Jahrhunderten Zentrum oder Führer des geistigen Lebens gewesen, das 
drückt sich deutlich in der Architektur aus. Es entspricht genau dem Wesen 
unserer Epoche, daB die Industrie die wichtigsten baulichen Aufgaben stellt. Wir 
stehen hier am Anfang einer neuen Entwicklung. Unsere letzten stilbildenden 
Versuche gehen bezeichnenderweise auf die Betonung des Tektonischen aus. Die 
reine Werkform herrscht sogar im Kunstgewerbe. Nach dem Weltbrand, welcher 
die letzten Fetzen einer fadenscheinig gewordenen Kulturtradition vernichtet, wird 
vielleicht die Götterdämmerung der zweiten abendländischen Kunstepoche folgen. 


DAS KRODELBILD Nx. 1958 DER KÓNIGL. 
GEMALDEGALERIE ZU DRESDEN ` 


n seiner 1851 bis 1871 in drei Teilen erschie- 

nenen Cranachbiographie hat Schuchardt es 
für wünschenswert erklürt, über den Verfertiger 
dieses auf Holz gemalten Olportráts, dessen Mañe 
er angibt, und das ,ein schónes Bild" sei, Mat- 
thias Krodel (+ 1605), Näheres zu erfahren!). Wen 
es darstellt, vermochte weder Schuchardt fest- 
zustellen, noch die Direktion der Dresdner Ge- 
mäldegalerie, die es im „Führer“ kurzweg als 
„Gemälde eines alten Herrn", jedoch mit Namens- 
nennung Krodels, und des oben rechts auf dem 
Gemälde befindlichen Malerzeichens M. K. ein- 
gereiht hat. 


Einerseits die bei der, Halbfigur“ des alten Herrn an- 
gebrachte Alters bezeichnung , 1591, aetatis suae 79“, 
die auch bei Schuchardt, a. a. O., wiedergegeben 
ist?), sodann aber das Familienwappen, das teils 
rechts oben auf dem Bild sich befindet, teils auch 
der Siegelring zeigt, den der alte Herr am Zelge- 
finger der linken Hand trágt, machen es zweifel- 
los, daß es sich um einen Angehörigen der Fa. 
milie Brehm aus Schneeberg, der Heimatstadt 
Matthias Krodels im Erzgebirge, handelt. Es ist, 
wie die in den Chronikwerken Schneebergs mit- 
geteilte Genealogie der Familie Brehm ergibt, 
der dortige Ratsherr (seit 1579) und Stadtrichter 
Franz Brehm, auch wohlhabender Hammerherr 
zu Unter-Plauenthal, gestorben 1589. Über das 
Wappen siehe Chr. Meltzer, Chronik der Stadt 
Schneeberg, Ausgabe von 1716, Seite 1088. Im 


(1) Chr. 8chuchardt, Lucas Cranach des Álteren Leben 
und Werke, nach urkundlichen Quellen bearbeitet. Teil III. 
Leipzig 1871, Seite 128, vgl. auch I, Seite 245, 291. 
(2) 1591 iet das Jahr der Anfertigung durch Krodel. 


202 


Von GUSTAV SOMMERFELDT 


wesentlichen war Krodel ein Schüler seines Vaters 
Martin Krodel zu Schneeberg, dessen Malerzeichen 
der Berliner Galeriedirektor Waagen') seinerzeit 
bekanntgegeben hat, und das von demjenigen des 
Matthias Krodel, obgleich es die gleichen Buch- 
staben aufweist, nicht unerheblich verschieden ist, 
Was Schuchardt, der in Weimar wirkte, und mit 
den Dresdner Angelegenheiten im ganzen nur 
wenig vertraut war, ferner a. a. O., Seite 128 
(nach Winckelmanns?) Malerlexikon, Seite 274, 
und nach eigenen Wabrnehmungen), über einen 
angeblichen Wilhelm Krodel sagt, beruht auf Kom- 
bination und Mißverständnis. Es handelt sich, 
soviel ich ermitteln konnte, in allen Fällen, in 
denen auf in Betracht kommenden Bildnissen das 
Malerzeichen W. K. angebracht ist, um Wolfgang 
(Wolf) Krodel den Alteren, um 1528, der ein 
Schüler des älteren Lucas Cranach oder doch Ver- 
treter von dessen Richtung war. Siehe H.Janit- 
schek, Geschichte der deutschen Malerei, Bd. III, 
Berlin 1890, Seite 506; im allgemeinen ferner über 
die verwandtschaftlichen Beziehungen der Familie 
Krodel: H. A. Müller und H. W. Singer, All- 
gemeines Künstlerlexikon, Band II, Frankfurt a/M. 
1896, Seite 396. Malereien des Flúgelaltars su 


Mügeln bei Oschatz führte Matthias Krodel 1582 


bei einem Kostenaufwand von 70 Gulden aus, 
worüber das Nähere bei J. G. Sinz, Geschichte 
der Stadt Múgeln, Teil I, Múgeln 1846, Seite 149 
bis 150 gesagt ist. 

(1) G. F. Waagen, Kunstwerke und Kiinstler in Deutsch- 
land. Teil I: Im Erzgebirge und in Franken. Lelpzig 1843, 
Seite 59. 


(2) Ludwig von Winckelmann, Neues Mahlerlexikon. 
Augsburg 1796. 


THOMSEN, WILHELM, Une inscrip- 
tion de la trouvaille d'or de Nagy- 
Szent-Miklós (= Det Kgl. Danske Vi- 
denskabernesSelskab, Historisk-filologiske 
Meddelelser: I, г) Kobenhavn, 1917, 28S. 

In dieser Monatsschrift (IX. Jahrg., S. 13—24) 
brachte ich einen Versuch zur Lósung der In- 
schriften des Schatzes von Nagyszentmiklós in 
Vorschlag, wobei ich zum Endergebnis kam, daß 
— sollten sich auch in der Lesung einige Ab- 
weichungen weiterhin ergeben — der Grundsatz, 
daB diese Inschriften mit alttúrkischen Lettern 
und in alttürkischer Sprache verfertigt wurden, 
kaum mehr geündert werden dürfte. Als ich 
diesen meinen Aufsatz, der in dieser Form mehr 
den Kunsthistorikern gewidmet war, niederschrieb, 
hatte ich den größten Teil meines historischen 
und philologischen Materials natürlich schon fertig, 
und nur die Kriegsverhültnisse brachten es mit 
sich (es war kein Kupfervitriol aufzutreiben, dessen 
man zur Herstellung der alttürkischen Lettern ge- 
braucht hatte), йай diese meine eingehendere Studie 
bislang noch nicht erschien. Diesem Umstande 
habe ich es zu verdanken, wenn ich nun mancher- 
seits recht wertvolle Besprechungen, Winke und 
Ratschläge erhalte, die ja alle zur sachlichen Lö- 
sung dieser — wie das Interesse hierfür zeigt — 
recht wichtigen Frage der Völkerwanderungskunst 
beitragen. In diese Reihe von — für die Wissen- 
schaft ungemein lehrreichen — Beiträgen kann 
nun neuestens auch die oben zitierte Schrift des 
Altmeisters der alttürkischen Philologie, Thomsens, 
herangezogen werden, der ich, trotz dem etwas 
ungewohnt forschen Tone, mit der seiner un- 
bezweifelten Autorität gebührenden Ehrerbietung 
entgegenkomme. 

Diese Ehrerbietung darf mich natürlich keines- 
wegs daran hindern, auch jetzt schon zu dieser 
Schrift Stellung zu nehmen; und zwar muß ich 
im allgemeinen, da dieselbe wahrlich wenig Sach- 
liches gegenüber meiner Aufstellung zu bringen 
weiß, in Sachen meiner Nachweise auf die hoffent- 
lich nunmehr bald erscheinende Grundlegung 
meiner Lesungen hinweisen; sonst ‘aber möchte 
ich doch einige Fehlschlüsse und Irrtümer des 
dänischen Gelehrten auch hier schon festnageln. 


* * 
* 


Von 28 Seiten ‘seiner Schrift behandeln etwa 
drei und eine halbe meine unansehnliche Arbeit, 
und zwar in einem Stile, worüber Thomsen selbst 


bemerken muB, er habe sich ,sévérement" aus- 
gesprochen; was ebenso euphemistisch klingt, als 
das ,longuement.^ Sehr bezeichnend ist aber, 
wenn er selbst behauptet, er verfahre deshalb so 
erbarmungslos mit meiner Arbeit, weil es ihm 
mißfällt, daß der „berühmte und gründliche Orien- 
talist“, Prof. Karabalek, meiner Arbeit, „sans ré- 
serve" (was gar nicht den Tatsachen entspricht), 
beistimmte. Also eine Art von treuberzig be- 
kannter Gelehrteneifersucht, die ihren Unterstrich 
durch den webmütig vorgebrachten Seufzer erhält: 
„moi-même j'ai à plusieurs reprises, au cours des 
années, perdu pas mal de temps en m'occupant, 
mais j'ai fini par arriver à ce résultat qu'il est 
impossible d'en trouver le déchiffrement......" 
Hätte sich Thomsen Zeit seines Lebens ebenso 
nach den Nórglern gerichtet, wie er es offensicht- 
lich jetzt von anderen wünscht, und nicht viel- 
mehr ans frische Schaffen gedacht, wahrlich, seine 
epochalen Erkenntnisse würen nicht zustande ge- 
kommen. 

Der altebrwürdige Gelehrte schien übrigens bei 
Niederschrift seiner, meine Arbeit náher behan- 
delnden 3'|, Seiten diese meine Arbeit eigentlich 
gar nicht recht gelesen zu haben, Er spricht an- 
fangs seiner Zeilen über einen ungarischen Ge- 
lehrten, den er nicht das Recht habe, zu nennen, 
da dessen Arbeit — Thomsens Ansicht nach — 
bislang noch nicht erschien. Dieser Gelehrte war 
weil. Géza Nagy, über dessen bez. Arbeit ich in 
meinem Aufsatze aber ganz klar sagte, daß sie 
schon erschienen sei. Spiter, auf 8.17, nachdem 
er meine Arbeit gehörig abgerissen hat, sagt nun 
Thomsen, daß er aus meiner Arbeit doch ersühe, 
daB G. Nagy's Beitrag erschienen sei, was soviel 
besagt, daß Thomsen zuerst seine Kritik nieder- 
schrieb, und dann erst eigentlich meinen Aufsatz 
durchlas. Solche Gedächtnisfehler sind übrigens 
in Thomsens Besprechung noch nachzuweisen. 
Er sprach z. B. vor etlichen Jahren (in den Mé- 
moires de la société Finno-Ougrienne, 1894) den 
Grundsatz aus, дай die alttürkische Schrift nichts 
mit Runen zu tun habe: nun aber spricht er in 
dieser Kritik unentwegt von alttürkischer Runen- 
schrift (z. B. S. 7 u. 10). Dann macht mir Thom- 
sen den Vorwurf, ich gebrauchte zum Nachweise 
meiner Lesung türkische Dialekte von Sibirien 
bis zur Türkei (was nebenbei den Tatsachen gar 
nicht entspricht; ich berufe mich ja direkt darauf, 
дай ,der alttürkische Dialekt, worin unsere In- 
schriften verfaßt sind, heute durchgehends in den 


203 


südóstlichen Gebieten des zentralasiatischen Türken- 
tums: im Uigurischen, Teleutischen und Ostturke- 
stanischen, folglich durchwegs an den Abbüngen 
des Altai zu finden ist“). Hingegen passiert es 
dem verdienten Forscher, daß er im zweiten Teile 
seiner Arbeit, bei dem Versuche der Lesung einer 
griechisch geschriebenen, türkischen Inschrift nun 
wirklich Belege aus aller Herren Länder, von den 
Uiguren bis zu den Osmanlis heranzieht, was ihm 
ja gar nicht übel angerechnet werden soll, da ja 
die Völkerverschiebungen im frühen Mittelalter 
wirklich solche Kulturübertragungen zur Folge 
hatten, über die schon so manche Philologen 
stolperten. Dann hält sich Herr Thomsen auch 
darüber auf, daß ich die Inschriften bald von 
rechts nach links, bald umgekehrt lese. Ich ver- 
wies in diesem Bezuge auf Radloffs Alttürk. In- 
schr. I, S. 383 f., was Herrn Thomsens Aufmerk- 
samkeit offenbar entging, und kann nun auch 
weiterhin auf eine ganze Folge von Tatsachen 
dieser Art hinweisen, die in meiner schon er- 
wühnten Grundlegung demnächst erscheinen 
dürften. Herrn Thomsen dürfte es aber auch 
sonst bekannt sein, wie recht ,unphilologisch" 
die alten Türken im 7.—8. Jahrhundert n. Chr, 
schrieben; und auch in dieser Hinsicht werde ich 
mir erlauben, so manches anzuführen, was da- 
durch seine Erklárung finden dürfte, дай die Alt- 
türken eine fertige Grammatik, diejenige der 
Brahmi-Schrift, für ihre Zwecke und für ihre 
phonetisch ganz fremde Sprache adaptierten, 

Auch kann ich den Umstand nicht mit Schwei- 
gen übergehen, daß Herrn Thomsens Kenntnisse 
über den bez. Schatzfund bei dem Jahre 1885 
stehen geblieben sind. Er scheint zum mindesten 
darüber keine Kenntnis zu besitzen, daß Hampel 
seine im besagten Jahre erschienene Arbeit seither 
gründlichst umarbeitete und nunmehr auf ganz 
andere Ergebnisse kam. Diesem etwas veralteten 
Standpunkte entspricht es auch, wenn Herr Thomsen 
stets über einen „evidenten christlich-byzantini- 
schen Einfluß“ spricht (S.rr, 25, 26, 27), den der 
Schatzfund angeblich aufweisen soll. Nun, dar- 
über sind wir ja längst hinaus; wovon sich Herr 
Thomsen ja hätte überzeugen können, wenn er 
Strzygowskis Altai-Iran zur Hand genommen 
hätte — zu Herrn Thomsens Leidwesen auch 
übrigens ein Werk, das meiner Annahme der 
alttirkischen Flerkunft des Schatzes vollauf ge- 
recht wird. 

Dem zweiten Teile des Thomsenschen Werkchens 
mag ich nun gar nicht näher treten. Aber be- 
zeichnend bleibt es doch, wenn der Altphilologe 
anstatt der Deutung G. Nagy’s für das in der 


204 


Inschrift zweimal vorkommende tacon die Inschrift 
zu *tepsisi „korrigiert“, und hierdurch eigent- 
lich erweisen will, daß er besser weiß, was der 
Alttürke schreiben wollte, als der Alttürke selbst. 
Das ewige „оп pourrait peut-étre admettre", „me 
cause encore certaines hésitations", „il faut re- 
courir à une hypothése“, mögen ihre volle Be- 
rechtigung haben, nur dazu bieten sie keine Be- 
rechtigung: eine ehrlich geleistete Arbeit unter 
ihrem Deckmantel einfach ohne Kritik in solcher 
Art abzutun, wie es Herrn Thomsen beliebte. 
Dies muBte ich ja auch gegenüber der gerne 
anerkannten Autorität Wilhelm Thomsens fest. 
stellen. Dr. G. Supka-Budapest, 


VOGEL, J., OttoGreiners graphische 
Arbeiten inLithographie, Stich und 
Radierung. Wissenschaftliches Ver- 
zeichnis von Julius Vogel mit 40 Tafeln 
in Lichtdruck. Dresden, E.. Arnold. 4°. 
1917. | | 

Das vorliegende Verzeichnis ist unter den glück- 
lichsten Vorbedingungen entstanden. Der verhilt- 
nismáBig frühe Tod des Künstlers, an sich be- 
trüblich, stellt den endgültigen Abschnitt dar, der 
dem Verzeichnis, gegenüber so vielen anderen, 
die uns in den letzten Jahren beschieden wurden, 
seine unangreifbare Erscheinungsberechtigung ver- 
bürgt. Dagegen ist es wenigstens in der Haupt- 
sache zu Lebzeiten des Künstlers, mit dessen 
weitgehender Beihilfe, von einem seiner nahen 
Freunde abgefaßt, der sich der Unterstützung an- 
derer, noch intimerer Freunde Greiners erfreute. 
Am meisten verdankt die Arbeit aber dem gün- 
stigen Umstand, daB ein wirklich Berufener, ein 
richtiger Fachmann, sie unternommen hat. So 
kommt es, daß man endlich wieder einmal einen 
„Oeuvrekatalog“ in die Hand bekommt, an dem 
man fast nichts auszusetzen hat, in dem die An- 
ordnung, die Art der Aufnahme, die Bearbeitung 
der einzelnen Titel, die Gewissenhaftigkeit, mit 
der die Aufgabe durcbgeführt wird, sümtlich in 
gleichem Maße erfreuen, 

Vogel hat sich bereits öfters über Greiner ver- 
breitet und aus seiner Museumstätigkeit kennt 
man seine Stellungsnahme dem Künstler gegen- 
über, Wer vielleicht leise den Argwohn gehegt 
hat, die Einleitung zu vorliegendem Verzeichnis 
móchte, — besonders da sie so kurz nach Greiners 
Tod beinahe als Nekrolog wirken muß, — ein 
wenig zu dithyrambisch ausfallen, wird auch in 
diesem Punkt auf das Angenehmste berührt sein. 
Der Verfasser schlägt warme Töne der Verehrung 


an, aber er ist auch nicht blind gegen die Mangel 
Greinerscher Kiinstlerschaft, — man liest darüber 
noch mehr zwischen den Zeilen als in den Zeilen — 
und er spricht kaum ein Lob aus, das man nicbt 
unterschreiben kónnte. Auch ihm ist es nicht 
zweifeihaft, daß von der Frische der Jugendarbeiten 
aus den ı889—ı8gıer Jahren bald viel verloren 
geht, daB sich dann aber Greiners Kunst wieder 
zu einer wirklichen Größe in den Bildnissen der 
Jahre 1900— 1907 (Frau Wagner, R. Pichler, J. Guth- 
mann usw.) steigert, und daß diese Steindrucke 
die eigentlichen Großtaten des Künstlers auf gra- 
phischem Gebiet bleiben werden. Hier konnte 
sich Greiners ,Sinn für die Wirklichkeit", den 
auch Vogel als die Hauptkraft des Künstlers an- 
spricht, auf das Glünzendste, kaum je su Uber- 
treffende, entfalten, Hier konnte ihm sein Passi- 
vum, die Mangelhaftigkeit seiner Phantasie viel- 
mehr als der Mangel an Phantasie selbst, nicht 
hemmen. Abstammung und Bildung haben ehern 
ihre Faust auf ihn gelegt. Wir wissen, und Vogel 
erzählt es uns wieder, daß Greiner in seinen 
Mannesjahren sich in bewundernswerter Weise 
eine Bildung angeeignet hat. Aber es gibt Dinge, 
die sich nicht abstreifen lassen und Dinge, die 
sich nicht einholen lassen, wenn man mit dem 
Versuch in etwa erst dem zwanzigsten Lebensjahr 
zu beginnen vermag. Jugend und Jugenderziehung 
sind schuld an der Unkultur, die in solchen Blät- 
tern steckt, wie der , Hexenschule" und dem „Mörser“, 
an dem selbst Vogel die ,gegenstündlich unndtig 
drastische Form“ rügt. Hat sich einmal Greiners 
inneres Auge zu einem kühneren, freieren Schwung 
der Phantasie erhoben, wie in der Gia, so folgt 
ihm das äußere nicht und der Zwiespalt bleibt 
bestehen. Doch, was er Großes geboten hat in 
den genannten Bildnissen (man kann den Klinger, 
die Kunstkenner, den Meurer, die Deutschen in 
Rom, übrigens auch das Schießdiplom noch zu- 
gesellen) ist genug für einen Mann. Das andere 
starke Aktivum in Greiners künstlerischer Per- 
sónlichkeit, sein Sinn und Geschmack für eine 
feine Farbigkeit, wie sie uns zahlreiche Zeichnun- 
gen und einige Ölgemälde verraten, — hat er 
leider nicht in seiner Grapbik verwertet. 

Vogel verzeichnet (richtig gerechnet) 117 Blatter, 
von denen die ersten r5 unbedeutende Kopien, 
nur Lehrlingsarbeiten sind. Unter den übrigen 
rund 100 befinden sich vier Radierungen (die 
Klinger-Greiner-Schneiderplatte mit eingerechnet) 
und 14 Stiche, Alle sind genau und ausführlich 
in chronologischer Folge beschrieben, mit den 
nötigen gegenständlichen Erläuterungen und mit 
Hinweis auf Studienzeichnungen. 


‚überhaupt nicht aufgenommen werden, 


Als einzigen Fehler empfinde ich bloß die Nu- 
merierung. Die beiden Hilfsplatten zur Gäa, der 
verworfene Stein zum Löfftzblatt sind doch ge- 
trennte, selbständige Arbeiten und mußten selbst- 
verständlich eigene Nummern haben. Das Gleiche 
gilt von der Rückseite des Kantateblattes (V. 48b) 
und gegebenenfalls von der des Festprogramms 
(V. a1b). Dagegen durften die Rosenstudien (V.102) 
da sie 
nicht einmal bis zur Átzung, geschweige denn 
bis zum Druck gediehen sind. Wenn, wie es 
scheint, die Bildnisse von Cosima und Siegfried 
Wagner (V. 75 u. 76) auf ein und demselben Stein 
stehen, so hitten sie auch nur eine Nummer haben 
dürfen. Drucke der Einzelbildnisse, — wenn sie 
nicht lediglich zerschnittene Papierdrucke sind, — 
waren ais II. Zustand anzuführen gewesen. 

Wie leicht einem etwas bei solch mühseliger 
Aufgabe entschlüpfen kann, zeigt der Umstand, 
daß Vogel, obwohl er die Dresdener Sammlungen 
mehrmals durchnahm, nicht bemerkte, daß es vom 
Ex-Libris Rex (V.79) II Zustände gibt: I = die 
Fessel geht durch Löcher im Schild oben; II = 
der Schild ist nicht durchlóchert und die Schild- 
fessel verläuft heraldisch richtig hinter dem Schild. 


Hans W. Singer-Dresden-Wachwitz. 


COHEN, HERMANN, Asthetik des 
reinen Gefühls. 2 Bände. Berlin, Bruno 
Cassirer, 1912. 


Ein Buch Hermann Cohens kann es ertragen, 
auch um Jahre verspitet besprochen zu werden, 
was im vorliegenden Fall durch die Einberufung 
des Referenten verschuldet ist; aber eine wissen- 
schaftliche Zeitschrift kann nicht darauf verzichten, 
ihre Leser zur Auseinandersetzung mit einem so 
inbaltsreichen und bedeutsamen Werk — sei es 
auch durch Einwünde vnd Verwabrungen — auf- 
zumuntern. Über die Stellung Hermann Cohens 
innerhalb der Philosophie unserer Zeit kann hier 
nicht gesprochen werden, braucht es auch nicht, 
da seine Wirkung sich auf das ganze Reich der 
Geisteswissenschaften erstreckt. Man meg diese 
Wirkung günstig oder ungünstig beurteilen, das 
eine wird jeder zugestehen, der hinter den Büchern 
den Menschen zu fassen versteht, und der ab- 
zuschätzen weiß, was persönlicher Einsatz für 
Denken und Gesinnung der Zeit zu bedeuten hat, 
daß wir wenige so machtvolle und geschlossene 
Denkerpersönlichkeiten unter uns haben, und daß 
diesen wenigen „frei durch Vernunft, stark durch 
Gesetze“ der Menschheit Würde in die Hand ge- 
geben ist. 


205 


Von den meisten, fast kënnen wir sagen: von 
allen modernen Versuchen, einen eigenen Stand- 
punkt in der Asthetik zu gewinnen oder zu um- 
schreiben, unterscheidet sich Cohens Werk da- 
durch, daß es keine „isolierte“ Ästhetik enthält, 
sondern daß diese das dritte Glied eines Systems 
bildet, und zwar unter ständiger Vergegenwárti- 
gung dieser Anlage. 

Das wird vielen, auch vielen Lesern dieser 
Monatshefte als ein recht zweifelhafter Vorzug 
erscheinen. Aber die systematische Koordination 
muß nicht notwendig die Eigentümlichkeit der 
Erscheinungen vergewaltigen, sie kann ihnen auch 
erst recht Spielraum und Sicherung gewähren. 
Ich habe sehr viel gegen die Polemik einzuwen- 
den, die Cohen gegen die romantischen Philo- 
sophen richtet; aber daß ein Denker, der sich 
nicht dazu verstehen will, das Ganze der Philo- 
sophie in Ästhetik aufzulösen, schon dadurch die 
Mannigfaltigkeit der Tatsachen in unzulässiger 
Weise schematisiert, ist ein Vorwurf, dessen Be- 
rechtigung allein durch die Scheu vor dem Wort 
System gedeckt ist. Freilich muß man unter 
System etwas anderes verstehen als die Anord- 
nung wildgewachsener Ansichten nach Kategorien, 
die aus der fachwissenschaftlichen Überlieferung 
entnommen werden. Hiervon ist das Bemühen 
Cohens, den Begriff einer ästhetischen Gesetzlich- 
keit gemäß dem allgemein bedingenden systema- 
tischen Begriff der Gesetzlichkeit zur Entdeckung 
und zur Bestimmung zu bringen, grundverschieden. 
Wie man sich auch zu der bald umständlich aus- 
greifenden, bald derb zupackenden, bis zur Ängst- 
lichkeit vorsichtigen und wieder bis zu souveräner 
Nichtachtung tatsächlicher Verhalte eigenwilligen 
Art der Grundlegung mit allen ihren geistes- 
geschichtlichen und erkenntnistheoretischen Hilfs- 
konstruktionen stellt, im ersten Bande ist eine 
Denkleistung enthalten, die ihren Lohn nicht nur 
in sich selbst trigt. 

Eine andere Frage freilich ist, welchen un- 
mittelbaren Gewinn die Kunstbetrachtung, das 
historische Studium und das lebendige Verhältnis 
von dieser Ästhetik davontragen wird, und da 
scheint es mir, als ob der Anreiz zu kräftigstem 
Widerspruch der Wirkung bestes Teil sein wird. 
Cohens gereizte Auseinandersetzungen mit Konrad 
Fiedier, der uns als der Verführer Adolf Hilde- 
brands vorgestellt wird, lassen die Brüchigkeit der 
Grundlagen am klarsten erkennen. Die Akko- 
modation, die Cohem zwischen seinen eigenen 
Anscbauungen und denen Hildebrands vornimmt, 
dürfte nicht allen textkritischen Bedenken stand- 
halten, 


206 


Um das Recht der Philosophie an der Ästhetik 
zu behaupten, sah Cohen sich veranlaßt, seinen 
persönlichen Anteil an ästhetischen Erlebnissen ` 
zu bezeugen und von seinen Lebenserfahrungen 
an den großen Kunstwerken zu berichten. Er 
meint, ohne solche Kundgebungen würden seine 
methodischen Ausführungen nicht nur der Ver- 
anschaulichung, sondern auch der Beglaubigung 
ermangelt haben. Hiervon verspricht sich der 
verdiente Verfasser entschieden zu viel. Seine 
Bekenntnisse können seine Theoreme nicht be- 
glaubigen, sondern allenfalls ihre Bedingtheit klar- 
stellen, vorausgesetzt, daß ein enger und wider- 
spruchsfreier Zusammenhang zwischen Kunst. 
anschauung und Theorie vorliegt, In seinen kon- 
kreten Urteilen über Kunstfragen und künstlerische 
Persónlichkeiten und Werke zeigt sich Cohen als 
ein strenger Klassizist, der auf den weltbürgerlich- 
humanitären Inhalt des klassischen Ideals das 
Hauptgewicht legt und sich der anderen groBen 
Erscheinungen der Kunstgeschichte, so weit er 
sie nicht ablehnt, durch Herauslesen des gleichen 
Inhalts zu bemáchtigen sucht. Wie weit, wie 
schwierig und verzwickt der Weg von Cohens 
Position zu den Tatsachen der Kunst ist, und was 
alles von seiner Methodik unerledigt bleibt, zum 
Beweise dessen braucht man gar nicht so krasse 
Fülle wie seine Behandlung der Gotik anzuführen, 
es genügt, auf Partien hinzuweisen, wo er sich 
mit ibm durcbaus sympathischen Gegenstünden, 
wie etwa Rembrandt, beschiftigt. 

Im Vorwort spricht der Verfasser den Gedanken 
aus, der Wert seines Buches kónne durch An- 
fechtung des Fundamentes seiner Begriffe zwar 
gemindert, aber keineswegs vernichtet werden, 
denn dieser liege in der systematischen Methodik, 
die hier die Asthetik erfahren hat. Dieser An- 
Schauung kann ich zustimmen, und jeder Ver- 
such, das Eigenrecht der Philosophie zu wahren, 
bedeutet einen Gewinn für die Ästhetik. 

Hugo Bieber. 


ARPAD WEIXLGARTNER, August 
Pettenkofen. Herausgegeben vom k. k. 
Ministerium fiir Kultus und Unterricht. 
Zwei Teile. Wien 1918. Gerlach und 
Wiedling. 

Auch diese neueste Publikation des österreichi- 
schen Kultusministeriums steht in der muster- 
gültigen Art der Ausstattung, besonders bemer- 
kenswert durch die vollendete Wiedergabe des 
Abbildungsmaterials in teilweise farbigen Licht- 
drucken, den vielgerühmten früher erschienenen 


Monographien in keiner Weise nach. Wiederum 
mischt sich dieser anerkennenden Zustimmung 
ein leises Bedauern bei, da& dem reichsdeutschen 
Kunstschriftsteller in seinem Vaterlande derartige 
erfreuliche Möglichkeiten, seinen Arbeiten durch 
behördliche Unterstützung die entsprechende und 
zu weiterem Schaffen günstig aufmunternde Form 
zu gewinnen, völlig fehlen und, von anderen Hin- 
derungsgründen materieller Art abgesehen, fehlen 
werden, solange bei den maßgebenden Stellen Ar- 
beiten über Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts 
als feuilletonistisch verdächtig gelten. Es ist die 
ausgezeichnete Eitelbergersche Tradition, welche 
am Minoritenplatz seßhaft bleibend sich vorbild- 
lich bewährt, und so steht zu hoffen, daß uns 
durch eine großzügige Munifizenz die Reihe der 
im staatlichen Auftrage herausgegebenen Werke 
über die hervorragenden österreichischen Künstler 
des 19. Jahrhunderts noch in weiteren Fortsetzun- 
gen zu begrüßen beschieden sein möge, 

Auf Segantini, Führich und Alt ist nunmehr 
Pettenkofen gefolgt. Man fragt sich angesichts 
der Bedeutung, die in steigendem Maße dem Werk 
dieses gerade von seinem österreichischen Tem- 
perament in seinem künstlerischen Schaffen ge- 
hobenen Meisters zuerkannt wird, und die im 
Sinne der ausgesprochenen Schätzung seiner ma- 
lerischen Kultur seinen Gemälden hier neben 
Makart und dort vor Munkacsy den gesicherten 
Platz zuweist, warum Pettenkofen nicht schon 


als erster oder mindestens als zweiter österreichi- 


scher Maler für die monographische Behandlung 
berufen ward. Die außerordentlichen Schwierig- 
keiten, welche die Bearbeitung des biographischen 
Materiales darbietet, mögen daran Schuld getragen 
haben. Denn ohne irgendwelche kritische Zweifel 
zu bedingen, liegt der Entwicklungsgang Petten- 
kofens deutlich erkennbar vor Augen, nur durch 
wenige wichtige Beziehungen zu der heimi- 
schen und zu der französischen Malerei, erst 
seiner zweiten Lehrmeisterin, im Fortschreiten 
bestimmt. An dieser Tatsache ändert die Un- 
bequemlichkeit nichts, einen großen Teil der Bil- 
der Pettenkofens aus dem Privatbesitz hervor- 
suchen zu müssen, zumal seine schon frühzeitig 
erreichte, durch Jahrzehnte bewährte Meisterschaft 
keine anderen als die ganz äußerlichen, lokalen, 
durch den Wechsel des Aufenthaltsortes gegebe- 
nen Unterscheidungen zu machen gestattet. Ein 
wesentlicher Vorwurf, der sich nicht gegen 
Pettenkofen allein, sondern gegen mehrere ihm 
wesensverwandte Maler, Stevens, Fortuny, Albert 
von Keller, richtet, ihre Kunst sei ,international", 
wird also, obwohl er unberechtigt ist und leicht 


EE werden kónnte, infolge der Not- 
wendigkeit einer solchen Einteilung wiederum er- 
hoben werden. Weit eher wiirde der Mangel 
einer bei allen bedeutenden Meistern des 19. Jahr- 
hunderts (mit der genjalen Ausnahme in den 
Schópfungen Wilhelm Triibners) hervortretenden 
stilistischen Weiterbildung und Vervollkommnung 
den Einwand des Virtuosentums begründen, wie 
er Meissoniers Berühmtheit den Glanz genommen 
hat. Stand Pettenkofen auch mitunter dieser Ge- 
fahr sehr nahe, so hat ihn doch seine Veranke- 
rung in der Soliditát der Wiener Kunst davor be- 
wahrt, von ihr erfaßt zu werden. Hier wäre eifte 
zweifellos anregende Möglichkeit zu finden ge- 
wesen, die Kunst Pettenkofens im ganzen zu be- 
trachten und von diesem Gesichtspunkte nicht 
biographischer Art die verschiedenen Einflüsse 
auf ihre Wichtigkeit zu untersuchen, welchen sie 
unterlag. 

Der Verfasser der sehr umfangreichen beiden 
Bünde, Arpad Weixlgürtner, hat nicht zum Vor- 
teil seines Buches derartigen wichtigen Über- 
legungen nur einen äußerst bescheidenen Raum 
gewührt und ist dafür mit bewunderungswürdigem 
Fleiñe im Rahmen der Dreiteilung Wien-Ssolnok- 
Paris ausschließlich biographischen Gesichts- 
punkten gefolgt. Damit hat er sich selbst zu- 
nüchst die Arbeit erschwert. AuBerdem kommt 
durch die gleichzeitig eingebaltene Bevorzugung 
einer für den Leser sehr ermüdenden genauen 
Aufzühlung der sümtlichen Werke Pettenkofens 
bei gegebenen Anlássen unter Beifügung aller 
kritischen Notizen ein die literarische Behandlung 
des Stoffes geradezu unmóglich machender Zwie- 
spalt hinzu, welcher leider eine organisch ge- 
sicherte Form der Darstellung nicht zuließ. Die 
Unbeholfenheit einer solchen Disposition mag in- 
sofern als wissenschaftlich gelten, als sich das 
ganze Materia] Datum auf Datum und Bild für 
Bild aneinanderreihen und einarbeiten läßt. Es 
ist aber doch wohl einmal ein Unterschied, ob 
man den alleinseligmachenden Seminargehorsam 
auch auf die moderne Kunst ausdehnen soll, und 
weiter ist es die Frage, ob damit der gewünsch- 
ten Verbreitung einer zum Ruhme eines Künst- 
lers geschaffenen Monographie genützt wird. 
Selbstverstündlich wird durch diesen Übelstand 
auch der Text stark ín Mitleidenscbaft gezogen. 
Es erscheint fast unbegreiflich, warum Weixl- 
gürtner, statt im Gegensatz zu der neuerdings üb- 
lichen Gepflogenheit, einige rasch geschriebene 
Feuilletons vor einen mit größtmöglicher Papier- 
verschwendung gedruckten Katalog zu heften und 
beides durch zahlreiche Abbildungen zu einem 


207 


äußerlich mit guter Täuschung nach ungebeuer- 
licher Arbeit aussehenden. Wälzer zu stempeln, 
diese langgedehnten ëden Berichte seines Buches 
anzufertigen nicht ebenfalls rasch entschlossen 
Leben, Kunst und Bedeutung seines Meisters in 
wenigen übersichtlichen Kapiteln behandelt und 
alles Überflüssige dem Nachtragsbande aufbewahrt 
hat. War ihm daran gelegen, ganz besondere 
wissenschaftliche Vorzüge mit seiner Arbeit zu 
vereinigen, konnte er sie nach Wunsch und so 
ausführlich wie möglich seinem zweiten Bande 
vorbehalten, der ohnehin ein Muster an Genauig- 
keit geworden ist. Dafür dehnt er seine Erzäh- 
lung aus, so weit es nur möglich ist, und zählt 
außerdem zur scheinbaren Belebung des kultur- 
historischen Hintergrundes verschiedentlich alle 
Ereignisse auf, die zu einem bestimmten Datum 
sich ereignet haben (wobei S. 112 ein grober 
Fehler im Todesdatum Manets, der am 30. April 
1883 starb, unterlief), und der Leser wird bei 
seiner mühevollen Aufgabe schon von Anfang an 
zu der Meinung veranlaßt, daß ein vorgeschrie- 
benes Ausmaß solche Länge verschuldete. Die 
Folge ergibt als Resultat nur den Besitz eines 
schönen Abbildungswerkes, dessen Text nicht zu 
genießen ist. 

Das ist für die Riesenmühe schade, die sich 
Weixlgärtner gegeben hat. Ob es ihm bei der 
offiziellen Art der Publikation gestattet werden 
wird, was sehr wünschenswert wäre, nach rück- 
sichtsloser Streichung von mindestens zwei Dritteln 
seiner Ausführungen eine kleine Volksausgabe, 
welche gewiß dem Ruhme Pettenkofers und seiner 
Verbreitung förderlicher sein wird, zu veranstalten, 
bleibt abzuwarten. Jedenfalls muß eine solche 
Arbeit dringlich gefordert, und zwar von einem 
begabten Kunstschriftsteller gefordert werden, der 
für Pettenkofens Kunst die Fähigkeit der Emp- 
findung und des Geschicks besitzt, diese Emp- 
findung zum Ausdruck zu bringen. Der Verfasser 
einer neuen Monographie wird in historischer Be- 
ziehung völlig auf Weixlgártners Forschungen 
fußen müssen. Liegt sie vor, dann erst wird An- 
laß gegeben sein, festzustellen, ob die künstle- 
rische Seite der Persönlichkeit Pettenkofens richtig 
aufgefaßt worden ist oder nicht, Eswird gleich- 
zeitig Gelegenheit genommen werden müssen, 
den Dank für die historischen Ermittlungen allein 
für Weixlgärtner zurückzubehalten. Wenn histo” 
rische Griindlichkeit und fleißiges Zusammentragen 
alles erreichbaren, selbst des belanglosesten Einzel- 
materiales ein dokumentarisch gesichertes und 
historisch einwandfreies wissenschaftliches Buch 
goschaffen haben, ist das immer der Anerkennung 


208 


A 


würdig und wertvoll. Daß aber zu der lebens- 
vollen Schilderung eines Künstlers in seiner Zeit 
auch andere und wichtigere Eigenschaften der 
Darstellung erforderlich sind, sollten die Kunst- 
historiker wenn nicht schon von Cari Justi, so 
doch von der erfreulichen Methode der neuesten 
historisch-biographischen Forschung gelernt haben. 

Hermann Uhde-Bernays. 


OTTO GLAUNING: Neveu und der 
Raub Nürnberger Kunst- u. Bücher- 
schätze im Jahre 1801 in den Mit- 
teilungen des Vereins fiir Geschichte der 
Stadt Niirnberg. XXII (1918), S. 174-243. 

Uber den Kunst-, Biicher- und Handschriften- 
raub der Franzosen in deutschen Landen wáhrend 
der franzósischen Revolution und unter Napoleon I. 
sind schnell hintereinander eine Reihe von wert- 
vollen Arbeiten veröffentlicht worden. Degering 
und Gronau haben das Thema in der Internatio- 
nalen Monatsschrift behandelt, der Baumeister 
Kempf hat in den Freiburger Münsterblättern die 
Heimsuchungen des Freiburger Doms im Laufe 
der Jahrhunderte geschildert, und neuerdings hat 
Otto Glauning in den Mitteilungen des Vereins 
für Geschichte der Stadt Nürnberg eine Studie 
über den französischen Kunstkommissar Neveu 
und seine Räubereien in Nürnberg veröffentlicht. 
Diese ausgezeichnete, auf Grund sorgfültiger Quellen- 


forschungen verfaBte Studie dürfte — an entlegener 
Stelle gedruckt — nicht die Beachtung finden, die 


sie verdient. Sie sei deshalb hier in aller Kürze 
wiedergegeben. Francois-Marie Neveu, instituteur 
à l'école polytechnique et commissaire du gou- 
vernement frangais en Allemagne pour les sciences 
et les arts, erschien Anfang des Jahres 1801 in 
Nürnberg und forderte im Auftrage seiner Regie- 
rung von der freien Reichsstadt 17 Gemálde und 
so Wiegendrucke als ,Geschenk" für die franzó- 
sische Republik, Der Festigkeit des Rates und 
dem Gescbick seiner Vertreter gelang es nach 
langwierigen Auseinandersetzungen, Neveu zu be- 
stimmen, sich mit s Gemälden und 12 Wiegen- 
drucken zu begnügen. Die fünf Gemälde waren: 
Albrecht Dürers Selbstbildnis und Adam und Eva; 
Georg Penz, Porträt Jamnitzers; Kupetzki, Bildnis 
eines Violinspielers; Heemskerck, St. Lucas, Maria 
mit dem Jesuskinde malend. Es ist Glauning ge- 
lungen, die Irrfahrten der beiden Dürer im einzelnen 
verfolgen zu kónnen; vor allem erbrachte er den 
Nachweis, daB Neveu keine Originale, sondern alte 
Kopien geraubt hatte. Über den Verbleib der 
Gemšlde von Penz, Kupetzki und Heemskerck 
mußte er uns den Nachweis schuldig bleiben. 


Dem Dürerforscher dürfte Glaunings Arbeit 
mancherlei wichtige Aufschlüsse bringen, da er 
mit groBer Sorgfalt alle ihm irgend erreichbaren 
Nachrichten über die Dürerischen Urbilder sowie 
deren Kopien gesammelt bat. Es ist ihm ge- 
lungen, die Schicksale dieser Gemälde von ihrem 
Ursprung an bis zu ihrer heutigen Aufbewahrungs- 
stätte fast lückenlos zu verfolgen, indem er die 
wenig bekannte Reiseliteratur vom 16.—18, Jahr- 
hundert mit Erfolg zu Rate zog. 

Endlich beschäftigt sich Glaunings ergebnis- 
reiche Arbeit eingehend mit der Persönlichkeit 
Neveus und stellt zugleich einen dankenswerten 
Beitrag zur Geschichte der reichsstädtischen Diplo- 
matie dar. Es ist erfreulich, zu sehen, wie tapfer 
sich die Nürnberger gewehrt, und wie erfolgreich 
sie die Forderungen französischer Anmaßung zu be- 


kämpfen verstanden haben. Ernst Steinmann. ` 


HANS W. SINGER, Handbuch für 
Kupferstichsammlungen, Vorschläge 
zu deren Anlage und Führung. Hierse- 
manns Handbücher, Bd. IX. Leipzig 1916. 

Reiche wissenschaftliche und praktische Erfab- 
rungen liegen diesem Buche zugrunde. Der Ver- 
fasser ist seit 25 Jahren am Dresdener Kupfer- 
stichkabinett tätig und hat dort die Entwicklung 
einer graphischen Sammlung in ihrem Wachstum 
und in der Ordnung der sich stets mehrenden 
Bedürfnisse helfend und schaffend miterlebt. Und 
da in praktischen Dingen praktische Erfahrung 
der beste Berater ist, so wird man das, was der 
Verfasser über die stille Arbeit am Zettelkatalog 
und an den Kastenschränken zu sagen hat, ‚wohl 
mit Dank und Zustimmung aufnehmen können; 
und vor allem, wenn ein verhältnismäßig so sprö- 
der Stoff so lebendig beschrieben und mit so 
treffenden Erlebnissen und Beobachtungen ge- 
würst ist. | 

Der Verfasser geht gründlich zu Werke. Er 
beginnt mit dem Bau und der Ausstattung der 
Räumlichkeiten, deren Größenverhältnisse bis ins 
einzelne bezeichnet werden und deren Anschau- 
lichkeit durch gute Abbildungen gefórdert wird. 
Dann folgen die wichtigsten Kapitel des Buches, 
die über die „Einteilung und Anordnung der Samm- 
lungen" und über die ,Katalogisierung^ handeln. 
Hier werden durch zahlreiche Musterbeispiele die 
Führung der Zettel- und Buchkataloge erórtert 
und die ungeheure Mannigfaltigkeit des Stoffes 
systematisch gegliedert. Den einzelnen Katalog- 
typen ist die gróBte Sorgfalt gewidmet, damit sie 
innerbalb des Gesamtapparates auch tadellos funk- 
tionieren. Es muß sich mit ihnen wie mit mathe- 


matischen Tabellen arbeiten lassen, denn auch 
wir haben oft Aufgaben zu lósen, die wie Gleichun- 
gen mit mebreren Unbekannten aussehen. Die 
Schlußkapitel sind dem „Personal“ und den „Ar- 
beiten der Beamten“ gewidmet. Trotzdem sich 
gerade diese Verhältnisse mehr der Größe und 
den Mitteln des betreffenden Kabinetts werden an- 
passen müssen als schließlich die größere Unab- 
hängigkeit sachlicher Dinge, so wird man doch 
aus den Ausführungen des Verfassers vieles All- 
gemeingültige entnehmen können. f 
Die Benutzungsmóglichkeit dieses auf ein sehr 
enges Gebiet eingestellten Buches hat aber durch 
die Beigabe einer Oeuvre-Katalog - Bibliographie 
eine solche Erweiterung erfahren, daß es aus 
seiner Stellung als gelegentlicher Ratgeber heraus- 
wüchst und als ein wichtiges Nachschlagewerk 
in der Handbibliothek seinen Platz erhalten wird. 
In dieser Bibliographie sind ungeführ 3000 Künst- 
lernamen mit den genauen Nachweisen, wo das 
graphische Werk eines Künstlers einzeln be- 
schrieben ist, verzeichnet. So wird das Buch wohl 
seinen Weg in die weitesten Kreise der Freunde 
grapbischer Kunst finden, es wird benutzt werden 
und Nutzen schaffen. Hans Wolff. 


WILHELM WAETZOLD, Deutsche 
Malerei seit 1870. Mit 55 Abbildungen. 
Verlag von Quelle & Meyer. Leipzig 1918. 


Das dem Andenken Alfred Lichtwarks gewid- 
mete Bándchen aus der Sammlung ,Wissenschaft 
und Bildung", das wohl elner Vorlesung des Hal- 
lenser Ordinarius seine Entstebung dankt, ist im 
besten Sinne des Wortes ein kunstgescbichtliches 
Lesebuch. Klar in der Form, flüssig im Stil, be- 
wültigt es auf knappem Raum ein groBes Kapitel 
deutscher Kunst. Die wesentlichen Momente der 
Entwicklungslinien treten überall deutlich in Er- 
scheinung und manche feinsinnige, vergleichende 
Analyse zwingt den Leser immer aufs neue zur 
Einstellung auf die Hauptfragen derKunstgeschichte, 
soweit sie in diesem Zeitabschnitt zur Erdrterung 
stehen. 

Auch der Versuch einer Betrachtungsweise nach 
Bildmotiven, die gleichbedeutend ist mit der Frage 
nach den Wandlungen, die das erzáhlende Bild, 
das Bildnis, die Landschaft, Stilleben und Wand- 
bild durchgemacht haben, ist glücklich gelöst, 
wenn auch bei solcher Behandlung im einzelnen 
Wiederholungen nicht zu vermeiden waren. Im 
Rahmen der knapp bedingten Umrißzeichnung, 
die Waetzold entwerfen wollte, konnte vielleicht 
diese Art Fragestellung überhaupt nur zum Ziele 
führen. Letzten Endes aber kommt es bei diesem 


209 


Buche wie bei jeder kunstgeschichtlichen Arbeit 


doch nur darauf an, ob es dem Schreiber gelingt, 
seine Leser zu fesseln und zu überzeugen. Und 


das ist hier durchaus der Fall. Der Klarheit des 


Denkens gesellt sich ein ästhetisch begründetes 
Urteil, der flieBenden Schreibweise eine Prügnanz 
des Ausdrucks, die jede Phrase meidet. Und wenn 
es bei aller Anerkennung dennoch eine Einschrün- 
kung des Urteils gibt, so berührt die mehr das 
Thema selbst als die Art seiner Behandlung. 
Waetzold gibt in seinem Buche in der Haupt- 
sache die Entwicklung der deutschen impressio- 


210 


 nistischen Kunstepoche. 


Die neueste Kunst ist 
trotz so feiner Analysen, wie er sie gelegentlich 
für den Expressionismus, dem er innerlich offen- 
bar sehr nahe steht, bereithält, mehr als stiefmútter- 
lich behandelt. Insofern verlangt das Werk ge- 
radezu nach einer Fortsetzung, und ich möchte 
hoffen, daß uns die der Verfasser nicht vorenthält. 
Er scheint, nach dieser Probe zu urteilen, einer 
der wenigen klaren Kópfe zu sein, von dem wir 
eines Tages das Buch auch über die jüngste Kunst- 
bewegung, die doch unsere Zukunft ist, erwarten 
dürfen. Georg Biermann. 


RUNDSCHAU nun 


DER CICERONE. 


X, 11/12. 

HENRIK HAUSER: Ein dänischer Sammler. 
(9 Abb) 

WALTER BOMBE: Ein vergessener Dússel- 
dorfer Landschafter (Carl Irmer). (4 Abb.) 


OUDE KUNST. 

Ш, 8. 

Dr. N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten (1 Taf., 
12 Abb.) E 

Dr. N. WIERSUM: Berichten over engelsch Aarde- 
werk en Porselein 1765—1818. 


C. W. WAGENAAR: De Regentenzaal van het 
nederduitech hervormde Diaconie Weeshuis te 
Utrecht. (6 Abb.) 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 


KUNSTSAMMLUNGEN. 
XXXIX, 9. 


F. GOLDSCHMIDT: Darstellungen des Gekreu- 
zigten zwischen Maria und Johannes aus dem 
Bereiche Hans Leinbergers. (11 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 

XVI, 9. 

KARL SCHEFFLER: Kunstgesetze. 
GUSTAV PAULI: Lovis Corinth. (rs Abb) 
P. F. SCHMIDT: Karl Fohr. (7 Abb) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. . 
Neue Folge XXIX, g. 


GEORG GRONAU: Über ein dem Ghirlandajo 
zugescbriebenes Frauenbildnis. (3 Abb.) 


KARL W. JAHNIG: Die Beweinung Christi vor 
dem Grabe von Rogier van der Weyden. (a Abb.) 


HANS Е. SECKER ; Beiträge zur Dürerforscbung 2: 
Zwei neue Dürerzeichnungen. (5 Abb.) 


KARL SIMON: Aus Peter v. Cornelius’ Frankfurter 
Tagen II. (4 Abb.) 


DIE KUNST. 

XIX, g. 

MAX EISLER: Aus der österreichischen Staats. 
galerie. (14 Abb.) 

AUGUSTE RODIN: An die jungen Künstler. 
ERNST GOSEBRUCH: Adolf Thomann. (8 Abb.) 
JOS. AUG. BERINGER: Der Radierer Emil Anner, 
(9 Abb.) Р 

HANS HILDEBRAND: Josef Eberz. (6 Abb.) 
H. SÖRGEL: Die sichtbare Welt in der bilden- 
den Kunst. 

WOLF: Deutsche Ausstellungen im Ausland, 
Neue Arbeiten von P. L. TROOST - Miinchen. 
(x Taf., ro Abb.) 

MODERNE TIERPLASTIK: Ziervögel der Nym- 
phenburger Porzellanmanufaktur. (14 Abb,) 

K. GROSS: Das Kunstgewerbe und die Leipziger 
Messe. 


WILHELM MICHEL: E. J. Margolds Keks- 
Packungen. (16 Abb.) 


XI. Jahrgang, Heft 7. 


Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. — 
Herausgeber und verantwortl Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin 
W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT 
& BIERMANN, Leipzig. 

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In ÓSTERRRICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. l 


In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: 
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467. 


Es wird gebeten, alle für die Schriftleitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an 


Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsbeften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


211 


89662660606 


ALLGEMEINE KUNSTGESCHICHTE x 


| 
| 
Über die Entwicklung der Abendmahlsdar- 


der byzantinischen Mosaikkunst bis niederlandisch 
stellung Malerei des 17. Jahrhunderts, Von F. Ашы лыкын 


ГИШИ | Uber die Abendmahle-Dartellungen eine ikonographische zu ethalten, wer ebenso 
š : : wünschenswert, wie die Arbeit lohnend sein mußte. Arch ia dee Verlauser bei der озеро 
Mit 26 Abbildungen anf den verschiedenen Klippen 


21 Tafeln in Lichtdruck. Budes aus religiösen, politischen oder nationalen Zufälligkeiten zu erklären; vielmehr gebt 
Geheftet . . . M.14.— 3 er durchweg nur von der rein ee Entwicklung aus ie ee pon 
o eo er из SS = 4 ieee sod Fami r 


kfurter Zeitung. 


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Die norwegische Malerei im 19. Jahrhund. Von Andreas Aubert. 
Донинин Es i& nicht wenig, was gerade Norw Ў anf dem Gebiete der Malerei gelei@et hat. 
| Mit 87 Abbildungen H Seine kinalericho Entwickling geht lange Zeit der deutschen parle und Manner wie Dab 
355 7777 Ä 


Gebunden . M. 7.50 die großen Entdecker dieser Jahre. Ibnen sind die Jungen 3 unter denen sich mar- 
; Teseooesessetaoeess00000500600100000500005020200 kante Erscheinungen wie Edward Munch auch im übrigen Eur opa durchgesetzt haben, 


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Der Garten. Eine Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung. 
Von August Grisebach. 


Oht VI. 10.— 

š eftet . . . M. 10.— = Die Geschichte des architektonischen Gartens findet bier die erde zusammenfassende Dar- 
š Gebunden. . M. 12.— : s#ellung von deutscher Seite. Als Abbildungen sind zeitgenössische Stiche beigegeben. 
анон ияк ИШЕН mit feinem Gefühl ausgewablt, Monatshefte für Kunstwissenschafl. 


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| Christian Ludwig von Hagedorn. Ein Diplomat und 


Sammler des 18. Jahrhunderts. Von Moritz Stübel. 
AS" „Es if ein ein sorgfältig durchgearbeitetes, für die Geschichte der Diplomatie, des Sammler- 
2 Geheftet M. 6.— £ weeens und Kun&hendels àufer& wichtiges Buch, eine Arbeit auf dankbarem, wenig be- 
: * ө: AON ee : tretenem Boden. . . Es genügt, das Buch noch einmal als eine beachtenswerte Quelle 
Tovonscorcconocororccnssaccoconscacacescancconed fúr ein Gebiet zu nennen, das in jüngfter Zeit größere Wertschätzung gewonnen hat.” 

Monatshefte für Kunstiohssischaf: 


VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN, LEIPZIG 


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Für neu hinzutretende Abonnenten! 


Bezug der früheren Jahrgange des Cicerone| der Monatshefte für Kunstwissenschaft 


1. Jahrgang 1909 . . . komplett in Heften. . М. 16.— | 1. Jahrgang 1908 kompl. in Heften M. 16.—, geb. M.20.— 
in Leinen gebunden . M. 19.— 3 20.—, geb. M. 22.— 


2. Jahrgang 1910 3. Jahrgang 1910 . 
3. Jahrgang 1911 .. 4. Jahrgang 1911 . . | komplett in Heften je M. 24.— 
4. Jahrgang 1012. S.Jabrgang 1912 ..[ "Ре е геа 


5. Jahrgang 1913 ee komplett in H h je M. 20.— 6. Jahrgang 1913 ee 


6. Jahrgang 1914 .. 7. Jahrgang 1914 . . | komplet i А 

7. Jahrgang 1915 .. 8. Jahrgang 1915 NL plett in Hoften je M. 30.— 
8. Jahrgang 1916 . . 9. Jahrgang 1916. . | komplet; " _ 
ee rgang ph plett in Heften je M. 33. 


10. Jahrgang 1917 . . 


Abb, 1. Anton Möller, Die Huldigung der Tugenden vor der Gerechtigkeit. Danzig, Artushof 


— — 


Abb. 2. Anton Möller, Die Verleumdung des Apelles. Danzig, Artushof 


Zu: HERMANN EHRENBERG, ANTON MOLLER, DER MALER VON DANZIG 


M. f. K., XI. 7 


Tafel 49 


Abb. 3. Anton Möller, Nachtszene aus Osterwiek. Tuschzeichnung. Königsberg i/Pr., Prussia-Museum 


Zu: HERMANN EHRENBERG, ANTON MOLLER, DER MALER VON DANZIG 


M.f.K., XI. 7 


Tafel 47 


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Abb. 1. Jacomart Bazo: S. Blasius 
(Berlin, Privatbesitz) 


Zu: VALERIAN von LOGA, SPANISCHE MALER DES 15. JAHRHUNDERTS IN NEAPEL 


M. f. K., XI., 7 


Tafel 48 


Abb. 2. Jacomart Bazo: S. Vicente Ferrer 
(Kathedrale von Valencia) 


Zu: VALERIAN von LOGA, SPANISCHE MALER DES 15. JAHRHUNDERTS IN NEAPEL 


M. L K, XL, 7 


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Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis balbjáhrlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 8 


ADAE ecg i15) 308, Ya ADE (RUE Bagh), уо 
1912—15. » . (Rich. Haupt) . S. 239 

OTTO HIRSCHMANN, W. Flemmin g, Die Begründung der modernen 
Karel van Manders Haarlemer Aka- Asthetik und Kunstwissenschaft durch Leon 
deme. Mit 4 Abbildungen auf 2 Tafeln Battista Alberti. Teubner, Berlin-Leipzig 1916 
S.2I (Kurt Preyer) 522799». S. 239 

-213 Heinrich Glück, Türkische Kunst. Vortrag, 

V. CURT HABICHT, gehalten in der Sitzung des Ungarischen 
Findlinge zum Thema: Goethe und wissenschaftlichen Instituts in Konstantinopel 
die bildende Kune ang p . ] 


rischen wissenschaftlichen Instituts in Kon- 
stantinopel 1917, Heft r (Strzygowski) S. 240 
REZENSIONEN Friedrich Haack, Funde und Vermutungen zu 
Dürer und zurPlastik seiner Zeit. Th. Blaesings 


helm L Gammel Dansk Bygnings- 
Wilhelm Lorenzen, Gammel Dansk Bygnings Universititsbuchhandlung, Erlangen, Paul 


kultur 2, 3; Kopenhagen 1916: r) Landgaarde 


Ir" Hefte liegt eine Beilage von B. С. TEUBNER in LEIPZIG bei, welche 
wir besonderer Beachtung empfehlen | 


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Monatshefte für Kunstwissenschaft 


og Lyststeder i Barock, Rococco og Empire Winkler (Sascha Schwabacher). . . S. 241 
66 S., 56 Abb., a) Meddelelser... (Mitteilungen RUNDSCHAU ............. S. 243 
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KAREL VAN MANDERS HAARLEMER 
AKADEMIE. ` | 


Mit vier Abbildungen auf vier Tafeln | Von OTTO HIRSCHMANN 


D* durch Karel van Mander gemeinschaftlich mit Hendrick Goltzius und Cor- 
nelis Cornelisz um 1583 in Haarlem begründete „Akademie“ spielt in Hand- 
büchern, Monographien und vielen Einzelaufsätzen eine meist etwas undeutliche 
Rolle. Durchgehends ist von ihr die Rede als von einer so gut wie unbekannten 
` Größe, mit der aber dessenungeachtet wohl zu rechnen sei. Die Zeit, in die das 
Bestehen der Akademie füllt, ist für die Entwicklung der hollindischen Kunst von 
so einschneidender Bedeutung gewesen, und die ihr zugedachten Funktionen sind 
von solcher Wichtigkeit, daB eine etwas genauere Untersuchung ihres Wesens 
wohl lohnen тий. Man wundert sich, daB in dieser Richtung noch so wenig unter- 
nommen worden ist. Beinahe michte man darüber stutzig werden, wenn die Ur- 
sache der Lücke nicht so leicht zu durchschauen würe. Die Mangelhaftigkeit der 
Überlieferung und die Vagheit der Anhaltspunkte machen es sehr schwierig, sich von 
der Institution dieser Akademie eine einigermaßen bestimmte Vorstellung zu bilden. 
Dadurch läßt man sich vielleicht zu schnell abschrecken, einen Rekonstruktions- 
versuch zu wagen. Wohl ist ein solcher, wie man sich gleich gestehen muß, von 
vornherein dazu verurteilt, ein gebrechliches und vielleicht dazu noch anfechtbares 
Fragment zu bleiben. Eine Zusammenfassung und Prüfung der wenigen über- 
lieferten Tatsachen in Verbindung mit vorsichtigen Kombinationen kann darum 
der Erkenntnis doch förderlich sein. 


L 


Schon die sorgfältige Interpretation der literarischen Überlieferung bringt uns, 
wie ich glaube, einen ganzen Schritt vorwärts. Diese Überlieferung besteht be- 
kanntlich in einem kurzen Passus in der Lebensgeschichte Karel van Manders, die 
ein anonymer Biograph an den Schluß der zweiten, posthumen Ausgabe des Schil- 
derboecks (1617) gesetzt hat. Ich spreche von einem anonymen Biographen, weil 
über seine Person — wie mir scheint — nur mehr oder weniger wohlbegründete 
Vermutungen ausgesprochen worden sind. Gerade zur Beurteilung unserer Text- 
stelle wäre es wichtig, etwas von der Persönlichkeit des Verfassers und seines 
möglichen Verhältnisses zu Karel van Mander zu wissen. Von den drei ernst- 
haften Vorschlügen, die gemacht worden sind, verdient der Hinweis auf Brederode 
entschieden den Vorzug, darf aber trotzdem nur als Hypothese gewertet werden. 
Indem wir diese ganz aus dem Spiele lassen, verzichten wir zwar auf eine unter 
Umständen wertvolle Handhabe, setzen uns aber auch weniger der Gefahr aus, 
die ganze Untersuchung von einem zweifelhaften Ausgangspunkte aus unternommen 
zu haben. 

Nehmen wir zunüchst den originalen Text in seiner würtlichen Bedeutung. 

Nach seiner Niederlassung in Haarlem, berichtet der Biograph, habe van Mander 
1583 ein paar Bilder gemalt ,en quam korts daer nae aen kennisse van Goltsius, 
„en:Mr. Kornelis, hielden en maeckten onder haer dryen een Academie om nae 't 
„leven te studeeren. Karel wees haer de Italiaensche maniere, ghelijck 't aen den 
»Ovidius van Goltzius wel te sien en te mercken is.“ (— und machte kurz darauf 
die Bekanntschaft von Goltzius und Meister Cornelis; sie richteten unter sich 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918. Heft 8 15 21 3 


Dreien eine Akademie ein, um nach dem Leben [das will sagen: nach dem leben- 
den menschlichen Modell] zu studieren. Karel zeigte ihnen die italienische Manier, 
wie man es an dem Ovidius von Goltzius wohl sehen kann). 

Hier steht — und darauf ist, scheint mir, Gewicht zu legen — daB die gegrün- 
dete , Akademie“ unter Karel van Mander, Hendrick Goltzius und Cornelis Cornelisz, 
diesen dreien allein, bestand. Diese Tatsache ist so positiv hingestellt, daB wir 
sie als solche hinnehmen müssen, solange nicht andere, gleichwügende Zeugnisse 
ihre Festigkeit erschüttern. Sie enthält zugleich, zusammen mit der erläuternden 
Fortsetzung der Textstelle über das Modellstudium usf., die für uns unschitzbare De- 
finition des Begriffes „Akademie“, so wie er von dem Anonymus in diesem beson- 
deren Falle verstanden wurde. Man hat sich vielleicht überall da, wo über diese Haar- 
lemer Akademie geschrieben wurde, von der italienischen oder modernen Interpretation 
des Begriffes ,, Akademie“ im Sinne eines Schülerateliers, in dem nach festen Grund- 
sützen unterrichtet wird, leiten lassen. Diese Definition hat natürlich in ihrer All- 
gemeinheit auch dem Biographen vorgeschwebt; das ist deutlich. Zum mindesten 
war es sicher seine Absicht, durch den Gebrauch des damals noch viel gesuchter 
und gewichtiger klingenden Ausdrucks die Bedeutsamkeit des van Manderschen 
Unternehmens zu betonen. Umso wertvoller sind die durch ihn, den Biographen, 
selbst hinzugefügten zwar knappen, aber eindeutigen Prüzisierungen. Diese laufen 
darauf hinaus, daB die Haarlemer Akademie eine Ateliergemeinschaft der drei 
Künstler unter der Aegide van Manders war. Diese Darstellung entspricht auch 
durchaus — wie wir noch sehen werden — der historischen Wahrscheinlichkeit. 

Soviel läßt sich über diese Sache dem Bericht des Biographen entnehmen. Muß 
man aber nicht erwarten, daB, wo es so belangreiche Dinge gilt, van Mander an 
den gegebenen Stellen seines Geschichtswerkes, d. i. in den Lebensbeschreibungen 
seiner beiden „Mitakademiker“, sich selbst darüber ausgesprochen hat? Im Leben 
des Cornelis Cornelisz sucht man vergeblich auch nur eine Andeutung; van Mander 
sagt, wo er von seiner Niederlassung in Haarlem spricht, nur, daB er erstaunt ge- 
wesen sei, dort einen so ausgezeichneten Maler wie Cornelisz zu finden. Hingegen 
steht im Leben von Goltzius wohl eine deutliche Anspielung auf das, was der 
Anonymus unter seiner Akademie versteht: „Doen ick (van Mander) Anno 1583 te 
„Haarlem quam woonen, maeckt ick met hem (Goltzius) kennis, hem toonende 
„eenighe teyckeninghen van Sprangher, daer hy grooten sin toe hadde.“ — Das 
ist aber auch alles. Im ganzen übrigen Schilderboeck ist kaum eine Anspielung 
zu finden, die mit einiger Sicherheit auf die Akademie zu beziehen würe. Warum 
spricht van Mander nicht selbst von seiner Akademie? Abgesehen davon, daB es 
nicht im Geiste der damaligen Schriftstellerei lag, das eigene Licht unter den 
Scheffel zu stellen, hštte van Mander bei seinem offenkundigen Streben, ein nach 
Vermögen vollständiges Geschichtsbild zu geben, es gewiß nicht unterlassen können, 
die Haarlemer Akademie wenigstens kurz zu erwähnen. 

Es sind zwei Deutungen des scheinbaren Widerspruches möglich. Entweder: 
Diese Akademie war zwar mit genügend Pomp und Aufheben in Szene gesetzt 
worden, daß 35 Jahre später ein Geschichtsschreiber sich des Ereignisses noch er- 
 innerte; sie war aber nur von kurzer Lebensdauer gewesen und für van Mander 
vielleicht mit unangenehmen Erinnerungen verknüpft, so daß. dieser selbst gerne 
mit.Stillschweigen über die ganze Episode hinwegging. Oder: — und diese, Er- 
klärung hat doch alle Wahrscheinlichkeit für sich — die Darstellung des Anony- 
mus von dem Wesen der Akademie kommt in allen Einzelheiten dem wirklichen 
Sachverhalt so nahe, daß van Mander in seinen eigenen Berichten eben gar nicht 


214 


daran dachte, die Ateliergemeinschaft mit Goltzius und Cornelisz als eine Akademie 
zu bezeichnen!), daB dieser Ausdruck also lediglich dem panegyrischen Streben 
des Biographen entflossen ist. 


II. 


Ihrer äußern Form nach wird die Haarlemer Akademie also auf einen losen 
Künstlerverband reduziert werden müssen. Es wire aber verfrüht, mit der Negie- 
rung ihres formellen Bestehens die Untersuchung abzubrechen, da es uns hier 
nicht in erster Linie darauf ankommt, einen Beitrag zur Geschichte der Akademien 
zu liefern, Ein dankbareres Unternehmen wird es sein, den Funktionen nach- 
zugehen, die Karel van Mander und die um ihn gruppierten Künstler innerhalb des 
niederländischen Kunstlebens erfüllten. Ob man nun von einer Akademie im land- 
läufigen oder nur noch in dem von uns modifizierten Sinne sprechen will, die Auf- 
gaben und Ziele, die jene Künstler sich stellten, blieben dieselben. Wir müssen 
versuchen ein Bild zu gewinnen von den Faktoren, durch die zunächst jene drei, 
weiterhin aber eine ganze, sich ihnen anschließende Künstlergruppe trotz eines 
nur losen Verbandes als geschlossene Einheit erscheinen und dadurch die sie 
charakterisierende Bezeichnung als , Akademie“ in beschrünktem Sinne immer noch 
rechtfertigen. 

Wie man sich das Zusammenarbeiten van Manders mit Goltzius und Cornelis 
Cornelisz zu denken hat, darüber läßt sich manches vermuten, manches sogar mit 
einiger Bestimmtheit aussagen. Daß, wie der Anonymus es darstellt, van Mander 
die führende Rolle in dem kleinen Kreise spielte, ist durchaus glaubhaft, schon an- 
gesichts des Altersverhältnisses und der Vergangenheit der drei. Goltzius war da- 
mals 25 Jahre alt, trotz dieser Jugend zwar bereits ein gesuchter Stecher, aber als 
Künstler rfbch mitten in seiner Entwicklung begriffen. In noch höherem Grade 
muB dies von dem erst arjährigen Cornelis Cornelisz vorausgesetzt werden, wenn- 
schon dieser gerade damals mit einer Meisterleistung, seinem auch durch van 
Mander gepriesenen ersten Schützenstück von 1583, den Grund zu seiner späteren 
Berühmtheit zu legen begann. Cornelisz hatte einen Studienaufenthalt in Nord- 
Frankreich und in Antwerpen hinter sich, war aber so wenig wie Goltzius in Rom 
gewesen. — Ihnen gegenüber war van Mander der weitgereiste und vielseitig ge- 
bildete Mann, der bereits auf eine gewisse klinstlerische Vergangenheit, sowohl 
als Maler wie auch als Poet, vor allem aber auf einen vierjährigen Aufenthalt in 
Italien zurückblicken konnte. Überdies war er sprachenkundig und ein guter 
Kenner des Altertums. Diese Universalitit mu6 ihm, abgesehen von dem nicht 
unerheblichen Altersunterschied — er war zehn Jahre ülter als Goltzius, fünfzehn 
Jahre älter als Cornelisz, — eine absolute Überlegenheit über seine beiden Ge- 
nossen gesichert haben. Vorläufig wenigstens, denn als in wenigen Jahren die 
stärkere künstlerische Begabung der beiden jüngeren sich offenbarte, mag sich das 
Verhältnis etwas ausgeglichen haben, nicht zu sprechen von der Zeit, da Goltzius 
selbst eine an Triumphen und Erfahrungen reiche Romreise hinter sich hatte und 
Corneliszz das unumstrittene Haupt der Haarlemer Maler war. Zunächst aber, 
d. h. in den uns hier beschiftigenden Jahren, mögen die beiden sich der über- 


(1) Daß ihm, van Mander, der Terminus „Akademie“ übrigens in seinem herkömmlichen Sinne ge- 
läufig war, beweist dessen Verwendung im Grondt der Edel vry Schilder-const V 82, leider der ein- 
zigen Stelle, die zu belegen ist. Vgl. R. Hócker, Das Lehrgedicht des Karel van Mander (Quellen- 
estudien zur holländischen nn УШ), Haag 1916, Wortregister. 


215 


legenen Bildung ihres älteren Freundes respektvoll untergeordnet haben. Das läßt 
sich aus den Umstinden mit ziemlicher Sicherheit ableiten. Diese Feststellung 
ist nicht unwichtig, weil sie als Erklärung dienen kann für die merkwürdige Tat- 
sache, daB eine so schwache, auf jeden Fall aller Originalität bare Künstlerpersón- 
lichkeit, die van Mander war, so leicht Schule zu bilden vermochte und, mehr als 
dies, einer ganzen Generation ihren Stempel aufdrücken konnte. 

„Karel unterwies die beiden in der italienischen Manier.“ Diesen Satz hat der 
Biograph vermutlich nicht auf die Autorität eines Gewührsmannes hin nieder- 
geschrieben; aber er war so selbstverstündlich, daB der Schreiber ihn auf seine 
eigene Verantwortung nehmen konnte. 

Die ,italienische Manier“ war der beneidete Besitz derer, die in Rom gewesen 
waren. Wie und in welchem Grade die dort empfangenen Eindrücke verarbeitet 
wurden, das wurde von der zu Hause gebliebenen Künstlerschaft kaum einer 
strengen Kritik unterzogen. Vorderhand selbst nicht in der Lage, die — wie von 
Goltzius belegt ist — schon in diesen Jahren sehnsüchtig geplante Reise aus- 
zuführen, müssen die beiden jungen Haarlemer Künstler die Weisheit van Manders 
umso williger aufgenommen haben. Dem vielseitigen und interessanten Fremd- 
ling, der sich bei aller Überlegenheit als Gleichgestellter und als Freund zu ibnen 
fügte, konnten sie sich unbeschadet ihres Kiinstlerstolzes unbefangen öffnen und 
dasjenige von ihm annehmen, was sie bei allem Selbstbewußtsein für ihre letzte 
Ausbildung sicher selbst unerläßlich achten mußten: die Kenntnis Roms. Diese 
galt — so klingt. es aus den Berichten van Manders heraus — als eine Art 
materieller Besitz, der sich übertragen und aneignen ließ. „Rom“ war für diese 
Leute, auch wenn sie ihn nur vom Hörensagen kannten, ein in viel höherem 
Grade lebendiger Begriff, als er uns in den Zusammenhüngen einer trockenen 
Untersuchung erscheinen kann. Lebendig vor allem durch die Verbindung mit 
allerlei Einzelvorstellungen, die durch die persónlichen Erlebnisse zurückgekehrter 
Rompilger und zahllose Anekdoten genihrt wurden. Für frühere Generationen 
waren Rom und Italien ein Begriff gewesen, und dieser war beinahe zusammen- 
geflossen mit dem Begriff der antiken Kunst. Allmählich aber, besonders mit der 
jetzt den Nordlündern aufdimmernden Erkenntnis von der selbstündigen Bedeutung 
Venedigs, wird er komplizierter und bekommt je linger je mehr eine nach der 
Persónlichkeit seines Überbringers individuelle Fürbung. Man kann diese Steige- 
rung miterleben, wenn man sich ganz allgemein zu vergegenwürtigen sucht, was 
Rom und Italien für den Kreis des Hieronymus Cock, für Karel van Mander und 
seine Genossen und endlich für Rubens gewesen sind. Der „Import“ vollzieht 
sich zuerst werkstattweise, dann im Stile eines heilverkündenden Aposteltums — 
die Stufe van Manders —, endlich aber im Sinne intensiver persönlicher Ver- 
arbeitung; es ist wohl keinem eingefallen, von Rubens die „italienische Manier“ 
lernen zu wollen, so wenig wie Rubens je die Absicht gehegt haben mag, diese 
zu verbreiten und damit nützliches Werk zu tun. Es ist nicht ganz leicht, van 
‚Mander in diesem Entwicklungsschema einen festen Platz anzuweisen. Es frappiert 
da vor allem seine schon ganz klare Einsicht in die Rolle Venedigs für die Malerei. 
Entscheidend ist aber sein Standpunkt, von dem aus er die Verbreitung eines 
Stiles durch Propaganda für möglich hält. Gegebener Weise ist sein eigener Stil 
nur ein Ausfluß dieses Standpunktes. 

Was van Mander seinen vlämischen Lehrmeistern verdankte, dürfte kaum mehr 
als die handwerkliche Grundlage seines Gewerbes gewesen sein. Von Lukas de 
Heere kann er immerhin schon die Anregungen empfangen haben, die sein Kiinstler- 


216 


— Zm k 


tum später in so ausgesprochen literarische Bahnen leiteten. Seine endgültige 
Formung erbielt van Mander erst auf dem Boden Italiens, den er als Fünfund- 
zwanzigjähriger betrat und auf dem er sich vier volle Jahre, wovon drei in Rom, 
aufhielt. Hier bildete er sich — vermeintlich wohl an der Antike, in Tat und 
Wahrheit aber mehr unter dem Einfluß persönlicher Berührungen mit zeitgenössi- 
schen Künstlern. Unter diesen ist für ihn wiederum nicht etwa ein Italiener, son- 
dern der Viame Bartholomeus Spranger die entscheidende Persünlichkeit ge- 
worden, als dessen künstlerischer Ahne wiederum ein Moderner, Parmeggianino, 
zu bezeichnen ist!) So weit hatte die nordische Kiinstlerschaft sich im Grunde 
schon von der vor einem kleinen halben Jahrhundert selbst auferlegten Vormund- 
schaft der Antikenverehrung freigemacht! aber sicher, ohne sich dessen bewuBt 
zu sein. Nirgends wird dies deutlicher als in der Figur van Manders, der Antike 
dozierte, sich berufen fühlte, die italienische — das wollte damals noch sagen: 
antikische — Manier zu propagieren, seine eigenen künstlerischen Äußerungen je- 
doch in den Geist eines Spranger kleidete. Irgend welches Gefühl oder eindrin- 
gendes Verstündnis für antike Formenwelt sucht man in van Manders Kunst ver- 
geblich. Die Absicht dokumentiert sich nur üuBerlich, etwa gelegentlich in Ruinen- 
hintergründen u. dergl. 

Trotzdem war der Geist der Antike in van Mander rege. Aber er hiillte sich 
ein in das Gewand der Theorie, die sich damit zufrieden gab, die Axiome der 
Alten in neuen Lehrsützen der Zeit mundgerecht zu machen. Dies geschieht mit 
solch heiligem Eifer, daB keine Zweifel an der Echtheit des Feuers aufkommen 
können, Hierin, in dieser beinahe kritiklosen Überzeugung von der Überlegenheit 
aller Geisteshervorbringungen der Alten, ist van Mander reiner Romanist, wie das 
vieldeutige und deshalb bisher absichtlich vermiedene Schlagwort lautet. Als aus- 
übender Künstler kann van Mander aber nicht schlechtweg ein Romanist genannt 
werden, zum mindesten nicht ein Romanist par excellence. Denn da muß doch 
der ganz eigentümliche Gegensatz auffallen) der zwischen seinem geschriebenen 
Wort — das mit seinem Kunstwollen gleichgesetzt werden darf — und seinen 
handwerklichen Äußerungen besteht. 

Eine wirkliche Einheit zwischen Streben und Leistung ist wohl von keinem der 
nordischen Schönheitssucher je erreicht worden. Die Hand gehorcht nicht so 
leicht dem Geiste des einzelnen; sie ist den höheren Entwicklungsgesetzen unter- 
tan. Dieser Dualismus besteht auch bei van Mander; für uns ist er umso leichter 
erkennbar, weil van Mander uns die ihn leitenden Grundsätze später in ausführ- 
lichen Formulierungen hinterlassen hat. Während es aber sonst — denken wir 
etwa an Dürer — die mühsam schaffende Hand ist, die dem vorauseilenden Geistes- 
flug nicht zu folgen vermag, scheint merkwiirdigerweise diese hier den Fortschritt 
zu verkörpern, indem sie bereits die Richtung einschlägt, in der die Entwicklung 
weitergehen wird, während das Künstlerbewußtsein noch in den alten Formeln ge- 
fangen bleibt. Es wird hier deutlich, daß der niederländische Romanismus das 
Schicksal aller in erster Linie vom Intellekt geleiteten Stilbildungen teilt: Der 


(z) Van Mander berichtet — nicht ohne daß man zwischen den Zeilen sein Erstaunen darüber lesen 
könnte, — daß Spranger es versäumt habe, bei seinem mehrjährigen Aufenthalt in Italien die klassi- 
schen Monumente der Antike und der jüngsten Vergangenheit zu studieren, Bei jedem andern wäre 
dieses ketzerische Verhalten Grund genug gewesen, daß van Mander den Stab über ihm gebrochen 
hätte; der für ihn überragenden Persönlichkelt Sprangers gegenüber ließ er es bei einem verständnis- 
losen Kopfschütteln bewenden. 


217 


Strom der Entwicklung leidet keine gewaltsamen Unterbrechungen und flieBt über 
ihn hinweg. Und es war eben doch eine Gewalttat gewesen, auf den alten 
Baum der Spitgotik antikische Reiser zu okulieren, wenn auch diese Gewalttat 
von einer materialistischen Geschichtsauffassung als historische Notwendigkeit inter- 
pretiert werden kann. Die Verjüngung mußte aus dem eigenen Holze kommen. 
Immerhin, der Romanismus ist wohl nie in der ganzen Ausgedehntheit seines Pro- 
gramms, so, wie es etwa im Bewußtsein eines van Mander vorhanden war, ver- 
wirklicht worden. Hemmnisse verschiedener Art, die vor allem in dem von Natur 
aus besonderen Form- und Stoffgefühl der nordischen Kiinstlerschaft begründet 
waren, blieben stets weiterleben, sei es auch zeitweise unter der Oberflüche der 
allgemeinen Kunstübung. Van Mander ist uns hierfür ein treffender Beweis. 


ш. 


Van Mander hebt an der einzigen Stelle, wo er von einem lehrhaften Eingriff 
` seinerseits in das Schaffen von Goltzius spricht, hervor, daß es sich dabei um eine 
Vermittlung der Sprangerschen Kunst handelte. Auf diesen bereits gestreiften, 
für die Deutung von van Manders Rolle besonders wichtigen Passus, müssen wir 
hier noch einmal etwas ausführlicher zurückkommen. „Als ich mich im Jahre 
1583 in Haarlem niederließ,“ sagt van Mander, „machte ich die Bekanntschaft von 
Goltzius; ich zeigte ihm einige Zeichnungen von Spranger, — daer hy grooten sin 
toe hadde.“ — „die ihn sehr interessierten,“ übersetzt Floerke; dem Sinne nach 
genauer wire: — „für die er große Lust bezeugte.^ Hierzu muB offenbar ergänzt 
werden: — ,sie zu stechen.* Dies ergibt sich nicht allein aus der Fortsetzung 
des Textes, in der van Mander die große Fähigkeit von Goltzius hervorhebt, die 
Art anderer Meister wiederzugeben, sondern vor allem aus dem uns sicher so gut 
wie vollstiindig überlieferten Stichwerk von Goltzius, in dem tatsüchlich die Arbei- 
ten nach Spranger kurz nach 1583 einsetzen. | 

Van Mander scheint die Aktivität seines Eingreifens selbst möglichst klein dar- 
stellen zu wollen, indem er nur von einem unverbindlichen Zeigen von Spranger- 
schen Zeichnungen seinerseits spricht, das Begehren, sie zu stechen, aber aus- 
schließlich dem Interesse von Goltzius entspringen läßt. Doch haben wir Gründe, 
anzunehmen, daß dieses Interesse nicht einem ganz unbefangenen Urteil entfloß. 
Bei der überlegenen Stellung, die van Mander seinen Genossen gegenüber einnahm, 
bekam alles, was er selbst mit seiner Bewunderung auszeichnete, für die beiden 
jüngeren Freunde gewissermaBen autoritativen Charakter. So muB auch Goltzius 
den Sprangerschen Blättern gegenüber, für die van Mander sicher seine unverhohlene 
Wertschätzung bezeugte, bis zu einem gewissen Grade in zugreifendem Sinne 
voreingenommen gewesen sein. 

Seit der Niederlassung van Manders in Haarlem findet auch die Kunst Sprangers 
hier ihren Eingang, und ibr Import geschieht in solchem Umfange und scheinbar 
mit solcher Planmäßigkeit, daß man nicht wohl anders kann als anzunehmen, van 
Mander habe die direkte Veranlassung dazu gegeben und er habe als Agent 
Sprangers gehandelt. Dies konnte er aus freiwilliger Überzeugungstreue tun. Wahr- 
Scheinlicher aber ist es, daB Spranger sich selbst etwas daran gelegen sein ließ, 
seine Kompositionen vervielfültigt zu sehen, und daB er sich hierfür an seinen 
Freund und begeisterten Verehrer van Mander als den gegebenen Anwalt in den 
Niederlanden wandte, da es damals weder in Prag noch irgendwo in Deutschland 
eine renommierte Stecherschule gab. Immerhin scheint van Manders Behauptung, 
daß Goltzius für die Schöpfungen Sprangers Interesse bezeugte, keineswegs aus 


218 


DO PE OS 


der Luft gegriffen; Goltzius hat um die Mitte und in der zweiten Hülfte der acht- 
ziger Jahre fast ausschlieBlich nach Spranger gestochen und sich dabei dermaBen 
in dessen Formenwelt hineingearbeitet, daB er sich auch in seinen Hervorbringungen 
eigener Invention zunächst ganz der Ausdrucksweise seines Vorbildes bediente. 

Datierte Stiche von Goltzius nach Spranger gibt es zwar erst von 1585 ab. Es 
ist aber besonders lehrreich, ein in diesem Jabre entstandenes Blatt mit Adam und 
Eva (B.271; Abb. 1) neben eine Darstellung des Sündenfalles zu legen, die Goltzius' 
Lehrer Coornhert 1548 nach Heemskerck gestochen hat (Kerrich, S. 8, Nr. 1; Abb. а). 
Hier noch das absichtliche Herausarbeiten des plumpen Körpergewichts nach einem 
Formideal, das sich auf das Vorbild Michelangelos berief. An dessen Stelle bei 
Spranger eine gesuchte Zierlichkeit der Bewegungen verbunden mit einer ge- 
schmeidig glatten Kürperbehandlung, Eigenschaften, die Goltzius in seiner Stich- 
reproduktion besonders treu wiedergibt, weil sie auf ihn Eindruck gemacht haben. 
Dieser frappante Geschmackswechsel ist nun natürlich nicht ausschlieBlich bei 
Spranger festzustellen. Die Abkehr vom Formideal Michelangelos zugunsten eines 
Hinneigens zu der gefälligeren Kunst Correggios war ein Hauptmotiv in der Ent- 
wicklung der abendlündischen Kunst im spätern 16. Jahrhundert. Sprangers Ge- 
samtwerk ist selbst nur ein Symptom hiervon. Sein sprunghaftes Auftreten in 
Haarlem ist aber ohne die Vermittlung van Manders kaum denkbar. 

Nicht ganz so miihelos und einwandfrei ist die Einwirkung von Sprangers Kunst 
auf Cornelis Cornelisz festzustellen. Vorerst fehlt es an einer darauf hinweisenden 
AuBerung van Manders. Sodann ist Cornelisz ein freischaffender Maler und es 
gibt von ihm nicht eine ühnliche, sorgfültig bezeichnete und datierte Reihe von 
Werken aus den achtziger Jahren, wie die Stiche von Goltzius es sind. Figuren- 
bilder sind aus dieser Epoche, soviel ich weiß, überhaupt keine erhalten geblieben. 
Einige Stiche nach seinen Kompositionen bieten dafür keinen vollen Ersatz. Doch 
1981 sich an ihnen, sowie dann an den reichlich vorhandenen Gemälden aus den 
neunziger Jahren leicht feststellen, daß auch Cornelisz ganz in den Bann der 
Sprangerschen Typik geraten ist. Und wir haben Ursache —— daB auch 
hier van Mander dazwischensteht. 

Goltzius und Cornelisz haben dann später als einflußreiche "Schulhüupter die 
Sprangersche Typik ihrerseits verbreitet. Sie ist eines der allgemeinsten Kenn- 
zeichen der sogenannten Haarlemer Schule bis weit über die Jahrhundertwende 
hinaus geworfen. Aber auch der führende Meister in Utrecht, Abraham Bloemaert, 
ist in ihren Bann geraten, und ein anderer Utrechter Maler, Joachim Uyttewael, hat 
sich enger als irgendeiner an Spranger angeschlossen. Zu dieser groBen Verbreitung 
in Holland — und darüber hinaus!) — haben vermutlich vor allem die Stiche von 
Goltzius beigetragen. Letzten Endes aber darf die ganze krüftige Welle auf den 
AnstoB van Manders zurückgeführt werden, und in dem gemeinsamen Propagieren 
einer von auBen inspirierten Kunst dokumentiert sich sein Zusammenwirken mit 
Goltzius und Cornelis Cornelisz. Diese mögen in ihrer raschen Entwicklung der 
Vormundschaft des ülteren Freundes dann schnell entwachsen sein; bei Goltzius 
ist im Anschluß an seine italienische Reise sogar eine ausgesprochene Reaktion auf 
den ihm durch van Mander vermittelten Romanismus festzustellen“). Ein Kern 
(1) Spranger ist in der Tat im letzten Fünftel des Jahrhunderts für die offizielle Kunst die tonangebende 
Persónlichkeit gewesen, nicht nur in Holland, sondern für fast alle germanischen Lander. 

(2) Diese außerordentlich interessante Tatsache kann ich hier, um nicht abzuschweifen, nur streifen. 
Ausführlicher bin ich auf sie eingegangen in meiner Studie über Hendrick Goltzius (Leipzig, Klink- 


hardt & Biermann, Meister der Graphik, Bd. IX), deren Textteil seit dem Sommer 1914 fertig gedruckt 
vorliegt, die aber bessere Zeiten abwarten muß, um auf dem Markt erscheinen zu können. 


219 


der in den entscheidenden Entwicklungsjahren aufgenommenen Eindrücke blieb 
doch nachleben. : 


IV. 

Auch die Hauptstelle, in der der anonyme Biograph van Manders von der Er- 
richtung der „Akademie“ erzählt, müssen wir hier noch einmal etwas genauer er- 
örtern nach den positiven Hinweisen, die sie enthilt. Der Anonymus berichtet, 
daB die drei Künstler sich zusammentaten, um nach dem lebenden Modell zu 
studieren, und Karel habe die beiden anderen in der italienischen Manier unter- 
wiesen, wie es z. B. aus dem Ovidius von Goltzius leicht zu ersehen sei. Was 
für eine Bewandtnis es mit dieser ,italienischen Manier* hat, haben wir an Hand 
der durch van Mander selbst gegebenen Auskunft bereits feststellen kinnen. Als 
eigentliches Ziel der gemeinsamen Arbeit gibt der Biograph aber das Studium nach 
dem lebenden Modell an. Diese Mitteilung sieht leicht allzu selbstverstindlich und 
nichtssagend aus, um in ihrer wirklichen Bedeutung gewiirdigt zu werden. Der 
Anonymus wuBte aber, daB er für Maler schrieb’); wiire das Modellstudium etwas 
Alltägliches gewesen, hätte er es diesem Publikum nicht als etwas Besonderes 
vorsetzen können. Zudem war einer der drei „Akademiker“, Cornelis Cornelisz, 
auf den jene Aussage sich mitbezog, noch am Leben (1617) und der Schreiber hitte 
also mit dessen Widerspruch rechnen müssen. 

Es darf als selbstverstiindlich angenommen werden, daB der Biograph mit dem 
lebenden Modell vor allem das Aktmodell meinte. Seit Jan van Eyck den mensch- 
lichen Körper in Adam und Eva für seinen Genter Altar so andüchtig studiert hat, 
ist das Problem wohl nie mehr ganz liegen gelassen worden, wenn es auch erst 
im r6. Jahrhundert in den Vordergrund zu treten begann. Die praktischen Schwie- 
rigkeiten, die der Pflege des Aktstudiums vermutlich im Wege standen, lieBen es 
zuntichst nicht zu einer allgemeinen Übung werden?) Als dann mit dem Einzug 
der italianisierenden Kunstrichtung das Bedürfnis nach gründlicherer Kenntnis des 
nackten Menschen dringender wurde, suchte man wohl nur in den wenigsten 
Fällen die nötige Belehrung am lebenden Modell Der antike Statuenschatz einer- 
seits, Michelangelo als der Anatomiker par excellence andererseits, waren die Haupt- 
quellen, aus denen nicht blos die Lernenden schöpften, an denen sich auch die 
reifen Künstler mit sehr weitem Gewissen für ihre eigenen Kompositionen inspi- 
rierten. Für Statuenbücher hatten sie darum mehr als bloß antiquarisches Inter- 
esse, und die Stiche Marcantons wurden nicht nur um ihrer Qualitüten willen be- 
wundert. Es ist ein beliebtes und dankbares Thema, in den niederlándischen 
Bildern der Zeit Entlehnungen von Figuren oder Bewegungsmotiven nach antiken 
oder italienischen Mustern aufzuspüren. Nur ist es falsch, den Anlaß zu diesen 


(1) Das Schilderboek, in dessen zweiter Auflage die Blographie van Manders als Anhang abgedruckt 
ist, richtet sich selbst ausdrücklich an die jungen Maler. Daß es guten Absatz fand, beweist die Not- 
wendigkeit einer neuen Auflage dreizehn Jahre nach dem ersten Druck, und daß es zumal unter der 
Künstlerschaft Verbreitung fand, dafür liefern die Künstlerinventare von Dr. Bredius (Haag 1915 ff.) 
zahlreiche Belege; in den meisten Inventaren, in denen Bücher aufgezählt werden, figuriert auch das 
Schilderboeck Karel van Manders. | 

(a) Selbst im 17. Jahrhundert scheint das Aktstudium noch nicht allgemein gepflegt worden zu sein, 
Es wire sonst nicht einzusehen, warum z. B. Rembrandts Atelierbetrieb deswegen solches Aufsehen 
erregte. Und besonders das Studium weiblicher Modelle scheint nicht etwas Alltigliches gewesen zu 
sein; wo es vorkam, da gab es leicht zu kleinen Skandalgeschichten Anlaß. Einige amüsante Bei- 
spiele dafür wiederum bei Bredius, Künstlerinventare. 


220 


Entlehnungen stets aus einer idealen Bewunderung für das Vorbild abzuleiten. 
Mehr, als man gewohnt ist anzunehmen, dürften praktische Beweggründe, Bequem- 
lichkeit oder Verlegenheit die Ursache zu der fremden Anleihe gewesen sein, In 
keiner andern Kunst oder Epoche begegnet man so vielen undeutlichen Gesten 
und forcierten Bewegungen. Die Erklšrung dafür liegt auf der Hand: es sind aus 
andern Zusammenhüngen herausgeschnittene Motive, mit denen der Entlehner in 
freier Verwendung, oft mit Unterschiebung eines ganz andern Sinnes, wuchert. 

In dieses Gebaren hinein kam nun van Mander mit seiner Forderung des Stu- 
diums nach dem lebenden Modell Er braucht sie nicht überhaupt als erster ge- 
stellt zu haben. Vermutlich war er in Italien mit ihr vertraut geworden, wo das 
Modellstudium vielleicht nicht allgemeiner Brauch, aber doch auch nichts so Un- 
bekanntes war. In Haarlem kann seine Anregung darum doch eine bahnbreche- 
rische Tat gewesen sein. Als solche scheint sein Biograph sie auch wirklich be- 
stempeln zu wollen, und wir haben keine Veranlassung, diese Absicht zu ignorieren 
oder ihre Begründung in Zweifel zu ziehen. Dies umso weniger, als die künstle- 
rischen Äußerungen der drei Akademiegenossen eine besonders genaue Kenntnis 
der menschlichen Körperformen und -Funktionen und damit wahrscheinlich die 
Wirkung des Modellstudiums verraten. Das angeeignete Können wird bei ihnen 
schnell zu einer Fertigkeit, die sich kaum darin Genüge tun kann, sich selbst ge- 
stellte Aufgaben zu komplizieren. Am weitesten geht in dieser Richtung Cornelis 
Cornelisz; die jeder Stütze beraubten, durch die Luft auf die Erde niedersausenden 
Körper seiner vier Himmelstürmer (gestochen durch Goltzius, B. 258—261; Abb. 3) 
stellen das Höchstmaß möglicher Bewegung dar. Das Studium des Modells ist 
hier nur noch Voraussetzung, eigentlich aber schon tiberwundener Standpunkt. 
In ihrer Geschraubtheit und in ihrer absichtlichen Schaustellung erworbenen 
Könnens, sind Leistungen dieser Art ein interessantes Stück Akrobatentum. Bei 
Goltzius kommt das Resultat des Modellstudiums in der mühelosen Korrektheit 
seiner Aktzeichnung etwas weniger aufdringlich zum Ausdruck. Van Mander be- 
ginnt hier mit in viel höherem Grade konventionellen Schöpfungen schon deutlich 
hinter seinen beiden jüngeren Freunden zurückzubleiben. 

Auch ein quantitativer Niederschlag des Modellstudiums kann vielleicht festgestellt 
werden, der die Betonung, mit der van Manders Biograph den Hauptzweck der 
Akademiegründung hervorhebt, aufs neue rechtfertigt. Goltzius und Cornelisz — 
von van Mander haben wir weniger sichere Zeugnisse — widmen sich während 
den in Frage kommenden Jahren fast ausschlieBlich der figürlichen Kunst. Zumal 
bei Goltzius, der so erfolgreich als Portrützeichner und -stecher debütiert hatte, 
ist es auffällig, daB er in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre das Porträtfach 
fast ganz liegen läßt. Auch von Cornelisz, der 1583 seinen Ruhm mit ‚einem 
Gruppenporträt!) begründet hatte, kennen wir erst aus den neunziger Jahren wieder 
Leistungen in der Bildnismalerei?) Von van Mander selbst sind, abgesehen von 
einem oder zwei nachweisbaren Porträts), ausschließlich Figurenkompositionen 
bekannt. Wie er über diese dachte, hat er spiiter in seinem Schilderboek ver- 


(x) Jetzt im Museum von Haarlem. | 

(3) Wiederum ein Schützenstück (1599), ebenfalls im Museum von Haarlem. Die Bildnisse von Coorn- 
bert, die Wedekind (Corn. Cornelisz, Diss. Leipzig 1911, S. 14) wegen dessen 1590 erfolgten Todes 
vor dieses Jahr glaubt datieren zu müssen, sind charakteristische Idealporträts und als solche sicher 
erat nach dem Tode Coornherts, also ebenfalls nach 1590, entstanden. 

(3) Das eine, voll bezeichnet und 1592 datiert, im Hofmuseum in Wien. Ein anderes, durch Frimmel 
dem van Mander zugeachrieben, ebenda in der Galerie Liechtenstein. 


schiedentlich gešuBert; für ihn ist nur die Figurenmalerei eigentlich hohe Kunst. 
Auf die Portrütmalerei schaut er mit einer Art Geringschützung herab als auf einen 
Seitenweg der Kunst, wie er es nennt. Über die Landschaftsmalerei als selbstiin- 
dige Kunstgattung hatte er noch keine Gelegenheit, sich auszusprechen. 

Das Modellstudium kam aber nicht bloß dem reinen Können derer, die es be- 
trieben, zugute; es hatte noch einen andern, entwicklungsgeschichtlich wichtigeren 
Effekt. — Von den Italienern der nachklassischen Zeit war den Niederländern be- 
sonders die Kunst des Parmeggianino bedeutsam erschienen. Im Anschluß an ihn 
und seine Schule hatten sie sich jene merkwiirdige Proportionierung der über- 
trieben in die Länge gezogenen Menschenfigur angeeignet, die als eigentliche Manier 
die Hervorbringungen einer ganzen Generation beherrschte, auf ähnliche Weise 
etwa, wie in der Gefolgschaft van Dycks die gemalten Pferde einer ganzen Epoche 
jene verkümmerten kleinen Köpfe mitbekamen. Diese aller Natur hohnsprechende 
Vergewaltigung der Figuren ist eines der Merkmale, die die übliche Klassifizierung 
jener Künstler als Manieristen rechtfertigt. Aus diesen Formel gewordenen Über- 
treibungen mag die Einsicht in die Notwendigkeit des Modellstudiums bei der 
Haarlemer Künstlergemeinschaft vor allem entsprungen sein. Ihre Leistungen 
wirken denn auch wie eine absichtliche Korrektur; deutlich läßt sich in ihnen das 
Streben nach einer gedrungeneren Proportionierung der Menschenfigur verfolgen, 
ungeachtet des Umstandes, daß van Mander später in seinem Lehrgedicht noch 
die vitruvianischen Maße empfiehlt, deren Verwirklichung den Manieristen recht- 
geben würde. Die Absichtlichkeit des Protestes läßt sich vielleicht am deutlichsten 
aus den Übertreibungen herauslesen, in die Goltzius und Cornelisz mit manchen 
von ihren Schöpfungen nach der entgegengesetzten Richtung verfielen. Goltzius’ 
großes, bekanntes Blatt des Herkules mit der geschulterten Keule (B. 142) gibt 
einen Mann von beinahe lächerlicher Gedrungenheit wieder, und auch Cornelisz’ 
Himmelstürmer sind stark in die Breite geraten. Auch die übermäßige Heraus- 
arbeitung der wie geschwollenen Körperformen kann psychologisch erklärt werden 
aus der Genugtuung, die Struktur der Muskeln entdeckt und begriffen zu haben 
und der daraus abzuleitenden Versuchung, dieses Wissen besonders deutlich zu 
betonen. — Auf jeden Fall bleibt die Tatsache bestehen, daß die jener Über- 
proportionierung entgegengerichtete Bewegung von Haarlem ausgegangen ist, und 
es liegt nahe, in dem ihr beschiedenen Sieg eine Frucht des durch van Mander 
eingeführten Modellstudiums zu sehen. 


V. 


Nicht allein in formaler Hinsicht, auch für das Gegenständliche ihrer Kunst 
mußte die ausgiebige Berührung der beiden jüngeren Haarlemer Meister mit der 
Persönlichkeit van Manders von Bedeutung werden. 

Van Mander figuriert in den Literaturgeschichten vor allem als Übersetzer von 
Werken der lateinischen Klassiker; auch einen Teil der Ilias hat er, allerdings 
nach einem französischen Vorbild, ins Niederländische übertragen. Einen wirk- 
lichen Erfolg errang er mit seiner Prosabearbeitung der Metamorphosen Ovids, die, 
nachdem sie 1604 zum erstenmal erschienen war, bis 1662 nicht weniger als fünf 
Neuausgaben erlebte und noch 1679 durch Sandrart ins Deutsche übersetzt wurde. 
Diese Beliebtheit verdankte die Schrift ungezweifelt der Weise, in der van Mander 
es verstanden hatte, den Stoff zu einem Kompendium der antiken Mythologie zu 
verarbeiten. Hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Literatur ist festgestellt worden, 
daß sie besonders viel beigetragen hat zur Verbreitung und Popularisierung der 


222 


klassischen Mythologie in den nördlichen Niederlanden, und daB sie wahrscheinlich 
die Ursache ist des im 17. Jahrhundert stets zunehmenden Gebrauches und MiB- 
brauches von griechischen und lateinischen Götternamen, besonders durch Dichter 
untergeordneten Ranges!) Wenn dies für die Literatur zutrifft, so muB es in noch 
hóherem Grade für die bildenden Künste gelten. Van Mander hatte das Werk in 
den Rahmen des Schilderboecks eingefügt und damit deutlicher als mit einer Vor- 
rede die Absicht kundgetan, die er damit verfolgte. Er glaubte, mit dieser Schrift 
der gesamten Künstlerschaft ein zur Darstellung besonders geeignetes Stoffgebiet 
zugänglich zu machen, mit dem er nicht allein eine ganze neue Welt erschloß, 
sondern überdies die Möglichkeit bot, die beliebte und besonders hoch angesehene 
Kunst der Symbolik und Allegorie, die sich bis dahin fast ausschlieBlich aus dem 
christlichen Stoffkreis nührte, mit einem Reichtum von neuen Beziehungen zu füllen. 
Van Mander sah diesen seinen Plan Wirklichkeit werden; die Gestalten der Mytho- 
logie hielten triumphreichen Einzug in die Kunst seiner Zeitgenossen. Die Schriften 
van Manders waren hierzu wohl nicht der ausschlieBliche AnlaB, aber sie bedeu- 
teten auf jeden Fall die kräftigste Förderung und waren in vielen Fällen die 
direkte Quelle für die stoffsuchenden Artisten. Diesen Schluß erlaubt der Umstand, 
daß eine allgemeine Verbreitung des mythologischen Stoffgebietes erst nach dem 
Erscheinen des Schilderboecks (1604) zu beobachten ist. Nur für die Haarlemer 
Künstler und die mit ihnen in naher Verbindung stehenden Kreise [(Amsterdam, 
Utrecht) war der Olymp schon vor 1600 das bevorzugte Tummelgebiet geworden. 

Es versteht sich von selbst, daB ein Werk von der Zusammensetzung des 
Schilderboecks nicht aus einem Guß entstanden ist. Wohl hat man Anhaltspunkte 
dafür, daB der Text — wenigstens des Lehrgedichts und der Malerleben — in 
verhältnismäßig kurzer Zeit vor der Drucklegung niedergeschrieben worden ist. 
Für die beiden angegliederten Teile der ,Wtlegghing op den Metamorphosis Pub. 
Ovidij Nasonis“ und der ,Uitbeeldinge der Figueren“ gibt es solche Merkmale nicht; 
sie würden ja auch nur ausschlieBlich auf die redaktionelle Fassung des Stoffes 
Beziehung haben. Andrerseits ist darauf hingewiesen worden, daß viele Informa- 
tionen van Manders für die Künstlerleben, worunter mit von den wertvollsten, auf 
seinen Aufenthalt in Rom, also in die siebziger Jahre des abgelaufenen Jahrhun- 
derts, zurückgeführt werden müssen. Damit ist, in Verbindung mit andern Daten, 
die Möglichkeit erwiesen, daß van Manders Plan für sein Schilderboeck so weit 
zurückreicht. Nun brauchte zwar die ihrem Zusammenbange nach nur lose dem 
biographischen Teile angeschlossene ,,;Wtlegghingh nicht von Anfang an im Ge- 
dankenplan des Schilderboecks gelegen zu haben. Wo aber für die datenmäßige 
Dokumentierung der Malerleben, die sehr wohl als in kürzerer Zeitspanne ausführ- 
bar zu denken würe, so tief in dieJahre hinabreichende Wurzeln festgestellt werden 
künnen, da muB erst recht für jene allgemeinen Kapitel ein der schriftlichen For- 
mulierung vorausgehendes, nur allmähliches Sich-Verdichten angenommen werden, 
gleichgültig, ob in oder ohne Verband mit dem Gedanken des Schilderboecks; han- 
delt es sich doch bei diesen Abschnitten — trotz dem äußeren Anschein — nicht 
so sehr um Kompilationen und nicht allein um die bloße Reproduktion einer andern 
Welt; sie sind doch vielmehr und in erster Linie der Ausdruck eines gewissen 
geistigen Eingestelltseins, als solcher ein Produkt von van Manders einheitlicher 
Entwicklung und vielleicht noch weniger als das Schilderboeck in seiner Gesamt- 
heit das zufüllige Ergebnis einer glücklichen Literatorenlaune. Es ist kaum anders 
zu denken, als daB die Beschüftigung mit dem Stoff um Jahre zurückreicht. 


(х) Vergl. Jan ten Brink, Geschiedenis der Nederlandsche Letterkunde, Amsterdam 1897, S. 278. 
223 


Hier stoBen wir nun auf die Parallele der in Haarlem ungefšhr seit dem Er- 
scheinen van Manders in dieser Stadt getibten Bevorzugung der antiken Götter- 
und Heroenwelt für die Bildvorwürfe zu einer Zeit, da in andern niederlündischen 
Kunstzentren die Pflege des christlichen Stoffgebietes noch durchaus überherrschte. 
Es liegt überaus nahe, hier ein Verhältnis von Ursache und Wirkung anzunehmen, 
mit andern Worten, die Erklärung in der Wirksamkeit van Manders zu suchen. 
Das später eintretende Bedürfnis, den Stoff literarisch zu fixieren und in lehrhafter 
Absicht vorzutragen, würe dann nur ein AusfluB einer durch lange vorausgegangene 
Jahre hindurch gepfiegten Übung gewesen. 

Wir hátten damit einen neuen Anhaltspunkt gefunden zur Beurteilung der Art 
von van Manders Tütigkeit und der Richtung, in der sich sein EinfluB auf die 
Haarlemer Künstler kenntlich machte. Seine Propaganda für die antike Mytho- 
logie als Darstellungsgebiet bedeutete ihrem Wesen nach zwar nichts Neues. 
Einzelne Vorwürfe aus der Mythologie und der griechisch-rómischen Heroen- 
geschichte, wie etwa das Parisurteil, Danae, der Selbstmord der Lukretia, hatten 
sich, seit sie in der Gefolgschaft des Humanismus Eingang in den Darstellungs- 
bereich gefunden hatten, traditionsmüBig fortgepflanzt, waren aber doch auf ver- 
hältnismäßig wenige Themata beschränkt geblieben. Van Manders Wirksamkeit 
üuBert sich, sowohl einerseits in einer rein prozentualen Zunahme von Darstel- 
lungen aus der Mythologie, als auch andrerseits, vielleicht noch deutlicher, in dem 
Auftauchen von ganz neuen und zum Teil gesuchten Motiven, wie Mars und Venus, 
von Hephüstus überrascht, Pygmalion und Galathea, die Geführten des Kadmus, 
Vertumnus und Pomona, Jupiter und Antiope, Jo und Argus, Argus und Merkur, 
die Entdeckung der Kallisto, die Himmelstürmer Tantalus, Ikarus, Phaeton und 
Ixion, das Thema ,Sine Baccho et Cerere friget Venus“, dann die besonders be- 
liebten Götterhochzeiten von Amor und Psyche, Peleus und Thetis und Darstel- 
lungen des goldenen Zeitalters. Das sind einige der Vorwürfe, die in Haarlem 
behandelt wurden, bevor sie in den Niederlanden allgemeinen Eingang fanden. 
Zum groBen Teil sind sie den Metamorphosen Ovids entnommen, und Goltzius 
hat noch in den achtziger Jahren zwei Folgen von je zwanzig Kompositionen aus 
den Metamorphosen für den Stich gezeichnet und in seiner Werkstatt vervielfil- 
tigen lassen, die wie Illustrationen anmuten zu der allerdings erst fünfzehn Jahre 
spüter erschienenen literarischen Bearbeitung des Buches durch van Mander. Es 
ist denn auch mehr wie wahrscheinlich, даб jene Stichfolgen, die auch in Buch- 
form erschienen und denen später eine Serie von noch zwölf Blättern angegliedert 
wurde, auf die direkte Anregung van Manders entstanden sind, und daß dieser 
als ausgezeichneter Kenner des Stoffes bei dessen bildlicher Gestaltung eine zum 
mindesten beratende Rolle gespielt hat. Erst so wird es dann auch deutlich, wie 
van Manders Biograph die Begründung seines schon herangeholten Ausspruches 
verstand: van Mander habe die beiden andern in der italienischen Manier unter- 
wiesen, wie aus dem Ovidius des Goltzius klar hervorgehe. Er bezog in seinen 
Begriff der „italienischen Manier“ das Gegenständliche mit ein, wobei ihm die 
hauptsächlich in Ovid verkörperte mythologische Überlieferung des antiken Italiens 
mit italienischer Kunst überhaupt zu einem Wesensbegriff zusammenschmolz. Wohl 
sämtliche Darstellungen aus dem Stoffkreis der Metamorphosen, die später von 
der niederländischen Künstlerschaft in so zahlreichen Abwandlungen gestaltet 
wurden, sind in der Folge von Goltzius enthalten. Es liegt denn auch nahe, an- 
zunehmen, daß diese Illustrationsfolge ebenso wie van Manders geschriebenes Wort 
befruchtend gewirkt hat und, wie dieses, nicht allein auf die bildenden Künstler, 


224 


sondern, — bei den damals bestehenden überaus engen Beziehungen zwischen Maler 
und Dichter — auch auf die Literatur. 

Die Leichtigkeit, mit der die Götter und Heroen Eingang fanden, hängt vielleicht 
auch zusammen mit den thematischen Bedürfnissen des Modellstudiums und der 
Figurenmalerei. Zwar waren, seit Raffael, bei der Darstellung des bethléhémitischen 
Kindermordes die rómischen Soldaten, die das Henkerswerk verrichten, gerne nackt 
wiedergegeben worden, und és gab übrigens auch andere biblische Vorwlirfe genug, 
bei denen die Entblößung der Figuren im Thema gegeben war und somit keiner 
besonderen Rechtfertigung bedurfte. Darin kann die Erklärung für die Tatsache 
liegen, daB durch das ganze тб. Jahrhundert hindurch die Darstellungen des Sün- 
denfalls, der Taufe Christi, des Schmerzensmannes usw, sich besonderer Beliebt- 
heit erfreuten. Die Welt des Olymp bot aber der Künstlerphantasie in ganz an- 
derer Weise Gelegenheit, Figuren frei zu bilden, zu gruppiéren und zu neuartigen 
Kompositionen zusammenzuschlieBen. Diesen Wunsch, Neues zu geben, liest man 
heraus aus den oft allzu gesuchten Bildungen, gewagten Bewegungen und absicht- 
lich wirkenden Gruppierungen, wie sie ja die Kunst dieser Haarlemer Akademiker 
geradezu kennzeichnen. Bei all diesem offenkundigen Streben nach Mannigfaltig- 
keit und Reichtum haftet ihr aber doch die ausgesprochen unpersönliche Note an, 
die ein Ausfluß jenes Suchens nach absoluter formaler Korrektheit ist, wie sie ge- 
legentlich auch eine von Akademie und Modell abhüngige Kunst unserer Tage noch 
charakterisiert. Es ist darum, von dieser Seite aus betrachtet, gar nicht un- 
angebracht, daB man die Kunst des van Manderschen Kreises als eine akademische 
bezeichnet und von jenen Meistern als von Akademikern spricht. 


VL 


Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Götter- und Heroenwelt der 
Antike war vorerst ein Vorrecht des sprachenkundigen Gelehrtenstandes gewesen. 
Diesem entsprossen zum großen Teil auch die Schöpfer schöngeistiger Literatur; 
Dichter und Gelehrte waren zumeist in einer Person verbunden. Aus dieser Ver- 
bindung nahm die Popularisierung der Antike ihren Ursprung, die dann durch die 
Persönlichkeit eines van Mander, der den Dichter und den Maler in sich vereinigte, 
auch auf die darstellenden Künste übergriff. Daher die ausgesprochen literarische 
Richtung der Haarlemer Akademikerkunst. Sie offenbart sich sowohl in der oft 
sehr zweifélhaften Darstellungsmüglichkeit der aus der Literatur geholten Vor- 
wiirfe, als auch in den fortdauernden Wechselbeziehungen zwischen den Malern 
einerseits, der Dichter- und Gelehrtenwelt andrerseits. Diese reichén ziemlich weit 
zurück. So wissen wir, daB schon Coornhert tiefsinnige Allegorien — damals noch 
christlichen Inhalts — ausdachte oder ,,erfand“, wie man es nannte, die Heems- 
kerck dann nach den ihm durch den „Erfinder“ gegebenen Anhaltspunkten ge- 
staltete. Wir glaubten sodann Gründe für die Annahme zu haben, daß u. a. auch 
Goltzius Metamorphosenfolge auf ühnliche Weise, hier unter der Anleitung van 
Manders, entstanden ist. Auf van Manders fördernden Beistand sind, wie wir 
schon in anderem Zusammenhange Gelegenheit hattén zu bemerken, wohl die 
meisten erstmaligen Fassungen literarischer Themata durch die jungen Haarlemer 
Künstler zurückzuführen. Zumal wenn wir verfolgen kónnen, wie Goltzius etwa 
in seinen Darstellungen von Merkur und Minerva!) Zug um Zug getreu den An- 
gaben van Manders — hier schon nach dem Schilderboeck — folgt, wird die Ab- 


(1) Bis vor kurzem im Mauritshuis im Haag, jetzt im Haarlemer Museum, 


225 


hingigkeit des gestaltenden Künstlers von einem literarischen Vorbild deutlich. 
Ein paar interessante Belege fiir das Zusammenwirken verschiedener Instanzen 
an dem Zustandekommen von Kompositionen iiberliefert uns der Kupferstich. So 
,erfand* der Medikus Anton Schenkels im Jahre 1589 ein ungeheuer kompliziertes 
Bild der heiligen Dreieinigkeit in sieben Wolkenetagen. Zur Fixierung dieser 
seiner inneren Vision zog er Karel van Mander heran, und dessen Vorlage wurde 
zur Vervielfältigung der kostbaren Geistesfrucht durch Jacques de Gheyn auf Kupfer 
gestochen (P. 146). Diese drei Etappen der Entstehung kommen auf dem Stich 
dann in folgenden bündigen Vermerken zum Ausdruck: Antonius Schenkels ..... 
Medicus inventor, sibi et amicis fieri curavit. — K. v. Mander fig(uravit). — JáGheyn 
sculpsit. Ein zweites Beispiel, in dem diese eigentümliche Scheidung des geistigen 
Urhebers von dem handwerklichen Gestalter, oder anders ausgedrückt, eine innige 
Beziehung zwischen darstellender und Dichtkunst zutage tritt, ist die Hóhle Platos, 
die der Dichter Hendrick Laurensz Spieghel nach seinen Anweisungen in engster 
Anlehnung an das bekannte Bild in Platos Staat durch Cornelis Cornelisz in einer 
Zeichnung formulieren und durch Jan Saenredam stechen ließ (B. 39, Abb. 4), wäh- 
rend er dasselbe Bild gleichzeitig auch literarisch in seinem Hauptwerk, dem Hart- 
spiegel, verwendete). 

Eine besondere Seite dieser nach der Literatur orientierten Kunst ist ihr aus- 
gesprochener Hang, der Darstellung einen über die im Vorwurf gegebene Bedeu- 
tung hinausreichenden Sinn zu geben. Diese Richtung ist im r6. Jahrhundert spe- 
zifisch niederländisch. Sie war besonders durch die Antwerpener Kupferstich- 
verleger und unter diesen in erster Linie durch das Atelier Philip Galles gefördert 
worden. Den Stoff lieferten fast ausschließlich die biblischen Bücher, zumal das 
Alte Testament. Die Darstellung war nur Mittel zum Zweck und wurde betrachtet 
als Sonderfall und Illustrierung einer allgemeinen These oder Moral, die gewöhn- 
lich in Versform als Erläuterung in den unteren Rand gesetzt wurde. Unter der 
Anführung Coornherts wurden diese vorerst recht platten und wenig Kombinations- 
gabe verlangenden symbolischen Darstellungen immer tiefsinniger und schließlich 
zum eigentlichen Rebus. Dieser Tendenz öffnete die Popularisierung der Antike 
ein neues weites Feld, und es war wieder van Mander, der eine ganze Welt von 
zum Teil sehr gesuchten, hauptsächlich aus lateinischen Skriptoren geholten sym- 
bolischen Deutungen literarisch fixierte in seiner „Uitbeeldinge der Figueren“. Was 
von den Metamorphosen galt, darf auch für diese Schrift vorausgesetzt werden, 
nämlich daß sie nicht ein zufälliges Augenblicksprodukt, sondern der Niederschlag 
einer bestimmten künstlerischen Gesinnung ist. Diese kommt deutlicher als in 
van Manders darstellerischen Schöpfungen in seinem Lehrgedicht zum Ausdruck, 
das ein förmliches Sammelsurium von weither geholten Anspielungen, gelehrten 
Symbolismen und künstlichen Vergleichen ist. Ein anderer Beleg ist die hohe 
Wertschätzung, die van Mander für die tiberladenen Allegorien von Cornelis 
Ketel empfand, dem er denn auch seine „Uitbeeldinge der Figuere gewidmet 
hat. Diese tiefsinnigen Schöpfungen Ketels bedeuten wohl den Höhepunkt der 
Richtung; ohne die sie begleitenden, ausführlich erläuternden Beischriften waren 
sie nicht verständlich, und auch so noch konnten sie nur durch einen ganz be- 
schränkten Kreis Gebildeter „genossen“ werden. Also in gewissem Sinne art pour 
Fart. Es ist sehr bezeichnend für van Mander, daß eine solche Kunst in ihm 
einen Förderer fand. Überschaut man sein Wirken, so wie es sich uns auf Grund 


(1) Hierüber Ausführlicheres in meinem Aufsatz „Beiträge zu einem Kommentar von Karel van Manders 
Grondt der Edel угу Schilderconst“ in Oud Holland XXXIII, rors, 8. 8 ff. 


226 


unserer Untersuchung darstellt, so erkennt man darin als Grundzug das Streben, 
die Kunst formal und geistig zu einer ihm vorschwebenden idealen Höhe hinauf- 
zuführen!), formal im Anschluß an die ihm als Vorbild vor Augen stehende Per- 
sönlichkeit Bartholomeus Sprangers, geistig durch die Durchdringung mit der Ge- 
dankenwelt der Antike und die in ihm selbst verkürperte Verbindung von umfassen- 
der Bildung und Darstellungsgabe. Mag diese letzte, von uns aus gesehen, auch 
beschränkt gewesen sein, auf die Zeitgenossen muß die Universalität van Manders 
doch Eindruck gemacht haben, und sie muß ihnen nachstrebenswert erschienen 
sein. So wissen wir denn auch von Goltzius, Matham, de Gheyn, Ketel u. a, daß 
sie rührige Mitglieder der damals noch an der Spitze der Literaturwelt stehenden 
Rederijkerkamers waren. Goltzius pflegte Gedankenaustausch mit Gelehrten ver- 
schiedenster Profession und genoB unter diesen hohes Ansehen. Er und auch die 
andern Künstler seines Kreises nahmen, allgemein ausgedrückt, in ihrer Umgebung 
eine hohe soziale Stellung ein, wie sie für die typischen Vertreter der nachfolgenden 
Generationen gar nicht mehr, Bedürfnis war. Damit ist zugleich schon ein Wesens- 
unterschied gekennzeichnet, der die Kunst dieser zwei Epochen trennt. Van Man- 
der und seine Strebensgenossen konnten und wollten nicht Verfechter einer volks- 
tümlichen Kunst sein. Mit ihren hochgespannten Produktionen rechneten sie aus- 
schließlich auf den Beifall eines beschränkten Kreises der geistigen Aristokratie, aus 
dem ihnen umgekehrt auch alle Anregung zufioB. Sie verwehrten damit selbst 
den Zutritt frischen Blutes in ihren Kreis und blieben — Akademiker. Dabei.ge- 
rieten sie mit all ihren hohen Intentionen unmerklich auf ein totes Geleise, und 
der Strom der Entwicklung, aus dem sie selber aufgetaucht waren, überholte sie 
und lief an ihnen vorbei, Die Stellung, die etwa Cornelis Cornelisz in den zwan- 
ziger und dreiBiger Jahren des 17. Jahrhunderts unter seinen Kunstgenossen ein- 
nimmt, ist durchaus vergleichbar mit der des alten Rembrandt. Sie blieben beide 
gefangen in der Ausdrucksweise und Gedankenwelt, in der sie selbst einst Träger 
der allgemeinen Entwicklung gewesen waren, und waren zu steifnackig, um den 
Kopf nach dem Wind zu drehen. 


VII. 


Die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung der Haarlemer Akademiekunst múchte 
ich nicht so, wie gemeinhin geschieht, darin sehen, daB sie für die nationale Kunst- 
blüte des 17. Jahrhunderts den Boden bildet, in dem alle Keime vorbereitet liegen 
und nur auf ihre Entfaltung warten, Die Verhültnisse scheinen mir doch anders 
zu liegen. Die neue Kunst sprof nicht aus den hochgreifenden Zweigen der in 
ihren guten Jahren führenden Kunst der Akademiker, so wenig, wie etwa — ver- 
gleichsweise — das spätere 17. Jahrhundert an Rembrandt anschloB. Die jungen 
Triebe schlugen unten aus dem Stamm. 

Damit kommen wir zurück auf die schon anfangs berührte Frage nach dem 
Wert oder Unwert der romanistisch-akademischen Kunst für die allgemeine Ent- 
wicklung. Sie mit dem Hinweis auf den Kausalzusammenhang als notwendige 


(1) Die beinahe utopistisch ideale Gesinnung van Manders geht auch daraus hervor, daß er der Mei- 
nung war, es sei der Kunst unwürdig, sich direkt in den Dienst des Erwerbs zu stellen. Seinen ab- 
soluten Beifall findet nur die Kunst, die ,zum Vergnügen", das will sagen, nicht gegen materielle 
Entschidigung schafft. Mit dieser Auffassung stehen zweifellos die zahlreichen Dedikationen von 
Kunstwerken an hochgestellte Persönlichkeiten, Magistrate und Körperschaften in Verbindung, für die 
den Stiftern in der Regel eine lukrative „vereering“ in klingender Münze zuteil wurde. -Auf diese 
Weise wurde die Ehre. gerettet, und es blieb der Kunst die Erniedrigung erepart, nach Brot zu schreien. 


227 


Entwicklungserscheinung zu bestempeln und darin ihre Berechtigung und Bedeutung 
zu sehen, ist ein äußerst banaler Rettungsversuch. Daß b nicht sein kann, wenn 
es kein a gegeben hátte, ist eine von jenen Selbstverstündlichkeiten, für die die 
Logik keine Beweisführung nótig hat. Es kommt darauf an, die Fáden bloBzulegen, 
die jene beiden Epochen verbinden, und die Spitzen zu erkennen, über die sie 
laufen. Dabei werden wir gewahr werden, wo und wie oft sie sich in der unserer 
Kritik unterliegenden Zeitspanne verknüpfen. Von dem Maße dieser Verschlingungen 
müssen wir unser Urteil über die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung abhängig 
machen. Hierbei ist es zweckmáBig, wenn wir den Weg von oben nach unten 
verfolgen und aus der vollentwickelten Kunst des 17. Jahrhunderts heraus rück- 
würts nach den Anknüpfungspunkten suchen. | 

Das erste, was bei einem Gesamtüberblick über die Kunst des 17. Jahrhunderts - 
ins Auge füllt, ist, daB sie eine volkstümliche Kunst ist, so, wie im 16. Jahrhundert 
keine bestand. Sie ist es also geworden; auf welchem Wege, das kann uns hier 
nicht beschüftigen. Uns genügt es, noch einmal kurz hinzuweisen auf den aus- 
gesprochen aristokratischen Charakter der Haarlemer Akademiekunst. Da können 
keine Verbindungslinien gezogen werden!) Eine andere Besonderheit ist das Auf- 
blühen spezifisch nationaler Kunstgattungen, des Genrebildes, der Landschaft und 
des Stillebens vor allem. Diesen gegenüber steht der, wenn auch nicht gerade 
antinationale, so doch sicher ausgeprügt internationale Grundzug in der Kunst der 
Akademiker mit seiner beinahe ausschlieBlichen Pflege der Figurenkunst. Wie 
van Mander vom Portrütfach dachte, hatten wir bereits Gelegenheit zu berühren. 
Goltzius allerdings nimmt als Portrátist eine hervorragende Stellung ein, die ihn 
als unmittelbaren Vorliufer sowohl von Frans Hals als auch der Amsterdamer 
Bildnismaler erscheinen läßt; Frans Hals hat sich in seinen frühesten uns be- 
kannten Schópfungen deutlich dem Vorbild des durch Goltzius im Stich geschaf- 
fenen Medaillonbildnisses angeschlossen, und W'erner van den Valckert, einer der 
achtenswertesten Vertreter der jungen Amsterdamer Porträtistengeneration, ist 
Goltzius’ direkter und der von diesem am stärksten beeinfluBte Schüler gewesen. 
Trotzdem spielt in Goltzius’ Gesamtwerk, zumal unter seinen Ölmalereien, auf die 
es hier in erster Linie ankommt, das Portrüt gegenüber den Figurenkompositionen 
eine zu offensichtlich untergeordnete Rolle, als daB es für die allgemeine Entwick- 
lung von nachhaltiger Bedeutung hätte werden können. 

Was die jungen Generationen den Akademikern hingegen wohl zu danken hatten 
das war eine den ältern Meistern des 16. Jahrhunderts noch unbekannt gründliche 
Fundierung des handwerklichen Teiles ihrer Kunst — die Frucht des Modell- 
studiums — und eine klare Einsicht in die Bedeutung Venedigs für den Kolorismus, 
Diese letzte kommt in den Werken der Haarlemer Künstler zwar nicht voll, da 
und dort aber doch mit offenliegender Absichtlichkeit zum Ausdruck, und zum 
Überfluß zeugt van Mander in eindringlichen Passagen seines Schilderboecks davon. 
Das Wichtigste liegt hierbei nicht so sehr in einer Einladung, die venezianische 
Farbengebung direkt nachzuahmen, als vielmehr in der allgemeinen Betonung einer 
der Farbe innerhalb des Kunstschaffens zugedachten selbständigen Rolle. Diese 
ist dann zum Prinzip erhoben und als solches eine der ausgezeichneten Eigen- 


(z) Der Umstand, daß van Mander selbst einige Bauernbilder gemalt hat, ändert nichts an der Vor- 
stellung, die wir uns von seinen hohen, ganz anders gerichteten Intentionen machen müssen. Auf 
jeden Fall erscheint es mir stets als eine große Willkür, die Entwicklungslinien — wie doch meist 
geschieht — über solche Oasen von Gelegenheitsschöpfungen oder, in andern Fällen, über die Bruch- 
teile eines uns zufällig erhaltenen Denkmilerbesitzes zu leiten. 


228 : 


schaften geworden, deretwegen die hollšndische Kunst heute noch in so hohem 
Ansehen steht. Auch für die Beleuchtungsprobleme, mit denen sich die Hollánder 
des 17. Jahrhunderts so einläßlich beschäftigt haben, könnte man vielleicht bei 
den Akademikern einzelne Ankntipfungspunkte finden. Doch hat es sich hierbei 
wohl mehr nur um gelegentlich erwachtes Interesse als um wirkliche Auseinander- 
setzungen gehandelt, so Чай diese Versuche nicht als Marksteine der Entwicklung 
angesehen werden dürfen. 

Von einem Anteil der Akademiker an der malerischen Erforschung der Atmo- 
sphäre kann schon darum keine Rede sein, weil die Landschaftskunst in ihrem 
Kreise gar nicht oder doch höchstens nur an der Peripherie ihres Interesses be- 
stand, wo sie auf ein lebloses Schema reduziert blieb. 

Das Verhältnis, in dem die Kunst der Haarlemer Akademie — der für den 
Sprachgebrauch bequeme und zugleich doch auch zutreffende Ausdruck kann jetzt 
nicht mehr mißverstanden werden — zu der folgenden Epoche steht, stellt sich 
uns also als ein recht lockeres dar. Sie erscheint uns nicht so sehr als die Grund- 
lage einer zukünftigen Entwicklung, sondern vielmehr als die exklusivistische Voll- 
endung einer von ihren Anfängen an einseitig orientierten Kunst. 

Jede starke geistige Bewegung trägt die Keime einer Gegenbewegung schon in 
sich, indem sie durch die Einseitigkeit ihrer Tendenz eine Reaktion herausfordert. 
Diese selbst kann als aus ganz unabhängigen Faktoren aufgebaut erscheinen und 
dabei doch ihre ganze Lebenskraft dem Antagonismus verdanken, der in einer be- 
wußt oder unbewußt gegensätzlichen Stellungnahme begründet ist. So stellt sich 
mir das Verhältnis der Kunst des vorgerlickteren 17. Jahrhunderts zu derjenigen 
der Haarlemer Akademie dar, und in diesem Verhältnis erkenne ich deren ent- 
wicklungsgeschichtliche Funktion. In zielbewußter Vollendung, starker Einheitlich- 
keit und vornehmer Selbstisolierung bildet sie die Zusammenfassung und den vor- 
läufigen Abschluß — soweit in dem Flusse der Entwicklung von einem solchen 
die Rede sein kann — einer ausgesprochen intellektuellen Bewegung. Als eine 
in sich selbst gegebenen Gesetzen befangene Alterserscheinung steht sie vor einer 
neuen, aus den freien Tiefen des Bewußtseins ihren Ursprung nehmenden Be- 
wegung, die ihre Lebensfrische zu einem großen Teil aus dieser Gegensätzlichkeit 
schópfte. Die Umwälzung gleicht einer Revolution; es sind die tiefsten künstle- 
rischen Grundanschauungen, die umgeworfen werden. Diese Umwertung aber 


wurde herausgefordert, auf jeden Fall beschleunigt, durch die scharfe Weise, mit 


der die unterliegende Partei ihre Ideale formuliert hatte. 

Der Intellektualismus der Akademiker macht einer sinnlicheren Anschauungsweise 
Platz, die ein Kunstwerk nicht mehr in erster Linie nach der Bedeutung seiner 
inhaltlichen Beziehungen und äußerlich formalen Korrektheit bewertet, sondern die 
gesund-naiven Qualitäten von Lebenswahrheit und Naturnähe zu verwirklichen 
sucht. Damit fällt van Manders doktrinäre Rangordnung der verschiedenen Kunst- 
gattungen; Genrebild und Landschaft treten mit dem Porträt als gleichwertig 
neben das Historienbild. Der Begriff des Malerischen gewinnt seine moderne Be- 
deutung!) und verschafft dem mit einem Minimum gegenständlicher Wirkung rech- 
nenden Stilleben?) Geltung. | 
(z) Den Ausdruck malerisch (schilderachtig) führen auch die Akademiker schon im Munde, aber mehr 
in dem Sinne von „malermäßig“ (van Mander; vergl, Höcker, a. a. O., Wortregister) oder „zum 
Malen geeignet", „darstellungsfähig“. (Goltzius, in einer Briefstelle an den Amsterdamer Goldschmied 
Hans van Weely, den er bittet, für ihn „oude testementische. historien“ auszusuchen, die „schilder- 
achtig“ sind). 

(2) Das Stilleben tritt allerdings auch mit absichtlicher inhaltlicher Bedeutung auf, als Vanitas oder 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jabrg., 1918, Heft 8 16 229 


An Stelle der Überzeugung und Geschlossenheit, mit der von etwa 1585 bis 1615 
die Haarlemer Künstler und weitere Kreise sich um die Grundsütze der Akade- 
miker geschart hatten, tritt eine sich immer deutlicher ausprügende separatistische 
Tendenz, die die Spezialisierung im Gefolge führt. Dort das Dogma von der 
Superiorität der Figurenkunst, das jede anders gerichtete Originalität so gut wie 
ausschloB; die jüngere Generation anerkennt es nicht und macht damit die Bahn 
frei für die Entfaltung persónlicher Begabungen. So erstand dann das schillernde 
Bild der neuen Kunst mit ihren ausgeprägten Individualitäten. Es bildet den 
schürfsten Kontrast zu der einheitlich gesinnten und autoritätsbedürftigen voraus- 
gegangenen Epoche. 


VIII. 


Auch der anspruchsloseste Versuch von Geschichtsschreibung ist Konstruktion; 
je bewuBter wir uns dessen bleiben, desto weniger willkürlich wird sie sein. Unser 
Streben, aus der unendlichen Verwicklung von nur zum Teil geahnten Zusammen- 
hüngen eine Entwicklung herauszulesen, das Bedürfnis, die unfaBliche Mannigfaltig- 
keit der Geschehnisse und ihrer Verknüpfungen auf uns geläufige Begriffe zu re- 
duzieren, nótigt uns zu solchen Konstruktionen. Die Darstellung, in der uns die 
Kunst der Haarlemer Akademiker als die Vollendung einer ganzen Geistesrichtung 
erscheint, der wir eine neue Bewegung entgegensetzen, ist ein Bild, dessen wir 
uns bedienen, um die Zusammenhänge zu gruppieren und sie auf diese Weise in 
ihren großen Zügen zu überblicken. Doch kann ich mir wohl denken, daß man, 
von andern Gesichtspunkten ausgehend, den Abschnitt, wenn auch nicht geradezu 
anderswo ansetzen, so doch hier weniger stark betonen könnte. Denn in der Wirk- 
lichkeit ist die akademische Bewegung mit dem Auftreten von Frans Hals, Rem- 
brandt und allen ihren Trabanten keineswegs aus der Welt geschafft; ihr Faden 
zieht sich weiter, und in den Theoretikern vom Ende des 17. Jahrhunderts er- 
stehen dem Erbe van Manders neue Verweser. 

Aber auch in einen ganz anderen Zusammenhang würde sich die Kunst der 
Haarlemer Schule noch einstellen lassen. Schien sie uns innerhalb des hollindi- 
schen Kunstkreises für ihre Richtung eine gewisse Vollendung zu bedeuten, in dem 
größeren Verbande der gesamtniederlündischen Kunst nimmt sie eine viel weniger 
abschlieBende Stellung ein. Zu der vlámischen Kunst in Beziehung gebracht, fallt 
sie zurück in die allgemeine Entwicklungslinie, die zu der Persónlichkeit eines 
Rubens hinaufführt, und die Kunst des Rubens erst mutet an wie die Erfüllung 
der akademischen Bestrebungen. Denn es sind in der Tat die akademischen Grund- 
sätze, an die der junge Rubens anschloß. Auch für ihn bildet das Figurenbild 
den Mittelpunkt aller Kunstübung. In äußeren Umständen liegt es begründet, daß 
für ihn dabei stets das Kirchenbild christlichen Inhalts im Vordergrund steht; wo 
er aber dieses verli&t und mythologische Vorwürfe angreift, sind es zum groBen 
Teil dieselben Gegenstánde, die ihn und die Haarlemer beschiftigen. Zumal wenn 
er etwa die im Kreise van Manders so beliebte Sentenz ,Sine Cerere et Baccho 
friget Venus“ illustriert (Cassel), móchte man da gerne an einen direkten Zusammen- 
hang glauben. Auf jeden Fall bevorzugt er, wie die Haarlemer, Darstellungen, die 


dergleichen, In dieser Form ist natürlich nicht ein rein „malerischer“ Bildgedanke verwirklicht. Ganz 
rein kommt ein solcher hingegen zum Ausdruck in den Darstellungen geschlachteter Ochsen oder 
Schweine, aufgeschnittener Fische und áhnlicher, den naiven Betrachter geradezu abstoBender Vorwürfe. 
Die Wahl solcher Gegenstünde ist kennzeichnenderweise von spütern, wieder in die akademischen 
Traditionen einlenkenden Generationen als unschicklich gebrandmarkt worden. 


230 


nur für ein wohlbelesenes Publikum berechnet waren. Nicht nur hierin, sondern 
auch in seinen kirchlichen Bildern ist Rubens, an der hollündischen Kunst des 
vorgeschrittenen 17. Jahrhunderts mit ihrem bürgerlichen Charakter gemessen, ein 
Künstler von durch und durch aristokratischer . Grundgesinnung und berührt sich 
damit wieder mit einer der ausgesprochensten Eigenschaften der Akademiker. Wie 
diese, pflegt auch er, besonders in seinen jungen Jahren, nur gelegentlich das 
Portrütfach, obwohl ihm dieses in seiner hófischen Umgebung doch besonders nahe 
gelegen haben muß, so wie denn auch andere Künstler in ähnlicher Position, van 
Dyck etwa oder Velasquez, ganz in ihm aufgegangen sind. Auch die Landschaft 
spielt bei ihm zunächst eine ähnliche, ganz untergeordnete Rolle; sie scheint nur 
als Folie für das Historienbild Berechtigung zu haben. Dies geht so weit, daß 
Rubens auch später noch, da er häufiger Landschaftsbilder malte, diese stets gerne 
episodisch staffierte oder sie durch die Schilderung von Naturereignissen mit in- 
haltlichen Beziehungen zu füllen suchte. 

Dieses sind ebensoviele verwandte Züge, die die Haarlemer Akademiekunst mit 
Rubens verbinden, als Gegensätze, die sie von der holländischen Kunst des 17. Jahr- 
hunderts trennen. Es müßte also mit wenig Darstellungskunst möglich sein, die 
Akademiker als direkte Vorläufer von Rubens erscheinen zu lassen. Hiermit möchte 
ich aber nicht einstimmen. Die Gemeinsamkeiten lassen sich meines Erachtens 
ableiten aus einer Parallelität der Entwicklung auf sehr verwandten Grundlagen; 
die Gegensätze können erklärt werden durch das Einschlagen von persönlichen, 
stark divergierenden Begabungen in Holland, unter deren Einfluß die Kunst hier 
eine ausgesprochene Demokratisierung erfuhr, während sie in Belgien unter der 
-machtvoll überherrschenden Persönlichkeit von Rubens eine straffere Zentralisie- 
rung als je erlebte. 


231 


FINDLINGE ZUM THEMA: ,GOETHE UND DIE BILDENDE 
KUNST“ Von V. CURT HABICHT 


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s liegt ein tieferes Symptom in der jetzt bemerkbaren Bevorzugung von 

Themen, die die Wechselbeziehungen von bildender Kunst und Dichtkunst zum 
Gegenstande haben!) Die kunsthistorische Forschung hat erkannt, daß weder 
einseitige, rationalistische Materialsammlungen, so nótig die auf weiten Strecken, 
namentlich der deutschen Kunst, auch noch sind, noch auch stilpsychologische 
Untersuchungen zu einer vollen Ausschópfung ihres erhabenen Gegenstandes 
führen kónnen. Die Literaturgeschichte dagegen will in der jüngeren Schwester- 
disziplin nicht mehr eine nur gewissermaßen illustrative Hilfe leistende erblicken, 
sondern bemüht sich, die dort erschlossenen Ergebnisse als bedeutsame Stützen 
der eigenen Forschung anzusehen, und versteht immer mehr, den oft ausschlag- 
gebenden heuristischen Wert derselben anzuerkennen. Die hóhere Aufgabe einer 
begrifflich faBbaren und allseitig reinen Darstellung der geistigen Grundstim- 
mungen und Taten, als deren gleichwertige Manifestationen eben bildende Kunst 
und Dichtung anzusehen sind, hat die Einsicht einer engeren Verbindung gezeitigt. 
Als vornehmsten Gewinn dieser Stellungnahme läßt sich schon jetzt die 'Ab- 
lehnung einseitiger „Standpunkte“ bezeichnen. Die Geisteswissenschaften ver- 
tragen eben alles eher als „vorgefaßte Meinungen", und das Prokrustesbett eines 
Systems ist kaum irgendwo weniger angebracht als hier. 

Die eine Gestalt Goethes, die allerdings eine groBe, reiche Welt für sich be- 
deutet, spottet eines jeden Regelzwanges. Man hat sich gewóhnt, einen weit- 
herzigen, für alle Kunstzweige begeisterten Goethe vor der italienischen Reise 
und einen orthodoxen, klassizistischen nach derselben voneinander zu trennen. 
Ein Blick auf den Faust allein, in dem sich friedlich Anregungen aus der Antike, 
der Renaissancekunst, dem Barock, dem italienischen und deutschen Mittelalter 
mit ebenso weit auseinanderliegenden Antrieben aus den Literaturen dieser 
Epochen vereinen, sollte genügen, vor solchen parteiischen Urteilen zu bewahren. 
Trotz — oder vielleicht gerade aus — aller selbstverstándlichen Ehrfurcht vor 
dem Genius Goethe wird man sein Bedingtsein durch die geistigen Strómungen 
seiner Zeit voll anerkennen müssen. Nicht zum wenigsten kann die Beachtung 
seines Verháltnisses zur bildenden Kunst und vor allem seiner Verarbeitung der 
Anregungen von dieser Seite her zur Klárung dieser Fragen beitragen. Volbehr, 
der uns ein feinsinniges Buch über Goethe und die bildende Kunst?) geschenkt 
hat, wäre zu seiner oft einseitigen Beurteilung bei einer näheren Prüfung der von 
Goethe verarbeiteten Stoffe der bildenden Kunst gewiß nicht gekommen. 

Einer vollen Einschátzung dieser Tatsachen steht vorerst allerdings noch der 
Mangel an Einzeluntersuchungen entgegen. Abgesehen vom Faust?) der, wie 


(1) Ich verweise unter den neueren Arbeiten nur auf die ausgezeichneten von W. Waet- 
zoldt: Wechselwirkungen zwischen deutscher Malerei und Dichtung im 19. Jahrhundert 
(Jahrbuch des freien deutschen Hochstiftes, Frankfurt 1013, S. 13ff.), idem: Deutsche 
Wortkunst und deutsche Bildkunst (Deutsche Abende. Zweiter Vortrag). Berlin 1916, und 
Fr. v. d. Ley en: Deutsche Dichtung und bildende Kunst im Mittelalter (Abhandlungen 
zur deutschen Literaturgeschichte, Franz Muncker... dargebracht, München 1916, S. ıff.) 
(2 Vgl. Theodor Volbehr: Goethe und die bildende Kunst. Leipzig 1895. 

(3 Vgl. M. Morris: Gemälde und Bildwerke im Faust (Goethe-Studien І. 114 ff. 2. Aufl. 
Berlin 1902) und darauf fußend Willy F. Storck: Goethes Faust und die bildende 
Kunst. Leipzig 1912. | 


232 


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diese Untersuchungen zeigen sollen, aber auch noch nicht voll nach dieser Seite 
hin ausgeschöpft ist, ist man den Spuren der bildenden Kunst in den Werken 
Goethes noch wenig nachgegangen. Ja, hier eróffnet sich eine Aufgabe, die von 
einem einzelnen kaum bewáltigt werden kann. Die Schwierigkeiten beruhen darin, 
daB sie eine Vertrautheit gróBten Stiles auf dem Gebiete der Kunst- wie Literatur- 
geschichte voraussetzen und eine restlose Hingabe an die Sache erfordern. Dafür 
liegt das Gebiet für den Kunsthistoriker, der für eine Bearbeitung fast allein in 
Frage kommen kann, doch zu weit ab. Da die Aufgabe aber doch einmal gelóst 
werden muß, gilt es wenigstens Bausteine herbeizutragen, und als solche wollen 
die nachfolgenden Untersuchungen auch nur angesehen sein!). 


т. Der neue Paris. 

»Das Auge war vor allen anderen das Organ, mit dem ich die Welt 
faBte. Ich hatte von Kindheit auf zwischen Malern gelebt und mich 
gewóhnt, die Gegenstánde in bezug auf die Kunst anzusehen. Wo 
ich hinsah, erblickte ich ein Bild, und was mir auffiel, wollte ich 
festhalten | ` | 

Das entzückende Knabenmirchen hat der Geschlossenheit seiner Erzáhlung und 
des Reichtums seiner Bilder, besonders der antiken, wegen immer wieder Be- 
wunderung erregt. Ja, diese Bewunderung hat Anlaß gegeben, die Erzählung aus 
der frühen Knabenzeit Goethes zu streichen und in die Altersperiode zu ver- 
legen, in eine Zeit, der Geschehnisse und Gestalten wie das Parisurteil, der Kampf 
Achills mit Penthesileia usw. vertrauter sein konnten als den Knabenjahren. 
E. MaaB*) hat mit schöner Begeisterung und tiefem Verständnis für die Schaffens- 
weise des Genius den Nachweis erbracht, daß die Dinge so liegen, wie sie Goethe 
in Dichtung und Wahrheit erzählt, daß also Goethe als Knabe das Märchen wenig- 
stens dem wesentlichen Inhalte nach so erzählt hat, wie wir es aufgezeichnet 
finden. Maaß hat vor allem das Verdienst, die Vertrautheit des Knaben Wolfgang 
mit bestimmten antiken Motiven aufgewiesen zu haben. Daß Goethe die grie- 
chischen Stoffe durch Loen und Pomey bekannt geworden waren, darf man nach 
Maaß’ Ausführungen als sicher annehmen. Dennoch bleibt, die Lektüre dieser 
Schriftsteller allein vorausgesetzt, manches ungeklärt. Der tatsächlich vorhandene 
Abstand zwischen dem reizvollen und reichen Märchen und den unbedeutenden 
Liedern der Leipziger Zeit wird damit nicht überbrückt. Eine Allegorie, ein Sinn- 
bild auf Goethes eigenes Leben, ist dasMärchen allerdings nicht. Darin hat Maaß 
vollkommen recht. Es ist ein Märchen des Zehnjährigen; dann allerdings eine 
erstaunliche Schöpfung, die den Nachweis der Herkunft aller Elemente ihrer Zu- 
sammensetzung fordert. Maaß hat selbst einige Erscheinungen hervorgehoben, die 
durch die Lektüre Loens und Pomeys unerschlossen bleiben. So gleich die un- 
vermittelte Vermischung heimischer und antiker Motive. Maaß kennzeichnet 
diese Erscheinung sehr fein mit folgenden Sätzen: „Dann hat der ‚Neue Paris‘ 
das bei Goethe Auffällige, von allem Abweichende, daß er in den Rahmen des 
Frankfurter Lebens die Personen und die Welt eines altgriechischen Märchens 
hineinversetzt: wie die Insel im Meere schwimmt. Dabei wird nichts irgendwie 
vermittelt, nichts organisch verbunden.“ Schärfer kann es nicht ausgedrückt 


(1) Einen Hinweis, den ich hier erwähnen möchte, gibt F. Boll: Die Lebensalter. Leipzig 


1913, S. 4. | 
(2) Vgl. E. Maaß: Goethe und die Antike. Berlin 1912, S. 1ff. 


233 


werden, daß hier etwas der Aufhellung bedarf, die durch den Hinweis auf die Un- 
reife — wie Maaß will — nicht befriedigend geboten wird. Auch „das ganz 
Unvermittelte des Abbrechens“ der Erzählung scheint mir durch „den Kindes- 
zustand des noch unfertigen Verfassers“ nur unzulänglich begründet zu sein. 
Das Fehlen der Helenagestalt, diese sehr auffällige Tatsache, bietet Maaß gleich- 
falls eine Schwierigkeit, die er nicht zu erklüren weiB. Der Orientale katho- 
lischen Glaubens findet durch den Hinweis auf den Magier bei Tasso keine 
hinreichende Begründung. Die Gestalt des Narziß, die der Alerte, der Kampf der 
Penthesileia mit Achill und die wunderbare Brücke sind fernerhin noch ungeklárte 
Elemente des Márchens. Alle diese Fragen und schlieBlich auch eine genauere 
Datierung wollen erledigt sein, und sie dürfen es bei der hohen, künstlerischen 
Bedeutung des Märchens einerseits, wie bei der umstrittenen Entstehungszeit 
sehr wohl. | 

Das Märchen beginnt mit einer Traumerzählung und bietet uns durch diesen 
Eingang gleich einen Schlüssel zur Erhellung mancher Frage. Geschaute Bild- 
eindrücke verwandeln sich dem Knaben im Traume zu lebenden Gestalten, die 
in sein Leben eingreifen und ihn in eine Handlung verstricken. Goethe erzühlt 
das weitere Geschehen zwar als Tatsache, die Fortsetzung des Traumes ist 
aber dennoch deutlich, und wenn es sich auch nicht nachweisen läßt, daß auch 
dieser Teil nur geträumt und als wirkliches Geschehen erzählt ist, so stammt er 
doch gewiß aus den gleichen Quellen wie die Traumerzählung selbst. Zu Ende 
der Erzáhlung gibt Goethe allerdings selbst einen Hinweis, indem er sagt: ,,...so 
daß ich beinahe glauben muß, das zweite Abenteuer sei so gut als das erste ein 
Traum gewesen...‘ Um es vorweg zu sagen, was im einzelnen noch nach- 
zuweisen sein wird, es sind Eindrücke von Werken der bildenden Kunst aus der 
nüchsten Umgebung des Knaben, die sich im Traume vermischen und die eigen- 
tümliche Erzáhlung oder das merkwürdige Geschehen auslósen. Deshalb das 
seltsame Durcheinander der Motive, deshalb die Vermischung heimischer und 
antiker Vorstellungen und deshalb schlieBlich auch das unvermittelte, plótzliche 
Abbrechen des Märchens. Wenn Maa meint, in Feengärten habe sich der Knabe 
hineingetráumt, so erklärt das weder die Eigenart der keineswegs aus Feen- 
gürten allein stammenden Umgebung im Märchen, noch auch die Gestalten und 
ihr Handeln. 
Die überhitzte Phantasie des Märchens, die Vielheit der Gestalten, die Fülle 
der antiken Motive und die Lebendigkeit der Eindrücke lassen unwillkürlich 
fragen, zu welcher Zeit traten dem Knaben plótzlich so vielseitige, so bunte und 
eindrucksfáhige Bilder entgegen? Auf diese Frage läßt sich leicht durch den Hin- 
weis auf die seit 1759 für den Kónigsleutnant Theas comte de Thoranc einsetzende 
künstlerische Tátigkeit in Goethes Stube im Hause am Hirschgraben antworten. 
Wir wissen es aus Goethes Munde selbst, welche Fülle der Eindrücke sich ihm 
hier bot, wir erfahren es, mit welchem Ubereifer er an der Tätigkeit der Maler 
teilnimmt, daß er selbst Vorschläge für Kompositionen, den Josephszyklus, 
macht, und daß er mit allen Sinnen lebt und webt in den Stoffen, die unter 
seinen Augen entstanden!) Was Wunder, daß sich der Reichtum der Ge. 
sichte, die Phantastik mancher Stoffe und die Lebendigkeit der Darstellung in 
der Phantasie des Knaben lebhaft einprägten und zu einem bunten Traume 
vermischten. 


(1) Vgl. O. Heuer: Goethe und die Königsleutnantbilder. (Jahrbuch des freien deutschen 
Hocusuites, Frankfurt a. M. 1907 S. 235 ff.) 


234 


pp — — ———— —̃—ꝓñᷓß—— —— nep а игы ae A A A P —ĩ— EE ⁰eůð, ²²ůũd.à e AN 


Doch das sind zunáchst nur Behauptungen, die nach Belegen verlangen. Bei 
einer Betrachtung der Darstellungen der für den Kónigsleutnant angefertigten 
Tapeten fallen das Vielerlei der Gegenstánde und die unvermittelte Verbindung 
verschiedenartigster Szenen zunächst besonders auf. Der jüngste Biograph!) von 
Seekatz sagt geradezu: ,,Das Durcheinander der einzelnen Stoffgebiete auf diesen 
Medaillonbildern geht nun so weit, daß nicht einmal die Szenen aus einer und 
derselben Geschichte in ihrer richtigen Reihenfolge gegeben, sondern ohne jeden 
Zusammenhang auf verschiedene Panneaux verteilt sind.^ Kinderszenen, antike 
und biblische Stoffe und Genrebilder bilden den bunten Inhalt dieser „Bahnen“. 
Die Gemeinsamkeit mit der Stoffwelt des neuen Paris bleibt dabei aber nicht 
stehen. Die auffüllige Betonung der orientalischen Kostüme stammt gleichfalls 
deutlich aus den Tapeten her. Die Chinoiserien des 18. Jahrhunderts und die starke 
Anlehnung an die orientalischen Phantasiegestalten Rembrandts und seiner Nach- 
folger lassen die reichliche Verwendung dieser orientalischen Züge in den 
Werken der Frankfurter Maler, nicht nur in den Königsleutnantbildern, leicht 
erklárlich erscheinen. i 

Gleich der Eingang des Mürchens gibt unzweideutige Winke, woher dem Knaben 
die Anregungen geflossen sind. Bei der Erscheinung des ,jungen, schónen 
Mannes“ antwortet Wolfgang auf seine Frage: „Kennst du mich denn?“ höchst 
bezeichnender Weise: , Warum nicht? Ihr seid Merkur, und ich habe Euch oft 
genug abgebildet gesehen.“ Das „oft genug“ schließt es aus, daß nur der 
mäßige Kupferstich in Pomey als Anregung gedient haben kann. Ein näherer 
Vergleich mit der Darstellung des Parisurteils von Joh. Conr. Seekatz überzeugt, 
daß Goethe gerade diese Wiedergabe vorgeschwebt hat — sei es im raume; 
sei es beim späteren Erzählen. 

Die Gestalt des orientalischen Katholiken erinnert so auffallend an die von 
` den Frankfurter Malern „їп rembrandtischer Manier“ oft genug geschilderten 
Propheten, Juden, Greise usw., daß ein Ideenzusammenhang ganz zweifellos vor- 
handen ist. Namentlich Joh. Georg Trautmann hat solche Prophetenköpfe gemalt, 
und ein Werk seiner Hand dieser Art, das nach Bangel?) in den fünfziger Jahren 
entstanden ist, befindet sich im Goethehaus zu Frankfurt a. M.3). Die „wunder- 
liche“, „lange, weite und sonderbare Kleidung“ tragen auch Trautmanns Gestalten 
in dem Josephzyklus*), den er für den Kónigsleutnant gemalt hat, und an dessen 
Entstehung der junge Goethe ja bekanntlich besonderen Anteil genommen hat. 
Aus diesen Bildquellen*) erklären sich auch zwanglos die orientalischen Kostüme, die 
sonst noch erscheinen, und in eins von denen sich der jugendliche Erzšhler 
ja nachher selber kleiden muß, das ihm ausnehmend gut gefällt. 

Einen nicht mißzuverstehenden Wink gibt der Erzähler bei der Schilderung 
der Türe in der „schlimmen Mauer“. „Die breiten, sowohl erhaben als vers 


(1) Vgl. Ludwig Bamberger: Joh. Conrad Seekatz (Heidelberger kunstgeschichtlicha Ab- 
handlungen Bd. 2). Heidelberg 1916, S. 100. 

(2 Vgl. Rudolf Bangel: Joh. Georg Trautmann und seine Zeitgenossen. (Stud. zur 
deutschen Kunstgesch., H. 173.) StraBburg 1914, S. 111. 

(3) id. Tafel 2. 

(4) id. Tafeln 6—10. 

(s) Hüsgen charakterisiert Trautmanns Kunst: „In Rembrandts Manier siehet man viele 
lebensgroBe und auch kleine Kópfe von ihm, die er meistens mit groBen Bürten 
in orientalischer Tracht darstellte.“ (Vgl. Joh. Seb. Hüsgen: Nachrichten von 
Frankfurter Künstlern und Kunstsachen, Frankfurt 1780.) 


235 


tieft gearbeiteten Bänder von Erz beschlagen, deren Laubwerk, worin die natür- 
lichsten Vögel saßen“, er besonders bewundert, stellen die typischen mittel- 
alterlichen Eisenbeschlüge einer Türe dar. Wo Goethe solche Arbeiten gesehen 
hatte, folgt einige Zeilen weiter. Da heißt es: „Ich bewundere, versetzte ich, die 
Arbeit dieser Pforte, denn ich habe dergleichen noch niemals gesehen, es miiBte 
denn sein auf kleinen Stücken in den Kunstsammlungen der Lieb- 
haber.“ Die Stelle ist höchst lehrreich. Denn sie beweist nicht nur, daß Goethe 
die Anregung zu der Schilderung von seiten der bildenden Kunst empfangen 
hat, sie wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die frühe Kennerschaft des Knaben. 
. Belehrt sie doch gewissermaßen den Traumeindruck darüber, daß derartig reiche 
Beschläge eigentlich nur an kleineren kunstgewerblichen Gegenständen, wie 
Schmuckkästchen, Truhen usw., aber nicht an großen Türen in Gebäuden vor- 
kommen. Daß. Goethe derartige Stücke in den , Sammlungen der Liebhaber“ oder 
auch bei Auktionen, an denen er ja auch schon frühzeitig teilgenommen hat, 
gesehen hat, ist nach seinen eigenen Worten nicht zu bezweifeln. Welche be- 
stimmte Arbeit ihm vorschwebte, das wird sich allerdings wohl schwerlich noch 
einmal ausfindig machen lassen. 

Gleichfalla von Bedeutung für die Frage nach der Herkunft der Bildvorstellungen 
sind die weiteren Beschreibungen des Märchengartens. Gleich beim Betreten 
fallen dem Erzähler „Nischen, mit Muscheln, Korallen und Metallstufen künst- 
lich ausgeziert auf, die aus Tritonenmäulern reichliches Wasser in marmorne 
Becken spenden. So deutlich hier die Anregungen von seiten der bildenden Kunst 
sind, so schwer ist es auch hier, das bestimmte, die Vorstellung auslösende 
Vorbild zu nennen. Die mit Muscheln, Korallen und Metallstufen gezierten 
Nischen sind beliebte Bereicherungen der Architektur, die letzten Endes auf 
italienische Vorbilder zurückgehen und besonders im 17. Jahrhundert einen breiten 
Raum in den deutschen architekturtheoretischen Schriften!) einnehmen. Schon 
Jos. Furttenbach d. A. beschäftigt sich eingehend mit diesen „Grotten“ ), und der 
Frankfurter G. Böckler widmet diesen Architekturteilen sogar eine mit vielen 
Kupfern geschmückte Schrift’). Die uns heute nicht mehr ganz verständliche 
Vorliebe für diese in überladener Weise mit Muscheln, Korallen usw. gezierten 
Nischen, Grotten und Brunnen nimmt jedenfalls in den architekturtheoretischen 
Schriften einen sehr breiten Raym ein und hat zweifellos auch in der Praxis ge- 
wirkt. Ob bei Goethes Schilderung solche Kupferstiche oder Originale anregend 
gewirkt haben, bleibt gleichgültig hinsichtlich der Tatsache, daß hier gleichfalls 
Elemente der bildenden Kunst anregend gewirkt haben. 

Gleich anschließend an diese Beschreibung der Brunnen erzählt der Knabe, daß 
einer der Stare der zwischen den Brunnen angebrachten Vogeihäuser: Paris, Paris, 
ein anderer: Narziß, Narziß! gerufen habe. Der Übergang von einer Vorstellung 
oder Bezeichnung zur anderen ist eigentiimlich. Wie kommt der Knabe dazu, 
sich in einem Augenblick als Paris, im nächsten als Narziß zu empfinden, oder 
vielmehr woher drängt sich ihm die Erinnerung an Narziß in seiner Rolle als 
Paris plötzlich auf? Man fühlt deutlich, eine Bildvorstellung löst jäh eine andere 
ab, wie es eben im Traume geschieht. Kennen wir den Grund der Parisvorstellung, 


(1) Vgl. V. C. Habicht: Die deutschen Architekturtheoretiker des 17. und 18. Jahrhuneeru 
(Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen, ıgı6ff.). 

(2) id. S. 19, 28. 

(3) id. S. 273. 


236 


so fragt es sich nun, woher die andere stammt. Sollte der Urheber der einen, 
nämlich Seekatz, zugleich auch der der anderen sein? Nun, wir wissen, daß 
Seekatz einen „Narziß am Brunnen“ i) gemalt hat. Bamberger setzt das Bild aller- 
dings ohne rechte Begründung in spátere Zeit, in die Jahre 1765—68. Es be- 
stehen aber nicht die geringsten Schwierigkeiten, das Bild schon in die Zeit um 
1759 zu verlegen. Jedenfalls sind der Umstand, daß der Bildeindruck bei Goethe 
gerade nach der Brunnenbeschreibung auftaucht, und die Tatsache, daß Seekatz 
einen Narziß am Brunnen gemalt hat, so auffällige Erscheinungen, daB an einen 
Zufall wohl kaum gedacht werden kann. 

Weniger scharf umrissen, aber immerhin doch auch deutlich von Werken der 
bildenden Kunst beeinfluBt, erscheinen die Beschreibungen des Gartens und des 
Gartengebäudes. Der sehr auffällige Hinweis auf den Grundriß des Gartenparterres, 
wie auch die Eigenart der Beschreibung der Einzelheiten desselben, der Beete, 
der Einfassungen und der Bepflanzung, lassen für den Kenner der Gartengrundriß- 
stiche des 17. und 18. Jahrhunderts keinen Zweifel, daß Goethe hier Eindrücke 
von diesen Kupfern mit solchen aus wirklichen Gartenanlagen verschmolzen hat. 

Der eigentiimliche, südländische Charakter des Gartenhauses selbst legt wieder 
die Vermutung, daß Risse aus architekturtheoretischen Schriften anregend gewirkt 
haben, sehr nahe. | 

Die anmutigen Szenen, die sich nun im Mittelsaale des Gartenhauses abspielen, 
wo zunächst das musikalische Spiel der rot, gelb und grün gekleideten Madchen 
und dann das reizvolle Ballett, das Wolfgang und Alerte tanzen, stattfinden, er- 
innern zu deutlich an die gleichen Kinderszenen, die Seekatz namentlich in den 
Monatsbildern der Thoranc-Bahnen gemalt hat, als daB die Übereinstimmungen 
zufällige sein könnten. Die Worte, die Bamberger:) zur Kennzeichnung der Ar- 
beiten von Seekatz gebraucht, zeichnen genau die Stimmung der Episode unseres 
Märchens. „Es ist ein ganzes ,Kinderleben', was sich da vor unseren Augen 
abspielt, mit allen seinen alltáglichen Freuden, ein Leben unter freiem Himmel 
in frischer Luft. Es ist ein Heraus aus den engen Stadtmauern — ein Leben 
ohne Parfüm und Puder, das mit der Grazie eines Haydnschen Scherzes (sic!) jenes 
Thema vorzubereiten scheint, das nicht viel spáter von der Donnerstimme des 
großen Franzosen in die Welt geschmettert wurde, das ‚Zurück zu der Natur!‘ 
Besonders hervorzuheben ist, daß unter den als Türken, Chinesen usw. ver- 
kleideten Kindern ein Kinderpaar im modischen Zeitkostüm erscheint, das Heuer 
als Portráts von Wolfgang und Cornelia Goethe gedeutet hat. Das mag noch 
ein Anlaß mehr gewesen sein, daß sich der Knabe in seinem Aufgehen in 
dieser Welt des ,Kinderarkadiens‘ in die Schar dieser musizierenden, tanzenden, 
spielenden und die Tätigkeiten der Erwachsenen nachahmenden Kinder hinein- 
träumte und ihre Welt im Traume — und dann in seiner Erzählung — wiederfand, 

Das hóchst merkwürdige Kampfspiel auf der Brücke verarbeitet ganz deutlich 
Szenen der „Bahnen“. Hier erscheinen nicht nur Krieger, Kampfszenen, ein Kampf 
an einer Brücke, sondern auch Kampfspiele, bei den in Uniformen gekleidete 
Kinder die Handelnden bilden. Seekatz, der diese „Panneaux“ gemalt hat, stand 
dem Knaben Goethe ja besonders nahe, nicht zum wenigsten auch wegen der 
‘Wahl und der Art der Behandlung seiner Stoffe. In der Erinnerung an diese 
Zeit hebt Goethe in Dichtung und Wahrheit das Verdienst von Seekatz folgender- 


(1) Vgl. L. Bamberger: a. a. O., S. 15g und Abb. S. 153 in G. Biermann: Deutsches 
Barock und Rokoko. Leipzig igne 
(2) Vgl. Bamberger: a. a. O., S. 114. 


237 


mañen hervor: ,Seekatz übernahm lšndliche Szenen, worin die Greise und Kinder, 
unmittelbar nach der Natur gemalt, ganz herrlich glückten ...“ Man kann es 
-sich denken, daß den Knaben gerade diese Verkleidungen der Kinder ganz be- 
sonders anzogen, und daB sich seine lebhafte Phantasie leicht unter sie und mit 
ihnen handelnd versetzen, konnte. Da gerade aber auch ein Kampf an einer 
Brücke unter diesen Darstellungen erscheint, ist die Herkunft der Erzáhlung in 
diesem Falle ja wohl ganz gewiß. 

Es miiBte sich bei dem Márchen nicht um eine Traumerzühlung handeln, wenn 
alle Elemente erklärt werden könnten. Die Phantastik und der Reichtum der Träume 
aus nichtigeren Anregungen als den reichen Bildvorstellungen, die der junge Goethe 
angesichts der Thorancbilder in sich aufnehmen konnte, sind bekannt. Ja, man 
muß sich fast wundern, wie klar und streng diese Bildvorstellungen in der Traum- 
phantasie des Knaben haften geblieben sind. Die Ausführungen werden aber 
gezeigt haben, daB die Auslósung der Traumbilder zweifellos durch Werke der 
bildenden Kunst stattgefunden hat. In die Zeit um 1759 muf demnach auch die 
Erzählung des Märchens fallen, da in erster Linie die Bilder der Thoranctapeten 
anregend gewesen sind. Wie aufnahmefáhig der damals zehnjahrige Knabe schon 
gewesen ist, das bezeugen die übrigen Verwertungen aus dem Gebiete der Archi- 
tektur, des Kunstgewerbes und der Bildhauerkunst. Aus diesem Grunde darf man 
nun auch die Schilderung des frühreifen, ja fast fürwitzigen Knaben in Dichtung 
und Wahrheit wenigstens in Dingen der bildenden Kunst mit ganz anderen Augen 
ansehen. Ein Kind, das die Fülle der Eindrücke in einer Erzühlung schon 
so selbstándig verarbeiten konnte, wie der Dichter des jungen Paris, hat immerhin 
schon ein Recht, sein Urteil als voll angesehen wissen zu wollen. Der Nachweis 
' der Quelle der Traumvorstellungen und die Erkenntnis, daß die Erzählung im 
wesentlichen überhaupt einen Traumbericht darstellt, beseitigen die gróbsten 
Schwierigkeiten auf dem Wege zur Erklärung des Märchens. Im Traume nur 
konnten sich die verschiedenartigen Eindrücke von seiten der bildenden Kunst 
mit den natürlichen Erinnerungsbildern aus der nüchsten Umgebung so innig 
und eigenartig vermischen und zu einem so phantastischen Ganzen, das wie 
Traumbilder meist keinen rechten Schluß findet, runden, wie es die Erzählung 
darstellt. (Schluß folgt.) 


238 


REZENSIONEN ———.— 


LORENZEN, WILHELM, Gammel 
Dansk Bygningskultur 2, 2; Kopen- 
hagen 1916: 1) Landgaarde og Lyst- 
steder i Barock, Rococco og Empire 
66 S., 56 Abb., 2) Meddelelser... (Mit- 
teilungen über den Verein zur Erhaltung 
alter Bauwerke, 1912—15.) 32S., 18 Abb. 


Der systematische Teil gibt einen sehr dankens- 
werten Überblick über die vornehmen Landhaus- 
bauten Dänemarks mit Einschluß der Gartenanlagen, 
und es wird die geschichtliche Entwicklung dieses 
Zweiges der Baukunst an einigen fürstlichen und 
herrschaftlichen Landsitzen, wie Friedrichsberg, 
Freudenlund, Charlottenlund und anderen Orten in 
einer Weise vorgeführt, die an sich anziehend 
genug und zur Anstellung der notwendigen Ver- 
gleichungen mit den gleichgehenden Leistungen 
anderer Linder erwünscht und unentbehrlich ist. 
Allerdings haben wir es hier noch mit einer Aus. 
Wahl, nicht mit einer vollständigen systematischen 
Behandlung des ganzen Gebietes zu tun. — Der 
zweite Teil macht den Leser mit dem Bestehen 
und der Tätigkeit der dänischen Vereinignng zur 
Erhaltung der Baudenkmäler bekannt. Diese wirkt, 
in einem Netze über das ganze Land verbreitet 
und auf den Grundsätzen des Heimatschutzes ruhend, 
in kriftiger und sinniger Weise. Sie ist 1907 
` entstanden, wesentlich unter den aufregenden und 
niederschlagenden Eindrücken, welche die Zer. 
stórung der kaum zum Vorschein gekommenen 
-sehr bedeutsamen Reste des Budolphiklosters zu 
Wiborg machen mußte. Die Leitung der Gesell- 
schaft versteht es, mit nicht großen Mittein eine 
ersprießliche Tätigkeit über das ganze Land hin 
zu entfalten. Die Bauten, die ihr in der oder 
jener Weise Erhaltung, Pflege oder Herstellung, 
zum Teile unter Überführung in öffentliches Eigen- 
tum, verdanken, sind im ganzen wenig bedeutend, 
Denn für alle bedeutenden sorgt die geordnete 
‚Denkmalpflege in vorbildlicher Weise. Offenbar 
wird mit Sorgfalt darüber gewacht, daß die Kreise 
der Denkmalpflege, der man sich nützlich und 
förderlich zu machen anspruchslos bestrebt ist, 
nicht gestört werden, ein sehr verständiges Ver- 
halten, das man überall befolgt sehen möchte. — 
Der Deutsche freut sich, unter den abgebildeten 
Bauten, wegen deren man der Gesellschaft zu 
danken hat, einem der Giebelhäuser zu Kolding 
zu begegnen, aus der Zeit vom Ende des 16. Jahr- 
hunderts, da dort der deutsche Einfluß sich aufs 


lebhafteste bezeugte. Ferner treffen wir die zwar 
nicht weltbekannte, aber bei jedem geschmack- 
volien Besucher der ruhmvollen alten Bischofs- 
stadt an der Westsee in bester, achtungsvoller 
Erinnerung blühende WeiBische Bierstube zu 
Ripen, einer der angenehmsten altertümlichen 
Trinkwinkel, der irgendwo zu finden ist. Endlich 


erfahren wir Neues von der Burg zu Spötterup, 


einem Landsitz vom Anfang des 16. Jahrhunderts, 
der einzigen dänischen Burg, die sich durch lange 
Zeiten hindurch auf die Gegenwart hin erhalten 
hat und die allerdings infolgedessen die allerdeut- 
lichsten Spuren der dauernden Benutzung und Ver- 
brauchung an sich trágt. Bei uns würde sie nur 
sehr verstündigen Betrachtern als beachtenswert 
auffallen, für Dänemark ist sie als einzige alte 
Ritterburg fast unschützbar. Sie findet jetzt end- 
lich die ihr lange zugedachte liebe- und verstind- 
nisvolle Beachtung und soll alimáhlich instand- 
gesetzt werden. (Vergleiche über Spötterup das 
Heft: Burgen im Herzogtum Schleswig, Grune- 
wald, Burgverlag 1916, Seite гої). Da es auch in 
Dänemark an Leuten nicht fehlt, denen die Haut 
schaudert, wenn vom Herstellen eines Baudenk- 
mals die Rede sein muß, wird es natürlich nicht 


.ohne Kampf und allerhand Bösartigkeiten ablaufen, 


indes ist die Sache in gutem Zuge und verspricht, 
mit Behutsamkeit und Verstand betrieben, ein 
schönes Ergebnis, das alle Burgenfreunde erfreuen 
wird. Rich. Haupt. 


W.FLEMMING, Die Begründung der 
modernen Ästhetik und Kunstwis- 
senschaft durch Leon Battista Al- 
berti Teubner, Leipzig-Berlin 1916. 


Mit einigem Vorbehalt erstattet der Referent 
diesen Bericht, da ihm im Felde nicht die Hilfs- 
mittel zu Gebote standen, um die Feststellungen 
des Verfassers im einzelnen nachzuprüfen. Er 
muB sich daher mehr an den allgemeinen Inhalt 
und die Methodik des Bucbes halten. 

Der Verfasser hat sich die ebenso reizvolle wie 
schwierige Aufgabe gestellt, aus den in Albertis 


"Schriften verstreuten Bemerkungen ästhetischer und 


kunstwissenschaftlicher Art ein Gesamtbild von 
Albertis Anschauung auf diesem Gebiet zu re- 
konstruieren. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, 
daß Alberti als erster die wesentlichen Prinzipien 


erkannt habe, auf denen die moderne Kunsttheorie 


beruht, Alberti hat im Gegensatz zu seinen Zeit- 
genossen die kunstfremden Prinzipien der bloßen 


239 


Naturnachahmung, des Nutzens, des Schmuckes 
u. dgl. abgelehnt und statt dessen zum ersten 
Male die Eigengesetzlichkeit der Kunst festgestellt. 
So sehr nun der Verfasser recht batte, sich nicht 
mit einer bloSen Zusammenstellung von Albertis 
Äußerungen zu begnügen, so scheint er uns doch 
in dem Bestreben, bei Alberti ein geschloseenes 
System herauszuarbeiten, zu weit gegangen zu 
sein. Er stellt Fragen an Alberti, die erst im 
Sinne der modernen Asthetik gestellt werden 
kónnen und für jene Zeit noch wenig Sinn haben, 
so s. B. (S. 54): , Welchen eigentümlicben Bel- 
trag zum Inhalt. des ästhetischen Bewußtseins 
leistet (die Malerei) und mit welchen Mitteln?" 
Und ebenso deutet er Albertis Anschauungen su 
sehr in diesem modernen Sinne aus, Bei Alberti 
ist alles viel primitiver, viel unphilosophischer 
°‘ gemeint, als der Verfasser annimmt, so wenn 


Alberti schreibt (S. 69): „Ich meinerseits stellte 


allerdings das Talent des Malers stets hóher, da 
es sich in schwierigeren Dingen versucht,“ — und 
der Verfasser daraus schließt: „Die Skulptur ist 
ihm also zu naturnah, der Schein als klarster 
Ausdruck autonomer Kunst steht ihm höher als 
das Sein der Plastik.“ Man hat oft den Eindruck, 
daß der Verfasser die Ästhetik eines modernen 
Philosophen, etwa der Cohens, zu dem er enge 
Beziehung zu haben scheint, analysiert und nicht 
die Äußerungen eines Künstlers der Frübrenais. 
sance. Es handelt sich bei Alberti eben doch 
nicht um eine reine Theorie, — dazu war er ge- 
wiß viel zu sehr Künstler, — sondern um eine 
„Künstler-Ästhetik“ etwa im Sinne der Äußerungen 
Hans v. Marées. Das zeigt sich schon darin, daß 
Albertis Äußerungen zum größten Teil viel zu 
allgemein sind, so wenn er (S. 20) als Grund- 
prinzip der Schönheit die Harmonie aufstellt, 
noch mehr, wenn er dies Prinzip in einzelnen 
Kategorien, — numerus, finitio, collocatio — durch- 
fübrt. Solche Prinzipien finden eben erst ihre 
Ausfülung nicht durch weitere theoretische Ana- 
lyse, sondern durch die künstlerische Gestaltungs- 
weise des betreffenden Künstlers. 

Mit diesen Einwánden soll aber der Wert des 
vorliegenden Buches durchaus nicht verneint sein. 


Auch als bloße Selbstbesinnung eines sehr klar 


denkenden Künstlers betrachtet, sind die Äuße- 
rungen Albertis genügend theoretisch wertvoll und 
bistorisch interessant. Und besonders mit der 
Analyse der Beziehungen zwischen Alberti und 
seinen Vorgüngern, Vitruv, Plato, Plotin, hat der 
Verfasser sich um die Kunstwissenschaft entschie- 
dene Verdienste erworben. 

Kurt Freyer. 


240 


HEINRICH GLÜCE, Türkische Kunst, 
Vortrag, gehalten in der Sitzung des unga- 
rischen wissenschaftlichen Instituts in 
Konstantinopel am 5. Mai 1917. Mit- 
teilungen des Ung. wiss. Inst. in Kon- 
stantinopel 1917, Heft r. 


Mit diesem Vortrage des Assistenten am Kunst- 
historischen Institute der Wiener Universität (Lehr- 
kanzel Strzygowski) trat eine Einrichtung des 
ungarischen Staates vor die Öffentlichkeit, die 
grundsätzlich von hoher Bedeutung für die Ent- 
wicklung unseres Faches ist. Schon dieser Er- 
öffnungsvortrag beweist, daß der jetzige Leiter, 
Professor Hekler, ein klassischer Archäologe, die 
vernünftige Einsicht hat, nicht wieder die Antike 
in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich ent- 
halten die Leitsätze des' dem Kultus- und Unter- 
richtsministerium unterstehenden Institutes als 
§ 1 (Zweck) die Verpflichtung zur Erforschung 
des byzantinischen, ungarischen und türkischen 
Verkehrs, der klassischen Archäologie, der byzan- 
tinischen und islamischen Kunst, endlich der 
orientalischen, besonders der türkisch-ungarischen 
vergleichenden Sprachwissenschaft. An der Spitze 
steht ein Direktor mit einem Sekretär als Ver- 
treter, zwischen ihnen und dem Minister ein 
Direktionsrat in Budapest. Das Institut in Kon- 
stantinopel umfaßt eine Bibliothek und die Woh- 
nungen für den Direktor, den Sekretär und die 
ordentlichen Mitglieder. Letztere erhalten ein 
Jahresstipendium von sooo K. und haben sich 
durch das Doktordiplom auszuweisen. Sie haben 
über ihre wissenschaftlichen Arbeiten Rechenschaft 
abzulegen. Die Mitteilungen erscheinen in unga- 
rischer und deutscher Sprache. Es sei bemerkt, 
daß dem ersten Hefte von Glück ein zweites vom 
Direktor Hekler, „Götteridesie und Porträts in 
der griechischen Kunst“ gefolgt ist. Es faßt kurz 
und eindrucksvoll die Ergebnisse eines Tafel- 
werkes „Die Bildniskunst der Griechen und Römer“, 
Stuttgart тота, zusammen. — Indem wir dem In- 
stitute das beste Gedeihen wünschen, muß aus- 
gesprochen werden, wie seltsam es berührt, daß 
Österreich amtlich völlig versagt. Der Unter 
zeichnete drängt seit Jahren auf die Schaffung 
einer wissenschaftlichen Stelle in Konstantinopel 
Er glaubt, daß die oben 8. rorf. angedeutete 
Gegenströmung jede gedelhliche Entwicklung unter- 
bindet. Beseichnend dafür ist auch, daß die Auf. 
nahme der Denkmäler in den besetzten Gebieten des 
Balkans ohne Heransiebung des Institutes der Lehr» 
kansel des Unterzeichneten erfolgte. | 
. Giüek gibt in dem den Monatsheften sur Be- 


sprechung übersandten Hefte eine kurse Zusammen- 
stellung det Forschungsergebnisse, die die Reise 
des Wiener Instituts nach Churasan (1912—1914) 
gezeitigt hat und die man niedergelegt finden 
wird in meinen Werken „Altai-Iran und Vélker- 
wanderung“, wie „Der altchristliche Kuppelbau der 
Armenier" und in Diez' Bearbeitung dieser Reise 
„Churasanische Baudenkmäler“. Glück selbst hat 
seine Kenntnisse auf Orientreisen begründet und 
während eines einjährigen Aufenthaltes in Kon- 
stantinopel 1916/7 durch eigene Beobachtungen 
an den Bauten Stambuls ergänzt. Er führt den 
Hürer an der Hand guter Lichtbilder an die Quellen 
der türkischen Kunst in der Metallbearbeitung und 
Zeltausstattung und zeigt, wie sich davon Spuren noch 
in ihren frühesten Baudenkmilern beobachten lassen. 
Der Drang sur Monumentalitát zeichnet ibre Grab- 
bauten ebenso aus, wie die spüteren seldschuki- 
- schen und osmanischen Moscheen. Durch eine 
eigene Arbeit, ,Die beiden ,sasanidischen' Drachen- 
reliefe (Publikationen der Kais. osmanischen Mu- 
seen IV, 1917)", suchte er in die Grundlagen der 
seldschukischen Skulptur einsudringen und bietet 
auch in dem vorliegenden Vortrag eine beachtens- 
werte Feststellung bezüglich des Zusammenhanges 
der umstrittenen Genienreliefs in Konia mit den 
Wandgemälden von Chinesisch - Turkestan, Mit 
Recht betont er, wie die in der türkischen Kunst 
aus ganz Asien zusammenlaufenden Züge von 
eigentürkischem Geiste zu einer Einheit ver- 
schmolzen werden, die weit abliegt von unserer 
europäischen, in Realismus und Naturalismus be- 
fangenen Art des künstlerischen Sehens. — Manche 
Fehler im Drucke müssen den erschwerenden Um- 
ständen zugute gehalten werden, unter denen Glücks 
Arbeiten in Konstantinopel entstanden bzw. in 
Druck gelegt wurden. Strzygowskl. 


FRIEDRICH HAACK, Funde und Ver- 
mutungen zu Dürer und zur Plastik 
seinerZeit. Th. Blaesings Universitüts- 
buchhandlung, Erlangen, Paul Winkler. 


Das Buch enthält eine Reihe kunsthistorischer 
Analysen von Werken des fränkischen Kunst- 
kreises, aus dem speziellen Forschungsgeblet des 
Verfassers. 


Im ersten Kapitel beschäftigt sich Haack mit 
einem weder vorher bei Dehio, noch sonst in der 
kunstwissenschaftlichen Literatur erwähnten Altär- 
chen mit Alabasterfiguren іп der Weißenburger 
Andreaskirche, welches er wie den Georg aus 
Alabaster in dem Münchner Nationalmuseum (Nr. (or) 
dem Verfertiger eines Hochreliefs aus Alabaster 


im Germanischen Museum (Nr. 47) zuschreibt. 
Haack setzt die Verschiedenartigkeiten der Arbeiten 
(die Münchner Arbeit ist gegenüber dem früh- 
gotisch gebundenen Weifenburger Werkchen von 
großer Freiheit der Behandlung und sicherer Natur- 
beobachtung) auf die zeitlich verschiedene Ent- 
stehung der Werke und vermutet, daß eine Be- 
kanntschaft des Künstlers mit dem Dürerschen Holz- 
schnitt des heiligen Georg B. 111 diese augenfällige, 
größere Freiheit der Auffassung ausgelöst habe, 
Für unser Gefühl ist diese Hypothese nicht zwin- 
gend; es liegen zu viele Stufen der künstlerischen 
Gestaltung zwischen allen drei Werken. Die 
flächtige Ähnlichkeit auf den ersten Blick beruht 
wohl darauf, daß diese kleinen, kunsthandwerk- 
lichen Arbeiten in derselben Schule nach einem 
typischen Schema geschaffen worden sind. 

Ein kleiner Gnadenstuhl aus Alabaster im Ger- 
manischen Museum, der ebenfalls gleichen Auf- 
baus, gleicher Komposition und gleichen Maß- 
stabes ist wie der kleine Gnadenstuhl, den das 
Weißenburger Altärchen enthält, zeigt dieselbe 
streng konventionelle Darstellung der Legende 
wie dieser, trotzdem die viel primitivere Arbeit 
eine weit frühere Entstehung verbürgt. 

Ein anderes Kapitel behandelt den Meister des 
heiligen Laurentius im Germanischen Museum zu 
Nürnberg (Nr. 396). In Vöges „Deutsche Bild- 
werke“ und im gegenwärtigen Katalog des German. 
Museums wird die Haacksche Zuweisung des heil, 
Martin im K. F. M. in Berlin (Nr. 362) an den 
Schöpfer des Laurentius sowie die Zuerkennung 
eines Hochreliefs Dehios und Bezolds (German. 
Museum) und eines Petrus Stegmanns (German. 
Mus, Nr. 397) übernommen. Haack erkennt eben- 
falls diese Zusammenfassung der vier Werke an, 
polemisiert aber gegen die Hypothesen Schmidts 
in bezug auf die zwei Diakone des Darmstädter 
Museums. Er bringt dafür drei Standfiguren vom 
Friedhof in Effeltrich in Beziehung zu dem Meister 
des heiligen Laurentius, von denen die erste 
Figur typische Übereinstimmung in Gewand- 
behandlung, Stehmotiv und Haltung mit dem 
Münchner Laurentius zeigt. Gegen die Klassi- 
fizlerung Haacks läßt sich freilich einwenden, daß 
die drei Standfiguren in Effeltrich sich unter- 
einander in der fast Ubereinstimmenden Gesichts- 
form (schmale Nase, gewölbter Mund) und in der 
flichigen Behandlung gleichen, während der hei- 
lige Laurentius schärfere Modellierung und aus- 
gesprochenere, breitere Formen aufweist. Es ist 
immerhin selten, daß ein Plastiker der damaligen 
Zeit so  grundverschiedene Typen voneinander 
geschieden haben soll. Eine weitere Zuweisung 


241 


der Abte Nikolaus und Wolfgang aus der Frauen- 
kirche in Dormitz ist noch weniger stichhaltig. 
Dagegen sprechen alle Anzeichen der Wahrschein- 
lichkeit für Haacks Hypothese der Herkunft des 
Laurentiusmeisters aus Franken und für eine Ent- 
stehung der Figuren um den Anfang des 16, Jabr- 
hunderts. 

In dem Kapitel „Zu Dürer, Splitter und Spine“ 
scheinen uns die Schlüsse über die Kopie des 
Frauenbildnisses mit dem Eryngium in Paris und 


die Aberkennung des frühen Dúrer-Holzschnittes ` 


des ,Heiligen Georg" und der Dürerschen Zeich. 
nung der zwei Heiligen im Walde zu hypothe- 
tisch, um bei der Dürerforschung ins Gewicht zu 
fallen. | 
Eine recht interessante Abhandlung über die, 
Darstellung des Pferdes bei Dürer schließt die 
gesammelten Aufsätze, die der Verfasser, wie er 
mitteilt, beim Ersatztruppenteil in Erlangen „ge- 
wissermaßen zwischen zwei Feldzügen, nach West 
und Ost“ verfaßte. 
Sascha Schwabacher. 


DER CICERONE, 

X, 13/14. 

E. LUTHGEN: Die Sammlung Leo Kirch in Köln. 
I. (24 Abb) 

H. FRIEDEBERGER: Die Ausstellungen der Ber- 
liner Sezessionen. (6 Abb.) 


BIERMANN: Der neue Salon von Gurlitt und die 
Pechsteinausstellung. 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 
KUNSTSAMMLUNGEN. 

XXXIX, 10, 

MOLLER: Bemalte Tongefäße in der ägyptischen 
Abteilung. (8 Abb.) 

C. SCHUCHHARDT: Eine weibliche Bronze- 


statuette in der vorgeschichtlichen Sammlung. 
(4 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 


XVI, ro. 

FRIEDRICH AHLERS - HESTERMANN: Der 
deutsche Künstlerkreis des Café du Döme in Paris. 
(34 Abb.) 

KARL SCHEFFLER: Ferdinand Hodler }. 


DIE KUNST. 

XIX, 10. 

W. HAUSENSTEIN: Wilhelm von Lindenschmit. 
(1 farb. Taf., 10 Abb.) 


RICHARD KLAPHEK: Hubert Netzer. (1 Taf, 
13 Abb.) 


KARL SCHWARZ: Corinth als Graphiker. (13Abb.) 
K. GROSS: Kunstgewerbe? 

Arch. LOSSOW und KÜHNE - Dresden: Haus 
Cohen-Neubabelsberg. (r Taf, 3 Abb.) 

MAX HEIDRICH-Paderborn: Inneneinrichtungen 
und Móbel. (1o Abb.) 

OLZIEN-Königsberg: Landhäuser von Prof. Ed- 
mund May. (1 Taf, 10 Abb.) 


O. SEYFFERT: Der Wirtscbaftsbund sächsischer 
Kunstbandwerker auf der Leipziger Mustermesse. 
(17 Abb.) 


BERLINER MÜNZBLATTER. 
XXXIX, 198/199. 


R. v. HÓFKEN: Graphische Wiedergabe von 
Prágeszenen. (1 Abb.) 


EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als kurbranden- 
burgische Miinzstátte (Schlu£). 


A. GERHARDT; Der Münzenfund von Merseburg. 
L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916— 1918. 
PH. LEDERER: Dr. Friedrich Imhoof-Blumer. 


OUDE KUNST. 
M, 9. 

NANNE OTTEMA: Het aardewerk in de Norde- 
like Nederlanden in gebruik in het laatste Kwart: 
van de zestiende eeuw. (2 Taf, т Abb.) 

М. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (9 Abb.) 
IMA BLOK: Tentoonstelling van gouddruk-, blok- 


druk-, marmer- en stijfelspapieren in’s Rijks- 
Prentenkabinett te Amsterdam. 


XL Jahrgang, Heft 8. 


Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. — 
Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin. 
W. 15, Uhlandstraße 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT 


& BIERMANN, Leipzig. 


Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,. 
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. I 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 / Ip der SCHWEIZ :- 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstrade 2. Telefon 13467. 


Es wird gebeten, alle für die Schriftieitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an. 
Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsbeften der kunstwissenschaftlichen. 
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


243. 


Derlag — Klinkhardt & Biermann in Leipzig 


RSmifehe Forſchungen 
der Bibliotheca Nerbiana 


Die 
DPorteätdarftellungenn 
des Michelangelo 


Herausgegeben von Eent Steinmann 


Ein Band in Polio mit XVI und 116 Seiten Text und 

107 Tafeln in Lichtdeuck von Domenico Andeefon in 

Rom, zum größten Teil nach Originalaufnahmen aus= 

gefübetz Druck von Poeſchel & Trepte, Leipzig. 

Kũniſtleriſche Ausſtattung von Marcus Behmee, Berlin. 

Auflage 300 handRbeiftlich numerieete Exemplare 
in Buckeam gebunden M.135.~ 


ie vorliegende Publikation erhebt nicht den Anípruch, alle Probleme endgültig 
zu löfen, die fich mit des Ikonographie Michelangelos verknüpfen. Es iff abes 
sum erftenmal verfucht worden, das Material vollftandig zu ſammeln und damit 

für Keitik und Porhung überhaupt ert die Grundlage eu Rhaffen. 
Das Werk gliedert fich in zwei Teile. im erſten Teil find die authentifhen Porträts 
des Meißers eufammengeftellt, die in Bronze und armor, mit Stift oder Pinfel ausgeführt, 
den Anfpsuch erheben können, noch Zeit (eines Lebens ent(landen zu fein. Der zweite 
Teil behandelt die Desbesslicbung Michelangelos nach dem Tode, foweit Kunftwerke in 
Betracht kommen, die nach irgendeiner Richtung hin unfere Dorftellung von feinem Ше[еп 
und Wisken bereichern können. Die wenigen Reliquien, die fich auf das Leichenbegängnis 
in San Lovenso und auf das Grabmal in Santa Ceoce beziehen, wurden gelammelt; 
der merkwürdige Gemaldeeyklus des Casa Buonassoti, der das rubmreiche Leben Michels 
angelos lo tveffend Rhildest, wie die Zeit es vermochte, wird sum erftenmal herausgegeben. 


Als Band IV dee Porkhungen dee Bibliotheca 
Hertziana if in Ausficht genommen: 


J.A.F.Oebaan, Der Abbruch von Alt=St. Deter 


Dokumente aus der Revma Pabbrica di San Pietro 
von 1605-1615  . 


M. f.K., XL 8 


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gert prim letalia poma warentes, 
Intent — humanum demonis arte . genus ` 


Abb. 1. Adam und Eva — Stich von Goltzius nach Spranger (1585) 


Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE 


Tafel 49 


Tafel 50 


Abb. 2. Adam und Eva. — Stich von Coornhert nach Heemskerck (1548) 


Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE 


M. f. K, ХІ, 8 Digitized by Gooqle 


Tafel 51 


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Der Sturz des Tantalus (Ausschnitt) — Stich von Goltzius 
nach Cornelis Cornelisz (1588) 


Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN M ANDERS HAARLEMER AKADEMIE 


M. f. K., XI, 8 


Lyx N VENIT IN MVNDVN ET DILEXERVNT HOMINES MAG I$ TENEBRAS QVAM LV CEM. 10, 3. 


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Abb. 4. Die Hóhle P/atos. — Stich von Jan Saenredam nach Cornelis Cornelisz (1604) 


Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE 


M. f. K., XI,8 


Tafel 


52 


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WISENSCHAFT 


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XHAHRGANG-HEF T 9/10 - OKT--SEPT. 1918 


Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjührlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 9/10 


ABHANDLUNGEN 
HUBERT STIERLING, 
Kleine Beitráge zu Peter Vischer. 
5. Vorbilder, Anregungen, Weiter- 
bildungen. Eine kurze Zusammen- 
stellung. Mit 22 Abbildungen auf 
it 265 rx xXx S. 245 
ADOLF FEULNER, 
Die Enthauptung der hl Katharina 
von P. P. Rubens in Lille. Mit 3 Ab- 
bildungen auf 3 Tafeln. .... S. 269 
ALBERT DRESDNER, Noch einmal: 
Karel van Manders Haarlemer Aka- 
o MEE E E T E T ³˙ m tS TT S.276 


A. S.DREY 


Königlich Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximilianplatz Nr. 7 


Paris, 55avenue des ChampsElysées. 


V. CURT HABICHT, 
Findlinge zum Thema: Goethe und 
die bildende Kunst (SchluB) . . S. 278 


REZENSIONEN 

Carl Georg Heise, Norddeutsche Malerei. 
Studien zu ihrer Entwicklungsgeschichte im 
IS. Jahrh. von Kóln bis Hamburg. Leipzig, 
Kurt Wolff Verlag 1918 (Erich Römer) . S. 291 

Julius Pap, Kunst und Illusion. Veit & Co., 
Leipzig 1914 (Liithgen)......... S. 292 

Adolf Hildebrand, Gesammelte Aufsátze. 
Zweite, vermehrte Feldausgabe. Straßburg, 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1916 (Robert 
We) ia, ² QA S. 294 


RUNDSCHAU ............. S.243 


Ausstellung 


kostbarer Antiquitäten + Ein- und 
Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Gemälde, Porzellane, Möbel und 


Antiquitäten jeder Art. 


JULIUS BÖHLER : MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR Se MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL BAYR. HOFANTIQUAR 
BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 


ALTER MEISTER 


UND KOSTBARER 


ANTIQUITATEN 


KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. 


5. VORBILDER, ANREGUNGEN, WEITERBILDUNGEN. EINE 
KURZE ZUSAMMENSTELLUNG. Von HUBERT STIERLING 


Mit zweiundzwanzig Abbildungen auf neun Таїе1п»»өөөөөөөөөөзөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө 


IB Urteil über Peter Vischers künstlerische Bedeutung, oder sagen wir lieber, 
über seine künstlerische Selbstándigkeit ist bis zum heutigen Tage schwankend. 
Heideloff sah in ihm den bloßen Gießer. Dóbner wandte sich mit Leidenschaft 
dagegen. Die neuere Zeit ist im allgemeinen auf Döbners Seite getreten und hat 
sich in ihrem Urteil selbst dann nicht beirren lassen, als Visierungen und šhn- 
lich verwandte W'erke Katzheimers, Dürers, des Meister E. S. und anderer be- 
kannt wurden. Mir scheint, daf dieses Urteil manchmal doch ein wenig vor- 
eingenommen war, so z. B. im Falle des Hechingen-Römhilder Denkmals, wo 
uns eine übereinstimmende Zeichnung Dürers erhalten ist. Man muB sich doch 
immer der Grundwahrheit bewußt bleiben, daß Vischer kein freischaffender 
Künstler, wie etwa der Maler war, sondern daß er fast nur auf Bestellung arbeitete. 
Sein Gußmaterial war viel zu kostbar, das kleinste Denkmal erforderte viel zu 
lange Wochen, als daß er den Versuch zu freien Schöpfungen hätte öfter wagen 
dürfen. Was aus den Händen Peter Vischers d. Á. hervorgegangen ist, sind 
auftragsmáDig verdungene Werke; und wo es sich gar um Bildnisse handelt, 
da ist es ja von vornherein klar, daß ein Künstler, der weit von dem Dar- 
zustellenden wohnte, auf eine Zwischenzeichnung angewiesen war, denn der 
bloßen Idealdarstellung war das 15. Jahrhundert wenig hold. Es liegt nun weiter 
auf der Hand, daß mit solchen Porträtskizzen auch einige Einzelheiten mehr oder 
minder festgelegt oder nach Maßgabe anderer Vorbilder verabredet wurden. Denn 
wer тоо fl. oder mehr für sein Denkmal hergab und es gar zu Lebzeiten noch 
bewundern wollte, der wird dem Meister seine Wünsche klar vorgeschrieben 
haben. Andererseits wird ein solcher Gießer klug genug gewesen sein, nicht 
eine große Summe Arbeit und Geldes in ein Werk zu stecken, dessen Abnahme 
irgendwie zweifelhaft erscheinen konnte. Er war auch weit davon entfernt, in 
solchen Vorschriften etwas Drückendes zu sehen, denn das übertriebene Selbst- 
gefühl des heutigen Künstlers war dem Mittelalter bis ins 18. und rg. Jahrhundert 
völlig fremd. Daher kommt es denn auch, daß uns bei Vischer nirgends Abnahme- 
schwierigkeiten bekannt geworden sind. Eine Ausnahme bildet nur die Geschichte 
des Fuggergitters, das aber nicht auf Rechnung des Vaters zu setzen ist und bei 
dem es auch unklar bleibt, ob die Schuld auf seiten der Besteller oder der Aus- 
führenden liegt. Die Fugger hatten bestimmte Anweisungen gegeben und be- 
riefen sich später darauf, daß das Werk nicht dementsprechend gearbeitet sei. 
Das ist gewiß kennzeichnend im Sinne der obigen Worte. 

Mit den folgenden Ausführungen soll nun nicht der Versuch gemacht werden, 
den Vischern die erfindende Kraft abzusprechen. Schon durch Neudörffer wissen 
wir ja, daß der ältere Peter sich bis in seine alten Tage mit Lindenast und Krafft 
im Entwerfen geübt habe, und aus seiner Jugend ist uns ja auch der Entwurf 
zum Sebaldusgrab von 1488 erhalten geblieben; von seinem gleichnamigen Sohne 
besitzen wir sogar eine beträchtliche Anzahl meist unveröffentlichter Zeichnungen 
in Paris, Berlin und Weimar. Aber es wird doch immerhin zur Vorsicht mahnen, 
wenn ich im folgenden 36 Beispiele zusammenstelle, die zeigen, daß man sich in 
der Vischerschen Hütte mehr oder minder an fremde Vorbilder angeschlossen 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 9/10 17 245 


hat. Das ist eine Tatsache, um die wir nicht herum kënnen und die man im 
Auge behalten muB, wenn man von der künstlerischen Selbstšndigkeit der Vischer 
spricht. Andererseits soll ganz gewiß nicht verkannt werden, daß bei der Über- 
Setzung dieser Anregungen in die Sprache des Erzes eine neue, hóchst persón- 
liche und gleichmäßige Kunst entstanden ist, so daß es nur einer eindringenden 
Bescháftigung gelingt, diese fremden Bestandteile zu erkennen. Uberhaupt ist es 
nicht meine Absicht, kleinliche Nachrechnungen aufzustellen, denn dafür ist die 
Vischersche Kunst viel zu bedeutend: sie erhebt sich himmelhoch fast über alles, 
was gleichzeitige GieBer des 15. und 16. Jahrhunderts, denen doch áhnliche An- 
regungen zu Gebote standen, geschaffen haben. Für unsere Erkenntnis aber, 
die nur mit sehr kleinen Schritten vorwárts geht, dürfen solche Zusammenhünge 
nicht auBer acht gelassen werden. Übrigens würde man sich in der Vischerschen 
Hütte jederzeit über die Benutzung einer Vorlage, besonders einer italienischen, 
mit vólliger Offenheit ausgesprochen haben. Denn die alten Meister, vor allen 
Dingen die mehr handwerksmäßig arbeitenden, denken auch in diesem Punkte 
grundverschieden von ihren heutigen Berufsgenossen und von ihrem heutigen 
Publikum. 

In einem früheren Aufsatze habe ich bereits auf einige áhnliche Beziehungen 
zu Dürer und anderen hingewiesen. Karl Simon hat auf weitere Zusammenhänge 
aufmerksam gemacht. Es liegt nun im Interesse der Übersichtlichkeit, diese frü- 
heren Beispiele hier noch einmal kurz mit aufzuführen, zumal ich zu den 
Simonschen Beobachtungen einiges hinzuzufügen habe. 


I. Katzheimer. 


I. Der Bamberger Maler Wolfgang Katzheimer erhielt für die Visierung der 
Bamberger Grabplatte Georgs II. 1504 drei Pfund. Worin seine Zeichnung be- 
stand, ist nicht zu sagen, vielleicht nur in der Festlegung der Gesichtszüge des 
Bischofs. Jedenfalls steht diese Platte innerhalb einer Gruppe von sieben so nah 
verwandten Güssen, daß man sie entweder alle von Katzheimer abhängig machen 
müßte, was jedoch nicht angängig ist, oder Katzheimers Visierung nur eine unter- 
geordnete Bedeutung zumessen darf!). (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, 366.) 


II. Die Grabmäler im Berliner und Schweriner Dom. 


2. Auch hier ist von Visierungen die Rede. Im Berliner Falle ist leider nicht 
zu ersehen, ob es sich um Zeichnungen Vischers oder eines anderen handelt. 
(Vgl. Bergau in Kunst und Künstler 1878, S. 74.) 

3. Dagegen ist es bei der Schweriner Platte für die Herzogin Helene (eine 
Tochter des Kurfürsten Philipp von der Pfalz, vgl hier S. 247) ganz klar, daß 
die Visierung aus Schwerin übersandt worden ist. Durch glückliche Umstánde 
haben sich alte Nachrichten erhalten, aus denen sogar hervorgeht, daß Vischer 
noch eine zweite Visierung erhielt, da an der ersten „etwas geirrt“ worden war. 


(1) Die Urkunden über Katzheimer, nach denen wohl schon mancher vergeblich gesucht 
hat, stehen in Joseph Heller, Beschreibung der bischóflichen Grabdenkmäler in der Dom- 
kirche zu Bamberg, S. 32, Nürnberg 1827. — Über den sonst unbekannten. Katzheimer 
handelt derselbe Heller im 2. Heft des I. Bandes des Archivs für Geschichte und Alter- 
tumskunde des Obermainkreises, Bayreuth 1832, S. 94—99. — Verschiedene Grabplatten 
dieser Gruppe finden sich in Dauns Künstler-Monographie abgebildet. Jedoch ist es irre- 
führend, wenn er die Platte Georgs I., die die größte ist (2,94 X 1,47) und die UNE 
im Relief, als die kleinste wiedergibt. 


246 


—— fas AE illi d _ 


— Bergau, der dies in seinem Beitrag zum Dohmeschen Sammelwerk Kunst und 
Künstler II (1878), S.43 berichtet, vergreift sich übrigens in seinem Urteil über 
den künstlerischen Wert der Platte derartig, daß man glauben muß, er habe sie 
nicht gesehen. Denn weit davon entfernt, eine unbedeutende, im Preise gedrückte 
Leistung darzustellen, ist sie im Gegenteil ein Muster des reinen Erzstils, metall- 
starrend und doch so weich in der Modellierung, daß man das bildsame Wachs, 
welches einst der glühende Erzstrom zerschmolz, bis auf den heutigen Tag zu 
spüren glaubt. Die schöne, große Abbildung des Mecklenburger Inventars läßt 
dies an den sehnigen und geschmeidigen Wappentieren klar erkennen. 


III. Simon Lamberger oder Lainberger!). 


4. Im Jahre 1494 war Peter Vischer mit dem Bildschnitzer Simon Lamberger 
beim Kurfürsten Philipp von der Pfalz in Heidelberg, um ihm mit Rat und Hand- 
werk zu dienen. Leider ist es vóllig dunkel, welches Werk dort geplant wurde. 
Zustande gekommen ist offenbar nichts, jedenfalls ist nichts bekannt geworden. 
Interessant ist an dieser urkundlichen Nachricht nur das eine, daB man es für 
nótig hielt, neben dem GieBer einen Bildschnitzer zu berufen, welcher offenbar 
das Holzmodell für den Guß, wie uns solche aus späterer Zeit für die Nürn- 
berger Madonna, die Wenzel-Statue, das Günsemünnchen usw. erhalten sind, 
anfertigen sollte. Interessant ist die Nachricht schlieBlich auch insofern, als wir 
sehen, daß eine merkwürdig große Fülle von Männern, die zu den führenden 
ihrer Zeit gehórten, an Vischer mit Auftrágen herantraten: Philipp ist uns bekannt 
als einer der Fórderer des Humanismus, der an seinem Hofe Joh. von Dallberg, 
Agricola und zeitweise auch Celtes versammelte. Die Tochter Philipps, die das 
Schicksal nach Mecklenburg verschlug, griff spüter auf die Nürnberger Hütte 
zurück. (Vgl. hier S. 246.) 


IV. Meister E. S. 

5. Die bekannte Grabplatte des Bischofs Johann IV. im Breslauer 
Dom weist in ihren seitlichen Figuren *) die engsten Beziehungen zum Meister E. S. 
auf. Alexander Mayer hat im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 1913, S. 272 
diese Zusammenhánge besprochen und die beiden Hauptbelege in Abbildungen 
vorgeführt. 

Wenn Mayer jedoch weiterhin von einem EinfluB des Meisters E. S. auf die 
Platte des Felix Paniewski in der Franziskanerkirche zu Posen spricht, 
so liegt hier eine Verwirrung vor. Denn erstens befindet sich diese Platte in der 
Dominikanerkirche und zweitens weist sie überhaupt keinen Johannes den Tüufer 
auf. Gemeint ist hier vielleicht eine von den Gorka-Platten im Posener Dom. 
Zur Feststellung der kleinen Nischenfiguren reichen jedoch. die üblichen Photo- 
graphien nicht aus. 


| V. Adam Krafft. 
6. In der älteren Vischer-Literatur ist häufig von Adam Krafft die Rede. Bergau 
sagt 2. В., daß die Figur Ottos IV. in Hechingen wohl von ihm entworfen sei, 
ebenso sei er an der groBen Tumba Hermanns VIII. und der Elisabeth eben- 


(1) Über diesen Pfälzer und die betreffende Vischerurkunde vgl. besonders Loßnitzer, Veit 


Stoß S. 35f. 
(2) Ganz vortrefflich biographisch ausgedeutet von Jungnitz in Schlesiens Vorzeit in Bild 


und Schrift. N.F.IV, 83. (Jb. d. Schles. Museums.) 
247 


daselbst beteiligt; ferner stamme der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab von 
ihm. Es ist nicht ganz leicht zu sagen, worauf ein solcher Glaube beruht: vielleicht 
auf der Notiz Neudórífers, daB Krafft und Vischer viel in ihrem Leben miteinander 
gezeichnet hätten, vielleicht auch darauf, daß Krafft wohl der ältere war. Aber wie ge- 
sagt, greifbare Beziehungen bestehen nicht; es ist auch von vornherein wenig wahr- 
scheinlich, daß der Steinmetz den ErzgieDerkünstlerisch viel habe lehren können. Der 
einzige Zusammenhang, den schon Bergau andeutet, besteht meines Erachtens 
zwischen einer Trágerfigur unter dem Krafftschen Sakramentshaus in der Nürn- 
berger St. Lorenzkirche und einer entsprechenden Figur im Münchner National- 
museum. Hier ist es allerdings auffállig, wie beide Figuren alle wesentlichen 
Funktionen miteinander teilen: sie stützen sich gleichmäßig auf das linke Knie, 
sie nehmen dieselbe Armstellung ein und halten in gleicher Weise einen natu- 
ralistischen Stock in den Hánden, mit welchem sie sich unter ihrer schweren 
Last stützen. Bei Vischer ist dieser Stock im GuB nicht ganz gelungen, wenigstens 
fehlt das allerletzte Stückchen, mit welchem er den Boden berühren soll. In- 
folgedessen gibt der Katalog des Bayerischen National-Museums an, daB die 
Figur den Stock zerbrechen wolle, was bei dieser Haltung an sich schon unwahr- 
scheinlich und vor allen Dingen im Hinblick auf die Krafftsche Gestalt sicherlich 
falsch ist i). | 

In dem Falle dieser Tragerfigur ist nun aber Krafft nicht das Vorbild, sondern 
das Nachbild, denn die Vischersche Gestalt ist durch die aufgesetzte Jahres- 
zahl 1490 datiert, während das Krafftsche Sakramentshaus die Inschrift 1496 trägt. 
Bergau kehrt das Verhältnis um, da er offenbar die Jahreszahlen übersehen hat. 


VI. Riemenschneider und StoB. 


7. Neben Krafft werden háufig Riemenschneider und StoB als Vorbilder Vischers 
genannt. Bode z.B. sagt in seiner Plastik S. 143, daß die Tafel des Bischofs 
Lorenz von Bibra (f 1519) in Würzburg in der Gewandbehandlung und in der 
Zeichnung so viel Verwandtschaft mit den Arbeiten Riemenschneiders habe, daB 
wir den Entwurf diesem Künstler zuschreiben dürften. Von den Wiirzburger 
Vischerplatten gibt es leider keine Aufnahmen (nur Peter von AufseD ist von 
Stoedtner photographiert), so daf ich zurzeit nicht in der Lage bin, den Zu- 
sammenhang mit Riemenschneider náher ins Auge zu fassen; so viel aber geht 


(1) In dem genannten Kataloge (Ausgabe 1908) finden sich noch weitere Ungenauigkeiten. 
S. 111 heißt es, daß das Gegenstück zu dem schreitenden Jüngling des Museums der 
Bogenschütze in Germanischen Museum von 1532 sei; statt Germanisches Museum muß 
es heiBen: kleiner Rathaushof. Ferner ist es sehr zweifelhaft, ob die Jahreszahl 1532 auf 
dem Sockel sich überhaupt auf die Figur bezieht. Jedenfalls gehóren der Sockel und die 
Figur nicht unbedingt zusammen. Übrigens wird die Figur von Neudörffer ausdrücklich 
als eigene Arbeit des Vaters in Anspruch genommen, der aber damals, ebenso wie sein 
gleichnamiger Sohn, bereits mehrere Jahre verstorben war. — Von dem Epitaph der 
M. Tucher heißt es weiter, daß es eine Arbeit Peter Vischers d. Älteren sei. Künstler- 
zeichen wie Stil weisen jedoch auf den gleichnamigen Sohn, was auch von Bergau und 
Seeger auf Grund umfassender Kenntnis angenommen wird; selbst Daun schreibt nur 
„Vischer“ und vermeidet es, Stellung zur Autorfrage zu nehmen. — Das feste Geburts- 
datum Peter Vischers, das im Münchner Katalog mit 1455 angegeben ist, ist nicht über- 
liefert und trifft nur schätzungsweise zu. — — Die Figuren Vischers und Kraffts nebenein- 
ander abgebildet bei Dorothea Stern, Adam Krafft, Tafel XIII. Die Angaben der Verfasserin 
S.64f. über Zusammenhänge beider Künstler beruhen auf Irrtum, veranlaBt durch Heide- 
loffs Ornamentik. 


248 


aus Bodes Worten schon hervor, daB er nicht eine bestimmte Vorlage Riemen- 
schneiders meint, sondern nur dessen allgemeinen Stilcharakter. 

8. Veit StoB wird regelmáBig zitiert, wenn von der Grabtafel des Kallimachus in 
Krakau die Rede ist. Auch hierüber kann ich hinweggehn, da meines Erachtens 
die Autorschaft Vischers im hóchsten MaBe zweifelhaft ist. (VgL hier S. 250.) 


VII. Dürer. 


9. Die Grabtafel des Kmita im Krakauer Dom hángt aufs engste zusammen 
mit dem Baumgártnerschen Altar in München. (Vgl. SE M. f. K. VIII, S. 367, 
dazu Tafel 81.) 

10. Die Hechinger und Römhilder Denkmäler sind von einer Dürerschen 
Handzeichnung abhängig, die sich in mehreren Exemplaren (eins derselben ist 
auf 1513 datiert) erhalten hat. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 3671).) 

11. Das Regensburger Epitaph der Margarethe Tucher (f 1521) über- 
nimmt die Figur des Heilands aus dem Abschied Christi von seiner Mutter im 
Marienleben. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 368 und Tat. 82.) 

12. Die Plaketten von Orpheus und Eurydice sind abhüngig vom Dürer- 
schen Kupferstich von Adam und Eva 1504. (Vgl. Stierling, M.f. K. VIII, S. 368 und 
Taf. 83; vgl. ferner S. 252 des laufenden Heftes, woselbst zwei Pariser Handzeich- 
nungen Peter Vischers d. J. als die Vorstufen zu diesen Plaketten besprochen 
werden.) 

13. Diese Zusammenhänge zwischen Vischer und Dürer hat Karl Simon zu ver- 
mehren gesucht. Einleitend vergleicht er zwei Vischersche Werke miteinander, 
nümlich die Pariser Eva (Daun Abb.48) mit der wundervoll weich modellierten 
Grabtafel des Peter Salomon in Krakau, die ihresgleichen nicht hat. 
(Daun Abb. 14.) Ich vermag ihm hier nicht zu folgen, denn nennenswerte Zu- 
sammenhänge ergeben sich meines Erachtens nicht. Dagegen nehme ich im 
Gegensatz zu Justi und Daun, welche die Salomonplatte spátestens 1506 datieren, 
Simons spätere Ansetzung an. Er wiederholt hier seinen früheren Nachweis, daß 
Peter Salomon wenigstens noch 1513 am Leben ‘war und also einer Späterdatierung 


(1) Von dem älteren dieser beiden Denkmäler, dem Hechinger, ist bereits 1511 die Rede, 
wie aus einer Notiz in Hampes Ratsverlássen Nr. go2 zu ersehen ist. Dort heißt es unter 
dem 30. XII. 1511: ,N. Grussten, g. e. von Zolern anwalt, dy antwort Peter VischerB, 
rotschmids, in beysein Wilhelmen Hallers sagen und ine damit gütlich abweysen.* DerSinn 
dieser Worte entzieht sich vorläufig einer Deutung. Nur soviel scheint klar, daß Graf Eitel 
von Hohenzollern, der 1512 seiner lange verstorbenen Gemahlin folgte, das Grabmal noch 
zu Lebzeiten bestellt hat. Wann dann die Ausführung erfolgt ist, wissen wir nicht. 
Nach meiner Ansicht ist sie erst durch die Dürersche Zeichnung in Fluß gekommen, 
deren eine auf 1513 datiert ist. Das Vorhandensein dreier fast gleicher Dürerzeichnungen 
wird sich vielleicht dadurch am ungezwungensten erklären, daß seine Entwürfe dem 
GieBer und den Erben des Bestellers in die Hand gegeben wurden. Nun hat aber Bode 
darauf hingewiesen, daß in die Hechinger Platte nur die Zahl MCCCCC eingegossen sei 
und hat aus dem Fehlen der X geschlossen, daß der Сиб bereits vor 1510 erfolgt sein 
müsse. Das ist zwar logisch, aber dennoch anzufechten, weil, wie ich a. a. O. gezeigt 
habe, die Zahl MCCCCC erst 1784 bei Gelegenheit einer grofen Restauration neu auf- 
gesetzt worden ist. Ferner kommt hinzu, daB sich in Lübeck auf der Grabtafel des 
Wiggerinck ein Parallelfall wiederholt. In diese finden sich die Daten 1497, 1510, ISII 
und 1518 eingegossen. Trotzdem ist die Inschrift im Wappen der überlebenden Ehefrau 
nur mit MD gegeben, obwohl es auch hier durchaus das Rationelle gewesen wáre, MDX 
zu gieDen. 


249 


nichts im Wege steht. Simon hat vollkommen recht, daB der Stilcharakter tief in 
das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts verweist, im besonderen scheinen die 
Zwickelfiguren von derselben energischen Hand modelliert zu sein, die die pracht- 
volle Kampfszene auf der Tafel des Gotthard Wiggerinck in der Lübecker Marien- 
kirche (Daun Abb.42) geschaffen hat. Wiggerinck ist aber erst 1518 gestorben, wie 
auch die ganze Tafel den Stil dieser Zeit trágt. Auch die Parisér Plakette, an die 
Simon sich erinnert fühlte, gehórt ja erst dieser spáten Zeit an. 

I4. Die Figur des hl. Mauritius am Grabmal des Erzbischofs Ernst 
im Magdeburger Dom (Daun Abb.7) scheint von dem Kupferstich des Dürer- 
schen Fahnenschwingers (Wólfflin Abb. S. 103) beeinfluBt zu sein. Der vorsich- 
tigen Formulierung, in der Simon den Zusammenhang bespricht, kann man ruhig 
zustimmen. (Vgl. Simon, M. f. K. IX, 182) 

15. Die Vorderseite des Grabmals Friedrich Kasimirs in Krakau (Daun, 
Abb. 12), die eine Inschrift aus dem Jahre 1510 trágt, zeigt verschiedene Zusammen- 
hänge mit Dürer. Simon sagt, daß die Figur des vor Maria knienden Kardinals 
in Stellung und Haltung, sowie besonders in dem machtvoll ausgebreiteten Mantel 
die Kenntnis des knienden Maximilian auf dem Dürerschen Rosenkranzbilde vor- 
auszusetzen scheine (Wölfflin, Abb. S. 129). Das dürfte richtig sein, nur ist es 
vielleicht besser, den auf der anderen Seite knienden Papst zum Vergleich heran- 
zuziehen. Ja, man darf vielleicht noch einen wesentlichen Schritt über Simon 
hinausgehen, denn die Situation der sitzenden Maria mit den rückwärtigen Engeln 
und dem schmalen Vorhang begegnet doch recht ühnlich auf demselben Dürer- 
schen Bilde wieder. Auch der feine schmale Gesichtsschnitt ist beiden Madonnen 
eigen. Das Dürersche Bild war etwa 1506 in Italien entstanden und auch dort 
verblieben. Es ist nicht unmöglich, daß Peter Vischer d. J., der wahrscheinlich 
1507 in Italien war, es dort gesehen habe; nótig ist diese Annahme jedoch nicht, 
da Zeichnungen und Kopien des Dürerschen Bildes erhalten geblieben sind. 

Simon glaubt noch einen weiteren Zusammenhang mit einem Dürerschen Blatte 
nachweisen zu können, indem er darauf hindeutet, daß die Art, wie der hl. Sta- 
nislaus den auferweckten Pietrowin heranführt, in áhnlicher Weise auf einer 
Dürerschen Zeichnung der Anbetung der Kónige in der Albertina wiederkehrt. 
Diese Zeichnung ist aber von 1524; wenn der Simonsche Hinweis richtig ware, 
so hátten wir hier das erste Beispiel einer Beeinflussung Dürers durch Vischer. 

Wer der geistige Urheber der Erzplatte sei, ist schwer zu sagen. Ich habe 
bereits oben den jüngeren Peter genannt, der in Italien Gelegenheit gehabt haben 
konnte, das Dürersche Original zu sehen. Ich muß auch sagen, daß die leichte, 
gefällige Art der Komposition, die scheinbar etwas Müheloses an sich trägt, sich 
deutlich abhebt von der viel massiveren Art des Vaters, wie wir sie am Ernst- 
grab und anderen beglaubigten Werken seiner Hand kennen lernen. Die Krakauer 
Tafel erinnert an die groBen Reliefs aus der Sebalduslegende, die auch diese 
selbstverstándliche, ungekünstelte Art des Komponierens zeigen und die ziem- 
lich allgemein als Werke des Sohnes angesehen werden. In ihnen kehrt auch 
die venezianisierende Art der wie feucht anliegenden Gewünder wieder. Der 
Vergleich ließe sich noch weiter führen. — Peter Vischer d. J. zählte 1510 
23 bis 24 Jahre. (Vgl. auch Simon, M. f. K. IX, S. 182) 

16. Ein sehr apokryphes Werk ist die Tafel des Callimachus in Krakau 
(Daun Abb. 16), die in ihrer unruhigen Art bei Vischer nicht entfernt ihresgleichen 
hat. Ich führe sie nur an, da sie nach Simons Beobachtung in den beiden 
Vögeln auf dem Lorbeergehünge einen gewissen Zusammenhang mit den Kra- 


250 


nichen auf dem Dürerschen Holzschnitt der Ehrenpforte von 1515 hat i). Ist 
diese Beobachtung richtig, dann bietet sie eine neue Móglichkeit der Datierung. 
Daun sagt ,nach 1506“; wir müssen dann aber noch zehn Jahre zulegen. (Vgl. 
Simon, S. 182. Loßnitzer, Veit Stoß S. 89 möchte noch über 1506 zurückgehen, 
was gewiß falsch ist.) 

17. Ein die Rohrflóte spielender Faun, der sich am Sockel des Sebaldus- 
grabes findet (Mayer, Genreplastik, Taf. 9), begegnet in recht ahnlicher Weise 
auf einer Dürerschen Randzeichnung zum Gebetbuch Maximilians wieder (Abb. 
Mayer, Genreplastik, S. 16). Hier kann Vischer nicht von Dürer abhüngig sein, 
da der betreffende Teil des Sebaldusgrabes 1508 oder 1509 entstand und die 
Dürersche Zeichnung etwa 1515. Sollte hier Dürer der Empfangende sein? Oder 
gibt es eine gemeinsame Vorlage für beide? (Vgl. auch Simon, M. f. K. IX, S.183.) 

18. Ahnlich liegt der Fall noch einmal an diesem Sockelteil des Sebaldusgrabes. 
Ein gebándigter Flügelstier zeigt eine nicht zu leugnende Verwandtschaft mit 
einer Holzschnittinitiale Hans Holbeins d. J. (Abb. Mayer, Genreplastik, S. g.) Ent- 
weder liegt hier wieder eine gemeinsame Quelle zugrunde oder Holbein muß der 
Angeregte sein, da seine Initiale — nach einer freundlichen Mitteilung von 
Dr. Riggenbach in Basel — erst in die Jahre 1521—1522 fällt. 

19. In der Künstlermonographie über Peter Vischer bespricht Daun auch die 
Gedáchtnistafel Henning Godens in Wittenberg und Erfurt (Abb. 1). Er hebt 
mit Recht hervor, daß es sich nur um eins der mittelguten Werke handle. Um 
so weniger wird man daher erstaunt sein, daf sich auch in diesem Werke ziem- 
lich enge Beziehungen zu Dürer ergeben, 

Das Thema der Krónung Мага war in Nürnberg in den letzten Jahren von 
den führenden Künstlern der Zeit mehrfach behandelt worden. Es liegt in der 
Natur dieses uralten Gedankens, dal sich keine großen Differenzen ergeben. Kraffts 
Rebecksche Gedächtnistafel in der Nürnberger Frauenkirche (Daun, S. 126) oder 
Stoß’ Krönung der Maria im Germanischen Museum, beide aus der Zeit um 1500, 
haben die Gruppe áhnlich angeordnet wie Vischer, und doch darf man hóchstens 
von einem mittelbaren Zusammenhange reden. Unmittelbar dagegen scheint mir 
der Zusammenhang mit Dürers Krónung aus dem Marienleben von 1510 (Abb. 2). 
Sieht man die beiden Bilder nebeneinander, so ist die Übereinstimmung auch 
ohne viele Worte klar. Beide Male ist der himmlische Vorgang von einem 
Wolkensaum umgeben; Maria nimmt die gleich bewegte Haltung ein mit dem 
lieblichen, nach rechts geneigten Haupte; Christus ist entsprechend gebildet und 
gekleidet und über Maria erscheinen Krone und Heiliger Geist in ganz ver- 
wandter Ausbildung. Bei sochen Vergleichen sind die Ahnlichkeiten in den 
Nebensachen oft am meisten überzeugend, und so verweise ich hier auf die 
eigenartige Bildung der Heiligenscheine über den góttlichen Personen. Sie haben 
hier eine Ausbildung gefunden, die nicht die gewóhnliche ist und die Vischer 
doch wohl von Dürer übernommen hat. | 

Noch ein Wort über Gottvater. Der Zusammenhang mit dem Diirerschen 
Blatte ist hier merkwürdigerweise nicht recht überzeugend, denn die auffallenden, 
zusammengeschobenen Falten am rechten Arm, mit denen sich Vischer ohne 
Frage den Guß etwas erschwerte, sind bei Dürer nicht vorhanden. Man hat diesem . 
Motiv gegenüber gleich das Gefühl, daß hier ein Stück Spätgotik in die Re- 
naissancedarstellung übernommen sei, und wird daher geneigt sein, die Anregung 


(1) Abb. Wölfflin S. 234, auch Klassiker der Kunst IV, 284. 
251 


hierzu — falls sie von Dürer gekommen sein sollte — in einem spátgotischen 
Blatte zu suchen, und zwar darf man hier wohl das apokalyptische Blatt der 
Vision der sieben Leuchter (Wölfflin, Abb. S. 46) in Betracht ziehen. Hier sind, 
allerdings grandios, wie es einem apokalyptischen Blatte des jungen Dürer geziemt, 
jene Falten vorgezeichnet, und voh diesem Gottvater ist dann auch die Bildung 
des Gewandes, wie es sich vom rechten Knie zum linken Fuß herunterzieht, 
übernommen (Abb. 3). 

Ich glaube kaum, daß man mit solchem kleinlichen Nachrechnen der Kunst 
Peter Vischers zu nahe tritt, denn einmal wissen wir durchaus nicht, wie weit 
etwa der Wunsch Henning Godens für den Gießer maßgebend war; anderer- 
seits hat sich unser heutiges Urteil über Entlehnungen sehr gewandelt. Für die 
alte Zeit sind Holzschnitt und Kupferstich die Ornamentstiche, die zu jedermanns 
Benutzung offen liegen. AuBerdem soll man sich auch immer daran erinnern, 
daB die Vischer nur selten frei schaffende Künstler sein durften. Und endlich: 
Ahnen wir den überhaupt, wie der Auftrag Henning Godens 
lautete? Ä 


20. Von den kostbaren, im Louvre bewahrten Handzeichnungen Peter 
Vischers d. J. sagt Weizsäcker (s. u.), daß sich unter ihnen Proportionsstudien 
befänden, für deren Körperhaltung einzelne Motive dem Dürerschen Lehrbuch 
von 1528 und dem Bacchanal des Mantegna (s. u.) entlehnt seien. Durch die 
Liebenswürdigkeit des Verfassers habe ich die Blätter, soweit er davon Pausen 
gemacht hatte, kennen gelernt. Aus einer von ihm auf der Rückseite eines Blattes 
vermerkten Notiz ist zu entnehmen, daß er hiermit einen nackten jungen Mann 
meinte, der sich in der Tat in verwandter Weise auf einem der letzten Blätter 
des Dürerschen Proportionsbuches befindet. Mir scheint aber, daß Weizsäcker 
hier eine äußere Schwierigkeit übersehen hat, denn Peter Vischer d. J., um den 
es sich hier handelt, ist im Jahre 1528 gestorben und hat infolgedessen sein an- 
gebliches Vorbild gar nicht kennen gelernt. Trotzdem besteht ohne Frage ein 
Zusammenhang mit Dürer, er liegt nur wesentlich früher, denn dieser nackte 
junge Mann Vischers ist eine unverkennbare Nachzeichnung (im Gegensinn) des 
Adam aus dem Dürerschen Kupferstich Adam und Eva von 1504, die ja ihrerseits 
auch konstruierte Figuren sind (Abb. 4 und 5). Die Beinstellung, die Haltung 
des ausgestreckten linken Armes usw. wiederholen sich wörtlich; auch der rechte 
Arm des Adam, der den Ast umklammert, ist von Vischer genau so gezeichnet wie 
im Kupferstich, während auf der von Weizsäcker herangezogenen Proportions- 
studie von 1528 dieser Arm eine recht verschiedene Funktion ausübt. 

Das Gegenstück zu dem nackten Jüngling des Louvre bietet eine ebendaselbst 
befindiche nackte Frau, welche Weizsäcker in dem unten genannten Aufsatz 
S. 51, in fast halber Größe des Originals abgebildet hat (Abb. 6). Sie ist der Eva 
desselben Dürerschen Kupferstichs in ganz entsprechender Weise nachgebildet, 
nur daß sie hinter sich ein Tuch ausspannt: der rückwärts gebogene Arm, der 
bei Dürer den Apfel faßt, hält bei Vischer mit genau der gleichen Biegung des 
Handgelenks das Gewandstück; der Vergleich braucht nicht weiter ausgeführt 
zu werden. | 

Die beiden Handzeichnungen des Louvre, von denen die weibliche Figur mit 
dem Signum Peter Vischers d. J. und der Jahreszahl ı519 versehen ist, und 
von denen die männliche Figur ein A (was aber gewiß nicht als Adam zu 
lesen ist) in Fußhöhe zeigt, gehören also sichtlich zusammen! Sie haben ziemlich 
die gleiche Höhe (der Mann: 22!/, cm, die Frau: 25!/, cm), entsprechen dem- 


252 


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nach auch hierin so ziemlich den MaBen des Diirerschen Kupferstichs. Die Frau 
ist weiterhin die unmittelbare Vorlage und Zwischenstufe für die Eurydice auf 
der bekannten Pariser Plakette, wie schon Weizsácker richtig betont hat und ich 
in dem unten genannten Aufsatze weiter ausgeführt habe. Ihre Datierung auf 1519 
bietet uns den terminus post quem für die Plakette. Der mánnliche Akt des Louvre 
dagegen muß mehr als eine Nachzeichnung des Dürerschen Adam als als eine 
Vorstufe für den Orpheus gelten, da sich Vischer in der Ausführung eine gróDere 
Freiheit — dem Orpheusmotiv entsprechend — nehmen muBte. (Vgl. hierzu Weiz- 
sácker, Zwei Entwürfe zum Nürnberger Sebaldusgrab, Jahrbuch der Kgl. Pr. 
Kunstsammlungen 1891, S. soff., und Stierling, M. f. K. VIII, S. 370, „Dürer in der 
Vischerschen Werkstatt,“ woselbst der gleiche Dürersche Stich von Adam und 
Eva [1504] als die unmittelbare Vorlage für die Pariser und Berliner Plaketten 
von Orpheus und Eurydice behandelt wird. Mit Abbildungen der drei Werke.) 

21. Grabmal Kardinal Albrechts von Aschaffenburg. Der unmittel- 
bare Vorgánger des Kardinals war der Erzbischof Ernst (ein Sohn des Kur- 
fürsten Ernst von Sachsen), welcher im jugendlichen Alter von 3o Jahren bei 
dem älteren Vischer die herrliche Tumba des Magdeburger Domes bestellte, die 
für alle Zeiten ein Musterbeispiel des geschlossenen, metallschweren Erzstiles 
bleiben wird. Dieses oft geschaute Vorbild hat offenbar Kardinal Albrecht ver- 
anlaßt, auch seinerseits in jugendlichem Alter bei Peter Vischer — diesmal aller- 
dings bei dem gleichnamigen Sohne — ein Grabmal zu bestellen, das, dem Geiste 
der neuen Zeit folgend, etwas ebenso Imposantes werden sollte wie das Magde- 
burger Grab. Zur Ausführung ist leider nur ein Bruchteil gekommen, und dieser 
Torso, bestehend aus der Grabplatte, dem Epitaph für Margaretha Riedinger, und 
dem Baldachin, steht heute im Aschaffenburger Dom. 

Von der Grabplatte des Kardinals sagt Daun in seiner Vischermonographie, 
S. 50, „das Antlitz des Fürsten sei zwar lebensvoll modelliert, doch entspreche es 
nicht der Vorstellung, die wir nach Dürers Zeichnung von dem letzten Kardinal 
des Hauses Hohenzollern bekommen haben“. Das ist so gut wie unrichtig, denn 
sowohl das Antlitz. wie verschiedene Einzelheiten der BEE Platte sind 
unmittelbar nach Düàrer gearbeitet. 

Dürer hat den Kardinal zweimal gestochen; der sogenannte kleine Kardinal 
stammt aus dem Jahre 1519, der groBe aus dem Jahre 1523. Für uns kommt nur 
das erstgenannte Bildnis in Frage. Hier ergeben sich nun eine ganze Zahl von 
Berührungen zwischen dem Dürerschen Bilde von 1519 und dem Erzguß Peter 
Vischers d. J. von 1525, begonnen 1522. Beide Werke (Abb. 7 und 8) tragen 
zu oberst das Wappen des Kardinals. Man kann leicht beobachten, wie Vischer das 
Fransenwerk in ganz áhnlicher Weise übernimmt, nicht nur etwa die vier untersten 
Quasten, sondern auch die beiden liegenden Achten des oberen Schnürwerks, den 
Kreis unter dem Kardinalshute usw.!). Aus technischen Gründen hat er es jedoch 


(т) Dieselbe Dürersche Vorlage ist noch zweimal für denselben Kardinal verwandt worden. 
Einmal im Livius des Ulrich von Hutten, der damals dem Kardinal noch sehr nahe stand, 
Mainz 1518 (Butsch, Bücher-Ornamentik 1878, Taf.80); vorausgesetzt, daß Butschs Angabe 
richtig ist, liegt hier eine gewisse Schwierigkeit vor, da der Kupferstich 1519 datiert ist; 
sie lóst sich wohl dadurch, dañ Dürer den Kardinal bereits 1518 auf dem Augsburger 
Reichstage portrátiert hatte, vgl. den Dürerband in den Klassikern der Kunst, S. 376. Die 
zweite Benutzung geschah durch Ludwig Krug (?), der 1526 eine silberne Medaille für 
den Kardinal fertigte (Abb. in Sauerlandts Bericht über die Neuerwerbungen des Halle- 
schen Museums im Jabre 1908, S. 17). 


353 


unterlassen müssen, den neunfach geteilten Schild an dieser Stelle nachzubilden ; 
aber es geht ohne Zweifel auf dieses Vorbild zurück, wenn die Vischersche Platte 
ringsherum von neun Wappen umgeben ist. Diese Wappen sind allerdings teil- 
weise abgeändert, doch kann man sich leicht überzeugen, daß vieles übernommen 
ist; im besonderen ist z. B. das Dürersche Mittelfeld ziemlich genau auf drei Eck- 
wappen verteilt. Wenn im übrigen in diesen heraldischen Dingen kleine Ab- 
weichungen vorkommen, so gehen sie natürlich nicht auf den Künstler, sondern 
auf den Besteller. zurück. 

Ebenso verhült es sich mit der Inschrift. Der Dürersche Text ist mit geringen 
Abweichungen übernommen, jedoch stark vermehrt worden. Der Kardinal wird, 
als er drei Jahre nach dem Kupferstich die Vischersche Grabplatte bestellte, den 
Wunsch gehabt haben, seine Titel und Würden in erweiterter und endgültiger 
Form hier festgehalten zu sehen. Von dieser Schrifttafel sagt nun Dehio im 
Inventar, sie sei eine spátere entstellende Zutat des 18. Jahrhunderts. So unwahr- 
scheinlich das an sich schon ist, so wird es deutlich dadurch widerlegt, daß 
in der letzten und vorletzten Schriftreihe verschiedene Jahreszahlen erst nach- 
tráglich eingraviert worden sind; für das Todesdatum 1541 mußte beispielsweise 
eine blockierte Stelle ausgegraben werden, was man sogar bei einer scharfen Be- 
trachtung der Daunschen Abbildung noch feststellen kann. 

Zum Vergleich mit dem auf der Abbildung leicht lesbaren Dürerschen Texte 
ist es nótig, den Vischerschen hier anzuführen: Albertus misericordia di- 
vina sacrosanctae Romanae ecclesiae tituli sancti Petri ad vincula 
presbyter cardinalis legatus natus, sacrarum sedium Moguntinensis et 
Magdeburgensis archiepiscopus, primas et sacri Romani imperii per 
Germaniam archicancellarius princeps elector, administrator Halber- 
statensis, marchio Brandenburgensis, Stettinensis, Pomeraniae, Cassu- 
borum Sclavorumque dux burggrafius Nurimbergensis Rugiae princeps Col- 
legij huius Amator etc. Vir omni virtutum genere absolutissimus dei cultor 
Vtriusq Imperij gubernacula conferens humana in diuina incredibili studio com- 
mutauit, sedit annos 3r, obijt anno dui 1541, suae vero aetatis nano 55!). 

Wer diese Übereinstimmung zwischen Stich und Grabplatte gesehen hat, wird 
von vornherein geneigt sein, auch einen Zusammenhang für das Antlitz des 
Dargestellten anzunehmen. Ich glaube in der Tat, daB Vischer, der allerdings 1522 
bei der Anwesenheit des Kardinals auf dem Nürnberger Reichstag Gelegen- 
heit gehabt hatte, die Züge des Kirchenfürsten zu studieren?), im wesentlichen 
nach dem Dürerschen Stich gearbeitet hat. Das volle, etwas derbe Antlitz mit der 
krüftigen Nase, dem kleinen Munde und dem Doppelkinn kehrt hier deutlich 
wieder, ebenso die die Ohren verdeckenden Haare, nur daß Vischer ihnen nicht 
den wallenden Schwung geben konnte, den das Vorbild mit seinen zeichne- 
rischen Mitteln leichter erreicht hatte. | 

22. Der Grabtafel des Kardinals in der Aschaffenburger Kirche hängt die 
Gedenktafel für Margarethe Riedinger, die vertraute, früh verstorbene 
Freundin des Kardinals, gegenüber (Abb. g). Die Tafel ist bezeichnet Johannes 
Vischer. Noric. faciebat 1530. Sie stammt also nicht mehr von Peter Vischer d. J., 
der sein kurzes Leben zwei Jahre früher beschlossen hatte; auch der Vater 
war ja eben vorher SC Trotzdem atmet das Werk noch ganz den Geist 


(1) Die übereinstimmenden Worte sind gesperrt. 
(2) Vgl. Bergau, Peter Vischer und seine Sóhne (Kunst u. Künstler, Leipzig 1878, S. 41). 


25% 


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des großen Sohnes, ja ich möchte nach der Erinnerung fast sagen, daß ihr Relief 
noch schóner herausgearbeitet sei als auf der Tafel des Kardinals. Es liegt nun 
nahe, nachdem wir dort die Zusammenhänge mit Dürer gesehen haben, auch 
hier die Dürerschen Madonnen ins Auge zu fassen. Dürer hat das Thema viermal 
im Kupferstich bearbeitet, vor 1495, 1508, 1514 und 1516!). Und in der Tat sind 
gewisse Zusammenhänge mit dem Stich von 1508 (Abb. 10) wohl mehr als zu- 
fälliger Natur, zumal wenn man bedenkt, daß das Dürersche Vorbild von den 
Vischern oder ihren Auftraggebern nicht gerade selten zu Rate gezogen ist. 
Stich und Erzguß haben die Himmelskönigin recht ähnlich aufgefaßt. Sie steht 
beide Male auf der Mondsichel; der Saum des Gewandes tritt leicht darüber und 
legt sich auch auf das Mondantlitz; die Faltenzüge auf der Linken lassen den 
Arm frei, so daß sich darunter ein kräftiger Bausch bilden kann, der jedoch vom 
Erzgießer fester an den Körper angeschlossen werden mußte; das Haar flattert in 
gleicher Weise usw. Auch gewisse Abweichungen sind da, vor allem ist das eine 
Bein von Vischer deutlich als Spielbein gekennzeichnet und zeigt dadurch eine 
gewisse Verwandtschaft mit der ersten Dürerschen Madonna dieser Reihe. 


An Dürer fühlt man sich auch bei dem Schweißtuche mit dem Antlitz Christi 
erinnert ). 

Die kleinen Engelputten sind dagegen legitime Vischerkinder, wie sie jahr: 
zehntelang aus der Hütte hervorgegangen sind; musizierend begegnen sie z. B. 
am Sebaldusgrab ?). 


23. Conrad Celtes. Der Berliner Germanist Max Herrmann hat im Jahre 1898 
eine kleine inhaltreiche Studie über die Rezeption des Humanismus in Nürn- 
berg erscheinen lassen. Klar und geistvoll geschrieben, führt sie nicht nur vor- 
trefflich in ihr schwieriges Problem ein, sondern sie ist auch durch die Wider- 
legung alt überlieferter Irrtümer wertvoll. Durch alle Bücher, die den Nürnberger 
Humanismus behandeln oder streifen, zieht sich der Gedanke hindurch, daß das 
Erwachen dieses neuen Geisteslebens in Nürnberg frühzeitig stattgefunden habe‘). 
Herrmann weist das Gegenteil nach: denn ,,weit entfernt, in der Begünstigung 
des Humanismus anderen deutschen Stüdten voranzugehen, hat sich die Stadt 
viel mehr der neuen Bildung gegenüber ungewóhnlich lange Zeit geradezu ab- 
lehnend verhalten* (S.2). Hermann sieht den Grund hierzu in Nürnbergs sozial- 
politischen Verhältnissen; denn während anderwürts die Zünfte nach schwerem 
Kampfe die Oberhand gewonnen hatten, war in Nürnberg der Versuch, die 
Aristokratie in eine Demokratie zu verwandeln, völlig mißglückt; die Geschlechter 
hielten das Heft in Händen, und so war der Grundzug der Nürnberger Kultur; 
entwicklung: stockkonservative Politik und ängstliches Ablehnen alles Neuen, das 
vielleicht demokratisierend hätte wirken können. So kommt es, daß in Nürnberg 


(1) Abb. in Klassiker der Kunst IV; die älteste Madonna auch z. B. bei Kristeller, 
Kupferstich und Holzschnitt 1911, S. 202. | 

(2) Abb. in Klassiker der Kunst IV, S. 129 unten. а 

(3) Vgl. Mayer, Genreplastik, Taf. 20. 

(4) So noch z.B. Friedrich Paulsen in seiner temperamentvollen Geschichte des gelehrten 
Unterrichts 1896, S.146: „Unter allen deutschen Städten nahm Nürnberg, was Bildungs- 
bestrebungen anlangt, wohl die erste Stelle ein.“ — Eine vermittelnde Stellung nimmt, 
wie ich nachtrüglich sehe, Frhr. von KreB in seiner Besprechung des Herrmannschen 
Buches ein, vgl. Mitt. des Vereins für Gesch. d. Stadt Nürnberg 1899, 286ff. Er dämpft die 
Tonart des Verfassers wesentlich und scheint in manchen Punkten nicht unrecht zu haben. 


255 


erst um die Mitte der achtziger Jahre der Humanismus ganz allmählich an Boden 
gewinnt | 5 | | 

Das Gegenbild bietet Augsburg. (Herrmann, S. 108.) Unter der demokratischen 
Herrschaft der Zünfte nehmen sofort die obersten Beamten an der neuen Bildung 
teil. Bereits in den fünfziger Jahren treffen wir Manner in leitender Stellung, welche 
den engsten Anschluß an die neue Bildung suchen; ja der Bürgermeister selbst 
ist die Seele dieses ganzen Kreises. Auch der bischófliche Hof ist früh von huma- 
nistischen Bestrebungen erfüllt. Dementsprechend findet auch die Kunst des 
Buchdrucks (Erhard Ratdolt) und der Malerei (die beiden Holbein) viel eher den 
Weg zur Renaissance. Ja bereits im Jahre 1459 sandte der Sohn des Augsburger 
Bürgermeisters an seinen Vater aus Padua echte italienische Renaissancekunst- 
werke, die geradezu zur Mitteilung an Augsburger Künstler bestimmt waren: 
„Mitto tibi nunc cum per mercatores ymagines naturales et in plumbo elabo- 
ratas, principio Guarini Veronensis, Francisci Philelfi, Johannis Petri preceptorum 
meorum, deinde Julii Cesaris, ut fertur, preterea ducis Venetorum superiori tem- 
pore miseram, eciam ymagines omnium ferme principum Ytalie ad te, ut cum 
pictore Mang eciam eas communicares.“ 


In Nürnberg bildet sich erst in der Mitte der achtziger Jahre ein Kreis, der 
humanistischen Studien günstig gesonnen ist Vor allem sind Dr. Hartmann 
Schedel, Dr. Dietrich Ulsen, Sebald Schreyer und der Privatmann Peter Dann- 
hauser zu nennen. Aber es ist ungemein charakteristisch, daß der letztere sich 
noch 1496 allen Ernstes in einer besonderen Apologie gegen den Vorwurf ver- 
teidigen muß, daß er heidnische Bücher und Poeten lese. Das Haupt dieses 
Kreises ist ohne Frage Sebald Schreyer, den auch die Kunstgeschichte aus mannig- 
fachen Anregungen auf ihrem engeren Gebiete kennt: er war z. B. 21 Jahre hin- 
durch bis 1503 Kirchenpfleger von St. Sebald, seinen Namen trágt die Krafftsche 
Grablegung am Chor dieser Kirche, er veranlaßte die Drucklegung der Schedelschen 
Weltchronik, er gehörte zu den Förderern des Sebaldusgrabes usw. Sein Verdienst 
ist es direkt und indirekt auch, daß der Humanismus nun endgültig Boden ge- 
wann, denn er lebte in engster Freundschaft mit dem Manne, den David Friedrich 
Straub als den deutschen Erzhumanisten bezeichnet hat: mit dem fránkischen 
Wanderpoeten Conrad Celtis. Wir sind in der glücklichen Lage, diese Freund- 
schaft durch handgreifliche Zeugnisse belegen zu kónnen. Bernhard Hartmann 
hat in seinem inhaltreichen Aufsatze in den Mitteilungen des Vereins für die Ge- 
schichte der Stadt Nürnberg 1889 mancherlei Zeugnisse dieser Art zusammen- 
gestellt. So war z. B. Schreyers Wohnung in der Burgstraße 7 mit Bildwerken 
von Amphion, Orpheus, Apollo usw. geschmückt, unter welchen Epigramme von 
Celtis standen. In einer Nische fand sich gleichfalls ein Portrát von Celtis, 
wiederum mit Versen von ihm. Celtis und Schreyer errichteten gemeinsam einer 
sonst unbekannten Sángerin ein Denkmal. Celtis und Schreyers Wappen finden 
sich gemeinsam unter dem hl. Sebald der Celtischen Ode. Von Schreyer wird 
Celtis gedrüngt zur Herausgabe seiner Werke. 


Was Celtis für seine Zeit bedeutete, hat ein für allemal F. von Bezold in der 
Historischen Zeitschrift 1883 auseinander gesetzt. Wundervoll kommt dort die 
Gesamtbedeutung des Mannes zur Geltung. Wer nur in ihm den Dichter sehen 
und gar nach heutigem Maße beurteilen wollte, der würde diesen Humanisten 
vóllig verkennen, und er würde fassungslos vor dem Ruhme des Lebenden wie 
des Toten stehen. Denn Celtis war nicht nur Dichter, sondern zugleich Philo- 
soph, Historiker, Naturwissenschaftler, Geograph, Astrologe, Pfaffenfeind, Na- 


256 


tionalókonom, leidenschaftlicher Patriot und — als rechter Humanist — ein Freund 
aller irdischen Genüsse. Das alles muß man wissen, um die ganz eigenartig 
verehrte Stellung dieses Mannes zu verstehen. Aus ganz Deutschland kamen die 
Lobeserhebungen und später die aufrichtig gemeinten Totenklagen. So drängt 
ihn z. B. der Lübecker Syndikus Heinrich von Seelen, er möge doch endlich 
seine Werke herausgeben: „Italien besitzt die berühmtesten Männer, Deutsch- 
land nur dich, auf den es mit Stolz blickt und den es liebt und ehrt!).“ 

Unter solchen Verhältnissen wäre es gewiß nicht verwunderlich, wenn wir 
das Bildnis dieses Mannes, der durch ganz Deutschland eine Verehrung genoß 
wie wenig andere Zeitgenossen und der in seiner Geschichte Nürnbergs der Stadt 
ein unvergleichliches Denkmal gesetzt hatte (welches freilich der Rat infolge seiner 
humanistischen Unbildung sich erst übersetzen lassen mußte!), auch am Sebaldus- 
grabe finden sollten. Ich erinnere daran, daß auch das Sebaldusgrab nicht zum 
wenigsten der werktätigen Hilfe des Sebald Schreyer seine Entstehung verdankt, 
Sebald Schreyers, der der vertraute Freund und Wohltäter des Dichters war. 
Ferner muß man sich auch daran erinnern, daß Celtis einige Jahre vorher eine 
Ode gerade auf den hl. Sebald gedichtet hatte. Wenn wir ferner bedenken, 
daß Schreyers eigenes Porträt am Sebaldusgrab erhalten ist?) dann wäre es an 
sich gewiß nicht verwunderlich, wenn Schreyer dafür gesorgt hätte, daß auch das 
Bild seines überall geehrten, kürzlich erst verstorbenen Freundes hier einen Platz 
gefunden hätte. In den Zwickeln der Sebalduslegende befinden sich nun ver- 
schiedene Porträtköpfe, die ersichtlich dem zeitgenössischen Leben entnommen 
sind. Mayer?) hat in verschiedenen von ihnen die Köpfe Vischerscher Familien- 
mitglieder vermutet. Ein mit Lorbeer bekränztes Haupt widersteht jedoch einer 
solchen Deutung. Hier erhebt sich nun die Frage, die leider nicht zur Gewiß- 
heit entschieden werden kann, ob wir es mit einem Porträt des Celtes zu tun 
haben. Wir kennen die Züge des Dichters aus dem Holzschnitt der Roswitha 
von 1501, der früher Dürer zugeschrieben wurde‘), und aus dem Burgkmaier- 
schen Porträt von 1507. Wenn man beide Bilder nebeneinander legt, — sie finden 
sich in Ludwig Geigers Renaissance und Humanismus 1882, S. 455 und 459 — 
dann muß man leider bekennen, daß die Ähnlichkeit dieser beiden beglaubigten 
Porträts durchaus keine schlagende ist. Gemeinsam ist ihnen im Grunde nur die 
derbe, fast vierkantige Form des fränkischen Bauernschädels. Dem widerspricht 
nicht gerade das Medaillon vom Sebaldusgrab, welches Mayer im Münchner 
Jahrbuch 1913, S.282 abbildet. Aber die Frage der Identifizierung kompliziert sich 
noch weiter dadurch, daß am Sebaldusgrab der Kopf mit dem schmalen Lorbeer- 
reis — Celtes hatte ja 1487 als erster Deutscher das Kränzlein der Poeterei gerade 
auf der Nürnberger Burg von Kaiser Friedrich III. erhalten und läßt sich dem- 
entsprechend auf beiden beglaubigten Holzschnitten mit diesem Lorbeerreifen ab- 
bilden — ins Profil gestellt ist. Man kann nur sagen, daß es durchaus möglich 
ist, und darf darauf hinweisen, daß schon die beiden vorgenannten Holzschnitt- 
porträts, die laut Unterschrift bestimmt den Dichter darstellen, eine recht geringe 
Übereinstimmung zeigen. Wer je in der Lage gewesen ist, Porträts geschicht- 
licher Persönlichkeiten miteinander vergleichen zu müssen, der weiß, daß die 


(1) Hartmann, a. a. O., 50. 

(2) Vgl. A. Mayer, Münchner Jahrbuch 1913, 280. 

(3) Mayer, a. a. O., 282. 

(4) Von diesem Bilde ist ersichtlich das Porträt des C. vor den Quattuor libri von 1502 
abhingig, wie ich nachtriglich sehe. 


257 


Identifizierung bis ins 18.und 19. Jahrhundert hinein eine Aufgabe von ungeahnter 
Schwierigkeit ist; in diesem Falle um so mehr, als Peter Vischer d. J. — denn 
nur er kommt in Betracht — den 1508 in Wien gestorbenen Celtes vielleicht nie 
gesehen hat und lediglich auf Zwischenglieder, wie etwa das vorhin erwšhnte 
Portrat des Dichters in einer Nische des Schreyerschen Hauses, angewiesen war, 
als er mehrere Jahre nach dem Tode des Dichters sein Medaillon entwarf: die 
' großen Reliefs aus der Sebalduslegende mitsamt den Zwickeln gehören ja erst 
zu den späteren Teilen des Denkmals. | 

Wie man sich auch in dieser sekundären Frage entscheiden will, soviel ist von 
vornherein sicher, daB ein Mann von dem beweglichen und humanistisch inter- 
essierten Geiste des jungen Vischer den Auftrag freudig aufgegriffen hatte, ein 
Medaillon des Erzpoeten, der sich so eng mit Nürnberg und überhaupt allen 
Bildungsinteressen der neuen Zeit verbunden hatte, nachgekommen wäre; denn 
die humanistische Gesinnung Peter Vischers d. J. ist ja nicht nur durch die 
Sockelpartien des Sebaldusgrabes, sondern auch durch seinen Umgang mit Pankra- 
tius Schwenter bewiesen!) Ja, wir kónnen vielleicht noch einen Schritt weiter 
gehen und die Frage aufwerfen, ob der junge Vischer nicht gar die Werke des 
Conrad Celtes gekannt habe. Weizsäcker hat nämlich in seinem Aufsatze „Peter 
Vischer, Vater und Sohn“ im Repertorium 23, 309, darauf hingewiesen, daß die 
harfenspielende Muse vom Sockel des Sebaldusgrabes (Mayer, Genreplastik, Taf. 3) 
dem Titelholzschnitt der Quattuor libri amorum des Conrad Celtes (Nürnberg 
1502) entnommen sei. Es ist richtig, daß hier von einer Anregung die Rede 
sein darf, ja ich móchte sogar durch eine weitere Beobachtung den Zusammen- 
hang zwischen diesem Celtesblatt und Peter Vischer d. J. noch enger knüpfen: 
Braun hat kürzlich in diesen Heften VIII, 2 (Taf. 27, 2) eine aquarellierte Feder- 
zeichnung Peter Vischers d. J. aus dem Jahre 1515, die sich im Berliner Kupfer- 
stichkabinett befindet, veróffentlicht, aus welcher sich neue Zusammenhánge mit 
dem genannten Holzschnitt ergeben. War am Sockel des Sebaldusgrabes nur 
die linke Muse des Celtesblattes leicht nachgebildet, so kehrt auf der Berliner 
Zeichnung die Situation beider Musen, wie sie zu FüBen eines Springbrunnens 
sitzen, wieder, nur daB sie ihr Geschlecht gewechselt haben: Die jedesmaligen 
linken Gestalten greifen in die Saiten (was die Muse am Sebaldusgrab nicht tut), 
während die jedesmaligen rechten die Gitarre ganz gleichmäßig spielen (Abb. 11). 
Ferner wiederholt sich auch der Fons musarum des Holzschnittes; ja, er kehrt 
sogar noch in viel áhnlicherer Gestalt wieder — man muß nur etwas weiter 
blättern, um auf dem letzten Holzschnitt des Celtesbuches fast dem gleichen 
Brunnen zu begegnen, wie ihn Vischer in seiner Zeichnung verwandt hat). 
Vielleicht lassen sich diese Beziehungen noch einen Schritt weiter verfolgen, 
wenn man die Voluptas Vischers mit der Cytharea des Holzschnittes vergleicht; 
die Stellung mit Stand- und Spielbein, die Haltung des linken Armes usw., deuten 
wohl auch ihrerseits darauf hin, daß der junge Vischer den Holzschnitt gekannt 
habe. Einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick, kann man sich sogar 


(1) Vgl. Braun, Die Handzeichnungen des jüngeren P. V. zu Schwenters Gedicht über die 
Herkulestaten. M. f. K. VIII, 2. — Über Schwenter vgl. A. Bauch in den Mitteilungen des 
Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1899, 276. 

(2) Vergleiche die beiden Fische, wie sie vom Brunnenrohr überhóht werden, die gebuckeite 
Schale, die Voluten des Fußes darunter, usw. — Auch die Gestalt des Apollo neben dem 
Brunnen auf diesem letzten Celtesblatt erinnert in ihrer freien plastischen Durchbildung 


258 


versucht fühlen, den Phébus des Holzschnittes mit der Vischerschen Virtus in 
Zusammenhang zu bringen. : | 

Es braucht kaum betont zu werden, daß das Abhängigkeitsverhältnis Vischers 
ein vollkommen äußerliches ist. Er erst hat aus den heterogenen Bestandteilen 
des Holzschnittes eine Komposition gemacht; sie ist innerlich und äußerlich 
etwas Neues und vollkommen Vischerisches geworden, so daß Braun überhaupt 
nicht der Gedanke einer Anregung gekommen ist. Ich habe diesen Zusammen- 
hang nur deswegen so ausführlich besprochen, um zu erweisen, daß auch Peter 
Vischer ein greifbares Interesse an Conrad Celtes genommen habe. 


VIII. Jakob Elsner. 


24. In der Nürnberger St. Lorenzkirche hängt die Gedächtnistafel für den 1513 
gestorbenen Probst Anton Kreß (Abb. 12). Sie wird von Bergau und Weizsäcker!) 
hoch gelobt und von beiden unmittelbar mit den vier großen Reliefs am Unterbau 
des Sebaldusgrabes verglichen. (Diese aber sind, wie ich früher zu zeigen gesucht 
habe, von dem jüngeren Peter.) Aus einer handschriftlichen Lebensbeschreibung 
des Verstorbenen, die Bergau zitiert, geht deutlich hervor, daß diese Gedächtnis- 
tafel erst nach dem Tode des Propstes bestellt und aufgerichtet wurde. 

Im Todesjahr des Propstes war nun aber ein wundervolles Missale des Ver- 
storbenen, welches Jakob Elsner illuminiert hatte und welches sich heute als 
Depositum im Germanischen Museum befindet, vollendet worden. Auf einem 
der ersten Blätter ist der Propst vor einem Altare kniend, im geöffneten Buche 
lesend, dargestellt, wie es Abbildung ı3 zeigt. Vergleicht man hiermit das von 
Vischer erst nach dem Tode des geistlichen Herrn geschaffene Grabmal, dann 
ist ein Zusammenhang wohl kaum zu übersehen, um so weniger, als es sich hier 
um einen ganz neuen Typus handelt und als die ganze Sachlage es ja von selber 
nahelegt, daß die Testamentsvollstrecker des Anton Kreß dem Erzgießer dieses 
letzte, kaum vollendete Bildnis des Verstorbenen als Vorlage anempfahlen. Die 
Gegenüberstellung beider Bilder überhebt mich weiterer Worte. Sie zeigt aber 
auch, mit welch unbedingt sicherem, plastischem Gefühl der junge Vischer zu 
vereinfachen und monumental zu gestalten wußte. | 

Diese Schöpfung Vischers wurde in den vierziger Jahren die unmittelbare 
Vorlage für das Grabmal des Hektor Poemer für dieselbe St. Lorenzkirche. 
Daun spricht von einem grenzenlosen Abstand beider Werke; das ist übertrieben, 
denn in der plastischen Durchbildung ist manches nicht nur selbständig, sondern 
auch vortrefflich gelungen, so der obere Rundbogen und die kassettierte Decke. 
Dagegen stehen die seitlichen Pfeiler allerdings erheblich gegen diejenigen auf 
dem Kreßdenkmal zurück. Sie sind nicht nur in der Erfindung sehr viel dürftiger, 
sondern sind auch im Guß ungleich weniger gelungen. Hans Vischer hat sich 
mit einzelnen, lang ausgezogenen Rankenbildungen schnell davon gemacht, wäh- 
rend sein älterer Bruder mit sichtbarer Liebe in den Ornamentenschatz der neusten 
oberitalienischen Stecher, wie etwa Nicoletto da Modena, hineingegriffen hat. 
Merkwürdigerweise steht nun aber die Durchbildung dieser Ornamente nicht im 
Verhältnis zu ihrer reichen Erfindung. Ganz abgesehen davon, ob hier italienische . 
Vorbilder greifbar benutzt sind, oder der junge Vischer selbstschöpferisch — wie 


an einzelne Sitzfiguren vom Sockel des Sebaldusgrabes, etwa den Simson (Mayer, Genre- 
plastik, Taf. 14), ohne daß aber ein wirklich greifbarer Zusammenhang bestände. 

(1) Bergau, Peter Vischer und seine Söhne (Kunst und Künstler, Leipzig 1878, S. 30); Weiz- 
säcker, Peter Vischer, Vater und Sohn. Repertor. 23, 305. 


259 


ich nicht ohne Grund glauben móchte — vorgegangen ist, beruht das vielleicht 
darauf, daß diese Pilasterstreifen ursprünglich für Vergoldung berechnet waren. 
Bergau sagt nümlich, daB er noch deutliche Spuren einer derartigen менеп: 
weise gesehen habe’). | 


IX. Jacopo de Barbari. i 

25. J. de Barbari erhielt für die Visierung der Grabplatte der Herzogin 
Sophiein Torgau 1504 zehn Gulden. Der Fall liegt ganz šhnlich wie bei Katz- 
heimer. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, 366.) 

26. Ein festerer Zusammenhang ergibt sich für den Apoll des Barbarischen 
Kupferstichs mit der Brunnenfigur des Apoll im neuen Rathaushof zu 
Nürnberg. Die Abbildungen beider finden sich bei Daun, S. 70 und 71. So 
zweifellos hier die Abhüngigkeit eines Vischer von J.de Barbari ist, so schwierig 
ist es zu entscheiden, welcher von den Vischern in Betracht kommt. Neudórffer 
nennt den Apoll unter den wenigen von ihm namhaft angeführten Werken des 
álteren Peter. Da nun jedoch der Sockel die Datierung 1532 trágt, so nahm man 
bisher an, daB sich diese Datierung eben nur auf den Sockel beziehe und die 
Figur ein Werk des 1529 verstorbenen Vaters sei Dabei bleibt jedoch die 
Schwierigkeit bestehen, daß diese extrem moderne und etwas flaue Jünglings- 
figur gar nicht in das Werk des Vaters passen will. Nun hat aber Bode im Jahr- 
buch 1908, S. 12 (einem Hinweise Koetschaus folgend) eine Weimaraner Vor- 
zeichnung bekannt gemacht und abgebildet, welche Figur u n d Sockel fast genau 
in der gleichen Weise zeigt wie der ausgeführte Guß; der Sockel trägt hier die 
Datierung 1531. Die Handzeichnung steht deutlich zwischen dem Stich Barbaris 
und dem ausgeführten Werk. — Danach wird man wohl annehmen müssen, daß 
die 'Angabe Neudórffers, der den Apoll für den Vater in Anspruch nimmt, ent- 
weder auf Irrtum beruht oder sich auf einen anderen ähnlichen Guß bezieht?). 


X. Mantegna. 


27. Albert Brinckmann sagt in seinem Buche über die praktische Bedeutung 
der Ornamentstiche für die Frührenaissance S. 13, daß figürliche Reliefs am 
Fuggergitter unzweifelhaft auf Mantegnasche Stiche weisen. Das ist gewiß 
richtig und mag schon mancher gefühlt haben, obwohl es unmöglich ist, einen 
wirklich greifbaren Zusammenhang aufzudecken. Auch Brinckmann wird wahr- 
scheinlich Kupferstiche wie den Kampf der Tritonen oder den Kampf der See- 
kentauren (Kristeller, Mantegna Ab. 144 und 145) im Sinne gehabt haben, deren 
letzterer ja auch den jungen Dürer zur Nachzeichnung gereizt hatte. Vorläufig 
aber bleibt für uns das Verhältnis Mantegna-Vischer Problem, und die pracht- 
vollen Bogenfüllungen des Fuggergitters, deren unvergleichlichen Schwung wir 
noch in den liebevollen Abbruchszeichnungen spüren, bestehen wohl als selb- 
ständige Schöpfungen Peter Vischers des Jüngeren, 


(1) Ober die Stellung („Ев ist bekannt, daB die zwei Pröpste zu Nürnberg fast bischófliche 
Ehren genossen“) und Bedeutung des Dr. Anton Kreß vgl. den Aufsatz seines geschichts- 
kundigen Nachfahren Dr. G. Freiherrn von Kreß in den Mitteilungen des V. f. G. d. Stadt 
Nürnberg 1892, S. 213 ff. 

(2) Der Barbarische Kupferstich zeigt übrigens eine merkwürdige Verwandtschaft mit einer 
Kleinplastik Riccios, dem Wasserträger. Abb. im Führer durch das Kaiser-Friedrich- 
Museum 1911, S. 184. Als Vorlage für Vischer kommt jedoch lediglich der Kupferstich in 
Betracht. 


260 


Durch einen Nachweis Weizsäckers!) wissen wir aber, daB Vischer andere 
Mantegnasche Stiche gekannt habe. Denn eine Jünglingszeichnung der Louvre- 
sammlung (Abb. 14) berührt sich in nicht zu leugnender Weise mit einer Gestalt 
des Mantegnaschen Bacchanals bei der Kufe (B. 19, Kristeller Abb. 143 [Abb. 15). 
Vischer muß diese Gestalt angezogen haben, denn er hat sie zweimal in jenem 
Pariser Skizzenbuch festgehalten, das eine Mal mit aufwürts weisender Hand und 
ausgestrecktem Zeigefinger, das andere Mal einen Apfel in der bedeutend 
weniger erhobenen Hand haltend. — Das ist vorláufig alles, denn ein Zusammen- 
hang zwischen Mantegnas Tuschzeichnung von Mars, Venus und Diana im 
Britischen Museum (Kristeller, Abb. 130) und dem Vischerschen Aquarell im 
Weimarer Goethehaus, an das man einen Augenblick denken móchte, kommt 
nicht einmal als Anregung in Frage. 


XI. Zoan Andrea. 


28. Dem Mantegnaschen Kreise gehórt der Stecher Zoan Andrea an. Brinck- 
mann behandelt ihn a. a. О. und sagt, es sei ihm unmóglich gewesen, eine 
sichere Beziehung dieses Italieners zu einem ausgeführten Werke deutscher 
Kunst nachzuweisen. Ihm ist dabei eine Beziehung zum Fuggergitter entgangen, 
auf die hier kurz hingewiesen sei Auf einer Pilasterfüllung desselben erscheint 
ein musizierender Faun (Abb. 16), der aus einem Stiche Zoan Andreas entnommen 
ist (B. 30), also demselben Stiche, der für eine steinerne Chorschranke in der 
Kathedrale zu Chartres Verwendung gefunden hat, wie Brinckmann nachweist; 
auch in Chartres hat er übrigens seine Geige nicht auf den Boden gestellt, wie 
Zoan Andrea es vorgezeichnet hatte (Abb. 17). Verwunderlich darf dieser Zu- 
sammenhang nach den Ausführungen Brinckmanns nicht erscheinen, denn nach 
seinen Worten war die Wirkung der zwölf großen Stiche (abgebildet in L’Arte VI, 
1903, Anhang S. 14, 15, 16, 18) eine gewaltige, aber ihr EinfluB beginnt nicht erst 
mit den zwanziger Jahren des 16, Jahrhunderts, sondern etwa zehn Jahre früher, 
wie diese Benutzung durch Vischer zeigt Fernere Zusammenhärige zwischen 
Zoan Andrea und der Nürnberger GieDhütte sind auch mir nicht bewußt. ge- 
worden, aber es mag wohl sein, daB der am Fuggergitter mehrfach verwandte 
Harnisch im Laubwerk, die gekreuzten Füllhórner, die Blattmaske, der belaubte 
Delphin, die Vasen usw. hier ihren Ursprung haben; anderes wie Schädel, Füll- 
hórner usw. kónnen natürlich auch von oberitalienischen Bauten und Denkmülern 
angeregt sein. 

. Übrigens darf uns eine Einwirkung des oberitalienischen Kupferstiches auf das 
Fuggergitter nicht wundernehmen, denn micht nur Augsburg, sondern gerade 
auch die Fugger hatten die neue Kunst mit offenen Armen aufgenommen; ja 
für dieselbe Fuggerkapelle, für die ursprünglich das Nürnberger Rathausgitter be- 
stimmt war, hat Brinckmann eine zwiefache Benutzung von Ornamentstichen des 
Nicoletto da Modena nachgewiesen, welcher demselben mantegnesken 
Kunstkreise angehört. (Brinckmann, a. a. О, Taf. 2 und 3) Es liegt nun gewiß 
nahe, die Spuren des Nicoletto auch am Fugger- oder Rathausgitter zu suchen. 
Ich glaube aber, daß man sich vergeblich nach greifbaren Zusammenhängen um- 
sehen wird. Ohne Frage werden auch,hier Anregungen bestehen, aber auch nicht 


(1) Flüchtig erwähnt in „Zwei Entwürfe zum Nürnberger Sebaldusgrab“, Jahrbuch d. K. P. 
Kunstsammlungen 1891, 51. Nur durch das von W. beigefügte B. 19, welches sich auf 
seiner Pause eines Pariser Gkizzenblattes wiederholt, ist zu ersehen, welche Figur er meint. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft оло 18 261 


mehr. So mag es sich z. B. um die beiden Seekentauren verhalten, welche ge- 
meinsam den Schild mit dem Gorgonenhaupte fassen (abgebildet in Gazette des 
. beaux Arts 1869, 151). Ein ähnliches Motiv. verwendet Vischer mehrfach am 
Fuggergitter, so z. B. auf der drittletzten Tafel der Lübckeschen Publikation, wo 
zwei kimpfende Reiter einen Schild halten, wáhrend sie in an Schwunge 
dahinstürmen. 

Auch die einzig erhaltenen steinernen Seitenpfeiler des Gitters weisen in ihren 
Ornamenten deutlich auf italienische Stiche. Ihr fremdartiger, gedrängter Reich- 
tum zeigt, daß er keiner deutschen Phantasie entsprossen ist. Trotzdem läßt sich 
nichts Schlagendes nachweisen; aber vielleicht ist es kein Zufall, daß die beiden 
auf einem Säulenpostament sitzenden Figuren (Lübcke, fünftletzte Tafel) in ver- 
wandter Ausbildung mehrfach bei Nicoletto (Brinckmann, Taf.2 a und b = Wessely, 
Das Ornament und die Kunstindustrie, Berlin 1877, Taf. 32 und 31; vgl. ferner 
Taf. 33b = Bartsch 57) wiederkehren. In diesem Zusammenhang ist es von Wichtig- 
keit, daß die Fugger bestimmt diese Stiche des Nicoletto kannten, denn wie Brinck- 
mann nachweist, sind gerade sie an dem Marmorepitaph des Jakob Fugger in 
Augsburg benutzt worden. 

Auch der oberitalienische Buchdruck, auf den bereits Beever (vel. Nr. XII 
dieses Aufsatzes) hingewiesen hatte, wird zweifellos anregend gewirkt haben. Aber 
die ganze Frage ist heutigen Tages noch nicht spruchreif, denn so lange wir 
keine zusammenfassende Arbeit besitzen, wie sie Muther in seiner Buchillustration 
der Gotik und Frührenaissance für Deutschland geliefert hat, so lange sind 
wir auf Zufallsfunde angewiesen. Einige Abbildungen, die sich in der Bücher- 
ornamentik der Renaissance von A. F. Butsch (Leipzig 1878) finden, lassen mit 
aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen, daß von solchen Buchzeichnungen 
eine groDe Wirkung auf Vischer ausgegangen sein muB. (Deutsche Vermittler 
kommen für diese ganz frühen Jahre des 16. Jahrhunderts kaum in Betracht; 
auch der deutsche Ornamentstich entfaltete sich erst am Ende des dritten Jahr- 
zehnts, als Peter Vischer, Vater und Sohn, bereits die Augen geschlossen hatten.) 
Wenn sich nun auch keine wirklichen Zusammenhánge mit dem oberitalienischen 
Buchschmuck ergeben, so möchte ich trotzdem auf die ersten 17 Tafeln bei 
Butsch hingewiesen haben, da wir uns hier ersichtlich in jenem Kreise bewegen, 
der einerseits auf Zoan 'Andrea und Nicoletto zurückweist und andererseits alle 
jene Motive enthdlt, die einem Manne wie Peter Vischer d. J. als ein neues 
Evangelium am Herzen gelegen haben müssen. Hier begegnen auf Tafel ro 
z. B. wiederum jene beiden Meeresbewohner, die gemeinsam einen Schild halten 
(Venezianer Holzschnitt 1509; in OriginalgróBe von Butsch auch als Titelblatt 
verwendet) Ich möchte es nicht unterlassen, auch auf einen anderen veneziani- 
schen Druck von 1499 (Butsch, Taf. 7) hinzuweisen. Hier bewegt sich ein phan- 
tastischer Zug von Meeres- und Erdenbewohnern durch das Wasser. Die beiden 
vordersten Gestalten schreiten bis an die hohen Oberschenkel in der Flut, zwei 
andere hinter ihnen blasen auf Hórnern. Ich habe mich hier immer an einen 
Fries des Fuggergitters erinnert gefühlt, auf dem gleichfalls ein phantastischer 
Menschenzug durchs Wasser dahin zieht; auch hier schreiten die beiden Führer 
ganz entsprechend im Strom und blasen dabei auf den gleichen Hórnern. Es 
ist nur eine Anregung, aber ich glaube, bei dem Stande unseres heutigen Wissens 
haben wir keinen genügenden Grund, an ihr vorüber zu gehen (Butsch, Taf. 7, 
desgl in Gazette des beaux Arts 1870, 369; Lübcke in der Mitte seines unnume- 
rierten Tafelwerks). 


262 


+ 


XII. Tarrochi. 


29. Heinrich Weizsäcker hat in seinem Aufsatze über Peter Vischer, Vater 
und Sohn, in kurzen, aber grundlegenden Ausführungen über die Herkunft des 
Vischerschen Renaissancestils am Sebaldusgrab gesprochen. Er weist auf Venedig 
mit dem Bau von S. Maria de’ Miracoli und auf die Bildhauergruppe der Lom- 
bardi. In diesem Zusammenhang streift er natürlich auch den Einfluß der Buch- 
illustration und glaubt, daß die Figur der harfespielenden Muse (Mayer, Genre- 
plastik, Taf. 3) auf die Muse in dem Titelholzschnitt der Quattuor libri 
des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) EE Ich habe den Zusammen- 
hang bereits S. 258 erwähnt. 

Hier muB auch die Marsyasfigur einer жешнен E Gvidauspabe 
von 1497 genannt werden, von welcher Seeger S.94 annahm, дай sie für den auf der 
Panpfeife blasenden Satyr vorbildlich gewesen sei. Gertrud Küster, die diesen 
Zusammenhang nachgeprüft hat, miBt ihm geringe Bedeutung bei!) Entschádigt 
werden wir aber durch einen neuen Zusammenhang, der in dem gleichen Auf- 
satze, S. 318, zwischen einem Blatte der italienischen Tarrocchi (Abb. 18) und 
einem Relief des jungen Vischer am Sebaldusgrab festgestellt wird (Abb. 19): ein 
Bild des Apollo kehrt in beiden Darstellungen so verwandt wieder, daß man die 
Frage einer Beeinflussung ruhig bejahen darf, da ja die ganze Konstellation 
einen solchen Zusammenhang von vornherein glaubhaft erscheinen läßt?). 


XIII. Pomedello. 


30. In seiner sehr lesenswerten Besprechung der Daunschen Monographie) 
macht Theodor Hampe auf den Zusammenhang der TintenfaBfigur in Stan- 
more mit einer Medaille des Pomedello für Isabella Sessa Michiel auf- 
merksam. Mayer erkannte unabhüngig davon die Beziehung auch seinerseits und 
gab zwei Abbildungen dazu‘). Der Zusammenhang ist vollkommen klar und 
eindeutig. | 


XIV. Friedrich der Streitbare, Friedrich der Sanftmütige und 
Herzog Ernst, sämtlich in Meißen. 


31. Das Gesamtbild, das sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ent- 
behrt noch eines wesentlichen Zuges. Es ist bisher lediglich von Vorbildern und 
Anregungen die Rede gewesen, die sich auf dem Gebiete der Malerei und des 
Kupferstichs fanden. Die schwierigere Frage, wieweit andere Erz werke als Vor- 


(1) Monatshefte für Kunstwissenschaft 1917, 317. Ich will übrigens bei dieser Gelegenheit 
nicht unerwähnt lassen, daß die Verfasserin S. 322 auf einen nicht zur Gießerfamilie ge- 
hörigen Peter Vischer aus Nürnberg hinweist, der 1487 das Nürnberger Heiligtumsbüch- 
lein herausgibt. Sie wirft die beachtenswerte Frage auf, ob das Dokument, welches über 
den Vertrieb der Schedelschen Chronik in Italien spricht und seit Seeger gern auf Peter 
Vischer den Jüngeren bezogen wurde, sich nicht auf diesen, in buchhändlerischen Ge- 
schäften wohl erfahrenen Mann beziehe. Dieser Peter Vischer wird in Muthers Buch- 
illustration (1884) I, 61 erwähnt. 

(a) Kristeller, Tarrocchi, Taf. 20. Graphische Gesellschaft 1910. 

(3) Monatshefte der kunstwissenschaftl. Liteiatur 1905, 4. 

(4) Münchner Jahrbuch 1913, S. 286. Eine nahe verwandte Stellung nimmt eine weib- 
liche Figur auf der Allegor. Darstellung des Marcanton Raimondi (B. 377) ein; siehe die 
Abb. bei Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt S. 257. Welches von den beiden italieni- 
schen Werken das frühere ist — die Darstellung Raimondis liegt um rsos — vermag ich 
nicht zu sagen; für Vischer kommt nur die Medaille in Betracht. 


263 


bilder in Betracht kommen, blieb unerörtert und soll auch im folgenden diesmal 
nur soweit gestreift werden, als sich unmittelbare Beziehungen ergeben. 


Als Hermann Vischer im Jahre 1453 in Nürnberg einwandert, wird uns leider 
nicht gesagt, woher. Immerhin aber gibt es zu denken, daf sein einziges be- 
glaubigtes Werk in Wittenberg, also in Sachsen, steht. Man muB sich über- 
haupt dessen bewußt bleiben, daß Sachsen seit Jahrhunderten das eigentliche 
GieBerland ist, in welchem vor und nach den Vischern eine bodenstiindige 
Erzkunst blüht, wührend Süddeutschland ganz im Schatten steht. Auch Hermanns 
berühmteren Sohn sehen wir lebenslang zu den sáchsischen Fürsten in Be- 
ziehungen, die vielleicht einen tieferen, heimatlichen Untergrund haben. So steht 
beispielsweise das strahlende Werk seiner Jugend im Magdeburger Dom. 
Meißen birgt die frühen Grabplatten Herzog Sigismunds, Kurfürst Ernsts, 
Bischof Dietrichs von Schónburg und aus Vischers mittlerer Zeit die Platten 
Herzog Albrechts des Beherzten und verschiedener Fürstinnen. Merseburg 
beherbergt wiederum ein Frühwerk derselben Gruppe, die Platte Thilos von 
Trotha. Das schon genannte Wittenberg bietet die Spütwerke für Friedrich 
den Weisen und Johann den Bestándigen, Altenburg die ganz frühe Platte der 
Kurfürstin Margarethe. Im benachbarten Schlesien finden wir in Breslau die 
Grabplatte des Bischofs Johann Roth von 1496; und endlich noch weiter gen 
Osten führen uns die Gorkaplatten im Posener Dom, auf die ich noch zurück- 
komme. j | 


Die eben genannte Meißner Grabplatte des Kurfürsten Ernst (+ 1486, [Abb. 2o]) 
ist nun ohne die ebendaselbst bewahrte des Kurfiirsten Friedrich des Sanft- 
mütigen nicht denkbar (Abb. 21). Hier besteht ohne Frage ein greifbares Ab- 
hüngigkeitsverháltnis. Schon äußerlich sind die ungewöhnlich großen Maße 
(Friedrich 1,44: 2,53; Ernst 1,44:2,57) fast die gleichen. Die Stellungen mit dem 
rechts geschulterten Schwert, das Raffen des Gewandes auf der Gegenseite, die 
Beschránkung der Nasenzeichnung auf die Spitze und vieles andere mehr steht 
in unmittelbarem Zusammenhang. So vischerisch nun die Grabplatte des Kur- 
fürsten Ernst ist (ich komme noch darauf zurück), so unvischerisch ist die ältere 
Friedrichs des Sanftmütigen, obwohl sie dem Nürnberger Meister zum Vorbild 
gedient hat. Die Form der Vierpásse, die (holländischen) Wellenranken, die 
Buchstabenformen usw. stellen diese letztere vielmehr in einen Zusammenhang 
mit Kaspar von Schönberg in Meißen, f 1463, Dietrich von Buckensdorff in 
Naumburg, + 1466, Hunold von Plettenberg in Erfurt, + 1457, und dem Rahmen 
vom Grabmal des Heinrich von Gerbstádt in Erfurt, angefertigt nach 1472. Wir 
haben hier deutlich eine sächsisch-thüringische Gruppe!) vor uns, mit welcher 
sich Peter Vischer nur berührt. 


Doch zurück zur Grabplatte des Kurfürsten Ernst. Bereits die archivalischen 
Forschungen von Cornelius Gurlitt?) haben es nahegelegt, daß sie aus Nürnberg 
stammt. Wir kónnen das aber auch auf stilistischem Wege wahrscheinlich machen, 


(1) Diese Gruppe ist von Joh. Kramer in seiner Dissertation: Metallene Grabplatten in 
Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts, Halle 1912, S. 48ff., 
richtig zusammengestellt. Der Verfasser gibt S. 57 an, was diese thüringisch - sáchsische 
Gruppe von Vischer unterscheidet, unterliegt aber trotzdem der Versuchung, sie mit der 
Nürnberger Hütte in festen Zusammenhang zu bringen. 

(2) C. Gurlitt, Die Kunst unter Friedrich dem Weisen. Archivalische Forschungen II, 1897, 
S. 63; R. Bruck, Friedrich der Weise als Fórderer der Kunst, 1903, 87. 


264 


und ich erinnere zu diesem Zweck kurz an die Platte der im selben Jahre r486 
verstorbenen Kurfürstin Margarethe in der Altenburger SchloBkirche, welche von 
Cramer a.a. O. S. 42 Vischer zugewiesen und in Vergleich mit Herzog Ernst 
gestellt ist. (Kramer gibt keine Abbildung, Simon brachte dann nach dem Tode 
des fürs Vaterland gefallenen Verfassers eine Teilaufnahme!), die aber für einen 
Vergleich beider Werke noch nicht genügt; erst die Aufnahme, die auf meine 
Bitte der Herzog von Altenburg veranlaßte [Photograph A Kersten Sohn Nachf., 
Altenburg -Sa., AlbrechtstraBe о], bietet die Möglichkeit einer eingehenden und 
überscurenden Vergleichung.) 

Die Vischersche Platte des Kurfürsten Ernst geht nun aber nicht nur auf 
das Vorbild Friedrichs des Sanftmütigen zurück, sondern dieses seinerseits steht 
in sichtbarem Zusammenhang mit.der Deckplatte der Tumba Friedrichs des 
Streitbaren (Abb. 22), die sich in derselben Kapelle befindet wie die beiden eben 
genannten Platten. Man bemerkt den Zusammenhang nur deswegen erst allmäh- 
lich, weil die Technik beider Werke eine gegensätzliche ist: Die Tumbendeck- 
platte ist als hohes Relief, die andere als gravierte Zeichnung gegossen. Legt man 
sich die Abbildungen aller drei Werke nebeneinander, so hat man drei frontale 
Standfiguren vor sich, welche jedesmal in der Rechten den mächtigen Beiden- 
hander führen (nur daß er bei den beiden jüngeren Werken eine schräge Rich- 
tung innehált), wührend die Linke jedesmal einen Bausch des Gewandes in Hüft- 
hóhe festhált. Alle drei stehen ferner vor einem Brokatteppich, ein Motiv, das 
noch einige Worte erfordert. 

Die Platte des Kurfürsten Ernst ist die ülteste 2) der Vischerschen Hütte, auf 
welcher zuerst hinter dem Verstorbenen der an einer Stange mit Schnüren be- 
festigte Teppich erscheint. Gerade in diesem für Vischer wesentlichem Motive 
trennt sie sich von ihren Vorlagen, den Grabplatten der beiden Friedriche, auf 
welchen zwar gleichfalls ein Teppich erscheint, aber nicht an einem Schnürwerk 
in Scheitelhóhe, sondern als ein gleichmäßiges, den ganzen Hintergrund bis an den 
Schriftrand fülendes Motiv. Auf der Vischerschen Platte dagegen gleitet der 
Blick über die Teppichstange hinüber in ein gotisches Kircheninnere, das durch 
Rippen und Maßwerk in der bekannten Weise angedeutet ist. 

Der Vergleich mit den echten Vischerwerken braucht hier nicht weiter aus- 
geführt zu werden, zumal Kramer a.a. O. bereits die wesentlichen Züge zusammen- 
gestellt hat. Es sei nur noch auf etwas hingewiesen, was er nicht beachtet hat, 
daB nümlich zu den Seiten des Dargestellten die Wappen des Verstorbenen 
aufgereiht sind. Denn gerade dieses Motiv, das sich in den Vorlagen auf den 
Platten der beiden Friedriche nicht findet, ist ein echtes Vischermotiv, das sich 
jahrzehntelang in der Nürnberger Hütte erhält. Es kehrt beispielsweise wieder 
bei Otto IV. in Rómhild und bei Herzog Albrecht dem Beherzten in Meißen 
(T 1500), bei dem die Wappen in ganz entsprechender Weise angeordnet sind und 
der Blick über den Teppich in einen Innenraum gleitet; vor allen Dingen aber 
beobachten wir es auf dem Meisterwerk Peter Vischers d. J., auf der Grabtafel 
Friedrichs des Weisen in Wittenberg, der ein Sohn eben jenes Kurfürsten Ernst 
war! Durch dieses Kindesverhültnis wird es sich auch erklären, daß Friedrich der 
Weise ganz die gleiche Stellung?) wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater 


(1) M. f. K. IX, Heft 5. 

(2) Sie lag bereits 1489, wie ich einem Korrekturbogen Gurlitts über die noch nicht er- 
schienene Fürstenkapelle des Meißner Doms entnehme. 

(3) Und zum Teil auch Tracht, vgl. Mütze, Schulterkragen und Ärmellöcher. 


265 


(die beiden Friedriche) einnimmt, mit dem rechts geschulterten Beidenhänder, 
dem Wappen zu Háupten usw. Die Kunst Peter Vischers d. J. erscheint aber 
um so bewundernswerter, wenn man sieht, welche monumentale Kraft er in 
dieses alte Motiv zu legen wuBte. Wer übrigens die Gewalt dieses Denkmals 
genieBen will, dem wird sie sich vielleicht in dem GipsabguB des Germanischen 
Museums in Nürnberg noch mehr offenbaren als in dem Original der Witten- 
berger SchloBkirche. Dort gehen die Abmessungen in dem hohen gotischen 
Kircheninnern ein wenig verloren, während in dem niedrigen Kreuzgang des 
Museums die Kraft des Denkmals unendlich gesammelter erscheint. Mit dem 
Sebaldusgrab in Original und Abguß mag es manchem schon ebenso ergangen 
sein. — Das Denkmal Friedrichs des Weisen wurde dann seinerseits die unmittel- 
bare Vorlage für das seines Bruders Georg des Beständigen, das in derselben 
Schloßkirche steht. * š * 

Nachtráglich bin ich noch auf folgendes aufmerksam geworden. Die Platte 
Friedrichs des Streitbaren zeigt in allen vier Ecken Wappenschilder, diejenige 
Friedrichs des Sanftmütigen Evangelistensymbole, und zwar in Vierpássen der 
thüringisch-sáchsischen Art. Die Grabplatte Kurfürst Ernsts dagegen trágt in den 
vier Ecken Blumen, was sonst bei Vischer nicht vorkommt! Es ist schwer zu 
sagen, welche Blumen hier nachgebildet sind. Links unten vielleicht Aglei oder 
Rittersporn, links oben vielleicht eine Erdbeerblüte, rechts oben entzieht sich 
noch mehr der Deutung, dagegen ist rechts unten mit aller Sicherheit eine Rose 
zu erkennen. Vielleicht steht diese Rose nicht zufällig an ihrem Platze, denn Kur- 
fürst Ernst war im Jahre 1480 — sechs Jahre vor seinem Tode — in Rom ge- 
wesen, und hatte vom Papste Sixtus IV. die Goldene Rose erhalten, welche er 
später dem Dom zu Meißen, also seiner Begräbniskirche, gab. Diese Goldene Rose 
ist ein püpstliches Gnadengeschenk, welches, mit Balsam und Weihrauch be- ` 
sprengt, vom Haupte der Christenheit in Gegenwart des Kardinalkollegiums unter 
besonderen Zeremonien am sogenannten Rosensonntag geweiht wurde. Die Sitte 


geht bis ins 12. Jahrhundert zurück und hat sich bis auf den heutigen Tag 
erhalten !). 


XV. Die MeiBner und die Magdeburger Tumba. 
(Friedrich der Streitbare und Erzbischof Ernst) 

32. Nach dem engen Zusammenhange zu urteilen, welcher zwischen den 
Denkmälern der beiden Friedriche und dem des Kurfürsten Ernst besteht, darf 
man wohl annehmen, daß Peter Vischer in jungen Jahren Gelegenheit gehabt 
hat, Meißen zu sehen. Der Dom in seiner herrlichen Lage, mit dem Blick über 
das weite Land, mußte ihn aus einem besonderen Grunde anziehen. Denn in 
seiner Vorhalle war erst kürzlich ein Werk aufgestellt worden, das nach Umfang 
und Art zu den bedeutendsten seiner Zeit gehórte. Ich meine wiederum die 
máchtige Tumba Friedrichs des Streitbaren, die dort in der Mitte der Begrübnis- 
kapelle steht. Friedrich war der Stifter derselben, seine Tumba stand daher 
in der Mitte und sollte offenbar der Sammelpunkt für die Grabplatten anderer 
sächsischer Fürsten werden ). 

Auch von Vischer besitzen wir eine müchtige Tumba, und zwar im Ernst- 
grab des Magdeburger Doms. Die Seitenteile beider Werke lassen sich kaum 
(1) Ob die übrigen, schwer bestimmbaren Eckblumen als Balsamkráuter zur Besprengung 
der Goldenen Rose gedacht sind, vermag ich nicht zu sagen. 

(3) Die Datierung dieses Denkmals schwankt. Dehio nennt in der 2. Auflage seines Hand- 
buches die Jahre 1430—40 (in der 1. Auflage war eine Datierung unterblieben). Ich glaube 


266 


miteinander in Parallele setzen: die modischen Klagemünner und die graziósen 
Wappenfiguren in Meißen lassen keinen Vergleich mit den ernsten, mannhaften 
Apostelgestalten in der ruhigen, schweren und zeitlosen Kleidung in Magdeburg 
zustande kommen. Höchstens daß man die trocknen Maßwerkbogen ein wenig 
miteinander in Beziehung setzen könnte. Anders aber steht es um die machtvollen 
Liegefiguren der beiden Fürsten. Stellt man beide Bilder einmal nebeneinander, 
dann erkennt man sofort, daß in der Auffassung doch auffallend viel Gemein- 
sames besteht. Während der Körper bei beiden als ruhige, fast unbewegte Masse 
behandelt ist, sind die Arme beide Male in ähnlicher Weise beschäftigt. Beide 
sind im Ellbogengelenk an den Kórper herangeholt, und es verschlügt nicht viel, 
ob der eine mit der Rechten sein Schwert schultert und der andere dafür den 
Kreuzstab faßt. Die Linke des Erzbischofs Ernst hält ganz parallel den Bischofs- 
stab, wührend die Linke bei Friedrich dem Streitbaren ziemlich ungeschickt in 
der Hüftgegend liegt. Erst nach lüngerer Beobachtung erkennt man, daB der 
Unterarm dazu dient, einen Bausch des Gewandes in Hóhe des Ellbogengelenks 
festzuhalten, worüber ich im vorigen Abschnitt gesprochen habe. 

Über die Gesichtsbehandlung bei der MeiBner und der Magdeburger Tumba 
läßt sich nur sagen, daß sie beide Male in ähnlicher Realistik geschehen ist, siehe 
die Falten, den krüftigen Mund usw., doch ist das Magdeburger Grabmal auch 
hierin entschieden groDartiger und fortgeschrittener. 


XVI. Die „holländischen“ Platten. 


33. Die beiden Gorkaplatten im Posener Dom sind Glieder einer weit zurück- 
führenden Kette. Die Forschungen von Joh. Kramer in seiner Dissertation 


bestimmt, daf das zu früh ist, zumal im Hinblick auf die sehr realistische Liegefigur des 
Herzogs. MaBgebend waren für Dehio vielleicht die gravierten Seitenfiguren, die aller- 
dings, besonders in der Tracht, auf etwa 1440 weisen kónnten. Nun haben aber zwei von 
ihnen eine gewisse Verwandtschaft mit Stichen des. Meisters der Spielkarten. Die kleine 
reizende Gestalt des Stutzers zwischen den Wappenfiguren von „gleichen“ und „eigen- 
berg“ zeigt eine auffällige Ahnlichkeit mit der Spielkarte Nr. 18 (bei Lehrs Taf. 8 in seiner 
Geschichte... des deutschen... Kupferstichs im 15. Jahrhundert, Wien 1908): beide in 
Profilstellung, beide mit dem Federhut, beide mit dem Pelzbesatz usw. Ebenso berührt 
sich die Figur eines modisch gekleideten Jünglings zwischen einem namenlosen Wappen- 
halter und dem Wappen von „preu“ mit Nr. 19 (bei Lehrs Taf. 8): beide stehend mit vor- 
gestrecktem rechten Fuß, beide rechte Hand am Gürtel, beide kleinen Pelzbesatz am Saum 
des Gewandes, beide kleines Schwert am Gürtel usw. Dieser Meister der Spielkarten wird 
aber von Lehrs „gegen das Ende der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts“ angesetzt. 

Noch etwas später fällt die Datierung, die GeiBberg nach brieflicher Mitteilung mir vor- 
schlägt. Er schreibt, ,die Figuren haben in ihren Bewegungen auffallende Verwandtschaft 
mit den Stichen der mittleren Zeit des Meisters E. S., in dem sprungartigen Schreiten, 
dem Falten wurf, Akt usw.“ Er verweist alsdann auf Stiche der mittleren Zeit des Meisters 
bis etwa 1450 spätestens. „Ich könnte mir denken, daB ein Graveur, der viel nach E. S. 
gezeichnet hat, so arbeiten würde, auch ohne unmittelbare Vorlagen.“ 

Endlich ist die Baugeschichte der Kapelle selber von großer Bedeutung für die Da- 
tierung der Tumba Friedrichs des Streitbaren. Dehio gibt im Handbuch (2. Auflage) an, 
sie sei etwa in den Jahren 1420—30 erbaut. Gurlitt dagegen schreibt im amtlichen In- 
ventar, daB sie nicht vor 1445 zum Abschluß gebracht worden sei. Ich entnehme diese 
Angabe dem gütigst übersandten Korrekturbogen des noch nicht erschienenen Bandes 
über den MeiBner Dom. Danach ist es also wahrscheinlich, daB die Tumba erst nach 
1445 in Auftrag gegeben sei; wir werden demnach auch von seiten der Baugeschichte auf 
die Mitte des 15. Jahrhunderts geführt. 


267 


„Metallne Grabplatten in Sachsen... .“, Halle 1912, und von Felix Dettloff „Der 
Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab“, Posen 1915, haben dargetan, daß die beiden 
Posener Platten auf das bekannte hollündische Muster zurückgehen, welches m 
Deutschland z. B. durch die Bülow-Doppelplatte des Schweriner Doms vertreten. 
ist. Man gewinnt etwa folgende Entwicklungsreihe: Bülow-Schwerin (der eine 
1314, der andere 1375 gestorben), Wicbold-Altenberg bei Kóln (f 1398), Andreas- 
Posen (f 1479), Lukas von Gorka-Posen (f 1475), Uriel von Gorka-Posen (f 1498), 
Friedrich Kasimir-Krakau (f 1503). Dieser Entwicklungsreihe nähern sich zwei 
weitere Platten, die ihrerseits Glieder eines anderen Zusammenhangs sind, nümlich 
Joh. Roth-Breslau (+ 1496) und ganz von ferne endlich auch die Grabtafel Kmitas 
in Krakau von etwa 1515. Die drei letzten sind abgebildet bei Daun (S. 16, тї 
und 20; vgl. zur ganzen Frage auch meine Besprechung des Dettloffschen Buches, 
M. f. K. 1917, S. 332) ). | 


| XVII. Otto IV. in Rómhild. 


34. Die Statue dieses Ritters bildet innerhalb der Vischerschen Kunst einen 
Typus für sich, insofern als sie als Freifigur gearbeitet und trotzdem eng an die 
Wand gerückt ist, wo sie von einem Rahmen der üblichen Art umschlossen wird. 
Bergau gibt richtig an, daß Sie nach dem Vorbild älterer Ritterfiguren desselben 
. Geschlechts in derselben Kirche gearbeitet ist. Diese sind jedoch aus Stein! Man 
erkennt also deutlich, daB Vischer hier ein Vorbild zugewiesen war.— Eine Eigen- 
tümlichkeit Vischers ist dagegen die Anbringung der Wappen neben dem Schrift- 
rand, wie er es bereits bei der Liegefigur des Kurfürsten Ernst in Meißen geübt 
hatte, und wie es später sein gleichnamiger Sohn auf dem Epitaph Friedrichs des 
Weisen in Wittenberg wiederholt, vgl. hier S. 265 unten. 


XVIII. Das Urbild des Sebaldusgrabes. 


35. Im Juniheft dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann die Zerstórung der püpst- 
lichen Grabdenkmáler in Avignon ausführlich und lehrreich behandelt. Dabei ist 
auch ein neues Licht auf die Geschichte des Sebaldusgrabes gefallen, denn man 
erkennt einwandfrei, daB in mehreren der dortigen Grüber, vor allem in dem des 
Papstes Innocenz VL, der Typus des Nürnberger Sebaldusgrabes, das bisher vüllig 


isoliert dastand, vorgebildet sei. Ich komme demnüchst unter Vorführung von Ab- 
bildungen darauf zurück. 


XIX. Eine weitere Dürerbenutzung. 


36. Zu dem umfangreichen Kapitel der Dürerbenutzungen ist noch folgendes 
rasch nachzutragen: Auf der Grabplatte für Kerkering in der Lübecker Marien- 
kirche stehen oben auf den Kapitälen zwei trompetenblasende Knaben, welche 
Genien des Ruhmes anzusprechen sind, „fama tuba dante sonum“. Diese Putten 
sind stark durch den Dürerschen Kupferstich „Drei Genien mit Helm und Schild“ 
(B. 66) um 1507 beeinflußt. (Abb. z.B. in Klassiker der Kunst IV, 120.) Die Über- 
einstimmung geht am weitesten auf dem rechten Knaben der Erzplatte und dem 
linken des Kupferstichs. Für den anderen Knaben konnte das Dürersche Vorbild 
weniger in Betracht kommen, weil der kleine Genius dort in Rückansicht gegeben ist. 
(1) Die seitlichen Nischenfiguren der Breslauer Roth-Platte sind durch bestimmte Tat- 
sachen im Leben des Bischofs veranlaßt, vgl. Joseph Jungnitz, in Schlesiens Vorzeit 
{Jahrbuch des Schles. Museums) 1907, 83íf., ferner Alex. Mayer im Münchner Jahrbuch 
1913, 271 ff., der den Einfluß des Meisters E. S. auf diese Figuren schlagend nachweist. — 
Über Kramer vgl. meine Besprechung im laufenden Jahrgang dieser Zeitschrift. 


268 


DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA 
VON P. P. RUBENS IN LILLE | 


Mit drei Abbildungen auf drei Tafeln Von ADOLF FEULNER 


€90906000009000900909600000000600009000060000000060660€9600600900000000090000606060606000000000000*0000€09600090948090000000900000090009000000080000 


ax Rooses hat in seinem Monumentalwerk L'oeuvre de Rubens!) das Altar- 
blatt beschrieben, wobei er sich hauptsüchlich an den schlechten Stich von 
Willem de Leeuw als Vorlage gehalten hat. Den künstlerischen Wert des Bildes 
zu beurteilen, erklärte er für unmöglich, da die Aufstellung im nördlichen Seiten- 
schiff der Liller Katharinenkirche, über der Türe zu einer Seitenkapelle, das Ori- 
ginal fast unsichtbar machte. Darüber gleitet er mit dem kurzen, apodiktischen 
Urteil hinweg, das auch zu sehr von der Qualität des Stiches diktiert zu sein scheint: 
La composition est un peu embrouillée et n'a rien de saisissant. Seitdem ist das 
Gemälde für die Wissenschaft so gut wie verschollen gewesen. E. Michel?) hat 
es wenigstens noch kurz erwühnt; sonst hat man es vergessen. In dem von Rosen- 
berg bearbeiteten Band der Klassiker der Kunst, auch in der französischen Über- 
setzung, sucht man es vergebens. In dem kritischen Katalog bei Wurzbach’) ist 
es nicht einmal mit dem stereotypen Vermerk „nicht von Rubens“, mit dem auch 
gute Werkstattbilder ausgezeichnet werden, zitiert. Nur die populäre Rubens- 
biographie von Verhaeren bringt eine Abbildung, die schóne Zeichnung zur Haupt- 
figur in der Albertina, allerdings mit einer zu allgemeinen Unterschrift. Daß es 
eine Studie zu dem Liller Bild ist, war Verhaeren nicht bekannt. Früher war 
das Urteil anders. Im 18. Jahrhundert war das Altarblatt eine berühmte Zierde 
der Stadt Lille. Im Guide des étrangers à Lille von 1772*) wird es mit Auszeich- 
nung genannt, und Deschamps 5) in seiner malerischen Reise durch Flandern widmet 
ihm folgende lobende Beschreibung: Le plus beau Tableau est placé au maitre- 
Autel; il est représenté le Martyre de Sainte Cathérine, au moment que le Bourreau 
va laie trancher la Téte: il est peint par Rubens. C'est une composition riche. 
La sainte est d'une grande beauté; d'autres Tétes sont aussi jolies; le Grand-Prétre 
au devant est d'un grand caractére et bien drapé: en bas est un Agneau et un 
petit Chien. Le Bourreau est sans action et ses jambes sont d'un dessein maniéré: 
` mais tout est bien peint, bien colorié et d'un grand effet. Ce Tableau est don fait 
à cette Eglise par Messire Jean de Seur et sa femme Marie Patye: on le lit sur 
leur Epitaphe placé à la droite, contre le pilier qui conduit à la Sacristie. 

Bei den Bergungsarbeiten vor der Apriloffensive dieses Jahres wurde auch das 
groBe Altarblatt gesichert und dann in einer gut belichteten Seitenkapelle der Kirche 
ausgestellt. Jetzt erst kam es zur vollen Wirkung, mit seinen Vorzügen und 
mit seinen Schwächen: ein ausgezeichnetes Werk der Rubenswerkstütte, von 
Rubens entworfen und nach der Untermalung durch Schülerhand übergangen; von 
besonderem Interesse auch deswegen, weil die Korrekturen und Ergünzungen des 
Meisters an manchen Stellen deutlich sichtbar geblieben sind. Die Abbildung, die 


(1) M. Rooses, l'oeuvre de Rubens II. Anvers 1888, S. 235. Ebenda abgebildet der Stich von Leeuw, 
bez. P, P. Rub inv. und WDL f. 

(2) Em. Michel. Rubens, sa vie, son oeuvre et son temps, Paris 1900. 

(3) A. Wurzbach, Niederländisches Künstlerlexikon. Wien 1910. 

(4) Guide des etrangers à Lille. Lille 1772, S.85. | 

(s) J. B. Deschampa, Voyage pittoresque de la Flandre et du Brabant. Amsterdam 1772, S. 7. 


269 


wir hier bringen, die erste brauchbare Photographie, die vom Bilde gemacht wurde, 
gibt für die folgende Beschreibung die Unterlagen. 

Dargestellt ist das Martyrium der hL Katharina. Es sind drei Figuren, die auf 
dem Bilde mit Gebürden sprechen. Der heidnische Priester, eine schwere, massige, 
prunkvolle Gestalt, in heller, gelblicher Tunika mit blauen Schatten, goldgesticktem 
Rock mit roter Zeichnung, scharlachrotem Überwurf und graugestreiftem, weifiem 
Kopftuch. Mühsam mit der rechten Hand sich auf das Knie stützend, steigt er 
die Stufen hinauf und deutet mit eindringlicher Gebürde noch einmal auffordernd 
zum Standbild des schónen Gótterjiinglings Apoll, das im Hintergrund vor einem 
Rundtempel steht. Weiter oben die Heilige, die auf einem Kissen kniet, in reicher 
Tracht, im weinroten Gewand mit hellen Lichtern, dunkelkarminroten Schatten; 
über die sattgrünen Armel ist ein helles, gestreiftes Schultertuch gelegt. Gebeugt, 
fast gebrochen kniet sie da, das marmorbleiche, vergeistigte, hoheitsvolle Gesicht 
mit dem leisen Zug der Kälte, der Verachtung auf den blutleeren, bldulichen Lippen 
vom Gótzen weg auf den Beschauer gerichtet, mit entblóBtem Hals, gefesselten 
Hünden. Und oben auf den Stufen, vom Rücken gesehen, der Henker, ein Kerl 
wie ein Stier, mit zottiger, rotbrauner Máhne, struppigem Bart, kurzem Hals, Bergen 
von Muskeln. Der dunkle, gelbliche Kúrper ist in ein stahlblaues Tuch gehiillt, 
das über die Lenden und die linke Schulter geschlungen ist. Mit gespreizten 
FüBen steht er roh da, zu theatralisch, manieriert, greift schon ungeduldig nach 
dem entblößten Nacken der Heiligen und drängt die Gefährtinnen und Dienerinnen 
zurück, die jammernd die Herrin umgeben. Die eine, ein junges Mädchen mit röt- 
lichblondem Haar, vollem Gesicht, dessen obere Hälfte im Halbschatten ungemein 
weich hingesetzt ist, zieht das Brusttuch vom Hals zurück. Die andere mit regel- 
mäßigen Zügen von südlichem Schlag hebt die Last der Haare zur Seite. Die 
dritte, die vor der Herrin kniet, die blonde Flümin, die auf so vielen Gemälden 
Rubens erscheint, mit dunkelblauen Armeln, dunklem, olivgrünem Rock, ist damit 
beschüftigt, um die Augen der Mürtyrerin eine Binde zu legen. Die Nebenfiguren 
sind an der Handlung wenig beteiligt. Eine alte Dienerin, die Züge zu einer 
trauernden Grimasse verzogen, blickt von rückwärts herein. Links, neben dem 
Priester, stehen zwei Kriegsknechte, und rechts, im Hintergrunde, sind einige 
Zuschauer sichtbar. Vorne auf den hellen, grauen Stufen neben dem Opferbecken 
ein Widder, das Beil im Nacken, und das Beil eines Liktors. Ein Bologneser 
Hündchen springt tünzelnd zur Herrin empor. Inhaltlich bedeutsam sind wieder 
die Engel, die auf hellgrauen Wolken vor dem azurblauen Himmel schweben. Mit 
echt barocker Dramatik ist der Hóhepunkt der Handlung gegeben. Zum letzten 
Male fordert der Priester die Heilige auf, Apollo zu opfern, vergeblich reden die 
Gespielen, mit Trünen in den Augen, ihr zu, sie wendet ihr Angesicht vom Gótzen 
ab, und zum Zeichen, daB der Kampf in ihrem Innern entschieden ist, erscheinen 
die Engel mit dem Zeichen des siegreichen Martyriums. Der eine mit dem Kranz 
von weiBen und roten Rosen und der Siegespalme, der andere streut Rosen herab, 
wobei ihn ein Putto unterstützt. 

Der Dramatik des Inhaltes entspricht die dramatische Zuspitzung der Form. 
Das Bild lebt in Kontrasten. Die strenge Anmut der Heiligen wird gesteigert 
durch die massigen Gestalten von Priester und Henker; die lebensvollen, bewegten 
Gesichter der Gespielen sind um die Herrin wie zu einem Kranz zusammengeballt, 
der die marmorkalte Erhabenheit ihres Ausdrucks hervorhebt. Das kleine Bolo- 
gneser Hündchen, das bettelnd lustig zur Herrin emporspringt, wird auf den pompósen, 
höfischen Szenen des Medicizyklus oder auf dem sinnlich - schwülen Münchener 


270 


Susannabild als sachgemäßes Beiwerk empfunden; in diese Mürtyrerszene bringt es 
einen Zug von weltlicher Stimmung, der im bewuBten Gegensatz steht zum Ernst 
des Inhaltes. In Kontrasten lebt auch die Farbe. Das dunkle, beunruhigende 
Weinrot mit den warmen, kaminroten Reflexen und den dunklen Schatten im 
seidenglänzenden Kleid der Heiligen wird durch die Komplementärfarbe, das kalte, 
durch leichte Orangelichter angeglichene Grün im Armel, zu ungemeiner Leucht- 
kraft getrieben. Diese Leuchtkraft wird noch gesteigert durch das grünliche Stahl- 
blau im Lendentuch des Henkers, das wieder mit dem dunklen Gelb des Inkarnats 
sich zu einem vollen Akkord zusammenschlieBt, und durch das warme, dunkle 
Blau im Armel der Dienerin, das neben dem rótlichen Blond der Haare und des 
Inkarnates steht. Die Mittelgruppe ist so farbig zur intensivsten Wirkung gebracht. 
W/as sie an sich an Unruhe noch haben mochte, das wird durch eine weitere, 
kontrastvolle Harmonie im Vordergrunde ausgeglichen, die das Auge zuniichst auf 
sich zieht. Der scharlachrote Überwurf des Priesters hebt sich vom Weiß des 
Kopftuches und dem weiBlichen Gelb des Obergewandes leuchtend ab; das Gelb 
und Rot im Brokat der Tunika treten dazu. Diese flammende Note im Vorder- 
grund bringt Ruhe in das Bild. Mit hellen, kontrastvollen Akkorden in warmen 
Farben, wie mit Fanfarentónen, hebt so die farbige Harmonie im Vordergrunde 
an; sie steigt aufwürts, findet den Ausgleich in der ruhigeren Hauptgruppe 
und klingt aus auf der obersten Stufe in den kalten Farben des Henkers, der 
aber durch die Form, die übertriebene Modellierung des Aktes, am stürksten hervor- 
tritt Der figurale und der farbige Aufbau ergünzen sich. Die Komposition zeugt 
von tiefer Überlegung, von starker Berechnung. Ein Faktor bedingt den andern. 
Man spürt die Überlegenheit des Meisters, wenn auch die Ausführung zum größten 
Teil Schülerhünden überlassen blieb. | 


Die weitgehende Mitarbeit von Schülerhand wird durch zwei Beobachtungen 
deutlich. Durch eine Reihe von schwüchlichen Stellen, verwaschenen Partien von 
mehr ängstlicher Pinselführung, die mit Rubens Meisterhand nichts zu tun haben 
können. Dann durch die Korrekturen, die von überlegener Hand nachträglich 
ausgeführt wurden, und zwar so, daB die alte Fassung für den Beschauer, der 
das Bild aus unmittelbarer Nšhe untersuchen kann, noch sichtbar geblieben ist. 
Gerade diese Reuezüge, oder richtiger gesagt Korrekturen, kinnen als Beweis da- 
für gelten, daß Rubens nicht nur den Entwurf geliefert hat, sondern daß er 
auch an der Ausführung Anteil genommen hat. Bei den Puttenköpfchen in der 
Engelgruppe mit der verblasenen, bläulichen Modellierung, bei der langweiligen 
Gruppe der Zuschauer im Hintergrund mit der schwüchlichen Farben- und Formen- 
gebung hat er sicher keinen Pinselstrich gemalt. Die alte Dienerin zwischen den 
beiden Mádchen mit dem karikierten, gepreBten, kummervollen Ausdruck erscheint 
wie eine nachträgliche Einfügung von Schülerhand, die der Komposition größere 
Geschlossenheit verleihen mußte. Für die ganze Hauptgruppe hat ursprünglich 
wohl ein farbiger Entwurf von Rubens vorgelegen. Eine Detailzeichnung für die 
Hauptfigur, die beweist, daß diese Gestalt Rubens intensiv beschäftigt hat, ist in 
der Albertina in Wien!) Die Haltung des Körpers mit den gebundenen Händen, 
die Wendung des Kopfes, das verkürzte Antlitz der Heiligen entspricht genau der 
Wiedergabe auf dem ausgeführten Altarblatt. Aber ein Unterschied besteht. Die 


(1) Veröffentlicht in Schónbrunner-Meder: Handzeichnungen alter Meister aus der Albertina und 
anderen Sammlungen. Wien 1896, I, 19 und darnach bei Verhaeren Abb. 87, als Studie einer Ge- 
fesselten, ohne nähere Bestimmung, 


271 


Ziige sind viel ausdrucksvoller, geistvoller, lebendiger. Die Augen sind nach oben 
gerichtet, zur Engelgruppe, während sie auf dem Gemälde den Beschauer an- 
blicken, wodurch die inhaltliche Geschlossenheit gestórt wird. Der Mund ist ge- 
schlossen, die Verkürzung der Wangen kommt viel besser zum Ausdruck. Die 
Zeichnung wurde also von Schülerhand in das Große übertragen und untermalt, 
und dabei ist in der Qualitát manches verloren gegangen. In der Ausführung scheint 
die Hauptfigur zum Teil eigenhündig, wenigstens in der Epidermis der Farbe. 
Der Auftrag des weiBlichgelben Inkarnats mit den bláulichen Schatten in der linken 
Wange und am Hals, den bláulichen Lippen, den kühnen, pastosen Zinnober- 
reflexen am Ohr und an der Nase ist sorgfältig und doch großzügig. Das Gesicht 
war ursprünglich ein wenig breiter, die linke Kontur wurde nachtrüglich zurück- 
gesetzt. Das Schultertuch ist ganz pastos mit wenigen Strichen aufgetragen; sehr 
weich gemalt ist die Hand der Geführtin, die auf der Schulter ruht. 

Ganz deutlich sind die Korrekturen von Rubens eigener Hand in der Figur des 
Henkers. Die linke Schulter war früher tiefer. Die alten Konturen sind noch gut 
sichtbar. Der Schulteransatz ist mit einigen Strichen pastoser Lasur, unter denen 
das Blau des Himmels noch durchscheint, vergróBert, der Bausch des Tuches ist 
verstärkt. Der Oberarm war länger. Am Beginn des Ellenbogens ist ein ganzes 
Stück eingeschoben; früher ragte die obere Kontur der Muskeln wenig über die 
Schulter des stehenden Mädchens empor. Jetzt erscheint der Arm mehr verkürzt; 
früher griff er weiter herab, die Funktionen waren weniger deutlich; die Hand ist 
erst nachtrüglich sichtbar geworden. 

Weitere Korrekturen sind am rechten Arm des Priesters gut erkennbar. Das 
pastose Weiß des Lichtes ist mit dem schwärzlichen Grau des Schattens nach- 
träglich aufgetragen, und zwar so, daß unter den schummerigen Strichen des Pinsels 
am Rande das Blau am Armel des knienden Müdchens sichtbar geblieben ist. Es 
sind schnelle Züge einer routinierten Hand, die sich der Wirkung jedes Striches 
bewuBt ist. Noch deutlicher ist eine dritte Korrektur. Der Kopf des Bologneser- 
Hündchens war früher mehr nach links gedreht. Das Hiindchen blickte zur Herrin 
empor. Die alten Umrisse sind durch das helle Grau der Stufen nur oberfláchlich 
verdeckt. Vielleicht war die Verkürzung zu unschón, nachtrüglich wurde das 
Köpfchen nach rechts verschoben. Jetzt bellt das Hündchen zum Henker hinauf. 
Wieder erscheint die gleiche schnelle, pastose Modellierung in WeiB und Schwarz 
mit etwas Gelb; die Farben sind ineinander mit ungemein sicherer Hand ver- 
arbeitet, mehr fertig gezeichnet. Weitere, weniger auffallende Beobachtungen 
lassen sich bei genauer Betrachtung des Bildes in unmittelbarer Nšhe noch mehr 
machen. Aus alledem geht mit Sicherheit hervor, daß Rubens selbst die Haupt- 
figuren, den Priester und die Heilige, in einzelnen Teilen übergangen hat. Auch 
am Kopf der knieenden Flamin und des stehenden Mädchens rechts neben der 
Heiligen, bei dem die dunkle Kontur des Gesichtes nachträglich verstärkt zu sein 
scheint, am Kopf und an der Schulter des Henkers, am vorderen Engel sowie an 
Teilen des Nebenwerkes, wie am Hündchen sind die Verbesserungen sichtbar. 
Dagegen scheinen der dunkle Kopf der links stehenden Gefährtin, mit der etwas 
schematischen Zeichnung des Gesichtes, den geraden bláulichen Schatten um die 
Nase, sowie die Figur des Henkers mit der etwas unfreien, übertriebenen Model- 
lierung, an der nachtrüglich die Verzeichnungen durch Rubens geändert werden 
muBten, in der Ausführung von Schülerhand fast ganz stehen geblieben zu sein. 
An den Figuren des Hintergrundes, der Architektur, den Putten sind nicht einmal 
Anderungen angebracht. Eines scheint demnach sicher: das Altarblatt darf nicht unter 


272 


die Werkstattarbeiten schlechthin gerechnet werden, es ist ein wertvolles und zum 
Teil eigenhándiges Bild, ein gutes Beispiel aus der Blütezeit, der zweiten Periode, 
die die schünsten Altarblütter gebracht hat. 

Die Datierung des Bildes ergibt sich aus direkten Quellen, wie aus dem Stil 
der Komposition. Die einzige Nachricht bietet der schon bei Deschamps erwühnte 
Grabstein in der Kirche St. Cathérine. Der Stein ist wahrscheinlich unter der 
neueren Vertüfelung im Chor erhalten; eine Abschrift der Inschrift ist an einem 
Pfeiler links vor dem Chor angebracht. Sie lautet: Cy devant reposent noble 
homme Jean de Seur conseiller de Leurs Altézes Sérénissimes Albert Archiduc 
d'Austriche etc. et Isabella Infante des Espaignes et commis ordinaire de leurs 
finances et dame Marie de Patyn sa femme, lesquels ont fondez l'office de l'Ange 
gardien qui se célébre en cette eglise le premier mercredy d'Octobre et ont donné 
aussy la table d'autel et peinture de St. Cathérine au choeur de cette église. Ledit 
Sr. décéda le 2 juin 1621 et laditte dame le 25 de janvier 1668. Die Rechnungs- 
kammer in Lille war eine wichtige Finanzbehürde im habsburgischen Flandern, 
und ein Rechnungsrat bei Erzherzog Albert und Isabella war eine bedeutende 
Persönlichkeit. Es ist klar, daB so ein einflufreicher Hofbeamter bei einer der- 
artigen Stiftung sich an den berühmtesten unter den Malern seines Landes wandte. 
Aus der Grabschrift geht nur hervor, daß der 1621 verstorbene Hofrat mit seiner 
Frau das Hochaltarblatt der Kirche geschenkt hat. Ob die Stiftung erst im Testa- 
ment enthalten war, oder ob das Bild schon vorher entstanden ist, wird nicht an- 
gegeben. Aber das Datum 1621 ist doch wichtig. Es bezeichnet den ungeführen 
Zeitpunkt der Entstehung; denn in die gleiche Zeit weisen auch die stilistischen 
Eigentümlichkeiten. 

Die ganze Bildfläche ist angefüllt mit wenigen, mächtigen Gestalten, die auf 
einem kleinen Raum zusammengedrüngt sind. Die Gruppen sind aufgebaut in 
einem Zuge, der von links vorne in diagonaler Richtung nach rechts bildeinwárts 
läuft; aber der räumliche Aufbau ist von mehr nebensächlicher Bedeutung. Die 
rdumliche Tiefenwirkung ist nicht so ausschlaggebénd wie die Gruppicrung der 
pathetischen Figuren, die in kontrastvollen Gegenbewegungen einander gegenüber- 
gestellt sind. Die rhetorische Bewegung des Priesters, die drastische Pose des 
Henkers und die Wendung des Körpers der Heiligen ergänzen sich. Der Stufen- 
aufbau, der die Gestalten in rüumliche Zonen trennt, ist für die Gruppierung mit 
großem Geschick ausgenützt, spricht aber für die räumliche Wirkung nicht mit 
der Kraft mit, wie auf Gemälden der späten zwanziger Jahre. Auf solchen, wie 
der Anbetung Mariens durch Heilige von 1628 in der Augustinerkirche zu Ant- 
werpen kommt viel mehr der einheitliche Zug zur Wirkung, der Vordergrund und 
Mittelgrund verbindet; die Komposition ist lockerer, weniger kontrastvoll, aber viel 
lebendiger. Auf der Enthauptung der hl Katharina ist das räumliche Gerüst nicht 
recht klar entwickelt, das Podium, auf dem sich die Szene abspielt, ist nicht recht 
. Zu übersehen, der Standort der Figuren ist nicht deutlich zu überblicken; die Halb- 
figuren und die Kópfe der Zuschauer im Hintergrund dienen mehr zur Füllung der 
Fläche. Diese verkleinerten Zuschauer sind unvermittelt eingesetzt, wie die Köpfe 
im Hintergrund des coup de lance in Antwerpen von 1620. Es sind die stilisti- 
schen Eigentümlichkeiten der sogenannten zweiten Periode in Rubens Schaffen, 
die hier sichtbar werden, der Periode, die im Altarblatt die Anregungen rómischer 
Barockmalerei zu einer neuen Blüte im flämischen Geiste bringt. Der kompositio- 
nelle Zusammenhang mit Hauptwerken dieser Zeit, mit dem wunderbaren Fisch- 
fang in Mecheln (1619), der Kommunion des hl Franziskus in Antwerpen (1619), 


273 


dem coup de lance ist ohne weiteres zu erkennen. Mit dem Triptychon in Mecheln 
hat die Enthauptung der hl. Katharina noch einige Eigentümlichkeiten gemeinsam. 
Der Kontrastfigur des Fischers im Vordergrunde, die mit den stark hervortretenden 
roten. Farben die Unruhe der übrigen Komposition meistert, kann man vergleichen 
mit der Figur des Priesters. Der zerzauste, struppige Kopf des Henkers ist fast 
eine Wiederholung des Apostels mit der Fischermütze, der Randfigur auf dem 
linken Flügel des Altarblattes. Wie die Hauptfigur von den Nebenfiguren eingefaBt 
wird, der Stufenaufbau, sogar die Haltung der Heiligen läßt sich vergleichen mit 
der Kommunion des hl. Franziskus. Noch ähnlicher ist ein bedeutendes Werk 
der Rubenswerkstätte, der ehemalige Altar im nahen St. Amand, das Martyrium des 
hl. Stephan in Valenciennes, das in die Zeit um 1623 zu setzen ist ). (Tafel 64.) Der 
diagonale Zug der Gruppe, der Stufenaufbau hier mit Terrainschichten, die Haltung 
des hl. Stephan mit dem verkürzten Antlitz, selbst Nebensüchlichkeiten wie die 
Köpfe der Zuschauer im Hintergrunde, der Rundtempel, die Engelgruppe, sind auf 
dem Mittelbild des Dreiflügelaltars ähnlich, alle Elemente der Komposition sind 
vorhanden. Nur zeigt die Ausführung noch mehr die Schülerhand als das Liller 
Bild, das nur in der warmen, auf Kontrasten aufgebauten Farbengebung, durch den 
lockeren Farbenauftrag etwas fortgeschrittener erscheint, das aber durch die pla- 
stische Formung sich noch ebenso stark entfernt von der flüssigeren Modellierung 
der späten zwanziger Jahre. Wir dürfen also das Jahr 1621 als das ungefähre 
Datum der Entstehung annehmen. | 


Uber die Geschichte des Gemäldes ist wenig anzufügen. Es wurde als Hoch- 
altarblatt für die Katharinenkirche in Lille gemalt, in der es sich jetzt noch be- 
findet. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde es vorübergehend aus der 
Kirche entfernt und mit dem ganzen Vorrat von Bildern aus den Kirchen und den 
Hüusern der Emigranten, dem Grundstock des künftigen Liller Museums, im Kloster 
der Récollets in Lille aufgestellt. In dem Verzeichnis, das der Liller Maler Louis 
Watteau 1795 auf Befehl der Administration von dem ganzen Magazin zusammen- 
stellen mußte, hat es die Nummer 3282): Le martyr de Sainte Catherine, des 
femmes cherchent à la conserver et un grand prétre l'invite à sacrifier à Apollon, 
le boureau se dispose à lui couper la tete, le fond est une gloire; par P. P. Rubens. 
Ce tableau a été rentoilé et agrandi au bas d'environ six pouces, il.a été repeint 
à la figure d'Appollon, au reste le tableau est intact et en bon état. Haut de 
II pieds 3 pouces, large de 7 pieds 6 pouces. (= 3,64: 2,43 m). Die Angaben sind 
wichtig. Demnach hat schon vor der Revolution eine Rentoilierung und Restau- 
rierung stattgefunden. Die Maße stimmen mit den heutigen überein. Früher war 
das Bild breiter. An der rechten Seite fehlt ein Stück, das auf dem Stich von 
Leeuw noch zu sehen ist. Neben der Figur der Frau im Hintergrund erscheint 
noch der Kopf eines weiteren Zuschauers und die Halbfigur eines bürtigen Mannes; 
auch das Ende des Podestes und ein Stück des Terrains, hinter dem die Zuschauer 
stehen, ist sichtbar. Das Stück wurde also schon vor der Revolution abgenommen. 
Im Kloster der Récollets blieb das Bild nicht lange. Man verstand es Napoleon 
auf einer Durchreise durch Lille für die Sache zu interessieren, der bestimmte, 
daB das Bild auf dem Hochaltar wieder aufgestellt werden künne. 1804 wurde es 


(1) Rooses II, S. 248. — Katl. des Bergungsmuseums Valenciennes N. 311. Bestellt von Abt Dubois 
(1621—73), dem Erbauer der Klosterkirche. 1623 war Rubens als Gast des Abtes in St. Amand. Die 
Jahreszahl darf mit der Entstehungszeit des Altares in Zusammenhang gebracht werden. 

(2) Jules Houdoy, Etudes artistiques. Paris 1877, S. 85. 


274 


der Kirche anvertraut (confié), nicht zurückgegeben; das offizielle Eigentumsrecht 
des Museums wollte man also bestehen lassen. Im Chor der gotischen Kirche, die 
man 1727 barock stilisiert hatte, waren die Fenster des Chorschlusses zugesetzt. 
Das Licht konnte von den Seitenfenstern im Chorschlusse herein. Als nun 1893 
die Kirche ihre neugotische Ausstattung erhielt, wurden auch die zugesetzten 
Fenster frei gemacht. Der Hochaltar kam dadurch direkt vor die Lichtquelle zu 
stehen und das Altarblatt wurde unsichtbar. Man muBte ihm einen neuen Platz 
geben; aber auch an seinem jetzigen Aufstellungsort leidet es sehr unter der 
schlechten Beleuchtung. 1893 wurde das Gemälde auch ausgebessert und mit 
einer neuen Leinwand unterspannt; eine Rentoilierung, eine Übertragung der Farbe 
fand nicht statt. 

Im allgemeinen ist das Bild nicht sehr gut erhalten. Von neueren Über- 
malungen ist es zwar ziemlich verschont geblieben; nur am Apollo, an den Putten 
der Engelgruppe, an den Zuschauern und am Beiwerk sind deutliche Spuren 
spáterer Restaurierung. Aber ein Umstand ist ungünstig. Die alte Leinwand ist 
aus Stücken zusammengesetzt, die auseinanderspringen. Solche Náhte laufen durch 
an der Schulter des Apollo, längs herab bis zur Stufe, auf der der Widder liegt, 
dann rechts vom Henker über den Kopf der Zuschauerin hinweg. Quer durch 
an der ersten Stufe über die Nase des Widders und an der zweiten Stufe über 
den Augen des Widders. Auf unserer Abbildung sind sie gut zu erkennen. An 
diesen Nähten klafft die Leinwand auseinander, die Farbe fällt in kleinen Stücken 
ab. Eine gründliche, sorgfältige Restaurierung ist dringende Notwendigkeit ge- 
worden. 


275 


NOCH EINMAL: KAREL VAN MANDERS 
HAARLEMER AKADEMIE von ALBERT DRESDNER 


€9909090000000000000000000000000000000000000000000450000000000000000000000000900000000000000000400000000000004500000000000000000 


it Studien über die Entstehungsgeschichte der Kunstakademien beschüftigt, 
habe ich Otto Hirschmanns Aufsatz über Karel van Manders Haarlemer 
Akademie im 8. Hefte dieser Zeitschrift mit besonderem Interesse gelesen. 

Die folgenden Hinweise dürften geeignet sein, zum Verstándnisse der von Hirsch- 
maun besprochenen Stelle in van Manders Biographie und damit auch zur rich- 
tigen Beurteilung des Charakters dieser „Akademie“ beizutragen. 

Das Wort „Akademie“ wird in der italienischen Kunstliteratur in einem drei- 
fachen Sinne gebraucht. 

I. Bedeutet es eine moderne Hochschule der Kunst, wie sie die seit der Renais- 
sance entstandene neue Künstlergesinnung forderte, um den Kunstunterricht dem 
handwerklichen Betriebe zu entziehen und zugleich dem Künstlerstande eine seinem 
erhóhten Selbstgefühle angepaBte neue soziale Vertretung zu geben. 

Nur in diesem Sinne hat sich das Wort bis heute erhalten, da es an den seit 
dem 16. Jahrhundert entstandenen Kunstakademien haften und unzertrennlich mit 
ihnen verknüpft blieb. | 

2. In Italien hat man aber noch lange, nachdem schon Kunstakademien in unserm 
Sinne ins Leben getreten waren, unter ,accademia“ auch jede Vereinigung von 
Künstlern und jede Veranstaltung verstanden, die dem gemeinsamen Modellstudium 
galten. So erzählt Baldinucci (Ausg. der Class. ital. 12, 279) in der Vita des 
Guercino: aperse un' accademia a posta per diseguare l'ignudo. In einem Briefe 
des Benedetto Luti vom 20. Dez. 1692 (bei Bottari-Ticozzi 2, 77) heiBt es: noi qua 
facciamo 1 accademia nel palazzo e certo mi creda che ne aviamo onore per aver 
buon modello — man bemerke, daß das Renommee einer „accademia“ als von 
ihrem Modelle abhängig dargestellt wird. In diesem Sinne sind denn auch die 
„accademie che per tutta la cittä (Rom) continuamente in pubblico e in privato 
si fanno“ zu verstehen, die Baglione 242 erwähnt: es sind Vereinigungen zum 
Modellstudium teils in geschlossenen Kreisen (in privato), teils Aktkurse gegen 
Honorar unter Leitung eines angesehenen Meisters und vermutlich mit dessen 
Korrektur (in pubblico). Von amtlicher Seite ist in Rom erst unter Benedikt XIII. 
(1740—1758) eine Tageschule für Aktstudium eingerichtet worden (Missirini, Me- 
morie 240); daher war das Bedürfnis nach solchen accademie dort groß. Es be- 
schränkte sich aber nicht auf Rom; von Aniello Falcone berichtet de Dominicis 
(Ausg. Neapel 1844, III, 422): studiava continuamente il naturale, tenendo in casa 
sua l’ accademia del nudo — und diese Ausgabe des gewiegten Fälschers darf man 
wohl getrost verwerten, da sie eine übliche Einrichtung des künstlerischen Lehr- 
ganges im Auge hat!). Die hier angeführten Stellen habe ich meinen Notizen ent- 
nommen; ihre Zahl ließe sich leicht vermehren. Ich verweise noch auf gleich- 
sinnige Äußerungen bei Passeri, Deutsche Ausgabe, S. 188, Baglione 241 und Baldi- 
nucci 12, 107. Wenn Pascoli 3, 531 von Giambattista Soria berichtet: tenne sempre 
aperta publica scuola con ispesse accademie, so hat „accademia“ hier geradezu 
die Bedeutung von „Modellsitzungen“. 


(x) Für Genua s. Soprani, Vite 1,67. 2451 und Staglieno, Mem, e Docum. sull’ Ассай. Ligustica 11 f.; 
für Florenz: Boldinucci 8, 344; Bologna: Zanotti, Storia dell’ Ассай. Clement. di Bologna I, 6 ff.; 
Venedig: Battagia, Delle Accademie di Venezia 87. 


276 


3. Endlich wird das Wort ,,accademia“ auch für die Aktstudie selbst gebraucht, 
wenigstens wendet es de Dominicis häufig in diesem Sinne an. So nennt er 4, 296 
die accademie fatte da lui (Giacomo del Pó) sul naturale bellissime. Ebenso 4, 342; 
452; 453 et passim. _ 

Es erhellt hieraus, daß der Verfasser der von Hirschmann besprochenen Notiz 
das Wort „accademia“, das er ja aus Italien übernahm, in einem dort ganz ge- 
bräuchlichen Sinne angewandt hat, und es liegt kein Grund zu der Annahme vor, 
daß er durch den Gebrauch dieses Wortes die Vereinigung der drei niederländi- 
schen Künstler als etwas besonders Bedeutsames habe kennzeichnen wollen. Der 
damaligen Künstlerwelt klang die Bezeichnung „accademia“ nicht „noch viel ge- 
suchter und gewichtiger“ (Hirschmann, p. 214), sondern es wußten jedenfalls die 
Maler, die in Rom gewesen waren, was es heißen wollte, daß drei Maler „Akademie 
machten“. Es hieß eben nur, daß sie sich zu gemeinsamem Aktstudium zusammen- 
taten, wie das in Rom und anderwärts vielfach geschah. Das Mißverständnis der 
Stelle geht darauf zurück, daß diese Bedeutung des Wortes „accademia“ seither 
abgestorben ist; indem man die „Akademie“ des Karel van Mander im modernen 
Sinne verstand, wurde ihr eine Bedeutung beigelegt, die sie nicht hatte. Hirsch- 
manns Auffassung findet also von dieser Seite ihre volle Bestätigung. 


ж * 
* 


Anhangweise möchte ich daran erinnern, daß van Mander auch die „beinahe 
utopistisch-ideale* Auffassung, wonach es der Kunst unwürdig sei, sich direkt in 
den Dienst des Erwerbs zu stellen, gleichfalls aus Italien mitgebracht hat. Sie ist 
dort auf dem Boden der neuen Künstlergesinnung erwachsen, klingt schon bei 
Cennini (deutsche Ausg. von Ilg, Kap. 2, p. 5) und Ghiberti (Comm. II, c. 18; 
v. Schlosser I, 45) an, und ist dann über Alberti (de pict, ed. Janitschek p.98, 146) 
zu Lionardo zu verfolgen (Buch von d. Malerei, deutsch von Ludwig, p. 19, 20). 
Auch die Stelle іп Lomazzos Traktat I. p. 16, 17 ist hierbei zu beachten. In welcher 
Weise zu van Manders Zeit Guido Reni den grofen Herrn in Geldsachen spielte, 
ist bekannt; man vgl. etwa Baldinucci ro, 326. Ich darf auch auf meine ,,Ent- 
stehung der Kunstkritik“, 2. B. p. 68 und 83, hinweisen. 


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Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 9 10 19 277 


FINDLINGE ZUM THEMA: ,GOETHE UND DIE BILDENDE 
KUNST“ (Schluß.) Von v. CURT HABICHT 


*0900000090900909000900000090:106000 *6090090090009090090909000000090900000000000000000009000000009000090000000000000000000000000000000000000 


2. Goethe und Palladio. 


».. ein Nahme der mich so offt, der ich von jeher ein Todtfeind 
von Wortschillen gewesen bin, so oft geángstigt hat." 


oethes leidenschaftliche Bewunderung Palladios ist bekannt. Zu den zwei 

Menschen, denen er das Beiwort groß unbedingt geben will, gehört Palladio. 
Soll wirklich nur die Anlehnung Palladios an die Antike der Grund für diese 
auDerordentliche Einschátzung sein? Lassen sich aus Goethes eigenen Worten 
keine weiteren und tieferen Ursachen feststellen? Sollte die überquellende Dank- 
barkeit gegen den Künstler nicht doch noch mehr bedeuten als die Freude 
der Bestütigung der eigenen klassizistischen Ideen? Zur Lósung dieser und 
anderer Fragen verlohnt es sich wohl, zunáchst einmal an Goethes eigenen 
Worten festzustellen, was er eigentlich an Palladio bewundert hat, und die. Gründe 
aufzusuchen, warum ihm gerade Palladio so viel gewesen ist. Schließlich wäre 
das Fazit zu ziehen und auszumachen, welche Bedeutung Palladio in Goethes 
künstlerischen Anschauungen, aber auch in seinen dichterischen Schópfungen 
zuerkannt werden darf. 

Schon ein flüchtiger Blick auf die AuBerungen Goethes kann nicht darüber 
täuschen, daB es keineswegs die ausgeführten Bauten Palladios allein gewesen 
sind, die Goethe zu so auffallender und fast einseitiger Bewunderung gezwungen 
haben. Gewiß werden die Werke Palladios gerühmt, Goethe „schwelgt“ in ihnen; 
er nennt die Basilika „еіп herrliches Werk“, die vier Säulen des ,,Palasts des 
Capitan sind unendlich schón", die Carita in Venedig ist ,seines himmlischen 
Genius wert“ usw. Zugleich wird man aber auch erkennen, daß er gerade den 
ausgeführten Bauten gegenüber mit Kritik nicht zurückhält, er hat bei der Be- 
trachtung der Rotonda „eintge untertánige Skrupel“, und sagt es selbst klar und 
deutlich: ,Ich habe an seinen ausgefiihrten Werken, besonders den Kirchen, 
manches tadelnswürdige gesehen. Solche Worte fallen vor den Werken 
Raffaels, den er doch allein neben Palladio stellt, nirgends. Ist es Palladios 
Verhältnis zur Antike, das den Hauptanziehungspunkt gegeben hat? Goethes 
Worte lassen auch hier keinen Zweifel aufkommen. Mit ruhiger Sachlichkeit wird 
die Tatsache: „Palladio war durchaus von der Existenz der Alten durchdrungen.“ 
vermerkt, und obwohl Goethe „die edlen Begriffe“ rühmt, erkennt er in der Gefolg- 
schaft der Antike allein noch kein Verdienst, ja er hält mit einem gewissen 
Tadel angesichts der Verschmelzung klassischer und zeitbedingter Ideen nicht 
zurück: „Ет suchte deshalb seine heiligen Gebäude der alten Tempelform zu 
nühern; daher entstanden gewisse Unschicklichkeiten ...“ Und wenn er spáter 
vermerkt: ,Denn von seiner Mühe, die er sich um die Werke der Alten ge- 
geben, hat man gar keinen Begriff," so erkennt Goethe doch auch klar, wieviel 
Palladio selbst dadurch gewonnen hat. Überschwänglich kann auch das Lob, 
das er Palladio für seine archáologischen Mühen in einem Briefe an C. v. Knebel 
(Rom, 17. November 1786) spendet, keineswegs genannt werden: ,Ich habe den 
Palladio, der zu seiner Zeit noch vieles ganzer sah, maß und mit seinem großen 
Verstand in Zeichnungen herstellte.“ 

Die Lösung des Rätsels bietet die Aufzeichnung im Tagebuch vom Oktober 
1786: „Ich fühle nur auch jetzt, wie weit ich in diesen Kenntnissen zurück bin, 


228 


doch es wird rücken, wenigstens weiß ich den Weg. Palladius hat mir 
ihn auch dazu und zu aller Kunstund Leben geöffnet.“ Goethe fühlt 
es selbst, daß diese Worte erstaunlich klingen und er fügt launig bei: „Es klingt 
das vielleicht ein wenig wunderlich, aber doch nicht so paradox, als wenn Jakob 
Bóhme bey Erblickung einer zinnernen Schüssel über das Universum erleuchtet 
wurde.“ Eine Erklarung der Tatsache bietet er damit nicht, und er verspricht sie 
erst für die Zeit nach seiner Rückkehr. ,Komm ich zurück und du bist mir hold, 
so sollst du auch meine Geheimnisse wissen.“ Es fragt sich für uns, ob wir 
den Schleier von diesem Geheimnis lüften und ob wir ausfindig machen kónnen, 
wodurch Palladio Goethe so unendlich gefördert hat, daß er bekennen konnte, 
dieser habe ihm zu aller Kunst und Leben den Weg geóffnet. Die Ergründung 
dieser Ursachen dürfte sich bei dem erstaunlichen Bekenntnis wohl lohnen. Es 
muß sich aufweisen lassen, daß Goethe durch Palladio eine Erleuchtung und 
Klärung seiner Ansichten erfahren hat, wie sonst kaum je im Leben. Dieser 
Nachweis kann sehr wohl erbracht werden. Was Goethe Palladio vor allem zu 
danken gehabt, welche Erkenntnisse dieser ihm erschlossen, und welchen Weg 
er gewiesen hat, das láBt sich deutlich aus dem Eintrage des Tagebuches vom 
September 1786 feststellen. Er lautet: „Außer einigem Fleiß an der Iphigenie, hab 
ich meine meiste Zeit auf den Palladio gewendet, und kann nicht davon kommen. 
Ein guter Geist trieb mich mit so viel Eifer, das Buch zu suchen das ich schon 
vor vier Jahren von Jagemann wollte verschrieben haben, der aber dafür die 
neueren herausgegebenen Werke kommen ließ. Und doch auch! Was hätten 
sie mich geholfen, wenn ich seine Gebäude nicht gesehen hätte? Ich sah in 
Verona und in Vicenz was ich mit meinen Augen ersehen konnte, in Padua 
fand ich erst das Buch, jetzt studier ich's und es fallen mir wie 
Schuppen von den Augen, der Nebel geht auseinander und ich er- 
kenne die Gegenstände.“ Mit größerer Deutlichkeit kann es kaum gesagt 
werden, daß Goethe vor allem durch die Schriften Palladios zur Klarheit und zur 
Einsicht in Dinge gelangt ist, die er lange vorher und vergeblich gesucht hat. 
Er, den es beunruhigte, nicht auf den Grund zu sehen; den Wortschälle, die 
weiter nichts sind, geradezu üngstigten; der die jedem Genius eigentümliche, fast 
physische Qual vor Unklarheiten besaß, „ег fühlte eine innere Art von Ver, 
Klärung sein selbst, ein Gefühl von freierem Leben, hóherer Existenz, Leichtigkeit 
und Grazie." Diese eine Stelle würde schon genügen, wenigstens den Grund der 
Bewunderung und des tiefen Schuld- und Dankgefühls Palladio gegenüber zu 
erklären. Weitere Äußerungen klären die Frage aber noch wesentlich. Goethe 
berichtet nicht nur eifrig von seinem Studium der Schriften Palladios, er ver- 
giBt auch fast nie, die Wirkung dieser Lektüre zu kennzeichnen. So Oktober 
1786 (Tagebuch): „Nach Tische studirt ich wieder im Palladio, der mich sehr glück- 
lich macht...“ Eine Lektüre trockenster, wissenschaftlichster Art, die „sehr glück- 
lich macht“, muf) doch schon besondere, gesuchte Kenntnisse vermittelt haben. An 
einer anderen Stelle nennt er Palladio nicht ausdrücklich; es kann sich dabei aber 
nur um dessen Schriften handeln. Tagebuch, S. 267: ,,Mit der Baukunst geht es 
täglich besser. Wenn man ins Wasser kommt lernt man schwimmen. Ich habe 
mir nun auch die Ordnungen der Sáulen rational gemacht und kann das Warum 
meist schon angeben. Nun behalt ich auch die Maße und Verhältnisse die mir 
als bloß Gedüchtniswerk immer unbegreiflich und unbehaltbar blieben.“ Ich 
werde auf diese Stelle noch zurückkommen. Wie wohl er sich fühlt, klarer 
zu sehen und im wirklichen Begreifen — natürlich durch Palladios Schriften — 


279 


vorwürtszukommen, lassen die Worte deutlich erkennen. Selbst Palladios Werke 
werden ihm durch die Lektüre der palladianischen Schriften erst recht verstünd- 
lich. Tagebuch, S. 269: ,,Dieses (nümlich wie er gedacht und wie er gearbeitet) wird 
mir immer klárer, je mehr ich seine Werke lese, oder vielmehr sehe wie er 
die Alten behandelt. Denn er macht wenig Worte sie sind aber alle gewichtig ...“ 
Daß es Goethe ernst ist mit diesem Studium, und daß er sich bescheiden als 
Lernender fühlt, drückt der Satz weiter unten an der gleichen Stelle aus: „Ich 
wil das alles noch besser fassen, wenn ich nur erst die untern Klassen durch- 
laufen habe." In Vincenza besucht er sogar den Baumeister und Architektur- 
theoretiker Scamozzi, der des Palladio Gebäude herausgegeben hat, und am 
liebsten hätte er sich von ihm gründlich unterrichten lassen (Tagebuch S. 221). 
Da die Zeit dazu nicht reicht, versenkt er sich ganz in Palladios Schriften. ,Ich 
habe heut nach seinen Wercken gezeichnet und will mir ihn recht herzlich eigen 
machen“ (Tagebuch S. 255). Daß es ihm dabei auch um ein tieferes Ver- 
stindnis der Alten zu tun war, versteht sich von selbst, und wieviel — fast 
alles — er dabei Palladio zu danken gehabt hat, verschweigt er nicht. 

Es sind also die Lehren Palladios, die dieser in seinen Schriften!) niedergelegt 
hat und die Goethe so ungeheuer gefórdert und zu offen bekanntem Danke ver- 
pflichtet haben. Goethe muf danach aber ein ausgesprochenes Bedürfnis nach 
architektonischen Kenntnissen besessen haben und es vorher nicht haben be- 
friedigen kónnen. Es wird sich aus diesen Gründen verlohnen, Goethes Be- 
schüftigung mit Architekturlehren bis zur italienischen Reise nachzugehen und 
zu untersuchen, was Palladio Goethe bieten konnte. | 
In allerfrühester Jugend, nämlich bei dem Umbau des Vaterhauses am Hirsch- 
graben, zu dem der sechsjährige Knabe, als Maurergeselle verkleidet, den Grund- 
stein gelegt hatte, lernt Goethe das Bauhandwerk kennen. Und wenn Goethe 
in Dichtung und Wahrheit auch mehr Nachdruck auf die Schilderung der ,,iiber- 
raschenden und sonderbaren Epoche“ und der kindlichen Spiele und des Treibens 
legt, zu denen die neuen Verhältnisse Anlaß gaben, so darf man doch annehmen, 
daß der geweckte, frühreife Knabe auch damals schon, wenn auch mehr un- 
bewuBt, allerlei Erfahrungen, hauptsáchlich auf technisch-praktischem Gebiete, 
gesammelt hat. Früh duBert sich dann auch schon ein gewisser architektonischer 
Gestaltungstrieb, der für den Genius hóchst bezeichnenderweise vom Geometrie- 
unterricht seinen Ausgang nimmt. Wir werden spáter sehen, welch bedeutende 
Rolle gerade die mathematischen Kenntnisse in den architekturtheoretischen 
Schriften spielen, und daB sie dort geradezu als die Mutter der Architektur be- 
zeichnet werden. Goethe berichtet: „Ich hatte früh gelernt, mit Zirkel und Lineal 
umzugehen, indem ich den ganzen Unterricht, den man uns in der Geometrie 
erteilte, sogleich in das Tätige verwandte, und Pappenarbeiten konnten mich 
hóchlich beschüftigen. Doch blieb ich nicht bei geometrischen Kérpern, bei 
Küstchen und solchen Dingen stehen, sondern ersann mir artige Lustháuser, 
welche mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dächern ausgeschmückt wurden, 
wovon jedoch wenig zustande kam.“ Schon hier machen sich Einflüsse von 
architekturtheoretischen Schriften geltend. Denn nur in solchen, d. h. an den 
fast nie fehlenden Kupfern mit Grund und Aufrissen, konnte der Knabe eine 
Vorstellung von mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dáchern geschmückten 
Landhäusern gewinnen. Wenn er vielleicht auch Gelegenheit gehabt hat, in 


(1) Vgl. die ausgezeichnete Veróffentlichung von C. Gurlitt: Bibliothek alter Meister der 
Baukunst. Bd. I: A. Palladio. Berlin 1914. 


280 


Frankfurt und Umgegend Landhäuser mit Pilastern und Freitreppen zu sehen, so 
weist die Beschreibung der Bedachung doch deutlich auf südliche Bauten hin. 
Wir gehen also kaum fehl, wenn wir uns den Knaben seine Anregungen aus den 
italienischen Architekturwerken des Vaters holen denken. Handelt es sich hierbei 
aber immerhin noch um ein mehr spielerisches Schalten der Phantasie, so be- 
zeugt uns Goethe doch auch wieder selbst, daß er sich auch ernstlich mit architek- 
tonischem Zeichnen abgegeben hat. Die Stelle in Dichtung und Wahrheit lautet: 
»Der Legationsrat (Moritz) teilte seine Kenntnisse gern mit, war ein Freund der 
Mathematik, und weil diese in seinem gegenwürtigen Lebensgange gar nicht vor- 
kam, so machte er sich ein Vergnügen daraus, mir in diesen Kenntnissen weiter 
zu helfen. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt, meine architektonischen 
Risse genauer als bisher auszuarbeiten und den Unterricht eines Zeichen- 
meisters, der uns jetzt auch täglich eine Stunde beschäftigte, besser zu nutzen.“ 
Die Stelle ist auBerordentlich aufschlufreich, zeigt sie doch einmal, daB sich 
der junge Goethe schon früh mit architektonischen Rissen, d. h. mit architekto- 
nischen Entwürfen, abgegeben haben muß, und ferner wieder die hohe Bedeutung 
der Mathematik für das künstlerische Empfinden. Denn wenn man die Hilfe 
dieser Wissenschaft bei der Beschäftigung mit der Architektur noch verstánd- 
lich findet, so mutet sie uns heute als Fórderin der Zeichenkunst seltsam an. 
Und doch spiegelt sich hierin nur eine Anschauung wieder, die Goethe in allen 
architekturtheoretischen Schriften entgegentrat. Es wird nun Zeit, daB wir uns 
kurz über das Wesen und die Bedeutung der mehrfach erwáhnten architektur- 
theoretischen Schriften selbst Klarheit verschaffen. Der Gedanke, ,,Handbücher 
der Architektur" zu verfassen, stammt aus der Antike. Von den uns erhaltenen 
Werken ist das bekannteste das des Vitruv, das seit der Renaissance auch das 
a und o der architekturtheoretischen Schriften geblieben ist. Die Italiener!) haben 
diese Ideen seit Ghiberti wieder aufgegriffen. Übersetzungen des Vitruv und 
solche der italienischen Theoretiker bilden die ersten deutschen und franzó- 
sischen architekturtheoretischen Schriften. Eigentlich erst vom 17. Jahrhundert ab 
entstehen eigene Arbeiten auch in Deutschland. Das Ende des Jahrhunderts sieht 
bereits eine sehr umfangreiche Literatur dieser Art, und im 18. Jahrhundert ent- 
stehen ‘dann zahllose architekturtheoretische Werke, die immer selbstündiger 
eigene Gedanken mit Rücksicht auf die heimischen Verháltnisse und Bediirf- 
nisse entwickeln. Es kommt dazu, daß es geradezu zur allgemeinen Bildung 
gehörte, in architektonischen Fragen Bescheid zu wissen; ein Drang der Zeit, 
dem die architekturtheoretischen Schriften selbst wieder in weitgehendem MaBe 
gerecht zu werden versuchen. Wir werden sehen, daß Goethe sich mit Werken 
wie denen Laugiers, Blondels, die er ausdrücklich nennt, abgegeben hat, andere 
sind ihm sicher auch zu Gesicht gekommen. Bei aller, oft nicht unerheblichen 
Verschiedenheit dieser architekturtheoretischen Schriften eint sie im wesentlichen 
doch das Streben, über das W'esen und den Ursprung der Künste Klarheit zu 
verschaffen, Regeln für die Architektur aufzustellen, die nach dem Dreigestirn: 
Stürke, Schónheit und Bequemlichkeit befolgt werden sollen und den jungen 
Architekten Anweisung zur Entwerfung von Grund- und Aufrissen, hinsichtlich 
des Bauhandwerks, der Kostenanschlüge, kurz der eigentlichen Bauführung zu 
geben. Aus der ungeheuren Fülld der architekturtheoretischen Schriften ist 
Goethe eine verhältnismäßig kleine Zahl, und zwar nicht einmal eine sehr ge- 


(1) Vgl. Otto Stein: Die Architekturtheoretiker der italienischen Renaissance (Karlsruher 
Dissert). Karlsruhe 1914. 


281 


wühlter Art, bekannt geworden. Nach dem Bibliothekskatalog!) des Herrn Rat 
befanden sich in dessen Besitz die Schriften des Abbé Laugier, und zwar т. Ob- 
servations sur l'architecture, Haag 1765, und 2. Neue Anmerkungen über die 
Baukunst, Leipzig 1768. Ferner kommen noch „diverse Zeichnungen von Künstlern 
und Bauprofessionisten“ (Nr. g des Kataloges) und „Sammlung verschiedener Pro- 
spekte von Städten, in großen Platten (Nr. 13)“ in Betracht. Goethe selbst hat 
außer später erschienenen architekturtheoretischen Schriften das Werk von 
Francois Blondel: Cours d'architecture, Paris 1675, besessen?) Es sind also 
die Schriften Laugiers und Blondels, die ihm im wesentlichen zur Orientierung 
gedient haben. Die Beschäftigung gerade mit diesen Theoretikern erklärt allerlei. 
Als das wichtigste sei vorweggenommen: die Betonung der Antike und der Hin- 
weis auf Palladio. Die Schriften Laugiers, auf die Goethe ja bekanntlich schon 
in seinem Dithyrambus auf Erwin v. Steinbach eingeht, muß Goethe schon früh 
kennen gelernt haben Laugiers?) Standpunkt ist der eines krassen Klassizisten, 
der, den Spuren M. de Cordemoys folgend, dem Rokoko den Todesstoß zu 
versetzen sucht. Seine Lehren selbst bieten im übrigen die gewöhnlichen An- 
weisungen für Grund- und Aufriß entwürfe, die Sdulenordnungen usw. Der Haupt- 
nachteil besteht im Fehlen von Kupfern, die die Lehren überhaupt erst verständlich 
machen. Der Schrift „Observations. sind überhaupt keine Tafeln beigegeben 
und den „Neuen Anmerkungen .. sechs unzulängliche, von denen fünf den 
Theaterbau und eine in kleinen Grundrissen den Kirchenbau behandeln. Mögen 
Goethe auch bei der Abfassung seiner Schrift über das Straßburger Münster 
vor allem Eindrücke von Herders „viertem Wäldchen“ vorgeschwebt haben‘), so 
beweist die scharfe Stellungnahme gegen Laugier, wie stark sich Goethe mit 
dessen Anschauungen abgegeben haben muß. Im Grunde genommen gehen die 
Ansichten über gotische Bauwerke nur hinsichtlich der „Zierraten“, die Laugier 
verwirft, auseinander. Ja, eine Beschreibung wie die Laugiers von Notre-Dame 
in Paris erinnert stellenweise auffällig an Goethes Worte. Z. B. „inzwischen sind 
bey dem ersten Anblick, durch den Umfang, durch die Höhe, durch die geheimen 
Aus- und Eingänge von diesem weitläuftigen Schiffe, meine Blicke angehalten, 
meine Einbildung gerühret worden. Ich bin genöthiget einige Augenblicke der 
Bestürzung Raum zu lassen, welche alles das Majestätische zugleich in mir 
erreget ). f 

Ehe ‘wir zu einer Kennzeichnung von Blondels Werk, das Goethe auch benutzt 
hat, übergehen, seien Goethes weitere AuBerungen über seine Beschiftigung mit 
der Architektur zunáchst mitgeteilt. 

In Leipzig bescháftigt er sich nach einer Briefstelle gleichfalls mit Architektur- 
zeichnen. Ja, es scheint ihn immer wieder dazu zu drüngen, anstatt des freien 
Zeichnens sich auf diesem Gebiete zu betätigen. So teilt er Oeser mit: „Es will 
gar nicht mit mir fort, Herr Professor, und ich weiB vor der Hand nichts anderes, 
als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit dieser Stütze 


r) Für den Auszug aus dem Katalog statte ich Herrn Prof. Dr. Heuer, Frankfurt, meinen 


ergebensten Dank ab. 

(a) Nach gütiger Mitteilung der Verwaltung des Goethe-Nationalmuseums Weimar, für 
die ich hiermit ergebenst danke. 

(s) Vgl. K. Cassirer: Die ásthetischen Hauptbegriffe der franzósischen Architekturtheore- 
tiker von 1650—1780 (Berliner Diss.) Berlin 1909, S. 26ff. 

(4) Worauf Volbehr: a. a. O., S. 112 ff., hinweist. 

(s) Laugiér: Versuch in der Baukunst ... Leipzig 1758, S. 147ff. 


28a 


in der Baukunst und in aer Perspektive kommen kann.“ Seıbst wenn man die 
Beschäftigung mit der Architektur als eine Modelaune der Zeit ansieht, berührt 
dieser Bericht Goethes an seinen Lehrer Oeser doch seltsam. Man hat das Ge- 
fiihl, daB es sich um eine erstrebenswerte Seite der Ausbildung handelt — wozu 
sonst der Bericht? — und dab sich Goethe ernstlich um die Erreichung eines 
Zieles bemüht hat. Es 

Als er von Leipzig nach Frankfurt zurückgekehrt ist, sucht er seine Kenntnisse 
durch Verbesserungsvorschlüge, mit denen er bei dem alten Rate aber wenig 
Glück hatte, an den Mann zu bringen. Dichtung und Wahrheit, II/o S. 228: „So hatte 
ich von der Baukunst, der Einrichtung und Verzierung der Háuser eine allgemeine 
Vorstellung gewonnen...“ Diese Worte dürfen uns gewichtigef erscheinen als 
die Sache selbst — es handelte sich um Änderungen der Treppenanlage —, da sie 
gewissermaßen eine Bestätigung des an Oeser gerichteten Berichtes bilden und 
zugleich auch das Erreichen einer gewissen Stufe erkennen lassen. Sie muten 
beinahe wie ein Selbstzeugnis von fachmännischen Kenntnissen an. Und daß 
sich Goethe um solche bemüht hat und sie zu besitzen glaubte, diese Tatsache 
genügt für den Gang unserer Untersuchung vollkommen. 

Die Rezension von J. G. Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, 
Leipzig 1771 ff., in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen (Nr. 12 11./II. 1772, S. 89 
bis 94) stammt zwar von Merck; das Buch war Goethe aber auch bekannt. 
AuDer grauen Theorien war auch da hinsichtlich der Architektur nichts zu holen 
und eine tiefergehende Belehrung schon des Fehlens von brauchbaren Kupfern 
wegen unmáglich. 

Auch in Weimar verlaBt Goethé die Liebe zur Baukunst nicht — ,,viele Liebe 
zur Baukunst" vermerkt das Tagebuch — und zur Sammlung, ,um noch ab- 
gezogener zu werden“, nimmt er sich eines der bekanntesten, franzósischen archi- 
tekturtheoretischen Werke, námlich Blondel: Cours d'architecture, Paris 1675, vor. 
Blondels Werk konnte gewiß nicht dazu dienen, Goethes Streben, in architekto- 
nischen Fragen Klarheit zu erhalten, zu befriedigen. Das Buch ist unklar und 
unverständlich geschrieben, Schumann!) nennt es geradezu „ein wüstes Sammel- 
surium zusammengestellter und verglichener Ansichten* und erklärt, ,,sein Stu- 
dium ist eine wahre Qual“. Mit größter Breite werden die Anschauungen Vitruvs, 
Vignolas, Scamozzis und Palladios hinsichtlich der Säulenordnung und Einzel- 
heiten, wie Säulenabstände, Fenster, Bögen usw., vorgetragen. Ein Eingehen auf 
die Hauptsache, auf die Konstruktion von Grund- und Aufrissen kirchlicher und 
weltlicher Bauten ist nirgends zu finden. Die Kupfertafeln verdeutlichen zwar die 
behandelten Gegenstände, wie Säulenordnungen, Gebälk, Türen usw., gut, lassen aber, 
der Anlage des Textes entsprechend, klar durchgezeichnete Gesamtkonstruktionen 
von Gebäuden in Grund- und Aufrissen, Perspektiven, Durchschnitten usw. sehr 
vermissen. Jedenfalls reichen die Ausführungen in keiner Weise aus, einen nach 
Belehrung Suchenden ausreichend zu unterrichten. Nicht einmal einen dilettan- 
tischen Liebhaber, viel weniger einen um brauchbare Kenntnisse bemühten Fach- 
mann — und als solcher suchte Goethe durchaus zur Klarheit zu kommen — 
konnten die Ausführungen Blondels zum Ziele führen. An Goethes Streben von 
Jugend auf, sich gediegene Kenntnisse zu erwerben, hat es gewiß — wie wir 
gesehen haben — nicht gefehlt. Ja, von diesem fachmännischen Standpunkt aus, 
der ohne seine Schuld und durch eine merkwürdige Fügung unzulänglich be- 


(1) Vgl. Paul Schumann: Barock und Rokoko. Leipzig 188s, S. 6. 
283 


lehrt und vertieft worden war, und erst in zweiter Linie vom historischen sah 
er dann endlich in Italien die Werke der Baukunst, vertiefte er sich in die 
Schópfungen Palladios und gab er sich lernend und bewundernd vor allem 
schlieBlich den Architekturideen Palladios hin. 

Wir haben die Gründe kennengelernt, die ihn veranlaßten, gerade, und zwar 
vergeblich, nach den Schriften Palladios zu forschen und kónnen uns vorstellen, 
mit welcher Freude und mit welchem Eifer er sich nun den Gedankengángen 
Palladios anvertraut, als es ihm endlich gelungen ist, dessen Werke zu erhalten. 
Bei der fast einzigartigen Bedeutung dieser Schriften für Goethes Denken dürfte 
es angebracht sein, kurz auf den Inhalt derselben einzugehen!) Eia gründliches 
Studium der Ahtike in Rom und eine klare Auffassungsgabe des Wesentlichen 
bestimmen den Charakter der Ausführungen Palladios. Als Feind vieler Worte 
faBt er sich kurz und stellt seine Gedanken klar hin. Der Kern seiner ásthetischen 
Grundanschauung geht zwar auf L. B. Alberti zurück und spricht eigentlich Selbst- 
verstündliches, aber mit eindringlicher Schlichtheit aus. Er will die architekto- 
nische Schópfung als ein lebendiges Ganze angesehen wissen, bei dem alle Teile 
als notwendig und darum als schón erscheinen sollen. Die Hauptwirkung sucht 
er im Gegensatz zu seinen Vorgüngern in praktischen Bedürfnissen entsprechenden 
klar und sauber durchdachten und gezeichneten Grund- und Aufrissen, wie er 
überhaupt mehr durch Anschauung wirken Will, und das gründliche, verstündnis- 
volle Studium guter Schópfungen — ausgeführter und gezeichneter — als den 
Hauptweg zu einem vollen Verstündnis der Architektur empfiehlt. Hierdurch 
kam er aber gerade dem Suchen Goethes entgegen, den die theoretischen, un- 
anschaulichen Ideen Laugiers und die dunklen, unverstündlichen Ausführungen 
Blondels naturgemäß nicht hatten befriedigen können. Nun, da er die schlicht 
und klar vorgetragenen Ideen Palladios zugleich in aufschluDreichen Zeichnungen 
studieren konnte, mußte es ihm allerdings „wie Schuppen von den Augen fallen“. 
Jetzt verstehen wir auch all die oben angeführten ÁuDerungen Goethes. Endlich 
— und man meint, es sei ihm absichtlich verwehrt gewesen, früher zur Klarheit 
zu kommen — kam er dem Kern der Dinge näher. Palladios Zeichnungen 
mußten wie Offenbarungen wirken, denn hier ließ sich in einfacher Weise die 
ganze Theorie, all „die Wortschälle, die ihn geängstigt hatten“, mit einem Blicke 
esen). Goethe hätte das lang Gesuchte allerdings viel einfacher und in zeitge- 
müBerem Gewande bei deutschen Architekturtheoretikern, etwa bei L. Chr. Sturm?) 
finden kónnen; allein darüber haben wir nicht zu rechten. Die Folgen daraus, 
daB ihm ,der Weg zu aller Kunst und Leben“ gerade durch Palladio geóffnet 
wurde, mußten sich allerdings in höchstem Maße geltend machen. Nur von hier 
aus ist Goethes klassizistischer Standpunkt, den er ein Leben lang gewahrt hat, 
verständlich und — bedenkt man die ungelohnte Mühe des früheren Suchens 
und die Erleichterung und Erleuchtung durch das Studium der palladianischen 


1) Vgl. O. Stein: a. a. O., S. 52 ff. und S. 116 ff. und C. Gurlitt: Bibliothek alter Meister 
der Baukunst, a. a. O. 

(2) Wie beglückt er über die ihm endlich gewordene Erleuchtung ist und wie hoch er 
sie einschätzt, geht auch aus dem Briefe vom 3. November 1786 aus Rom an den Herzog 
Karl August hervor, dem er u.a. schreibt, daß man die Werke Palladios „alle haben muB“ 
(Briefe Bd.8 S. 41). \ 1 | 
(3) Über Sturm vgl. V.C. Habicht: Die deutschen cnica des 17. Und 18. 
Jahrhunderts. III. Kapitel: L. Chr. Sturm und N. Goldmann. Zeitschr. für Architektur und 
Ingenieurwesen. Jahrgang 1917. Heft 5. 


284 


Schriften — auch berechtigt. Das schwer errungene und einmal erreichte Gut 
konnte und durfte nicht mehr leichthin preisgegeben werden. Dazu war die 
Erkenntnis zu spät gekommen und von zu tiefer Wirkung. Der Einfluß aber 
gerade der schlichten und verstandesklaren, antikischen Denkungsweise Palladios 
hat der Iphigenie, dem Tasso, den venezianischen Epigrammen, Hermann und 
Dorothea, um nur das Wichtigste zu nennen, die tempelreine Form verliehen, 
die sie in der Tat besitzen. Das ist ebenso gewiß als es unvernünftig ist, dies 
Gewand, das mehr als ein solches bedeutet, zu bedauern — oder gar zu tadelri. 


3. Der Faust und die bildende Kunst. 
,Am farbigen Abglanz haben wir das Leben." 


Den Eindrücken der bildenden Kunst auf das dichterische Schaffen Goethes 
ist man am frühsten und gründlichsten an seinem Meister- und Lebenswerk 
nachgegangen. Die einzigartige Stellung der Schópfung und Goethes eigenes 
Bekenntnis, daß ihm die bildende Kunst gerade beim Faust von großem Nutzen 
gewesen sei, mögen die Hauptgründe dafür gewesen sein. Storck!) hat die Er- 
gebnisse der Forschung in einem dankenswerten Büchlein zusammengefaßt. Eine 
Vorlesung über das Thema hat mich erkennen lassen, daß aber manches noch 
übersehen worden ist, und daß der Anteil der bildenden Kunst ein noch größerer 
ist, als Storck geglaubt hat. Auf einen Punkt möchte ich vor der Mitteilung dieser 
Beobachtungen aber noch besonders hinweisen, das ist die gleichfalls seither . 
noch nicht recht gewürdigte Art der Verwertung der Eindrücke von seiten der 
bildenden Kunst gerade im Faust. Die wirksamste Hilfe muBte die bildende Kunst 
naturgemáB bei der Konzeption der Umgebung, in die die Personen handelnd 
hineingestellt werden sollten, bieten. Wir bewundern die tiefgehende Ein- 
fühlungsgabe, mit der Goethe die der betreffenden Szene, ja der Stimmung und 
dem Handeln der Personen genau entsprechende Umwelt zu Schildern verstanden 
hat. Es gab zwei Móglichkeiten, die dabei auftauchenden Vorstellungen aus dem 
Reiche der bildenden Kunst zu verwerten, nümlich entweder in breit angelegten 
Bühnenanweisungen oder in Wortmalereien, die den handelnden Personen in den 
Mund gelegt werden. Goethe hat den letzteren Weg gewählt, ja, die Bühnen- 
anweisungen so lakonisch wie móglich gehalten. Damit war viel gewonnen. 
Zunächst die Möglichkeit, mit Worten schwelgerisch zu zeichnen und einem 
Drange Genüge zu tun, der in der bildenden Kunst Goethe trotz aller Versuche 
verwehrt gewesen war und der in den Bühnenanweisungen schwülstig und ver- 
hallend geklungen hätte. Zugleich war damit aber auch die Selbständigkeit 
den Bildeindrücken gegenüber gewahrt. Denn so gewiß für das Studierzimmer 
Fausts Rembrandts Faustradierung und Niederländer wie Thomas Wyck Pate 
gestanden haben, so persönlich und selbstschöpferisch bleiben doch die plasti- 
schen, stimmungsreichen Schilderungen dieser Gelehrtenstube, die Goethe Faust 
selbst in den Mund gelegt hat. Wieviel die Unabhängigkeit der Dichtung von 
allen Bühnenverhältnissen damit gewonnen hat, braucht nicht erst betont zu 
werden. Daß das Werk nicht zum wenigsten auch hierdurch zum Gemeingut 
der Deutschen geworden ist, darf man wohl aber mit Recht aussprechen. 

Ich habe im folgenden auch einige Stellen des Gedichtes gebracht, die An- 
regungen von seiten der bildenden Kunst deutlich erkennen lassen, ohne daß 


(1) Vgl. WW. F. Storck: a. a. O. 
285 


es der Art der Abfassung der Verse wegen móglich ist, das bestimmte Vorbild 
der bildenden Kunst zu nennen — und habe es getan, weil es ja wohl nicht in 
erster Linie darauf ankommt, in philistróser Weise Goethe die Herkunft einer 
Vorstellung nachzuweisen, als vielmehr den weitgehenden und reichen EinfluB 
der bildenden Kunst überhaupt aufzuzeigen. Gerade der schópferischen und selb- 
standigen Verarbeitung der Bildeindrücke wegen würde man zahlreiche, auf- 
schluBreiche Beziehungen auBer acht lassen, wenn man nur die gelten lassen 
wollte, die sich mathematisch genau decken. 


Wie alles sich zum Ganzen webt! 

Eins in dem andern wirkt und lebt! 

Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen 
Und sich die goldnen Eimer reichen. 

Mit segenduftenden Schwingen 

Vom Himmel durch die Erde dringen, 
Harmonisch all’ das All durchklingen! 


Es gehórt kein besonders tiefes Eindringen in die mittelalterliche Kunst dazu, 
um in diesen Versen das Nachklingen kirchlicher Bildvorstellungen zu fühlen !). 
Die auf- und niedersteigenden Himmelskräfte lassen einen sofort an die zahl- 
losen schwebenden Engelscharen der Werke der Malerei und Plastik denken. 
Dieser Eindruck wird noch bestárkt durch die Kennzeichnung, die die ,Schwin- 
gen“ hervorrufen und durch den nochmaligen Hinweis auf Gestalten, die zwischen 
Himmel und Erde schweben. Eine eigentümliche Bestátigung für dieses Emp- 
finden bieten die Worte Schubrings?), der die Gestalten der Engel und Heiligen, 
die sich in den Aufbauten — „Gestänge“ sagt Schubring wenig glücklich — 
der Schnitzaltáre spátgotischer Zeit befinden, geradezu mit den obigen Goethe- 
schen Worten — ohne sie ausdrücklich als solche zu kennzeichnen — schildert. 
Ich kann mich nun nicht erinnern, diese Heiligen oder Engel, die ihre Attribute 
tragen bzw. musizieren, anbeten usw., in Schnitzaltüren mit Gegenstünden aus- 
gestattet gesehen zu haben, die an ,,goldne Eimer“ erinnern. Wegen der ,Schwin- 
gen“ kommen überhaupt nur Engelsgestalten in Betracht — und diese erscheinen, 
allerdings in einer anderen Szene und an einem anderen Orte mit Gegenstánden, 
die an die Goetheschen Worte stark anklingen. Ich meine die das Blut Christi 
auffangenden Engel, die in — den meist gemalten — Kreuzigungsdarstellungen 
um den Heiland schweben und mit goldenen Kelchen ausgestattet sind. Die 
Auslósung der Verse durch diese Bilddarstellungen ist gewiB. Wir vermissen in 
ihnen allerdings die so merkwürdige Beigabe der Eimer. Man versteht aber leicht, 
warum Goethe die wirklichen Attribute: Kelche oder Schalen in seinen Versen 
nicht verwenden konnte. Durch die Beibehaltung der Kelche oder Schalen wáre 
eine Vorstellung erweckt worden, die an Trinkgelage erinnert, und das mußte 
natürlich vermieden werden. Kreuzigungsdarstellungen mit auf- und nieder- 

hwebenden Engeln finden sich in der christlichen Kunst zu háufig, als daB 
es bei der allgemeinen Fassung der Verse möglich wäre, das Vorbild zu nennen. 

Die Anregungen, die Goethe durch die Darstellungen der mittelalterlichen 
Kunst der Hólle empfangen und in der SchluBszene des zweiten Teiles des 
Faust verwertet hat, sind bekannt. Zweifellos haben ihm ähnliche Vor- 
stellungen auch an einer früheren Stelle vorgeschwebt. Ich meine die Worte, 
die Faust in dem Monologe vor dem Selbstmordversuche spricht: 


(1) Über die literarischen Einflüsse vgl. G. Witkowski: Goethes Faust. II. Leipzig 1913, S. 205. 
Vgl. P. Schubring: Der gotische Schnitzaltar. Die Kunst, Juniheft 1917, S. 333. 


286 


Vor jener dunklen Hóhle nicht zu beben, 

In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt, 
Nach jenem Durchgang hinzustreben, 

Um dessen Mund die ganze Hölle flammt. 


Namentlich die letzte Zeile verwertet das Motiv des „Höllenrachens“, wie 
ihn die bildende Kunst dargestellt hat, ganz offensichtlich. Die Anregung ist um 
so deutlicher, als Goethe selbst eine Kritik dieser Auffassung, die sich völlig mit 
der seinigen über Märtyrer- usw. Darstellungen deckt, vorausschickt. Dehio !), der 
zum ersten Male die Einflüsse der Fresken des Campo santo zu Pisa zusammen- 
fassend klargestellt hat, meint, daB Goethe eben nur diese Höllenrachendarstellung 
bekanntgéworden sei Mag auch die Anregung, für die SchluBszene im zweiten 
Teil des Faust gewiB auf das Fresko in Pisa zurückgehen, so zeigt die oben 
angeführte Stelle des ersten Teiles, аай Goethe auch andere mittelalterliche Hóllen- 
darstellungen vertraut gewesen sein müssen. Welches bestimmte Werk Goethe 
hier vorgeschwebt hat, ist bei dem Wortlaut der Verse und dem Fehlen weiterer 
Kennzeichnungen allerdings nicht auszumachen. 


Unbeachtet ist seither auch die wundervolle Beschreibung der Schale geblieben, 
die Faust, mit dem Gifte gefüllt. an den Mund führt. Und doch zeigt sie gerade 
die feine Beobachtungsgabe Goethes auch kunstgewerblicher Gegenstände, ja, 
verrät einen Sammlersinn, wie er sich ja deutlich genug in den jetzt so eindrucks- 
voll aufgestellten Schätzen seines Hauses zu erkennen gibt. 


Nun komm herab, kristallne reine Schale! 
Hervor aus deinem alten Futterale 


L5] emm G ee LLLI oan GE ш» eee 


Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht, 


Erinnert mich an manche Jugendnacht. 


Wir haben eine deutliche Beschreibung eines der reichen, geschliffenen Prunk- 
glšser vor uns, wie sie das 18. Jahrhundert so sehr liebte und dank der regen 
Nachfrage zu erlesenen Schópfungen des Kunstgewerbes zu gestalten wubte. 
Über die persónlichen. Gedanken Goethes zur freien Kunst wird sein intimes 
und verständnisvolles Verhältnis zur angewandten Kunst nur zu oft und zu leicht 
vergessen. Gerade diese feinen, kleinen Züge bereichern unsere Vorstellung von 
Goethes Stellung zur bildenden Kunst — und eignen sich vor allem dazu, das 
schiefe Bild des in den Idealen der Antike allein wurzelnden Olympiers zu be- 
richtigen. Gleich die zunüchst zu besprechenden Verse sind in ganz áhnlichem 
Geiste gehalten und zeugen wie die obigen für Goethes keineswegs „kühle“ 
Beobachtungsgabe aller Zweige der Kunst 'und ihrer Nachbargebiete. 

Zweimal gebraucht Goethe Bilder, die der Tatigkeit des Webers entlehnt sind. 
Fallen diese Anregungen auch nicht eigentlich in das Gebiet der bildenden Kunst, 
so dürfen sie in diesem Zusammenhange bei dem immer wieder zutage tretenden 
Streben Goethes, vor allem auch das Handwerkliche der Künste kennen zu 
lernen, namhaft gemacht werden)). 


(1) Vgl. G. Dehio: Altitalienische Gemälde als Quelle zum Faust (Goethe-Jahrbuch, Bd. 7), 
wieder abgedruckt in: Kunsthistorische Aufsátze, München 1914, S. 221 ff. 


(a4) Es ist seltsam, daB einer unserer begabtesten Kriegsdichter, der mit Recht rasch an- 
erkannte Arbeiterdichter H. Lersch, ganz ähnliche Bilder gebraucht. Sollten sie Nach- 


287 


So schaff’ ich am sausenden Webstuhi der Zeit 
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. 
und: 
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik 
Wie mit einem Webermeisterstück, 
Wo ein Tritt tausend Füden regt, 
Die Schifflein herüber, hinüber schieBen, 
Die Fäden ungesehen fließen, 
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. 


Mag in den offiziellen Äußerungen Goethes über die freien Künste, namentlich 
in denen aus späterer Zeit, auch wenig von diesem innigen Verhältnis selbst zu 
den schlichtesten Künsten zu spüren sein, den Dichtungen sind diese Beobach- 
tungen, die von des Knaben Interesse für Dinge wie Nothnagels Tapetenfabri- 
kationen über die technischen Studien in den römischen Künstlerkreisen ein ganzes 
langes Leben anhalten, zugute gekommen. Und auf diese lebendige Verarbeitung 
kommt es ja schließlich weit mehr an als auf eine starr klassizistische Stand- 
punktsbehauptung der alten Exzellenz. 


Chor der Jünger. 


Hat der Begrabene 
Schon sich nach oben 
Lebend Erhabene, 
Herrlich erhoben; 

Ist er in Werdelust 
Schaffender Freude nah: 
Ach! an der Erde Brust 
Sind wir zum Leide da. 
Ließ er die Seinen 
Schmachtend uns hier zurück; 
Ach! wir beweinen, 
Meister, dein Glück! 


Daß diese Verse durch die Himmelfahrt Christi des Raffael!) beeinflußt worden 
sind, bedarf kaum des Beweises. Man könnte sich höchstens darüber erstaunen, 
daß die wundervolle Tonmalerei, die Umsetzung der Schöpfung Raffaels in 
Worte noch nicht bemerkt worden ist. Jedenfalls ist der Zusammenhang hier 
noch enger als der mit der einherschwebenden Mater Gloriosa und Tizians 
Assunta. Der wundervoll herausgearbeitete Gegensatz zwischen dem „lebend 
Erhabenen“ und den „zum Leide da“ Bleibenden stimmt völlig mit der ja auch 
in Raffaels Schöpfung stets bewunderten Zweiteilung seiner Komposition über- 


klänge der ja viel genannten Schützengrabenlektüre des Faust sein? Die betreffenden 
Verse lauten: 


Lang ist es her, das Schicksal webt 
Das Lebenstuch dem Volk, das strebt. 
Der Webstuhl ist der harte Krieg, 
Und was er webt, das ist der Sieg. 
Die Kette ist der Männer Zahl, 
Der Schuß, das ist des Todes Qual. 
Die Bindung ist der rasche Tod, 

| Der farbt die weiBen Faden rot. 

(1) Vgl. Georg Gronau: Raffael. (Klassiker der Kunst, Bd. I) Stuttgart 190g. 


288 


ein. Weitere Kennzeichnungen, wie die Verklürung Christi und die Stimmungen 
der zurückbleibenden Jünger, malen ganz deutlich in Worten aus, was Raffael 
in gleichem Sinne in seiner Darstellung hatte geben wollen. 

Welchen Anteil Mantegnas „Triumpbzug Cäsars“ am Werden des Mummen- 
schanzes genommen hat, hat Storck einwandfrei nachgewiesen. Бай die Gürtne- 


rinnen aber nicht von dorther, sondern von anderer Seite beeinflußt sein müssen, 
das sagen ihre Worte selbst: 


Euren Beifall zu gewinnen, 
Schmückten wir uns diese Nacht, 
Junge Florentinerinnen, 

Folgten deutschen Hofes Pracht. 
Tragen wir in braunen Locken 
Mancher heitern Blume Zier; 
Seidenfäden, Seidenflocken 
Spielen ihre Rolle hier. 


Auch wenn sie es nicht selbst betonten, daß sie „Junge Florentinerinnen“ sind, 
so würden die übrigen Kennzeichnungen schon genügen an die Frühlings- und 
Blumengestalten Boticellis zu denken, und zwar vor allem an die seines bekannten 
Bildes: Der Frühling in der Akademie zu Florenz ). 

Sofort schwebt uns auch bei der Thronbesteigung Helenas ein Werk der 
bildenden Kunst vor. Die Ereignisse werden auch hier wieder in künstlerisch 


höchst verständiger Weise durch die Beschreibung des Chores in Wortmalereien 
von klarster Ausdruckskraft erzählt: 


Aber die schönsten, 

Sie kommen daher; 

Was tragen sie nur? 

Stufen zum Thron, 

Teppich und Sitz, 

Umhang und zelt- 

Artigen Schmuck; 

Über überwallt er, 

Wolkenkränze bildend, 

Unsrer Königin Haupt; 

Denn schon bestieg sie, 
Eingeladen, herrlichen Pfühl. 
Tretet heran, 

Stufe für Stufe, 

Reihet euch ernst! 

Würdig, o würdig, dreifach würdig, 
Sei gesegnet ein echter Empfang! 


Die Eigenart des Thrones, die zu ihm führenden Stufen, der Teppich, vor allem 
der Umhang und zeltartige Schmuck und schließlich der Übergang in den Himmel 
— all dies sind Beschreibungen, die wie Schilderungen eines Thrones der Maria 
einer Marienkrönungsdarstellung anmuten. Die Verbindung des Thrones mit 
einem Zelte, und der dort natürliche Übergang in den Himmel, das Überüber- 
walltsein von Wolkenkränzen, hatte die christliche Kunst schon ziemlich früh 
zu einem Typus ausgebildet, der immer wieder in gleicher Form erscheint. Auch 


(1) Vgl. Lübke-Semrau: Die Kunst der Renaissance. (Grundriß der Kunstgeschichte, 
Bd. III) EBlingen 1912. Tafel S. 180. ! 


289 


die Reihung der Gestalten an den Stufen und nicht zum wenigsten das ,,wiirdig, 
würdig, dreifach würdig' rufen ja unmittelbar die Erinnerung an die feierlichen, 
zu den Stufen des Thrones herantretenden Gestalten bei den genannten Dar- 
stellungen der bildenden Kunst wach. Den baldachinartigen, mit Teppichen ge- 
schmückten Thron hatte Goethe in der Malerei der venezianischen Schule kennen- 
gelernt; dort finden sich auch besonders háufig die zu dem Throne führenden 
Stufen und „würdige“ Gestalten zu beiden Seiten. Darstellungen, die die Ein- 
rahmung des Thrones nach oben zu durch Wolken und Engelsköpfe zeigen, 
finden sich überaus háufig. Ein Beispiel, das Goethe schon wáhrend seines 
Dresdener Aufenthaltes kennengelernt haben kann, sei angeführt: Die Madonna 
des hl. Franz von Correggio in der Dresdener Galerie. Bei der ganzen Schilde- 
rung Goethes haben offenbar Erinnerungen an mehrere Werke der bildenden 
Kunst mitgewirkt und der anschaulichen Klarheit Starke verliehen. 

Zum Schluß will ich noch auf eine Parallele der zeitgenössischen Kunst auf- 
merksam machen. Goethe legt Mephistopheles folgende Beschreibung in den 
Mund: 


Dann baut’ ich, grandios, mir selbst bewußt, 

Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust. 

Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld, 

Zum Garten prächtig. umbestellt. 

Vor grünen Wänden Sammetmatten, 

Schnurwege, kunstgerechte Schatten, 

Kaskadensturz, auch Fels zu Fels gepaart, 

Und Wasserstrahlen aller Art; 

Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten, 

Da zischt’s und pischt’s in tausend Kleinigkeiten. 

- Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen 
Vertraut-bequeme Häuslein bauen 


Die prachtvollen Gartenanlagen der Barockzeit, die — wie Goethe gelegentlich 
des Besuches in Saarbrücken wohl weiß — „in die Epoche fielen, da man bei 
Gartenanlagen den Architekten zu Rate zog“, waren ihm aus eigner Anschauung 
und aus Kupferstichen wohlbekannt. Von den Gartennalagen in Zabern gibt 
Goethe in Dichtung und Wahrheit eine Kennzeichnung, die seinen offenen 
Blick für diese grandiosen Schöpfungen offenbart und im Grunde, nur nüch- 
terner, das gleiche sagt, wie die obigen Verse: „Der Blick in den Garten ist 
herrlich, und ein Kanal, drei Viertelstunden lang, schnurgerade auf die Mitte des 
Schlosses gerichtet, gibt einen hohen Begriff von dem Sinn und den Kräften 
des vorigen Besitzers.“ Gerade hier zeigt sich also noch einmal deutlich die 
befruchtende Anregung durch das Schauen von Werken der bildenden Kunst 
für das Schaffen des Genius, dem nichts verborgen blieb und der alles in den 
Kosmos seiner Riesenschöpfung aufzunehmen bereit und fähig war’). 


(1) Die obige Arbeit ist die Nebenfrucht meiner Vorbereitungen zu einer Vorlesung über: 
„Goethes Faust und die bildende Kunst,“ die ich im Sommersemester 1917 an der Kgl. 
Technischen Hochschule Hannover gehalten habe. Daß sie mir dabei in den Schoß fiel, 
ist weniger mein Verdienst als die Folge der Unzulänglichkeit der Literatur, die Kan 
Forschungen notwendig machte. 


CARL GEORG HEISE, Norddeutsche 
Malerei. Studien zu ihrer Entwicklungs- 
geschichte im 15. Jahrhundert von Küln 
bis Hamburg. Leipzig, Kurt Wolff Ver- 
lag 1918. 

Diese ,Prof. Dr. A. Warburg dankbar zugeeig- 
nete“ Erstlingsarbeit umschließt vier Kapitel von 
ungleichem Gewicht. Die beiden ersten, über 
Kölner und westfälische Malerei, versuchen „nicht 
mehr als die Herausarbeitung einer klaren Ent- 
wicklungslinie und eine vorsichtige Verschiebung 
der Akzente bei der Wertung der einzelnen Küust- 
lerpersónlichkeiten". Der dritte Abschnitt, über 
Niedersachsen, worunter der ursprüngliche ,nieder- 
sächsische Kreis“ begriffen wird, muß bei der 
schlechten bisherigen Vorarbeit sich mehr auf 
eigene Gruppierung des Materials gründen und 
ist darin etwas stecken geblieben. Das vierte Ka- 
pitel, das Haupt- und Kernstück des Ganzen und 
der Ausgangspunkt des Verfassers, kann die Altar- 
bilder Hamburger Herkunft ordnen und in mehr 
oder weniger wahrscheinlichen HApothesen mit 
urkundlich überlieferten Meisternamen verknüpfen 
Lübeck fehlt, da Goldschmidts Band der Nach- 
arbeit kaum mehr etwas übrig ließ 

Gleichzeitig wurden die Lieferungen von Burger- 
Brinckmanns „Handbuch der Kunstwissenschaft“ 
ausgegeben, in denen Hermann Schmitz ungefübr 
denselben Umfang von Bildern behandelt, unter 
dem Titel der ,niederdeutschen Malerei“. Der 


Name stimmt ebenso bedenklich wie Heises ,Nord- 


deutsch“. Der Begriff des ,Norddeutschen", das 
sich dem Oberdeutschen entgegensetzen ließe, 
verschwimmt zu sehr, wenn er dermaßen gestreckt 
wird, die Kölner Veronika und den schönen Grau- 
denzer Marientod zu umfassen. Die ,malerische 
Empfindungsweise" und Neigung zur ,ruhigen, 
aktiopslosen Darstellung" sind für Schmitz die 
Charakterzüge der niederdeutschen Malerei Doch 
sind weite Strecken Niederdeutschlands über einen 
malerischen „Provinzialismus selten  binaus- 
gekommen. Und die Aktionen der Menschen 
„Meister Franckes“ empfinde ich als — in den 
Grenzen des Zeitstils — recht lebhaft akzentuiert. 
Man täte besser, wenn denn schon zusammen- 
gefaßt und eine allzu leicht vorschnell generali- 
sierende Psychologie landschaftlicher Eigentüm- 
lichkeiten getrieben werden soll, das Westdeutsche 
und seine Ausstrahlungen mit einem Griff zu ver- 
einigen. Die Anwohner des Rheins leben immer 
in bestimmten Gemeinsamkeiten. 


Wer im einzelnen die voneinander unabhängigen 
Bilderbestimmungen der beiden Forscher durch- 
mustert, bemerkt bald einen Vorsprung Heises. 
Zwar darin bebält Schmitz recht: das Jüngste Ge- 
richt steht nicht am Anfang (Heise p. 11), son- 
dern am Ende von Lochners Entwicklung (Schmitz, 
p- 387), wenn es überhaupt vom Meister selbst 
stammt — ich entsinne mich, daß Heidrich das 
bezweifelte. Aber Heise fügt seinen Untersuchyn- 
gen einige bisher unbeachtete Malereien ein, die 
wichtige Schrittsteine geben: den Altar der Jacobi- 
kirche in Göttingen, inschriftlich 1402 datiert (ganz 
befangen in der Kompositionstypik des 14. Jahr- 
hunderts, aber darum keineswegs von fremden 
Vorbildern so „unbedenklich und gewaltsam“ ab- 
geschrieben, wie Heise p. 64 meint), den ehe- 
maligen Altar des Klosters Heiligental in Lüne- 
burg (in dem man bei gutem Willen mit Heise 
die Hände zweier Hamburger Maler, Conrad von 
Vechta und Hans Bornemann unterscheiden kann 
— der erste vor, der zweite nach 1448) und schließ- 
lich die Flügelbilder vom Hochaltar der Johannis- 
kirche in Lüneburg (für die Heise schon im Thieme- 
Becker nach den Urkundenforschungen Dr. H. 
Reinckes den Namen des Hamburger Meisters 
Hinrik Funbof — aus Urkunden von 1475 —84 — 
mit immerhin großer Wabrscheinlichkeit genannt 
hatte). 


Daß mit solchen Bereicberungen das Bilder- 
material Norddeutschlands noch immer nicht in 
genügender Vollständigkeit vorliegt, weiß Heise 
selbst. Besonders von der Inventarisation der 
Provinz Hannover darf man sich allerlei ver- 
sprechen. Victor C. Habicht, der in den letzten 
Jahren viel über die „Probleme der niedersächsi- 
schen Kunstgeschichte“ versprach, wird von Heise 
recht scharf beurteilt. Daß der Kritiker damit 
recht zu haben scheint, hat schon Max J. Fried- 
länder anerkannt (Kunstchronik 1917/18, Sp. 360). 
Habichts Umtaufe des „Meister Francke“ auf den 
Steinmetz Kristiain von Bunna wird von Heise 
auf absurdum geführt, statt dessen der Name 
,Henselinus von Straßburg“ für den Schöpfer des 
Thomasaltars wahrscheinlich gemacht. immer 
sicherer wird jedenfalls das eine: der Name 
„Meister Francke“, der nur in einer Handschrift 
des 16. Jahrhunderts vorkommt und aus zeitgenös- 
sischen Urkunden nicht zu gewinnen ist, muß 
fallen gelassen werden. Heise möchte den Meister 
als fertigen Künstler aus dem westlichen Süd- 
deutschland in Hamburg einwandern lassen. 


291 


Weniger legt sich Heise bei Meister Bertram fest, 
den er mindestens in einen Maler und einen Bild- 
schnitzer scheidet: er will hier den Untersuchun- 
gen von Heubach, Alfred Rohde und Grete Dexel- 
Braukmann den Vortritt lassen — die erstgenannte 
ist inzwischen im Jahrbuch der k. k. Zentral- 
kommission erschienen und zieht die Verbindung 
zwischen Bertram und dem Prager Krels ganz ge- 
wiß zu eng. 

In solchen Ableitungen zeigt Heise besseren, 
ja einen ungewöhnlichen historischen Takt. Er 
gibt dem ,Zeitstil sein Recht, der ja um 1400 
eine große Rolle spielt, gibt es aber auch dem 
einzelnen schaffenden Individuum. Zur Bezeich- 
nung persónlicher Züge fállt manches gute Wort, 
das die Forschung festhalten wird. Formale Ana- 
lyse wird nicht exerziert. Die gefállige Ausdrucks- 
weise gerät häufig etwas unscharf — man ver- 
mißt bisweilen schmerzlich eine unmibverstánd- 
liche Diktion, die nicht für den Gemäldekenner, 
sondern für den Historiker besimmt ist. 

Es sind 123 Seiten anstindig gedruckten Textes, 
40 inhaltsvolle Seiten mit Anmerkungen, úber- 
sichtliche Register und endlich 119 woblgeratene 
Autotypien auf roo Tafeln. Leider fehlen alle 
Größenangaben, die für die hier zum ersten Male 
besprochenen Bilder besonders wünschenswert 
würen, fehlen auch oft die Angaben über Erhal- 
tung und Übermalung. Aber für Westfalen, Nie- 
dersachsen und Hamburg ist hier die Grundlage 
für eine abschlieBende geschichtliche Darstellung 
so sicher gelegt wie bisher nirgends. 

Erich Rómer. 


JULIUS PAP, Kunst und Illusion. 
‚Veit & Co., Leipzig 1914. Preis geh. 
6,80 M., geb. 7,80 M. 

In ästbetischen Untersuchungen erweist sich der 
Ausgangspunkt der Untersuchung auffälliger noch 
als in den Arbeiten anderer Wissensgebiete als 
Sache des Glaubens. Je nach der Auffassung ver- 
mag das Wesen der Kunst einmal als bewußte 
Seibsttäuschung, wie bei Konrad Lange, ein ander 
Mal als ein Ausfluß des Spieltriebes und der 
Freude am Erleben, wie bei Karl Groos, oder als 
Einfühlung, wie bei Theodor Lipps, dem Er- 
kennen näher gerückt zu werden. Allen diesen 
Deutungsversuchen ist der Begriff der Illusion un- 
entbehrlich. Konrad Lange bezeichnet sein Haupt- 
werk: „Das Wesen der Kunst“ geradezu als einen 
Versuch einer illusionistischen Ästhetik. 

Trotzdem ist die Untersuchung von Julius Pap: 
„Kunst und Illusion" als Ganzes ein Neues. Denn 
Pap stellt sich im strengen Sinne des Wortes nur 


292 


auf den Begriff der Illusion ein. Darauf beruht, 
soweit es möglich ist, die Überzeugungskraft 
seiner Ausführungen. Daraus wird zugleich auch 
das Unzulängliche der Deutung der Kunst als 
Illusion um so fühlbarer. 

Um die reichen Wirkungsmöglichkeiten der Kunst 
einheitlich fassen zu können, formuliert Pap die 
Illusion im Sinne des kunstpsychologischen Sprach- 
gebrauchs als den eigentümlichen seelischen Er- 
folg der sogenannten nachahmenden oder dar- 
stellenden Künste. „Als ihr einfachster Haupttypus 
erscheint derjenige, dem die abbildliche Darstellung 
einer wirklichen oder denkbaren Sinnenwelt be- 
gründet: die Anschauungs-Illusion.* Neben der 
normalen Illusion fällt der ekstatischen Kunst- 
Illusion, die der normalen durchaus gegensätzlich 
ist, eine wesentliche Rolle zu. Die normale Wir- 
kung eines guten Gemäldes beruht nach Pap auf 
der normalen Anschauungs-Illusion. Dabei ist die 
normale Anschauungs -Illusion als ein Mittleres 
zwischen Wahrnehmung und Vorstellung zu fassen. 
Der Illusion kommt in dieser Mittelstellung inner- 
halb der drei Kategorien eine besondere Erlebnis- 
frische zu. 

Das Wesen der ekstatischen Anschauungs-Illusion 
wird erklärt aus den gemeinsamen Eigentümlich- 
keiten des Anschauungslebens in der Ekstase. Die 
ekstatische Anschauung ist weder Wahrnehmung, 
noch Vorstellung, noch ein Mittleres, wie die nor- 
male Anschauungs-Illusion, sondern sie ist formal- 
abstrakte Anschauung, Anschauung schlechthin, 
Vision, Denn das Schauen in der Ekstase ist funk- 
tionell undifferenziertes Schauen, Schauen schlecht- 
hin. „Die Anschauung faßt nur die großen Züge, die 
großen Typen, die großen Komplexe. Für den 
Entrückten ist der bewegte Mensch nichts als 
ein lebendig Bewegtes, der glinzende Gegenatand 
ein Glänzendes,  Hervorstechendes; oder alle 
Einzelheiten gehen zerrinnend unter in der aus- 
gedehnten Gruppe und Lokalität, in der schwür- 
merisch durchmessenen Unendlichkeit des Natur- 
ausschníttes." Durch die Subjektivität der Ekstase 
wird der Gemiitseindruck von dem Wirklichen 
umgewandelt. „Der Erregte sieht nur Erregendee, 
der Träumer nur Traumhaftes, der Erleuchtete nur 
Lichtvoll-Klares. Dieser Subjektivismus kann un- 
mittelbar bis zur Zersetzung der Dingwelt führen, 
Dann teilt sich die frei waltende Subjektivität in 
den Urstoff der Anschauung: das Apriorisch-For- 
male und -Phánomenale bewältigt das Empirisch- 
Sachliche.“ 

Man braucht nur an die Kunst Rembrandts zu 
denken, um zu verstehen, dañ der normalen An- 
schauungs-Illusion ein Gegengewicht entgegen- 


gestellt werden mußte, um wenigstens einige der 
wesentlichsten Äußerungen der bildenden Kunst 
unter einen Begriff fassen zu können. Denn daß 
ein Gemälde nicht etwa nur ein Abbild eines 
Naturausschnittes sei, mu8 jedem, der einen 
Gesamtüberblick über das künstlerische Schaffen 
aller Zeiten hat, unmittelbar einleuchten. 

Diese Gegenüberstellung von normaler und ek- 
statischer Anschauungs-Illusion zeigt die Unzuläng- 
lichkeit, mit dem Begriff der Ulusion die möglichen 
ästhetischen Erlebnisweisen zu deuten. Das Eigen- 


tümliche der Wirkung eines Kunstwerkes besteht: 


nicht darin, daß wir das Bild mit unserer Pban- 
tasie in die Wirklichkeit übersetzen. Die Illusion, 
die eine malerische Darstellung, etwa ein Reiter- 
porträt des Velasquez, hervorbringt, besteht nicht, 
wie Konrad Lange glaubt, darin, daß wir uns 
in dem Bilde, obwohl es nur ein Bild ist, doch 
einen lebenden Reiter, etwa Philipp IV., vorstellen! 
Diese ungefähre Gleichsetzung des Inhaltes eines 
Gemäldes und des entsprechenden Wirklichkeits- 
vorbildes ist so unkünstlerisch wie möglich. 

Das mag Pap gefühlt haben, als er von der 
normalen Anschauungs-lllusion sagt, daß es eben 


der vollendete oder sich vorbereitende illusionäre . 


Effekt sei, was an die Sinnenwirklichkeit mahne 
und mit ihr verglichen werde. „Die reine, ein- 
fache Wirkung darstellender Kunst enthält keinen 
Hinweis auf ein Außerhalb, kein Wissen um Ur- 
hebung, kein Ausdeuten und Gleichsetzen. Wir 
orfassen nicht Natur und Werk getrennt und 
wieder verbunden, sondern die Natur ersteht uns 
unmittelbar aus dem Werk, aus dem physisch 
vom Auge empfangenen Werkeindruck; wir leiten 
nicht das Urbild aus dem Ebenbild ab, um es 
wieder damit zu identifizieren, sondern das Ur- 
bild ist uns immer mit dem Ebenbild gegeben.“ 

Damit rückt Pap weit ab von der Anschauung, 
daß Ilusion bewußte Selbsttáuschung sei. Aber 
er steht immer noch nicht vorurteilslos vor dem 
eigentlichen Problem, die Wirkungsweisen der 
Kunst aus sich selbst, möglichst ohne Bezug- 
nahme auf den dargestellten Naturausschnitt der 
Wirklichkeit zu erklüren. Ob eine Landschaft 
auf einem Gemälde dargestellt ist, und weiche 
Landscbaft, ob ein Pferd, ein Bildnis, und welches 
Bildnis, ob naturühnlich oder völlig wirklichkeits- 
fremd, mag dem künstlerisch geschulten Auge völlig 
belanglos erscheinen. Der eigentümliche künstle- 
rische Erregungszustand wird nicht durch die 
mehr oder mindere Naturnähe bewirkt, sondern 
einzig und allein durch die besondere Ausdrucks- 
kraft der Farbe und Form. Nicht daB auf der 
zweidimensionalen Fläche vermöge der eigen- 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 9/10 


timlichen Darstellungsmittel der bildenden Kunst 
ein Räumliches meinem Gesichtseindruck ,,illusio- 
när“ vorgezaubert wird, ist das su lösende Pro- 
blem, sondern wie durch die der Kunst eigen- 
tümlichen Formen gerade die der Kunst eigen- 
tümlichen Erlebnisweisen gewirkt werden. Durch 
den Begriff der Illusion wird der Nachdruck der 
Untersuchung stets auf den Inhalt des dargestellten 
Werkes, auf die Landschaft, auf das Bildnis, ge- 
legt, während doch gerade dieser aus der Wirk- 
lichkeit entlehnte Inhalt für die künstlerische Wir- 
kung von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist. 
Daher kommt es auch, daß die Werke der so- 
genannten primitiven Kunstrichtungen gleichsam 
nur als Vorstufen auf dem Wege zu den eigentlichen 
Höhepunkten der Kunst angesehen werden; daß, 
man kann es genauer umschreiben, als kúnstle- 
risch bedeutsam nur die Zeit der italienischen 
Renaissance und die Malerei der großen Meister 
des 17. Jahrhunderts gilt. Aber ist eine karo- 
lingische Miniatur, ein Bronzechristus, ein Aqua- 
manile des 12. Jahrhunderts von geringerer künst- 
lerischer Bedeutung? Der Begriff der Illusion 
versagt dort ebenso wie bei einer Fülle rein kunst- 
gewerblicher und architektonischer Schöpfungen. 


Diesen Einwänden suchte Pap dadurch zu be-. 


gegnen, daß er Abwandiungen der normalen wie 
auch der ekstatischen Illusion feststellte und außer- 
dem noch auf die Augenblicks-Illusion, die Rand- 
Illusion und ihre Verwicklungsmöglichkeiten hin- 
weist. 

Da die Anschauungs-Illusion nur fallweise ästhe- 
tischen Wert haben kann, da sie nicht an sich 
ästhetisch ist, gelangt Pap folgerichtig zu einer 
Untersuchung der nichtästhetischenlilusion. Neben 
den biologischen Grundlagen des ästhetischen 
Illusionswertes werden die natürlichen Analoga 
der künstlerisch erzeugten Anscbauungs-Illusion 
festgelegt. Den gróBten Teil der Forschung nimmt 
die Inbezugsetzung des illusionüren Erlebnisses 
zum Kunstwerk und zu den einzelnen Künsten ein. 

Von dem reichen Inhalt kann die Aufzählung 
der einzelnen Probleme kein anschauliches Bild 
übermitteln. Wenn Pap glaubt, daB die Mittel 
malerisch-bildnerischer Vorführung so unendlich 
zahlreicher Modifikationen fähig sind, daß beinahe 
jedes wahrhaft originale Werk seine eigene illusio- 
nistische Methode hat, und daß es selbst bei 
lebenslangem Umgang mit der Kunst niemals 
dahin kommen wird, daß die Illusion ihren Vari- 
ationswert günzlich, dauernd und unwiederbring- 
lich einbüßt, ist damit deutlich die Fülle der zu 
lösenden Fragen vorgezeichnet. 

Eine sehr wertvolle Ergänzung des eigentlichen 


30 293 


Mauptteiles, in dem diese Lehre der Anschauungs- 
Illusion entwickelt wird, bringt der polemische 
Teil, in dem Pap seine Stellung zu den bedeu- 
tendsten Vertretern der Illusions-Asthetik festlegt; 
su Konrad Lange, Karl Groos, J. Volkelt, Theo- 
dor Lipps, Oswald Külpe, Paul Souriau, A. 
v. Meinong und Stefan Witasek. 


Auf die eigentlich psychologischen Fragen ein- 
zugehen, ist hier nicht der Raum. Es solite nur 
auf den Wert des Buches fiir den ernsten Kunst- 
betrachter hingewiesen werden. In allen Fillen, 


selbst dann, wenn durch den Begriff der Illusion j 


notwendigerweise das eigentliche Wesen des kiinst- 
lerischen Erlebnisses infolge außerkünstlerischer 
Beziehung zur Wirklichkeit verschleiert wird, ent- 
halten die Ausführungen Paps so viel Anregungen, 
daB das Buch Kunsthistorikern aufs wármste emp- 
fohlen werden muß. Lüthgen. 


ADOLF HILDEBRAND, Gesammelte 


Aufsütze. Zweite vermehrte Feldaus- 
gabe. StraBburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz 


und Mündel) 1916. I Mark. 


. Die Feldausgabe dieser zu verschiedenen Zeiten 
und an verschiedenen Orten erschienenen ästhe- 
tischen Betrachtungen des großen deutschen Bild- 
hauers wurde nötig, weil „Im Felde ein so großes 
Bedürfnis nach anregenden Büchern besteht, weiche 
die Menschen auf andere Gedanken bringen als 
die jetzige Weltsituation.“ Mit diesen Worten 
führt der Verlag das kleine Werk ein. Das Be- 
dürfnis nach Büchern, nach Vorstellungen und 
Zielen, welche nichts mit dem Krieg — denn die 
„jetzige Weltsituation“ ist nichts anderes als ein 
unaufhérliches Tóten und Zerstóren — sondern 
mit dem Frieden und der Arbeit des Friedens zu 
tun haben, ist aber nicht nur im Felde, sondern 
auch daheim sehr stark vorhanden und wird nur 
durch die Heuchelei unterdrückt, welche der ge- 
dankenlosen Vorstellung entspringt, Patriotismus 
und Kriegsbegeisterung sei ein und dasselbe. Je 
ernster und bestimmter sich die Interessen aller 
auf die Kulturarbeit richten, desto besser wird es 
für Deutschland sein. Was an geistigen und 
wirtschaftlichen Krüften noch nicht vernichtet iat, 
wird nach dem Friedensschluß notwendig ge- 
braucht, um die unterbrochene Kulturentwicklung 
weiterzufübren. 

Die hier zusammengefaßten Aufsätze Adolf Hil- 
debrandts sind in den Jahren 1809—1016 ent- 
standen. Sie enthalten kurze, leicht geschriebene 
Betrachtungen über künstlerische Zeitfragen oder 
handeln von Dingen, die den Künstler unabhängig 


294 


von Zeit- und Tagesinteressen gerade beschäftigten. 
Es ist natürlich, daß diese für den Augenblick 
und ohne Bezug auf tiefere kunstwissenschaftliche 
Probleme entstandenen Schriften nicht mit Hilde- 
brandts epochemachendem Werk über das Problem 
der Form verglichen werden dürfen. Von dauern- 
dem Wert bleiben diese kleinen Schriften vor 
allem durch die Persönlichkeit des Autors. Was 
ein Adolf Hildebrand an kunsttheoretischen Er- 
kenntnissen mitzutellen hat, wie die Welt der for- 
malen Erscheinung sich ihm darstellt, ist immer 
wichtig für die Beurteilung des Kunstwollens un- 
serer Zeit; denn wie der Künstler seine Ideen im 
Schaffen gewinnt, so schafft er auch wieder aus 
seiner von der Erkenntnis geborenen Absicht her- 
aus. In dieser Hinsicht sind auch noch diejenigen 
Aufsátze Hildebrands interessant, die lüngst nicht 
mehr aktuell sind, wie etwa seine Schrift über die 
Vila Borghese und das Denkmal Kónig Um- 
bertos. Die meisten der Aufsátse haben aber, 
trotzdem sie von Tagesinteressen ausgehen, doch 
immer eine allgemeinere Bedeutung. Charakte- 
ristisch hierfür ist der Artikel über das Münchener 
Künstlertheater, in welchem der Verfasser einige 
für die Ausgestaltung des Bühnenbildes sehr wert- 
vole Hinweise gibt. In dem Artikel über die 
Bedeutung von Größenverhältnissen in der Archi- 
tektur macht Hildebrand auf die Tatsache auf- 
merksam, daß in einigen Kunststilen die kon- 
struktiven Glieder der Architektur als ornamentale 
Formen auf das Mobiliar und die kunstgewerb- 
lichen Gegenstinde übertragen werden, wührend 
in anderen kunstgewerbliche, im kleinen erfundene 
Formen ins Grofe übersetzt und als Bauglieder 
verwendet werden. Daraus entwickelt er den fol. 
genden Gedanken: „Wenn wir diese beiden Pro- 
zesse sich gegenüberstellen, so möchte es er- 
scheinen, als wáre die romantische Verkleinerung 
aus der Phantasie des Baumeisters entstanden, 
weil das Festhalten der architektonischen Form 
dabei bezeichnend ist, wührend die VergróBerung 
vom Dekorativen ins Architektonische mehr vom 
Bildhauer ausgegangen zu sein scheint, dem es 
überhaupt näher liegt, die Masse als eine nicht 
konstruktive, sondern gegebene anzusehen, die 
man erst nachher formt, wodurch das konstruk- 
tive Element überhaupt in den Hintergrund ge- 
drüngt wird.^ Es liegt hier sicher ein Moment, 
das bei der ästhetischen Beurteilung einzelner 
Kunstphasen zu berücksichtigen ist. 

Da Adolf Hildebrand nicht nur schaffender Künst- 
ler, sondern, wie seine schriftstellerische Tatigkeit 
beweist, auch Denker und Beobachter ist, so 
sprengen seine Gedanken hier und da den Rahmen 


des reinen Kunstinteresses. Es sei daher auch 
dem Rezensenten erlaubt, einen zwar streng ge- 
nommen nicht hierher gehörenden, aber gerade 
jetzt sehr fruchtbaren Gedanken des Meisters aus 
dem Artikel über Arbeiter und Arbeit zu ver- 
zeichnen. Als Ausspruch Adolf Hildebrands mag 
er zu einem Platz in den Monatsheften für Kunst- 
wissenschaft berechtigt sein; ,Der Spielraum der 
individuellen Begabung und Kraftentfaltung ist 
(bei uns in Deutschland) überall so eingeengt, daß 
die Tätigkeit an sich ein Minimum der natürlichen 
Freude am elgenenjUrteilen und Können bedeutet, 
- .... Wir gehen in Deutschland mit der 
Begabung so gleichgültig um, daB eine 
Masse von wertvoller Kraft verschwendet wird." 
Gerade heute, wo der Krieg die wertvollen Krüfte 
des Reiches auf die Hälfte reduziert, wäre es an 
der Zeit, дай den noch übrig Gebliebenen freie 
Bahn und bessere Entwicklungsmóglichkeiten ge- 
schaffen würden. Hildebrand spricht an einer 


anderen Stelle von dem ,zuschauenden Bildungs- 
niveau“ und ich kann es mir nicht versagen, 
diesen Ausspruch hier hervorzubeben, weil er mir 
die treffendste Bezeichnung scheint, welche bis- 
her für den immer úberhandnehmenden ästheti- 
schen Dilettantismus der gebildeten und halb- 
gebildeten Kreise gefunden worden ist. Es liegt 
in der Natur der Sache, daß dieses gebildete Zu- 
schauen fast ausschlieBlich auf die Kunst gerichtet 
ist und durch Feuilleton-Aesthetik gefüttert wird. 
Es schadet der Kunst und der Kunstwissenschaft 
in gleicher Weise. Eine Kunst und Kunstwissen- 
schaft fórdernde Gesinnung wird nach dem Krieg 
nur auf der Basis des von Adolf Hildebrand Мег 
kurz zusammengefaßten Gedankens möglich sein: 
„Das zuschauende Bildungsniveau zu heben, liegt 
weder im Interesse der Kultur, noch des einzelnen. 
Schaffen, produzieren, entstehen lassen, darum 
handelt es sich, da liegt die einzige gesunde Ent- 
wicklung.“ Robert West. 


DER CICERONE. 


X, 15/16. 

E. LÜTHGEN: Die Sammlung Leo Kirch in Köin 
(Schluß). (24 Abb.) 

GEORG BIERMANN: Die deutsche Kunst in der 
Zukunft. 

X, 17/18. 

GEORG BIERMANN: Max Pechstein. (16 Abb.) 


WILLY P. FUCHS: Tizians deutsche Landschafts- 
architekturen. 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
XXI. Jahrgang, Heft 7/8. 


FRITZ von OSTINI: Friedrich Stahl - Feldafing- 
Miinchen. (7 Abb.) 

F. CHRISTOPHE: Paul Scheurich als Graphiker. 
(2 Taf., 13 Abb.) 

F. CHRISTOPHE: Richtige Einstellbarkeit für die 
Kunstbetrachtung. 

CAMILL HOFFMANN: Bildnisaufnahmen von 
Hugo Erfurth. (2 Taf., 5 Abb.) 

THEODOR HEUSS: Bildhauer Carl Stock-Frank- 
furt a/M. (т Taf, то Abb.) 

W.KURTH: Tizians Venus mit dem Orgelspieler. 
(r Taf) 

HANS HILDEBRANDT: Europa und die ost- 
asiatische Kunst. (4 Taf., 13 Abb.) 


ROBERT CORWEGH: Kunstgewerbe auf der 
Leipziger Messe, 


ERNST ZIMMERMANN:. Neue Arbeiten der kgl. 
Porzellan-Manufaktur in Meißen mit Unterglasur- 
kobaltblauér Malerel. (3 Abb.) 

Arch. E. FAHRENKAMP: Ein Backstelnhaus, 
(6 Abb.) 

HANS HILDEBRANDT: Die Stuttgarter Inszenie- 
rung von Glucks Iphigenie auf Tauris. (2 Abb.) 


Heft 9: 

W.KURTH: Werke deutscher Künstler des 19. Jahr- 
hunderts. Ausstellung bei Fritz Gurlitt - Berlin. 
(a Taf., 6 Abb.) 

FRITZ MAX CAHEN: Bildnisse von Oskar H. 
Hagemann. (1 Taf., 3 Abb.) 

E. W. BREDT: Holzschnitte von Joseph Weiß. 
(1 Taf., 7 Abb.) 

RICHARD BRAUNGART: Neue Arbeiten von 
Ferdinand Staeger. (a Taf, 12 Abb.) 

THEOD. VOLBEHR: Photographische Bildnisse 
von Angelika Bick-Ohlhoff. (3 Abb.) 
HELMUTH DUVE: Neues Kopenhagener Por- 
zellan. (1 Taf., 4 Abb.) 

A. SCHWEISGUT: Bemaltes Porzellan von Emmy 
Seyfried-München. 

ERNST COLLIN: Der große Wettbewerb für 
Kriegeanleibeplakate, (r Taf., 18 Abb.) 


Heft ro. 
EDUARD von BENDEMANN: Deutsche Kunst 
Darmstadt 1918. (2 Taf, 26 Abb.) 


WALTER BOMBE: Was ist Expressionismus? 
WILHELM HAUSENSTEIN: Ferdinand Hodler +. 


295 


HANS THOMA: An den Vorstand der Freien 
Sezession, Berlin. 


DIE KUNST. 
XIX, 11. 
G. J. WOLF: Edmund Steppes. (1 Taf., 12 Abb.) 


PAUL F. SCHMIDT: Das Wesen des deutschen 
und französischen Klassizismus. 


R. OLDENBOURG: Maria Caspar-Filser. (9 Abb.) 


G. KEYSSNER: Amandus Faure, (r farb. Taf., 
6 Abb.) 


HERMANN MUTHESIUS: Die Verpflichtung zur 
Form, 


G. J. WOLF: Bruno Goldschmitt. (20 Abb.) 


Amerikanische Landhäuser und Gartenanlagen. 
(т Taf., 11 Abb.) 


OUDE KUNST. 

III, 10. 

NANNE OTTEMA: Het aardewerk in de Noor- 
delijke Nederlanden en gebruik in het laatste 
kwart van de zestiende eeuw. (5 Taf.) 

H. MARTIN: Twee schilderijen van den 17¢ eeuw- 
schen schilder Francois Carré. (3 Abb.) 

M. J. WILDEMAN: Twee silhouetten en een mi- 
niatuur. (3 Abb.) 


BERLINER MUNZBLATTER. 

Neue Folge, Nr, 200. 

ORTWIN MEIER: Ein braunschweig - lüneburgi- 
scher Hohlpfennig aus dem 2. Drittel des 14. Jahr- 
hunderts. (3 Abb.) 

L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916—1918. 
(Fortsetzung.) 


OUD HOLLAND. 

Sondernummer: Inhaltsübersicht des 26,—35. Jabr- 
ganges. 

XXXVI, 1 und 2 (Doppelnummer). 

H. E. van GELDER: De zestiende - eeuwsche glas- 
schilderingen in de Haagsche Sint- Jacobskerk. 
(a4 Abb.) 

S. LEURS en C. F. X, SMITS: Oud-Nederlandsche 
bouwkunst (Kempische torens). (7 Abb.) 

R. LIGTENBERG: Materialen voor een studie 
over de beeldhouwers de Nole en hun werken. 


Korte mededeelingen. 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 
KUNSTSAMMLUNGEN. 
XXXIX, ro 


J. SIX: Die Landschaft in dem Johannes des 
Hieronymus Bosch. (9 Abb.) 


XI. Jahrgang, Heft 9/*c. 


Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. — 
Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin 
W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT 


& BIERMANN, Leipzig. 


Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring sa. | 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 j In der SCHWEIZ: 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467. 


Es wird gebeten, alle für die Schriftleitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an 
Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158 zu richten. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


296 


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Abb. 1. Vischer, Gedächtnistafel für Henning Goden, + 1521. Abb, 3. Dürer, Gottvater aus der apokalyptischen 
Wittenberg und Erfurt Vision der sieben Leuchter 


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Abb. 2. Dürer, Krönung Mariä aus dem Marienleben. 1510 (Ausschnitt) 


Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER V 


M. f. K. XL, 9/10 


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Dürer, Madonna mit der Sternenkrone 1508 


Abb. Io. 


Abb. g. Hans Vischer, Epitaph der Margarethe Riedinger 1530. 


Aschaffenburg, Stiftskirche 


Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V 


„ XL, 9/10 


Tafel 57 


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Abb. 11. Aus Celtes, Quattuor libri amorum. Nürnberg 1502. 


Oben darauf gelegt eine aquarellierte Federzeichnung Peter Vischers d. J., heute im Berliner 
Kupferstich-Kabinett, ursprünglich in einem Nürnberger Codex des Pankraz Schwenter über 
die Herkulestaten, von 1515 


Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V 


M f.K., XI, 9/10 


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Tafel 


Abb. 13. Jakob Elsner, Miniatur aus dem Missale für Anton Kreß, 1513. 


Peter Vischer d. J., Gedáchtnistafel für Anton KreB, + 1513. 


Abb. 


Als Depositum im Germanischen Museum in Nürnberg 


Nürnberg, Lorenzkirche 


Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V 


„F. K., XL, 9:10 


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Abb. 16 Peter Vischer d. J., Faun a. d. Fuggergitter. 
Bleistiftzeichnung im German. Museum von 1806 


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Abb. 18. Apollo aus den Tarrocchi 


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Abb. 17. Zoan Andrea, Ausschnitt aus dem 


Ornamentstich B. 30 


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(Nach A, Brinckmann, Die praktische Bedeutung des 
Ornamentstichs. Mit gütiger Bewilligung des Verlegers 


Herrn E. Heitz, Straßburg.) 


Peter Vischer d. J., Apollo vom Sockel des 
Sebaldusgrabes 1508/09 


Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER V 


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Tafel 61 


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des Sanftmütigen, T 1464. 
Aus einer sächsischen Hütte. 


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Gravierte Grabplatte des Herzogs Friedrich 


Abb. 2r. 
MeiBen, Dom ed by XXN 
M. f. K., XI., 9 10 Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER V 


1428. 


Deckplatte der Tumba in sehr erhabenem Relief. 


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Peter Vischer d. А., Gravierte Grabplatte des Herzogs Ernst v 


Aus einer sächsischen Hütte 


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Herzog Friedrich der Streitbare, 


Abb. 20. 


Abb. 22, 


Tafel 62 


Abb. r. P. P. Rubens, Enthauptung der hl. Katharina. Lille. 


Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE 


M. f. K., XI. 9/10 


Tafel 63 


Abb. 2. P. P. Rubens, Entwurf zur hl, Katharina. Wien, Albertina 


Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE 


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M. f. K., XL, g 10 


Tafel 64 


Abb. 3. P. P. Rubens, Martyrium des hl. Stephan. Valenciennes 


Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE 


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Z. 1018 


Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjáhrlich Mark 18.— 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 11/12 


ABHANDLUNGEN 

W. von GROLMAN, Zur Wiirdigung 
des Veit StoB. Mit 28 Abbildungen 
auf xs ТАШ. «ua 5 S. 297 

DR. PAUL F. SCHMIDT, Karl Philipp 
Fohr. Sein Leben und seine Kunst. 
Mit 14 Abbild. auf 8 Tafeln . S.310 

ROBERT WEST, Der romanische 
Kreuzgang an der Stiftskirche in 
Berchtesgaden, Mit 9 Abbildungen 
auf 4 Teilen iv 9 ә S. 321 

HUBERT STIERLING, Kleine Bei- 
tráge zu Peter Vischer. 6. Das Ur- 
bild des Sebaldusgrabes. Mit 2 Ab- 
bildungen auf т Tafel S. 341 


A.S.DREY 


Kóniglid Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximilianplatz Nr.7 


Paris, 55avenue des ChampsElysées. 


REZENSIONEN 


Johannes Kramer, Metaline Grabplatten in 
Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang 
des 16. Jahrhunderts (ca. 1390 bis ca. 1510). 
Haller Dissertation. 1912. 79 Seiten (Hubert 
C SUE QE S A S. 345 

Oskar Walzel, Wechselseitige Erhellung der 
Künste. Berlin, Reuther u. Reichard. 1917 
CPP ²˙¹iwꝛ·Ü¹¹i¹Tͤ ͤ K 8. 348 


Hanns Floerke, Die Moden der italienischen 
Renaissance von 1300 bis 1550. 132 Tafeln 


mit Text und Erläuterungen. Georg Müller, 

München 1917 (Rosa Schapire) . . . 8.350 
RUNDSCHAU. S. 351 
REGISTER ˙ꝛůn’¹Q‚ S. III 


Ausstellung 
kostbarer Antiquitäten + Ein- und 


Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Gemálde, Porzellane, Móbel und 


Antiquitáten jeder Art. 


JULIUS BOHLER. MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR 8» MAJ. DES KAISERS UND KONIGS — KGL BAYR. HOFANTIQUAR 
BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÁLDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITATEN 


ZUR WURDIGUNG DES VEIT STOSS 


Mit achtundzwanzig Abbildungen auf dreizehn Tafeln Von W. von GROLMAN 


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D^ Kunst des Veit StoB hat seit fast anderthalb Jahrzehnten die Forschung in 
zunehmendem Maße beschäftigt. 1903 erschien die erste verdienstvolle Zu- 
sammenstellung der Werke des Meisters von Daun’), und einige Jahre später die 
mehr für Laienkreise berechnete Monographie desselben Autors in der KnackfuB- 
Serie ). während 1912 die umfangreiche, überaus sorgfältige und wertvolle Arbeit 
des inzwischen auf dem Felde der Ehre gefallenen jungen Loßnitzer?) brachte. 
Endlich hat Daun‘) im J. 1916 eine, auf den dreifachen Umfang erweiterte und 
ganz umgearbeitete neue Auflage seiner Monographie von 1903 heraus gebracht, 
die freilich Neues von irgendwelcher Bedeutung nicht beibringt und die zahlreichen 
Ergebnisse anderer Forschungen der letzten Jahre entweder nicht nennt oder nicht 
anerkennt. Daneben bereicherten manche Einzeluntersuchungen unsere Kenntnis 
des Meisters um eine Reihe zum Teil wertvoller Werke. Es sei hier nur erinnert 
an die Auffindung der Rochusstatue und eines Kruzifixus durch Hermann Voß’) in 
Florenz, die Entdeckung der Anna Selbdritt in Wien durch Rathe*) und die einer 
freilich stark mitgenommenen Verkündigung durch Fr. Tr. Schulz?) in Langenzenn. 
Dennoch wagt Verfasser die Behauptung, daB der Meister bis auf den heutigen 
Tag unter starker Verkennung zu leiden hat, und daB es an der Zeit ist, unser 
Urteil über die wahrhaft groBe Kunst des Veit StoB einer weitgehenden Revision 
zu unterziehen. 

Der richtigen Einschätzung des Künstlers standen von jeher ungewöhnliche 
Schwierigkeiten entgegen. Zunächst gibt es wohl, von Cranach abgesehen, kaum 
einen anderen großen Meister, der so ungleichmäßig produzierte, und namentlich in 
späteren Jahren so oft hinter seinen Werken der früheren Zeit zurückblieb. Dann 
aber entzogen sich die Originale der nicht nur nach Qualität, sondern auch nach 
Umfang weitaus wichtigsten Schöpfungen des Künstlers im fernen Krakau sogar 
der Kenntnis der meisten Kunstforscher. Und selbst den prüfenden Blicken der 
wenigen, die bis dorthin vordrangen, blieben gerade diejenigen Werke, in denen 
der Künstler sein Bestes gab, die eigenhändigen Stücke der Riesenserie von 
18 Reliefs mit weit über roo ?/,—?/, lebensgroBen Figuren durch die Hóhe ihrer 
Aufstellung fast unzugänglich; beginnen doch die untersten Reliefs erst 4 m über 
dem Fußboden, um bis 6,50 m emporzureichen, während gar die oberste Reihe in 
der schwindelnden Höhe von 9—11½ m angebracht ist. Dazu kommt eine 
äußerst entstellende, krasse moderne Bemalung. Photographische Reproduktionen 
fehlten aber so gut wie vollständig. Dem Marienaltar gesellen sich dann noch 
das mächtige Königsgrab auf dem Wawel, der treffliche kleine Ölberg und 
die beiden unvergleichlichen Kruzifixe, von denen das im Triumphbogen der 


(z) B. Daun, Beiträge zur StoBforschung; VeitStoß und seine Schule etc. Hiersemann, Leipzig 1903. 
(2) B. Daun, Veit Stoß, KnackfuB-Sammiung von Velhagen & Klasing, Leipzig und Bielefeld 1906. 
(3) M. LoBnitzer, Veit StoB, die Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben. Leipzig, 
J. Zeitler 1912. 

(4) B. Daun, Veit Stoß, Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Leipzig, Hiersemann 1916. 

(5) Herm. Voß, Entstehung des Donaustils. Leipzig, Hiersemann 1907. 

(6) Kurt Rathe, Ein unbekanntes Werk von Veit StoB in Wien. Jahrb. der k. k. Zentralkomm. 1909. 
7) Fr. Tr, Schulz, Mitteilungen aus d. Germ. Mus. 1908, S. 92 ff. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12 21 297 


Marienkirche in einer Hóhe schwebt, die jede ernstere Betrachtung ausschlieBt. 
Daneben muß der Eindruck verblassen, den die in Deutschland befindlichen Werke 
zu machen vermügen. Von diesen ist, wie Bode bemerkt, ,das bekannteste und 
berühmteste“ der englische Gruß in der Lorenzkirche, der, wie der gleiche 
Forscher hinzufügt, ,unter den beglaubigten Werken wohl obenan genannt 
zu werden verdient“ Aber alle, die sich mit dieser als Dekoration gewiß 
genialen und groBartigen Schópfung befaBten — welch’ prachtvollen Kirchen- 
schmuck der englische Gruß darstellt, läßt 2. B. vorzüglich die Aufnahme der 
MeBbildanstalt vom Chor der Lorenzkirche erkennen — tadeln mit Recht an ihm 
„den Mangel tieferer Empfindung“ (Bode); Daun fügt hinzu, daß die gezwungene 
Stellung und unfreie Haltung der Hände die künstlerische Wirkung beeinträch- 
tigt; und LoBnitzer sagt: ,Die riesenhaften Figuren haben kein richtiges Leben.“ 
Heben wir noch hervor das blöde Lächeln des mißgestalteten Marienkopfes — 
eine Eigenschaft, die dieser mit fast allen Frauenküpfen der Spätwerke teilt — 
und es wird begreiflich, warum die Begeisterung vor diesem Hauptwerk des 
Meisters auch das groBe kunstliebende Publikum bisher nicht recht zu erfassen 
vermochte. Auch der rohe Naturalismus der Volckamerschen Reliefs in St. Sebald 
konnte, seitdem die Urheberschaft des Veit StoB festgestellt ist, die Liebe zu dessen 
Kunst nicht steigern; und das gilt u. E. erst recht von dem umfangreichsten und 
bedeutendsten Werk des Künstlers auf deutschem Boden, dem spüten Bamberger 
Altar. Mag sich hier, vom rein artistischen Standpunkt aus gesehen, ein noch so 
groBes Kónnen offenbaren, mógen selbst einzelne ansprechende Züge nicht fehlen, 
der Gesamteindruck muB als ein direkt widerlicher bezeichnet werden. Gewiß, 
der Priester auf der Darstellung im Tempel mit seinem mächtigen Patriarchen- 
haupt ist eine bedeutende Gestalt, zwei der Kónige auf der Anbetung sind wiirdige 
Erscheinungen und die im verlorenen Profil gesehene Frau mit der Taube stellt 
eine brillante Gewandfigur dar; sie alle zeichnet eine gewisse GroBzügigkeit aus. 
Aber die drei Mariendarstellungen?! Die Körperhaltung ist bei allen äußerst ge- 
ziert, die Hände sind noch knochiger und ungelenker geworden — zwischen Finger 
und Mittelhand scheint eine Gelenkversteifung eingetreten zu sein — wührend die 
Stirn in unnatürlicher Weise verbreitert ist; das blóde Lücheln aber der Maria des 
englischen Grusses hat sich inzwischen zu einem ganz fatalen Grinsen gesteigert: 
Und das wiederholt sich auch bei dem Mohren auf der Anbetung und den Engeln 
des Schreins; hier könnte man beinahe glauben, eine aus dem Irrenhaus ent- 
sprungene Gesellschaft vor sich zu haben. Man sehe sich daraufhin einmal die 
Abbildung 73 in der Daunschen KnackfuB-Monographie an! Schon die Maria des 
StoBhauses, deren delikate Erscheinung dadurch noch kaum beeintrüchtigt wird 
und nur einen leichten Stich ins Prezióse erhält, weist bereits die Anfänge jener 
absonderlichen Verbildung des Mundes auf, spüter aber nimmt diese ganz groteske 
Formen an (die kleine Maria aus der Anna selbdritt in Wien mit der tapir- 
artigen Schnauze) — die Deformation der Stirn wächst ins ungeheure (abschrecken- 
des Beispiel die von VoB entdeckte Statuette im South-Kensington - Museum) — 
und die Augen werden kugelfórmig vorgetrieben (Maria der Verkündigung aus 
Heilsbronn, die LoBnitzer merkwürdigerweise dem Meister abspricht). 

Leicht zugüngig ist dann noch die Sebalder Kreuzigungsgruppe: aber hier hat 
ein eigenes MiBgeschick dazu beigetragen, den bedeutenden Wert der beiden ur- 
sprünglich nicht zum Kruzifix gehürigen Figuren zu verdecken. Bis zur Restau- 
rierung der Kirche waren sie, wie man noch bei Daun — Knackfu8- Monographie 
Seite 92 — sehen kann, mit dem Blick nach dem Beschauer statt nach dem 


298 


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Kreuze aufgestellt. Noch LoBnitzer bildet, ohne etwas darüber zu sagen, die beiden 
in dieser ganz falschen Stellung ab. Die Gegenüberstellung einer neuen richtigen 
Aufnahme der Maria und des Johannes (Abb. 1 u. 4), die Verfasser anfertigen ließ, 
mit der allein im Handel befindlichen Photographie läßt sofort erkennen, wie sehr 
dadurch der Eindruck des Werkes geschädigt wurde. In der falschen Aufnahme hat 
man direkt den Eindruck, da8 Johannes und Maria sich gleichsam angewidert, man 
möchte sagen, degoutiert vom Kreuze wegwenden, aber das Merkwiirdigste ist, daß 
zu diesem Eindruck nicht nur die verkehrte Kórperhaltung und die falsche Stellung 
der Hände beitragen. Auch das Antlitz scheint von dem gleichen Ausdruck ge- 
zierten Widerwillens erfüllt, während bei richtiger Ansicht der eines höchsten 
Schmerzes und tiefster Ergriffenheit zum Vorschein kommt; die Verbindung mit 
den sinnwidrigen Gesten ändert offenbar auch den Ausdruckswert der Gesichts- 
züge. Freilich spielen hier noch andere Momente mit, Verfasser gedenkt in einem 
besonderen Aufsatz noch mehrere Beispiele dafür beizubringen, wie die gleichen 
Gesichtszüge bei nur wenig veründertem Standpunkt der Aufnahmen und Beleuch- 
tung ganz verschiedenen Ausdruck zeigen kénnen. — Aber damit nicht genug: die 
wundervoll geschlossene Form der Gewandfigur erscheint von vorn gesehen aus- 
druckslos und völlig zerrissen. 

Das vielleicht bedeutendste Werk auf deutschem Boden birgt die Lorenzkirche 
im Kruzifixus über dem Altar. Leider erschwert auch hier das Gegenlicht, auBer- 
dem die Vergoldung, die Betrachtung, und eine brauchbare Photographie scheint 
nicht zu existieren. Dank dem Entgegenkommen LoBnitzers und seines Verlegers 
konnte Verfasser von dessen Platte eine VergróBerung anfertigen lassen, die wenig- 
stens einigermaßen dem Werk gerecht wird. Schon Bode rühmt an ihm und dem 
neuerdings leider viel zu bunt bemalten Kruzifix aus der Spitalkirche im Germa- 
nischen Museum, die er mit Recht zu dem allerbesten zählt, das die deutsche 
Plastik hervorgebracht hat, ,eine Vornehmheit der Haltung, eine GróBe der Auf- 
fassung, namentlich in dem Antlitz von herber Schünheit, die sonst die meisten 
Bildwerke des Veit StoB vermissen lassen“. Merkwiirdigerweise glaubt er aber 
diese Arbeiten, die er für Spätwerke hielt, während sie LoBnitzer wohl mit Recht 
der frühen Nürnberger Zeit zuschrieb, „gegenüber seinen verschiedenen überschätzten 
(sic!) Jugendwerken“ hervorheben zu sollen. Wir werden später schen, daß diese 
Gekreuzigten bereits in Krakau mehrere gleichwertige Vorgänger von ganz ähn- 
licher oder fast der gleichen Prägung besitzen. Der Kruzifixus ist überhaupt der 
einzige Vorwurf, den Stoß zu allen Zeiten seines langen Lebens in gleich er- 
greifender Auffassung und Vollendung zu gestalten wußte. Ein weiteres Beispiel 
hierfür, das bisher selbst der Forschung. entging, ist der von Loßnitzer in die 
Literatur eingeführte Kruzifixus in der Margaretenkapelle der Burg, dessen herr- 
liches Haupt er in seinem Werke abbildet. Loßnitzer glaubt allerdings dieses 
Werk nur dem Atelier des Meisters zuschreiben zu sollen; der Kopf macht dem 
Verfasser aber den Eindruck der Eigenhündigkeit Das ganze Werk zu Gesicht 
zu bekommen, ist ihm trotz mehrmaligem Besuche der Burg nicht gelungen. — 

Nach alledem darf man sich nicht wundern über das ungünstige Gesamturteil, 
das der Kunst des Meisters bisher fast durchgängig zuteil wurde und wovon hier 
einige Proben wiedergegeben seien. So spricht Daun!) von Stoß als einem „tüch- 
tigen Bildschnitzer“, den er den Meistern zweiten Ranges zuzurechnen scheint. 
Er bewundert mit anderen hauptsächlich den brillanten Techniker der Holz- 


(1) B. Daun, Veit Stoß. Leipzig, Hiersemann 1903, p. 49. 
299 


schnitzerei und den Naturalisten, der aber bei der Schilderung geistiger Vorgšnge 
im Gegensatz zu Adam Kraft versage und in weitem Abstand hinter diesem zurück- 
bleibe. Diesem Urteil schlieBt sich Dauns gestrenger Kritiker Th. Hampe!) an, 
„seine (Stoßens) ganze Art legt mehr Gewicht auf effektvolle Wiedergabe aller 
AuBerlichkeiten als auf seelische Vertiefung“. Und ebenso bemerkt Eigenberger*) 
in seiner vortrefflichen Studie über Adam Kraft, die Kunst des Veit Stoß sei „mehr 
eindrucksvoll als ausdrucksvoll“. Auch Baum?) stimmt in diesen Chorus ein 
und findet StoB im Vergleich zu Kraft ,selbst in seinen besten Schópfungen 
lärmend und dennoch zugleich nichtssagend“ (sic!) Fast noch schlimmer 
geht Hermann Voß‘) mit dem Künstler um. Er findet gerade in den Früh- 
werken (!) des StoB ,,einen dumpfen, inferioren Geist, der über die Gestalten des 
Künstlers ausgebreitet ist. Plump und häßlich sind die Züge, nichtssagend das 
regelmäßige Eirund ihrer Kopfformen.* Zwar, fügt er einschränkend hinzu, sei der 
große Wille nicht zu verkennen, aber es fehle seiner Äußerung an Leichtigkeit und 
Freiheit, ,so entsteht der erschreckende Eindruck des Gewaltsamen. Man wun- 
dert sich nicht mehr, wenn man von der tragischen Laufbahn des Künstlers selbst 
hört, der früh zu Ehren gekommen, durch eine unzweifelhafte, aber höchst be- 
greifliche Verschuldung alles wieder einbüBte!* — 

Zweck dieser Zeilen ist es, an Hand eines ausreichenden photographischen 
Materials, wie es zum ersten Male hier und in weit reicherem Maße auf einer 
in Wiesbaden bevorstehenden Ausstellung geboten wird’), nachzuweisen, daB die 
ganze bisherige Beurteilung des Veit StoB mangels genügender Kenntnis seines 
Hauptwerkes, eben des Krakauer Altars, auf falscher Basis aufgebaut ist: Ja, Ver- 
fasser steht nicht an zu behaupten, daB nur vóllige Unkenntnis der groBartigen 
I8 Relieftafeln, die neben manchen durchaus gleichgültigen die edelsten Früchte 
StoBischer Kunst umschließen, die unbegreifliche Tatsache zu erklären vermag, daß 


(1) Th. Hampe, Veit Stoß von B. Daun. Mitteilungen des Vereins f. d. Erforschung der Geschichte 
der Stadt Nürnberg, Jahrg. 1904. 

(2) R. Eigenberger, Einige Beitráge zur Kenntnis der in Nürnberg erhaltenen Werke des Adam Kraft. 
Münchener Jahrb. d. b. K. 1914—15. 

(3) J. Baum, Ulmer Plastik, Seite 131. 

(4) Hermann VoB, Entstehung des Donaustils, Seite 92. 

(s) Diese vom Verfasser als dem Leiter der „Wiesbadener Gesellschaft für bildende Kunst“ seit Jabren 
vorbereitete Ausstellung von Photographien ganz großen Formates nach sämtlichen Hauptwerken 
unserer altdeutschen Plastik aus der Zeit der Spätgotik und Frührenaissance soll, wenn nicht durch 
die Kriegsverhältnisse unüberwindliche Hindernisse bereitet werden, während des Jahres 1918 im 
neuerbauten stádtischen Museum stattfinden. Zunüchst kommt jedoch nur die etwa 350 Nummern 
umfassende Sammlung von Aufnahmen der fränkischen, fränkisch-schwäbischen, mittel- und ober- 
rheinischen Schulen zur Vorfübrung. Die Komplettierung der sweiten Abteilung ist wübrend des 
Krieges nicht móglich. Was die etwa 36 Reproduktionen aller wichtigen Teile des Krakauer Marien- 
altars anlangt, so stellen diese Vergrößerungen nach den ausgezeichneten Platten dar, die der Photograph 
Pawlikowski für den Krakauer Altertumsverein und das Werk Prof, Koperas vor Jahren gemacht hat 
und für deren gütige Überlassung Verfasser sowohl dem Vorstand des genannten Vereins, wie Herrn 
Prof. Kopera zu allergrößtem Dank verpflichtet ist. Erst durch die sehr bedeutende Vergrößerung der 
Originalplatten war es móglich, von den figurenreichen Reliefs eine für die kunsthistorische und 
ästhetische Würdigung ausreichende Anschauung zu gewinnen. Die VergróBerungen sind beiläufig 
von solcher Schärfe, daß sie mit wenigen Ausnahmen den Eindruck von Originalaufnahmen machen, 
dabei zeichnen sie sich durch wundervolle braungoldne Tönung aus, so daß sie auch dem nur ästhe- 
tisch Interessierten vollkommenste Befriedigung zu gewähren vermögen. — Zusatz während der Kor- 
rektur: Die Ausstellung der Photographien während des Krieges hat sich inzwischen als unmöglich 
herausgestellt, da die Kartons nicht geliefert werden dürfen. 


300 


sich selbst unsere besten Kenner bis in die jüngste Zeit über die angebliche Frage 
der Eigenhündigkeit eines so klšglichen Machwerkes wie des Schwabacher Hoch- 
Altars nicht zu einigen vermochten. Von Bergau, Robert Vischer und Bode 
bis zu Rée und Fr. Tr. Schulz wird der Schwabacher Altar, wie Loßnitzer her- 
vorhebt, unter den Hauptwerken der Niirnberger Periode des Meisters angefiihrt, 
wenn auch einige an dem Schrein, einige an den Reliefs teilweise Mithilfe von 
Schülern erkennen wollen. Auch Dehio!) glaubt wenigstens den Schrein für 
eigenhündig erklüren zu sollen. Daun aber findet, das die Hauptfiguren des 
Schreins mit denen in Krakau und Bamberg wetteifern kónnen, und daB ,in dem 
Relief des Marientodes die gespreizte Dramatik (nümlich des Krakauer Werkes) 
durch edle Mäßigung verdrängt, die Empfindung stiller Teilnahme, wehmiitiger 
Erhebung und Herzenstrauer mit Feinheit ausgedrückt sei“. „So läßt sich,“ schließt 
er in nicht eben schönem Deutsch, „gerade am Schwabacher Altar die Eigen- 
händigkeit des Veit Stoß feststellen.“ Es zählt nun freilich zu den wertvollsten 
Leistungen Loßnitzers, die Unhaltbarkeit dieser Anschauungen schlagend dargetan 
zu haben, nur hätte er durch die Gegenüberstellung guter Abbildungen von Einzel- 
heiten beider Altäre, wie sie die Wiesbadener Ausstellung bringt, den Leser von 
der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugen müssen. Verfasser möchte glauben, daß 
selbst ein so hartnäckig an seiner einmal aufgestellten Ansicht festhaltender Autor 
wie Daun, der noch in der neuesten Auflage seines Werkes die oben zitierten 
Urteile wiederholte, durch eine solche Konfrontierung des Schwabacher und Kra- 
kauer Werkes einer Bekehrung fähig sein dürfte (Abb. 2). 

Neben dem Mangel an seelischem Gehalt wird jedoch der Kunst des Veit Stoß 
noch anderes vorgeworfen. So ist erstaunlich, mit welchem Übelwollen von vielen 
die Gewandbehandlung wie auch die Komposition des Meisters beurteilt wird 
Das geringste ist, daß man sie zu entschuldigen sucht. Vor allem wirft man ihm 
Unruhe und Überfüllung vor. So sagt z. B. Daun (p. 17 der Knackfuß-Monographie) 
von dem Krakauer Altar: „Die Flügelreliefs wiederholen die Unruhe in Bewegung 
und Komposition und lassen die Absicht merken, durch gedrehte Falten, die hart 
und steif in die Luft stehen (?), die leeren Stellen zu füllen.“ Dieses lieblose 
Urteil bekundet u. E. einen völligen Mangel von Empfindung für die eigenartigen 
Reize des Stoßschen Dekorationsstils. Auch werden wir uns später überzeugen, 
daB gerade die eigenhändigen Flügelreliefs sich durch meisterhafte Komposition 
auszeichnen, und daB nur in ganz vereinzelten Füllen von einer Unruhe und Über- 
fülung die Rede sein kann. Aber davon abgesehen bleibt bei diesem Vorwurf 
unbeachtet, daB man den Künstler hier persónlich für Dinge haftbar macht, die 
der ganzen damaligen Kunst eigentümlich sind. Loßnitzer bemerkt daher ganz 
richtig, daB gerade das, ,was man als das Persónlichste seines Stils, die leiden- 
schaftlichen Bewegungsmotive, die häufige Überfüllung des Raumes und die auf- 
geregten, flatternden Gewänder betrachtet,“ viel weniger dem Künstler als dem 
Zeitstil zur Last füllt. Er weist dabei auf die ganz analoge Behandlung des 
Christophorusgewandes auf dem Baldachinrelief des Kaiser Friedrich-Grabmals von 
Nikolaus v. Leyden hin; an anderer Stelle (p. 79) áuBert er, daB StoB die Vor- 
liebe für Unruhe und Bewegung im Faltenstil von der Passauer und Wiener Kunst 
überkommen habe; sie findet sich übrigens schon genau so bei dem Christus in 
St. Sebald, den LoBnitzer seinem Simon Lainberger zuschreibt und der in der 
Überfülle seines rauschenden Faltenwurfes aufs frappanteste mit dem Christus des 


(z) Debio, Handbuch d. deutschen Kunstdenkm., Bd. III, S. 467/68. 


30I 


Auferstehungsreliefs in Krakau übereinstimmt1). Es darf vielleicht noch daran er- 
innert werden, daB sich auch jenseits der Alpen im Quattrocento z. B. bei den Engel- 
gestalten Botticellis ganz šhnliches findet. Die Gerechtigkeit erfordert hier anzu- 
erkennen, daß Hermann Voß trotz seines oben zitierten absprechenden Urteils dieser 
Seite der Stofischen Kunst besseres Verstündnis entgegenbringt. Er erblickt darin 
mit Recht die Zeichen einer Sturm- und Drangzeit der gesamten damaligen Kunst, 
als deren ülterer Vertreter Veit StoB, als deren jüngerer der Dürer der Apokalypse 
erscheine. ,Im wesentlichen sind es die gleichen Züge, die bei Dürer den Sturm 
und Drang charakterisieren wie bei StoB: zunüchst die Überfülle des Gewandes, 
die stürmischen Bewegungen und die nicht selten überfüllte Komposition. Man 
kónnte hinzufügen: es sind die Charakteristika aller Sturm- und Drangkunst, in der 
Literatur nicht minder wie in den bildenden Kiinsten. Es genügt, hierbei an 
Goethes und Schillers Anfünge zu erinnern. Bei Dürer hat das die Kritik nicht 
verhindert, die Kraft und Fülle seiner Phantasie zu bewundern, die sich in der 
Apokalypse offenbart, aber bei StoB scheint es üblich, nur die Schwáchen seiner 
Vorzüge zu sehen. Gerade als ob nicht jeder Kunst bei der immanenten Ein- 
seitigkeit alles künstlerischen Gestaltens solche notgedrungenerweise anhaften 
miiBten. Scheut man nicht die geringe Mühe, sich in die Gedankenwelt des 
Meisters einzuleben, anstatt ihn immer nur von einem anderen, ihm heterogenen 
Standpunkt aus zu bekritteln, so wird man sehr bald von der GroBartigkeit dieses 
Faltenwurfes und der geistreichen Führung seiner einzelnen Motive, die sich auf 
das allervorteilhafteste von dem kleinlichen Durcheinander der knittrigen Falten- 
brüche eines Riemenschneider unterscheiden, gepackt und gefesselt. Der maje- 
stätische Eindruck des prächtigen Andreas in St. Sebald beruht nicht zum letzten 
auf der groBartigen Kaskade, in der die Falten des aufgehobenen Mantelstiickes 
zur Erde niederstürzen?). Gibt es ferner etwas Genialeres als den Faltenwurf des 
Mantels bei dem kleinen Engel der Nürnberger Jakobskirche??) Zunächst 
rein formal genommen ist es eine Augenweide, diesem Schwung der Linien zu 
folgen; aber darüber hinaus ist hier eine äußerst komplizierte Bewegung mit einer 
nur dem ganz großen Künstler möglichen Intensität der Beobachtung in dem starren 
Material veranschaulicht worden. Man begreift sofort, wie diese krausen Ver- 
schlingungen zustande kamen, dadurch, daß der Arm, jäh erhoben, plötzlich stille 
hielt: das durch den Schwung nach oben noch nachträglich emporgeschleuderte 
Gewand ist im Augenblick der Umkehr der Bewegung dargestellt‘), Man sieht 
es förmlich wippen und schweben. Aber das weitaus interessanteste Beobachtungs- 
material für den unerschöpflichen Reichtum dekorativer Gewandmotive bilden doch 
die Reliefs des Krakauer Altares neben einzelnen Figuren des Schreins. Dabei 
ergibt das genaue Studium, daß neben dem freilich noch entscheidenderen geistigen 
Gebalt der Köpfe die Gewandbehandlung bei den verschiedenen Teilen des Altars 
ein äußerst wertvolles Kriterium für die Eigenhändigkeit darstellt. Was allen 


Werkstattarbeiten fehlt, ist mit zuerst der Mangel beherrschender Motive in der 
Gewandbehandlung. 


(x) Abb. bei Loßnitzer, Tafel 20. 

(2) Abb, ebenda Tafel 37. 

(3) Ebenda Tafel 46. 

(4) Diese Auffassung steht allerdings in einigem Widerspruch mit Loßnitzer, der in der Figur einen 
hi. Raphael sieht, der ursprünglich mit einem Palmzweig in der Hand ausgestattet war. Aber wie 


sollte die flach ausgebreitete, mit der Innenseite nach oben gekehrte Hand einen Palmzweig gehalten 
haben? 


302 


Es ist ein groBes Verdienst des LoBnitzerschen Werkes, zuerst eine freilich noch 
lange nicht genügend ins einzelne gehende und darum nur teilweise zum Ziel ge- 
langende Untersuchung der Krakauer Relieftafeln gebracht zu haben. Mit Recht 
sagt der Autor (p. 48): ,,Nur aus den eigenhündigen Teilen des Marienaltars kann 
man eine Vorstellung von dem Wesen dieser eigenwilligen Kunst gewinnen,“ denn 
der Altar enthält namentlich in seinen Reliefs neben Meisterwerken 
allerersten Ranges von ergreifendem seelischem Gehalt absolut wert- 
lose, ja direkt abstoBende Nichtigkeiten, und zwar beides bunt durch- 
einander gemengt. L. untersucht nun zunšchst die Reliefs auf ihre Entstehungs- 
zeit und üuBert die ansprechende Vermutung, vielleicht die früheste Tafel sei der 
Tempelgang Mariae — das unterste der drei Reliefs am linken Blendflügel — ,,das 
beide (getrennt gearbeitete) Reliefhülften in einem architektonischen Rahmen ein- 
gefaßt zeigt". Es scheint einleuchtend, daß hier der erste Versuch vorliegt, die 
gewaltige Fläche (2,50 m Breite und 2,00 m Hóhe) zu bewültigen. Auch bei 
sümtlichen Reliefs des rechten Blendflügels und dann auf der einen Seite des linken 
beweglichen Flügels hat der Künstler die Tafeln aus zwei Hälften zusammengesetzt, 
wenn schon hier die architektonische Teilung aufgegeben ist. Dagegen kehrt diese 
wieder auf der Darstellung Christi im Tempel dem unmittelbaren Nachbar des 
Tempelgangs Mariae. Vielleicht ist auch hier die Zweiteilung der Tafel nur durch 
die das Werk genau in der Mitte teilende Säule verdeckt. Wie dem auch sei, die 
Verwandtschaft dieses Werkes mit dem Tempelgang ist in jeder Hinsicht außer- 
ordentlich auffällig: die Gewölbebildung ist auf beiden fast identisch, die Figur des 
Mannes zu äußerst links mit dem großen Bart und der hohen malerischen Juden- 
mütze ist eine direkte Weiterbildung der gleichen Gestalt auf dem Tempelgang, 
so daß man u. E. auch eine unmittelbar zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Ent- 
stehung annehmen darf. Danach wäre die „Darstellung im Tempel“ das zweit- 
älteste Relief des Altars (s. Abb. 3 u. 5). 

Zur Frage der Eigenhündigkeit übergehend spricht L. dem Künstler sámtliche 
drei Reliefs des linken Blendflügels (Goldene Pforte, Geburt Mariä und Tempel- 
gang) vúllig ab. Die drei Tafeln des rechten Blendflügels — Christus als Gürtner, 
die Frauen am Grabe, Christi Hóllenfahrt — scheinen ihm ,,von StoB selbst oder 
unter seiner Leitung gefertigt zu sein“. Damit steht freilich nicht ganz im Ein- 
klang Seite 83 seines Werkes, wo es heißt, „wir haben bereits die sechs Reliefs 
der feststehenden Flügel samt dem Lusiner Altar als typische Werkstattarbeiten 
erkannt, die nur nach Entwürfen des Meisters gefertigt sein können“. Im Gegen- 
satz hierzu erklärt unser Autor sämtliche sechs Reliefs auf der Außenseite der 
beweglichen Flügel — die also bei geschlossenem Altar die Mitte zwischen den 
Reliefs der Blendflügel bilden — für eigenhändig. „Von diesen gehören wahr- 
scheinlich die Gefangennahme Christi und die Beweinung zu den letzten, spátesten 
Arbeiten,“ sagt er und fährt fort: „Vielleicht sind diese spätesten und besten Reliefs 
erst nach seiner Rückkehr von der Nürnberger Reise im Jahre 1488 entstanden.“ 
Für eigenhändig scheint L. auch die sechs in viel höherem Relief gearbeiteten 
Tafeln auf der Innenseite der beweglichen Flügel zu halten, als da sind: Verkün- 
digung, Geburt, Anbetung der Könige, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingstfest. 

Demgegenüber ist Verfasser der Ansicht, daß L. mit seinem Urteil 
stark in die Irre geht, und daß eigenhändige und Werkstattarbeiten sich 
unter den Außen- wie unter den Innenreliefs befinden. Zunächst sind 
jedenfalls die großen Meisterwerke, wie die ganz wertlosen Stücke unter 
beiden zu finden. Und zwar sind, wie später im einzelnen gezeigt werden soll, 


303 


zu den ersteren zu zšhlen: von den Innenreliefs nur die Himmelfahrt und die 
Anbetung der Kónige, letztere wenigstens in der getrennt gearbeiteten rechten 
Hälfte; von den AuBenreliefs vor allem die Beweinung, die Darbringung im 
Tempel und die von L. als Werkstattarbeit angesprochene Höllenfahrt, dann 
die Geburt Mariä, der Tempelgang Mariä, linke Hälfte, die Begegnung an 
der Goldenen Pforte, alle drei letztgenannten auf dem linken Blendflügel, den 
L. dem ganz talentlosen Schnitzer der Figuren im Gespreng als selbständige Arbeit 
zuschreibt und „sie in seiner harten und trockenen Manier gearbeitet“ sein läßt. 
Unbedingt nicht von der Hand des Meisters sind dagegen: zu allererst das 
vielgerühmte Pfingstfest von der Innenseite, aber auch die von L. besonders 
gelobte Gefangennahme, der ı2jährige Jesus im Tempel, der größte Teil 
der Kreuzigung und wohl auch die Grablegung, sämtlich von L. für eigen- 
händig erklärt, ferner die Frauen am Grabe und Christus als Gärtner, die 
auch L. wenigstens an einer Stelle seines Buches als Werkstattarbeiten aufführt. 

Die Himmelfahrt Christi (Abb. 6) und die Be weinung (Abb. rou 21) sind wohl die 
geistig bedeutendsten Stücke der ganzen Folge. Erstere dem nahe verwandten, aber 
durchaus von fremder Hand stammenden Pfingstwunder weit überlegen, legt sowohl 
in der gesamten Komposition wie in jeder Einzelheit Zeugnis davon ab, daß nur ein 
Großer im Reiche der Kunst ihr Schöpfer sein kann, obwohl sie nicht frei ist von 
den typischen Schwächen der Frühwerke aus einer Zeit, die noch um die Be- 
wältigung der Darstellungsmittel ringt. Statt der sonst üblichen Art, den Unter- 
körper des zum Himmel fahrenden Christus dem Beschauer und den Jüngern als 
einzigen Teil seiner Gestalt zu zeigen, der sich Dürer noch in seiner kleinen Pas- 
sion schuldig machte, ist hier nur ein Fels dargestellt, auf dessen oberster Kuppe 
man die Fußspuren des Erlösers wahrnimmt, die auf das Wunder deuten, das sich 
hier vollzieht!). 

Nach diesem geistigen Mittelpunkt konvergieren alle Linien der gesamten Kom- 
position, wie von magnetischer Kraft dorthin gezogen. In nahezu symmetrischer 
Anordnung sind die Anbetenden je zur Hälfte rechts und links des Felsens ver- 
teilt, so daß sich beide Seiten fast wie Spiegelbilder gleichen; doch wirkt dies 
keineswegs ängstlich, sondern wird erst bei näherer Aufmerksamkeit überhaupt 
bemerkt. Unter dem Felsen sind einander entsprechend Maria und Petrus an- 
geordnet, die Silhouetten ihrer Gewänder, die sich fast in der Mittellinie berühren, 
weichen nach außen und unten immer mehr auseinander, so daß beide Gestalten 
zusammen mit dem Felsen eine spitze Pyramide bilden, deren Linien jedoch sehr 
wohltätig für das Auge, durch das Überragen der Köpfe über die Felswände unter- 
brochen sind. Hinter ihnen ordnen sich die übrigen Jünger wieder in zwei ge- 
schlossenen, einander genau das Gleichgewicht haltenden Gruppen. Alle durch- 
pulst die gleiche Erregung und zieht sie nach oben und der Mitte. Dieses Sich- 
Stauen und Drängen der Menge ist von großer suggestiver Kraft. Nur in einem 
Punkte zahlt der Künstler den Tribut seiner Zeit, indem er von den Hintergrund- 


(1) Eine frühere Verwendung dieses Motivs ist dem Verfasser nicht bekannt geworden. Es ist also 
wohl geistiges Eigentum des Stoß. Zweifelhaft erscheint dagegen, ob das nicht unwirksame Strahlen- 
bündel, das aus aufgesetzten Holzleisten besteht und in ähnlicher Form vielfach an dem Altar wieder- 
kehrt, nicht ein spáterer Zusatz ist. Hans Mackowski, dem Verfasser die Photographie zeigte, sprach 
zuerst ihm gegenüber diesen Verdacht aus. Er scheint seine Bestütigung darin zu finden, daB der 
Kruzifixus in der Marienkirche eine ähnliche Strahlenbekrönung tatsächlich erst im 17, Jahrhundert 
erhielt. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Meister die Strahlen, wie man beobachten kann, sogar 
gelegentlich auf die Stirnen der Jünger angenagelt hitte. 


304 


figuren manchmal nur einen Teil des behaarten Kopfes zeigt, oder sie wie die 
beiden links über Johannes in einer ungeschickten Profilansicht auf die Fläche 
preBt, doch zeigen diese beiden offensichtlich nur als Füllfiguren behandelten Ge- 
stalten gegenüber der vollendeten Darstellung ihrer beiden Vordermünner auch 
sonst noch so viele Schwüchen — z. B. den unglücklichen Rückenansatz des hinteren, 
die geistlosere Behandlung des Kopf- und Barthaares, dazu den mangelnden Ge- 
sichtsausdruck — daB man sich fragen muB, ob der Künstler nicht diese Teile 
Gesellenhänden überließ. Bei Beurteilung dieser Figuren ist auch zu beachten, daß 
sie im Original ganz anders zurücktreten wie auf der überscharfen Photographie. 
Im übrigen findet gerade in den Kópfen und den sprechenden Gesten der Hünde 
die allgemeine Ergriffenheit ihren beredtesten und bewegtesten Ausdruck. Es sei 
gestattet, die Gestalt des Johannes (Abb. E), die zum vollendetsten gehören dürfte, 
was religiöse Kunst geschaffen hat, hier etwas näher zu analysieren: eilenden 
Schrittes naht er der Státte des Wunders, aber schon reiBt es ihn in die Kniee, 
im nächsten Augenblick wird er gleich den beiden vor ihm anbetend nieder- 
gesunken sein; bereits hat er die Hšnde in gróBter Erregung gefaltet — man sieht 
wie die Finger sich krampfhaft ineinanderschlieBen — und folgt mit dem Aus- 
druck höchster Spannung, um nicht zu sagen Erschütterung in dem jugendlich 
schónen Antlitz dem Vorgang in den Lüften; die ganze auch durch ibr bedeuten- 
des Menschentum fesselnde, herrliche Jünglingsgestalt erscheint wie durchglüht 
von heiligem Glaubenseifer, von Andacht und Bewunderung. Aber auch dem 
leichten und sicheren Fluf des bei allem Reichtum im Detail durchaus groBzügig 
behandelten Gewandes folgt der Blick bei jeder neuen Betrachtung mit Genuß und 
Freude; wundervoll ist endlich die Bildung der Hände und die Modellierung des 
reichen Lockenhaares! Von direkt aristokratischer Form erscheint dann die Hand, 
die sich dem Johannes auf die Schulter legt und den Blick des Beschauers zu 
dem langbürtigen Jünger hinter ihm lenkt, in dessen markigen Gesichtszügen mit 
der vornehmen Stirn- und Nasenbildung noch mehr das Staunen wie die Andacht 
geschildert ist (Abb. 10). Auch hier begegnen wir wieder der gleich genialen 
Behandlung von Kopf- und Barthaar, in der sich, wie wir weiter unten sehen 
werden, stets die ungefülschte Meisterhand zu erkennen gibt!) Als dritte Haupt- 
gestalt dieser Seite schließt sich nach vorn Maria an. 

Eine eigenartige Erregung, bei der der Ausdruck des mütterlichen Stolzes nicht 
übersehen werden darf, spiegelt sich in dem schmalen, durch eine scharfgeschnit- 
tene aber feingliedrige Adlernase charakterisierten Antlitz der Gottesmutter. Leider 
ist die durch das Relief bedingte Verkürzung des Mundes nicht völlig geglückt, 
wodurch ein leicht befremdender Zug sich beimischt. Auch auf der rechten Seite 
findet sich eine reiche Auswahl verschiedenster Vertreter des kraftvollen Menschen- 
Schlages, der uns in den beiden bereits geschilderten Jüngern entgegentrat. Dabei 
ist die seelische Anteilnahme an dem Wunder hier in nicht minder mannigfaltiger 
Art geschildert: zuvorderst Petrus kniend, ganz gliubige Hingabe und Ehrfurcht, 
wührend der bartlose Jiingling hinter ihm mit dem prachtvollen, merkwürdig modern 
anmutenden und fast an Meuniersche Typen gemahnenden Kopf (Abb. 11), ganz 
und gar erfüllt scheint von dem Drange, sich von der Wahrheit des Unerhürten, 
das er sieht, zu überzeugen. Auch der Kopf zwischen ihm und Petrus steht an 


(1) An einzelnen Stellen wird die Klarheit des Eindrucks durch kleine abgestoßene Lockenteile be- 
eintráchtigt; auch bei dem Jobannes wie bei vielen anderen Figuren des Altars wiederholt sich diese 
Beschidigung. 


305 


Qualität nicht zurück. Der Gesamteindruck aber ist der leidenschaftlichen Er- 
lebens von seiten starker, kraftvoller, zum Teil direkt edelrassiger Menschen. Wir 
werden später sehen, daß uns fast auf allen eigenhündigen Tafeln zahlreiche Ver- 
treter derselben Menschenspezies begegnen, die nichts weiß von der kleinbürger- 
lichen Enge, wie sie uns fast unzertrennlich scheint von der Kunst des hinter 
seinen Mauern zusammengedrüngten zünftigen Bürgertums vom Ausgang des 
15. Jahrhunderts. Das aristokratische W'esen vieler Reliefgestalten des Marien- 
altars ist übrigens schon Loßnitzer aufgefallen; sagt er doch p. 166 sehr richtig: 
„Ein letzter Schimmer hófischer Pracht des Mittelalters war über die Relieftafeln 
ausgebreitet: Alle Gottes- und Heiligenbilder erhielten die zarten Gelenke, die zier- 
lichen Gewánder des Fürsten. Derbknochige Bauern zu bilden blieb einer spáteren 
Zeit vorbehalten.“ Hierzu ist jedoch zu bemerken, daf gerade bei der Himmel- 
fahrt von diesem mittelalterlich hófischen W'esen eigentlich nichts mehr zu sehen 
ist. Dagegen kommt dieses Prüdikat, was wir hier vorwegnehmen, im hócbsten 
Grade z. B. den Gestalten der köstlichen Geburt Mariä, des Tempelgangs Mariä 
und der Darstellung im Tempel, auch noch denen der Anbetung der Könige auf 
der Innenseite des linken Flügels zu; aber bei der Himmelfahrt ist die mittelalter- 
liche Zierlichkeit und mit ihr auch die Unsicherheit im Stehen, die Unklarheit der 
Körperbildung verschwunden. Diese Menschen sind im Irdischen viel sicherer 
fundiert als ihre Vorgünger bei den genannten, offenbar früher entstandenen Tafeln, 
doch verleugnen sie darum nicht ihre vornehme Abstammung. Wohl haben sie 
jetzt feste Knochen und klar gebildete Gelenke, aber sie gehören, wie schon oben 
gesagt wurde, immer noch einer veredelten Menschenrasse an. Mit anderen 
Worten: Veit hat es verstanden, indem er die bei allem Realismus noch mehr 
allgemein gehaltenen Gestalten mittelalterlich hófischen Geprüges der ülteren Tafeln 
immer mehr mit individuellem Leben sáttigte, ohne doch dabei irgendwie in 
Naturalismus zu verfallen, 20 Jahre vor der Jahrhundertwende einen modernen, 
frei und kühn anmutenden Menschentyp aufzustellen, wie wir ihn sonst erst im 
Cinquecento zu treffen gewohnt sind. Dieser Entwicklungsgang tritt besonders 
klar vor Augen, wenn wir etwa die Gestalten des jüngeren Königs auf der An- 
betung (Abb. 3), oder die der schónen Beterin auf dem Tempelgang (Abb. 5) mit 
denen des Johannes und seines Hintermannes oder gar des bartlosen Jünglings auf 
der rechten Seite der Himmelfahrt vergleichen. In dieser groBartigen Typen- 
bildung aber scheint uns eines der unsterblichsten Verdienste des Meisters um- 
Schlossen zu sein. Hat doch vielleicht einzig und allein vor der Berührung mit 
Italien und der Antike der ültere Syrlin in den besten seiner Prophetengestalten 
am Ulmer Chorgestühl sich zu einer ähnlichen freien und großzügigen Menschen- 
bildung emporgeschwungen. : 

Nur in einem der groBen Reliefs und zwar gerade in dem meistgenannten, nám- 
lich der AusgieBung des heiligen Geistes (Abb. 7), tritt uns die kleinbürger- 
liche Welt des altdeutschen Schnitzelaltars, wenn auch in gemilderter und genieB- 
barer Form entgegen. Loßnitzer sagt von diesem, wobei er es, wie es scheint, in 
einem gewissen Gegensatz zu der darüber befindlichen Himmelfahrt bringen will, 
offenbar nur, weil er von letzterer sich nicht die genügende Anschauung verschaffen 
konnte: „Das untere der beiden Reliefs ist auch im plastischen Detail mit größter 
Liebe durchgebildet und zeigt eine Fülle markanter Apostelküpfe.* Wir werden 
sehen, wie sehr auch, von allem anderen abgesehen, selbst diese Durchbildung 
hinter der der Himmelfahrt zurücksteht. 

Die ganze Komposition des Pfingstfestes zeigt wie auch die meisten Einzelheiten 


306 


grüBte Verwandtschaft mit der der Himmelfahrt, ja das ganze stellt sich fast als 
eine freie, minderwertige Kopie der Himmelfahrt dar. Im Mittelpunkt die Gestalt 
der Maria, eine Art Gegenstück zur Madonna der Himmelfahrt, und von allen Figuren 
allein auch stilistisch ihrem Vorbild sehr verwandt. Links dahinter wiederum Jo- 
hannes und vor ihr zur Rechten abermals Petrus, beide fast wörtliche Wieder- 
holungen der gleichen Gestalten auf der Himmelfahrt, und doch durch eine Welt 
von diesen getrennt! An Stelle des sehnigen, kraftvollen Jiinglings ist hier in dem 
Johannes eine weichliche, ausgesprochen muskelschwache Gestalt mit abgehármten 
Zügen und eingefallenen Wangen getreten (Abb. g), Petrus aber, auf der Himmelfahrt 
eine vornehme, edle Erscheinung, prüsentiert sich als bescheidener Handwerker 
mit ordindrer Stülpnase und mürrischem Gesichtsausdruck in den kleinlichen Zügen. 
Seinem derben Schusterkopf ist der eines schwächlichen Schneiders mit Bocksbart 
gesellt, der wieder dieselbe Schädelbildung aufweist wie Johannes. Es ist erforder- 
lich, auf diesen Punkt noch etwas nüher einzugehen. Wer wie Verfasser von der 
Medizin zur Kunstwissenschaft gekommen ist, wird sich, des Eindrucks nicht er- 
wehren können, daß diese Leute von einer Art Knochenschwund befallen sind: 
unter den schlaffen Wangen fehlt die stützende Unterlage und die Augen mit den 
sehr bezeichnenden übergroßen, rundlichen oberen Lidern liegen zu tief in den 
Höhlen. Nirgends ist die Form unter den Weichteilen sicher zu erkennen und 
diese mangelhafte Skelettbildung ist das charakteristische Stigma für nahezu die 
Gesamtheit der Köpfe, der magern wie der fleischigen. Besonders unangenehm 
wirken bei diesen die schwammigen Wangen und die rundlichen Stirnen, die ohne 
rechte Grenze ganz allmählich in die ebenso formlosen Schläfen übergehn. Dazu 
fehlen alle belebenden Details — wie etwa die Krähenfüße in den Augenwinkeln 
älterer Personen, die Andeutung der Schlagader auf der Schläfe und ähnliches, die 
in so reichem Maße an den Köpfen der Himmelfahrt (Petrus und Paulus z.B.) ver- 
treten sind. Auch die Bildung des Augenbrauenbogens ist ein geradezu untrlig- 
liches Unterscheidungsmerkmal für die Gestalten der Himmelfahrt und des Pfingst- 
festes: Hier ein erstaunlicher Reichtum feiner Einzelbeobachtungen und stetes 
Durchscheinen der an dieser Stelle sehr formreichen und komplizierten Knochen- 
unterlage — so ganz besonders bei Petrus, Paulus und dem jungen Bartlosen, so- 
wie dem Langbärtigen zu äußerst links (Abb. 10 u. т”) — auf dem Pfingstfest da- 
gegen ist eine fast scharfkantige, einförmige, halbrunde Trennungslinie zwischen 
Schädel und Augenhöhle — am auffallendsten bei dem langbärtigen, sitzenden, in der 
Bibel lesenden Apostel links, dessen auch geistig völlig leerer Kopf schon mehr auf 
handwerksmäßiger Stufe steht. Sehr bezeichnend ist endlich die Art der Haar- 
behandlung! Man vergleiche etwa unsern Mann mit der Bibel mit dem gleichfalls im 
Profil gesehenen und ebenfalls langbärtigen Apostel zu äußerst links auf der Himmel- 
fahrt! Wie unklar und unsicher ist der Bart, wie langweilig das strähnige Haar 
gegeben! Und das gleiche gilt von Haar und Bart seines Hintermannes, oder dem 
Haupthaar des Jünglings vor ihm. Selbst der Johannes, der offenbar mit beson- 
derer Liebe und Sorgfalt gearbeitet ist, hat statt des natürlichen Lockenhaares 
seines Bruders auf der Himmelfahrt eine Theaterperücke auf. Ganz schematisch 
sind wiederum die langen Bärte und Haare der beiden von vorn gesehenen ganz 
leeren Gestalten mit der Stirnlocke gearbeitet. Nur ein einziger Kopf unter den 
Aposteln, der zu äußerst rechts, erinnert in der Formbildung noch etwas an die 
Gestalten der Himmelfahrt, jedoch mit dem Unterschied, daß auch diese vorzüg- 
liche Figur einen entschieden zarteren Knochenbau besitzt. Daneben fällt durch 
seine Qualität der bartlose, von vorn gesehene ältere Kopf in der linken Hälfte des 


307 


Pfingstfestes auf, der im übrigen alle charakteristischen Formeigentümlichkeiten, 
die wir oben einzeln hervorgehoben, aufweist, aber offenbar Portrütdarstellung ist. 

Unsere Stilanalyse hat mit absoluter Sicherheit ergeben, daß zwei ganz ver- 
schiedene Hiünde das Relief der Himmelfahrt und das der AusgieBung des heiligen 
Geistes gearbeitet haben, und selbst wenn man von jedem Qualitätsurteil absehen 
wollte, würe an dieser Tatsache festzuhalten, denn es sind zwei ganz entgegen- 
gesetzte Temperamente, die sich in beiden Tafeln aussprechen, dort in der Himmel- 
fahrt äußert sich ein jugendlich-feuriges, bei der Ausgießung dagegen ein weiches 
und sanftes Gemüt. Fanden wir bei der Himmelfahrt eine Versammlung von 
Petrusnaturen, die bereit sind, jederzeit das Schwert für ihren Meister zu ziehen, 
so hier eine Schar günzlich unkriegerischer, aber christlich demütiger Naturen, die 
höchstens für ihren Meister zu leiden und zu sterben vermögen. Es läßt sich 
nicht leugnen, daß trotz der weit geringeren technischen Qualität manche dieser 
Gestalten etwas Rührendes in ihrer Unbeholfenheit haben, und daB ihr ganzer 
Charakter entschieden mehr unseren Vorstellungen von den ersten Christen ent- 
spricht als der der Himmelfahrtjiinger. Auch an die Anhänger des Emanuel Quint 
in Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Roman könnte man sich erinnert fühlen. 

Wenn nun oben gesagt wurde, daß die Gestalten der eigenhändigen oder unter 
persönlicher Leitung des Meisters entstandenen Tafeln ausnahmslos von einem 
ritterlich vornehmen Geist getragen und von dementsprechender Körperbildung 
seien, so muß hier einschränkend hinzugefügt werden, daß auch diese Regel nicht 
ganz ohne Ausnahme ist; denn auf der zweifellos eigenhändigen, hochbedeutenden 
Höllenfahrt Christi, dem obersten Relief des rechten Blendflügels herrscht dieser 
Geist nicht, vielmehr nähern sich die Typen hier schon dem, was wir auch sonst 
in der zeitgenössischen Kunst zu finden gewohnt sind, so sehr sie sich anderer- 
seits in der scharfen und klaren Modellierung, in der Betonung des Kopfskeletts 
von den weichlichen Gestalten des Pfingstfestes unterscheiden. Die eingehendere 
Würdigung des ausgezeichneten Werkes muß noch zurückgestellt werden, denn 
hier ist zunächst der weiteren auffallenden Tatsache zu gedenken, daß uns auch 
in den Figuren des Schreines, die gleichfalls später noch im einzelnen zu be- 
sprechen sind, ein viel stärkerer Naturalismus entgegentritt als auf der übergroßen 
Mehrzahl der Relieftafeln, wodurch einzelne — nicht alle — der Apostel bereits 
einen ausgesprochen kleinbürgerlichen Typ erhalten haben. Es genügt hier, an 
die Mittelfigur zu erinnern. Dabei ist jedoch auch die Modellierung und Skelett- 
bildung dieser Köpfe wieder ganz die gleich scharfe und eindringliche wie auf der 
Hóllenfahrt und, fügen wir hinzu, auf allen eigenhändigen Tafeln. Nur die Auf- 
fassung hat gewechselt. Auffallend ist das gerade an dem Schrein, von dem man 
doch annehmen sollte, daß er zuerst entstand. jedenfalls aber ist zuzugeben, daß 
an dem Altar sich eine Tendenz wahrnehmen läßt, die sich in der Richtung des 
zunehmenden Naturalismus bewegt, wie sie gerade der Kunst des letzten Viertels 
unseres Jahrhunderts eigentümlich ist. Selbst auf dem Relief der Himmelfahrt 
können wir Gestalten von stärkerem Naturalismus und solche von mehr idealisti- 
scher Form — um den etwas veralteten Ausdruck hier zu gebrauchen — unter- 
scheiden, so in dem bartlosen Jüngling auf der rechten Seite (Abb. 11) und in dem Lang- 
bürtigen zu üuBerst links (Abb. 10). Und wir brauchen nur einen Blick auf das erste 
datierte Werk der Nürnberger Zeit, die Volckamer-Reliefs zu werfen, um uns zu über- 
zeugen, daB hier der Künstler bereits ganz in dem kleinbürgerlichen Naturalismus 
der zeitgenössischen Kunst untergetaucht ist. Es muß daher nochmals die Frage 
geprüft werden, ob sich das Relief der AusgieBung des heiligen Geistes nicht doch 


308 


einfach aus der Entwicklung des Künstlers selbst erklären läßt. Man könnte etwa 
zu der Hypothese greifen, daB es nach der Rückkehr des Stoß von seiner Nürn- 
berger Reise im Jahre 1486 entstanden sei und daß Stoß während seiner fast zwei- 
jührigen Abwesenheit in Nürnberg von der dort herrschenden, einen kleinbürger- 
lichen Naturalismus pflegenden Richtung der Wohlgemut und Genossen angesteckt 
worden sei. Aber dann bleibt noch immer sowohl die weit geringere technische 
Qualität wie vor allem die völlig verschiedene Auffassung, der „Temperaments- 
unterschied“ der Gestalten auf der Himmelfahrt und dem Pfingstfest unerklärt. 
Die Sebalder Reliefs zeigen keine Spur irgendeiner Sentimentalitat, sondern hóch- 
stens eine gewisse derbe und ziemlich rohe Kraft. Es bleibt daher nur die An- 
nahme, daB das Pfingstfest als ziemlich selbstündige Arbeit eines Werkstattgenossen 
aufgefaßt werden muß. (Schluß folgt.) 


309 


KARL PHILIPP FOHR. SEINLEBENUNDSEINEKUNST 
Mit vierzehn Abbildungen auf acht Tafeln Von Dr. PAUL F. SCHMIDT 


nter den Romantikern, welche die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 
U ans Licht zog, erschien Karl Fohr als eines der merkwiirdigsten und eigen- 
willigsten Talente. Die beiden Gemálde, die man von ihm sah — und es sind 
überhaupt nicht mehr zutage gekommen — erregten den Wunsch, mehr von 
ihm zu sehen. Die Kupferstichkabinette von Darmstadt, Frankfurt a. M. und 
Heidelberg bergen einen alten Bestand an Handzeichnungen und Aquarellen von 
ihm; die Berliner Nationalgalerie und vor allem das Dresdner Kabinett, das sich 
seit 1908 im Besitz der unvergleichlichen Sammlung Cichorius befindet, er- 
günzten jene aufs glücklichste. Aber sehr vieles liegt noch verborgen in privatem 
Besitz; und wahrhaft beklagenswert ist der Verlust von fünf oder sechs Ol- 
geinülden aus der Münchener und ersten rómischen Zeit, von denen Dieffen- 
bach berichtet, und die allem Anscheine nach vóllig verschollen sind. Sie würden 
uns AufschluB geben kónnen über den Entwicklungsgang, den Fohrs male- 
risches Kónnen eingeschlagen hat; was wir jetzt von ihm haben: , Tivoli im 
Stádelschen Institut und „Ideale Landschaft“ im Besitz des GroBherzogs von 
Hessen, sind die letzten Zeugnisse einer Entwicklung, die mit seinem Tode 
allzufrüh abbrach 1). 

Fohr war zum Landschaftsmaler und zum Romantiker von der Natur be- 
stimmt. Am 26. November 1795 in Heidelberg, als Sohn eines einfachen Lehrers, 
geboren, verbrachte er seine ganze Jugend, ja den gróDten Teil seines kurzen 
Lebens in jenen landschaftlich so reich gesegneten Gegenden, die nicht erst durch 
die Brüder Boisserée und durch Scheffel den Glanz des Romantischen empfingen. 
"Ein unaufmerksamer und unlustiger Schüler, wie viele Künstler, brachte er die 
Stunden im Heidelberger Gymnasium am liebsten mit Zeichnen zu, und der 
angeborene Drang war so kräftig in ihm, daß ihn sein Vater noch als Knaben 
zu dem alten Rottmann brachte, der ihm ebenso wie seinem eigenen Sohn Karl 
und Ernst Fries den ersten Unterricht erteilte 2). | 

Alle drei sind sie Maler der romantischen Landschaft geworden, aber Rott- 
mann, der allein von ihnen das Jünglingsalter überschritt, gelangte zu wohl- 


(1) Eine umfassende Ausstellung Fohrscher Arbeiten unter Heranziehung des Privatbesitzes, 
zum Gedächtnis seines hundertsten Todestages, bereitet der Leiter der Stádelschen Graphi- 
schen Sammlung, Herr Rudolf Schrey, vor, der gleichzeitig eine Neuauflage der schwer 
zugänglichen Biographie von Philipp Dieffenbach von 1823 veranstaltet. („Das Leben des 
Malers Karl Fohr.“ Darmstadt 1823.) Die übrige Literatur ist äußerst dürftig. Nagler, Rac- 
zynski, Weech (Badische Biographien), Beringer (Die badische Malerei im rg. Jahrhundert, 
1913) geben kurze Auszüge aus Dieffenbach. Ebensowenig ist aus Lichtenberg und Jaffé, 
Hundert Jahre deutsch-rómischer Landschaftsmalerei, aus Passavants Ansichten über die 
bildenden Künste (1820) und aus Gurlitt, Die Kunst im 19. Jahrhundert (S. 171) zu entnehmen. 
Noack, Deutsches Leben in Rom (S. 163, 377 f.), Ludwig Richters Lebenserinnerungen (S. 145ff., 
II, S. 45, 53) und Riegel, Geschichte des Wiederauflebens (S.312f., 334ff.) kommen am ehesten 
in Betracht. 

(2 Friedrich Rottmann war im wesentlichen Aquarellist und Radierer; er gab u. a. 
„Abenteuer eines reisenden Malers“ und „Ansichten von Heidelberg und Umgebung“ in 
radierten Folgen heraus. Zum schöpferischen Künstler fehlte ihm schon grundsätzliches 
Studium. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er Zeichenlehrer an der Heidelberger Uni- 
versität. Er starb 1817. 


370 


begründetem Ruhm, indessen Fries wie Fohr ihr Leben nicht auswirken 
durften !). 

Die Spuren der Rottmannschen Schulung sind in den Jugendarbeiten Fohrs 
deutlich wahrzunehmen. Die Sammelbünde des Darmstüdter Museums enthalten 
eine Fülle von Aquarellen und Studien, die sorgfáltig und sauber durchgeführt, 
von der Routine des 18. Jahrhunderts zeugen, die ihrer Technik und Anschauung 
zugrunde liegt. Die kulissenartige Behandlung des Vordergrundes mit ein- 
rahmenden Báumen, Burgruinen usw., die braungelben Tóne und der Hackertsche 
Schematismus des Baumschlags, der summierend allgemeine Hintergrund sind 
Produkte der Landschafterei aus den Zeiten Zinggs und Dietrichs, die so vóllig 
auf Tradition und verwásserter Nachahmung der Holländer — namentlich der 
geringeren, wie Waterloo, Saftleven, der Bambocciaden — und so wenig auf 
eigener Beobachtung beruhen. Doch spürt man auBerhalb des Zwanges zu pein- 
licher Ausführung, der die bildmäßig zugestutzten Aquarelle beherrscht, nament- 
lich in Federzeichnungen, und selbst in dem Mittelgrunde jener üngstlichen Dar- 
stellungen, eine freiere Auffassung, die nur auf eigener Beobachtung beruhen 
kann. Wir wissen denn auch durch Dieffenbach, daB er sich von Anfang an vor 
die Natur setzt und frisch darauf los studiert. Der Darmstädter Nachlaß enthält 
unzählige Blätter und Bláttchen, die alles aufzeichnen, was ihm vor Augen 
kommt. Er ist unendlich fleiBig und das wahre Musterbeispiel eines Auto- 
didakten. Nicht Rottmann, nicht Issel oder die Münchner Akademie, auch nicht 
Koch waren seine maßgebenden Lehrer. Die große Natur selber nahm ihn in 
ihre Lehre und unterwies ihn, alles Geschaffene zu erkennen und zu allem 
Dargestellten die richtigen Mittel anzuwenden. Da er sich so frühzeitig an ihr 
bildete, so streifte er bald die Fesseln jener баеп, lebensunfrohen Tradition ab 
und lernte alle Dinge mit unbefangener Frische anschauen. In sich selbst aber 
fand er dazu jene Kraft des Idealismus, die ihm das sichere Stilgefühl verlieh; 
so daß er zu keiner Zeit der ängstlichen Naturtreue des Autodidakten unter- 
worfen war und mit einer bewundernswerten Schárfe des Blickes den Sinn 
für GroDzügigkeit und das Pathos des Raumes verband. 

Einst fand ihn am Neckar zeichnend Georg Wilhelm Issel; wurde aufmerksam 
auf sein Talent und brachte ihn nach Darmstadt, um ihm bessere Gelegenheit 
zum Studium unter seiner Leitung zu geben. Von 1810—1815 lebte und bildete 
er sich dergestalt abwechselnd in Darmstadt und Heidelberg; auf seinen Wander- 


(1) Karl Rottmann, 1798 geboren, genoB in Heidelberg neben dem Unterricht seines 
Vaters auch den des Portrütmalers Gseller; man darf vielleicht annehmen, daB auch Fohr 
sein Figurenstudium bei diesem ergünzte. Er machte (wann?) mit Fohr eine gemeinsame 
Reise den Rhein und die Mosel entlang, wobei sie in einem Gasthaus ein Fremdenzimmer 
mit vier Landschaften ausmalten (,,Dioskuren“ 1859, S. 14; leider gibt der Anonymus keinen 
Ort an). Auch er studierte die Sammlung Boisserée und erwarb sich sogar durch Ko- 
pieren dort seine Fertigkeit im Ólmalen. Seine Entwicklung hat manche Verwandtschaft 
mit der Fohrs, nur daß sie langsamer vor sich ging; ihm war das Ausreifen seiner Kunst 
beschieden, und wahrscheinlich ist er als das kleinere Talent von beiden zu betrachten. 
Erst 1822 kommt er nach München, wo ihn ganz wie Fohr nur die Kochschen Gemälde 
anziehen und die Münchner Realisten nichts zu sagen haben; 1826—1828 ist er in Italien, 
worauf dann mit den Fresken der Münchner Hofarkaden sein Aufstieg beginnt. 

Ernst Fries (1801—1839) ist von 1823—1829 in Rom und empfängt sowohl von Fohr 
wie von Rottmann Einflüsse. Seine Zeichnung treibt die Feinheit und Schürfe oft bis 
zum Unpersónlichen; wo er Fohr am nüchsten kommt, erscheint seine Landschaft am 
meisten empfunden. Er stirbt, da er sich im Fieberwahn die Pulsadern aufschneidet. 


315 


ungen heimwärts zeichnete er die Burgen und Städtchen an der Bergstraße, und 
im Rittersaal des Erbacher Schlosses im Odenwald studierte er die alten Ritter- 
rüstungen, zu denen ihn eine leidenschaftliche Neigung zog. Seitdem ihn Dieffen- 
bach 1812 kennengelernt und seiner mangelhaften Schulbildung namentlich im 
Deutschen durch Unterricht etwas nachgeholfen hatte, las er mit großer Begierde 
Sagen in Ritterbüchern; hörte Vorlesungen des Prof. Wilken über mittelalter- 
liche Geschichte und erhielt von dem Architekten Moller Unterricht in. Per- 
spektive; kurz, er lebte hier ganz in den Ideenkreisen der Romantik und der 
Schwärmerei fürs Mittelalter, die durch, Bekanntschaften, ja feurigen Freund- 
schaftsbund mit Studenten und durch die Kenntnis altdeutscher Malerei, die ihm 
die Boisseréesche Sammlung vermittelte, immer neue Nahrung erhielt. Die große 
Zeit des nationalen Aufschwungs zog ihn auf ihre Weise in den Bann. Zwar 
wurde er nicht ausgehoben und lernte die Freiheitskriege nicht kennen; aber 
die Begeisterung der Zeit für Deutschtum und Romantik teilte sich auch ihm 
mit und spiegelte sich in seinen Zeichnungen wieder. Die Nibelungen — in 
der Prosaübersetzung von Zeuner — machten einen tiefen Eindruck auf ihn, der 
sein ganzes Leben hindurch anhielt. Noch die letzte unvollendete Zeichnung 
in Rom stellt Hagen und die Donaunixen dar. Aus jenen Jahren, namentlich 1815, 
stammen die wenigen Landschaften von „romantischer“ Prägung im eigent- 
lichen Sinn — die nicht erfreulich wirken — und die Federzeichnungen ritter- 
licher Darstellungen, von denen einige später lithographiert wurden: Ritter mit 
ihren Damen in schöner freier Landschaft, die ohne historischen Zweck er- 
scheinen und ihr adliges Dasein spazieren führen; W'ackenroderische Gestalten, 
schön frisiert und von lohengrinhaftem Edelsinn, verzückte Tenöre, Lieblinge der 
Damen; aber merkwürdig reif gezeichnet und in der Komposition sehr glücklich. 
Das Figürliche ist bis zu diesem Zeitpunkt das am wenigsten Geglückte bei 
Fohr; aber auch hier bringt er es durch fleißiges Studium, anscheinend immer 
ohne nähere Anleitung, bis zu der Vollendung, die ihm schon auf seiner Alpen- 
wanderung ein souveränes Einfügen der bewegten Gestalten in die Landschaft 
gestattet. Selbst in der Perspektive konnte ihm Moller nur die nachträgliche 
Begründung und Theorie des Instinktes geben, mit der er bis dahin die Raum- 
konstruktion bewältigt hatte, spielend und mit einer fast nachtwandlerischen 
Sicherheit: alles Technische und Handwerkliche der Kunst schien diesem glück- 
lichen „Zögling der Natur“ von selber anzufliegen. 

Issel wird er wenig verdankt haben. Die Naturen und die Kunstweisen der 
beiden waren allzu verschieden; und Fohr hatte, bei aller Empfänglichkeit für 
äußere Eindrücke, einen viel zu harten Kopf und einen zu gefestigten künstle- 
rischen Instinkt, als daß er sich von anders gearteten Einflüssen irgendwie hätte 
aus der Bahn bringen lassen i). 

Doch förderte ihn Issel aufs tätigste, empfahl ihn dem Direktor des Darmstädter 
Museums, der ihm — der fast noch Knabe war — Zeichnungen für das Museum 
in Auftrag gab, und vermittelte ihm den Auftrag, die Landschaften für das 


(1) Georg Wilh. Issel (1785—1870) war ein feines stilles Talent, das seine malerische 
Begabung und Neigung zum Idyllischen auf Reisen in Paris 1813 und 1814 schulte. Er 
erscheint fast mehr als Gelehrter und Diplomat denn als Maler. Seine Skizzen und Ge- 
mälde in Darmstadt stellen ihn an die Seite von Schilbach und Hans Beckmann. Daß 
er einen so unvergleichlich Stárkeren wie Fohr weniger leiten als lediglich fórdern konnte, 


ist klar, und vielleicht ist diese feinfühlige Hilfe gegenüber dem jungen Maler sein schónstes 
. Verdienst. 


. 


312 


,Rheinische Taschenbuch" zu liefern; es erschienen 1812—1817 von ihm alljšhr- 
lich bis zu vier Beilagen, die Haldenwang in Kupfer stach. 

Dieffenbach wiederum empfahl ihn der Groß- und Erbherzogin Wilhelmine 
von Baden-Durlach, die ihm sehr bald ein lebhaftes Wohlwollen entgegenbrachte 
und entscheidend in sein Leben eingriff. Er verehrte ihr ein Heft mit figür- 
lichen und landschaftlichen Zeichnungen, wofür ihn die Fürstin im Juni 1814 
nach Baden-Baden einlud. Die Frucht seines dortigen Aufenthalts und der 
Wanderungen ins Murgtal und bis nach Bühl und dem Mummelsee war ein 
Skizzenbuch mit Feder- und Sepiazeichnungen, das er wieder seiner Gönnerin 
überreichte: Landschaften von einer Delikatesse und Zierlichkeit der Linien, 
von einem Gefühl für den Reiz der Einsamkeit, die wahre Romantik atmen. Hier 
hat er sich in einem Rausch landschaftlichen Entzückens in einer unvergleichlich 
wohltuenden und reichen Berg- und Waldgegend selber gefunden; hier spricht 
die reifgewordene Empfindung für die Landschaft, ein neuer und ganz selb- 
ständiger Wille zum Stil. Die Ansätze, welche in diesen blütenfeinen Feder- 
zeichnungen in die Erscheinung treten, konnten vervollkommnet, auf einer 
größeren Grundlage entwickelt werden: übertreffen konnte er selbst diese 
Blätter kaum. 

Im Sommer 1815 ging er nach München auf die Akademie. Wer die Veranlassung 
dazu gab, ist nicht klar; jedenfalls aber hatte er keine sehr glückliche Wahl 
getroffen. Er hatte gute Empfehlungen mitbekommen, vor allem an den Maler 
und Galeriedirektor Joh. Christian von Mannlich!) Vielleicht war ihm auch 
einige Kenntnis von der aufblühenden Münchner Landschaftsmalerei zugeflogen. 
Wilh. von Kobell, Dillis, Dorner d. J., Wagenbauer, Quaglio lebten dort zu jener 
Zeit und hatten schon den ersten Grund zu dem qualitätvollen Realismus 
gelegt, der für unsere heutige Anschauung den besonderen Ruhm der Münchner 
Malerei ausmacht. Aber das war eine sehr wenig offizielle Kunstübung und galt 
für nichts an der Akademie, wo man auf das Naturstudium mit dem hochmütigen 
Mißtrauen des Pseudoklassizismus hinabsah; und es geschah erst in einer sehr 
viel späteren Zeit, daß Olivier, der Fohr so merkwürdig nahe steht, als Lehrer 
für Landschaftsmalerei dorthin berufen wurde?). Fohr scheint mit der Münchner 
Landschaftsmalerei in keine Berührung gekommen zu sein, und auch Mannlich 
konnte ihm nur seinen Schutz angedeihen lassen, als er mit dem Akademie- 


(1) Die Bedeutung dieses vielseitig begabten Malers und Architekten (1740—1822), der 
sich in Paris bei van Loo und Boucher bildete, mit Mengs in Freundschaft lebte und den 
ungeheuren Schloßbau von Karlsberg für KarlII. August von Pfalz-Zweibrücken leitete, 
liegt mehr auf dem Gebiet der Kunstpflege als der schöpferischen Tätigkeit. Er rettete die 
Zweibrückener Galerie vor den Franzosen und ist der erste Greneraldirektor und Organisator 
der großartigen bayrischen Sammlungen; auch um die Einbürgerung der Lithographie in 
München und-die Förderung junger Talente hat er sich wesentliche Verdienste erworben. 
Wie weit seine Fürsorge sich auch auf Fohr erstreckte, ist nicht zu ermitteln. 

(2) Ferdinand Olivier, der 1785 in Dessau geboren, durch die kraftvollen Radierungen 
K.W.Kolbes zu künstlerischem Schaffen angeregt wurde, dann in Dresden unter Mechau 
studierte und 1810 nach Wien in den Kreis der Romantiker um Koch und Wächter kam, 
bildete seine innige und persönliche Naturauffassung dort aus und wohl erst in dem gleichen 
Zeitraum wie Fohr: ein Beweis für die innere Gesetzmäßigkeit der romantischen Ent- 
wicklung, die an verschiedenen Orten gleichzeitig erstand. Als er 1830 in die Münchner 
Akademie berufen wurde, wandelte sich sein Stil zu einem entschieden musikalisch-male- 


rischen Wesen um, das mit seiner klaren zeichnerischen Festigkeit von 1817 nichts mehr 
gemein hat. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12 22 313 


direktor Langer aneinandergeriet. Die Kunstverhältnisse an der Isar waren damals 
wenig erquicklich. Die Geister gerieten allenthalben hart aneinander; gegen 
den Unfehlbarkeitsdünkel und die künstlerische Tyrannei der Pseudoklassizisten, 
welche die deutschen Akademien beherrschten, erhob sich die Jugend der Ro- 
mantiker, und ihnen standen verstándnisvollere Vertreter des 18. Jahrhunderts zur 
Seite, wie etwa in Wien Wächter und Koch, in Dresden Hartmann, in München 
der gebildete Mannlich. Fohr verlangte es nicht nach Streit, aber Langer konnte 
selbständige Schüler nicht leiden und hätte ihn. am liebsten von der Akademie 
gewiesen!) Was der junge Heidelberger dort eigentlich gelernt hat, ist schwer 
festzustellen. Vielleicht profitierte er im Figurenzeichnen; vielleicht zog ihn das 
Studium der Kochschen Gemälde an, die als Vorbilder dienten, und die ihm ein 
nahverwandtes Streben verkörpern mußten. Im übrigen war der Lehrgang der 
Landschaftsklasse von einer Art, die auch die handfestesten Gemüter nicht 
erbauen konnte. Luise Seidler erzühlt davon in ihren Lebenserinnerungen?): 
„ип Winter wurde abends nach Modellen gezeichnet, im Sommer dagegen 
frühmorgens gemalt. Um 8 Uhr war Portrátstudium nach der Natur; hierauf 
folgte klassenweise der übrige Unterricht. Die Komponierenden hatten ein 
eigenes Atelier; den Landschaftern diente ein großes Gemälde von Koch zum 
schónen Vorbilde, daneben waren wirkliche Baumstümme aufgestellt, nach denen 
Naturstudien gemacht werden konnten. Blieben diese auch dürftig, so war das 
Gebotene doch immerhin mehr als nichts und namentlich zur Winterszeit will- 
kommen, wo ja Studien im Freien nicht móglich sind.“ 

Nicht einmal die Umgebung Münchens gefiel dem durch Odenwald und Berg- 
straße Verwöhnten; und so hätten ihm wohl auch die Schilderer dieser schlichten 
und herben Landschaft, Wagenbauer und seine Zeitgenossen, wenig geben können: 
ihr Realismus ist in der Tat durch eine unüberbrückbare Kluft von Fohrs Ro- 
mantik geschieden. Was er von München heimbrachte, verdankt er der Freund- 


(1) Peter von Langer, 1756—1824, ein ,,starrer Klassizist, dessen Werke glücklicher- 
weise so gut wie verschollen sind“ (Woltmann-Wörmann III, 1018), war in Düsseldorf 
Schüler von Lambert Krahe, wurde 1790 in Düsseldorf, 1806 in München Akademiedirektor. 
Er sprach Cornelius alles Talent ab und riet ihm, lieber ein Handwerk zu ergreifen; Heinrich 
Heß wies er von der Akademie. Sein größtes Verdienst ist, daß er mit Koch befreundet 
war und für Ankauf von dessen Bildern etwas sorgte. Luise Seidlers rühmendes Urteil 
seiner Akademie (Erinnerungen, S.165f., 176ff.) beruht auf ihrer himmlischen Ahnungs- 
losigkeit Weniger verzeihlich erschiene Goethes Schwäche für ihn — Propyläen III, 2 —, 
wenn Goethe nicht überhaupt auf dem Gebiet der bildenden Kunst ganz unverantwortliche 
Dinge auf dem Gewissen hätte. Wieviel tiefer blickten nicht Mannlich und Dillis, die wohl 
wußten, warum sie solche „Kunstbestien“ auf Leben und Tod bekämpften. — Noch strenger, 
dazu mit der Gloriole extremer Bigotterie, erscheint sein Sohn Robert, der aber glück- 
licherweise nicht mehr so viel schaden konnte. Seine Zeit war vorbei. 

(2) Hermann Uhde, Erinnerungen und Leben der Malerin Luise Seidler. Berlin 1874. 
Eine „anmutige Dilettantin“ und Freundin Goethes, der von ihrer Kunst nur in lobenden 
Tönen redet und ihr 1817 ein Stipendium an die Münchner Akademie besorgt. Ihr zartes 
und heiteres Gemüt sah die Welt eigentlich nur rosig, und so hat sie uns in voller Arg- 
losigkeit recht interessante Dinge erhalten. Der ausführliche Bericht von der Münchner 
Akademie mit seiner unbewußten Ironie weist auf das Jahr 1817/18, also kurz nach- 
dem Fohr München verlassen hatte. Sie suchte in riihrender Weise für arme Künstler 
zu sorgen; Kersting, dem sie Goethes Gunst zuwandte, hat in der bekannten Stickerin 
am Fenster in der Weimarer Galerie ihr Bildnis gegeben: Karl August kaufte eben dieses 
Bild auf ihre Bitten, um Kersting in seiner Bedrüngnis zu helfen (1813). 


314 


schaft mit Ludwig Ruhl und einer Alpenwanderung. Ruhl, mit dem ihn eine 
jener innigen, die ganze Persónlichkeit ergreifenden Freundschaften der Roman- 
tikerzeit verband, dessen Einfluß sich wohltütig bis auf seine Kleidung und ge- 
fälligeres Betragen in Gesellschaft erstreckte, und der ihn lebhaft in seiner Vor- 
liebe für alles Altdeutsche bestürkte, Ruhl weihte ihn auch in die Technik der 
Olmalerei ein, die Fohr bisher nicht geübt zu haben scheint. Leider sind die 
drei Bilder, die er damals malte, anscheinend gánzlich verschollen. Für diesen 
Ausfall jedoch entschádigen überreich die Zeichnungen und Aquarelle, von denen 
er an 70 Blatt von seiner Herbstwanderung mitbrachte. Mit geringen Mitteln unter- 
nommen, dauerte diese Reise vom r. September bis rr. Oktober 1815 und führte 
über den Brenner und Verona, wo er sich drei, nach Venedig, wo er sich zehn 
Tage aufhielt und mit Trauer schied, um über Salzburg heimzukehren. Die 
künstlerische Ausbeute, meist große, sorgfältig durchgezeichnete, aber selten in 
der Eile des Wanderns zu Ende gebrachte Blatter, befindet sich wohl noch zum 
gróBten Teil in Privatbesitz. Aber aus den kóstlichen Zeichnungen, welche vor 
allem die graphischen Kabinette in Frankfurt, Dresden und Berlin bergen, kann 
man zur Genüge die Reife seines Talentes erkennen. Es spricht eine Selbstándig- 
keit der Beobachtung aus ihnen, wie nur aus den besten Alpenstudien von 
Koch 1); selbst Ludwig Heß, dessen Alpenlandschaften auf Runge so starken 
Eindruck machten, und, Aberli erscheinen altbacken neben ihm?) Alle läßt er 
weit hinter sich durch die groDartige Auffassung des Ráumlichen und den musi- 
kalischen Rhythmus der Komposition, die fast allein schon in der Wahl des 
Standortes und Ausschnittes liegt; und unbegreiflich erscheint dabei die Ver- 
bindung mit einer liebevollen Versenkung in das Kleinwesen des Vorder- und 
Mittelgrundes, wie sie z. B. in dem Salzburger Friedhof der Dresdner, im Trient 
der Berliner Sammlung mit der Feder durchgeführt ist. Die Klarheit der ráum- . 
lichen Anschauung drückt sich hier schon durch eine Art von Aufteilung in 
Fláchen aus, mit denen er Terrain und Laubmassen rhythmisiert; unterstützt 
von einer reinen und bezaubernden Farbe, mit der er namentlich den Berg- 


(1) Es gibt von Koch im Dresdner Kupferstichkabinett einige Federzeichnungen aus dem 
Berner Oberland, die mit einem wahrhaft modernen Blick für das Wesentliche und die 
Proportionen die groBe Bergwelt wiedergeben; mit einer Portrittreue, die sich ganz und 
gar nicht vorher und spáüter nicht wieder bis zu Fohr findet. Vermutlich stammen sie 
von 1794, da sie unbedingt vor der Natur entstanden sein müssen. Sie gehen den Wagen- 
bauerschen Aquarellen aus dem Garmischer Hochgebirge zeitlich bedeutend voraus. Merk- 
würdig ist es, wie stark, ja bizarr dann Koch diese Studien in seinen Gemälden umstilisiert 
hat; es ist eine sehr absichtliche Umbildung, und man sollte sich hüten, von kindlicher 
Naivitát und dergleichen zu reden, wo es sich um Stil und bewußtes Unterscheiden 
zwischen Naturstudie und Bild handelt. Fohr ist freilich viel naiver und moderner in 
allen Dingen; Naturstudie und Stil decken sich bei ihm ganz. 

(2 Vgl. Runges hinterlassene Schriften I, 377f. 

Ludwig HeB, 1760—1800, von seinem Vater zum Fleischer bestimmt, zeichnete und 
studierte auf seinen Vieheinkaufsreisen, erlernte dann bei Wiest die Olmalerei und 
gewann die fórdernde Freundschaft von Salomon GeBner. Unter seinen frei und idyllisch 
empfundenen Schweizer Landschaften sind auch Gemálde zu nennen, die eine Vorahnung 
der Romantik in sehr anheimelnder Weise geben. Auch Fernow stellte ihn sehr hoch. 

Joh. Ludwig Aberli (1723—1786) gehórt einer ülteren Generation an, die aus dem 
Handwerk zur Kunst emporsteigt. Seine kleinen Schweizer Ansichten (wie der ,,Thuner 
See" der Oldenburger Galerie) gehóren zu den frühesten Offenbarungen der realistischen 
Luftmalerei, die wohl von Impressionisten als Vorläufer reklamiert werden könnten. 


315 


lehnen und Fernen, der Luft und den Wolken ein romantisches Leben zu ver- 
leihen weiß. Auch trägt die lebendige Staffage viel zur Bildmäßigkeit und Be- 
wegtheit dieser Blatter bei. Er beherrscht hier bereits die menschliche Gestalt 
so, daB er sie in ihren Beziehungen zueinander, in ihren Bescháftigungen, ihrem 
Schreiten durch das anmutsvoll bewegte Gelände mit der Naivitát der Natur 
selber zu geben vermag: und so deuten sie sich uns, mannigfach und fróhlich ge- 
kleidet, als die letzte Offenbarung dieser großen und herrlich erfaßten Landschaft. 


Im Mai des folgenden Jahres kehrte er nach Heidelberg zurück, wo er mit 
verschiedenen Jünglingen einen feurigen Freundschaftsbund schloß: das aus- 
gezeichnete, an Guys erinnerde Aquarell von Studenten in Darmstadt und die 
Porträtzeichnungen in Bleistift und Feder dort sowie im Städelschen Institut 
gehen wohl auf diesen Sommer zurück. Es sind diese Köpfe edler, wohl etwas 
idealisierter Jünglinge an plastischer Schärfe und Genauigkeit des Umrisses 
Gegenstücke zu der berühmten Portrátsammlung Schnorrs in Wien und den 
vielleicht noch hervorragenderen Köpfen von Ramboux 1): Die Liebe zur äußersten 
Eindringlichkeit der Form, die aus ihnen spricht, ist nichts weniger als eine 
Nachahmung Holbeins oder der Niederländer des 15. Jahrhunderts. Sie entspringt 
aus einem unabweisbaren Bedürfnis der Romantik nach Selbstzucht und Ver- 
tiefung in die letzten Geheimnisse der Natur; sie kehrt mit derselben Erstaunlich- 
keit in den Porträts von Oldach, Wasmann, Waldmüller, ja, bei den ganz sicher 
nicht romantisch veranlagten Wilhelm Kobell und Krüger wieder und stellt sich 
als ein Ausfluß der neuen Gesinnung dar, die sich auf das Wesen deutscher 
Form besinnt und es in der Vollkommenheit der Linie findet. — Fohrs Bildnisse 
verraten noch etwas von der seelischen Unsicherheit des Autodidakten, in 
ihrer Befangenheit reichen sie an Ramboux’ Kraft der Charakterisierung nicht 
heran. Aber er zeigt klar in ihnen, wie eng er auf allen Gebieten zu der mäch- 
tigen Bewegung deutscher Kunst gehört, um so eindrucksvoller, als er im Grunde 
immer noch der isolierte Autodidakt geblieben ist. 


Das Einmünden in den großen Strom der Entwicklung aber erfolgte noch 
in demselben Jahre; die Großherzogin Wilhelmine schickte ihn mit einem Sti- 
pendium nach Rom und erfüllte damit seinen heißesten Wunsch. Der Gedanke 
beschäftigte ihn so, daß er sich selbst konterfeite, wie er in Begleitung seines 
Bernhardiners ,,Grimsel* nach Italien wandert. Kurz darauf lag eines Abends das 
Geld von der Fürstin, die ihm eine so liebenswerte Mäzenatin war, auf seinem 
Teller, und „seine Eltern und Geschwister fühlten sich glücklich in dem Glücke 
des einen“. So reiste er im Herbst 1816 über Schaffhausen, den Gotthard, Mai- 
land, Florenz, fast ohne Aufenthalt nach Rom, wo er seinen Freund Ruhl wieder 
fand und bei ihm Wohnung nahm. Sogleich machte er sich an das Studium: 
Rom und die Campagna zogen ihn mächtig an, und sehr rasch fand er den Weg 


(1) Joh. Anton Ramboux, 1790—1866, war 1807—1812 in Paris Schüler Davids und ging 
1817 nach Rom. Seine Bildnisse (meist in der Darmstädter Sammlung) entstammen dieser 
Zeit, da er sich Cornelius und Overbeck anschließt; sie können also wohl von Fohr und 
Schnorr beeinflußt sein. Ein eigentlicher produktiver Geist war er nicht; sein berühm- 
testes Werk sind die 248 Aquarellkopien nach italienischen Meistern in Düsseldorf. Er 
war 1843—1866 Konservator des Kölner Wallraf-Museums und ein gewissenhafter Restau- 
rator. — Über das römische Porträtbuch Schnorrs in der Bibliothek der Wiener Aka- 
demie vgl. Al. Trost: Die graphischen Künste 1914, H. 3, S. 79 ff. 


316 


zu dem natürlichen Lehrer aller jungen deutschen Landschafter, zu J. A. Koch, der 
ihn wie ein Vater mit seiner ganzen Zärtlichkeit und Treue umgab !). 

Es steht auBer Zweifel, daB Fohr im geeigneten Zeitpunkt nach Rom kam. Er 
hatte genug gelernt und war in sich so gefestigt, daß Italien ihm seinen deutschen 
Charakter nicht mehr rauben, ihn nur fortbilden und ihm die nótige Reife geben 
konnte. Was er bisher still für sich entdeckt hatte, sollte er nun im Wetteifer mit 
den Besten seiner Generation entwickeln. Er fand ja nicht nur den alten Koch 
vor, déssen heroische, von klassischen Gestalten belebte Landschaft eine Art Vor- 
stufe dessen darstellte, was in Fohr nach Gestaltung rang: eine Erdlebenkunst 
hóchsten romantischen Stils. Er fand in Rom auch Cornelius, Overbeck, Veit, Wil- 
helm Schadow vor, welche gerade ihre Fresken in der Casa Bartholdy begonnen 
hatten; fast gleichzeitig mit ihm traf Horny in Rumohrs Begleitung ein, ein Jahr 
später Schnorr: die beiden, mit denen ihn verwandtes, Kunststreben am engsten 
verband?) Dazu brachte er den ausgeprägten Charakter seiner Kunst, die neben 
den Nazarenern und parallel mit Koch der Landschaft in neuer Gestalt einen un- 
 abhángigen Rang erobern wollte. Für ihn bestand nicht die Gefahr des Klassi- 
zistischen, die in Rom den Nazarenern zum Verderben wurde; denn diese Gefahr 
erstreckte sich nicht auf die Landschaft: selbst in der unerfreulichen Zeit haben 
die Nazarener von Cornelius bis Schnorr und Führich in ihren landschaftlichen 
Hintergründen Gutes geschaffen, und niemals kann man die arkadische Land- 
schaft eines GeBner, Franz Kobell oder Reinhart, wie die heroische eines Faisten- 
berger oder Koch in eine Reihe stellen mit dem Pseudoklassizismus?). Zwar ent- 
fernt sich das 18. Jahrhundert in allen Dingen so sehr von der Natur, daß auch 
die Landschaftsmalerei etwas Gekünsteltes bekommt und in Deutschland ins- 
besondere lediglich wie eine Ableitung aus der hollándischen oder poussinesken 


(т) Kochs Einfluß erstreckte sich nicht nur auf die jüngeren Landschafter wie Fohr, Horny, 
Nerly, Reinhold, Ludwig Richter, ja Rottmann und Preller — er lebte ja bis 1839 in Rom —, 
sondern auch auf die Nazarener von Cornelius bis Schnorr, sogar auf Genelli. Der herz- 
lichen Verehrung, die er unter allen Deutschen in Rom genoß, leiht Overbeck Worte, 
wenn er 1839 an einen Künstler schreibt: ,Sagen Sie es seinen und Ihren edlen Lands- 
leuten, sagen Sie es laut auch meinerseits, wie viel wir alle, wie viel die neuerwachte 
deutsche Kunst Meister Koch verdankt. Denn wer von uns würe nach Rom gekommen 
und hätte nicht aus seinem geistreichen Umgange wesentliche Belehrung geschöpft, wem 
wäre er nicht sogar durch seine ganz neidlose Anerkennung förderlich, durch seine kind- 
liche und lebendige Teilnahme nützlich gewesen?* (A.Kestner, Rómische Studien, S. тоо.) 
(2 Franz Horny, 1797—1819, war der erste der Künstlerzóglinge Rumohrs, der von ihm 
mit seinem trockenen Humor in den „Drey Reisen nach Italien“ Originelles erzählt. 
Er entwickelte sich in Rom, wohin er ebeníalls 1816 mit Rumohr kam, rasch zu einem 
Landschaftsmaler von der Eigenart Fohrs; sein Kolorismus geht mitunter noch weiter 
als bei diesem. Doch reicht er wohl in ganzen nicht an ihn heran. Auch er starb sehr jung. 
Die Bedeutung Julius Schnorrs von Carolsfeld (1794—1872) liegt, ganz wie 
bei Cornelius, in seinen Jugendwerken. Er kam 1817 als ein schon Reifer nach Rom 
und hat dort auch seinen Landschaftsstil in einer romantischen, wohl von Olivier beein- 
flußten Weise, etwas nüchterner als Horny und Fohr weitergebildet. Bald nach 1822 
erfolgte auch bei ihm der Abfall in die leere Allgemeinheit der Form. Doch gab er 
sein Bestes noch an Ludwig Richter weiter. 
(3) Ober Wesen und Geschichte des Pseudoklassizismus vgl. meinen Aufsatz in den Monats- 
heften für Kunstwissenschaft 1g15. Ich verstehe darunter die auf falschen üsthetischen Vor- 
aussetzungen aufbauende Historienmalerei von Mengs bis Füger, im Gegensatze zu dem 
echten Klassizismus von Carstens. Ein Aufsatz über die Grundprobleme des Klassizisti- 
schen an sich wird demnichst in der Zeitschrift für Ásthetik erscheinen. 


317 


des 17. Jahrhunderts erscheint. Aber dieselben Meister, deren Ölgemälde oft an 
einer gáhnenden Langeweile leiden, betraten in Handzeichnungen und Radie- 
rungen ganz neue und selbstándige Pfade der Naturbeobachtung, die weit über 
den Verismus der Hollünder hinausgehen. Man erkennt daran deutlich, daB es 
im wesentlichen der Zwang der allmáüchtigen Tradition ist, welcher den Gemálden 
ihre dekorative Richtung vorschreibt Die Landschafter, sofern sie nicht nach 
Italien gingen, und dort dem Einfluß Dughets, Lorrains und Salvator Rosas 
unterlagen, erhielten ihre Lehrzeit regelmäßig in den Niederlanden; und dort 
lernten sie so malen, wie die angesehensten Meister gemalt hatten, denn die 
Tradition der großen Zeit setzte sich im 18. Jahrhundert fort. Sobald sie aber 
einmal unbefangen vor die Natur traten, und ohne Absicht, gleich ein Bild 
zu malen — was ja ohnehin nur im Atelier geschah —, dann gelang ihnen bis- 
weilen und nebenher ein Stück frisch gesehener Naturschilderung. 

Im Grunde ist die deutsche Uberlieferung treuer Naturbeobachtung niemals 
ganz abhanden gekommen. Vom 16. ins 17. Jahrhundert retteten sie mit Els- 
heimer Wenzel Hollar und der Stillebenmaler Flegel, den die Darmstádter Jahr- 
hundertausstellung 1914 seiner unverdienten Vergessenheit entriB. Ruthart, der 
stárkste deutsche Maler des 17. Jahrhunderts, setzte sie fort; Bathasar Denner 
knüpfte unbewuBt an sie in seinen Jugendarbeiten an, bevor er dem Manierismus 
verfiel. Und selbst die Zeit, die bei uns im Tafelbild den größten Tiefstand 
bedeutete, die Mitte des 18. Jahrhunderts, ging nicht unfruchtbar für den Realismus 
vorüber. Die Entstehungszeit des Pseudoklassizismus sah auch die ersten ver- 
borgenen Keime selbständiger Landschaftsauffassung: Salomon Geßner, Hackert, 
Friedrich Müller erlebten in den sechziger Jahren eine realistische Frühlings- 
zeit, und die Anfänge der schweizerischen Landschaft unter Aberli und Wüest 
fallen in den námlichen Zeitraum. Allerdings beginnt die fortlaufende Entwick- 
lung zu dem zeichnerischen Stile, der seinen Hóhepunkt im zweiten Jahrzehnt 
des 19. Jahrhunderts hatte, erst ein Lustrum spáter; dann aber führen Klengel, 
Ferdinand und Franz Kobell, Reinhart, Nathe und der Schweizer Ludwig Heb 
die realistische Landschaft bis zu dem Punkt, wo sie dann die Münchner, Menken, 
G. W. Kolbe usw. in den groBen Strom einmünden lassen, der seitdem ununter- 
brochen von groBen Talenten gespeist worden ist!) Die Linie führt dergestalt 
am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem malerischen Erbe des Rokoko zur 
plastisch scharfen Form der Nazarener mit unbeirrbarer Folgerichtigkeit; und in 
ihr bedeutet Fohr neben Olivier, Schnorr, Horny, Erhard und Heinrich den 
Höhepunkt und die Wende zum romantischen Idealismus. 

Denn neben der Entwicklungsreihe des plastisch-malerischen Realismus führt 
eine zweite zu ihm hin, die für sein eigentliches Wesen noch wichtiger ist, und 
sie findet ihn am stärksten an Italien und Rom geknüpft. Ihr Ahnherr ist der 
große Deutsch-Römer Elsheimer; sie beginnt etwa bei Ermels in der Mitte des 
17. Jahrhunderts, in Anlehnung an Jan Both, führt über das phantasievolle Barock 
von J. H. Roos und J. F. Beich zu Anton Faistenberger, dem Vorahner Kochs 
um 1700, und Chr. Ludwig Agricola, der den Geist Elsheimers in einer groß- 
artigeren Fassung neu beschwört. Im ı8. Jahrhundert findet dann besonders 
Thiele das persönliche Empfindungsmoment im barock-großzügigen Sinne; in 
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entsprechen ihm Joh. Chr. Brand, Heinrich 


(1) Eine auch nur kurze Darstellung der Landschaftsentwicklung vom 17. bis Anfang des 
1g. Jahrhunderts muß auf einen anderen Ort verspart werden. Sie wird ein von der 
herrschenden Ansicht vollkommen abweichendes Bild ergeben. 


318 


Wüest und vor allem Franz Kobell. Reinhart und die Wiener Schule (Molitor, 
Schónberger, Schellhaas usw.) führen realistische und besonders klassizistische 
Elemente ein; bei Joh. Georg Wagner, einem ganz jung gestorbenen hochbegabten 
Dresdner, und Ludwig HeB meldet sich schon ein lebhaftes Vorgefühl von Roman- 
tischem: alle diese zerstreuten Neigungen zum Heroischen, Klassizistischen und 
Romantschen vereinigt dann in großzügiger Weise Joseph Anton Koch. 


Man wird kaum einer Auffassung vor der anderen den Vorrang einrüumen 
kónnen; beide sind stark entwickelt und finden in dem Wesen des deutschen 
Geistes ihren Grund: die barock-phantastische, auf Raumweite und Bewegung 
abzielende, und die plastisch-treue, die Dinge aus der Nahe sehende. Waren sie 
flüchtiger schon in Koch verbunden, so offenbart die Landschaft Fohrs ihre 
innige Durchdringung. Sie ist keineswegs als realistisch anzusprechen; ihre Linie 
ist voll von selbstándigem Ausdruckswert, wie die der Gotik, und von einer Schón- 
heit des Rhythmus, wie wir ihn bei Agricola, Faistenberger und Franz Kobell 
finden. Aber auf der anderen Geite ist bei Fohr jede Erinnerung sowohl an die 
holländische wie an die eigentlich barocke Konvention so vollständig ver- 
schwunden, daB uns ihre Naturtreue wie die Form gewordene Romantik selbst 
entgegenblüht. Eine neue Gestalt hat die deutsche Gottessehnsucht hier ge- 
funden: im geringsten Gráschen wie in der Bergweite der Alpen oder der 
Sabinerberge spricht uns der Geist der Romantik an, der das tiefste Geheimnis 
der Welt- und Menscheneinheit mit Entzücken ahnt. Runges Sehnsucht nach 
einer neuen Landschaftskunst hat sich hier wohl in der sonnigsten Weise er- 
füllt; wie C. D. Friedrichs Romantik voll Schwermut, so ist Fohrs Idealismus 
vol von Lebensbejahung und Jugendkraft; ein Erbteil seiner süddeutschen 
Abkunft. 


Dem lernte er nun auch in größerem Maßstabe Ausdruck verleihen. Der Fort- 
Schritt seiner kurzen rómischen Jahre liegt in der Vervollkommnung des Figür- 
lichen, wobei ihn neben Koch auch Cornelius unterstützte, und in der Olmalerei 
unter der persónlichen Leitung Kochs. Die Landschaft von Tivoli, die Passa- 
vant bestellte und die jetzt im Stádelschen Institute hüngt, als einziges Bild von 
ihm im óffentlichen Besitz, durfte er in Kochs Atelier malen. Man spürt den 
Einfluß des Meisters in der Auffassung mit den (etwas überflüssigen) Kulissen, 
wie in der Mache, da ein reicherer toniger Auftrag — wie er sich etwa in Kochs 
„Lauterbrunnental“ (1811) der Leipziger und der „Landschaft mit dem hl. Martin“ 
(1813) in der Dresdner Galerie findet — in malerisch behandelten Einzelheiten 
bei Fohr wiederkehrt: in der mittleren Partie des Tals mit den Háuserhaufen der 
Stadt. Aber im Grunde wurde seine Art davon wenig berührt; und in seinem 
letzten Gemälde, der „Idealen Landschaft“ bei dem Großherzog von Hessen, hat 
er sich auch von Koch ganz unabhängig gemacht. Hier ist der freiere Rhythmus 
und Bau der Landschaft, der Reichtum der ineinander übergreifenden Gründe, 
die Kraft der Belebung im Vegetabilischen und die unbefangene, jugendfrisch 
drängende Verwendung des Figürlichen im Raume persönlich und selbst erobert; 
ein Hauptbeispiel und Jugendmeisterstück der malerischen Romantik. 

Sein Leben in Rom blieb nicht frei von Sorge und Krankheit, aber im rechten 
Moment erschienen immer die gütigen Hände, die ihn vor Schlimmem bewahrten. 
Zur Zeit der ärgsten Teuerung, da seine Geldmittel zu Ende gingen, kam Passa- 
vant und bestellte „Tivoli“ für 40 Louisdor; die Großherzogin gewährte ihm zu 
seinem Stipendium einen Zuschuß von 200 Scudi. In seiner Krankheit pflegten 
ihn seine Hausleute, die auch von anderen deutschen Künstlern her rühmlichst 


319 


bekannte Witwe Buti mit ihren Töchtern (deren eine er auf seiner „Idealen Land- 
schaft“ verewigt hat). Karoline von Humboldt bestellte bei ihm ein großes Bild, 
das ihm die Mittel zu einer Reise nach Unteritalien gewähren sollte. Zu der 
Abschiedsfeier, welche die deutschen Künstler am 29. April 1818 in der Villa 
Schultheiß dem Kronprinzen Ludwig von Bayern gaben, malte er mit Cornelius, 
Veit und Overbeck das groBe Transparent, das in Form eines Triptychons Lud- 
. wigs Kunstliebe verherrlichte!). Der Kronprinz zeichnete ihn besonders aus; 
beim Abschied drückte er ihm als Letztem die Hand mit den Worten: „Wir 
seben uns wieder; wir gehóren uns nüher an.“ Man denkt unwillkürlich voraus 
und fragt sich: was wáre aus der Münchner Landschaftskunst geworden, wenn er 
Fohrs überragende Persönlichkeit dorthin gezogen hätte! Und, noch eins: 
wenn Runge die gewaltige Lehrerstellung von Cornelius hätte einnehmen dürfen! 
Aber es stand im Buch des Schicksals geschrieben, daß der Blütezeit deutscher 
Romantik keine Frucht, kein Sommer beschieden war. Ihre Feinsten und Besten 
starben rasch in früher Jugend dahin. Wenige Wochen nach jenem beglückenden 
Abschied, am Abend des 29. Juni 1818, ging Fohr mit Amsler, Barth und Ram- 
boux zum Tiber baden. Er wagte sich zu weit und wurde in die Tiefe gezogen; 
vergebens versuchte Barth ihn zu retten. Seine Leiche wurde am 3. Juli auf- 
gefunden und an der Cestiuspyramide unter allgemeiner Teilnahme, zum tiefsten 
Schmerz der deutschen Künstler begraben. Niebuhr und Bunsen hielten ihm 
die Grabreden. Ä | 


(1) Das Landschaftliche, vor allem die „große Eiche“, stammte von ihm. Übrigens ar- 
beiteten auch noch Schnorr, W.Schadow, Wach, Eberhardt u.a. daran mit. Es war 
eine sehr bewegte und rührende Feier im Stile der Zeit. Vgl. besonders Noack, Deutsches 
Leben in Rom. S. 174f. 


320 


DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER 
STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN 


Mit neun Abbildungen auf vier Tafeln Von ROBERT WEST 


€0900000000000000900000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 909900000090900009000000000000000000000000 


n dem Gebäudekomplex, der sich ursprünglich als Augustinerchorherrnstift über 
dem Priesterstein in Berchtesgaden erhob, sind wertvolle architektonische und 
plastische Überreste aus fünf wichtigen Epochen der deutschen Kunst erhalten. 
In der romanischen Zeit, in der frühgotischen und spätgotischen Epoche, in Renais- 
sance und Barock ist hier Stein an Stein gefügt worden, bis zuletzt auch das 
19. Jahrhundert Hand anlegte und in den Jahren 1864—1866 die Türme der West- 
fassade neu erbaute, wobei offenbar wertvolle romanische Skulpturen und Mauer- 
reste zugrunde gingen, DaB die Kunstforschung bisher ziemlich teilnahmslos an 
einer solchen Bauanlage vorüberging!) ist um so verwunderlicher, als schon die 
Gründung an sich eine kulturgeschichtliche Tat bedeutet. Daf im 12. Jahrhundert, 
zur Zeit als Berchtesgaden noch eine von Urwald bewachsene Bergwildnis war, 
gebaut und gemeißelt wurde, gibt den ausgedehnten romanischen Überresten jener 
Frühzeit eine Bedeutung, die sie über gleichzeitig an älteren Kulturstätten ent- 
stehende Arbeiten emporhebt. Diese Betrachtung hat wohl nur für den Kultur- 
historiker Geltung, aber das zeitliche und rdumliche Entstehungsmilieu eines Werkes 
gibt auch dem Kunstforscher wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der 
Technik wie des Stils. 

Die romanischen Mauern der Kirche und des Klosters sind jetzt meist in die 
spüteren Teile verbaut, nur der Kreuzgang zeugt noch von den Gründungstagen 
des Stiftes. Die Angaben des Denkmüler-Inventars über diesen Kreuzgang sind 
dürftig und verweisen ihn etwas summarisch in die erste Hälfte des 13. Jahr- 
hunderts. Ich selbst bin bei einer genauen Prüfung des Baus zu wesentlich an- 
deren Resultaten gelangt. Die älteste Urkunde über das Kloster, der libellus vetu- 
stissimus, schildert die Gegend seiner Erbauung als eine „vasta solitudo, quae 
saltus ferarum et cubile draconum est“ — eine von reißenden Tieren bewohnte 
Wildnis. In dieser Einóde gelobten erst Irimgart, die Gattin des Hallgrafen Engel- 
berts IL von der Lintburg, dann deren mit Berengar Grafen von Kastell und Sulz- 
bach vermühlte Tochter Adelheid dem heiligen Martin eine Kirche?) Der An- 
siedlung von München in diesem unwirtlichen Lande setzten sich schier unüber- 
windliche Schwierigkeiten in den Weg. Das rauhe Klima, der strenge Winter, 
die wilden Tiere und Erdbeben vertrieben zu wiederholten Malen die wenigen 
frommen Manner, welche sich im ersten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts um die 
Errichtung des Chorstiftes bemühten. Der Tatkraft eines einzelnen Mannes gelang 
es endlich, den Grundstein des neuen Klosters zu legen. Das Schenkungsbuch 
von Berchtesgaden enthält eine zwischen 1125 und 1139 gemachte Aufzeichnung, 
daß Eberwein, der erste Propst des Augustinerchorherrnstiftes, Steinmetzen an- 


(z) Kurze Erwähnungen nur bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern (1862), bei 
Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in Bayern (1888) und Steinhauser, „Über Kirchenbau 
in Salzburg“ in den Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 1883 und 1884, ferner 
bei Schnaase, Otte, Dehio und v. Besold, Zimmermann, Lübke. 

(2) Vgl. hierzu die ganz vorzügliche Geschichte des Fürstentums Berchtesgaden von Ritter Josef Ernst 
von Koch-Sternfeld. Salzburg 1815. 


321 


genommen und den Bau des Münsters begonnen habe ,,conductis lapidum artifici- 
bus monasterii fundamenta locavit". Es handelt sich hier also nicht mehr um einen 
Holzbau, sondern um einen soliden Steinbau. Eine ältere Anlage in Holz muß 
jedoch schon vorhanden gewesen sein, da Papst Calixt IL bereits am 9. Mai 1121 
dem Propste Eberwein und seinen Brüdern das Kloster zu Berchtesgaden be- 
stütigte. In einer noch älteren Urkunde, welche Koch-Sternfeld in das Jahr 1111 
versetzt, bestätigt Papst Paschalis IL. das Vorhaben der Grafen Berengar und Cuno 
von Sulzbach, unter der Leitung Eberweins ein Kloster in Berchtesgaden zu er- 
richten. Nach Koch-Sternfeld befand sich Eberwein damals mit den beiden Grafen 
selbst in Rom. Ich lege auf diese Reise des Propstes nach Italien insofern einigen 
Wert, als sie die Vermutung nahelegt, er habe schon damals italienische Stein- 
metzen mit sich nach Hause geführt, zundchst wohl allerdings nicht zur Arbeit in 
Berchtesgaden, sondern in Baumburg, dessen Propst er vor seiner endgültigen 
Übersiedlung in die Bergwildnis war. Wie weit im Jahre rr2r der Bau von 
Kirche und Kloster schon gediehen war, 188% sich nicht sagen. Mit Sicherheit 
geht aus den vorhandenen Notizen nur hervor, daß wir eine erste Bauperiode des 
Berchtesgadener Stiftes für die Regierungszeit Eberweins, also ungeführ zwischen 
IIII und 1139, annehmen müssen. 

Der Bearbeiter des Denkmáler-Inventars nimmt an, daß diese erste Stiftskirche 
ein Notbau war, und bemerkt, daB sich keine Reste von ihm nachweisen lassen. 
Die zweifellos noch in das 12. Jahrhundert gehórenden Baureste sollen nun erst in 
der zweiten Hülfte des 12. Jahrhunderts entstanden sein. Von einer solchen Bau- 
tätigkeit in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts haben wir zwar keinerlei 
Nachricht, dem Stift wurden aber damals von allen Seiten Schenkungen gemacht, 
so daß der sich immer mehrende Wohlstand die Annahme einer weiteren Aus- 
gestaltung des Münsters allerdings nahelegt. 

Die nächste Baunachricht über das Berchtesgadener Stift, die wir erhalten, 
stammt erst aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, in dem Propst Johannes Sachs 
zu Sachsenau (1283—1303) einen neuen Chor an der Kirche errichtete. Dieser in 
frühgotischen Formen errichtete Chor steht heute noch unverändert da. 

Wir haben also für die Zeit von der Gründung des Stiftes bis zur Gotik drei 
verschiedene Bauperioden anzunehmen: Die erste unter Eberwein (са. 1111—1:139), 
die zweite gegen Ende des r2.Jahrhunderts, die dritte erst gegen Ende des 13. Jahr- 
hunderts (ca. 1283— 1303). Von diesen drei Bauepochen haben sich meines Er- 
achtens im Kreuzgang der Stiftskirche Reste erhalten, welche sich bei scharfer 
Prüfung mit einiger Klarheit voneinander sondern lassen. Die Notiz im Inventar: 
»Auf den Bau der Stiftskirche folgte in der ersten Hálfte des 13. Jahrhunderts die 
Errichtung des Kreuzgangs,“ berücksichtigt demnach allein jene Teile, die aus der 
zweiten Bauperiode, nach Eberweins Tod, stammen, 

Der óstliche, südliche und westliche Flügel sind ziemlich intakt erhalten, wáhrend 
der Nordtrakt bei einem Umbau spüterer Zeit (vermutlich Anfang des 17. Jahr- 
hunderts) ganz veründert wurde. Reste eines romanischen Portals, die sich un- 
mittelbar neben dem spätromanischen Portal erhalten haben, das heute aus dem 
Chor in den Osttrakt führt, beweisen, daB sich hier schon im Anfang des 13.Jahr- 
hunderts ein Eingang aus der Kirche in den Kreuzgang befunden hat. Die Mauern 
des romanischen, vom Chorbau Johannes Sachs’ verdrüngten Langhauses blieben 
also bei den Bauarbeiten des endenden 13. Jahrhunderts unberührt und bilden heute 
noch die Nordwand des Kreuzgangs. Die Südmauer des neuen Chors wurde da- 
durch an dieser, sich an den Kreuzgang anlehnenden Seite doppelt so stark wie an 


322 


der nórdlichen Langhausseite. Infolgedessen wurde ein neues. Portalgewünde hinter 
dem alten romanischen notwendig, das man zunächst jedoch offenbar stehen ließ. 
An der Ostwand des óstlichen Kreuzgangtraktes schlieBt sich im Erdgescho8 der 
Kapitelsaal an, über welchem im 14. Jahrhundert das Dormitorium erbaut wurde. 
Die Mauern dieses Kapitelsaales sowie aller übrigen um den Kreuzgang gruppierten 
Konventbauten entstammen der romanischen Periode. Die Hypothese ist statthaft, 
daB schon in der frühesten Bauperiode mit dem Kirche und Konvent verbindenden 
Osttrakt begonnen wurde, wenn nicht der ganze Kreuzgang schon zu Eberweins 
Zeit vollendet worden ist und in der späteren Zeit lediglich Umänderungen er- 
fahren hat. Da urkundliche Nachrichten hierüber nicht vorhanden sind, müssen 
wir die Antwort von den Architekturgliedern selbst erfragen. 

Der Kreuzgang hat zwischen rundbogigen Gurten grätige Kreuzgewölbe mit 
Stich’). Die Gurte werden an der Hofseite von Pfeilern, an der Innenwand der 
Außenmauer von Konsolen getragen. Die Kämpfer der Pfeiler bestehen aus Platte 
und hohem Wulst, während die Konsolen aus Platte und Hohlkehle gebildet sind. 
Die Breite der Gurtbogen beträgt im Ost- und Siidtrakt 0,50 m. Im Westtrakt da- 
gegen, beginnend mit dem letzten Gurtbogen des Südtraktes, 0,63 m. Der Osttrakt 
hat vier Joche, welche sich in vier Fensterarkaden nach dem Hofe öffnen. An der 
Südseite sind es fünf Joche, an der Westseite wieder vier. An der Nordseite, die 
ursprünglich auch auf fünf Joche berechnet war, sind heute nur vier, da dieser 
Gang zur Zeit seiner Überbauung (Anfang 17. Jahrhundert) neu eingewölbt wurde. 
Dabei beseitigte man die Fensterarkaden. Mit den vier Eckjochen hat der Kreuz- 
gang heute einundzwanzig Joche. 

Eine genaue Schilderung der einzelnen Sáulen mit ihren Kapitellen und Basen 
wird der sicherste Weg sein, zu einer annühernd richtigen Zeitbestimmung ihrer 
Entstehung. Eine derartige genaue Beschreibung erscheint mir auch heute, wo 
der Kreuzgang einerseits schwer zugänglich, andererseits dem langsamen Verfall 
preisgegeben ist, von Wichtigkeit als ein bescheidener Beitrag zur Geschichte der 
deutsch.romanischen Kunst. 

OSTTRAKT. 

I. Nórdlichstes (r.) Joch. 

Am nördlichsten Pfeiler des Osttraktes ist als Kämpfer, auf welchem der nörd- 
lichste Bogen der Fensterarkade ruht, die Gestalt eines liegenden Tieres eingefügt, 
Der Kopf ist gut erhalten, die Augen groB, die Nase verstümmelt, die obere Reihe 
der Zähne wird über der herabhüngenden Zunge sichtbar, Füße waren entweder 
nie vorhanden oder sie sind abgenutzt. Der Schweif liegt über dem Körper des 
Tieres. Die Technik ist der im früheren Mittelalter übliche Keilschnitt der ger- 
manischen Vólker. Am Kümpfer des gegenüberliegenden, südlichen Mauerpfeilers, 
welcher den südlichen Bogen dieser Fensterarkade auffüngt, sind zwei Tiere ge- 
bildet (Abb. т), deren Hinterkórper sich fast berühren, wührend die Kópfe von 
außen nach innen gedreht sind, so daß sie sich über die Schulter anglotzen. Auch 
hier sind wieder keine FiiBe oder Spuren von solchen vorhanden. Es ist müglich, 
daß dem Bildhauer bei seinem Werke der Gedanke an Löwen vorschwebte. Am 


(x) Bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern (1862), findet sich die Notiz: „In 
Berchtesgaden ist ein Fragment des romanischen Kreuzganges (mit Flachdecke) erhalten.^ Auf 
diese irrtümliche Angabe ist wohl die Stelle bei Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in 
Bayern (1888), zurückzuführen: ,Der bedeutendste Baurest romanischer Zeit in Berchtesgaden ist der 
flachgedeckte Kreuzgang.“ Der Kreuzgang war von vornherein eingewölbt. 


323 


besten erhalten hat sich das Tier, welches der Gangseite am nächsten liegt. Ein 
dicker, strickartiger Schwanz ist unter dem Körper durchgezogen und liegt oben 
am Pfeiler an, die beiden runden oder scheibenförmigen Quastenenden der Schweife 
berühren sich in der Mitte des Kümpfers. Das Tier zunichst der Gangseite hat 
einen weit gedfineten Rachen, in dem die obere Zahnreihe sichtbar wird, die 
Mähne ist durch Riefelung dargestellt. An dem Tier der Hofseite sind Kopf und 
Vorderkürper abgeschlagen. 

Zwischen diesen Pfeilern stehen auf niedrigem Mauersockel (L. 2,30 m) zwei 
Sdulen, welche drei kleine Rundbogen tragen. Die Sáulen, beide glatt, nach oben 
verjüngt, stehen auf attischer Basis. Der untere Wulst von ca. 0,64 m H. ist oben 
stark abgeplattet. Die Hohlkehle durch ein abgeschrágtes Plüttchen vom oberen 
Wulst getrennt. Viereckige Plinthe und Eckpflócke. Auffallend erscheint mir die 
steile Bildung des oberen Wulstes und des oberen Teiles der Hohlkehle. Die 
Säulenhöhe beträgt im ganzen mit Kämpfer 1,50 m, der Schaft hat I m H. und 
0,161/, Durchmesser. Basis H. o, 16 m, Br. an der Hof- und Gangseite 0o,32!/, m, an 
den Innenseiten 0,28'/,, Kapitell H. 0,19 m, oberer Durchmesser 0,21 m, Kämpfer 
Н. 0,16 m, І. 0,55, Br. 0,25!/,. Die lichte Weite von Säule zu Säule beträgt 
etwas über 0,60 m. Diese MaBe sind mit geringen Variationen im ganzen Kreuz- 
gang die gleichen. 

Die nördlichste Säule trägt ein Wiirfelkapitell, das mit rundlappigem Laub- 
werk in Keilschnittechnik überarbeitet ist. Die Stiele sind zweistreifig, die Blatter 
an jeder Seite anders disponiert. Der Kämpfer korrespondiert mit den Pfeiler- 
kämpfern. 

An der südlichen Langseite ist der Stein in Form eines nackten, liegenden 
Menschen mit erhobenen Armen behauen. Er hält in der. linken Hand einen Stein. 
Das Haar ist geriefelt, der Kopf groß, die Züge stark markiert, plump und starr. 
Der Oberkörper ist kurz und dick, die Beine sind kurz und beide nach der gleichen 
Seite gebogen. Die Füße kommen auf einen die Südostecke des Kämpfers bilden- 
den weiblichen Kopf zu stehen. Der Steinmetz hat den Versuch gemacht, plastisch 
zu modellieren. Auch ein gewisser Hang zu realistischer Wiedergabe äußert sich 
z. B. in der Bildung des Nabels. Neben dem weiblichen Kopf auf der Südostecke 
tritt wieder ein männlicher Kopf hervor, dessen zugehöriger Körper an der nörd- 
lichen Langseite des Kämpfers liegt. Der rechte Arm ist erhoben. In der Hand 
hält er einen runden Gegenstand, der vielleicht ein Gesicht darstellen sollte. Der 
Oberkörper ist nackt, eng anliegende, bis an die Füße reichende Hosen bedecken 
den unteren Teil der Figur. Der linke Arm faßt an die linke Hüfte. Die Füße 
sind wieder nach derselben Seite schreitend wiedergegeben. Die kleinere Hälfte 
der nördlichen Langseite nach dem Hofe zu ist durch Vorderfüße, Brust und Kopf 
eines Löwen eingenommen. Die Füße des Mannes und die Klauen des Löwen 
treffen in der Mitte zusammen. An der nach dem Hofe zu gerichteten Schmal- 
seite erscheint der Körper des Löwen und sein starker, klotziger Kopf. Die Mähne 
wird durch geriefelte Haarsträhnen angedeutet, der Schwanz ist wie bei den an- 
deren Tieren von unten her durchgeschlungen und zeigt dieselbe quastenartige 
Endung. 

Die südliche Säule (Kelchkapitell). Unmittelbar aus dem Halsring steigt eine 
doppelte Reihe sehr dicker Blätter auf, darüber liegt eine viereckige Platte. Am 
Kämpfer erscheint auf der Südseite in der Mitte ein großer Kopf, eiförmig, oben 
etwas abgeplattet, runde Augen, Nase keilfürmig, Lippen wulstig, Mund offen- 
stehend. Die Augensterne sind, wie an allen diesen Köpfen, ausgehöhlt. Ursprüng- 


324 


lich waren sie also wohl mit andersfarbigen Steinen besetzt. Die Arme. sind ver- 
kümmert, beide hakenartig erhoben, die Hände fassen an die Füße zweier Tiere. 
Nach der Gangseite zu Klauen und Brust eines Lówen, nach der Hofseite die 
Kruppe eines Löwen; man sieht, wie der dicke, runde Schwanz zwischen die 
Hinterbeine und vorn über den Rücken gezogen ist. An der östlichen Schmalseite 
(Gangseite) ein großer Löwenkopf mit heraushängender Zunge, Mähne und Schwanz. 
Die Hinterbeine stehen auf der nördlichen Langseite. Die Mitte dieser Seite wird 
von einem Seetier mit geschupptem und geringeltem Leib gebildet, das Ende des 
Fischschweifs liegt über der Kruppe des Löwen. Der große Kopf des Seetieres 
mit lánglichen, schmalen Ohren, beißt in das rechte Vorderbein des Löwen der 
Hofseite. Nahe dem Hals an den Schultern eine flügelartig gebildete Flosse. Die 
Schuppen sind nur eing »ritzt, nicht erhaben behandelt. Die NW-Ecke wird durch 
den Kopf des Löwen gebildet, dessen Rücken an der Hofseite des Kämpfers liegt. 

Am zweiten Mauerpfeiler erscheint neben dem Kämpfer ein großer, grotesker 
Tierkopf. 

Das zweite Joch. 

Die Fensterarkade (Abb. r) hat vier kleine Rundbogen, die in der Mitte auf einer 
dicken Sáule ruhen. (Durchmesser des Schaftes ca. 0,36 m, annšhernd quadratische 
Plinthe ca. 0,55!/, m). An den Seiten je ein Sáulenpaar. Die Kämpfer der Pfeiler 
sind im Gegensatz zu den Kämpfern des ersten Joches nur schwach profiliert, aus 
hoher Platte und Wulst. Der Schaft der Mittelsáule ist glatt, die Schäfte der vie 
kleinen Sšulen achtkantig. Die Breite der attischen Basen (Hof- und Gangseiten) 
ist ungefähr die gleiche wie bei den Säulen des ersten Joches (o, 331“ und o, 34). 
Die Tiefe der zusammengestellten Basen ist 0,58!/,. Die Bildung der vorigen ähn- 
lich, nur ist beim nördlichen Sáulenpaar der untere Wulst flacher und niedriger 
(Н. 0,419), das obere Stück plumper. 

Nórdliches Sáulenpaar. 

I. Kapitell der Gangsáule. An den beiden Ecken nach dem Gang zu zwei 
Kópfe als stark hervortretende Eckknollen gebildet, kleine verkümmerte Armchen. 
In der Mitte halten beide zusammen eine Art Hirtenstab gerade aufrecht, so daß 
die schrág erhobenen Arme mit der geraden Mittellinie und dem oben geringelten 
Abschluß ein Ornament formen. Der linke Arm des nördlichen Kopfes ist aus- 
gestreckt und hält eine kleine vierblütterige Blüte, daneben als NW-Ecke wieder 
einen Kopf. Der Kopf der SW-Ecke ist abgeschlagen. Das mittlere Ornament 
der siidlichen Langseite wird hier gebildet durch ein vom rechten Arm des siid- 
lichen Kopfes gehaltenes Blatt mit runder Mittelrippe und am Stiel ansetzenden 
runden Blättchen (vier auf jeder Seite). 

2. Kapitell der Hofsáule. An drei Seiten mit dreifach geripptem Flechtwerk 
bedeckt, an den Ecken ganz kleine Kópfchen. Das verschlungene Flechtwerk 
endet in dreiteiligen gelappten, spitzen Blättern. Unter dem einen Kopf hängt eine 
kleine Perlenreihe. Die Nordseite des Kapitells hat kein Flechtwerk, sondern zeigt 
die bekannte Form des Würfelkapitells, dessen Schildbogen von einem Wulst wie 
von einem Strick umsdumt ist. An den oberen Enden scheint dieser Strick an 
zwei dicke runde Knópfe aufgehüngt zu sein. 

Kämpfer des nördlichen Sdulenpaars. An der östlichen Schmalseite zwei 
Köpfe. Der nördliche ist auf den linken Arm gestützt, während die rechte Hand 
ausgreift und den südlichen Kopf von sich stößt. Diese beiden Figuren ringen 
sich mit dem Oberkörper aus der Masse des Steins hervor. Die nördliche Lang- 

seite zeigt ein auf dem Rücken liegendes Tier mit geringeltem, dickem Schwanz, 


325 


Der weit aufgerissene Rachen, dessen Zšhne sichtbar sind, beiBt in den Kopf der 
NO-Ecke, den er gerade am Halse abzubeiñen scheint. Das Fell des Tieres ist 
aufgerauht. Zwei VorderfüBe, aber keine HinterfüBe sichtbar. Der Menschenkopf 
bildet zugleich einen Teil der Schmalseite des Kämpfers nach dem Hofe zu. Der 
linke, zum Kopf gehörige Arm ‚ist erhoben, die Hand, zur Faust geballt, nimmt 
die Mitte der westlichen Schmalseite ein. Daneben an der SW-Ecke wieder ein 
Menschenkopf. Der zu diesem Kopf gehörige rechte Arm greift nach dem Tier 
hinüber, seine Hand packt dessen Unterkiefer. Kopf und Arm gehören zu einem 
vollständigen Menschenkörper, der die südliche Langseite des Kämpfers einnimmt. 
Dieser Körper steckt in einem enganliegenden Kettenhemd mit bis auf die Hand- 
gelenke reichenden Ärmeln. Das Kettenhemd geht zu beiden Seiten über die 
Hüften hinab, ist aber vorn oflen, so daß eine Art Schurz sichtbar wird. Ein 
Kettenpanzer bedeckt auch Füße und Beine. Über die linke Hüfte zieht sich ein 
Lederriemen. Die Füße stehen auf einem schmalen Steg, der diese Figur von 
dem nackten Oberkörper des sich vorn losringenden Mannes trennt. Alle Köpfe 
sind äußerst roh und starr, die Augen und sonstigen Gesichtsteile scharf um- 
schnitten. 

Die Mittelsäule. Basis attisch wie alle übrigen. Die Eckpflócke sind an drei 
Seiten als Menschenköpfe geformt. Hier sind die oberen Kanten der Plinthe ab- 
geschrägt, um den Köpfen Platz zu machen, während der vierte Eckknollen wie 
üblich auf der Plinthe aufliegt. Der Kopf an der SO-Ecke von ungewöhnlicher 
Größe und roher als die anderen, stark abgenutzt. Ebenso auch der Kopf der 
SW-Ecke, vom dritten kaum noch eine Spur übrig. Der Kämpfer besteht aus 
Hohlkehle, Plättchen, Wulst und Platte. Die vier unteren Ecken sind im Dreieck 
abgeschrägt und doppelt umrändert. Die Unterseite des Kämpfers ist als Hohl- 
kehle gebildet, von der diese Dreiecke ausgeschnitten sind. 

Südliches Säulenpaar. Attische Basis, achtkantig gebildet wie die Säulen, 
so daß die Kanten der Basen denen des Schaftes entsprechen. Auf achtkantiger 
Plinthe ruht der kantig gebildete Pfühl, über den von den acht Ecken der oberen 
Platte her acht Streifen laufen, welche, vorn am Pfühl in runden Eckknollen endend, 
den Pfühl einziehen und mit Gewichten zu beschweren scheinen. 

Gangsäule. Korinthisierendes Blätterkapitell. Wenigstens liegen Erinnerungen 
an korinthische Kapitelle zugrunde, aber die Blätter sind spitz und länglich ge- 
worden wie Sumpfgras, die Arbeit ist unbeholfen, dabei sehr lebendig und frisch. 

Hofsáule. Wiirfelkapitell. Die Schildbogen sind mit zwei flachkantigen Streifen 
umrändert. Die Streifen glatt gemeißelt, während der Würfel sonst rauh bleibt. 

Kämpfer. An der Gangseite der Oberkörper eines Tieres (Katze?) mit mon- 
strösem, ovalem Kopf und kurzem, in die Höhe gebogenem Schwanz. Große 
Augen, lange Nase, scharf umrissen, und zwei aufrecht stehende kleine Ohren. 
Die Schmalseiten sind hier ohne Zusammenhang mit den Langseiten behauen, wo- 
durch die Grundform des Kämpfers (Sattelholz) mehr betont wird, indem sich die 
Skulpturen an der Schmalseite der Schräge anschmiegen und die geraden Teile 
des Balkens unbeeinträchtigt lassen. Dies wird besonders deutlich an der nörd- 
lichen Langseite, wo der gerade Balken mit abgeschrägten Seiten sichtbar ist und 
von einem schmalen Streifen umsäumt wird. Darin in der Mitte zwei mit den 
Stielen gekreuzte Blätter. Die Stiele sind dreifach gerippt, die fünf Blätter 
rundlich, oben spitz, die zwei zur Seite stehenden im Profil gesehen, das oberste 
flach mit vertiefter Mittelrippe. Die Keilschnittechnik hier. sehr markiert. An der 
Hofseite heraldisches Fabeltier mit großem Kopf. Die Augensterne sind als runde 


326 


und erhabene Scheiben gebildet, von doppelten Ringen umgeben, kleine Ohren, 
heraushängende Zunge. Der Oberkörper ist in großen runden Plättchen geschuppt. 
Schwanz. An der südlichen Langseite Blätterranke mit in der südwestlichen Ecke 
fleur de Lys-artiger Endung. Sonst ist die Lilienendung zweiteilig. Die Stiele 
dreifach gerippt. Vor dem Ansatz der Blumen en Ring. 


Drittes Joch. Ä 

Von der vierbogigen Fensterarkade (Abb. 2) ist der äußerste nördliche Bogen 
halb in die Mauer verbaut, da an dieser Stelle eine Verstärkung des den Gurtbogen 
stützenden Pfeilers notwendig geworden. (Über dem ganzen Osttrakt zieht sich 
das ehemalige Dormitorium entlang, das vermutlich Anfang des 14. Jahrhunderts 
erbaut wurde.) In der Mitte ein Pfeiler, der Mittelsäule des zweiten Joches ent- 
sprechend, an den Seiten je ein Säulenpaar. Der Kämpfer des südlichen Mauer- 
pfeilers (H. 0,26 m) besteht hier aus Wulst, Schmiege, Hohlkehle, Schmiege, großem 
Wulst und Platte. | | 

Nórdliches Sšulenpaar. Die attischen Basen (Br.o,32 m, Tiefe 0,56 m) sind 
von gefülliger Bildung, oben weniger steil und plump. Die Abplattung des unteren 
Wulstes (H. 0,5 m) ist als aufliegendes Plättchen akzentuiert. 

Gangsäule achtkantig. Das Kelchkapitell ist von völlig anderer Bildung wie 
das unverstanden korinthisierende der zweiten Arkade. Acht Blumenblütter sind 
so um den Kern des Kapitells angeordnet, daB an jeder Seite drei sichtbar werden. 
Die überfallenden Enden sind stark unterschnitten. Eine viereckige Platte krónt 
das Ganze. 

Hofsäule. Glatter Schaft. Würfelkapitell mit einfach umsäumtem Schildbogen. 

Kümpfer fein profiliert. 


Der Mittelpfeiler. Schaft (H. 1,28 m) im Grundriß ein längliches Viereck. 
Die attische Basis ist viereckig (Br. 0,48 m, T. 0,58 m) und besteht aus Wulst, 
schräg abfallenden Plättchen, Hohlkehle, Plättchen, Wulst. Die obere Kante der 
Plinthe ist abgeschrägt. Die Ecken des Pfeilers sind ausgekehlt, an den Schmal- 
seiten (Hof- und Gangseite) ist je eine Halbsáule vorgelagert, wührend die Lang- 
seiten ganz glatt abgemeiBelt sind. Diese Halbsäulen werden mit vom oberen 
Wulst der Basis umfaßt und vom oberen Plättchen umsäumt, haben aber ihren 
eigenen runden, senkrecht stehenden Fuß, dem die zweite Platte der Basis rund- 
herum ausweicht. Der Säulenfuß steht also in der Hohlkehle. Die bei der Aus- 
kehlung der Ecken stehenbleibenden Pfeilerstücke haben unten eine gewölbte, in 
der Mitte eingekerbte Form, oben laufen sie als Spiralen zusammen. Der Kümpfer 
zeigt die umgekehrte Form der Basis ohne deren obersten (beim Kümpfer demnach 
untersten) Wulst. Der Kämpfer ist stark seitlich verschoben. 


Südliches Säulenpaar. Die Basis wieder mit größerem und stärkerem Wulst, 
auch die Eckknollen sind stärker, der Oberteil steiler. Der Wulst ist oben ganz 
flach und höher wie die anderen (H. 0,6* m). Die Plinthe ist um 0,2 m tiefer wie 
die Plinthe des nördlichen Paares. 

Gangsäule. Der Schaft ist glatt. Beim Übergang zum Kapitell kein Halsring. 
Vier Vögel, an jeder Ecke einer, so daß Leib und Kopf der ausladenden Form des 
Wiirfels folgen, während die ausgebreiteten Flügel die Mitte verdecken. Die Platte 
des Kapitells ruht auf den gerade vorgehaltenen Köpfen der Vögel. Die Hälse sind 
lang ausgereckt, die Körper stark und eifürmig, der Schwanz dreiteilig, die Beine 
lang, die Flügel rund, mit je drei langen Flugfedern. Darüber schuppenartig ge- 
arbeitete Federn wie am Körper. 


327 


Hofsáule. Achtkantiger Schaft. Kelchkapitell.. Vier groBe Blitter umhüllen 
den Kern. An den Ecken stark unterschnitten, lassen sie die gewölbten Spitzen 
weit überhüngen, so daB auf jede Ecke eine Spitze kommt. Das Blatt bildet hier 
gewissermaßen eine überdachte Nische. Über die Fläche der breiten Blätter, in 
der Nische also, sind kreuzweise je zwei schmale, oben runde Blatter lose gelegt. 
Darüber Platte. | 

Der Kämpfer ist weniger reich profiliert wie der des nördlichen Sdulenpaares. 

Viertes Joch. (Abb. 3.) 

Vierbogige Fensterarkade, auf einem Mittelpfeiler ruhend, nördlich ein Säulen- 
paar, südlich ein Pfeiler. Die Kämpfer der Mauerpfeiler bestehen aus Hohlkehle, 
Schmiege, Wulst, hoher Platte. (H. 0,20 m und 0,27 m.) Ein Stück davon noch 
auf der Gangseite sichtbar. 

Nördliches Säulenpaar. Basis Br. 0,34 m, T. 0,58 m. Die Säulenschäfte 
sind beide glatt und haben Würfelkapitelle. 

Gangsäule. Die Umrandung des Schildbogens am Würfelkapitell ist als runder 
Wulst gebildet, darüber Platte. 

Hofsäule. Die Umrandung des Schildbogens am Würfelkapitell ist breit und 
flach abgekantet. Darüber hohe Platte. 

Kämpfer reich profiliert. | 

Mittelpfeiler. Quadratischer Grundriß (0,56 m). Die Basis wie am Milttel- 
pfeiler der dritten Fensterarkade. Die Pfeilerecken in gleicher Weise ausgekehlt 
wie dort. Die Seiten glatt. Sehr reich profilierter Kámpfer. An der Hof- und 
Gangseite stark unterschnitten. 

Siidlicher Pfeiler, welcher mit dem Sdulenpaar korrespondiert. Basis ein vier- 
eckiger Block, Br. 0,34!/, m, T. 0,40 m, H. 0,28 m. Oben schräg abfallende Seiten. 
Die Ecken des Pfeilers sind abgeschrägt, aber nicht ausgekehlt. Die Abschrägung 


verläuft oben wie unten im spitzen Winkel. Der Kämpfer besteht aus Wulst, 
Pláttchen und Platte. | 


DER SÜDTRAKT. 
I. Joch (das östlichste). 


Vier kleine Rundbogen, getragen von einem Mittelpfeiler, im Osten von einer 
Sdule, im Westen von einem Sáulenpaar. Der Mauersockel, auf welchem die Stützen 
stehen, ist von W. nach O. zu abgetreppt und nach der Hofseite stark abgeschrágt. 
Die Pfeilerkimpfer bestehen von hier ab aus Platte und sehr hohem Wulst. Die 
Kämpfer der Gurtbögen, welche im Osttrakt nur o,16 m H. hatten, sind hier 0,25 m 
hoch. 

Óstliches Sdulenpaar. Achtkantig. An der attischen Basis (0,31? m zu 0,31°) 
bemerken wir zum erstenmal die rinnenfórmige Bildung der Hohlkehle. Zugleich 
erscheint zum erstenmal das für die spätromanische Epoche des Salzburger Gebiets 
im 13. Jahrhundert charakteristische Kapitell (sogen. Salzburger Kapitell). Es ist 
eine Verbindung des Kelch- und Wiirfelkapitells. Mit acht Kanten geht der untere 
Teil des Kapitells in den runden Sáulenhals über, wáhrend die Seiten als vier lot- 
rechte Schildflächen in Dreieckform stehenbleiben. Das Kapitell erhält dadurch 
vier, die geometrische Grundform eines nach oben in spitzer Dreieckform aus- 
gehenden breiten Blattes zeigende Abschrügungen. Die Spitze endigt unter dem 
oberen Rand des Kapitells, eine ca. o,2 m hohe viereckige Platte stehenlassend. 
An den vier Seiten bleiben also zwischen diesen Blättern vier ganz flache, lotrechte 
Dreiecke mit nach unten gekehrter Spitze stehen. 


328 


Kämpfer roh behauen. | 

Mittelpfeiler. Quadratische (0,51 m) Plinthe. Basis und Pfeiler ganz ähnlich 
dem Mittelpfeiler der südlichsten Fensterarkade im Ostflügel 

Der Kümpfer, eine viereckige Platte, geht in groBer, an den Ecken scharfkantig 
behauener Hohlkehle in den Pfeiler über. 

Westliches Säulenpaar. Die Gangsäule und die Basen beider Säulen scheinen 
mir neu zu sein. | 

Hofsäule. Runder Schaft, Würfelkapitell mit flachkantiger Umsäumung des 
Schildbogens. 

Kämpfer. Schmale Platte, an den Enden (Schmalseiten) aufgerollt. Darüber 
Platte. 


2. Joch. 

Vier kleine Rundbogen, auf einem Mittelpfeiler und je einem Säulenpaar ruhend. 

Óstliches Säulenpaar. Attische Basis 0,31° zu 59. Rinnenförmige Hohlkehle, 
niedriger Wulst. 

Gangsüule. Wiirfelkapitell, von dreistreifigem Flechtwerk übersponnen. 

Hofsáule. Wiirfelkapitell, flachkantig umsdumter Schildbogen. 

Kümpfer. An den Schmalseiten aufgerollte schmale Platte, darüber Platte. 

Mittelpfeiler. Annähernd quadratische Plinthe. (Br. 0,57 m, T. 0.54 m). 
Attische Basis. Der Schaft ist achtkantig. Die vier quer über die Ecken der Basis 
gestellten Flichen als Auskehlungen behandelt durch hier oben und unten stehen- 
gelassenen und zu Voluten aufgerollten Stein. Von dem Pfeilerviereck bleibt sowohl 
unten wie oben eine ca. 0,4 m hohe Platte stehen. 

Kapitell Vier nach innen abgeschrügte Seiten mit germanisierten Palmetten, 
von denen einzelne rund umgebogen und unterschnitten sind, so daß sie oben wie 
von einem Wulst umgeben scheinen. An der Ostseite haben die Palmetten im 
mittelsten Blatt ein umgekehrtes fleur de Lys. Hier und an der Stidseite erscheinen 
unten zwischen den Blattstielen kleine spitze Dreiblätter, die besonders an der 
Südseite lebendig gearbeitet sind. An der Südseite ist die wulstartige Form des 
oberen Randes der Palmette sehr auffallend. An der Ostseite hat keine Unter- 
schneidung stattgefunden. Hier sind die Palmetten fünfblütterig, an der Südseite 
sechsblütterig. Die Stiele haben einen Ring. An der Westseite sind die kleinen 
Zwischenblütter an den Stielen fortgelassen und die Palmetten wieder sechsteilig 
gebildet. Die Westseite hat vier Palmetten, auf den übrigen drei Seiten erscheinen 
nur je drei Palmetten. Auf die Ecken kommen schmale, zusammengepreBte und 
nach unten hüngende Palmetten in zweistreifiger Umrandung. Diese Eckpalmetten 
sind fein geschnitten auf der SO-Ecke, ganz grob und unverstanden auf der SW-Ecke, 
gut gebildet auf der NO-Ecke, auf der NW-Ecke abgeschlagen. 


Westliches Säulenpaar. 

Basis: Plinthe Br. 0,30 m, T. 0,56? m. Die Bildung der attischen Basis ist viel 
gedrungener wie die vorhergehenden. Die Hohlkehle ist nicht rinnenförmig, auf 
dem ca. 0,7 m hohen Wulst liegt ein scharf markiertes Plättchen. Die Eckpflöcke 
sehr dick, der obere Teil der Basis nicht sehr steil. Runde, glatte Schäfte. Würfel- 
kapitelle. 

Gangsäule. Der Schildbogen am Kapitell ist zweimal schmal und scharfkantig 
umsäumt, durch einen weiteren Einschnitt erscheint die Umsäumung dreifach 
zu sein. 

Hofsáule. Einfache flachkantige Umsäumung des Schildbogens. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12. 23 329 


Der Kämpfer hat an der Westseite zwei Tiere, die mit den Köpfen gegen- 
einander gestellt sind. Nur Kópfe und Rücken sind gegeben. Vielleicht sollen 
Lümmer dargestellt sein. Darüber schmale Platten, an den Enden nach außen 
in federnde Spiralen eingerollt. Der Wulst kommt wie gewöhnlich auf die Schmal- 
seite. 

3. Joch (Abb. 4). 

Vier kleine Rundbogen, Mittelsäule und je ein Säulenpaar an den Seiten. Da 
der Südtrakt fünfJoche hat, kommt die dritte Fensterarkade also genau auf die Mitte. 

Östliches Säulenpaar. 

Basis: Br. 0,30 m, Т. 0,594 m. Stark rinnenförmige Hohlkehle. Das Ganze 
niedrig gehalten. Die Basis der Gangsäule hat einen etwas dickeren Pfühl wie die 
der Hofsäule. Beide achtkantig. 

Gangsüule. Würfelkapitell. An der Ostseite glatt, bis auf die übliche, ganz 
flache und einfache Umsäumung des Schildbogens. An der Südseite dreistreifiges 
Bandgeflecht als Dreieck und Kreis durcheinandergesteckt. Der Kreis gedrückt 
und verbogen. Westseite, dreistreifiges Bandgeflecht, an den Ecken verschlungenes 
Viereck. Nordseite dasselbe Ornament wie die Südseite. 

Hofsäule. Wiirfelkapitell mit ganz glatter, einfacher Umsäumung des Schild- 
bogens. 

Kämpfer. Lange, schmale Platte, an den Enden aufgerolit, aber so, daß sich 
die Spirale wieder nach außen dreht, statt nach innen. 

Mittelsäule (Abb. 5). Attische Basis über viereckiger Plinthe, ein im Grundriß 
runder, aber kantig gebildeter Pfühl und kantige Eckpflócke. Am runden Schaft 
(H. 0,98 m) sind nach der Gangseite zwei rundbogige flache Nischen (H. 0,13 m) 
ausgearbeitet. Zwischen beiden ein 0,51/, m breiter Steg. In der östlichen Nische 
sitzt unten ein jugendlicher Mann mit straffem, nicht ganz bis auf die Schultern 
herabfallendem Haar und phrygischer Mütze. Über Brust und Schultern scheint 
er eine Art von ärmellosem Kragen zu tragen. Er spielt die Harfe. Nur die vier 
Finger der linken Hand, die in die Harfe greift, sind sichtbar!) Über ihm ein 
Tier. Der abgebrochene Schwanz hat gerade den Winkel über der Harfe aus- 
gefüllt, das rechte Hinterbein kommt gerade auf den Kopf des Harfenspielers, die 
rechte Pfote ist nach unten gesenkt, die linke erhoben. Es ist vielleicht ein Hund 
gedacht. Den Kopf ziert ein aufrecht stehender Haarbüschel — Die westliche 
Nische ist durch eine nach rechts schreitende männliche Figur ganz ausgefüllt. 
Der im Profil gesehene Kopf ist unförmig groß im Verhältnis zur Gestalt. Das 
mandelförmige, plastisch rund gebildete Auge nimmt den ganzen Kopf von der 
Nasenwurzel bis über die Schläfe zum Haar ein. Unter der runden, anliegenden 
Kappe fällt das Haar frei und leicht wellig bis auf den Rücken herab. Nur der 
rechte Arm, der über die Brust gelegt ist, wird sichtbar. Die Hand hält einen 
runden Gegenstand an die linke Schulter gedrückt. Die Hand hat fünf Finger und 
einen Daumen! Der Mann trägt ein eng anliegendes, am Halse offenes Wams, 
Am Handgelenk zwei Reihen kleiner runder Plättchen, je drei in einer Reihe. Ein 
langes, gerade herabfallendes Untergewand, das noch die Knie bedeckt, wird über 
den Hüften von einem starken, in der Mitte zweimal verschlungenen Gurt zu- 
sammengehalten, der mit großen runden Platten (Buckeln) besetzt ist. Das eine 


(z) Der Bearbeiter des Denkmäler-Inventars hat an dieser Gestalt Tierfüße gesehen. Diese sind heute ` 
nicht mehr vorbanden; ich konnte auch keine auf das einstige Vorhandensein solcher Füße deutende 
Spuren entdecken. 


330 


herabhšngende Ende zeigt noch vier Striemen (Fransen), in welche der Gurt aus- 
läuft. Die Beine sind entweder nackt oder von eng anliegenden Strümpfen be- 
kleidet gedacht. Bei den oben faltigen Stiefeln (vier Querrillen) ist der ganze FuB 
mit runden Plättchen bedeckt. Beide Füße in Profilstellung nach rechts schreitend. 
Der Kórper von vorn gesehen. 

Das Kapitell sitzt direkt ohne Halsring auf dem Säulenschaft auf. Die Grund- 
form ist die eines nach oben abgeschrügten Wiirfels. Darüber quadratische hohe 
Platte. Der Würfel ist ganz in origineller und phantastischer Weise mit Bláttern 
bedeckt. Die iiberfallenden, stark unterschnittenen Ecken sind mit Blüttern über- 
legt. Aus den Blattspitzen wachsen umgestülpte Lilienkelche hervor, welche sich 
henkelartig wieder am Fuß des Kapitells mit dem Stein vereinigen. An der Hof- 
seite abgebrochen. Jede Seite des Kapitells ist verschieden gebildet. In der Mitte 
wüchst aus der Basis des Kapitells je ein blattartig gebildeter Knollen hervor. Die 
Blattform tritt deutlich nur an der Südseite hervor, an der Ostseite ist der Knollen 
wie eine Konsole gebildet, über deren oberer Wölbung Blätter liegen und in deren 
Unterseite eine Blüte eingemeiBelt ist. An der Westseite ist dieser Buckel als 
runde, umgestülpte Blume gedacht. Vielleicht ist als Grundform der Lilienkelch 
beabsichtigt, aber dann wieder vergessen worden oder durch das Ungeschick des 
Steinmetzen mißbildet, denn das eine Viertel ist mit kleinen Blättern überarbeitet. 
Eine vertiefte, kreuzférmige Rille teilt den Buckel in vier.Teile. Neben diesen 
Buckeln liegen zu beiden Seiten lange Palmenwedel, über den Buckeln undefinier- 
bare Blatter. Das Laubwerk liegt durchaus unorganisch über dem Kapitell An 
der aufliegenden Platte ist ganz deutlich die antike Wellenranke in mittelalterlicher 
Verrohung. 

Westliches Sdulenpaar. 

Basis: 0,31%, T. 0,535 m. Die Hohlkehle ist rinnenfúrmig gebildet. Es sind keine 
Eckknollen vorhanden. Die Scháfte sind achtkantig. 

Gangsáule. Wiirfelkapitell Schildbogen von flachkantigem Rand umzogen, 
dann noch an der Unterseite von schmalem, kantigem Streifen. 

Hofsáule. Würfelkapitell. Der etwas größere Schildbogen ist einfach umsäumt. 
Der Schildbogen reicht beinahe bis auf den Halsring hinab. 

Kämpfer. Platte nach innen eingerollt, darüber Platte. 

4. Joch. 

Vier kleine Rundbogen. Mittelpfeiler und je ein Sdulenpaar an den Seiten. 

östliches Sdulenpaar. Basis: Br. 0,33? m, T. 0,595 m. Die Plinthe sehr 
niedrig. Die Hohlkehle ist stark rinnenfórmig gebildet und so steil, daB sie wie 
eine Fortsetzung des runden Sáulenschaftes erscheint. Beide Sdulen haben einfache 
Wiirfelkapitelle mit flachkantig umsäumten Schildbügen. An der Gangsäule ist der 
Halsring kantig. 

Kümpfer. Sehr schmale, nach innen eingerollte Platte. Hier ist es die obere 
Platte, welche sich volutenfórmig einrollt und über die untere Platte legt. 

Mittelpfeiler. Basis: ein längliches Viereck. Br. 0,52, T. 0,58 m. Der obere 
Wulst mit Plättchen und Ansatz der Hohlkehle bilden den geradlinigen, viereckigen 
Fuf des Pfeilers, dann leitet die geschweifte, wenig ausgehóhlte Linie der Hohl- 
kehle zum Plättchen des hohen РЇ Ыз und der viereckigen Plinthe über. Der 
Schaft des Pfeilers: Untere Br. 0,28 m, T. 0,36 m. Obere Br. 0,18 m, T. 0,29 m. 
Breite der slupierten Fläche nach der Gangseite unten 0,23 m, oben 0,14 m. 
Meerwesenseite unten 0,34 m, oben 0,25 m. Nach oben verjüngt sich der Schaft. 
Die Ecken sind glatt gelassen, aber nach oben abgeschnitten, Wo die Verjüngung 


331 


aufhört, biegt sich die Ecke, als oben spitzes, rundes Blatt endigend, nach außen, 
um in einer schónen Schweifung zu dem an den Pfeiler EDE Kapitell 
tiberzugehen. 

Südseite. Zu beiden Seiten der ornamentierten Fläche ist ein breiter Rand 
stehengeblieben. Das dadurch entstehende schmale Feld ist oben rundbogig ab- 
geschlossen. Das Stück oberhalb des rundbogigen Ornamentfeldes ist wieder nach 
oben mit umgekehrter Schweifung abgerundet, so daB es als ein zwischen den 
beiden Seitenlisenen eingefügtes Schild erscheint. Das innere Feld zeigt gut in 
den Raum komponierte, mit naturalistischer Treue gearbeitete Weinranken. Dicker 
Stamm mit knorriger Rinde, Traube, oben Blatter, abwechselnd nach oben und 
unten wachsend; das oberste Rund füllt das letzte Blatt aus. Die Ranke wichst 
in Windungen von unten nach oben. 

Ostseite. Ranke mit großen Blättern, die wohl Kastanienlaub vorstellen sollen. 

Westseite. Unten der nackte Oberkörper einer weiblichen, im Profil dar- 
gestellten Figur. Das Haar ist in einer Spirale im Nacken aufgerolit, das Ohr von 
gänzlich unverstandener Bildung. Überhängende Stirn, darunter große Augen und 
große Nase. Statt Händen scheinen Tierklauen gedacht zu sein, es ‘kommt unten 
rechts auch noch eine dritte Tierklaue hervor, die wohl zum Fuß des Fabelwesens 
gehört hat. Dieses trägt auf dem Rücken ein Fell. Es ist also wohl ein faun- 
artiges Wesen gedacht. Darüber ein Fischweibchen, nach der Antike kopiert. 
Kopf lebendig gebildet. Mit beiden Händen umfaßt sie zu jeder Seite einen Teil 
ihres doppelten, in der Mitte des Körpers sich spaltenden Fischschwanzes. Das 
Gewand ist sehr geschickt wie Fischflossen behandelt, das Körperchen lang und 
dünn. Darüber als Füllung des oberen Rundes sehr große, offene Blume (Mohn?). 

Nordseite leer, hier jedoch der Teil über dem Rundbogen des Feldes mit Blät- 
tern besetzt, 

Das Kapitell (H. 0,13 m) hat weitmaschiges Bandgefiecht, das sich wie in 
einer großen Kette um den viereckigen Stein zieht. 

Kämpfer.. Viereckiger, nach unten abgeschrägter Steinbalken. An den Seiten 
wieder dreistreifiges Bandgeflecht. An der SO-Ecke ein Knoten von Bandgeflecht. 
An der SW-Ecke, kaum mehr kenntlich, ein Vogel, an der NW-Ecke Eule, leider 
sehr beschädigt. Die NO-Ecke ist ganz abgeschlagen. 

Westliches Säulenpaar. Runde Plinthe. Durchmesser ca. 0,32 m. An der 
Basis der Gangsäule ist der obere Wulst als Strick gedreht. Beide Säulen glatt 
und rund. | 

Gangsáule. Wiirfelkapitell, flachkantig umsäumt. 

Hofsäule. Würfelkapitell, wulstartig umsäumt. 

Kämpfer roh behauen. 

5. Joch (Abb. 6). 

Vier kleine Rundbogen. Mittelsäule und je eine Säule an den Seiten. Der öst- 
lichste Rundbogen ist halb in die Mauer verbaut. 

Östlichste Säule. Basis: Br. 0,40 m, T. 0,41. Plinthe nur eine dünne Platte, 
der Wulst achtkantig, das daraufliegende Plättchen hat leicht eingeschweifte Seiten. 
Eckpflócke. Der Süulenschaft ist aus runden und scharfkantigen Gliedern tauartig 
gewunden. Das Kapitell ist ganz überzogen mit kindlich ungeschickt gemeißelten 
kleinen Ranken, Blättchen und Träubchen, ohne irgendeinen Zusammenhang, hin- 
gemeißelt wie es eben kam. Kämpfer, roh gelassen, Platte und Schmiege. 

Mittelsäule. Schafthöhe o, 91 m. Basis wieder auf runder Plinthe. Riesiges 
Kapitell von oben rechteckiger Bildung mit rund ausladenden Ecken und rund aus- 


332 


ladenden Konsolen in der Mitte der Seiten. Oben o,62 m im Quadrat. Alle acht 
Ausbuchtungen werden getragen von großen Köpfen oder Laubknoten. An der 
Südseite in der Mitte bürtiger Männerkopf, in Arabesken endend, vielstreifige Stengel- 
bündel an Stelle von Hals und Armen, in Laubwerk übergehend. An der SO-Ecke 
weiblicher Kopf, ein Tuch von der linken Schulter nach rechts hinübergezogen. 
Der linke Arm kommt aus diesem Tuch so hervor, daB sich die linke Hand auf 
die rechte Schulter legt, der Arm wie mit Tüchern umwunden. Die Finger wie 
Lappen geformt. Ostseite, Mitte Blattwerk, ebenso an der NO-Ecke. Nordseite in 
der Mitte ganz verwitterter Löwenkopf, darunter unbearbeiteter Knollen, Blattwerk 
und Stengelbiindel NW-Ecke halb in die Mauer des hier vorgelegten Eckturmes 
verbaut. Lówenkopf mit groBen Pranken. Westseite, Mitte, jugendlicher Kopf 
(Kinderportrüt?) Die Augensterne als Löcher gebildet. Die Knabenherme trägt 
eine Art Rüstung aus Lederplatten, oben am Hals rundé Plittchen (Edelsteine ?). 
SW-Ecke heraldischer Lówe, seine beiden Pranken nach oben erhoben, als sollten 
sie die Platte tragen, zühnefletschend, geflügelt, sehr roh. 

Westliche Süule, Basis: 0,40 m, — 0,40 m, wie die vorige behandelt, nur ist 
hier der obere Wulst und das obere Pláttchen auch schon achtkantig. Der Sáulen- 
schaft ist gedreht, tiefe Kannelüren mit scharfkantigen Stegen. Knospenkapitell, 
entweder modern oder in neuerer Zeit ganz überarbeitet. In der SO- und SW-Ecke 
sitzen innerhalb der sich übereinanderlegenden Blatter je ein Kopf, in der NW- 
und NO-Ecke nur runde Kugeln. 

WESTTRAKT. 

Das erste Joch ist ganz verbaut. Vom Eckpfeiler sind beide, die Gurtbogen 
tragenden Kimpfer erhalten. Daneben ein Stück der alten Mauer und ein kurzes 
Stück reich profilierten Kámpfers. Nördlich ein Ausgangsbogen mit zwei neuen 
Kämpfern. Daneben vor dem nördlichen Pfeiler, der den zweiten Gurtbogen trägt, 
ein Stück der Konsole aus Hohlkehle und Platte, dient ebenso wie die gegenüber- 
liegende Konsole als Auflager des Kreuzgewölbes. Hier ruhen beide das Joch um- 
spannende Gurtbogen auch an der Außenmauer auf Pfeilern, und an der Innenseite 
dieser Pfeiler ist auf 0,49 m respektive 0,64 m hohem Postament und attischer 
Basis je ein kleines Sáulchen eingestellt von 0,90 und 0,96 m Schafthöhe. Die 
Kapitelle dieser Sáulchen zeigen wieder genau die typisch spütromanische Form 
des Kapitells der östlichsten Säulen in der Fensterarkade des östlichsten Joches ` 
im Südtrakt. Nach der Art, wie hier und an der Hofseite die Wandpfeiler die aus 
Hohlkehle und Platte gebildeten Konsolen überschneiden, muß in ihnen ein späterer 
Einbau gesehen werden. Dieser wird um so wahrscheinlicher, als dieses ganze 
joch als Vorraum einer heute nicht mehr vorhandenen Brunnenkapelle gedient hat. 
Drei Stufen führen aus dem ersten Joch in dieses zweite Joch des Westtraktes. 
Nach der Hofseite, also nach Osten zu, öffnet es sich in zwei von einer 1,95 m 
hohen Mittelsdule getragene Bogen. Im Jahre 1899 wurden an dieser Stelle vor 
dem zweiten Joch die Fundamente eines quadratischen Baues (äußere Seitenlänge 
5 m) ausgegraben, die heute wieder zugeschüttet sind. Die Mauerdicke betrug 
iro m. Da wir aus einer Berchtesgadener Oblayrechnung vom Jahre 1561 (Pfarr- 
archiv) einen „Prunn im Creutzgang“ erwähnt finden, dürfen wir annehmen, daß 
die Brunnenkapelle an dieser Stelle lag und der säulengetragene, doppelbogige 
Ausgang ehemals den Eingang zu ihr bildete. Im Kreuzgang des Stiftes St. Peter 
in Salzburg befindet sich eine ähnliche, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts 
am Westflügel errichtete Brunnenkapelle mit ebenfalls doppelbogigem Ausgang 
und einer Teilungssáule. Auch die Ecksäulen neben den Pfeilern des Kreuzgang- 


333 


joches sind dort vorhanden und ihre Kapitelle sind die gleichen wie hier!) Eine 
weitere wahrscheinliche Analogie findet sich im Kreuzgang von St. Zeno bei 
Reichenhall, wo sie jedoch dem westlichsten Joch des Siidtraktes vorgelegen wire. 
Der doppelbogige Ausgang mit Teilungssáule läßt an dieser Stelle eine solche An- 
lage vermuten. Hier im Salzburgischen erklärt sich das in Deutschland ungewöhn- 
liche Vorkommen einer Brunnenkapelle im Kreuzgang durch franzósische oder wahr- 
scheinlich italienische Einflüsse?) Schaft und Basis der Teilungssáule sind acht- 
kantig gebildet. Die Eckknollen der Basis. sind rund, vorne zugespitzt, oben mit 
einer Rippe versehen. Die Plinthe ist viereckig. Das Kapitell (H. 41,5 m) korin- 
thisierend. Akanthusähnliches kleinzackiges Laub wächst in zwei Reihen über- 
einander aus dem kantigen Halsring auf. Die Enden hängen sehr weit über. Die 
Voluten der oberen Ranken sind nicht ausgearbeitet. Der Kämpfer scheint modern 
zu sein. 

Drittes Joch (Abb. 7). 

Drei Bogen, an den Enden im Mauerpfeiler verschwindend, von je zwei Sáulen- 
paaren getragen. 

Südliches Sdulenpaar. Basis: Br. o, 335 m, T. 0,60 m. Der Pfühl ist oben 
abgeplattet, die Hohlkehle nicht rinnenfórmig gebildet. Der obere Teil ziemlich 
steil. Eckpflócke. Säulenschäfte glatt und rund. 

Gangsdule. Das Kapitell hat dreistreifiges Flechtwerk an allen vier Seiten 
(Kreis mit durchgestecktem, an den vier Ecken Schleifen bildenden Viereck). 

Hofsáule: entweder neu oder überarbeitet. Wiirfelkapitell mit flachkantiger 
Umsdumung des Schildbogens. 

Kämpfer fein profiliert. 

Nördliches Sdulenpaar. Basis: 0,30‘ zu 0,59% Schäfte glatt und rund. 

Gangsdule. Kantiger Halsring. Kapitell der gleichen spátromanischen Bildung 
wie das der Gstlichsten Säulen der östlichsten Fensterarkade im Südtrakt und der 
beiden kleinen Ecksáulen im zweiten Joch des Westtraktes, nur ist dieses Kapitell 
kleiner wie das im Südtrakt und der Fuß verhältnismäßig nicht so dünn. 

Hofsáule. Wiirfelkapitell, Schildbogen mit äußerer Umsäumung durch einen 
Wulst, innen von flachkantigem, schmalem Streifen umrändert. 

Kämpfer profiliert, Wulst, Plättchen, Platte. 

Viertes Joch. | 

Drei Вореп. Der südliche steckt halb im Pfeiler. Zwei Sšulenpaare. Die Basen 
aller vier Sšulen sind gleichmáBig achtkantig gebildet mit über den Pfühl laufenden 
Streifen, die in Knollen ausgehen, wie bei dem südlichen Sáulenpaar der zweiten 
Fensterarkade im Osttrakt. 

Südliches Sáulenpaar. Durchmesser der Basis ca. 0,36 zu 0,59!/, m. 

Gangsáule. Schaft achtkantig. Wiirfelkapitell, flachkantig, breit umsäumter 
Schildbogen. | 

Hofsüule. Schaft glatt und rund. Wiirfelkapitell, flachkantig umsdumter Schild- 
bogen mit schmalem Innensäumchen. — Profilierter Kämpfer. 

Nördliches Säulenpaar. Basis: Durchmesser o, 34 zu o, 55, der obere Wulst 
kantig geformt. 

Gangsäule in zwei dicken Stricken tauartig gewunden (Abb. 7). Kapitell mit 
dreistreifigem. durcheinandergestecktem Flechtwerk. 


(x) V. Borger, Das Brunnenhaus im Kreuzgang des Stiftes St. Peter in Salzburg, Mitteilun gen der 
k. u. k. Zentralkommission XVII, 1891. 
(2) Lenoir, Architecture monastique. 


334 


Hofsdule. Schaft rund und glatt. Kapitell nur roh behauen, an den Ecken vier 
kleine Köpfe ausgearbeitet. Augensterne als Löcher gebohrt. Kämpfer roh behauen. 

DER NORDTRAKT ist zu Anfang des 17. Jahrhunderts, vielleicht auch ‘etwas 
früher vollkommen umgebaut worden. Von den romanischen Fensterarkaden ist 
nicht eine einzige stehengeblieben. Bei Gelegenheit dieses Umbaues muß ein 
kleines romanisches Portal zerstört worden sein, von dem sich zwei ehemals 
Säulen tragende Löwen erhalten haben, die jetzt im Nordtrakt an der Wand auf- 
gestellt sind. Sie sind verhältnismäßig klein. Bei dem einen ist die Mähne stark 
aufgeringelt, unter den Pfoten hält er einen Wildschweinkopf. Sein Schwanz ist 
unter dem Körper durchgezogen, die Quaste hängt über dem linken Hinterfuß. Die 
Rippen an den Seiten gut ausgearbeitet. Der andere Löwe ist mehr verwittert, . 
die Vorderpfoten sind ganz abgeschlagen. Im ganzen ist die Bildung gedrungener. 
Sein Schwanz liegt auf der Kruppe. 

In der Waldkapelle von St. Bartholomae befindet sich als Fuß eines Weihwasser- 
beckens eine romanische Säulenbasis, welche genau die Form der achtkantigen 
attischen Basen mit über dem Pfühl nach den Eckknollen laufenden Streifen in 
den Fensterarkaden des Ost- und des Westtraktes hat. Es stammt also wohl aus 
dem abgebrochenen Nordtrakt. Da das Weihwasserbecken und der Schaft augen- 
scheinlich aus der Entstehungszeit der Kapelle, 1617, stammen, so ist anzunehmen, 
daß der Abbruch der Fensterarkaden im Nordtrakt damals schon vollendet war. 

An der NO-Ecke des Kreuzganges haben sich von dem gleichzeitig mit dem 
frühgotischen Chor errichteten Portal Reste des älteren, vorgelagerten Portals er- 
halten. Das westliche Gewände, der westliche Wandpfeiler mit seinem aus Hohl- 
kehle, Wulst und Platte bestehenden Kämpfer und ein Stück des Bogens sind stehen- 
geblieben, während die östliche Hälfte abgebrochen wurde, um einen Eingang in 
den Dormentgang zu ermöglichen. 

Das Portal vom Ende des 13. Jahrhunderts (Abb. 8) ist der jüngste Teil der hier 
in Frage kommenden Kreuzgangsarchitektur. Als ein typisches Werk des Über- 
gangsstils vom Romanischen zur Gotik hat es ein hohes Interesse. Noch ist die 
Anlage rein romanisch, und nur in der Behandlung der Einzelformen zeigt sich die 
veränderte und sich verfeinernde Geschmacksrichtung. Das aus rotem Unters- 
berger Marmor errichtete Portal ist rundbogig und nur einmal abgestuft, die Ecken 
sind mit je einer Säule ausgesetzt, deren Basen die attische Form mit Eckknollen 
beibehalten. Die Säulen haben Knospenkapitelle, die Kapitelle der Portalgewände be- 
stehen aus vier ungleich hohen Blütenknollen. Der Architrav ruht auf zwei Vor- 
kragsteinen, das Tympanon ist leer und wird von einem dicken Wulst umrahmt, 
der auf den Säulen des Portalgewändes ruht. Das westliche Säulenkapitell hat in 
der mittleren Knospe einen Frauenkopf, der aus den zusammengerollten Blättern 
hervorzusehen scheint. Die Behandlung dieses Kopfes zeigt einen gewaltigen Fort- 
schritt gegen die Köpfe, welche an den romanischen Kapitellen des Kreuzganges 
vorkommen. Hier war schon ein flott und sicher arbeitender Bildhauer am Werk, 
dessen künstlerische Reife gerade hier, wo er in den alten Formen arbeitete, be- 
sonders auffällt. Über der Stirn des Frauenkopfes ist ein Weinblatt senkrecht nach 
oben gestellt wie ein Diadem. In den beiden seitlichen Blütterknollen erscheinen 
die zum Kopf gehörigen Hände, nach Trauben greifend, die hier unter den Blättern 
hervorquellen. Diese Hände sind gut und lebendig gearbeitet. Die ganze Kom- 
position ist geistreich. In der Ecke ein Löwenkopf mit faltig gezogener Stirnhaut 
und kugeligen Augen. Am Kapitell rechts verrät wieder die schöne, breite Be- 
handlung der Blätter eine geübte Hand. 


335 


Der groBe romanische Portallówe, welcher dem Portal vorgelagert ist, war viel- 
leicht ein Bestandteil des älteren, hier abgebrochenen Portals. Entstanden sein 
dürfte es Ende des 12. Jahrhunderts, wie der ihm sehr dhnliche Portallówe von 
der Laufener Stiftskirche (Abb.9). Analogien zu diesem Löwen bieten ferner noch 
die Portallówen von Skt. Zeno bei Reichenhall, der Lówe im Langen Hof in Salz- 
burg und der Lówe unter der Kanzel in der Franziskanerkirche in Salzburg. Er 
ist bewegter wie die zwei kleineren Löwen im Kreuzgang. — Ein Blick von diesem 
Portallówen und diesem in frühgotischer Zeit entstandenen romanischen Portal auf 
die sich hier anschließende Fensterarkade des östlichen Traktes muß den vorurteils- 
losen Beschauer überzeugen, daB diese Arbeiten unmüglich im selben Jahrhundert 
entstanden sein kónnen. Es ist nicht nur das Mehr oder Minder des technischen 
Vermögens, sondern vor allem die von einem ganz anderen Kulturniveau zeugende 
Auffassung, welche hier entscheidend ist. Wir haben offenbar in den Kapitellen 
und Kümpfern der nördlichen Fensterarkade des Osttraktes den ältesten Teil des 
Kreuzganges vor uns, wie wir in dem Portal den jüngsten haben. Es ist ganz 
ausgeschlossen, dañ die lombardisch anmutenden grotesken Tier- und Menschen- 
gestalten, die nur an dieser Stelle vorkommen, gleichzeitig mit den Kapitellen und 
Basen des Südtraktes entstanden sein sollten oder mit dem Kelchkapitell und 
Vögelkapitell der dritten Fensterarkade des Osttraktes. Auch die Reliefs der Mittel- 
sáule im dritten Joch des Südtraktes scheinen mir jünger zu sein. Die Skulpturen 
der zwei ersten Fensterarkaden haben noch jenen Zug unheimlichen Grausens, 
der, aus der Vélkerwanderung stammend, sich in den Arbeiten der lombardischen 
Steinmetzen erhielt. Es ist das Entsetzen vor der Wirklichkeit und die kynische 
Bejahung dieser Furcht, welche den Werken dieser Art ihre erschreckende Un- 
mittelbarkeit und ihr hóchst persónliches Geprüge gibt. Alles, was nachher kommt, 
ist konventioneller, ist dargestelltes, darum stilisiertes Sein. Diese ältesten Skulp- 
turen sind im Fiebertraum gesehene Produkte der Angst und zugleich der voll- 
blütigen animalischen Kraft. Das ist es, was mich, abgesehen von der Roheit der 
Technik, veranlaßt, sie noch in den Beginn des 12. Jahrhunderts, in die Epoche 
Eberweins zu versetzen. War Eberwein in Italien, um sich dort die päpstliche 
Sanktion zur Errichtung seines Klosters in Berchtesgaden zu holen, so ist es zum 
mindesten nicht unwahrscheinlich, daß er sich von jenseits der Alpen Steinmetzen 
mitnahm, deutet doch der starke antike Einschlag an den meisten frühen Werken 
des Salzburger Landes überhaupt auf die sich auch in spáteren Jahrhunderten be- 
hauptende Gewohnheit, Künstler aus Italien zu beziehen. Ich kann die Notiz über 
Eberwein „conductis lapidum artificibus* nicht so auffassen, als habe er diese nur 
zur Errichtung eines hölzernen Notbaues verwendet. Ein so tatkrüftiger Mann, 
wie es dieser erste Propst gewesen sein muD, hat sicher nicht geruht, bevor er 
die Mauern seines Münsters aus der Erde emporsteigen sah. Manches mag frei- 
lich flüchtige Arbeit gewesen sein, die schon bald wieder einstürzte oder abgetragen 
werden muBte, aber gewiB ist, daB sich vor 1139, dem Todesjahr Eberweins, 
auf dem Priesterstein eine in Stein gefügte klösterliche Anlage erhob. Von diesem 
ültesten Bau dürfte der einzig frei zutage liegende Rest die nürdlichste Fenster- 
arkade des Osttraktes und ein Teil der zweiten Fensterarkade dieses Flügels sein. 
Es darf auch nicht vergessen werden, daß diese Datierung die Skulpturen keines- 
wegs in frühromanische Zeiten hinaufrückt. Der romanische Stil war im Anfang 
des 12. Jahrhunderts vollkommen ausgebildet und die jedem Steinmetzen geläufige 
Ausdrucksform. Zur Zeit, als Eberwein seine ersten Bauarbeiter nach Berchtes- 
gaden berief, hatte die Hiersauer Bauschule schon seit einem Jahrhundert den 


336 


Kirchen- und Klosterbau Deutschlands maßgebend beeinflußt. In Bayern erhoben 
sich eine bedeutende Zahl stattlicher kirchlicher Anlagen, denn seit dem ro. Jahr- 
hundert war die Bautätigkeit hier eine äußerst rege). Der Einfluß der langobar- 
dischen Kunst Oberitaliens reichte bis tief in das Salzburger Gebiet hinein, so daß 
hier schon damals jene Vermischung deutscher und italienischer Elemente statt- 
fand, welche die Eigenart der bildenden Kunst dieser Gebiete ausmacht. An Vor- 
bildern fehlte es zu Eberweins Zeit weder diesseits noch jenseits der Alpen. Stil- 
kritische Bedenken können uns also nicht hindern, die nördliche Fensterarkade des 
Osttraktes in das erste Viertel des 12. Jahrhunderts zu verlegen. DaB die Süulen- 
basen weniger altertiimlich anmuten, d. h. eine größere Ausdehnung haben wie die 
des Kreuzgangs von St. Zeno bei Reichenhall welcher meist in das Ende des 
12. Jahrhunderts verlegt wird, beweist noch nichts, denn in St. Zeno waren offen- 
bar deutsche, ausschlieBlich in Deutschland geschulte Steinmetzen am Werk, 
während in Berchtesgaden alles auf italienische Einflüsse und italienische Stein- 
metzen deutet. Der Unterschied in der Behandlung der Kapitelle und Basen läßt 
sich also viel eher auf Rechnung des verschiedenen nationalen Geschmacks und 
der technischen Ausbildung setzen, als durch den Zeitunterschied erklären, Immer- 
hin wäre es aber möglich, daB die Säulenbasen dieser zwei ältesten Fensterarkaden 
in der zweiten Bauperiode des Kreuzganges, also Ende des r2. Jahrhunderts, durch 
neue ersetzt worden würen. Dadurch würde sich dann auch die Übereinstimmung 
sämtlicher Basen des Osttraktes mit den acht noch vorhandenen des Westtraktes 
erklären. Auffallend erscheint es mir, daB die beiden nördlichen Joche des West- 
traktes sich ebenso wie das nórdlichste Joch des Osttraktes nur in drei Bogen statt 
in vieren nach dem Hof zu öffnen. Sollte bei dem Bau mit der heute zerstörten 
Nordseite angefangen worden und bei der ersten Anlage nur dreibogige Fenster- 
ófinungen vorgesehen worden sein? Am Nordjoch des Osttraktes ist es ferner 
beachtenswert, daß sich hier keine Doppelsäulen finden. Ich halte es für möglich, 
daB auch hier ein ülterer Entwurf zugrunde lag, der spáter zugunsten der Doppel- 
sáulenstellung aufgegeben wurde. Wie weit der Bau des Kreuzganges zu Eber- 
weins Zeit schon gediehen war, läßt sich natürlich nicht einmal vermuten. Denkbar 
würe es, daB nur der Nordtrakt und die ersten Joche des Ost- und Westtraktes fertig 
geworden wären. Von dem Bau Eberweins stammen außer dem nördlichsten Joch 
des Osttraktes meines Erachtens noch die Kapitelle und Kümpfer der beiden kleinen 
Sáulenpaare an der zweiten Fensterarkade. An den fünf Fensterarkaden des Ost- und 
Westflügels ist die Profilierung der Kämpfer an den Pfeilern ganz übereinstimmend, 
nur bei der nördlichsten Fensterarkade des Ostflügels sind die Kämpfer an den 
Innenseiten des Mauerpfeilers durch Tiergrotesken gebildet. 

In der zweiten Bauperiode, die ich gegen Ende des 12. Jahrhunderts ansetzen 
möchte, wären dann die drei südlichen Fensterarkaden des Ostflügels entstanden, 
wobei man vier ältere, von der ersten Anlage stammende Säulen mit Kämpfern 
und Kapitellen zu den Sdulenpaaren in der zweiten Fensterarkade des Osttraktes 
verwendet hätte. In den beiden nördlichen Jochen des Westtraktes wären unter 
Beibehaltung der dreibogigen Anlage die Sáulen mit Basen, Kapitellen und Kámp- 
fern erneuert worden. Einer noch spüteren Bearbeitung, vom Anfang des 13.Jahr- 
hunderts, entstammte dann das Kapitell der Gangsáule des nórdlichsten Sáulenpaares 
im dritten Joch. — An den Kapitellen dieser fünf Arkaden (drei im Osttrakt, zwei 
im Westtrakt), sehe ich schon deutlich den EinfluB der Kapitellskulpturen in der 


(1) Vgl. Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern. I. Band. München 1862, 


337 


Ereisinger Krypta. Diese Krypta wird übereinstimmend von allen Kunsthistorikern 
dem Bau nach dem groBen Brande von 1159 zugewiesen; mir selbst scheint es 
fraglich, ob hier nicht áltere Teile aus dem rr. Jahrhundert vorhanden sind. Auf 
jeden Fall muß die Krypta um 1161 fertig gewesen sein, da das Portal der Kirche 
dieses Datum trügt. Die Freisinger Krypta zeipt starke oberitalienische Einflüsse, 
die sie dann nach Berchtesgaden übermittelte. Stand die Krypta, wie ich annehme, 
spütestens im Jahr тїбї vollendet da, so kann man ohne weiteres eine Abhiingig- 
keit des Berchtesgadener Kreuzganges seit dem Ende des 12. Jahrhunderts von 
ihr annehmen. Bezeichnend für diese stilistische Abhüngigkeit scheint mir das 
Vogelkapitell im Osttrakt. Es ist eine verkleinerte Nachbildung des Adlerkapitells 
der groBen Luitprechtsdule in Freising. Kelch- und Wiirfelkapitelle, Flechtwerk 
und vegetabilisches Ornament wechseln hier miteinander ab, wie es der romani- 
schen Epoche geläufig war. 

Der Einfluß der Freisinger Krypta erhielt sich noch im Anfang des 13. Jahr- 
hunderts, um welche Zeit ich die Hauptteile des Südtraktes datieren möchte. Zum 
ersten Male kommt hier die rinnenförmige Bildung der Hohlkehle an der attischen 
Basis vor, und zwar gleich an der óstlichsten Sáule des Siidtraktes. An dieser 
Seite haben wir auch zum ersten Male den Kümpfer mit volutenartig aufgerollten 
Enden und das Kapitell mit den abgeschrügten Ecken und dreieckigen Schildbogen. 
Die antiken Dekorationsmotive finden sich ebenfalls fast alle in diesem Trakt. 
Vermutungsweise dürften wir annehmen, daB hier Anfang des тз. Jahrhunderts 
ein italienischer oder in Italien geschulter Vorarbeiter tštig war, nach dessen An- 
gaben ungeschickte Berchtesgadener Steinmetzen Palmetten, Ranken, Voluten, 
Sirenen ohne jedes Verständnis nachahmten. Deutlich zeigt sich das an dem 
Kümpfer des Mittelpfeilers in der Fensterarkade des zweiten Jochs (von Osten). 
An der Ostseite des Kümpfers hat eine kundige Hand den Palmettenfries begonnen 
und auch noch an der SO-Ecke die umgekehrte und zusammengefaltete Palmette 
geschnitten. Nach diesem Vorbild sollte der bäuerliche Arbeiter den Kämpfer 
fertig machen. In völliger Verständnislosigkeit faßte er die einzelnen Palmetten 
oben mit einem wulstartigen Rand zusammen und unterschnitt diesen so, daß 
die Palmette das Aussehen einer Muschel bekam. Übrigens findet sich die muschel- 
artige Bildung der Palmette auch in der Freisinger Krypta. Auch das häufige 
Vorkommen fleur de Lys-artiger Motive läßt sich auf Freisinger Vorbilder zurück- 
führen; bei dem Kapitell mit umgestülpten Lilienkelchen über der Mittelsäule der 
dritten Arkade (Abb. 4 u. 5) können aber auch direkte italienische, vielleicht vene- 
zianische Einflüsse in Frage kommen. Die Sirene wie das faunartige Fabelwesen 
der Arkade des vierten Joches sind typische Beispiele für die germanische Wieder- 
gabe antiker Motive. Die ihren zweiteiligen Fischschweif haltende Sirene kommt 
z.B., nur in etwas rundlicherer Bildung, auch am Portal von Biburg vor. 

Das Relief an der mittleren Säule mit den Lilienkelchen ist sehr viel roher wie 
das Barbarossarelief von St. Zeno bei Reichenhall, welches wohl noch aus der 
Zeit unmittelbar nach 1170 zu datieren ist, mit dem es in Tracht und Gewand- 
behandlung übereinstimmt. Diese Roheit muß also wohl dem Ungeschick des 
Steinmetzen zugeschrieben werden. Im Denkmäler-Inventar wird die Gestalt des 
sitzenden Harfenspielers wegen seiner phrygischen Mütze und seiner (heute nicht 
vorhandenen) „Tierfüße“ auf Orpheus gedeutet, als „Symbol der Macht des Bösen“; 
während der stehende Mann links nicht weiter erklärt wird. Die Deutung auf 
Orpheus scheint mir ganz unhaltbar, schon weil mir keine Darstellung bekannt ist, 
in welcher Orpheus die Macht des Bösen symbolisiert hätte. Die Parallele Orpheus- 


338 


Christus, die in frühchristlicher Zeit so hüufig gezogen wurde, dürfte eine der- 
artige Umstellung wohl ausschließen. Die Tierfüße, auf welche im Inventar Bezug 
genommen wird, sind nicht mehr vorhanden, und da ich keine Spuren von solchen 
entdecken kann, muß ich annehmen, daß hier ein Irrtum vorliegt. Eine Deutung 
romanischer Bildwerke auf bestimmte Personen oder Begebenheiten hat insofern 
immer etwas Bedenkliches, als die romanischen Bildhauer offenbar ganz frei mit 
ihrem Stoff walteten, sobald es sich um die ornamentale Ausgestaltung eines Bau- 
gliedes handelte, aber in diesem Fall halte ich es für müglich, dap David dar- 
gestellt sein soll, einmal als Harfenspieler und einmal mit der Schleuder. So würe 
der rundliche Gegenstand erklärt, den der stehende Jüngling in der rechten Hand 
hilt. Der über dem Harfenspieler angebrachte Hund (?) wire dann wieder auf 
Rechnung des Wunsches zu setzen, jede Fläche durch Skulptur zu beleben, ohne 
Rücksicht auf den Sinn des Dargestellten. Ein Beispiel dieser Gepflogenheit haben 
wir in unmittelbarer Nähe im Kreuzgang von St. Zeno bei Reichenhall, wo die 
Fabel von Wolf, Fuchs und Kranich dargestellt ist; die beiden oben leer bleiben- 
den Ecken sind mit Flechtwerk ausgefüllt Es kann natürlich auch sein, daß in 
dem über David erscheinenden, also vor ihm stehend gedachten Tiere die Unrein- 
heit, das Bóse zu sehen ist, welches Davids Harfenspiel vertreibt. 

In der Art der Behandlung, vor allem des Rankenwerkes, ist das große Kapitell 
der Mittelsäule in der westlichsten Arkade (Abb. 6) dem Lilienkapitell der mittelsten 
Arkade ganz ähnlich. Trotzdem halte ich es für denkbar, daB wir hier ein im An- 
fang des 13. Jahrhunderts überarbeitetes, aber aus dem 12. Jahrhundert, und zwar 
wohl aus der zweiten Bauperiode stammendes Kapitell vor uns haben. Die Kopf- 
bildung der Menschen und Löwenhäupter ist noch ganz die der älteren Zeit, je- 
doch kann man hieraus keine Schlußfolgerungen ziehen, da gerade in dem ent- 
legenen Berchtesgaden altertümliche Bildungen sich sehr einfach erklären lassen. 
Was mir zu denken gibt, ist die Deutung der drei Kópfe. Es sind ein Männerkopf, 
ein Frauenkopf und ein Knabenkopf dargestellt. Es liegt also nahe anzunehmen, 
daß es sich hier um Porträts handelt, und dann natürlich um solche von Wohl- 
tätern des Stiftes !). Nun hat niemand so viel für das Stift getan, hat niemand ein 
so gutes Recht auf ein Denkmal in demselben als die ersten Gründer des Klosters, 
Graf Berengar von Sulzbach und seine Gemahlin Adelheid. Im Jahre 1125 stellte 
Graf Berengar dem Berchtesgadener Chorherrnstift eine Urkunde aus, in welcher 
den Brüdern des Gotteshauses zum heiligen Johannes dem Täufer und Apostel 
Petrus alle Schenkungen bestätigt werden, welche ihnen bis dahin vom Grafen 
Berengar, seiner Gemahlin Adelheid und seinem Sohne Gebhard gemacht worden 
waren. Berengar starb noch im selben Jahre am 3. Dezember. Die Aufzeichnung, 
welche sich auf die Bautätigkeit Eberweins bezieht, ist nach Berengars Tode ver- 
faßt. Vielleicht, daß eine rege bauliche Tätigkeit erst zwischen 1125 und 1139 
entfaltet wurde. Es wäre dann nicht verwunderlich, wenn Eberwein aus Dank- 
barkeit gegen seinen verstorbenen Gönner dessen Bildnis mit dem seiner Gattin und 
seines Sohnes an einer Säule des Kreuzganges verewigt hätte. Dieses große und 
sorgfältig gearbeitete Kapitell wäre dann beim Umbau Anfang des 13. Jahrhunderts 


(1) Es wird heute dem Studierenden möglichst erschwert, den Kreuzgang zu besuchen, es ist aber 
der Aufmerksamkeit der Schloßverwaltung entgangen, daß der weibliche Kopf dieses wertvollen Ka- 
pitells durch einen in Bleistift aufgemalten Schnurrbart verunziert ist. Es wäre vielleicht wünschens- 
wert, daß die Sorgfalt der Schloßverwaltung sich außer auf die Ausschließung des Kunstforschers 
auch auf die Verhinderung solcher Beschädigungen richtete. 


339 


überarbeitet worden, so daß es etwas vom Charakter der Frühperiode eingebüßt 
hätte. — Ich stelle diese Hypothese in voller Erkenntnis ihrer Widerlegbarkeit auf’). 

Einige Schwierigkeit verursacht mir die Datierung des östlichen Kapitells dieser 
Arkade (Abb.6). Säule und Basis können nur dem 13.Jahrhundert angehören, aber 
das Kapitell erscheint so altertümlich, daB ich nur ungern die ungeschickten kleinen 
Ranken und Blüten, mit denen es übersponnen ist, durch das' Ungeschick des 
Berchtesgadener Steinmetzen erklire. Auffallend ist auch, daB der darüberliegende 
Kümpfer roh gelassen ist. Handelt es sich hier an der SW-Ecke vielleicht nur 
um eine Auswechslung der Sáulen und Basen? 

Das Knospenkapitell der westlichen Süule ist genau den Kapitellen des früh- 
gotischen Chors nachgebildet und scheint mir der Zeit um 1866 zu entstammen, 
als man ein ähnliches frühgotisches Kapitell am romanischen (!) Westportal an- 
brachte. Sollte es tatsüchlich einer Erneuerung vom Ende des 13. Jahrhunderts 
angehören, so ist es bis zu völliger Modernität überarbeitet worden. 

Die Datierung der Teilungssáule, welche im ehemaligen Eingang zur Brupnen- 
kapelle steht, wäre nur möglich, wenn sich das Datum dieser Brunnenkapelle finden 
lieBe. Die Brunnenkapelle von St. Peter in Salzburg, welche ich nicht gesehen 
habe, wird in das Ende des 13. Jahrhunderts verlegt. Möglich ist also, daB es sich 
auch hier um eine mit der Errichtung des Chors, des Portals am Ende des Ost- 
traktes und vielleicht anderen Ausbesserungsarbeiten im Kreuzgang Hand in Hand 
gehende Anlage der Frühgotik handelt. Genaueren Aufschluß darüber könnte nur 
eine Untersuchung des Mauerwerks geben. . 


(1) Mit zu ihrer Begründung beitragen dürfte aber vielleicht der Hinweis, daß noch bei dem in der 
Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgten Bau des Langhauses das Wappen der Familie Kastel-Sulzbach 
auf einem SchluBstein des Mittelschiffgewólbes angebracht wurde. 


340 


KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. 
6. DAS URBILD DES SEBALDUSGRABES)) 
Mit swei Abbildungen auf einer Tafel Von HUBERT STIERLING 


m Juniheft dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann die Zerstörung der päpstlichen 

Grabdenkmiler in Avignon ausführlich behandelt. Gar manchem sind hier wohl 
zum erstenmal die traurigen Überreste einer eigenartigen Kunst entgegengetreten, 
denn Abbildungen gab es bisher nicht, hóchstens ein paar gestochene des 18. Jahr- 
hunderts, die aber kaum einer kannte. Wir wußten eigentlich nur, daß die Fran- 
тозеп der Revolution auch diese Denkmäler in furchtbarer Verblendung zugrunde 
gerichtet hatten. Erst Steinmann hat dem deutschen Leser vor Augen geführt, 
was damals mehr oder minder verschont geblieben ist, und er hat gleichzeitig 
die glanzvolle Entstehungsgeschichte und die ebenso düstere Tragódie des Unter- 
gangs dieser Denkmiiler aufgezeichnet und mit eindrucksvollen Aufnahmen vor 
Augen geführt. | 

Aus diesem Mangel an Abbildungen wird es sich vielleicht in der Hauptsache 
erklüren, daB die deutsche Forschung nicht lüngst festgestellt hat, in einem dieser 
Papstdenkmäler, demjenigen Innocenz VI. in Villeneuve les Avignon, das Urbild 
des Sebaldusgrabes vor sich zu haben. Legt man einmal Abbildungen beider 
Werke nebeneinander und zwar möglichst in der Breitansicht, so erkennt man 
sofort, daB in dem Nürnberger Denkmal der Typus des südfranzósischen Papst- 
grabes wieder aufgenommen ist. Beide Male hat man den rechteckigen Kapellen- 
bau vor sich, — der Ausdruck Kapelle, den schon im Jahre 1512 der Nürnberger 
Schulmeister Cochláus brauchte, trifft besser als der Steinmannsche Vergleich mit 
dem „ins Monumentale übertragenen Reliquiengefäß“ — der in gleicher Weise von 
zwölf gotischen Pfeilern getragen wird und oben seinen Abschluß in einer drei- 
geteilten reichen Architektur findet. Die mittlere Spitze ist auf beiden Denk- 
málern durch die Figur Christi ausgezeichnet. Wenn dieselbe auf der zeichne- 
rischen Abbildung des 19. Jahrhunderts auch fehlt, so findet sie sich mit aller 
Deutlichkeit auf der gestochenen des 18. (Steinmann, Abb. 10). Beide Male auch 
stehen vor den Pfeilern zwölf Heilige und zwar unter Baldachinen und in ganz 
entsprechender Hóhe. (Abb. 1 und 2.) 


Besonders lehrreich ist es nun jedoch, die Abweichungen beider Denkmüler ins 
Auge zu fassen. Man sieht, daß dem französischen Urbilde der ganze Reichtum 
der kleinen Sockelfigürchen fehlt. Aber dieser Schwarm der Renaissancegestalten 
gehërt ja, wie ich in einem früheren Aufsatze gezeigt habe, nicht zum ursprünglichen 
Bestand des Nürnberger Denkmals! Hier hatte erst der Sohn eingegriffen. Dem- 
entsprechend sehen wir den Sockel des französischen Denkmals völlig leer. Es 


(1) Die früheren Vischeraufsätze: ı) „Dürer in der Vischerschen Werkstatt“ VIII, 366. — 2) „Die Grab- 
platte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297. 3) „Zwei unbekannte Vischerwerke im Dom zu 
Meißen. Eine Entgegnung" XI, 17. 4) „Das Rätsel des Sebaldusgrabes“ XI, 113 und 172. 5) „Vor- 
bilder, Anregungen, Weiterbildungen. Eine kurze Zusammenstellung“ XI, 245. — Studien zum selben 
Thema sind ferner die drei ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an P. Vischers Sebaldus- 
grab IX, 341ff. Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330ff. und Kramer, Metallene 
Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (etwa 1390 bis 
etwa 1510) XI, 345. 


341 


gibt hier keine Figürchen, keine Pfeilervorlagen und auch keine Zwischenpfeiler, 
welche etwa den Zwischenballustern des Sebaldusgrabes entsprichen. Das ist 
ungemein wichtig und von ganz anderer, unvermuteter Seite eine Bestütigung der 
Entstehungsgeschichte des Sebaldusgrabes, wie sie in dem früheren Aufsatze vor- 
getragen ist, (Vgl Kleine Beitrüge 4.) 

Da die Zwischenballuster fehlen, ist der Blick auf den eigentlichen Kern des 
Denkmals in Frankreich wesentlich freier. Hat man in Nürnberg Mühe, die vier 
großen Reliefs aus der Sebalduslegende, welche den Sockel umgeben, zu genießen 
oder gar zu photographieren, so sieht man, daB in Avignon dieser Sockel durch 
keinen Pfeiler überschnitten wird. 

Die Nischen des Avignoner Grabes, die auf unserer Abbildung leer erscheinen, 
sind in Wirklichkeit mit kleinen Einzelfiguren ausgefüllt gewesen, wie es der schon 
erwühnte Kupferstich des r8. Jahrhunderts überliefert. (Steinmann Abb. ro.) 

Ob in Nürnberg einmal etwas Ahnliches bestanden hat, wissen wir nicht. Der 
Gedanke liegt zwar nahe, aber im Hinblick auf den Wiener Entwurf von 1488 
ist er doch wohl felsch. Denn schon dieser zeigt drei Reliefs mit Szenen aus der 
Sebalduslegende. Sie sind dort auf ganz natürliche Weise zwischen die vier 
Pfeiler eingeordnet, und ihr Anblick wird durch keinerlei Pfeilervorlagen behindert. 
Daß das ausgeführte Nürnberger Denkmal einst auch solche Dreiteilung seiner Lang- 
seiten aufzuweisen hatte, ist nicht wahrscheinlich, denn die gotische Rahmen- 
architektur der Legendenbilder geht doch wohl ohne Frage auf den Vater zurück. 
Es hat also bei dem ausgeführten Denkmal von vornherein (und im Gegensatz 

zum Wiener Entwurf) der Übelstand vorgelegen, daf die groBen Reliefs der Sebal 
duslegende von den Kapellenpfeilern überschnitten wurden. Peter Vischer d. J. 
hat dann diesen Übelstand noch vergrößert, indem er die Zahl der Pfeiler durch 
die Zwischenballuster vermehrte. 

An Stelle des ruhenden Papstes weist das Nürnberger Denkmal sinngemäß den 
Sebaldusschrein auf. Dieser ist umgeben von himmlischen Wächtern, die wir 
in Nürnberg und in Avignon in der gleichen Zwölfzahl sehen. (Entschiedener als 
früher möchte ich übrigens betonen, daß ich in den Nürnberger Aposteln Werke 
des Vaters sehe. Ihrer Form und ihrer Technik nach sind sie viel zu zahm für 
den Sohn. Auch scheinen sie mir in der Entwicklungslinie der unteren Apostel 
vom Wittenberger Taufbecken zu liegen. Die dortigen unteren Apostel sind ein 
erster Vorklang der Sebalder, nicht nur weil sie in gleicher Weise auf daumen- 
starken Stangensäulen den Hauptpfeilern vorgelagert stehen, sondern sie sind in 
ihrer etwas nüchternen Körperlichkeit überhaupt ähnlich aufgefaßt. Der Vergleich 
des Paulus in Wittenberg!) und des Johannes in Nürnberg spricht hier am deut- 
lichsten. Die Nürnberger Apostel sind freier, entbundener, aber man fühlt, daß 
Peter Vischer d. Ä. die Traditionen seines Vaters aufgenommen hat.) 

Die Zwischenballuster des Erdgeschosses setzen sich in Nürnberg auch im 
oberen Geschosse des Denkmals fort. In Avignon gibt es nichts dergleichen, 
(Aber da schon der Wiener Entwurf ähnliche Stangensäulen mit kleinen Genre- 
figürchen am Sockel aufweist, so wird man hierin wohl ebenso wie in den Aposteln 
die Hand des Vaters erblicken dürfen.) 

In Avignon (und im Wiener Entwurf) fehlen die vier Leuchterweibchen oder 
etwas ihnen Entsprechendes. Auch das kann im Hinblick auf meine früheren 
Ausführungen nicht überraschen, da wir gerade in ihnen ohne Frage den Geist 


(z) Alex. Mayer, Die Entwicklung Peter Vischers d. Ä. Münchner Jahrb. 1913, S. 265 mit Abb. 


342 


und die Hand des Sohnes zu erkennen haben, also Zutaten zum Kernwerke des 
Vaters. 

Die Avignoner und die Nürnberger „Kapelle“ werden in verwandter Weise durch - 
ein gotisches Gewölbe abgeschlossen. Die seitlichen Bogenöffnungen sind beide 
Male mit leichtem Zackenornament versehen. 

Die Dachbauten beider Gráber sind hinsichtlich ihrer Dreiteilung und der be- 
krónenden Christusfigur einander verwandt. Die Ausbildung im einzelnen geht 
allerdings sehr verschiedene Wege. Das liegt aber nicht zum wenigsten in der 
zeitlichen Stellung beider Werke. 

Die Prophetengestalten hoch oben am Sebaldusgrab finden keine Entsprechung 
in Avignon, und auch das kann nicht wundernehmen, da wir in ihnen ohne Frage 
spüte Zutaten Peter Vischers d. J. zu sehen haben. 

Aus den schünen Ausführungen Steinmanns geht mit aller Deutlichkeit hervor, 
daB wir im Grabe Innocenz VI. durchaus keinen isolierten Typus vor uns haben. 
Er war durch das Denkmal Johanns XXIL ebendaselbst vorbereitet. (Steinmann 
Taf. 39.) Nur hat Innocenz das Grabmal seines Vorgüngers an Pracht und Figuren- 
reichtum zu übertreffen gesucht. Dementsprechend hat wohl auch das letztere 
Denkmal in noch hóherem Ansehen gestanden und ist Vischer auf irgendeine Weise 
als Muster empfohlen worden. DaB er es selber gesehen habe, ist so gut wie 
ausgeschlossen. Dagegen ist es sehr wohl möglich, daß ihm ein Landsmann eine 
Zeichnung überbracht habe. Denn daß das damalige Nürnberg lebhafte Beziehungen 
zur Provence unterhielt, ist uns mehrfach bezeugt. In Lyon waren Nürnberger 
Kaufleute keine seltenen Gäste. Hier wurden die jungen Leute häufig in die Lehre 
getan, in ühnlicher Weise wie heutigentages der Hamburger Kaufmann seinen 
Sohn nach England oder Amerika sendet. 1506 war beispielsweise der junge 
Friedrich Behaim auf Wunsch seines Vaters dort anwesend. Hans Kleberg lebte 
häufig hier, und von Hieronymus Tucher wissen wir, daß er 1517 dort in der 
Lehre war. Lyon war für die Nürnberger auch der unumgängliche Etappenpunkt 
auf der Reise nach Lissabon. Ja, man hielt in Nürnberg einen regelmäßigen Boten, 
welcher die Post nach Lyon zu besorgen hatte. Die Beispiele lieBen sich leicht 
vermehren, aber sie genügen wohl, um zu zeigen, daB durchaus nichts Gezwun- 
genes darin liegt, das Urbild des Sebaldusgrabes in dem weit entfernten Avignon 
zu suchen. Bleiben wir auch dessen eingedenk, daß Avignon unter der siebzig- 
jührigen Herrschaft der Püpste die Bedeutung einer Weltstadt gewonnen hatte! 
Mochten am Anfang des 16. Jahrhunderts die Päpste auch längst nach Rom zurügk- 
gekehrt sein, der Glanz ihrer Denkmäler war damals noch unverdunkelt!). 

Der Typus des Sebaldusgrabes ist in der deutschen Kunst villig vereinzelt! Es 
fehlt so sehr an Vergleichsobjekten, daB bisher kaum je der Versuch gemacht 
worden ist, den Typus als solchen zu erkliren. Ganz vereinzelt weist Dehio im 
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler auf niederländische Vorbilder hin, jedoch 
so allgemein, daß die wenigsten sich darunter werden etwas vorstellen können. 
Ferner hat Felix Dettloff in seinem Buche, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldus- 
grab (Posen 1915) S. 34ff. darauf aufmerksam gemacht, daß in Krakau ein ver- 
wandter Typus vorkomme. Er berührt sich zwar nicht mit dem Entwurf von 1488, 
wohl aber mit dem ausgeführten Denkmal von 1508 (worauf D. nicht eingeht). 
Der Verfasser scheint der Ansicht zu sein, daB dieser Typus etwas für Krakau 
Eigentümliches darstelle. Ja, er lehnt es sogar ausdrücklich ab, ihn mit Avignon 


(z) Übrigens war Avignon zu Vischers Zeiten Universitit! 
343 


in Verbindung zu bringen. Das kommt aber sicher nur daher, daß auch ihm der 
Typus des südfranzósischen Papstgrabes unbekannt war. Er ineint, die freistehen- 
den Baldachingrüber seien in Frankreich, Burgund und Flandern spitestens seit 
dem Anfang des 13. Jahrhunderts verschwunden gewesen! Steinmanns Veriffent- 
lichung hat diese Anschauung völlig widerlegt. Wir sehen. nun klar, daß die ähn- 
lichen Baldachingrüber in Krakau, im Kloster Melk!) und endlich auch im Niirn- 
berger Sebaldusgrab auf südfranzösische Vorbilder zurückgehen. 


(1) Abb. bei Dettloff a. a. O., Tafel 13—16. Ich ergünze mit diesen Bemerkungen meine Besprechung 
jenes Buches in M. £. K, X. Jabrg. 1917, S. 330 ff. 


344 


REZENSIONEN 


JOHANNES KRAMER, Metallne Grab- 
platten in Sachsen vom Ende des 
I4. bis in den Anfang des 16. Jahrh. 
(ca. 1390 bis ca. 1510). Haller Disser- 
tation. 1912. 79 Seiten. 


Wer in diesem furchtbaren Kriege sein junges, 
der Forschung gewidmetes Leben fürs Vaterland 
geopfert, hat es verdient, daß wenigstens der 
engere Kreis der Fachgenossen sein Gedächtnis 
in Ebren erhált. Johannes Kramer war ein Schüler 
von Adolph Goldschmidt und hat im Jahre 1912 


eine Doktorarbeit erscheinen lassen, die in ruhiger, 


sachlicher Art den Bestand metallner Grabplatten 
Sachsens mustert. Sie ist durchaus nicht frei von 
Irrtümern, geht insbesondere in ihren Zuschrei, 
bungen an die Vischersche Hütte viel zu weit, 
hat aber andererseits ihre fraglosen Verdienste. 
Auf beides, gut und bóse, ist es um so notwendiger 
kurz hinzuweisen, als die Arbeit selbst im Kreise 
der Vischerforscher nicht genügend bekannt ge- 
worden ist, wie ich kürzlich bei Besprechung des 
Dettloffechen Buches über den Entwurf zum Se- 
baldusgrab (Monatshefte X, 332) feststellen konnte, 

Kramers Arbeit gliedert sich in zwei Teile, deren 
erster die ,flandrischen" und deren zweiter die 
Vischerschen Grabplatten behandelt. Der zweite 
Teil ist weitaus der wichtigere; der erste bietet 
reine Spezialforschung. Kramer umschreibt den 
Begriff der flandrischen Grabplatten sehr gut und 
klar und weist alsdann nach, daB sich gewisse 
Ausläufer dieser Gruppe in Nordbausen und Erfurt 
erhalten haben. In Nordhausen sind es die Urbach- 
Wertherschen Gedenktafeln und die Grabplatte 
der Gebriider Segemund aus der Zeit von etwa 
1395—1430. In Erfurt gesellt sich ihnen die Platte 
des 1427 verstorbenen Kanonikus Schindeleyb zu. 
Das flandrische Schema ist in all diesen Tafeln 
bereits so stark verblaßt, daß Kramer mit Recht 
nur an einheimische Entstehung denkt. Keine 
dieser Platten erbebt sich zu künstlerischer Be- 
deutung, und lediglich den Spezialforscher wird es 
interessieren, daß sich der flandrische Einfluß so 
tief nach Süden erstreckt; ja, vielleicht sind Erfurt 
und Nordhausen überhaupt die eüdlichsten Punkte, 
in denen aber — wie gesagt — das holländische 
Bchema bereits einer starken Umwandlung unter- 
worfen ist, Das ist ja auch kein Wunder, da wir 
wissen, daß gerade Erfurt eine blühende Metall- 
kunst besaß, 

Viel wichtiger ist das zweite Kapitel, welches 


Monatshefte für Kunstwissenschaft XI. Jahrg. 1918, Heft 12/18 


sich mit der Vischerschen Hütte auseinandersetst, 
allerdings in einer solchen Weise, daß für andere 
Hütten kaum etwas übrigbleibt, Das wird den 
kundigen Leser von vornherein mißtrauisch stim- 
men, denn es ist immer nur ein Anfangsstadium 
wissenschaftlicher Forschung, wenn allzuviel des 
erhaltenen Materials an einen großen Namen 
geknüpft wird. Hier hätte Kramer sich vielleicht 
selber noch einmal korrigiert, wenn ihm ein län- 
geres Leben beschieden gewesen würe. Es war 
sein Schade, daß er die Methode des ersten Teils 
verließ. Denn während er dort in sehr schöner 
Weise erst einmal ein allgemeines Bild der flan- 
drischen Platten entworfen hatte, um den Grund 
zu gewinnen, gegen den einheimische Erzeug- 
nisse abgezeichnet werden konnten, läßt er bier 
im zweiten Teil eine allgemeine Charakteristik 
der Vischerschen Frühkunst beiseite. Infolge- 
dessen schwebt sein Kapitel ,Eine Gruppe von 
Grabplatten um 1470 und ihre Beziehung zu den 
Werken der Vischerschen Hütte" ganz und gar 
in der Luft. Ich komme gleich darauf zurück, 
Kramer beginnt mit den Reliefplatten. Er nimmt 


hier die Vischersche Hütte ale Ganzes und ver- 


meidet es, zwischen Vater und Sohn eine Tren- 
nung zu machen. Georg L in Bamberg, Sigis- 
mund in Meißen (dessen wichtiges Todesdatum 
er dankenswerterweise klarstellt), Dietrich von 
Schönberg ebenda, Thilo von Trotha in Merse- 
burg und die Gedenktafel der Ellwanger Bischófe, 
die er mit Döbner auf 1496 ansetzt, während Dehio 
im Handbuch mit 1464 wohl reichlich früh datiert, 
sind ihm im wesentlichen die Repräsentanten 
dieser Gruppe. Merkwürdigerweise aber begnügt 
er sich in diesem Zusammenhang mit der bloBen 
Erwühnung des Kanonikus Conrad von Stein in 
Erfurt. Hier hatte er durchaus charakterisieren 
müssen, denn Erfurt liegt ja in seinem Kreise. 
Ich zweifle zwar nicht, дай er die Platte als echte 
Vischerarbeit angesehen hat, wofür ja auch sehr 
vieles spricht. Auffallend jedoch ist es, wie der 
Kanonikus in der Luft schwebt, denn es ist sonst 
durchaus die Vischersche Gewohnheit, durch 
irgendwelche Zwischenglieder, wie z. B. die 
Lówen, den Dargestellten fest auf den unteren 
Schriftrand su stellen. Man kann für das Fehlen 
des Sockels auch nicht auf etwa vorbildliche Er- 
furter Gewohnheiten verweisen, denn wie die 
Platten des Gerbstidt und Plettenberg zeigen, war 
auch hier eine derartige Verbindung üblich. Wir 
haben es bei Conrad von Stein wohl mit einem 


24 345 


der billigeren Werke zu tun, an dem aller Auf- 
wand vermieden wurde, Daher steht auch die Figur 
selber in so merkwürdiger Monotonie da; die 
Falten fallen einfach senkrecht, jede Ausladung 
und Bewegung ist vermieden, usw. Vielleicht 
haben wir auch nur eine Werkstattarbeit vor uns- 
Denn was die Hütte damals zu leisten imstande 
war, wenn ihr vonseiten des Bestellers größere 
Mittel zur Verfügung gestellt wurden, das zeigt 


schlagend der Vergleich mit der Posener Grab-. 


platte des Bernhard Lubranski, der gleichfalls 
Domherr und im selben Jahre 1499 gestorben war. 
Die Ecksymbole sind genau dieselben, auch die 
Anordnung des Wappens zu den Füßen ist die 
gleiche, sonst aber ist alles unendlich viel kost- 
barer und geistvoller, 

Kramer beschließt dieses Kapitel mit der Attri- 
bution der kleinen Meißener Tafel des Domherrn 
Stärcker, gest. 1486. Hier begeht er m. E. einen 
absoluten Fehlgriff; ich beziehe mich auf meinen 
Aufsatz in diesen Heften XI, 17 ff. . 

Das zweite Kapitel behandelt die gravierten 
Platten. Der Verfasser beginnt mit Joh. v. Lim- 
burg in der Sepultur des Bamberger Domes. Ob 
wir es hier mit einem Vischerschen Werk zu tun 


haben, ist zweifelhaft. Es kommt höchstens der. 


alte Hermann in Betracht, der eben manches 
anders macht ale sein Sohn. Fraglos ist es je- 
doch, da6 spátere Werke der Nürnberger Hütte, 
wie etwa der Eberbard von Rabenstein (gest. 1505) 
in Bamberg, Balthasar von Neuenstüdt (gest. 1516) 
in Halberstadt, ja auch sogar Joh. von Heringen 
(gest. 1505) in Erfurt hier ihren Ausgang nehmen 
Dann aber müssen wir noch einen kleinen Schritt 
weiter gehen, was Kramer auffülligerweise nicht 
getan hat. Denn die erwühnte Platte des Joh. 
von Limburg hingt stilistisch auf das allerengste 
mit derjenigen des Georg v. Löwenstein (gest. 1464) 
zusammen. Beide Platten stehen in derselben 
Bamberger Sepultur, die Todesdaten liegen nur 
11 Jahre auseinander, der stilistische Aufbau ist 
völlig der gleiche. Ein Unterschied besteht eigent, 
lich nur in der Schrift, die bei dem Lówensteiner 
allerdings so unvischerisch ist wie möglich. Beide 
Platten sind abgebildet in dem großen Werk von 
Creeny S. 33 und 35, woselbst auch die anderen 
vorher erwähnten fast alle zu finden sind. — Im 
weiteren Verlauf dieses Kapitels bespricht der 
Verfasser alsdann die beiden Grabmäler des Kur- 
fürsten Ernst in Meißen und der Kurfürstin Mar- 
garethe, seiner Mutter, in Altenburg, beide 1486 
gestorben, Ernst hatte schon Qurlitt der Nürn- 
berger Hütte zugewiesen (übrigens weist G. in 
dem noch nicht erschienenen Bande des Meißner 


346 


Inventars nach, daß die Platte des Kurfürsten sich 
bereits 1489 an Ort und Stelle befand). Die Kur- 
fürstin Margarethe war bisher als Vischerwerk 
noch nicht herangezogen, und es ist das Verdienst 
Kramers, die Nürnberger Hütte um dieses ganz 
frühe Werk bereichert zu haben, In vortrefflicher, 
klarer Charakteristik vergleicht er beide Werke 
miteinander. 

Es folgt ein kurzes Kapitel über Vischerplatten 
in flandrischer Art, die der Verfasser nur im Vor- 
übergehen berührt, weil keines der einschlägigen 
Werke sich in Sachsen befindet. Die eigentlichen 
Repräsentanten, wieLukas und Uriel Gorka, bewahrt 
vielmehr der Posener Dom und zwar in einer Er- 
haltung, die von keinem anderen Vischerwerk über- 
troffen wird. Hier kommt es Kramer zugute, daß 
er im ersten Teil seiner Arbeit die fiandrischen 
Platten so vortrefflich charakterisiert hat. Ich 
brauche auf dieses Kapitel nicht näher einzugeben, 
da ich auf meine Besprechung des Dettloffachen 
Buches, das in aufschluüreicher Weise dieselben 
Probleme berührt und teilweise weiterfübrt, ver- 
weisen kann. (M. f. K. X., 330 f.) 

Nun aber kommt das Schmerzenskind dieser 
Dissertation, das vierte Vischerkapitel, , Eine Gruppe 
von Grabplatten um 1470 und ihre Beziehung zu 
den Werken der Vischerechen Hütte.^ Wenn je- 
mand es unternimmt, der Nürnberger Hütte neue 
Werke zuzuschreiben, dann darf man billig er- 
warten, daB er die festbeglaubigten W'erke scharf 
im Auge bebált. Diese so natürliche Voraus- 
setzung trifft hier nicht zu. So sorgfáltig das Buch 
sonst gearbeitet ist und so vielen Gewinn es durch 
eingehende Beobachtungen abwirft, so verfehlt ist es 
in seinen Zuschreibungen der ganz frühen Werke. 

Wer sich vergegenwürtigt, daB wir von Her- 
mann Vischer nur das Wittenberger Taufbecken 
kennen, der befindet sich in einer sehr schwie- 
rigen Lage, wenn er sich gleichwohl gedrungen 
fühlt, dem Begründer der Hütte Werke «o vóllig 
anderer Stilistik und Technik zuzuschreiben, wie 
die frühen Erfurter und Meißner Platten, Trots- 
dem ist dieser Versuch seit Jahrzehnten immer 
wieder gemacht worden, und er ist auch verständ- 
lich, ja vielleicht berechtigt, da es eine ganze 
Reihe von Werken gibt, die für Peter Vischer zu 
früh sind, aber mit seinen späteren beglaubigten 
Werken auf das engste zusammenhängen. Es 
liegt in der Tat nahe, an die Hütte des Vaters 
zu denken, aus der sich der Sohn herausentwickelt 
habe. Aber das müssen dann Werke wie etwa 
die Platte Georgs I. in Bamberg sein. Wie völlig 
anders jedoch sieht das aus, was Kramer ihm 
zuweist, námlich die Platte des Bischofs Caspar 


von Schënberg, gest. 1463, die Platte des Kur- 
fürsten Friedrich, gest. 1464, beide im Meißner 
Dom, die Platte des Bischofs Dietrich von Buckens- 
dorf, gest. 1466, im Naumburger Dom, die Platte 
des Kanonikus Hunold von Plettenberg, gest. 1475, 
im Erfurter Dom und endlich den Rahmen der 
Platte des Heinrich von Gerbstádt, gest. 1451, 
in der Clemenskapelle im Kreuzgang desselben 
Doms. Das sind fünf Werke sehr heterogener 
Art, deren Schulzusammenhang Kramer aller- 
dings richtig erkannt hat. Aber er geht viel zu 
weit, wenn -er sie sämtlich der Vischerhütte zu- 
weist, und zwar die ersten drei dem Vater, den 
Rest dem Sohne. Kramer selbst sind Bedenken 
aufgestiegen, denn er sagt S. 55, es sei auffallend, 
daß dieser Gruppe ähnliche Werke nur in Sachsen, 
nicht in anderen Gegenden vorkommen.  ,Das 
kónnte für die Entstehung in einer einheimischen 
Werkstatt sprechen." Aber er läßt seinen eigenen 
Einwand wieder fallen und klammert sich an 
einige Äußerlichkeiten, die jedoch nichts als den 
gemeinsamen Schulboden beweisen, Solche Äußer- 
lichkeit ist vor allen Dingen die ganz besondere 
Art der Vierpässe mit Zwickeln, in denen dreimal 
ganz dieselben Evangelistensymbole verwandt 
worden sind, nämlich bei Kurfürst Friedrich, bei 
Dietrich von Buckensdorf und bei Hunold von 
Plettenberg. Bei Caspar von Schönberg und Fried- 
rich dem Sanftmütigen sind auch die äußeren 
Kanten mit dem Eichenlaub nahe verwandt. Aber 
das sind nichts als Werkstattgewohnheiten, die 
nicht einmal thüringisch-sächsisch sind, sondern 
sich schon auf den viel älteren und ohne Frage 
vorbildlichen Platten Flanderns finden. — Kramer 
gibt sich viele Mühe, auch sonst noch kleine 
Ähnlichkeiten aufzuweisen, aber man fühlt deut- 
lich, daß er sich den sonst so ruhigen Blick durch 
die vorgefaßte Meinung, hier ältestes Vischergut 
vor sich zu haben, hat trüben lassen. Schlimm 
ist es vor allem, wenn er in Plettenberg ein ganz 
frühes Jugendwerk Peter Vischers erkennen will, 
Denn dieses stünde nicht nur völlig isoliert im 
Kreise seiner ersten Arbeiten, sondern ist wohl 
überhaupt nicht ale Jugendarbeit eines Mannes 
anzusprechen, denn es ist viel zu routiniert in 
seiner Technik. Sämtliche fünf Werke gehören 
dem thüringisch -sächsischen Kreise an; ja, bei 
Erfurt darf man sich im besonderen daran er- 
innern, daß es seit alters eine berühmte Gießer- 
kunst besaß, die früher ganz Thüringen mit 
Glocken versorgt hatte. Es liegt gewiß nicht fern 
zu glauben, daß in diesem Lande sich auch der 
GuB von Grabplatten selbständig entwickeln konnte, 

Festen Boden betreten wir erst wieder in dem 


letzten Vischerkapitel des Buches. Hier gelingt 
dem Verfasser durch einen glücklichen Fund eine 
_Zuschreibung , von der es hócbstens zweifelhaft 
sein kann, ob wir in ihr ein eigenhándiges Werk 
Peter Vischers oder eine Werkstattarbeit erkennen 
wollen. Kramer entscheidet sich ohne Schwanken 
für das erste: In der Stadtkirche zu Stolberg a. H. 
hat er dié Grabplatte der Grüfin Elisabeth von 
Stolberg, gest. 1505, kennen gelernt. Sie gehört 
in den groñen Kreis der betenden weiblichen, 
Standfiguren, aber sie weist doch einiges auf 
was sie von jener Gruppe trennt. Zunächst ist 
es völlig vereinzelt, daß zwischen der Bildplatte 
und dem Schriftrande ein schmaler Abstand von 
wenigen Zentimetern gelassen worden ist. Kramer 
ist das nicht entgangen und er vermag nur auf 
die von ihm fälschlich der Nürnberger Hütte zu- 
geschriebene Platte des Buckensdorf in Naumburg 
(gest. 1466, s. o.) zu verweisen. Es handelt sich 
auch durchaus nicht um ein Werk von besonderer 
Qualität; die Meißner Fürstinnen sind unendlich 
überlegen, In Stolberg wirkt es in hohem Maße 
befremdend, wie unklar das Teppichmotiv zur An- 
wendung gelangt ist, Die Teppicbstange ist kaum 
sichtbar, weil unmittelbar darüber ein spátgotisches 
Rankenwerk ansetzt, das gleichfalls weit entfernt 
ist von der wundervollen Realitát, in der Vischer 
es z. B. auf der Meißner Platte: der Herzogin 
Amalie von Bayern (gest. 1502) gebildet hatte, 
Ebenso ist der Eindruck der Ráumlichkeit nicht 
sehr überzeugend. Es lieBe sich noch manches 
andere anfübren. Ich kann deswegen dem Ver- 
fasser nur soweit folgen, als ich in der Stolberger 
Platte eine Werkstattarbeit der Nürnberger Hütte 
anerkenne, Es sind ohne Frage eine Fülle echter 
Vischermotive zur Anwendung gelangt, allein es 
fehlt das geistig Band. 

Anhangsweise erwábnt der Verfasser noch die 
Gedächtnistafel für Ulrich Rispach, gest. 1488, in 
derselben Kirche. Es ist charakteristisch, daB sich 
auch dieses W'erk ohne Frage mit der Vischer- 
schen Hütte berührt (aber auch nicht mehr), 
und zwar küme zum Vergleich besonders die Pieta- 
tafel in der Stiftskirche zu Ellwangen vom Anfang 
des тб. Jahrhunderts in Betracht, die ihr jedoch 
in der groBzügigen Gestaltung weit überlegen ist. 
Kramer übt hier nun die richtige Zurückhaltung 
und spricht nur von einem Zusammenhang der 
Stolberger Platte mit dem „Vischerschen Kreise". 
— Beide Güsse der Stolberger Kirche dürfen also 
nicht in den Bestand der echten Werke aufgenom- 
men werden. 

Den Beschluñ des Buches bildet ein rascher 
Überblick über die Nicht-Vischerschen Grabplatten 


347 


in Meiñen, Naumburg, Leipzig, Weimar, Hildes- 
heim, Halberstadt und Erfurt. Mit klarem, ruhi- 
gem Blicke bildet der Verfasser Gruppen. Kunst- 
geschichtlich wesentliche Ergebnisse kommen da- 
bei nicht mehr zur Sprache. 

Die Wirkung des Buches wird leider durch den 
völligen Mangel an Abbildungen erheblich beein- 
trüchtigt, so daB der Fernerstehende kaum merkt, 
wieviel sorgsame, eindringende Forschung vor ihm 
ausgebreitet wird. Hubert Stierling. 


OSKAR WALZEL, Wechselseitige 
Erhellung der Kiinste. Berlin, Reuther 
u. Reichard, 1917. 

Dies von ungeldsten Problemen schwergewich- 
tige Heft, die Erweiterung eines Vortrags aus der 
. Berliner Abteilung der Kant-Gesellschaft, sollte 
jeder als Trostbüchlein lesen, der sich in kunst- 
geschichtlicher Arbeit auf Schritt und Tritt von 
der Unschärfe unserer leitenden Ordnungsbegriffe 
der Zwiespältigkeit unserer aus unterschiedlichen 
Zeiten der Wissenschaftsgeschichte stammenden 
Terminologie gehemmt fühlt. Dem hier Ver. 
zweifelnden mag es wohl eingehen, wenn Walze 
den Vertretern der Kunstgeschichte hohe Achtung 
ausspricht „wegen ihrer ausgezeichneten Mittel 
Züge eines Kunstwerks sprachlich zu bezeichnen ` 
die dem Laien nur gefühlsmäßig aufgehen“. Und 
im Bestreben, die Literaturgeschichte nach der 
formalistischen Seite über den Zustand der Mate- 
rialpráparierung, stofflichen Quellenforschung und 
grammatisch-lexikographischen Bestimmung der 
Sprachformen der Dichtwerke hirauszuführen 
sucht nun Walzel Anlehnung bei der Kunst- 
geschichte. ,Ist es zweckdienlich, bei der Ergrün- 


dung der künstlerischen Gestaltung von Werken . 


einer Kunst durchgehende (typische) Merkmale zu 
berücksichtigen, die sich bei der Feststellung der 
künstlerischen Gestaltungsmóglichkeiten einer an- 
deren Kunst ergeben?“ Zur Lösung dieser Frage 
schiebt Walzel Meumanns Bedenken gegen das 
einschmeichelnde Wirtschaften mit raschen Ana- 
logien (nach der Art von Scbellings ,Baukunst 
als erstarrter Musik") zurück.  Sondern billigt, 
gestützt auf ein Wort Herbarts von der sukzes- 
given Auffassung aller Formen im Raume, die 
Bemühungen der Schmarsow-Schule, besonders 
Pinders, um die Klárung des Begriffs vom Rhyth- 
mus, dem er aber richtiger ale die Leipziger seine 
Geltung nicht nur für die dritte Dimension zu- 
erkennt. Ja, lobt auch Schmarsows Deutung der 
alkäischen Strophe (in dessen „Kompositions- 
gesetzen in der Kunst des Mittelalters“). Wenn 
er auch Schmarsows Vergleich der Rhythmik des 


348 


oströmischen Kirchenbaus mit dem strenggeschlos- 
senen Strophenbau, des romanisch-gotischen Lang- 
hausbaus mit der immer erneut durchgeführten 
regelmáBigen Reihe aus einer feineren Unter- 
scheidung der antiken Strophe und der deutschen 
Volksliedstrophe her ablehnen muB, Doch selbst 
Schmarsows  abstruser "Versuch  zeicbnerischer 
Wiedergabe der alküischen Strophe schreckt den 
gelehrten Kenner der Psyche literarischer Formen 
nicht ab, zeichnerische Darstellungen von Dich- 
ungsganzen anzukündigen, die ihm im Erinnerungs- 
bilde etwas von der Zeichnung des Aufrisses oder 
Grundrisses eines Baues gewinnen. Das mag als 
schon mehr spielerische Umkleidung eines Begriffs- 
gerüstes hingehen, für das sich Walzel an die 
baumeisterliche Arbeit Wölfflins hält. 
Bedenklicher etimmt sein Beifall für Worringers 
allzu wahllos die Analogien zusammenraffende 
Versucbe, die antike und die germanisch-gotische 
Ausdruckswelt zu einer Zweipoligkeit alles Kunst- 
empfindens überhaupt zu schematisieren, Am 
heftigsten aber stutzt ein kunstgeschichtlicher 
Arbeiter, wenn er Walzel vor einer syntheti- 
schen Verwertung der nach Kant-Wölfflins Aus- 
druck ja nur errafften Kategorien seiner „kunst- 
geschichtlichen Grundbegriffe“ warnen l'est. Walzel 
nimmt, nicht ohne sie wortgeschichtlich auf ihre 
Herkunft beklopft zu haben, insbesondere die 
Unterscheidungen von linear und malerisch, tek- 
tonisch und atektonisch auf, reiht Schillers Gegen- 
überstellung musikalischen und plastischen Dich- 
tens an. Diese Begriffe nutzt er mit kluger Be- 
weglichkeit zur erkennenden Beschreibung von 
Dichtwerken. Es ist eine innere Angelegenheit 
der Nachbarwissenschaft, ob sie sich gefördert 
glaubt, wenn der Stil der deutschen Volksbücher 
im Zusammenhang der Renaissanceprosa als linear, 
der unserer mittelalterlichen Epik als malerisch 
charakterisiert wird. Walzel findet in Shakespeares 
Aufzugs- und Auftrittsbau Wölfflins , Atektonisches“ 
wieder, das er keineswegs im Stofflichen, sondern 
nur in den Verhältnissen der Anordnung eines 
Dramas aufzeigen möchte. Wie mörderisch aber 
für die Anschauung der (äußeren und inneren) 
lebendigen Kunstform gerade das Prokrustesbett 
dieser Kategorienpaare bei weniger vorsichtigen 
Benutzern wirken kañn, das zeige schnell ein Bei- 
spiel: Müller-Freienfels (über „die Stilprinzipien 
des germanischen Dramas“ in der Zeitschrift für 
den deutschen Unterricht, 1917, 31, p. 593) spricht 
von der geschlossenen Form der Tragödie der 
Attiker und Racines, der offenen Form des ger- 
manischen Dramas deswegen, weil an den Ab- 
schliissen Hamlets Fortinbras, det Hebbelschen 


Nibelungen Dietrich von Bern über das Dramen- 
ganze hinaus in die Zukunft weisen — was mitForm- 
prinzipien soviel zu schaffen hat wie etwa ein 
Hinweis, der „Heliodor“ besäße keine geschlossene 
Form, da die Erzáhlung im Fresko nicht allseitig 
abgerundet vorliege. 

Trotz solcher Irrláufer mag die von Walzel be- 
gonnene Überprüfung der Wölfflinschen Lehre 
dem inneren Wissenschaftsbetriebe Anregung 
geben, wenn sie sich von einer Einschränkung 
befreit. Die Kategorien Wölfflins sind keineswegs 
im Bereich der Kunstgeschichte, aus der und für 
die sie entstanden, vorzüglich ,Mittel, die künst- 
lerischen Gestaltungsmöglichkeiten einzelner Künst- 
ler und einzelner Kunstwerke zu erfassen". Es 
würe eine ungeheuerliche Verarmung der Kunst- 
betrachtung, wenn der Mißbrauch einrisse, alles 
und jedes Kunstwerk auf diese Kategorien wie auf 
ein festes Koordinatensystem zu beziehen. Die 
schöpferische Leistung erkennt nur derjenige, der 
an jenem geometrischen Orte der kategorischen 
Bestimmung die persönliche Gestalt des Künstlers 
als überragendes Gebilde innerer Hochspannung, 
wie einen aufhorchenden und ausstrahlenden Ap- 
parat leitungslosen Aufnehmens und Sendens er- 
blickt. Wenn Walzel einmal zweifelt, ob mit 
einer Ubertragung der fertigen Kategorien Lyri- 
kern vom Range Goethes etwas abzugewinnen sei, 
во ist das auch eine Antwort für seine Verwun- 
derung, warum Michelangelos Name im Rahmen 
von Wölfflins Renaissance -Charakteristik merk- 
würdig selten genannt werde. Eben weil der 
Vater des Barock und der vom Werther bis zu 
Meisters Wanderjahren sich Vollendende in sich 
größere geschichtliche Umfänge umgriffen, als eine 
systematisierende Geschichtsbetrachtung beispiel- 
haft erledigen kann. 

Denn hier ist der entscheidende Punkt. Walzel 
möchte das Allgemeine, das in Kategorien Wölff- 
linscher Richtung liegt, zur Verdeutlichung des 
Einzelnen verwerten, ehe es zum Allgemeinen 
groBer Gruppenbildungen und des Nachweises 
langer Entwicklungsreihen benutzt wird. Doch 
wird die Kunstgeschichte bestrebt sein müssen, 
zu erweisen, daß Walzel recht hat, wenn er nicht 
zweifelt, daß Wölfflin selbst oder ein anderer mit 
der Zeit auf ihrem Gebiet die Schwierigkeiten der 
synthetischen Verwertung von Wólfflins Katego- 
rien der Anschauung überwinde, Wölfflin hat 
selbst mit Burckhardt sich klar für eine Periodizität 
der Entwicklung ausgesprochen und seine Kate- 
gorien auch für andere Zeitalter als Ordnungs- 
begriffe zur Erkenntnis von Entwicklungsabläufen 
der darstellerischen Formen empfohlen. Aber 


kein starres System, sondern Abwandlungen der 
eignen und Zufuhr neuer Formeln für die neuen 
Zwecke wünschte er gewiß, wenn ihm eben auch 
für die Scheidung von Renaissance und Barock 
andere Kategorien nicht erkennbar wurden. W'enn 
Walzel vermerkt, wir erführen von Wölff lin nicht, 
durch welche Umbildungen die Kunst von der 
zweiten Stufe wieder zur ersten zurückkehre, 
warum aus dem Malerisch- Atektonischen wieder 
ein Linear-Tektonisches werde, во führt die Ant- 
wort allerdings aus dem selbstbeschránkten Reich 
der Formalanalyse heraus. Dazu gehört ein Blick 
auf die ,seelischen Voraussetzungen" jener Wende- 
zeiten, nicht des ,Stillstands" (wie Walzel irrig 


.aus Wólfflin herausliest), sondern der kulturellen 


Revolutionen, in denen das Rad der darstelleri- 
schen Entwicklung im Einströmen neuer Lebens- 
inhalte umgeworfen wird. Umbildungen, Um- 
kehren, wie sie die Kunst am deutlichsten erfuhr, 
als die Erlebnis- und Bildungswelten des Christen- 
tums, der Wiedererweckung der Antike, des 
18. Jahrhunderts mit ihren neuen Forderungen, 
eine abgelaufene Kunstentwicklung überstrümten. 
Diese inneren Voraussetzungen der Kunstformen 
aus der Zeit um 1800 haben ja gerade Walzels 
ültere Untersuchungen uns besser begreifen gelehrt. 


Die Kunstgeschichte sollte die Prüfung ihrer 
neuen Wege durch den philologisch strengen 
Meister eines anderen Fachs, bei der sie uner- 
wartet gut besteht (aber Walzel meidet ja unsere 
Niederungen), trotzdem nicht leicht nehmen. Denn 
wo wir uns an der Hand der haltbar befundenen, 
leitenden Begriffe weitertasten wollen, da ist nir- 
gends ein offener Weg. Und wer gar aus dem, 
dank insbesondere Wölfflin, leidlich sicher um- 
zirkten Gebiet formaler Betrachtung sich verirrt 
und auf die umfassenderen Aufgaben einer Kunst- 
geschichtschreibung zu besinnen wagt (in jenem 
Sinne etwa, wie Wölfflin im Vorwort seines „Dürer“ 
gestand, ein groBer historischer Dürer sei noch 
nicht geschrieben), der ist so gut wie ganz auf 
sich gestellt. Denn es bleiben doch allemal Hilfs- 
konstruktionen des Formalismus, wenn man sicb, 
wie Walzel, endlich damit bescheidet, das Äußere 
so genau festzustellen wie nur móglich, anstatt 
das Innere der künstlerischen Leistung erraten zu 
wollen. Wenn schlie&lich auch den Entsagenden 
das „heilig öffentliche Geheimnis“ trösten mag, 
daß nichts drinnen, nichts draußen ist, was innen, 
das außen ist; daß auch die Natur der Kunst weder 
Kern noch Schale hat, alles mit einem Male ist. 


” E. Rémer. 


349 


HANNS FLOERKE, Die Moden der 
italienischen Renaissance von 1300 
bis 1550. HundertzweiunddreiBig Tafeln 
mit Text u. Erläuterungen. Georg Müller, 
München 1917. 


Von einer auf vier Bünde vorgesehenen Publi- 
kation über den Menschen der Renaissance und 
seine Kleidung liegt der erste Band vor. Leider 
erfabren wir nichts über den Gesamtplan der Arbeit, 
nur in Anmerkungen (S. 56, 65, 73) wird auf Ab- 
bildungen in den späteren Bänden verwiesen und 
auf S. 64 verraten, daB der dritte Band ,die Typen 
der Renaissance" bebandelt, Eine wenn auch 
knappe orientierende Einleitung wäre erwünscht. 

Im ersten Band gibt Floerke weniger eine Ge- 
schichte des italieniechen Kostüms als eine Vor- 
stellung vom Luxus, der in der Kleidung im Laufe 
dreier Jahrhunderte getrieben wurde. Gemiilde und 
literarische Dokumente werden herangezogen; 
Floerke zitiert gelegentlich Rodoconacbi „La 
femme italienne à l'époque de la Renaissance", doch 
enthält sein fesselndes Buch eine Fülle selbstán- 
diger Beobachtungen und zeugt von einer gründ- 
lichen Kenntnis der einschligigen Literatur. Auch 
umgeht er die Klippe, im Detail stecken zu bleiben, 
die Einzelbeobachtung, so interessant sie an sich 
ist, dient nur zur Verlebendigung des Gesamt- 
bildes; in die Erláuterungen zu den vorzüglich 
gewühlten Abbildungen werden alle notwendigen 

Einzelheiten verbannt. 
| Auf dem Konzil zu Lyon erläßt Papst Gregor X, 
1274 das erste Gesetz gegen den Luxus in der 
Frauentracht, von dem wir Kenntnis haben. Gegen 
Ende des 13. Jahrhunderts tauchen kommunale 
Luxusverbote auf. Der Kampf beginnt auf der 
ganzen Linie: in Ferrara 1279, in Bologna 1294, 
in Venedig 1303, in Messina 1309, in Savona 1325, 
in Modena 1327, in Perugia überstürzen sich die 
Verordnungen zwischen 1318 und 1342. Er wáhrt 
Jahrhunderte, ein Dekret folgt dem andern, Geld. 
strafen werden verhängt, die strengsten Maßregeln 
angewandt mit dem Erfolg, daß die Moden immer 
rascher wechseln und der Luxus steigt. Die weisen 
Stadtvüter vermochten nicht einzusehen, daB alle 
drakonischen MaSregeln vergebens sind; steigen 
Wohlstand und Reichtum, so erzeugen sie auto- 
matisch eine Erhóhung der Lebensführung. Die 
unteren Klassen wollen den oberen besonders in 
der äußeren Erscheinung nicht nachstehen, Zu 
der Weisheit des Zaleukos, der die Üppigkeit der 
Lokrer eindámmt, indem er nur gegen den Luxus 
der Kurtisanen nicht einschreitet, vermochte sich 
Brescia allein durchzuringen. 


350 


Dort durften die 


Kurtisanen allen verbotenen Putz anlegen, „im 
Vertrauen darauf, daß die ebrbaren Frauen, aug 
ihren Ruhm eifersüchtig, besser den Verordnungen 
gegen den Aufwand gehorchen würden, um nicht 
mit den anderen verwechselt zu werden.“ 


Aber auch solche wohldurchdach te V erordnungen 
die auf eine lange Erfahrung schließen lassen, 
waren auf die Dauer nicht wirksam. Inamüsanter 
Weise schildert Pietro Fortini (um 1550) den Kampf 
zwischen ehrbaren Frauen und Kurtisanen um das 
Tragen des „batticulo“ in Rom, und in Sacchettis 
137. Novelle kann man nachlesen, wie die Floren- 
tinerinnen es verstanden haben, alle Gesetze gegen 
den Luxus zu umgeben. 


In Italien war, wie Montaigne beobachtet hat, 
der Kleiderluxus größer als in anderen Ländern, 
und nach Villanis Zeugnis war die Bereitschaft 
erstaunlich, „die ausländischen Trachten nach- 
zumachen“. Auch Bruder Gualvaneus de la Flamma. 
klagt 1340 beweglich in seiner Chronik über den 
Verfall der Sitten in Mailand: „Zu dieser Zeit 
wichen die Jiinglinge von Mailand vom Wege 
ihrer Väter ab und verwandelten ihr Äußeres nach 
fremdem Muster. Sie begannen nämlich enge, 
kurz abgeschnittene Gewühder nach spanischer 
Mode zu tragen, sich den Kopf nach französischer 
Art zu scheren, den Bart nach barbarischer Sitte 
wachsen zu lassen, mit großmächtigen Sporen 
nach deutschem Muster zu reiten und in verschie- 
denen Sprachen zu reden nach tatarischer Weise.“ 


Nach 1450 setzen fremde, namentlich spanische, 
französische, aber auch deutsche Moden wieder 
stärker ein. Sie führen zur Überwindung goti- 
scher Elemente in der Gewandung und werden 
dem italienischen Geschmack so völlig assimiliert, 
daß man von einer Entlehnung kaum noch sprechen 
kann. 


Neben der Kleidung galt die Behandlung von 
Haar und Gesicht als wichtigster Bestandteil de 
Toilette. Die Vorliebe der Italiener für künstlich 
erzeugtes blondes Haar ist bekannt; die Mode 
des Schminkens hat sich nicht auf Frauen allein 
beschränkt, auch männliche Stutzer griffen ge- 
legentlich gern zu diesem Schónheitsmittel. Der 
Gebrauch falscher Haare, der für Frankreich im 
I2. Jahrhundert bezeugt ist, dürfte in Italien kaum 
später einsetzen. Wardem individuellen Geschmack 
in Kleidung und Kopfputz der weiteste Spielraum 
gewährt, so unterlag die Behandlung des Gesichtes 
einer bestimmten Konvention. Angestrebt wurde 
eine glatte, schablonenmäßige, jugendliche Schön- 
heit, sexueller Reiz sprach dabei stärker mit als 
Eitelkeitsgründe. Das Schminken, das bei der 


Verwendung von Quecksilber nicht ungefährlich 
war, setzt bei Mädchen im heiratsfähigen Alter ein, 
während man nach Fortinis Aussagen das Schmin- 


ken einer Frau in reiferen Jahren als unpassend, 
weil ihrem Alter nicht mehr angemessen, empfand, 
Rosa Schapire. 


+ 


DER CICERONE, 

X, 19/20. 

ALBERT BRINCKMANN: Bildnisminiaturen aus 
niederländischem Privatbesitz. Hannover 1918. 
(a Taf, 13 Abb.) 

OTTO GRAUTOFF: Die letzten franzósischen 
Maßnahmen zum Schutz der Kunstdenkmäler. 
(9 Abb.) 

Heft 21/22. 

HERMANN UHDE-BERNAYS: Die Entwicklung 
der impressionistischen Kunst in Deutschland. 
(14 Abb.) 


ADOLF FEULNER: Das Bergungsmuseum in Va- 
lenciennes. (32 Abb.) 


wc 


KUNST UND KÜNSTLER. 
XVI, 11. 
KARL SCHEFFLER: Qualitát und Gesinnung. 


DERSELBE: Die Ausstellung der Freien Sezession. 
(2 Taf., 15 Abb.) 


Q. E. LESSING: Uber Kritik. 

ERNST HOHENEMSER: Aphorismen über Kunst, 
H. BEENKEN: Das graphische Werk dos Hercules 
Segers. (8 Abb.) 

XVI, 12. 

CURT GLASER: Hans Purrmann, (9 Abb.) 
FERDINAND BULLE: Ferdinand Hodler. (7 Abb.) 


KARL SCHEFFLER: Wie ein Bildmotiv sich 
wandelt. (14 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
XXIX, 10/11. 

WILHELM v. BODE: David Teniers. (r Taf, 
12 Abb.) | 

WALTER СОНЕМ: Randbemerkungen zur Qe- 
schichte der Diisseldorfer Malerschule: Th. Mintrop. 
(13 Abb.) 

FRIEDRICH ANTAL: Die neuerworbenen ungari- 
schen Bilder im Museum für bildende Kunst in 
Budapest. (1 Taf., 6 Abb.) 


OSKAR HAGEN: Das Direrische in der italieni- 


schen Malerei, (1i farb. Taf, a Abb.) 


BERLINER MUNZBLATTER. 
XXXIX, Nr, 201/202. 


LEON RUZICKA: Unveróffentlichte Münzen aus 
Hadrianopolis (Thracia). (r Taf) 


EMIL BAHRFELDT; Der Halberstädter Taler 
von 1691. 


L. v. L.: Das deutsche Notgeld 1916— 18. 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
XXI, 11. 

WILHELM HAUSENSTEIN: Max Pechstein. 
(3 farb., 5 schwarze Taf., 20 Abb.) 

FRANZ SERVAES: Rob. F. K. Scholtz. Seine 
Schwarzweiß-Kunst. (a Taf., 11 Abb.) 

OSKAR MARIA GRAF: Künstlerische Buchgewan- 
dung. (1 Taf, 8 Abb.) 

LEONHARD KRAFT; Kameen von Karl Berthold- 
Darmstadt. (3 Abb.) 

XXI, 12. 

ALFRED GÜNTHER: Ausstellung der Kúnstler- 
Vereinigung Dresden. (2 Taf, 15 Abb.) 
AUGUST L. MAYER: Sommerausstellung der 
Münchner. Neuen Sezession. (r Taf, 23 Abb.) 

K. PRELLWITZ: Der Mensch und die Blume. 
THEODOR DAUBLER: Kissen von Bob Bel. 
(1 Taf., 5 Abb.) 


GEORG HERMANN: Erich Büttners Gelegenheits- 
grapbik. (r Taf., 16 Abb.) 


AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. 
KUNSTSAMMLUNGEN. 

XL, 1. 

CHR. HÜLSEN: Zum Girlandensarkophag Caffarelli. 


VOLBACH: Zwei neuerworbene schwábische Pla- 
stiken des 14. Jahrhunderts. 

XL, 2. 

H. EICKHOFF: Ausstellung von Handzeichnungen 
flämischer Meister des 15, und 17. Jahrhunderts im 
Kupferstichkabinett. 


O. Wulff: Ein Nachtrag aus der byzantinischen 
Skulpturensammlung. 


ANZEIGER FÜR SCHWEIZERISCHE 
ALTERTUMSKUNDE. 
Neue Folge, XX, 2. 


Dr. O. TSCHUMI: Der Bronzedepotfund vonWabern 
(Amtsbez. Kóniz). (3 Taf) 


E. MAJOR: Die prähistorische (gallische) Ansied- 
lung bei der Gasfabrik in Basel (Fortsetzung). (a Taf.) 


W.SCHNYDER: Der Bildnisschnitzler der spátgoti- 
schen Saaldecke im Supersaxbause in Sitten. 


H. MORGENTHALER: Neues über Meister Hein- 
rich den Maler in Bern. 


F. VETTER: Benediktuskreus und Thomaskrous. 
E. A. 8.: Denkmalpflege. 


357 


KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 
Neue Folge, XXX, 1 


F. SCHMIDT-DEGENER: Rembrandts Pfauenbild. 
WILHELM WARTZOEDE: кор! Burckhardts 


Vortráge. 

AUGUST L. MAYER: Múnchener Brief. 

HANS TIETZES neues Buch úber Wien. 

Heft a. 

EDUARD PLIETZSCH: Petersburger Brief. 

Zur Frage der Vereinigung der Berliner Kúnstler- 
gruppen. 

BENGT THORDEMAN: Gedanken über zwei Aus- 
stellungen in Schweden. 


W. v. SEIDLITZ: Edgar von Ubisch. 
W. KURTH: Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert. 


FRANZ DÚLBERG: A. E. Brinckmanns »Michel- 
angelo”. 


OUDE KUNST. 
III, 12. 


Dr. N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten, 

Dr. A, WILLEMSE: Oud-Limburgsch Aardewerk. 
M.G. WILDEMAN: Oude Gevelsteen met Wappens: 
Mr. W. H.KOHLER: Een oud-hollandsch Tafelglas. 


IMA BLOK: Tentoonstelling van etsen- door Reinier 
Nooms gen. Zeeman in’s Rijks Prentenkabinet te 
Amsterdam. 


DIE KUNST. 
XX, 1 


CARL GEBHARDT: Fritz Boehle. (1 farb., 3 schw, 
Taf., 43 Abb.) 


FR. STERN: Fritz Boehle als Graphiker. 
HERM. KONSBRÜCK: Kunst und Mathematik. 
GUSTAV PAULI; Die Kunst der Gegenwart und 
das Publikum. 

HERMANN MUTHESIUS: Die Hauser Riimelin 
in Heilbronn und Cramer in Dahlem. (1Taf., 19 Abb.) 
G. J. WOLF: Joseph Wackerle. (1 Taf, 13 Abb.) 


Schmuckgegenstánde von K. J. Bauer, Adolf von 
Mayrhofer und Karl Rothmüller. 


NEUE BÜCHER .......................... 


PAUL MADSACK: Vae Victis. Meine Erlebnisse in 
Spanien und Frankreich während des Weltkrieges. 
Mit 14 Zeichnungen und 4 Abbildungen. Verlag 
von Klinkhardt & Biermann in Leipzig. 1918. Geb. 
M. 6. — 

MAX EISLER: Rembrandt als Landschafter. Mit 
140 Abbildungen. Verlag von F. Bruckmann, A.-G. 
München. Geb. M. 8.—. 

ALEXANDER v. GLEICHEN-RUSSWURM: Der 
Ritterspiegel. Geschichte der vornehmen Welt im 
romanischen Mittelalter. Verlag Julius Hoffmann, 
Stuttgart. 

MAX von BOEHN: Bekleidungskunst und Mode. 
Mit 135 Abbild. Delphin-Verlag, München 1918. 
DIE SAMMLUNG DES FREIHERRN AUGUST 
von der HEYDT -Elberfeld. Ausgewählte Werke 
der Kunst der Gegenwart. Herausg. u. eingeleitet 
von Carl Georg Heise. Kurt Wolff Verlag, Leipzig. 
DANIEL CHODOWIECKIS BRIEFW ECHSEL mit 
seinen Zeitgenossen. Bd. I, 1736—1786. Heraus- 
gegeben von Dr. Cbarlotte Steinbrucker. Verlag 
von Carl Duncker, Berlin. 

CARL NEUMANN : Aus der Werkstatt Rembrandts. 
Carl Winters Universitütsbuchbandlung, Heidelberg, 
BURCKHARDT : Erinnerungen ausRubens. 3. Aufl. 
Verlag Benno Schwabe & Co., Basel. M. 10.50- 
GRABER: Jüngere Schweizer Künstler. Verlag» 
Benno Schwabe & Co., Basel. M. 9.—. 

STEIN: Eugene Delacroix. Briefe. Band I M. 8.40. 
Band II M. 13.—. Verlag Benno Schwabe & Co., 
Basel. 


MARTIN: Althollindische Bilder (Bibl. für Kunst- 


und Antiquitátensammler, Band 13.) Verlag Rich. 
Carl Schmidt & Co., Berlin. M. 12.—. 
MACKENSEN: Wabrheit und Gesundheit in der 
Kunst. Zentraistelle zur Verbreitung guter deut- 
scher Literatur, Nassau. M. 0.50. 

SYBEL: Mosaiken römischer Apsiden. Zeitschr. 
für Kirchengeschichte. Band XXXVII, Heft 3/4. 
Verlag Friedr. Andr. Perthes, Gotha, M.10.—. 
STUHLFAUTH: Die „ältesten Porträts“ Christi 
und der Apostel. Hutten-Verlag, Berlin. M. 1.50. 
THIERSCH: Winckelmann und seine Bildnisse- 
C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München 
M. 3.50. 


XI. Jahrgang, Heft 11/12. 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, 
Telefon Nord 429. — Verantw. Schriftleiter HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, 
UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT &BIER- 


MANN, Leipzig. 


Vertretungen der Schriftleitung; In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, 
München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. HEINRICH GLUCK, Wien I, Franzenering 22. 
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijewijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13 467. 


Die Monatshefte fiir Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den »Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begriindeten. 


352 


Goldbesdilag und zweiRiemen- 
enden aus dem Schatzfund in 
Albanien 


_ALTAI-IRAN UND 
VOLKERWANDERUNG 


Ziergeschichtliche Untersuchungen über den Eintritt der Wander- 
und Nordvólker in die Treibháuser geistigen Lebens 


von JOSEF STRZYGOWSKI 


Anknüpfend an einen Schatzfund in Albanien 


AU und 319 Seiten 4° mit 229 Abbildungen und 10 Lichtdrucktafeln 
In Leinen kartoniert M. 36.—  (Teuerungszusdilag des Verlages 15%) 


Die Darstellung gliedert sich in folgende Hauptabschnitte: 


1. Ein albanischer Schatzfund. — 2. Die Schatzfunde der Vólkerwanderungszeit aus dem 
Osten. — 3. Die geometrische Ranke der Schmucksacien des albanischen Sdiatzes. — 
4. Die Kunst der Nomaden und Nordvólker. — 5. Der NomadenvorstoB und die Neu- 
ordnung Eurasiens. — 6. Wesen und Wert von Renaissancen. — 7. Eine neue Gesinnung 
eine Notwendigkeit. 


Strzygowskis wissensdiaftlidie Leistungen bedeuten eine Entwicklungsstufe auf 
dem Gebiete der Erforschung der Vólkerwanderungskunst. Insbesondere wird diese neue, 
reifste Arbeit den Ausgangspunkt bilden zu einer neuen Auffassung und allgemeinen 
Wendung in den Anschauungen über die Vólkerwanderungszeit; sie wird dazu bei- 
tragen, das einst so vershwommene und unsichere Bild unserer alten germanischen 
Kunst zu klären und zum Greifbaren und Gewissen zu verdeutlichen, damit aber dem 
Zusammenwirken der Ost- und Nordforsdier zu gemeinsamem Endziel den Weg bereiten. 
Die glanzende Ausstattung des Buches (holzfreies Papier, tadelloser Druck, Einband 
edit Leinen) empfiehlt es auch als Geschenk für den Kunstgelehrten, den Kunstgewerbler 
und Kunstfreund. 


Verlag der J. C. HINRICHS'sdien Buchhandlung in LEIPZIG 
M 


BERNHARD PATZAK 


Die Renaissance- Darockvilainltalien 


BAND I: Palast und Villa in Toscana 


C Sm Versuch einer Entwicklungsgeschidite 
Gebunden 44 Mark. 1. Buch: Die Zeit des Werdens 


BAND II: Palast und Villa in Toscana 


Gehetter 40 Mex Versuch einer Entwicklungsgesdiidite 
Gebunden 44 Mark 2, Buch: Die Zeit des Suchens und des Findens 


BAND M: DieVillalmperialeinPesaro 


aveo Era Studien zur Kunstgeschichte der italienischen 
Gebunden 35 Mark. Renaissancevilla und ihrer Innendekoration 


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aum gibt es ein Gebiet, das dem Menschen unserer Zeit wertvollere Anregungen zu 
geben vermag als das Villenleben der Renaissance, in dem sich schönheitsuchende 
Menschen ländliche Einsamkeit durch Kunst und Geist zu vertiefen versuchten. Handelt 
es sich dodi um ein Problem, das heute wiederum die feinsten Geister beschäftigt und für 
uns nodi immer der Lósung harrt. Umso erstaunlidier ist es, daB sich bisher niemand der 
Bearbeitung des Renaissance-Villenbaues, der zugleich tief eingreift in das stádtisdie und 
gesamte geistige Leben dieser vielbesdiriebenen Epoche, gewidmet hat. Scion Jacob Burck- 
hardt hat dieseLücke schmerzlich empfunden und in seiner Geschichte der Renaissance erklärt, 
daB sich das ästhetische Gesetz der Villenbaukunst der goldenen Zeit erst dann vollkommen 
erkennen lassen wird, ,wenn die betreffenden Reste in ganz Italien aufgesucht und im (ent- 
wicklungsgesdiiditlidien) Zusammenhang studiert sein werden“. Das hat sich nun Patzak 
zur schönen Lebensaufgabe gemacht in seinem Werke „Die Renaissance- und Barockvilla in 
Italien, dessen drei ersten Bánde jetzt abgesdilossen vorliegen. 
Urteile der Presse: Ihe kunstwissenschatt": „зеш Budi ist im Zeige geschrieben 
= und in dieser Hinsicht wie durch die klare Erkenntnis des orien- 
talischen Mutterbodens vieler abendländischer Kunsiformen des Mittelalters ein Musterbeispiel dafür 
geworden, wie man über die frühe itallenishe Kunst arbeiten muB." 
„SCHWEIZERISCHE BAUZEITUNG” über Band III: „Das vorliegende Werk verdient trotz seiner aus- 


gesprodien kunsthistorischen Tendenzen doch auch in den Kreisen der ausübenden Architekten beachtet 
und studiert zu werden, da es eine Geschichte der italienischen ln jener anregungsreichen Bauten einer 


PAUL SCHUBRING über Band Ill in der „Frankfurter Ze tuno: Ich will hier möglichst wenig Einzel- 
heiten anführen; die findet man in dem genannten Buch, das der erlag reich mit Abbildungen ausgestaltet 
hat und das geradezu vorbildlidi soldi eine Anlage untersucht, beschreibt und würdigt.“ 


VERLAG + KLINKHARDT & BIERMANN x LEIPZIG 


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| | paul Madſack 
Vae Victis 


Meine Erlebniſſe in Spanien und 
Frankreich während des Weltkrieges 


mit 14 Zeichnungen im Text und 
4 Tafeln nach Werken des Künftlers. 


Geheftet M. 5.—, gebunden M. 6.— ord. 


in einem kleinen 


dur anzöſi orpedoläger. Als Kriegsgefangener 
Ба anderthalb Jahren n Frankreich: Bre Statlonen 
unerhórter Dergemaltigung: Toulon, Es i nel der Kecker 


ng. Alles in allem: 
ides Werk, mehr ijt als Kriegs» 
teratur. 


Ein Künſtlerbuch im beiten Sinne des Wortes, 


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VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG 


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Rlinkbardt & Biermann 
Bud) und Runſtperlag / Leipzig 


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Soeben erſchien 


Wilhelm Kubnert 
Im Lande meiner Modelle 


Mit 24 Steinzeihnungen, 8 farbigen Tafeln 
nach Gemälden des Derfaffers und zahlreichen 
Federzeichnungen im Text. Gebunden M. 30.— 


£urusausgabe 100 numerierter Exemplare mit 
einer vom Derfaffer ſignierten Orig.«Rabieryng. 
Gebunden M. 100.— 


Ein afrikaniſches Jagd⸗ und Wanderbuch, in dem der bekannte 
Maler über ſeine Erlebniſſe, Studien und Jagden plaudert. 
Als Künftler ift Kuhnert nach Afrika hinausgegangen mit 
Büchſe, Pinſel und Palette, und feinem Malerauge hat 
das geheimnisvolle Ceben in den afrikaniſchen Step at 
fid) der ſchwarze Erdteil als ein nod) unentdedites Paradies 
enthüllt, deſſen Schönheit und Eigenart feine ganze heiße Liebe 
gilt. Wie er das Себеп der Natur in der Wildnis belauſcht, 
wie er die Tiere beſchleicht und beobachtet, wie er auf ges 
fährliche Jagdabenteuer auszieht und die Wunder des gewal⸗ 
tigen Kiltmandjaro entdeckt, das ijt mit der Sprache bes Did» 
ters geſchildert und tief empfunden als Erlebnis, wie es nur 
der Seele eines Künfilers begegnen kann. Erft in diefem Buche 
kommt uns der Sauber der afrikaniſchen Urwelt ganz nahe. 
Was Huhnerts Malerauge auf femen weitausgedehnten 
Reiſen im Innerſten Afrikas im Sudan (auch ein Kapitel 
über ион Jagdgefilde ift angegliedert) e , oas 
haben Stift und Pinfel unmittelbar vor den Пеп feſtge⸗ 
alten, und dieſe Zeichnungen, Cithographien und farbigen 
edergaben nach Gemälden umranken die farbenfatten 
Schilderungen des Künftlers wie lebendige Illustrationen. 


Geschichte 


derspanischen Malerei 


Von Privatdozent Dr. AUGUST L. MAYER, München. 


до. Geh. M. 40.—, geb. M. 46.—. 


L Band: VIII u. 274 Seiten mit 


144 Abbildungen. II. Band: VIII u. 292 Seiten mit 141 Abbildungen. 


Mayers Geschichte der spanischen Malerei ist ein bedeutsames Werk, daB sich 
neben großer Gründlichkeit der Einzelforsdiung besonders durch den sicheren, fein ab- 


wügenden Geschmack auszeichnet, mit dem er die künstlerischen Charakterbilder der 


großen spanischen Maler entwirft. Er betrachtet die spanische Malerei als eine Quelle 
der modernen Kunst und findet den Grund dafür „in dem Ernst und der Aufrichtigkeit, 
іп der Einfachheit und, fast könnte man sagen, in der Naivität ihres Wesens“. Die Dar- 
stellung hat durch ihre wortgewandte Abstimmung und ihre vielseitige Ausdrucksmöglich- 
keit für die leisesten Abstufungen der künstlerischen Werturteile hervorragende Vorzüge. 
Einseitiges und übertrieben zugespitztes Absprechen, wie es nadı Meyer-Graefes Vorgang 
in neuester Zeit z. B. bei Murillo Mode war, vermeidet Mayer sorgfältig, gerade seine 
Studie über Murillo ist eine musterhafte Leistung dieser Art. Ebensowenig teilt er ge- 
wisse modische Überschätzungen, weshalb z. B. seine Behandlung d:s in den letzten 
Jahren so aufdringlich gerühmten EI Greco sehr ansprechend wirkt. 


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(Kölnische Volkszeitung.) 


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Klinkhardt & Biermann :: Leipzig 


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Soeben erschien die dritte Auflage von 
Bilder gesellschaftlicher Kultur aus fünf Jahrhunderten. Von Valerian Tornius. 
Salons. 
Zwei Bande mit 48 Tafeln geb. M. 15.—. 


Noch nie hat es jemand unternommen, die Welt des Salons in ihrer Entwicklung zu schildem. Non endlich liegt das Werk 
vor, das diese Aufgabe lost, wie sie allein möglich war, wenn der romantische Zauber, der über aller wahren Geselligkeit 
schwebt, nicht verlorengeben sollte. (Dresdner Anzeiger.) 


* 


Vom gleichen Verfasser erschien 


Charaktere und Bilder aus der galanten Welt. 2. Auflage. Mit 10 Orginal- 
Kavalier e. lithographien von Erich Gruner. Geb. M. 12.—. 


Eine Folge vollfarbig ausgemalter Portrats, Bilder weltmannischer Grazie, gerahmt in die Historie ihrer Zeit, ziehen an uns 
vorüber. Ritterlichkeit der Sitten wie des Geistes, froblich tandelnde Weltlaune, Spiel der Anmut und des Scherzes, tollende 
Ausgelassenheit, Erotik, Abenteuer, alles das wird in diesen Kulturbildern lebendig. Der schwarmende Ritter des Minne- 
sanges und seine Entartungen, das vollendete Kavaliertum der Renaissance, wie es in Graf Castigliones „Cortegiano” zum 
Idealtyp geformt ist, werden in ebenso gründlichen wie liebenswürdigen Schilderungen gewertet. Anekdotenhafte Züge sind 
mit Geschmack herangetragen, veranschaulichen und wirken. Gerade hierin ist Tornius Meister, daß er immer wieder durch 
amüsante Geschichtchen, eingeflochten wie in gefalliger Plauderei, die Darstellung belebt . Der Anmut des Stoffes ge- 
sellte Tornius Anmut der Darstellung. Eindri de wissenschaftliche Arbeit setzt dies Werk voraus; aber man fühlt sie 
nicht, dank der beweglichen und geschliffenen Form der Schilderung. Mit künstlerischen Sinnen werden die Menschen und 
hr Milieu erlebt und nachgestaltet. (Zeitschrift für Bücherfreunde.) 


Die griechische Plastik. wa. Bend f. Tor 
Band 2: 297 Abbildungen auf Tafeln. Zusammen M. 8.10. 


Dem reichen Inhalt des Löwyschen Werkes, das von Anfarg bis Ende mit gründlicher Beberrschung des Stoffes, liebe- 
voller Hingabe an den Gegenstand und feinsinnigem Urteile geschrieben ist, entsprechen aufs würdigste die in einem beson- 
deren Bändchen beigegebenen 550 Abbildungen. Nach künstlerischen Gesichtspunkten geordnet, in sauberster Technik nach 
den zuverlassigsten Quellen ausgeführt, bilden sie nicht nur die begleitende Melodie, sondern tragen an ihrem i wesent- 
lich dazu bei, das richtige Verstandnis der Kunstwerke zu fordern und den Blick für den einzigartigen Zauber antiker Schón- 
heit zu ofnen. (Zeitschr ft f. d. „ 


Pilger fahrten in Italien. Zone. ron бегени and Prof: Dr. 
schmuck von Marcus Behmer. Mit 2 Gravüren und 24 Tafeln. Geh. M. 7.50, geb. M. 9.40. 


In Summa: eins der schönsten Bücher, das je von Italiens Zauber und unvergänglicher кч zu uns pıochen hat. 
Deutsche Literaturzeitung. 


Die Renaissance in Briefen te, Ir, Fm Sun 


L. Schmidt. 2 Bände. Geb. je M. 7.50. 


Wenn wir uns mit dem Geiste einer bestimmten Epoche der Vergangenbeit vertraut machen wollen, so werden wir die 

richtigsten und unmittelbarsten Eindrücke dadurch gewinnen, daß wir die erhaltenen Dokumente selbst zu uns reden lassen. 

e gilt сы besonders von den Briefen aus der Zeit der Renaissance, denn damals wurde das Briefschreiben noch als 
unst gepflegt. 


Von P. Kühn. Weimarer Interieurs. 2 Bande. 
Die Frauen um Goethe. уо, ате . 20.80 
Man kann den Menschen Goethe nicht inniger begreifen als im Verkehr mit dem Weibe, das ihm Muse, Freundin, Geliebte 
und Gattin gewesen ist. Erst durch seine machtvolle Personlichkeit ist die stille Welt des Weimarer Musenhofes wundervoll 


verklart. In buntem Wechselspiel ziehen sie alle an uns vorüber, denen der Dichter die Verehrung zu Füßen gelegt. Sein 
Geist durchtrankt ihr Leben mit kostlichem Gebalt, füllt ibre Seele mit jugendlicher Lebensw arme. 


Goethe in Venedig. Vos ? (poe, Gb. M6 eb 


Sorgssm zeichnet mit einer Fülle von außerordentlich interessanten Einzelheiten J. V. in einem anmutigen Buch das 3 
der Goethezeit, — — — Die Darstellung ist so anmutig und lebensvoll, daß sie den besten (hrer Art zur 
werden darf. ( Literarisches 


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» Tempelgang Mariä“, linke Hälfte. 


Abb. 5. Veit Stoß: 


Abb. 4. Veit Stob: Johannes aus der Kreuzigungs- 


„Anbetung der Könige“, rechte Hälfte, 


Abb. 3. Veit Stoß: 


Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig 


gruppe in St. Sebald zu Nürnberg, erste richtige 


Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig 


Aufnahme 


Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS 


I. f. K., XL, 11/12 


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Tafel 67 


Abb. 6. Veit Stob: „Himmelfahrt Christi“. Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig 


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Abb. 7. Selbständiger Werkstattgenosse des Veit Stoß, Pfingsten. Relief vom Krakauer Marienaltar 


Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS 


M. f. K., XL, 11/12 


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I. Deutscher Wald (Heidelberg, Frühzeit). 


Abb. 2. Szene aus Tasso. 


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Abb. 3. Baumstudie 


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Tafel 72 


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Abb. 4. Ponte Salaro 


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Abb. 5. Bei Subiaco 


Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR 


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M. f. K., XL, 11/12 


Tafel 73 


Abb. 6. Gebüschstudie 


Abb. 7. Ritterzug 


Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR 


M. f. k., XJ., 11/12 Digitized by Google 


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Abb. 9. Burgruine am Neckar 


Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR 


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Abb. то. Mühle im Tal 


Abb. 11. Das Heidelberger Schloß 


Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR 


M. f. K., XI, 11/12 


Tafel 76 


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Lagernde Soldaten 


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Abb. 


Heidelberger Studenten 


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Abb. 


PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR 


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Tafel 77 


Abb. 14, Wasserfall in den Salzburger Alpen 


Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR 


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M. f. K., XI., 11/12 


Tafel 78 


Abb. 1. Nördlichste Fensterarkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges 


Abb. 2. Dritte Fensterarkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges 


Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN 


M. f. K., XI., 11/12 


Digitized by Gooqle 


Tafel 79 


Abb. 3. Südlichste Arkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges 


Abb. 4. Mittelste Arkade im Südtrakt des Berchtesgadener Kreuzganges 


Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN 


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Tafel 8o 


Abb, 5. Detail zu Abb. 4. Die Davidsšule Abb. 6. Westlichste Arkade im Südtrakt des 
mit dem Lilien-Kapitell Berchtesgadener Kreuzganges 


Abb. 7. Die zwei nórdlichsten Fensterarkaden im Westtrakt des Berchtesgadener Kreuzganges 


Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN 


M.f.K., XL, 11/12 


Tafel 81 


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Portal im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges 


Abb. 8. 


Portal-Löwe in Laufen 


Abb. 9. 


Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN 


M. f. K.. XL, 11/12 


Tafel 82 


Das Sebaldusgrab in Nürnberg 


Abb. 2. 


Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon (Restauration) 


Abb. I. 


HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER (V1) 


Zu: 


M. f. K., XL, 11/12 


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bedeutsam, Kulturarbeit ebensosehr wie Fórderung der Kunst ist, was jedes Heft über 
angewandte Kunst an Text und Bildern bringt.* Nationalzeitung, Basel 
»Es ist unzweifelhaft die führende deutsche Kunstzeitschrift groBen Stils, wie sie dem 
vielverzweigten, aber überall heißen Streben unseres heutigen Kunstiebens entspricht. Auf 
keine Richtung festgelegt, kommen alle sie zu Worte, die den Durchschnitt überragen... 
Über die Reidihaitigkeit und sorgfältige Technik der Bilderbeilagen aber kann man 
nur staunen.“ W ürttemberger Zeitung 
»Man kann also für erstaunlidi wenig Geld einen ausgezeichneten zeitgenössischen Bilder- 
schatz erwerben, der, was Güte und Reidihaltigkeit und Illustrationen anbelangt, gar nicht 
übertroffen werden kann. Über diesem glánzenden illustrativen Teil sei aber die textliche 
Seite der Zeitschrift nicht vergessen.“ Leipziger Tageblatt 
„. . . Die Kunst' ist in der Tat ein Buch, welches in keinem guten deutschen Hause, dessen 
Bewohner nur ein wenig Interesse fiir Kunst haben, fehlen sollte. Wie ein Mensch, der 
Gutes zu sagen hat und Sdiónes bringt, tritt die Zeitschrift zum ersten Male über die 
Sdiwelle, und es dauert nidit lange, so begrüBt man sie als willkommenen Gast, dessen 
Ausbleiben sdimerzlidi empfunden wird.“ Berlin. Nordd. Allgem. Zeitung 


Jede Buchhandlung vermittelt das Abonnement und besorgt Probehefte für 3 Mark 


= Verlag уоп F. Bruckmann A. G., München :: 


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Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig. 


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