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MONATSHEFTE
FUR
KUNSTWISSENSCHAFT
HERAUSGEGEBEN VON
DR. GEORG BIERMANN
IV. JAHRGANG 1911
74
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Heft 1: Seite
Ludwig Kaemmerer, Peter von der Rennen und Andreas Schlüter ; 1— 7
Ernst Steinmann, Gainsboroughs Porträt der SE Charlotte von England ie атов.
herzoglichen Schloß zu Ludwigslust . . . исо ar A чё. Dun ihr ГЫ 8—11
Emil Schaeffer, Bildnisse der Caterina багай: З “20.2... 22—19
Paul Gustav Hübner, Studien über das Verhältnis der 8 zur Antike , . . 20—23
Ignaz Beth, Der junge Cranach. . . . .....- 2. j 84—27
Heft 2:
August L. Mayer, Juan de Ruelas. ........ . 4 « «© «© «© © © «© «© © 5I—73
Antonio Muñoz, Meister Paolo da Gualdo. . . . ©.. 73-76
E. Major, Basler Horologienbúcher mit Holzschnitten von Hans Holbein а 1. >. >. 77—81
Heft 3:
Eduard Flechsig, Der Meister des Hausbuchs als Zeichner für den Holzschnitt . . . 05—115
Ernst Cohn-Wiener, Dio italienischen Elemente in der romanischen Kirchenarchitektur
Elsaß-Lothringen . . 216-—122
Willy F. Storck, AAA zur Балны englischen Miniaturmalerei um ‚ die Wende
des XIV. Jahrhundert 183—146
Heft 4:
August Schmarsow, Nicolas Florentino in Salamanca . . . . ° . 143—161
Eduard Flechsig, Der Meister des Hausbuchs als Zeichner fúr dan Holsechnitt . . . 162—175
August L. Mayer, Velazquez . . . А . 176—182
Federico Hermanin, Uber einige insane Bilder dsa: Neapolicanes Malers Bernardo
Cavallino ............. . 183—188
Heft 5:
Ernst Steinmann, J. Antoine Houdon im Großherzoglichen Museum zu Schwerin . 207—223
Detlev Frhr. von Hadeln, Uber einige Frühwerke des Palma Vecchio . . . 224—226
Julius Baum, Zur Rekonstruktion des Ulmer Wengenaltars . . . . . . +. . +. . . 227—230
Hans Klaiber, Die Straßburger Kopien nach Leonardos Abendmahl . . . . . . . 231—234
Heft 6:
Anton Baumstark, Eine Gruppe illustrierter armenischer Evangelienbúcher des XVIL |
und XVIII. Jahrhunderts in Jerusalem А . . 249—260
Kurt Freyer, Entwicklungslinien in der Sächsischen Plastik дев хш. Jahrhunderts . +» 261—275
Detlev Frhr. v. Hadeln, Ein Jugendwerk des Pier Maria Pennacchi . . . . . . . 276—277
Heft 7:
Hermann Burg, Über einige Porträts des Antonius Palamedesz . . . . . . . +. . 293—295
Walter Bombe, Raffaels Peruginer Jahre © e >. °. . . 296—308
Ernst Gall, Neue Beitrăge zur Geschichte vom „Werden der Gotik“ co... . . . 309—323
Heft 8:
Franz Rieffel, Die Freiherrlich von Holzhausensche Gemäldesammlung in der Städelschen
Galerie . eogi ы % „ ée 1359
P. G. Hübner, рег Anker ee Beroan We fr ж. уса . ... 353—367
Berthold Haendcke, Die wirtschaftliche Lage der bildenden Künstler in der .
zeit und die Entwicklung der Künste 368 — 370
Heft 9:
Hans Koegler, Kleine Beiträge zum Schnittwerk Hans Holbeins d. J. Der Meister C. S. 389—408
Rud. Arthur Peltzer, Die Darstellung von Dinanderies auf Niederländischen Bildern . 409—413
Heft ro:
W. Martin, Ausstellung Althollindischer Bilder in Pariser Privatbesitz . ;
Walter Graff, Die Wiederherstellung des Jobannesaltars von Burgkmair in der Alten
Pinakothek . . . .
У. Wallerstein, Die Verkündigung de Konrad Witz und sein Verhältnis ; zur Nieder-
ländischen Kunst
Kari Lohmeyer, Die Pläne Nicolaus de Bizig. zur Karlsruher Besidenz
Heft rr:
Moritz Stübel, Der jüngere Canaletto und seine Radierungen . Е
W. Martin, Ausstellung Altholländischer Bilder in Pariser Privatbesitz .
Heft 12:
Seite
- 433—441
. 442—447
«+. e o o . 448—451
452—453
471—501
. 502 — 508
E. Móller, Leonardo da Vincis Brustbild eines Engels und seine en des
Johannes- Baptista. . . . po
Hans Friedrich Secker, Ee лере verloren geglaubter Bildwerke des Straßburger
Münsters, TRP
K. Fr. Leonhardt, 590. уоп erden und seine: Nachfolge a Bayern . we e dr
“ 529—545
- + 546—549
- 550—557
Heft 3:
Jul. Baum, Schúchlins Lorcher ianuas Айы,
8. 127.
R. Simon, Urkundliches zum Meister der Holz-
hausen-Bildnisse (?), S. 127—128.
Heft 6:
Vöge, Zu Veit Stoß, 8. 278—279.
Heft 7:
Hans Jantzen, Ein unbekanntes Gemälde des
Hendrick Goltzius, S. 324.
Hugo Kehrer, Die Deutung von Grecos ,,Irdi-
sche Liebe“, 5. 324—325.
Carl Gebhardt, Conrad Faber, der Meister der
Holzhausen-Bildnisse, S. 325 — 326.
Ней 8:
Hermann Nasse, Zu „A. Victoryns“, 8. 371.
Heft 9:
Hermann Voss, Zur Kenntnis der Malerschule
von Avignon um 1500, S. 414—415.
Hans W. Singer, Dirers Bildniszeichnung des
Königs Christian IL, 8.415.
Hugo Kehrer, Die einzige Zeichnung von
Greco in der Madrider National-Bibliothek,
S. 415—416.
Carl Gebhardt, Malereien in der Deutschordens-
kirche zu Frankfurt- Sachsenhausen, S. 416
bis 418.
Jul. Baum, Schaffners Wettenhausener Altar,
S. 418.
Heft ro:
K. Lilienfeld, Zu H. Burg, „Über einige Por-
tráts des A. Palamedesz“, S. 454.
Heft 11:
К. Lilienfeld, Kunstschätze in Schweden, S.
509—513.
‚К. Fr. Leonhardt, Multschers Kargaltar und
das Grabsteinmodell für Herzog Ludwig den
Gebarteten, S. 513—515.
Adelmann, Til Riemenschneider (Р. F. 8.), 8.142.
AllgemeinesLexikonderBildendenKúnst-
ler (Н. W. Singer), 8. 520—522.
Amida (A. Baumstark), S. 459—464.
Architektonische Handzeichnungen Alter
Meister (E. Steinmann), 8. 84.
Lord Balcarres, The evolution of Italian sculp-
ture (Sobotka), S. 192—194.
Baum, Romanische Baukunst in Frankreich (P.
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Bautier, Lancelot Blondeel (Preibisz), S. 235.
Behrendt, Alfred Messel (P. F. Schmidt), S. 283.
Bernardini, Sebastiano del Piombo (M. H. Ber-
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celain being a translation of the T'ao Shuo
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served in the Department of Prints and
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Curti, Р. Notker, Karolingische Kirchen in Grau-
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Kénigreich Wirttemberg (Bergner), S
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Freise, Pieter Lastman (Bredius), S. 120—130.
Freys пече Vasari-Ausgabe (Biermann), 8.
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Gardner, Six Greek Sculptors (Köster), 8. 239.
Geiger, Benno, Maffeo Verona (Voß), 8. 380
bis 381.
Geisenheimer, Pietro da Cortona e gli affreschi
nel Palazzo РИЧ (Voß), S. 241—242.
у. Gerstfeldt und Steinmann, Pilgerfabrten in
Italien (Sauer), S. 243—244.
v. Geymüller, Architektur und Religion (Ant.
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Giovanni Gees Schriften und Briefe
(Kiesling), S. go.
Glick, Peter Bruegels des йа Gemälde im
kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien (Bier-
mann), S. 330— 331.
E. und J. de Goncourt, Stecher und Maler des
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Graul und Kurzwelly, Altthüringer Porzellan
(Zimmermann), 8. 381.
Grisebach, Der Garten (Н. Schmitz), 8. 28—29.
Habich, Das Gebetbuch des Mattháus Schwarz
(Róttinger), S. 200—201.
Hamann und Rosenfeld, Der Magdeburger Dom
(P. F. Schmidt), S. 32—35.
Handzeichnungen Alter Meister im Städel-
schen Kunstinstitut (Gronau), S. 280.
Hartmann, Die gotische Monumentalplastik in
Schwaben (P. F. Schmidt), S. 201—202.
Hermann, Curt, Der Kampf um den Stil (Czapek),
8. 137—138.
Hofmann, Theobald, Raffael in seiner Bedeu-
tung als Architekt (Haupt), S. 285—287.
Hofstede de Groot, Beschreibendes und kriti-
sches Verzeichnis der Werke der hervorragend-
sten hollándischen Maler des XVII. Jabrbunders
(Moes), S. 371—376.
Hy mans, Antonio Moro, son oeuvre et son temps
Freise), S. 378—381.
Italienische Forschungen (Geiger), S. 420 bis
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Justi, Michelangelo (K. Frey), 8. 37—40.
Kammerer, Zur Geschichte des Landschaftsge-
fúbls im frúhen XVIII. Jahrhundert (Michel),
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Kellermann, Ein Spaziergang in Japan (Sievers),
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Killermann, A. Dúrers Pflanzen- und Tierzeich-
nungen und ihre Bedeutung fiir die Naturge-
schichte (Н. David), 8. 376.
Klopfer, Paul, Von Palladio bis Schinkel (A. E.
Brinckmann), 8. 560—561.
Koch, Sichsische Gartenkunst (Grisebach), 8. 89.
Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt in vier
Jahrhunderten (Biermann), 8. 334.
Laban, Verstreut und gesammelt (J. Sievers) S. 467.
Lami, Dictionnaire des Sculpteurs de Ecole Fran-
çaise (Hildebrandt), 8. 130—131.
Laufer, Chinese pottary of the Han - Dynastie
(Zimmermann), 8. 331— 332.
у. Loga, Francisco de Goya (Diez), S. 42—43.
De Loo, Heures de Milan (Vitzthum), 8. 516—518.
Lorenz, Mailand (H. Schulze), 8. 91.
Madrazo, Catálogo de los cuadros del Museo del
Prado (Aug. L. Mayer), 3. 198.
Maier, Aug. Rich., Niclaus Gerhaert von Leiden
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Martin und Moes, Altholländische Malerei (Glück),
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Mayer, Anton, Das Leben und die Werke der
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S. 518—520.
Mayer, A. L., Toledo (у. Boehn), S. 241.
Meier, P.J., Braunschweig (P. F. Schmidt), S. 242.
Meurer, Vergleichende Formenlehre des Orna-
ments und der Pflanze (Lüthgen), 8. 138 — 140.
Modde, Unser-Lieben-Frauen-Kloster in Magde-
burg (P. F. Schmidt), S. 524—525.
v. d. Mülbe, Die Darstellung des jüngsten Ge-
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Kirchenportalen Frankreichs (Goldschmidt), S.
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Münsterberg, Chinesische Kunstgeschichte (Per-
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O’Donoghue, Catalogue of Engraved British Por-
traits preserved in the Department of Prints
and Drawings in the British Museum (Singer),
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Oldenbourg, Thomas de Keysers Tätigkeit als
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Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang
des Mittelalters. 4. und 5. Band (E. Stein-
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Peetz, Tizians schmerzensreiche Madonna, 8. 94.
Petites Monbgraphies des grandes églises
de la France (Grautoff), 8. 383—384.
Pfeilschifter, Die Germanen im römischenReiche
(Kreplin), S. 522—523.
v. Pflugk-Hartung, Kunstgewerbe der Renais-
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Pinder, Mittelalterliche Plastik Würzburgs (Swar-
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Plan, Jacques Callot, Maitre-Graveur(Nasse), S. 423.
Poppenberg, Das lebendige Kleid, 8. 94.
Preibisz, Martin van Heemskerck (Freise), S. 456
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Ricci, Geschichte der Kunst in Norditalien (Bier-
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Richter, The Mond Collection (Biermann), 8. 31
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Rodin, L’Art, Entretiens réunis par Paul Gesell
(Grautoff), S. 425.
Rolfs, Geschichte der Malerei Neapels (Suida),
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Sächsische Bildnerei und Malerei vom XIV.
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Schaller, Figurenbild und Landschaft (Freyer),
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Schegemann, Dr. Sylvia, Versuch einer Ent-
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Schlosser, Werke der Kleinplastik in der Skulp-
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Voß, Albrecht Altdorfer und Wolf Huber (Springer),
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Waldmann, Die Nirnberger Kleinmeister (J.
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Weese, Artur, Die Cisar- Teppiche (Otto Grau-
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Woer mann, Geschichte der Kunst aller Zeiten
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Wolff, Michael Pacher (Hamann), S. 279 — 280.
Worringer, Wilhelm, Formprobleme der Gotik
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Wünsch, Blasius Höfel, Geschichte seines Lebens
und seiner Kunst und Verzeichnis seiner Werke
(Sobotka), 8. 281 — 283.
Zemp unter Mitwirkung von Durrer, Das Kloster
St. Johann zu Münster in Graubünden (Lands-
berger), S. 199.
Zwanziger, Dosso Dossi (Gronau), 8. 189 bis
192.
— ——
——
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ABHANDLUNGEN
LUDWIG Peter vonderRennen u.
Andreas Schlüter. Mit 5 Abb. auf 5 Tafeln 8. 1
ERNST STEINMANN, Gainsboroughs Porträt
der Königin Charlotte von England im groß-
herzoglichen Schloße zu Ludwigslust. Mit
з Abbildungen auf 2 Tafeln S. 8
EMIL SCHAEFFER, Bildnisse der Caterina
Cornaro. Mit y Abbildungen auf 3Tafeln 8. 12
PAUL GUSTAV HÚBNER, Studien úber das
Verhältnis der Renaissance zur Antike. Mit
з Abbildungen auf r Tafel 8. 20
IGNAZ BETH, Der junge Cranach. Mit 6 Abbi-
dungen auf 2 Tafeln S. 24
LITERATUR
AUGUST GRISEBACH, Der Garten. Eine
Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung.
, is 8. 28
LUDWIG PASTOR, Geschichte der Päpste seit
dem Ausgang des Mittelalters. IV. Bd. х Abt.
Leo X. 2. Abt. Adrian VI. und Klemens УП.
5. Bd. Paul III. (Steinmann)....... 8. 29
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und Asthetik mittelalterlicher Architektur, Orna-
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seiner Werke (Frey) ..... 8. 37
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Medici-Kapelle (Frey) .......... 8.37
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(Geisberg) ................. 8. 40
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Kaiserhauses. х. Band. Bildwerke in Bronze,
Stein und Ton. 2. Band. Bildwerke in Hols,
Wachs und Elfenbein (Scherer) .... 8. 43
PAUL BRANDT, Sehen und Erkennen. Eine ver-
ı gleichende Kunstbetrachtung (Vollmer) 8. 45
Rundc hau 8. 46
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ie geschichtliche Würdigung der Kunst in den heute mit so lebhafter nationaler
Heftigkeit umstrittenen Ostbezirken der preußischen Monarchie muß ausgehen
von der hinlänglich erwiesenen Tatsache, daß diese Gegend bis ins XVII. Jahr-
hundert fast ausschließlich rezeptives Kolonialland fremder Kulturen gewesen ist,
— einer Tatsache, die von einsichtigen und :historisch gebildeten Nationalpolen
ebensowenig bestritten werden kann, wie von fanatischen Deutschtümlern der
Niederschlag solcher Kolonialkultur, soweit sie deutschen Quellen entstammt, in
seiner Bedeutung für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft überschätzt werden
sollte. —
Der deutsche Kunsthistoriker wird die Fäden, die sich von der früher entwickelten
Kultur des Westen shinüberspinnen zu der des slavischen Ostens, mit der gleichen
Gelassenheit und Unparteilichkeit verfolgen, mit der er den Einschlag slavischer
Sondereigentümlichkeiten auf ihren entwicklungsgeschichtlichen Wert abschätzt.
Die Aufnahme- und Anpassungsfähigkeit des eingesessenen slavischen Volksstamms
verdient eine ähnliche Anerkennung, wie die Aneignungskraft der Germanen aus
der überlegenen westlichen, d. h. romanischen Kolonialkultur des frühen Mittelalters
unsere Bewunderung erweckt. Es kommt ja bei dem Austausch von Bildungs-
werten nicht sowohl darauf an, von wem man lernt, als vielmehr darauf, was
man lernt, und was man mit dem Gelernten anzufangen versteht. Der Naturforscher
hat für ähnliche Vorgänge im Leben der Gesteine, Pflanzen und Tiere (Endosmose)
Gesetze aufgestellt, und ich bediene mich seines auch von Lamprecht angenommenen
Ausdrucks, wenn ich das endosmotische Äquivalent des Slaventums gegen-
über fremden Einflüssen als ein besonders starkes bezeichne, d. h. das Maß von
Selbsteigenem, was die Slaven preisgeben mußten, um Platz für die eindringenden
Kulturwerte zu gewinnen.
Zu den recht erheblichen Mitteln, die polnische Machthaber — weltliche wie
geistliche — seit je für bildende Kunst aufgewandt haben, stehen freilich die
Leistungen, die sie dafür eingetauscht, vor allem aber die dadurch erzielten Fort-
schritte eignen Könnens in recht unbefriedigendem Verhältnis. Der slavische Osten
wurde seit dem XV. Jahrhundert — und erst seit dieser Zeit kann man ja von einer
lebhafteren Wanderkunst und von exterritorialem Kunsthandel sprechen — als will-
kommenes Absatzgebiet für Waren angesehen, die in der westlichen oder südlichen
Heimat nicht mehr vollen Wert hatten; sie wurden dem rückständigen aber auf-
wändigen Geschmack der Polen angepaßt, und hier erschloß sich zahlreichen, da-
heim überschüssigen oder ungenügend versorgten Kunstkräften ein willkommener,
zeitweilig eifrig umworbener östlicher Markt. Im XV. und noch im Anfang des
XVL Jahrhunderts ist Deutschland, besonders Franken und Nürnberg — wegen
seiner lebhaften Handelsbeziehungen zu der polnischen Königsstadt Krakau — die
Nähfmutter polnischer Kunst; im XVI. Jahrhundert strömt dann — verhältnismäßig
früh — aus Oberitalien über Ungarn, Böhmen und Sachsen neue Künstlerkraft
nach dem Nordosten. Das Zeitalter König Sigismund I. und seiner Gemahlin aus
mailindischem Fürstenstamm zeitigt in Polen eine reiche, im wesentlichen italieni-
sche Renaissancekultur; die endgültige Identifizierung von Polentum
und Katholizismus, wie sie in der zweiten Hälfte des ЖУТ. Jahrhunderts nach
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 1. 1 1
sehr heftigen kirchen-reformatorischen Kiimpfen einen weltgeschichtlich bedeutsamen
Sieg der Jesuiten darstellt, verstärkt zunächst auch auf künstlerischem Gebiet
diese südlichen Einflüsse, die durch das Studium polnischer Theologen an italieni-
schen Universitäten andauernd Förderung erfahren. Die von Italien ausgehende
Barockkunst wird schließlich von Polen wie von einem dürren Schwamm gierig
aufgesogen. Deshalb ist diese Epoche der Kunstgeschichte für Polen und ins-
besondere die Provinz Posen — das ehemalige Großpolen — die reichste und er-
giebigste, obwohl der einstige Denkmälervorrat schon durch die Verheerungen der
Schwedenkriege in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts stark gelichtet wurde.
Aber auch in dieser Zeit des Barockstils lassen sich — zumal auf kunstgewerb-
lichem Gebiet — Spuren verfolgen, die unsere Aufmerksamkeit immer wieder nach
dem deutschen Westen lenken und gegen die künstlerische Eigenkraft des Ostens
berechtigte Zweifel erwecken. Im Norden Großpolens — in Danzig zumal, das
um seine reformiert-deutsche Haltung schwere Kämpfe durchfocht — treten, durch
den See- und Handelsverkehr erklärt, niederländische und niederrheinische
Kunsteinflüsse mit fortschreitender Erkenntnis immer unzweideutiger hervor. Danzig
aber blieb — zumal seine merkantile und kulturelle Entwicklung in der т. Hälfte des
ХУП. Jahrhunderts durch die Kriegsläufte weniger hart bedrängt wurde, als etwa die
der mittel- und süddeutschen Reichsstädte durch den 3ojáhrigen Krieg — für Polen
lange Zeit das Emporium und der Bezugsort wichtiger kunstgewerblicher Erzeug-
nisse, zumal hier die aus dem Westen auf dem Handelswege eindringenden An-
regungen auf ein technisch gut vorgebildetes und empfängliches deutschbürgerliches
Handwerk stießen, das auch schon in früheren Jahrhunderten wiederholt durch
Einwanderung niederrheinischer und niederländischer Künstler sich gestärkt hatte.
Die Abhängigkeit polnischer Kultur von diesem national zum mindesten indifferenten,
im wesentlichen aber deutschen Kunstzentrum an der Weichselmündung läßt
sich an zahlreichen Beispielen dieser Zeit unzweideutig erweisen. — Zwei dieser
Beispiele führen uns an die Stätten, an denen — auch heute noch — der katho-
lische Pole sein Mekka und Medina zu finden glaubt, nach Gnesen und Krakau
zu den Gräbern der Nationalheiligen: der reiche künstlerische Schmuck, den
polnische Geistliche den Grabstätten des H. Adalbert und des H. Stanislaus
in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts angedeihen ließen, entstammt der
gleichen Werkstatt eines danziger Silberschmiedes, dessen Vater aus dem
Rheinland seinen Wohnsitz an die Ufer der Mottlau verlegt hatte, weil hier ein
neues Absatzgebiet für Luxuskunst ohne allzu strenge Ansprüche an Feinheit der
Arbeit und Neuheit der Motive sich erschlossen hatte.
Reinhold von der Rennen aus Linn bei Krefeld (oder aus Lume, Kreis
Meschede?) tritt 1592 als Meister in die danziger Goldschmiedezunft, erwirbt im
folgenden Jahr das Bürgerrecht, und wird 1600—1619 wiederholt zum Altermann
(Dekan) der Goldschmiedegilde erwählt; er stirbt in seiner neuen Heimat 1626 als
Leiter einer vielgesuchten Goldschmiedewerkstatt und als Vater von 9 Söhnen, die
Danzig bereits als ihre Vaterstadt betrachten. (Czihak, die Edelschmiedekunst früherer
Zeiten in Preußen, Frankfurt 1908, II, S. 52 u. passim).
Von seinen Söhnen interessiert uns besonders der sechste, Peter von der
Rennen, der am 4. September 1607 geboren und im Handwerk seines Vaters
erzogen, eine hervorragende Stellung im Kunstleben des polnischen Ostens ein-
nehmen sollte. Er wird bereits mit 24 Jahren Meister, und seine Werkstatt erfreut
sich bald eines weit über die Bannmeile der Vaterstadt hinausgreifenden Zuspruchs.
Im Jahre 1644 bezahlt ihm das Domkapitel zu Frauenburg im Ermlande für
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Arbeiten an einem Sedile, also vermutlich einem silberbeschlagenem Bischofsstuhl,
432 Mark 15 Gr., und vielleicht dürfen wir auch die bereits 1640 einem ungenannten
danziger Goldschmied gemachte und im Rechnungsbuch des Domkapitels verzeichnete
Zahlung der erheblichen Summe von 3000 М. 15 Gr. auf diese sicherlich umfang-
reiche Grosseriearbeit beziehen. (Kolberg, Erml. Goldschmiede S. 27.) Sie ist
nicht erhalten, wahrscheinlich mit anderen Gold- und Silberschätzen im Schweden-
krieg der „öffentlichen Not“ geopfert d. h. eingeschmolzen worden. („publica
necessitate cessit“ sagt Rzepnicki von der 1633 durch Bischof Johann Albert ge-
stifteten goldenen Statue des H. Andreas im Frauenburger Dom.) Von Interesse
aber ist es zu erfahren, daß 1644 Wenzel Lesczynski soeben den Bischof-
sitz Ermlands bestiegen hatte, den er später mit dem gnesener Episkopat ver-
tauschen sollte. Er war ein besonders kunstfreundlicher Kirchenfürst, der dem
Frauenburger Dom u. a. einen goldenen Kelch und sechs silberne Kandelaber stiftete,
dem H. Antonius einen neuen Altar errichtete, die Kirche in Springborn sowie die
alten Ordensburgen in Seeburg und Rössel in Stand setzen ließ.
Im Jahre 1646 feierte man in Danzig mit großem Gepränge den Einzug der
Königlichen Braut Wladislaus’ IV., Maria Louise Gonzaga, von dem wir sehr aus-
führliche und anschauliche Beschreibungen besitzen!). Unter den vielen danziger
Kunsthandwerkern, die bei dieser Gelegenheit beschäftigt wurden, begegnet uns
wiederum Peter von der Rennen, der für 980 M. u. W. das „sehr schön silberne
Becklin“ lieferte, darin der Königin vom Rat der Stadt die Denkmünzen des
Festtages (von den Medailleuren Sebastian Dadler und Johann Höhn geprägt)
präsentiert wurden*). Auch eine in Augsburg gearbeitete silberne Fontaine mit
Vulkan und seiner Gesellschaft, die dem Königlichen Paar im Namen der Stadt
Danzig später in Warschau überreicht ward, wurde durch Vermittlung Peters von
der Rennen, der 1648 das Kaufmannsrecht gewann, beschafft. Ob er auch den
„silbernen Adler“ vor dem Absteigequartier der Braut auf dem langen Markt ange-
fertigt oder besorgt hat, wissen wir nicht, während wir über die zahlreichen andern
Festdekorationen des Stadtbildhauers Jürgen Münch, Adolf Boys u. a. aus zeit-
genössischen Berichten und Stichen des Jeremias Falck gut unterrichtet sind.
Das „sehr schön silberne Becklin“ ist vielleicht in der mit der Meistermarke
Rennens versehenen, ovalen Schale erhalten, die sich heute im Besitz des Frei-
herrn Schenk von Tautenburg auf Tautenburg, Kr. Angerburg O/Pr. befindet (S. Taf. т)
und dort als Familientaufbecken gilt, während die getriebene Darstellung des
Schüsselbodens: die Begegnung Alexander des Großen mit dem Hohenpriester vor
Jerusalem (nach der Schilderung des Flavius Josephus) zu solcher Bestimmung nicht
recht passen will (Czihak a. a. О. S. 39). Von dem Verbleib der silbernen Vulkan-
fontaine vermag ich nicht zu berichten; es ist aber bemerkenswert, daß trotz der
strengen danziger Zunftgesetze P. von der Rennen eine auswärtige und zwar augs-
burgische Silberschmiedearbeit für den hohen Preis von 11700 Mark heutiger
Währung dem Rat zum Kauf anbieten durfte, während sein Bruder Hans in dem
Anfang der dreißiger Jahre wiederholt mit der Innung wegen nicht ganz satzungs-
gerechter Geschäfte in Konflikt kam und als „Beschädiger des Werks“ (d. h. als
Bönhase) von der Zunft beim Rat verklagt wurde.
Von direkten polnischen Aufträgen an Peter von der Rennen hören wir dann
(x) A. J. Martini: Beschreibung Alles, was sich bei M. Gonzagas Einzuge in Danzig zugetragen.
Danzig, Q. Rhete. 1646. 4°.
(2) Zeitschrift des Westpreuß. Geschichtsvereins 22, S. 30.
erst wieder im Jahre 1662. Im Dom zu Gnesen genossen die Uberreste des
PreuBenapostels, des H. Adalbert seit jeher als Hauptheiltum der polnischen Metro-
politankirche — ob mit Recht oder Unrecht, bleibe hier unerörtert — hoher Ver-
ehrung. Der Steinsarkophag, in dem sie im XV. Jahrhundert beigesetzt waren, und
von dem sich noch Reste in Gnesen erhalten haben, ist ein Werk aus den Jahren
1480—86, vielleicht von dem auch sonst mit dem Domkapitel und dem Bischof
Sbigneus Olesnicki in Verbindung stehenden Hans Brand oder Hans Sniczer, der
1485 an der danziger Marienkirche beschäftigt war. (Hirsch, Marienk. 63 und
Sprawozdan. Komm. hist. stuck. VI. CIIL); — er sollte im ХУП. Jahrhundert durch
eine prächtigere, dem Stil und den Ansprüchen der Gegenwart Rechnung tragende
Arbeit ersetzt werden. Schon 1626 schenkte deshalb König Sigismund IIL, der
bekannte Restaurator der polnisch-katholischen Kirche, dem Kapitel einen тоо Pfund
schweren Silbersarg von hervorragend schöner Arbeit!), der aber 1655 von den
beutegierigen Schweden geraubt wurde. Seither bewahrte man die glücklich ge-
retteten Überreste des Heiligen oder, was man dafür hielt, in einem bescheidenen
hölzernen Schrein auf.
Im Jahre 1659 nun hatte eben jener kunstsinnige Wenzel Leszczynski, unter
dem das Frauenburger Kapitel dem Peter von der Rennen 1644 eine größere Zahlung
für einen Bischofsstuhl machte, die Kathedra Gnesens bestiegen und unmittelbar
nach seinem Amtsantritt auch seinen Freund Adalbert Pilchowicz, der 1600 ge-
boren, in Rom den Doktorgrad beider Rechte erworben und dann erst in den
Priesterstand eingetreteten war, aus Frauenburg in das gnesener Domkapitel berufen).
Dieser Adalbert Pilchowicz, von dessen kunstfreundlicher Gesinnung auch schon
ältere Stiftungen von Kirchenausstattung im Ermland (2. В. Migehnen 1649)?) zeugen,
stiftete nun seinem Namensheiligen einen neuen reichen Grabschmuck in Gestalt
eines Prachtsargs von 3 Ellen Länge und r!/, Ellen Breite aus gediegenem Silber,
der laut Inschrift ebenfalls von Peter von der Rennen in Danzig ausgeführt
wurde und heute noch eine Hauptsehenswürdigkeit des gnesener Doms ist (Taf. 2).
Auf dem Sargdeckel ruht in Pontificaltracht der Heilige, das Haupt auf die Rechte
gestützt, die zugleich das Märtyrerkreuz faßt, während die Linke ein Buch hält.
Vier reizende Cherubköpfchen flankieren den Deckel an den Ecken. Der Körper
des Sarges ruht auf sechs gekrönten Adlern, über denen Engelhalbfiguren auf-
steigen, und ist ebenso wie die Schrägflächen des Deckels mit insgesamt то ge-
triebenen Reliefs bedeckt, die Szenen aus der Legende des Heiligen darstellen. —
Ikonographisch interessant ist die Auswahl dieser malerisch frei komponierten
Szenen, von denen sieben mit den Darstellungen der Legende auf den bekannten
romanischen gnesener Erztüren korrespondieren, während drei neu hinzutreten; und
zwar: sein Einzug in Prag, die Speisung von 12 Armen, der Besuch Kaiser Otto III.
in Gnesen und die Belohnung des Boleslaus Chrobry mit der Königswürde, von der
die ältesten Quellen nichts berichten.
Dies Werk, das von der Kunst unseres Meisters das riihmlichste Zeugnis ablegte,
und dem 1681—84 noch ein Tabernakelbau frei nach Berninis Peterszelt (1633)
hinzugefügt wurde, muß wohl bald nach seiner Aufstellung allgemeine Bewunderung
erweckt haben; denn als man sieben Jahre später im Krakauer Dom für die
(т) Arch. Capitul. Gnesens. Brief des Königs und Dank des Kapitels. в. Korytkowski, Pralacy
Gnes. Ш. 212 Anm,
(a) Korytkowski, Pralaci Gnieznienski III, 211 Anm.
(3) Z. f. christl. K. III, 115.
4
Uberreste des dort beigesetzten Heiligen Stanislaus ebenfalls eine wiirdige neue
Aufbewahrungsstätte zu beschaffen plante, da der ältere Silbersarg, ein Geschenk
Sigismund III., das Wladislaus IV. 1633 überwiesen hatte, wie der gnesner schon
1657 schwedischer Beutelust zum Opfer gefallen war, wandte sich der krakauer
Domherr Alexander Magnuski, der bis 1647 in Gnesen amtiert hatte, im Auftrag
des Domkapitels ohne weiteres an die bewährte Werkstatt Rennens. — Am 2. Mai
1669 wurde in Danzig, wohin Magnuski das Rohmaterial (Tafelsilber des Bischofs
Peter Gembicki + 1657) persönlich überbracht hatte, ein Kontrakt mit dem Meister
über diese Arbeit aufgesetzt, deren Vollendung er allerdings nicht mehr erleben
sollte. Das Kapitel verpflichtete sich zur Lieferung des Rohmaterials; für die
gröbere Arbeit (Grosserie) wurden 8, für die feinere (Minuterie) 12 Gulden pro
Mark des Silbergewichts bezahlt. Eine zweijährige Lieferfrist wurde vereinbart.
Insgesamt zahlte man schließlich 14 300 Gulden für die Arbeit an seine Witwe;
denn am 9. August desselben Jahres 1669 schloß Peter von der Rennen seine Augen
für immer, und erst im Juni 1671 konnte die letzte Arbeit seiner Werkstatt, an der
sicherlich zahlreiche Gesellenhände mitgewirkt hatten, in Krakau aufgestellt
werden’).
In Aufbau und Anordnung dem gnesener Silbersarkophag ähnlich, zeigt der
Krakauer insofern eine Abweichung, als der Deckel nicht mit der Figur des Heiligen,
sondern nur mit dessen Abzeichen, — dem Wappen Prus — dem Kreuz und Bischofs-
stab nebst der von zwei Engeln gehaltenen Mitra geschmiickt ist. Reicher in je
fünf Szenen der Legende gegliedert sind die Längsseiten des Sargkörpers, der nicht
wie in Gnesen auf gekrönten Adlern ruht, sondern von vier sehr eindrucksvollen,
pathethisch bewegten Engelsgestalten getragen wird. Besonders aber die Gliederung
des Sarkophags selbst bekundet gegenüber dem gnesener Werk einen merklichen
Fortschritt des Formensinns. Auch er wurde mit einem prunkvollen Tabernakel
versehen und zum Altar eingerichtet (Taf. 3).
Die Frage nach der kunsthistorischen Stellung, die diese materiell so
wertvollen, ideell so innig mit dem religiösen Volksbewußtsein der Polen ver-
knüpften Werke der Edelschmiedekunst beanspruchen dürfen, ist noch nicht
berührt worden. Man hat sie bisher als durchaus einzelstehende, die Pracht-
liebe slavischen Kunstsinns im XVIL Jahrhundert ganz besonders kenn-
zeichnende Schöpfungen kirchlicher Ausstattungskunst bezeichnet, denen
sich allenfalls noch das Nepomukgrab im Prager Dom, eine Silberarbeit des
Johann Joseph Wuerth aus Wien nach Modellen von Antonio Corradini und
Fischers von Erlach aus dem Jahre 1736 — wiederum ein Zeugnis slavischer
Prunksucht — anreihen lasse. (Czihak a. a. O. S. 40.) Bei näherer Prüfung des
allerdings noch wenig gesichteten Vorrats kunstgewerblicher Denkmäler aus dem
ХУП. Jahrhundert stellt sich jedoch heraus, daß die geschilderten Arbeiten deutscher
Silberschmiede in Gnesen, Krakau und Prag sich durchaus folgerichtig in die Ent-
wicklung des ganzen Kunstzweigs einreihen lassen, und daß es keineswegs be-
sonderer Erklärungsgründe bedarf, um ihre Form, ihren Aufwand an künstlerischer
Gestaltungskraft in das rechte historische Licht zu rücken.
Peter von der Rennen entstammte einer rheinischen Goldschmiedfamilie.
Das Rheinland aber ist die klassische Heimat prunkvoller Reliquienschreine seit dem
frühen Mittelalter. Auch aus dem Jahrhundert unseres Meisters selbst, nämlich aus
(x) Spraw. Komm. hist. stuki III. 36.
dem Jahre. 1633 birgt der Еб1пег Domschatz eine kostbare Arbeit der Art, den
Silberschrein des Н. Engelbertus, der uns wie ein unmittelbarer Vorläufer der
polnischen Silbersärge Rennens anmutet (Taf. 4). Er ist eine Arbeit des kölner Gold-
schmieds, Miinzwardeins und Ratsherrn Konrad Duisbergh, von dem man auBer dieser
im Charakter der Spätrenaissance gehaltenen Arbeit bisher nichts kennt. Ein merk-
würdiger historischer Zufall nun — mehr wage ich bisher nicht zu sagen — ist
es, daß der Nachfolger dieses Konrad Duisbergh im Rathstuhl zu Köln 1644 der
Goldschmied Hans Wilhelm von der Rennen wurde!). Ein Bruder Peter von
der Rennens mit diesem Vornamen hatte sich, wie wir hörten, in Danzig anfangs
der 30er Jahre in der Zunft unbeliebt gemacht — sollte er nach der alten Heimat
am Rhein zurückgewandert sein? Meine Bemühungen, hier durch die Akten des
kölner Stadtarchivs völlige Klarheit zu erlangen, haben bisher zu keinem bündigen
Ergebnis geführt. Trotzdem scheint es mir nicht zu kühn, solche möglichen Be-
ziehungen zwischen Köln und Danzig auch dahin auszudeuten, daß das prunkvolle
Werk Duisberghs Peter von der Rennen als Vorbild für seine Aufträge diente.
Denn das bestätigt der Augenschein.
Wie aber hier in einer rheinischen Arbeit die Quelle für die Gestaltung der
Prachtsarkophage in Gnesen und Krakau zu vermuten ist, stoßen wir auch in der
näheren Umgebung Peter von der Rennens auf Schöpfungen, die zu seinen Leistungen
in Parallele gestellt werden können.
Das künstlerische Milieu Danzigs im XVIL Jahrhundert dürfen wir heute
bereits — obwohl immer noch viel Arbeit zur völligen Klarstellung der Verhältnisse
im einzelnen zu tun bleibt — verhältnismäßig hoch einschätzen. Es war das Zeit-
alter des Astronomen Johannes Hevelius, dessen überragende Bedeutung selbst
die Aufmerksamkeit des damals allmächtigen französischen Hofs nach den fernen
Ufern der Weichsel lenkte. Maler, wie Adolf Boy (+ 1677), Daniel Schultz
(+ 1686), Andreas Stech (+ 1697), Kupferstecher, wie Jeremias Falck (f 1653),
Wilhelm Hondius (F 1652), Medailleure, wie Johann Höhn (+ 1693), Se-
bastian Dadler (1647) — um nur einige Namen von hellem Klang zu nennen —
wirkten damals in Danzig. Auf dem Gebiet der Bildhauerkunst — und sie wird
der Silbertreibarbeit im Großen doch wohl meist die Modelle geliefert haben —
begegnet uns außer Caspar Gockheller, Wilhelm Richter, Christian Roth,
Jürgen Münch, Peter Ringering, Gerhard Rogge auch der Name von David
Sapovius — bisher ein ungreifbares Phantom: aber dieser einstweilen nur durch
Berichte des ХУШ. Jahrhunderts bekannte Name gewinnt Leben und Bedeutung
durch die Überlieferung, daß kein Geringerer als Andreas Schlüter in seiner
Werkstatt die Anfangsgründe der Bildhauerkunst erlernt haben soll. Erst die Funde
von Blech, Cuny und Frydrichowicz aus den letzten Jahren haben die Vermutung,
daß Andreas Schlüter, der Schöpfer des Großen Kurfürsten und des Königlichen
Schlosses in Berlin, in Danzig und zwar schon im Jahr 1634 am 5. März als
Sohn eines gleichnamigen Bildhauers geboren ist, zur fast unanfechtbaren Tat-
sache erhoben?). Und so ist es nicht unwahrscheinlich, daß Peter von der Rennen
als älterer Zeitgenosse und Mitbürger Schlüters, von dessen Jugendwerken wir vor-
läufig noch recht unzulängliche Kenntnis haben, auch die Kraft des hier aufkeimen-
den bildnerischen Genies früh erkannte und zu ihm in Beziehung trat. Nicht, daß
ich etwa die Sarkophage in Gnesen und Krakau als Schöpfungen Schlüters pro-
(1) Merlo, Kölnische Künstler, р. 201.
(2) Cuny, Danzigs Kunst und Kultur im XVI. und ХУП. Jahrhundert. Frankfurt а/М. тото. S. 107.
:6
klamieren wollte; ich stelle mir die Sache so vor: an Peter von der Rennen, den
erprobten Goldschmied und geschäftskundigen Kaufmann, gelangten die großen Be-
stellungen der polnischen Geistlichkeit, die ihm ganz ungewohnte Aufgaben —
mehr Aufgaben eines Bildhauers als eines Silberschmieds — zumuteten. Wie man
früher in der Goldschmiedewerkstatt die Vorlagen der Kupferstecher benutzte, so
blickte man im XVII. Jahrhundert sicherlich mit offenem Auge auf die Schöpfungen
der großen Kunst und suchte sich hier Rat, wenn es galt, besonders eindrucksvolle
und über das Durchschnittsmaß der Werkstattarbeit hinausgehende Aufgaben |zu
lösen. Da mag denn auch in Rennens Werkstatt etwas von dem Geist Schlüter-
schen Schaffens eingedrungen sein.
Diese Auffassung erscheint umsomehr gerechtfertigt, wenn man die späteren
Arbeiten Andreas Schlüters auf gleichem Gebiet betrachtet: die vergoldeten Zinn-
särge in der Hohenzollerngruft des berliner Doms, insbesondere die Sarko-
phage des ersten preußischen Königs Friedrichs I. (+ 1713) und seiner Gemahlin
Sophie Charlotte (+ 1705). Letzterer ist als Arbeit Andreas Schlüters durch den Stich
Bernhard Rodes beglaubigt; aber auch für den Sargkönig Friedrichs I. hat Borrmann
(Baudenkmäler Berlin з. S. 167) Schlüters Urheberschaft, ohne Widerspruch zu
finden, nachgewiesen. Hier nun (Taf. 5) erinnern Einzelheiten, wie die Bildung
der Adler, vor allem aber die Anordnung und der Aufbau des Ganzen lebhaft an
die oben besprochenen Sarkophage der polnischen Nationalheiligen, wenn auch der
Fortschritt zu freierer, geläuterter Formenauffassung unverkennbar ist.
Die Zinnsärge der polnischen Herrscher der Zeit, insbesondere König Wladislaus’ IV.
(+ 1649) in der Krypta des krakauer Doms, werden von polnischen Forschern,
wie Maryan Sokotowski, als danziger Arbeit angesprochen. Sollte nicht hier,
wie in so manchen polnischen Barockarbeiten der Zeit, z. B. dem wuchtigen
Reliquiar des Н. Valentin in der Marienkirche zu Krakau, auch ein Funke schlüter-
schen Genies friih geziindet haben?
Anf solche Fragen kann erst eine tiefer eindringende und schärfer nachprüfende
Forschung antworten; ich glaube jedoch, daß jede Arbeit, die an die bisher mit
Unrecht vernachlässigten, als undankbar und unlohnend angesehenen Aufgaben der
Kunstgeschichte des deutschen Ostens gewendet wird, sicher zu weit bedeut-
sameren Aufschlüssen führen kann und führen wird, als den hier angedeuteten, und
würde mich freuen, wenn diese Zeilen zu solcher Arbeit anregten.
GAINSBOROUGHS РОЕТЕАТ DER KÓNIGIN
CHARLOTTE VON ENGLAND IM GROSS.
HERZOGLICHEN SCHLOSSE ZU LUDWIGS-
LU ST Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von ERNST STEINMANN
ls der englische Historiker Thomas Nugent, um Material fiir den zweiten Band
seines „history of Vandalia“ zu sammeln, im Herbst des Jahres 1766 Mecklen-
burg bereiste, fiihrte ihn sein Weg auch an den Hof von Ludwigslust. Hier wurde
er von dem regierenden Herzog Friedrich und seiner Gemahlin Luise Friederike
aufs huldvollste aufgenommen und während seines kurzen Aufenthaltes in der
stillen Residenz gastlich bewirtet. In seinen Travels through Germany, die im
Jahre 1768 in London und 1781 in deutscher Übersetzung in Berlin erschienen,
hat Nugent seiner Dankbarkeit für den Empfang, den er in Mecklenburg gefunden
hatte, ein Denkmal gesetzt!).
Die Auszeichnungen, die Nugent an den beiden Höfen von Strelitz und Schwerin
zu teil wurden, hatte er wohl weniger seinem Ruhm als Gelehrter als dem Um-
stande zu verdanken, daß damals eine Mecklenburgische Prinzessin auf dem Thron
von England saß. Am 8. September 1761 hatte sich die damals siebenzehnjährige
Prinzessin Sophie Charlotte, die Schwester des erst seit wenigen Monaten zur
Regierung gelangten Herzogs Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz, mit dem
jungen König Georg Ш. von England vermählt.
Queen Charlotte, die äußerst volkstümliche Beherrscherin der Britten, die sich
mit Marie Antoinette von Frankreich in den Ruhm teilt, von allen Fürstinnen jener
Zeit am häufigsten von den größten Malern der Zeit porträtiert worden zu sein, diese
schlichte und leutselige Königin, die ihrem Gatten schnell eine große Schar von
Kindern gebar, erfreute sich auch am Hofe zu Ludwigslust besonderer Beliebtheit.
Man erkundigte sich aufs angelegentlichste nach ihren Ergehn und zeigte Herrn
Nugent eine kiinstliche Spieluhr als Geschenk der Königin an den Herzog, der es
besonders bedauerte, „diese liebenswürdige Fürstin niemals persönlich kennen ge-
lernt zu haben, da sie doch mit seinem ganzen Hause so nahe persönliche Be-
kanntschaft hätte!).
Bei solchen vertrauten Beziehungen zu den Höfen von Mecklenburg kann es
nicht Wunder nehmen, daß Nugent auch das Porträt seiner Landesfürstin in Lud-
wigslust wiederfand. Ein Bild der Königin in des Herzogs Kunstkabinett nennt er
zum Sprechen ähnlich, und zwei andere Gemälde von Sophie Charlotte zeigte ihm
die Herzogin selbst in ihren Gemáchern. Leider weiß er nichts von ihnen zu sagen
als daß das eine „sehr groß“ und das andere nur „klein“ war“).
Und doch dürften gerade diese Angaben genügen, wenigstens die beiden letzt-
genannten Bildnisse zu identifizieren. Das kleine Brustbild der Königin ohne Hände
(х) Thomas Nugent, Travels through Germany with a particular account of the courts of Mecklenburg.
Two volumes. London 1768. — Thomas Nugents Reisen durch Deutschland und vorzúglich durch
Mecklenburg, aus dem englischen úbersetzt (von Franz Chr. Lor. Karsten). Berlin und Stettin bei
Friedrich Nicolai 1781.
(2) A. a. O. 233 und р. 244.
(3) A. a. O. p. 248.
8
wurde von Georg David Matthieu gemalt und wird jetzt im Schweriner Museum
bewahrt!); das lebensgroße Porträt aber ist eine wohlerhaltene und sehr charakte-
ristische Arbeit des großen Gainsborough. Es hängt noch heute im Königs-Zimmer
des Schlosses zu Ludwigslust?).
Gustav Pauli und Konrad Lange haben vor einigen Jahren die wenigen Gemälde
zusammengestellt, die sich von Gainsborough in Deutschland befinden?). Es sind
außer zwei Landschaften in Kassel und München vor allem Porträts der englischen
Königsfamilie, die in den Schlössern von Herrenhausen und Arolsen und im Museum
von Stuttgart bewahrt werden. Unter ihnen finden sich nicht weniger als drei
Porträts der Königin Charlotte; in Arolsen das Brustbild der Königin mit dem
Häubchen, von dem in England mehrfach Wiederholungen vorkommen, in Stuttgart
und Herrenhausen das gleiche lebensgroße Bildnis der Königin, das sich gleichfalls
noch in England in Kopien erhalten hat.
Von dem Porträt der Königin in Ludwigslust dagegen findet sich im allgemein be-
kannten Lebenswerk des Meisters keine Wiederholung, wenn auch anzunehmen ist,
daß sich in den Schlössern und Landhäusern Englands noch ein zweites oder drittes
Exemplar erhalten hat. Das Gemälde erscheint schon wegen seiner Dimensionen“)
wie geschaffen für eine Ahnengalerie in Buckingham-Palace oder Windsor-Castle, und
Gainsborough selbst hat die Königin wohl niemals wieder in so vornehmer Pose,
in so königlich-pomphafter Toilette gemalt wie hier.
Äußerlich ist das Gemälde besser beglaubigt, als die meisten Werke Gains-
boroughs, der seine Bilder fast niemals bezeichnete. Es trug nämlich auf dem alten
Blendrahmen, der im Jahre 1890 erneuert wurde, die Bezeichnung: Gainsborough px.
London5). Aber auch wenn dies Porträt nicht bezeichnet wäre, man würde die
Kunst des Meisters, seine unnachahmliche Eleganz, seine feine Beobachtungsgabe,
seine Fähigkeit, das typische des Charakters festzuhalten und doch das häßliche
zu unterdrücken, man würde alle diese echten Werte einer großen Künstler-
individualität in dem Ludwigsluster Bilde nicht verkennen können. Man sehe nur,
wie der mecklenburgische Hofmaler Matthieu oder der Engländer Allen Ramsay
wenige Jahre früher dieselbe Frau gemalt haben*). Matthieu allerdings zeigt sich
bestrebt die Häßlichkeit des Mundes zu mildern, den Ausdruck der Augen zu be-
leben, und er versöhnt uns durch seine glänzende Stoffmalerei. Im Krönungsbilde
Ramsays aber, das sich in drei Wiederholungen in London, in Neustrelitz und in
Wilhelmshöhe erhalten hat, erscheint die Gemahlin Georgs III. ohne jeden persön-
lichen Reiz in überraschender Häßlichkeit.
In Reynolds berühmter Gedächtnisrede auf den großen Rivalen, die gleichsam
den Grund gelegt hat für Gainsboroughs Unsterblichkeit, wird als besondere Qualität
(т) Es hängt unter Nr. 6425 im großen Saal der keramischen Sammlung.
(2) Die Erlaubnis zur Aufnahme und Reproduktion hat S. K. H. der Großherzog von Mecklenburg-
Schwerin allergnädigst erteilt.
(3) Zeitschrift für bildende Kunst N. F. XVI (1905) р. 14ff. Vgl. auch Konrad Langes mustergültigen
Katalog der Gemäldesammlung im Museum der bildenden Künste in Stuttgart. Stuttgart 1907 p. 154.
(4) Höhe 2,39 m. Breite 1,57 m.
(5) Diese Inschrift wurde auf dem neuen Blendrahmen kopiert mit folgender Bemerkung: Neben-
stehende Bezeichnung ist vom alten Blendrahmen. C. Malchin
1890.
Unten links steht auf einem Zettel: auf der Riickseite bz. Gainsborough px. London.
(6) Matthieu hat die Königin noch einmal in weißer Atlastoilette mit Hermelinmantel in halber Figur
gemalt. Das Bild wird im Schlosse Gripsholm in Schweden bewahrt.
seiner Kunst die Eigenschaft gertihmt „of forming all the parts of his picture
together; the whole going on at the same time їп the same manner as nature
creates her works). Diese Einheitlichkeit der Behandlung, dies Stimmen aller
Farbenwerte auf einen Ton, diese dem Auge so unendlich wohltuende Harmonie
leicht ineinander flieBender Túne zeichnet auch das Ludwigsluster Bild aus. Die
steife Galarobe der Königin erscheint als ein duftiges, weißes Gewebe aus durch-
sichtigem Mull mit goldgelbem Einschlag gesponnen. Und doch wirkt der un-
geheure Reifrock noch so aufdringlich, daß dem Beschauer die höheren künstlerischen
Werte des Bildes leicht entgehen können. Diese finden sich in der zarten und
überaus fein durchgebildeten Behandlung des rosig angehauchten Gesichtes, über
das sich turmartig die weißgepuderten Haare mit dem silbergrauen Kopfschmuck
aufbauen, sie finden sich auch in dem scheinbar nur flüchtig gemalten, schlanken,
weißen Händen, die man sich in einer so vollkommenen Vereinigung von Frauen-
anmut und Fürstenwürde überhaupt nicht anders denken kann. Wie eine leichte
Sommerwolke legt sich das Schleiertuch über Schultern und Busen und die Perlen-
schnüre am Hals und um die Arme ruhen kaum sichtbar auf der zarten weißen Haut!).
Im dämmernden und völlig skizzenhaft behandelten Hintergrunde, von dem sich
die Gestalt der Königin so leuchtend wie ein Perlenschmuck von dunklem Seiden-
stoffe abhebt, sieht man rechts einen blaßroten Vorhang herniederfallen, links öffnet
sich der Blick in eine Gartenlandschaft mit jenen grünen Gebüschen, deren satte
Töne Gainsborough den großen Flamen entlehnt zu haben scheint, und die doch
ganz sein Eigentum geworden sind?).
Wann wurde dies Porträt gemalt? Wenn es die Herzogin Luise wirklich schon
im Spätherbst 1766 dem englischen Gaste zeigen konnte — und ein anderes lebens-
großes Bildnis der Königin scheint tatsächlich niemals im Ludwigsluster Schloß
existiert zu haben — so besitzen wir hier den terminus ad quem. Da nun die
junge Prinzeß von Mecklenburg, wie gesagt, im Herbst des Jahres 1761 dem un-
längst zur Regierung gelangten König Georg vermählt wurde, so müßte Gains-
borough dies Porträt etwa in den Jahren 1764—65 gemalt haben, als sich schon
die ganze hohe englische Aristokratie von ihm in dem Modebade Bath porträtieren
ließ. Daß man bei Hofe schon in jenen Jahren auf den jungen Künstler aufmerk-
sam geworden war, beweist die Bewunderung Georgs III. für das im Jahre 1765
ausgestellte Reiterporträt des Generals Honywood*), beweist auch der Umstand,
daß Gainsborough damals eins der königlichen Kinder porträtiert haben soll, viel-
leicht den bereits am 12. August 1762 geborenen Prinzen von Wales’).
(1) Discourses delivered to the students of the royal Academy by Sir Joshua Reynolds. Ed. Roger
Frey. London p. 379.
(2) Leider hängt das Bild nicht günstig, und ich muß bekennen, daß es mir trotz mehrfacher Besuche
in Ludwigslust nicht gelungen ist das Porträt in wirklich guter Beleuchtung zu sehen. Trotzdem
darf ich hoffen, daß sich gegen die Einschätzung der Qualität dieses Gemäldes kein Widerspruch er-
heben wird. Gelegentlich der Matthieu-Ausstellung im Schweriner Museum im Frühling 1911 wird
sich für Jedermann die Gelegenheit bieten vielleicht das beste Porträt von Gainsborough, das wir in
Deutschland besitzen, eingehend zu studieren.
(3) Es ist interessant zu beobachten, daß Gainsborough diesen Hintergrund in den Gemälden der
Königin in Stuttgart und Herrenhausen einfach kopiert hat. Er führte ihn dort nur sorgfältiger aus,
während er hier absichtlich die ganze Aufmerksamkeit auf das Porträt konzentrieren wollte. Das
Stuttgarter Bildnis ist nach Konrad Lange um 1780, das Herrenhäuser noch später gemalt.
(4) Vgl. Ө. Pauli, Gainsborough in Velhagen und Klasings Kiinstlermonographien. Leipzig 1904, р. 22.
(5) К. Lange a. a. О. р. 20.
10
Läßt nun das Gemälde selbst eine so frühe Datierung zu? Sophie Charlotte war
im Jahre 1744 geboren, im Jahre 1764 also erst 20 Jahre alt. Wenn es nun auch
bei den Frauenporträts Gainsboroughs besonders schwer hält, das Alter zu be-
stimmen, so würde ein Unbefangener doch die Königin auf diesem Gemälde für
älter halten als 20 oder höchstens 21 Jahre. Bedenkt man aber, daß diese Frau
bereits Mutter war, erwägt man, wie sehr ihre Staatstoilette — die gepuderten,
hochgekämmten Haare und der unfórmliche Reifrock — ihrer Jugend Abbruch tun
mußten, so dürfte trotz allem gegen eine so frühe Datierung nichts ernstliches ein-
zuwenden sein. Einer Königin gegenüber — eben weil sie noch so jung war —
fühlte der Künstler eben die Verpflichtung vor allem die sichere Eleganz der vor-
nehmen Frau, das Typische der Herrscherin, die Wiirde der Fiirstin zu betonen
Trotzdem hat Gainsborough die Königin Charlotte niemals wieder so jung, so un-
beriihrt von den wechselnden Schicksalen des Lebens dargestellt wie im Ludwigs-
luster Bilde. Hier finden wir noch nichts von den blassen durchsichtigen Farben
und dem miiden Ausdruck der späteren Jahre.
Allerdings ist die Frage nach der Entstehungszeit des schönen Bildes damit noch nicht
endgiilig entschieden, und auch sonst bleiben noch mancherlei Fragen unbeantwortet.
Vor allem gilt es festzustellen, ob sich in England noch Wiederholungen dieses
Bildnisses finden, und bei welchem AnlaB gerade der Schweriner Hof durch eine
so kostbare Gabe ausgezeichnet worden ist. Denn selbst im väterlichen Schlosse
der Königin in Neustrelitz findet sich kein Porträt von ihr, das sich dem Ludwigs-
luster Bilde entfernt vergleichen ließe. Die Bildnisse von Sophie Charlotte, die
sich dort von Allan Ramsay, Rosina Liscewska und Angelica Kaufmann erhalten
haben, sind Durchschnittsleistungen, die vielleicht äußerlich die Züge der Königin
treulich wiedergeben, von der Güte ihres Wesens aber und dem angeborenen
fürstlichen Anstande, der sie auszeichnete, nichts zur Darstellung bringen.
11
BILDNISSE DER CATERINA CORNARO
мыл: Von EMIL SCHAEFFER
iner Zauberformel gleichen die Worte „Caterina Cornaro.“ Wir sprechen
sie aus und augenblicks enttauchen dem Dunkel der Vergessenheit Bilder
voll opernprunkhafter Herrlichkeit. Freilich, an keinen Menschen denken wir
dabei, an keine Persönlichkeit, sondern nur an glitzernde Dekorationen. Denn
diese Gentildonna hat niemals die Wage ihres Schicksals in eigener starker Hand
gehalten, sich nicht geformt im harten Ringen wider die anderen und das eigene
störrische Blut; sie war eine Königin, aber nicht des Lebens, sondern nur auf dem
Schachbrett der venezianischen Politik und darum empfinden wir, fast ein halbes Jahr-
tausend nach ihrem Tode, Caterina Cornaro nicht mehr wie einen Menschen, der
atmete gleich uns, nicht einmal wie das beseelte Geschöpf eines Dichters, sondern
nur noch wie die schemenhafte Heldin eines Librettos aus Donizettis melodien-
frohen Tagen, und ihr ganzes Erdendasein scheint uns heute in fünf Akte teilbar,
die von pompösen Finali gekrönt werden. Ecco lo scenario dell’opera:
Agostino Barbarigo, Doge von Venedig
Marco Cornaro, ein venezianischer Patrizier
Giorgio Cornaro, sein Sohn
Caterina Cornaro, seine Tochter
Giacomo di Lusignan IL, König von Cypern, ihr Gatte
Venezianische Patrizier und deren Frauen, Verschworene, Volk von Cypern, die
Hofdamen und Pagen Caterinas. Der erste, dritte und fünfte Akt spielen in Venedig,
der zweite auf Cypern, der vierte in Asolo.
Erster Akt: Saal im Dogenpalast. Die erlauchte Republik Venedig adoptiert Cate-
rina, die vierte Tochter des edlen Herrn Marco Cornaro und vermählt die Vier-
zehnjährige in feierlichster Form einem Abgesandten Giacomos II. von Cypern, der
freilich erst vier Jahre später, anno 1472, zu Famagusta die Braut umarmen wird.
Zweiter Akt: Auf Cypern. Nicht lange währt Caterinas Liebesgliick. Kaum acht
Monate nach der eigentlichen Hochzeit stirbt der ebenso schöne wie gewalttätige
Lusignan und bald begräbt Caterina auch den Sohn, der wenige Wochen später
zur Welt kam. Intriguen und Verschwörungen suchen ihrem schwachen Frauenarm
das Scepter zu entwinden, König Ferdinand von Neapel und der Sultan von
Ägypten möchten ihre Banner auf das Kastell von Famagusta pflanzen; aber
Venedig macht durch einen raschen Handstreich all’ diese Pläne zuschanden;
Caterinas eigener Bruder Giorgio muß die Königin durch Bitten, mehr noch durch
Drohungen bestimmen, der süßen Gewohnheit des Herrschens entsagend, nach der
Heimat zurückzukehren. Am neunzehnten März des Jahres 1489 verläßt Caterina
Cypern, das nunmehr dem Löwen von San Marco als Beute verbleibt. Beim Ab-
schied von den Getreuen bewahrt die Wankende noch mühsam ihre Haltung; als
jedoch die Anker gelichtet werden, bricht sie ohnmächtig zusammen.
Dritter Akt: Gleich einer Siegerin empfängt Venedig die heimgekehrte Tochter:
Auf dem Bucintoro fahren ihr der Doge und die gesamte Signorie bis zum Lido
entgegen, hunderte von purpurgeschmückten Gondeln, in denen Patrizierinnen sitzen,
umschwärmen das Staatsschiff; als Caterina an der Piazzetta landet, donnern die
Kanonen und sämtliche Glocken läuten!) ... dann treten die Senatoren alle in feierlicher
(x) S. die Beschreibung von Caterinas Einzug bei Bembo: „Della istoria Viniziana“. In Vinegia MDCCXC,
T. I, p. 30.
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Prozession vor den Altar des heiligen Marcus; an dieser geweihten Stätte nimmt die
blonde Frau im schwarzen Witwenkleide die Krone Cyperns von ihrem Haupte und legt
sie „als freiwilliges Geschenk“ in die greisen Hände des Dogen Agostino Barbarigo
nieder.
Vierter Akt: Caterina, gewohnt an „königliche Lebensführung und königliche
Ehren“), zieht sich in die trevisaner Mark nach dem freundlichen Asolo zurück,
das ihr die Republik als Geschenk verehrte, und lebt hier nunmehr den Rest ihrer
Tage, umgeben von Kavalieren, Poeten und lachensfrohen Mädchen als Fürstin
eines Musen- und Minnehofes. Wenn Jiinglinge und Jungfrauen zwischen den
schattenden Lorbeerbäumen oder den dunklen Ginsterbüschen des SchloBparkes?)
in klugen Reden das Wesen der Liebe zu ergründen suchen, nacktes Begehren ins
Gewand der Philosophie kleidend, so lächelt Caterina, milde verstehend; sie selbst
aber bleibt kalt gegenüber dem Locken fremder Gluten und der eigenen Sinne,
verteilt Almosen unter die Bedürftigen und liest die Schriften heiliger Väter. —
Fünfter Akt: Die Verbündeten von Cambray haben der Republik Verderben
geschworen, von allen Seiten ziehen Heerhaufen heran, vor Padua liegen
die Kaiserlichen, das Toben des Kampfes verscheucht die Troubadoure aus
den Hainen Asolos, erschreckt flüchtet Caterina nach Venedig, die Tochter zur
Mutter, und hier, im Familienpalast der Cornari bei San Cassiano, stirbt am 10. Juli
des Jahres 1510 Caterina, „рег la Dio gracia Reina di Jerusalem, Cipri et Armeniae“,
Aphrodite kehrt zum Olymp zurück, von dem sie herabgestiegen war, um in Gestalt
dieser Venezianerin noch einmal der meerumrauschten Heimat zu gebieten?).
So ist mehr als einmal gesagt und geschrieben worden; aber glich Caterina
wirklich der goldenthronenden Göttin, war sie das Ebenbild der „Freundin des
Lächelns“? Liest man den ans Hohe Lied gemahnenden Hymnus, in dem der
asolaner Chronist Colbertaldo‘) ihre Reize gefeiert hat, müßten wir es um so
eher glauben, als doch auch Giacomo II. beim Anblick von Caterinas Porträt be-
teuerte, niemals ein weibliches Wesen von solcher Herrlichkeit gesehen zu haben.
Aber Superlative standen bei den Schriftstellern des Cinquecento nicht gerade hoch
im Preise, und jenes Bildnis, das Dario da Treviso%) zum Maler hatte, ist ebenso
(1) S. Bembo op. cit: р. 26... „siccome donna in vita regale e in regali onori avvezza“...
(2) 8. die Beschreibung des Parkes bei Bembo: „Gli Asolani.“ Milano 1808. Lib. I, р. 12—14.
(3) S. Giblet: „Historie de’ re’ Lusignani.“ Bologna 1647, р. 704: „Veniva per la sua bellezza mirata,
ed ammirata, come cosa sopranaturale, e costumavano di dire, che Venere era di nuovo ritornata
in Cipro
(4) Ant. Colbertaldo: „1аїогїа di Catarina Cornaro, Regina di Cipro“, Ms. der Marciana in Venedig, It.
GL УП. Cod. УП. Cit. bei Carrer, „Anello di sette gemme“ . Venezia MWCCCXXXVIII, р. 126 mit
folgender Einschränkung: „Non sono forse le stesse parole del testo, ma cangiate di poco, per quanto ё
indispensabile, a chi ripete a memoria“ ... „ега la fronte affatto simile a un chiaro cielo, le guancil
che non punto invidiavano il vermiglio alle rose, le labbra, o piú presto coralli, e 1 denti non
inferiori di pregio alle репе. Vinceva il collo la neve; nere, vaghe, lucide erano le ciglia; e dagli
occhi si partiva quello stesso splendore che da due ardenti stelle. Non era il velo si pienamente atto
a nascondere il ben tornito seno che alcuna parte non ne trasparisse; e oltre a ció le aurate chiome,
involte da rete di colore somigliante, aggiungevano ornamento alla testa; per guisa che il re, non
appena fermó gli occhi sulla pittura, dovette apertamente confessare, nessun altra pulzella essergli
stata veduta sino a quell’ ora che a quella si potesse paragonare . . .* Colbertaldo, dessen „Historia
di Catterina Cornelia regina di Cipro“ in mehreren Abschriften erhalten ist, verfaßte oder besser dichtete
diesen Panegyricus freilich erst ungefähr achtzig Jahre nach Caterinas Tode. S. Paladini: „Asolo e il
suo territorio.“ Asolo 1892, р. 105.
(5) 8. über Dario da Treviso, den Colbertaldo als „pittore chiarissimo“ preist, die Studie von Giuseppe
13
zugrunde gegangen wie siimtliche anderen, die Caterina vielleicht umleuchtet
vom Glanz der Schónheit darstellten; wir kennen heute leider nur zwei authen-
tische Porträts der cyprischen Königin, die noch zu ihren Lebzeiten entstanden,
und vor beiden fällt es einigermaßen schwer, mit dem sonst doch ziemlich kühlen
Marin Sanuto „bellissima donna“! zu rufen'): das eine befindet sich auf dem großen
Gemälde der Akademie zu Venedig, in dem Gentile Bellini anno 1500 erzählte, wie
eine wundertätige Reliquie, die bei einer Prozession ins Wasser gefallen war, dem
ihr nachspringenden Guardian der Scuola di San Lorenzo vor aller Augen entgegen-
schwamm, das andere Porträt Caterinas, das ebenfalls Gentile Bellini, aber gewiß
ein paar Jahre später, schuf, gehört heute zu den kostbarsten Zierden des Budapester
Museums. Gentile Bellini, der Hofmaler Mohammeds II., hatte jedoch anscheinend
nicht lange genug im Sultanspalast zu Konstantinopel gelebt; noch sah er Herrscher
von Gottes Gnaden nicht so, wie sie aussehen wollten, sondern wie sie wirklich
waren; seine Caterina Cornaro trägt die Krone, aber ist trotzdem keine Königin
eines östlichen Wunderlandes?), keine „Sitt al Husn“, keine „Herrin der Schönheit“
aus Tausend und eine Nacht, sondern eine alternde, bereits mehr als wohlbeleibte
Dame von kurzem Atem; vergebens sucht man in dem gelblichen Antlitz jene
Reize, denen auch die Jahre nichts anhaben können, den Adel der Linien und
Augen, die von Seele, Geist oder wenigstens von Temperament zeugen; und
Geroia: „Dario pittore“, in den „Miscellanea di studi in onore di Attilio Hortis.“ Trieste 1910.
II. Bd. p. 8y1ff. Da dieser Squarcione-Schüler, dessen gesicherte Schöpfungen, eine „Madonna della
Misericordia“ in der Galerie zu Bassano, ein Fresko „die Madonna mit dem Kinde“ im Rathaus zu
Asolo, die beide von Gerola publiziert werden, und endlich eine Fassaden-Dekoration in Seravalla
„ganz dürftige Machwerke“ sind (Crowe und Cavalcaselle: „Geschichte der italienischen Malerei“,
deutsche Ausgabe, Leipzig 1873, V, р. 346), so scheint es wenig glaublich, daß die Signoria Dario
mit der Aufgabe betraut haben sollte, Caterinas Bildnis für den König von Cypern zu malen, obschon
sie, wie aus einem trevisaner Dokument vom Jahre 1456 hervorgeht, bei ihm anfragen ließ, „se voleva
assumere di dipingere il palazzo del doge.“ Am 28. Mai dieses Jahres begab sich auch Dario nach
Venedig, aber ob und mit welchen Arbeiten er im Dogenpalast beschäftigt wurde, läßt sich heute
nicht mehr feststellen. 8. Gerola, op. cit: р. 875.
Nun berichtet aber Vasari im Leben der drei Maler Bellini (Vasari, ed. Milanesi III, p. 151) „Le prime
cose che diedero fama a Jacopo [sc. Bellini] furono il ritratto di Giorgio Cornaro е di Caterina reina
di Ciprio ... Da nun Jacopo ums Jahr 1400 geboren wurde, hält Gronau (Vasari-Heitz V, S. 13,
Anm. 4) es für ,ausgeschlossen“, „daß Jacopo diese Beiden gemalt habe.“ Aber vielleicht irrt Vasari
nur, wenn er jene Porträts als Jugendwerke Jacopos erwähnt. Dieser starb erst zwischen 1470 und 1471,
war gerade im letzten Jahrzehnt seines Lebens in Venedig tätig und konnte ums Jahr 1468 noch sehr
gut Caterina Cornaro porträtiert haben. Und läßt sich nicht annehmen, daß die Republik Venedig
dieses Bildnis eher von dem trefflichsten Künstler der Stadt als von Dario malen ließ, dem „pictor
vagabundus“, wie er sich selber nannte? Vgl. Gerola, op. cit: р. 871, der dem Berichte Colbertaldos,
Dario habe Caterina porträtiert, auch nicht recht zu trauen scheint, ebdt. p. 881.
(x) S. Marin Sanuto: „Vite de’ Duchi di Venezia“ bei Muratori: Rer. it. Script. Mediolani MDCCXXXII.
Tom. XXI, Sp. 1185.
(2) Als solche lebte Caterina im Gedächtnis der Nachwelt fort und darum kam eine Gruppe
tizianesker Bildnisse, die sämtlich eine schöne Frau in orientalischer Gewandung darstellen, zu
dem Namen „Caterina Cornaro“. Neuerdings wies jedoch Gronau überzeugend nach, daß all’ diese
Porträts, denen man bisweilen die Attribute der heiligen Katharina hinzufügte, mehr oder minder freie
Atelierwiederholungen nach Tizians verschollenen Phantasiebildnissen der Gattin Solimans II., der
„Rossa Soltana“ und seiner Tochter Cameria seien. Auch das bekannteste „Bildnis der Caterina Cornaro“,
das der Uffizien, zeigt die zur Heiligen gewordenen Sultanin. Vgl. Gronau: „Tizians Bildnisse
türkischer Sultaninnen“ in den „Beiträgen zur Kunstgeschichte“, Franz Wickhoff gewidmet. Wien
1903, 8. ı32ff.
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glichen Gentiles Bildnisse wirklich der Herrin von Asolo, dann mochten die bösen
Zungen in Venedig vielleicht Recht haben, wenn sie zischelten, Pandolfo Malatesta
käme nicht Caterinas wegen so häufig aus Cittadella nach Asolo geritten, sondern
bloß zu ihrer Dienerin Fiametta') ...
Die alternde, von Magenbeschwerden heimgesuchte Exkénigin, die Gentile Bellini
konterfeite, starb?) und wurde mit höchsten Ehren in der Kirche der heiligen
Apostel beigesetzt*); lebendig aber blieb in dem Lagunenvolke die Erinnerung
an die jugendliche Schónheit der "Tochter Marco Cornaros, an jene erste und
letzte Venezianerin, deren Blondhaupt eine Krone geschmückt hatte. Fein-
fingerige Fabulierer legten um Caterinas Schultern den golddurchwirkten Mantel
der Legende und auch den Malern bot die bunte Historie von der cyprischen
Herrscherin Zündstoff genug, ihre Kiinstlerphantasie daran zu entflammen. Immer
aufs neue schilderten sie Caterinas trinenschwere Abreise aus Famagusta und
— im Kontrast dazu — ihre prunkende Ankunft in der Heimat, immer aufs
neue suchten sie, was bisher nur eine Glorie der Staatskunst Venedigs ge-
wesen war, in eine Glorie seiner Malkunst zu verwandeln. Natürlich sind heute
nicht mehr alle bildlichen Darstellungen der beiden Hauptszenen des großen Aus-
stattungsstückes „Caterina Cornaro“ erhalten, und gerade die beiden, die an leicht
zugänglicher Stätte in Venedig verblieben, das große, die Ankunft Caterinas ver-
herrlichende Gemälde des Aliense im Museo civico, und ein Chiaroscuro des
Leonardo Corona in der sala del gran consiglio“) des Dogenpalastes, das ihre Ab-
dankung schildert, kommen für uns am wenigsten in Betracht, weil Aliense und
besonders Corona, Persönliches durch Allgemeines ersetzten, nicht so sehr Bild-
nisse wie venezianische Typen malten. Andere Werke gingen zugrunde“) oder
sind, für den Augenblick wenigstens, nicht nachweisbar, wie jenes große Bild
Carlo Carliaris®), der Caterinas „freiwillige“ Abdikation in dem pompös-dekorativen
(х) S. Mutinelli: „Annali urbani di Venezia.“ Venezia MDCCCXXXVIII, p. 8 u. 9.
(a) Marin Sanuto: „I Diarii“ Tomo X. Venezia MDCCCLXXXIII, p. 744. „A di 10 in Colegio la
matina non fu el principe per esserli disesa certa reuma; et veneno sier Batista Morexini e gier
Alvise Malipiero, cugnadi di sier Zorzi Corner, el cavalier procurator, et sier Nicolò Dolfim, l’avogador,
tutti con mantelli a notifichar in questa note a hore 4 esser manchata la Serenissimma rayna di Cipri,
sorela dil prefato sier Zorzi di anni 54, stata amalata zorni 3, morta da doja di stomecho per esser
crepata“ “
(3) Die Beschreibung ihrer Bestattung, в. ebdt. р. 764. Später wurde die Leiche in der Kirche San
Salvadore beigesetzt. Das Grabmonument, das man dort erblickt, ist ein Werk des Bernardino Contino.
Ein Entwurf des Giovan Maria Falconetto fir das Grabmal Caterinas (Vasari, ed Milanesi V. p. 324)
kam leider nicht zur Ausführung.
(4) Vgl. die Abbildung nach einem Stich Zanettis bei Zanotto: „II Palazzo Ducale“: Venezia
MDCCCLVIII. Ш. Tom. Tafel CLXIV. — Von dem Gemälde des Aliense besitzt das museo civico
zu Vicenza eine Replik, aber Reproduktionen gibt es von beiden Werken nicht.
(5) Ridolfi: „Le Maraviglie dell’ arte.“ Padova MDCCCXXXV. П. Vol. pag. 85. ... „In Vinezia,
nella casa detta „la grande“ de’ Cornari, colorirono [sc. Carlo und Benedetto Caliari] un vago fregio,
in cui la regina Caterina Cornaro viene incontrata dal doge Agostino Barbarigo e dal Senato, seguita
da nobili matrone vestite di bianco, e servita da vezzose fanciulle . . .
Ibidem. р. 233. [Tintoretto] „Nella casa detta, „la grande“ di Cornari, nella parte di fregio d'una stanza,
vedesi la regina Caterina Cornaro partirsi dall’ isola di Cipro; e sovra la spiaggia finte schiere di
cavalieri e di dame, mentre ella monta in galea a mano col fratello.“
(6) Auf Leinwand. Н. 1.62 m, Br. 3.50 m. Nach Sansovino: „Venezia, cittá nobilissima.“ (II. Aufl.)
In Venezia MDCLXVII. p. 374 f. besaß „Nicolò Cornaro, Procuratore di San Marco nel suo gran Palazzo,
fondato sul Canal grande a San Maurizio“ zuerst diese ,attione rappresentata mirabilmente di Paolo
15
Stil seines Vaters erzählte, oder wie jenes kleinere Gemälde des námlichen
Inhaltes, das, abwechselnd dem älteren Palma oder Tizian zugewiesen, aus dem
Palazzo Cornaro!) in die Galerie Barbarigo und später in die Sammlung Natale
Schiavoni gelangte, während wir das einstens dem Tintoretto zugeschriebene Gegen-
stiick „Die Abreise Caterinas aus Cypern“ heute beim Grafen Transehe auf dem
Schlosse Neu-Schwanenburg unweit von Riga?) suchen müssen.
Betrachten wir nun auf all’ diesen Gemälden die Hauptperson, so ergeben sich,
von der Gewandung bis zu den Formen ihres Angesichtes, so viele Überein-
stimmungen, daß wir notgedrungen ein gemeinsames Vorbild für die Gestalt
Caterinas annehmen müssen; mit anderen Worten, es muß ein Porträt der cypri-
schen Königin existiert haben, dessen mehr oder weniger freie Varianten wir in
der Caterina Cornaro jener gemalten Historien erkennen. Und dieser Glaube wird
dadurch zur Gewißheit, daß sich im Kestner-Museum?) zu Hannover und beim
Conte Avogadro degli Azzoni zu Treviso Porträts der entthronten Herrscherin be-
finden, die selbst in den kleinsten Einzelzügen so sehr der Figur Caterinas auf
dem Gemälde in Neu-Schwanenburg gleichen, daß wir sie unbedenklich für Kopien
eben jenes nämlichen verschollenen Porträts der Cornaro ansehen können. Wer
aber hat dieses geschaffen? Vasari‘) und Ridolfi’) berichten, daß Giorgione ein
Veronese.“ Zanotto wies in der kleinen Schrift „La regina Catterina Cornaro in atto di cedere la
corona di Cipro alla Repubblica Veneziana.“ Venezia 1840 nach, daß Carlo Caliari den größten Teil
des Bildes gemalt habe, eine Meinung, der auch Cicogna, Iscrizioni etc. vol. V. p. 641 beipflichtet.
Im Jahre 1853 ließ das Asilo infantile zu Venedig, dem es damals gehörte, das Gemälde öffentlich
verlosen, Es wanderte von einem Besitzer zum anderen, wurde im Jahre 1896 mit der Sammlung
Schónlank (в. den Katalog der Sammlung Schönlank, Köln 1896, Nr. 26, p. 15) versteigert und ist
seither nicht nachweisbar. Es existiert ein Stich von Marco Comirato nach diesem Bilde.
(x) 8. Sansovino: op. cit. p. 374f. . . . „Nicolò Cornaro ... ha quadri сові eccellenti e pretiosi, che
ognuno di essi basterebbe per formar uno studio, fra quali vedesi 1” imbarco di Catterina Cornaro
Regina di Cipro, partendo da Famagosta per portarsi a Venetia, accompagnato da Giorgio Cornaro
suo fratello. Questo fatto ё di mano di Jacopo Tintoretto. La cessione del Governo e della Corona
di Cipro fatta dalle detta Regina in mano di Pietro Mocenigo, Generale della Repubblica, dipinta dal
Palma Vecchio. Daß Tintorettos Bild identisch sei mit der von Ridolfi erwähnten Darstellung
der nämlichen Szene im selben Palazzo ist nicht anzunehmen, da hier ausdrücklich von einem
„quadro“, dort von einem „fregio“ gesprochen wird; bei dem zweiten Bilde, dessen Zuschreibung an
den älteren Palma wohl nicht ernsthaft diskutiert zu werden braucht, verwechselt Sansovino den Dogen
Barbarigo mit dem General Mocenigo; Carrer (op. cit. p. 214), der das Gemälde dem Tizian gibt und
abbildet, beschreibt es richtig. Zu Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts befand es
sich in der Sammlung Natale Schiavoni und ist seit der Auflösung dieser Galerie verschollen.
(2) 8. Neumann: Verzeichnis der Gemälde-Sammlung v. Transehe-Neu-Schwanenburg. Riga 1909.
Nr. 63. S. 48. Leinwand, Н. 2,04 m, Br. 1,42 m. Prof. Hauser, der das Bild restaurierte, will darin
ein Werk des Nicoló Ranieri erkennen. J. Neumann hält es für die Arbeit eines Nachfolgers des
Paolo Veronese; vielleicht könnte man auch an einen Schüler Tintorettos denken.
(3) Das Porträt im Kestnermuseum ist auf Leinwand gemalt, 1,02 m hoch und 0,81 m breit. Das Kleid
der Königin ist schwarz, ein weißer Schleier deckt das blonde Haar, der Vorhang, vor dem sie steht,
ist weinrot, der Hintergrund, von dem sich das Gewand stellenweise kaum abhebt, schwärzlich, die
Aufschrift späteren Datums. Ein drittes mit diesen beiden vollkommen übereinstimmendes Porträt
befand sich früher im venetianischen Palazzo Vendramin-Calergi, heute ist es aber dort nicht mehr
zu sehen.
(4) Vasari (ed. Milanesi) IV. р. 98f. „Ritrasse [sc. Giorgione] ancora di naturale Caterina regina di
Cipro, qual viddi io gia nelle mani del clarissimo messer Giovanni Cornaro .. .
(5) Ridolfi, op. cit., I. p. 126 .. ritrasse molti personaggi, tra quali il doge Agostino Barbarigo,
Caterina Cornara regina di Cipro, Consalvo Ferrante . . . ed altri signori“. Ich möchte annehmen,
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Bildnis der cyprischen Königin gemalt habe. Der Aretiner hat es im Hause des
Herrn Giovanni Cornaro selber noch gesehen, aber als sein venezianischer Nach-
ahmer die ,,Maraviglie dell'arte“ schrieb, muß dieses Portät bereits verschollen
gewesen sein*). Sonst hätte sich der wortreiche Ridolfi kaum mit der trockenen
Konstatierung begnügt, daß ein solches Bildnis existiert habe. Denn über Porträts,
die er aus eigener Anschauung kannte, pflegte Ridolfi, besonders wenn deren
Modelle seine Leser interessierten, gern ausführlicher zu sprechen. Das erhellt
aus der Beschreibung, die er einem anderen Bilde Caterina Cornaros, einem
von Tizians Hand widmete. Da heißt es: „. . . Von der gleichen Art“ — wie
die anderen Frühwerke, — „ist das Porträt der Königin Caterina Cornaro in ihrer
Witwentracht, wobei Tizian zum Schwarz der Gewandung den Glanz der Haut in
wirksamen Gegensatz brachte. Nach diesem Bildnis wurden die unzähligen Kopien
verfertigt, denen man überall begegnet, und deren manche, wie dies bei der Zeiten
Ungunst vorkommt, ihren Ursprungsort mit einem anderen vertauscht haben) ...
Diese Charakteristik Ridolfis paßt vortrefflich auf die Porträts Caterina Cornaros,
von denen hier die Rede war, und da sie alle nichts von der Art Giorgiones, da-
gegen selbst in Einzelheiten, wie dem stark akzentuierten Daumenballen an der
rechten Hand Caterinas*), sehr viel von der Weise Tizians haben, so dürfen wir,
zumal Ridolfi selbst auf die vielen Kopien von Tizians Werke hinweist‘), die Bild-
nisse der Königin in Hannover, Treviso und das verschollene aus dem Palazzo
Vendramin als Kopien nach dem verlorenen Originale Tizians, und die übrigen
Porträts als mehr oder weniger freie Varianten dieses Gemäldes bezeichnen.
Aus Ridolfis Bemerkung, daß Tizian in Caterinas Porträt zum Schwarz der
Kleidung das helle Fleisch kontrastieren ließ, ergibt sich ohne weiteres, daß Tizian
die Königin als jugendliche Frau darstellte; denn vor den Bildnissen älterer Damen
daß Vasari schon bei seinem zweiten Aufenthalt in Venedig Giorgiones Porträt nicht mehr gesehen
hat. Die Wendung „qual io viddi già“, läßt doch vermuten, daß er den letzten Eigentümer des Ge-
mäldes nicht mehr anzugeben weiß.
(1) Herbert Cook wollte (в. „Giorgione“ London 1907, р. 75ff.), dieses verlorene Porträt Giorgiones in
der sog. „Schiavona“ der Galerie Crespi zu Mailand wiedererkennen. Aber bekanntlich ist Giorgiones
Autorschaft an diesem Bildnis durchaus nicht gesichert, die Ähnlichkeit der ,Schiavona“ mit dem
Modell einer „Caterina Cornaro“ genannten Marmorbúste aus dem Besitz des Grafen Pourtalés erstens
nicht so schlagend, wie Cook annehmen möchte, und dann läßt sich nicht erweisen, daß die Marmor-
büste wirklich ein Porträt Caterinas sei. Malagussi-Valeri, в. „Rassegna d'arte“ 1901, p. 41ff., be-
zweifelt es mit guten Gründen, und wenn auch die Büste in Asolo erworben wurde (s. Bode im Jahr-
buch der Königl. Preuß. Kunstsammlungen 1883, р. 144), so folgt daraus noch nicht, daß sie Caterina
darstellt. Auch in dem Porträt der Stifterin einer „Santa Conversazione“ von Jacopo di Barbari des
Berliner Kaiser Friedrich-Museum (Nr. 26 A) wollte man Caterina Cornaro erkennen, was nicht un-
möglich wäre. Dagegen gilt ein Damenporträt im Wiener Hofmuseum, das früher „Bildnis Caterina
Cornaros von Paolo Veronese“ hieß (Nr. 395), heute mit besserem Recht als das „Porträt einer Vero-
nesischen Dame“ von Antonio Badile (Wickhoff).
(2) Ridolfi: op. cit. I, р. 198... „e con la maniera stessa [sc. der frühen Werke] ritrasse la regina
Caterina Cornara in abito vedovile, campeggiando tra quelle nere spoglie il candore delle carni, dalla
quale si sono tratte 1'infinite copie che vanno intorno, molto delle quali per la vicissitudine de’ tempi
han cangiato patria.“
(3) 8. Morelli: „Die Galerien Borghese“ etc. Leipzig 1890, 3. 58.
(4) Crowe und Cavalcaselle „Tizian“ (Deutsche Ausgabe), Leipzig 1877, S. 423 (Anm. v. S. 422) be-
ziehen die Stelle von den „infinite copie“ auf das angebl. Bildnis Caterinas in den Uffizien. Daß dies
ein Irrtum ist, folgert aus der vorhergehenden Beschreibung des Porträts, die zu dem florentinischen
Gemälde nicht paßt.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 1. 2 17
ist man selten vom weiBen Schimmern der Haut entziickt. Ist dem aber so, hat
Tizian die junge Caterina Cornaro gemalt, so kann auch er sein Porträt unmöglich
vor dem Modell geschaffen haben, und Ridolfi irrt, wie ja des öfteren, wenn er das
Bildnis der Königin für ein Frühwerk Tizians erklärt. Dank der Chronistentreue
Gentile Bellinis kennen wir ja die äußere Erscheinung Caterinas im Jahre 1500,
und da Tizian, der anno 1477 oder vielleicht noch später Geborene die Königin
kaum vor dem Jahre 1495 porträtiert haben dürfte und andererseits die Caterina
Cornaro des Bildes auf Neu-Schwanenburg sich innerhalb fünf kurzer Jahre un-
möglich in die Matrone des bellinesken Gemäldes verwandeln konnte, bleibt eben
als einziger Weg aus diesen Möglich- oder Unmöglichkeiten nur die Annahme
übrig, daß Tizian sein Bildnis Caterinas nach einer Vorlage geschaffen hat. Schwerlich
wohl zu Lebzeiten der Fürstin oder gar in ihrem Auftrage: der Stern Tizians war
ja erst seit Giorgiones Hinscheiden in der Aszendenz, und mochten damals die
venezianischen Kenner den Könner auch bereits respektieren, in Asolo hatte sein
Name gewiß noch keinen tönenden Klang. Aber Königinnen, auch die entthronten,
ließen zu allen Zeiten allerhöchst ihr Porträt nicht von „hoffnungsvollen“ jungen
Talenten, sondern von offiziellen Größen malen, und zu diesen zählte Tizian erst,
als er, lange nach Caterinas Tode, mit ihrem berühmten Bruder Giorgio, dem
nämlichen, den wir an ihrer Seite auf dem Bilde von Neu-Schwanenburg und
dessen Pendant gewahren, freundschaftliche Verbindungen unterhielt. Der Maler
aus Cadore hat den Sieger von Cadore mehr als einmal porträtiert!); liegt es da
nicht nahe anzunehmen, daß der Prokurator, vielleicht gar als Gegenstück zu seinem
eigenen Bildnis?) auch das der Schwester von Tizians Hand begehrte und der
große Künstler sie schildern sollte, nicht als kränkelnde, zu Jahren gekommene
Wittib, sondern in prangender Jugend, umsonnt vom Glanz ihrer beriihmten Schön-
heit? So mag Tizians Werk entstanden sein. Über Caterinas Gewandung mochte
ihm Giorgio Cornaro das Nötige mitteilen oder, wenn ein Provveditore der Republik
sich solcher Nebensächlichkeiten nicht mehr entsann, konnte Tizian bei Marino
(1) Nach Sansovino (op. cit.) р. 334 befand sich auf dem wahrscheinlich im Jahre 1522 gemalten
Fresko Tizians im großen Saale des Dogenpalastes „Barbarossa und sein Sohn Otto schreiten zur
Markuskirche“ ein Bildnis Giorgio Cornaros „in veste d' oro“; das Fresko ging bei dem Brande 1577
zugrunde, zusammen mit jenem anderen die Schlacht von Cadore schilderndem, das Tizian 1537 schuf
und worin Giorgio Cornaro dargestellt war, wie er sich den Panzer anschnallen läßt. Vgl. den Stich
Giulio Fontanas und die alte Teilkopie des Freskos in den Uffizien, beide abgebildet bei Fischel
„Tizian“ in den „Klassikern der Kunst“, III. Auflage, S. 72 u. 73.
(2) Das berühmte Bildnis des „Mannes mit dem Falken“ der Smig. Eduard Simon in Berlin, hier
abgebildet, eines der herrlichsten, die Tizian je geschaffen, galt, wie eine alte Inschrift auf der Rückseite des
Gemäldes bekundete, als Porträt Giorgio Cornaros. Gronau hat zuerst (,, Tizian“, Berlin 1900, S. 84 f.) in
dem Modell den Herzog Federigo Gonzaga von Mantua erkennen wollen, und ganz gewiß besteht
auch eine ziemlich weitgehende Ahnlichkeit zwischen dem „Mann mit dem Falken“ und dem Gonzaga,
wie die Bildnisse Tizians und Costas „Triumph des Federigo Gonzaga“ in Teplitz beweisen. Ver-
gleichen wir aber den Ritter des Berliner Bildes mit dem Giorgio Cornaro des Gemäldes auf Neu-
Schwanenburg, so ergeben sich, obschon der Mann mit dem Falken um etwa zehn Jahre jünger deucht,
doch so auffallende Ähnlichkeiten zwischen den beiden Modellen, daß man versucht ist, die alte
Tradition respektierend, den Mann mit dem Falken für Giorgio Cornaro zu halten. Dann müßte Tizian
freilich auch dieses Porträt nach einer älteren Vorlage gemalt haben; denn Giorgio Cornaro wurde im
Jahre 1456 geboren, starb anno 1524, und das Bildnis der Sammlung Simon stellt doch einen Mann
dar, der kaum älter als vierzig Jahre sein kann. Nicht unerwähnt darf schließlich bleiben, daß auch
der Giorgio Cornaro, den wir auf Francesco Bassanos Gemälde „Die Schlacht bei Cadore“ im Dogen-
palast erblicken, ungemein an das Modell des Porträts der Sammlung Simon erinnert.
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Sanutos Tagebtichern sich Rats erholen’) und fiir das Antlitz diente ihm ein
frühes Porträt Caterinas zur Vorlage, — vielleicht jene Miniatur), die einst das
Herz des Lusignan in Flammen setzte und also mitbestimmend wurde für das
Schicksal der Tochter des Marco Cornaro.
Und das Ergebnis all’ dieser nicht gerade kurzweiligen Erörterungen? Wir
wissen nunmehr, wie ein verschollenes Porträt Tizians und Caterina Cornaro in
ihrer Jugend ausgesehen haben mochten. Von Gottes Gnaden war sie Königin von
Cypern, Armenien und Jerusalem; war sie auch eine Statthalterin von Aphroditens
Gnaden auf der heiligen Insel der Göttin? Als Giacomo IL ihre gemalten Reize
erblickte, jagte das wilde Bastardblut rascher durch seine Adern, vermögen wir's
zu begreifen, sein Entzticken zu teilen? Mag das jeder bei sich selber entscheiden,
denn, wie sagte doch der alte Menzel: „In Amouren enthalte man sich des
Urteils“.
(1) в. Marin Sanuto: cit. bei Venturi: „I quadri di scuola italiana nella Galleria Nazionale di Budapest“
im „l'Arte“, Ш. Bd. (1900), р. 220. Danach war Caterina bei ihrer Ankunft „vestita di velluto nero,
con velo, in testa, con gioie alla cipriotta“ ... Venturi gibt als seine Quelle „I Darii“ an. Nichts
weiter. Nun beginnen diese aber erst mit dem Jahre 1496, während Caterina im Jahre 1489 nach
Venedig kam und daher nirgends von Sanuto ihre Ankunft geschildert ist, auch nicht in den
„Vite de’ Duchi.“ Ich konnte diese Stelle in den Diarien leider nicht finden.
(2) Giblet, op. cit: p. 702 spricht von einem „picciol ritratto“, das Briefen aus Venedig beigelegt war.
Danach könnte das Porträt Caterinas doch nur eine Miniatur gewesen sein.
(Zu diesem Aufsatz gehören neun Abbildungen auf den Tafeln 8, 9 und то.)
STUDIEN ОВЕЕ DAS VERHÁLTNIS ОЕК.
RENAISSANCE ZUR ANTIKE»
Mit drei Abbildungen auf einer Tafel Von PAUL GUSTAV HUBNER
.....u...........000.000000000000000000009090000600000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 0000
III
DER KNABE MIT DER GANS AUF VLAMISCHEN BILDERN
ie folgenden Zeilen sollen im wesentlichen als Illustration dafiir dienen, wie
bei der Erforschung der Renaissance unbedeutende und anscheinend belang-
lose literarische Notizen die Lücken unseres Monumentenmaterials ausfüllen können
und erwünschte Aufklärungen über die Entstehung eines künstlerischen Motives zu
geben imstande sind.
Auf der Prager Lucasmadonna des Jan Gossaert sieht man links auf der Estrade
die Gruppe eines Knaben mit einer Gans; der Putto hat das rechte Bein wie ein
aufsteigender Reiter über den Rücken des Vogels gelegt, während er mit dem
linken eben noch auf der Erde steht. Der Florschurz welchen er um den Leib
trägt, ist offenbar eine Zutat des Malers, der ihn in heiliger Gesellschaft auftreten
lassen wollte; denn im übrigen ist seine Abstammung von der antiken Plastik un-
verkennbar. Man hat deshalb auch immer auf antike Gruppen hingewiesen, welche
ein Kind mit seiner Gans spielend zeigen!), doch ist sowohl die bekannte Dar-
stellung des mit der entlaufenden Gans ringenden Kindes, an die man wohl zu-
nächst gedacht hat*), wie auch die weniger populäre des sitzenden Knaben der
seinen Vogel an die Erde drückt‘) in den Details der Darstellung des Mabuse
durchaus unähnlich. Erst ein vereinzelter Neapler Marmor kommt ihr näher, inso-
fern als er das charakteristische Motiv des Reitens hat“); er könnte auch wohl im
allgemeinen den antiken Typus, welcher zum Vorbild gedient hat, veranschaulichen,
doch kann die künstlerisch minderwertige und schlecht ergänzte Statue schon des-
halb nicht das Vorbild Mabuses gewesen sein, weil sie nachweislich in Herculanum
gefunden ist.
Da gibt eine literarische Notiz den geeigneten Aufschluß. Um das Jahr 1500 ver-
faßte ein Künstler aus dem Kreise Lionardos eine Beschreibung der Antiken Roms
in Terzinen, welche den Titel trägt „Antiquarie prospetiche Romane composte per
prospectivo Melanese depictore“, und in der die 31. Terzine folgendermaßen lautet:
„In nel giardin del cardinal sauello
a cauallo in una ocha ecci un puttino
che mai non vidi el miglor di scarpello“®).
(х) Siehe Jahrgang II, 1909, р. 267—280.
(2) Zuletzt Ch. Aschenheim, Der italienische Einfluß in der vlämischen Malerei der Frührenaissance
(1910) р. ar.
(3) Die Gruppe des Boéthos; Exemplare Reinach Repertoire de la Statuaire I, pag. 534, 1; 535, 5; 535,9.
(4) Z. B. Reinach I, pag. 536, 6; 536, 7; 537, 2.
(5) Clarac, Musée de sculpture V, pl. 876 no. 2228; danach Abb. 1. Ergänzt sind am Knaben Kopf,
Arme, Beine zum Teil; am Vogel Kopf und Rücken. Jetzt offenbar im Magazin, da im Katalog 1908
nicht aufgeführt.
(6) Das Gedicht, welches in einer seltenen Inkunabel vorliegt, ist vollständig abgedruckt und kommentiert
von Govi in den Atti della R. Acc. dei Lincei Serie II, vol. 3, 3 (1876), р. 47—66. Die große Ver-
breitung der Schrift geht z. B. daraus hervor, daß sie in dem bekannten Schedelschen Bande cod.
lat. 716 der Münchener Hof- und Staatsbibliothek kopiert ist (Fol. 68% — 741).
20
Da haben wir also den gesuchten Knaben der auf einer Gans reitet, und zwar in
einem guten Exemplar und an einer den Künstlern zugänglichen Stelle. Die Samm-
lungen der Familie Savelli in ihrem Palaste im Theater des Marcellus (jetzt Pal
Orsini) zählten zu den besten Sammlungen zweiten Ranges im Rom der Renaissance
und wurden öfters von Künstlern und Gelehrten besucht; auch der Bologneser Aldro-
vandi konnte sich dort im Jahre 1550 für seine „Statue“ Notizen machen. Doch
sah er unser Stück nicht mehr und auch später ist es in der Sammlung Savelli
nicht wiederzufinden!) Wenn wir uns also auch keine genaue Vorstellung von
der antiken Gruppe machen können, so kann doch wohl über die Abhängigkeit der
Gruppe des Mabuse von ihr kein Zweifel sein.
Doch wie haben wir uns die Wirkung des Kunstwerkes auf den Maler zu denken?
Hat er sich vielleicht, als er die Antikensammlungen der ewigen Stadt an der Hand
des besten damaligen Führers, eben jenes „Prospectivo Melanese“, besuchte, vor
dem Original eine Skizze gemacht und diese dann bei dem Gemälde benutzt? Das
ist das natürlichste und scheint am plausibeisten; doch führt die genauere Be-
trachtung des Bildes auf den Gedanken, daß der Prozeß etwas verwickelter war.
Bei dem übrigen Statuenschmuck in der Architektur nämlich ist noch der plastische
Charakter der Figuren gewahrt und sogar das Material zum Ausdruck gebracht
worden; der Putto mit der Gans dagegen ist schon malerisch aufgefaßt und deutet
auf Rubenssche Statuennachbildungen hin; ferner bemerkt man an dem Knaben
das lionardeske „sfumato“ und eine für Lionardo bezeichnende Zeigebewegung.
Erinnern wir uns nun, daß es ein Lionardoschüler war, der den puttino in Casa
Savelli als besonders bewundernswert hervorhob, so liegt die Vermutung nahe, daß
die malerische, lionardeske Auffassung der Figur bei Mabuse — wohl die erste
Spur dieses Einflusses bei ihm — darauf zurückgeht, daß er ein Vorbild aus der
Lionardoschule benutzte, weiches seinerseits schon die Übersetzung der Skulptur.
ins Malerische vollführt hatte.
Bei dem Bestreben nun, aus der Nachbildung Gossaerts das antike Vorbild her-
auszuerkennen, kommt uns ein zweites vlämisches Bild zu Hilfe, auf dem ein
Knabe mit der Gans vorkommt, der offenbar von derselben antiken Gruppe ab-
stammt wie der des Mabuse. Die Brunnenfigur auf dem Gemälde mit der Hoch-
zeit des Teniers bei Baron Rothschild in London nämlich gibt nichts weiter als
eine etwas anders ergänzte, ganz von der rechten Seite genommene Ansicht des
Savellischen Marmors. Der Knabe berührt wie bei Mabuse mit dem linken Bein
noch den Boden, während das rechte frei in der Luft schwebt, und er faßt ebenso
mit der linken Hand den Hals des Vogels. Stark abweichend scheinen allerdings
die Flügel, die bei Mabuse am Putto sitzen, während sie bei Teniers der Gans
gehören sollen; doch sind sie in beiden Fällen freie Ergänzung des Malers, da ja
das antike Original einen sterblichen Knaben und keinen Eros darstellte. Wenn
ferner der zerquetschte Hals des Vogels bei Teniers auffällt, so soll die starke
Pressung offenbar nur das Wasserspeien motivieren, ist also lediglich durch den
Gebrauch, den der Künstler von der Figur machte, bedingt. Da auch die Wendung
des Kopfes bei beiden Kindern übereinstimmt, so scheint sich eine ziemlich genaue
Vorstellung von dem Aussehen des antiken Vorbildes zu ergeben: wenn wir bei
der Figur des Mabuse, welche offenbar die bessere und genauere Nachbildung ist,
(1) Für alles was Antikensammlungen und Antikenliteratur der Renaissance angeht, muß ich, um
sehr weitläufige Darlegungen zu vermeiden, auf die Ausführungen in meinem demnächst erscheinenden
„Katalog der Antikensammlungen Roms in dor Renaissance“ verweise.
21
das Florbändchen, die Flügel und die rechte Hand weglassen, so bleiben die antiken
Bestandteile übrig.
Eins nur können wir nicht mit Sicherheit entscheiden: ob der Marmor schon im
Altertum als Brunnenfigur diente oder nicht. In engem Zusammenhang damit steht
die wichtigere Frage, wie der Knabe mit der Gans, nachdem er wieder aufgefunden
war, zu seiner Funktion als Brunnenfigur gekommen ist, mit anderen Worten, ob
sie ihm erst von Teniers zugeteilt worden ist oder ob das Original in Italien schon
ähnlichen Zwecken diente. Da ist das letzte bei weitem wahrscheinlicher.
Denn im allgemeinen entspringt die dekorative Verwendung antiker Skulpturen
den starken architektonischen Neigungen der Italiener, und speziell in unserem Falle
haben wir mehrfache Zeugnisse dafür, daß die Verwendung des Gänseknaben als
Brunnenfigur, zu der wohl die antiken Bohrungen, die sich z. B. an Exemplaren des
sitzenden Knaben finden, den ersten Anstoß gegeben haben, zuerst auf italienischem
Boden stattgefunden hat: Stiche des XVIL Jahrhunderts stellen Brunnen mit ähnlichen
Gruppen dar‘), und Statuenbeschreibungen des Cinquecento berichten öfters von
„puttini con augelli aquatici, dalle cui bocche esce l'acqua“?). Möglicherweise ist
es sogar unsere Gruppe, welche der schon erwähnte Aldrovandi im Giardino Cesi
folgendermaßen beschreibt: „un putto, che preme una ansera per fargli gettar acqua
dal collo, tutto intero, et questa ё una delle belle cose di Roma per stare piccola“
(Statue р. 138). Denn von vorzüglicher Erhaltung muß ja auch der Marmor aus
Casa Savelli gewesen sein, der sich zu Aldrovandis Zeit wie oben gesagt nicht mehr
an Ort und Stelle befand. Jedenfalls ist es so gut wie sicher, daß auch unser Knabe
schon in Rom als Brunnenfigur diente,
Da Teniers selbst nicht in Italien war, so kommen als Vermittler seiner Kenntnis
von unserer Gruppe nur fremde Zeichnungen oder Stiche in Betracht, welche
natiirlich die Figur in ihrer architektonisch-dekorativen Funktion wiedergaben.
Solche Zeichnungen oder Stiche zu betrachten, hatte er in dem von ihm zur Zeit
der Entstehung des Bildes noch verwalteten Kunstkabinett die beste Gelegenheit).
Doch fiihren dieselben Galeriebilder, welche uns Kupferwerke und Zeichnungen auf
den Tischen ausgebreitet zeigen, noch eine andere Quelle seiner Antikenkenntnis
vor Augen: nämlich die Abgüsse nach Statuen, welche der Erzherzog wie viele
andere Kunstliebhaber besaß. Der Antinous-Hermes des Belvedere, der auf bei-
nahe allen Galeriebildern zu sehen ist, findet sich denn auch im Atelier des Affen-
malers von Teniers (Prado) aufgestellt, und ebenso steht er auf unserem Bilde in
einer Nische der Hintergrundarchitektur. Dagegen lassen sich die weiblichen
Statuen in den beiden anderen Nischen ebensowenig wie unser Knabe mit der
Gans und die übrigen antikischen Figuren auf den Affenbildern im Prado auf Ab-
güsse, die wir aus der Galerie des Erzherzogs kennen, zurückführen. Doch gab
es vielleicht noch andere Räume in der Galerie, die wir auf den Prospekten nicht
zu sehen bekommen und in denen die Abgüsse, die jenen Figuren zugrunde liegen,
möglicherweise aufgestellt waren. Dagegen aber, daß erst Teniers selbst den Ge-
(х) Giov. Giac. Rossi, Nuova Raccolta di Fontane . . . di Roma etc. (ca. 1640) tav. 43 3 Gruppen von
Kindern mit Vögeln als Brunnenfiguren. — Le Brun, Recueil de divers dessins de Fontaines etc.
(nach 1683), pl. т und 2 jedesmal 2 Putten, die mit Gánsen oder Scheinen bescháftigt sind welche
Wasser speien; pl. 13 2 Putten, die einer Gans Wasser aus dem Hals pressen.
(2) Das Zitat aus der Beschreibung des Giardino Carpi bei Aldrovandi, Statue р. 299.
(3) Die Hochzeit mit Isabella de Fren fand am 21. Oktober 1656 statt, und erst 1657 ging der Ers-
herzog nach Wien.
danken gehabt hat, die Gruppe als Wasserspeier in das Bassin zu setzen, spricht sein
Verhältnis zur antiken Kunst überhaupt. Er ist ein Künstler, auf den sie innerlich gar
keinen Einfluß gehabt hat, wie denn auch antike Statuen auf seinen Gemälden
immer nur wie hier auf dem Hochzeitsbilde als dargestellte Objekte erscheinen.
Und in den Werkstätten der Affen die nach Antiken arbeiten, könnte sehr wohl
ein Protest gegen die große Verehrung, die Teniers’ größter Landsmann für alles
Antike hegte, zum Ausdruck gebracht sein. Es ist daher recht unwahrscheinlich,
daß der Maler sich in unserem einen Falle der Antike künstlerisch bemächtigt und
selbst das Motiv des Wasserspeiens hinzugetan hätte; vielmehr scheint es ziemlich
sicher, daß schon die Vorlage dieses Motiv darbot und daß mithin ein Abguß nicht
als Vorbild in Frage kommt.
Am ehesten könnte das Vorbild irgend ein römischesStudienblatt aus der Sammlung des
Erzherzogs gewesen sein!); es ist aber auch noch eine andere Möglichkeit denkbar,
daß nämlich Teniers das Original selbst vor Augen hatte. Denn von der Savelli-
schen Statue, mag sie nun mit der in Casa Cesi identisch sein oder nicht, verliert
sich zu Ende des XVI. Jahrhunderts in Rom jede Spur; in der Sammlung Savelli
wird sie schon 1550 nicht mehr erwähnt und im Giardino Cesi war sie zu Anfang
des XVI. Jahrhunderts, als Cardinal Ludovisi die besten Stücke daraus erwarb,
offenbar auch nicht mehr vorhanden. Nun weiß man ja, wie zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts die antiken Statuen nach den Niederlanden und selbst nach England
wanderten; warum sollte nicht die leicht transportable kleine Figur unseres Knaben
auf irgend eine Weise nach Antwerpen oder Brüssel gelangt sein und dort in dem
Garten eines vornehmen Kunstfreundes Aufstellung gefunden haben? Vielleicht
würde es gar nicht schwer sein, durch genauere Nachforschungen über die Ge-
schichte der niederländischen Antikensammlungen eine Bestätigung dieser Hypothese
zu erhalten, die hier nur in bescheidener Parenthese erwähnt sei.
Wir haben vielleicht zu lange bei den minutiösen Details unserer Untersuchung
verweilt; doch erschien es lockend, den Fäden welche die durch Jahrtausende
getrennten Kunstwerke verbinden nachzugehen, da sie selten so deutlich sichtbar
sind wie hier. Denn wenn auch im einzelnen manches zweifelhaft geblieben ist,
so ist doch das wesentliche klar geworden: Die im Quattrocento gefundene Statue
steht als sorgsam gehüteter Schatz zu Anfang des XVL Jahrhunderts im Hause
eines römischen Prälaten; sie erregt durch ihre gute Erhaltung die Aufmerksamkeit
von Künstlern aus dem Kreise Lionardos, und auf dem Bilde eines von Lionardo
stark beeinflußten Niederländers erscheint sie als milieuschilderndes Prunkstück,
das aber schon durch die unglückliche Plazierung verrät, wie fremd es dem Künstler
eigentlich ist. Bald darauf, als man sich der Antike künstlerisch ebenbürtig fühlt
und Statuen zu ergänzen und als architektonische Elemente zu betrachten anfängt,
verwendet man auch unsere Gruppe als dekorative Figur und stellt sie als Wasser-
speier in ein Brunnenbassin, wo sie wohl bald der zerstörenden Wirkung der
Feuchtigkeit zum Opfer fiel Ein letzter Reflex dieser Funktion findet sich bei
Teniers, wo der Antikenbrunnen mit dem Gänseknaben das vornehme Milieu, in
dem die Handlung vor sich geht, charakterisieren soll.
(1) An ein gestochenes Blatt möchte ich nicht denken, da mir trotz jahrelanger Beschäftigung mit
derartigen Stichen nichts ähnliches zu Gesicht gekommen ist.
23
DER JUNGE CRANACH VERSUCH EINER REVISION’)
Mit sechs Abbildungen auf zwei Tafeln Von IGNAZ BETH
s ist eine der interessantesten Erscheinungen in der kunstgeschichtlichen For-
schung, daß sich Vorstellungen über Künstler nicht allein auf Grund des vor-
handenen Tatsachenmaterials bilden, sondern Schwankungen unterworfen sind nach
Maßgabe gewisser Strömungen, die, dem Auge unerreichbar, die Direktive für die
Urteile geben. Künstler, die größten nicht ausgeschlossen, (ja diese am meisten),
werden im Laufe der Jahrzehnte verschieden beurteilt, wo doch der feste Kern
ihres Lebenswerkes unveränderlich bleibt. Von Beispielen kann man hier ruhig
absehen, das Faktum ist allgemein bekannt.
Etwas anderes ist es, wenn große entscheidende Partien eines Künstlerlebens,
in einem gewissen Moment ans Tageslicht herangezogen werden, um das bisherige
Bild umzuändern, zu bereichern oder zu verringern.
Und doch ist die Wucht der Anschauungsevolutionen so groß, daß selbst die über-
raschendsten Entdeckungen sich ihnen fügen müssen; eine kurze Notiz kann, im
richtigen Moment gesagt, oft zündender wirken, als ganze Reihen von unbekannten
Urkunden, wenn für deren Verständnis — die Zeit nicht gekommen ist. Um nur
das Gebiet der deutschen Graphik zu nennen: welch mächtigen Widerhall fand die
Zuschreibung der Terenzzeichnungen an Dürer, weil sie in die Zeit fiel, wo man
für diese Fragen ein williges Ohr hatte, und anderseits: wie klanglos vollzog sich
die Reduktion des Burgkmairschen Werkes um nicht weniger als — den ganzen
Weiditz! Wodurch nur gesagt werden soll, daß zu jeder „Entdeckung“ eben —
ihre Zeit gehört, und ihre Würdigung immer einen gewissen Abstand erfordert.
Der „junge“ Cranach steht bekanntlich seit einem Jahrzehnt zur Diskussion.
Seit der Cranach-Ausstellung in Dresden 1899 ist eine Reihe von Forschern am
Werke, das Dunkel seiner Jugend- und ersten Mannesjahre aufzuhellen, vielfach
mit Erfolg. Was Rieffel, Flechsig, Dodgson, Friedländer, Dörnhöffer u. a. dazu
beigetragen haben, die Erscheinung des dreißigjährigen Cranach präziser zu um-
reißen, hat seinen positiven Wert, weil es sich eben auf Tatsachen stützt. Trotz-
dem, vielmehr gerade darum, weil das Problem so beharrlich verfolgt wird, wird
es allmählich Zeit, dem Thema als solchem auf den Leib zu rücken, unbeirrt
durch mehr oder weniger wichtige Funde, die noch in der Zeiten Schoße ver-
borgen liegen mögen. Es wird sich darum handeln, von vornherein sich zu fragen:
inwiefern unsere Vorstellung von Cranach durch neue Funde einer Änderung fähig
ist. Es wird, mit einem Wort, nötig sein, jetzt schon die Grenzen der Vermutungen
abzustecken, innerhalb deren das Bild des Künstlers Platz finden kann. Es ist dann
kein Dogmatismus, der diese Forderung aufzustellen sich für befugt hält, sondern
es wäre einfach der Versuch einer Revision des bisher Erreichten.
Durch Lippmanns verdienstvolle Publikation des graphischen Oeuvre von Cranaches
vor 15 Jahren bekam die althergebrachte Meinung über den kursächsischen Hof-
maler den ersten Stoß. Was wenige vorher wußten, davon konnten alle sich jetzt
überzeugen, daß Cranach einer der besten Holzschneider seiner Zeit gewesen ist,
von einer herzerfreuenden Frische. Diese Holzschnitte, unter denen jene aus
dem Jahre 1509 die Mehrzahl bildeten, wirkten so jugendlich, wenn man sie mit
(x) Zugleich im Hinblick auf die z. Zt. im Berliner Kupferstich-Kabinett von Friedländer veranstaltete
Cranach-Ausstellung. Die Red.
24
den unzáhligen Bildern mythologischen, heiligen und profanen Inhalts aus allen
Galerien verglich, daB man sich wenig Gedanken dariiber machte, wie alt denn der
Meister war, der sie schnitt. Da nun die frühesten aus dem Jahre 1505 waren, so
waren es eben Werke eines dreiunddreißigjährigen. In diesem Alter pflegte ein
damaliger Künstler seine Ausbildung längst hinter sich zu haben. Wo mag er nun
diese genossen haben? Diese Frage wagte man sich noch nicht zu stellen.
Die Cranach-Ausstellung in Dresden 1899 bot in ihrer Vielgestaltigkeit eine seltene
Übersicht seines ganzen Lebenswerkes und lenkte zunächst die Aufmerksamkeit
darauf. Indessen konnte das Problem seiner Jugendentwicklung, einmal gestellt,
nicht mehr verstummen, und schan die nächsten Jahre brachten in schneller Auf-
einanderfolge eine Reihe von Zuweisungen an den „jungen“ Cranach, deren Resultat
bekanntlich eine Konstruierung der ,Sturm- und Drang“-Periode des Künstlers ist*).
Es wird jetzt ziemlich allgemein angenommen, daß der junge Brausekopf durch die
Anstellung am Wittenberger Hof (1504), oder zumindest gleichzeitig damit, sich
plötzlich beruhigt und gezähmt hat, so daß schon in den nächsten Jahren kaum
mehr etwas von dem wilden Leben seiner, Jugend“ geblieben ist, von dem späteren,
vielgelästerten Alter, nicht zu reden. Es fragt sich nun, ob diese Interpretation
dem zweifellos zuverlässigen Tatsachenmaterial nicht etwa doch Gewalt antut?
Daß Cranach seine Ausbildung zum großen Teil der bayrischen Schule verdankt,
scheint ja außer Zweifel zu stehen. Dörnhöffer verweist wohl richtig auf die un-
gezählten Anonymen in bayrischen Galerien, die oft wie Vettern des Schleißheimer
Cruzifixus anmuten. Das Expressive dieser Frühbilder ist es aber wohl, das bei
ihnen an Grünewald immer wieder denken läßt. Es ist bezeichnend, wie oft dieser
Name in dem Zusammenhang genannt wurde. Sowohl beim Schleißheimer Bild,
als auch beim h. Valentin der Wiener Akademie. Als Grünewald gingen auch
die beiden „Schächer“ der Lanna-Sammlung, die das Berliner Kupferstich-Kabinett
kürzlich erworben hat (Abb. ı und 2). Diese letzteren gehen sogar weit über die
Verrenkungen der frühen Holzschnitt-Kreuzigungen (Pass IV, ı u.2) hinaus. Schon die
Idee, die Arme sowohl wie die Beine das Kreuz krampfhaft umklammern zu lassen,
ist überraschend genug, um den Zusammenhang Cranachs mit Grünewald ein-
leuchtender zu machen?). Und wenn den Frühbildern die Lebhaftigkeit der Farbe
nachgerühmt wird, so ist damit wieder ein Faden gegeben, der zum Colmarer führt.
Auch die Beziehungen zum Donaustil können. schlechterdings nicht angezweifelt
werden, ob man sie nun als passiva oder activa dem Franken anrechnet. (Vgl.
Voß, Ursprung des Donaustils, IL Teil). Die Vorliebe für landschaftliche Hinter-
gründe, mit ausgesprochener Bevorzugung von Nadelbäumen, spricht sich in allen
Jugendwerken Cranachs so deutlich aus, daß man an einen Schulzusammenhang
zu denken oft versucht wäre. Indessen, bei näherer Betrachtung kompliziert sich
das Problem. Zunächst ist es auffallend, daß er sich schon ganz früh ein eigen-
artiges Laubschema zurechtlegt, daß er konsequent in Holzschnitten sowohl, wie
in Gemälden anwendet (und dem er übrigens sein Leben lang treu bleibt). Nicht nur
die Berliner „Ruhe auf der Flucht“ von 1504 zeigt es schon in voller Ausbildung;
bei der Kreuzigung des Schottenstiftes, die von Dörnhöffer wohl richtig als das
(x) Die Zusammenstellung der diesbezüglichen Forschungen ist leicht zu haben an der Hand des
Artikels von Dörnhöffer im „Jahrbuch der k. k. Zentralkommission‘‘ 1904. Zuletzt hat Friedländer in
einem Vortrag in der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft (Dez. 1910) eine knappe Zusammenfassung
der Endergebnisse gegeben. Ihm ist auch die Veranstaltung einer Ausstellung des graphischen Oeuvre
Cranachs nach chronologischem Prinzip im Berliner Kupferstich-Kabinett zu verdanken.
(2) Friedländer war der erste, der — in der Besprechung von Voss’ „Ursprung des Donaustils“ — Rep.
f. Kw. 1909 bei den Zeichnungen Cranachs Namen nannte.
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früheste bekannte Werk Cranachs angesehen wird, läßt sich das auch schon ganz
klar feststellen. Dann aber kann man nicht gut iibersehen, wie lange Cranach
dieser Passion treu bleibt. Nach Jahren kommt sie wieder, nicht nur in der
náchsten Zeit nach der Anstellung bei Hofe, wo sie wie eine unterirdische Strómung
oft plötzlich hervorbricht (ich denke an Holzschnitte, wie „Hieronymus in der Land-
schaft“, Kupferstiche wie „Buße des h. Chrysostomus“), sondern gerade in späteren
Jahren und Jahrzehnten, bei den Marien von Glogau, Breslau, Weimar. Man hat
geradezu den Eindruck, als ob er diese landschaftliche Schönheit immer bereit-
hielte, wenn es einen besonderen Schmuck galt. Denn für einfachere Anlässe
hatte er die einfache, Dürersche Landschaft, mit, Diirerschem Baumschlag, mit echt
Dürerschen Baumskeletten und Baumriesen. Oder woher sonst hatte er die
Hintergründe seiner frühen Holzschnitte? Wie ließe es sich sonst erklären, daß etma.
die „Verehrung des Herzens Jesu“ so mager und kahl ist, kaum zwei Jahre nach der
Schleißheimer Kreuzigung?! Er dachte offenbar in bezug auf die Landschaft: man
könnte davon halten, wie man wolle. Nur so läßt es sich erklären, wenn in der
Folge der „Leiden Christi“, deren ein Blatt, die hier reproduzierte „Gefangennehmung“
(Abb. 3), das Datum 1509 trägt, regelmäßig Dürersche Bergabhänge angebracht
werden, die jenen etwa aus der „großen Passion“ täuschend ähnlich sehen.
Und wenn von Dürerschem Einfluß gesprochen wird, da braucht es wohl keiner
Beweise dafür, wie stark Cranach von seinem berühmten Landsmann abhängig ist.
Er folgt ihm in Komposition und in Einzelheiten, in Schraffierung und Charakte-
ristik — allerdings so geschickt und eigen, daß man ihm richtiges Kopieren
eigentlich nie nachweisen kann, Ja, er bringt durch eine eigenartig zittrige, krause
Linienführung jede Form sozusagen aus den Fugen, so, daß die ursprüngliche
Dürersche Disziplin der Formbehandlung sich restlos verflüchtigt. Kommt hinzu,
daß er diese Bilder mit seinen Kuriositäten durchsetzt, Menschenmengen mit skur-
rilen Käuzen ausstattet, die die letzten Nachkommen jener verdächtigen Wegelagerer-
typen sind, an denen er in seinen Frühbildern Gefallen fand. Die „Marter der h. Bar-
bara“, die Flechsig wohl richtig mit 1509 ansetzt, und die durch Typen, Mono-
gramm und Format mit der erwähnten Passionsfolge zusammengeht (Abb. 4)!), ist
ein gutes Beispiel dieser Verquickung verschiedener Elemente zu einem Ganzen,
das echt Cranachsches Gepräge trägt. Dem Bergabhang merkt man kaum noch
den Dürerschen Ursprung an, weil er mit dem Cranachschen Laubschema modelliert
ist; und den Gesichtern nahmen die knolligen Falten und breitgezogenen Mäuler
jede Spur fränkischer Herkunft. So entstand die sächsische Schule.
Denn es läßt sich ja nicht leugnen, daß mit der ominösen Anstellung durch
Friedrich den Weisen eine Ernüchterung den Künstler erfaßte und seinen Werken
ihren Stempel aufdriickte. Schon die Gegenstände, die er hier zu malen und in
Holz zu schneiden bekam, mußten diese Wirkung üben; aber auch das Publikum,
für das sie bestimmt waren, kühlte die Werke rückwirkend ab. Und die Ver-
leihung des Wappenbriefes im Jahre 1508 konnte nicht anders, als diese Steifheit
noch um einen Grad steigern, wenn sie auch in der nächsten Zeit seine Popularität
hob und selbstverständlich auch die Bestellungen ins Maßlose háufte. Wenn das
Kanonbild aus dem Missale Pragense (Nürnberg, Stuchs 1508) [Abb. 5] wirklich
aus diesem Jahr ist und somit als erstes Blatt mit dem Schlangenzeichen anzu-
sehen ist, wie ich es im Rep. f. Kw. 1908 behauptet habe?), so zeigt es schlagend,
(т) Dieses und das vorhergenannte Blatt bei Lippmann nicht reproduziert, nur erwähnt. —
(2) C. Dodgson hat im großen ganzen meiner Behauptung — trotz der Bedenken — zugestimmt (Rep.
26
wie wandlungsfähig dieser Cranach war. Diese Kreuzigung ist schon so zahm in
allen Details, so kahl und herzlos, daB, wenn sie Jahrzehnte von der Passavant-
schen trennen würden, dies kaum zu erklären wäre. Und wenn das Datum richtig
ist, und man bedenkt, daß „Das Urteil des Paris“, der einzige Holzschnitt dieses
selben Jahres 1508, eine Fülle von Leben und natürlicher Schönheit aufweist, so
hat man für diese Diskrepanz eine Erklärung nur in dem schier unheimlichen An-
passungsvermögen des Künstlers. Dann wird man auch verstehen, wie er Kreuzi-
gungen zu Hunderten herstellen konnte, in die er nichts von seinem Inneren hin-
einlegte, außer paar kaum merklichen Verzerrungen, die in Gemälden sich auch
noch verflüchtigten und nur in Zeichnungen, wie etwa der hier angeführten des
Berliner Kupf. Kabinetts (Abb. 6) einen letzten Nachhall der Sturm- und Drang-
periode darstellen.
So kommen wir zu unserem Ausgangspunkt.
Gab es so etwas, wie „Sturm und Drang“ im Leben Cranachs? Die einzigen
Bilder und Blätter, in denen dies festgestellt werden sollte, sind Werke eines
Dreißigers, bestenfalls eines, der nahe daran ist. Was wir unter jenem, der
Romantik entlehnten Terminus verstehen, ist aber durchaus keine vorübergehende
„Kinderkrankheit“, sondern eine Epoche des Lebens, die tief darin Wurzeln schlägt
und den Menschen umwühlt. Der Dürer der „Apokalypse“ ist noch in den „Vier
Aposteln“ ganz deutlich zu spüren. Was wir dagegen hier sehen, das ist eben
eine ungewöhnliche Begabung, die auf die Strömungen ihrer Zeit ungemein genau
und präzise reagiert. Jene Grünewaldische Expression, sie lag in der Zeit, ebenso
die schwärmerische Hingabe an die Landschaft und ebenso drang Dürersche
Formenwelt gerade damals in die allgemeine Anschauung. —
Entkleidet man den Cranach so aller fremden Zutaten, was bleibt denn da noch
von ihm übrig? Es bleibt vie. Will man den Künstler Cranach richtig ein-
schätzen, den festen, unveränderlichen Kern seines Schaffens bloßlegen, dann wird
man sich an solche Dinge halten müssen, wie etwa jene unzähligen Putten, die
die h. Familien umtoben, auf Bäume hochklettern, und sich um Sockel von Reli-
quiaren im Wittenberger Heiltumsbuch (1509) herumtummeln. Man wird Cranach
bei den Fruchtgehängen seiner Passion aufsuchen müssen, und bei den frucht-
beladenen Baumumrahmungen seiner Apostelfolge ). Und im zweiten Jahrzehnt
wird man ihn etwa bei den vielen Tieren der Randzeichnungen zum Gebetbuch
Kaiser Maximilians finden, und so immer wieder, dann in der Reformationszeit
in den Titeleinfassungen der Lutherschen Bücher, wie etwa jene köstliche mit dem
Zeichen Johann Griinenbergs*) wo der Mann mit den Bienen, der Jäger, die ulkigen
Tiere den ganzen Cranach widerspiegeln.
Und da wird man sich vielleicht sagen, daß das keine überragende Künstler-
natur war, keine vom Schlage der Großen, die ihre Ziele hartnäckig und rück-
haltlos verfolgte, aber, alles in allem, ein begabter, leistungsfähiger Mensch, der
vieles in sich aufzunehmen vermochte, ohne deshalb in Sklaverei zu geraten, wie
geschaffen, dem Bürger des angehenden neuen Zeitalters die Kunst mit MaS und
Geschick zu vermitteln. Dann wird aber die Erzählung von der wilden Gärung
seiner Jugendjahre ein anderes Gesicht bekommen.
£ Kw. 1908), und mich noch nachtriglich auf das Vorkommen des Blattes in spáteren Wittenberger
Drucken aufmerksam gemacht. Tatsächlich wurde es noch oft in späteren Jahrzehnten gebraucht.
(1) Die wohl früher anzusetzen ist, als der Christus des Titelblattes, etwa 1510.
(a) Z. B. im M. Luthers „Sermon wider den Машоп“ Wittenberg 1522. — Repr. bei Lippmann.
27
AUGUST GRISEBACH. Der Garten.
Eine Geschichte seiner kiinstlerischen
Gestaltung. 125 Seiten und 88 Abbild.
auf Tafeln. Verlag Klinkhardt & Biermann,
Leipzig 1910.
Die Geschichte desarchitektonischen Gartens
findet hier die erste zusammenfassende Darstellung
von deutscher Seite. Der Garten des architekto-
nischen Stils oder ähnlich müßte der genauere
Titel lauten, die Wandlung zum malerischen Stil
in der 2. Hälfte des XVIII. Jahrhunderts wird nur
anhangsweise und mehr vom Geschichtspunkt der
Auflösung des strengen Gartenstils behandelt. Die
Entwicklung der Gartenkunst wird zunächst in
ihren Grundzügen dargestellt. Die Anfänge der
künstlerischen Gartengestaltung in dem Lust- und
Wurzgarten des Mittelalters und die Ausbildung
des Lustgartens der Renaissance, der das Parterre
aus prägt, werden erörtert. Das Hauptgewicht wird
auf den Garten des Barock gelegt, der die zu-
sammenschließende Gliederung an Stelle der ein-
ander gleichwertigen Teile bringt, der Entwicklung
des Schloßbaues gemäß; „das Parterre als mittlerer
Hauptraum, dem nach dem Garten blickenden
zentralen Festsaal im Schloß entsprechend, im
Anschluß daran, den privateren Gemächern analog,
die Reihe der Bosketträume, verbunden durch
Alleen, die, gleich den im Gebäude damals neuer-
scheinenden Korridoren und Galerien] eine bequeme
Verbindung zwischen den Quartieren herstellen.‘
Das Inkrafttreten des architektonisch-räumlichen
Elementes, des gutwirkenden Reliefs im Garten
durch die scharfe Trennung des Bosketts und
Parterres, „die Steigerung der Bewegung nach der
Mitte in den Hauptprospekts“, die Erweiterung
der Perspektive, diese Grundmomente des Barock-
gartens werden trefflich klar gemacht. Die Ent-
wicklung wird von den italienischen Gärten des
XVI. Jahrhunderts bis zu den Schöpfungen Lenó-
tres verfolgt. An diese Darstellung der allgemeinen
Richtlinien schließt sich die Untersuchung einzelner
Repräsentanten; bemerkenswert ist die Beobachtung,
wie der , Terrassengarten“ der römischen Villenbau-
meister des XVI. Jahrhunderts bei den französi-
schen Baumeistern nach der Mitte des ХУП. Jahr-
hunderts, ihrer Richtung auf Bequemlichkeit ent-
sprechend, in sanften abfallenden Terrassen ange-
legt wird. Unter den „Gärten der Ebene“ werden
einige der wichtigsten Schloßgärten Deutschlands
(Favorite, Veitshöchheim) besprochen. Weiterhin
unsersucht der Verfasser mit einer an Burkhardts
28
und Wölfflins Schriften geschulten Systematik die
für besondere Zwecke geschaffenen Gärten, Kloster-
und Schulgärten, Blumengärten, Orangerien, Giar-
dini secreti und die gegenwärtig im Vordergrund
des Interesses stehenden Hausgärten. Daran schließt
sich die Besprechung der für den Barockgarten
charakteristischen Einzelheiten, der Parterre-Orna-
mente, Laubgänge, Alleen, Bosketträume, Hecken,
Baumfiguren, Labyrinthe, der Wasserspiele (Kas-
kaden, Fontainen, Kanäle), deren Bedeutung im
Bilde des Barockgartens Wölfflin zuerst betont
hat. Schließlich werden die Gartenarchitekturen,
unter denen die Grotte die erste Stelle einnimmt,
und die Gartenplastik, die namentlich für die Ge-
schichte der deutschen Bildhauerei des XVIII. Jahr-
hunderts von großer Wichtigkeit ist, behandelt.
Als Abbildungen sind zeitgenössische Stiche bei-
gegeben, mit feinem Gefühl ausgewählt. Einige
Abbildungen von Gemälden, wie sie namentlich
die holländische und flämische Schule des XVI.
und XVIL Jahrhunderts bietet, hätten allerdings
die Wirkung der alten Anlagen veranschaulicht,
da der Stich mehr die architektonische Idee gibt.
Auch Photographien erhaltener alter Anlagen
wären erwünscht gewesen. Schließlich ist aber
das, was der Verfasser erstrebt hat, völlig erreicht.
Vor der Systematik mußte der individuelle Ent-
wicklungsgang notwendigerweise in den Hinter-
grund treten. Zu weit gegangen ist es, wenn aus
prinzipiellen Überlegungen heraus praktisch und
tatsächlich berechtigte Begriffe, wie „italienischer“
und „holländischer“ Gartenstil annulliert werden.
Die Schilderung der Entstehung des englischen
Gartens im Schlußkapitel ist von einem vorge-
faßten Parteistandpunkt aus entworfen. Alle Mo-
mente werden zusammengetragen, um diese Be-
wegung in Mißkredit zu bringen. Das Wesent-
liche und Positive dieser Kunstart, deren Ursprung
in einer neuen malerischen Anschauung von der
Natur beruht, die neben der architektonischen
gleichberechtigt ist, wird nicht hervorgehoben.
Es gibt einen großen und einen kleinlichen eng-
lischen Gartenstil, wie es einen großen französi-
schen Gartenstil und eine kleine schematische
Manier dieses Stils gibt; nicht aus den Gefühls-
ergússen der Romantiker oder den Spielereien der
Gartenliebhaber kann man ein Urteil úber diese
neue Gestaltungsweise gewinnen, sondern aus den
Schriften und Leistungen der großen englischen
und deutschen Baumeister der 2. Hälfte des
ХУШ. Jahrhunderts; die Blüte des großen eng-
lischen Gartenstils fällt in die Zeit von rund 1770
” bis 1810, und zwar auf englischem und nord-
"deutschem Gebiet: wenn Grisebach an Lorrain er-
innert, um das Naturgefühl, zu charakterisieren,
das den strengen französischen Garten geschaffen
hat, so wird man das gleich starke Naturgefühl
zur Blütezeit des englischen Gartens in den zeit-
genössischen Landschaften der englischen Schule,
Gainsboroughs, Girtins und besonders Constables
finden. Die Wirkung der großen englischen Parks
dieser Epoche, die übrigens nie die architektonischen
Grundlagen, besonders in Rücksicht auf die Ge-
bäude aus den Augen setzen, ist von derselben
Stärke wie die der Schöpfungen Lenótres, nur
anderer Art. Wenn der neuromantische englische
Gartenstil nach den a0er Jahren des XIX. Jahr-
hunderts die Grundgedanken des wahren englischen
Gartenstils immer mehr vernachlässigt hat, so
kann man deshalb die ganze einem kräftigen künst-
lerischen Gefühl notwendig entspringende Be-
wegung dafür nicht verantwortlich machen, aus
Prinzip. Sonst könnte Jacob von Falke dasselbe
von Grisebachs Darstellung dieses Teils der Garten-
kunst sagen, was Grisebach über Falkes 1884 er-
schienenes Gartenbuch sagt, es sei in den An-
schauungen seiner Zeit befangen. Sobald man
indes das für unsere Zeit notwendigste ins Auge
faßt und den modernen Gartenkiinstlern aus der
Geschichte heraus eine praktische Richtschnur
geben will, wird man auf den architektonischen
Garten und nur auf diesen als vorbildliche Schöpfung
hinweisen müssen. Von diesem Gesichtspunkt
aus ist Grisebachs einseitige Stellungnahme ein
Verdienst. Hermann Schmitz.
LUDWIG PASTOR, Geschichte der
Päpste seit dem Ausgang des Mittel-
alters. Vierter Band. Erste Abteilung
Leo X. Zweite Abteilung, Adrian VI.
und Klemens VII. Fünfter Band.
Paul III. Freiburg i/B., Herdersche Ver-
lagshandlung 1906, 1907, 1909.
Ludwig Pastors monumentales Werk der Ge-
schichte der Pipste bietet auch dem Kunsthistoriker
dauernd so reichen und wertvollen Stoff fir seine
Arbeit, йай sich heute niemand mehr mit der
Kunst der Renaissance in Italien beschäftigen kann,
ohne auch in diese Bände Einsicht zu nehmen.
So haben auch schon die früheren Bände bei den
Kunsthistorikern die höchste Beachtung gefunden.
Daß des Verfassers erstaunliche Arbeitskraft sich
dauernd auf erfreulicher Höhe erhält, haben die
letzten Jahre bewiesen: 1906 erschien Band IV,
1. Leo X.; 1907 Band IV, 2. Adrian VI. und
Klemens УП.; 1909 Band V: Paul III.
Kunst und Kultur im Vatican in der für das
Papsttum so verhängnisvollen ersten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts erfahren bei Pastor in den drei
letzten Bänden seiner Werke eine sehr eingehende
Würdigung. Im allgemeinen ist die Darstellung
ebenso fließend wie belehrend und erschöpfend. Der
Kunsthistoriker von Fach allerdings wird sich
schwerlich alle Urteile des Verfassers ohne weiteres
aneignen; für ihn sind zunächst vor allem wieder
die Quellenangaben von Wert, die Pastor in be-
sonderen Anhängen gesammelt hat. Will man
Spezialfragen der Kunst jener Tage im Zusammen-
hange mit der Zeitgeschichte behandeln, so ist ein
solches Unternehmen ohne Benutzung der Bände
Pastors schlechterdings nicht denkbar. Das gilt
nicht nur im Großen sondern auch im Kleinen.
Auch die Literatur über die Sixtinische Madonna
in Dresden findet man z. B. bei Pastor vollständig
angegeben. Möchte man etwas über die heute
noch immer nicht völlig aufgeklärte Frage über
die Majolika-Industrie der Medici erfahren, Pastor
weiß, daß sich vor allem im Musée de Cluny
höchst merkwürdige Stücke mit dem Medici-Papst-
Wappen befinden, und er gibt uns auch hier die
einschlägige Literatur.
Vor allem aber gelingen diesem Forscher bei
seiner einzigartigen Kenntnis der Archive Italiens,
bei seinem rastlosen Streben nach Vollständigkeit
und abschließenden Resultaten, immer wieder
größere und kleinere Entdeckungen, die für unsere
kunsthistorische Quellenkunde oft von einschneiden-
der Bedeutung sind.
Wie seltsam berührt der von Pastor erbrachte
Nachweis, daß an den Wänden der Sixtinischen
Kapelle noch zum letztenmal vor ihrer Zerstreuung
in alle Winde Raffaels Teppiche prangten, als
dort im Schreckensjahre 1527 die Leiche Bourbons
geborgen wurde! Wie wertvoll sind alle seine
Ausführungen zu Raffaels Arbeiten in den Loggien!
Wie merkwürdig ist der Auszug aus einem Briefe
Castigliones an Isabella d’Este, in dem er das
sorglose Leben Leos im Vatikan schildert, seine
Freude an der Musik, seine Teilnahme für die
Bauunternehmungen im Vatikan und vor allem für
die Loggien, die er als seine eigenste Schöpfung be-
trachten konnte. Mit Recht weist Pastor bei dieser
Gelegenheit wieder auf die merkwürdigen Kopien
der Loggien-Gemälde im Vatikan und in der
Wiener Hofbibliothek hin, mit Recht betont er
den Wert des libro di ricordi v. J. 1513 im Archiv von
St. Peter, wo sich gerade über Bramantes Bauten
noch kostbare Belege finden.
29
Zwei völlig unbekannte Breven Leos X. hat
Pastor in der Ambrosiana entdeckt. Beide sind
у. J. 1514 datiert und beziehen sich auf Fra
Giocondos Ernennung zum Oberarchitekten von
St. Peter und Giuliano da Sangallos Bestimmung
zum Administrator. Pastor weist dann weiter aus
dem Diarium des Paris de Grassis nach, daß
bereits Raffael durch seine Bauten v. J. 1514 den
Kanonikern von St. Peter die Möglichkeit gab,
wieder in der alten Peterskirche zu amtieren. Die
große Mauer zwischen dem Langhaus der alten
Basilika und dem Kuppelbau, deren Zeichnung
uns Grimaldi erhalten hat, wurde ja bekanntlich
erst viel später von Paul III. ausgeführt.
Adrians VL kurzes Pontifikat konnte der Ver-
fasser auch was die Kunst anlangt in aller Kürze
behandeln. E. Müntz hat in der Tat in den
Rechnungsbüchern dieses Papstes nur eine einzige
Ausgabe für künstlerische Zwecke gefunden, die
sich auf Goldschmiedearbeiten zum Schmuck einer
Madonna beziehen. Aber Pastor kann diesem
vielverkannten Papste noch ein anderes Verdienst
um die Kunst nachweisen: Adrian ließ die von
Leo X. verpfändeten Teppiche Raffaels wieder
einlösen und in der Sixtina aufhängen. Selbst-
verständlich finden wir bei Pastor auch über das
glänzende Grabmal Adrians mit der bekannten
vielsagenden Inschrift die gesamte Literatur zu-
sammengetragen.
Klemens VI. künstlerisches Mäcenat wurde
durch den Sacco di Roma jäh unterbrochen. Da-
mals löste sich die Schule Raffaels auf; ein großer
Teil der in Rom beschäftigten Künstler verloren
Leben oder Vermögen. Bei dieser Gelegenheit
wird Lorenzo Lotto (p. 558) versehentlich als Bild-
bauer aufgeführt; das Missale Romanum Klemens VII.
befindet sich nicht, wie Pastor angibt, im Berliner
Kupferstichkabinett. Ich selbst suchte es dort
vergebens, und es dürfte schwer sein zu erfahren,
wo es sich heute befindet. Wichtig sind vor allem
zwei bis dahin unbekannte Breve von 1531 und
1533, welche die Ernennung Peruzzis zum Archi-
tekten von St. Peter betreffen. Ferner hat Pastor
im Staatsarchiv zu Florenz Zahlungsanweisungen
an G. Barile entdeckt, der die berühmten Türen
der Loggien schnitzte. Er bringt auch ein neues
Dokument bei, Bandinellis Kopie des Laocoon
betreffend.
Wir alle wissen ja, wie sich Klemens VII. schon
als Kardinal als Gönner Michelangelos betätigt
hat. Und wenn er auch nicht immer glücklich
war in der Behandlung eines Charakters, der
selbst den Päpsten Furcht einflößte, so verdanken
wir seiner Munifizenz doch die Bibliothek der
30
Laurenziana und die Medici-Kapelle in Florenz.
Kurz vor seinem Tode bestimmte Klemens VIL
noch den Widerstrebenden, die Altarwand in der
Sixtinischen Kapelle auszumalen. Auch hierfür
bringt Pastor aus einem Briefe datiert aus Venedig
vom 2. März 1534 einen merkwürdigen Beleg bei,
in dem es heißt, daß es dem Papst endlich ge-
lungen sei, Michelangelo zu bestimmen, in der
Kapelle die „Auferstehung“ zu malen. Im Anhang
publiziert dann Pastor noch einen für die Michel-
angelo-Regesten nicht unwichtigen Brief des Fran-
cesco Gonzaga an den Herzog von Mantua, der
sich fúr seinen Palazzo del Té ein Werk Michel-
angelos wúnschte, aber natúrlich nicht erhielt.
Das Pontifikat Pauls Ш. bedeutet einen letzten
Höhepunkt des päpstlichen Mäcenats im Cinque-
cento, den selbst Pius IV. und Gregor ХШ. nicht
wieder erreicht haben. Die Quellen, welche Pastor
hier erschlossen hat, fließen besonders reichlich.
Kaum jemals voher haben die Kunstbestrebungen
der Farnese eine gleich umfassende kritische
Würdigung erfahren wie hier. Das Mäcenat der
Rovere und der Medici kennen wir ziemlich genau.
Für alles, was die Farnese getan haben um sich
der Nachwelt in Bauten und Bildern zu erhalten,
hat erst Pastor die Grundlage geschaffen, auf der
wir getrost weiter bauen können. Was haben Paul III.
und seine Nepoten nicht alles in Rom gebaut!
Die Befestigung der Stadt, der Umbau des Kapi-
tols, Umbau und Ausschmückung der Engelsburg,
die Anlage des Kloster-Palastes von Aracoeli, die
Fortsetzung des Neubaues von St. Peter — das
waren Aufgaben, wie sie sich seit Julius П. kein
Papst mehr gestellt hatte. Auch hierzu publiziert
Pastor eine Reihe von Breven vor allem Quiliano
da Sangallo betreffend zum erstenmal; er hat für
die Übertragung der Marc-Aurels-Statue vom
Lateran aufs Kapitol ein neues Datum aufgestellt;
er bringt auch für die Beurteilung des Jüngsten
Gerichtes durch die Zeitgenossen, für seine Er-
klärung und Geschichte mehr als ein neues Moment
bei. Wer endlich über die Baugeschichte von
St. Peter feste Daten und voliständige Literatur
sucht, wird sie bei Pastor mit manchen neuen und
wertvollen Angaben finden.
Die Kunstwissenschaft hat es seit langem mit
Dankbarkeit anerkannt, was ihr ein Forscher wie
Pastor an grundlegenden Bereicherungen zuge-
führt hat. Jetzt öffnet sich dem Verfasser mit
den Pontifikaten Julius III., Pius IV. und Gregors XIII.
vor allem ein neues von der kunsthistorischen
Forschung wenig bearbeitetes Feld. Möchten ihm
auch hier reiche Früchte die rastlose Arbeit
lohnen! E. Steinmann.
J. P. RICHTER, The Mond Collection.
London, John Murray, тото.
Die Publikation der berühmten Sammlung von
Dr. Ludwig Mond bedeutet ein Denkmal in der
Geschichte des Sammelwesens. Die hier in einem
groBartigen Rahmen niedergelegte wissenschaftliche
Arbeit des Herausgebers ist nicht weniger bedeutend
wie die äußere Form, in der diese Publikation an
die Öffentlichkeit tritt. Beides darf schlechthin
als vorbildlich angesprochen worden.
Zwei reich mit Tafeln durchsetzte voluminöse
Textbände, deren technische Aufmachung dem
Verleger alle Ehre macht und dazu eine pracht-
volle Tafelmappe mit 41 Heliogravüren vermitteln
restios eine Anschauung von dem Bestande der
Sammlung und der wissenschaftlichen Bedeutung
der einzelnen Werke, wie sie eindringlicher kaum
hätte gegeben werden können.
In dieser einzigen Sammlung ist die italienische
Kunstgeschichte in ihrer ganzen Entwicklung und
mit Hauptwerken ihrer prominentesten Erschei-
nungen beinahe lückenlos vertreten. Für die Dis-
position der Bearbeitung ergab sich deshalb wie
von selbst der nach Territorien eingestellte Ge-
sichtspunkt. So behandelt der erste Band, dem
das Porträt des Sammlers vorangestellt ist, zu-
nächst die venetianische Malerei, mit jenen Meister-
schöpfungen des Giovanni Bellini, Cima, Bissolo,
Palma und Tizian, denen sich die Künstler der
späteren Zeit anschließen. Ein zweiter Abschnitt
gilt Mantegna und der Malerschule von Verona.
Der zweite Band beginnt mit Lionardo und der
lombardischen Schule, leitet dann zur Malerei von
Toskana und von hier nach Umbrien über. Bologna
und Ferrara beschließen die Untersuchungen über
die italienische Kunst, während in einem Schluß-
kapitel die spanische Malerei gesondert zu Worte
kommt.
In einer besonderen Einleitung gibt Richter
einen Überblick über die Bedeutung und die Ge-
schichte der Sammlung im Großen. Er umschreibt
die allmähliche Entwicklung des Öffentlichen und
privaten Sammlers, wie sie Hand in Hand mit
der fortschreitenddn Erkenntnis der Wissenschaft
gegangen ist, zeichnet das Ideal des Sammlers,
wie es Dr. Mond verkörpert hat und gibt nach
einigen kunstwissenschaftlich-theoretischen Er-
klärungen eine Aufstellung derjenigen Bilder, die
aus dem Besitz von Dr. Mond in den Bestand
anderer Sammlungen gekommen sind.
Mit diesen Andeutungen ist nur die Disposition.
des Werkes im allgemeinen umschrieben. Die
Methode der wissenschaftlichen Untersuchung aber
hebt gerade diese Publikatoin weit aus dem Rahmen
ihrer ursprünglichen Aufgabe heraus. Dieser Katalog
der Sammlung Mond hat sich zu einem Oeuvre-
katalog der italienischen Malerei erweitert. Indem
er nämlich das einzelne Bild aus der Sammlung
nicht für sich, sondern stets im Zusammenhang
mit dem Lebenswerk seines Schöpfers betrachtet,
indem er zurückgreifend die Fäden der historischen
Evolution abspinnt und auf Grund von Dokumenten
und wissenschaftlichen Spezialuntersuchungen jeder
Arbeit chronologisch vergleichend ihre besondere
Stelle zuweist, gewinnt er erst die Grundlagen für
das logische Einordnen des in der Sammlung
Mond vertretenen Kunstwerkes. Damit aber wächst
sich seine Untersuchung zu einer fundamentalen
Arbeit über die Geschichte der italienischen Malerei
aus und unter solchem Gesichtspunkt darf die
wissenschaftliche Leistung des Bearbeiters als vor-
bildlich angesprochen werden. Dadurch erhält
letzten Endes erst die Publikation als solche ihren
ungeheueren Wert und mögen hier wie dort die
Ansichten der Forscher auch voneinander abweichen,
das Tatsächliche solcher vieljährigen Forscher-
arbeit bleibt bestehen. Es ist nicht zu viel gesagt,
wenn man die ungeheuere Arbeit, die hier nieder-
gelegt ist, als das monumentale Lebenswerk eines
Kunstgelehrten anspricht, der auch am Zusammen-
bringen jener Schätze selbst einen hervorragenden
Anteil gehabt hat. Denn Richters wissenschaft-
liche Unterstützung datierte von 1884 her. Er ist
den vom Sammler gewiesenen Direktiven „даб
diese Sammlung eine Repräsentation der italieni-
schen Kunst im Großen sein solle“ mit Glück
gefolgt und daß es ihm im Verein mit jenem
opferfreudigen Besitzer gelungen ist, in verhältnis-
mäßig kurzer Zeit etwas Mustergültiges zu schaffen,
beweist die an kunstgeschichtlichen Forschungs-
ergebnissen reiche Arbeit dieses Prachtkataloges.
Interessant wirkt im Hinblick auf das moderne
Sammelwesen jener Abschnitt der Einleitung, wo
sich Richter über den Nutzen der Morellischen
Methode für den Sammler äußert, die sich bei
der Mondcollection mehr als einmal praktisch be-
währt hat und der die Sammlung ganz allein ihre
hohe Qualität dankt. Morelli war der Freund des
verstorbenen Besitzers und ihm dankt auch der
Verfasser des Kataloges für seine Beihilfe.
Was im Einzelnen die wissenschaftlichen Er-
gebnisse für sich bedeuten, in wieweit sie die
kunstgeschichtlichen Forschungen auf dem Gebiet
der italienischen Malerei bereichern und beein-
flussen, werden wohl zur Genüge die Spezialarbeiten
der nächsten Jahre dartun, in denen mehr als ein-
mal auf die Richtersche Arbeit zurückgegriffen
31
werden wird, weil hier ein gewaltiges Material in
jahrelangen vergleichenden Studien aufgearbeitet
worden ist und weil die Sammlung des viel zu
früh verstorbenen Dr. Ludwig Mond die italieni-
sche Malerei für sich so geschlossen repräsentiert
wie kaum irgend eine andre private Sammlung
auch jenseits des Ozeans.
Wie bekannt hat Ludwig Mond seine Schätze
der Londoner National-Gallery vermacht. Es bleibt
also nichts zu wünschen übrig. Alles hat dieser
Mann getan, einem Lebenswerke, das doch nur
in einem an Arbeit reichgesegneten Dasein MuBe-
stunden ausfüllen konnte, unvergängliche Werte
zu verleihen. Was er gesammelt, wird der Nach-
welt in jedem Sinne erhalten bleiben und die
Früchte dieser Arbeit werden künftige Geschlechter
ebenso genießen können wie wir es heute tun.
So sollten Sammler denken und handeln. Sie
würden nicht nur sich selbst das schönste Denk-
mal setzen, sondern auch der Nachwelt Dienste
leisten, die wir heute noch gar nicht einzuschätzen
vermögen. Georg Biermann.
RICHARD HAMANN UND FELIX RO-
SENFELD. Der Magdeburger Dom.
Beiträge zur Geschichte und Ästhetik
mittelalterlicher Architektur, Ornamentik
und Skulptur. Mit 7 Lichtdrucktafeln und
182 Textabbildg. Berlin, G. Grote, 1910.
М. 20.—.
Seit der vortrefflichen und noch heute sehr les-
baren „Jubelschrift“ von С. L. Brandt von 1863
ist über den Magdeburger Dom nicht zusammen-
hángend gehandelt worden. Obgleich seine Bau-
geschichte höchst anziehend und voller Rätsel ist;
Goldschmidt, Dehio, Hasak, der Referent hatten
in den letzten Jahren Einzelfragen untersucht.
Nun kommt zum erstenmal wieder ein umfassen-
des Werk, das den bis ins Unendliche differen-
zierten Fragen der ganzen Baugeschichte nach-
spürt und sie vom modernen Standpunkte be-
handelt: Hamann ästhetisch und stilkritisch, Rosen-
feld, der ehemalige Archivar in Magdeburg, auf
Grund der Quellen. Das archivalische Material
ist von Rosenfeld mit aufopferndem Fleiße restlos
durchgearbeitet und manche schönen Resultate
unumstößlich festgesetzt worden. Hierzu zählt
vor allem die endgültige Festlegung der Grund-
steinlegung auf April 1209, die Umschreibung der
ersten Bauepochen bis 1231 und innerhalb dieser
verschiedene Förderzeiten sowie der Beweis, daß
Hasaks „Domkapelle von 1211“ keine Chorkapelle,
32
sondern nur der schnell errichtete Interimsbau sei,
und Beendigung der Querschiffe 1266. Daneben
eine Fülle sachlicher Angaben über den Baubetrieb,
die eine wertvolle Grundlage für die Forschung
bieten.
Hamanns Anteil an dem Werk ist weit umfang-
reicher und abgesehen von einigen Zusätzen in
Text und Abbildungen ein Wiederabdruck seiner
in den Jahrb. d. Kgl. Pr. Kunstsammlungen 1909
erschienenen Aufsätze üher die Kapitelle des Doms.
Dieser Teil gibt dem Buche schon durch die zahl-
reichen klaren Abbildungen sein Gepräge; der
Verlag hat die Ausstattung in einer wissenschaft-
lich trockenen aber vornehmen Weise besorgt.
Auch hier seien die Verdienste von Dr. Stoedtner
hervorgehoben, der vom Magdeburger Dom über
300 Aufnahmen herstellte und dadurch erst eine
so schwierige Vergleichungsarbeit wie die von
Hamann ermöglicht hat.
Es ist wunderbar, daß man so spät auf den
Gedanken gekommen ist, die Kapitelle des Magde-
burger Doms wissenschaftlich zu untersuchen. Sie
prägten den ältesten Teilen des Baues so nach-
drücklich ihren Charakter auf, daß seine Bau-
geschichte nicht an ihnen vorbeisehen kann. Diese
Wichtigkeit der Kapitelle zuerst erkannt zu haben,
ist P. J. Meiers Verdienst!); Hamann behandelt
als erster den sehr schwierigen Stoff im großen
und im wesentlichen mit ungemein glücklicher
Hand. Er überschätzt vielleicht mitunter den Wert
der Kapitelle für die Erkenntnis der Architektur,
so wenn er einem — nicht bedeutenden — Stein-
metzen derartig einschneidende Anlagen zuschreibt
(8. 104) wie die Einmauerung der Skulpturen am
Chorhaupt, oder wenn er (8. 99) meint, Profil-
formen könnten auch den Steinmetzen selb-
ständig vom Architekten überlassen werden:
das ist ganz unmöglich, denn Profile sind gerade-
zu als Signa des Architekten anzusehen. Die
Einseitigkeit der Methode erlaubt H. auch nicht,
die näheren Zusammenhänge Magdeburgs mit
Naumburg, Bamberg, Münster u. a. in ihrem archi-
tektonischem Kern zu erkennen; Arnstadt, Halber-
stadt, Riddagshausen, die unmittelbar mit Magde-
burg zusammenhängen, und ihre Gefolgschaft in
Freyburg (Marienkirche), Mühlhausen, Pforta usf. er-
wähnt er gar nicht, obwohl hier sogar vielfach
die Kapitelle einen festen Anhaltspunkt geben*).
Allein das alles hätte ihn zweifelsohne zu weit
fortgeführt, der Magdeburger Dom selbst und die
(1) Vor allem im Braunschw. Magazin, 1904, Seite ı3fl.
(2) Über diese und andere Beziehungen des von Hamann
„Niederrheinischer Meister“ genannten Baumeisters ge-
denkt Ref. demnächst ausführlich zu handeln.
Quellen seiner Kunst waren an sich schon ein
fast unübersehbares Gebiet; und wir müssen es
durchaus anerkennen, daß diese Derivation von
oben neben der sorgfältigsten Stilanalyse, die Н.
liefert, es schon wert waren, йай daneben die
Ableitungen nach unten hin, die von Magdeburg
ausgehen, zuriicktreten und seiner Methode den
Anschein der Einseitigkeit geben.
Zunächst scheint ja eine solche Fülle von plasti-
schen Ornamenten, wie sie in Magdeburg vor-
nehmlich die Ostteile bergen, in geringem Zu-
sammenhang mit der Architektur zu stehen. Es
gab da eben einen Architekten und ein Dutzend
Bildhauer, die des Architekten Bauglieder, jeder
nach seinem Kénnen, zu schmiicken hatten. Diese
Seite der Angelegenheit beschäftigt Н. zunächst
in ausgiebigem Maße. Er gibt Analysen der
einzelnen Typen und der einzelnen Bildhauer, ihrer
Gehilfen, ihrer Beeinflussungen; ja nicht genug
damit, er findet mit einem merkwürdigen Scharf-
blick auch die überaus komplizierten Stadien der
Bearbeitung (oft durch verschiedene Hände), der
Anpassung, der Zusammenstückung heraus und
bringt sie in sinnreiche Kombinationen. Man muß
sagen, daß hier mitunter etwas zu viel des Guten
geschieht, wenn der Zweck im Auge behalten
wird, den die Autoren des Buches betonen: sich
mit ihm an das große Publikum zu wenden. Ich
nehme keinen Anstand einzugestehen, daß ich
das Meiste mehrere Male habe lesen müssen, und
bezweifle ein wenig, daß die sehr schätzenswerte
Subtilität Hamanns ein Laienpublikum zum Ver-
ständnis der Architektur erziehen kann.
Wissenschaftlich aber ist mit dieser sorgfältigen
Stilkritik ein wahres Musterbeispiel der Unter-
suchung an Ornamenten aufgestellt werden. Ich
resümiere kurz die wichtigsten Typen, Meister und
Gehilfen zusammengenommen:
1. Der Meister der breitlappigen (Kelch-
block-) Kapitelle: ein origineller Menschen-
bildner, von dem der Porträtkopf mit dem Kopf-
tuch (Abb. 15) im Gedáchtnis bleibt und die ver-
renkten dústeren Figúrchen; in Ornament un-
organisch.
2. Der Meister des Magdalenentym-
panons, der fortgeschrittenste und bedeutendste
Bildhauer; von ihm das Tympanon mit Christus
und Magdalena und die herrlichen Frauenfiguren
an einem Kelchkapitell (Taf. D und E); Schulung
in Chartres; sehr wahrscheinlich identisch mit
einem (dem?) Hauptmeister in Freiberg und
Wechselburg. Sein Ornament, voll Naturgefühl
und Eleganz, gehórt zum Schónsten, was der
Ubergangsstil hervorgebracht hat. Die Hypothese
Monatshefte fir Kunstwissenschaft, IV. Jabrg. 1911, Heft x
Da, daß er der erste Meister ist, nach einer
Studienreise in Frankreich umgewandelt, ist be-
stechend in ihrer Kühnheit, aber unannehmbar aus
zeitlichen Grúnden.
3. Der „französische“ Meister, in dem
wir wohl mit Р. J. Meier einen „ehrlichen Deut-
schen“ sehen können i). Schulung in Reims. An-
mutige und phantasiereiche Erfindung. Von ihm
— und nicht von dem ,,niederrheinischen Meister“,
trotz der rheinischen Parallelen — stammen auch
die sämtlichen Portale im Chorumgang und súd-
lichen Seitenschiff. Das Tympanon Abb. 40 kann
ich nur als seine Arbeit ansehen. Nur er besitzt
die Freiheit, derartig „natürliche“ Zweige und
Blätter zu bilden.
4. Mit dem „Niederrheinischen Meister“
ist H. überhaupt nicht mehr ganz auf der Höhe
der 3 vorangegangenen Erscheinungen. Während
jene in glänzender Diktion klar, persönlich erfaßt
uns vorgestellt werden, segeln unter der unbe-
stimmten Flagge des Niederrheinischen gar zu
inkongruente Sachen. Wie soll das Adlerkapitell
(Abb. 37) zu dem flach umliegenden Blattwerk von
Abb. 44 in Beziehung gebracht werden? Ich
möchte überhaupt vorschlagen, den Architekten
vom Bildhauer, die H. in diesem Meister ver-
einigt, strenger zu trennen. Der nicht sehr per-
sönliche Künstler, der als Kennzeichen in Reihen
übereinander stehende akanthusartige Blattorna-
mente hat und vom ersten wie vom zweiten Meister
beeinflußt ist, kann unmöglich der Baumeister der
Chorkapellen und weitgestellten Arkaden sein.
Diesen móchte ich vielmehr nach einem Haupt-
werke den „Naumburger“ Architekten nennen.
Was seine Kapitelle betrifft, so sind sie in Magde-
burg an allen seinen charakteristischen Teilen unbe-
deutend gehalten, obwohl von verschiedenen Stein-
metzen gefertigt. Er, nicht der Maulbronner
(Hamann, 8. 93) hat allein das Südportal der
Kirche geschaffen; und so kündigt auch in Naum-
burg, Riddagshausen usf. eine gewisse kärgliche
Monotonie der Kapitellformen den wohl zister-
ziensisch-westfälisch geschulten Architekten. Aber
es ist hier nicht der Ort, sein Werk und das des
Maulbronners und ihrer beider Schüler zu scheiden;
in Kürze soll über diese hochinteressante Bau-
gruppe berichtet werden.
5. Der Rankenmeister ist als Persönlichkeit
noch schwerer zu fassen als der Niederrheinische.
Hamann selbst muß dieses zugeben durch Ab-
spaltung verschiedener Gehilfenarbeiten. Es emp-
(1) Besprechung der Aufsätze H.s in den Geschichtsbi. f.
Stadt und Land Magdeburg, 1909, Heft 2.
3 33
fiehlt sich vielleicht, hier den Begriff „Meister“
durch den des Typus zu ersetzen. So gefaßt,
begreift das Rankenkapitell auch das von Н. be-
sonders gewertete „Westfälische“ und „Mittel-
rheinische“ in sich. Beide sind ebenso Abarten
des Ranken-, besser Stengelkapitells, wie das ele-
gant gezeichnete und das mit den wundervoll
stilisierten Aspiden (vgl. Abb. 16—35, 83—87,
96—102). Ihr massenhaftes Auftreten in Sachsen,
Weatfalen, Rheinland, ihre starke Variabilitát, die
ein festes Abgrenzen von Persönlichkeiten außer-
ordentlich erschwert, ja unfruchtbar erscheinen läßt,
besagt vor allem, daß dieses der Haupttypus der
führenden Bauschulen um 1210—1240 im Nord-
westen Deutschlands ist. Die mainfränkischen
(Gelnhauser) Formen variieren denselben Typus
mit kräftigem Einschlag von Maulbronn. Es ist
also für die Architektur gerade mit diesem Kapitell
nicht viel anzufangen. H. faßt denn auch in Er-
kenntnis ihrer mangelnden Schlußfähigkeit das
eigentlich architektonische Ergebnis aus dem gleich-
zeitigen Vorkommen von Ranken- (und Nieder-
rheinischen) Kapitellen ziemlich unbestimmt. Als
besonders drastisches „Gegenbeispiel“ möchte ich
nebenher erwähnen, daß an den Türmen von
S. Blasii in Mühlhausen (das von Arnstadt abhängt)
zwei Kapitelle von reinem Maulbronner Typ vor-
kommen, während der Bau selbst mit Maulbronn
(resp. den Bischofsgang in Magdeburg) gar nichts
zu schaffen hat. Steinmetzen arbeiteten eben über-
all, wo es etwas zu tun gab, und bei lockerer
Zügelführung des Architekten auch in der Form
ganz selbständig.
6. Einen an sich uninteressanten Typ hat H.
nicht mit aufgeführt; es sind sehr große, dick-
blätterige und dickknospige Formen mit gerilltem
Hals; auch die schilfblattartigen fleischigen Blätter
gehören wohl hierher.
7. Der — durch Р. J. Meier — hinlänglich be-
kannte Akanthusmeister aus Speier.
8. Die Maulbronner Typen.
9. Die halbnaturalistischen Knospen-
kapitelle im Hochchor und nördlichen Quer-
schiff. NB. In diese, die V. Bauperiode, und nicht
in die Umgebung des Portalmeisters der I. Periode,
wie H. (S. 93) und P. J. Meier annehmen, gehört
die Figur des „Bonensack“, wie aus ihrem Laub-
werk und der vorgeschrittenen plastischen Behand-
lung hervorgeht. Daß dieser „Bonensack“, der
seit undenklichen Zeiten in der Domliteratur her-
umspukt, an dem Bischofsgang und somit auch
dem Maulbronner Paradiese völlig unschuldig ist,
möchte ich hier ausdrücklich betonen, weil ich
selber einen guten Teil der Schuld daran trage
34
(durch mein Buch über Maulbronn), daß dieser
von Hasak in die Welt gesetzte Irrtum sich hart-
näckig behauptet hat. Auch dies Verdienst ge-
bührt Hamann, die falsche Bezeichnung richtig
gestellt zu haben.
то. Die gotischen Kapitelle entbehren des
persönlichen Interesses, das die nachromanischen
auszeichnet. Doch ist hier auch schärfer die ältere
Art der Seitenschiffe (nebst Ernstkapelle, Brunnen-
haus — vor dem Südportal, im Kreuzgang — und
Nord-Kreuzgang) mit ihrem fröhlich wuchernden
Blattwerk von der späteren des Hochschiffs (um
1300 bis ca. 1330) zu trennen; diese sind ab-
strakter und oft kahl. —
Die Schlußfolgerung von den Ornamenten auf
die Architektur und mehr noch deren kritische
Untersuchung selbst hat H. zu wertvollen Resul-
taten geführt, die für die Baugeschichte des Magde-
burger Doms wohl immer maßgebend bleiben
werden. Er hat die vordem — namentlich durch
Hasaks Kritiklosigkeiten — ganz verworrenen An-
teile der I. und II. Bauperiode sauber auseinander-
geschält; hat gezeigt, daß dem ersten Meister mit
den französischen Chorgrundriß und der Freude
an romanischem Formenreichtum nicht mehr die
Gewölbe des Chorumgangs gehören, welche viel-
mehr ebenso wie die 5 Chorkapellen, der aus West-
falen kommende „Niederrheinische“ (Naumburger)
Meister zugefügt hat. Als die eigentliche Tat
dieses bedeutenden Mannes aber hat er die jetzige
Gestalt der Langhausarkaden festgestellt; ent-
gegen der Annahme P. J. Meiers (und mit Recht),
daß diese Verbreiterung der Seitenschiffe und das
Aufgeben des Zwischenpfeilers erst nach 1274 ein-
gesetzt habe. Hinzuzufügen ist, daß als nächste
Konsequenz dieser kühnen Tat das System von
Münster i. W. zu gelten hat: es bleibt nichts
anderes übrig, da Magdeburg etwa 1215 und der
erneute Baubeginn von Münster 1225 fällt, als eine
Beeinflussung des westfälischen Domes durch
Magdeburg anzunehmen, wie solche auch durch
andere Gründe gestützt wird; nicht umgekehrt.
Die weiten Arkaden also stammen nicht aus West-
falen, wie H. annimmt, sondern sind von Magde-
burg dorthin übertragen.
Überzeugend sind die Hinweise auf rheinische
Vorbilder für den Meister, in 8. Andreas-Köln,
Bacharach, Sinzig; und die Verwandtschaft der
Kapelle der Neuenburg mit ihm (vielleicht ein
Schulwerk).
Die Nebenchöre der Stiftskirche zu Offenbach a.
Glan stammen hingegen aus Maulbronner Schule.
Die Teilung der Arbeit am Bischofsgang und
das eigentümlich Zwiespältige in der Hochchor-
bildung hat Н. sehr richtig analysiert. Man tut
am besten, hier das Meisterprinzip auch auf die
Architektur direkt anzuwenden (wie ich es in
„Maulbronn“ durchgehends versucht habe) und
die Unbestimmtheiten dadurch zu beendigen, daß
man einen Meister annimmt, welcher dem „Naum-
burger“ nahe steht, vom Maulbronner lernt und
zunächst dreiviertel des Bischofsgang nach dessen
Vorbild, ungeschickt genug, vollendet, sodann den
Chor ausführt. Auf ihn, nicht auf den Maulbronner
— der aus Montier-en —. Der allerdings wohl die
Anregung gebracht hatte — oder gar auf einen
untergeordneten Steinmetzen (Н. 8. 104) geht auch
die Einmauerung der Portalfiguren im Chorhaupt
zurück. `
Widerspruch möchte ich dagegen erheben, daß
die Doppelgalerie am Chordache in diese Periode
(bis 1231) fällt. Derartige nüchterne gotische
Formen (H. gebraucht selbst das Wort ,,gotisch“ 1)
finden sich schwer vor dem Ende des ХШ. Jahr-
hunderts. Hier lassen sie sich, samt der auf-
fälligen Verdoppelung, sehr einfach in die Zeit
der Langschifiswölbung einreihen, da man dss
vordem niedrige Chordach auf die Höhe der
übrigen bringen wollte und die Aufhöhung in der
ansprechenden Form des Laufganges über dem
bisherigen Gesims vollzog. Der Gleichheit des
ganzen Baus wegen setzte man dann noch die
Galerie des Langhauses über diesem Laufgang fort.
Auch das Vorbild für das Fassadenportal ist
keineswegs in Straßburg zu suchen. Es ist viel-
mehr eine sehr tüchtige, in allen wesentlichen
Stücken getreue, aber doch plumpere Wiederholung
des Portals am Südtranssept der Kathedrale von
Rouen. —
Wie zu erwarten war, fallen durch die Ornament-
vergleichung auch auf die Plastik im Magde-
burger Dom einige helle und sehr erwünschte
Streiflichter. Als anmutige Überraschung erscheint
hier auch das Wiederauftauchen des Meisters vom
Magdalenentympanon an der Freiberger Goldenen
Pforte. Indessen sind diese Zusammenhänge noch
nicht geklärt und bedürfen auch noch der ge-
naueren Untersuchung. Auch die Ableitung des
Stiles der Madonna auf dem Drachen (im Nord-
transsept) und ihrer zugehörigen Gruppe von den
antikisierenden Figuren in Reims scheint recht
glücklich; vergessen sind nur die krontragenden
Englein über der ganz sonderbar zusammenge-
stoppelten Madonna im Südtranssept, die mit dem
Christkind jener Maria zusammengehen und
sicherlich ebenso wie der König, auf dem die
zweite steht, zur ersten gehörten. Über die Zu-
sammenkoppelung der beiden Verkündigungs-
figuren in der III. Chorkapelle müssen sich trotz
der Einmütigkeit in der Literatur (welcher Hamann
und auch P. J. Meier beitreten) Zweifel erheben;
nicht bloß die Größe, auch der Stil der beiden
Figuren ist ein gänzlich verschiedener, die Madonna
hängt weit eher mit dem Naumburger Gewandstil
zusammen als der Engel Gabriel. Diesen als reifstes
Werk der Hand zu bezeichnen, weiche die klugen
und törichten Jungfrauen schuf, stehe ich keinen
Augenblick an; wie ich auch die Datierung der
Jungfrauen wegen der zwei frühgotischen Blatt-
basen und des entwickelnden Gewandstiles kaum
vor 1270 setzen möchte. Der Zusammenhang
dieser Figuren mit einigen Bambergern, dem
Stephan, dem Gabriel und der hl. Anna (im süd-
lichen Seitenschiff des Bamberger Doms) ist der
des Schülers vom Meister, aber es ist ein Schüler,
der seinen Lehrer übertroffen hat.
Gegenüber der Verschiebung des Einflusses, dem
die Portalfiguren im Magdeburger Chorhaupt unter-
liegen, nach Reims hin ist an der Goldschmidt-
schen These von Chartres festzuhalten.
Paul Ferd. Schmidt.
CATALOGUE of Early italian En-
gravings preserved in the Depart-
ment of Prints and Drawings in the
British Museum. By Arthur M. Hind,
Assistant. Edited by Sidney Colvin,Keeper.
London: gr. 8°; 1910. (Zwei Bände, L II,
627 SS. und XVI SS. nebst 198 Tafeln.)
Die Kataloge des Kupferstich-Kabinetts im British
Museum haben sich von jeher dadurch ausge-
zeichnet, daß sie weit mehr bieten als ein be-
schreibendes Verzeichnis der Gegenstände die sie
aufzählen, und mit Dodgsons Verzeichnis der
deutschen Holzschnitte, 3. B. haben sie ein Werk
aufzuweisen, dessen wissenschaftliche Bedeutung
ersten Ranges ist. Der hier zu besprechende Katalog
schließt sich jenem völlig ebenbürtig an. Durch
den Umstand daß das British Museum fast alles
was es nicht im Original besitzt, wenigstens in
Reproduktionen hat, die es mit aufstellt, und die
in diesem Werk genau wie die Originale behandelt
worden sind, ist eigentlich nichts weniger wie ein
vollständiges Kompendium (eine Reservation muß
ich noch später machen) des italienischen Kupfer-
stichs der Zeit von ca. 1450 bis ca. 1520 zu Stande
gekommen. Es ist eine so erwünschte Gabe die
wir hier erhalten, ein Buch in dem ziemlich der
ganze Bestand an in Frage kommendem Material
uns wissenschaftlich angeordnet und kritisch be-
4
35
sprochen vorgeführt wird, daß wohl schwerlich
jemand doktrinär genug sein dürfte, um den Ver-
fassern vorzuwerfen, daß Blätter die das British
Museum nicht besitzt, auch in dessen Katalog
nicht mit aufzunehmen gewesen wären. Im Gegen-
teil! Ganz zu letzt steht noch ein kurzes Ver-
zeichnis bislang unbeschriebener früher italienischer
Stiche die den Verf. aus anderen Sammlungen
bekannt sind. Es ist zu bedauern, finde ich, daß
diese Blätter nicht auch gleich mit in den Haupt-
katalog verarbeitet worden sind: der Grund hier-
für ist mir überhaupt nicht recht klar. Wenn es
etwa der wäre, daß das British Museum von diesen
Blättern nicht einmal Reproduktionen besitzt, so
würde ich ihn für recht ungenügend erklären, be-
sonders da es sich diese Reproduktionen doch
noch leicht hätte beschaffen können.
Dies ist eins der wenigen Dinge, die an dem
Werk auszusetzen sind. Ein anderes wäre das
Abbildungsmaterial. Es stammt aus der Zeit um
1885, als der vorliegende Katalog bereits einmal
geplant war. Damals war die Photolithographie
noch ziemlich weit zurück und in einem heutigen
Buch nehmen sich diese beiläufig 200 Tafeln recht
sonderbar aus. Es ist natürlich keine Kleinigkeit
ein solches Abbildungsmaterial einfach wegzu-
werfen, aber einem Institut wie dem British Museum,
meint man, müßte das doch möglich gewesen
sein. Im übrigen bieten die Tafeln verkleinerte
Wiedergaben fast sämtlicher Originale desMuseums.
Sie genügen, um die Komposition zu veranschau-
und der Beschreibung nachzuhelfen. Eine Con-
cordanz der früheren Nummern, die sich noch auf
den Tafeln befinden, mit den neuen des Katalogs
erlaubt es die gewünschten Bilder bald aufzufinden.
Es ist schon ein stattliches Korpus des früh-
italienischen Kupferstichs, das uns hier in Wieder-
gaben vorgeführt wird. Ist doch das British
Museum Kabinett das zweitreichste an diesen
Blättern, an Seltenheiten vielleicht das allerreichste
auf der ganzen Welt.
Sidney Colvin, der Direktor des Kabinetts im
British Museum hat stets den frühen italienischen
Kupferstich als ein Spezialgebiet gepflegt und hat
die weitgehendsten Vorarbeiten für diesen Katalog
geschaffen. Seine beruflichen Abhaltungen wohl
haben es ihm unmöglich gemacht die Arbeit selbst
herauszubringen. In Herrn Hind fand er die
arbeitsfreudige, geübte Kraft, der das gesamte
Material noch einmal durchging, und besonders
die neuesten Forschungen verwertet hat. Alles
Bibliographische und das meiste Tatsächliche ist
von ihm. Schießlich ist ein Buch zu Stande ge-
kommen von dem die beiden Verfasser bekennen,
36
daß sie von manchem Satz selber nicht wissen,
wer ihn eigentlich formuliert hat, während sie einer
Sache ganz gewiß sind, nämlich daß kein einziger
Satz stehen geblieben ist, den sie nicht beide
gleichmäßig vertreten können.
Das Katalogisieren des früh italienischen Stichs
rechnen die Verfasser zu den schwierigsten Auf-
gaben der Kupferstichkunde. Angefangen mit
Vasari, haben sich alle älteren Fachschriftsteller
bis auf die Mitte des vorigen Jahrhunderts herab,
darin gefallen, Märchen als Tatsachen vorzu-
tischen und auf jede noch so unverstandene Tat-
sache hin kühne Hypothesen aufzubauen. An
eigentlichen ernsten Vorarbeiten fanden die Ver-
fasser so ziemlich nur jene P. Kristellers vor.
Mit ihm, bekennen sie aber, können sie so gut
wie nie gehen, und müssen in allen wichtigen
Fragen sich stets auf die entgegengesetzte Seite
stellen.
Koloff hatte bereits die frühflorentinischen Stiche
in zwei Gruppen eingeteilt, jene in der feinen,
engen Stichweise, und jene in der derben, breiten.
Diese Einteilung nimmt der vorliegende Katalog
an und setzt, gegenüber Kristeller der die Sache
auf den Kopf stellt, die feinen Stiche als das
primäre, als die Leistung der Goldschmiede, zwi-
schen die Jahre 1460 und 1480 praeter propter; die
derben (unter denen es bekanntlich manche Wieder-
holungen aus der ersten Gruppe gibt), als das
Sekundäre, als die Schöpfung von Malern, zwischen
die Jahre 1475 und 1490. Mit ihrer Beweisführung,
gegenüber Kristeller, daß die feine Manier sich
ganz mit der Technik der Nielli — der ausge-
sprochensten Goldschmiedearbeit also, — deckt,
treffen die Verfasser m. E. ganz das Richtige,
wie sie auch richtig hervorheben, daß die reiche
Ornamentik dieser „feinen“ Stiche, die bei den
„derben“ stark vereinfacht wird, auch dafür spricht,
daß es Goldschmiedsarbeiten sind. Endlich ver-
weisen sie noch auf den Stich der ein Gold-
schmiedsinterieur zu Florenz im XV. Jahrhundert
darstellt, auf dem unter anderen der Kupferstecher
als mit zur Werkstätte Gehóriger erscheint.
Künstlerisch, bringen die Verf. diese „feinen“
Stiche in der Hauptsache mit dem Künstler und den
Künstlern der berühmten Florentiner Bilder Chronik
(im Besitz des British Museums) in Verbindung. Nicht
nur weisen sie die vielen Berührungspunkte nach,
sie beweisen auch einwandsfrei die Hinfälligkeit
der Hypothese Kristellers, der die Chronik als
nach den Stichen kopiert hinstellen möchte. In-
dem sie nun das was wir bestimmt von Finiguerra
überliefert bekommen haben, nochmals zusammen-
stellen, kommen die Verf. zu dem nicht allzu
kühnen und ziemlich einleuchtenden Schluß, daß
Maso Finiguerra (mit seinen Schülern) sehr wohl
der Urheber der „Bilderchronik“ und der damit
unzertrennlich verknüpften frühen Stiche in „feiner“
Manier, sein könnte. Sie ziehen dazu noch die
Zeichnungsreihe in den Uffizien herbei, die der
alten Überlieferung gemäß von Finiguerra her-
rührt, und sich oft als eng verwandt mit der
Chronik sowie mit den Stichen erweist. Somit
hätten sie (was Colvin allein schon früher vor-
schlug), der alten auf Vasari zurückgehenden Über-
lieferung die Finiguerra als Vater des Stichs über-
haupt hinstellt, eine neue höchst bedeutungsvolle
Wendung gegeben. Das erscheint mir als sehr
wichtig und glücklich: denn es ist immer eine
unbefriedigende Sache, wenn man mit ernsthaften
alten Überlieferungen nicht anders fertig werden
kann, als daß man sie schlankweg verwirft.
Für das Atelier in dem die Stiche der „derberen“
Manier entstanden, schlagen die Verfasser in einer
nicht weniger geistvollen Hypothese, Francesco
Rosselli, vor.
Alle diese Erörterungen findet man in der Ein-
leitung, aber nicht minder interessante bringt das
Verzeichnis selbst, bei Gelegenheit der verschiedenen
Versionen der Planeten, der Triumphe des Petrarca.
der Propheten und Sibyllen und besonders auch
der sogenannten „Tarrocchi“. Vorsichtig und vor-
trefflich ist besonders die Darstellung des Ver-
hältnisses der beiden Tarrocchi Zyklen zueinander
geschildert, wo sie wieder in der feiner ge-
stochenen (nicht besser gezeichneten!) Folge die
ursprüngliche erkennen, und damit Bartschs Ver-
sehen, das mittlerweile aufgewärmt worden ist,
richtig stellen. Die Originalfolge lokalisieren sie
nicht auf Venedig, sondern auf Ferrara, und die
Kopienfolge auf die Nachfolgschaft der Finiguerra-
schule. Es führte zu weit, wollte ich hier auf
alle diese Fälle eingehen, bei denen überall Fragen
der Priorität, ob Kopien, ob Vorlagen, der Schul-
zuschreibung usw. auftreten. Möge es genügen
im allgemeinen zu sagen daß mir die Begründung
der Verf. stets gewichtig und überzeugend er-
scheint.
Hervorgehoben muß aber noch werden mit welch
unendlicher Hingabe und Gewissenhaftigkeit der
Katalog gearbeitet erscheint. Neben den rein fach-
wissenschaftlichen werden auch alle historischen
und stofflichen Fragen erschöpfend behandelt. Die
Bibliographien ermöglichen es dem der es will
bei jedem Schritt die Arbeiten der Verfasser zu
kontrollieren. Ähnlich wie bei Lehrs’ monumen-
talem Werk über die Inkunabeln des nordischen
Stichs, werden alle bekannten Exemplare der Platten,
'zuspüren versteht.
mit Standortsangabe besprochen, nicht nur die im
British Museum befindlichen. Auf тд Seiten stehen
Faksimiles der Wasserzeichen. Alle notwendigen
Indices und Register, z. B. auch eins mit den
Verweisen von Bartsch, Passavant und Koloff auf
den vorliegenden Band, sind vorhanden. Unter
dem bescheidenen Titel eines Katalogs ist uns
ein Werk geboten worden, das nichts weniger als
eine der Hauptleistungen der ganzen Wissenschaft
in diesem Fache ist. Hans УУ. Singer.
CARL JUSTI. Michelangelo. Neue
Beiträge zur Erklärung seiner Werke.
Mit 4ı Tafeln. Berlin 1909. G. Grote-
sche Verlagsbuchhandlung.
HEINRICH BROCKHAUS. Michel-
angelo und die Medici-Kapelle. Mit
35 Abbildungen, darunter 8 Separatbilder.
Leipzig К. A. Brockhaus 1909.
In Carl Justi verehren wir den Nestor deut-
scher Kunstwissenschaft; einen Mann von künst-
lerischem Empfinden und lebendiger Gestaltungs-
kraft, der den größten Meistern wie kaum ein
anderer Gelehrter nahe zu treten und nicht allein
die einzelnen Werke in ihrem Werden und nach
ihren Schicksalen psychologisch zu begründen,
sondern auch den Gesetzen künstlerischen Schaf-
fens überhaupt, nach Maßgabe der jeweiligen in-
dividuellen wie allgemeinen Voraussetzungen, nach-
Ein Kenner der Weltliteratur,
wie es derzeit kaum einen zweiten auf kunst-
wissenschaftlichem Gebiete geben dürfte, verbindet
er mit seinem reichen Wissen ein umfassendes
Gedächtnis, darin Winckelmann, dem Vertreter
bibliothekarischerGelehrsamkeit, gleichend, dessen
Wesen und Wolien er ja in mustergültiger Weise
erkannt und dargelegt hat. In diesem Gedächt-
nisse ruht sicher und wohlverwahrt jener Schatz
von Kenntnissen und Erfahrungen, von Beispielen,
Vergleichen und Analogien, von Zitaten und Aus-
sprüchen, die ihm jederzeit und bei jeder Gelegen-
heit die Möglichkeit gewähren, zu wählen, zu kom-
binieren und mit freigebiger Hand, bisweilen nicht
frei von Koketterie oder Manier, seine Ausführungen
zu beleben und zu veranschaulichen. Und auch
darin gleicht er Winckelmann oder dem Baron von
Rumohr, daß er sich für seine Gedanken eine
eigentümliche Sprache geschaffen, von scharfem
Schliffe, klar und abgerundet, vornehm und wohl-
lautend, die den Leser, selbst wenn sich Skepsis
und Widerspruch gegen den materiellen Gehalt
seiner Erörterungen einstellen, fesselt und anregt.
37
Diese glänzenden Vorzüge haften im besonderen
Maße Justis Beiträgen zur Erklärung der Werke
und des Menschen Michelangelo an, deren erste
Serie im Jubeljahre 1900 erschienen ist, Sie
wirkten damals wie eine Offenbarung; und auch
heute noch, nach längerer Pause der Aufnahme
und Verarbeitung, bestehen ihr Wert und ihr Reiz
unvermindert fort. Und dabei enthalten sie nur
zwei Abhandlungen, freilich über zwei der größten
Schöpfungen Michelagniolos, Sixtina und Julius-
grab; denn in meisterhafter und mustergültiger
Weise ist in ihnen der Versuch unternommen
(und relativ auch durchgeführt) worden, vermit-
telst einer eindringlichen, ebenso feinsinnigen wie
formvollendeten Analyse, den künstlerischen Ge-
halt, Sinn und Bedeutung dieser Darstellungen
herauszuheben, vor allem darzutun, wie diese in
unmittelbarer und unldslicher Wechselbeziehung
zum Mensehen selbst, als Ausdruck seiner eigen-
sten inneren Erlebnisse aufzufassen seien, und
wie die Kämpfe und Leiden, die inneren Kon-
‘flikte, Sym- und Antipathien des Künstlers Wesen
und Gang seiner Tätigkeit, bald glücklich bald
verhängnisvoll, beeinflußt haben.
Auch in den „neuen“ Beiträgen zur Erklärung
der Werke Michelagniolos, die anno 1909 er-
schienen sind, und die wir hier zwar verspätet,
aber nicht zu spät anzeigen, verfährt Carl Justi
nach diesen Gesichtspunkten. Der Verfasser mochte
den fragmentarischen Charakter jener ersten Arbeit,
ihre Ergänzungsbedürftigkeit selbst fühlen. Six-
tina und Juliusdenkmal, so sehr sie im Mittel-
punkte von Michelagniolos künstlerischem Schaffen
stehen, wie sie die Ausgangspunkte für die spätere
Entwicklung und Tätigkeit des Meisters bilden,
erscheinen ihrerseits bereits als Ergebnisse eines
längeren, inneren wie äußeren Gestaltungspro-
zesses, ohne dessen Darlegung jene doch nicht
vollkommen verständlich sein würden. Die Ge-
schichten wie Einzelfiguren der Sixtina z.B. haben
ihre ganz bestimmten Vorstufen im Oeuvre Michel-
agniolos und nicht bloß in formaler Beziehung.
Diese, ich möchte sagen, ikonographisch-stilistische
Entwicklung des Meisters, deren Analyse haupt-
sächlich vermittelst seiner Handzeichnungen und
Entwürfe zu führen ist, gehört zu den interessan-
testen und wichtigsten Problemen der neueren
Forschung. So setzt Justi nunmehr jenen beiden
Abhandlungen die ganze Jugendgeschichte Michel-
agniolos voran und läßt auf sie von den späteren
Arbeiten seit dem Regierungsantritte Leos X. eine
Auswahl, nämlich die Denkmäler von San Lorenzo
und das Weltgericht nebst einigen anderen in
diesen Zusammenhang gehörigen Stücken folgen.
38
Wie die erste Serie ferner ein Kapitel allgemei-
neren Inhaltes über Michelagniolos technisches
Verfahren, seine Grundsätze und bildnerischen
Gepflogenheiten beschließt, so endet die zweite
Serie dieser Beiträge mit einer größeren Abhand-
lung über den „Menschen und Künstler“, in wel-
cher nach bestimmten Kategorien wie: Terribile,
Temperament, Amatore divinissimo (nach Varchis
Elogium), Genie, Antinomismus, Idealismus, Porträt,
Einheit und Mannigfaltigkeit, Komposition, Kolle-
gialitát, die Frau in der Kunst, die Madonna,
Kirche und Antike — Person und Schaffen Michel-
agniolos charakterisiert werden.
Gewiß, weit schärfer wie die Zeitgenossen des
Künstlers und die meisten seiner späteren Biol
graphen ist es Justi gelungen, in das Innen-
leben dieses seltenen Mannes zu blicken und es
dem Verständnisse näher zu bringen. Wenn
gleichwohl diese Skizzen nicht die Befriedigung
und Zustimmung zu finden vermögen wie jene
beiden ersten Abhandlungen, so liegt das vor-
nehmlich an der Art ihrer Entstehung und
Fassung.
Die Idee des Verfassers war eine „freie Dis-
kussion der einzelnen Werke, ungeniert durch die
übliche Einschaltung in die Erzählung seiner
Lebensgeschichte.“ Und der Verfasser konnte
diesen Gedanken hegen, grade weil die biographi-
schen Erzählungen, die, zumeist im Anschlusse
an Vasari oder an Vasari und Condivi, seit Michel-
agniolos Tode nicht versiegt sind, das Verständnis
seiner Schöpfungen eher behindert denn gefördert
und ein höchst einseitiges, mit der Wirklichkeit
wenig harmonierendes Bild seiner Persönlichkeit
geschaffen haben. Sixtina und Juliusdenkmal bieten
aber in ihrer Totalität wie ihrer Entstehung nach
die relativ beste Handhabe, den künstlerischen wie
psychologischen Gehalt, frei von biographischem
Ballaste wie von all den Legenden und Schlag-
wörtern, die sich im Laufe der Zeit über den
Menschen wie Künstler verdichtet haben, zu ana-
lysieren. Daher die Prädilektion des Verfassers
gerade für diese beiden Stofte. Daher die sichere
und ursprüngliche, ich möchte fast sagen, mit
jugendlichem Schwunge und Siegesgewißheit durch-
geführte Behandlung. Daher endlich der glänzende
Erfolg dieses ersten Buches mit seiner Fülle hand-
greiflicher Wahrheiten, die aussprechen was Un-
zählige schon gefühlt, geahnt, gedacht, aber —
nicht gesagt haben; die einmal produziert, sofort,
ohne sonderlich viel Kritik, Allgemeinbesitz ge-
worden sind — die alte Geschichte vom Ei des
Kolumbus.
Aber diese Justi eigentiimliche, im besten Sinne
des Wortes essayistische Betrachtungsmethode ist,
soll der Gewinn über das literarische und Unter-
haltungsinteresse hinaus, ein unbestechlicher und
unvergänglicher sein, generell nicht ohne weiteres
anwendbar, besonders nicht auf Michelagniolos
Jugend- und Altersentwicklung, wo sich überall
die biographischen Momente und Tatsachen ein-
drängen. Und ist denn, so frage ich, die Lebens-
geschichte dieses Künstlers wirklich so genau be-
kannt, so feststehend, daß von ihr abgesehen
werden könnte? Bringen nicht jede eindringlichere,
schlichte, vom hohen Stile der Diktion wie der
Gefühle freie Beschäftigung mit dem Leben Michel-
agniolos, jede festere Quellenkritik, chronologische
Untersuchungen, Analysen seinerHandzeichnungen,
die eine Hauptquelle der Biographik, nicht nur in
diesem Falle, sind, usw. eine Fülle bedeutsamer
Tatsachen zum Vorschein, die unsere Vorstellungen
bereichern, vertiefen, klären, scheinbar alte und
sichere Wahrheiten zu revidieren, zu korrigieren
und zu nüanzieren zwingen? Und weiter, läßt
sich denn gerade Michelagniolo gleichsam unter
eine Glasglocke luftdicht verschließen und sezieren?
Daher fehlt auch Justis so anregenden Darlegungen
am letzten Ende das Zwingende. Der Eindruck des
Willkúrlichen stellt sich schon in bezug auf die Aus-
wahi der Themata ein. Die obengenannten Kategorien
z. B. erschöpfen das Kapitel: Mensch und Künstler
bei weitem nicht. Das was ich ikonographisch-stilisti-
sche Entwicklung der Probleme, nach Gegenstand wie
Behandlung, nenne, die Schilderung der ungeheueren,
geistigen wie künstlerischen Arbeit des Meisters
in ihrer beständigen Wechselwirkung erscheint
doch zu wenig berücksichtigt; auch der Aufbau
eines Werkes, z. B. der Gräber von San Lorenzo,
aus den sie vorbereitenden echten Handzeichnungen,
ist vielfach zu vermissen. Eine ganze Reihe von
Arbeiten finden sich unter den Werken Michel-
agniolos behandelt, die auf diesen Namen keinen
Anspruch haben; und man erfährt nicht immer
Justis definitives Urteil darüber und die Gründe
für ihre Einreihung. Justi meint, nach dem Witze
des alten Hesiods sei die Hälfte besser als das
Ganze; daher die Auswahl. Das dürfte aber schon
als Witz nicht zutreffen. Und wenn er die Werke
ausläßt, bei denen das was er zu sagen hatte,
„weniger erheblich und vom geltenden abweichend
schien“, so sage ich: Ein Mann von Justis Be-
deutung hat allemal das Recht auch Bekanntes
und scheinbar abgedroschene Wahrheiten zu
wiederholen. In seinem Munde lauten die Dinge
doch anders. Und ist denn andererseits alles, was
er gebracht, neu, erheblich und vom Geltenden
abweichend; gerade in der Jugend z. B.? Gilt
jenes Axiom auch von Michelagniolos Peterskuppel,
überhaupt von seiner architektonischen Tätigkeit,
die überaus stiefmütterlich bedacht erscheint? Doch
wozu Rekriminationen! Ein Carl Justi darf seinen
Stoff ausschneiden und verarbeiten, wie es ihm
gefällt. Meine Bemerkungen sollen ja nur das
Bedauern ausdrücken darüber, daß der verehrte
Gelehrte nicht das volle Leben Michelagniolos,
gleich seinem Velasquez, behandelt hat. Aber
nun wird auch die wachsende Unlust ver-
ständlich, von der Justi spricht, seine Skizzen, die
„vor der Sturmflut von Michelangelo- Publikationen“
niedergeschrieben worden sind, — er legt auf die
Konstatierung dieser zeitlichen Priorität Gewicht —
für den Druck zu adaptieren. Ist es wirklich nur
die Rücksichtnahme auf den mit Michelagniolo-
Erzählungen übersättigten Leserkreis, die ihm
dieses Gefühl bewirkt hat? Entspringt es nicht
im letzten Grunde einem gewissen Abflauen des
Interesses an dieser Materie (mit dem sehr wohl
der Gegendruck, den die Existenz von Manu-
skripten und einer gewissen, damit verbundenen
Summe von Arbeit auf einen Autor auszuüben
pflegt, verständlich ist), wie ihrer ganzen Anlage
und Fassung? Immerhin, danken wir Justi
für seine Gabe, so wie sie schließlich gestaltet
und veröffentlicht worden ist.
Das von Justi angewandte Prinzip, nämlich aus
der jeweiligen speziellen Veranlagung des Künst-
lers dessen Oeuvre zu erklären, war und ist sicher-
lich ein fruchtbares. Aber diese „Beiträge“, nament-
lich die beiden ersten Abhandlungen, bewirkten
einen Strom von Entdeckungen und Enthüllungen
von Geheimnissen und Rätseln, von Deutungen
und Interpretationskünsten inbezug auf die Psyche
wie die Hauptwerke Michelagniolos, daß die Be-
schäftigung mit ihnen ziemlich verleidet, und die
ernste Arbeit der Forscher, die noch etwas posi-
tives zu sagen haben, erschwert wird. Eine Zu-
sammenstellung dieser Erklärungsversuche hetero-
genster Art ergibt das wunderlichste Bild, das
jedoch mehr die Züge der verschiedenen Verfasser
denn des Meisters, dem sie angedichtet werden,
trägt. Oft genug ohne genügende Vorbereitung,
ohne Kenntnis des Materiales, der geschichtlichen
wie persönlichen Voraussetzungen, auf allerlei zu-
fällige Ähnlichkeiten, Übereinstimmungen usw.
hin, werden Kartenhäuser errichtet, die mühelos
umzublasen sind. Zu diesen „Enthüllungen“ ge-
hört die Schrift von H. Brockhaus: Michel-
angelo und die Medici-Kapelle. Aus gelegentlichen
Besprechungen, Aufzeichnungen und Vorträgen ist
das Büchel allmählich entstanden, das in 5 Ab-
schnitten auf 88 Seiten (exkl. die Beilagen im An-
39
hange р. 89—115) nicht allein die Medici Kappelle
nebst deren Figurenschmuck, sondern die ge-
samte Kunst sowie die Kunstprinzipien des Meisters
deuten will. Ich bedauere, mich fast überall
strikt ablehnend gegen die Ausführungen des Ver-
fassers verhalten zu müssen. Auf Schritt und
Tritt begegnet eine unzulängliche Quellenkenntnis
und -kritik, eine schiefe oder unrichtige Auffassung
der Menschen, Zustände und Begebenheiten. Nir-
gends eine bestimmte Formulierung der Probleme,
auf die es ankommt. Zufall und Willkür herrschen
in der Erklärung und Beschreibung der Werke.
Was den Deutungen widerspricht, wird übersehen
oder als unerheblich oder später bezeichnet. Zu-
sammenhänge werden konstruiert auf Grund vager
Behauptungen und gelegentlicher Lesefrüchte;
allerlei Voraussetzungen und Hypothesen, die erst
des Beweises bedürften, als sichere Stützen ver-
nutzt. Kaum ein Ansatz, die Genesis eines Kunst-
werkes aus dem vorhandenen Materiale, seinen
Sinn mit Hilfe treuer, voururteilsloser Analyse
dessen, was es zunächst selbst bietet, und in
streng chronologischer Darlegung zu verstehen. So
ist es z. B. ‘nicht richtig, jedenfalls nicht aus-
reichend motiviert, daß Michelagniolo in seiner
Jugend unter dem Einflusse Savonarolas als Mensch,
als Künstler unter dem Leon Batistas Alberti stand.
Grundfalsch ist die Erklärung des Bacchus, den
Jacopo Gallo im Hofe seines Palastes in Rom auf-
stellen ließ, „als Gott der Dichter“, der den Ein-
tretenden „freundlichen Willkommensgruß“ in Ge-
stalt einer Schale Weines „mit Anmut dargebracht“.
Ein einziger Blick auf die Statue hätte erwiesen,
daß dieser fleischige, nichts weniger denn „an-
mutige“ Jüngling die schwere weingefüllte Schale,
vor Trunkenheit taumelnd, zum Munde zu führen und
eher sich selbst einen „freundlichen Willkommens“
gruß“ darzubringen im Begriffe ist. Der Beweis fehlt,
daß der David von 1504 von Savonarola inspiriert,
den „Christ, wie er sein soll, schön anzusehen,
d. b. mit reinem schönen Gewissen (sic), starker
und kühner Tatkraft“, darstelle; daß überhaupt
Savonarola den Künstler auf allerlei gottesdienst
liche Hymnen „hingewiesen“ habe, die Michel-
agniolo dann, je nach ihrem Gehalte und ihrer
Qualität, in Sixtina, Juliusgrab und Medicikappelle
versinnbildlicht habe; usw. O nein! In solch
eine einfache Form lassen sich denn doch nicht,
weder Michelagniolos inkommensurable Größe noch
во komplizierte Werke wie die genannten, noch
endlich die grandiose und erfreuliche Vielseitigkeit
der Interessen und Tendenzen, aus denen der
Künstler erwachsen, in denen er, friedlich oder
feindlich, lebte, streichen. Ich mag hier nicht
40
weiter auf Einzelheiten eingehen; zumal da ge-
wisse Vorkommnisse in jüngster Vergangenheit
mir eine gewisse Reserve dem Verfasser gegen-
über auferlegen. Die Stellung zudem, die er im
profanen Leben an der Spitze eines vornehmen,
der Kunstwissenschaft gewidmeten Bildungsinsti-
tutes einnimmt, hat zur Folge, daß auch seinen lite-
rarischen Produktionen eine gewisse autoritative Be-
deutung zukommt. Nichts wäre dieser zuträglicher
gewesen, als wenn die vorliegende Schrift nie-
male über den Rahmen von Vorträgen und Dis-
corsi in den Adunanzen des Institutes und vor
einem Zufallspublikum, wie es dort sich zusammen-
zufinden pflegt, hinausgekommen und als Ganzes
ungedruckt geblieben wäre. Karl Frey.
F. DÖRNHÖFFER, Albrecht Dürers
Fechtbuch (Jahrbuch der Kunsthistori-
schen Sammlungen des Allerhöchsten
Kaiserhauses, Bd. XXVII, Н. 6). LXXXUS.,
78 Tafeln und 157 Textillustrationen.
Wien, 1910.
Auf den ungemein wichtigen „Fund“, der un-
erwartet die Zahl der uns bekannten Dürerzeich-
nungen um 200 vermehrt, ist bereits gleich bei
Erscheinen der Veröffentlichung in dieser Zeit-
schrift kurz hingewiesen worden. An der Richtig-
keit der Zuschreibung kann kein Zweifel sein.
Um so merkwürdiger ist es, daß der erste Hin-
weis heute schon hundert Jahre zurückliegt, ja daß
sogar zwei (allerdings recht schlechte) Veröffent-
lichungen einiger Nachzeichnungen existieren, und
das Original trotzdem unbeachtet bleiben konnte,
eine Folge des Mißtrauens, das bei dem Unfug,
der stets gern mit Dürers Namen getrieben wurde,
wohl begreiflich ist. Daß aber ein Spezialist auf
dem Gebiete der Dürerforschung, ein so allgemein
angesehener Kenner wie Thausing, der das heilige
Original selbst in den Händen gehabt hat, dennoch
die Arbeit Dürer absprechen konnte (1875), macht,
so hoch man seine Verdienste anschlagen mag,
seinen stilkritischen Gaben wenig Ehre. Daß erst
heute ein besserer Kenner sich gefunden hat, der
sich auf die eigenen, schärferen Augen verließ,
zeigt, wie hindernd das Gewicht einer Autorität
der Forschung sein kann. Dörnhöffer, unserem
besten und vorsichtigsten Dürerkenner, blieb es
vorbehalten, die alte Unterlassungssünde durch eine
in jeder Weise ausgezeichnete Veröffentlichung
wieder gut zu machen. Der Sachverhalt ist nach
seinen Feststellungen in kurzen Worten folgender.
Die Handschrift in derK. K. Familien-Fideikomiß-
bibliothek in Wien enthält 35 beiderseitig bemalte
bzw. beschriebene Blätter mit Darstellungen von
120 Ringer- und 80 Fechtergruppen, von denen
13 Kimpfe mit dem Langschwert, 9 mit Dolch,
58 mit dem Messer wiedergeben. Die Langschwert-
kämpfe und die letzten 12 Dolchkämpfe rühren
zwar nicht von Dúrers eigener Hand her, geben
aber seine Entwiirfe getreu wieder (S. VI). Nur
die Ringergruppen sind von einem erläuternden Text
begleitet, bei dem drei Hinde zu unterscheiden
sind; die Erklirungen zu den Nr. 1 bis 52 und
61 bis go sind von Юйгег selbst geschrieben, der
auch bei allen (außer bei den Langschwertkämpfen
und den letzten Messerkämpfen) die laufenden
Zahlen hinzugefügt hat (8. VI). Die Entstehung
des Werkes ist in das Jahr 1512 zu setzen, nach
Analogie der Datierung einiger ähnliche Vorwürfe
wiedergebender Skizzen in London und nach der
Jahreszahl auf dem heutigen Einbande der Hand-
schrift aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts, die
gewiß auf eine Angabe auf dem ursprünglichen
Umschlage zurückgeht (S. IX). Alle diese Fechter-
bilder sind nicht selbständige Schöpfungen Dürers,
keine Studien nach posierenden Modellen, keine
dem eigenen Hirn entsprungenen Bilder zu selbst-
erdachten Kampfregeln, sondern freie Kopien älterer
Vorlagen, denen auch der Text entnommen ist.
Dörnhöffer ist in der seltenen Glückslage, diese
Vorlage im Originale mit großer Wahrscheinlich-
keit nachweisen zu können. Es handelt sich um
ein Fechtbuch bayrischen Ursprungs um 1470 in
den Wallersteinschen Sammlungen, ein Sammel-
band, in dem ein Fechter- und ein Ringerbuch
mit einem etwas älteren, hier nicht in Betracht
kommenden, dritten Teile zusammengebunden sind.
Den Text hat Dürer wörtlich, nicht buchstäblich,
mit dialektischen Freiheiten abgeschrieben, nicht
ohne Verlesungen, Schreibfehler, Auslassungen,
Widersprüche, Kopieren von Schreibfehlern und
zweimaligem Abschreiben derselben Vorlage (S. XI).
Auch die Zeichnungen sind gegenständlich recht
genaue Wiederholungen dieser Originale, die nur
selten, meist in unwesentlichen Dingen, von ihnen
abweichen; aber auch hier finden sich Flúchtig-
keiten, wenn er z. B. bei Nr. 96 nicht beachtet
hat, daß (fol. 69b der Vorlagen) die eine Hand
des Ringers dem Gegner in die Haare fahren soll,
wie es auch der Text ausdrücklich vorschreibt und
durch die ganze Stellung dieses Gegners zum Aus-
druck kommt, m. E. die auffälligste sachliche
Änderung (vgl. S. LXXI). In künstlerischer Hin-
sicht sind die Zeichnungen Dürers völlig freie, aus
eigenstem Können geborene Neuschöpfungen seiner
unvergleichlichen Meisterhand und mit Recht darf
Dörnhöffer die Wiederentdeckung der Handschrift,
deren Überschätzung ihm fern liegt (S. XXI), als
eine „echte Bereicherung des künstlerischen Welt-
besitzes“ bezeichnen. Da lobenswerter Weise die
sämtlichen Darstellungen der Wallerstein-Hand-
schrift ebenfalls abgebildet sind, ist es möglich,
die so interessante Frage, wie denn ein wirklich
großer Künstler sich mit dem Kopieren gegebener
Vorlagen abfindet, an allen einzelnen Darstellungen
zu verfolgen. Da scheint mir nun das Rohe, Ge-
fährliche dieser Kämpfe, das höchste Anspannen der
Kräfte gegeneinander, das keuchende, schwitzende
Arbeiten in den W.-Bildern, vielleicht grade durch
die schwerfällige, „ungeschickte“ Zeichenweise,
besser zum Ausdrucke zu kommen als in den leichten,
manchmal etwas tänzelnden Stellungen der Dürer-
schen Fechter, die an ein vorher verabredetes
Schauturnen erinnern; freilich bieten dafür die un-
vergleichliche Sicherheit in der Wiedergabe der
Bewegungen, der komplizierten Verschlingungen,
die nicht ermüdende Abwechslung, die blitzschnelle
Lebendigkeit der Ringer reichen Ersatz. Ein
Mangel, der sich störend bei beiden Bilderfolgen
bemerkbar macht, war nicht zu vermeiden: der
Gegner muß stets gegenüber dem Angriff seine
Arme untätig herabhängen lassen, weil die Ab-
wehr erst in der folgenden Figur gezeigt werden
soll. Um in jedem Falle im vollen Umfange er-
kennen zu können, was Dürers eigenes Zutun,
was Benutzung der fremden Vorlage ist, gewinnt
die Frage, ob ihm gerade dieser Wallersteinband im
Originale vorgelegen hat, oder ob es nur ein
mehr oder minder ähnliches Manuskript gewesen
sei, sehr an Bedeutung. Dörnhöffer bringt selbst
für die erste Annahme eine ganze Reihe gewichtiger
Gründe bei (S. ХШ), wie die mehrfache Berück-
sichtigung nachträglicher Korrekturen der W.-Hand-
schrift, die Mitübernahme von Schreibfehlern usw.,
will aber darin keinen Beweis erkennen und läßt
die entgegengesetzte Möglichkeit ausdrücklich offen.
In diesem einzigen Falle scheint er mir einen sich
bietenden Hinweis für die Entscheidung dieser
Frage nicht bemerkt oder nicht ausgenutzt zu
haben. Er gibt nämlich selbst (S.X) an, daß das
Format des Ringerteiles der W.-Handschrift ur-
sprünglich etwas größer war; beim Zusammen-
binden mit dem Fechterteile ging ihm, wie die
Verstümmelungen der Darstellungen zeigen, ein
etwa ı cm breiter Streifen am unteren Rande ver-
loren. Das kann bei dem Zusammenbinden in
den heutigen Einband, den Dörnhöffer selbst in
die erste Hälfte des XVI. Jahrhundert versetzt oder
schon bei jener früheren Vereinigung des Fechter-
und Ringerteiles geschehen sein, die durch einen
41
Verweis im letzteren gesichert ist (8. X). Nun
vergleiche man Diirer-Nr. 116 und Wallerstein-
fol. 48b. Die betreffende Übung verlangt nach
dem Wortlaute des W.-Textes, daß der eine Ringer
seinem Gegner auf den ledigen (nicht vom eigenen
Bein umschlungenen) Fuß treten solle. Als die
Wallerstein-Handschrift verkürzt wurde, fiel der
Unterrand mit den Füßen der Dargestellten fort,
wie die Wiedergabe 8. L (unten links) zeigt, und
wie es auch bei sehr vielen anderen Bildern der
Fall ist. Dürer mußte die Füße in allen diesen
Fällen freihändig ergänzen und stellte unbedenklich
bei seiner Zeichnung 116 zunächst den rechten Fuß
des Ringers rechts fest auf den Boden, ersah dann
nachträglich aus dem Texte worauf es ankam
und veränderte die Fußstellung der Vorschrift ent-
sprechend, indem er die Spuren der ersten Fassung
durch Schraffen (Längslinien auf dem linken Fuße
des Ringers links) und Hinzufügung von Gräsern
zu verwischen suchte. Dörnhöffer hat dieses Pen-
timent keineswegs übersehen (8. IV und LXXIV),
erkannte aber nicht, daß die Verstúmmelung der
W.-Vorlage daran schuld war, womit diese als
das Original, das Dürer vorgelegen hat, m. E.
erwiesen sein dürfte. Übrigens bleibt eine sich
aufdrängende Frage unerklärt, nämlich was wohl
Dürer bestimmt haben mag, die logische und
konsequente Reihenfolge (soweit ich sehe) seiner
Vorlage so planlos durcheinander zu werfen, was
denn auch zur Folge hatte, daß er vier Stücke
doppelt beschrieben und drei doppelt gezeichnet
hat. Wie wild die Reihenfolge bei ihm von einer
Gruppe in die andere springt um nach ein paar
Seiten wieder zur ersten zurückzukehren, hat Dörn-
höffer in den außerordentlich gewissenhaft ge-
arbeiteten Anmerkungen zu den Textkonkordanzen
selbst sorgfältig verfolgt, aber eine Erklärung ist
nicht versucht, der einzige Punkt, über den die
sonst jeden Einwand und jede Frage dem Leser
vorwegnehmende Arbeit keine Auskunft gibt. Die
Vermutung, eine Notiz in einem der kaiserlichen
Merkbüchlein von 1509 bis 1513 auf Dürers Fecht-
buch zu beziehen, hat viel Verlockendes, aber
trotz des Zusammenfallens mit der kaiserlichen
Privilegierung der Fechtergenossenschaft 1512 und
des Aufenthaltes Maximilians in Nürnberg Früh-
jahr 1512, dessen Folge die Heranziehung der
Nürnberger Künstler neben den Tiroler und Augs-
burgern zu den Veröffentlichungsplänen des Kaisers
war, ist der Verfasser vorsichtig genug, den Zu-
sammenhang auf das Mindestmögliche, etwa eine
Anregung Dürers aus den Kreisen des Hofes, zu
beschränken. Wohl mit Recht, denn gerade in
dem Merkbüchlein von 1512 (Laschitzer im Jahr-
42
buch der Kunstsammlungen Bd. VII [1888] 8. 2,
Anm. 1), also dem Entstehungsjabre des Dürer-
schen Fechtbuches, fehlt unter allen den möglichen
und unmöglichen geplanten Büchern (im ganzen 41 N)
jeder Hinweis auf ein Fechtbuch. Aber mit Recht
erkennt Dörnhöffer in dem Manuskripte die Vor-
lagen für eine geplante Veröffentlichung in Holz-
schnitten, wie solche aus den folgenden Jahren
der Reformationszeit in großer Anzahl vorliegen
(8. XIX). Die daran anschließende Untersuchung
der Breslauer Abschrift ergibt, daß ihre ersten
drei Blätter dem Wiener Originale entstammen,
wo sie durch Kopien von der Hand des Abschreibers
ersetzt sind. —
Die bildliche Veröffentlichung des Fechtbuches
auf 70 Lichtdrucktafeln, denen fünf farbige Wieder-
holungen beigegeben sind, ist sehr gut, ihres
Gegenstandes würdig. Aber ihren vollen Wert
verdankt sie erst dem Texte Dórnhóffers, der in
der minuziösen Ausarbeitung der kleinsten Einzel-
heiten, in der Verwertung aller noch so versteckten
Hinweise und namentlich in der schlichten und
sachlichen Darstellungsart vorbildlich genannt
werden muß. Max Geisberg.
FRANCISCO DE GOYA von Valerian
von Loga. Mit 72 Tafeln. (Bd. IV der
„Meister der Graphik“ hg. von Her-
mann Voss.) Klinkhardt und Biermann in
Leipzig.
Es ist dem Verlag Klinkhardt & Biermann sehr
als Verdienst anzurechnen, daß er für die Be-
arbeitung des Goyabandes seiner „Meister der
Graphik“ den heute zuständigsten Kenner dieses
Meisters und seines Werkes gewonnen hat. Pro-
fessor von Loga konnte so eine Gelegenheit wahr-
nehmen, die er aus eigenem Antrieb kaum mehr
gesucht hätte, nämlich seine grundlegende vor
acht Jahren erschienene Biographie des spanischen
Meisters nach der graphischen Seite zu er-
gánzen. Denn wenn auch der vielgerühmte
Katalog des Oeuvres Goyas von Julius Hofmann
(Wien 1907) ale sorgfältig gearbeitetes und
willkommenes Nachschlagwerk von Sammlungen
und Sammlern begrüßt wurde, so fand er seine
Aktualität doch nur in der Seltenheit seines Vor-
gängers und Vorbildes, des alten ausgezeichneten
Catalogue raisonné von Paul Lefort (Paris 1877),
dessen (allerdings erweiterte und ergänzte) Über-
setzung er im Grunde ist, und ohne den er nie
zustande gekommen wäre. Diesen Katalog und
die anderen Handbücher, wo es nötig war berichtigt
und erginst zu haben, macht den wissenschaft-
lichen Wert von Logas neuer Goyaarbeit aus, die
sich ja im übrigen nicht an den begrenzten Kreis
von Sammlern und Kennern wendet wie Hofmann,
vielmehr einem weiten Kreis von kunstliebenden
Menschen den neben Rembrandt größten und tief-
sinnigsten Radierer näher bringen will. Im Gegen-
satz zu den bisherigen Handbúchern setzt der Ver-
fasser die „Desastres“ vor die ,,Tauromachia“,
scheint jedoch Hofmanns Vermutung, der Künstler
hätte an diesen beiden Serien einige Jahre gleich-
zeitig gearbeitet zu billigen. Da sich als einziges
Datum auf den Desastres das Jahr 1810, auf
der Tauromachia das Jahr 1815 findet, wäre
diese chronologische Einordnung von vornherein
die richtigere. Der Widerspruch aber zwischen
der impressionistisch-freien Technik der Desastres
und der mehr akademischen der Tauromachia
würde eher die umgekehrte Reihenfolge nahelegen.
. Man hat daher angenommen, Goya hätte an den
Desastres mit Unterbrechungen von 1810 bis 1820
gearbeitet. Damit geht man jedoch zweifellos zu
weit. Diese packenden Visionen der Gräuel des
Krieges dürften wohl, wie der Verf. glaubt, nur
während des Krieges, also bis 1812 entstanden sein
und sind als spätere Reminiszenzen kaum denkbar.
Die Tauromachia arbeitete Goya dagegen wahr-
scheinlich auf Bestellung und diesen Gegenstand
behandeln auch schon ältere Serien. Interessant ist
es, zu hören, daß Goya von dessen Impressionis-
mus die Modernen so viel geredet haben, die
Szenen der Tauromachie nicht nach Naturstudien son-
dern sogar nach ihm vorliegenden Beschreibungen
angefertigt hat. Loga bringt wenigstens für drei
Blätter den Nachweis, daß Goya einen Brief mit
der Beschreibung des Todes Pepe Hillos benutzt
haben muß.
Der Verfasser setzt ferner sehr mit Recht die
„Proverbios“ im Gegensatz zu Hofmann und
seiner Vorläufer als letzte dieser drei großen
Folgen an und begründet diese chronologische
Einordnung mit dem bedeutenden künstlerischen
Fortschritt, der sich in diesen Blättern kundgibt.
„Vor allem scheint hier das künstlerische Ziel,
nach dem Goya sein ganzes Leben gerungen, das
Problem Licht und Bewegung gelöst.“ Endlich
wird die Entstehung verschiedener Einzelblätter,
soweit es möglich ist, chronologisch festgelegt.
Unter den lithographischen Arbeiten hebt der Verf.
besonders die schönen Blätter der ,,toros de Burdeos“
hervor, „das Beste, was der Steindruck vor und
nach Goya je hergegeben“, und weist auf die aus
einem Brief erhellende Absicht des greisen Künst-
lers hin, mit Hilfe der schnell arbeitenden Litho-
graphie einen zweiten Teil der Caprichos heraus-
zugeben. (Einige Zeichnungen zu diesem ge-
planten späten Werk sind beiläufig gesagt jetzt
in der Schwarz-Weiß-Ausstellung der Sezession
zu sehen) Der ergänzende Nachweis der zahl-
reichen Probedrucke der Pariser Bibliotheque
Nationale und die Heranziehung einiger derselben
als Vorlagen für die Abbildungen ist sehr zu be-
grüßen. Auch die Listen der bestehenden Abzüge
der Desastres vor den Texten mit und ohne
Nummern wurden dankenswert ergänzt.
Die Lektüre des magistral geschriebenen, von
allen oratorischen Tändeleien, zu welchen Goyas
Radierungen locken, wohltuend frei gebliebenen
Textes wird durch die paar eingefügten, nur für
die exakte Wissenschaft wichtigen Listen in ihrem
Fluß kaum gestört. Sehr brauchbar ist unter diesen
eine Zusammenstellung sämtlicher unanfechtbarer
Daten aus Goyas Leben und der für sein Schaffen
wichtigen Ereignisse. Die geradezu musterhaften
Reproduktionen deren Reinheit und Kraft die
Blätter der letzten Originalausgaben der Madrider
Chalcografia real weit übertreffen, weil sie aus-
schließlich nach den besten alten Drucken her-
gestellt wurden, kommen um so besser zur Wir-
kung, da der Verlag sich dazu entschloß, von dem
bisher verwendeten weißen Druckkarton abzugehen
und ein dem Textpapier ganz ähnliches, nur etwas
stärkeres ebenso gelblich getöntes Kunstdruckpapier
gewählt hat. Die Probe hat sich glänzend be-
währt und man darf hoffen, daß diese wichtigste
Kardinalforderung jeder Buchkunst (die ja in
früheren Jahrhunderten stets erfüllt wurde) bei
andern strebsamen Verlegern Nachahmung finden
wird. Als Vorlagen zu den Reproduktionen haben für
die Caprichos Probedrucke (meist der Pariser Biblio-
théque Nationale) die samt den Rändern wieder-
gegeben wurden, für die wegen der handschrift-
lichen Bemerkungen des Künstlers übrigen Blätter
die besten Exemplare der Sammlungen von Madrid,
Paris und Berlin gedient. Letztere beansprucht heute
nach Madrid den zweiten Rang in der Reihe der
graphischen Goyasammlungen. E. Diez.
WERKE DER KLEINPLASTIK IN DER
SKULPTURENSAMMLUNG DES A. H.
KAISERHAUSES. Ausgewählt und be-
schrieben von Julius v. Schlosser.
1. Band. Bildwerke in Bronze, Stein und
Ton. 56 Tafeln und 23 Abbildungen im
Text.
II. Band. Bildwerke in Holz, Wachs und
Ф 43
Elfenbein. 55 Tafeln und 8 Abbildungen
im Text. Wien 1910. Verlag von
Anton Schroll & Co.
Die im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien
unter der Bezeichnung „Sammlungen von kunst-
industriellen Gegenständen des Mittelalters und
der Renaissance“ vereinigten Kunstschätze gehören
bekanntlich nicht nur wegen ihres gut beglaubigten
Ursprungs, der sich noch heute an der Hand alter
Inventare verfolgen läßt, sondern auch wegen
ihres hohen kunstgeschichtlichen Wertes zu den
bedeutendsten ihrer Art. Als glänzende Doku-
mente der regen Kunstliebe des Habsburgischen
Fürstenhauses haben sich diese altberühmten
Sammlungen von jeher des größten Interesses
aller Geschichts- und Kunstfreunde zu erfreuen
gehabt. Geben sie uns doch ein getreues Spiegel-
bild nicht allein von dem, was auf gewissen Ge-
bieten im Rahmen von etwa vier Jahrhunderten
künstlerisch geleistet worden ist, sondern auch
von den besonderen Sammlerneigungen der Mit-
glieder jener fürstlichen Dynastie und dem je-
weiligen Modegeschmack ihrer Zeit.
Das gilt vor allem auch von der Skulpturen-
sammlung, die neben der rein kunstgewerblichen
Abteilung den Hauptteil jener „Sammlungen“
ausmacht und sich im wesentlichen aus Werken
der Kleinplastik zusammensetzt, deren Grundstock
die beiden großen alten Sammlungen, nämlich
die Ambraser und die des Erzherzogs Leopold
Wilhelm, gebildet haben. Während aber unter
diesen kleinplastischen Werken das eigentliche
Mittelalter fast gänzlich fehlt und auch die
Arbeiten in Holz, Stein, Ton und Wachs, wenig-
stens quantitativ, nur schwach vertreten sind, ge-
hören die Sammlungen der Bronzen und Elfen-
beine nach Zahl und Bedeutung zweifellos zu den
ersten ihrer Art. Aber auch sie gewähren uns
keineswegs ein vollständiges Bild von der ge-
schichtlichen Entwicklung der Bronze- und Elfen-
beinplastik, zeigen vielmehr nur, entsprechend der
jeweiligen Liebhaberei ihrer einstigen fürstlichen
Besitzer, bestimmte Ausschnitte hieraus, diese
allerdings in einer so glänzenden Gestalt, wie sie
nur wenige ähnliche Sammlungen aufzuweisen
vermögen. So ist es unter den Bronzen vor
allem die italienische Hochrenaissance, und zwar
besonders Giovanni da Bologna und seine Schule,
die mit einer großen Zahl ausgezeichneter Werke
vertreten ist, während unter den Eifenbeinskulp-
turen die vlämische und deutsche Schule des
17. Jahrhunderts mit einer stattlichen Reihe nicht
weniger vortrefflicher Werke weitaus an erster
Stelle steht.
44
Es ist daher selbstverständlich, daß bei einer,
diesen kleinplastischen Arbeiten gewidmeten Pub-
likation der Hauptnachdruck auf jene beiden
Gruppen von Werken gelegt werden muß, und
so hat denn auch der Herausgeber der vor-
liegenden Publikation mit vollem Recht in erster
Linie die italienischen Bronzen, insbesondere die
der Hochrenaissance, sowie die Elfenbeinarbeiten
des 17. Jahrhunderts berücksichtigt.
Unter den Bronzen, von denen zuerst die Rede
sein soll, treffen wir zwar viele, die schon ander-
weitig, so vor allem in W. Bodes Monumental-
werke und in dem, ebenfalls von J. v. Schlosser
1901 herausgegebenen „Album ausgewählter Gegen-
stünde der kunstindustriellen Sammlungen“, ab-
gebildet sind; da aber diese beiden Publikationen
nicht jedem ohne weiteres zur Verfügung stehen,
durfte sich eine nochmalige Veröffentlichung dieser
Bronzen um во mehr rechtfertigen, als sie hier,
wo es sich um die künstlerisch wie geschichtlich
bedeutendsten Stücke der ganzen Sammlung han-
delt, geradezu geboten erschien. Sonst aber ist
es in der Hauptsache ein bisher noch unveröffent-
lichtes Material, das der Forschung in vortreff-
lichen, aus der Anstalt von P. Knábchen in Zöblitz
hervorgegangenen Lichtdrucken und zugleich in
einem Maßstabe dargeboten wird, der es auch für
stilistische Untersuchungen in jeder Hinsicht ge-
eignet erscheinen läßt. In diesen Vorzügen, die
übrigens für das ganze Werk gleichmäßig Geltung
haben, betrachte ich den Hauptwert desselben
gegenüber anderen ähnlichen Publikationen. Aber
auch der Text, der, wie überhaupt во auch bei
den Bronzen, im allgemeinen knapp gehalten ist,
verdient vollste Beachtung und Anerkennung, und
es klingt allzu bescheiden, wenn der Verfasser
demselben nur einen „rein akzidentellen und vor-
läufigen Charakter“ beimessen möchte. Denn er
zeugt nicht nur von einer sehr gründlichen Kenntnis
und gewissenhaften Benutzung der einschlägigen
Literatur, sondern enthält auch, abgesehen von
mancherlei wertvollen Mitteilungen über Herkunft,
Technik usw., zahlreiche neue Beobachtungen und
treffliche Bemerkungen, auf die hier im einzelnen
nicht näher eingegangen werden kann, aus denen
aber die Forschung schon jetzt einen reichen
Gewinn wird ziehen können. Dabei ist in gleicher
Weise die Vorsicht in der Zuweisung der Werke
an bestimmte Namen zu loben, wie die Zurück-
haltung in solchen Fällen, wo eine Entscheidung
schwer oder unmöglich wird. Und wie häufig
gerade derartige Fälle sind, weiß jeder, der ein-
mal auf diesem, zum Teil noch so sehr im Dunkel
liegenden Gebiete gearbeitet hat.
Noch vorsichtiger verfährt der Herausgeber bei
der Zuweisung der Elfenbeine. Und in der Tat
ist diese Vorsicht hier noch mehr berechtigt,
zumal wenn man erwägt, daß die Forschung
sich der Elfenbeinplastik des 17. und 18. Jahr-
hunderts gegenúber bisher leider immer noch so
kühl und ablehnend verhalten hat, daß eine
nennenswerte Bereicherung unserer Kenntnisse
auf diesem Gebiete kaum zu verzeichnen ist. Um
so freudiger muß man es begrüßen, daß nunmehr
durch von Schlossers Untersuchungen das Werk
einzelner Elfenbeinschnitzer, wie Referent es selbst
vor Jahren in seiner , Elfenbeinplastik seit der Re-
naissance“ zum erstenmal zusammenzustellen ver-
sucht hat, sich nicht unwesentlich hat erweitern
lassen. So stimme ich u. a. dem Verfasser un-
bedingt zu, wenn er die beiden auf Tafel 37 re-
produzierten Reliefs dem Gerhard van Opstaal,
die auf Taf. 41, 2. 3. 4. abgebildeten Statuetten
dem Leonhard Kern, sowie endlich das schöne
Relief tmit dem Besuch des Bacchus und der
Ceres bei Venus (Taf. 36), das letztere allerdings
noch zweifelnd, dem L. Faid'herbe zuweist. Auch
fúr die Einfúbrung von drei, bisher noch unbe-
kannten Kúnstlern in die Geschichte der Elfen-
beinplastik, nämlich des Venezianers Francesco
Terilli (siehe Taf. 34, 1. 2.), des Innsbrucker Mei-
sters Ferdinand Pfauntler, des Verfertigers einer
Gruppe der Diana mit zwei Hunden (Taf. 44, 2,),
von der sich übrigens eine fast völlig genaue
Wiederholung im Herzogl. Museum zu Braun-
schweig befindet, sowie eines nicht näher be-
kannten Schnitzers W. F. Moll (Taf. 47, 2.) müssen
wir dem Verfasser dankbar sein. Dagegen dürften
die auf Taf. 42 und 43 abgebildeten vier Figuren
wobl kaum mit L. Kern zusammenzubringen sein,
ebenso wie auch die auf Taf. 48, 4. wiederge-
gebene Gruppe von Venus und Amor sicher
nichts mit В. Permoser zu tun hat, an dessen
Arbeiten sie höchstens in der Komposition er-
innert.
Hinter den Bronzen und Elfenbeinen treten die
übrigen Bildwerke, d. h. die Arbeiten in Holz,
Ton, Stein und Wachs, wenigstens der Zahl nach,
erheblich zurück. Doch besitzt die Wiener Samm-
lung, wie allgemein bekannt ist, auch unter den
Bildwerken dieser Art Stücke von ganz außer-
ordentlichem Wert, die ja zumeist ebenfalls schon
durch Veröffentlichungen ihre verdiente kunstge-
schichtliche Würdigung erhalten haben, nunmehr
aber nochmals durch die vorliegende Publikation
in vortrefflicher Weise dem allgemeinen Studium
zugänglich gemacht werden. Ich nenne hier
unter den Holzschnitzwerken nur jene köstliche,
aus drei Figuren bestehende allegorische Gruppe,
die die Vergänglichkeit verkörpert (II. Taf. 1.),
bas berühmte Spielbrett des Hans Kels von 1537
(Taf. 10—15) sowie zwei Adamstatuetten, von
denen die eine, literarisch noch nicht bekannt,
von T. Riemenschneider (Taf. 2), die andere von
Р. Flötner (Taf. 19) herrührt, unter den sonstigen
Arbeiten aber nur die Reliefs in Kehlheimer Stein.
von der Hand eines H. Daucher und G. Schweigger
sowie die Bleistatuetten eines К. Donner und
J. Hagenauer. Hierbei möchte Referent kurz dar-
auf hinweisen, daß sich, was dem Herausgeber
unbekannt zu sein scheint, von den auf Taf. 46,
т. 2. abgebildeten Bleistatuetten eines Merkurs und
einer Venus, die auf 8. R. Donner zurückgehen,
fast genau übereinstimmende Wiederholungen eben-
falls wieder im Herzogl. Museum zu Braunschweig
befinden, dessen verwandte Sammlungen úberhaupt
manche Berúhrungspunkte mit denen des Wiener
Hofmuseums haben. Christian Scherer.
PAUL BRANDT. Sehen и. Erkennen.
Eine Anleitung zu vergleichender Kunst-
betrachtung. Mit 414 Abb. и. 1 farbigen
Tafel. Ferd. Hirt & Sohn in Leipzig. 1911.
Ein Leitfaden der Kunstgeschichte in einer ganz
neuen und — das sei gleich gesagt — einer außer-
ordentlich lehrreichen Form. Keiner jener mehr
oder minder mageren Extrakte — sie nennen sich
meist „Abrisse“ oder „Grundrisse“ der Kunst-
geschichte — von denen wir schon übergenug
haben, sondern eine Anleitung zum Sehenlernen
‚und damit zu rechtem Kunstgenuß durch das
Mittel der vergleichenden Kunstbetrachtung. Wie
der Titel schon ausdrückt: ein Buch, das sich in
erster Linie an das Auge wendet. Der Verfasser
will keine Kunstgeschichte vortragen, sondern
will nur die sinnliche Anschauung wecken und
erziehen. Als Mittel dazu dient ihm die bildliche
Konfrontation einer Reihe thematisch gleicher und
besonders stilbezeichnender Werke, die er einem
Zeitraume von vier Jahrtausenden und den ver-
schiedensten Kunstgebieten in bunter Auswahl ent-
nimmt und unter den Gesichtspunkten der Form-
behandlung, der Komposition, der Auffassung, der
Lichtverhältnisse usw. vergleichend gegenüber-
stellt. Heinrich Wölfflin hat dieses eminent in-
struktive Mittel zum ersten Male in wissenschaft-
lichem Zusammenhange nutzbar gemacht — seine
starke Popularisierung hat es durch Schultze-Naum-
burg erfahren, der es als Erziehung zum Quali-
tätssinn verwendet — konsequent durchgeführt,
45
als leitenden Gesichtspunkt eines Buches aber
sehen wir es hier zuerst, wo dem begleitenden
Worte nur so weit Raum gegönnt ist, als die
Absichten der bildlichen Konfrontation zu ihrer
Erklärung verlangten. Das Bild oder vielmehr
das Bildpaar hat das entscheidende Wort. Die
sehr geschickte Auswahl der Illustrationen verrät
eine profunde Materialkenntnis, und einige der
geistvoll gewählten Konfrontierungen vermögen
wohl auch dem Kunsthistoriker von Fach noch
Überraschungen zu bereiten.
Das Programm des Buches erklärt, ja bedingt
seine lockere Architektur; gerade das Zick-Zack
der Auswahl macht es so lehrreich. Vielleicht
hätte das Kapitel der Malerei besser an erster
Stelle figuriert und wären dann erst Plastik und
Architektur gefolgt, der alten Erfahrung gemäß, daß
das Laienauge das dreidimensionale Gebilde am
schwersten zu perzipieren imstande ist. Auch
hätte sich die Ikonographie dieses oder jenes
Themas zweckmäßig noch weiter ausbauen lassen;
bei dem Sebastianthema z. В. zeigen lassen, wie
das Seicento die formal interessantere gelagerte
Figur bevorzugt oder an die Stelle des bloßen
Aktes die Geschichte setzt u. dgl. Ebenso
hätte sich der Verfasser die gelegentliche Konfron-
tierung einer Architektur mit einem stilverwandten
Werke aus dem Gebiete der Plastik oder Malerei
nicht entgehen lassen sollen, weil hierdurch der
Zusammenhang der Künste während jeder stil-
sicheren Epoche erkennbar wird. Einwände dieser
Art aber erscheinen belanglos gegenüber dem
außerordentlich erzieherischen Werte dieses
Buches, das nirgends fehlen sollte, wo sich Nicht-
fachleute ernsthaft mit Kunstgeschichte beschäf-
tigen — das wie berufen erscheint, zum grund-
legenden Lehrbuche für jeden kunstgeschichtlichen
Unterricht zu werden. Hans Vollmer.
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
Heft 3:
VICTOR FLEISCHER, Albin Egger-Lienz. (14 Abb.)
JOHEN COHEN GOSSCHALK (Amsterdam),
Odilon Redon. (11 Abb.)
MAX CREUTZ, Die Sammlung Schniitgen. (10 Abb.)
DIE CHRISTLICHE KUNST.
Heft 3:
JOSEPH WAIS, Joseph Hubner-Feldkirch. 3 Taf.;
38 Abb.
O. DOERING-Dachau: Von der IX. internationalen
Ausstellung in Venedig.
BONE, Lauensteim-Nachlaß-Ausstellung u. Städte-
bauausstellung in Düsseldorf.
A. HUPPERTZ, Holman Hunt.
HANS SCHMIDKUNZ, Große Berliner Kunstaus-
stellung 1910.
—
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST.
Heft 9:
SCHNÜTGEN: Die Smig. Schnütgen. VI. ı Taf.
LADISLAUS PODLACHA: Die „göttliche Litur-
gie“ in den Wandmalereien der Bukowiner Kloster-
kirchen.
FRITZ WITTE: Karolingisch-ottonische Einflüsse
in der Architektur der Krypta zu Verden i. W.
2 Abb.
JOHANN GEORG, HERZOG ZU SACHSEN, Zwei
Werke spätbyzantinischer Goldschmiedekunst im
Sinaikloster. 2 Abb.
46
Н. OIDTMANN, Neu aufgefundenes Heft über
die Glasmalerei-Technik um 1550.
Eine Handschrift im Besitze des Kölner städti-
schen Archivs, aus dem Nachlasse des S. Boisserée
erworben.
JOSEPH BRAUN 8. T.: Die spätrömischen Stoffe
aus dem Sarkophag des hl. Paulinus zu Trier. 1 Abb.
Fabrikmarke: , Florentina officina“ vom Ende
des IV. Jhdts. п. Chr., ein Beweis fiir abend-
lándische Seidenindustrie.
DER CICERONE.
Heft 23:
WILLIAM COHN, Die Malerei in der ostasiatischen
Kunstabteilung der Berliner Museen. (25 Abb.)
ERNST STEINMANN, Die ,,Bibliothéque d’Art
et d'Archéologie“ in Paris.
Heft 24:
G. E. LUTHGEN, Die Sammlung Schnütgen in
Kóln. (12 Abb.)
Ein unbekannter Beukelaar.
KUNST UND KUNSTHANDWERK.
Heft 11:
H. G. STROHL, Die Heraldik der katholischen
Kirche. (78 Abb.)
ALFRED WALCHER VON MOLTHEIM, Deutsches
Edelzinn im Museum Carolino-Augusteum in
Salzburg. (5 Abb.)
KUNST UND KUNSTLER.
Heft 3:
ALFRED LICHTWARK, Ein Brief (Uber Lieber-
manns Selbstporträt für die Hamburger Kunsthalle).
(т Graviire.)
KARL SCHEFFLER, Henry уап de Velde und
der neue Stil. (13 Abb.)
EMIL WALDMANN, Französische Bilder in ameri-
kanischem Privatbesitz (Fortsetzung). (14 Abb.)
LUDWIG GURLITT, Louis Gurlitts Frühkunst.
(9 Abb.)
Heft IV:
KARL SCHEFFLER, Die zeichnerischen Künste
in Berlin (т farb. Taf. u. 24 Abb.).
ROBERT WALSER, Über den Charakter des
Künstlers.
HEINRICH WIEYNK, Das repräsentative Buch
(12 Abb.).
DIE KUNST FÜR ALLE.
Heft 5:
GEORG JACOB WOLF, Carl von Marr. (28 Abb.)
J. A. D. INGRES, Aussprüche und Anekdoten.
Heft 6:
PAUL SCHUMANN, Die erste Ausstellung der
Künstlervereinigung Dresden тото. (27 Abb.)
ERNST BERGER, Goethes Farbenlehre und die
modernen Theorien.
Heft 8:
ALBERT GESSLER, Von Schweizerischer Kunst
(1 farbige Taf. u. 19 Abb.).
PROF. DR. BERTHOLD HAENDKE, Die histori-
schen Grundlagen der Hell- und Freilichtmalerei
(6 Abb.).
KUNSTGESCHICHTL. ANZEIGEN.
Beiblatt der „Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung“. Redigiert von
Max Dvofäk. Jgg. 1909.
Nr. 3.
Inhalt: André Fontaine, Les Doctrines d'Art en
France. De Poussin á Diderot (Н. Tietze).
— Eduard А. Gefier, Die Trutzwaffen der
Karolingerzeit vom УШ. bis zum ХІ. Jahr-
hundert (F. v. Schubert-Soldern). — Italie-
nische Forschungen II. Band. Giovanni Poggi,
П Duomo di Firenze (K. Ra the). — Hugo Kehrer,
Die heiligen drei Kónige in Literatur und Kunst
(H. Tietze). — Franz Jacobi, Studien zur Ge-
schichte der bayerischen Miniatur des XIV. Jahr-
hunderts (H. Tietze). — Felix Graefe, Jan Sanders
van Hemessen und seine Identifikation mit dem
Braunschweiger Monogrammisten (F.M. Haber-
41121. — Antonio Munoz, Pietro Bernini, (O. Pol-
lak-Prag). — Walter Weibel, Jesuitismus und
Barockskulptur in Rom (O. Pollak-Prag). —
Arthur Rößler, Georg Ferdinand Waldmüller
(Н. Tietze). Jgg. 1909.
Nr. 4:
Jules Lutz et Paul Perdrizet, Speculum humanae
salvationis. — Paul Perdrizet, Etude sur le
Speculum humanae salvationis. — Jules Lutz,
— Les Verrières de l'ancienne église Saint-Etienne
á Mulhouse (H. Tietze). — Hans Heinz Josten,
Neue Studien zur Evangelienhandschrift Nr. 18
„des hl. Bernward Evangelienbuch“ im Dom-
schatz zu Hildesheim (E. Н. Zimmermann).
— Max Geisberg, Die Anfánge des deutschen
Kupferstiches und der Meister E. 8. (F. v. Schu-
bert-Soldern). — Hans Jantzen, Das nieder-
ländische Architekturbild (F. М. Haberditz!).
— Andy Pointner, Die Werke des florentini-
schen Bildhauers Agostino d’Antonio di Duccio
(Fr. Schottmüller).
Jeg. 1910, Nr. 1:
Albrecht Haupt, Die älteste Kunst, insbesondere
die Baukunst der Germanen von der Vólker-
wanderung bis zu Karl dem Großen (M. Dreger).
— Neue Literatur über deutsche und 6sterrei-
chische Barock-Architektur: Josef Braun S ].,
Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten. 1. und
II. Teil. — Zdehek Wirth, Barokni gotica
у. Cechach v ХУШ. a i polovici XIX. stoleti
(Barock-Gotik in Böhmen im ХУШ. u. in der
1. Hälfte des XIX. Jahrhunderts). — Wolfgang
Pauker, Der Bildhauer und Ingenieur Matthias
Steinl. — Viktor Fleischer, Fürst Karl Eusebius
von Liechtenstein als Bauherr und Kunstsammler
(1611—1684). — [Hans Tietze]: Hans Wolf-
gang Singer, Max Klingers Radierungen, Stiche
und Steindrucke (Е. М. Haberditzl). — Lord
Balcarres, The evolution of italian sculpture
[E. Tietze-Conrat].
KUNSTGESCHICHTL. JAHRBUCH DER
K. K. ZENTRALKOMMISSION FÜR ER-
FORSCHUNG UND ERHALTUNG DER
KUNST- UND HISTOR. DENKMALE.
Herausgegeben von Professor Dr. Max Dvořák.
Jgg. 1909. Heft Ш. IV. Wien, A. Schroll.
ALFRED STIX, Die Plastik der frühgoti-
schen Periode in Mainz.
Die Mainzer Skulpturen der Zeit von ca. 1260 —
1320, die keine in sich geschlossene einheitliche
Entwicklung aufweisen, werden in Verbindung
mit den Kunstzentren von Bamberg, Amiens,
Naumburg und Reims gebracht. Der Verfasser
bemüht sich, die ganz aus dem Zusammenhange
gerissenen Monumente nach alten Zeichnungen
und anderen Quellen wieder zu lokalisieren, zu
datieren und in die allgemeine Entwicklung der
Skulptur einzureihen.
OSKAR POLLAK-PRAG, Antonio del Grande,
ein unbekannter römischer Architekt des
ХУП. Jahrhunderts.
Der Verfasser stellt auf Grund von archivali-
schen Forschungen die Daten über Antonio del
Grande zusammen und weist ihm von römi-
schen Bauten den Palazzo di Spagna, die Car-
ceri nuovi in der via Giulia, die Galleria grande
47
im Palazzo Colonna, den Palazzo Pamphilj auf
der Piazza del Colleggio Romano sowie den
Umbau der Colonna-Schlösser in Genazzano
und Paliano zu.
HANS TIETZE, Wiener Gotik im XVIII. Jahr-
hundert.
An den verschiedenen im XVIII. Jahrhundert in
Wien gemachten Versuchen, gotische Formen
zu verwenden, werden die grundverschiedenen
Motive dargelegt, die im ersten und im letzten
Viertel des Jahrhunderts fiir diese Richtung
maßgebend waren. Zuerst freie künstlerische
Fortbildung der alten Motive, ohne mittelalter-
liche Effekte zu planen; dann ein Entstehen
bestimmter Stimmungen in der Architektur,
wobei die mittelalterlichen Formen zunächst an
sich keine besondere Schätzung finden, sondern
den modernen angeähnelt werden. Daraus
Gleichberechtigung der Stile als wichtige Vor-
stufe der Architekturbewegung des XIX. Jahr-
hunderts.
KURT RATHE, Ein unbekanntes Werk des
Veit StoB in Wien.
Der Verfasser versucht auf dem Wege der Stil-
vergleichung eine bisher wenig beachtete Holz-
gruppe der h. Anna selbdritt an der Außenseite
der St. Annakirche in Wien als ein (Spit-)
Werk des Veit StoB zu erweisen.
BEIBLATT FUR DENKMALPFLEGE.
MAX DVORAK, Restaurierungsfragen. 3.: Spa-
lato.
HANS TIETZE, Stadtregulierungsfragen im alten
Wien.
E. TIETZE-CONRAT, Beiträge zur Geschichte
der Grabensäule in Wien. — E. TIETZE-CONRAT,
Die Ringstraße in Wien.
E. SCHAEFFER, Ein unbekanntes Bildnis von
Boltraffio.
JAHRESMAPPE 1910 DES „VEREINES
ZUM SCHUTZE UND ZUR ERHAL-
TUNG DER KUNSTDENKMALER
WIENS UND NIEDER-OSTERREICHS.“ .
WIEN.
1. KURT RATHE: Jakob Seisenegger, eine Predigt
in Gegenwart Kaiser Ferdinands I. [Wien, Erl.
Graf von Harrachsche Gemäldegalerie]. 1 Taf.
in Heliograviire.
II. u. III. KURT RATHE: Der sog. Töpferaltar
in der St. Helenakirche bei Baden. Der Hoch-
altar der Pfarrkirche in Sierndorf. 2 Tafeln iu
Heliogravúre, 2 Textabbildungen.
_———
THE BURLINGTON MAGAZINE.
December 1910.
C. HOFSTEDE DE GROOT, A newly-discovered
picture by Vermeer of Delft (1 Taf.).
Der Artikel behandelt das im Besitz der Firma
Colnaghi befindliche Bild des Jan Vermeer unter
48 А
dem Titel „Frau, Gold wägend“, das nach Hof.
stede de Groot im Jahre 1696 als Nr. т von
21 Bildern des Künstlers um _f 12.8.4 versteigert
wurde und zuletzt 1848 bei Christie in der Périer-
Versteigerung wieder auftauchte. Hofstede de
Groot hat es vor einigen Monaten in der Samm-
lung der Komtesse de Ségur wiedergefunden,
Es dúrfte an der Autorschaft des groBen Hollánders
nicht zu zweifeln sein.
ROGER FRY, A portrait attributed to Raphael
(1 Taf.).
PROF. R. PETRUCCI, Buddhist Art in the Far
East and the documents from Chinese Turkestan
(a Taf.).
SIR MARTIN CONWAY, Giovannino de Grassi
and the Brothers Van Limbourg (5 Abb. auf 2 Taf.).
LIONEL CUST, Notes on pictures in the Royal
Collections — XIX. Paintings attributed to Lucas
von Leyden (4 Abb. auf т Taf.).
R. MEYER-RIEFSTAHL, Vincent van Gogh — II.
(3 Taf.)
LOUIS DIMIER, French Portrait-Drawings at
Knowsley.
FRIEDRICH PERZYNSKI, Towards a Grouping
of Chinese Porcelain — IL (9 Abb.)
BARCLEY BARON, Giovanni Caroto — П. (5 Abb.)
WILLY STORCK, The Master of the Amster-
dam Cabinet and two new works by his hand
(6 Abb.).
THE ART JOURNAL.
December:
LEWIS HIND, The consolations of an injured
critic. УШ. (т Taf., y Abb.)
R. E. D. SKETCHLEY, Art Patronage in Eng-
land. IV. The Righting of British Art. (11 Abb.)
г
— oee
REVUE DE L'ART CHRETIEN.
Se livraison. Septembre-octobre 1910:
Léopold DELISEE, La Bible de Robert de Billyng
et de Jean Pucelle. 2 Taf. 8 Abb.
C. EULART, Le probleme de la vieille tour de
Newport (Rhode-Island). то Abb.
UMBERTO GNOLI, L'art italien aux expositions
de Londre en 1g10. 1. Les Maitres Ombriens
au Burlington Fine Arts Club. 2 Taf. 6 Abb.
MÉLANGES:
ANDRÉ DEMARTIAL, A propos de ,,Monvaerni.“
1 Taf., 4 Abb.
Р. CLEMEN, L'art historique а l'exposition du
Haut Palatinat a Ratisbonne (1910). 1 Taf., 4 Abb.
C. DE MANDACH, La Scultura del Quattrocento.
3 Abb. |
Besprechung des betreffenden Teils von A. Ven-
turi, Storia dell” arte italiana.
CHRONIQUE. 1 Abb.
BIBLIOGRAPHIE.
ONZE KUNST.
Oktober:
DR. HANS JANTZEN, De ruimte in de Holland-
sche Zeeschildering (8 Abb.).
Skizriert die Entwicklung der holländischen
Seemalerei im 17. Jahrhundert unter besonderer
Berücksichtigung der künstlerischen Darstellung
des Raumes in den verschiedenen Entwicklungs-
perioden.
T. LANDRÉ, De Hollandsche Nijverheidskunst
op de Brusselsche Tentoonstelling (7 Abb.).
November: |
JAN VETH, Rembrandtiana IX, De zoogenaamde
Pygmalion (5 Abb.).
Identifiziert die Radierung B. 192 (Der Zeichner
und das Modell) mit einem nicht lange vor
1664 entstandenen Blatt „het vrouwtgen med
een pappotgen“, das (nach einem unlängst durch
Bredius aufgefundenen Dokument) von Rem-
brandts Sohn Titus in einem Gespräch mit
einem Leidener Buchhindler erwábnt wird.
PAUL LAFOND, Charles de Haes (хо Abb.).
Landschaftsmaler (1829—1898), geb. in Brüssel,
lebte in Spanien, wo er für die Entwicklung
der Landschaftsmalerei von ähnlicher Bedeutung
war, wie Cröme und Constable in England
. oder Th. Rousseau und Corot in Frankreich.
STARYJE GODY.
Juli-September:
BARON N. WRANGELL, La vie des chäteaux
russes.
A. SREDINE. Polotniany Zarod,
М. Gontscharoff.
P. P. WEINER, Marfino, chäteau de la comtesse
Panine.
N. MAKARENKO, Les ruines de Lialitchi.
A. TROUBNIKOFF, La princesse Galitzine a
Maryino et & Gorodnia.
В. N. W., La villa du Duc d’Oldenbourg au
Kamenny Ostrow.
N. 8., Bibliographie des chauteaux russes.
Dieses überreich illustrierte Trippelheft bildet
gewissermaßen eine Monographie der herr-
schaftlichen Landsitze in Rußland und be-
handelt ausführlich deren Leben und Treiben,
die Außen- und Innenarchitektur, Möbel, Kunst-
gegenstände und Bildwerke. Unter letzteren
befindet sich viel Gutes und Interessantes, be-
chäteau de
sonders Porträte, von russischen und ausländi-
schen Meistern, so. u. a. Werke von Metsu,
Brouwer, Alexander Roslin, Fragonard (?)
Hubert Robert, Rotari, Voille, usw. 2
L. MAETERLINCK, L'Exposition а Bruxelles.
Oktober:
P. MOURATOFF, La peinture italienne au Musée
Roumiantseff А Moscau. II. Quatrocento.
A. TROUBNIKOFF, Pierre le Grand et le „Juge-
ment dernier“ de Memling.
Behandelt den Versuch Peters I. von Rußland,
das Memlingsche Altarbild in der Marienkirche
zu Danzig als Kriegsbeute 1717 zu erpressen.
C. HOFSTEDE DE GROOT, Notices critiques sur
les tableaux hollandais á notre Exposition de 1908.
BARON N. WRANGELL, Quelques mots sur
notre Exposition de 1908.
Übersetzung der im Heft 3 der „Monatshefte für
Kunstwissenschaft“ 1910 von Hofstede de Groot
veróffentlichten Notizen úber die von den ,,Staryje
Gody“ arrangierte Ausstellung alter Meister,
welche die Redaktion d. Zeitschrift durch eine
Reihe Bemerkungen und Baron Wr. durch seinen
Aufsatz ergänzen.
E. DACIER, Les porträts de la Camargo par
Lancret.
Vergleich der vier Bilder L.s in Potedam,
Petersburg, London und Nantes, in welchen die
berühmte Tänzerin figuriert.
P. W., L’exposition d’art musulman & Munich.
W. ADARJUKOFF, Ergänzungen und Berichti-
gungen zum „Lexikon russischer Porträts“ уоп
О. A. Rovinsky 1880.
November:
W. GUEORGUIEWSKY. Les dons de Jean le
Terrible et de sa famille á un cloitre á Souzdal.
W. WERETENNIKOFF. Lampi-pere et ses idées
sur Academie des Beaux-Arts.
DÉNIS ROCHE. Notes supplémentaires sur quel-
ques miniaturistes.
A. GOLOMBIEVSKY. Un portrait enfin identifié.
Behandelt ein Frauenbildnis des Grafen Rotari
aus der Sammlung des Grafen G. Ribeaupierre,
St. Petersburg.
E. М. Une manufacture de Faience á Reval.
W. J. ADARJUKOW. Ergänzungen zum „Lexikon
gestochener russischer Porträts“ von D. A. Rovinsky
1889.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft т.
4 49
К. O. HARTMANN, Die Baukunst in ihrer Ent-
wicklung von der Urzeit bis zur Gegenwart. Carl
Scholtze Verlag, W. Junghaus, Leipzig. Preis
kart. M. 7,50, geb. M. 8,50.
CURT HERMANN, Der Kampf um den Stil. Erich
Reiss, Verlag, Berlin. Preis M. 2,50.
FELIX POPPENBERG, Das lebendige Kleid.
Erich Reiss. Verlag, Berlin. Preis br. M. 3,50,
geb. M. 4,50.
OSCAR BIE, Reise um die Kunst. Erich Reiss,
Verlag, Berlin. Preis br. М. 4,—, geb. М. 5,—.
DAS ERBE DER ALTEN. Schriften iber Wesen
und Wirken der Antike. Gesammelt und heraus-
gegeben von O. Crusius, O. Immisch, Th. Zielinski.
Heft 1: GEORG TREU, Hellenische Stimmungen `
in der bildenden Kunst einst und jetzt. Verlag
Dieterichsche Verlagsbuchhandl. Theodor Weicher,
Leipzig. Preis geh. М. 1,80, geb. М. 2,50.
FREEMAN O’DONOGHUE F. $. A. Catalogue
of engraved British portraits. Preserved in the
Department of Prints and Drawings in the British
Museum.
MAX OSBORN, Franz Krüger (Velhagen & Klasings
Künstlermonographien Bd. 101). Verlag Velhagen
& Klasing, Bielefeld u. Leipzig. Preis М. 4,—.
PROF. A. DE CEULENEER, Justus van Gent. Ver-
lag A. Siffer, Gent.
в. BURKNER, Direr (Bd. 59 der Biographien-
Sammlung Geisteshelden). Verlag Ernst Hofmann
& Co. Berlin. Mit 13 Abb. u. 4 Kopfleisten.
Geh. M. 2,40 in Geschenkband M. 3,20.
DORA SCHUMANN, Die Darstellungen der Ver-
kündigung in der italienischen Kunst der Re-
naissance. Verlag В. G. Teubner, Leipzig. Preis
geb. М. 2,—.
CASIMIR v. CHLEDOWSKI, Der Hof von Ferrara.
(Autorisierte Ubersetzung aus dem Polnischen von
Rosa Schapire.) Mit 36 Vollbildern. Verlag Julius
Bard, Berlin.
CORRADO RICCI, Geschichte der Kunst in Nord-
Italien. Mit 770 Abb. u. 4 Farbentafeln. Verlag
Julius Hoffmann, Stuttgart.
CECILIA WAERN, Mediaeval Sicily. Verlag
Messrs. Duckworth 4 Co., London. Preis 12,6 net.
MALCOLM C. SALAMAN, Old English Mezzo-
tints. (Edited by Charles Holme.) Special Winter
number of „The Studio“ 1910— 11. Verlag „The
Studio“. London W. С. Preis geh. 58. net, geb.
78. 6d. net.
ALFRED LÜDKE, Landschaften (Text у. Jos. Aug.
Beringer). Verlag Neue Photographische Gesell-
schaft. Berlin-Steglitz.
IV. Jahrgang, Ней 1.
LEON PREIBISZ, Martin van Heemskerck. Ein
Beitrag zur Geschichte des Romanismus in der
niederländischen Malerei des XVI. Jahrhunderts.
Mit xa Tafeln in Lichtdruck. Geh. M. 7,—, geb.
M. 8,50. Verlag Klinkhardt 4 Biermann, Leipzig.
W. Н. у. р. MULBE, Die Darstellung des júngsten
Gerichtes an den romanischen u. gotischen Kirchen-
portalen Frankreichs. Mit ca. 20 Tafeln in Licht-
druck. Geh. M. 4,50, geh. M. 6,—. Verlag Klink-
hardt 4 Biermann, Leipzig.
HANS TIMOTHEUS KROEBER, Die Einzelpor-
trits des Sandro Botticelli. Mit 30 Abbild. auf
12 Tafeln in Lichtdruck. Preis geh. М. 5,—,
geb. M. 6,—. Verl. Klinkhardt 4 Biermann, Leipzig.
EDUARD FLECHSIG, Sichsische Bildnerei und
Malerei vom XIV. Jahrhundert bis zur Reformation.
Im Auftrag der Kgl. Sichsischen Kommission fúr
Geschichte. II. Lieferung: Freibergi.S. 41 Tafeln
in Lichtdruck (Gr. 4°) mit erklirendem Text. Preis
in Mappe М. 30,—, Klinkhardt & Biermann, Leipzig.
DR. LEO BALET, Der Frühholländer Geertgen
tot Sint Jans. Mit 11 Tafeln. Verlag Martinus
Nijhoff, Haag.
VICTOR MORTET, La mesure de la figure humaine
et le canon des proportions d’apres les dessins
de Villard de Honnecourt, D’Albert Dúrer et de
Léonard de Vinci. Mit 2 Tafeln u. 9 Abb. Librairle
Ancienne Honoré Champion, Editeur, Paris.
FRANZ SERVAES, Anders Zorn (Bd. 102 Kúnst-
ler-Monographien). Verlag Velhagen & Klasing,
Bielefeld u. Leipzig. 93 Abbildungen. Preis М. 4.—.
ANTON DE PETERS. Ein Kölnischer Künstler
des XVIII. Jahrhunderts. Von Arnold Fortlage.
(J. A. Ed. Heitz, Straßburg.)
DIE BAUMZEICHNUNG IN DER DEUTSCHEN
GRAPHIK DES XV. UND XVI. JAHRHUNDERTS.
Von Ignaz Beth. Ebenda.
VERSUCH EIN. ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DER DECKENMALEREI IN ITALIEN VOM
XV. BIS ZUM XIX. JAHRHUNDERT. Von
Sylva Schlegelmann. Ebenda.
FR. J. J. BERTHIER. L’eglise de la Minerve
a Rome. Rome, M. Bretscheider. 1910.
Der Verfasser, ein Dominikanerbruder, hat fleißig das
ihm zur Verfügung stehende Material über eine der
interessantesten Kirchen Roms, Santa Maria sopra
Minerva zusammengetragen. An einzelnen Stellen wird
die Forschung einsetzen müssen und exaktere Resul-
tate erzielen können. Nicht in der chronologischen
Folge sondern der räumlichen Anordnung der Altäre
und Kapellen bespricht Berthier die einzelnen Kunst-
schätze der Kirche. Die Abbildungen sind sehr zahl-
reich und bieten alles wesentliche, sind aber leider so
flau, daß ihre Quantität durch die schlechte Qualität
aufgehoben wird. Es ist jedenfalls ein Verdienst des
Verfassers zum ersten Male an die schwierige Frage
der Geschichte und Kunstgeschichte dieser auf antikem
Tempelboden errichteten Kirche sich gewagt zu haben.
Hanns Schulze.
Herausgeber u. verantwortl Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, WIS, Emserstr. 221. | In
MÜNCHEN: Dr.M.K. ROHE, München, Elisabethstr. 44. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE,
Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill Lodge
Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, Bookhorststraat 22а. / In FRANKREICH:
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
50
Tafel 1
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PETER VON DER RENNEN 1646 (?) Getriebene Silberschale. Alexander d. Gr. vor Jerusalem. Privatbesitz
Zu: LUDWIG KAEMMERER, PETER VON DER RENNEN UND ANDREAS SCHLÚTER
M. f. K. IV, І
Tafel 2
PETER VON ОЕК КЕММЕМ. 1659. Silbersarg des Н. Adalbert Gnesen, Dom.
Zu: LUDWIG KAEMMERER, PETER VON DER RENNEN UND ANDREAS SCHLÚTER
M. f. K. IV, 1
Tafel 3
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PETER VON DER RENNEN. 1671. Werkstattarbeit. Silbersarg des H. Stanislaus Krakau, Dom
Zu: LUDWIG KAEMMERER, PETER VON DER RENNEN UND ANDREAS SCHLUTER
M. f. K. IV, 1
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Tafel 5
ANDREAS SCHLÜTER. Um 1705. Bleisarg der König Sophie Charlotte Berlin. Dom
Zu: LUDWIG KAEMMERER, PETER VON DER RENNEN UND ANDREAS SCHLÚTER
M. f. K. IV, І
Tafel 6
GAINSBOROUGH: Kónigin Charlotte von England Ludwigslust, Großherzogliches Schloß
Zu: ERNST STEINMANN, GAINSBOROUGHS PORTRÄT DER KÖNIGIN CHARLOTTE VON ENGLAND IM
GROSSHERZOGLICHEN SCHLOSSE ZU LUDWIGSLUST
M. C K. IV. 1
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2 1er
GENTILE BELLINI: Bildnis der Caterina Cornaro GENTILE BELLINI: Bildnis der Caterina Cornaro
(Detail aus dem „Wunder der Kreuzreliquie“) Budapest, Museum der bildenden Künste
Venedig, Accademia
Venetianische Schule des XVI. Jahrhunderts: „Die Ab- Venetianische Schule des XVI. Jahrhunderts. Bildnis
reise Caterina Cornaros aus Cypern“ der Caterina Cornaro Hannover, Kestner-Museum
Neu-Schwanenburg, Sammlung v. Transehe
Zu: EMIL SCHAEFFER, BILDNISSE DER CATERINA CORNARO
M. i. K. Iv, 1
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Tafel 10
Schule des PAOLO VERONESE. (CARLO CALIARI?) ,,Die Abdankung der Caterina Cornaro“
CATHARINA. Oé JE LUIE
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RAMBALDO. АСТМОЮ ADVDCATO
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ANTONI 1 MEGANE ХАМАА IN TAN
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TIZIAN: „Porträt des Giorgio Cornaro? Venet. Schule vom Beginn des XVII. Jahrhunderts:
Berlin, Samml. Ed. Simon Bildnis der Caterina Cornaro
Treviso: Conte Avogador degli Azzoni
Zu: EMIL SCHAEFFER, BILDNISSE DER CATERINA CORNARO
M. f. K. IV, 1
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LS | Tafel 11
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Knabe mit дег Gans (Nach Clarac) DAVID TENIERS DER JUNGERE Die Hochzeit
Neapel des Kúnstlers. Detail Sammlung Rothschild, London
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JAN GOSSAERT (MABUSE) Die Lukasmadonna Prag, Rudolphinum
Zu: PAUL GUSTAV HUBNER, STUDIEN UBER DAS VERHALTNIS DER RENAISSANCE ZUR ANTIKE
M. f. K. Iv, 1
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Tafel 13
Kreuzigung
Abb. 6.
Kreuzigung B. 21
Abb. 5.
Holzschnitt
Marter der hl. Barbara
Abb. 4.
z im Berliner Kupferstich-Kabinett
Getuschte Federzeichnun
08
Kanonbild aus dem Missale Pragense 15
Zu: IGNAZ BETH, DER JUNGE CRANACH
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MONATS HEF TE
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DANG ‘HEF 12 ~ FEBRUAR 1911
H 1 КНАЕ RD TO BIERMANN: ¡LEIPZIG
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ABHANDLUNGEN
AUGUST L. MAYER, Juan de Ruelas.
Mit 6 Abbildungen auf 4 Tafeln S. 51
ANTONIO MUÑOZ, Meister Paolo da
Gualdo. Mit 6 Abb. auf 3 Tafeln S. 73
E. MAJOR, Basler Horologienbiicher mit
Holzschnitten von Hans Holbein d. J.
Mit 9 Abbildungen auf 5 Tafeln S. 77
LITERATUR
PAUL BUBERL, Dieromanischen Wandmalereien
im Kloster Nonnberg in Salzburg.
(Vitsthum) )) 8. 82
DR. HERMANN EGGER, Architektonische Hand-
zeichnungen Alter Meister. (Steinmann) S. 84
HERMANN VOSS, Albrecht Altdorfer u. Wolf Hu-
ber. Meister der Graphik III. (Springer) 8. 85
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CORRADO RICCI, Geschichte der Kunst in Nord-
Italien. Mit 770 Abb. und 4 Farbentafeln.
Deutsche Übersetzung von Dr. L. Pollak.
jermann) .....,.......... 8. 85
OSWALD SIREN, Studier i florentinsk renäs-
sansskulptur och andra konsthistoriska ämnen.
DE EEN 8. 86
THIEME und BECKER, Allgemeines Lexikon der
bildenden Künste (Singer) 8. 88
HUGO KOCH, Siichsische Gartenkunst (Grise-
BIANCA SEGANTINI, Giovanni Segantinis
e о о ое
Schriften und Briefe (Kiesling) .... 8. go
HENRI CORDIER, La Chine en France au
XVIIe siécle (Tietze) .......... 8. 90
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JUAN DE RUELAS Von AUGUST L. MAYER
Mit sechs Abbildungen auf vier Tafeln CCCOGCCODOOCCOOOCCCOCOCOCOOCCOCODOOCOCOCCOCOCOOOOCCOCOCOOCPOOCO0O0000000000A0000000O
ie verheiBungsvollen Knospen, die die Sevillaner Kunst zu Beginn des XVI. Jahr-
hunderts hervorgebracht hatte, schienen, von dem Eishauch des Romanismus
getroffen, absterben zu wollen, noch ehe sie zur rechten Entwicklung gekommen
waren. Doch sie sollten sich in ungeahnter Weise von der halben Erstarrung er-
holen und zu herrlichster Blüte entfalten, dank dem Wirken jenes Mannes, der
nicht zu Unrecht den Namen eines spanischen Tintoretto führt: Juan de Ruelas.
Zunächst ein Wort über den Namen selbst. Bisher pflegte man den Namen des
Künstlers als Juan de las Roelas anzugeben. Allein in allen Dokumenten unter-
zeichnet sich der Maler als Juan de Ruelas. Ebenso wie Murillo sich selbst nie
Morillo geschrieben hat. Freilich findet man in den von den Notaren aufgesetzten
Kontrakten und in den Akten der Kathedrale wie in anderen Kirchenbüchern die
Schreibweise Morillo wie Roelas, Rudelas, aber die Meister selbst haben ihren
Namen immer in der angegebenen Weise geschrieben. Der Name Roelas-Ruelas
ist echt spanisch. Ein D. Diego de las Roelas war 1378—1389 Bischof von Avila.
Auch für seinen Namen findet sich mitunter wie bei unserem Künstler die Schreib-
weise Rodelas. '
Über das Geburtsdatum des Meisters wie über die ersten Jahrzehnte seines
Lebens sind wir leider sehr im Unklaren, da uns hier die Dokumente im Stich
lassen. Wir sind daher ganz auf die spärlichen Mitteilungen der älteren Biographen
angewiesen. Palomino ist höchst dürftig über Ruelas unterrichtet, ein Beweis dafür
ist schon die Tatsache, daß er ihn Dr. Pablo nennt. Cean Bermudez zufolge ist
er 1558 oder 1560 in Sevilla als Sohn vornehmer Eltern geboren.
Man darf wohl mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß sein Vater jener Pedro
de las Ruelas war, der als Admiral die spanische Küstenmarine (Armada de Guarda
Costas) befehligte und 1565 in Puebla de los Angeles gestorben ist!). Zur Be-
kräftigung dieser Tatsache kann auch eine Stelle in der Eingabe des Künstlers
dienen, die er bei seiner Bewerbung als Kammermaler 1616 an König Philipp III.
richtete. Es heißt nämlich da „. . . . und sein Vater diente Eurer Majestät viele
Jahre.“ Don Pedro war mit Da. Maria de Guzman vermählt und besaß auch eine
Tochter, Da. Mencia de Zufiga. Juan war bei dem Tod seines Vaters noch minder-
jährig. Eine Vollmacht seiner Mutter vom 17. Juni 1567 an ihren Mayordomo
Francisco de Orellana befindet sich im Archivo general de las Indias. Über die
ersten vier Dezennien seines Lebens fehlt uns, wie gesagt, jede Spur, erst die drei
weiteren lassen uns den Menschen wie den Künstler Ruelas kennen lernen. Am liebsten
möchte man annehmen, der Meister sei erst etwa um das Jahr 1575 geboren. Dann
würde sich manches leichter erklären lassen. Ein großes Unglück ist es, daß die
Bibliothek und das Archiv der ehemaligen Colegiata von Olivares verbrannt und
nur wenige, für uns belanglose Bände auf uns gekommen sind. Wir müssen daher
die Mitteilungen des Bermudez über die Tätigkeit des Ruelas in Olivares auf Treu
und Glauben hinnehmen, werden aber bald sehen, daß er verschiedene ganz un-
mögliche Dinge behauptet.
(1) Zuñiga erwähnt unter den Stiftern der neuen Ritterbruderschaft (cofradia caballerosa) de S. Hermene-
gildo, die 1573 ein Bittgesuch um Bestátigung der Cofradia an den Staatsrat schickten, auch einen
Don Pedro de las Ruelas. Dies müßte ein Namensvetter des Admirals sein, falls dieser wirklich schon
1565 gestorben ist.
Monatshefte fir Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 2 5 51
Sicher ist, daB unser Maler dem geistlichen Stand angehórte. Er war Lizenziat,
und stets findet man die Abbreviatur dieses Titels vor seinem Namenszug. Als
junger Priester weilte er in Olivares. Als Präbend der Hauptkirche soll er Ber-
mudez zufolge 1603 eine Reihe von Gemälden ausgeführt haben, die uns erhalten
sind. Sie zeigen, wie wir weiter unten sehen werden, noch nichts von dem großen
Meister, der sechs Jahre später ein so grandioses Werk wie den „Santiago“ der
Sevillaner Kathedrale geschaffen hat. Es erscheint fast ausgeschlossen, daß Ruelas
in dieser kurzen Zeit so ungeheure Fortschritte gemacht hat. Will man der Mit-
teilung des Bermudez Glaubens schenken, so bleibt einem nichts anderes übrig als
anzunehmen, daß der Künstler inzwischen im Ausland war, daß ein Aufenthalt in
Venedig ihn in ungeahnter Weise gefördert hat. Und dies ist sehr wohl möglich,
denn von 1607 bis 1624 weilte Ruelas nicht mehr in Olivares. (Er bekam während
dieser Zeit auch keinen Gehalt ausbezahlt.) In Sevilla aber ist er erst seit An-
fang 1609 nachweisbar. Man kann also sehr wohl eine zweijährige Studienreise
annehmen, Auf jeden Fall muß Ruelas vor 1609 in Venedig gewesen sein, denn
eine derartige Kenntnis der Kunst Tintorettos wie sie bereits aus dem „Santiago“
hervorleuchtet und sich dann zu wiederholten Malen in seinen Werken bemerkbar
macht, kann er sich nicht in Spanien, sondern einzig in Venedig selbst er-
worben haben.
Von 1609 an nahm Ruelas für mehrere Jahre seinen Wohnsitz in Sevilla. Er
bekleidete dort an der Kirche S. Salvador das Amt eines Presbitero-Capellan. Als
solcher ließ er sich 1612 in die Bruderschaft der Señores sacerdotes seculares de
S. Pedro ad vincula aufnehmen. Zum Dank, daß man ihn umsonst als Mitglied
empfing, malte er für die Kapelle der Hermandad eines seiner gelungensten Werke:
„Die Befreiung Petri.“ Leider geben die Akten von S. Salvador über die Dauer der
Tätigkeit des Meisters an dieser Kirche keine Auskunft, da aus jenen Jahren nur Tauf-
register existieren, und in diesen Ruelas nicht als amtierender Priester zu finden ist.
1616 verließ der Künstler die Hauptstadt Andalusiens und reiste nach Madrid.
Im folgenden Jahre wurde er von der Junta dem König, Philipp III., an Stelle des
verstorbenen Fabricio Castelo als Hofmaler vorgeschlagen. Das Schriftstück, vom
т. Juli 1617 datiert, lautet: „Der Geistliche Liz. Juan de Roela (sic) kam vor einem
Jahr aus Sevilla mit dem Wunsch, in diesem Amt (nämlich dem eines Hofmalers)
beschäftigt zu werden, und sein Vater diente Eurer Majestät viele Jahre. Er ist
sehr tüchtig (virtuoso) und ein guter Maler.“ Doch der Meister hatte kein Glück,
man zog ihm den an zweiter Stelle empfohlenen Bartolomé Gonzalez Aller-
höchsten Ortes vor. Dieser, ein wackerer Porträtmaler, konnte vor dem ihm weit
überlegenen Andalusier geltend machen, daß er bereits seit neun Jahren im Dienste
des Königs stand. Er hatte sich das begehrte Amt also ersessen.
Ruelas soll trotz dieses Mißerfolges noch eine Zeitlang in Madrid geblieben sein;
dann kehrte er wieder nach Sevilla zurück. Wahrscheinlich führte er damals das
große Altarbild für die Kirche der Universität aus. Zu seinen spätesten Arbeiten
gehört das große Altarwerk für die Mercenarierkirche in Sanlúcar. Bermudez zu-
folge soll Ruelas seine letzten Lebensjahre wiederum in Olivares verbracht haben;
wenn auch die dortige Hauptkirche erst 1627 formell zur Colegiata erhoben worden
sei, so habe Ruelas doch schon 1624 den Titel eines Canonicus erhalten. Damals
nun hätte er die „Geburt Christi“ und die „Gründung von Sa. Maria Maggiore“ für
die Kirche gemalt. Wie es sich damit verhält, werden wir noch sehen. Palominos
Angabe, der Künstler sei 1620 in Sevilla gestorben, ist sicher unrichtig. Bermudez
behauptet, Ruelas sei am 23. April 1625 in Olivares gestorben.
52
Dies ist das wenige, was wir von dem Leben des Маппез wissen, den man
als den Begründer der ruhmreichen Sevillaner Malerschule des XVII. Jahrhunderts
feiern darf.
Fiir den Lizenziaten Alonso Martin Tentor zu Olivares, der spáter Tesorero (Schatz-
meister) und prebendado der Colegiata wurde, soll Ruelas 1603 als Präbend der
gleichen Kirche vier Gemälde auf Leinwand mit Darstellungen aus dem Marien-
leben gemalt haben. Laut dem Testament Tentors seien sie nach dessen Tod an
die Kirche gefallen, die aber später die Bilder an den Abad D. Luis Francisco Duro
de Velasco verkauft habe. Nach dessen Ableben nun seien sie wiederum der
Colegiata zugefallen. Also berichtet Cean Bermudez.
Die „Verkündigung“ und „Anbetung der Könige“ schmückten früher den Trascoro,
die „Vermählung“ und der „Heimgang Mariä“ die Sakristei. Heute hängen die
Bilder etwas hoch an den Seitenschiffwänden.
Bei der „Verkündigung“ wendet sich Maria an einem Betpult kniend nach rechts
um. Ihr Gesicht ist hell beleuchtet, die Schattengrenze sehr scharf, unvermittelt.
Der niederblickende Gabriel hat die Rechte erhoben. Beide sind richtige Modell-
figuren, steif und ohne Ausdruck. Oben erscheint in einer Wolke die hl. Taube.
Mit am interessantesten ist, daß man in der Mitte des Grundes aus dem dunklen
Zimmer auf einen hellen, großen Platz eines kleinen Städtchens hinausschaut.
Bei der „Vermählung“ blickt Maria, in rosa und grün gekleidet, als schamhafte
Jungfrau vor sich nieder, die Rechte ausgestreckt, die Linke auf der Brust, der
Kopf in dreiviertel Ansicht. Joseph im Profil gesehen hält in der Rechten einen
langen Bliitenstab. Er trägt graues Gewand und gelben Mantel, dessen Falten
ziemlich trocken behandelt sind. Zwischen den beiden steht niederblickend der
betende Hohepriester, rechts im Hintergrund erblickt man Marias Eltern. Links
sind vor einem hellen Ausschnitt mit der Fassade eines Palastes zwei Figuren
gestellt; die linke im Profil in grünem Gewand, roter Kapuze auf dunklem Mantel
und roter Mütze; die Rechte in braun, ein ähnlicher Typus wie der jugendliche
Antonius von Padua, aber bärtig.
Dieses Gemälde ist, namentlich im Vergleich zu den drei anderen Bildern sehr
hell im Kolorit. Die Gestalten sind auch hier etwas schlank und hager, die Haupt-
gruppe ist edel, völlig renaissancemäßig bewegt.
Bei der „Anbetung der Könige“ hält Maria, in dunkelrot und blau gekleidet, drei-
viertel nach rechts gewandt niederblickend das Christkind in weißem Kleidchen
vor sich. Wiederum ist Licht und Schatten scharf voneinander geschieden. Hinter
Maria steht der dunkelbärtige Joseph im Profil. Links kniet der alte König im
Profil gesehen, in einem langen gelben Mantel gehüllt. Die Figur wirkt sehr gut,
und wir werden bei der „Ausgießung des hl. Geistes“ eine ganz ähnlich drapierte
Gestalt wiederfinden. Hinter dem Alten steht der zweite König. Der Mohr aber,
in rot und gelb gekleidet, ist links gegen die Landschaft gestellt.
Beim „Tod des hl. Joseph“ sitzt der Heilige im Bett, die Hände betend gefaltet.
Vor dem Lager, mehr nach der Mitte zu erblickt man Maria, fast im Profil, in rot,
blau, braungelb und grau gekleidet vor dem blondbärtigen Christus kniend. Dieser,
in ein langes, graues Gewand und roten Mantel gehüllt, schreitet von rechts her
heran. Den Kopf leise geneigt streckt er mild die Rechte aus. In der Qualität hält
dieses Bild die Mitte zwischen der „Verkündigung“ und „Anbetung“.
Aus all den vier Bildern spürt man, daß hier ein vornehmer Künstler am Werke
53
ist, der nach etwas neuem ringt. Neben der Freude an der Farbe macht sich die
Vorliebe für scharfen Kontrast in der Beleuchtung geltend. Hell und dunkel platzen
aufeinander.
Wie man sieht, verfolgt der Maler die gleichen Tendenzen wie im Osten Spaniens
der Valencianer Francisco de Ribalta, der spanische Caravaggio. Allerdings mit
dem Unterschied, daß sich Ribalta mit dem Ruhm begnügte, dasselbe für Spanien
geleistet zu haben, was Caravaggio für Italien getan hat, während für Ruelas der
Caravaggiostil nur eine Zwischenstufe war, und es ihm gelungen ist, aus der Ver-
schmelzung dessen, was er an der Kunstweise Caravaggios und Tintorettos gutes
fand, einen neuen, eigenen Stil zu schaffen, der zur Grundlage der Kunst des
Velazquez, Murillos und Canos werden sollte.
In konsequenter Entwicklung schuf Ruelas nach den vier Marienlebenbildern die
„Geburt Christi“, gleichfalls in der Kirche von Olivares, jenes Gemälde, das er
Cean Bermudez zufolge erst 1624 gemalt haben soll.
Die niederblickende Maria in rotem Gewand und weißem Kopftuch ist im Begriff
das Kind aufzudecken. Das Gesicht liegt im Dunkeln, nur ein Teil der Stirn links
oben und ein Stück der linken Wange wird vom Licht gestreift. Das Christkind
ruht auf einem sehr großen weißen Tuch. Rechts steht ziemlich im Dunkel, er-
staunt die Hände erhebend, der hl. Joseph. Nur ein kleiner Fleck seiner Stirn ist
beleuchtet. Joseph ist eine schöne Erscheinung, dunkelbärtig, in ein rotes Gewand
gekleidet mit keilföürmigem Ausschnitt am Hals. Rechts unten kniet im Profil ein
Hirt, dessen Haaransatz dem des späteren Marientyps des Meisters verwandt ist.
Er hält zwei Tauben in den Händen, auf seinem Rücken erblickt man eine zerrissene
Trommel. (Auf einer kurz nach 1600 entstandenen Hirtenanbetung in Sa. Clara zu
Carmona sieht man einen ähnlichen Knaben mit Trommel auf der linken Seite.) Links
vorn kniet nach rechts gewandt, Kopf de face, lächelnd zurückblickend ein anderer
Hirtenjunge. Er erinnert äußerst lebhaft an ähnliche Gestalten auf den Bildern
des jungen Velazquez. Sein Gesicht ist auf der linken Seite wenig, aber grell be-
leuchtet. Der Kontrast zwischen Licht und Schatten ist sehr stark. Der Junge
trägt gelben, mit Schafspelz besetzten Rock und rote Hosen. In der Linken hält er
einen Dudelsack, sein rechter Zeigefinger ist erhoben. Hinter ihm sieht man zwei
Hirten; der vordere im Profil, schwarzbärtig, in grün gekleidet, betet das Christkind
an. Licht fällt nur auf einen Teil seiner Stirn und die Wange. Der andere in
grau gekleidet hat den Kopf auf die Seite geneigt. Über ihm erblickt man eine
Frau in purpurrot mit niederblickenden Kind auf dem Arm, das ein Huhn zu halten
scheint. Diese beiden sind etwas mehr beleuchtet. Im Vordergrund liegen unten
zwei Schafe. Oben erkennt man noch einige Sdulenstiimpfe. Das Christkind selbst
ist sehr zart modelliert, die Schatten sind schwachgrau. Die Gewandbehandlung
jedoch ist noch nicht befriedigend. Man bemerkt zu viel tote Flächen, und die
Faltengebung ist zu hart.
Gegenüber den Marienlebenbildern aber bedeutet dieses Werk einen a
Fortschritt. Die Tendenz des Künstlers, das Streben nach kräftiger Helldunkel-
wirkung kommt hier bereits viel deutlicher zur Geltung.
Und gleichzeitig mit diesem Gemälde, das heißt ebenfalls 1624, soll Ruelas die
„Gründung von Sa. Maria Maggiore“ für den Altar Mayor der Kirche gemalt haben!
Später sei das Bild in das Hospital gekommen; heute schmückt es die Capilla de
Sa. Marina der Pfarrkirche. Es ist ein Hochbild, für den Hochaltar aber auf jeden
Fall viel zu klein. Man darf wohl annehmen, daß dieses Gemälde zu den frühesten
uns bekannten Arbeiten des Meisters und nicht zu seinen spätesten gehört. Von
54
den charakteristischen Merkmalen der Kunst des Ruelas ist noch so gut wie nichts
zu spiiren. Wiirde das Bild ihm nicht von alters her zugeschrieben, man verfiele
wohl kaum auf ihn als seinen Autor.
Rechts vorn kniet der rómische Patrizier, bártig in buntem Gewand (blau, violett,
grün und rot), rechts von ihm seine Frau mit gefalteten Händen, wie der Mann
nach rechts blickend in braunem Kopftuch und grauem Kleid. Links vorn steht
vor sich niederblickend und von zwei Pagen gestützt der graubärtige Papst in
weiBem, goldgesticktem und violett gefiittertem Pluviale, die Rechte auf dem Kirchen-
plan, die Linke nach dem freien Platz in der Mitte ausstreckend, wo die Kirche
erbaut werden soll. Eine sehr steife Gestalt. Links von ihm kniet im Profil der
dunkelbärtige Baumeister in rotem Gewand, den Kirchenplan haltend. Hinter ihm
sieht man vier Bischöfe, wohl alle vier Porträts. Der ganz links, dreiviertel nach
rechts gewandte mit dem dunklen Bart, und der langen, auf die Seite geschlagenen Nase,
ein noch ziemlich junger Mann, der die Augen nach dem Beschauer wendet, scheint
der Künstler selbst zu sein. Neben ihm steht ein Alter, neben diesem wieder ein
Priester in mittleren Jahren; der vierte endlich, ein Vierzigjähriger mit etwas
weinfrohem Gesicht blickt uns an und scheint uns auf den ersten aufmerksam machen
zu wollen. Rechts von dieser Gruppe hält ein schwarzbärtiger, nach links vor sich
hinblickend, in der übergreifenden Rechten ein Vortragkreuz. Hinter diesem wiederum
sieht man eine Prozession von Geistlichen mit Chorknaben, Fahnen usw. Eine
Art Schirm rot und gelb gemustert fällt hier besonders auf.
Hinter dem Patrizier und seiner Gattin stehen vier Frauen, deren Typen lebhaft
an die des Luis de Vargas erinnern. Hinter den Frauen werden deren Gatten
sichtbar und weiter rückwärts noch erblickt man eine der Prozession entsprechende
Gruppe von Rittern zu Pferd in Rüstungen und mit roter Fahne. Zwischen diesen
beiden Hintergrundsgruppen öffnet sich der Blick auf die Stadt (Rom) und darüber er-
scheint endlich in einer gelbbraunen Gloriole Maria mit dem Jesuskind als Halbfigur.
Wie man schon aus der Beschreibung erkennt, haben wir es hier mit einem
mühsam gebauten, mit Menschen überfüllten und von keinerlei Wärme erfüllten
Werk zu tun, das ganz unmöglich der Hand eines reifen Meisters entstammen kann.
Das erste Gemälde, das Ruelas für eine Sevillaner Kirche geschaffen hat, ist
der „Heimgang des hl. Hermengild“, den er für den Hauptaltar der Kirche des
vom Kardinal D. Juan de Cervantes gegründeten Hospitals de S. Hermenegildo, im
Volksmund kurzweg „Hospital del Cardinal“ genannt, malte (Abb. т). Das Altar-
werk schmückte außerdem von seiner Hand oben eine hl. Dreifaltigkeit und zwei
Tugenden, ferner Halbfigurenbilder heiliger Sevillaner Bischöfe. Auf uns ist nur das
Hauptbild gekommen, das heute die Empore der Epistelseite in der Kirche des
Hospital de la Sangre schmiickt.
Der sterbende Gotenkönig in reichem, goldgesticktem Gewand mit gelben Ärmeln
ist aufblickend in die Knie gesunken. Zu seinen FiiBen liegt eine Krone. Links
von ihm wird sein rotes Lager sichtbar, des weiteren ein Begleiter mit gezacktem
Schwert und ein aufblickender Engel Zur Rechten des Heiligen hält ein Engel
seinen mit roten und gelben Federn geschmückten Helm. Links von Hermengild
steht der hl. Isidor in dunkelgrünem Gewand mit einem König im Knabenalter zur
Seite. Vor ihm kniet, als dreiviertel Rückenfigur gesehen der hl. Leander in gelb-
brauner, rosaviolett gefütterter Capa. Dieser Gruppe entsprechend kniet auf der
rechten Seite der Gründer des Spitals, der Kardinal Cervantes, dreiviertel nach
links gewandt nebst einem Begleiter, der in ein schwarzes Gewand mit weißer
Krause gekleidet ist.
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Oben erscheint als Halbfigur die Madonna in griinem Mantel mit briichigen Falten,
die himmlische Krone dem Sterbenden entgegenhaltend. Sie steckt ganz in der
Tiefe des Bildes. Die begleitenden Engel treten mehr nach vorn heraus. Links
sieht man einen Harfe schlagenden und einen Cellospielenden in griin und hell-
rot sowie einen stehenden Putto, der ein Notenbuch hochhält; rechts je einen
himmlischen Violin- und einen Orgelspieler. Dieser sitzt in starkem Kontrapost.
Auch bei diesen beiden steht ein Putto, mit einem Notenbuch, doch ist dieses
Englein etwas verzeichnet. Auf beiden Seiten der Glorie Marias lugen Cherubin-
köpfe hervor. Endlich sieht man noch auf einer zweiten Wolkenbank weiter oben
kleine Englein.
Wegen des Ausdrucks der Figuren, des Adels der Bewegung und des trefflichen
Kolorits namentlich oben wird das Bild von Bermudez sehr gelobt. Es wirkt aber
noch ziemlich bunt und steht den Marienlebenbildern in Olivares nicht allzufern.
Der Kontrast zwischen Licht und Schatten ist noch sehr stark.
Aus dem Jahr 1606 soll die „Anbetung der Könige“ im Convento de Sa. Isabel
stammen. Leider ist das Bild, das einen Altar in der Náhe des Chors ziert, so
schlecht beleuchtet, daß man es kaum würdigen kann, zumal auf dem Gemälde
selbst ein starkes Dunkel herrscht. Der Maler hat nämlich die Szene in eine
Dämmerstimmung getaucht. Der Marientyp ist noch nicht der, den wir auf den
späteren Werken des Meisters finden. Der älteste König im Profil kniend und in
weißen, goldgestickten Mantel gehüllt hebt den Deckel von dem Goldgefäß, daß er
als Opfergabe bringt. Unverkennbar hat diese Anbetung später Juan del Castillo
für ein Gemälde als Vorbild gedient. Noch schlechter als die Hauptdarstellung ist
die hl. Familie oben im Tympanon des Altarwerkes zu erkennen. Joseph reicht
dem Jesuskind eine Frucht.
1609 schuf dann Ruelas eines seiner bedeutendsten Werke, den „Santiago in der
Maurenschlacht“, in der Kapelle dieses Heiligen in der Sevillaner Kathedrale,
Über die Vorgeschichte dieses Bildes ist uns das folgende bekannt: Am 16. Februar
1609 faBte das Domkapitel den Beschluß, die Santiagokapelle, wie die dem Tauf-
becken gegenüberliegende!) Cap. de las Angustias mit Retablos zu schmücken,
Die Wahl des Malers wurde anscheinend der Kunstkommission überlassen. Erst
sechs Monate später hören wir wieder etwas von dieser Angelegenheit; am
a1. August ı609 wurde die Kommission nämlich beauftragt, sich zusammen mit
Malern über das Santiagogemälde zu informieren und zum Artifice zu gehen. Ge-
meint ist wohl damit, daß die Arbeit des Ruelas abgeschätzt und ein großer, reich-
geschnitzter Rahmen für das Bild bestellt werden sollte. Am 7. September wurden
Verhandlungen über die ornamentale Ausschmückung der Capilla de las Angustias
geführt und am 14. des gleichen Monats beschloß man die Annahme des vom
Lizenziaten Ruelas gemalten Santiago. Zwei Tage später stellte man eine An-
weisung zur Bezahlung von 3000 rs = 102000 mrs an Juan de Rueda für zwei
Altargemälde aus. Am то. Oktober bescheinigte der Meister den Empfang dieser
Summe. Die Quittung ist doppelt abgefaßt, wohl weil es in der eigentlichen An-
weisung heißt „empfangen von Bart. Gallegos de Herrera“ und Ruelas in Wirk-
lichkeit das Geld von Juan de la Fuente ausbezahlt bekam.
Das Gemälde in der Cap. de las Angustias, auch nach den einstigen Besitzern
Cap. de los Jacomes genannt, stellt eine Pieta dar, Maria mit dem toten Christus
in den Armen. Durch Nachdunkelung und häufige Restaurierung ist das Bild
(1) Das Taufbecken wurde erst am 3. Juni 1656 in der Antoniuskapelle aufgestellt.
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heute eine traurige Ruine und läßt die Hand des Ruelas kaum mehr ahnen.
Palomino, der das Werk noch in seiner vollen Schönheit bewundern konnte, nennt
es!) nicht geringer als der Santiago. „Der Ausdruck des Schmerzes ist so lebendig
wiedergegeben, daß der Meister hier jegliche Trope der stummen Redekunst der
Pinsel ausgeschöpft zu haben scheint.“
Der „Santiago in der Schlacht von Clavijo“ aber strahlt glücklicherweise heute
noch in voller Schönheit. Schon wegen der bis dahin unerhörten Bildgröße (6,00><4,00)
mußte das Gemälde das höchste Aufsehen erregen. Man geht wohl kaum irre,
wenn man schon in der Wahl des Formats einen gewissen Einfluß Tintorettos
erkennt. Das Format dieses Santiogo nun sollte später zwei Sevillaner Künstlern
etwas verhängnisvoll werden. Denn Murillo sowohl wie der jüngere Herrera
mußten ihre Gemälde, mit denen sie über ein halbes Jahrhundert später die Altäre
der benachbarten Kapellen schmückten, auf Befehl des Kapitels in gleicher Größe
wie das Bild des Ruelas ausführen, und es ist den beiden lange nicht in dem
Maße wie Ruelas gelungen, Herr des Riesenformats zu werden, namentlich Murillos
berühmter Antonius wirkt eigentlich nur wie die Lichtbildprojektion eines kleineren
— und in diesem Maßstabe höchst reizvollen — Bildes.
Der heilige Schutzpatron Spaniens trägt hellrotes Gewand, violetten Kragen und
Feldbinde sowie weißen, nach graugrün schimmernden Mantel, der über den Kopf
hinausfliegt und dadurch gewissermaßen den Hintergrund für den Kopf abgibt. So
flimmert denn auch auf dem Mantel um des Heiligen Haupt eine rosafarbene
Gloriole. Die langen Haare des dunkelbärtigen, himmlischen Heiligen flattern im
Wind, gleichsam Strahlen ausspritzend. Er sprengt auf einem Schimmel nach links
fast aus dem Bild heraus, hält niederblickend mit der — stark verkürzt gesehenen —
Linken die Zügel des Rosses und schwingt mit der Rechten sein Schlachtschwert.
Gewiß hat Justi recht, wenn er den Heiligen „eine Gestalt von dort noch nicht
gesehener Gewalt der Bewegung und des Helldunkels“ nennt. Aber er ist keines-
wegs „einzig in der Leidenschaft“, denn der Santiago des Francisco de Ribalta
am Hochaltar von Algemesi kommt ihm an Macht des Ausdrucks zum mindesten
gleich, ja man darf ruhig sagen, übertrifft ihn. Denn sieht man den Santiago des
Ruelas nur auf den Gesichtsausdruck hin genauer und längere Zeit an, so erhält
er beinahe etwas Müdes, zum wenigsten etwas Gleichgültiges, während dem Heiligen
des Ribalta die Kampfeslust, das kriegerische Feuer aus den Augen sprüht. Der
Temperamentsunterschied zwischen dem Valencianer und Andalusier ist eben stets
unverkennbar.
Der Mann in scharlachrotem Gewand und weißem Turban mit großem, nieder-
gehaltenem Schwert und erhobener, das Gesicht überschneidender Rechten, Kopf
de face, nach rechts aufblickend, wirkt wie der Knabe in seiner Nähe zu modell-
mäßig, zu ruhig. Jedoch sind beide von starker Plastik. Der Maure, über den
Santiago gerade hinwegsprengt, ist in rot und gelb gekleidet. Links vorn am
Boden erblickt man einen anderen in rot, der, einen Eisenhelm auf dem Kopf, das
Schwert in der Rechten, sich nach vorn neigend mit seinem maurischen Schild
gegen den herausstürmenden Heiligen sich zu decken sucht.
In dem etwas mehr belichteten Mittelgrund sieht man die gewaltige Schlacht
toben. Rechts oben wird ein großes hellbraunes Banner mit dem spanischen
Wappen sichtbar.
(1) Palom. 282, con expressiones tan vivas de dolor que parece dexó apurados los tropos de la muda
rettorica de los pinceles.
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Uber dieses Werk, das kraftvoll in der Gestaltung, meisterhaft in der Kompo-
sition und ausgezeichnet in der Wirkung des Helldunkels ist, hat von jeher nur
eine Stimme der Bewunderung geherrscht. Nach all den kalten Gemälden der
Romanisten mußte diese farbenglühende und überaus temperamentvolle Schöpfung
eines wahrhaft persönlichen Künstlers wie ein Blitz einschlagen. „Ein Werk von
viel Feuer und Schwung (travesura)“ hat es Ponz genannt, „voll Feuer, Majestät
und Würde“ Bermudez.
Von noch größerer Monumentalität vielleicht und noch ausgeglichenerer Schönheit
des Helldunkels ist die drei Jahre später entstandene „Befreiung Petri“ in S. Pedro
zu Sevilla. Wie schon angedeutet malte Ruelas dieses Bild als Entgelt für die
kostenlose Aufnahme in die Bruderschaft der Sefiores sacerdotes seculares de
S. Pedro ad vincula.
In der Sitzung der Hermandad vom 21. März 1612 wurde die Angelegenheit des
Joan de Rudelas presbitero capellan de la iglesia de St. Salvador zur Sprache gebracht
und genehmigt. Das Gemälde schmückt noch heute den Altar der Kapelle der
Bruderschaft.
Der rotblonde Engel in rotem Gewand, das von rosa bis zu tiefem Dunkelrot
geht, hat den im Profil gesehenen Kopf geneigt. Ein starker Schlagschatten wird
auf seinem Hals bemerkbar. Die Rechte herabhängend, die Linke auf dem Gitter
wendet er sich zu dem Apostel, der dreiviertel nach rechts gekehrt dankerfiillt
vor dem Engel zu Boden sinkt. In der Linken hält er die Sandale für den rechten
Fuß, die rechte Hand hat er ausgestreckt, sein Mund ist leicht geöffnet. Sein
Attribut, der Schlüssel, steckt in seinem Gürtel. Oben und auf der rechten Seite
sieht man das Gitter des Kerkers.
Leider ist das Bild sehr gedunkelt, so daß man die Bewegung des Heiligen
nicht ganz klar erkennen kann, Soll man annehmen, daß Petrus im Begriffe ist,
behutsam gehend das Mitteltor des Gefängnisses zu durchschreiten?
Das Ganze ist überaus malerisch behandelt und in ein sattes Helldunkel getaucht.
Die einzige Lichtquelle bildet abgesehen von der an der Decke hängenden Laterne
nur der Strahlenkranz um das Haupt des Engels.
Neben der malerischen Schönheit steht aber die Monumentalität der Auffassung
und die Macht der Zeichnung nicht im mindesten zurück.
„Die Schönheit und Würde des Engels, die Schlichtheit der Komposition und
die Kraft des Helldunkels überraschen den feinsten Kenner“ (Bermudez). Und
Justi nennt das Gemälde „von michelangelesker Großheit und Breite der Figuren,
die hier von einem visionären goldigen Halblicht übergossen sind.“ Es existiert
übrigens ein mäßiger Stich nach dem Gemälde, bezeichnet Rodelas (sic) pinxit.
Nicht ganz auf der Höhe dieses Werkes steht die wohl etwas früher als 1612
anzusetzende „Erscheinung Christi an den hl. Ignaz von Loyola“, heute in der
Sacristia mayor der Sevillaner Kathedrale. Sie dürfte identisch sein mit dem von
Palomino und Bermudez erwähnten Gemälde, das sich einst in der Kirche des
Jesuitenkollegs Sa. Catalina zu Cördoba befand, Palomino nennt das Gemälde „mit
großer Meisterschaft und Kraft ausgeführt“). Zu des Bermudez Zeiten war es
schon aus der Jesuitenkirche verschwunden?). Das Bild ist tief und warm im
Kolorit, die Karnation bräunlich, in den Schatten zuweilen etwas rötlich. Links
steht fast frontal, in starkem Halbdunkel modelliert, der dunkelgelockte, braunbärtige
(1) р. 283.
(2) Berm. IV, 234.
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Christus in weißem Gewand und roten Mantel, die Rechte erhoben, in der Linken
das Kreuz, den Kopf dreiviertel nach rechts dem Ignatius zugewandt. Dieser
kniet aufblickend dreiviertel nach links gekehrt. Über ihm schweben Englein mit
dem Monogramm Jesu IHS in den Händen. Über diesen wiederum erblickt man
auf einer Cherubimwolke Gottvater in grünem Gewand und rotem, über den Kopf
wehenden Mantel. Er blickt nieder, hält mit der Linken die Weltkugel und streckt
die Rechte nach unten aus. Vor ihm und über dem Monogramm schwebt die
heilige Taube. Links oben hat der Künstler, um die Diagonalkomposition stärker
hervortreten zu lassen, noch einige herabschwebende, anbetende Englein ange-
bracht.
In diesen Jahren sind wohl auch jene drei Gemälde entstanden, in denen der
Künstler mindestens ebenso glücklich wie bei dem „Santiago“ das Problem der
Massenversammlung behandelt hat: die „Andreasmarter“, „das Pfingstfest“ und der
„Heimgang des hl. Isidor“.
Am frühesten von diesen scheint die „Andreasmarter“ anzusetzen zu sein. Das
Bild, das sich heute im Sevillaner Museum befindet, schmückte einst den alten Retablo
Mayor der Capilla de los Flamencos im Colegio de S. Thomas. Eine alte Kopie
sieht man іп der Capilla de S. Andrés der Sevillaner Kathedrale. Wie man erzählt,
wollten die Besteller den Preis von rooo Dukaten, auf den die Sevillaner Künstler
das Bild abgeschätzt hatten, nicht bezahlen. Man schickte daher das Gemälde
nach Flandern, um von dortigen Malern den Wert bestimmen zu lassen. Doch
die flämischen Meister schätzten das Werk nicht, wie die Besteller hofften, niedriger
ein, sondern um die dreifache Summe höher!
Es ist verschiedentlich vermutet worden, daß Ruelas flämischer Abkunft gewesen
sei. Für diese Hypothese könnte die Bestellung der „Andreasmarter“ eine Stütze
sein, denn es wäre. sehr begreiflich, daß die Flamen bei der Vergebung des Auf-
trages für den Hochaltar ihrer Kapelle vor allem einen Landsmann berücksichtigt
hätten. Allein dies ist lediglich eine Annahme, die durch zu wenig Beweise ge-
stützt wird. Wie wir noch sehen werden, erinnert das Werk auch im Stil an
gewisse flämische Gemälde, doch hat noch niemand zu behaupten gewagt, daß
hier direkte Zusammenhänge bestünden.
Ruelas hat aber vor allem hier gezeigt, daß er auch auf dem Gebiet voll und
ganz seinen Mann stand, das man den Spaniern gern als ureigenste Domäne zu-
spricht: der Darstellung von Marterszenen.
Verschollen sind leider zwei kleinere Gemälde mit Szenen aus dem Leben des
hL Andreas, die einst die Predella des Altares schmückten und verschiedene andere
kleine Bilder mit einzelnen Heiligengestalten, die gleichfalls zu dem Altar gehörten
und zu des Bermudez Zeiten noch in der Sakristei des Colegio de S. Thomas zu
sehen waren.
Das Hauptgemälde stellt, wie gesagt, die Marter des hl. Andreas dar (Abb. 2). Der
Heilige ist bereits ans Kreuz geheftet. Sein Blick ist nicht etwa vertrauensvoll oder
hilfesuchend emporgerichtet — nachdenklich, resigniert, beinahe müde schaut er vor
sich hin, in unbestimmte Fernen. Viel interessanter als der Heilige selbst sind
die Zuschauer; angefangen von den gemeinen, stupsnäsigen Henkerknechten, die
die große Leiter wegschaffen, ist jede Gestalt fesselnd, die zwei Kumpane beim
Kreuz, von denen der eine den rechten Fuß des Heiligen nochmals mit einem
Strick umschlingt, der gläubige schwarzbärtige Mann rechts, der in die Knie ge-
sunken ist und mit gefalteten Händen zu dem Heiligen aufblickt, ein Kind, das
sich mit beiden Armen in seinen rechten Arm eingerankt hat, die eigenartige
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Profilfigur über den beiden, der Mann mit dem hochragenden Speer in beiden
Händen, der Gassenjunge, der auf den Baum geklettert ist, um das interessante
Schauspiel besser sehen zu kónnen.
Dann die Reitergruppe links mit dem Ritter in der prachtvollen, eingelegten
Rüstung im Vordergrund, dem Priester und dem Fahnenträger; weiter zurück
rechts eine weitere Gruppe von vornehmen Zuschauern. SchlieBlich gesellt sich
zu all den schwatzenden, lachenden, betenden und lármenden Leuten links im
Vordergrund ein Hund.
Die eigentliche Szene spielt sich auf einem Hiigel ab, der vorn mit Latten ab-
gesperrt ist, und zu dem nur eine beschränkte Anzahl Personen Zutritt haben.
Unten aber im Tal, im hellbeleuchteten Mittelgrund erblickt man eine groBe Volks-
menge, die nach der Hinrichtungsstätte hinaufsieht. Eine große, phantastisch
erscheinende Stadt, die sich einen Bergeshang hinaufzuziehen scheint, bildet den
HintergrundsabschluB.
Oben aber wiegen sich Englein in den Liiften, die Kránze, Palme, Rosen und
Lilien dem Märtyrer entgegenbringen; größere Engel führen singend, Laute und
Geige spielend dem Heiligen zu Ehren ein himmlisches Konzert auf, und aus allen
Ecken lugen geflügelte Cherubimköpfchen hervor.
Wenn man bedenkt, wie dramatisch packend der Valencianer Ribera das gleiche
Thema in seinem 1628 entstandenen Gemälde, das heute die Budapester Galerie
ziert, gestaltet hat, so wird man Justis Wort von der „Rubens’schen Heiterkeit des
Klerikers Ruelas“ verstehen und unterschreiben, ebenso wie Justis Bemerkung, daß
die lebhaften Farben gelb, orange, karmin, die duftige bläuliche lichte Talmulde
mit den Bergen dahinter weit mehr an Quentin Metsys als an Ribera erinnert.
Aber der Maler Ruelas gemahnt hier noch weit mehr als an den Renaissance-
niederländer an einen der größten Venezianer; an Tintoretto. Schon Bermudez
bemerkt — wie immer etwas übertreibend —: „Das Bild scheint von Tintoretto
zu stammen nicht nur wegen des Kolorits, sondern wegen der Komposition, wegen
der Charakteristik der Figuren, ja sogar wegen seiner Eigenheiten.“ In der Tat
pflegt Tintoretto genau so seine Vordergrundsgruppen in tiefen, satten Farben
wiederzugeben und sie von einem hell beleuchteten Mittelgrund sich abheben zu
lassen. Von Tintoretto hat Ruelas jene dunkel gehaltenen Profilköpfe abgesehen,
die gegen eine ganz helle Umgebung gesetzt sind, man beachte nur den die Leiter
schleppenden Henker in der Mitte, dessen Profil sich von dem weißen Ärmel des
Kollegen beim Kreuz scharf abhebt, oder den Mann zuäußerst der Gruppe rechts
mehr dem Mittelgrund zu, bei dem das gemeine Profil gleichfalls erst dadurch recht
zur Geltung kommt, daß der Kopf ganz im Schatten liegt und vor die an dieser
Stelle ganz licht gehaltene Landschaft gesetzt ist.
Den Meister in der Behandlung des Helldunkels lassen die Köpfe der Reiter-
gruppe links wie verschiedene Engelsköpfe erkennen.
Die Komposition ist auch rein linear genommen sehr geschickt und wohl durch-
dacht. Sie ist in der Fläche wie in der Tiefe zentral angelegt; die Diagonalen von
dem Kopf des Geharnischten nach dem des Betenden wie die Gegenlinie von dem
kleinen Strolch auf dem Baum bis zu dem Hund sind sehr gelungen, und das
Halbrund der musizierenden und blumentragenden Engel verleiht nicht zuletzt dem
Bild seine eigenartige Heiterkeit und versöhnende Stimmung.
Das Sakramentshäuschen (sagrario) des Altares, für den die „Andreasmarter“
ursprünglich gemalt war, schmückte einst jener jugendliche „Salvator mundi“, der
jetzt die Vorderseite des Tabernakels des Universitätsaltares ziert. Die älteren
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Schriftsteller sagen allerdings, daß dieses Bildchen im Sagrario des Colegio de
So. Tomás eingelassen gewesen sei. Man darf aber doch wohl mit ziemlicher
Sicherheit annehmen, daß damit nicht das Tabernakel des Hauptaltars der Kirche,
sondern das der erwähnten Kapelle gemeint ist. Unbegreiflicherweise ersetzte man
dieses Täfelchen, wie Bermudez berichtet, später „durch ein anderes ganz lächer-
liches und kindliches“. Das sehr mollige, blonde Christkind steht frontal in weißem
Hemdchen und rotem Mantel, das rechte Beinchen auf einen Totenkopf gesetzt.
Über das Füßchen geht eine braune Schlange. Mit freundlichem Ausdruck hat das
Christkindlein die Rechte segnend erhoben und hält in der Linken die rote Kreuzes-
fahne.
Ganz ähnlich gebildet ist der Bambino auf dem Sagrario im Hospital de cinco
Llagas, der schwerlich von Vargas, eher von einem Schüler des Ruelas herrührt.
Christus steht nur mit einem roten Tuch bekleidet auf vier Engelsköpfen und hat
die Rechte leicht, in segnender Gebärde erhoben.
Auf der linken Seite des Sagrario in der Universität sieht man die Rückenfigur
eines dunkelbärtigen, glatzköpfigen Mannes in verlorenem Profil. Er ist in ein
reiches mit braunem Pelz besetztes Gewand gekleidet und reicht einem in weiß
und rot gekleideten, graubärtigen Mann mit weiß und rotem Turban Brote. Neben
ihm steht ein Krug. Wohl als eine Darstellung der Begegnung Abrahams und
Melchisedeks aufzufassen. Diese Tafel trägt die Inschrift:
MARC
25
Ар
1606
Die Tafel rechts stellt , Simson“ dar als Riickenfigur, den Kopf im Profil — im
Augenblick, da er dem Löwen den Rachen aufreißt. Diese Gestalt wirkt recht un-
gliicklich wegen der fehlerhaften Proportionen. —
Ein anderes Martyriumsbild von der Hand des Ruelas ist heute leider nicht
mehr recht zu wiirdigen. Es stellt die ,Marter der hl. Lucia“ dar, schmiickte einst
den Hochaltar der dieser Heiligen geweihten Kirche in Sevilla und ist heute an
der rechten Wand der Peterskapelle der Sevillaner Kathedrale aufgehängt. Auch
dieses Gemälde ist von großen Dimensionen und sehr figurenreich, leider aber
stark zerstört. Oben erblickt man Christus und Maria. Bermudez meint, man
erschrecke über die Brutalität, womit die Henker die Heilige martern und sei
entzückt von der zauberhaften Schönheit und Holdseligkeit des Angesichtes der
hl. Lucia. Davon ist heute nichts mehr zu spüren.
Von ganz anderer Art ist die „Ausgießung des hl. Geistes“ („Das Pfingstfest“).
Dieses Bild war ursprünglich für das Hospital del Espiritu Santo gemalt, kam aber
dann gleich dem „Heimgang des Hermengild“ in das Hospital de la Sangre, wo es
bis 1908 als dessen Pendant auf der Empore der Evangelienseite in der Spital-
kirche hing. Im Herbst 1908 wurde es dann in das Sevillaner Museum verbracht.
Leider hat es seinerzeit bei der Aufstellung im Hospital durch Restaurierung etwas
gelitten (Abb. 3).
Bezeichnend fiir den Charakter des Werkes ist, daB Bermudez es unter den
Schöpfungen des älteren Herrera aufzählt. Wohl in erster Linie des Helldunkels
wegen, denn Herrera galt ja als der Kiinder dieses neuen Stils in Sevilla.
Mit Recht hat Justi sich in begeisterter Weise über dieses „Pfingstfest“ geäußert:
Unerreicht als Darstellung einer Versammlung von apostolischer Wiirde, aber in
den Masken unverfälschter Volkstypen. Keine Rhetorik der Gebärden, keine
61
— —
—— = эз зр —.— — — ЙЫ
Schwärmerei. Nur jenes fast heitere Hochgefühl, das die wahre Steigerung der
geistigen Potenz begleitet. Der außerordentliche göttliche Zustand, der in jenem
LichterguB über sie gekommen ist, erscheint nach außen in einem ruhigen, seeligen
Behagen. Hier fällt ein warmes, mildes Licht aus der Strahlensonne auf den
Halbkreis des Vordergrunds, während die dahinter in Dämmerung eintauchen !).
Maria, die wie viele andere auf diesem Gemälde ein volles Gesicht zeigt, hat
beide Hände auf die Brust gelegt und blickt nach oben. Hinter ihr links sieht man
noch eine Frau, rechts ein Mädchen. Links von Maria kniet ein — ganz leise
komisch anmutender — weißbärtiger Alter mit überaus treuherzigen Augen. Bei
ihm fallen die großen Ohren, die fast allen Figuren gemein sind, besonders auf.
Häufig haben auch hier die Personen den Mund geöffnet, so daß die Zähne sichtbar
werden. Die Bewegungen, vor allem die der Hände, sind gut differenziert, die
Tiefenwirkung ist geschickt erreicht. Die Apostel erstrecken sich weit bildein-
wärts, von einigen sieht man nur einen Teil des Körpers. Gut ist auch der
erhobene Arm des Alten ganz links, der eine Hintergrundsfigur überschneidet.
Ganz venezianisch bereits wirkt eine de face gesehene Gestalt im Hintergrund
ziemlich in der Mitte. Der Kniende links vorn im blauen Kleid und rotem Mantel
mit dem langen dunklen Bart aber ist eine echt spanische Gestalt und erinnert an
den betenden Mann auf der „Andreasmarter“.
Am monumentalsten ist jener gläubig auf blickende Alte in weiß und gelb, der ein
Buch gekläfft hält. Oben schwebt in der Mitte die hl. Taube in hellbrauner
Gloriole. Diesem Kreis folgt ein Ring in hellorange, der sich nach unten öffnet.
Links und rechts sind, Kulissen ähnlich, Blumen streuende Englein angeordnet,
zum Teil schwebend, zum Teil auf Wolkenballen lagernd. Das Kolorit ist warm,
das Helldunkel sehr ausgeglichen, das Ganze endlich überaus weich und locker
gemalt.
Den Einfluß dieses Gemäldes verrät das Pfingstbild in der Kirche des Convento
de Monte Sion sowie eine sehr hell gehaltene, figurenreiche „Marienkrönung“ in
Santiponce über dem Chor der Kirche. Beides Werke aus der Schule des Meisters.
Als die bedeutendste Schöpfung des Ruelas wird gewöhnlich der „Heimgang des
hl. Isidor“ (El Transito de S. Isidoro) in S. Isidoro bezeichnet. Die meisten, die
heute diesem Werk das hohe Prädikat zuteilen, sind wohl in ihrem Urteil etwas
von den älteren Biographen des Ruelas beeinflußt, die so glücklich waren, das
Gemälde unter besseren Bedingungen zu sehen, als es seit geraumer Zeit möglich
ist. Denn die Dunkelheit der Kirche, der Altar und vor allem das übermäßig
große Tabernakel, das fast die ganze untere Hälfte des Bildes verdeckt, macht
eine richtige Würdigung beinahe zur Unmöglichkeit.
Dargestellt ist der Tod des hl. Isidor in der Pfarrkirche selbst?) der letzte
Moment im irdischen Leben des Heiligen: Er bricht zusammen und aufblickend
sieht er schon den Himmel geöffnet, wo Christus mit einer Blumenkrone und
Maria mit einer goldenen Krone geschmückt thronen, umgeben von einem großen
Kreis himmlischer Gestalten. Dieser Ring nun ist in der Komposition äußerst fein
abgewogen: Links hinten ziemlich hoch angeordnet sieht man Märtyrerinnen mit
Palmen, rechts vornan, tiefer als die eben Genannten in einer größeren Gruppe
zusammengeschlossen die Schar der musizierenden Engel.
(1) Velazquez I, 28.
(2) Dem heutigen Beschauer dürfte es sehr schwer fallen Justis Beobachtung zu teilen, daß Ruelas
hier den Versuch gemacht hat, den figurenreichen Vorhang in vollem Tageslicht einer hellen Kirche
zu malen, deren Perspektive wie ein Spiegelbild erscheint.“
62
Der sterbende Heilige wird von zwei Priestern gestützt. Ringsum und weit
sich ins Bild hinein verlierend erblickt man eine große Versammlung von Priestern,
Patriziern, Gelehrten und Knaben mit Blumen. Alle sind von tiefer Bewegung
ergriffen. Besonders innig ist die Gestalt des in weiß gekleideten Geistlichen, der
die Hände vor seine Augen hält.
Der Fortschritt gegenüber dem „Pfingstfest“ ist unverkennbar. Die Tiefenwirkung
ist noch miiheloser erzielt, vor allem ist der Himmel mit seinen Gestalten noch
glaubhafter und visionärer zugleich gestaltet. Die Schönheit des Helldunkels ist
zum mindesten die gleiche. Die Gesamtstimmung ist natürlich hier weniger
pathetisch, grandios, als lyrisch, innig. Was dem Werk seine hohe Einschätzung
verschafft hat, ist die Tatsache, daß es nicht nur die große Kompositionskunst des
Meisters, sein außerordentliches Anpassungsvermögen und hohes malerisches Talent
in vollem Lichte zeigt, sondern auch offenbart, daß Ruelas die seltene Gabe ver-
liehen war, durch tiefes Gefühl, durch Abstreifung alles Unnötigen und durch die
Wahrung hoher Würde das Gemeine wirklich zu adeln. Trotz des großen Per-
sonenaufgebotes wirkt das Ganze schlicht und tief ergreifend. So sagt auch Ber-
mudez: „Es übertrifft alle anderen Werke des Ruelas, das Kolorit trägt in der Wahl
des Tones in hohem Maß zur Würdigkeit der Darstellung bei, und nichts findet
man in dem Gemälde, was nicht mit Majestät, Einfachheit und Wahrheit erfüllt
wäre.“ In ähnlicher Weise rühmt Justi den Adel der Auffassung: „Die Erzählung
ist realistisch, doch hat er in dem sterbenden Greise die unendliche vergeistigende
Arbeit eines langen Lebens von Taten und Gedanken ahnen lassen, während Do-
menichino z. B. in seinem Hieronymus nur den physischen Verfall malte.“
Murillo hat wenige Werke seines älteren Sevillaner Kollegen wohl so eingehend
studiert wie dieses. Er entnahm ihm nicht nur, wie man musizierende Engel zu
verkörpern hat, sondern er lernte aus der Darstellung der irdischen Gruppe
erkennen, wie man durch die Nüancierung eines schlichten Tones, modern aus-
gedrückt durch die Valeurmalerei, wirken kann, und nicht zuletzt fand er in Ruelas
einen Mann, der mit frommem Gemüt einen erhabenen Vorgang tief innerlich zu
gestalten vermochte, ohne im geringsten weichlich zu werden. Diese Klippe hat
freilich Murillo nicht immer so glücklich umschifft. —
Einigermaßen im Gegensatz zu dem Santiago, der Befreiung Petri, Леа Pfingst-
fest und dem Heimgang des hl. Isidor hat Ruelas bei der Andreasmarter nicht das
Hauptgewicht auf die Helldunkelwirkung gelegt, sondern ist bestrebt, das Ganze in
hellerem, etwas kiihlerem Ton zu halten. Die gleiche Tendenz kónnen wir noch
bei verschiedenen anderen Werken des Meisters beobachten, Mit das friiheste ist
vielleicht das Gemälde im Sevillaner Museum, das die „hl. Anna, die jugendliche
Maria unterrichtend“, darstellt. Das Bild befand sich friiher in der Merced Calzada
bei der Seitentiir der Kirche.
Anna in rotem Kleid, weiBgrauem Schleier, maisgelbem, blaugefiittertem Mantel,
braunhaarig, eine angehende Vierzigerin, sitzt in einem braunem, rotgepolstertem
Lehnstuhl. Maria ist ungefähr 12 Jahre alt, trägt über rotem Kleid einen blauen,
goldgestickten und mit Perlen übersäten Mantel und im lichtgoldbraunen, offenen
Haar ein goldenes Krönlein sowie Rosen und Nelken. Sie ist mit kostbarstem
Schmuck behängt. Man bemerkt ein Kollier aus Juwelen, Edelsteine auch am Ab-
schluß des Kleides, das den Hals freiläßt; um beide Arme schlingen sich reich-
verzierte Armbänder, und viele Ringe schmücken die kleinen Hände (Zeige-, Ring-
und kleiner Finger).
Die hl. Jungfrau kniet vor der niederblickenden Mutter und lernt aus einem
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großen Folianten, den sie mit der Linken hält. Mit der Rechten liest sie die
Worte im Buche nach. Anna hilft mit ihrer Rechten das Buch halten.
Beide sind in Dreiviertelansicht wiedergegeben. Durch das gegenseitige Ent-
gegenneigen hat der Künstler eine geschlossene Silhouette erzielt. Bemerkenswert
ist, daß das Rot des Kleides der hl. Anna von dem blauen Futter ihres Mantels
reflektiert wird.
Links ist ein roter Vorhang mit goldener Quaste angebracht.
Der Grund ist mattgrau, eine schwachgelbe Glorie umspielt die Köpfe der beiden
Frauen und von oben fällt überirdisches Licht in weißlichen Strahlen auf sie. In
den Lüften erblickt man die Halbfiguren zweier anbetender Engel, der eine in
weiß, der andere in ein grün-gelb changierendes Gewand gekleidet. Rechts eine
goldbraune Wolke, links oben duftige Cherubinköpfe.
Links unten auf der Truhe steht ein Körbchen mit süßem Backwerk: Törtchen
und Kringeln. Einige Stücke Gebäck liegen auf der Truhe selbst. Sie sind jeden-
falls für die fleißige Schülerin bestimmt. Ein Schublädchen ist aufgezogen, darinnen
man Weißzeug erblickt. Auf dem Steinfliesenboden ruhen Hund und Katze. Rechts
endlich steht ein Körbchen mit Weißzeug, weißer Wolle und einem grünen Näh-
kissen.
Die Darstellung dieser Szene gehört zu denen, die erst im Zeitalter der Gegen-
reformation aufkamen. Pacheco nennt sie daher „pintura muy nueva“, Die theolo-
gisch-historische Rechtfertigung für die Wiedergabe dieser Szene enthält uns der
Priifungskommissár der Malereien geistlichen Inhaltes natiirlich nicht vor?).
Als früheste Darstellung dieser Art erwähnt Pacheco eine Skulptur in einer
Kapelle von Sa. Magdalena, um 1602 entstanden.
Die Entstehung unseres Gemäldes dürfte kaum ein Jahrzehnt später anzusetzen
sein, denn nach Pachecos Aussage ist das Bild des Ruelas die erste malerische
Wiedergabe der Szene gewesen. Mit der künstlerischen Lösung des Themas war
der etwas pendantische Kunstkritiker nicht zufrieden. Er nennt es „geübt in der
Farbe, jedoch nicht ohne einen gewissen Mangel an Würde“ (ducho en el colorido
aunque falto en el decoro). Pacheco stieß sich an dem, was Justi eine „wunder-
liche Mischung mystischer Symbolik und häuslich vertrauter Motive“ genannt hat,
an der seltsamen Vereinigung von idealistischen und naturalistischen Motiven. Das
Gemälde zeigt ein merkwürdiges Ringen zwischen Kleinkrammalerei und vollendet
künstlerischer hoher Darstellung. Man erkennt deutlich die Absicht des Künstlers:
Er wollte ein religiöses Genrebild schaffen, bei dem die Würde der Auffassung bei
allem realistischen Detailwerk gewahrt bleiben sollte. Rembrandt, Ribera und Murillo
haben später dieses Problem leichter gelöst. Eine gewisse Unausgeglichenheit zeigt
unser Bild auch in malerischer Hinsicht; kühle Töne kämpfen mit warmen.
Etwas früher als das Motiv des geistigen Unterrichtes der jungen Maria trifft
man das des praktischen, der „jungen Maria am Spinnrad“ in der Malerei an. Am
frühesten meines Wissens bei Caravaggio (Rom Palazzo Spada), dann in etwas er-
weiterter Form bei Guido Reni (Spinnschule St. Petersburg Eremitage). Auch Ruelas
wird eine derartige Darstellung zugeschrieben, ein Bild im Städelschen Institut zu
Frankfurt a. M. das wohl auf einen Schüler des Meisters zurückgeht.
Von der Unausgeglichenheit, die dem Marienbild des Sevillaner Museums nach
anhaftet, ist in dem Gemälde „Die Erscheinung der Madonna an den hl. Bernhard“
nichts mehr zu spüren. Dieses treffliche Werk ist überaus licht und kühl gehalten.
(1) Arte de la Pintura Il, ı99ff.
64
Dem heiligen Mónch, der. seine Studierstube ins Freie verlegt hat, erscheint die
Gottesmutter mit dem Jesuskind, dem frommen Verehrer einen Strahl géttlicher Milch
spendend. Das Gemälde befindet sich heute in der Sala de juntas des kleinen
Hospital de los viejos in Sevilla. Einst schmiickte es den Hochaltar der Spital-
kirche, mußte aber im XVII. Jahrhundert einem scheußlichen Barockaltarwerk
Platz machen. Bereits Ponz erhebt bittere Klage über die Verbannung des Gemäldes
von Ruelas, das er eines seiner hervorragendsten Werke nennt!).
Ist in dem „HL Bernhard“ im Gegensatz zu den großen Helldunkelbildern ein fast
übermäßig starker Nachdruck auf die ganz lichte, kühle Haltung gelegt, so zeigt die
„Beschneidung Christi“ in der Universität zu Sevilla den harmonischsten Ausgleich
zwischen den beiden Tendenzen (Abb. 4 u. 5). Ich stehe nicht an, dieses Mittelstück
des Universitätsaltares für das schönste, vollendetste Werk des Ruelas zu erklären.
Justi meint, es sei wohl das beste, was die Malerei in Sevilla vor Murillo hervor-
gebracht habe. Murillo hat später ähnliche Werke zu schaffen versucht, es ist
ihm aber nie in dem Maß gelungen, mit der Lieblichkeit und Anmut der Gestalten
eine gleiche Großzügigkeit und Würde zu verbinden. Auch in malerischer Hinsicht
übertrifft kaum eines seiner Bilder dieses Werk, das als Malerei getrost neben
Schöpfungen eines Tizian und Rembrandt bestehen kann.
Die blonde Maria ist von großer Anmut und Schönheit, „eine wonnige Vision
zarter, hoher Weiblichkeit“ (Justi). In hellrotem Kleid und grünem, purpurgefütterten
Mantel hält sie, dreiviertel nach links gewendet, die Augen niedergeschlagen, leise
lächelnd das Christkind, das auf ihrer Hand sitzt. Bei diesem recht unsicheren
Halten versteht man das Zugreifen des dunkelbärtigen Joseph, der, in violettes Ge-
wand und gelben Mantel gekleidet, dreiviertel nach rechts gewandt nach dem Kind
greift, jedoch nicht nur um es zu halten, sondern um es für den feierlichen Akt zu
übernehmen. Links von ihm erblickt man halb im Dunkel an einem Tisch mit
purpurner Decke den weißbärtigen Priester, der an einem weißen Tuch das Messer
abwischt, mit dem die heilige Handlung vollzogen werden soll. Neben ihm steht
ein Begleiter mit einer Schüssel.
Links vorn ist S. Ignaz Martyr dargestellt, eine herkulisch gebaute Gestalt mit
nacktem Oberkörper und nur mit einem dunkelgrünen Mantel bekleidet. Dreiviertel
nach rechts gewandt blickt er nach oben, den linken Zeigefinger ausgestreckt und
mit der Rechten den Löwen umfassend, der das Ende eines weißen Tuches im
Maule hält. Über den Tuch erstrahlt in einer hostienartigen, duftigen Scheibe das
Monogramm IHS. Links am Boden sieht man die Mitra des Heiligen.
Dem Märtyrer Ignaz entsprechend kniet auf der rechten Seite vornen, eine Stufe
tiefer, der hl. Ignaz von Loyola dreiviertel nach links, die Augen gen Himmel ge-
richtet, mit dem rechten Zeigefinger nach oben weisend, die Linke auf der Brust.
Über dieser irdischen Gruppe schweben Engel, in der Mitte zwei nackte Putten,
die Rosen streuen, links zwei mit Rosen und Lilien und rechts Engelchen eines
mit weißem und eines mit violettem Tuch, dieses lächelnd zum Bild herausblickend.
Diese Englein sind hier wirkliche Mittler zwischen Himmel und Erde, denn sie
bilden das Bindeglied zwischen der irdischen und der himmlischen Figurengruppe,
die sehr zahlreich ist. In der Mitte strahlt wiederum das Monogramm Jesu, das
Wahrzeichen der Compafiia de Jesus IHS rot in blauer Scheibe. Diese schwebt
wiederum inmitten einer gelbbraunen Gloriole mit Cherubinköpfchen. Auf beiden
Seiten sind musizierende Engel angebracht. Einer in rosa spielt Cello, ein anderer
(1) Ponz, Viaje, IX, 127,
65
Violine. Ein dritter weist auf die Gruppe rechts, wo einer in blau die Guitarre
ertönen läßt, begleitet von einem blonden in gelb mit gekreuzten Armen. Über
diesem sieht man einen in rot gekleideten, der die Harfe schlägt. Alle sind blond
und haben ihre blumengeschmückten Köpfe dem Beschauer zugekehrt Ganz oben
endlich bemerkt man noch eine Rückenfigur in rot; dieser Engel hat den Kopf
gleichfalls dem Beschauer zugewandt. Er wirkt ganz correggesk lächelnd. Das
Licht trifft nur das linke Viertel seines Gesichtes.
Den einzigen Vorwurf, den man dem Gemälde machen kann, ist, daß die Kom-
position mit den verschiedenen Stockwerken nicht ganz befriedigend ist. Es würde
vollkommener sein, wenn es einfacher wäre, meint Justi. Allein man weiß heute
nicht mehr, wie weit der Künstler bestimmten Vorschriften der Auftraggeber
Rechnung tragen mußte. Die Farben sind äußerst zart, die Modellierung sehr weich,
ohne im geringsten weichlich zu werden. Die Fleischténe sind ziemlich kühl.
Das ganze ist so von Licht und Luft durchdrungen, daß man versucht ist, den
Begriff des Murilloschen estilo vaporoso bereits auf dieses Werk anzuwenden.
Von den beiden Seitengemälden des Altares wird später die Rede sein.
Eine besondere Rolle im Oeuvre des Meisters spielen seine Concepcionsdarstellungen.
Hier zeigt es sich so recht, wie schwierig es ist, die Werke des Künsters zeitlich
genau zu bestimmen. Wohi vor 1612 und ziemlich in der gleichen Zeit wie die
„HL Anna mit der jungen Maria“ dürfte die „Concepcion mit dem Stifter D. Fernando
de Mata“ im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin entstanden sein (Abb. 6). Sie wurde
von Ruelas fiir die Grabkapelle des genannten Priesters gemalt, die sich nicht, wie der
Berliner Katalog angibt, in der Kathedrale sondern bei den Monjas de la Encarnación
gegeniiber der Tiir befand. Don Fernando de Mata ist 1612 gestorben. Cean
Bermudez sah das Bild noch an seiner alten Stelle, wovon es der Marschall Soult
„entfernte“. Aus der Sammlung dieses französischen Generals gelangte es 1852
in den Besitz des Berliner Museums. Verschollen ist leider das Gemälde mit dem
Erlöser und den beiden Johannes, das einst nach der Mitteilung von Bermudez
über der „Concepcion“ angebracht war.
In der kühlen Gesamtstimmung zeigt sich die Verwandtschaft mit der „hl. Anna“.
Die Fleischtöne bei Maria sind sehr hell und die Schatten grau. Das Inkarnat des
Stifters dagegen ist mehr gelbbräunlich. Maria in rotem Gewand, hellgrünen Ärmeln
und dunkelgrünem Mantel blickt mit leise auf die Seite geneigtem Kopf zu dem
Stifter nieder. Dieser, ein häßlicher Mensch mit grauem Stoppelbart blickt kniend
ergebungsvoll ins Weite. Sein großer, vorn sich fast über die ganze Bildbreite er-
streckender Pilgerstab, wirkt höchst ungeschickt.
Das Dunkelgrün der Landschaft des Vordergrunds hellt sich im Mittelgrund auf.
Der Kopf der Jungfrau hebt sich von einer blaugrünen Zone ab, der Unterkörper
ist gegen schmale Streifen Goldgrund gestellt. Im übrigen wird die Gestalt Marias
von einer höchst eigenartigen Mandorla, einer duftigen Engelwolke umrahmt. Wie
die Köpfchen mit ihrer zarten Karnation und den grauen Schatten bald aus der
Wolke hervortreten und bald von ihr verborgen werden, ist höchst reizvoll gemalt.
Von dem malerischen Feingefühl des Meisters zeugt auch die Art, wie er eine
Wolke teilweise die Sonne verdecken läßt. Sehr tüchtig ist die Gewandbehandlung
bei der hl. Jungfrau; höchst reizvoll auch der kleine Putto mit der grünen Schärpe
links, der sich in dem Spiegel betrachtet. Von den beiden krönenden Engeln ist
der linke in goldgelb, der andere in rosa gekleidet.
Großzügig wirkt die im übrigen wegen der allzu hohen Aufhängung schlecht zu
würdigende „Concepcion“ in S. Gil zu Sevilla. Maria in rotem Gewand und blauem
66
Mantel steht niederblickend auf der Mondsichel und Cherubinköpfchen. Die Gloriole
ist zunichst blau, dann goldbraun. Die Mandorla wird wiederum von Engeln ge-
bildet, jedoch wechseln hier Engel, die Attribute tragen, mit Gruppen von Engels-
köpfchen ab. Unten erblickt man eine Landschaft.
Diese Darstellung bildet in ikonographischer Hinsicht das Zwischenglied zwischen
der Berliner Concepcion und der zu Sanlúcar. Die Auffassung, die wir in dem
Bild finden, das den Altar im linken Querschiff der Kirche des ehemaligen Convento
de la Merced zu Sanlücar ziert, fand den meisten Anklang, wie die Repliken im
Museum von Sevilla, der Academica de S. Fernando zu Madrid sowie in Dresden
beweisen. Vielleicht ist diese Komposition auch die früheste, doch hat der Meister
sie bis in die späteste Zeit beibehalten, denn gerade das Hauptstück in Sanlúcar
gehört zu seinen spätesten Arbeiten.
Für Ruelas wirkt manches etwas befremdlich, und so hat Gestoso — in erster
Linie das Exemplar des Sevillaner Museums — Pacheco zugewiesen. Ich muß
gestehen, daß auch ich einige zeitlang dieser Ansicht gewesen bin. Namentlich
der Mantelhaltende Engel rechts gemahnt an Typen Pachecos. Die sicher von
diesem Maler stammenden Concepcionsbilder jedoch weisen, wie wir schon sahen,
einen so ganz anderen Charakter auf, daß die Zuschreibung Gestosos doch nicht
haltbar sein dürfte. Es ist auch wohl kaum anzunehmen, daß der linke Seitenaltar
von Pacheco herrührt, wo Ruelas doch den Hauptaltar und den Seitenaltar in
Auftrag hatte. Zudem ist die kleine lichte „hl. Dreifaltigkeit“ über dem Concepcions-
bild in Sanlücar eine sichere Arbeit des Ruelas.
Die Dresdener Concepcion stimmt ganz mit dem Exemplar von Sanlücar überein.
Auf dem Bild der Academia de S. Fernando dagegen fehlt das Inschriftband oben:
tota pulchra es amiga mea — Et macula non est in te. Ebenso fehlt es in dem
Sevillaner Exemplar. Auf den Seiten und oben ist das Madrider Bild verkürzt, die
Putten ohne Schleier, die Landschaft unten reizvoller und reicher, der Ausdruck
der Cherubinköpfchen viel lebendiger. Solche Putten hat Pacheco nie malen können.
Das Sevillaner Bild ist nur oben verkürzt. Die Jungfrau schwebt hier höher über
der Landschaft so, daß der Maler auf dem Meer noch ein Schiff als weiteres
Symbol einfügen konnte.
Dieses Exemplar dürfte vielleicht identisch sein mit dem, das einst das Retablo
del oratorio der Merced calzada schmiickte. Auch hier war, wie in Sanlúcar, ganz
oben noch eine „hl. Dreifaltigkeit“ angebracht. Ferner sah man auf den Seiten
die Gestalten der Heiligen Agnes, Barbara, Ferdinand und Joachim. Eine weitere
„Concepcion“ erwähnt Bermudez im Salon baxo des Alcazar sowie eine „Concepcion
con atributos“ auf der Haupttreppe von S. Agustin.
Das Gemälde des Concepcionsaltars in Sanlúcar bildet, wie schon angedeutet,
nur einen Teil der umfangreichen Arbeiten, die Ruelas fiir die Kirche der un-
beschuhten Mercenarier ausfiihrte. Die Kirche wie die Altarwerke waren Stiftungen
des Patrons, des Herzogs Emanuel von Medina Sidonia und seiner Gemahlin Juana
de Sandoval Der Bau wurde erst nach dem Tod des Meisters 1629 eingeweiht.
Die Gemälde des Hochaltars sind folgendermaßen angeordnet:
Die hl. Dreifaltigkeit
HL Lorenz — HL Pedro Nolasco — HL Katharina
Johannes d. T. — Virgen de la Merced — Hl. Ignaz Eremit
Hirtenanbetung — —- Anbetung der hl. 3 Könige
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 2. 6 67
Die „hl. Dreifaltigkeit“ hat der Künstler ähnlich wie Dürer und Greco vor ihm
und Ribera nach ihm als „Gnadenstuhl in den Wolken“ dargestellt. Gott Vater,
ein majestätischer Greis, blickt etwas nach links gewendet zu dem Sohn nieder-
Vor seiner Brust schwebt die große hl. Taube. Der mächtige Körper Christi ist
schräg einwärts angeordnet und wird von zwei Engeln gehalten. Wie man sieht,
besteht in der Komposition eine große Verwandtschaft mit dem Gemälde Riberas.
Lorenz mit dem Rost kniet aufblickend nach rechts, die Hand ergebungsvoll aus-
gestreckt. Katharina kniet nach links. Ihr Kopf ist weit vorgebeugt, so daß der
Körper eine sehr starke Kurve beschreibt. Sie trägt ein reiches, braunes Gold-
brokatgewand, Hals und Schultern sind entblößt. Dargestellt ist augenscheinlich
die Enthauptung der Heiligen, die Szene ist schlecht zu erkennen. Oben durch-
bricht ein Lichtstrahl das Gewölk. Der Täufer Johannes sitzt predigend auf dem
Gipfel einer Anhöhe nach rechts gewendet und in einen roten Mantel gehüllt. In
der Linken hält er ein Kreuz, die Rechte hat er in Sprechgebärde erhoben. Zu
seinen Füßen sitzen an einer tiefer gelegenen Stelle des Hügels die Zuhörer. Dei
hl. Ignatius Eremita, ein weißbärtiger Greis in weißem Gewand und schwarzem
Mantel, kniet nach links vor einem Holzkreuz. Der hi. Pedro Nolasco, eine etwas
feiste, bärtige Gestalt, hat, dreiviertel nach links gewandt, die Augen zum Himmel
emporgerichtet und seine Hände ergebungsvoll ausgestreckt. Die Schergen halten
ihn mit einem um seine Brust gewundenen Strick fest. Den zu Boden gesunkenen
Begleiter des Heiligen hat ein anderer Mordgeselle gepackt. Der obere Teil des
Kopfes des hl. Märtyrers löst sich frei gegen den Himmel ab, ebenso die Lanzen
und Heugabeln der Krieger.
Bei der „Anbetung der Hirten“ liegt das Christkind, voll und kräftig gebaut, auf
weißen Tüchern und Kissen auf einem hohen Holzbrettergestell. Maria hat das
Kind aufgedeckt, hält das Tuch graziös mit beiden Händen und blickt, dreiviertel
nach rechts gewandt, den Kopf etwas geneigt nieder. Sie ist eine volle Gestalt mit
dunkelbraunem Haar und zeigt schmale Lippen, große Ohren, lange, wohlgeformte Nase
und volles Kinn. Rechts beugt sich der braunbärtige Joseph über das Lager, dreiviertel
nach links gewandt, beide Hände auf der Brust, in braunem Mantel. Links kniet
eine Alte, deren Zahnlücken man sieht, hinter ihr ein häßlicher junger Kerl, der
grinsend sein schadhaftes Gebiß zeigt. In der Linken hält er eine Flöte, sein linker
Unterarm ruht auf einer Trommel, die er umhängen hat und die ein Loch aufweist.
Hinter diesem Burschen taucht aus prachtvollem Helldunkel der Kopf eines bartlosen
Mannes mit rotem Barett auf. In der Mitte erblickt man einen graubärtigen Hirten der
mit seinem Stab im Arm sich auf den Musikanten lehnt und lächelnd niederschaut.
Es folgt rechts von ihm noch ins Dunkel gehüllt ein bärtiger Hirt, ein Mann in
reiferen Jahren. Rechts oben wird auf einer Cherubinwolke Gott Vater in dunklem
Mantel sichtbar. Er hebt sich von einer hellbraunen Glorie ab und hat nieder-
blickend die Arme segnend ausgebreitet. Die Heiligenscheine sind sehr einfach,
groß und sehr schmal gebildet.
Bei der „Anbetung der Könige“ steht Maria im Typus wie in der malerischen
Durchbildung der Gestalt des Sevillaner Universitätsbildes sehr nahe. Eine sehr
holde Erscheinung mit dunkelblondem Haar, vollen Lippen und langer, schmaler
Nase. Dreiviertel nach links gewendet hält sie niederblickend das kräftige Kind, das
mit seiner Linken das Handgelenk der Mutter umfaßt und sein rechtes Händchen auf
das Haupt des alten Königs gelegt hat. Das blonde Christkind mit seinem vollen
Gesicht leuchtet hell aus dem Bild heraus. Außerordentlich plastisch wirkt der
68
Kopf des alten Kónigs. Der fromme Greis in reichem braungelbem Goldbrokat-
gewand hat mit seinen Händen ein Füßchen des Christkindleins erfaßt und küßt
es in Demut und Inbrunst. Die Gruppe dieser drei Personen gehört mit zum
schönsten, was Ruelas geschaffen hat. Am Boden rechts erblickt man ein ge-
öffnetes, goldenes Kästchen, mehr vorn den mit einem Krönlein gezierten Turban
des alten Königs und sein Szepter. Hinter dem Alten steht der zweite König, eine
überaus stattliche Erscheinung. Er ist bärtig, seine Ohren sind sehr groß gebildet.
Er trägt dunkles Gewand, eine goldene Doppelkette um den Hals, weißen Turban
und hält ein goldenes Kästchen in den Kästchen in den Händen. Seinen Kopf hat
er dreiviertel nach links dem Mohren zugewendet, der links erscheint, den Kopf
dreiviertel nach rechts. Er ist in ein rotes Gewand gekleidet, das oben das weiße
Hemd sehen läßt, und in dunkeln Mantel. Seinen Kopf schmückt ein rotes Barett
mit weißer Feder. In den Händen hält er einen prunkvollen Goldpokal. Über Maria
wird der dunkelbärtige hl. Joseph sichtbar, der dreiviertel nach links gewandt nieder-
blickt. Hinter den Königen tauchen aus dem Helldunkel einige Köpfe auf, die aber
schwer zu erkennen sind. Auf dem hölzernen Dach der Scheune, in der sich die
Szene abspielt, erblickt man eine Reihe von Zuschauern. Am Himmel leuchtet ein
großer, Strahlen aussendender Stern.
Der rechte Seitenaltar ist der hl. Ursula geweiht. Das Martyrium der Heiligen
und ihrer elftausend Begleiterinnen ist auf dem Hauptgemälde dargestellt. Die
Heilige, eine äußerst liebliche Erscheinung, kniet im Gebet dreiviertel nach links
gewandt. Ihr Köpfchen das von einem zarten Oval ist, hat sie leise auf die Seite
geneigt und die dunklen Augen mit den großen Wimpern niedergeschlagen. Die
Stirn ist hoch, die Oberlippe schmal, die Unterlippe kräftig gebildet. Im dunkel-
blonden Haar trägt sie Perlenschnüre und ein Krönchen. Gekleidet ist sie in
dunkelgrün und blau. In ihrem entbléBten Hals steckt ein Pfeil. Links von ihr
steht, in trefflichem Helldunkel modelliert, ein Maurenfürst, Kopf im Profil, schwarz-
bärtig, mit großen Ohren, in rotem Gewand und weißem, buntgestreiften Turban.
Seine Linke hat er ausgestreckt. Rechts von der Heiligen erblickt man die gleich-
falls in Helldunkel gehaltene Gestalt einer der Begleiterinnen. Sie ist in dunkelrot
gekleidet und erwartet, stark dreiviertel nach rechts gewandt mit betend gefalteten
Händen, das Haupt vorgeneigt den Todesstreich, besser gesagt den tötlichen Stich,
den ein Krieger ganz rechts eben ausführt. Links liegt am Boden die Leiche einer
Jungfrau in rotem Kleid. Ihr Gesicht weist bereits die Todesfarbe auf. Ein Pfeil
hat sie unter der Halsgrube getroffen. Rechts ruht eine Jungfrau in Hellrot, die
einen Pfeil in den Rücken erhalten hat. Die übrige Marterschlacht läßt der Künst-
ler getreu seinem Kompositionsprinzip mehr im Mittelgrund und auf niedriger ge-
legenem Terrain sich abspielen. Das Kolorit ist da sehr licht gehalten, im wesent-
lichen auf rosa und hellblau gestimmt. Englein mit Palmen und Lorbeerkränzen
streuen hoch aus den Lüften Blumen, die in einem Lichtstrom in der Mitte nieder-
rieseln.
Über diesem großen Gemälde ist auf einem kleinen Bild dargestellt wie Christus,
den Unterkörper ganz in Wolken eingehüllt, die Seelen der Heiligen empfängt.
Die abgeschiedenen Märtyrerinnen sind hellblond und in weiße Hemden gekleidet.
Rechts und links von ihnen bilden Palmentragende Englein Spalier.
Den Altar der letzten Kapelle auf der Epistelseite dieser Kirche, beim Haupt-
eingang schmückt ein Gemälde, das mir gleichfalls ein Werk des Ruelas zu sein
scheint. Leider ist es stark gedunkelt und übermalt. Dargestellt ist Christus an
der Martersäule mit der anima christiana, also dasselbe Motiv, das Velazquez in dem
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jetzt in der National Gallery zu London befindlichen Bild behandelt hat. Es ist
dies die einzige mir bekannte Darstellung dieses Themas in Spanien vor Velazquez.
Christus sucht nach der Geißelung, sich zurückwendend, seine Kleider. Er kniet
die beiden Hände auf das flammenschlagende Herz gelegt, mit schmerzlichem Aus-
druck am Boden vor einem Engel — der „anima christiana“, der nach einer oben sicht-
bar werdenden Inschrift zeigt. Diese lautet: Ave Dominus noster Solus nostros | es
miseratus errores. Der Engel ist in prachtvollen Helldunkel modelliert und erinnert
lebhaft an die Gestalt aus der „Befreiung Petri.“
Es sei hier auch jenes Gemälde bei dem Herzog von Sutherland (London Stafford-
house) erwähnt, das „Christus kranke Kinder heilend“ darstellt und als von einem un-
bekannten spanischen Meister herrührend bezeichnet wird, jedoch sicher aus dem
Kreis des Ruelas, wenn nicht gar von ihm selbst stammt. Die Behandlung des
Helldunkels in diesem Kniefigurenbild ist ausgezeichnet. Man wird verschiedentlich
an venezianische Dinge erinnert. Die Auffassung ist sehr edel.
Der Convento de la Merced calzada, für den, wie wir schon sahen, Ruelas mehr-
fach tätig war, besaß noch eine ganze Reihe anderer Werke von der Hand des
Meisters, die heute leider verschollen sind: Das Retablo der Porteria schmückte
der „Triumph des Mercenarierordens“, gewöhnlich „das Gemälde mit den vielen
Köpfen“ genannt. Man sah da die Madonna mit dem Jesusknaben auf den Armen
das Skapulier an Kaiser, Könige, Mönche, Edelleute und Gefangene austeilend!).
Ferner ebenda über der Tür einen lebensgroßen „S. Pedro Nolasco“. Des weiteren
erwähnt Bermudez eine „Madonna“ am Geländer des Chores und noch andere
Bilder in der Klosterkirche; die „Marter einer Heiligen in der Antesacristia“, einen
„hl. Joachim“ und einem „hl. Joseph“ in der Sala de profundis, endlich vier große
Gemälde im unteren Kreuzgang mit Martyrien von Heiligen.
Die Gemälde im Claustro del algive und im oberen Hauptkreuzgang hatten Ber-
mudez zufolge die Schüler des Ruelas nach Skizzen und Zeichnungen des Meisters
ausgeführt. Ponz sagt von ihnen „sie sind teils schlecht erhalten, teils so übel
übermalt, daß es ein Jammer ist“).
Eine „Himmelfahrt Mariä“ schmückte einst den Altar einer Kapelle auf der Epistel-
seite von S. Augustin zu Sevilla, und über der Tür einer Kapelle auf der Evangelien-
seite von S. Juan de la Palma sah man eine „Glorie mit verschiedenen Heiligen“,
die Bermudez „eines der besten Gemälde des Meisters“ nennt. In dem im Vorder-
grund knienden Priester habe Ruelas sich selbst porträtiert. Verschollen sind auch
die beiden Johannes, die den Concepcionsaltar in S. Lorenzo schmückten.
Im Convento de la Merced calzada zu Madrid malte Ruelas, wie Bermudez mit-
teilt, einige Gemälde im unteren Hauptkreuzgang zur Seite der Capilla de los
Remedios vor allem Halbfiguren von weiblichen Heiligen.
Sichere Zeichnungen von der Hand des Ruelas sind uns nicht erhalten. Zuge-
schrieben wird ihm eine leicht grau lavierte, braune Federzeichnung in der Albertina,
die jedoch kaum etwas mit ihm zu tun hat, Es ist eine Studie für ein Hochaltar-
bild mit Maria in throno, Christus in den Wolken, Sebastian, Moses, Antonius usw.
Das ganze wirkt noch etwas klassizistisch. Für den Sebastian hat der Künstler
eine Apollostatue studiert.
Porträts im engeren Sinn des Wortes sind uns von dem Meister nicht bekannt,
(1) Auch von Ponz noch sehr gerühmt: die Madonna mit dem Kind auf den Armen mit vielen
knienden Figuren. Viaje IX, 108.
(2) Viaje IX, 106.
70
dagegen finden sich aber auf verschiedenen seiner Werke, vor allem auf den Heim-
gang des hl. Isidor, dem Tod des hi. Hermengild und der Concepcion des D. Fernando
de Mata Porträtdarstellungen von einer verblüffenden Naturtreue.
Die Weichheit der Karnation seiner Gestalten ist von jeher geriihmt worden.
Daß Ruelas die grauen, braunen und schwarzen Schatten ganz verbannt, ist nicht
richtig, man findet noch bei dem reifen Meister graue Schatten. Ebenso stimmt
Justis Bemerkung nicht, daß die Figuren bei ihm stets in den vordersten Grund
gedrängt seien. Ruelas hat sich die Kompositionstechnik Tintorettos zu eigen ge-
macht mit der eigenartigen Vordergrundsgruppe, wo großer Wert auf die Silhouette
gelegt ist, sowie mit der Teilung der Gründe, vor allem dem ausgedehnten, in
hellem Licht flimmerden Mittelgrund.
Höchst auffallender Weise schweigt sich Pacheco über Ruelas fast völlig aus.
Er spricht nur einmal von ihm — bei der Besprechung von Darstellungen des
„Unterrichtes der hl. Jungfrau“ -— und da, wie wir sahen, nicht gerade sehr günstig.
In seine Porträtsammlung berühmter Zeitgenossen hat er ihn nicht aufgenommen. Ob
zwischen den beiden persönlich etwas vorgefallen ist, läßt sich nicht mehr sagen.
Sollte am Ende Pacheco sich Hoffnungen gemacht haben, daß ihm die umfang-
reichen Arbeiten für den Hochaltar der Kirche im Mercenarierkloster seiner Vater-
stadt Sanlücar übertragen würden, die bekanntlich dann Ruelas ausführte? Merk-
würdig bleibt Pachecos Hinweggleiten über die Arbeiten des Ruelas auf jeden Fall.
Gegen die kleinlichen Ausstellungen, die Pacheco an den mehrfach genannten
Gemälde des Ruelas zu machen beliebt hat, wendet sich Bermudez und sagt!):
„Ruelas verstand besser als irgend ein anderer Maler in Andalusien die Regeln der
Komposition und Zeichnung und verlieh den Figuren viel Nachdruck durch Anmut
und Zartheit (dulzura y suavidad). Er ahmte die Natur in der Großartigkeit der
Formen und Charaktere nach und hat am besten von allen in Spanien Ton und
Kolorit der guten venezianischen Schule getroffen. Seine sevillaner Gemälde könnten
ruhig den Vergleich mit denen Palmas, Tintorettos und des Caraccisten aushalten“.
Seine Kritik schließt der Schriftsteller mit der äußerst treffenden Bemerkung: „Wenn
die Sevillaner soviel Sorgfalt auf ihre gute Erhaltung gelegt hätten wie die Italiener
auf ihre und ihren Ruhm durch Stiche verbreitet hätten, so wären die Werke des
Ruelas bekannter und gefeierter.“
Palomino?) meint, die Malerei des Ruelas besitze große Kraft verbunden mit
großer Weichheit und er rühmt das sorgfältige Naturstudium des Meisters, seine
große technische Gewandheit und Erfahrung. Auch Jusepe Martinez versäumt in
seinen „Discursos practicables“ nicht, des Meisters lobend zu gedenken?), wenn er
auch seine Werke nicht aus eigener Anschauung kennt. Passavant“) betont vor
allem den starken Einfluß Tintorettos auf die Kunst des Ruelas. Tubino°) und
Justi®) finden, daß der Meister in Formen, Empfindung und Malweise eine eigen-
artige Mischung spanischen und flandrischen Wesens zeigt. Vielleicht hat zu
(x) А. a. О. 8. 228.
(2) A. a. О. 8. 283.
(3) р. 186.
(4) А. а. О. 8. 98.
(5) Museo Español 1, 420 — donde las reminiscencias flamencas toman cuerpo en algun instante de
no comun inspiracion.
(6) Velazquez, I, asp,
71
dieser Bemerkung der Gedanke an die Hypothese von der fldmischen Abstammung
des Künstlers ein ganz klein wenig beigetragen. Aber die Rubenssche Heiterkeit
des Klerikers, die Volkstümlichkeit und Unbefangenheit seiner Kunst braucht man
durchaus nicht als ein nordisches Erbstück anzusehen. Im Gegenteil. Diese Eigen-
schaften sind ja gerade typisch für die Meister der Sevillaner Schule. Des weiteren
stellt Justi fest, daß Ruelas zuerst Naturalismus und Mystik miteinander vereinigt
hat. Darin gemahnt er an den etwas älteren Greco und vor allem an Ribera, mit
dem er — wir haben bereits mehrfach darauf verwiesen — mehr als in einer Be-
ziehung verwandt ist. Freilich ist ein gehöriger Temperamentsunterschied zwischen
den beiden zu konstatieren, der aber, wie wir sahen, zum guten Teil in dem ver-
schiedenartigen Charakter der Sevillaner und Valencianer Schule überhaupt be-
gründet ist. Die Wahrung einer hohen Würde ist bei Ruelas oberstes Prinzip.
Innerhalb der Sevillaner Schule selbst ist es kaum einem einzigen Künstler sonst
gelungen, in gleicher Weise Monumentalität der Gestaltung, Leidenschaftlichkeit
der Empfindung, Würde des Ausdrucks, sorgfältigste Komposition und hohe male-
rische Qualitäten, vor allem eine derartig vollendete Beherrschung des Helldunkels
miteinander zu verbinden. So ist es auch nicht verwunderlich, daß Ruelas der ideale
Lehrer der drei berühmtesten Sevillaner Maler Velazquez, Murillo und Zurbaran,
der Vater der ruhmreichen Sevillaner Malerschule Sevillas im ХУП. Jahrhundert
geworden ist.
MEISTER PAOLO DA GUALDO
Mit sechs Abbildungen auf drei Tafeln . eee eee eee Von ANTONIO MUÑOZ
D* Lokalforscher der Kunstgeschichte haben sich in der letzten Zeit mit be-
sonderer Hingabe den Studien der Trecento- und Quattrocentoskulptur ge-
widmet. Und natürlich haben sie nicht versäumt, die Persönlichkeit eines Meisters
zu beleuchten, der durch künstlerischen Wert die andern überragte und von dem
wir eine gewisse Anzahl, darunter sogar zwei von ihm selbst firmierte Werke besitzen.
Es handelt sich um Maestro Paolo, der auf das Grabmal des Bartolomeo Carafa,
des Großmeisters vom Jerusalemsorden in S. Maria del Priorato (+ 1405) und das
des Cardinals Stefaneschi in Santa Maria in Trastevere von 14171), selbst seinen
Namen gesetzt hat. Ein drittes Grabmal, das des Nicola und Francesco dell’ Anguillara
in der Kirche S. Francesco in Capranica di Sutri (a. 1408), schrieb zuerst der
Cicerone und dann einmütig alle Gelehrten mit Recht aus stilistischen Gründen
dem Maestro Paolo zu.
Von Anfang an wurde dieser unbekannte Maestro Paolo, der sich einfach
MAGISTER PAVLVS FECIT (Mon. Carafa) und MAGISTER PAVLVS FECIT
HOC OPVS (Mon. Stefaneschi) nannte, mit dem anderen Bildhauer Paolo di Mariano
di Tuccio Taccone da Sezze, mit dem Beinamen Paolo Romano verwechselt, der
in Rom von 1451 bis ungefähr 1470 arbeitete und, wie bekannt ist, die Statuen
des Paulus und Petrus für die Teppe von S. Peter schuf, die jetzt die Sakristei
schmücken, und ferner den S. Paolo von der Engelsbrücke, das Tabernakel des
heiligen Andreas und andere Werke*). Bertolotti hat zuerst festgestellt, daß dieser
Paulus, der ungefähr 1470 starb, nicht mit dem anderen identifiziert werden darf,
der schon 1405 arbeitete; Müntz dachte an einen gewissen Paoluzzo, über den wir
Nachrichten von 1423 bis 1470 haben, aber auch dieser ist aus chronologischen
Gründen auszuschließen. Ferner darf Magister Paulus nicht identifiziert werden
mit Paulus de Senis, dem Schöpfer der Büste Benedikts XIL in den vatikanischen
Grotten, die er schon 1341 arbeitete. Ganz unglaubhaft erscheint auch die Identi-
fikation mit einem Paulus Salvati, Sohn des Magister Salvatellus?), ein Ergebnis
recht fragwürdiger Forschungen, die man schon gewertet hat, wie sie es verdienten‘).
Wir wissen nicht, aus welchem Grunde man in unserem Magister Paulus einen
Römer sehen wollte, da er nie mit diesem Beiwort zeichnet; und, um ihn von
Paolo di Mariano (der ebenso wenig Römer ist) zu unterscheiden, hat man ihm
schließlich sogar den Titel „der Erste“ gegeben, während Paolo II. der andere war.
Diese Art zu numerien könnte in Anbetracht der fragwürdigen oben erwähnten
Forschungen ins endlose gehen. Doch der Meister Paulus der Grabmäler des
Carafa und Stefaneschi war kein Römer.
Auf einer meiner häufigen Wanderungen durch die Provinz von Rom, fiel mir,
als ich in das schöne S. Francesco di Vetralla trat, ein Denkmal auf, das mich
(1) Ohne die alte zahlreiche Bibliographie wiederzugeben, beschránke ich mich darauf, die neuesten
Studien mitzuteilen. L. Ciaccio, L’ultimo periodo della scultura gotica a Roma, in Ausonia. Rom 1907.
Fasc. I, pag. 87. L. Filippini, La scultura del Trecento in Roma, Torino 1908, pag. 160—178.
(a) A. Venturi, Storia dell’ arte italiana, VI, pag. 52—59. V. Leonardi, Paolo da Mariano, marmoraro,
nell’ Arte 1900. Pag. 89.
(3) Filippini, La scultura a Roma nel Trecento, pag. 162.
(4) @. De Nicola, Falsificazioni di documenti per la storia dell’ arte romana. Repertorium für Kunst-
wissenschaft, 1909, pag. 54.
73
sofort an das des Carafa їп S. Maria del Priorato erinnerte; wie groß war daher
mein Erstaunen, als ich die Signatur des Bildhauers las:
M. PAVLVS DE GVALDO CATTANIE ME FECIT
die їп den oberen Rahmen des Mittelfeldes eingegraben war, wo auch die Widmungs-
worte fiir den Verstorbenen standen. Dieses Grabmal, das jetzt in die Wand des
rechten Kirchenschiffes eingelassen ist, besteht aus einem Sarkophag, der in der
Mitte der Vorderseite eine metrische Inschrift trágt, und zu beiden Seiten zwei
Wappen in Flachrelief. Auf dem Sarkophag, der von einem eleganten Rahmen
bekrónt wird, liegt auf dem Ruhebett der Verstorbene in voller Riistung, in einem
Panzerhemd, iiber das er ein Stoffwams trágt, mit kurzen Eisenhandschuhen und
Knieschienen; im Gürtel steckt ihm ein kurzer Dolch, und mit der Rechten um-
klammert er einen Stab. Zwei Hündchen wachen zu seinen Füßen. Eine In-
schrift gibt uns Kunde über den Ritter:
Hoc manet in tumulo fulgenti laude perennis
Insignis Briobris gratus et ore nitens
Strenuus et clarus, facundus, comis et audax
Magnanimus, prudens vir fuit alta petens.
Hic acie valuit summa virtute refertus,
In cunctis cautus, que sapuere viri.
Impia praecerpsit mors immatura iuventam,
Annis triginta, quae ruit, atque tribus.
Hunc naturali generavit more Joannes
Urbis Praefectus, quo duce tantus erat.
Inclyta Stirps cuius quondam regnantis in Orbe
Caesaris excelsi nomine clara patet.
Der Ritter heißt also Briobris; er war ein natürlicher Sohn des berühmten
Giovanni di Vico, Prefekten von Rom. Auch die Wappen zu beiden Seiten der
Inschrift sind die des Hauses Vico und des Präfekten von Rom. Uber Briobris,
dem die Grabschrift so hohes Lob spendet, wissen wir gar nichts oder doch nur
äußerst wenig. Calisse erwähnt ihn kaum flüchtig in seiner Geschichte der Prä-
fekten di Vico und schreibt, daß er 1353 starb, was man doch auch aus der Grab-
schrift entnehmen müßte; aber sie enthält leider gar keine chronologische Angabe.
Wahrscheinlicher ist, daß Briobris erst einige Jahre später gestorben ist; jedenfalls
steht fest, daß sein Grabmal aus den letzten Jahren des Trecento stammt, wie man
klar aus den Stileigentümlichkeiten ersieht. Wie uns ein bewährter Fachmann
mitteilt, weist auch die Waffenkleidung eher auf das Quattrocento als auf das
Trecento hin.
Das Grabmal befand sich ursprünglich sicher nicht an dem jetzigen Ort, auch
ist es nicht mehr intakt erhalten. Der Sarkophag wurde von einem Giebel über-
ragt, den vier Säulen trugen. Sie befinden sich jetzt in der Kirche S. Francesco.
Im Jahre 1612 entfernte der Padre maestro vom Franziskanerorden, Bonaventura
Onofri Vetrallese, als er die Kirche restaurierte, das Denkmal des Briobris, das
seine Aufstellung im linken Kirchenschiff gefunden hatte, von seinem Platz und
stellte es am letzten Bogen, in der Nähe des Hauptaltares auf!).
(1) Ich verdanke diese Nachrichten dem liebenswürdigen Gelehrten, Prof. A. Scriattoli aus Vetralla,
dem ich hiermit meinen lebhaften Dank ausspreche.
74
Von dem Giebel ist keine Spur geblieben, doch die Sáulchen dienten zur Kon-
struktion eines Barockaltars, der den Bogen der Apsis schloß, aber kürzlich zerstört
worden ist. Die Sáulchen befinden sich jetzt an der inneren Fassadenwand der
Kirche, zu beiden Seiten des Hauptportals 1). Sie sind 2,15 m hoch und ihr größter
Umfang beträgt 0,67 m, der Sarkophag ist an der Basis 2,06 m lang und ungefähr
ı m hoch; das Ganze bildete also ein Denkmal von beträchtlichem Umfang, das
ungefähr die Größe dessen von Bartolomeo Carafa in S. Maria del Priorato haben
mußte, welches ein Werk des Maestro Paolo mit dem Beinamen „Romano“ ist.
Wie in der allgemeinen Form, so stimmen auch die Grabmale des Carafa und
des Briobris in allen Eigentümlichkeiten des Stils überein. Hier wie dort dieselbe
Lage der Person, gewisse Einzelheiten der Waffenkleidung, die Art, den Arm zu
beugen, der Überschlag des Kragens. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß
Magister Paulus di Vetralla eins ist mit dem gleichnamigen Künstler von S. Maria
del Priorato. In diesem zweiten Werk zeigt sich der Meister schon viel freier und
gewandter, doch unverändert behält er einige alte technische Gewohnheiten bei.
Noch viel näher steht dem Grabdenkmal des Briobris das des Anguillara in Capranica
di Sutri, das auch eine viel archaischere Auffassung als das des Carafa zeigt, eine
Auffassung, die wir im Grabdenkmal des Kardinals Stefaneschi (a 1417) nicht mehr
vorfinden.
Darum wäre ich nicht abgeneigt anzunehmen, daß das Grab des Carafa (+ 1405)
einige Jahre später, vielleicht um 1415 geschaffen wurde, während das des Anguillara
sich gut dem Datum 1408 anpaßt und chronologisch dem des Briobris näher steht,
Man muß also für Maestro Paolo das Prädikat „römisch“ aufgeben und ihn, um
ihn von dem späteren Paolo di Mariano zu unterscheiden, mit seinem wahren
Namen Paolo da Gualdo Cattaneo?) nennen. So war also der Meister, der von
den ungelenken Formen des Grabmals der Anguillara zu den ausgesprochen feinen
des Stefaneschigrabes gelangte, nicht „ein Römer, der lange in Toskana und in
Süditalien gelebt hat“), sondern ein Umbrer, der aus Gualdo Cattaneo bei Spoleto,
seiner Vaterstadt, nach Viterbo gegangen ist, wo er sich an der Lokalkunst der
Marmorai, die Papst- und Kardinalsgráber in S. Francesco schufen, bildete. Nach
einem langen Aufenthalt in dieser Gegend, wo seine Werke von den vornehmsten
Familien, wie die der Herren von Vico und der Anguillara geschätzt wurden,
begab er sich nach Rom.
Ein anderes Werk, das sicher Meister Paolo zuzuschreiben ist und von ihm aus-
geführt wurde, ehe er sich nach Rom begab, besteht in einer Gedenktafel, die im
Sdulengang des Domes von Civitacastellana eingemauert ist. Es handelt sich um
das Grab des Niccoló de Summa, eines neapolitanischen Edelmannes. der 1403
gestorben war. Er ist in Waffen dargestellt wie Briobris in Vetralla, das Haupt
ruht auf dem Helm wie bei den Anguillara auf dem Grabmal in Capranica, in der
Rechten hält er einen Schild, der mit dem Wappen seines Hauses, den beiden
(1) Zu beiden Seiten des Sarkophags sollten dann wahrscheinlich zwei Engel stehen, die, wie auf
dem Grabmal der Anguillara di Capranica, die Vorhänge des Bettes zurückzogen. In der Tat ist das
Bett kürzer als der Sarkophag und läßt gerade an den Enden so viel Raum frei, wie zur Aufstellung
der Engel nötig war. Dieselbe Tatsache läßt sich auf dem Grabmal des Carafa in S. Maria del
Priorato feststellen.
(2) Die Hypothese, daß Magister Paulus ein Römer gewesen sei, hat sich leider schon lange auch in
Werke allgemeineren Charakters als eine Tatsache eingeschlichen. Ved. D. Angeli, Roma, il,
Bergamo 1909, Pag. 179— 181.
(3) Filippini, op. cit. pag. 178.
75
Türmen geschmückt ist, was sich auf dem Panzer wiederholt. Unter den Füßen
liest man in spätgotischen Buchstaben folgende Inschrift: i
hic iacet nobilis vir nicolaus de summa damicellus neapolitanus filus condam
Visali (?) de summa militis neapolitani, qui obiit anno domini МСССШ indic-
tione XI, die XVIII aprilis requiescat in pace.
Die charakteristischen Eigentümlichkeiten des Stiles von Meister Paolo treten so
stark hervor, daß wir glauben, niemand wird an der Richtigkeit dieser Zuschreibung
zweifeln können!).
Toskanische Charakterzüge sind in Paolo da Gualdos Kunst nicht zu erkennen.
Seine ersten Werke weisen sogar jene Ungelenkigkeit der Formen auf, die Künstler
charakterisiert, die fern von den florentiner Kunstzentren aufgewachsen sind. In
Rom jedoch schlug seine Kunst nach Berührung mit der Antike neue Pfade ein
und so erhob er sich über die Schar der zeitgenössischen Künstler.
Übersetzt von Caterina Bombe.
(1) Die Reproduktion der interessanten Gedenktafel mußte im Hinblick auf die ungenŭgende photo-
graphische Aufnahme an dieser Stelle leider unterbleiben. Die Red.
76
BASLER HOROLOGIENBÜCHER МІТ HOLZ-
SCHNITTEN VON HANS HOLBEIN DL
Mit neun Abbildungen auf fúnf Tafeln Von E. MAJOR
ls vor einiger Zeit dem Basler Kupferstich-Kabinett das von Sebastian Miinster
verfaBte Buch ,,Fiirmalung und kiinstlich beschreibung der Horologien“ (Basel,
Heinrich Petri 1537) von einem auswärtigen Antiquariate angeboten wurde und
einzelne der darin befindlichen Holzschnitte von Professor Ganz nach kurzer Priifung
als holbeinisch angesprochen wurden, nahmen wir uns vor, das friiheste Vorkommen
dieser Schnitte festzustellen.
Es fand sich, daB sie, mit einer einzigen Ausnahme, bereits in der lateinischen
Horologienausgabe Seb. Miinsters, in der ,Compositio Horologiorum“ (Basel, Heinrich
Petri, 1531 März) enthalten sind. Sie sind demnach spätestens zu Ende des Jahres
1530 oder ganz zu Anfang 1531 gezeichnet worden. Es handelt sich um folgende
Darstellungen:
1. Eine Hand, die ein Nocturnal hält, d. h. ein Instrument, vermittels dessen
auch nachts die Stunde gelesen werden kann (Taf. 21). Eine Arbeitshand, wie sie
Holbein liebt, kräftig zufassend und von derb-wuchtiger Bildung. So wie sie aus
dem Pelzärmel herauskommt und das Gerät senkrecht emporhält, ist sie dem
Buchdruckerzeichen Johann Frobens aufs engste verwandt (vgl. vor allem Heitz
und Bernoulli, Basler Büchermarken Nr. 50, auch 49 u. a.) !).
Die auf dem Nocturnal befindlichen Benennungen in xylographischem Text ver-
raten dieselbe Hand, von welcher die Schriftzüge auf dem neulich zum Vorschein
gekommenen großen Holzschnitt mit dem „Instrument beider Lichter“ Sebastian
Münsters herrühren?).
2. Eine zylindrische Sonnenuhr (Taf. 21). Elegant im Aufbau und von feiner
Zeichnung, gleicht sie völlig dem auf dem Bilde der „Gesandten“ (1533) vor-
kommenden Geräte, hier wie dort zum Tragen an einer Schnur eingerichtet. Eine
ähnliche Zylinder-Sonnenuhr, auf der außerdem die Tierkreisbilder und Monate ver-
zeichnet sind, befindet sich auf einer Handzeichnung im Britischen Museum in
(1) Bei dieser Gelegenheit sei einmal festgestellt, was unseres Wissens bisher noch nicht geschah und
was auch in den verschiedenen Nachträgen Koeglers nicht zu finden ist, daß [nämlich das holbeinische,
in Wasserfarben auf Leinwand gemalte Frobensignet der Öffentlichen Kunstsammlung in Basel
(Katalog тото, Nr. 343. Abgebildet bei His, Dessins d’Ornements de Hans Holbein, Taf. XXIII, Fig. ı)
als die genaue Vorlage für das Signet Heitz 49, dessen Weiterbildung die Signete Heitz so und 53
bedeuten, angesehen werden muß. Da dieses (Heitz 49), was auch von Koegler nicht rektifiziert werden
konnte (Ztschr. f. Bücherfreunde XII, 6), zuerst im Jahre 1523 auftritt, so ist damit eine sichere
Datierung für das Aquareli geboten. Es kann, selbst wenn es mehr als bloße Vorlage, wenn es eine
Erweiterung des gedruckten Signets zu einem Scheibenrisse sein sollte, doch nur im Jahre 1523 ent-
standen sein, da 1524 ein neuer Typus des Frobensignets aufkommt, nämlich der mit dem Renaissance-
Schild und den von innen gesehenen Händen; überdies trägt, was vielleicht mehr als Zufall ist, das
1523 zuerst bemerkbare, oben erwähnte kleinere Signet Heitz 50 — auch Н. 53 kommt 1523 zuerst
vor — gelegentlich die mit der Inschrift auf dem Aquarell sich deckende, sonst nicht übliche Bei-
schrift: „Joan. Frob.“ (vgl. Koegler, Basler Büchermarken bis zum Jahre 1550, Ztschr. f. Bücher-
freunde XII, 6). — Bei Feststellung obiger Tatsachen hatten wir uns der Mitwirkung unseres Kollegen
Dr. E. v. Meyenburg verschiedentlich zu erfreuen.
(э) Veröffentlicht und abgebildet von Hans Koegler im Jahrb. 4. kgl. preuß. Kunstsammlungen тото,
Heft IV und daselbst auf das Jahr 1532 datiert.
77
London’), eine weitere auf dem Bildnis des Astronomen Niklaus Kratzer (1528).
Und hier nun läßt die auf dem Blatt Papier links unten sichtbare Beischrift von
Holbeins Hand, lassen die auf den verschiedenen astronomischen Gerdten verteilten
Ziffern keinen Zweifel mehr dariiber aufkommen, daB Holbein selbst, und nicht
etwa Sebastian Miinster oder gar der Holzschneider, es war, welcher sowohl fiir
die eben betrachteten als die beiden nachfolgenden Horologien als auch fiir das
„Instrument beider Lichter“ Schrift und Ziffern nach Münsters Angaben verkehrt
auf den Holzstock zeichnete.
3. Ein „Horologium murale“ Die Sonnenuhr ist an der Mauer eines Hauses
angebracht, das mit Schwalbenschwanzzinnen, wie sie Holbein des öfteren an-
wendet, bekrönt und von einer ziegelbedeckten Flachkuppel überwölbt ist. Es
scheint nicht ausgeschlossen, daß die vorgeschriebene Bezeichnung „meridiem
aspiciens“ (= nach Mittag, Süden schauend) den Künstler veranlaßt hat, hier diese
im Norden unbekannten geschweiften Zinnen, die er, wie auch die Kuppel, in
Italien hatte sehen können, am Dache anzubringen.
4. Ein „Concavum“ Eine Sonnenuhr in einem konkaven, runden Biichslein,
von der gleichen Hand gezeichnet, doch offenbar von einem schlechteren Holz-
schneider geschnitten.
Außer diesen Illustrationen enthält das Buch noch eine Reihe einfacher
Sonnenuhr-Entwürfe, deren einige durch die überaus gewandte Zeichnung des
als Mittelpunkt dienenden Sonnengesichts zur Genüge die holbeinische Urheber-
schaft erkennen lassen.
Das letzte Kapitel der „Compositio Horologiorum“ trägt die Überschrift: „Kurze
Erklärung der größeren Figur, welche diesem Buche beigefügt ist“), und beginnt
mit den Worten: „Wir fanden gut, diesem unserem letzten Werke eine große und
schöne Abbildung einer Mauersonnenuhr beizufügen“).
Also ein schöner, großer Holzschnitt einer Mauersonnenuhr als Beilage
zu dem Buche und doch jedenfalls von Holbein gezeichnet, weil er schon die
kleineren Bilder für das Buch liefern mußte. Indessen, in allen uns vorgelegenen
Ausgaben des Jahres 1531, sowie in den uns vorgelegenen Exemplaren der stark
erweiterten Neuausgabe der „Compositio Horologiorum“, der „Horologographia“ des
Jahres 1533 (August; Basel, Heinrich Petri) fehlte dieses größere Sonnenuhrblatt
völlig. Und doch mußte es einst beigelegen haben, denn in dem angeführten Schluß-
kapitel, das auch in der Ausgabe von 1533 wiederkehrt, geht Sebastian Münster
sodann auf die Darstellung im Einzelnen ein, erklärt die Stundenangaben und fährt
dann fort: „Wir haben auch rings um die Mitte des Zeigers einen Kreis angebracht,
welcher die Sonntagsbuchstaben vom laufenden Jahre 1531 bis zum Jahre 1558
umfaßt... Im Jahre 1531 ist a der Sonntagsbuchstabe ... Es ist aber a in jenem
Kreise der erste Buchstabe, welcher neben dem Zeichen des Kreuzes seinen Platz hat“).
Warum fehlt aber nun der Holzschnitt in allen diesen Ausgaben, soweit wir sie
einsehen konnten? Die Antwort gibt Sebastian Münster selbst, wenn er im Schluß-
(1) Abgebildet bei His, Dessins d’Ornements de Hans Holbein, Taf. XLIII, Nr. 4.
(2) „Explanatio succincta figurae maioris, quae libro huic est adiecta.“
(3) „Placuit ultimo huic operi nostro adiicere muralis horologii effigiem quandam magnam & venustam.“
(4) „Descripsimus in ea quadruplices horas cum numeris suis, aequales & inaequales, Bohemicas
& Italicas .... Ordinavimus & circa centrum stili circulum, qui complectitur literas dominicales ab
anno Christi MDXXXI currente usque ad annum MDLVHI .... Anno Christi MDXXXI litera
dominicalis est a... Est autem a in illo circulo prima littera, iuxta crucis signum suum habens
locum.“
78
kapitel der „Horologographia“ (1533), nachdem er die Beschreibung des Holzschnitts
wiederholt hat, ausruft: „Übrigens, um auch dies hier nebenbei zu erwähnen, gab
es bis jetzt einige, welche betreffs dieser Tafel, die ich besonders habe drucken
lassen und vom Buch getrennt habe, mich ernstlich um Auskunft dariiber gebeten
haben, ob, wenn sie (d. h. die Tafel) an der Wand angebracht und der Zeiger ihr
richtig eingesteckt würde, sie die genaue Stunde und das Himmelszeichen, gemäß
ihrer Ausmessung angeben würde, . . . denen allen antworten wir dies, . . nämlich,
daß wir jene Tafel einzig darum herausgegeben haben, damit alle Beteiligten ein
gewisses Muster hätten, welches sie beim Malen von Uhren nachahmen könnten,
wenn wir auch diese Tafel auf den Basler Breitegrad eingestellt haben. Dennoch
raten wir nicht, daß jemand dieselbe für die Sonne benutze, da nicht nur beim
Schneiden, sondern auch beim Druck derartiger astronomischer Instrumente leicht
ein Irrtum unterlaufen kann“ !). Aus diesen Worten läßt sich schließen, daß das
den Münsterschen Horologienbüchern sowieso nur lose beigegebene Sonnenuhrblatt
vielfach von den Besitzern der Bücher als Sonnenuhrtafel an eine Wand im Freien
geheftet wurde. Dieser Umstand erklärt das häufige Fehlen in den Bänden.
Wir fahndeten weiter nach dem Blatte und fanden es denn auch schließlich.
in den 1551 bei Heinrich Petri zu Basel edierten „Rudimenta Mathematica“
Sebastian Münsters, deren zweitem Teil „De omnium generum Horologiorum
delineatione, compositione & fabricatione“ es beigeheftet war (Taf. 22); größte
Höhe ca. 27,5 cm, größte Breite ca. до cm). Ein eigenartiger Entwurf einer Sonnen-
uhr und recht abweichend vom gewohnten Schema. Ein langes breites Band legt
sich erst in kühnem Schwunge querüber, schießt sodann beidseitig zweimal in die
Höhe und läuft nach der Mitte zu in langausgezogene, ineinanderwirbelnde Wimpel
aus. Eine zweite kleinere Bandrolle umflattert die vom Datum 1531 und dem
Sonntagsbuchstaben a überhöhte Scheibe, deren geflammtes Sonnenhaupt in der
Mitte den Zeiger aufnehmen soll. Auf dem großen Bande sind die Stundenziffern
und die Tierkreiszeichen angebracht. Aber die Bewegung der Bänder hat sich den
Figuren mitgeteilt, Band und Bilder scheinen die oben mahnende Sentenz illustrieren
zu wollen: „Vt vita sic fugit hora.“
Wenn man die virtuos behandelte Bandrolle mit den flott geschwungenen Bändern
auf gewissen Schmuckstücken aus Holbeins englischer Zeit vergleicht”), wenn man
das geflammte Sonnenhaupt neben die Bekrönung der Uhr für Heinrich VIII.“)
hält, wenn man im xylographischen Texte die mehrfach erwähnte Handschrift
wiedererkennt und die Verwandtschaft unserer Figuren mit denen des „Instruments
beider Lichter“ berücksichtigt‘), so wird die Autorschaft Holbeins zur Gewißheit.
Eine bereits von Passavant vorgenommene’), von Woltmann aber wieder fallen
(1) „Caeterum ut & hoc hic obiter commemorem, fuerunt hactenus nonnulli, qui me propter hanc
tabulam, quam seorsum excudendam curaui, & a libro se iunxi, adierunt sollicite conuenientes, num
si parieti adhiberetur, & stilus illi iuste infigeretur, diei certam horam atque signum coeleste pro
modulo suo demonstraret, . . . . quibus omnibus hoc respondemus, . . . nempe nos tabulam Шаш
solum ob id aedisse, ut studiosi quique formam quandam haberent, quam in pingendis horologiis
imitarentur, tam & si eandem tabulam ad parallelum Basiliensem iustificauerimus. Non tamen sua-
demus, ut quisquam ea ad solem utatur, cum nedum in sculptura, uerum & in impressura facile
huiusmodi astronomicis instrumentis error accidere possit.“
(2) Vel. etwa His, Dessins d’Ornements Taf. XXXIV und XLI.
(3) Vel. His, Taf. XLVII.
(4) Vel. Seite 77, Anmerkung 232.
(5) Peintre-Graveur Nr. 41. — Interessant ist, daß auch Passavant das Blatt erstmalig nur in den
„Rudimenta Mathematica“ von 1551 aufgefunden hat.
79
gelassene und seitdem in der Holbeinliteratur, soweit wir sie überblicken, nicht
mehr beriicksichtigte Zuweisung kommt hiermit wieder zu ihrem Rechte.
Von dieser Sonnenuhr erscheint eine stark vereinfachte Wiederholung in
kleinem Formate, ebenfalls nach holbeinischer Zeichnung, in der zu Anfang
genannten „Fürmalung und künstlich beschreibung der Horologien“, Basel 1537
(Taf. 23).
Wir gedachten oben der „Horologographia“ des Jahres 1533 (S. 78). Hier finden
sich, außer einigen neu beigefügten einfacheren Sonnenuhrentwürfen, wie deren die
Ausgabe von 1531 bereits kannte, noch zehn Holzschnitte von Tierkreisbildern,
deren Zuweisung an Holbein nach einem auch nur oberflächlichen Vergleiche mit
der Sonnenuhrtafel und dem „Instrument beider Lichter“ eine Notwendigkeit ist.
Es sind die Figuren von: Fische, Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Wage,
Skorpion, Schütze und Steinbock, von denen wir die typischsten abbilden (Taf. 23—25).
Die als Aktfiguren behandelten Zwillinge reden von des Meisters anatomischen
Kenntnissen; der als Krabbe erscheinende Krebs zeigt eine glückliche Vereinigung
von Naturbeobachtung und schaffender Phantasie in ornamentaler Vereinfachung.
Der Löwe aber und der Schütze sind Prachtfiguren ersten Ranges. Der Löwe ist
dem auf dem Titelblatt für Adam Petri erscheinenden, von einem Putto gerittenen
Löwen (Heitz und Bernoulli, Basler Büchermarken Nr. 64) aufs engste verwandt;
da ist dieselbe kraftvolle Körperbehandlung, derselbe stark eingezogene Leib, das
Hinterbein in gleicher Weise zurückgestellt, sind die Haarbüschel an demselben
und Mähne und Stutzohren identisch. Für den als Schütze auftretenden Kentauren
hat Holbein seine im Besitz der öffentlichen Kunstsammlung zu Basel befindliche
Handzeichnung eines aufgezäumten Pferdes benutzt (Taf. 25). Und ist doch einen
Schritt weitergegangen und hat sie überholt, hat besonders die ganze Derbheit des
grobknochigen Kleppers noch gesteigert.
Der Abschnitt über die Tierkreisbilder der „Horologographia“ ist überschrieben:
„Imagines & descriptiones duodecim signorum zodiaci, ex Hyginio huc relatae“!).
Danach wären diese Tierkreisbilder aus einer Hyginausgabe — hier kann es sich
wohl bloß um das Poeticon astronomicon“ handeln — in unser Werk herüber-
genommen. Und tatsächlich beruht, zwar nicht die holbeinische Holzschnittfolge
als solche, wohl aber ihr Schema auf den rohen Holzschnitten der 1517 bei Pasquier
Lambert in Paris erschienenen „Higinii hystoriographi et phylosophi argutissimi
libri quattuor non solum poeticas & hystoricas, verum et astronomicas permultas
veritates . . . collectas . . . enodantes“?).
Aus unseren Feststellungen können wir den Schluß ziehen, daß Holbein während
seines dritten Basler Aufenthaltes in eine enge Verbindung mit Sebastian Münster
getreten ist, eine Verbindung, als deren Vermittler der Verleger der Münsterschen
Schriften, Heinrich Petri, zu betrachten ist, dessen Offizin Holbein schon vor Jahren
mit Holzschnitten versehen hatte. Dadurch wird auch klar, weshalb uns in späteren
Ausgaben der Münsterschen Kosmographie verschiedene holbeinische Holzschnitte
(1) Zwei der Figuren sind nicht von Holbein, sondern von geringerer Hand.
(2) Man beachte die beide Male verwendete Namensform Hyginius (resp. Higinius). Der Name
lautet sonst stets Hyginus. — Der Widder, der hier ebenfalls den Kopf rückwärts wendet und das
linke Vorderbein hebt, der Stier, der einen Fuß ausstreckt und den anderen völlig gebogen hat, der
Krebs, der als Krabbe gegeben ist, der Löwe, der die rechte Vorderpranke hebt, auch der Skorpion,
ferner die fast gleich gebildete Wage, auch der Schütze und z. T. der Steinbock, endlich die Fische
lassen sich in den holbeinischen Holzschnitten immerhin noch erkennen.
80
begegnen, die wir anderswo und friiher vergebens suchen. Miinster hat, wie er in
der Widmung der Erstausgabe seiner Kosmographie (1544) bemerkt, bereits 18 Jahre
vorher mit den Vorarbeiten fiir das Werk begonnen, also im Jahre 1526*). Bald
darauf, um 1530, als er mit Holbein bereits in Beziehungen stand, wird er diesen
auch zur Zeichnung der dann erst viel später veröffentlichten Kosmographie-
Illustrationen angeregt haben. Eins steht aber nunmehr fest: So wie Beatus
Rhenanus unserm Meister die Kenntnis des klassischen Altertums erschlossen hat?),
so war es Sebastian Münster, der ihm die physikalischen und astrono-
mischen Kenntnisse vermittelt hat, denn ohne solche wäre er schlechter-
dings nicht imstande gewesen, die mancherlei Sonnenuhren, vor allem die Tafel mit
der Mauersonnenuhr, oder das „Instrument beider Lichter“ oder endlich die eng-
lischen Entwürfe für kleine und große Horologien zu zeichnen. Als erster dürfte
indessen Nikolaus Kratzer, der Hofastronom Heinrichs УШ., die mathematische
Begabung Holbeins, der ihn, umgeben von seinen astronomischen Instrumenten,
porträtierte, erkannt, als erster auch Sebastian Münster auf ihn aufmerksam gemacht
haben; denn daß Kratzer, ein geborener Münchener, mit dem in ganz Europa als
Geograph und Astronom genannten Seb. Münster zum mindesten einen schriftlichen
Verkehr unterhielt, darf doch wohl als sicher angenommen werden. Im Jahre 1528
aber malte Holbein in England den Nikolaus Kratzer, im August desselben Jahres
war er sodann wieder in Basel und im Herbst 1529 kam Sebastian Münster selbst
hierher. Und bald genug war Holbein auf dem ihm bis vor kurzem noch unbe-
kannten Gebiete zu Hause, ein gelehriger Adept seiner berühmten Gönner. Der
Basler Rat jedoch, welcher im Jahre 1531 den Künstler mit dem Malen der beiden
Uhren am Rheintor betraute, verlangte — dies glauben wir nunmehr aussprechen
zu dürfen — mehr als die bloße handwerksmäßige Aufmalung eines Zifferblattes;
es handelte sich allem Anscheine nach zunächst um die regelrechte, fachmännische
Anlage zweier Sonnenuhren, welche an den dem Rheine und der Stadt zuge-
wandten Seiten des Torturmes ihren Platz finden sollten, und in zweiter Linie erst
um deren künstlerische Ausmalung. Daß aber Holbein dafür der rechte Mann war,
hat er uns durch die hinterlassenen Horologien-Holzschnitte bewiesen“).
(x) Vgl. 8. Vögelin, „Sebastian Münsters Cosmographey“, Basler Jahrbuch 1882, pag. 111.
(a) Vgl. Salomon Vögelin, „Wer hat Holbein die Kenntniss des classischen Alterthums vermittelt?“,
Repertorium f. Kunstwissenschaft X, pag. 345ff.
(3) Bisher galt jene Uhrmalerei, ähnlich wie das Malen der „etlich schilt am stettlin Waldenburg“,
welche 1526 im Ausgabenbuch des Basler Rates erwähnt werden, als Arbeit niedriger Art (vgl. etwa
His, „Die Basler Archive über Hans Holbein den Jüngern“, Zahns Jahrbücher für Kunstwissenschaft,
UI. Jabrg., pag. 121 u. 129). Beide Arbeiten wären sich auch sehr gleichwertig, wenn es sich eben
bei der einen um eine einfache Zifferblattmalerei handeln würde. Daß dies jedoch nicht der Fall
sein kann, geht nicht zuletzt auch daraus hervor, daß Holbein für die Wappenschilde in Waldenburg
a Pfund, 10 Schillinge, für die Uhren am Rheintor dagegen 17 Pfund, 10 Schillinge als Bezahlung
erhielt (vgl. His, a. a. O.).
PAUL BUBERL, Die romanischen
Wandmalereien im Kloster Nonn-
berg in Salzburg. Sonderabdruck aus
dem Kunstgeschichtlichen Jahrbuch der
k. k. Zentral-Kommission für Kunst- und
histor. Denkmale 1909, in Kommission
bei Anton Schroll & Co., Wien тото. —
Quart, 74 S., XIV Tafeln, 37 Abb. im
Text. Preis 12 Kr.
Jede Publizierung mittelalterlicher Wandgemälde
bedeutet heute ein Verdienst. Nicht oft genug
kónnen wir an die Existenz der monumentalen
Malerei im Mittelalter erinnert werden, jeder ihrer
Reste ist heilig und verlangt, mehr als die in
unseren Bibliotheken wohlverwahrten Handschriften
der Vergänglichkeit preisgegeben, sorgfältige Auf-
nahme und Erhaltung wenigstens im Bilde. Was
unter den schwierigen lokalen Bedingungen in
der dunklen Turmhalle von Nonnberg geleistet
werden konnte, ist geschehen; der Photograph hat
alles aus den Fresken herausgeholt, die Repro-
duktionen sind mustergúltig. Und mustergültig
ist der begleitende Text. Die Beschreibung der
Wandgemálde ist absolut erschépfend. Was „das
liebevoll suchende Auge“ nur irgend hat entdecken
kónnen, ist hier verzeichnet. Bei dem besonders
gúnstigen Umstand, daB die einzelnen Stúcke in
verschiedenen Graden der Erhaltung vor uns stehen,
erweitert sich die Beschreibung zu einer Darstellung
der mittelalterlichen Freskotechnik. Wir sehen,
wie auf eine erste Vorzeichnung der Auftrag der
Grundfarben in großen Flächen folgt, gelb für das
Fleisch, die betreffenden Lokaltöne für die Ge-
wänder, wie dann die wichtigsten Linienzüge in
kräftigem Braun untermalt und darauf die letzten
farbigen Schatten und die breiten weißen Lichter
als Lasuren aufgetragen werden. Der Nachweis,
daß sich der technische Befund mit den Vorschriften
der Schedula des Theophilus bis ins einzelne deckt,
ist von großem Wert für unser Urteil über diesen
Traktat. Besonders interessant ist die Feststellung
durchwaltender Proportionsgesetze in den Köpfen.
Höhen- und Breitenmaße der Gesichter und ihrer
einzelnen Teile stehen in einem ganz bestimmten
Verhältnis. Das hat B. nicht nur herausgerechnet,
er hat auch noch die Reste von Konstruktions-
linien in einem stark abgeriebenen Kopf entdeckt.
Mit vollem Recht führt er auf diese Proportionen
den bestimmenden Eindruck der Feierlichkeit bei
den heiligen Männern zurück. Weniger glücklich
scheint mir die Formulierung des malerischen Stils
82
zu sein. Das Verhältnis von Licht und Schatten
ist kein so freies wie behauptet wird. Daß die
Glanzlichter über Stirn und Nase „hingleiten“ und
über die Fingerglieder „tanzen“, kann angesichts
der Detailaufnahmen nicht zugegeben werden.
Vielmehr fällt die fast ornamentale Behandlung der
Lichter auf; B. spricht an anderer Stelle selbst
davon, daß in den Wandbildern „die Farben sich
scheiden, die weißen Lichter zu Strichen sich ver-
dichten.“ Dies steht im Widerspruch zu der „der
Natur möglichst nahekommenden Wiedergabe der
Formen“ in der Zeichnung. Sollte dieser Wider-
spruch auf verschiedene Wurzeln der Stilbildung
schließen lassen?
Buberl ist den Quellen des Stils mit allem Ernst
nachgegangen. Es ist das um so verdienstvoller,
als es sich hier wieder einmal um die „byzanti-
nische Frage“ handelt, auf deren grundsätzliche
Lösung nur zu hoffen ist, wenn sie in jedem Einzel-
fall ganz scharf präzisiert wird. An welche be-
stimmten Denkmäler der byzantinischen Kunst
knüpft der zu untersuchende Stil an, wie weit
erstreckt sich die Abhängigkeit, auf welchem Wege
kann die Übertragung stattgefunden haben? Diese
drei Kardinalfragen sucht B. zu beantworten, nach-
dem er durch Vergleich mit der salzburgischen
Miniaturmalerei und auf Grund der sehr eingehend
behandelten Baugeschichte von Salzburg die Ent-
stehungszeit der Fresken auf circa 1145 festgestellt
hat. — Die byzantinischen Parallelen findet er in
Werken der monumentalen Malerei bzw. Mosaik-
kunst des XI. und XII. Jahrhunderts: Daphni,
Hosios Lukas, Cefalü. Dort haben wir die Fron-
talität der Figuren, für deren Einordnung in Nischen
die beiden griechischen Klosterkirchen besondere
Analogien bieten, dort die in Salzburg festgestellten
Proportionen, die gleiche Lichtbehandlung, ver-
wandte Formen der einzelnen Gesichtsteile und
des Bartes, ähnliche Stoffmuster. Aber bei aller
Anlehnung im einzelnen betont B. einen anderen
Geist, eine Umstilisierung in das Abendländische.
Worin sie besteht, sagt B. nicht, auch nicht bei
der Besprechung der byzantinisierenden Salzburger
Miniaturen, deren Stil er ebenfalls als „Vereinigung
abendländischen Geistes und griechischer Kunst“
charakterisiert. Aber er gibt einen Fingerzeig,
wenn er die große Tatsache feststellt, daß dieser
byzantinisierende Stil langsam hinübergleitet in
die Gothik. Da ist es. Das gothische Wesen,
das latent in aller romanischen Kunst enthalten
ist, bildet die zweite Komponente des Salzburgi-
schen Stils. Ausdruck und Bewegung, in linearem
Niederschlag, ist der Beitrag des Abendlandes für
die Stilbildung der neueren Malerei. Man braucht
nur die Parallel-Abbildungen in Fig. 32 zu sehen,
um von dieser Tatsache ergriffen zu werden. Das
plastische Formschema stellt Byzanz, das Abend-
land schafft die ausdrucksreiche Silhouette, in der
allein sich für den mittelalterlichen Maler indivi-
duelles Leben verkörpern ließ. Insofern gilt das,
was B. über den Zusammenhang der Fresken mit
den byzantinischen Vorbildern sagt, nur mit einer
gewichtigen Einschränkung: nur das allgemeine
Liniengerüst ist entlehnt, der besondere Linien-
zug ist selbständig. Die Linien besitzen ein
ganz anderes Leben als in Byzanz, sind freier im
Zug, ausdrucksvoll in ihrer Schwellung, sind Träger
eines persönlichen künstlerischen Gefühls. Daher
der stark persönliche Ausdruck der Gestalten, der
uns vor allem berührt. In den byzantinischen
Figurenreihen haben wir es stets mit demselben
Typ zu tun, die Abwandlungen betreffen nur das
Äußerliche. Hier aber werden Persönlichkeiten
vor uns hingestellt: Augustinus und Gregor, Bene-
dikt und Rupert, Sankt Oswald und Sankt Florian.
Dies ist nicht eine Besonderheit des Nonnberger
Malers, sondern er teilt diesen Zug, wie die Byzanti-
nismen, mit der gesamten Salzburger Kunst. Merk-
würdigerweise hat B. zum Vergleich mit den
Wandbildern alle die großen Нав. des XII. Jahr-
hunderts herangezogen bis auf eine: die Gumperts-
bibel in Erlangen. Und doch bietet grade sie die
meisten Analogien zu dem Zeichenstil der Wand-
gemälde, mehr als die Gebhardsbibel und mehr
als das Antiphonar; allerdings handelt es sich nicht
um Typenvergleichung, sondern um Vergleich der
zeichnerischen Qualität. Wer sich hineingelebt
hat in die schwellende Linienführung im Benedikt,
im Gregor und Florian, der wird den gleichen
Geist darin finden, wie in der Erlanger Handschrift,
die sich vor den anderen Erzeugnissen der Salz-
burger Schule durch die Fülle und die Differen-
ziertheit ihres Linienstils hervortut.
Wenn man diese Beziehungen weiter überdenkt,
so kommt man zu einigen Zweifeln, ob B. mit
den einleitenden Ausführungen über das Verhältnis
von Wand- und Buchmalerei im Mittelalter ganz
das richtige getroffen hat. Daß die Buchmalerei
bisher einseitig in den Vordergrund gerückt worden
ist, daß sie nicht die alleinige Trägerin der Ent-
wicklung in der mittelalterlichen Malerei war, ist
gewiß. Aber ob jederzeit die entscheidenden
Wandlungen des Stils sich in der Wandmalerei
vollzogen haben und dann erst von der Buch-
malerei aufgenommen worden sind, darüber ist
das letzte Wort noch nicht gesprochen. „Die Ge-
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1912, Heft 2,
schichte der malerischen Probleme läßt sich nicht
in der Miniatur und im Tafelbilde, sondern einzig
und allein in der Großmalerei von der Antike bis
zur Barocke in einer Linie in ununterbrochener
Entwicklung verfolgen“ sagte Buberl. — Und die
malerischen Probleme der Gotik, aus der die
neue Malerei im Norden unmittelbar herauswächst,
wo wurden sie gelöst? Diese einzige Frage be-
weist, daß jene Behauptung ohne weiteres nicht
gilt, vor allen Dingen nicht für die Kunst, um
die es sich hier handelt. Es muß ein Unterschied
gemacht werden zwischen antiker, byzantinischer
und karolingisch-ottonischer Malerei auf der einen
Seite und der romanisch-gotischen des Nordens
auf der anderen. Diese ist nicht monumentaler
Art. Sie hat keinen Bund mit der Architektur
geschlossen, darf darum auch nicht mit der Plastik
verglichen werden. Die Freskenzyklen erwachsen
nicht dem Gefüge des Raums, sondern drängen
ich in ihn hinein, wo irgend Flächen zur Auf-
nahme von Bildern sich finden, und sei es um
den Preis, in der Luft zu schweben, gewaltsam
eingezwängt in die Kappen der Kreuzgewölbe.
Und vor den Kompositionen dieser Wandgemälde
hat man stets das Gefühl, als seien sie müh-
sam hineingesteigert aus kleinem Format in den
großen Maßstab der Wand, ohne doch dehnbar
und gesättigt genug für ihn zu sein, wie ein
Dürerscher Holzschnitt, der in der vielfachen Ver-
größerung des Lichtbildes erst seine ganze Gewalt
offenbart. Ebensowenig monumental ist die Zeichen-
weise. Sie ist vielmehr durchaus graphischer
Natur. Vom ХП. bis zum XVI. Jahrhundert ist
die Entwicklung der Malerei eine Entwicklung der
Linie aus abstrakt ornamentaler Haltung zur Durch-
dringung mit Leben, Ausdruck und Bewegung, zu
symbolischer Kraft. Diese Entwicklung konnte
sich aber nur in der Miniatur vollziehen. Es läßt
sich doch nicht leugnen, daß die Miniatur die
Führung hat bis zum Einsetzen des neuen Natura-
lismus, der den gesamten Komplex der Erschei-
nungswelt in zusammenhängendem malerischen
Bilde wiedergeben will. Wenn ca. 1420 das große
Tafelbild der Miniatur die Führung abnimmt, so
geschieht das nicht, weil man vordem keine Tafeln
malte oder von jetzt ab keine Handschriften mehr
illustrierte, sondern weil der neue Stil sich nur in
einem großen Maßstab ausprägen konnte — ebenso
wie er vordem an das kleine Format gebunden war.
Das Abendländische in den Nonnberger Fresken
ist eine Frucht der in der Miniatur erwachsenen
freien, flüssigen, differenzierten Zeichenweise, die
die strengen byzantinischen Typen, ohne ihre
Weihe zu zerstören, zu individuellen Gestalten
7 83
modelt. Ihre Kraft wird besonders fühlbar, wenn
man die unmittelbare Quelle des byzantinischen
Stils bei dem Salzburger mit B. in Venedig an-
nimmt und nachzuempfinden sucht, was es heißt,
den schweren Typen der Vorlagen nach Art der
Gestalten in der Ost- und Westkuppel von 8. Marco
den persönlichen Stempel aufzuprägen.
Vitzthum.
ARCHITEKTONISCHE HANDZEICH-
NUNGEN ALTER MEISTER. Heraus-
gegeben von Architekt Dr. Hermann
Egger. Erster Band. 1. Lieferung.
20 Tafeln in Lichtdruck mit kritischem
Text. Friedr. Wolfram & Co. Wien und
Leipzig 1910.
Wie allgemein das Studium der Hand zeichnungen
heute als eins unserer wichtigsten Hilfsmittel an-
erkannt wird, historische Beziehungen nachzu-
weisen und künstlerische Werte und Urheber-
schaften festzustellen, beweist die stattliche Zahl
von Handzeichnungspublikationen, die bald das
Oeuvre eines großen Meisters, bald den Besitz
bestimmter Sammlungen oder Sammler umfassen.
Und diese durchgängig sehr kostbaren Werke er-
scheinen nicht nur, sondern sie werden auch eifrig
gekauft. Von den fünf Lieferungen der Vasari-
Society sind zwei bereits vergriffen; vergriffen ist
auch schon nach einem Jahr die erste Lieferung
der Zeichnungen alter Meister, welche die Biblio-
theque d'Art et d'archéologie in Paris herausgibt.
Persönliche oder räumliche Zusammenhänge
also bestimmten die Anlage früherer Publikationen.
Den Gedanken eine große Sammlung von Zeich-
nungen nach sachlichen Gesichtspunkten zusammen-
zufassen, hat zuerst Heinrich von Geymiiller ver-
wirklichen wollen. Wiederholt hat er den Plan
ausgesprochen, den Hermann Egger heute zur
Tat werden läßt, ein Korpus architektonischer Hand-
zeichnungen herauszugeben. Die architektonischen
Handzeichnungen alter Meister sollen in Lieferungen
a 20 Tafeln erscheinen. Drei Lieferungen werden
einen Band umfassen. Die Anzahl der Bände, die
herausgegeben werden, wird wohl der Erfolg be-
stimmen, der dem Unternehmen im höchsten Maße
zu wünschen ist.
Die erste Lieferung, die soeben erschienen ist,
erfüllt jegliche Erwartung. Die Tafeln in Lichtdruck
auf dunklem Karton erwecken die Vorstellung des
Originals. Sie bringen zunächst nur Schätze der
Wiener Sammlungen deutscher, französischer und
italienischer Meister. Man staunt immer wieder,
84
wenn man diese Blätter betrachtet über das Können
und über den Fleiß dieser Meister. Wenn Hans
Böblinger im Jahre 1501 die Spitalskirche zu
Eßlingen zeichnet, so offenbart er sich ebensosehr
als Künstler, als wenn Hubert Robert uns fast
dreihundert Jahre später einen antikisierenden Mo-
numentalbau vorführt, in dem er — man möchte
sagen — alle seine römischen Eindrücke und Er-
innerungen zusammengefaßt hat. Von besonderer
Wichtigkeit sind in dieser Lieferung die römischen
Zeichnungen. Auf diesem Gebiete ist Egger ja
zu Hause wie kein anderer. Das hat er in der
mustergültigen Ausgabe des Codex Escurialensis
bewiesen. Martino Lunghi, Giovanni Alberti,
Giuseppe Bibiena Galli, Girolamo Rainaldi sind mit
höchst charakteristischen Zeichnungen vertreten.
Zu des Verfassers Spürsinn und Forschungseifer
gesellt sich zuweilen auch das Glück. Die prächtige
Studie Berninis für das Bronzetabernakel in St.
Peter ist eine Entdeckung, schon deshalb merk-
würdig, weil uns bisher nichts von Berninis Hand
bekannt war, was sich auf dies berühmte Werk
bezog. Das Blatt teils mit der Feder, teils in
Rötel ausgeführt, ist mit grandioser Sicherheit hin-
geworfen. Man meint vor allen in der Rötel-
skizze, der Genius Michelangelos habe hier Bernini
den Stift geführt. Auf Tafel 17 finden wir den
Entwurf für die Dekoration eines Kreuzgewölbes
in 8. Maria Maggiore abgebildet. Eine Wappen-
skizze mit sechs Pinienäpfel führte Egger auf die
Spur des Kardinals D. Pinelli, Arciprete von
S. Maria Maggiore. Und dort findet sich auch
wirklich noch das Kreuzgewölbe, für welches diese
Zeichnung bestimmt war.
Eggers Bemerkungen zu jedem Blatt sind knapp
und klar und wohl in den meisten Fällen er-
schöpfend. Dem Geburts- und Todesjahr der Künst-
ler wäre wohl auch die örtliche Bestimmung hin-
zuzufügen. Schopenhauer unterscheidet Leute, die
für die Wissenschaft leben und Leute die von
Wissenschaft leben. Natürlich gibt es keinen
Kunsthistoriker, der nicht das Recht zu haben
glaubt, sich zur ersten Kategorie zu zählen, schon
deshalb weil die zweite überhaupt nur beim Ver-
leger nicht beim Autor denkbar ist. Was Egger
bisher geleistet hat berechtigt aber auch andere,
ihm zu bestätigen, daß er für die Wissenschaft
lebt und arbeitet. Und von solcher Gesinnung
redet auch die vorliegende Publikation.
E. Steinmann.
HERMANN VOSS, Albrecht Altdorfer
u. Wolf Huber. Meister der Graphik III.
Verlag Klinkhardt & Biermann, Leipzig.
Die beiden danubischen Kúnstler Altdorfer und
Huber zusammenzufassen, ist heute beinahe kunst-
historische Notwendigkeit, sie mochte dem recht
bequem liegen, der den kúnstlerischen Donaustil
in gelehrter Forschung erörtert und mit ausgiebi-
ger Gründlichkeit dargestellt hat. Für die Behand-
Inng allein der‘graphischen Produktion der beiden
ergibt sich freilich der Ubelstand, daß Altdorfers
umfangreiches Werk die wenigen Holzschnitte
Hubers nicht nur nummerisch erdrückt, In der
Geschichte der gedruckten Kunst steht Huber
überhaupt und keineswegs allein mit Altdorfer ge-
messen bei Seite. Das Mißverhältnis tritt äußer-
lich schon hervor, daß von den 63 Tafeln des
Buches nur 10 dem Huber gelten. Bei einem
Werke, dem die Abbildungen nicht Beigabe, son-
dern wesentlicher Bestandteil sind, muß es erlaubt
sein, von diesen vor dem Text zu sprechen. Es
sind, wie bei den früheren Bänden dieser Folge
unretuschierte (hoffentlich!) Lichtdrucke, denen die
schmeichlerische Gefälligkeit der gebräuchlichen
Nachbildungsarten für Stiche und Holzschnitte
zwar fehlt, die aber dafür um so verläßlicher sind.
Diese Lichtdrucke erzählen mit unbarmherziger
Wahrhaftigkeit, daß die genaue Prüfung erkennen
läßt, welche Abbildungen von den Originalen auf-
genommen wurden und welche durch das Medium
einer Reproduktion. Entgegen dem heutigen Brauch
bei wissenschaftlichen Publikationen sind die Vor-
lagen der Abbildungen nicht genannt. Der Farben-
holzschnitt der schönen Maria von Regensburg (übri-
gens ein häßlicher Titel für ein religiöses Blatt:
er klingt wie der Spitznamen einer Kellnerin) ist
nicht nach dem einzigen vielfarbigen Exemplar in
Wolfegg wiedergegeben, sondern nach einer der
beiden Berliner Reproduktionen, entweder der litho-
graphischen im Jahrbuch oder dem Lichtdruck der
Reichsdruckerei. Beide fehlen in der Literatur-
Übersicht, die doch sonst auskömmlich ist und
die eigenen Arbeiten des Verfassers mit Kritiken
und Antikritiken lückenlos angibt. Und nun zum
Text. Er ist natürlich vortrefflich, wenn auch für
meinen Geschmack zuviel von Malerei und Bildern
gesprochen wird, wenn sich auch neben den Arten
die Unarten der neueren kunstgeschichtlichen An-
schauungsweise zeigen. Zu letzteren rechne ich
z. B. die Unterschätzung Martin Schongauers und
die Überschätzung des Veit Stoß. So wurde es
gelehrt. Und in die Kerbe, die der Lehrer mit
wohlgezielten Hieben geschlagen hat, hauen die
so Belehrten nun weiter ein. Das ist etwas Epi-
gonen-Brauch, dessen die jüngere Generation der
Kunsthistoriker bei sonst doch nicht kleiner Mei-
nung von der eignen Kraft entbehren könnte.
Altdorfers Kunst und Stil wird gut geschildert.
Der Hinweis auf den Meister М. 2. als einen der
Leiter für Altdorfers Graphik ist recht diskutabel.
Neben Dürer natürlich. Es werden etwas reich-
lich Einflüsse konstatiert, die den Stil Altdorfers
gezeitigt haben: Michael Pacher, Mantegna, Mar-
canton. Auch das ist ja kunsthistorische Mode.
Die Bedeutung der italienischen Kunst wird als
Bildungsmittel für Altdorfer zu hoch bewertet, wie
jetzt bei allen Altdeutschen. Er hat italienische
Niellen und Stiche Marcantons kopiert, aber er
tuts doch harmlos. Mit und ohne Italien bleibt
Altdorfer ein Regensburger. Über Wolf Hubers
Holzschnitte wäre mehr und neues zu sagen ge-
wesen. Da er doch ausreichend über Huber be-
richten will, hätte der Verfasser aus seinem grö-
Beren Buch über den Donaustil mehr hineinnehmen
müssen in eine Studie, die Huber zusammenfassend
darstellen soll. Eine erneute Äußerung über die von
W. Schmidt dem Huber zugewiesenen Holzschnitt-
folge der Wunder von Maria-Zell war zu erwarten.
Auch eine Bemerkung über die Stellung des Mono-
grammisten H WG zu Huber. Sind solche Dinge,
wie es fast den Anschein hat, absichtlich ver-
schwiegen worden, so möchte ich sagen, daß der
Versuch, ihn an Kritik und Zuweisung teilnehmen
zu lassen, dem Leser nützlicher ist und ihn besser
erzieht, als geistreiche Paraphrasen und klingende
Worte über Sonderart und lokale Varietät. -
Jaro Springer.
CORRADO RICCI, Geschichte der
Kunst in Nord-Italien. Mit 770 Ab-
bildungen und 4 Farbentafeln. Deutsche
Übersetzung von Dr. L. Pollak. Rom.
Julius Hoffmann. Verlag. Stuttgart 1911.
In dem unter dem Sammeltitel „Ars una species
mille“ bekannten Unternehmen der in allen Kultur-
sprachen erscheinenden Handbücher der Kunst-
geschichte ist kürzlich der zweite Band über die
norditalienische Kunst herausgekommen, dessen
Bearbeitung dem Generaldirektor der Altertümer
und schönen Künste in Rom Corrado Ricci ge-
dankt wird.
Man darf ohne weiteres der Autorität des ver-
dienstvollen Forschers für ein solches Thema
die höchsten Erwartungen entgegenbringen und
dennoch wird man überrascht von der Methode,
85
mit der hier auf einem verhältnismäßig be-
schränkten Raum eine ebenso populäre — wie
wissenschaftlich grundlegende Arbeit geleistet
worden ist. Nicht nur die anregende Form einer
entwicklungsgeschichtlichen Darstellung, die mit
bewundernswertem Dispositionsvermögen die Gren-
zen des historisch Wertvollen gegenüber allem
unnötigen Ballast absteckt, sondern mehr noch
verleiht die jedem Kapitel angefügte, oft lücken-
lose Literaturübersicht diesem Buch den Wert
eines wirklichen Handbuches und Quellenwerkes,
das ebensosehr auf den Dokumenten früherer Jahr-
hunderte wie auf den Ergebnissen der neuesten
Forschung aufgebaut ist.
In der Anlage ist Ricci einerseits der chrono-
logisch gegebenen Entwicklungslinie in der Be-
handlung des einzelnen Stoffgebietes, andererseits
aber den territorial voneinander geschiedenen Kunst-
schulen gefolgt. So bildet das einleitende Kapitel
über Ravenna und die byzantinische Kunst ge-
wissermaßen für sich die Grundlage, von der aus
die Evolution der nord-italienischen Kunst aus-
gegangen ist, während in den sechs folgenden
Abschnitten allein die Kunstgeschichte Venedigs ab-
gehandelt wird. Die Kunst der terra ferma — Padua
— Mantua — Verona — Vicenza — Brescla und
Bergamo — leitet zu dem zweiten großen Zentrum,
zu Mailand über, dessen Kunst mit ihrem Brenn-
punkt in Lionardo (der ein eigenes bedeutsames
Kapitel erbält) sich in der weiteren lombardischen
Kunst — Lodi, Cremona und Pavia — fortsetzt.
Ligurien mit Genua als Mittelpunkt und die viel-
bedeutende Kunst der Emilia werden in den letzten
der fünfundzwanzig Kapitel behandelt. Gleich-
mäßig aber sind Architektur, Plastik und Malerei
úberall fir sich berúcksichtigt worden.
Wire dieser Band seines Taschenbuchcharakters
entkleidet — ob die verlegerische Idee nach der
Seite hin wirklich so glücklich war, kann erst die
Zukunft erweisen — man hätte in dem Riccischen
Werke ein gewaltiges Kompendium der nord-
italienischen Kunstgeschichte, das den Anspruch
darauf erheben dürfte, nach dem Stande der heutigen
Forschung abschließend genannt zu werden. Der
durch die Art der Illustrierung und das Format
wie von selbst gegebene populäre Anstrich dieser
Veröffentlichung dagegen erscheint unbewußt der
wissenschaftlichen Bedeutung der Arbeit nicht
günstig. Denn an sich würde man diesem auf
jahrelangen Vorarbeiten beruhenden Handbuch gern
eine dem Werte entsprechende voluminösere Form
gegönnt haben. Und doch ist im Sinne des Ge-
samtunternehmens und seiner verlegerischen Ab-
sichten auf der anderen Seite die Form, in der
86
sich dieser Band darstellt, auch ein nicht zu ver-
kennender Vorzug. Denn dieses Buch soll mehr
als fiir die Bibliothek des Gelehrten fiir den
Reisenden bestimmt sein und schnelle Orientierung
in knappester Form ermöglichen. Die kleinen, aber
prachtvoll scharfen Abbildungen fúgen sich diesem
Zwecke vortrefflich ein und so geben die 770 Re-
produktionen, mit denen der Band úberreich ge-
schmúckt ist, ein bildliches Kompendium der ober-
italienischen Kunst wie es ähnlich bisher noch
nicht existierte.
An dieser Stelle aber, wo es nicht möglich ist,
zu dieser oder jener kunsthistorischen Frage im
Detail Stellung zu nehmen, mag zusammenfassend
der Hinweis genügen, daß Ricci in diesem Buche
eine Arbeit geleistet hat, die nicht weniger durch
die Ökonomie in der Behandlung des gewaltigen
Stoffgebietes wie durch ihre geistvolle und gründ-
liche Wissenschaftlichkeit bewundernswert ist. Sein
Buch wendet sich wohl an den großen Kreis der
Italienfahrer und Kunstfreunde und für diese wird
es der beste Cicerone sein trotz der überreichen
schon vorhandenen Literatur; den Wert dieser
Arbeit aber vermag erst der Gelehrte von Fach
abzuschätzen, dem dieses kleine, mit höchster
verlegerischer Sorgfalt ausgestattete Werk für die
Erkenntnis als fundamentales Handbuch der Kunst-
geschichte fortan unentbehrlich sein muß.
Georg Biermann.
OSWALD SIREN, Studier i floren-
tinsk renässansskulptur och andra
konsthistoriska ämnen. Wahlströms
und Widstrands Verlag, Stockholm 1909.
Für diejenigen, welche weit entfernt von Italien
leben und selten Gelegenheit haben, dorthin zu
reisen, ist es wahrlich eine schwierige Sache, dem
Verfasser auf seinen Aufspürungen der Malereien
des Lorenzo Monaco in italienischen Kirchen,
Klöstern und Museen kontrollierend zu folgen oder
den Wert seiner Distinktionen zwischen den
Schülern und Nachfolgern Giottos zu beurteilen.
Dies muß man den nicht sehr zahlreichen Spezia-
listen auf dem Felde der frühzeitigen italienischen
Malerei überlassen. — Um so dankbarer ist man
deshalb, daß er in vorliegender Studiensammiung
einen Teil allgemein bekannter Renaissancekunst-
werke zu erneuter Behandlung aufnimmt, indem
er dieselben in einem klareren ästhetischen Lichte
darzustellen oder etliche neue Gesichtspunkte zu
deren Beurteilung zu betonen versucht.
Nach seinen hübschen Einleitungsworten über
das Florenz des XV. Jahrhunderts „la citta dei flori“
wo der neue Tag anbrach, riickt der Verfasser
der ersten bedeutungsvollen Frührenaissanceskulp-
tur direkt auf den Leib. In dem Aufsatz über
Ghibertiserste Bronzetüren hebt er den Unter-
schied zwischen Andrea Pisano, dem Meister
der allerfrühesten Türen des Baptisteriums, und
Ghiberti in dessen erster größerer Arbeit hervor.
Diese vergleichende Analyse ist mit Talent ausge-
führt und zeigt, in wie hohem Grade Ghiberti von
Andrea abhängig gewesen, besonders in bezug
auf die einzelne Figur und den reichen Linien-
rythmus, aber auch zugleich, wie er sich allmáh-
lich von diesem Einfluß loslöst und dem dramatisch
Zusammengeknüpften klare Form zu geben ver-
steht. Kaum kann es etwas Verlockenderes geben,
als diesen Meister in seinem künstlerischen Wachs-
tum und seiner Entwickelung während seines
Studiums der Wirklichkeit oder der Antike zu
verfolgen. Aber nichts desto weniger bleibt bei
ihm die gotische Stimmung vorherrschend. „Er
ist“, um mit dem Verfasser zu reden, „der letzte
der gotischen Linienpoeten.“ Diesen Zug will
Verfasser just in seiner Darstellung der angeb-
lichen Ghiberti-Madonnen hervorheben, nämlich in
dem stilkritischen Aufsatz „Die Madonnen von
Donatello und Ghiberti. Dort hält er u. a.
eine, wie es scheint, sowohl gründliche wie ge-
rechte Razzia unter den vielen von W. Bode
Donatello zugeschriebenen Madonnenreliefs. Meh-
rere werden von Sirén sogar als moderne Imita-
tionen bezeichnet. Jedenfalls kann er beweisen,
daß sie nicht von Donatello sind. Ob ihm da-
gegen der Versuch, Ghiberti einige vorher unbe-
nannte Madonnen zuzuschreiben, gelungen ist, ist
schwer zu entscheiden. Sehr plausibel wirkt in-
dessen die Zuerkennung der ansprechenden mittel-
großen Terrakottastatue im Victoria- und Albert-
Museum in London. |
Der interessanteste Teil seines Buches liegt nach
der Ansicht des Rezensenten in der Untersuchung
von Ghibertis und Donatellos Verhältnis zur An-
tike. Soweit mir bekannt, hat Sirén hier mehr
Parallelen als andere Renaissanceforscher auf die-
sem Punkt aufgestellt. Jedoch haben sowohl
Wilhelm Bode wie Frida Schottmüller und
A. G. Meyer besonders auf Donatellos Abhängig-
keit von antiken Skulpturen und Steinschnitzereien
(die Kameen des Cosimo Medici) hingewiesen.
Sirén geht indes noch weiter und findet z.B., daß
des Künstlers berühmter Bronze-David zweifels-
ohne im Zeichen der Antike steht und weist auf
die im Vatikan früher unter dem Namen „Anti-
nous di Belvedere“ bekannte Hermesstatue und
mit dieser verwandte, wie der Hermes von Andrös
im Pal. Vecchio in Florenz oder andere ähnliche
aus dem Praxiteles-Kreise hin. „Es muß auf alle
Fälle“, sagt der Verfasser, „eine Statue aus der-
selben typologischen Gruppe sein, welche dem
großen Renaissancebildhauer vorgeschwebt.“ Aber
weshalb muß es gerade ein Hermes sein? Es ist
doch ein wesentlicher Unterschied zwischen diesem
männlich kräftigen Götterjüngling und der ver-
hältnismäßig zarten, unentwickelten Jünglingsge-
stalt, die sich in Donatellos Hirtenknaben offen-
bart! Der zunächstliegende olympische Jüngling
wäre doch wohl Eros, so wie er unter Praxiteles’
Meissel Gestalt angenommen hatte und dann in
zahlreichen Varianten in die späthellenische und
römische Kunst (sowohl in Freiskulptur wie in
Relief) hinúberwanderte. Einige dieser Eros-
figuren stehen, das lockenumwallte Haupt nieder-
gebeugt und halten oder hielten in der gesenkten
rechten Hand eine nach unten gerichtete Fackel.
Sie sind deswegen gewöhnlich als trauernde Todes-
genien gedeutet worden. Ob nun die populärsten
Exemplare dieses melancholischen Eros, nämlich
der sog. „Genius des Vatikans“ und „Eros in
Neapel“, in Wirklichkeit eine Fackel oder einen
Pfeil gehalten, darüber ist man, wie bekannt,
nicht ganz einig. Mir erscheint es jedenfalls glaub-
würdiger, daß Donatello seine künstlerische Idee
irgendeiner derartigen Komposition entnommen,
als einer an Körpergestalt mehr entwickelten praxi-
telischen Hermesfigur. Davids geneigter Locken-
kopf, sein gesenkter rechter Arm, sprechen dafür.
Durch den Helm, die Beinschienen, und vor allem
durch das Schwert, ist des jungen Eros neue und
ungewohnte Rolle angedeutet worden. Jedoch trotz
der Siegestrophäe zu seinen Füßen steht er noch
wie früher in wehmütige Träumereien versunken.
Man muß aber zugeben, daß verschiedene Motive
beispielsweise der Praxiteles’ Richtung angehören-
der Satyr mitgespielt haben können, und die
Schwierigkeit, zu einem exakten Resultat zu ge-
langen, liegt auf der Hand. Wie wenig wissen
wir z.B. über das, was der Meister möglicher-
weise in Fiorenz und Rom an Antiken zu sehen
Gelegenheit hatte.
Auch in seinen munteren Putten-Darstellungen
sowie in seinem kleinen, vergnügten, rundlichen
Amor oder Cupido (Amor-Herakles) spüren wir
die Inspiration von der klassischen Kunst, wäh-
rend Gattamelatas Reiterstatue freier und unbeein-
flußter ist.
Aber der gotische Linienpoet Ghiberti stand
ebenfalls in näherer Beziehung zur Antike als man
erst annehmen konnte. Denn er war, wie Siren
87
hervorhebt, ein enthusiastischer Antikensammler,
der sich aber auch direkt in seiner Kunst von der
Antike beeinflussen ließ; so z.B. in dem Wett-
bewerbs-Relief „Isaaks Opferung“, in welchem die
Aktfigur einem in den Uffizien befindlichen Satyr-
torso entlehnt ist, der einst zu Ghibertis eigenen
Sammlungen gehörte, weiter in dem stattlichen
Matteus an Or San Michele, eine Statue, die an
die griechischen Portritstandbilder а la Sophokles
erinnert, und dann, nicht zum wenigsten, in den
„Paradiestüren“ (zum Baptisterium), wo spätantike
Reliefs unstreitig die Idee zu dem reichen male-
rischen Hintergrund gegeben haben, und wo be-
sonders eine ganze Menge Nischenstatuetten in Zu-
sammenklang mit antiken Figurkompositionen zu
bringen sind.
Aus der Skulptur der Hochrenaissance wird Mi-
chel Angelos Kunst in ein Paar Querschnitten
behandelt. Der Verfasser erzählt ausführlich die
Entstehung des berühmten David, weiter von der
unvollendeten und psychologisch so ausdrucks-
vollen Matteusfigur, welche mehr als alle übrigen
Werke des Meisters seinen inneren Zwiespalt ver-
anschaulicht, und liefert schließlich eine eingehende
Darstellung von dem Ursprung und der eigent-
lichen Bedeutung der Medici-Grabmäler. Siren
‚will geltend machen, daß platonische Ideen einer
vierfachen, im Universum tätigen Kraft, die sich
in der Natur und im Menschen auf verschiedene
Art kundgibt, auf Michel Angelo beim Schaffen
der allegorischen Figuren eingewirkt haben. Eine
ganz spezielle Bezugnahme auf die vier Tempera-
mente oder Tageszeiten oder sonst ähnliches, soll
dagegen nicht bei ihm vorgelegen haben. Bei
diesem Hinweis auf die platonische Philosophie
als etwas von Bedeutung für seine Kunstschöp-
fungen hat Sirén doch einen Vorgänger in Lud-
wig v. Scheffler gehabt, was er auch bemerkt.
Nach diesen Studien in der italienischen Bild-
hauerkunst führt uns Verfasser dann zu dem un-
vergleichlichem Erklärer der Farbe und des Lichtes,
Rembrandt. In seinem Kapitel über das große
Bild des Künstlers im Nationalmuseum zu Stock-
holm „Die Verschwörung des Claudius Civilis“
gelingt es ihm, ein interessantes Verbindungsglied
zwischen Rembrandt und seinem Antipoden Rafael
herzustellen. Die Inspirationsquelle zu der aus
wenigen flüchtigen Skizzen bekannten ursprüng-
lichen Komposition dieses Gemäldes, welches,
wie man weiß, nur ein Fragment ist, sollte keine
andere als Rafaels ,,Disputa“ im Vatikan sein, ein un-
leugbar erfinderischer Einfall; jedoch, wie Siren selbst
sagt, kann nur von einer koloristischen Barocküber-
setzung der klaren einheitlichen zusammenfiigenden
88
Liniendisposition dieses Meisterwerkes von klas-
sischem Gleichgewicht die Rede sein.
Ein paar kunsttheoretische Abhandlungen, in
welchen Verfasser sich von der Kunstauffassung
eines Victor Rydberg, sowie von den Ideen, welchen
ein Wölfflin, ein Hildebrand, ein Berenson Aus-
druck verliehen, beeinflußt zeigt, schließen dieses
von gediegener Kunstbildung zeugende Buch ab.
Der Stil könnte freilich bedeutend konziser und
vornehmer sein. Verfasser zeigt eine unbezwing-
liche Neigung in die Breite zu gehen, denselben
Gedankengang zu variieren ohne eigentlich Neues
zu bringen, aber hiervon abgesehen ist Prof. Sirens
Werk , Florentinische Studien“ eine von denjenigen
Arbeiten, welche man mit reinem Gewinn aus der
Hand legt. August Hahr.
THIEME UND BECKER, Allgemeines
Lexikon der bildenden Künste. Bd.IV.
Bida-Brevoort, Leipzig.8°. 1910 (geb. 35.—).
Genau im gleichen Umfang wie der vorige
— 600 Seiten nämlich — liegt dieser vierte Band
nach einer erfreulich kurzen Pause fertig vor. Es
ist so recht ein Band der den Benutzer eines
Lexikons zur Freude und zum Nutzen gereicht.
Über die großen Meister kann man sich ja leicht
anderswo informieren, und über die Bernini, Bellini,
Bibiena findet man Monographien oder umfang-
reiche monographische Arbeiten in Zeitschriften
leicht genug. Es sind die kleinen Leute die der
Lexikonbenutzer sucht. Im vorliegenden Band mit
seinen beiläufig 4500 Titeln gibt es überhaupt nur
zehn Titel die sich über mehr als zwei Seiten er-
strecken, und nur Böcklin sowie „Botticelli“ er-
reichen den Umfang von sechs Seiten. Stich-
proben haben mir wieder überall die Zuverlässig-
keit und besonders auch die Ausgiebigkeit des
Werks erwiesen. Bei einer so ausgedehnten Mit-
arbeiterschaft ist ausgeglichene GleichmiBigkeit
natürlich nicht zu erreichen. Vielleicht ermöglicht
es aber die Zentrale durch Winke an die Mit-
arbeiter, dieser wenigstens noch etwas näher zu
kommen. So fällt mir z. B. auf, daß der wirklich
bedeutende Maurice Boutet de Monvel nur 25 Zeilen
zugewiesen erhalten hat. Wenn man sieht, daß
z. B. die wirklich unbedeutende Rita Boemm
19 Zeilen hat, so springt das starke Mißverhältnis
ins Auge. Selbst Henri Boutet hätte mehr Raum
verdient, schon um den Interessen der zahlreichen
Sammler seiner Kunst zu entsprechen. Eine
Neuerung — wenigstens bin ich in den früheren
Bänden noch nicht darauf gestoßen — ist, daß
kunstgewerbliche Firmen (z. B. Bing und Gröndahl)
aufgenommen werden. бо auffallend das im ersten
Augenblick in einem Kinstlerlexikon, das doch
rein Persónliches bieten soll, erscheint, so hat es
doch seine Berechtigung. Namentlich bei aus-
lándischen Architekten, und neuerdings auch bei
Deutschen, wird man die Firmen nicht umgehen
können.
Von größeren Artikeln in diesem Band, der mir
das Unternehmen nicht nur auf der Höhe zu halten
sondern sogar zu steigern scheint, führe ich noch
an: A. G. B. Russell über Blake, H. A. Schmid
über Boecklin, E. Tietze-Conrat über Giovanni
Bologna, E. Schaeffer über Bordone, W. Cohen
über Bosch von Aeken, С. Gamba über Botticelli,
J. Baum über Bramante und Н. Röttinger über
die beiden Breu. Hans W. Singer.
KOCH, HUGO, Sächsische Garten-
kunst. Berlin, Verlag Deutsche Bau-
zeitung 1910. (M. 13.50.)
Der Verf. hat für ein lokal begrenztes Gebiet
der Gartenkunst Material in erstaunlichem Umfang
zusammengetragen. Sämtliche in alten Plänen oder
in Resten noch existierende Denkmäler alter Garten-
kunst auf sächsischem Boden werden vorgeführt.
Urkundliche Notizen und zeitgenössische Stimmen
unterstützen die Beschreibungen.
Der Titel „Sächsische Gartenkunst“ erweckt die
Vorstellung, als habe der Garten in Sachsen einen
besonderen lokalen Charakter getragen: Das ist
nicht der Fall. Es ergibt sich aus des Verf. Arbeit
nicht, daß die Gartenkunst hier eine andere Ent-
wicklung genommen hat als im übrigen Deutsch-
land. Vielleicht ist es möglich, wenn einmal auch
andere Provinzen derart gründlich beackert sind,
lokale Besonderheiten festzustellen. Prinzipiell
neues für die Komposition wird sich allerdings
kaum ergeben. Es kann sich nur um ornamen-
tale Züge handeln. Interessant wäre z. B. eine
Untersuchung, worin das Eigentümliche der hollän-
dischen Gärten bestanden hat und wie weit sich
ihr Einfluß erstreckte. Einige z. T. hypothetische
Bemerkungen hierzu finden sich bei Koch.
Doch werden derartige Gesichtspunkte nur kurz
berührt. Uber die chronologische Ausbreitung des
Materials ist der Verf. nicht hinausgekommen.
Eine systematische Gliederung nach Typen und
einzelnen Motiven hitte gewiß dem Buch und
der Sache besser gedient. Selbst die Einreihung
der Gärten in die üblichen Kapitel (Renaissance,
Barock, Rokoko) ist nicht immer geglückt. Der
türkische Garten (Abb. s), Seerhausen (Abb. 7),
die Privatgärten Abb. 16 und 17 sind keine Re-
naissanceanlagen. Das Motiv des großen Kanals
(S. 30), die Fortsetzung der Gartenplanung in die
Landschaft (8. 35) gehören dem Barock.
Die Entwicklung vom Barock- zum Rokoko-
garten, für die Sachsen besonders reiches Material
besitzt, hätte noch deutlicher dargestellt werden
können. Einen Ansatz dazu macht der Verf. in
dem Vergleich von Groß-Sedlitz mit Lichtenwalde
(S. 186f.).
So gründlich der Verf. über das Tatsächliche auf
sächsischem Boden orientiert ist, so schief oder
unrichtig sind seine gelegentlichen Bemerkungen
über die Gartenkunst außerhalb des Landes (8. 42 f.).
Piero Ligorio, der Schöpfer der Gartenanlage der
Villa d’Este, habe die Vereinigung der Architektur
mit der Gartenkunst durchgeführt „durch die im
weiteren Umkreis des Hauses stufenfórmig ge-
steigerte Befreiung des Gartens von allen Künste-
leien.“ Giov. Fontana „sagte sich von der strengeren
Architektur völlig los und machte diese als eine
Nebenkunst der gärtnerischen Wirkung dienstbar.“
Le Nötre hat, wie die gleichzeitigen Zeichnungen
und Stiche gegen den Verf. beweisen, nicht höhere
Heckenwände angeordnet und die Bäume höher
hinauf unter der Scheere gehalten als es bereits
im XVI. Jahrhundert in Italien üblich gewesen
war. Der Heckenfanatismus und das pedantische
Ausmerzen aller atektonischen Elemente ist eher
holländischen Ursprungs und hat erst zu Beginn
des 18. Jahrhunderts die Physiognomie der Gärten
bestimmt.
Im zweiten (kürzeren) Abschnitt, „der landschaft-
liche Garten“ wird stofflich eine Menge geboten,
dem eigentlichen Problem aber nicht näher ge-
treten. Definitionen wie die, daß „im Seifersdorfer
Tal die Sentimentalität, in Machern die Romantik
ihre Blüte erreicht“, scheinen wenig prägnant.
Die „Schlußbetrachtungen‘“ enthalten ein Programm
des Verf. für die heutige Gartengestaltung, worin
er mit Recht die räumliche Wirkung betont. Da
der Verf. Architekt ist, kann er seine Theorien
hoffentlich bald in die Praxis umsetzen, wobei nur
zu wünschen ist, daß seine Gärten eine übersicht-
lichere Gliederung und mehr Verständnis für das
Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen zeigen als
dieses Buch.
Die 300 Abbildungen sind, soweit sie alte Pläne
und eigne Grundrißaufnahmen des Verf. bringen
sehr erwünscht. Die leider in sehr schlechten
Klischees erscheinende Gartenplastik Sachsens, die
der Verf. nur en passant bespricht, verdiente eine
zusammmenfassende Darstellung. Grisebach.
89
Aa
GIOVANNI SEGANTINIS SCHRIFTEN
UND BRIEFE!), bearbeitet und heraus-
gegeben von Bianca Segantini. Verlag
von Klinkhardt & Biermann, Leipzig.
Es würde für die gesamte Kunstwelt einen un-
ersetzlichen Verlust bedeuten, wenn Segantinis
Tochter Bianca dem Drängen treuer Freunde nicht
nachgegeben hätte, „Giovanni Segantinis Schriften
und Briefe“ im Verlag von Klinkhardt & Biermann
in Leipzig zu veröffentlichen. Bilden doch diese
schriftlichen Äußerungen des genialen Malers ein
neues schätzenswertes Dokument für die unum-
stößliche Tatsache, daß der große Künstler vom
großen Menschen nicht zu trennen, daß ein be-
deutender schöpferischer Geist ohne hervorragende
menschliche Eigenschaften nicht denkbar ist.
Jedoch die verstärkte Erkenntnis dieser Wahrheit,
die wir beim Lesen dieser Kúnstler-Schriften еге
langen, ist keineswegs der wertvollste Teil vom
Inhalt dieses Buches. Das weitaus bedeutendste
‚darin sind die Bekenntnisse einer großen Seele
über Kunst und Leben. Selbst wenn man die
durchaus subjektiven Anschauungen und häufig
autokratischen Urteile Segantinis über die ver-
schiedenartigsten Materien nicht immer teilt, wird
man der Wucht seiner Argumente, dem Ernst
seiner Lebensauffassung, der Tiefe seiner Natur-
betrachtung, der Begeisterung seiner erhabenen
Kunstanschauung die Bewunderung nicht versagen.
Es war hohe Zeit, daß wieder ein so Großer
wie dieser kam, um mit solchem Nachdruck von
einer Schönheit in der Kunst zu sprechen. Einer
Schönheit, die zu suchen und bildlich zu ver-
körpern er nicht müde ward, und auf die er in
seinen Schriften immer wieder hinwies, um dann
als Pfadfinder eines neuen Schönheitsideals die
Formel zu prägen: „Die Kunst ist die Liebe in
Schönheit gehüllt.“ — Ist es doch noch gar nicht
so lange her, daß manche Leute allen Ernstes
glaubten, es als ein neues Evangelium verkünden
zu müssen: daß die Schönheit in der Kunst als
ein überwundener Standpunkt anzusehen sei und
auch in ihr ale höchste Potenz nur das Streben
nach Wahrheit gelten dürfe. Es ist nur gut, daß
die Welt rund ist und sich drehen muß. Und so
gewahren wir heute bereits ganz untrügliche Zeichen
für das Abwenden von dem eine zeitlang herrschen-
den Mode-Naturalismus und das Hinneigen zu
einer Kunst, die sich aus der harmonischen Ver-
bindung von Wahrheit und Schönbeit ergibt. Wie
П
(1) Obwohl diese Würdigung verspätet erscheint, darf sie
als besonders interessant willkommen geheißen werden,
weil ein Künstler über den Künstler Segantini spricht.
Die Red.
90
eben jede große Kunst in allen bedeutsarhen
Perioden. Der allein auch Segantini das Wort
redet, indem er in einem an seinen Freund Tumiati
gerichteten Brief sich äußert: „Im Nachdenken wird
die Kunst wiedergeschaffen. Der Plebs will, daß die
Kunst leicht und dem Auge zugänglich sei, ohne
daß der Gedanke in Mitleidenschaft gezogen wird,
und doch ist die Kunst ein Formgedanke, ein
Farbengedanke, ein Harmoniegedanke, ein Liebes-
und Schönheitsgedanke, der alle Dinge umgibt.“
Mit der gleichen Leidenschaftlichkeit, womit er
über seine Kunst spricht, äußert er sich unter
anderen auch über Politik und Religion. Immer
nur Eigenes bietend, wirkt er stets anregend,
bedeutsam und hinreißend. Sein Absolutismus
wird uns leicht erklärlich, sowie man sich ver-
gegenwärtigt, daß dieser Große auch ein ganz
Einsamer war, der, abseits vom Getriebe der Welt,
in der ihn umgebenden grandiosen Gebirgsland-
schaft nur seiner Kunst lebte. Das nicht umfang-
reiche und doch во köstliche und inhaltreiche Buch
beginnt mit Fragmenten der Selbstbiographie des
Künstlers, bietet ferner Schriften über Kunst —
Selbstbekenntnisse und Gedanken — und schließt
mit Briefen an Freunde und Kollegen, Gönner
und Landsleute und den rührenden Episteln an
seine Gattin. Es enthält soviel Gutes und Schönes,
daß man es immer wieder gern zur Hand nimmt,
um sich aufs neue in seinem Inhalt zu vertiefen.
Ernst Kiesling.
HENRI CORDIER, La Chine enFrance
au XVIII’ siècle. Paris, Henri Laurens,
Editeur, 1910.
Wenn man mit der Forderung, etwas über das
bisher Erreichte und Bekannte Hinausgehendes zu
finden, an jedes wissenschaftliche Buch heranzu-
treten gewöhnt ist, wird man von vorliegender
Arbeit des berühmten Chinaforschers einigermaßen
enttäuscht sein; denn sie bescheidet sich mit der
Rolle „wissenschaftlicher Unterhaltungalektúre“,
mit der Wiedergabe einer Menge von Einzelheiten,
wie sie in den Rahmen des Vortrags, aus dem
das Buch herausgewachsen ist, eben hineingehen
wollten. Diese Einzelheiten sind zumeist bekannt.
nur hie und da sind willkommene Zusätze geboten,
wozu ich namentlich die Geschichte der über Be-
fehl Kaiser Kien Lounge 1765—74 in Frankreich
gestochenen Szenen aus dem chinesischen Feld-
zug von 1759 rechnen möchte, weil hier das natür-
liche Ergänzungsthema des Buches — la France
en Chine — anklingt. Infolge dieser lockeren
Aneinanderfügung der Details sinkt die China-
begeisterung Frankreichs im XVIII. Jahrhundert
auf das Niveau einer Eintagsmode herab, da die
treibenden kulturellen Motive, wie sie etwa Andreae
in seinem reichhaltigen Beitrag in der Festschrift
für Gustav Schmoller darzulegen versucht hat,
keine Berücksichtigung fanden. Das rein kunst-
historische Interesse geht noch leerer aus; die
charakteristische Umformung chinesischer Motive
bei europäischen Nachahmern, die Fortbildung zu
den „gotischen“ Details nicht nur der klassischen
englischen Möbelstile, sondern auch in den ersten
naiven Äußerungen des kontinentalen Mediaevalis-
mus sind nicht einmal angedeutet, so daß auch
hier als bloße Wunderlichkeit erscheint, was doch
auch ästhetisch seine guten Gründe besitzt. Trotz
alledem — oder vielleicht gerade deshalb — liest
sich das anspruchslose Buch angenehm und er-
freut außerdem durch den vornehmen Reichtum und
gediegenen Geschmack der Ausstattung, worin die
französischen Verlage nicht immer vorbildlich sind.
Hans Tietze.
o
FELIX LORENZ, Mailand. Stätten der
Kultur. Band 25. Leipzig, Klinkhardt
& Biermann.
Das sehr reizvoll geschriebene Büchlein, im
munteren, leichten Plaudertone erzählend, führt in
kurzen Zügen den Leser durch Geschichte und
Kultur Mailands von den Tagen der etruskischen
Gründung Melpum hin zu der Metropole der
italienischen Industrie und den Tagen des Chavez-
schen Alpenfluges.
Wer zum ersten Male über die Alpen kommt,
das Land deutscher Sehnsucht zu schauen und
wer von südlicher Frühlingswärme und südlichem
Leben und Treiben geträumt hat, wird in Mal-
land enttäuscht. Ihm wird das kleine Büchlein
ein willkommener Führer sein, der ihm diese Stadt
näher bringt und ihm die verborgenen Schön-
beiten und die reichen Kunstschätze erschließt,
der ihn von der unendlich mannigfaltigen Kultur-
entwicklung des Lebens dieser Stadt berichtet und
von ihren historischen Begebenheiten. Das nordisch-
deutsche Bild, das der flüchtige Betrachter dieser
Stadt, wenn er nur einen Tag oder noch weniger
dort weilte, mit sich trägt, weicht bei besserer
Kenntnis dem einer Stadt voll südlichen Lebens
und dem der Tätigsten aller italienischen Städte.
Die glückliche Lage an einem der allerwichtigsten
Alpenpässe, die ausgezeichnete Rassenmischung
seiner Bewohner und zur Macht ihrer Stadt klug
beitragende Fürsten haben bewirkt, daß Mailand
seit alten Zeiten unter den Städten Italiens den
stolzen Beinamen „La Grande“ führt.
Der Verfasser führt meist an Hand der archi-
tektonischen Denkmäler der vergangenen Zeiten
von der römischen Stadt Mediolanum, zu den
Tagen der Macht des Erzbischofs Ambrosius bis
zum Longobardischen Reiche. Die Longobardische
Herrschaft vergeht, der Kampf zwischen Kaiser
und Papst erregt auch Mailand und seine Bürger.
Das Voik entscheidet sich für seinen Bischof, es
geht vor gegen alles, was deutsch heißt. Der
glänzende Sieg über den Kaiser läßt das Bürger-
tum seine Macht erkennen; die Republik und aus
ihr mit logischer Folge die Diktatur eines Einzelnen
wird geboren. Unter den Viscontis und dem
nachfolgenden Geschlechte der Sforza blüht Mai-
land von Neuem auf. Die einzelnen Machthaber
und ihre Kunstschöpfungen ziehen an uns vor-
über, Giangaleazzo Visconti, der Erbauer des hoch-
ragenden, prunkvollen Kastells, Francesco Sforza,
der Filarete von Florenz zum Bau des großen
Hospitals berufen lieB, und Lodovico il Moro,
unter dessen glúcklicher Regierung alle Kúnste
blühen, der einen Lionardo an seinen Hof zu
fesseln vermag. Mit ihm ist aber auch der schóne
Blútentraum der Stadt ausgetráumt. 178 Jahre
kommt Mailand unter spanische Herrschaft. Der
Priester wird wieder der eigentliche Herrscher der
Stadt, für Wissenschaft und Kunst wird noch viel
getan, doch nicht mehr mit der Selbstverstindlich-
keit der Fürsten aus dem Sforzageschlechte. Es
entsteht der Bau der Ambrosiana mit der unver-
gleichlichen Bibliothek, der Bau des Brerapalastes,
zunichst eine Hochburg gegen die Ketzer, dann
hundert Jahre spiter die kostbare Gemildesamm-
lung beherbergend. Alle Geschlechter arbeiten
fort an dem Bau des größten Kunstwerkes der
Stadt dem Dome, der erst in den letzten Jahren
durch die Bronzetüren Polaghis zum abge-
schlossenen Kunstwerk wurde. Auf die Spanier
folgte die Herrschaft der Osterreicher tiber Mai-
land bis 1796 Napoleon in Mailand einzieht. Aber
erst vom Tage der Befreiung Italiens von der
Herrschaft der Fremden, vom Tage der Einigung
Italiens an datiert der unerhörte wirtschaftliche
Aufschwung der „Città grande“, es wird die
moderne Stadt Italiens.
Wenn an diesem Buche eine Ausstellung ge-
macht werden darf, so wäre es die, daß der Ver-
fasser die letzten Zeiten der Stadt vor der Einigung
Italiens zu kurz und zu summarisch behandelt hat,
im Gegensatze zu seiner reizvollen Schilderung
der Glanzzeiten unter den Visconti und Sforza,
aber diese Beschränkung erscheint durch die Auf-
gabe der Sammlung erklärlich.
Hanns Schulze.
91
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
Heft 4:
AUGUST L. MAYER, El Greco in Toledo (ro Abb.).
W. R. VALENTINER, Stefano Magnasco (5 Abb.).
FELIX LINDBERG, Meine Entdeckung des
Schmerzensmannes in der Nikolaikirche zu Leipzig
(6 Abb.).
HARRY DAVID, Ein Kupferstich der Baldinischule
als Beitrag zu den Beziehungen zwischen Diirer
und Leonardo (2 Abb.).
BERTHOLD HAENDCKE, Die Profankunst im
frühen Mittelalter. Eine grundsätzliche Erörterung.
DER CICERONE.
Heft ı:
G. voN TEREY, Die Greco-Bilder der Sammlung
Nemes (1 Taf. 4 Abb.).
MAX SAUERLANDT, Die Fayencemanufaktur von
Abtsbessingen (то Abb. und zahlreiche Marken).
ED. FLECHSIG UND CHRISTIAN SCHERER,
Das Vaselsche Vermächtnis an das Herzogliche
Museum in Braunschweig (6 Abb.).
Heft a:
AUGUST L. MAYER, Die ,,Altspanische Aus-
stellung“ in der Galerie Heinemann in München
(11 Abb.).
WALTER BOMBE, Die Vorbereitungen für eine
Ausstellung italienischer Porträtkunst aus drei Jahr-
hunderten in Florenz.
—
KUNST UND KUNST HANDWERK.
Heft 12:
HARTWIG FISCHEL, Die Ausstellung öster-
reichischer Kunstgewerbe im k. k. Osterreichischen
Museum fiir Kunst und Industrie (93 Abb.).
KARL M. KUZMANY, Aus dem Wiener Kunst-
leben.
— a e
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST.
Heft 10:
SCHNÜTGEN, Die Sammlung Schnütgen VII.
1 Taf.
JOS. BRAUN, Ein Pluviale mit Kapuze. 1 Abb.
Stück des XII. Jahrhunderts des Halberstädter
Domschatzes.
JOS. BRAUN, Eine alte Kopie des Wallfahrts-
bildes zu Maria-Zell. 2 Abb.
Im Besitze des Verfassers. XVI. Jahrhundert.
FRITZ WITTE, Neue Hoffnungen?
FRITZ WITTE, Perugia-Tiicher. 5 Abb.
JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Ein Ikon
im Sinaikloster. 1 Abb.
02
SCHNÚTGEN, Spitgotisches Tonmedaillon als
Andachtsbildchen. ı Abb.
Niederrheinisch, XV. Jahrhundert;
werpener Privatbesitz.
im Ant-
—
DIE CHRISTLICHE KUNST.
Heft 4:
KARL BRUCHMANN, Der Dom zu Trier; eine
baugeschichtliche Studie. 6 Abb.
ANDREAS HUPPERTZ, Die
Richters. 1 Abb.
HANS SCHMIDKUNZ, GroBe Berliner Kunstaus-
stellung 1910. (Schluß.)
Berichte.
Kunst Ludwig
—
KUNST UND KÜNSTLER.
Heft 5:
GABRIEL VON TEREY, Die Sammlung Marcell
von Nemes (6 Abb.). e
DU QUESNE — VAN GOGH, Erinnerungen an
Vincent Van Gogh (4 Abb.).
ERNST KÚHNEL, Indische Miniaturen (11 Abb.).
SLEVOGTS NEUE ZEICHNUNGEN fúr Kinder-
búcher (11 Abb.).
HANS THOMA, Ein Brief und vier Jugendarbeiten
(4 Abb.).
CURT GLASER, Die Neuerwerbungen des Berliner
Kupferstichkabinetts (4 Abb.).
DIE KUNST FÜR ALLE.
Heft то:
DR. JOS. AUG. BERINHER, Wilhelm Trübner.
Zu seinem 60. Geburtstag, 3. Febr. 1911 (1 farb.
Taf. u. 15 Abb.).
G. J. WOLFF, Fritz Osswald (8 Abb.).
OSKAR FRIEDRICH LUCHNER,
Plattner (8 Abb.).
Christian
THE STUDIO.
Jan.:
A. LYS BALDRY: Recent decorative work and
sculpture by Mr. УУ. Reynolds-Stephens (1 farb.
Taf. u. 18 Abb.).
J. B. MAUSON, The paintings of Alexander
Jamieson (1 farb. Taf. u. 8 Abb.)
Some etchings by HERMAN A. WEBSTER (7 Abb.).
T. MARTIN WOOD, A note on Mr. Edward
J. Detmold's drawings and etchings of animal
life (2 farb. Taf. u. 6 Abb.).
PROF. JIRO HARADA, Japanese temples and their
treasures (2 farb. Taf. u. 12 Abb.).
THE BURLINGTON MAGAZINE.
January 1911.
ROGER FRY, A portrait of Leonello d'Este by
Roger van der Weyden (1 farb. Taf. u. 1. Abb.).
LYONEL CUST, Notes on pictures in the Royal
Collections. — XX. The equestrian portraits of
Charles 1 by Van Dyck. — П. (2 Abb.).
TANCRED BORENIUS, A Sacra Conversazione
in the Hermitage (4 Abb.).
PAUL LAFOND, Ox—yokes in the north of
Portugal (5 Abb. auf 1 Taf.).
A. CLUTTON-BROCK, The Post-Impressionists.
HERBERT CESCINSKY, The furniture of the
Gillow Cost-books — П (5 Abb.).
EGERTON BECK, Monvaerni
(3 Abb.).
and Montbas
THE ART JOURNAL.
January 1911:
ROBERT ROSS, The Wertheimer Sargents (8 Abb.).
A. L. BALDRY, New decorations in Bridgewater
House (9 Abb.).
R. E. О. SKETCHLEY, Tewkesbury (11 Abb.).
RASSEGNA D’ARTE.
fasc. 11:
FRANCESCO MALAGUZZI VALERI, Oreficeria
Reggiana (31 Abb.).
GIULIO NATALI, Un frammento degli affreschi
della Pellucca (Abb.).
Weibliche Halbfigur in der Galerie Malaspina
zu Pavia.
PIETRO BUZZETTI, Arte ed artisti nel contado
di Chiavenna (12 Abb.).
TANCRED BORENIUS, Un disegno di Benedetto
Carpaccio (2 Abb.).
Stellt eine Marienkrönung dar; weitläufigere
frühere Fassung des Bildes im Palazzo Comunale
zu Capodistria, das auf der diesjährigen Mostra
ausgestellt war. Die Zeichnung wird im Kupfer-
stichkabinett in Kopenhagen aufbewahrt.
fasc. 12:
FRANCESCO MALAGUZZI VALERI, Oreficeria
Reggiana D (32 Abb.).
ALESSANDRO DEL VITA, Angelo di Lorentho
d'Arezzo (4 Abb.).
Dem einzigen bisher bekannten Werk des von
Vasari úberlieferten Meisters, der Madonnen-
lunette in 8. Domenico, gesellt V. mehrere in
Arezzo aufbewahrte Sante Conversazioni zu.
R. D'A., Una deposizione del Basaiti (Abb.).
Neuerwerbung der Brera. Signiert. Nach R. d'A.
nach 1510 entstanden.
RAFFAELLO GIOLLI, L'Arte intelvese e la sua
esposizione (4 Abb.)
REVUE DE L'ART CHRÉTIEN.
бе livraison. Novembre-Décembre 1910:
LOUISE PILLION, Le vitrail de la fontaine de
vie et de la nativité de saint Etienne á l'eglise
Saint-Etienne de Beauvais. 7 Abb.
E. LEFEVRE-PONTALIS, Le plan d’une mono-
graphie d'église et le vocabulaire archéologique.
1 Taf., 4 Abb.
JOS. CASIER, L'exposition de (Art beige au
XVII e siècle; Bruxelles, Juin-Novembre 1910. 1 Taf.,
8 Abb.
ALPH. GOSSET, Les fresques d'Alphonse Périn
а Notre-Dame de Lorette. 4 Abb.
CHRONIQUE. 3 Taf., 13 Abb.
BIBLIOGRAPHIE.
STARYJE GODY.
Dezember:
W. LINKOWSKY. Les modéles d'architecture
en Russie. 0 Abb.
A. D'ESCRAGNOLLES-TAUNAY. Nicolas-Antoine
Taunay 1785—1830. 7 Abb.
W. STCHAWINSKY. Le Maitre des paysages
d'hiver. 5 Abb.
Behandelt die Person eines unbekannten, nieder-
ländischen Landschaftsmalers, der dem Jan
Breughel I (1568 — 1625) und Abraham Govaerts
(1589 —1626) am nichsten steht und aus Ant-
werpen zu stammen scheint. Als Ausgangs-
punkt dienen drei Gemälde im Petersburger
Privatbesitz sowie eine Federzeichnung in der
Ermitage.
W. ADARJIRKOW. Ergänzungen und Rekti-
fikationen zu dem „Lexikon russischer gestochener
Portraits“ von D. A. Rovinsky.
93
CARL PEREZ, Tizians schmerzensreiche Madonnen.
3 Abb. Verlag Alfred Hölder, Wien. Preis М. 1.30.
Verf. versucht ein in seinem Besitz befindliches
Bild, das bereits Hans Tietze (Cicerone Jahrg. I,
1909, Heft 10) als eine Werkstattarbeit von guter
Qualität in die Literatur eingeführt hat, als ein
Originalwerk Tizians zu erweisen und stellt bei
dieser Gelegenheit die übrigen Tizian und seiner
Werkstatt zugeschriebenen „Schmerzensreiche
Madonnen“ in drei Gruppen zusammen.
LODOVICO DOLCE. Dialogo della Pittura con
l’aggiunta di varie rime e note. Introduzione e
note di Guido Battelli. Firenze, Succ. Le Monnier
1910. Preis 2 Lire.
Diese neue Ausgabe des berühmten, für die
Kunstgeschichte und noch mehr die Ästhetik
des Cinquecento unentbehrlichen Dialogs hat
die Vorzüge der anderen Neudrucke des Ver-
lags: korrekten Text (nach der Originalausgabe
von 1557), angenehmen Druck und handliches
Format. Die Zusammenstellung des Dialogs mit
Briefen von Dolce, Aretino, Tizian u. a. ist ge-
schickt, die Anmerkungen fleissig gearbeitet.
V
OSCAR BIE, Reise um die Kunst. Verlag Erich
Reiss, Berlin. Preis br. M. 4.—, geb. M. 5.—.
Inhalt: Asthetische Kultur / Uber den Genuß
alter Kunst / Alfred Messel / Osterreichische
Kunst / Eine kleine Städtereise | Die rote Brücke /
Ein Sommer / Das Wetter / Terrassen / Hotel /
Erinnerung an die Natur / Der technische Sinn /
Held oder Abenteurer / Der moderne Zauberer /
Pfauenschleppe | Elektra / Akrobatik | Tänze /
Altfranzósische Kunst / Cézanne / Menzel /
Walter Leistikow / Kind und Kunst / Auf einen
geschenkten Brockhaus / Die Asthetik der Lige.
FELIX POPPENBERG, Das lebendige Kleid. Ver-
lag Erich Reiss, Berlin. Preis br. M. 3.50, geb.
М. 4.50. Mit zahlreichen Illustrationen.
Inhalt: Zweckästhetik | Materialästbetik / Kunst
auf der Straße | Autos / Schiffe / Hauskulturen /
Das schwedische Landhaus | Westende / Das
deutsche Bauernhaus / Sylt / Interieur | Neue
Landhäuser | Das lebendige Museum / Moral.
Beide Werke sind als unterhaltende Lektüre
von Wert. Der geistvolle Plauderton und das
starke Temperament ihrer Verfasser heben sie
aus den Büchern ähnlichen Charakters bedeut-
sam heraus. Die Ausstattung ist vortrefflich.
WALTER MANNOWSKY, Die Gemälde des
Michael Pacher. Verlag Georg Müller, München.
Preis geh. M. 8.—, geb. M. 9.50.
WILLY HELLPACH, Das Pathologische in der
modernen Kunst. Verlag Carl Winters Buch-
handlung, Heidelberg. Preis М. 1.—.
DIE KUNST- UND ALTERTUMSDENKMALE
IM KONIGREICH WURTTEMBERG. (Donau-
kreis.) Paul Neff Verlag (Max Schreiber), Esslingen.
Lieferung 27/28. Preis jeder Lieferung M. 1.60.
_ JOSEF PONTEN, Rethel. (Klassiker d. Kunst ХУП.)
Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.
A. VENTURI, La storia dell' Arte Italiana VI.
La pittura del quattrocento. Parte I. Verlag
Ulrico Hoepli, Mailand.
VITTORIO MALAMANI, Canova. Ebenda.
TOM VIRZI, Raphael and the portrait of Andrea
Turini. Verlag David Nutt, London. Price 4/ net.
TOM VIRZI, Raffaello e il ritratto di Andrea Turini
Ebenda. Price 4/ net.
PROF. Dr. HAENDCKE, Kunstanalysen aus neun-
zehn Jahrhunderten. Ein Handbuch fir die Be-
trachtung von Kunstwerken. 2. Auf, Verlag George
Westermann, Braunschweig. Preis geb. М. 10.—.
R. W, CARDEN, The life of Giorgio Vasari. A
study of the later Renaissance in Italy. Verlag
Lee Warner, London. Price 16 s. net.
T. H THOMAS, French portrait engraving of the
seventeenth and eighteenth century. Verlag О. Bell
& Sons, Ld. London. Price 158 net.
c. HÜLSEN, П libro di Giuliano da Sangallo,
codice Vaticano Barberiniano latino 4424. Con
introduzione e note. Testo con 106 illustrazioni
e 17 tavole. Verlag Otto Harrassowitz, Leipzig.
VAN DEN GHEYN, Histoire de Charles Martel.
Reproduction des roa miniatures de Loyset Liédet
(1470). Verlag Vromant, Brüssel. Preis 20 fr.
IV. Jahrgang, Heft II.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, WIS, Emserstr. 221. [| In
MUNCHEN: Dr. M. К. КОНЕ, Miinchen, Elisabethstr. 44. / In OSTERREICH: Dr. KURT RATHE,
Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill Lodge
Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, Bookhorststraat 22a. / In FRANKREICH:
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11.
Die Monatshefte fiir Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
94
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Tafel 15
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Abb. 3. JUAN DE RUELAS: Die Ausgießung des hl. Geistes Sevilla, Museum
Zu: AUGUST L. MAYER, JUAN DE RUELAS
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Tafel 16
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Abb. 4. Der Hochaltar der Universitätskirche zu Sevilla mit Arbeiten von MONTANEZ, PACHECO,
RUELAS, VARELA und LEGOTE
Zu: AUGUST L. MAYER, JUAN DE RUELAS
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Vetralla, Chiesa di San Francesco
PAOLO DA GUALDO, Monumento di Briobris
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Roma, 8. Maria del Priorato
PAOLO DA GUALDO, Monumento di Bartolomeo Carafa
Zu: ANTONIO MUNOZ, MEISTER PAOLO DA GUALDO
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Tafel 21
(Holzschn.)
HANS HOLBEIN D. J., Zylindrische Sonnenuhr
HANS HOLBEIN Р. J., Nocturnal (Holzschn.)
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HANS HOLBEIN D. J., Große Mauersonnenuhr (Holzschn.)
Zu: E. MAJOR, BASLER HOROLOGIENBUCHER MIT HOLZSCHNITTEN VON HANS HOLBEIN D J.
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Tafel 23
HANS HOLBEIN D. J., Kleine Mauersonnenuhr (Holzschn.)
HANS HOLBEIN D. J., Zeichen der Zwillinge (Holzschn.)
Zu: E. MAJOR, BASLER HOROLOGIENBUCHER MIT HOLZSCHNITTEN VON HANS HOLBEIN DL
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HANS HOLBEIN D. J., Zeichen des Löwen (Holzschn.)
Tafel 24
Zu: E. MAJOR, BASLER HOROLOGIENBUCHER MIT HOLZSCHNITTEN VON HANS HOLBEIN D. J.
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Tafel 25
HANS HOLBEIN D. J., Zeichen des Schützen (Holzschn.)
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HANS HOLBEIN D. J., Aufgezäumtes Pferd (Handzeichnung der öff. Kunst-
sammlung, Basel)
Zu: E. MAJOR, BASLER HOROLOGIENBUCHER MIT HOLZSCHNITTEN VON HANS HOLBEIN D. J.
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Monatshefte fúr Kunstwissenschaft
Abonnementspreis halbjährlich 12 M., zusammen mit dem CICERONE 18 M.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT 3
ABHANDLUN EN DICTIONNAIRE DES SCULPTEURS DE
un D Р L'ÉCOLE FRANCAISE раг Stanislas Lami
EDUARD F » Der Meister des Haus- Gindebrandùꝶ):ꝛ: eee eee 8: 140
buche als Zeichner für den Holzschnitt. Mit
siebzehn Abbildungen auf acht Tafeln 8. 95
ERNST COHN-WIENER, Die italienischen Eje- und Maler des XVIII. Jahrhunderts.
н йе®тапд&)............... 8. 131
mente in der romanischen Kirchenarchitektur (иш
Elsaß-Lothringens. Mit6Abb.auf2Taf. S. 116 DENKMÄLER DER KUNST IN DALMATIEN
EDMOND und JULES DE GONCOURT, Stecher
WILLY F. STORCK, Bemerkungen zur französ.- (Biermann) 8. 132
englischen Miniaturmalerei um die Wende des ARDUINO COLASANTI, Gentile da Fabriano
XIV. Jahrhund. Mit а Abb. auf 1 Tafel 5. тад (Веша%)................. 8. 133
H. O. SCHALLER, к und Landschaft
MISZELLEN Freyer ĩ 8. 134
SCHÚCHLINS LORCHER MAURITIUS. THOMAS DE KEYSERS Tätigkeit als Maler.
ALTAR (Baum). ))) 8. 127 (Bredius))- eee eee eeee 8. 135
URKUNDLICHES ZUM MEISTER DER HOLZ. CURT HERRMANN, Der Kampf um den Stil
, HAUSEN-BILDNISSE (?) (Simon). . 6. 127 (Czapeeeke ooo ooo. 8. 137
M. MEURER, Vergleichende Formenlehre des
LITERATUR Ornamentes und der Pflanze (Lüthgen) 8. 138
KURT FREISE, Pieter Lastman, Sein Leben, Rundschau 8. 140
seine Kunst (Bredius). ......... 8.129 Neue Bücher 8. 143
Я. S. DREY Ausstellung
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MÜNCHEN ` | Verkauf wertvoller Skulpturen,
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ALTER MEISTER UND KOSTBARER
ANTIQUITATEN
DER MEISTER DES HAUSBUCHS ALS
ZEICHNER FÚR DEN HOLZSCHNITT
Mit siebzehn Abbildungen auf acht Tafeln Von EDUARD FLECHSIG
ie Leser dieser Zeitschrift erinnern sich wohl noch der seltsamen Rundfrage,
die im Januar 1910 im Cicerone (2. Jahrg., Heft 2, S. 71—74) unter dem Titel
„Ex ungue leonem“ erschien, und der Aufklärung, die ich dann im 6. Heft (März),
S. 193 gab. Am Schlusse stellte ich dort über das Werk, um das es sich handelte,
den Drachschen „Spiegel der menschlichen Behaltnis“ und die darin enthaltenen
Holzschnitte des Hausbuchmeisters einen größeren Aufsatz in Aussicht. Dieser soll
nun hier folgen!). Bevor ich mich jedoch zur Sache äußere, muß ich etwas weiter
ausholen und zunächst über den äußeren Verlauf meiner Studien, sodann über einige
glückliche Umstände berichten, durch deren Zusammentreffen ich in die Lage ver-
setzt wurde, in der Hausbuchmeister-Forschung eine besondere Stellung einzu-
nehmen und einen größeren Vorsprung vor meinen Fachgenossen zu gewinnen.
Für jeden, der sich mit dem deutschen Holzschnitt zur Zeit Schongauers und
Dürers beschäftigen will, ist und bleibt Rich. Muthers „Bücherillustration der
Gotik und Frührenaissance“ trotz des flüchtig geschriebenen und in vielen tat-
sächlichen Angaben unzuverlässigen Textes noch heute ein unentbehrliches Werk,
das sich jedenfalls — man sollte es wenigstens meinen — in allen größeren Kupfer-
stichsammlungen, in der Bibliothek eines jeden größeren Museums befindet. Als
ich im Herbst 1895 das Erbe Wesselys am Herzogl Museum in Braunschweig an-
trat, fand ich jedoch zu meinem Bedauern das Buch nicht vor. Die Mittel, es an-
zuschaffen, hatten bisher gefehlt und fehlten noch einige Jahre lang. Endlich —
ich kann den Tag noch genau angeben, es war der 18. November 1899 — traf es
hier ein. Ich beginne sofort den Tafelband langsam durchzublättern. Auf einmal
zwingt mich eine starke Erregung, inne zu halten, mein Blick fällt eben auf die
Seiten 64 und 65. Welche Überraschung! Holzschnitte des Hausbuchmeisters,
wer hätte sie hier erwartet? Wie viel hundert Augen mochten schon auf ihnen
geruht haben, und niemand hatte ihren Schöpfer erkannt? Also nicht nur Stecher,
nicht nur Maler, sondern nun auch noch Zeichner für den Holzschnitt! Ein paar
Jahre lang, zuletzt 1897, hatte ich mich eifrig, aber ohne rechtes Glück, abgemüht,
ihm auf die Spur zu kommen, und da lag sie nun plötzlich vor mir, sie brauchte
nur verfolgt zu werden. Denn wo das Buch, dem Muther diese Holzschnitte ent-
nommen hatte, gedruckt war, da hatte der Zeichner aller Wahrscheinlichkeit nach
auch gewohnt. Dieser Schluß lag nahe. Aber wo war es denn gedruckt? Ich
schlage das Inhaltsverzeichnis nach. Muther gibt für die Tafeln 64—66a an:
„io Blätter aus der 5. Ausgabe des Spiegels menschlicher Behaltnis, Basel, Bernhard
Richel, 1476“ und verweist auf die Beschreibung im Textband Nr. 134. Das mußte
ein Irrtum sein. Ich kannte eine Anzahl von Holzschnitten aus dieser Baseler Aus-
gabe, sie waren völlig anders als die von Muther veröffentlichten. Da war guter
Rat teuer. Zunächst freilich mußte ich den Wunsch, das Rätsel zu lösen, fast ge-
waltsam in mir zurückdrängen. Meine Cranachstudien waren noch im Druck, zum
Teil im Manuskript noch nicht einmal fertig, meine Ausgabe der Cranachschen
(1) Der Verfasser bittet bemerken zu dürfen daß das Manuskript dieses Aufsatzes bereits in der
2. Hälfte des August 1910 an die Redaktion abgegangen ist. Es konnte jedoch in Anbetracht seines
Umfanges erst jetzt veröffentlicht werden. Anm. der Red.
Monatshefte für Kunstwisseaschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 3. 8 95
Gemälde sollte ebenfalls bald erscheinen. Beides mußte erst hinter mir liegen.
Endlich, als das Frühjahr 1goo da war, war auch die Bahn frei für die Frage,
deren Lösung mir von der größten Tragweite für die deutsche Kunstgeschichte zu
sein schien. Aber wo ich mich auch erkundigte, niemand konnte mir sagen, aus
weicher Ausgabe des Heilsspiegels die ro Proben bei Muther entnommen waren.
An Muther wollte ich mich nicht wenden, er hätte es womöglich selbst nicht mehr
gewußt. Schließlich kam ich auf den Gedanken, bei der Direktion der Hof- und
Staatsbibliothek in München, aus deren Beständen Muther wahrscheinlich seinen
Tafelband zusammengestellt hatte, anzufragen. Anfang Mai 1900 hatte ich die Ant-
wort und zugleich das Buch: es war die von Peter Drach in Speier gedruckte
Ausgabe (Hain *r4935). Noch waren darin die Holzschnitte, die Muther zur Nach-
bildung bestimmt hatte, mit Bleistift angestrichen.
Was mir die ro Nachbildungen schon zur Genüge gesagt hatten, das bestätigten
nun die sämtlichen Holzschnitte des Originals: sie waren vom Hausbuchmeister
gezeichnet. Und Speier, nicht Frankfurt oder Mainz, wie ich 1896 mit anscheinend
guten Gründen nachzuweisen versucht hatte, war der Ort seiner Tätigkeit. In
dieser Zeit erschien im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen (Bd. XXI) die
große Abhandlung von Henry Thode über die Malerei am Mittelrhein im XV. Jahr-
hundert. Thode wandelte darin auf der Suche nach dem Hausbuchmeister noch
in den alten Geleisen und fügte nur zu den schon bekannten Hypothesen eine neue
hinzu, indem er die Vermutung aussprach, der Frankfurter Maler Martin Hess sei
der Meister des Hausbuches.
Ich hatte von Anfang an nicht die Absicht, meine Entdeckung sofort der Öffent-
lichkeit vorzulegen. Nicht etwa, weil ich ihr irgendwie mißtraut hätte. Im Gegen-
teil, nie ist mir eine wissenschaftliche Beobachtung so unwiderleglich erschienen,
wie diese, nie in den ganzen zehn Jahren, die seitdem verflossen sind, ist mir auch
nur einmal der Gedanke gekommen, daß ich mich geirrt haben könnte. Aber ich
hatte die Überzeugung, daß die nun gefundene Spur noch weiter führen müsse, daß
die Holzschnitte im Drachschen Heilsspiegel nicht die einzigen sein könnten, die
der Meister gezeichnet habe, und daß man nur an der Hand der Holzschnitte bis
zu der Person des Meisters vordringen und seine Lebensumstände ermitteln könne.
Ich wollte also ruhig abwarten, was alles noch kommen würde. Was ich dann
wirklich gefunden habe, habe ich nicht gesucht, es ist mir fast wie von selbst in
den Schoß gefallen. Aber dann stellten sich zugleich andere, dringlichere Aufgaben
ein, und der Plan einer größeren Veröffentlichung, den ich, sobald alle diese Studien
abgeschlossen waren, ins Auge gefaßt hatte, mußte immer wieder verschoben
werden und kam schließlich nicht mehr zur Ausführung. Daß ich aber das viele
Neue, was ich über den Hausbuchmeister als Zeichner für den Holzschnitt zu sagen
hatte, von Anfang an nicht als Geheimnis gehütet habe, wissen meine Freunde
und Bekannten in Leipzig, meine engeren Fachgenossen in Dresden, Berlin, München,
Darmstadt, Basel, Wien, London, Amsterdam und anderwärts; es wissen auch noch
manche andere Leute. Der erste auswärtige Fachgenosse, dem ich von dem Er-
gebnis meiner Untersuchungen Mitteilung machte, war der als Forscher auf dem
Gebiete des ältesten deutschen Kupferstichs und Holzschnittes hoch verdiente
Dr. Wilhelm Schmidt, damals noch Direktor des Münchener Kupferstichkabinetts.
Er stimmte mir ohne weiteres zu und gab mir sogar am 4. Dezember 1900 brief-
lich aus freien Stücken die Erlaubnis, ihn als Bestätiger meiner Ansicht zu nennen,
falls ich es für wünschenswert halten sollte. Es folgten im Juni 1go2 Max Lehrs,
im Oktober oder November 1902 Daniel Burckhardt, von denen Lehrs auf meine
96
Bitte das Prager, Burckhardt das St. Galler Exemplar des Drachschen Heilsspiegels,
die mir nicht zuginglich waren, durchsah. Auch ihre Antwort lautete so, wie ich
erwartet hatte. Mit dieser Erklirung der drei bedeutenden Kenner war jedem
ernsthaften Widerstand, der mir sonst noch hätte erwachsen können, von vorn-
herein die Spitze abgebrochen.
Hier muß ich noch eines Mannes gedenken, der mich in meinen späteren Studien
in ungewöhnlicher Weise unterstützt hat. Ich meine den mir befreundeten Sammler
August Vasel, Gutsbesitzer in Beierstedt bei Jerxheim. Im Sommer 1900 blätterte
ich zufällig einmal in dem großen fast 8 Jahre vorher veröffentlichten Antiquariats-
katalog Nr. до (Incunabula xylographica et chalcographica) von Ludwig Rosenthal
in München. Eine Abbildung auf S. 61 lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich.
Sie war einer unter Nr. 228 verzeichneten Ausgabe des Spiegels der menschlichen
Behaltnis entnommen, die mit keiner der bisher von den Bibliographen beschriebenen
übereinstimmen sollte. Ich konnte leicht feststellen, daß der Holzschnitt von dem-
selben Holzstock abgedruckt sein mußte, wie der entsprechende in der Drachschen
Ausgabe. Herr Vasel war immer stolz, wenn er seine Kupferstichsammlung um
eine neue Seltenheit bereichern konnte. Dazu schien sich hier wieder eine Ge-
legenheit zu bieten. Ich stellte ihm vor, was für ein Glück es wäre, wenn er zu
seinen kostbaren Stichen des Meisters E. S. пип vom Meister des Amsterdamer
Kabinetts über 250 noch ganz unbekannte Holzschnitte gleich auf einmal erwerben
könne. Im Vertrauen auf mein Urteil ging er auf meinen Vorschlag ein und schrieb
an Rosenthal. Und das Glück war ihm wirklich günstig, das Buch hatte noch
keinen Käufer gefunden, er kaufte es sofort und sandte es mir am ı. November 1900
zu. Ich konnte feststellen, daß es eine 2. Auflage des Drachschen Heilsspiegels
sei, die als solche tatsächlich den Bibliographen ganz unbekannt geblieben war,
an Güte des Druckes mit der ersten Auflage allerdings nicht vergleichbar, aber
trotzdem noch ein kostbarer Besitz. Von der liebenswürdigen Erlaubnis Vasels,
das Buch solange zu behalten, wie ich es zu meinen weiteren Studien nötig hätte,
habe ich sehr ausgiebig Gebrauch gemacht. Erst nach Abschluß aller meiner
Untersuchungen, Ende 1902, hat er es zurlickerhalten. Dann, als ich im Oktober 1906
mit einem Verleger wegen einer Veröffentlichung des Heilsspiegels in Verbindung
getreten war, hat mir Vasel das Buch nochmals gesandt, und seitdem ist es in
meiner Verwahrung geblieben und nach dem am 3. Juni 1910 erfolgten Tode Vasels
mit dessen kostbarer, rund 7000 Blätter zählender Kupferstichsammlung als Ver-
mächtnis von ihm in den dauernden Besitz des Herzogl. Museums in Braunschweig
übergegangen. In meinem Arbeitszimmer hat es also im Ganzen etwa 6 Jahre
jeden Augenblick zu meiner Verfügung gestanden, dort hat es auch dieser und jener
von den Fachgenossen, die mich besuchten, gesehen, durchblättert oder auch ge-
nauer studiert, der eine mehr oder weniger zweifelnd, der andere vollkommen
überzeugt, je nach dem Grade seiner Kennerschaft auf diesem Gebiete.
Ende 1903 hat Aug. Vasel bei Julius Zwissler in Wolfenbüttel ein ansehnliches
Verzeichnis seiner Sammlung veröffentlicht, das sich als Geschenk des Besitzers
vermutlich in jeder größeren Kupferstichsammlung Deutschlands befindet. In diesem
Verzeichnis ist der Spiegel der menschlichen Behaltnis auf S. 361 unter Nr. 6210
aufgeführt und seine .Holzschnitte sind unter Hinweis auf meine Angaben hier zum
ersten Male vor aller Welt als Werke des Hausbuchmeisters bezeichnet.
Durch die Erwerbung des seltenen Heilsspiegels hat Aug. Vasel nicht nur mir,
sondern mittelbar auch der ganzen kunstgeschichtlichen Forschung einen großen
Dienst erwiesen, ich glaubte es deshalb dem Verstorbenen schuldig zu sein, da
97
wo ich von der Geschichte meiner Studien über den Hausbuchmeister berichte,
auch seiner Unterstützung ausführlich zu gedenken.
Ich gehe nun dazu über, die Ergebnisse meiner Untersuchungen im einzelnen
mitzuteilen.
Der von Peter Drach in Speier gedruckte Spiegel der menschlichen Be-
haltnis (Speculum humanae salvationis), Hain *14935, ist ein Folioband von 7 nicht
gezählten und 228 gezählten Blättern. Der Satz ist gespalten, die Länge der
Kolumnen und die Zahl der Zeilen ist ganz unregelmäßig. Das Buch beginnt mit
einer Lage von 3 Bogen (6 Blättern), die in einigen Exemplaren nicht mehr vor-
handen ist. Alle folgenden Lagen bis zum Schluß bestehen aus 4 Bogen (8 Blättern).
Blatt т der т. Lage ist leer, Bl. 2 enthält die Vorrede, die folgendermaßen beginnt:
[D] Je da vil volckes | vnderwisen zu ge | rechtikeit die wer | dent schynende al | so
die sternen in d’ | ewigen selikeyt.
BL 3a—6a folgt das Register, Bl. 6b ist leer.
BL 7a (das erste Blatt der 2. Lage) enthält nur den Titel, der links in der
oberen Hälfte steht und die Breite einer Kolumne einnimmt. Er lautet:
Das ist der spiegel der menschen be
haltnis mit den ewangelien vnd mit
epistelen nach der zyt des iars
Die Rückseite des 7. Blattes ist leer. Mit BL 8a beginnt der eigentliche Text
des Heilsspiegels und die Blattzählung (mit römischen Ziffern). Das Buch schließt
mit den Worten: Dar vmb sint durchnechtig als | uwer hymelischer vatter ist
durchnechtig. || Dann folgt noch auf einer Zeile für sich: Deo gratias., und darunter
das Druckerzeichen des Peter Drach in Speier, zwei an einem querliegenden Aste
aufgehängte Wappenschilde, in dem linken ein gefliigelter Drache, in dem rechten
ein Baum zwischen zwei Sternen auf einem Dreiberg, beide Bilder weiß auf
schwarzem Grunde. Eine Nachbildung dieses Deo gratias mit dem Drachschen
Druckerzeichen befindet sich im т. Bande von Muthers Biicherillustration auf dem
2. Blatt.
Der Drachsche Heilsspiegel enthält 277 Holzschnitte, die Zahl der verwendeten
Holzstöcke beträgt jedoch nur 253, von denen eine größere Anzahl zweimal, einige
sogar dreimal abgedruckt worden sind. Die Anordnung ist in der Regel so, daß
über jedem Holzschnitt, meist in einer großen, außer für den Titel sonst nicht
weiter verwendeten Type, eine kurze Erklärung des Gegenstandes nebst der Angabe
der Schriftstelle steht (Proben bei Muther II, Taf. 64 und 65), während unter dem
Holzschnitt der Text in einer kleineren Type folgt. Die wenigsten Holzschnitte
haben eine rechteckige Einfassung mit vier Linien, in der Hauptsache sind es nur
solche, bei denen sich der Vorgang in einem Innenraum, z. B. im Tempel oder im
Richthaus, abspielt. Die meisten Vorgänge sind ins Freie verlegt. Diese Holz-
schnitte haben dann nur unten und an den Seiten Begrenzungslinien, von denen die
seitlichen nur so hoch sind, wie der Erdboden ist oder wie dicht am Rande stehende
Personen oder Gegenstände reichen. Diese Art der Begrenzung ist bedeutungsvoll,
sie findet sich nur selten im Bücherholzschnitt des XV. Jahrhunderts und weist
fast immer auf den Hausbuchmeister hin.
Die Breite der Holzschnitte schwankt zwischen 70 und 78 mm, in der Regel
sind sie so breit wie eine Kolumne (77—78 mm). Die Höhe ist sehr verschieden.
Die größte Höhe beträgt 107 mm. Holzschnitte, die an verschiedenen Stellen von
demselben Stock abgedruckt sind, haben nie genau dieselben Maße, wenn auch der
98
Unterschied oft nur gering ist. Der Grund liegt in der größeren oder geringeren
Befeuchtung des Papiers vor dem Druck.
Der Drachsche Spiegel der menschlischen Behaltnis Hain *14935 ist ungewöhnlich
selten. Nachdem ich im November und Dezember 1900 und dann noch einmal im
Februar 1902 bei etwa 170 Bibliotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz
angefragt hatte, ergab es sich, daß nur 7 Exemplare nachzuweisen seien. Diese
befinden sich in folgenden Bibliotheken: ı. München, Hof- und Staatsbibliothek.
2. München, Universitätsbibliothek. 3. Breslau, Königl und Universitätsbibliothek.
4. Wien, Hofbibliothek. 5. Olmütz, Studienbibliothek. 6. St. Gallen, Stifts-
bibliothek. Dazu kommt noch 7. Paris, Bibliotheque nationale. Das Britische
Museum besitzt die Ausgabe nicht. Möglich ist, daß noch einige Exemplare in
englischen und holländischen Biichersammlungen vorhanden sind.
Die beiden Münchener, das Breslauer und das Olmützer Exemplar habe ich dank
dem Entgegenkommen der Bibliotheksverwaltungen verschiedene Male im Herzogl.
Museum gehabt, gewöhnlich mehrere zu gleicher Zeit, so daß ich sie aufs genaueste
miteinander vergleichen konnte, Am wenigsten gut ist das der Münchener Uni-
versitätsbibliothek. Es ist unvollständig, und die Holzschnitte sind koloriert. Durch
das fast überall wiederkehrende stark deckende Zinnoberrot und Schweinfurter Grün
ist die Zeichnung oft arg entstellt worden.
Auffällig ist die Tatsache, daß die von mir untersuchten Exemplare, die alle der-
selben Auflage angehört haben müssen, manche Verschiedenheiten zeigen, die auf
Änderungen des Satzes während des Druckes zurückzuführen sind. Das bezieht
sich nicht nur auf einzelne Buchstaben und Initialen, sondern auch auf die Stellung
zweier Holzschnitte (der beiden Gekreuzigten, Nr. 116 und 122 des folgenden Ver-
zeichnisses). Roth weist in seiner Geschichte und Bibliographie der Buchdruckereien
zu Speier im XV. und XVI. Jahrhundert (1. Hälfte, Speier 1894) auf derartige Ver-
schiedenheiten als auf eine Eigentümlichkeit der Drachschen Druckerei hin.
Ich gebe nun zunächst ein Verzeichnis sämtlicher 277 Holzschnitte genau in der
Reihenfolge, wie sie in dem Drucke Peter Drachs aufeinanderfolgen, und zwar nach
dem Breslauer Exemplar, in dem der Holzschnitt Nr. 116 an der richtigen Stelle steht.
1. Der Sturz Luzifers. 19. Jephta opfert seine Tochter.
2. Die Erschaffung der Eva. ао. Die Königin von Persien schaut von dem
3. Gott spricht mit Adam und Eva. hängenden Garten nach ihres Vaters Land.
4. Eva und die Schlange. 21. Der grünende Stab Josephs.
5. Der Sündenfall. a2. Die Vermählung Marias.
6. Die Vertreibung aus dem Paradies. 23. Die Vermählung des jungen Tobias.
7. Adam und Eva bei der Arbeit. 24. Der Turm Paris.
8. Noah in der Arche. 25. Der Turm Davids mit tausend Schilden.
9. Der Engel verkündet Joachim die Geburt Marias. 26. Die Verkündigung.
то. Der Traum des Königs Astyages. 27. Moses vor dem feurigen Busch.
її. Der verschlossene Garten mit dem versiegelten 28. Gideon und sein Fell.
Brunnen. ag. Elieser und Rebekka.
12. Bileams Eselin und der Engel. 30. Die Geburt Christi.
13. Die Geburt Marias. 3x. Der Traum des Mundschenken Pharaos.
14. Die Wurzel Jesse. 32. Der blúhende Stab Aarons.
15. Die verschlossene Pforte. 33. Kaiser Augustus und die tiburtinische Sibylle.
16. Der Tempel Salomos. 34. Die Verkiindigung an die Hirten.
17. Der erste Tempelgang Marias. [gezogen. 35. Die Beschneidung.
18. Der Tisch der Sonne wird aus dem Meere 36. Simeons Weissagung an Maria.
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38.
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82.
83.
84.
85.
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Die Anbetung der Kónige.
Die drei Könige sehen den Stern.
Die drei starken Männer bringen David Wasser.
Salomos Thron.
Die Darstellung im Tempel. `
Die Bundeslade.
Der siebenarmige Leuchter.
Samuels Darstellung im Tempel.
Die Flucht nach Agypten.
Die Jungfrau mit dem Kinde, das Götzenbild
der Agypter.
Der kleine Moses zerbricht die Krone Pharaos.
Nebukadnezars Traum von einem Götzenbilde.
Der zwölfjährige Jesus im Tempel.
Die Taufe Christi.
Das eherne Meer.
Naeman badet im Jordan.
Die Bundeslade wird von zwei Männern ge-
Die Versuchung Christi. [tragen.
Daniel tötet den Drachen zu Babel.
David tötet Goliath.
David erschlägt einen Bären und einen Löwen.
Die Hochzeit zu Kana.
Jesus predigt dem Volke das Evangelium.
Jesus heilt einen Bettlägerigen.
Jesus heilt einen Aussätzigen.
Jesus schläft während des Seesturms im Schiffe.
Jesus heilt einen Besessenen.
Jesus mit der Samariterin am Brunnen.
Magdalena wäscht Jesus die Füße.
König Manasse im Gefängnis.
Die Rückkehr des verlorenen Sohnes,
David und Nathan.
Jesus und die Ehebrecherin.
Das Wunder mit den fünf Gerstenbroten und
den zwei Fischen.
Die Verklärung Christi.
Salomos Urteil.
Die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel.
Die Auferweckung des Lazarus.
Kaiphas berät mit den Pharisäern.
Der Einzug in Jerusalem.
Jeremias weint über Jerusalem.
David wird nach Goliaths Tötung mit Jubel
empfangen.
Heliodor wird zu Tode gegeiBelt.
Das Abendmahl.
Die Mannalese.
Die Juden essen das Osterlamm.
Melchisedek bringt Abraham Brot und Wein.
Die Fußwaschung.
Christus am Ölberg.
Der Verrat des Judas (steht hier fälschlich
statt Nr. 90).
100
87.
88.
89.
90.
gi.
92.
93-
94.
95.
96.
97.
98.
99.
100.
101.
102.
103.
104.
105.
106.
107.
108.
109.
110.
ІІІ.
112.
113.
114.
115.
116.
117.
118.
119.
Simson tötet seine Feinde mit dem Esels-
kinnbacken.
Sangar tötet seine Feinde mit der Pflugschar.
David tötet seine Feinde mit dem Schwert.
Die Häscher fallen vor Christus zu Boden (steht
hier fälschlich statt Nr. 86).
Joab ersticht Amasa auf verräterische Weise.
Saul wirft seine Lanze auf David.
Kain erschlägt Abel.
Die Verspottung Christi.
Hur wird von den Juden verspottet.
Noah wird von Ham verspottet.
Simson wird von den Philistern verspottet.
Die Geißelung Christi.
Achior wird an einen Baum gebunden.
Lamech wird von seinen zwei Frauen ge-
schlagen.
Hiob wird von seiner Frau und dem Teufel
gemißhandelt.
Die Dornenkrönung.
Apame setzt ihres Mannes Krone auf ihr
eigenes Haupt.
Abisai will Simei, den Widersacher Davids,
erstechen.
Amon will dem Boten Davids den Bart ab-
schneiden.
Pilatus wäscht sich die Hände.
Die Kreuztragung.
Der Zug der Schächer zum Richtplatz.
Abrahams Opfer.
Der Erbe des Weingartens wird von den
Knechten getötet.
Die Kundschafter mit der Traube.
Die Anheftung ans Kreuz.
Jubal und Tubalkain beim Schmieden.
Jesaias wird zersägt.
Der König der Moabiter erschlägt seinen Sohn
auf der Mauer.
Christus am Kreuz mit Maria und Johannes.
Der Schächer zur Rechten Christi.
Der Schächer zur Linken Christi.
Nebukadnezar sieht im Traum einen großen
Baum.
120. Der Tod des Königs Kodrus.
121.
122.
123.
124.
125.
126.
127.
138.
Eleasar und der Elefant.
Christus am Kreuz mit Maria, Johannes, Lon-
ginus und dem gliubigen Hauptmann.
Michal verspottet den harfespielenden David.
Absalons Tod.
Evilmeradach zerhackt den Leichnam seines
Vaters Nebukadnezar.
Die Kreuzabnahme.
Jakob erhált den blutigen Rock Josephs.
Adam und Eva mit dem Leichnam Abels.
1209.
130.
131.
132.
133.
134.
135.
136.
137.
138.
139.
140.
141.
142.
143.
144.
145.
146.
147.
148.
149.
150.
151.
15a.
153.
154.
155.
156.
157.
158.
159.
160.
161.
163.
163.
Naemi beklagt den Tod ihrer beiden Söhne.
Die Grablegung.
Das Begräbnis Abners.
Joseph wird in eine Zisterne geworfen.
Jonas wird ins Meer geworfen.
Die vier Abteilungen der Vorhdlle.
Die drei Knaben im feurigen Ofen.
Daniel in der Léwengrube.
Der Strauß befreit sein Junges aus dem Glase.
Christus überwindet den Teufel.
Benaja ersticht einen Löwen.
Simson erwürgt einen Löwen.
Ehud ersticht den König Eglon.
Maria überwindet den Teufel.
Judith enthauptet Holofernes.
Jael tötet Sissera.
Tomyris enthauptet Cyrus.
Christus erlöst die Erzväter aus der Hölle.
Auszug der Kinder Israel aus Ägypten.
Gott erlöst Abraham aus dem Feuer zu Caldäa.
Lot zieht aus Sodom.
Die Auferstehung.
Simson mit den Toren von Gaza.
Der Fisch speit Jonas aus.
Der Stein, den die Werkleute verworfen hatten,
wird zu einem Schlußstein verwandt.
Die drei Marien am Grabe.
Christus als Gärtner.
Christus erscheint den drei Marien und zwei
Jüngern.
Christus mit der Kreuzfahne erscheint seinen
Jüngern.
Christus als Pilger mit der Kreuzfahne auf
dem Wege nach Emmaus.
Christus mit der Kreuzfahne inmitten seiner
Jünger hinter einem gedeckten Tisch.
Christus erscheint seinen Jüngern am See
Tiberias.
Christus mit. der Kreuzfahne von seinen Jüngern
umgeben — 157.
Der ungláubige Thomas.
Die Himmelfahrt.
164. Jakobs Traum von der Himmelsleiter.
165.
166.
167.
168.
169.
170.
171.
172.
173.
Christus als guter Hirte.
Elias Himmelfahrt.
Die Ausgießung des heiligen Geistes.
Der Turmbau zu Babel.
Die Juden empfangen die zehn Gebote.
Der Ölkrug der Witwe.
Maria umgeben von Erinnerungen an Christi
Leben und Leiden.
Die Abreise des jungen Tobias.
Das Weib, das von то Pfennigen einen ver-
loren hat.
174.
175.
176.
177.
178.
179.
180.
181.
182.
183.
184.
185.
186.
187.
188.
189.
190.
191.
192.
193.
194.
195.
196.
197.
198.
199.
200.
201.
202.
203.
204.
205.
206.
207.
208.
209.
Michal wird wider ihren Willen einem anderen
Manne vermählt.
Maria neben Christus thronend.
Die Bundeslade wird von zwei Männern ge-
tragen.
Das geflúgelte Weib auf dem Halbmond.
Salomo mit seiner Mutter auf einer Bank.
Der Tod Marias.
Maria beschútzt mit ihrem Mantel den geist-
lichen und weltlichen Stand.
Moses fúbrt wider die Stadt Saba Krieg.
Der Tod Abimelechs.
Michal läßt David zum Fenster hinab.
Maria bittet Gott fúr die Menschheit.
Abigail beschwichtigt David.
Das Weib von Thekoa mildert Davids Zorn
gegen Absalon.
Die weise Frau von Abel mildert Joabs Zorn
gegen ibre Stadt.
Das jüngste Gericht.
Der ungetreue Knecht.
Die klugen und törichten Jungfrauen.
Belsazar sieht Gottes Hand schreiben.
Christus zeigt Gott seine Wunden.
Antipater zeigt Julius Cäsar seine Wunden.
Maria zeigt Christus ihre Brüste.
Esther kniet vor Ahasver. |
Die Pein der Verdammten in der Hölle.
Davids Rache an den Einwohnern von Rabba.
Gideons Rache an den Leuten zu Suchoth.
Der Untergang der Ágypter im roten Meer.
Die Freuden der Seligen im Himmel.
Die Königin von Saba vor Salomo.
Das Festmahl des Königs Ahasver.
Das Mahl der Kinder Hiobs.
Der verlorene Sohn erhält von seinem Vater
sein Erbteil.
Der verlorene Sohn begibt sich auf die Reise.
Der Tanz des verlorenen Sohnes.
Der verlorene Sohn hütet die Schweine.
Die Rückkehr des verlorenen Sohnes = 67.
Das Mahl nach der Rückkehr des verlorenen
Sohnes.
210—224. Die 15 Vorzeichen des jüngsten Gerichts.
210.
211.
212.
213.
214.
215.
216.
Das 1. Zeichen: Das Meer erhebt sich.
Das 2. Zeichen: Das Meer verschwindet.
Das 3. Zeichen: Wunderbare Geschöpfe kom-
men aus dem Meer.
Das 4. Zeichen: Flammen schlagen aus dem
Meere auf.
Das 5. Zeichen: Die Vögel versammeln sich.
Das 6. Zeichen: Alle Gebäude stürzen ein.
Das 7. Zeichen: Die Steine schlagen anein-
ander.
тот
217. Das 8. Zeichen: Erdbeben, Mensch und Tier 244. Die Blinden, Lahmen und Krummen werden
fallen nieder. geladen.
218. Das о. Zeichen: Alles Erdreich wird eben. 245. Christus (Dr mit den Súndern.
219. Das то. Zeichen: Die Menschen gehen ein- 246. Christus mit drei Júngern im Schiff.
her und kónnen nicht reden. 247. Der wunderbare Fischzug.
220. Das 11. Zeichen: Die Toten stehen aus den 248. Die wunderbare Speisung.
Gräbern auf. 249. Christus redet mit den Juden.
221. Das 12. Zeichen: Sterne fallen vom Himmel. 250. Christus weint über Jerusalem.
222. Das 13. Zeichen: Die Menschen sterben. 251. Die Heilung des Taubstummen.
223. Das 14. Zeichen: Himmel und Erde brennt. 252. Der Mensch, der unter die Mörder gefallen ist.
224. Das 15. Zeichen: Die Toten stehen aus den 253. Der barmherzige Samariter.
Gräbern auf = 220. 254. Christus heilt vier Aussätzige.
225—228. Die anderen Vorzeichen des jüngsten 255. Die Auferweckung des Jünglings von Nain.
Gerichts. 256. Die Heilung des Wassersüchtigen.
225. Das 1. Zeichen: Die schlimmen Lehren des 257. Die Kreustragung == 107.
Antichrists. 258. Das Abendmahl = 80.
226. Das 2. Zeichen: Die falschen Zeichen und 59. Christus am Olberg — 85.
Wunder des Antichrists. 260. Die Gefangennahme Christi — 86.
227. Das 3. Zeichen: Die Gaben, die der Anti- 261. Pilatus wäscht sich die Hände = 106.
christ seinen Nachfolgern übergibt. 262. Die Dornenkrönung == 102.
228. Das 4. Zeichen: Die Pein, die der Antichrist 263. Die Anheftung ans Kreuz = 112.
den Menschen antut. 264. Christus am Kreuz mit Maria, Johannes,
229. Das jüngste Gericht. Longinus u. dem gläubigen Hauptmann = 122.
230. Die Juden weinen. 265. Die Darstellung im Tempel — 41.
231. Die Heiden weinen. 266. Die Flucht nach Agypten = 45.
232. Die Súnder weinen. 267. Der zwölfjährige Jesus im Tempel = 49.
233. Die Ungläubigen weinen. 268. Die Gefangennahme Christi — 86 und 260.
234. Alle Menschen weinen. 269. Christus am Kreuz mit Maria und Johannes
235. Christus und die Boten des gefangenen Täufers. = 116.
236. Johannes der Täufer und die Juden. 270. Die Kreuzabnahme = 126.
237. Der reiche Mann bei Tisch. 271. Die Himmelfahrt = 163.
238. Der arme Lazarus. 272. Die Verkündigung = 26.
239. Der arme Lazarus in Abrahams Schoße. 273. Die Geburt Christi = 30.
240. Der reiche Mann in der Hölle. 274. Die Anbetung der Könige — 37.
241—244. Das Gleichnis vom großen Gastmahl. 275. Die Darstellung im Tempel = 41 und 265.
241. Der Erste kauft ein Dorf. 276. Der zwölfjährige Jesus im Tempel — 49 u. 267.
242. Der Zweite kauft fünf Joch Ochsen. 277. Maria neben Christus thronend == 175.
243. Der Dritte nimmt ein Weib.
Zu diesem Verzeichnis habe ich zweierlei zu bemerken:
т. Die Holzschnitte Nr. 86 und до stehen beide, wie schon der zugehörige Text
beweist, an falscher Stelle. Denn die im XV. Jahrhundert oft dargestellte Szene
(Joh. 18,6), wo die Häscher auf Christi Wort „ich bin es“ zurückweichen und zu
Boden fallen, gehört zeitlich vor die Gefangennahme. Außerdem sind Nr. 87—89
nicht die alttestamentlichen Vorbilder für 86 und Nr. 91—93 nicht die für 90. Die
Holzstöcke von Nr. 86 und 90 sind also vom Setzer miteinander vertauscht worden.
2. Nach dem Text beginnen mit Nr. 272 die sieben Freuden der Maria. Dar-
gestellt sind aber nur sechs, es fehlt zwischen 272 und 273 die zweite Freude,
die Heimsuchung. Die Überschrift für den Holzschnitt steht freilich da: „Die ander
freud vnser lieben frauwen. Maria grüßet Elisabeth als sie gieng vber das gebirg
Lucas am ersten capitel“, aber darunter folgt ein leerer Raum, gerade so groß,
wie zum Einsetzen des Holzstockes nötig war. Man könnte denken, der Holzstock
102
sei zwar vorhanden gewesen, aber kurz vor dem Druck wieder aus dem Satz her-
ausgenommen worden, weil er zu stark beschädigt war, oder auch, er sei abhanden
gekommen, und was für Möglichkeiten es sonst noch gibt. Indessen es läßt sich
beweisen, daß der fehlende Holzschnitt der Heimsuchung nie vorhanden gewesen,
also weder geschnitten, noch gezeichnet worden ist. Davon später noch.
Die Holzschnitte sind der Mehrzahl nach in den besten Drucken bisweilen von
einer Feinheit und Klarheit der Linien, daß sie in der Wirkung Kupferstichen
nahekommen.
Wie ich schon in der Einleitung kurz erwähnte, ist der Drachsche Heilsspiegel
noch einmal in einer zweiten Auflage erschienen, was den Bibliographen, soweit
ich gesehen habe, bisher entgangen ist. Vermutlich ist es der Druck, der von
Hain unter Nr. 14934, von Ebert unter Nr. 21582b verzeichnet worden ist. Er
hat weder eine Angabe des Druckortes und Druckers, noch des Druckjahres, ist
aber nach den Typen ein Erzeugnis der Drachschen Druckerei. Die Holzschnitte
sind von denselben Stöcken abgedruckt, wie die der bezeichneten Drachschen Aus-
gabe. Da nun das Geschäft Peter Drachs sich auf seinen Sohn und seinen Enkel,
die beide den Vornamen Peter hatten, vererbte und erst 1530 erlosch, so ist es
kaum wahrscheinlich, daß diese die Holzstöcke an einen fremden Drucker abge-
treten hätten. Also auch das spricht dafür, daß die zweite Auflage aus der Drach-
schen Druckerei hervorgegangen ist. Sie ist auf jeden Fall von Peter Drach dem
mittleren, der 1504 starb, veranstaltet worden, vermutlich Mitte der goer Jahre,
wie man aus anderen Drachschen Drucken der Zeit schließen darf; ja sogar eine
Entstehung in den ersten Jahren des XVI. Jahrhunderts wäre noch möglich.
Diese zweite Auflage besteht aus 7 ungezählten und 229 gezählten Blättern.
Das т. Blatt ist leer, das 2. enthält die Vorrede, die folgendermaßen beginnt:
[d] le da vil volckes | vnderwysen zu ge | rechtikeit die wer- | dent schynende al-
so die sternen in 4 | ewigen selikeyt. BL 3a bis 6a enthält das Register, Bl. 6b
ist leer. BL 7a steht der Titel Er lautet:
Das ist der spiegel der menschen behalt-
nysse mit den euangelien vnd mit episte
len nach der zyt des iares.
Er weicht also vom Titel der Originalausgabe etwas ab. Mit BL 8a (dem ersten
gezählten Blatt mit der römischen Ziffer I und der Signatur aii) beginnt der Text,
der auf BL CCXXIXa, Kolumne 2 mit den Worten „Deo gratias“ schließt. Das
ganze Buch ist mit einer einzigen Schrift gedruckt, während in der ı. Auflage für
die Überschrift zu den Holzschnitten eine besondere, größere Type verwendet
worden ist. Die Einrichtung des Satzes weicht sonst nur wenig von der der
1. Auflage ab. Die Kolumnen sind anstatt 78 nur 69 mm breit, Da nun die
meisten Holzschnitte eine Breite von 78 mm haben, ragen sie an beiden Seiten
über die Kolumnen hinaus, was ein unschönes Satzbild ergibt. Auch sonst macht
diese 2. Auflage auf Schönheit keinen Anspruch. Das Papier ist viel geringer, viel
weniger kräftig und widerstandsfähig, als das der ı. Auflage, die Linien der Holz-
schnitte erscheinen daher zum Teil ein wenig breiter, die Stöcke sind auch nicht
immer gut eingeschwärzt. Überhaupt ist auf die ganze Herstellung geringere Sorg-
falt verwandt worden, auch schon beim Satz, wie die vielen falschen Blattzahlen
beweisen.
Exemplare dieser 2. Auflage sind ebenso selten, wie die der ersten. Ich kann
ebenfalls nur sieben nachweisen und zwar:
103
1. Berlin, Königl. Bibliothek (Incunab. 14934a). 2. Braunschweig, Herzogl.
Kupferstichsammlung (das frühere Vaselsche Exemplar). 3. Breslau, Königl und
Universitätsbibliothek (В. 1152). 4. Koblenz, Bibliothek des Kónigl Gymnasiums.
5. Mainz, Stadtbibliothek (Incun. 1187). 6. Prag, Universitätsbibliothek (44 E то).
7. Straßburg, Universitäts- und Landesbibliothek (К 3377).
Von diesen Exemplaren unterscheiden sich einige von den übrigen durch kleine
Veränderungen, die während des Drucks der Auflage vorgenommen worden sein
müssen, was auch schon bei der Urausgabe zu bemerken war.
In bezug auf die Holzschnitte weicht die 2. Auflage von der ersten in folgenden
Punkten ab:
т. Die Nrn. 86 und до (der Verrat Judas und die Häscher fallen vor Christus zu
Boden), die in der ı. Auflage vertauscht waren, stehen nunmehr an der richtigen
Stelle im Text.
2. Nr. 233 und 234 (die Ungläubigen weinen und alle Menschen weinen) sind
miteinander vertauscht.
3. Nr. 240, der reiche Mann in der Hölle, fehlt, an seine Stelle ist eine geringe
Kopie von der Gegenseite ohne den zweiten Teufel, der die Faust ballt, getreten.
4. Zwischen 272, die Verkündigung, und 273, die Geburt Christi, ist der Holz-
schnitt mit der Heimsuchung eingeschoben, der in der ı. Auflage ganz fehlte und
für den dort ein leerer Raum gelassen war. Die 2. Auflage hat infolgedessen im
ganzen nicht 277, sondern 278 Holzschnitte.
Was die Güte des Abdrucks betrifft, so stehen die Holzschnitte der 2. Auflage
naturgemäß denen der ersten nach, namentlich die bisweilen kupferstichartige Fein-
heit der Linien, von der ich bereits sprach, wird man hier nicht mehr finden.
Indessen sind sie verhältnismäßig immer noch vortrefflich, wie die zwölf diesem
Aufsatze beigegebenen Abbildungen beweisen, die nach dem Braunschweiger Exem-
plar hergestellt sind, und doch ist dieses unter den sieben bis jetzt nachweisbaren
noch nicht einmal das beste.
Den folgenden Untersuchungen sind selbstverständlich nur die Holzschnitte der
Originalausgabe zugrunde gelegt worden.
Wer zum ersten Male den Drachschen Heilsspiegel unvorbereitet durchblättert,
dem wird die Gesamtheit der Holzschnitte einen zwiespältigen Eindruck hinter-
lassen: er wird sich von der Mehrzahl in höchstem Grade angezogen, von der
Minderzahl vielleicht nicht gerade abgestoßen, aber jedenfalls nicht sehr befriedigt
fühlen. Der Schluß wird sein: nicht alle Holzschnitte sind von derselben Hand.
Bei sorgfältiger wiederholter Prüfung wird vielleicht der erste Eindruck derselbe
bleiben, aber der Schluß wird wahrscheinlich anders lauten: der Entwurf sämt-
licher Holzschnitte geht auf eine Hand zurück, ihre technische Ausführung, der
Schnitt, auf verschiedene Hände. Zweifel werden freilich immer bestehen, ob
man die schlechten, ja selbst rohen Holzschnitte, die sich tatsächlich unter der
Masse befinden, demselben hervorragenden Zeichner zumuten darf, an dessen reiz-
vollen Schilderungen man sein Auge erfreut hat. Solche Zweifel sind im Laufe der
Jahre schriftlich und mündlich von sehr beachtenswerter Seite mir gegenüber ge-
äußert worden, und nur im Hinblick auf sie fühle ich mich veranlaßt, das Folgende
breiter auszuführen, als ich es sonst getan hätte. Hinzufügen will ich noch, daß
ich für die nicht immer leichten Untersuchungen immer nur die schärfsten und
klarsten Drucke, die mir zugänglich waren, benutzt habe, eine für den Fachmann
freilich selbstverständliche Forderung.
104
Wie ich schon sagte, sind fiir den Schmuck des Drachschen Heilsspiegels 253
verschiedene Holzschnitte (d. h. Holzstócke) verwendet worden. Diese 253 lassen
sich rein äußerlich zunächst in zwei große Gruppen einteilen: in gute und in schlechte
oder sagen wir weniger gute. Den guten, die fast zwei Drittel aller ausmachen,
es sind 168, stehen 85 weniger gute oder ganz schlechte gegenüber. Diese
85 mangelhaften Holzschnitte sind durch das ganze Buch verstreut. Anfangs treten
sie nur vereinzelt oder in kleinen Gruppen auf, zuletzt bilden sie eine einzige große
Gruppe. Es sind folgende Nummern des Verzeichnisses: 23, 25, 30, 42, 49—52,
55—57, 59, 64, 66—68, 70, 73, 74, 77—79, 81—83, 87—89, 91—93, 95—97, 100,
IOI, 153—160, 162, 165, 176, 212, 214, 215, 217, 219, 222, 225—256.
Man erkennt bald: was ungeschickt oder gar roh an diesen 85 Holzschnitten er-
scheint, ist nicht auf das Konto des Zeichners, sondern auf das des Form-
schneiders zu setzen. So eckig zeichnet selbst der geringste Kiinstler nicht, und
wenn es sich auch einer vorndhme, der Stift oder die Feder wiirde doch immer
wieder wie von selbst die runde Linie suchen. Aber die schönste Linie einer
Vorzeichnung kann durch das Messer des Formschneiders bis zur Unkenntlichkeit
entstellt werden. Wer in der Geschichte des älteren deutschen Holzschnitts bis
Dürer zu Hause ist, weiß, wie mancher treffliche Entwurf bei der Ausführung in
Holzschnitt der Willkür und dem Ungeschick des Formschneiders zum Opfer ge-
fallen ist. So auch bei den 85 Holzschnitten hier. Der Mann, dem die Holzstöcke
zur Bearbeitung übergeben wurden, muß eine merkwürdig ungeschickte Hand ge-
habt haben, jedes feinere Gefühl für das Leben, das in den Linien der Vor-
zeichnung steckte, muß ihm abgegangen sein. Er arbeitet in geraden Linien, eine
schöne gleichmäßige Rundung bringt er gar nicht heraus. Der Mund wird ein
dicker wagerechter Strich, nur selten einmal mit einem Abschluß an den Enden,
die Nase erscheint infolge der mangelnden Rundung oft geradezu verstümmelt, den
Händen und Füßen ergeht es nicht besser. Die Umrisse der Gestalten verlaufen
nicht, wie bei den guten Schnitten, in einem Zuge von gleichmäßiger Stärke,
sondern bald stärker, bald schwächer, als hätte er das Messer öfter abgesetzt.
Am meisten unterscheiden sich diese 85 mangelhaften Schnitte von den guten
durch die Schraffierung. Während bei den guten die einzelnen Striche unmerklich
anschwellen, sich nach dem Lichte zu runden und endlich in eine feine Spitze
auslaufen, verlaufen sie bei den schlechten fast ausschließlich ohne Biegung, dürr
und spröde in derselben Stärke. In einer Lage mehrere gleichstarke Striche neben-
einander zu setzen, gelingt diesem Formschneider nur schwer. Auch bei der
einfachsten Umrißzeichnung, 2. В. den Blüten über der Bundeslade Nr. 42, versagt
seine Kunst.
Anders die 168 guten Schnitte. Hier scheint fast immer die Absicht des Zeichners
restlos wiedergegeben worden zu sein; es sind Meisterleistungen des Formschnittes.
Aber sie rlihren sicherlich nicht alle von einer Hand her. Bei genauer Unter-
suchung läßt sich eine kleine Gruppe abtrennen, die in der Technik des Schnitts
so viel Eigenart zeigt, daß man sie einem besonderen Formschneider zuschreiben
muß. Sie besteht aus folgenden 22 Nummern: 190, 192, 194, 196 — 200, 202, 203,
205—207, 209—211, 213, 216, 218, 220, 221, 223. Man erkennt sie an folgenden
Eigenschaften: der Schnitt ist mit einer geradezu peinlichen Genauigkeit ausgeführt.
Das ist vom rein technischen Standpunkt aus betrachtet ein Gewinn, vom künst-
lerischen Standpunkt aus ein Verlust. Alle Linien sind zu gleichmäßig geschnitten
und nicht genügend nach verschiedenen Stärkegraden abgestuft. Es ist eine
Pedanterie, die alles für gleichwertig hält und danach handelt. Dadurch haben die
105
Gestalten etwas Strenges, ja Starres bekommen, eine gewisse Unfreiheit haftet ihnen
an, und das innere Leben, das sie in der Vorzeichnung gehabt haben miissen,
weil es die übrigen guten haben, ist ihnen verloren gegangen. Das Haar dieser
Gestalten ist sehr sorgfältig, aber zu schematisch geschnitten, wie es bei den beiden
andern Formschneidern nicht vorkommt. Was aber besonders charakteristisch ist,
ist die Behandlung der Nasen. Man findet da eine kleine, bei unklaren Drucken
kaum bemerkbare Einbiegung zwischen Nasenkuppe und Flügel, die durch diese
ganze Gruppe von Holzschnitten hindurchgeht. Außerdem haben sämtliche 22 Holz-
schnitte an allen 4 Seiten eine Einfassung, wo die übrigen, die guten, wie die
schlechten, keine haben würden, sicherlich eine Zutat des Formschneiders.
Wir haben also 3 Formschneider vor uns: einen Stümper, einen Meister und
einen Pedanten. Und wenn auch der erste mit seiner Vorlage nicht gerade liebe-
voll umspringt und der letzte einen tibergroßen Respekt vor ihr hat, so daß die
Arbeiten beider recht verschieden voneinander ausfallen, so groß ist der Unter-
schied doch nicht, daß man nicht überall eine Sprache und einen Geist wahr-
nähme, der das Schlechteste und das Beste miteinander verbindet. Ein einziger
hervorragender Künstler hat die Zeichnungen für sämtliche Holzschnitte geliefert
und dieser einzige Zeichner ist der Hausbuchmeister. Wer ihn genau kennt, wird
nicht mehr daran zweifeln, wenn er die zwölf diesem Aufsatze beigegebenen Ab-
bildungen und die zehn bei Muther П, Taf. 64—66a prüft i). Absichtlich habe ich
zur Nachbildung auch einen von den ziemlich schlecht ausgeführten Holzschnitten,
die Geburt Christi (Nr. 30), ausgewählt und ihm einen gut geschnittenen, die An-
betung der Könige (Nr. 37) gegenübergestellt, um zu zeigen, daß die Vorzeichnung
für beide von einer Hand herrühren muß. Nur ein einziger Holzschnitt scheint
mir nicht auf eine unmittelbare Vorzeichnung des Meisters zurückzugehen: die
Verhöhnung des blinden Simson durch die Philister (Nr. 97). Er fällt auch durch
seine Maße aus den anderen heraus, er ist 98 mm hoch, 70 mm breit, also der
kleinste von allen. Ich halte ihn für einen in der Eile gemachten Nachschnitt, der
als Ersatz für einen schon vorhandenen, aber vielleicht schadhaft gewordenen
Originalholzschnitt des Meisters dienen mußte.
Unter den sämtlichen Holzschnitten des Drachschen Heilsspiegels befinden sich
einige wenige, die nicht nur sehr schlecht geschnitten sind, sondern auch in der
Erfindung recht zurückgeblieben, anfängerhaft erscheinen. In ihrem altertümlichen
Aussehen passen sie keineswegs zu dem Bilde, das wir uns bisher vom Hausbuch-
meister gemacht haben. Wie läßt sich das erklären, wenn sie wirklich auf seine
eigene Zeichnung zurückgehen? Greift er vielleicht auf ältere Vorbilder zurück?
Wollten wir den Angaben Muthers vertrauen, so wäre der Drachsche Heils-
spiegel die älteste der Ausgaben des Heilsspiegels mit 278 Illustrationen. Das ist
aber durchaus nicht der Fall. Der Drachsche Heilsspiegel ist vielmehr ein Nach-
druck des 1476 bei Bernhard Richel in Basel erschienenen Heilsspiegels
(Hain *14936), und die Holzschnitte des Hausbuchmeisters verhalten sich zu den
Baselern genau so, wie die Holzschnitte Hans Holbeins in den Baseler Nach-
drucken von Luthers Neuem Testament sich zu den Holzschnitten der Witten-
berger Urausgaben verhalten: sie sind keine eigentlichen Kopien, aber auch nicht
(z) Ich war noch damit beschäftigt, die letzte Feile an diese Abhandlung anzulegen, da erschien als
ein Teil der Studien zur deutschen Kunstgeschichte im Verlag von J. H. Ed. Heitz in Straßburg die
Ausgabe sämtlicher Holzschnitte des Drachschen Heilsspiegels mit einer Einleitung von Hans Nau-
mann. Über den Wert dieser Ausgabe werde ich mich in einem Nachwort äußern.
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ganz freie Schöpfungen, sondern sie lehnen sich meistens bald mehr bald weniger
an die Urbilder an.
Der Gedanke einer Abhängigkeit der Holzschnitte des Hausbuchmeisters von den
Richelschen ist mir zum ersten Male gekommen, als ich in dem Buche von Georg
Steinhausen, der Kaufmann in der deutschen Vergangenheit (Monographien zur
deutschen Kulturgeschichte, Verlag von Eugen Diederichs), die Abbildung Nr. 59
(„Bote“) sah, die dem Richelschen Heilsspiegel entnommen ist. Eine Vergleichung
mit dem Holzschnitt Nr. 29 (Elieser und Rebekka) im Drachschen Heilsspiegel
machte es mir klar, daß die große Übereinstimmung beider im ganzen wie im
einzelnen auf keinem bloßen Zufall beruhen könne. Ich entschloß mich daher, das
Verhältnis der beiden Ausgaben aufs genaueste zu untersuchen. Im Herbst 1902
war ich mit dieser mühsamen und zeitraubenden Arbeit fertig. Zur Verfügung
standen mir von dem Richelschen Heilsspiegel das Exemplar der Göttinger Uni-
versitätsbibliothek und das der Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe. Da beide
- keine Bezeichnung des Druckortes, Jahres und Druckers tragen!), wiederholte ich
die Vergleichung der Sicherheit wegen noch einmal Ende 1906 an der Hand des
voll bezeichneten und datierten Exemplares des Berliner Kupferstichkabinetts, das
mir zu diesem Zwecke dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen des damaligen
Direktors Geheimrat Lehrs zur Verfügung gestellt wurde. Ich muß gestehen, daß
mir durch die Vergleichung des Nachdrucks mit dem Urdruck (wenn man den
Richelschen Heilsspiegel so nennen darf) höchst lehrreiche und ungeahnte Ein-
blicke in die Praktiken der Druckereien des XV. Jahrhunderts zu teil wurden. Im
folgenden will ich nur das für unseren Zweck Wichtigste als Ergebnis der Ver-
gleichung mitteilen.
Wenn man den Drachschen Heilsspiegel neben den Richelschen legt und nun
vom Beginn des eigentlichen Textes an Blatt für Blatt, Seite für Seite miteinander
vergleicht, so bemerkt man, daß das Augenmerk von Drachs Setzer darauf gerichtet
ist, die ganze Satzanordnung Richels auf eine fast sklavische Weise nachzuahmen,
auch an Stellen, wo diese geradezu widersinnig ist (wie 2. В. auf BL Ib, wozu
noch die letzten vier Zeilen der vorhergehenden Seite hinzuzuziehen sind). Man
braucht in beiden Ausgaben von Anfang an immer nur die letzten Worte einer Seite
miteinander zu vergleichen, da zeigt es sich, wie sich der Setzer Drachs bemüht, mit
seiner Vorlage gleichen Schritt zu halten, d. h. seine Seite womöglich mit den-
selben Worten wie Richel zu schließen. Hat er einmal zu eng gesetzt und ist
er deshalb mit dem Text seiner Vorlage fertig, bevor die unterste Zeile erreicht
ist, so setzt er einfach nicht weiter und läßt den Raum unten frei, nur um die
Übereinstimmung mit dem Richelschen Druck zu wahren und die nächste Seite
mit denselben Worten wie dieser beginnen zu können. Auf diese Weise erklärt
sich denn auch ohne weiteres die verschiedene Länge der Kolumnen im Drachschen
Heilsspiegel. Überhaupt läßt sich so ziemlich alles, was uns an der Einrichtung
des Satzes bei Drach auffällt, auf die Vorlage zurückführen. Was nun den Text
Drachs angeht, so stimmt er freilich nicht völlig mit dem Richelschen überein.
Wo Richel einen zu altertümlichen oder für die rheinfränkischen Leser Drachs un-
verständlichen Ausdruck hat, wo ein Wort offenbar verdruckt ist, oder wo sich
größere Irrtiimer zeigen, da verbessert Drach, er bringt auch bisweilen erklärende
Zusätze, besonders bei den Überschriften zu den Holzschnitten. Andererseits wieder-
(1) Die Exemplare ohne diese Angaben gehören, wie es scheint, derselben Auflage an, wie die voll
bezeichneten und datierten.
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holt er aber auch ohne Bedenken manchen Fehler Richels. Selbstverstindlich ist
die alemannische Mundart der Vorlage in die rheinfränkische übertragen, was ja
mit keinen großen Schwierigkeiten verbunden war, meist brauchten nur die Diphtonge
in einfache lange Vokale, die dunkelen Vokale in hellere umgeändert zu werden.
Bei Drach sind, wie ich schon angab, die Überschriften der Holzschnitte mit
einer größeren, sonst nicht weiter verwendeten Schrift gedruckt. Mit fast derselben
Schrift ist der ganze Richelsche Heilsspiegel gedruckt, was sicherlich nicht ohne
Einfluß auf Drachs Wahl einer größeren Type gewesen ist.
Das bei Drach am Schluß stehende Deo gratias mit dem Druckerzeichen dar-
unter ist ebenfalls nichts anderes als eine Nachahmung des Schlusses des Richelschen
Werkes, bei dem allerdings zwischen dem Deo gratias und dem Druckerzeichen
noch das 5 Zeilen umfassende Kolophon steht.
Die Holzschnitte endlich sind bei Drach an derselben Stelle in den Text ein-
gesetzt, wie bei Richel. Nur in der Zahl ist ein Unterschied: Richel hat 278,
Drach 277. Auch hierriir gibt es eine Erklärung. Bei Richel steht ein Abschnitt
von fast 6 Kolumnen Länge an einer Stelle, wo er offenbar nicht hingehört. Er
beginnt BL 42b mit den Worten: Hie erkickete vnser herre der witwe sun vnd
erlöst ouch einen besessenen menschen, und endet BL 44a mit den Worten: mit
vastende vnd mit bettende. Dazu gehört ein Holzschnitt. Fast dieser ganze Ab-
schnitt kommt nun an der richtigen Stelle viel weiter hinten noch einmal vor, wo
ihm aber ein anderer Holzschnitt beigegeben ist. Im Drachschen Nachdruck ist
an der ersten Stelle der Abschnitt gestrichen, der dazu gehörige Holzschnitt fehlt
selbstverständlich auch.
Wie ich bei der Besprechung des Drachschen Heilsspiegels erwähnte, fehlt in
diesem ein Holzschnitt, die Heimsuchung, obwohl die Überschrift dazu dasteht.
Darunter ist ein freier Raum für die Aufnahme des Holzschnitts gelassen. Ganz
so bei Richel, nur daß dort der freie Raum nicht so groß ist, daß der Holzstock
noch hätte eingefügt werden können.
Und nun zu den Drachschen Holzschnitten selbst und ihrem Verhältnis zu den
Richelschen. Machen wir uns erst einmal die Umstände klar, von denen ihre Ent-
stehung abhing. `
Peter Drach in Speier beschließt, den Richelschen Spiegel der menschlichen Be-
haltnis nachzudrucken. Er übergibt ein Exemplar von diesem zunächst einem
Korrektor, der die ihm nötig erscheinenden Verbesserungen des Textes vornimmt
und die Mundart verändert. Dies korrigierte Exemplar, das als direkte Vorlage für
den Nachdruck bestimmt ist, wandert, bevor es der Setzer in die Hände bekommt,
zu dem Maler, der den Auftrag erhalten hat, in Anlehnung an die Richelschen
Vorbilder neue Zeichnungen anzufertigen. Die Größe der neuen Holzschnitte steht
von vornherein fest, die Breite muß sich nach der Kolumnenbreite richten, die
Drachschen Maße sind viel geringer als die Richelschen. Dem Künstler sind also
Beschränkungen auferlegt, von denen jedenfalls die äußerliche ihm lästiger sein
muß als die innerliche, die die Rücksicht auf die Vorlage verursacht. Eine Durch-
schnittsnatur hätte sich damit begnügt, mehr oder weniger getreue verkleinerte
Kopien der Richelschen Holzschnitte zu liefern. Wie der Hausbuchmeister sich
mit seiner Aufgabe abgefunden hat, zeugt für seine hohe Begabung und sein großes
Können. Eine bessere Gelegenheit, einen Blick in seine geistige Werkstatt zu
werfen, gibt es gar nicht, als wenn man jeden Holzschnitt des Drachschen Heils-
spiegels mit dem entsprechenden des Richelschen vergleicht.
Die Richelschen Holzschnitte gehören sicher verschiedenen Händen und ver-
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schiedenen kiinstlerischen Entwicklungsstufen an. Ein Teil mag erst fiir den Druck,
also um 1475, entworfen worden sein, ein anderer Teil macht einen viel älteren
Eindruck, man glaubt Kopien von geringen Federzeichnungen aus der Mitte des
XV. Jahrhunderts vor sich zu sehen. Das Verhältnis des Hausbuchmeisters zu
seiner Vorlage mußte also je nach deren Beschaffenheit wechseln. Ganz so wie
sie war, konnte er keine einzige übernehmen. So trugen viele Richelschen Per-
sonen eine Tracht, die längst nicht mehr modern war. Der Hausbuchmeister
steckt sie darum in die Kleider, die zu seiner Zeit getragen wurden. Er streckt
die meist untersetzten Menschen seiner Vorlage, gibt ihnen längere Beine und
macht sie im ganzen schlanker, wie es sein Geschmack war. Künstlerische Kritik
übt er an jedem Richelschen Holzschnitt, indem er ihn umzeichnet. Es gibt da
eine Menge Möglichkeiten. Oft kann er von dem alten Holzschnitt überhaupt
nichts mehr gebrauchen, es entsteht dann eine Komposition, bei der auch nicht
das Geringste mehr an jenen erinnert. In einem anderen Falle ist die alte Vor-
lage im ganzen gut, nur die Einzelheiten müssen alle umgestaltet werden. In
einem dritten Falle gefallen ihm gewisse Einzelheiten, er behält sie bei, verändert
aber die Gesamtanlage völlig. Aber mag er sich bisweilen auch noch so stark an
das Alte anlehnen, bei dem UmgieBen in die neue Form kommt doch immer etwas
heraus, was den Gedanken an ein vorhandenes fremdes Vorbild, wenn man dies
nicht zufällig kennt, kaum einmal aufkommen läßt. Diese neuen Holzschnitte
sprechen eben, mit wenigen Ausnahmen, die unverfälschte Sprache unseres Meisters.
Es hindert uns nichts, sie seinen Originalschöpfungen, den Stichen und Gemälden,
an die Seite zu stellen. Wenn man die Richelschen Holzschnitte betrachtet und
dann sieht, was unter den Händen des Meisters aus ihnen geworden ist, muß man
oft über seine Gestaltungskraft staunen. Steif und ungelenk, wie Gliederpuppen,
stehen die Gestalten bei Richel da, und zu lebendigen Menschen sind sie bei Drach
geworden. Anstatt der früheren Gemessenheit und Zurückhaltung in den Be-
wegungen, anstatt der geringen Gebärdensprache und des Mangels an seelischem
Empfinden finden wir nun eine Freiheit und Natürlichkeit, ja Zwanglosigkeit der
Bewegungen, einen Reichtum an Ausdruck in den Gesichtern und Händen, eine
Treffsicherheit in der Zeichnung einzelner Charaktere, eine Menge von reizvollen
Einzelheiten, einen bis dahin bei religiösen Gegenständen nicht gekannten Zug zum
Weltlichen, einen bei jeder Gelegenheit durchbrechenden Humor, Dinge, die wir
auch bei den größten Zeitgenossen unseres Künstlers in dieser Vereinigung nicht
wieder antreffen. |
Man darf wohl als sicher annehmen, daß der Meister seine neuen Holzschnitte
in derselben Reihenfolge entworfen hat, wie er sie bei Richel fand. Nun ist auch
der größte Künstler ein Mensch wie jeder andere, der seine guten und schlechten
Tage und Stunden hat. In unserm Falle handelt es sich um die Erledigung
eines Auftrages, der so eng begrenzt war, daß er gerade einem gern frei schaffenden
Künstler, wie es der Hausbuchmeister jedenfalls gewesen ist (seine Stiche be-
zeugen es), nicht ganz nach dem Herzen sein konnte, Er mag die Sache mit
ihrem fortwährenden Zwange allmählich satt bekommen und gegen das Ende zu
nicht mehr mit derselben Lust und Liebe, derselben lebhaften Phantasie wie im
Anfang gearbeitet haben. Kurzum, die letzten Holzschnitte zeigen ein Nachlassen
der Gestaltungskraft. Sie sind leider auch zugleich die am schlechtesten geschnittenen.
Auf sie werden gewiß die, die nicht recht daran glauben wollen, daß der Haus-
buchmeister der Zeichner sämtlicher Holzschnitte des Heilsspiegels ist, besonders
hinweisen. Aber man kann derartige Zweifel sofort entkräften, wenn man auf die
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Tatsache aufmerksam macht, daß die Art, wie Veränderungen an den Richelschen
Holzschnitten vorgenommen worden sind, sich bei den schlechten Drachschen
Holzschnitten ebenso findet, wie bei den guten. Unter den schlechten ist gar
mancher, der das Vorbild völlig verändert wiedergibt, während andererseits unter
den besten viele sind, die sich an das Vorbild enger anlehnen, als man vermuten
könnte. Die Annahme eines zweiten Zeichners, dem man die schwächeren Holz-
schnitte aufbürden könnte, ist eben in jeder Hinsicht unmöglich.
Die Zeichnungen, die der Hausbuchmeister wohl, wie damals allgemein üblich,
selbst mit der Feder auf den Holzstock gezeichnet hatte und die deshalb nicht
erst von fremder Hand dahin übertragen zu werden brauchten, wandern nun in
die Werkstatt des Formschneiders. 253 Stöcke waren zu schneiden. Bevor sie
nicht alle oder wenigstens zum größten Teil fertig waren, konnte der Setzer seine
Arbeit nicht beginnen. Dem Verleger lag gewiß daran, die Veröffentlichung nicht
zu lange hinauszuschieben. Die 253 Holzstöcke mußten also an mehrere Form-
schneider verteilt werden. Wir sahen, daß drei beteiligt gewesen sind. Wie es
scheint, wurde demjenigen, der das wenigste Geschick hatte, mit Absicht der
Schnitt der Zeichnungen anvertraut, die wenige und verhältnismäßig große Figuren
und wenig Detail hatten, also am leichtesten auszuführen waren. Am wahrschein-
lichsten ist (wenn man sich überhaupt noch weiter in diese Verhältnisse hinein-
denken will), daß Peter Drach die Holzstöcke nicht selbst an diese drei Form-
schneider verteilt hat, sondern daß ein einziger, ein Meister von Ruf, den ganzen
Auftrag bekommen hat, der dann den größten Teil, die schwierigsten Zeichnungen,
selbst geschnitten hat, die übrigen von zwei seiner Gesellen oder Lehrjungen hat
schneiden lassen.
Nun kann eine Folge von Umständen eintreten, von denen der erste auf den
zweiten, der zweite auf den dritten ungünstig einwirkt, so daß schließlich natur-
gemäß kein ganz erfreuliches Endergebnis gezeitigt wird, sowie es tatsächlich zu
verschiedenen Malen bei den Holzschnitten zum Drachschen Heilsspiegel der Fall
gewesen ist. Erstens: der Richelsche Holzschnitt ist sehr altertümlich oder roh
und der Gegenstand läßt wenige Veränderungen zu. Zweitens: Der Hausbuch-
meister arbeitet gerade einmal mit weniger Lust, ändert deshalb auch an seiner
Vorlage nicht so viel wie sonst, die Zeichnung, die entsteht, zeigt seine Eigenart
nur in geringem Maße. Drittens: Diese Zeichnung fällt einem Formschneider in
die Hände, der nichts kann. Was ist der Schluß? Der fertige Holzschnitt steht
künstlerisch in einem so großen Abstand von den freien Schöpfungen des phantasie-
vollen Meisters, besonders den Stichen, und zeigt seinen Geist in so geringem
Maße, daß jemand, der den Zusammenhang nicht kennt, die stärksten Bedenken
haben wird, eine solche Arbeit diesem Meister zuzuschreiben.
Ich hoffe aber, meine Darlegungen sind so ausführlich und überzeugend gewesen,
daß die Zweifler verstummen werden.
Wir gehen nun einen Schritt weiter und fragen, wann die Holzschnitte zum
Drachschen Heilsspiegel gezeichnet sind. Wann das Buch gedruckt worden ist,
läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Typenvergleichung, die in andern
Fällen zu guten Ergebnissen geführt hat, läßt hier im Stiche. F. W. E. Roth, der
beste Kenner der Speirer Drucke, setzt in seiner Geschichte und Bibliographie der
Buchdruckereien zu Speier im XV. und XVI. Jahrhundert (1. Hälfte, Speier 1894,
S. 79) den Heilsspiegel um 1490—1495 an. In einem Briefe, den er mir vor
то Jahren schrieb, möchte er eine noch spätere Entstehung annehmen, lediglich
der Typen wegen. Beides ist unmöglich.
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Eine Anzahl уоп Exemplaren des Richelschen Heilsspiegels hat am Ende (wie
es scheint mit einem Stempel gedruckt) die Angabe, daB der Druck im Jahre 1476
„uf Sant Gilgen Obent“, d. h. am 31. August 1476 vollendet worden ist. Der erste
bezeichnete und datierte Druck Peter Drachs des Alteren stammt aus dem Jahre 1477.
Es ist ganz unwahrscheinlich, dap Drach schon bald nach dem Erscheinen des
Richelschen Werkes den Plan zu einem Nachdruck gefaßt hat. Zunächst wissen
wir also nur eins: der Drachsche Heilsspiegel ist nach 1476 gedruckt. Ich füge
sofort ein weiteres Datum hinzu: er muß spätestens Mitte 1488 veröffentlicht
worden sein. Denn 1489 am Freitag nach Lichtmeß, d. h. am 6. Februar 1489,
vollendete Peter Berger in Augsburg den Druck einer neuen Ausgabe des Spiegels
der menschlichen Behaltnis (Hain 14937). Als Vorlage diente ihm, wie sich mit
unbedingter Sicherheit nachweisen läßt, ein Exemplar der Drachschen Ausgabe.
Die Einrichtung des Satzes ist der Drachs möglichst angenähert, die Holzschnitte
stehen auf derselben Seite und fast immer an derselben Stelle im Text wie bei
Drach. Der Text ist moderner gestaltet. Die Holzschnitte sind kleiner als die
Drachschen, entsprechen ihnen aber genau, es sind sehr gewöhnliche Kopien (nicht
etwa Umarbeitungen) von diesen und zwar alle bis auf acht im Gegensinn. Die
277 Holzschnitte der Vorlage sind um einen vermehrt, die Heimsuchung, die bei
Drach fehlte. Die Holzschnitte Nr. 86 (der Verrat des Judas) und до (die Häscher
fallen vor Christus zu Boden) stehen ebenso an falscher Stelle wie in dem Drach-
schen Druck.
Die nächstfolgende Ausgabe des Spiegels der menschlichen Behaltnis ist die von
Michel Greiff in Reutlingen, Hain 14938, vollendet „vff dz new jar In de .m.
ссссіххххіј.“, also am 1. Januar 1492. Die Holzschnitte sind wieder Kopien der
Drachschen, aber nicht für diese Ausgabe neu gemacht, sondern von den Berger-
schen Holzstöcken wieder abgedruckt. Greiff scheint nach Bergers Tode das ganze
Inventar von dessen Druckerei übernommen zu haben.
Am 9. November (,,freytag vor sant Marteinstage“) 1492 vollendete Hans
Schönsperger in Augsburg den Druck seines Spiegels der menschlichen Behaltnis
(Hain 14939). Die Holzschnitte dieser Ausgabe sind der Mehrzahl nach Kopien
der Drachschen, mit wenigen Ausnahmen gleichseitig, aber kleiner, sehr verein-
facht und sehr handwerksmäßig gemacht. Neben diesen kommen noch eine Anzahl
anderer vor, die ihr Vorbild nicht in den Drachschen haben.
Aus diesen Tatsachen geht also hervor, daß Drachs Heilsspiegel zwischen
Sommer 1477 und Sommer 1488 veröffentlicht worden sein muß. Dies sind die
beiden äußersten Termine, die möglich sind.
Man kann auf die Herstellung einer neuen illustrierten Ausgabe eines Buches,
wie es der Spiegel der menschlichen Behaltnis ist, von den ersten Vorarbeiten an
bis zur Vollendung des Druckes im besten Falle ein Jahr rechnen. Man bedenke,
daß die Menschen im 15. Jahrhundert im allgemeinen viel weniger und viel lang-
samer arbeiteten als heutzutage. Wie viele Arbeitstage fielen schon fort durch die
Unmenge von Feiertagen! Es ist gewiß nicht zu viel, eher zu wenig, wenn man
auf die Arbeit des Künstlers, das Entwerfen von 253 Zeichnungen und das eigen-
händige Übertragen auf den Holzstock, ein Vierteljahr rechnet. Das Schneiden der
Holzstöcke bei Verteilung an mehrere Formschneider erfordert wohl ebenfalls ein
Vierteljahr. Auf die Arbeit des Korrektors, Setzers und Druckers käme insgesamt
ein halbes Jahr. Ein Verleger, der ein Buch wie den Heilsspiegel in einem Nach-
druck veröffentlichen wollte, konnte das, falls er ein kluger Mann war, mit sicherer
Aussicht auf Gewinn nur dann tun, wenn er die Konkurrenz des älteren Buches
Monatshefte für Kunstwisseoschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 3. 9 111
auf den Messen und Märkten nicht mehr zu fürchten brauchte, wenn also dessen
Bestände vollständig oder zum größten Teile verkauft waren. Das konnte in dieser
bildungsdurstigen Zeit schon nach fünf, sechs Jahren der Fall sein. Rechnen wir
versuchsweise vom Tage der Vollendung des Richelschen Heilsspiegels, von Ende
August 1476 an, sechs Jahre weiter, so kommen wir auf Ende August 1482 als den
ungefähren Termin, wo Drach seinen Nachdruck veröffentlicht haben könnte. Und
gehen wir von der Vollendung des Bergerschen Heilsspiegels, des Nachdrucks
des Drachschen, also von Anfang Februar 1489, sechs Jahre zurück, so kämen wir
auf Anfang Februar 1483 als Erscheinungstermin des Drachschen Heilsspiegels.
Es ist eben nur eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber warum sollen wir nicht
zu ihr greifen, wo sichere Anhaltspunkte fehlen? Man kann also sagen: der
Drachsche Heilsspiegel ist mutmaßlich in den Jahren 1482/83 veröffentlicht worden.
Die Holzschnitte wären demnach 1481/82 gezeichnet.
Diese Vermutung wird nun fast zur Gewißheit erhoben durch einen großen
Einblattdruck Peter Drachs, einen Almanach auf das Jahr 1483, der bis jetzt
nur in einem einzigen Exemplar nachgewiesen ist und den wohl nur wenige
genau kennen. Die Stadtbibliothek in Braunschweig besitzt ihn. Ich erfuhr
auf folgende Weise von seinem Vorhandensein: In den „Neujahrswünschen des
XV. Jahrhunderts“, die Paul Heitz Ende 1899 in einer zweiten vermehrten billigen
Ausgabe veröffentlicht hatte, ist unter Nr. 28 ein großer Holzschnitt, ein Jüngling
und eine Jungfrau am Brunnen sitzend, nachgebildet. Im Text S. 24 erfährt
man, daß dieser Holzschnitt einem in der Braunschweiger Stadtbibliothek befind-
lichen Kalender entnommen ist, der auf Grund von Schreibers Angabe in seinem
Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XVe siècle II (1892)
Nr. 1913 nach dem Mittelrhein oder Thüringen (Erfurt?) versetzt wird. Ferner
wird die Ansicht Ludw. Kämmerers mitgeteilt, wonach der Holzschnitt eine Arbeit
Erhard Reuwichs, des Illustrators von Breidenbachs Reisen (Mainz 1486) sein soll.
Ich erkannte im Gegenteil darin sofort eine Arbeit des Hausbuchmeisters.
Wilhelm Schmidt, den ich davon benachrichtigte, schrieb mir darauf im Dezember
1900, er sei von der Richtigkeit dieser Beobachtung vollkommen überzeugt, es sei
durchaus sicher, daß der Zeichner des Kalenders und der des Drachschen Heils-
spiegels eine Person seien. Ich bemerke dies nur für diejenigen, die sich selbst
kein Urteil in dieser überaus wichtigen Frage zutrauen und denen das Urteil eines
einzigen Kenners, nämlich das meinige, noch nicht genügt.
Der Almanach wurde mir dann von der Stadtbibliothek auf längere Zeit für ver-
gleichende Studien zur Verfügung gestellt. Es ist ein Blatt von 40 cm Höhe und
26*/, cm Breite. Die Kopfleiste von ungewöhnlicher Ausdehnung wird von dem
von Heitz veröffentlichten Holzschnitt, dem Paar am Brunnen, gebildet. Er ist
264 mm breit und 72*/, mm hoch. Nach 11 Zeilen Text mit Angaben über die
Zeit, in die die Hauptfeste des Jahres 1483 fallen, folgen dann Angaben über die
einzelnen Monate, Stellung des Mondes, die beste Zeit zum Aderlaß usw. Am
linken Rande stehen untereinander fünf Holzschnitte, zu jedem Monat einer, über
dem Holzschnitt der Name des betreffenden Monats: Hartmont, Hornung, Mertz,
Appril, Mey. Die übrigen 7 Monate fehlen leider, sie folgten wahrscheinlich nicht
darunter, sondern auf einem 2. Blatte. Die 5 Holzschnitte enthalten jedesmal in
einem quadratischen Rahmen ein großes Initial-D und in dessen mittlerer Öffnung
eine kleine Darstellung: beim Hartmond die Geburt Christi, beim Hornung einen
Jüngling und eine Jungfrau am Kaminfeuer, beim März einen Jüngling, der mit
einer Hacke den Boden aufreißt, beim April einen Mann, der die Reben beschneidet,
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beim Mai ein Pärchen auf einer Rasenbank, er mit Blumen im Haar die Laute
spielend. Während die Holzschnitte Hornung, März, April und Mai sehr klein sind,
— sie messen durchschnittlich 38: 38 mm — ist der Hartmond mit der Geburt
Christi fast doppelt so groß, 69*/, mm hoch, 69 mm breit.
Die Zeichnung dieser kleinen Darstellungen ist zierlich, graziös und ungemein
lebendig, der Schnitt, keine leichte Aufgabe für den Formschneider, bewunderns-
wert klar und geschmeidig, für diese Zeit geradezu ein Meisterstück.
Der Zeichner der sechs Holzschnitte des Almanachs ist, wie schon gesagt, kein
anderer als der Hausbuchmeister, den Formschnitt aber hat derselbe ausgeführt,
von dem die besten Holzschnitte des Drachschen Heilsspiegels herrühren. Von
diesen zu jenen spinnen sich hundert Fäden hinüber und herüber. Die Überein-
stimmung zwischen den beiden Gruppen ist sogar so groß, daß wir auf eine beinahe
gleichzeitige Entstehung schließen müssen. Der Almanach ist für das Jahr 1483
bestimmt gewesen, muß also spätestens im Herbst 1482 veröffentlicht worden
sein, ja er kann schon bald nach der Mitte des Jahres in den Handel gekommen
sein, wie das auch bei unsern heutigen Kalendern vielfach Brauch ist. Die noch
treffliche Erhaltung der Holzstöcke spricht dafür, daß der Abdruck wohl zum ersten
Male erfolgt ist.
Wo ist nun der Almanach erschienen, und wer hat ihn gedruckt? Die Mundart
ist rheinfrinkisch. Es liegt nichts näher, als an Speier und an Peter Drach als
Drucker zu denken. In der Tat sind die Schrifttypen dieselben wie die kleineren
im Heilsspiegel, außerdem ist der Zeilenabstand, ein wichtiges Merkmal für die
Schriftvergleichung, beidemal derselbe: er beträgt im Almanach von der Basis der
untersten Zeile bis zur Basis der 11. Zeile (von unten) 47 mm, im Drachschen
Heilsspiegel genau so viel Also der Almanach wäre durch alle diese Umstände
zusammen: Zeichner, Formschneider, Schrift, als Druck von Peter Drach in Speier
so gut wie erwiesen. Aber es gibt noch einen besseren Beweis dafür.
In der „Beschreibung einiger typographischen Seltenheiten nebst Beyträgen zur
Erfindungsgeschichte der Buchdruckerkunst“ von Gotthelf Fischer (Mainz und
Nürnberg 1800 und ff.) handelt der Verfasser auch von den ältesten gedruckten
deutschen Kalendern. In der 3. Lieferung (Nürnberg 1801) spricht er auf S. 131
auch von einem in seinem Besitz befindlichen. Die Stelle ist für uns so wichtig,
daß ich sie hier wörtlich mitteilen muß.
„Der meinige ... ist also der zweite jährige Kalender, welchen man bis jetzt
aufgefunden hat und verdient sowohl durch seine Einrichtung, als die Holzschnitte,
welche denselben schmücken, vorzügliche Aufmerksamkeit.“
„Der Holzschnitt, welcher nach oben die Seite verziert, stellt einen Garten =
in dessen Mitte ein Brunnen steht. Auf der einen Seite sitzt ein junger Mensch,
eine Rolle mit folgender nicht sehr zierlicher Inschrift haltend:
»By disser vrohen fart
winsch ich uch frauelin gutter mannigfalt jar.“
Auf der andern Seite sitzt ein Mädchen, mit einem Schoßhündchen und einer
Rolle folgenden Inhalts:
„Gesene got gebe dir heil
gutter jar ein michelteil.“
„. . Auf der linken Seite geht ein Rahmen mit Verzierungen herunter. Blumen
winden sich in künstlicher Ordnung und tragen auf ihren Ästen bald eine Eule,
113
Le
bald einen andern Vogel, für welchen die Naturgeschichte noch keinen Geschlechts-
namen erfunden hat — bald einen Menschen, wie hier der bärtige Jude. Nun
kommt ein Pfau (es ist pavo cristatus Linn.), welcher sich stolz auf diesen Ästen
wiegt, ihm folgt eine Eule (dies scheint eine neue Spezies zu sein), und endlich
ein altes Mütterchen, welches der aufgehobene Arm zur Wahrsagerin des Glückes
des neuen Jahres macht, verkiindet uns den Drucker des Kalenders. Ich habe es,
wenn ich nicht irre, schon eben so alt einmal in einem Werkchen des berühmten
Buchdruckers zu Speier, Peter Drach angetroffen. Übrigens ist es der Druck selbst,
der Charakter und Form der Typen, welcher uns diesen Drucker am deutlichsten
verrät.“
„Der Kalender selbst hebt mit den Worten an: In dez name des herre Eyn
verkudug der alten wysen vnd wolgelerte herfarnen meyster der hochgelobten
Kunst Astronomia: die vnB offeborn etlich heimlicheyt der edeln kus t š
Davon wirt hye ein wenig geseyt In der gemeyn von dem wetter vB der natuer
vnd eygenschafft der vor gemelten constellatz vff dyB Jar Als man schribet noch
Christus geburt .M. cccc. Ixxxiij. Jar. usw.“
„Jetzt folgen Witterungsanzeigen in wenigen Worten und Erklärungen der im
Kalender selbst vorkommenden Buchstaben. Am Anfange und Ende oder vorn und
hinten sind die Zahlen der Tage angegeben, dann folgen die Namen der Monate,
hintereinander; nach den Tagen findet man mit den Buchstaben dr ft die Witterung
bemerkt. „Daz d bedut drocken. r bedut rege. f bedut fuchtikeyt. t bedut tem-
perirt.“
Schließlich gibt Fischer noch eine Probe von der Anordnung des ganzen Kalen-
ders, die ich hier weglasse.
In der 6. Lieferung (Nürnberg 1804) S. 35 erfahren wir, daß Fischer diesen von
ihm aufgefundenen „Almanach vom Jahre 1483 (zu Speier von Peter Drach
gedruckt)“ nicht mehr besitzt. Fischer bemerkt: „Er ist, glaube ich, durch Herrn
Payne nach England in eine Privatsammlung gekommen.“ Wir können zwar nicht
mit Sicherheit sagen, aber wohl vermuten, welches diese Privatsammlung gewesen
ist: die des Lord Spencer. Denn in der „Vorerinnerung“ zu der 4. Lieferung seiner
„Beschreibung“ (Nürnberg 1803) äußert sich Fischer folgendermaßen: „Unter allen
Beförderern wissenschaftlicher Kenntnisse hat vielleicht keiner mit so großer Auf-
opferung Druckdenkmale zu sammein gesucht und wirklich zusammengebracht, als
der berühmte Lord Spencer in London. Vor dem Kriege reiste Herr Payne
auf seine Kosten, um für seine schöne Bibliothek die Reihe der Druckdenkmale des
XV. Jahrhunderts zu vervollständigen.“
Ist nun dieser Almanach wirklich damals mit in die Bibliothek des Lord Spencer
gekommen, so muß er sich noch jetzt in Althorp oder in London befinden.
Unter dieser Voraussetzung habe ich fast alles, was Gotthelf Fischer, der frühere
Besitzer, darüber sagt, hier mitgeteilt, in der Hoffnung, daß es den englischen
Forschern gelingen wird, den Almanach wieder ans Licht zu ziehen und in einer
getreuen Reproduktion, worauf sich ja unsere englischen Fachgenossen besonders
gut verstehen, auch der deutschen Forschung zugänglich zu machen. Denn er
scheint mir von der allergrößten Bedeutung zu sein für die Weiterentwicklung der
in dem vorliegenden Aufsatze angeschnittenen Fragen. Ich entnehme Fischers
Beschreibung, obwohl sie in diesem Punkte nicht ganz deutlich ist, daß der Alma-
nach nicht bloß durch die Typen, sondern durch einen besondern Hinweis als Er-
zeugnis Peter Drachs beglaubigt ist, und denke dabei an die Worte: „ein altes
Mütterchen, welches der aufgehobene Arm zur Wahrsagerin des Glücks des neuen
114
Jahres macht, verkündet uns den Drucker des Kalenders.“ Vermutlich hat sie mit
der andern Hand ein Schriftband oder einen Wappenschild mit dem Namen oder
dem Druckerzeichen Peter Drachs gehalten.
DaB der Holzschnitt mit dem Paar am Brunnen, der die Kopfleiste des ver-
schollenen Almanachs von 1483 bildet, derselbe ist, wie der des Braunschweiger
Almanachs auf das Jahr 1483, daB also beide von demselben Holzstock abgedruckt
sind, unterliegt keinem Zweifel Fischer hat nur auf seinem Blatte einige Worte
auf den langen Schriftbändern über den beiden Personen nicht richtig gelesen, da
einige Buchstaben tatsächlich nicht deutlich geschnitten sind. Der Spruch über
der Jungfrau lautet:
„Geselle got gebe dir heil gutter jar ein michel teil“,
der über dem Jüngling:
„By disser bronen fart winsch ich uch frauelin gutter jar mannigfalt“.
Daß aber die große linke Randleiste, die nach Fischers Beschreibung ein be-
sonders reizvolles Werk sein muß, ebenfalls vom Hausbuchmeister herrührt, kann
ich zwar leider nicht beweisen, aber die verschiedenen Umstände, die hier wieder
zusammentreffen, machen es mir ebenso zweifellos, besonders wenn ich sie mir
im Geiste wieder erstehen lasse und dies Phantasiebild mit ähnlichen, noch vor-
handenen Gebilden vergleiche, die unser Meister etwa то Jahre vor dem Drach-
schen Almanach fern von Speier geschafien hat. Doch bevor ich davon spreche,
muß ich mich noch weiter mit den Erzeugnissen der Drachschen Druckerei be-
schäftigen. (Fortsetzung und Schluß folgt im nächsten Heft.)
115
DIE ITALIENISCHEN ELEMENTE IN DER
ROMANISCHEN KIRCHENARCHITEKTUR
ELSASS-LOTHRINGENS von ERNST COHN-WIENER
Mit sechs Abbildungen auf zwei Tafeln ooo........u.00000000000000000000000000000090 0000000000000 0009000000000
s ist in der letzten Zeit öfter vom Einfluß des italienischen Mittelalters auf
den Norden die Rede gewesen, und dieser Einfluß erscheint natürlich, wenn
man bedenkt, wie sehr Italien der Mittelpunkt der religiösen Kultur und der Kaiser-
kämpfe des Mittelalters war, und wieviel Tausende von Deutschen seinen Boden
betraten. Es nimmt nicht Wunder, diesem Einfluss in den an Italien angrenzen-
den Gebieten zu begegnen, im südöstlichen Frankreich und in der heutigen
Schweiz; ferner in Tirol die ganz oberitalienischen Portale der Zenoburg und des
Schlosses Tirol bei Meran zu finden und weiter nach Norden in Regensburg das
Portal der Schottenkirche. Desto erstaunter war ich, diesen Einfluß in dem denk-
bar abgeschlossensten Gebiet Lothringens, im heutigen französischen Vogesen-
departement so stark zu sehen, daß er bis zur direkten Kopie geht; da er, wie
ja bekannt, auch im deutschen Elsaß wirksam ist, haben wir es in diesen inter-
essanten Grenzländern, die trotz ihrer Fülle romanischer Monumente kunsthistorisch
noch immer viel zu wenig durchgearbeitet sind, mit einem Kunstgebiet zu tun,
das von italienischen Formgedanken geradezu durchtränkt ist.
Die kleine Kirche des Dorfes Laitre-sous-Amance unweit Nancy (Abb. 1) ist
heute in Lothringen das markanteste Beispiel für diesen Einfluß. Während in
ihrem gotisch eingewölbten Innenraum nur noch ein paar Pfeilerkapitelle die alten
energischen Formen aufweisen, ist die Fassade fast vollkommen in romanischen
Formen erhalten. Man hat die gotischen Wölbungen in das alte Gehäuse ge-
wissermaßen eingebaut, und so wirkt der gotische Innenraum stilwidrig eng und
dumpfig, während die Fassade mit ihren klaren, ruhigen Formen &inen erstaun-
lich großen Eindruck macht. Sie ist durch ein horizontal laufendes Ornamentband
in zwei Geschosse geschieden. Die Mitte des unteren Geschosses bildet das ab-
getreppte Portal, das uns noch beschäftigen wird. Von den Sockellöwen, auf
denen seine äußersten Säulen ruhen, steigt außerdem auf jeder Seite eine Halb-
säule in die Höhe als innerer Träger für Blendarkaden, von denen je zwei, eine
schmälere nach innen, eine breitere nach außen, auf jeder Seite die Wand gliedern.
Es ist aber wichtig, daß die Blendarkaden nicht vor die Mauer gestellt, sondern
selbst Teile der eigentlichen Mauerfläche sind, so daß die Wand zwischen ihnen
eine zweite, tieferliegende Schicht bildet. Der Sockel, auf dem die ganze Fassade
ruht, schrägt sich am Fuß dieser Arkaden nach innen ab, um eine Verbindung zur
zweiten Schicht herzustellen. Von diesem unteren Teil der Fassade unterscheidet
sich der obere schon rein äußerlich dadurch, daß anstelle des festgefügten Quader-
werkes hier kleine Feldsteine unregelmäßig aufeinander gemauert die Wand bilden,
die nur an den Kanten von Hausteinen energisch eingefaßt ist. Durch solche
Kanten sondern sich auch die beiden mit Pultdächern geschlossenen Nebenschiffe
ab. Auf dem Hauptschiff erhebt sich in der Fassade ein Turm. Vergleicht man
mit diesem Fassadenbau Kirchen, wie etwa St. Andrea zu Pistoja (Abb. 2), so ergibt
sich eine so vollkommene Verwandtschaft der Fassadengliederung, daß die Ab-
hängigkeit von Italien fraglos wird und die Datierung auch der lothringischen
Kirche ins ХП. Jahrhundert gerechtfertigt scheint. Es ist in Pistoja dieselbe Teilung
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in zwei Geschosse, von denen das obere nicht пиг das Dach, sondern noch einen
Teil der Hochwand umfaßt, eine Teilung, die heute durch eine Balustergalerie der
Renaissancean Stelle einer früheren romanischen Gliederung bewirkt wird. Es ist
dieselbe Anlage des Untergeschosses mit dem Sockel, von dem aus eine Abschrägung
die Verbindung zur inneren Mauerschicht herstellt, mit den zur äußeren Mauer-
schicht gehörenden Bogenstellungen, von denen die zweite und vierte schmäler
sind als die anderen; nur daß in Laitre-sous-Amance an die Stelle des mittleren
Bogens das Portal getreten ist, und an die Stelle der antikisierenden Pilaster
romanische Lisenen, allerdings nicht, ohne daß sich bei den inneren Säulen eine
Erinnerung an die italienischen Formen erhalten hätte. Ja, es ist nicht unmöglich,
daß in Laitre-sous-Amance auch das Obergeschoß ursprünglich turmlos schloß, und
mit Inkrustationen dekoriert war; zeigt es doch dieselbe Schichtung aus kleinen
Steinen, wie sie in Italien der Inkrustation zur Unterlage dient, während das Unter-
geschoß in beiden Fällen die Quaderschichtung hat. Es bleibt sonach gar kein
Zweifel, daß die Fassade in allen wesentlichen und selbst in unwesentlichen Teilen
aus mittelitalienischen Vorbildern abgeleitet ist.
Beim Portal (Abb. 3) sind diese Beziehungen zwar weniger deutlich, aber
immerhin wahrnehmbar. Es muß eigentlich überraschen, daß dieses Portal in der
Literatur unbekannt zu sein scheint, denn in der Harmonie seiner Verhältnisse
gehört es zu den schönsten seiner Epoche. Wie es, breit gelagert, die Fassade
beherrscht, bekommt in ihm die eigentliche Funktion dieser abgestuften Portale,
das allmähliche Hineinführen der Andächtigen in die Kirche, eine lautlose, aber
zwingende Kraft. Schon das Tympanon ist äußerst tektonisch. Es wirkt nur als
abschließender Stein, der durch ein Relief dekoriert wird. Hier darf, wie es im
Wesen der Tektonik des romanischen Stiles überhaupt liegt, die Fläche nicht ge-
sprengt werden, weder durch zu hohes Relief, noch durch zu hastige Bewegungen,
die die figürliche Dekoration zur Hauptsache und das Portal zur Nebensache
machen würden. So thront in der Mitte unseres Tympanons Christus in der Man-
dorla, die Rechte segnend erhoben, die Linke auf das Buch gestützt. Neben ihm
auf jeder Seite ein anbetender Engel in strengem Profil, einen Flügel nach hinten
gesenkt, den anderen nach vorn erhoben, in den Ecken zwei knieende Gestalten,
wahrscheinlich Stifter. Alle Formen sind ruhig, die Gewänder, Unterkleid und
Mantel, schlicht und fast faltenlos, nur einmal kommt, bei dem Engel rechts, das
byzantinisierende „Auge“ am Mantelzipfel vor. Die Gesichter sind leider völlig
zerstört. Es folgt das eigentliche Gewände, je zwei Säulen zwischen Pfeilern mit
den dazu gehörigen Archivolten. Die Säulen ruhen auf Basen, die wie überzogen
scheinen von einer Art Haube, die sich an den Zipfeln zusammenrolit und so die
Eckblätter bildet. Die Kapitelle sind überall mit Rankenornament dekoriert, und
durch kämpferartige Aufsätze von den Archivolten getrennt. Von diesen selbst ist
die innerste mit Blattgeflecht überkleidet, die folgende setzt mit zwei kleinen, in
ganz flachem Relief aus ihr herausgearbeiteten Männchen an, von denen der linke
möglicherweise ein Schwert trägt — es ist wohl an Petrus und Paulus gedacht.
Es folgt ein Pfeiler, der außerordentlich weit herausgeschoben ist, so daß das fol-
gende Säulenpaar mit seiner Archivolte geradezu als Baldachin wirkt. Das Kämpfer-
ornament der inneren Gewände setzt sich auch hier fort, aber die Säulen beginnen
auf höheren Sockeln, ruhen auf Löwen und sind obendrein auf jeder Seite durch
ein Paar ziemlich stark verstiimmelter Stiere von der Archivolte getrennt. Den
äußeren Abschluß bildet das bekannte normannische Zickzackband, das nachträglich
eingesetzt zu sein scheint. Dieses Portal zeigt also gleichfalls eine ganze Reihe
117
Italianismen. Daß seine Säulen auf Löwen ruhen, könnte schließlich ebenso aus
der Gepflogenheit der Kunst von Arles, wie aus Italien abzuleiten sein, da sich
beide gerade hierin beriihren, aber die baldachinartige Vorschiebung der äußeren
Säulen, die trennenden Stiere, und ebenso die kleinen Figürchen in den Archivolten
lassen sich auf italienische Anregungen zurückführen.
Auch an den beiden anderen romanischen Portalen der Gegend sind italienische
Formen nachzuweisen, die Löwen genau so ins Profil gestellt und obendrein zu-
sammengekauerte Träger an dem reichen Portal von Pompierre. Das Portal von
Vomecourt-sur-Madon (Abb. 4) ist sogar als Ganzes, vor allem in der Kapitell-
dekoration stark von Laitre-sous-Amance beeinflußt, denn die durchbrochene Arbeit
der inneren Säulen ist wohl sicher spätere Zutat. Besonders das Tympanon, das
in der rechten Hälfte die Marien am Grabe, in der linken ein Turnier zeigt,
außerdem einen Löwen, und in der Mitte zwei Räder, ist im Figurenstil voll-
kommen von dort abhängig, nur roher ausgeführt und schlechter proportioniert.
Die Gestalten und ihre Gewandung sind in Form und Behandlung geradezu identisch,
und der Engel am Grabe Christi trägt wie die Engel in Laitre-sous-Amance von
den gleichgeformten Flügeln den einen nach vorn gehoben, den anderen nach
hinten gesenkt. Interessant ist das Turnier auf der linken Seite, das ohne
italienische Anregung, etwa von S. Zeno in Verona her, hier gar nicht zu er-
klären wäre.
Es ist nun längst bekannt, daß der italienische Einfluß im Elsaß nicht schwächer
ist, als hier in Lothringen. Dort hat die oft abgebildete Kirche St. Peter und
Paul in Rosheim (nach 1132) eine Fassade, die eine fast genaue Kopie von
S. Zeno in Verona ist. Die Turmlosigkeit, die starke Abtrennung der Seiten-
schiffsfassaden von der Mittelschiffsfront, der Abschluß durch die flachen Pult-
dächer, vor allem aber die Dekoration mit Lisenen und Rundbogenfries und die
Abgrenzung des Giebelfeldes sind genau übernommen. Das einzige, was in Verona
fehlt, ist die kräftige Verbindung der Seitenschiffsabschlüsse durch einen Rundbogenfries
über die Mittelschiffsfassade hinweg und die akroterienartigen Tierfiguren an den
Ecken. Diese Formen finden sich aber an anderen Kirchen Italiens um so öfter,
insbesondere scheint hier eine Reminiszenz an Lucca vorzuliegen. Es ist begreif-
lich, daß Polaczek, wohl einer Andeutung Woltmanns folgend, in Giebelfeld und
Akroterien Anklänge an antike Formen sucht, ) wenn er naturgemäß auch keine
Traditionskette konstruieren kann. Denn als Vorbild kommen doch nur italienische
Kirchen in Betracht. Es handelt sich bei der Abtrennung des Giebeldreiecks um
den Ausdruck des inneren Dachgeriistes in der Fassade, die allen stark konstruktiv
empfindenden Zeiten und Künstlern gemeinsam ist. Sie findet sich am antiken
Tempel und hier in der mittelalterlichen Kirchenarchitektur ebenso, wie etwa an
Peter Behrens’ Krematorium in Hagen, ohne daß man an Abhängigkeit denken
dürfte. Stark von italienischen Vorbildern abhängig scheint auch die Kirche von
Murbach, wie Polaczek meint, nach 1139, gewesen zu sein, deren Langhaus leider
abgebrochen ist, deren schöner Chorschluß aber an die Fassade des Domes von
Verona erinnert, sogar seine Zwerggalerie zum Blendarkadenfries umgestaltet
hat. Man empfand damals in Deutschland die Mauer noch zu sehr als begren-
zende Fläche, um die wandsprengende Zwerggalerie jetzt schon konsequent anzu-
wenden. An diese großen italienisierenden Fassaden schließen sich dann die
kleineren Kirchen an, Altdorf, Sigolsheim, St. Georg in Hagenau, die alle in der
(1) Hausmann und Polaczek, Denkmäler der Baukunst im Elsaß. Straßburg 1906, S. 19.
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zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts entstanden, ihrerseits stark von den größeren
abhängig und heute oft sehr umgebaut sind. Wie in der Fassade, so ist auch in
der Innenanlage fast aller dieser Kirchen der italienische Einfluß unbezweifelhar.
Das interessante, gebundene System, das hier herrscht, der Stützenwechsel, die
Gliederung der Hauptpfeiler, die ungemein massigen Zwischensäulen kehren in
Oberitalien oft genug wieder. Indessen darf ich mir versagen, darauf einzugehen,
da diese Frage eben erst von Dehio erörtert worden ist.!)
Die Portale unterliegen naturgemäß den gleichen Anregungen. Eine der charak-
teristischen Formen am italienischen Kirchenportal ist sein oberer Abschluß
durch ein Dreieck, eine Art Wimperg, der sicher den gotischen Wimpergen über
den Portalen von Chartres, Laon und weiterhin das Vorbild gegeben hat, zumal
auch in Italien schon gelegentlich in ihm Nischen mit Statuen sich vorfinden.
Dieser Pseudo-Wimperg nun findet sich im Elsaß an sehr vielen Stellen, in Mur-
bach 2. В. und an St. Peter und Paul zu Neuweiler. Gerade im Elsaß gibt es
ferner ein Portal, das den italienischen noch weitaus näher steht, als die in
Lothringen, ja, geradezu als ein italienisches Portal in Deutschland angesehen
werden muß, das der Kirche von Andlau (Abb. 5).
Innerhalb einer Vorhalle, die mit phantastischen Reliefdarstellungen dekoriert ist,
wie sie sich im Mittelalter überall, besonders aber auch wieder in Italien finden,
steht ein Portal von außerordentlich energischen Formen. Das Gewände ist von
je zwei karyatidengetragenen Pfeilern gebildet, deren äußere unter Arkaden in
ganz flachem Relief Stifterpaare mit leider arg verwischten Namen zeigen, während
die inneren mit Ranken dekoriert sind, die von menschlichen Figiirchen ausgehen.
Ein sehr energisches Kämpfersims trennt das Gewände von der Archivolte, in
welcher zwischen einem Schleuderer und einem Bogenschützen pflanzliche Orna-
mente, mit symbolischen Gestalten durchsetzt, das Bogenfeld rahmen. Im Tympa-
non selbst thront Christus, der dem Petrus die Schlüssel, dem Paulus ein Buch über-
gibt. Darunter ein Türsturz mit der Geschichte des Siindenfalles, dessen einzelne
Szenen ohne jede Trennung nebeneinander gereiht sind.
Die Meinungen über dieses auf seinem Boden ganz fremdartige Portal gingen
naturgemäß sehr auseinander. Woltmann*) hält seine „Pfostenkonstruktion“ für
äußerst primitiv, und das Portal selbst infolgedessen für einen noch erhaltenen
Teil der 1049 gebauten Kirche von Andlau. Allein obgleich ein ganz friihmittel-
alterliches Portal an S. Ambrogio in Mailand schon die gleiche einfache Gewände-
bildung zeigt, müßten die Abstufung der Pfosten, die Lunette, die Figuren zu
ihrer Seite, und vor allem die Karyatiden stutzig machen. Denn es handelt sich
hier tatsächlich um Karyatiden in Relief, nicht um Figuren mit gen Himmel er-
hobenen Händen, wie Kraus wollte. Das wäre ikonographisch ohne jedes Gegen-
stück. Karyatiden wären aber nicht nur hier, an der Basis des Portals sehr am
Platze, sondern finden sich überdies ebenso wie die Rankenträger des inneren
Pfeilers in Italien von Traù bis Bari unzählige Male. Tatsächlich ist ja auch die
Pfostenkonstruktion dieses Portals im Italien des XII. Jahrhunderts die verbrei-
tetste Portalform und kommt in Mittelitalien besonders an den Bauten vor, deren
plastische Werke sich um den Namen des Benedetto Antelami, also um das Ende
des ХП. Jahrhunderts, gruppieren. Die Form des Türsturzes, dessen einzelne
Darstellungen ungetrennt nebeneinander stehen, weist ebenso auf den Kreis dieses
(1) Zeitschrift f. Gesch. d. Architektur Bd. Ш. 8. 50.
(2) Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß, Leipzig 1876, S. 18.
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Meisters, wie die energischen Gesten der Gestalten und vor allem die merkwiir-
. dige letzte Szene in der Geschichte des Siindenfalles, wo Adam und Eva resig-
niert unter einem Baume sitzen, eine Szene, die sich außerdem nur noch auf den
von Zimmermann!) dem Antelami zugeschriebenen Kapitellen im Museum in
Parma, hier aber ganz ähnlich, findet. Die Stellung der Stifterpaare unter Arkaden
erinnert an Darstellungen auf den Pfeilern des Baptisteriums in Parma, und der
Stil der Figuren mit ihren fast plissierten Gewändern weist ebenso in diesen
Kreis, wie Bogenschütze und Schleuderer und die Figuren im Fries der Außen-
seite. Nur daß, wie vor allem die Anbringung der Lunette zeigt, nach Kopisten-
art alles ganz unorganisch verwertet ist. In die gleiche Zeit wird man übrigens
nach der Verwandtschaft des kerbschnittartigen Ornamentes wohl auch den
Adelochus-Sarkophag in Straßburg setzen müssen.
In den anderen Portalen des Elsaß ist italienischer Einfluß ebensowenig eine
vereinzelte Erscheinung. Ein ähnliches Portal wie in Andlau muß einmal in Isen-
heim gestanden haben, wenigstens stammt dorther ein Stein im Museum in Kol-
mar, mit dem Flachrelief eines Paares unter einer Arkade, das in der Anordnung
der Gruppe, ebenso wie in der Tracht, im Reliefstil und in der Zeichnung denen
an den äußeren Pfosten von Andlau haarscharf gleicht.“) Die Portale von Sigols-
heim, Kaysersberg, St. Leodegar zu Gebweiler und Neuweiler aber sondern sich,
wenn sie auch des italienischen Einflusses nicht entbehren, andererseits doch als
scharf umrissene Gruppe ab. Sie charakterisiert sich dadurch, das im Gewände
die Säulen aus der Reihe der Pfeiler, zwischen denen sie stehen, völlig frei her-
ausgelöst sind, daß die senkrechten Pfeilerkanten zu Hohlkehlen abgemeißelt und
diese, mit Ausnahme eines einzigen Portals, mit einer Dekoration von kleinen, in
gleichen Abständen aufeinanderfolgenden Halbkugeln gefüllt sind, die auch in den
entsprechenden Archivolten wiederkehrt. Es ist sehr merkwürdig, daß diese
Gruppe, die, wie St. Nikolaus in Kolmar zeigt, hier bis in die Gotik hinein herrscht,
Ableger im ganzen Maingebiet hat, wo auch das Gnadenportal von Bamberg
die wichtigsten dieser charakteristischen Kennzeichen aufweist.
Innerhalb dieser gemeinsamen Eigenschaften kommen nun alle denkbaren Diffe-
renzen vor, etwa in der Dekoration der Säulen, die in Gebweiler alle Formen des
gedrehten und im Zickzack ornamentierten Schaftes haben, während das Portal
von St. Peter und Paul in Neuweiler glatte Schäfte und die eigenartigen Basen,
ebenso wie manche Kapitellformen von Laitre-sous-Amance hat. Ebenso variiert
die Intensität der Aufnahme italienischer Elemente. Das reiche Portal von Geb-
weiler, von dem wir eben sprachen, hat die Bandverschlingungen der langobar-
dischen Kunst, die auch sonst im Norden häufig vorkommen. Am Portal von
Sigolsheim tragen die Säulen sehr energische Kämpfer, deren Flächen durch kräf-
tig abgesetzte Kanten begrenzt sind, wie bei den Kämpfern am Südportal des
Domes von Verona, und sein schon als Motiv italienisierender Türsturz trägt
Evangelistensymbole in Kreisen wie S. Ambrogio in Mailand und S. Silvestro
in Nonantola. Dazu kommt der Figurenstil der Lunette, der vollkommen von
Andlau abhängig ist. Als Monument dörflicher Kunst ungemein interessant ist das
Portal von Kaysersberg. In der Konstruktion abhängig von dem in Sigolsheim, ist
es wahrscheinlich erst am Anfang des XIII. Jahrhunderts geschaffen worden,
wenigstens deuten darauf einige Archivoltenprofile und der Skulpturenschmuck,
(1) Oberitalienische Plastik, Leipzig 1897, 8. r10f.
(2) Abb. bei Kraus, Kunst und Altertum in Eisaß-Lothringen, П, Taf. 6.
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eine Krönung Mariä, wie sie vor 1200 und ohne den Einfluß französischer Früh-
gotik schlechterdings nicht denkbar ist. Sie ist fraglos vom Meister des Ornament-
werks am Portal und infolgedessen im Figiirlichen so ungelenk, daß sie ein sehr
interessantes elsäßisches Gegenstück zu Zimmermanns romanischer Margareten-
legende in Fornovo bei Parma!) bildet.
Es ergibt sich also, daß in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts die Gebiete
des linken Rheinufers, das Herzogtum Ober-Lothringen und das Elsaß, eine ge-
meinsame Zone italienischen Einflußes darstellen, obgleich das letztere politisch
zum rechtsrheinischen Schwaben gehört. Es zeigt sich auch hier wieder, daß po-
litische Grenzen kunsthistorisch wenig bedeuten, vielmehr die geographischen
Grenzen, wie der Rhein, die eigentlich maßgebenden sind. Der künstlerische
Zusammenhang der linksrheinischen Gebiete unter sich im XII. Jahrhundert erhellt
auch aus der gemeinschaftlichen Anwendung der selbstgefundenen Formen. So
hat z. B. der schöne Turm der Kirche von Coussey, nicht weit von Domremy,
(Abb. 6) in seinem unteren Geschoß ein Ornamentband, welches jedesmal nach der
Turmkante zu staffelfirmig aufsteigt und so um den ganzen Turm herumgeführt
wird, eine Form, die außerdem noch an St. Mathias in Trier und an St. Fides in
Schlettstadt vorkommt. Schon Viollet-le-Duc hatte ferner auf die Verwandtschaft der
Wölbungssysteme in diesen Gebieten hingewiesen,?) die übrigens auch in Italien
vorzukommen scheinen. Sieht man indessen von den italienischen Elementen ab
und sucht hinter ihnen die eigenen Formen, so findet man, daß ihr Stil viel
stärker nach Deutschland als nach West- oder Südfrankreich gravitiert. Wie
der Turm der Kirche von Coussey ganz den Eindruck einer deutschen Archi-
tektur macht, so wird man das Portal von Laitre-sous-Amance, ebenso wie
den elsäßischen Typus in der Art der Gewände- und Tympanonbildung nicht
neben französische, sondern nur neben die deutschen Portale stellen können. Man
kann die deutschen Formen weiterhin bis ins Marnetal verfolgen, etwa bis zu dem
durchaus deutschen Turm der Kirche von Vignory. Überhaupt muß festgehalten
werden, daß in der Zeit des romanischen Stiles dessen Formen von Deutschland
aus, das damals auf dem Gipfel seiner Macht steht, ebenso westlich vordringen,
wie später die gotischen von Frankreich aus östlich.
Auch die Plastik weist auf diesen künstlerischen Ausgangspunkt. Der schlichte,
dabei so kräftige figürliche Stil des Tympanons von Laitre-sous-Amance und seiner
lothringischen Verwandten entspricht durchaus dem der Portalskulpturen von
Andlau und Gebweiler; trotz der italienischen Einflüsse ist hier dieselbe Klarheit
der Form, dasselbe flache Relief, dieselbe Haltung in den Gestalten, dieselbe Spar-
samkeit in den Gewandlinien unverkennbar, und auch für sie liegen die Parallelen
nicht in Frankreich, sondern in Deutschland.
Worauf beruht nun dem gegentiber die Intensität des gemeinsamen italienischen
Einflusses? Nicht nur auf alten politischen Beziehungen, daß z. B. um 1070 Nieder-
lothringen mit den meisten Städten Toskanas und vielen Städten Oberitaliens in
der Hand der Mathildis vereinigt war, sondern vor allem darauf, daß südlich
Lothringens und des Elsaß die wichtigste Brücke von Italien nach dem Norden
führte, das Königreich Arelat. Dieses Land, dessen Hauptstadt Arles ist, das südlich die
ganze Provence bis ansMeer umfaßt, ferner das ganze westliche Alpengebiet mit Savoyen
(1) a. a. О. Abb. 51.
(a) Viollett-le-Duc. Dictionnaire rais. de l' Architecture. Paris 1873. 8. 211 ff., zitiert bei Woltmann
a. a. O. 8. 51.
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und dem westlichen Teil der heutigen Schweiz, und das Gebiet von Besancon,
ist politisch so wichtig, daB sich Friedrich Barbarossa 1178 in Arles besonders
krönen läßt. Durch dieses Königreich führte eine wichtige Straße aus dem an-
grenzenden Italien über die Alpenpässe ins Elsaß, die er 1167 benutzt hatte. Die
alten Römerstraßen scheinen noch immer die Adern gewesen zu sein, durch die
italienische Formgedanken über die Alpen flossen. Interessant ist jedenfalls die
große Ähnlichkeit des Portals von Andlau mit den Portalen des Schloßes Tirol
bei Meran (Brennerstraße!); gemeinsame italienische Quellen sind sicher anzu-
nehmen. So kommt es, daß das ganze Arelat voll von italienischen Elementen ist,
von Embrun im Süden, dessen Notre Dame im Portal so genau das Vorbild von
Fetrara kopiert, bis ins Gebiet der heutigen Schweiz, für das Lindner diese Ein-
flüsse festgestellt hat.!) Es wäre allerdings notwendig gewesen, das ganze Gebiet
des Königreichs Arelat mit hinzuzuziehen, anstatt nur gelegentlich einmal auf
Besancon hinzuweisen. Dann hätte sich als besonders interessant ergeben, daß
gerade Chur, das damals nicht zum Arelat gehört, den Einfluß von Arles und
Italien am auffallendsten vereint. Darauf, daß im Gebiet der heutigen Schweiz,
wo beide Einflüsse sich vereinen, der Einfluß Italiens stärker ist, als der von Ar-
les, hat schon Vöge?) hingewiesen und seine Beobachtungen ließen sich leicht
vermehren. So sei beispielsweise angeführt, daß der Türsturz der Basler Gallus-
pforte auf ein Vorbild derselben Gruppe schließen läßt, wie der von Andlau, daß
für die Figurentabernakel zu Seiten des Basier Portals ebenso wie für die auf-
Löwen stehenden Figuren von Arleser Gewandzeichnung, aber italienischen Pro-
portionen in Chur sich Anklänge in Traü finden. Der Grund für dies Überwiegen
des italienischen Einflusses über den arlesischen ist nicht leicht zu finden. Er ist
vielleicht darin zu suchen, daß der mächtige italienische Kunststrom, dem gegen-
über der Stil von Arles mehr lokale Bedeutung hat, allzu heftig durch dieses Ge-
biet flutete, das ihn nach dem Norden weiter leitete. Die nördlichen Nachbar-
länder sind nun aber die Gebiete, um die es sich hier handelt, der Elsaß und das
Herzogtum Lothringen.
Tatsächlich ist ihre Verknüpfung mit dem Norden des Königreichs Arelat äußerst
eng. Dafür nur ein Beispiel. Wenn man von den Portalen, die Lindner zusammen-
gestellt hat, der Galluspforte in Basel, den Portalen von St. Ursanne und Neuen-
burg das abzieht, was italienisch und arlesisch an ihnen ist, so bleibt, genau bis
in die freigestellten Säulen und das Halbkugelornament, der elsässische Portaltypus
von Geweiler, Sigolsheim usw. Mithin hat man es hier mit einem in seinen Hauptteilen
oberrheinischen Portaltypus zu tun, dessen Heimat aber eher im nördlichen Teil
des Gebietes liegen dürfte, wo wir ihn bis in die Gotik verfolgen konnten, als in
diesem südlichen.
Der Weg, den die italienischen Formen genommen hatten, scheint somit klar,
und entsprechend dem Datum dieser ganzen Portalgruppe ebenso wie aller anderen
besprochenen Werke muß als die Epoche des Einströmens der fremden Formen
das XII. Jahrhundert, besonders in seiner zweiten Hälfte, angesehen werden.
(1) Die Baseler Galluspforte usw. Straßburg 1899.
(2) Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. 25. 1902. 8. 412. Anm. 15.
122
—— ——— — — — — — —
BEMERKUNGEN ZUR FRANZOSISCH-ENG-
LISCHEN MINIATURMALEREI UM DIE
WENDE DES XIV. JAHRHUNDERTS
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel Von WILLY F. STORCK
Q= Vitzthum!) hat in seinem grundlegenden Werke die Pariser Miniaturmalerei
von der Zeit des hl. Ludwig bis zu Philipp von Valois ausführlich untersucht
und ihre Stellung zu der gleichzeitigen Malerei in England, Nordfrankreich und
Belgien dargelegt. Er charakterisiert auf Grund der hauptsächlichen Monumente
den Stil der englischen Miniaturenkunst?) und weist auf die prinzipiellen Verschieden-
heiten von der französischen hin. Die gesamte englische Hofkunst des XIIL Jahr-
hunderts zeigt sich trotzdem von Frankreich durchaus abhängig°), so daß es nichts
überraschendes hat, wenn wir zu Beginn des XIV. Jahrhunderts in der englischen
Miniaturmalerei vielfachen Anschluß an die Pariser Schulen finden. Vitzthum
(Lc.p.68) hat dargetan, daß die Bildergalerien englischer Könige in den beiden Hand-
schriften des British Museum (Cotton Vitellius A ХШ und Royal 20 A П) in An-
ordnung der Figuren, Kostüm und Zeichnung der Gesichter französischen Einfluß
verraten, ebenso wie die Erzeugnisse eines offenbar für die königliche Familie
arbeitenden Ateliers (Psalter der Königin Isabella, München Cod. gall. 16 und
Psalterium Nr. 233 in Lambeth Palace zu London). Besonders stark erscheint
der Anschluß an Paris‘) bei dem berühmten Queen Marys Psalter (Brit. Mus.
Royal 2 B. VIII) und dem Gratian (Paris, Bibl. nat. lat. 3893), die gleichfalls noch
zu Beginn des XIV. Jahrhunderts entstanden sind und sowohl in Dekorations-
geschmack als Technik nicht ohne französische Vorbilder denkbar sind.
Vitzthum hat dieser mehr höfischen Kunst eine Klosterkunst von völlig indigen
englischen Charakter gegenübergestellt, deren Erzeugnisse im letzten Drittel des
XIII. Jahrhunderts sich um den Peterborough-Psalter in Brüssel (996 1—2) gruppieren’).
Ein besonders wichtiges Beispiel dieser Gruppe und offenbar aus dem Atelier des
Peterborough-Psalters herausgewachsen, ist der berühmte Arundel-Psalter (London,
Brit. Mus. Arund. 83) .
Er besteht aus zwei Teilen, die zusammengebunden sind: der erste Teil (Fol. ı— 116)
ist nach dem Stil seiner Miniaturen, die mit der Sammlung englischer Gesetze
(Cotton Claudius D II) zusammenhängen, noch vor 1300 entstanden. Jedenfalls hat
Warner”) wahrscheinlich gemacht, daß er für den 1308 gestorbenen Sir W. Howard
(x) Georg Graf Vitzthum, Die Pariser Miniaturmalerei von der Zeit des hl. Ludwig bis zu Philipp von
Valois und ihr Verhältnis zur Malerei in Nordwesteuropa. Leipzig 1907.
(2) Desgl. I. Kapitel р. 68—87.
(3) v. Schlosser, Jahrb. der Kunstsamml. des Allerh. Kaiserhauses, XVI, 1895, р. 170.
(4) Haseloff faßt sein Urteil in seiner Darstellung zusammen (A. Michel, Histoire de l'art II. 1,
р. 353 ff. 1906. |
(5) Vitzthum, р. 73. Der Gruppe gehören weiter an: der Psalter in St. Paul in Kärnten und das
Bruchstiick der Sammlung Weigel Nr. 28.
(6) Vitzthum, p. 72ff. — Ferner ist zu vergleichen insbesondere in Hinsicht auf die folgenden Aus-
führungen: Catalogue of the Arundel Мав. in the Brit. Museum. New series. vol. I. 1834, p. 23. — Archae-
ological Journal 1848, p. 70; XXI, 218; Serapeum УШ, 136; Journal of the British archaeol. Association II.
1847, р. X51; Bulletin des anciens textes francais 1881, р. 72.
(7) Warner, Diuminated Manuscripts in the British Museum. Ш, pl. ХХШ—ХХУ. (Diese vortreff-
123
geschrieben ist. Der zweite Teil, dessen Schenkungseintrag von 1339 fiir die
Datierung wenig in Betracht kommt, wire aus stilistischen Griinden noch vor dem
ersten entstanden zu denken, so daß wir als Datum seiner Entstehung etwa auf
die Jahre 1280—85 kämen!).
Auf Grund ikonographischen Beweismaterials soll im folgenden versucht werden
zu zeigen: ı. daß auch im Arundel Psalter (II) französischer Einfluß — wenigstens
ikonographisch — zu erkennen ist, und 2. daß die Datierung mehr dem Jahre 1300
zu nähern ist.
Den Ausgangspunkt bildet die auf f. 128 (Arundel 83 II) befindliche Darstellung
der drei lebenden und der drei toten Könige (vgl. Abb. 1). In einem durch
mehrere Parallellinien eingerahmten Rechteck, das durch eine Vertikallinie in zwei
Teile zerlegt ist, stehen die Gestalten. Links auf einem kurz angedeuteten Rasen
die drei Lebenden, durch Kronen und Gewänder als Könige?) charakterisiert. Der
Hintergrund bei den Skeletten zeigt ein symbolisches Ornament stilisierter Mohnblumen.
Sie stehen mit den Spitzen der Zehen auf der umrahmenden Linie. Über dem
Rechteck stehen die Worte für die Lebenden: Ich am afert. Lo whet ich se. me
pinkep hit bep develes pre, für die Toten: Ich wes wel fair. Such scheltou be.
For godes love be wer by me. Unterhalb der Miniatur steht eine Fassung der
Legende: De vivis regibus De mortuis regibus. Es ist eine abgekürzte französische
Version eines anonymen Verfassers, die uns in verschiedenen französischen Hand-
schriften des XIII. und XIV. Jahrhunderts überliefert ist“).
Die Miniatur stimmt nun auffallend in mehreren Motiven überein mit der fran-
zösischen der Hs. 3142. f. 311 der Arsénalbibliothek in Paris‘). Betrachten wir
die Übereinstimmungen genauer (vgl. Abb. 2). Der zu äußerst stehende König
(dem in Arundel 83 II ganz unmotiviert ein Szepter zugesteckt ist) faltet die Hände
in der gleichen Weise wie die dort entsprechende Figur. Er steht abseits von
seinen beiden Genossen. Diese fassen sich in beiden Miniaturen gleichermaßen bei
der Hand. Der dritte hält auf der linken Hand einen Falken. Die Haltung und
Wendung der Figuren wird nur — entsprechend dem Stilcharakter von Arundel 83 П —
liche und ungemein billige Ausgabe ist soeben in neuer Auflage erschienen, nachdem die alte in
kurzer Zeit völlig vergriffen war. Sie ist geradezu vorbildlich für derartige Publikationen.)
Andere Abbildungen des Arundel-Psalters bei Thompson, Illum. mas. pl. 17; Palaeographical society I.99/ 100
und Vitzthum in der Festschrift für Schmarsow. Leipzig 1907, р. 69.
(1) V. gibt kein bestimmtes Datum an, und sagt р. 73 nur: In Cotton Claudius ОП, vor 1300 ent-
standen, zeigt sich der Stil des Arundelpsalters I. „War nun damals das Atelier von Arundel 83 I
schon tätig, so kann der zweite Teil noch früher entstanden sein.“
(a) Bei den Emblemen der Kronen und des Szepters mag man an die bourbonische „fleur de lys“
denken.
(3) Ich komme auf die ganze literarische Verbreitung der Legende demnächst in meinem Buche aus-
führlich zu sprechen. Die erwähnte Fassung beginnt mit den Worten:
Compainz vois tu ce que je vol
Von weiteren Has nenne ich: Paris, Bibl. nat. fr. 378, f. 7v; fr. 24432, f. 13; fr. 957 f. 132; London,
Brit. Mus. Egerton 945, f. 12; Cambridge, Magdalene College. Coll. Pepys 1938; Catalogue Didot
1882, Nr. 3 (Psautier de la Reine Bonne).
(4) Male, L'art religieux à ia fin du moyen Age 1908, Abb. 185; Gazette des beaux arts 1909, р. 135;
Künstle (die Legende der drei Lebenden und der drei Toten 1908) kennt die Miniatur nicht, obwohl
er sie mit ihrer alten Signatur (175), allerdings falsch, angibt. — Henry Martin, Les miniaturistes
francais. Paris 1906, р. 118 sieht in der leicht lavierten Federzeichdung die Arbeit eines höher be-
gabten leitenden Kúnstlers. ,,Celui qui l’exécuta était évidemment capable de guider d'autres artistes
et de leur fournir des esquisses.“ Vitsthum widerspricht dem (Rep. f. Kw. XXX, р. 92),
124
ins Monumentale übersetzt. Bei den Skeletten sind die Analogien noch weit-
gehender: das Stehen derselben ist „wörtlich“ übernommen, weiterhin die ge-
kreuzten Arme des ersten, das Laken, Senkung des Kopfes und Armhaltung des
zweiten. Auch das dritte Skelett wird in der Haltung übernommen. Nur verliert
sich all das Zierliche und Graziöse der Pariser Miniatur; es wird plumper, täppischer,
was man vornehmlich in den Köpfen der Skelette erkennt. Alle diese Kongruenzen
können nicht zufälliger Natur sein, und die eine Miniatur hat die Kenntnis der
anderen unbedingt zur Voraussetzung. Es ist anzunehmen, daß dem englischen
Miniator eine französische Vorlage vorgelegen hat!).
Die Hs. 3142 der Arsenalbibliothek wird auch von Vitzthum (p. 55) eingehend
behandelt, allerdings ohne Beriicksichtigung der in Frage stehenden Miniatur. Sie
gehört eng zusammen mit Bibl Nat. fr. 12467, Genf (cod. lat. 6a) und London
(Add. 30072); einer Gruppe von Hss, die von Honorés Stil, dem Nürnberger
Breviar und besonders dem Méliacen (Bibl. nat. fr. 1633, zw. 1285—91 entstanden)
stark abhängig sind. V. ist daher geneigt ihre Entstehung bis an das äußerste
Ende des XIII. Jahrhunderts hinabzurlicken; — so daß wir für Arundel 83 II
ca. 1280, für Arsenal 3142 ca. 1295 als Entstehungszeit annehmen müßten. Das
ist aber nach unseren Ausführungen nicht angängig, da der englische Miniator die
französische Vorlage gekannt haben muß. Ich wäre daher geneigt für die englische
Handschrift Warners Datierung: Anfang XIV. Jahrhundert, für die Pariser diejenige
Martins: ca. 1285?) anzunehmen. jedenfalls ist die ikonographische Abhängigkeit
von Frankreich beim Arundel-Psalter?) erwiesen.
Denn, daß es nicht angängig ist die umgekehrte Beeinflussung anzunehmen, er-
gibt sich ohne weiteres aus der literargeschichtlichen Entwicklung der Legende,
wie aus der Tatsache, daß die Miniatur des Arundel-Psalters von einer aus Frank-
reich übernommenen Fassung begleitet ist. In Frankreich ist aller Wahrscheinlich-
keit nach die erste Bearbeitung der Legende entstanden: diejenige Baudouins de
Condé (ca. 1240—80). Eben diese illustriert die Miniatur der Arsénalbibliothek.
Überdies existieren noch drei weitere französische Hss., die dem XIIL Jahr-
hundert angehören, und Baudouins Gedicht enthalten: Paris, Bibl. nat. fr. 378,
1446 und 25566. Von diesen enthält fr. 378, f. т eine wenig veränderte und ver-
gröberte Replik der Arsénal-Miniatur. Die beiden Rechtecke sind auseinander-
geschoben. Die Gewandung ist ein wenig verändert, sonst kehren die gleichen
charakteristischen Motive auch hier wieder.
Nicht so unmittelbar ist der Zusammenhang mit der Arsénalminiatur in den
Miniaturen von Hs. Bibl nat. fr. 25566 (fonds La Vall. 81, Roi 2736); sie illustrieren
drei verschiedene Fassungen der Legende, tragen jedoch auch den Zusammenhang
mit unserer Miniatur an der Stirn.
f. 209”. E (nsi con la matere conte).
(1) Vitzthum weist (р. 79) bei Besprechung des Gratian (в. о.) auf ein ähnliches Beispiel hin. Ein
englischer Mönch hat hier offenbar ältere provencalische Ausgaben vor Augen gehabt, deren Einfluß
nicht unterdrückt ist.
(2) Henry Martin. Les peintres de Manuscrits, Paris, 1908, р. 48.
(3) Hier sei eine Zwischenbemerkung gestattet. Betrachtet man z. В. die interessanten Darstellungen
von Arundel 83 f. 124 (Warner III, T. XXII), mit denen englische Tafelgemälde des Musée Cluny
(Nr. 1664) vergleichbar sind, und erinnert sich der frühen Kölner Bilder (Walraf Richartzmuseum 2/4
und etwa die vier jüngst für das Louvre erworbenen Tifelchen), so versteht man völlig die gründ-
lichen Darlegungen Vitzthums in dem 4. Kapitel seines Buches über die rheinische Malerei zu Anfang
des XIV. Jahrhunderts und ihre Beziehungen zu England.
125
(Ce sont li III mors et li III vis que baudouins de condé fis).
In der Initiale auf Goldgrund eng zusammengedriingt die Lebenden und Toten.
Ubereinstimmende Motive: der erste Lebende hilt einen Falken, der dritte hat die
Hände gefaltet zum Gebet.
f. 210” T(roi damoisel furent jadis).
(Chi commenche li III mors et li III vis ke maistres nicholes de marginal fist).
Der erste Lebende trägt den Falken, der dritte erhebt den Finger. Die Skelette
sind nicht ganz sichtbar, aber das zweite hat die Arme gekreuzt wie die Arsenal-
f. 215°. D(iex pour trois pechours retraire).
Hier ist der Zusammenhang noch deutlicher. Der erste Lebende faßt seinen
Nachbarn bei der Hand; der zweite legt dem ersten die Hand auf die Schulter
und der dritte verschriinkt die Arme. Von den Skeletten sind nur zwei in den
engen Raum gedriingt: das erste hat die Hand erhoben, das zweite hat die Arme
gekreuzt. — —
Die Tatsache, daß diese fünf Miniaturen die wir betrachtet und deren Zusammen-
gehörigkeit wir erörtert haben, die frühesten uns bekannten Fassungen der Legende
illustrieren und dem XIIL Jahrhundert angehören, hat eine weitere Bedeutung. Wir
glauben nämlich in ihnen den frühesten, wenn nicht den Urtypus, der künstlerischen
Darstellung der Legende erkennen zu dürfen: Die Lebenden stehen den Toten
gegenüber. So begegnen sie uns auch in den monumentalen Darstellungen, die
noch dem XII. Jahrhundert angehören: in St. Ségoléne in Metz, Kirchbrühl (Schweiz
ca. 1300) und in Melfi, — Gemälden, die ohne Zweifel ikonographisch von den
betrachteten französischen Miniaturen abhängig sind, als deren wenn nicht frühestes
so doch vollendetstes Beispiel wir Arsenal 3142 f. 311 ansehen dürfen.
(т) Die Handschrift zeigt in gleichem Maße eine Verrohung, wie etwa die Rijmbibel in Brüssel (1500/1)
in der nordfranzösischen Malerei.
(2) Etwas späterer Zeit (etwa 1300—1350) gehören die frühen englischen Darstellungen In Barnstaple,
Battle, Hustbourne Tarrant, Knockmoy Abbey an. — Über alle diese Darstellungen, sowie über die Ent-
wicklung der verschiedenen Typen wird mein Buch ausführlich handeln. — Das interessante Fresko
in der Grotte S. Margherita bei Melfi, dessen Kenntnis und Photographie ich Herrn Prof. Dr. Haseloff
verdanke, ist ohne Zweifel französisch beeinflußt, wie ich demnächst ausführlich zeigen werde.
SCHUCHLINS LORCHER MAURITIUS-
ALTAR.
Es ist eine leidige Tatsache, дай die kunst-
wissenschaftliche Forachung im Zitieren von Ur-
kunden frúher im allgemeinen recht nachlissig
war. Dieser Umstand hat in der letzten Zeit wieder-
holt dazu geführt, daß jüngere Kunsthistoriker, zu
bequem, den Quellen auf den Grund zu gehen,
kurzweg die Richtigkeit derartiger älterer Angaben
in Frage stellten. Daß auch peinlicher Akribie zu-
weilen eine viel benutzte Quellensammlung ent-
gehen kann, beweist Haacks gerade inbezug auf
die archivalischen Studien musterhafte Arbeit über
Schüchlin (Straßburg 1905). Darin heißt es 8. 30:
„Das Benediktinerkloster auf dem Marienberg (in
Lorch) enthält eine Mauritiuskapelle. Für diese
soll Schüchlin 1495 einen Altar gearbeitet haben,
der aber nicht mehr existiert. Aber auch diese
Angabe läßt sich mit den Urkunden des Ulmer
Stadtarchives nicht erhärten.“
Nach Lorcher Altären wird man allerdings eher
in Lorcher als in Ulmer Urkunden suchen müssen.
Als nächstliegende bietet sich das in der Hauptsache
am Ende des 15. Jahrhunderts entstandene, als
kunsthistorische Fundgrube berühmte „Rote Buch“
des Klosters Lorch im kgl. Geh. Haus- und Staats-
archiv zu Stuttgart. Darinnen heißt es denn auch
8. 154: „Item die tafel vff sant mauritius altar ist
gemacht anno Dni MIICLXXXXV vmb LXVII
guldin vnd hatt sie gemacht maister hanns schúlin
von vim.“ Ob der Altar in der Tat zerstört ist,
bedarf noch weiterer Untersuchung.
Julius Baum.
URKUNDLICHES ZUM MEISTER DER
HOLZHAUSEN-BILDNISSE. (?)
Im zweiten Band dieser Zeitschrift (S. 58a) hat
Heinz Braune den Maler der Holzhausen-Bildnisse
in recht einleuchtender, wenn auch nicht zwingen-
der Weise mit dem Maler Conrad Faber von Creuz-
nach zu identifizieren gesucht. Viel neues Urkund-
liches hat sich bisher nicht feststellen lassen, aber
auch dieses Wenige mag, da es einmal gefunden
ist, hiermit veröffenticht werden.
Gwinner in seinem Buch über Kunst und Künstler
in Frankfurt am Main gibt irrtümlich das Jahr
1537 an, in dem Faber in das Bürgerrecht auf-
genommen worden sei; tatsächlich ist die Auf-
nahme erst 1538 erfolgt. In dem Bürgerbuch, das
die Aufnahmen von 1300—1539 enthält, findet sich
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 3.
fol. 234 unter 1538 die folgende Eintragung:
Maister Conrat Faber Moler duxit filiam civis
juravit 3. post Oculi [26. März] 1538 dedit 8 е 6h.
Auch den Namen der Frau lernen wir, und
zwar aus dem Trauungsbuch der Barfüßer kennen,
das das Frankfurter Standesamt bewahrt; hier ist
unter dem Jahre 1537 fol. 17 eingetragen: Conraid
Faber ein Maler von Creutzenach Kathrin Clas
Hussen wölnwebers dochter den 18. Junii.
Der Zustrom von Creuznach nach Frankfurt ist
offenbar ganz beträchtlich gewesen; in dem Zeit-
raum von 1440—1500 finden wir etwa 7 Concze,
Jost, Hans usw. von Creuznach in das Frankfurter
Bürgerrecht aufgenommen, die sich als Leder-
arbeiter, Schuhmacher usw. hier ansässig machen :
ein Künstler ist nicht unter ihnen. Offenbar ist
aber unser Maler auch erst neu zugewandert: das
beweist einmal die Form der Eintragung besonders
des Kopulationsbuches, während man es aus seiner
Signatur: Conrad von Creuznach nicht schließen
könnte; dann aber kommt der Name Faber in
dem erwähnten Zeitraum nicht ein einziges Mal
vor. Auch nachher begegnet er von 1500—1539
nur zweimal: Hans Faber und Simon Faber
(1502 und 1537); beide sind Sattler und stammen
nicht aus Creuznach, sondern aus Bretten und
„Freidenstein‘ bei Bretten. Dann tritt der Name
Faber erst spät und seiten wieder in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts auf.
Von unserem Maler findet sich dann aus dem
Jahre 1551 die Aufstellung einer Berechnung für
Anfertigung eines Himmels für den Kaiser (Stadt-
archiv, Wabltags-Akten T. 2. fol. 236). Für welche
Gelegenheit dieser Himmel angefertigt ist, wird
nicht gesagt: nach Frankfurt ist Karl V. 1551
nicht gekommen.
Die Rechnung folgt hier im Wortlaut, da auch
sie noch die Vielseitigkeit eines Malers der da-
maligen Zeit zeigt!).
Volg was ich einem firsichtigen weisen rat,
meinen gúnstigen gebietenden herren an dem
keyserlichen eren hymel auss befelg hrn. Ottigers
von Mollems*) gemacht und weiters zu machen
bestelt alles uff meinen kosten und gelt erlegt hab.
Item erstlich daß umbhenglin mit den fransen
uff beden seyten mit feinem golt vergúlt, даги
24 wapen auch mit gold und silber sampt yren
(1) Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Archivdirektor
Prof. Dr. Jung, dem ich auch sonst fiir frdi. Mithilfe ver-
pflichtet bin.
(з) Oijer von Melem geb. 1499, 1550 älterer Bürgermeister,
gest. 1575.
10 127
titeln gemalt, beschriben, auch weiters mit umb-
stendiger zyr versehen und inwendig mit keyser-
licher majestatt titel beschriben.
Weiters 4 vergulte kugeln mit krutzlin даги,
4 keyser adler, solichs uff die 4 ort des eren
hymels geordnet, dergleichen die 4 stangen, damit
mans dregt, gantz versilbert und uff solichs alles
ist an golt und farben, auch andr zug, darzu ver-
braucht, wie hernach vermelt.
f bsa h
Item 2 buch 3 firtel fein golt, kost
das buch 4 f zu 16 batzen facit 9 9
item 8 firtel silber das firtel kost 28
facit 16
item fiir farben und ander notrufft
so mir weiters druff gangen facit 2
item fiir mein muhe und arbeit zu lon 12
Summa = 24f бв 3h.
item was ich mit barem gelt bezahit hab
namlich dem kessler fiir die 4 kugeln 1 8
item dem schlosser geben fiir alles
schmidwerck, darzu gehörig auch die
adler auszuhawen I 16
item fiir die 4 blech zu den adlern
geben 12
Summa thut 3f 128
item weiters hab ich auss befelch Friedrich Frólichs 1)
(sagte auch Johann von Glauburgs?) befelch sein)
das awerwerk (= Uhrwerk) uff der far porten durch
(1) Vielleicht ein Sohn von Conrad Frölich, Uhrmacher und
Schmied, der 1534 als städtischer Uhrensteller in Dienst
genommen wird.
(2) Johann von Glauburg 1503—1571, fünfmal, darunter
1552 älterer Bürgermeister.
auss mit Ölfarben angestrichen. даги gelauffen
ein Ib. bleiweiez, farb kost sampt der arbeit 12 f.
E F Уу уу
Conrad maler inn der isenwaagen
Summarum 28f 6s 3h.
Die letzte Eintragung, die vorläufig noch aus
der Zeit angeführt werden kann, da Faber noch
am Leben ist, bezieht sich auf den Belagerungs-
plan von 1552, der nach seiner Zeichnung von
Hans Grav in Holz geschnitten wurde. In dem
Rechenmeisterbuche von 1552 findet sich unter
dem то. September folgender Eintrag: item 4 taler
verert demjenen, der die stat Frankfurt sambt
deren belegerung abconterfait und dem rat ge-
schenkt hat. (Frankfurter Chroniken und ana-
listische Aufzeichungen der Reformationszeit. hrsg.
von Dr. К. Jung. Frankfurt 1888. Quellen zur
Frankfurter Geschichte Bd. 3, 8. 518.)
Die weitere Geschichte des Planes wird bei
Gwinner berichtet und interessiert uns in diesem
Zusammenhang nicht näher. Jedenfalls aber muß
in dem Zeitraum zwischen dem 10. September 1552
und März 1553, wo Fabers Witwe wegen des
Planes beim Frankfurter Rate vorstellig wird, der
Tod des Malers erfolgt sein. — Eine gewisse, wenn
auch sicher nicht unüberwindliche Schwierigkeit
bei der von Braune vorgeschlagenen Identifizierung
liegt darin, daß in den urkundlichen Eintragungen
stets der Name Faber genannt wird, nicht ein-
fach Conrad von Creuznach. Darauf muß wenig-
stens hingewiesen werden; es ist ja aber anzu-
nehmen, daß wir eines Tages auch darüber völlig
ins Klare kommen werden. Kari Simon.
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inkfurt sams
dem rat ge
ep und 1
Gei AN.
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% Z ENSIONEN
D FREISE. Pieter Lastman.
Leben, seine Kunst. Klinkhardt &
, Leipzig, 1911.
ever hätte das vor etwa fünfundzwanzig Jahren
— daß wir je eine solches Buch über Re m-
Andt’s Lehrer bekommen könnten?
„Die Forschung schreitet doch mit Riesenschritten
Man und wir müssen die reifen Früchte dieser
Stechung dankend annehmen.
Diese Arbeit Freise’s ist eine solche reife Frucht.
Mit bewunderungswertem Fleiß hat der Verfasser
alles zusammengestellt, verarbeitet, bereichert mit
neuen Funden, was wir nach und nach über Last-
man erfuhren.
Seine Lebensgeschichte liegt ziemlich klar vor
uns. Und zum ersten Mal ist sein Oeuvre zu-
sammengestellt: erstaunlich, noch an vierzig in
Sammlungen nachweisbare Bilder, und dazu über
hundert Bilder die aus Inventaren, Beschreibungen
bekannt geworden sind. Eine anständige Anzahl
dieser Bilder (oder Stiche danach) gibt Freise am
Ende seines Buches, zum Teil leider in etwas sehr
kleinem Format wieder.
Wenn man diese Abbildungen Revue passieren
läßt, muß man sich doch sagen: Wir waren dem
armen Lastman früher nicht gerecht! Wir glaubten,
Rembrandt hätte ihm nur die großen Blattpflanzen
im Vordergrund seiner Bilder abgeguckt, aber er
hat doch tiefere Eindrücke von den Arbeiten seines
gelehrten Lehrers mitgenommen.
Das sehen wir erst recht, wenn wir diese Re-
produktionen studieren. Da sieht man Rembrandt
zunächst eine freie Skizze nach Lastman’s Bildern
machen, dann diese Skizze wieder für seine Bilder
verarbeiten, wobei doch das Vorbild unverkennbar
zu bemerken ist. Die Bathseba Lastman’s bel
Herrn Zobielski in Petersburg und Rembrandt's
Bathseba bei Steengracht im Haag — Lastman’s
Susanna des Herrn Delaroff, Rembrandt’s Skizze
danach in Berlin und seine Susanna der Haager
Galerie usw.)
Es ist sehr gut, daß Freise uns diese Rembrandt-
schen Bilder neben den Lastman’schen zeigt. Es
ist immerhin ein Abgrund zwischen den trockenen
Figuren, den peinlich studierten Draperieen des
Lehrers und den Leben atmenden Weibern von
Fleisch und Blut, die von zauberhaftem Licht um-
flogen werden, des großen Schülers!
Warum Freise zuerst den sehr eingehend be-
handelten Katalog des Oeuvre gibt um S. 98 den
„künstlerischen Entwicklungsgang“ folgen zulassen,
kin
Rie
ist mir nicht recht klar. Man wird trotzdem zu-
náchst das Oeuvre tiberschlagen und bei 8. 98
anfangen zu lesen!
Da hören wir, wer Lastman’s Lehrer war, unter
weichen italienisierenden Einflüssen er noch in
Holland erzogen wurde, wie Elzheimer und seine
Manier ihn in Rom am meisten anzogen, wie er
diese seiner Begabung anpaßte, und dann in
Holland ein berühmter und gefeierter Historlenmaler
wurde. Dieses alles, an der Hand der sehr aus-
führlich beschriebenen Bilder. А propos. Man
spricht immer über Elzheimer und dessen Einfluß
in Rom. Aber man vergißt, wie viel früher
Paulus Brill dort schon arbeitete und wie sehr
er zunächst den Elzheimer beeinflußt hat. Man
sehe nur einmal die kürzlich in Oud-Holland (von
Orbaan) veröffentlichten Fresken an, die Brill
malte, als Elzheimer noch lange nicht in Rom
angelangt war. Später freilich hat der jüngere
den älteren Künstler wieder beeinflußt.
M.E. hätte Freise die Beschreibungen der doch
fast alle abgebildeten Gemälde und Stiche knapper
fassen können. Ein Werk, das dem Lastman zu-
geschrieben wird und auch als solches abgebildet
ist, Diana und Aktion (Paris, Sml. Wagenhoff-
Dolch) möchte ich ihm doch entschieden ab-
sprechen. Jedem Unbefangenen muß es auffallen,
wie sehr es aus allen anderen Reproduktionen
„herausfällt.“ Die andere Zeichnung, das viel
weichere, die total andere Behandlung der Dra-
perieen, weisen bestimmt auf einen anderen Künstler,
etwa Cäsar van Everdingen. (Man sehe bloß das
kostümliche, z. В. den flatternden Mantel des
Aktäon!).
Weithin der interessanteste Teil des Buches, ist
die Erörterung der Entlehnungen, welche Rem-
brandt bei den Werken seines Lehrers machte.
Bei diesem hat er gewiß gründlich zeichnen ge-
lernt; in der Haag’schen Susanna sehen wir sogar
in den vielen Falten des sorgfältig behandelten
Hemdes etwas, das an Lastman erinnert.
Aber bei allem Tüchtigen, allem was er gekonnt,
bleibt Lastman doch ein langweiliger Meister. Als
er einmal das Rezept gut gekannt, hat er alle,
mehr oder weniger in einem Stil gemalt. Sehen
wir uns sein Hauptbild nur an: Paulus und Barna-
bas in Lystra. Wie posieren alle seine Leute!
Fast jede Figur „steht Modell.“ Und das gibt dem
Bilde etwas Theatralisches, Todtes bei allem Auf-
wand der Figuren. Und die bunten, wenig har-
monischen Farben erspart uns nur die farblose
Abbildung. Wie gesagt, Freise’s Buch ist vor-
129
trefflich, gründlich, der Gegenstand erschöpfend.
Ich erlaube mir nur ein paar ganz unbedeutende
Bemerkungen.
Ich kann mich nicht vereinigen mit der Ansicht
derer, die einen starken Einfiuß des Lystra-Bildes
auf Rembrandt’s Predigt Johannes des Täufers ent-
decken wollen. (Es ist, nebenbei gesagt, sehr
schade, daß Freise dieses Bild nicht auch repro-
duziert hat). Ich nehme aber an, daß es ein
Lastman’sches Werk desselben Gegenstandes ge-
geben hat, welches dem Rembrandt'schen näher
stand. Hierbei will ich eine kuriose, freilich nicht
eigentlich zur Sache gehörende Begebenheit er-
zählen. Vor einiger Zeit hing zufällig in Berlin
die Lastman’sche Susanna des Delaroff über der
Rembrandt’schen Grisaille - Predigt des Täufers.
Und was fand ich kürzlich in dem Inventar des
„Ridders“ Aernout Hooft, 1680, Amsterdam, werden
gleichzeitig erwähnt:
een kleyn Schilderytje van wit en swart (gri-
saille) von Lastman, synde een predicatie
van Johannes de Dooper
und sofort dahinter:
ееп Schilderytje van Lastman synde een
Susanna met de boeven.
Es stebt also wohl fest, daß Lastman eine
Grisaille mit der Predigt des Johannes gemalt.
Und diese mag vielleicht Rembrandt veranlaßt
haben, diesen Gegenstand auch Grau in Grau zu
behandeln. Obenerwähnte Grisaille Lastman’s
wird bei Freise ja auch sub 46a, in zwei spä-
teren Sammlungen erwähnt. So lange wir dieses
Bild noch nicht aufgefunden, sollten wir in dem
Lystra-Bild noch nicht zu viel suchen wollen —
was eben dort nicht zu finden ist.
Ein weiteres Bedenken habe ich gegen die Be-
hauptung Freise’s (S. 262), daß Rembrandt’s früher
Bileam sich nicht mehr in seinem ursprünglichen
Zustand befindet. Ich hatte das Bild monatelang
in meinem Zimmer, und kann konstatieren, daß
es von einer Hand gemalt ist und die beiden
Bretter genau aneinander passen und wohl nichts
dazwischen gewesen ist.
Noch einmal: dieses Buch, das endgültig Last-
man’s Bedeutung, Leben und Werk in muster-
gültiger Weise festiegt, ist eine Arbeit von größtem
Fleiß und seltener Gewissenhaftigkeit. Ich habe
z. B. kaum je eine Abhandlung gesehen, wo die
Funde und Attributionen anderer, mit solcher Treue
erwähnt werden, Dieses soll hier einmal ausge-
sprochen werden, wo andere zuweilen ihre Vor-
gänger, denen sie oft das beste ihrer Arbeit ent-
lehnen, nichtscheuen, geringschätzend abzubrechen.
A. Bredius.
130
DICTIONNAIRE DES SCULPTEURS
DE L’ECOLE FRANCAISE PAR STA-
NISLAS LAMI. 4 Binde. Paris (Honoré
Champion) 1898—1911.
I. Band: Vom Mittelalter bis zum Siècle
de Louis XIV.
П. Band: Das Siècle de Louis XIV.
III. u. IV. Band: Das XVIII. Jahrhundert.
In dem Geleitwort des ersten Bandes, das Gustave
Larroumet dem großen Unternehmen seines Freundes
gewidmet hat, steht der Satz: „Si les répertoires
vraiment scientifiques sur les matieres artistiques
abondent en d’autres pays, ils sont encore Tares
dans le nôtre“: eine Behauptung, deren rühmens-
werte Bescheidenheit im Widersprucn steht mit
den Tatsachen, und durch die der Referent in die
seltene Lage versetzt wird, den Verfasser und
seinen Eideshelfer gegen sie selbst in Schutz
nehmen zu müssen. Von einem „abonder“ der
wissenschaftlichen Repertorien ist die deutsche,
wie dte englische und italienische Kunstwissen-
schaft noch weit entfernt, und man hat in Frank-
reich allen Grund, solz zu sein auf die seit Jahr-
zehnten dort gepflegten Bestrebungen, alles do-
kumentarische Material über die Kunstschätze der
Nation mit größter philologischer Akkuratesse zu
zu sammeln und zu ediren.
Der vorliegende Dictionnaire der französischen
Bildhauer zumal ist eine Leistung, von der gesagt
werden muß, daß sie ihresgleichen sucht in der
gesamten kunstwissenschaftlichen Literatur aller
Länder. So sehr grade wir in Deutschland mit
Befriedigung auf die bibliographischen und lexi-
kalischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte blicken
können, wie sie in den Inventaren der Provinzen,
den Literatur-Nachweisen des Repertoriums und
seiner Nachfolger — einerseits, wie in der Ency-
klopädie des „Thieme-Becker“ andererseits, vor-
liegen — wer hätte wohl bei uns, nachdem der
große und kühne Versuch Julius Meyers und seiner
Genossen so schlecht belohnt worden war, den
Mut gehabt, ale Einzelner sich an eine Riesen-
aufgabe zu wagen, wie sie hier, von einem Fran-
zosen geleistet, vorliegt. Wir haben die gewiß
einzig dastehende Tatsache zu konstatieren, daß
ein Bildhauer von Beruf zwanzig Jahre hindurch,
ohne jede fremde Hilfe und ohne jede wissen-
schaftliche oder pekuniäre Unterstützung, seine
Mußestunden der Aufgabe opfert, all den Hunderten
von großen und kleinen Namen seiner Genossen
aus den frühesten Tagen des Mittelalters bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts in einem monumentalen
Schriftwerk einen Ehrentempel zu errichten.
Heute liegt das Resultat dieses ebenso pietät-
vollen wie bewunderungswürdigen Fleißes vor uns.
In vier stattlichen Foliobinden, die in der Opulenz
und Eleganz ihrer Ausstattung keine Spur von
den ökonomischen Nöten verraten, zu denen die
meisten Publikationen dieser Art verurteilt zu
sein pflegen, werden die plastischen Reichtümer
aus acht Jahrhunderten französischer Geschichte
Stück für Stück, Kleinstes wie Größtes, mit
Ort und Stunde ihrer Entstehung verzeichnet.
Einem kurzen Lebensabriß der Künstler folgt eine
chronologisch geordnete, detaillierte Liste
ihrer sämtlichen Werke, mit genauer Angabe
aller Stadien von der Entstehung bis zur Vollen-
dung, der ehemaligen und heutigen Aufstellung,
des Preises für den sie angefertigt wurden, endlich,
der Kupferstiche, die nach ihnen existieren, wie
der Museen, die Abgüsse davon besitzen. Wer
sich daran erinnert, in welch fragmentarischer Ge-
stalt gerade die Plastik der Franzosen aus den
Stürmen der Revolution auf uns gekommen, wie-
viel Unersetzliches verloren oder in alle Welt
zerstreut worden, wieviel namenloses Gut noch
heute die Öffentlichen und privaten Sammlungen
anfüllt, der wird die Unsumme von Arbeit ermessen
können, die in diesen Notizen, vor allem in den
chronologischen Tabellen der Werke aufgespeichert
ist. Den Beschluß jedes Artikels bildet ein Ver-
zeichnis der gesamten in- und ausländischen Lite-
ratur über den Künstler und seine Werke, wobei
der Verfasser dem so oft als „unerreichbar“ be-
zeichneten Ideal der Vollständigkeit nicht nur da-
durch nahe gekommen ist, daß er die Belegstellen
der Inventare und Archivpublikationen in absoluter
Lückenlosigkeit beibringt, sondern daß er sogar
aus sämtlichen, sehr oft registerlosen Compendien
und Monographien die Seitencitate für jedes ein-
zelne Kunstwerk zusammenstellt.
Wie gern verzichtet man bei dieser Fülle realer
Werte auf die ja stets, auch beim besten Willen,
subjektiv bleibenden ästhetischen und kritischen
Raisonnements, wie sie die ältesten und jüngsten
Lexikographen unserer Wissenschaft zu geben nie
sich entbalten können, ohne zu bedenken, daß alle
solche Wertbestimmungen und Urteile in ihrer
historischen Bedingtheit von Generation zu Gene-
ration der Revision unterworfen sind und den
monumentalen Charakter beeinträchtigen, den jede
Encyklopädie als solche doch anstrebt. Es ist
nicht der kleinste Ruhmestitel des Lamischen
Werkes, daß hier ein „Nichtfachmann“ an Selbst-
verleugnung all seine gelehrten Vorgänger und
Konkurrenten weit hinter sich läßt. Nirgends ist
der Versuchung nachgegeben worden, durch noch
so kurze panegyrische oder kritische Epitheta den
Lesern die Ansicht des Verfassers zu präsentieren.
Einzig der enger oder weiter gespannte Rahmen
des äußeren Umfangs der einzeinen Artikel ist der
Maßstab, nach dem die Kleinen von den Großen
geschieden werden. Statt des Verfassers kommen
die Künstler selbst in kurzen eigenen Briefcitaten
oder anderen dokumentarischen Beigaben von unan-
fechtbarem historischen Wert zu Worte.
So kann denn gesagt werden: erst jetzt, wo
diese fundamentale Vorarbeit geleistet worden ist,
wird eine wissenschaftlich einwandfreie mono-
graphische Behandlung der Häupter der franzó-
sischen Bildhauerschule möglich sein. Vor allem:
es liegt jetzt kein Grund mehr vor, dem größten
plastischen Genie des alten Frankreich, Houdon,
das biographische Ehrendenkmal noch länger vor-
zuenthalten, nachdem man sich schon seit einem
Menschenalter mit dem ganz primitiven Lebens-
abriß von Dierks und einzeinen gelegentlichen
Zeitschriften- Artikeln hat behelfen müssen. Die
Schranken, die bei der Aufstellung des in alle Welt
zerstreuten und jeder kritischen Sichtung entbeh-
renden Oeuvres des Meisters der Forschung bis-
herunübersteiglich erschienen, sind dank der Pionier-
arbeit des Lami’schen Dictionnaires gefallen. Die
chronologische Tabelle sämtlicher heute noch auf-
findbaren Werke Houdons liefert dem künftigen
Verfasser dieser schönsten und wichtigsten mono-
graphischen Arbeit, die die französische Plastik
kennt, die Fundamente mühelos in die Hände.
Möchte der Bau selbst nicht allzu lange auf sich
warten lassen. Edmund Hildebrandt.
EDMONDUN D JULES DE GONCOURT:
Stecher und Maler des XVIIL Jahr-
hunderts. Herausgeg. von Paul Prina.
Leipzig ıgıo bei Julius Zeitler.
Von der vor zwei Jahren begonnenen deutschen
Ausgabe des berühmten Werkes liegt jetzt der
zweite Band vor, der die Publikation mit den Bio-
graphien der Gravelot, Cochin, Eisen, Moreau,
Debucourt, Fragonard und Prudhon abschließt.
Auch hier sind leider, wie schon im ersten
Bande, die wertvollen Oeuvre-Kataloge des Ori-
ginals fortgelassen worden. Da der geringe Um-
fang dieser wissenschaftlich unentbehrlichen Partien
keine übermäßigen Anforderungen an die äußere
Ökonomie der deutschen Bearbeitung gestellt bitte,
so kann nur der Wunsch, einem größeren Publikum
eine kunstliterarische Delikatesse ohne allen wissen-
schaftlichen Ballast vorzusetzen, hierfür ausschlag-
131
gebend gewesen sein. Die blumenreiche, geist-
sprühende Diktion der Goncourts stellt an die Kunst
des Ubersetzers die allergréSten Anforderungen.
Die vorliegende Ubertragung ist gewissenhaft und
redlich bemüht, dem Original möglichst nahezu-
kommen. Der Reichtum an Wortkunst, úber den
die Goncourts verfiigen, mag der deutschen Uber-
tragung überhaupt unúbersteigliche Hindernisse
entgegengesetzt haben Jedenfalls ist der Zweck des
Unternehmens, einem größeren Kreis kunsthisto-
risch interessierter Leser, denen die Lektüre des
Originals Schwierigkeiten bereitet, eine Erleichte-
rung zu bieten, durchaus geglückt, zumal diese
deutsche Ausgabe Abbildungen enthält, über die
das sehr viel bescheidenere und ohne Tafeln aus-
gestattete Original — die französische Prachtaus-
gabe ist längst vergriffen — nicht verfügt. Aller-
dings kann nicht verschwiegen werden, daß dieser
zweite Band der deutschen Ausgabe, was die Aus-
wahl und den Reichtum an Illustrationen betrifft,
hinter dem ersten entschieden zurückbleibt.
Edmund Hildebrandt.
DENKMÄLER DER KUNST IN DAL-
MATIEN. Herausgegeben von Georg
Kowalczyk. Mit einer Einleitung von
Cornelius Gurlitt. Berlin тото. Ver-
lag für Kunstwissenschaft. G. m.b.H.
Mit dieser Publikation führt sich ein neuer Ver-
lag verheißungsvoll in die Kunstgeschichte ein.
Und man darf ihn dazu beglückwünschen. Denn
diese beiden Prachtmappen, die in technisch voll-
endeter Form die Denkmäler eines Landes ver-
einigen, dessen kunst- und architekturgeschicht-
liche Probleme man nur erst ahnt, ohne sie bis
ins kleinste lösen zu können, geben der kunst-
wissenschaftlichen Forscherarbeit eine Grundlage,
wie man sie sich vollkommener nicht hätte denken
können.
Wer das Glück hatte, dies Land auf erlebnis-
reicher Touristenfahrt kennen zu lernen oder wen
die Geschichte selbst, wie etwa den Historio-
graphen Venedigs, nach Dalmatien hinwies, hat
wohl längst die Bedeutung dieses abgeschlossenen
Küstenreiches für die notwendige Erkenntnis viel-
sagender Beziehungen zwischen Orient und Okzi-
dent richtig einzuschätzen gelernt.
Cornelius Gurlitt, der selbst auch nur das kurze
Glück der Bekanntschaft mit Dalmatien gehabt
hat, schrieb der hier angezeigten monumentalen
Publikation eine Einleitung, die wunderbar klar
in ihrer Diktion alles andeutet, was aus der histo-
132
rischen Evolution heraus dieser Boden umschlossen
bäi, Er der Kenner europäischer Architektur-
geschichte, weist fast in jeder Zeile dieser stim-
mungsreichen Einführung auf die kulturgeschicht-
liche Linie hin, die ihren Ausgangspunkt von
Hellas nimmt und über Rom (Diokletian) und die
Völkerwanderung bis zum Untergang der Republik
Venedig hinleitet. Denn diese eine Linie allein
gibt auch der kunstgeschichtlichen Erkenntnis
Boden und Rückgrat und ohne sie läßt sich in
der Kunst Dalmatiens nichts zu einwandfrei-klarer
Erkenntnis bringen.
Der Herausgeber aber, der in mühseliger Arbeit
auf mehr als 130 Lichtdrucktafeln in vollendeter
Wiedergabe den „lebendigen Trümmerhaufen“
dalmatinischen Kunsterbes vor unseren Blicken
aufbaut, ist genau der gleichen Einsicht gefolgt
und weist in seinen Bildern jene grandiose Linie,
die das Schicksal gewandelt ist: Spalato, Salona
und Knin (im ersten Bande), Zara, Arbe, Sebenico,
Traü, Curzola, Ragusa, Cattaro (im zweiten Bande),
sind die Kulturstätten Dalmatiens, zwischen denen
das noch unerforschte Küstenland und Inselreich
eingeschlossen liegt. Der Österreichische Staat hat
heute ein erhöhtes Interesse an dieser seiner süd-
lichsten Provinz. Denn Dalmatien hat die antike
Fruchtbarkeit Siziliens, die zu Scipios Zeiten sagen-
haft klingt, und die Fülle großer Architektur-
monumente weist ebenso wie die fast grausige
Schönheit des Landes auf einen nahen Fremden-
zufluß, der Dalmatien einst zu einer Goldgrube
der österreichischen Monarchie machen kann. Die
Kunstgeschichte im besonderen findet hier eine
Fülle dankbarer Aufgaben, die völkergeschichtlich
Probleme preisgibt; und durch die Kunstgeschichte
allein kann, wie mir scheinen will, auch nur die
moderne kolonisatorische Kulturarbeit eingeleitet
werden.
Man rekapituliere einen Augenblick das Thema
Dalmatien: Griechenland, das sonst so expansions-
fähig war und die Küsten Asiens besiedelte wie
es in Sizilien eine Ablagerungsstätte für seinen
eroberungsfreudigen kolonisatorischen Geist fand,
hat das hinter den Bergen liegende Dalmatien
vollständig ignoriert. Erst Rom erkannte in den
Jahrhunderten, die der von allen Seiten bedrohten
Weltmacht feste Stützpunkte aufzwang, den Wert
dieser seebeberrschenden Küsten. Die Völker-
wanderung, die mit ungezählten Scharen, voll der
entfesselten Instinkte, aus dem Norden hereinbrach,
hat hier Völker angesiedelt, die die Fackeln іЬгев
Seins aus dem Orient in den Okzident hinüber-
trugen. Ihre Spuren sind verwischt, ja so sehr,
daß der heutige Kunsthistoriker gewissermaßen in
!
Dalmatien die Wiege der byzantinischen Formen-
sprache finden kann. Das Mittelalter aber sieht
dies Land in nahem oder minder engem Kontakt
zu Venedig. Ein Teil der venezianischen Ge-
schichte findet in der Geschichte Dalmatiens seine
Erklärung. Vielleicht, daß man heute noch viel
zu sehr Konstantinopel und die Kreuzzüge für den
spezifisch orientalischen Geist der alten Königin
an der Adria überschätzt; vielleicht daß Dalmatien
das große Bindeglied, als Trägerin antiker und
byzantinischer Tradition und künstlerisch Vermitt-
lerin in der neuen Formensprache gewesen ist,
wie auf der anderen Seite, was nicht verkannt
werden darf, von Venedig aus zahlreiche Rück-
wirkungen in romanischer Zeit von der lombardisch-
venezianischen Baukunst gerade in Dalmatien Auf-
nahme und Fortsetzungen erlebt haben. Wie aber
auch immer die Geschichte im einzelnen gewesen
sein mag, für deren Erkenntnis uns heute noch
alle Unterlagen fehlen, so weist doch die Kunst-
geschichte, als „monumentum aere perennius“ an-
deutungsweise alle Fäden auf, denen auch der
Historiograph zu folgen hat. Hier sind in der
Tat Probleme verborgen, die ebenso vielsagend
für die Antike wie für die Neuzeit sein können.
Wie der Kaiserpalast Diokletians in Spalato für
sich ein Dokument römischer Kolonisationsarbeit
darstellt, so sind die wundervollen Basiliken
Salonas, Ragusas und anderer Orte wiederum
Zeugnisse für den ewig nivellierenden Geist der
Weltgeschichte, der in Augenblicken selbst hetero-
gene Kulturen harmonisch in eins zusammenfügt.
Von der neuern Zeit — in der Venedig befruchtend
auf diese Küstenplätze herüberstrahlt — nicht zu
reden.
Solche Andeutungen aber sollen für das Thema
„Dalmatien“ nur eine Vorahnung sein, sie sollen
vor allem den Blick des Forschers und Kunst-
freundes auf eine Publikation hinlenken, die es
von sich aus verdient, bei Zeiten erkannt und in
ihrem Werte richtig eingeschätzt zu werden. Denn
hier ist eine Arbeit geleistet worden, die uns zu
Dank verpflichtet und wenn der Nestor der Archi-
tekturgeschichte, Cornelius Gurlitt, dieser Veröffent-
lichung durch seinen Namen und seine gedanken-
starke Einführung gewissermaßen die Weihe gab,
so schätzen wir ihn doppelt, weil er damit die
Gegenwart auf Aufgaben hinwies, denen sich junge
Kräfte mit Erfolg weiter widmen können.
Dalmatien aber hat nie ein besseres, nie ein
technisch vollendeteres Denkmal seiner gewaltigen
Vergangenheit bekommen wie in der hisr näher
angedeuteten Veröffentlichung, die in ihrer Art
einzig ist. Möchte sie úberall da Eingang finden
wo man für die der absoluten Kunstforschung
heute noch entgegengesetzten Ziele menschheits-
und kulturgeschichtlicher Evolutionserkenntnis
Sympathie und Interesse mitbringt. Ein Land zum
Entdecken, scheint mir auf Grund der Gurlittschen
Publikation Dalmatien mehr denn je, Möchte auch
hier deutscher Forschergeist bahnbrechend voran-
gehen. Georg Biermann.
ARDUINO COLASANTI, Gentile da
Fabriano. Bergamo, Istituto Italiano
d’Arti Grafiche 1909.
C.’s Buch ist eine zusammenfassende Biographie,
die auf den 96 Textseiten wirklich geschickt das
umfangreiche Material verarbeitet. Jedermann wird
das Buch gerne besitzen, denn es enthált das
wichtigste úbersichtlich und ist mit Reproduktionen
— die zwar richtig gewáhlt sind, aber unorganisch
verteilt sind — reichlich versehen. In seinen
Attributionen ist C. vorsichtig, ja konservativ; er
lehnt die Madonna im Museo Poldi Pezzoli, wie
die der Stroganoff-Sammlung in Petersburg ab und
läßt von den vier Täfelchen in der vatikanischen
Galerie, die er mit anderen maßgebenden Gelehrten
für die Predellastücke des Quaratesi-Altars hält,
nur das Mirakel auf dem Meer als von Gentiles
eigener Hand herrührend gelten, während er die
anderen Stücke seiner Bottega zuweist. Aus dem
Inhalt des Buches ist folgendes hervorzuheben:
S. 16 bringt С. triftige Gründe für die Annahme,
daß G. im Jahre 1425, also in demselben in dem
er das Quaratesi-Altarwerk malte, in Siena war.
Auf 8. 18 gibt er dokumentarische Belege dafür
daß a) Gentiles Tod zwischen den Monaten August
und Oktober des Jahres 1427 sich ereignet haben
muß, denn noch Juli wird er vom Lateran aus-
bezahlt, während er am 14. Oktober schon „quon-
dam“ bezeichnet wird; b) daß seine in S. Giovanni
in Laterano hinterlassenen „Suppellettili“, die dem
Pisanello zugefallen sind, von dem letzteren 1442
verkauft wurden. Auf 8. 22 u. f. gibt C. eine sehr
kurze Übersicht über die Elemente, aus denen die
Kunst des G. wohl herausgewachsen ist. Die
Malerei in den Marche während der zweiten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts ist ein interessantes, aber
noch sehr wenig bekanntes Kapitel in der italieni-
schen Kunstgeschichte, und C. konnte hier darüber
natürlich nicht sehr viel mehr als eine trockene
Aufzählung der Namen und Werke geben. Ein
bisher unbekanntes Werk des Jacobello del Fiore
führt C. auf S. 23 in die kunstwissenschaftliche
Literatur ein, dasselbe ist bezeichnet und befindet
133
sich in der Kirche zu Castel di Mezzo, Fiorenzuola
di Focara. Hoffentlich bringt der Verfasser von
diesem — es ist ein geschnitztes Kruzifix, — inter-
essanten Werk bald eine Abbildung. Wir glauben,
daß C. den künstlerischen Wert des Francescuccio
Ghissi auf 8. 32 zu hoch anschlägt. Sehr richtig
ist dagegen, was er 8. 35 u. f. über die angeb-
lichen Beziehungen Gentiles zur nordischen, be-
sonders zur französischen Kunst sagt. Französi-
scherseits wird ja neuerdings behauptet, Gentile
wäre ein Nachahmer der Miniatoren, die gleich-
zeitig, oder etwas vor ihm in Frankreich tätig
waren. Diese Ansicht wird von C. mit Recht ab-
gewiesen, und es gelingt ihm nachzuweisen, daß
die Ähnlichkeiten, die in diesen zwei Kunst-
richtungen zutage treten, ganz allgemeiner Natur
sind und auf zeitgeschichtliche Momente, wie Ana-
logien in der Tracht usw. zurückzuführen sind.
8. 38 bis 42 geht C. nochmal auf die Frage der Stil-
bildung in der Kunst des Gentile zurück und gibt
diesmal eine wirklich dankenswerte Zusammen-
stellung, dessen, was an Fresken und Tafelbildern
von den Vorläufern Gentiles von Bedeutung ist.
„Poetischer Naturalismus und Liebe für Genre-
szenen“ sind nach C. die Hauptcharakteristiken
von Gentiles Kunst. Wenn wir noch das feine
Gefühl für das Dekorative und die Neigung zu
koloristischen Effekten, die oft auch durch blenden-
den Reichtum an Gold oder Farbe erreicht werden,
dazugeben, so haben wir in der Tat, glaube ich,
eine treffende Charakteristik unseres Künstlers.
Auf 8. 53 bringt С. zum ersten Male eine
Illustration von der sehr bedeutenden „Krönung
Mariä“ von Gentile in dem Besitze von M. Heugel
in Paris. Das Bild behandelt dasselbe Thema wie
das Mittelstück des Brera-Altars ist aber später,
und steht wohl auf derselben Stufe wie das Quara-
tesi-Altarwerk.
C. verweist auf den von Venturi ausführlicher
behandelten (L’Arte 1900 p. 185 ff.) Michele Ungaro,
den Gehülfen Gentiles, von dem wir verschiedent-
lich in den Dokumenten hören, und identifiziert
diesen, mit Venturi, mit dem Michaelus Panonius,
der das ganz unter Cosimos Turas Einfluß stehende
Bild in der Budapester Galerie signiert hat. Mir
aber erscheint sehr unwahrscheinlich, daß der
Meister dieses Gemäldes derselbe Michele Ungaro
sei, von dem die Dokumente in Ferrara schon
1415 als fertigen Maler sprechen. Tura war 1430
geboren!
Unter den von C. besprochenen Werken des
Gentile vermisse ich die Madonna in dem Besitze
des Mr. Th. М. Davis in Newport und das zweifels-
ohne aus S. Giovanni in Laterano herrührende
134
Fragment des Kopfes von Karl d. Gr. (gegenw.
im Museo Cristiano, vgl. Berenson. Central Italian
Painters of the Renaissance, 2. A. p. 175). —
Mit richtigem Gefühl geht C. dem Einfluß des
Gentile in den Marche nach, und hier erfahren
wir dankenswertes über Malereien in sonst wenig
bekannten Ortschaften, wie Recanati, Offida, Mate-
lica und Fermo. Die Werke des sog. Maestro
della Culla (Meister mit der Wiege, der in Fabriano
und Umgegend verschiedene ansprechende Werke
unter dem Einfluß Gentiles schuf), den Corr. Ricci
so benannt hat, zitiert C. auch, ohne sich jedoch
dieser treffenden Bezeichnung zu bedienen. Mit
Recht reiht der Verfasser auch (auf S. 84) das
Madonnenbild des South Kensington Museums in
London, datiert und bezeichnet Peregrinus 1428,
unter die mittelitalienischen Nachahmer des Gentile,
gegen die bisherigen Versuche, das Werk für
venezianisch oder veronesisch zu erklären. Der
Einfluß des G. war jedoch, wie auch C. betont,
ephemerisch. Seine Heimat war zu sehr jeder
fremden Beeinflussung offen, und in der Toscana
(wo Giovanni di Paolo der am stärksten von G.
beeinflußte Künstler war, er kopierte diesen hie
und da förmlich), und im Norden kamen mit
Masolino und Squarcione neue, mächtige Rich-
tungen auf, denen eine größere Zukunft beschieden
war als der von ihnen verdrängten träumerisch-
jugendhaften Kunst Gentiles. Ich kann C.'s Be-
hauptung, Masolino wiese gentileske Reminiszen
in seiner Kunst auf, nicht folgen. Das von C. ab-
gebildete Bild des Giov. di Paolos (S. 89) ist nicht
mehr in Siena, sondern im Metropolitan-Museum
zu New-York. — Das Buch C.’s ist gut geschrieben,
schön ausgestattet und verdient eine günstige Auf.
nahme. Sehr vermißt man ein Register. Man
sollte endlich aufhören, Bücher, die ernsthaften
Charakter tragen, ohne solches herauszugeben.
Morton H. Bernath.
Н. О. SCHALLER, Figurenbild und
Landschaft. Beiträge zur Vorgeschichte
der Landschaftsmalerei. Stuttgart 1910.
Wenn manche Kunstgelehrte den Fehler be-
gehen, sich mehr an Reproduktionen als an Ori-
ginale zu halten, so ist der Verf. in den entgegen-
gesetzten Fehler verfallen. Er hat zu viel ge-
sehen und hat dabei die Übersicht über das Ge-
sehene verloren. Nun schleppt er wahllos charakte-
ristische und nicht charakteristische Werke zu-
sammen, verwirrt mehr, als daß er klärt. Und
während andere Kunstgelehrte sich zu wenig
in der ästhetisch-kunstwissenschaftlichen Literatur
umsehen, hat der Verf. zu viel gelesen, hat das
Gelesene nicht genúgend verarbeitet und wirft
nun an passender wie unpassender Stelle mit
Ausdrücken wie „Kunstwollen“, „Fernbild“, „Raum-
kunst“ u. a. um sich. Trotz dieses wissenschaft-
lichen Auftretens aber ist die Betrachtungsweise
des Verf. durchaus unwissenschaftlich. Er selbst
gesteht ja (S. IV), er wolle die Probe machen,
„ob sich kunstgeschichtliche Fragen auch einmal
ausschließlich vom Standpunkt des mit den Augen
der zeitgenössischen Kunst sehenden Galeriebe-
suchers aus behandeln lassen.“ Damit verzichtet
er also auf die erste Bedingung wissenschaftlicher
Arbeit, die Objektivität. Zudem ist dieser Stand-
punkt des Verf. der eines höchst extremen Im-
pressionismus. So untersucht er nun nicht, wie
sich die Landschaft allmählich entwickelt hat,
sondern ob sie sich mehr oder weniger impressio-
nistisch verhalten hat.
Der Grundgedanke der Arbeit, soweit er sich
aus dem Wust eines unklaren, nachlässigen und
überladenen Stiles herauserkennen läßt, ist das
recht ansprechende Problem: Wie hat sich in dem
Fortgang vom Fresko zum Tafelbild, vom reinen
Figurenbild zur Landschaft mit Figurenstaffage,
schließlich vom zeichnerischen zum malerischen
Stil die reine Landschaft entwickelt? Aber nirgends
ist es dem Verf. gelungen, dies Problem klar her-
auszuarbeiten. Denn überall überwuchert die Nei-
gung, ohne Rücksicht auf jenes Problem in mög-
lichst gesuchtem Stil Bilder zu analysieren. Ich
kann mir nicht versagen, einige Stilproben aus
dem Buche anzufúhren. Bei einem Bilde Fra
Filippos: „Die Figürchen, deren überaus charakte-
ristisch stilisierte Bewegungsmotive einen Charme
haben, der eine Empfindung von fraulicher Zart-
heit enthült . . . . (S. 47). Bei Botticelli: „Jene
Fresken des Louvre, die von der nun aufs höchste
differenzierten Kultur florentiner Kunstempfindung
gleichsam bis in die Fingerspitzen durchströmt
scheinen“ (S. 54). „Pieros strenge Beobachtungs-
gabe treibt hier die dem normalen Augeneindruck
gemäße Wiedergabe der Form zu einer rätsel-
baften, fast wissenschaftlichen Impressionsrichtig-
keit“ (S. бт). —
Um nicht einen derartigen Journalistenstil in die
Kunstwissenschaft, der exakte Präzisierung des
Ausdrucks erste Lebensbedingung ist, einreißen zu
lassen, ist dieses Buch durchaus abzulehnen.
Kurt Freyer.
THOMAS DE KEYSERS Tätigkeit als
Maler. Ein Beitrag zur Geschichte der
holländischen Porträts von Rudolf Olden-
bourg. Selbstverlag. München!).
Nachdem im Jahre 1909 die Zeitschrift „Onze
Kunst“ eine gediegene Studie über das Werk und
Leben dieses großen Porträtmalers von der Hand
J. Kronigs gebracht, erscheint jetzt eine noch etwas
ausführlichere Arbeit über ihn von Herrn Rudolf
Oldenbourg.
Im Vorwort nennt er ihn „den häufig genannten,
aber verhältnismäßig noch ungenau gekannten
Künstler“ und in der Einleitung gibt er zu, daß
Kronig „in skizzenhafter Behandlung“ sein ge-
samtes Wirken verfolgt, „ohne jedoch auf die
stilistische Charakterisierung näher einzugehen“;
hierin läge gerade der Schwerpunkt der Aufgabe,
da Weissmann die (von andern mit vielem Zeit-
aufwand ans Tageslicht geförderten) archivalischen
Notizen über ihn schon zusammengestellt habe.
Nun ist es wohl eigentümlich, daß Herr Olden-
bourg trotzdem aus der „skizzenhaft behandelten‘
Studie Kronigs recht vieles entlehnt, ohne freilich
das dabei zu sagen. So besonders die Möglich-
keit, ja Wahrscheinlichkeit, daß Ketel de Keysers
Lehrer gewesen. Zwar sagt Herr Oldenbourg:
Unger (lies: de Roever!) habe in Oud Holland III
S. 176 darauf gewiesen. Es steht davon aber an
zitierter Stelle kein Wort; dagegen „daß Ketels
Schüler Pieter Isaacsz vier Jahre älter sei als
Hendrick de Keyser, daß Hendrick de Keyser als
Freund Bürge blieb für Pieter Isaacez, daß viele
junge Dänen als Schüler bei Pieter Isaacsz ein-
treten, daß Thomas de Keyser also auch wohl
Schüler des Isaacsz gewesen sei.“ Ich habe de
Roever diesen Artikel schreiben sehen, und weiß,
daß er dieses gemeint hat. Herr Oldenbourg liest
gewiß nur mangelhaft das Holländische. Denn
auf S. 101, Оча Holland IV, von ihm NB. zitiert!
sagt Six ausdrücklich: de Roever hat nicht Ketel
sondern Isaacsz als Lehrer de Keysers vorge-
schlagen! Six sagt dann allerdings vorübergehend
in derselben Note, daß a E. doch eher Ketel sein
Lehrer gewesen sein müsse. Kronig, der zufällig nie
diese Artikel gesehen hat — ist dann selbständig
auf Ketel gekommen, hat mit stilkritischen Gründen
diese Ansicht verteidigt und nennt dabei auch
noch Aert Pietersz. Merkwürdigerweise wiederholt
Herr Oldenbourg das genau, aber ohne nur mit
(з) Dieser Dissertation wird in Kürze das erweiterte um-
gearbeitete und illustrierte Buch im Verlag von Klinkhardt
& Biermann folgen. Die Red.
135
einem Wort zu sagen, daß dieses schon in „Onze
Kunst“ gedruckt stand.
Der Verfasser ergeht sich dann linger úber die
Anatomie (1619) und das Gildestiick (1627) de
Keysers, sich dabei wiederholt auf Riegel berufend.
Wenn er findet, дай hier ,,die Hinde flau modelliert
sind, daß die Farbengebung leblos“ ist — so kann
ich diese Ansicht absolut nicht teilen. Schon eine
gute Photographie tiberzeugt jeden von der Vor-
trefflichkeit der Hände, und die etwas kräftig rote
Karnation, die schön ausgedrückten schwarzen
Stoffe der Kleidung sind alles eher als „leblos“.
Auch kann ich in dem Gruppenbild von 1627
(die Silberschmiede) nicht den starken Einfluß von
Franz Hals entdecken den Herr Oldenbourg hier
sieht. Es wundert mich, daß weder er noch Kronig
dabei an das prächtige Regentenstück vom Jahre
1618 von van der Voort dachten, das offenbar in
der Anordnung (je drei Figuren im Vordergrund
sitzend, je drei dahinten stehend) de Keysers Vor-
bild war. Dieses Meisterwerk hat auch schon einen
so feinen Gesamtton als de Keyser hier noch nicht
erreicht. Elias hat viel stärkere Einflüsse von
Hals in sich aufgenommen, aber etwas später;
denn vor 1627 hatte Hals erst ein Schützenstück
gemalt (1616) und erst im Jahre 1627 malte er
wieder zwei andre. Als man in Amsterdam im
Jahre 1633 Hals beauftragte, Amsterdamer Schützen
zu malen (es wurde erst 1637 fertig!) schrieb der
Notar in zwei längeren Dokumenten, die ich
nächstens veröffentlichen werde: „der Maler Frans
Halsch, wohnhaft zu Haarlem.“ So wenig war sein
Name noch geläufig in Amsterdam. Kronig spricht
zwar auch von einem Einfluß des Hals auf de
Keyser bei dem в. 2. von mir in Aix gefundenen
eleganten, stehenden Porträt eines jungen Mannes
(abgebildet in „Amsterdam in de XVIIe eeuw).
Dieses Porträt ist aber entschieden 1636, nicht
1626 datiert, wie der Katalog fälschlich angibt
und wie Herr Oldenbourg es ihm glaubt. Da
hatte Hals aber schon seine prächtigen Schützen-
bilder von 1627 und 1633 geschaffen, ja schon
das seinige am Amsterdamer Schützenstück ge-
malt. Warum Herr Oldenbourg von den Regenten-
bildern und Schützenstücken je ein Kapitel macht
anstatt sie in einem — Gruppenporträts — zu
vereinigen ist mir nicht recht klar. Er hätte doch
besser die vier Gruppenbilder in einem Abschnitt
behandelt. Es sieht aber so vielleicht gelehrter
aus. Mir gefällt die leichtere Schreibart Kronigs
doch besser, der ohne Abschnitte Leben und Werke
de Keysers an uns vorüberziehen läßt. Freilich hat
Herr Oldenbourg viel mehr Bilder gesehen als
Kronig, und beschreibt deren mehr. Aber das
136
Bild welches er uns von de Keyser hinterläßt, ist
dadurch kaum lebendiger und frischer geworden.
Erstaunlich ist es, daß bier dem de Keyser die
drei Trick-Trackspieler (s. Z. bei Dowdeswell,
London) abgesprochen werden. Unabhängig von-
einander haben Friedländer, Kronig und ich dieses
Bild sofort als de Keyser erkannt. Wie anders
ist der sehr große Duyster in Dublin! Wo sind
hier die schmalen langen, spitzfingrigen Hände
Duysters, die vertriebene Malerei, das oft so starke
Helldunkel? Dagegen sind hier so recht de Keysers
fette Malweise, seine eigentümliche Behandlung
der Hände, seine graugrünen Schatten im Fleisch
wiederzufinden. Sogar der Hund ist derselbe, der
mit seinen steifen langen Beinen mehrfach bei de
Keyser vorkommt. Hat doch de Keyser auch in
seinem Schützenstück von 1633 im Hintergrund
eine Gruppe Kartenspieler hingemalt, welche auf-
fallend, wie Kronig bemerkt, an Duyster und Pala-
medes erinnert.
Aber Kronigs Attributionen haben bei Herm
Oldenbourg keine Gnade gefunden. Das männ-
liche Porträt im Jahre 1610 in München, welches
in der Tat dem Porträt des Dr. Sebastian Egbertsz
de Vry auf der Anatomie desselben Jahres frappant
ähnlich sieht, spricht Herr Oldenbourg ohne weiteres
ihm wieder ab. Die Bestimmung ,,entbehrt der
stichhaltigen Begründung.“ Hier läßt die Stilkritik
Herrn Oldenbourg im Stich. Ohne jede Begründung
wird hiermit die Attribution, m. E. eine ganz
richtige, todtgeschlagen. Von dem von Kronig in
Hampton Court unter lächerlichem Namen wieder-
gefundenen Reiterbildnis heißt es einfach: es zeigt
nicht de Keysers Hand. Ja, Herr Oldenbourg, во
geht das nicht, da muß man doch mit stilkritischen
Gründen beweisen weshalb es de Keysers Hand
nicht zeigt. Das einzige Verdienst, das Herr
Oldenbourg Kronig zollt, ist die Veröffentlichung
des Odysseus im Amsterdamer Stadthaus. Er ver-
gißt, daß Kronig zum erstenmal auch noch
veröffentlichte: den sogenannten Bol im Brüsseler
Communal Museum, (diese Attribution fand Gnade
bei ihm) den Niellius und seine Frau im Kon-
sistorial Zimmer der Remonstranten Kirche von
Amsterdam, das schöne Porträt in Petersburg und
die wichtige Zeichnung in Kopenhagen.
Sehr richtig hat Herr Oldenbourg aber die Werke
des Elias charakterisiert und die Unterschiede von
de Keysers, Malweise hervorgehoben; der Passus
(8. 23—24) ist einer der besten seines Aufsatzes.
Auch was er sagt über die Familie Meebeeck
Cruywaghen gibt zu denken. Ich hoffe es auch
noch einmal zu erleben, daß die dicke goldgelbe
Firnißschicht, die ein richtiges Beurteilen unmög-
lich macht, entfernt wird. Als ich vor beinahe
30 Jahren den Namen de Keyser vorschlug — es
hieß damals J. G. Cuyp — kannte man das merk-
wiirdige Gruppenportrit van Loo’s bei van de
Kastele noch nicht, und war es doch ein Schritt
vorwärts. Es hat sich auch herausgestellt, daß die
Familie Meebeeck eine Amsterdamer gewesen ist;
ja es gab sogar später einen Maler Cornelis Meebeeck
in Amsterdam, der wahrscheinlich auf diesem
Gruppenbild unter den jüngsten Knaben abgebildet
ist, und von dem ich kürzlich ein in Lairesses
Art ganz gut gemaltes Werk fand bei Herrn Ritter
von Malmann in Berlin. Es hat noch einen
Amsterdamer Maler gegeben, der ganz ähnliche
Familiengruppen malte: Hercules Sanders. Ich sah
s. Z. in Antwerpen ein solches Bild von ihm im
Kunsthandel, das aber doch geringer war als die
Meebeeckfamilie.
Hoffentlich bringt uns spáter noch einmal die
Signatur dieses Bildes auf die wahre Spur. Bis
jetzt kenne ich keinen Meister, dem es näher steht
als de Keyser.
Das Familienbild Nr. 1344 des Rijks-Museum
mit der falschen Bezeichnung ist nebenbei gesagt,
doch von einem holländischen Maler. Ein
ganz ähnliches Bild im Bischöflichen Museum in
Haarlem, leider in schlechtem Zustande, trägt die
Signatur des Alkmaarer Malers G. de Jong.
Gerrit de Jong wurde 1631 als Maler eingeschrieben
ins Register der dortigen St. Lucas Gilde.
Was das große Familienbild des Berliner
Museums betrifft, das dem уап Loo abgesprochen
wird — die Trachten wären auch noch sehr möglich
in 1635 — so dann denke nur an das frühe Bild des
van der Helst (1638) im Wallonischen Waisen-
haus von Amsterdam, wo die Herren die ver-
schiedensten Kragen tragen, auch noch ganz alt-
modische. Und so gut wie de Keyser mit 22 Jahren
seine Anatomie malen konnte, hátte auch van Loo
mit 21 oder 22 Jahren diese Porträtgruppe malen
kónnen. Wir brauchen nur an Metsu zu denken,
der kaum 16 Jahre alt schon Mitglied der ersten
Leidener St. Lucas Gilde war!
Bei dem Schützenstück von 1632 wiederholt
Herr Oldenbourg fast genau den von Kronig sehr ein-
gehend erörterten Einfluß des Ketelschen Schiitzen-
stúckes von 1588 auf de Keyser, ebenso spielt er
auf die ähnliche Gruppierung von Rembrandts
„Nachtwache“ an, die Kronig so ausführlich aus-
einandersetzt. Es wäre anständig gewesen, dieses
wenigstens zu vermerken, besonders nach der so
ungerechten „Kritik“ in der Einleitung!
Die Behauptung, daß das Ehepaar in einer van
Goyen-artigen Landschaft in Kopenhagen (Nr. 172)
von de Keyser sein soll, kommt mir sehr gewagt
vor. Dagegen spricht schon die Landschaft; de
Keyser malte die immer selbst in seinen Bildern
und ich wüßte keinen Amsterdamer Meister, der
diesen Hintergrund gemalt hätte. Die dünnere
Malweise und auch das blassere Kolorit ist von
de Keyser ganz verschieden. Ich halte das Werk
für die Arbeit eines Haager oder Leydener Malers
— nicht für „Amsterdamer“ Kunst. In Brüssel
gibt es ein ähnliches Bild, das man dort, glaube
ich, sonderbarer Weise de Hoogh getauft hat.
Wo Herr Oldenbourg mit Michels Worten seine
Studie schließt, wiederhole ich hier Kronigs Worte
am Ende seiner Arbeit in „Onze Kunst“:
„Tot beeldhouwer voorbestemd, werd Thomas
de Keyser een der grootste en belangrykste
figuren onder de schilders ий de ХУПе eeuw.
Hy heeft zich vrywel zelfstandig en=gelykmatig
ontwikkeld. Al by den aanvang van zyn
kunstenaarsloopbaan neemt hy een eerste plaats
onder de toen levende meesters in. Ontroeren
doen zyn werken niet, gezocht zyn ze nimmer,
maar juist die groote soberheid verleent hun een
bizondere aantrekkelykheid. Eenvoudig, stoer,
degelyk zooals het karakter der hollanders van
die dagen is ook de Keysers kunst.“
A. Bredius.
CURT HERRMANN: Der Kampf um
den Stil, Probleme der modernen Malerei.
Mit 8 Autotypien. Berlin, Erich Reiss
Verlag 1911. 144 S. МЕ. 2,50.
Diese feingeartete und tiefgreifende Bekenntnis-
schrift eines Berliner Neo-Impressionisten strenger
Observanz, sucht vor allem die studierende Jugend
zu gewinnen, sie zur Nachfolge anzuregen. Die
hierzu aus der persónlichen Erfahrung heraus ent-
wickelten gefühlsmäßigen Überzeugungen und Zu-
sammenhänge präsentieren sich mit vieler Deli-
katesse, wenn auch mit all jenem nie eingestan-
denen Mangel an Bestimmtheiten objektiveren Cha-
rakters, wie ihn die Weise der praktischen Kunst-
lehre immer an sich hat, und den sie scheinbar
auch nicht einmal verbessern möchte. Dazu käme
noch die offenkundige Fragwürdigkeit mancher
hier gangbarer Bezeichnungen. Einer sachlichen
Beurteilung wird also im Einzelnen ein weiter
Weg zugemutet. Ein entschiedeneres Eingehen
wäre da umso willkommener, als gerade die ver-
tretene Orientierungsweise der „reinen Malerei‘,
der jüngsten Folge des Farbennaturalismus, funda-
mentale kunsterzieherische Werte tatsächlich ent-
wickelt hat. Die wahre Bedeutung des Neo-J.
137
kann sich nur da offenbaren, wo auf die Material-
frage griindlich eingegangen wird. Auch darum
vermochten sich in den gegebenen besonderen
Zusammenhängen die Betrachtungen über den Stil
über ein zauderndes oder tastendes Streben nach
einem zeitgemäßen Stilbegriff eigentlich nicht hin-
überzuheben. Das Lichtproblem steht ebenfalls
im Vordergrund der Ausführungen. Die Bevor-
zugung heller und hellster Farben, wie sie schon
die ersten Pleinairisten unbewußt angebahnt hatten,
hat rein maltheoretisch genommen, in erster Linie
eine formale Wendung. Gemaltes Licht ist eben
helle Farbe. Die unkritische Anerkennung eines
malerischen Lichtproblems muß da notwendig zu
einer Vermischung mit der Weise der allgemeinen
akademischen Kunstauslegung führen, wie sie neben
den Maltraditionen aus der Renaissance entstanden
ist. Andererseits muß eine solche einseitig natu-
ralistische Überbetonung das Studium der Beleuch-
tungen folgerecht als höchste und letzte Aufgabe
aller Malkunst hinstellen. Im Widerspiel zwischen
physikalischer und künstlerischer Wahrheit könnte
somit nie eine entschiedene Ruhelage eintreten.
Dem künstlerischen Empfinden wäre es endlich
vielleicht entsprechender, wenn das an den Zwang
äußerer Notwendigkeiten gemahnende beliebte
Schlagwort ‚Kunstgesetz‘, durch Wendungen um-
gangen würde, die solche inneren Erfahrungen,
wie sie aus der erfolgreichen Verhaltungsweise des
Künstlers tatsächlich hervorgehen, künftighin glück-
licher bezeichneten. — Alldies ließe sich jedoch
auch für einen bloßen Disput um Worte nehmen,
die Hauptsache bleibt: hier redet ein Eingeweihter,
der die krystallnen Tempelpfeiler der reinen Kunst
wirklich geschaut hat. Die empirische Kunst-
wissenschaft wird also vielleicht für das Studium
der heutigen Malerei neue Belege schöpfen können.
Rudolph Czapek.
M. MEURER, Vergleichende Formen-
lehre des Ornamentes und der
Pflanze mit besonderer Berücksichtigung
der Entwicklungsgeschichte der archi-
tektonischen Kunstformen. Dresden, Ver-
lag у. Gerhard Kühtmann 1909. М. 60.—.
Die Arbeit Meurers verfolgt einen doppelten
Zweck. In die Entwicklungsgeschichte des vege-
tativen Ornaments sind Ausführungen pädagogi-
scher Natur eingeflochten, die den Unterricht im
Ornamentzeichnen beleben und ihm eine neue
Richtschnur geben sollen. Die pädagogische Be-
gabung des Verfassers, wie sie sich in der Be-
138
wältigung des verzweigten Stoffgebietes und in
der methodischen Ubersichtiichkeit bei der Zu-
sammenstellung ornamentaler Typen und bei der
Entwicklung dieser Typen aus den ihnen zugrunde-
liegenden Vorbildern zeigt, sei rückhaltlos aner-
kannt. Ein glänzendes Abbildungsmaterial, das
sich auf alle im Text behandelten Formen er-
streckt, ermöglicht jedem die Nachprüfung der bis-
weilen umfangreichen, oft höchst komplizierten
Deduktionen sowie der analytischen Zerlegung der
ornamentalen Formen in ihre Grundelemente und
in ibre entwicklungsgeschichtlich bedeutsamen,
formgebenden Faktoren. Von etwa 2000 Ab-
bildungen, die den Erfordernissen des Textes ge-
mäß teils in zeichnerischer, teils in photographi-
scher Wiedergabe zur Erläuterung des Textes
dienen, bezieht sich der größte Teil auf die Kunst
des Altertums und des Mittelalters. Auswahl und
Anordnung des Stoffes wird bedingt durch den
Gesichtspunkt, den ornamentalen Formen jedes-
mal die natürlichen Pflanzengebilde gegenúber-
zustellen, aus denen sie sich entwickelt haben.
Diese Gegenüberstellung bedeutet für die kunst-
historische Forschung eine methodische Er-
weiterung. Denn diese vergleichende Forschungs-
methode führt in den entwicklungsgeschichtlichen
Gang der Untersuchung Prinzipien ein, die in der
wissenschaftlichen Behandlung der Ornamentik in
dem Maße bisher nicht statt hatte. Zu diesen ist
vor allem die oekologische Betrachtungsweise zu
rechnen, die die moderne Naturwissenschaft aus-
gebaut hat. Aus den Beziehungen der Organismen
zur Außenwelt, zu der Gesamtheit der organischen
und anorganischen Existenzbedingungen ergeben
sich dem Naturforscher erklärende Einblicke in die
formale Gestaltung der Dinge. Diese aus der
naturwissenschaftlichen Disziplin gewonnene Ein-
stellung des Auges auf künstlerische Gebilde ver-
bindet sich mit Begriffen, die durch die Behand-
lung des modernen Kunstgewerbes ihre endgültige
Fassung gewannen. Die Anschauung von der
Bedingtheit der Formen durch den Material-
charakter, durch eine bestimmte Zwecksetzung,
durch die technischen und werkstofflichen Er-
fordernisse bildet dabei eine Art ästhetischen Wert-
messers. In ihrer methodischen Verwertung geben
diese Begriffe eine Fülle neuer Einblicke in die
Art, wie bestimmte künstlerische Perioden ihre
ornamentalen Formen bilden, wie sie in verschieden-
artigster Weise konstruktive oder schmückende
Elemente betonen, wie sie infolgedessen dazu
neigen, jedesmal nur eine festumgrenzte Zahl
pflanzlicher Motive, die einen bestimmten kleinen
Formenkreise angehören, aufzunehmen und end-
lich wie die Behandlung der Einzelheiten im
Ornament von der jeweiligen Stellung zu den
pflanzlichen Vorbildern abhängt. Denn „die Wande-
lungen, die die Pflanze bei Veränderung von Klima
und Bodenbedingungen in der schrittweisen Um-
bildung, Vervollkommnung oder Verkümmerung
ihrer Blattorgane zeigt, lassen sich auch in der
Geschichte des Blattornamentes sowohl bei der
Übertragung ihrer Formen von Land zu Land und
von Zeit zu Zeit, wie bei ihrer Anpassung an den
Wechsel von Werkstoffen und Konstruktionsweisen
beobachten.“
Die einzelnen Zeiten halten sich zuweilen mit
einer gewissen bedingungslosen Einseitigkeit an
bestimmte Pflanzenformen. Ein Beispiel möge ge-
núgen. Während die Antike die feingliedrige Linie,
das geflederte Blatt bevorzugt, wählte das Mittel-
alter, daß das robuste Relief der pflanzlichen Keim-
welt überhaupt liebte, für die plastische Behand-
lung der ornamentalen Blätter die Fächerlagen
jugendlicher Sprossen. Die mittelalterliche Blatt-
schuppe unterscheidet sich dann weiterhin von
dem antiken Blattschema durch ihren Rippenlauf
und ihre Randbildung. „Die seitlichen Streifen-
nerven der Schuppe divergieren nicht, wie dies
beim Hochblatt des Akanthus der Fall ist, sondern
laufen in ihrem Kopfteile zusammen. Während
sich die Rippen der ersten in konkaven Kurven
auswärts gegen den Blattrand wenden und da-
durch dessen Bezackung verursachen, krümmen
sich die Rippen der Schuppe nach einwärts gegen
die Unterlippe; ihre seitlichen Ränder sind dem-
entsprechend ganz ungegliedert.“
Die aus der naturwissenschaftlichen Disziplin
gewonnenen Merkmale, in diesem Falle die for-
"male Bedingtheit des Blattrandes durch die Blatt-
rippen, hat zur Aufdeckung eines wesentlichen
Unterschiedes in den Ornamentformen der Antike
und des Mittelalters geführt. Diese vergleichende
Forschungsmethode erstreckt sich bei Meurer bis
in das letzte formgestaltende Detail. Infolgedessen
konnte Meurer für eine Anzahl pflanzlicher Orna-
mentformen charakteristische Merkmale gewinnen,
die in stilkritischer Untersuchung sichere Be-
stimmungen über Entstehungszeit und Ort zu
liefern vermögen. Auf Einzelheiten sei nur in
Kürze hingewiesen.
Die Abhängigkeit der Ornamentik des Abend-
landes von gewissen ornamentalen Typen des
asiatischen und ägyptischen Kulturreiches wurde
mit Recht stark betont. Bestimmte Ornamente
finden sich von Mesopotamien bis nach Ägypten,
sich in modulationsreichen Wandlungen durch
Syrien, Palästina und Arabien hinziehend. Die
stilistischen Formveränderungen innerhalb der
verschiedengearteten Rassen lassen immer wieder
den Grundtypus und damit das jedesmalige Ur-
sprungsgebiet des betreffenden Ornamentes er-
kennen. Die Ornamente nun, die durch ihre Ver-
breitung über große Landstrecken und in ver-
schiedenen Rassen eine hohe Lebenskraft erwiesen
haben, scheinen für die europäische Kunst von
größter Bedeutung, da sie in der abendländi-
schen Ornamenlik, sowohl im Altertum als auch
im Mittelalter die grundlegende Form hergeben
mußten. Die Wandlungsfähigkeit solcher lebens-
kräftiger ornamentaler Typen werden im einzelnen
in der Umbildung des ägyptischen Südzeichens
und der Sistrumepirale in der mykenischen, assy-
rischen, cyprischen, phönikischen, frühgriechi-
schen, persischen und etruskischen Kunst ge-
zeigt. Ähnliches gilt auch für die Gefäßformen,
die auf bestimmte Blútenformen zurückgehn, für
deren Entwicklungsgeschichte schon Ө. Semper
die bedeutsamsten Momente gefunden hatte. Wie
die Blútenkelche Vorbilder zu kunstgewerblichen
Erzeugnissen abgeben, so sind es in andern
Fällen die Schaftformen und Verzweigungen der
Pflanze, die Keimformen und Knospen, das Ranken-
werk und weiterhin pflanzliche Elemente in Ver-
bindung mit Textilformen, aus denen kunstgewerb-
lich verwendbare Formen gewonnen wurden. Es
sei nur hingewiesen auf die Form des Pastorale
und Hirtenstabes, die in den Blattsprossen des
Streifenfarn ihr Analogon finden, auf die Kande-
laber, Leuchter, Schmucksäulen und Geräte aller
Art, vor allem aber auf die Säulenformen und Ka-
pitelle, von den antiken bis zu den mittelalterlichen
und Renaissanceformen, die aus pflanzlichen Vor-
bildern hervorwuchsen.
Eine allgemeine Feststellung der Abhängigkeit
der vegetabilen Formen im Kunstgewerbe von
ihren jedesmaligen Vorbildern, hätte keine neuen
Resultate zeitigen können. Meurer ging daher einen
Weg, der ihn entsprechend seiner naturwissen-
schaftlichen, oekologischen Betrachitungsweise,
stets bis in das kleinste Detail vordringen ließ.
Aus der Beobachtung der Gestaltungsgesetze und
der Formen der Natur gewann er eine Bereicherung
der stilkritischen Merkmale der gesamten pflanz-
lichen Ornamentik.
Für jede auf stilkritischen Untersuchungen be-
ruhende wissenschaftliche Bearbeitung der histo-
rischen Entwicklung ornamentaler Formen sind
die Ergebnisse Meurers, die aus der vergleichen
den Beobachtung der Ornamentik und der Pflanze
gewonnen wurden, von grundlegender Bedeutung:
Zwar zielte die Arbeit nicht auf eine systematische
139
Darstellung der Entwicklungsvorginge innerhalb
der pflanzlichen Ornamentik in chronologischer
Folge. Dennoch bieten die Resultate allenthalben
die geeigneten Vorarbeiten für jede historisch-
analytische Behandlung des Stoffes. Für die
wissenschaftliche Betrachtung der vegetabilen Orna-
mentik wurden neue Richtlinien festgelegt.
G. E. Lüthgen.
ZEITSCHR. FÚR BILDENDE KUNST.
Heft 5:
EUGEN KALKSCHMIDT, Joseph Uhl. Ein neuer
Radierer. (т Taf., 14 Abb.)
RUDOLF WUSTMANN, Von einigen Tieren und
Pflanzen bei Dürer. (13 Abb.)
WILHELM BODE, Die Sammlung Mond. (5 Abb.
RICHARD GRAUL, Porzellankomödianten. (1 Abb.
FELIX BECKER, Eine Dannecker-Monographie.
DER CICERONE.
Heft 3:
EDWIN REDSLOB, Ausstellung moderner Kunst
aus Bonner Privatbesitz. (1 Taf. mit 2 Abb. und
9 Abb. im Text.)
O. RIESEBIETER, Coburger Fayencen. (2 Abb.)
OTTO GRAUTOFF, Die Sammlung Chauchard im
Louvre.
DIE KUNST FÜR ALLE.
Heft 11:
GEORG JACOB WOLF, Die Winterausstellung
der Múnchener Sezession. Karl Haider und Heinrich
von Zügel. (т farb. Taf. 26 Abb.)
Heft 12:
PAUL CLEMEN, August Neven Du Mont. (1 Taf.,
1x Abb.)
LEON WERTH, Aristide Maillol. (7 Abb.)
DR. W. у. OETTINGEN, Die Wandgemälde von
Raffael Schuster-Woldau im Reichstagsgebáude.
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Heft 11:
SCHNUTGEN, Die Sammlung Schniitgen VIII.
ı Taf.
E. FIRMENICH-RICHARTZ, Der Meister von St.
Laurenz. 1 Taf.
FRITZ WITTE, Frühgotische kólnische Madonna
der , Sammlung Schniitgen“. 3 Abb.
ANTON DE WAAL, Der Wandtabernakel und die
eucharistische Pyxis in San Damiano bei Assisi.
2 Abb.
TOS. BRAUN, S. J., Nochmals das Gewebe aus
dem Sarkophag des hl. Paulinus (vergl. Heft 9).
140
ANZEIGER FÚR SCHWEIZERISCHE
ALTERTUMSKUNDE.
1910. XII. Band. Heft 1. Inhalt:
Ausgrabungen des Schweizerischen Landes-
museums V. Die gallischen Gräber in Lang-
dorf bei Frauenfeld. Von David Viollier. /
Quelques monuments antiques trouvés en Suisse.
Раг W. Deonna. | Fouilles exécutées par les
soins du Musée national, IV. Le cimetiere
barbare de Kaiser-Augst (Suite). Par D. Viollier.
| Nachbildungen des Utrecht-Psalters auf zwei
karolingischen Elfenbeintafeln. Von J. R. Ra hn. /
Der Zweibánder. Eine waffen geschichtliche Studie
mit besonderer Berücksichtigung Basels. Von
Dr. E. A. Gessler. / Der bernische Goldschmied
Jakob Wysshan 1545—1603. Von Dr. A. Zesiger.
Manesse - Codex und Rosen-Roman. Von Alfred
Kuhn und Prof. Paul Ganz. | Nachrichten. |
Literatur.
Heft 2. Inhalt:
Une marque de fabrique chez l'artisan pelefitteur.
Par Ph. Rollier. | Eine prähistorische An-
siedelung im Rinthel (Ktn. Solothurn). Von
E. Tatarinoff. | Grabungen der Gesellschaft
Pro Vindonissa im Jahre 1909 (und eine aus
1907). Von C. Fels, Dr. Eckinger, L. Fré-
lich, V. Jahn. Ein spanischer Bericht über
ein Turnier zu Schaffhausen. Übersetzt von
Dr. R. David. / Die Funde im Kloster Rat-
hausen 1883. Von Prof. Dr. J. L. Brandstetter. /
Die Anfänge der Kapelle im Götschwiler zu
Spiringen. Von E. Wy mann. | Die Ehren-
becher und Ebrengeschirre der Städte Brem-
garten und Mellingen. Von 8. Meier. / Johann
Jakob Frey, der Fayenzler, 1745—1817. Von
J. Keller-Ris. | Manessecodex und Rosen-
roman. Entgegnung von Dr. Erich Stange. /
Nachrichten. / Literatur.
L’ ARTE.
fasc. 6:
GUST. FRIZZONI, La Galleria Hage a Nivaagaard
presso Nivaa in Danimarca (21 Abb.)
Männliches Porträt von Giov. Bellini, von Lorenzo
Lotto und Antonio Badile. Gruppenbildnis der
Sofonista Anguissola. Landschaften von Claude
Lorrain, Hobbema, Adr. v. de Velde u. a.
GUGL. PACCHIONI, Gli inizi artistici di Benozzo
Gozzoli (11 Abb.).
Scheidung des Anteils Benozzos von dem Fra
Angelicos in den Fresken in Rom und Orvieto.
Nach Р. ist das früheste selbständige Werk
Gozzolis eine Portallunette in Montefalco.
— ` wm ge wm ` ы —2— —— Hſ—
GIULIO ZOPPA, Michelino da Berozzo miniatore
(4 Abb.).
Zuschreibung eines illuminierten Kodex der
Bibliotheque Nationale in Paris an M. de Berozzo.
LOUIS HANTICOEM, I Musaicisti Sanpietrini
del Settecento (Abb.).
Geschichte der vatikanischen Mosaikmanufaktur.
Miscellanea.
MATTEO MARANGONI, Pietro Faccini pittore
bolognese (3 Abb. ).
JOSEPH BRECK, Un' opera primitiva del Cara-
vaggio (Abb.)
Bacchus mit Trauben (von Baglione erwähnt),
jetzt bei Carl Glucksmann, New York.
ULRICH V. ROSATI, II Messale di Giov. di
maestro Ugolino milanese (2 Abb.).
CORRIERI CRONACA. BIBLIOGRAFIA.
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fasc. 1:
F. MASON PERKINS, Dipinti italiani nella Raccolta
Platt (10 Abb.).
Florentinische und senesische Trecentisten und
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von Giov. Boccati.
GIOV. MUSNER, Un S. Bernardino nel Convento
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Halbfigur in der Art Alvise Vivarinis.
GUIDO CAGNOLA, Due quadri importanti acqui-
stati da pubblici Musei (2 Abb.).
Mantegnas h. Sebastian aus Aigueperse, jetzt
Louvre, Venus und Mars von P. Veronese, im
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UGO NEBBIA, Note intorno alla chiesa di 8.
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JOH. COHEN GOSSCHALK, F. Hart Nibbrig
(х2 Abb.).
J. O. KRONIG, De schilder Mancadan (4 Abb.).
Besprechung der wenigen noch nachweisbaren
Werke dieses seinen Lebensumständen nach
völlig unbekannten holländischen Malers, der
ungefähr in der ersten Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts tätig gewesen ist.
Januar 1911:
MAX ROOSES, De Vlaamsche Kunst in де
XVIIe eeuw tentoon gesteld in het Jubelpaleis te
Brussel in 1910. De Schilderijen.
x. Artikel: Besprechung der Werke von Rubens
(7 Abb.).
JULIUS DE BOER, Jan Toorop. 1. Artikel (5 Abb.).
H. FELS, Naar aanleiding van de tentoonstelling
van Noorsche Huisvlijt te Haarlem (11 Abb.).
Februar:
MAX ROOSES, De Vlaamsche Kunst in de
ХУЦе eeuw teutoongesteld in het Jubelpaleis te
Brussel in 1g10. (1. Fortsetzung):
Van Dyck (3 Abb.), Jac. Jordaens (1 Abb.),
Wolfvoet, О. de Crayer, С. Schut, Ger. Zeghers
(x Abb.), Ph. de Champaigne.
JULIUS DE BOER, Jan Toorop (1. Fortsetzung;
6 Abb.).
STARYJE GODY.
Januar:
A. GOLOMBIEWSKI. Un chateau delaissé. Na-
dejdino, ci devant appartenant aux princes Koura-
kine (17 Abb.).
BARON A. v. TOELKERSAM. La Nouvelle Galerie
des -Trésors а l'Ermitage Impérial (12 Abb.)
Е. v. LIPHART. „L’Enlevement des Sabines“
par 8. Ricci (2 Abb.).
Das Gemälde ist der Ermitage unlängst vom
Fürsten S. Wolkonski geschenkt worden.
APOLLOW (St. Petersburg)
December:
A. ROSTISLAWOW. В. Kustodjew (23 Abb. u.
Verzeichnis seines Oeuvre).
S. MAKOWSKY. N. A. Tarkhoff (20 Abb. mit
Verzeichnis seines Oeuvre).
Januar:
BARON N. WRANGELL. Vermeer van Delft
(18 Abb.).
J. MEIER-GRAEFE. Gustave Courbet (27 Abb.).
141
CARL ADELMANN, Til Riemenschneider.
(In Walhalla. Kulturbilder aus der deutschen
Vergangenheit und Gegenwart. VI. Jabrgang.
Leipzig, Seemann. 1910.)
Eine fleißige Monographie über den Würzburger
Meister, der dem Verf. neben Dürer als der
größte deutsche Künstler erscheint. Neues bringt
sie nicht, kritische Differenzierungen fehlen fast
ganz. An 50 Abb. P. F. 8.
F. VON DUHN, Pompeji eine hellenistische Stadt
in Italien. 2. Auflage. (Aus Natur und Geistes-
welt.) B. G. Teubner.
W. 8. SPARROW, Frank Brangwyn and his work.
London (Kegan Paul). xos., 6 d. net.
A. SAMUEL, Piranesi. London (Batsford) 12 в.
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REV. 8. GHIGI, П mausoleo di Galla Placidia in
Ravenna. Bergamo (Istituto d' Arti grafiche).
BRUNO SCHULZ, Das Grabdenkmal des Theodorich
zu Ravenna und seine Stellung in der Architektur-
geschichte. Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag)
Wirzburg. Preis М. 2.20.
Ө. BRIERE, Le chateau de Versailles: architecture
et décoration. Paris (Librairie centrale des Beaux-
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C. H. C. A. VAN SYPESTEYN, Oud Neder-
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Farbenholzschnittes (Zweite wesentlich verbesserte
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KARL LOHMEYER, Friedrich Joachim Stengel
1694—1787 (Mitteilungen des hist. Vereins für die
Saargegend Heft XI.) L. Schwann, Düsseldorf.
Preis М. 8.—, geb. М. 10.—.
IV. Jahrgang, Heft III.
PROF. PAUL WEBER, Kunst und Religion. Ver-
lag Eugen Salzer, Heilbronn. Preis br. М. 2.—,
geb. M. 3.—.
DAS ALTARWERK DER BEIDEN BRUSSELER
MEISTER JAN BORMANN UND BERNAERT
VAN ORLEY IN DER PFARRKIRCHE ZU
GUSTROW. Verlag Opitz & Co., Gústrow. Preis
M. 1.50.
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der Brúder Matthius und Paul Brill, Verlag Karl
W. Hiersemann, Leipzig.
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Heitz & Mündel, Straßburg. Preis М. 12.—.
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Kupferstichs im XV. Jahrh. II: Der Meister E. 8.
Verlag Gesellschaft für vervielfältigende Kunst.
Wien. Preis M. 85.—.
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von Sachsen-Teschen. Ein Beitrag zur Geschichte
der Wiener Goldschmiedekunst in der Louis-Seize
Zeit. Verlag A. Schroll & Co., Wien. Preis М. 10.—.
KGL. MUSEEN ZU BERLIN. Mitteilungen aus
der Ägyptischen Sammlung Bd. L Ägyptische
Goldschmiedearbeiten. Unter Mitwirkung von Georg
Múller und Wilhelm Schubert. Herausgegeben von
Heinrich Schäfer. Verlag Karl Curtius, Berlin.
Preis geb. М. 75.—.
H. DOBLER, Les écoles d'architecture et d'art
décoratif des ХУШёте er XVIllitme siècles à Aix,
Provenence. Dragon, Aix-en-Provence. 25 fr.
FIERENS-GEVAERT, Albert Baertsoen, Verlag
Van Oest & Co., Brüssel. 40 fr.
М. VACHON, La renaissance francaise: l’archi-
tecture nationale; les grands maitres macons.
Paris (Flammarion). 25 fr.
P. DARBEC, Théodore Rousseau, biographie criti-
que. (Renouard) Paris.
A. MATTHAEI, Deutsche Baukunst seit dem Mittel-
alter bis zum Ausgang des XVIII. Jahrh. (Aus
Natur u. Geisteswelt.) Verlag В. G. Teubner, Leipzig.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, W 15, Emserstr. 22I. / In
MÜNCHEN: Dr.M.K. ROHE, München, Elisabethstr. 44. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE,
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Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANKREICH:
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
142
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(Verzeichn. Nr. 124)
Abb. 4. Absalons Tod
Abb. 3. Moses vor dem feurigen Busch (Verzeichn. Nr. 27)
Aus dem Spiegel der menschlichen Behaltnis, Speier, Peter Drach
Zu: ED. FLECHSIG, DER MEISTER DES HAUSBUCHES ALS ZEICHNER FUR DEN HOLZSCHNITT
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(Verzeichn. Nr. 86)
Die Gefangennahme Christi
Abb. 10.
(Verzeichn. Nr. 80)
Das Abendmahl
Abb. 9.
Aus dem Spiegel der menschlichen Behaltnis, Speier, Peter Drach
Zu: ED. FLECHSIG, DER MEISTER DES HAUSBUCHES ALS ZEICHNER FUR DEN HOLZSCHNITT
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Tafel 32
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Abb. 13 (verkleinert)
Abb. 15
Abb. 14.
Aus dem Almanach auf das Jahr 1483 (Braunschweig, Stadtbibliothek)
Zu: ED. FLECHSIG, DER MEISTER DES HAUSBUCHES ALS ZEICHNER FÚR DEN HOLZSCHNITT
M. f. K. IV. 3
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Abb. 1. Laitre-sous-Amance-Kirche. Fassadenaufriß
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Abb. 2. Pistoja. 5. Andrea Abb. 3. Laitre-sous-Amance-Portal Aufn. d. Verf.
Zu: ERNST COHN-WIENER, DIE ITALIENISCHEN ELEMENTE IN DER ROMANISCHEN
KIRCHENARCHITEKTUR ELSASS-LOTHRINGENS
M.f.K.1V, 3
Tafel 35
Abt. 4. Vomécourt-sur-Madon. Portal
der Pfarr-Kirche
Abb. 5. Andlau. Portal der Pfarrkirche Abb. 6. Coussey. Turm der
Kirche Aufn. d. Verf.
Zu: ERNST COHN-WIENER, DIE ITALIENISCHEN ELEMENTE IN DER ROMANISCHEN
KIRCHENARCHITEKTUR ELSASS-LOTHRINGENS
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Abb. 1. Die drei lebenden und die drei toten Kónige
London, Brit. Mus. Arund. 83. f. 128r
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Abb. 2. Les trois morts et les trois vifs Paris, Arsénal, ms. no 3142, fol. 311 v
Tafel 36
Zu: WILLY F. STORCK, BEMERKUNGEN ZUR FRANZOSISCH-ENGLISCHEN MINIATURMALEREI UM
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DIE WENDE DES XIV. JAHRHUNDERTS
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Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT 4
ABHANDLUNGEN
SCHMARSOW, Nicolas Florentino in
Salamanca. Mit einer Abbildung auf
einer Tafel S. 143
FLECHSIG, Der Meister des Haus-
buchs als Zeichner für den Holzschnitt.
Fortsetzung und Schluß. . . S. 162
MAYER, Velazquez. Mit drei Abbildungen
auf zwei Tafeln S. 176
HERMANIN, Uber einige unedierte Bil-
der des Neapolitaner Malers Bernardo
Cavallino. Mit fünf Abbildungen auf
zwei Tafeln S. 183
LITERATUR
SACHSISCHE BILDNEREI UND MALEREI
VOM XIV. JAHRHUNDERT BIS ZUR REFOR-
MATION (Friedländer 8. 189
WALTER CURT ZWANZIGER, Dosso Dossi
(Gronau 8. 189
H. 5. DREY
Könlgl. Bayer. Hoflieferant
LORD BALCARRES, The evolution of Italian
sculpture (Sobota) 8. 192
DIE ARCHITEKTUR DER RENAISSANCE IN
TOSCANA (Bombe) ........... 8. 194
D. PEDRO DE MADRAZO: Catálogo de los
cuadros del Museo del Prado (Mayer) . 8. 108
JOSEF ZEMP unter Mitwirkung von ROBERT
DURRER: Das Kloster St. Johann zu Münster
in Graubünden (Landsberger) ...... 8. 199
SCHEGLMANN, Dr. SYLVA, Versuch einer
Entwicklungsgeschichte der Deckenmalerei in
Italien vom XV. bis zum XIX, Jahrhundert
(Pollak) oie. so aa аске a. Dee 8. 199
GEORG HABICH, Das Gebetbuch des Matthäus
Schwarz (Кёп өг)............ 8. 200
PAUL HARTMANN, Die gotische Monumental.
plastik in Schwaben (Schmidt) ..... 8. зох
Е. O'DONOGHUE, Catalogue of Engraved
British Portraits preserved in the department of
Prints and drawings in the British Museum
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NICOLAS FLORENTINO IN SALAMANCA
Mit einer Abbildung auf einer Tafel Von AUGUST SCHMARSOW
n der alten Kathedrale von Salamanca gibt es Gelegenheit einen italienischen
Meister kennen zu lernen, der die Malerei seiner Heimat nach Spanien gebracht
und ohne Zweifel nicht wenig dazu beigetragen hat, diese Kunstweise dort einzu-
biirgern. Genaue Auskunft über den Charakter seiner Leistungen muß also für die
italienische wie für die spanische Kunstgeschichte willkommen sein. „Die Haupt-
apsis, heißt es bei der Beschreibung des Innern der Catedral Vieja in unserm
Baedeker, enthält eine große Freske der Jüngsten Gerichts und darunter in gotischen
Rahmen ss Bilder auf Holz aus der Geschichte Christi von Nicolas Florentino, aus
der Schule Giottos, 1445“ Diese beiden letzten Angaben erregen, so zusammen-
gestellt, heute schon den innern Widerspruch des Kunsthistorikers oder erwecken
doch berechtigten Zweifel Das Datum 1445 ist gesichert durch den Kontrakt im
Archivio capitular; dort bezeichnet sich auch der Maler als Nicolas Florentino. Aber
so nahe der Mitte des Quattrocento noch ein Angehöriger der Giottoschule, das
wäre ein grausamer Anachronismus. Ein Jahrhundert früher würden wir es hin-
nehmen, auch ohne uns gern dabei zu beruhigen; aber 1445 kann doch die ver-
altete summarische Bezeichnung, die sich noch immer aus Jacob Burckhardts Tagen
im Cicerone forterhält, wohl nur noch gelten, wenn sie wirklich einen rückständigen
Nachzügler einer längst vergangenen Tradition brandmarken soll. Das wäre kein
Sendbote florentinischer Kunst, der die spanische Malerei fördern konnte, sondern
höchstens ein Pflegling konservativster Tendenzen. Oder hätten wir auch hier eine
bewußte Rückkehr zu dem wertvollsten Erbe monumentalen Stiles vor uns, wie
wir sie heute bei Masaccio in den Wandgemiilden der Brancaccikapelle anerkennen?
Daran denkt gewiß niemand, der die Angabe des Reisehandbuchs liest. — Ver-
suchen wir also uns Rechenschaft zu geben, was die Malereien selber bezeugen
und was von ihrem Urheber zu halten ist. Das ist nicht ganz einfach und, bei der
Anbringung in der fensterlosen Tribuna, nicht ohne Mühe erreichbar: aber es lohnt
solange zu spähen bis es gelingt.
Das Halbkuppelgewölbe ist der Wiederkunft des Herrn eingeräumt. Hier er-
scheint die nackte, nur mit weißem Schurz um die Hüften, wie beim Kreuzestod,
versehene Gestalt des Erlösers in lebhafter Bewegung. Während die eine Hand
an die Seitenwunde greift streckt sich die andere zu weit ausholender Gebärde
gegen die Sünder, denen auch das Antlitz zugekehrt ist. Dieser auffahrenden Ver-
werfung folgt die Haltung des ganzen schlankgebauten Körpers, besonders das vor-
gestreckte rechte Bein, gegenüber dem leicht angezogenen linken, wo man allein
einen Rest des Sitzens suchen könnte. Acht schwebende Engel in langen Gewändern
verschiedener Farbe umgeben die tiberraschende Hauptfigur, in der wir sofort die
Richtung auf mimische Ausdrucksenergie erkennen, der es auf feierliche Majestät
nicht ebensoviel ankommt. Sechs dieser Trabanten erheben die Wahrzeichen der
Passion; die untern vier tragen auch ausflatternde Schriftbänder mit Sprüchen dar-
auf, nur die untersten zwei stoßen in die Posaune, um die Toten zu erwecken.
Gerade unter ihnen geben die Gräber ihre Gebeine wieder her. Die rechte Seite
vom Beschauer zeigt den Sturz der Verdammten in den Höllenschlund, die linke
die Aufnahme der Erwählten in die Seligkeit. Aber hier zur Rechten des Welten-
richters sehen wir, ganz links über den Seligen, Johannes den Täufer knien und
gegenüber, wo der Zorn des Herrn herniederfährt, die Mutter Maria in ebenso an-
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 4. її 143
dächtiger Ergebenheit. Die Menge der Figuren in weißen Gewändern mit Engeln
dazwischen, die sie empfangen und begrüßen, hat durch Feuchtigkeit gelitten und
ist am meisten durch erneuerte Umrisse und beliebige Ausfüllung verändert. Der
ganze Himmelsgrund ist mit dunklerem Blau als ursprünglich aufgefrischt; aber die
wichtigsten Hauptsachen sind offenbar mit Sorgfalt bewahrt, wie z. B. die helle
Silhouette des Gottessohnes und seine Engel ringsum. Ganz besonders wohl-
erhalten und in ausführlicher Genauigkeit gemalt erscheint das Riesenmaul des
Drachen, in den die armen Seelen hineingedrängt werden. Der grüne Kopf ist mit
großen Augen, schuppiger Eidechsenhaut und gebogenen Hauern zwischen Haifisch-
zähnen im roten Innern ausgestattet. Das abschreckende Phantasiegeschöpf be-
kundet gerade die realistische Naturbeobachtung im Einzelnen, die Formen- und
Farbenfreude am wirklichen Getier, — das ist die andre Seite an der Sinnesart
dieses Malers. Die Bogenöffnung der Kalotte gegen den tonnengewölbten Chor ist
mit einer Kante geschlossen, die schon eine Zeitbestimmung erlauben würde:
zwischen Rankenornament in der Art der Porta della Mandorla am Florentiner Dom
sitzen, wie ebenda, rautenförmige Öffnungen mit Rahmenprofilen; diese aber wechseln
ab mit Rundmedaillons, aus denen Prophetenköpfe hereingucken oder sich gar her-
vordrehen im Eifer ihrer Zeugenschaft bei der Wiederkunft des Herrn. Und diese
Hauptfigur mit den schwebenden Engeln bestätigt dasselbe: sie ist durchaus im
Sinne des Lorenzo Ghiberti und seiner Ateliergenossen bei der ersten Bronzetür
des Baptisteriums; neben Lorenzo Monaco würde schon die Neigung zum Realismus
bemerkbar werden, obwohl das hieratische Thema und die dekorative Behandlung
in so beträchtlicher Höhe kein volleres Bekenntnis erlaubten, als in dem Kopf des
Höllendrachens vorliegt.
Unter dem Gesims der Wölbung beginnt aber die Tafelmalerei. An der halb
zylindrischen Mauer der Apsis sind fünf Reihen von Einzelbildern in schmalem
Hochformat angebracht, bis auf die Wandverkleidung hinunter. In den drei oberen
Reihen sitzen je 11 nebeneinander. In den beiden untersten ist dies heute auch
der Fall, deshalb rechnet der Gewährsmann Baedekers 55 im Ganzen; aber es
war nicht ursprünglich so: die spätere Einfügung ist schon am Rahmenwerk er-
kennbar. Außerdem passen die Darstellungen, Kreuztragung und Beweinung, nicht
an diese Stelle; an der richtigen aber sind sie schon vorhanden. Und endlich ver-
rät ihr Kunstcharakter, daß sie einem spanischen Maler zuzuweisen sind, ehedem
etwa zu einem Altarwerk des Fernando Gallegos gehören, wie deren noch ein
bezeichnetes — in Resten wenigstens — in der letzten Seitenkapelle links der
neuen Kathedrale bewahrt wird. Ursprünglich waren in den beiden untersten
Reihen nur je 5 Bilder links und rechts von der Mitte, die wahrscheinlich von
einem Tabernakel mit einem plastischen Bildwerk eingenommen wurde. Heute steht
da, etwas tiefer gerückt, eine Madonnenstatuette des XIV. Jahrhunderts. Und ein
Madonnenaltar war der ganze Retablo, wie es bei dem Titel der Kathedrale, Virgen
de la Vega, schon nicht anders zu erwarten war. Unten links beginnt die Er-
zählung ihres Lebens mit der Geburt im Hause Joachims und Annas: oben rechts
endigt sie mit der Krönung zur Himmelskönigin. Die „Geschichten Christi“ liegen
also nur dazwischen, können aber nicht die Gesamtbezeichnung hergeben. Die
53 Bilder schildern freilich diesen doppelten Lebensgang in breiter Ausführlichkeit;
die Auswahl und die Anordnung der Momente muß vorher genau vereinbart sein;
davon überzeugen einige absichtliche Gegenüberstellungen hüben und drüben, dafür
spricht sogar eine Ausnahme, von der wir sogleich zu handeln haben, weil sie die
oberste Reihe beginnt.
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Wer dem Verlauf der Erzáhlung nachgeht und die Betrachtung der Einzelszenen
links unten beginnt, der wird zunáchst mit dem stiirksten Zweifel zu kiimpfen haben:
ist der Verfasser dieses Marienlebens und der evangelischen Geschichten derselbe
Maler, wie der Urheber des Fresko droben mit dem Weltgericht? Vorsichtig driickt
sich deshalb auch Carl Justi in seiner orientierenden Einführung „zur spanischen
Kunstgeschichte“ (S. LXXV im Baedeker) aus: „Der Maler der Freske in der
Alten Kathedrale von Salamanca nennt sich Nicolas Florentino“, — das bezieht
sich auf den Kontrakt vom Jahre 1445, und geht nicht weiter. Wer nicht mit guten
Augen oder einem scharfen Gucker versehen ist, sieht überhaupt die obersten
Reihen nicht mehr deutlich, urteilt also notwendig nach den erreichbaren untern.
Indessen ist es doch schon aus örtlichen Bedingungen das Wahrscheinliche, daß
nach Auswahl und Disposition der Momente, bei denen der Auftraggeber mitzu-
sprechen hatte, die Ausführung durch den Maler bei den obersten Elf begonnen
ward, die sich dem Fresko zunächst anschließen sollten. Schon in Rücksicht auf
die Länge der Arbeit und etwaige Unterbrechung empfahl es sich so zu verfahren.
Die gut sichtbaren Tafeln mochten so auch die reiferen Werke werden, oder diese
genießbaren Darstellungen entstanden in größerer Muße neben den oberen, auch für
weitsichtige Augen nur bei günstigstem Tageslicht genauer faßbaren Stücken. Ein-
gehende Prüfung mit Ferngläsern ergibt indeß, daß die Ausführung oben nicht
minder sorgfältig gewesen ist, wohl aber daß der Fortschritt in der Entwicklung
des Künstlers sich in umgekehrtem Gange bewegt als die Erzählung, d. h. daß die
oberen Reihen die früheren sind, dem Stile nach, die unteren die letzten. Und mit
dieser Feststellung der Reihenfolge ihrer Ausführung gewinnen wir auch den An-
schlu8 an das Fresko, nicht nur stofflich, sondern auch stilistisch. Die oberste
Reihe gewährt die Beweise für die Identität des Meisters dieser Tafelbilder mit
dem urkundlich bekannten Autor des Wandgemäldes in der Halbkuppel. Ist dieser
1445 Nicolas, so ist es auch jener in den folgenden Jahren: was sich verändert
mag als eine natlirliche Abwandlung unter neuen Verhältnissen, d. h. des Italieners
in Spanien, einleuchten. Eine andre Frage allerdings drängt sich auf, je weiter wir
nach unten fortschreiten zur Jugendgeschichte Christi und zum Beginn des Marien-
lebens: ist dieser Nicolas wirklich Florentiner, und nicht nur der Geburt oder Heimats-
berechtigung nach im Umkreis von Florenz zu suchen, sondern auch künstlerisch,
hier in Toskana und hier allein zu Hause? Darüber kann nur die genaue Analyse
des ganzen Bilderzyklus uns belehren. So kommen wir zu jenem Ausnahmefall in
der Reihenfolge zurück.
Die oberste Reihe beginnt mit dem Eintritt des Gottessohnes in die Vorhölle und
schließt mit der Krönung Marias durch den Gottessohn im Himmel. Die Gegen-
überstellung erklärt vielleicht die Abweichung von der gewohnten Folge der Szenen,
die darin liegt, daß auf den Abstieg in die Unterwelt noch die Beweinung des
Toten im Grabe folgt, die eigentliche Bestattung, die an das letzte Bild der vorigen
Reihe, die Grabtragung, unmittelbar anschließen sollte. Oder ist diese Umschiebung
zugunsten des andern Gegensatzes geschehen, zur Auferstehung aus dem Grabe,
die nun folgt? Jedenfalls gehören der Christus im Limbus und der Sieger über den
Tod ganz eng zusammen durch die Bekleidung mit demselben blauen goldgezierten
Mantel. Mit dem Siegesbanner in der Hand kommt er von links her an den Ab-
grund geschritten, während ein nackter Mann neben ihm das Kreuz aufrichtet, und
reicht seine Rechte dem greisen Adam, ihn hervorzuziehen. Der Rettung harrend
drängen sich die übrigen aus der Höhle des braunen Hügels hervor. Da ist schon
in der Vorliebe für eingreifende Bewegung derselbe Künstler zu erkennen, der
146
droben den Richter zwischen Gut und Böse an die Wölbung gezeichnet hat; damit
stimmt auch die Wiedergabe der nackten Gestalten, die hier im Tafelbilde nur
eingehender durchgeführt wird. Zugleich aber erkennen wir die räumliche Klarheit
des Schauplatzes, die perspektivische Vertiefung als Grundlage der Komposition,
und damit das sichere Kennzeichen des Realismus im Sinne des florentinischen
Quattrocento. Unter diesem Gesichtspunkt mag auch sogleich das Gegenstück
rechts, die Krönung Marias erwähnt werden. Diese geschieht in einem irdisch aus-
gestatteten Raum, auf einem Podium wie bei Kirchenfesten. Und dieser Stufenbau
ist schräg gestellt: rechts thront Christus, von Engeln umstanden, und setzt der
tiefer vor ihm knienden Mutter die Krone auf das demütig geneigte Haupt. Auch
Maria ist in Profilbewegung gegeben, und ein Gefolge von Engeln schwebt hinter
der Betenden herein. Rechts unten aber im Vordergrunde, wo bei solchem Ge-
staltenzug eine Lücke blieb, kniet ein himmlischer Musikant, als naher Körper die
Ecke fiillend. Das ermöglicht vollends den Vergleich mit den Florentinern jener
Tage: es ist nicht mehr Don Lorenzo Monaco, an den wir denken; auch Fra
Angelico da Fiesole genügt nicht mehr mit den früheren Redaktionen desselben
Themas oder ähnlicher Huldigungen, sondern mit den räumlich entwickelten (wie
in Paris), und fast meinen wir ohne Fra Filippos entschlossene Wiedergabe leib-
haftiger Menschenkinder aus seiner Umgebung bei der Kirchweih in S. Ambrogio
nicht auskommen zu können. Ein Gesinnungsgenosse ist dieser Nicolas jedenfalls, der
um dieselbe Zeit in Spanien solche Szene im Himmel als bodenständig verwirklicht. Aber
wie Fra Filippo sich erst allmählich zu der raumkörperlichen Konsequenz durchringt,
so versagt die Neigung zu hausbackener Realität der Dinge doch auch hier an-
gesichts des Wunders. Bei der Bettung der Leiche im Sarkophag ergeht er sich
rücksichtslos in Wirklichkeitstreue. Einer von den Helfern ist auf den Rand des
Steinsarges gestiegen und hält die Last an beiden Armen fest, während gleich-
zeitig die Mutter den Abschiedskuß auf das Antlitz des Toten drückt. Feierlich
geht es dabei nicht zu, aber leidenschaftlich und genau. Bei der Auferstehung
steht der Sarkophag ebenso schräg gerichtet; vor ihm liegen die schlafenden Wächter;
nur einer links hinten späht erstaunt empor, was geschieht. Der Deckel ist ab-
geschoben und lehnt schräg gegen die Öffnung. Christus schwebt in Profilbewegung
nach rechts, ziemlich flächenhaft, sogar in gotischer Kurve hervor, von dem blauen
Mantel umflattert, und winkt zu dem Krieger zurück. Hinten schließen schattige
Baumreihen als dunkle Silhouette dekorativ gegen den goldenen Himmel ab. Das
ist wieder mehr Ghiberti verwandt, und doch mit einem Schritt weiter zu derberer
Wahrheit. So auch die Frauen am Grabe, wo der leere Sarkophag an den Ein-
gang einer Höhle geschoben ist, aber nur soviel, daß das Kopfende vom Rande
des Felsens umrahmt wird. Hier sitzt der Engel mit den Füßen in dem Kasten
und am Fußende beugt sich Magdalena wie suchend über, gefolgt von den andern,
die aufrecht stehen. Ein Paar einzelne Bäume bedeuten den Garten; das ist be-
zeichnend, denn auch im „Noli me tangere“, wo die Örtlichkeit so viel mitzu-
sprechen hat, ist es nicht anders: das Gartentor, aus rohen Stämmen zusammen-
gefügt, ist dagegen nicht vergessen, und das Grab unter einem gelben Zeltdach
links fast verborgen. Von hier kommt Magdalena, in Profil kniend, während der
Auferstandene in weißem, goldgesäumtem und lilagefüttertem Mantel, auf die Hacke
gestützt rechts dasteht und die Hand gegen sie ausstreckt. Hier ist in der Dreh-
bewegung und der schlanken feinknochigen Bildung des Körpers die Übereinstimmung
mit dem Fresko vollends klar. Auf den Hügeln sieht man die zurückschauende
und davoneilende Magdalena noch zweimal.
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Ganz besonders gliicklich erscheint йаз Mittelstiick der Кее, der Gang nach
Emaus. Von links kommen die Wanderer den Weg herauf, der zur Ortschaft fiihrt.
Der letzte, mit schwarzem Vollbart, hat den scharlachroten Mantel über den Kopf
gezogen und schreitet im Profil kräftig aus, so daß unter der blauen Tunika sein
nacktes Bein hervortritt. Der erste, in hell Karmin, wendet sich im Gespräch
zurück nach links, zu dem Pilger in ihrer Mitte, der dem Täufer Johannes ähnlich
sieht. Der führende Apostel, mit dem wohl Petrus gemeint ist, hat so bei ge-
drungenem Bau besondere Breite der Gewandung wie der Haltung bekommen.
Und, wenn bei der Anordnung der Figuren gegen die felsige Landschaft der Ge-
danke an die Großheit des alten Sienesen Duccio aufsteigt, so gesellt sich unzweifel-
haft auch der Eindruck Masaccios in seiner Petruslegende hinzu. Die nämlichen
Studien bestimmen auch die Erscheinung des Auferstandenen inmitten der Jünger-
schar, mit Thomas, der nach der Seitenwunde tastet, während der Herr die Rechte
hoch erhebt. Petrus als Chorführer der einen Hälfte, die andre Gruppe hinter dem
Ungläubigen ergeben eine symmetrische Gliederung, die bei allem Zusammenhang
der Tradition doch fühlbar macht, wieweit wir über Fra Angelico hinaus sind.
Dazu trägt nicht wenig der geschlossene Hofraum mit offenen Laubengängen im
Oberstock bei, zwischen dessen drei Seiten der Auftritt stattfindet. Bei der Himmel-
fahrt aber verzichtet dieser florentinische Maler auf eine Wiederholung des Auf-
schwungs; er stellt seinen Christus in Weiß mit dem Siegesbanner auf einen Hügel,
zwischen zwei andern, auf denen je ein niedriger Baum wächst; er winkt nur zum
Abschied. Da drängen sich die Seinigen vorn zuhauf. Ein Kniender streckt beide
Arme zur Höhe, und Frauen besonders gestikulieren lebhaft empor, während Maria
anbetend wie gefaßt und sicher zuschaut, der Erklärung nicht bedürftig, die ein
Engel zur Linken zu geben scheint. Die Gruppe zur Rechten neben der Jungfrau
erinnert so auffallend an ein Flügelbild zur Himmelfahrt, das sich vereinzelt in der
Galerie zu Altenburg befindet und an den Anfang des Quattrocento nach Pisa weist,
daß man meint, auch dieses uns nicht ganz erhaltene Triptychon müßte dem
Meister Nicolas vertraut gewesen sein.
Eins der wichtigsten Belegstücke für seinen Zusammenhang mit Florenz ist aber
das Pfingstfest. Er übersetzt das Schlußrelief von Ghibertis erster Tür am Bapti-
sterium in Malerei, und verbreitert den Stil im Sinne des Masaccio. Ein runder
unten ganz geschlossener Turmbau wird uns gezeigt, mit seiner verriegelten Türe vorn,
die ein Wächter gewaltsam zu öffnen versucht, während rechts ein jüdischer Priester
im Ornat auf ihn einredet, und Neugierige in der Ecke stehen. Der Oberbau ist
ringsum offen, mit Rundbogenstellungen und gradem Gesims unter freiem Himmel,
so daß wir zwischen den Säulen hindurch die Versammelten mit Maria in der
Mitte sehen, auf die der Geist herniedersprüht. Damit haben wir ein ganz sicheres
und unverschiebbares Datum für die Veraussetzungen heimischer Kunst, mit denen
wir bei Nicolas zu rechnen haben. Die 1425 aufgestellte Tür Ghibertis hat er ge-
kannt und unter dem Einfluß der Wandgemälde Masaccios in Cappella Brancacci,
die kurz vor 1428 liegen, abgewandelt. Diesen Zusammenhang mit den zeitgenössischen
Leistungen der Arnostadt bezeugt endlich auch die Auffahrt Marias. Es ist eigent-
lich eine Gürtelspende an den Apostel Thomas geworden, der vorn links in rotem
Mantel und gelber Tunika kniet, als alleiniger Zeuge; genau so wie an der Porta
della Mandorla des Domes zu Florenz, im Relief des Nanni d'Antonio di Banco,
das nach dem frühen Tod des jungen Bildhauers (1421) von andrer Hand vollendet
werden mußte, sitzt Maria in einer Aureola, die hier in verschiedenfarbigen Streifen
mit Cherubkópfen besetzt gegeben wird, und symmetrisch geordnete Engel tragen
148
sie empor. Von einfachem Kopieren kann nicht die Rede sein; aber lebendige
Reminiszenzen liegen unzweifelhaft vor und stellen dem Maler in Spanien das
Zeugnis aus, daß er den Fortschritten eifrig gefolgt war, solange er in Toskana
verweilte.
Das bestätigt sich auch sonst, wenn wir der Bilderfolge nachgehen. Die aus-
führliche Erzählung führt uns auch am Anfang der zweiten Reihe vor einen un-
gewohnten Auftritt. Am Tische des befreundeten Hauses, in Gegenwart des Lazarus
etwa und seiner Schwester Marta, ist der Herr eingeschlafen und lehnt mit dem
Kopf auf dem Arm vornübergeneigt. Da kommt von rechts Magdalena und berührt
kniend den Scheitel des Meisters, ohne Zweifel um ihn aufzuwecken. Die Auf-
erweckung des Lazarus ist als Schlußbild der untern Reihe vorangegangen; der
Einzug in Jerusalem folgt und damit der Beginn der Passion. Von links her, an
einem gelben Hügel vorbei, sehen wir Jesus auf der Eselin daherreiten, mit dem
kleinen Fohlen zur Seite. Durch einen Hohlweg drängt sich die Menge ihm ent-
gegen, während auf den Höhen die Knaben Zweige schwenken, von dem einzigen
Baum, der da vorhanden ist. Das runde Bogenfeld ist mit der Stadtansicht gefüllt,
wieder an sienesische Darstellungen dieses sonderbaren Einzugs gemahnend. Un-
verkennbar spanisch ist dagegen der Innenraum, in dem das Abendmahl stattfindet:
ein gewölbter Saal mit spätgotischen tiefherabhängenden Schlußsteinen, aber fast
romanischer Wandgliederung und einer schmalen Eingangstür mit rundbogigem
Tympanon. Um den runden Tisch stehen Bánke bis an die freigelassene Mitte
vorn. Christus erhebt sich gerade und reicht einen Bissen an Petrus vorbei zu
Judas Ischarioth nach links hinüber. Dieser greift obendrein noch in die Schüssel,
während Johannes beide Elnbogen auf die Tischplatte stützt. In einem andern
flachgedeckten, aber ebenso spanischen Raum geht die Fußwaschung vor sich:
eine vorkragende Galerie läuft ringsum, und auf dem perspektivisch genau ent-
wickelten Schauplatz wird die umständliche Prozedur mit allem Aufwand von Details
geschildert, als handle es sich um Pilger, oder als habe der Maler die alljährlich
wiederkehrende Zeremonie dabei zum Vorbild genommen. Auf dem Ölberg sehen
wir eine doppelte Szene; vorn ermahnt Jesus die schläfrigen Jünger zu wachen,
und darüber kniet er im Gebet, wie der Engel ihm den Kelch darreicht. Das ist
nicht weit von dem Tafelbilde des Lorenzo Monaco in den Uffizien, und doch eine
völlig andre Gestaltenbildung und Raumdarstellung. Drastisch wird bei der Gefangen-
nahme der Knecht Malchus zu Boden geworfen, wo Petrus ihm das Ohr abhackt,
und erhebt seine Beine im Fall noch etwas ungeschickt und steif; dafür aber greift
er dem Apostel in den Bart. Christus ist durch den andringenden Judas in An-
spruch genommen. Dann aber sehen wir sogleich vor dem Hohepriester die Stäupung
vollzogen unter dem Laubendach einer Gerichtshalle, das von drei schlanken Säulen
getragen wird. An der mittlern ist der Dulder angebunden, zwei Knechte geißeln
ihn, während ein dritter vor ihm am Boden hockt und grinsend zuschaut. Die
Anordnung des Tribunals aber interessiert uns im Augenblick mehr; denn ganz
ähnlich wie auf Masaccios Erweckung des Knaben durch Petrus sitzt hier der
Richter in einer Wandnische auf erhöhtem Stuhl, vorn auf der Bank zwei Beisitzer,
oder Gerichtsschreiber und Büttel. Das ganze Bild ist außerordentlich hell gehalten
und läßt die Sorgfalt erkennen, mit der die Frührenaissance-Architektur zur An-
schauung gebracht wird; wenn die Proportionen auch noch etwas schlank ausfallen,
wie bei Ghiberti noch an seiner zweiten Tür, so ist doch die Kenntnis der Werke
Brunelleschis deutlich wahrzunehmen. Für den Anschluß an Masaccio zeugt sogar
die Kreuztragung durch die außerordentlich kraftvoll gebildete Gestalt des Herrn
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selbar, der in rotem hemdartigen nur eben noch die Knie bedeckenden Rock einher-
schreitet und wuchtig auftritt. Große Füße haben auch die Krieger, deren einer in
voller Stahlausriistung ein gekriimmtes Horn an den Mund setzt, während der
andre uns seinen breiten Riicken zudreht, im Begriff das Opfer mit Hieben anzu-
treiben. Dann folgt sofort Maria mit den Frauen und links hinten das Tor der
Stadt, deren Mauern und Türme das Bogenfeld erfüllen. Auf dem Kalvarienberg
sind die Kreuze so gestellt, daß das größere in der Mitte zwischen den beiden
andern mit der Front nach rechts gedreht ist, während jene im rechten Winkel
dazu, also in starker Verktirzung erscheinen. So blickt der Erlöser gerade auf die
Mutter, die von Frauen gestützt zusammensinkt, und der händeringende Johannes
steht als Vermittler dabei. Die linke Ecke ist den wiirfelnden Soldaten eingeräumt
und dem Krieger auf weißem Roß, der soeben mit langer Lanze die Seite des
Gekreuzigten durchsticht. Kein wildes Gedränge, kein Volksgetiimmel, wie auf den
Kreuzigungen am Ende des Trecento, seit Spinello Aretino etwa und bei den
Umbrern, Lorenzo und Jacopo da Sanseverino, — sondern wohlberechnete Verein-
fachung und perspektivisch durchgearbeitete Komposition; das ist wieder ein Kenn-
zeichen der ernsten Richtung auf Wahrheit und Entschiedenheit, der dieser Nicolas
Florentino angehört. Das besagen auch Beweinung und Grabtragung am Ende.
Starr ausgestreckt liegt der Leichnam nach der Abnahme vom Kreuz auf den
Knien der Mutter, die sich heftig über ihn beugt. Zu Häupten steht Johannes, den
einen Fuß erfaßt Magdalena, während der andere vorn herunterhängt gleich dem
freien Arm. Nikodemus küßt die andre Hand und über Maria neigt sich noch eine
der Frauen, neben Petrus, der allein in ernster Fassung niederschaut. Der körper-
liche Vorgang des Transportes ist bei der Grabtragung für ihn die Hauptsache.
Auf den Schultern wird die Last geschleppt; nur Johannes umspannt mit kräftigem
Arm den Brustkasten; selbst Maria hilft mit, unter der Achsel stützend, so daß
das Antlitz des Toten neben dem ihrigen liegt; Magdalena hält hinter ihr schreitend
die Hand des herabhangenden Armes. Unter freiem Himmel steht ein Sarkophag,
von dem der Deckel abgeschoben wird. Klageweiber mit erhobenen Armen gehen
dem Zuge nach rechts hin voran und folgen ihm hinten. Ein gelber Hügel mit
den Kreuzen ist links sichtbar und droben die Stadt Jerusalem.
Die dritte Reihe führt uns von der Heilung des Gichtbrüchigen bis zur Auf-
erweckung des Lazarus. Gerade in diesen Wundertaten stoßen wir auf Gegen-
stände, die in Florenz nicht mehr so eifrig bearbeitet wurden, und sofort begegnen
wir der Tatsache, daß der toskanische Maler, von dem man diese Dinge in Spanien
verlangt, etwas altertümlicher erscheint als sonst. Vor einer Loggia mit drei Arkaden,
unter der ein Kranker am Boden hockt, während ein andrer Mann das Bett auf
dem Rücken trägt, kommt Christus von links mit seinen Jüngern heran und weist
den Gichtbrlichigen an, aufzustehen und sein Bett selber zu tragen. Links oben
eröffnet sich ein Ausblick gegen eine Kirche zu. Ein Vergleich mit zeitgenössischen
Leistungen aus dem Umkreis, in dem wir uns bis dahin bewegten, drängt zu dem
ersten erhaltenen Wandgemälde der Brancaccikapelle mit der Erweckung Tabithas
bin. Aber dieser Vergleich ergibt eben, daß hier in Salamanca nur ein älteres
Vorbild verwertet sein kann, das noch der unmittelbar vorangehenden Phase, dem
Ausgang des Trecento oder dem ersten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts angehören
mag. Nicht viel besser steht es mit der Kleingläubigkeit des Petrus; aber die Er-
rettung aus dem Wasser, in das er versinken will, da der Herr ihn aus dem Schiffe
zu sich rief, ist doch greifbare Handlung und insofern im Vorteil gegen eine un-
darstellbare Verwandlung aus dem Liegen ins Stehen und Gehen. Es ist auch
150
anders geartet dieses Tafelbild, von einfachem Zuschnitt wie ein Fresko. Vorn
links steht Jesus in blauem Mantel über roter Tunika und faßt Petrus bei der Hand,
dessen gelber Mantel sich auf den Fluten ausbreitet. Diese Wellen freilich sehen
aus wie geballte Wolken oder Knäuel gar. Weiter oben schwimmt das Schiff mit
den Insassen, die gerade die Segel reffen; nur Johannes beugt sich über Bord her-
aus, wie hilfbereit, oder verlangend nach dem Meister hin. Die Namen der Per-
sonen stehen auf großen runden Goldscheiben um die Köpfe in gotischen Lettern
geschrieben; aber diese Heiligenscheine verschieben ihre Stellung doch mit dem zu-
gehörigen Träger. Wer nach florentinischen Vorbildern fragt, wird sicher nicht
auf das verlorene Bogenfeld der Brancaccikapelle mit der Navicella von Masolino
verfallen, sondern auf ein Wandfeld in Hochformat in der Art der Nikolauslegende
in der Kapelle am Querhaus von Ste Croce, wo man heute außer Angelo Gaddi,
der sie begonnen, Letztlinge der sogenannten „Giotto-Schule“ wie Starnina sucht. —
In solche Überlieferung fühlen wir uns zuriickversetzt bei dem Gastmahl des Simon.
Unter vorspringendem Laubendach sitzen an der Tafel Christus, links im Gestühl,
Simon Petrus, Maria und andre Jünger, scheint es, von denen einige rechts hinten
zusammengedrängt stehen und zuschauen. Magdalena kniet vorn mit ihren Salb-
gefäßen und langem, den ganzen Rücken bedeckenden Goldhaar. Aber, wenn hier
der Zusammenhang mit dem Trecento fühlbar bleibt, so ist doch die entschiedene
Raumgestaltung und die schräg von links vorn nach rechts hinten gerichtete
Stellung des Eßtisches ein Fortschritt im Sinne des Realismus; für dieses Stadium
fehlen uns nur Belege aus der Wandmalerei von Florenz, — und nach Siena hin-
überzuschielen liegt hier kein Anlaß vor.
Eine andre robustere Sinnesart gewinnt die Oberhand bei der folgenden Szene:
Christus und die Samariterin. In einer Landschaft mit hochgelegener Stadt in den
Bergen sitzt vorn Christus, im Profil nach rechts gekehrt, wo am Ziehbrunnen das
Weib beschäftigt ist, den Eimer anzuhängen, um den großen Wasserkrug zu füllen,
der vorn am Boden wartet. Ganz in der Ecke links steht ein einzelner Baum, im
Vordergrund, um noch einen Körper im Raum zu haben, hingesetzt. Hinten rechts
erscheinen die herannahenden Jünger noch unbeteiligt. Das wirkt fast wie ein
Genrebild aus der Umgebung halborientalischen Lebens, in das der florentinische
Maler versetzt war: etwas plump, aber einfach und, man möchte sagen, wirklich-
keitstreu. Solchen Lokalcharakter zeigt auch der Schauplatz, wo die Speisung der
Tausende stattfindet. Die Berglandschaft gewährt hinten links oberhalb den Aus-
blick auf das Meer, durch Felsen hindurch, rechts auf eine hochgelegene Stadt.
Vorn lagert auf freiem Platz das Volk. Christus schreitet mit seinem Gefolge
zwischen den Gruppen herein und segnet das Körbchen mit Brocken, das ihm ein
Kind darreicht. Ausführlichkeit der Architekturkulissen um ihrer selbst willen be-
merken wir in der Heilung des blutflüssigen Weibes, wo links ein kleiner Zentral-
bau gezeigt wird, rechts hinten die Vorhalle eines Palastes, von dessen Terrasse
ein Neugieriger herabschaut. Im Begriff, mit den Seinigen nach links zu schreiten,
wendet sich Jesus herum zu der Frau, die hinter ihm in die Knie sinkt. Von
beiden Seiten auf diese Hauptpersonen richtet sich die Aufmerksamkeit der Jünger.
Die dramatische Kraft eines Masaccio besitzt dieser Florentiner freilich nicht, um
so deutlich zu erzählen, was geschieht; aber die Plötzlichkeit der Umkehr ist wohl
erkennbar. — Die Verklärung auf Tabor knüpft wieder eng an die heimische
Tradition an; aber die realistische Gesinnung hindert eben zu so ergreifender
Wirkung aufzusteigen, wie Fra Angelico sie erreicht. Dafür herrscht hier hand-
festere Verwirklichung: vorn die gewohnte Gruppe der drei Jünger als Sockel für
151
die Hauptgruppe; diese ziemlich symmetrisch, Christus allein von vorn gesehen,
die beiden Propheten in Profil. Aber Elias fállt durch seine spanische Tracht auf:
ein weiß und grüngrau gestreiftes Wollentuch, das er sich um die Schultern ge-
schlagen nach Art kastilischer Bauern. — Bei der Vertreibung der Händler aus
dem Tempel werden wir ebenso wie bei der Transfiguration an das Relief des
Ghiberti denken. Aber die Durchführung mit ausführlicherem Schauplatz hat gerade
zur Unwahrscheinlichkeit gedrängt. Rechts steht die schräg gesehene Vorhalle mit
der Bank für die Waren der Verkäufer. Sie hindert den Zutritt des heftig mit der
Geißel andringenden Eiferers. Die begleitenden Jünger sind Zeugen dieses Zorn-
‚ ausbruchs, und durch eine Tür blickt man in das Innere, wo gerade ein Prediger
auf der Kanzel steht. — Der neuen Umgebung des Künstlers darf dagegen der
„Teich von Bethesda“ zugerechnet werden, der uns wenigstens ganz spanisch vor-
kommt. Da steht ein großes, von Mauern eingeschlossenes Bassin, in das soeben
zwei Männer über den vorderen Rand hineinsteigen. Vorn links humpelt ein Krüppel
mühsam auf dasselbe Ziel zu, während rechts ein andrer von den Seinigen unter-
stützt wird. Um den Rand des Wasserbeckens stehen einige Jünger; der Herr selbst
aber liegt ausgestreckt links hinten auf einer Anhöhe und rührt mit einem langen
Stecken in dem Wasser, als gälte es diesem so die Wunderkraft mitzuteilen, die
den Kranken zugute kommen soll. — Auf dies nur angedeutete Wunder folgt wohl-
weislich eine Steigerung. Deshalb wird in der Begegnung Christi mit einem vor ihm
knienden jungen Weibe wohl noch nicht Magdalena zu erkennen sein, die um Hülfe
für den kranken Lazarus bittet, sondern, zumal da ein Mann in rotem Mantel und
Turban neben ihr steht, vielleicht die Erweckung der Tochter des Jairus. Hinten
sind Bergkegel sichtbar, ein Ausblick auf den See mit Schiffen oder gar zwei Ein-
buchtungen mit einer Felshöhe dazwischen, bei der man an Cadiz denken könnte;
nur ist der Horizont sehr hoch genommen und deshalb dieses Seestiick nicht besser
ausgefallen als bei Lucas Moser auf dem Altar von Tiefenbronn, der ungefähr gleich-
zeitig zu datieren sein wird. — Auf einem Friedhof in der Art der südfranzösischen,
wo unter freiem Himmel ein Sarkophag neben dem andern steht, führt uns die
Auferweckung des schon bestatteten Lazarus. Ein solcher Sarkophag rechts wird
gerade geöffnet; man hebt die Steinplatte auf, und hervor steigt auf den Ruf des
Herrn der in Leichentücher gewickelte Tote mit seinem Heiligenschein. Vorn
knien die Schwestern vor dem Meister, der von links herangetreten ist. Hinten
blicken wir über ansteigendes Gelände, mit vereinzelten Fußgängern, auf die Mauern
der Stadt mit ihren Cubos und überragenden Gebäuden darinnen. Hier ist gewiß
die lebendige Anschauung der neuen Heimat des Malers entscheidend gewesen,
und ein Vergleich mit toskanischen Darstellungen desselben Gegenstandes, wie
etwa des Reliefs von Ghiberti, wird gerade überzeugend die Verbindung der
Reminiszenz an die erprobte Figurenkomposition mit der völligen Veränderung des
Schauplatzes dartun. Die Neigung zum Realismus befähigt den Meister sich den
fremdartigen Verhältnissen seiner spanischen Umgebung anzupassen, und mit dem
Geschmack der Zeit überwuchert vielleicht diese Seite seiner Kunst das Erbteil
idealen Schaffens aus Toskana.
Die beiden unteren Reihen des großen Bilderzyklus, die nun noch übrig sind,
enthalten nicht mehr je elf, sondern nur zehn Darstellungen, indem die Mitteltafel
ausgespart ist, um ein plastisches Bildwerk, wahrscheinlich eine Madonnenstatuette,
in einem Tabernakel anzubringen, das durch beide untersten Reihen hindurchreichte.
Deshalb sei es gestattet, die beiden Hälften auseinander zu halten, oder doch in
andrer Folge als bisher zu besprechen. An die soeben durchgemachten Wunder-
152
taten Christi, schlieBt sich noch die Heilung des Lahmen an, die rechte abschlieBt,
und eigentlich auch die Hochzeit zu Kana, mit der Verwandlung des Wassers in
Wein, mit der man zu beginnen pflegt. Die Heilung des Lahmen gehört für uns
in dieselbe Kategorie, wie die oben besprochene des Gichtbrüchigen, d. h. sie verrät
die ältere Tradition vor Masaccio. Christus an der Spitze der gedrängten Jünger-
schar links, von der nur zwei noch ganz ausgeführt, die übrigen nur durch Köpfe
und Nimben angedeutet sind, tritt soeben unter das Vordach der Tempeltür, durch
die man in das Innere blickt, wo gerade von hoher Holzkanzel gepredigt wird,
An der Schwelle sitzt der Krüppel, mit gefalteten Händen dem Wundertäter zuge-
kehrt. Die Architektur zeigt Frührenaissance, das Obergeschoß der Kirche ist so-
gar mit Pilastern auf hohem Sockel gegliedert und viereckigen Fenstern dazwischen,
mit einem Dreieckgiebel vorn. Aber der gelbe Haustein von Salamanca scheint
dem Maler liebgeworden, so daß er auf ihn die Ergüsse seiner Bauphantasie über-
trägt, die im neu erlernten Stile weiterdichtet. — Ähnlich überwiegt auch das
Interesse für den architektonischen Schauplatz bei der Hochzeit von Kana, die
durch ein Zwischenbild von der Heilung des Lahmen getrennt ist. Im Hof eines
Hauses ist links die Tafel unter einem vorspringenden Oberbau gedeckt. Da sitzt
links Christus neben Maria und sonst noch zwei Personen, die eher wie Jünger,
denn als Brautleute aussehen. Im Hintergrunde rechts dagegen steht in enger
Pforte eine Frau und weist auf die Tafelnden hin, indem sie zu zwei Bedienten
spricht, die rechts vorn am Kredenztisch stehen. Hier ist das Geschirr mit be-
sondrer Ausführlichkeit geschildert, die Schalen in den Händen der Diener und die
Prachtgefäße vergoldet oder versilbert. Das erinnert an florentinische Truhenbilder,
mit deren Geschmack um 1430—50 auch die eingehenden Architekturkulissen über-
einstimmen. — Auf beiden Seiten dieser als Erzählung unwirksamen Tafel mit der
Hochzeit zu Kana begegnen wir zwei Zugestindnissen an die Hochschule von
Salamanca. Zweimal wird hier Christus als Lehrer einer Jüngerschar vorgeführt.
Einmal ist er mit ihnen allein in einem ringsum offenen Zentralbau, einem Polygon
von Pfeilerarkaden, von denen je zwei Stützen eine gemeinsame Sockelbank haben.
Das Obergeschoß ist mit Halbkreisbogen — und Rundfenstern, vorspringendem
Gebälk an den Ecken und guirlandentragenden Putten auf diesen Vorsprüngen um
das Zeltdach ausgestattet. Drinnen ist Jesus mit den heiligen Schriften beschäftigt;
seine Jünger lauschen zu beiden Seiten und einige Zuschauer treten von links
heran. — Vorher spielt eine ganz ähnliche Szene wohl in der Synagoge; denn hier
sitzen jüdische Priester drinnen in der Tribuna in dem übereckgesehenen Bau, von
dem zwei Seiten offen sind. Christus tritt mit seinen Jüngern heran und blättert
in dem großen Kodex auf dem Tische, während Johannes niederkniet. Das Schicksal,
daß sich das Wort eben nicht malen läßt, waltet auch hier und hindert den stärkern
Anteil, weil die Gebärden uns nicht genug mitteilen, um was es sich handle.
Ein wichtiges Stück für unsre Untersuchung ist dagegen der Hinweis des Johannes
auf Christus. Links steht der Täufer, im Begriff zwei Bußfertige aufzunehmen, die
sich zur Taufe im Jordan bereiten, hinter ihm einige Zeugen. Da erscheint am
jenseitigen Ufer, zwischen den Höhen herabsteigend, Jesus von Nazareth und einige
Jünger, und so erfolgt die Anerkennung des Propheten „Ecce Agnus Dei“. Schon
die Landschaft mit dem Fluß und einzelnen Bäumen muß durch ihren Ausgleich
zwischen Höhen- und Tiefendimension interessieren und als eins der eingehendsten
Beispiele neben der Begegnung am Brunnen eingeschätzt werden. Wir dürfen
aber im Anschluß an die ganze Szene sagen, welch ein andres Streben ist in
diesem Nicolas als in seinem wenig älteren Landsmann Masolino, der noch 1435
153
den nämlichen Auftritt im Baptisterium zu Castiglione d'Olona so unfrei zusammen-
geflickt hat und in dem Bogenfeld mit der Taufe daneben ein schräg abfallendes
FluBtal mit Pappfelsen zur Seite, aber ohne Tiefe gemalt hat, so überraschend hier
und da seine Porträtköpfe geraten mögen. Die beiden Gestalten der nackten Täuf-
linge, deren einer bereits mit gefalteten Händen im Wasser kniet, während der
andre sich seinen roten Rock über den Kopf zieht, so daß wir ihn gebückt von
hinten fast nur als Aktfigur ansehen können, — sie fordern noch einen andern
Vergleich heraus. Da ist wieder die Reminiszenz an die Brancaccikapelle, und
zwar an die Taufe des Petrus von Masaccio deutlich, deren Ruhm bei den Künstlern
noch zu Vasari gedrungen ist.
Die „Taufe Christi“ dagegen finden wir hier in Salamanca als Mittelbild der
linken Hälfte der nämlichen Reihe. Da wird uns auch von Nicolas eine baumlose
spanische Landschaft gezeigt, nur links ein kleines Wäldchen darin. Der hohe
Horizont reicht bis über die Grenze des Bogenfeldes hinauf, wo auf goldenem
Grunde im roten Nimbus Gottvater hereinschaut und die Taube herniederschwebt.
Johannes steht rechts etwas hager und „grätschbeinig“, Jesus ihm zugeneigt, mit
gefalteten Händen, im Fluß, nackt bis auf ein Restchen von Schurz. Links am
Ufer knien die Engel mit den Gewändern, blonde Mädchen mit roten oder weißen
Flügeln und breiten Heiligenscheinen. Ist es allein der altüberlieferte Gegenstand,
der die Eroberung des landschaftlichen Schauplatzes für die Wirklichkeitstreue,
oder auch nur für perspektivisch folgerichtige Konstruktion so lange erschwert? —
Ein zusammengehöriges Paar bilden rechts davon die Versuchung durch Satan und
die Speisung durch Engel Drei Momente sind in dem ersten Bilde vereint: im
Vordergrunde der erste Anlauf, der milde abgewiesen wird; eigentlich nur die
beiden Gestalten einander gegenüber und Satan mehr als heimtückischer Zyniker,
denn als Dämon; — dann auf dem Dach eines einstöckigen turmartigen Baues mit
Zinnenkranz — und endlich hinten in der Landschaft mit roten Hügeln, auf deren
einem Christus steht, während der Teufel entweicht. Ein Künstler, der für dra-
matische Auftritte begabt war, hätte gewiß diese letzte leidenschaftliche Steigerung
in den Vordergrund gebracht und so den wirksamsten Gegensatz wie die beste
Motivierung des folgenden Situationsbildes gewonnen. Die Speisung durch die Engel
geschieht hier ganz genrehaft: der erschöpfte Jesus sitzt am Boden; ein weißes
Leintuch wird von zwei Engeln über seine Knie gebreitet, ein dritter kniet vorn
und bietet ihm den Kelch, während andre Gefäße bereit stehen, und hinten schweben
noch zwei Engel herab. Der Taufe voran geht die Disputation des zwölfjährigen
Jesus mit den Priestern und Schriftgelehrten. Der Tempel ist ein polygoner Zentral-
bau mit herabhängendem Schlußstein des Gewölbes; die Schildbogen der Wände sind
halbkreisförmig im Sinne der italienischen Renaissance, und Ober- wie Untergeschoß
mit Rundfenstern versehen. Der Knabe steht in erhöhter Apsis hinten, links und
rechts sitzen die Gruppen der Lauschenden und Widersprechenden mit ihren
Büchern am Fußboden. Es sind echte Judentypen im Gegensatz zu dem blonden
Sohn der Maria, die bescheiden zurückbleibt.
Das erste Bild der zweiten Reihe, der Kindermord, gehört eigentlich noch zu
der Jugendgeschichte Jesu in der untersten und steht hier zuäußerst links weit ge-
trennt von der Flucht nach Ägypten ganz rechts. Nur Lesegewohnheit hält sie
zusammen: hier hat ein Gedränge mit dem Stoff stattgefunden und ein Entscheid,
der nicht mit Anschauung zu rechnen weiß, wie wir das vom Maler erwarten.
Ein überraschendes Einschiebsel, auf das der Besteller nicht hat verzichten wollen,
wird uns die Trennung des zusammengehörigen Bilderpaares erklären.
154
Die grausame Szene zu Bethlehem gibt Gelegenheit zu einem höchst charakte-
ristischen Stadtbild. Rechts hinten steht der polygone Zentralbau, unten offen, mit
einer Statuette gar auf einem Postament darin, also dem Götzendienst verfallener
Tempel. Links und rechts von dem Haupttorbogen geradlinig geschlossene Türen
mit Rundfenstern darüber. Das Obergeschoß hat Strebepfeiler und -bogen ringsum
unter der Kuppel Links befindet sich ein Palast, von dessen offenem Stockwerk
aus Herodes und seine Leute herunterschauen. Lange Kriegsknechte steigen
zwischen den zeternden Weibern auf der Gasse einher und erstechen die Knäblein
mit ihren Haudegen. — Die Flucht nach Ägypten verdient unsre Aufmerksamkeit
wesentlich durch das Landschaftliche: vorn steht ein niedriges Gehölz, dann folgen
Hügelketten und auf den Höhen oben liegen Städte mit Mauern und Türmen, als
stiegen wir vom Arnotal ins Sienesische Bergland hinauf; aber diese schematische
Topographie kann auch für Kastilien gelten.
Die zugehörigen vier Bilder aus der Kindheit Jesu, die rechts von dem Taber-
nakel der Mitte stehen, betonen doch die Beziehung zu Maria noch als Haupt-
person, indem auf die Geburt Christi, die Anbetung der Könige und die Darstellung
im Tempel „Mariä Lichtmeß“ folgt. Die gewohnten Stoffe bieten bei aller Wieder-
holung des Herkömmlichen doch manchen Einklick in die Sinnesart des Meisters,
der diese Tafeln geliefert hat. Bei der roh gefügten Hütte sitzt Joseph breit ge-
lagert neben einem kahlen Baum in feuerrotem Gewand und blauem Mantel.
Drinnen kniet Maria betend neben der Krippe, in der das Kind liegt, während
Ochs und Esel befremdet aber gutmütig dreinschauen. Bündel, Stab und andre
Utensilien am Boden erzählen von der notgedrungenen Einkehr auf der Reise.
Oben in den spitz aufsteigenden Bergen rechts geschieht die Verkündigung an die
Hirten. — Die Darstellung im Tempel gibt einen kleinen an zwei Seiten offenen
Kuppelbau mit angefügter, von außen sichtbarer Chorpartie rechts. Die Pfeiler
der Rundbogenarkade sind gotisch mit Strebewerk am Fuß versehen, das Dach
steigt zu einem polygonen Tambour mit Rundfenstern auf, der an die Florentiner
Domkuppel erinnert; über der Tribuna, die mit ihren rundbogigen Blendarkaden
auf hohem Sockelgeschoß, eingetieften Wandfeldern und Rundfenstern mehr wie
ein unmittelbarer Übergang aus spätromanischer Gliederung in Renaissance aus-
sieht, erhebt sich noch ein eigenes Kuppeldach. Innen steht ein kleiner Tisch des
Herrn, an dem Simeon allein das Kind aus den Armen der Mutter empfängt,
während Joseph zurücksteht. — Die Anbetung der Könige zeigt die Hütte mit der
heiligen Familie rechts; das Kind, nackt auf dem Schoß Marias, segnet den Ver-
ehrer, der sein Füßchen erfaßt und das andere küßt. Der alte Graubart wird fast
verdeckt von dem zweiten vorn links knienden Sultan mit weißem Turban, rotem
pelzverbrämtem Rock und dunklem Kragen, dessen spitze gelbe Lederschuhe be-
sonders auffallen. Der jüngste König steht hinter ihm in grünem Modekostüm und
scharlachrotem, ineinandergeschobenem, hochgetürmtem Hut. Da haben wir die
extravagante Mode, wie bei Masolino in Castiglione d’Olona (1435), bei Uccello und
Castagno in Florenz und erinnern uns der Nachricht, daß schon Dello Delli und
Starnina die Spanier durch genaue Kostümbilder erfreuten und solche Errungen-
schaft fremdartiger Trachten wieder mit nach Toskana brachten. Beim Gefolge
der Könige hier erscheint der florentinische Capuccio. Aber von den Rossen findet
nur ein Kopf noch Platz in dem schmalen Hochformat, und das Herannahen durch
den Gebirgspfad ist kaum überzeugender als bei Spinello Aretino und Lorenzo
Monaco gegeben. — Der Tempelgang Marias gibt uns die Schrigansicht einer dem
Einblick zuliebe vorn abgeschnittenen dreischiffigen Kirche, die nur genauere Weiter-
155
bildung trecentistischer Anläufe heißen kann. An der Schwelle begegnet die junge
Mutter der Seherin Hannah, die als Sibylle mit weißem Turban und grünem Mantel
kenntlich wird; aber ähnlich erscheint auch die Schleppträgerin, d. h. eine Magd
Marias links, während die alte Mutter in rotem Mantel neben ihrer Tochter geht.
Die intimsten Urkunden damaligen Lebens verdanken wir endlich den fünf Dar-
stellungen der untersten Reihe links, in denen die Vorgeschichte Marias selber er-
zählt wird. Die Geburt Marias gibt eine Häuslichkeit des Südens mit allen Einzel-
heiten wieder. Das Bogenfeld der Bildtafel wird durch eine Kassettendecke mit
Balustrade vorn abgeschnitten und gewährt so Gelegenheit, auf dem flachen Dache
noch eine Genreszene zu zeigen. Da sitzt ein Pfau bei der Blumenvase, und eine
Magd fährt mit der Spindel in der Hand aus der Tür des Oberstocks, um die
Vögel zu verscheuchen, weil dort (wahrscheinlich) Getreide trocknet. Unten steht
links die schräg gesehene Bettstadt der Anna, hinter deren Vorhang wieder Mägde
wirken. Joachim hebt gerade das in Windeln eingewickelte Kind von der Mutter
weg und reicht es der Pflegerin herab zum Bade. Diese sitzt am Boden, streckt
beide Arme aus, und wärmt vor sich in einem Kohlenbecken das Wasser. Am
Kannenbort rechts unter einem besonderen kleinen Baldachin, steht ein modisch
gekleideter Page, der inzwischen die Teller putzt, aber neugierig auf die Familie
zurückschaut. Hinten durch die Tür tritt eine Gevatterin mit Speise und Trank
herein, während auf der Truhe am Bettrand schon eine Kuchenschachtel und
Zuckerdüte bereit liegen. — Beim Anblick des Sposalizio, das nun sogleich folgt,
würde man unbedingt meinen, es rühre von einem Oberitaliener zwischen Venedig
und Mailand her, etwa im Umkreis von Padua und Verona: so stark erinnert es
an die Erbschaft der Altichiero und Avanzi, wie wir sie bei Vittor Pisano aus-
gebildet finden.
Die Architektur mit ihrem Zinnenkranz kennen wir Nordländer so fast nur aus
Venedig. Aber es sind wohl allgemeiner orientalische Formen, die sich mit der
Gotik vereinbart haben, also ebenso auch in Spanien vorkommen können. Darunter
öffnen sich mehrere Stockwerke mit entlanglaufenden Balustraden am Gange, wie
wir sie in den Zeichenbüchern des Jacopo Bellini perspektivisch durchgeführt sehen.
Gegen die Mitte schräg gerichtet ist auch die Front des Tempels, eine unten ganz
geschlossene rote Wand mit einer Renaissancetür, deren Giebeldreieck mit Rund-
fenster darin auf vorgesetzten Säulen ruht. Durch diese enge Pforte strömt die
Schar der begleitenden Frauen heraus, an deren Spitze Maria draußen steht. Der
Hohepriester faßt ihre Hand, damit Joseph, von links herzutretend, ihr den Ring
anstecke. Der graubärtige aber kraftvolle Bräutigam trägt sich fast königlich: einen
purpurroten Rock mit Goldkante und blauen Mantel mit Goldbesatz. Hinter ihm
bricht ein modischer Jüngling seinen dürrgebliebenen Stab, sein turbanähnlicher Hut
breitet sich über die Augen, ein grüner Zaddelrock über ein rotes Untergewand mit
weiten Puffärmeln, und andre ähnlich gekleidete Freier stehen dahinter bis an das
Bogentor links, durch das Posaunenbläser den Tusch hereinschmettern. Außer dem
Schauplatz und den Trachten sind es besonders die breiten behäbigen Gesichter,
die uns lombardisch vorkommen, so daß man darauf verfallen muß, zwischen der
florentinischen Ausbildung, die wir bestätigt gefunden, und dem Aufenthalt in
Spanien, dem wir diese Typen kaum beimessen werden, noch eine nicht ganz
flüchtige Reise durch Oberitalien anzunehmen, deren Erträgnisse gerade hier zur
Geltung kommen. Aber wir kennen die spanische Welt in dem Menschenalter vor
der Vereinigung Kastiliens mit Leon unter den „katholischen Königen“ verhältnis-
mäßig zu wenig, als daß solche Vermutung mehr sein könnte denn eine Einkleidung
156
der Eindriicke, die wir mit bekannten Erscheinungen zu bezeichnen trachten, um
sie dem Dritten, in der Ferne verstándlich zu machen.
Im Vergleich zu dem Schauplatz des Sposalizio erkennen wir auf dem der Ver-
kiindigung mehr florentinische Renaissance, sogar in der beliebten Zusammenstellung
von grauen Säulen, Pfeilern, Wänden mit roten Kapitellen, Basen, Simsen usw.
Wieder blicken wir in einen Innenhof der Wohnung: rechts die Loggia in etwas
mißverstandenem Brunellescostil mit geradem Gebälk unter dem Rundbogenfeld
mit seiner kreisfórmigen Fensterófínung. Eine schmale Pforte führt von da ins
Schlafgemach, wo die Taube flattert. Die Bewohnerin kniet draußen in der Halle
an ihrem Betpult nach rechts gekehrt und wendet sich soeben zurück zu der
Stimme des Engels, der linksher verehrend naht, fast wie bei Fra Filippo, aber
mit Pfauenflügeln, die Hände über der Brust gekreuzt und vorgebeugt. Bei der
Bewegung ist unter dem weißen Untergewand das eine Beine sichtbar geworden
und zeigt uns einen graugelben Lederstiefel, wie bei einem Boten auf der Wanderung.
Hinter ihm öffnet sich links ein tonnengewölbtes Eßzimmer, mit einer Sitzbank an
der Wand und weißem Behang für den Rücken der Sitzenden, mit weißgedecktem
Tisch und was sonst dazu gehört, um eine Wohnung einladend und wohlbestellt
zu schildern. — Dagegen geschieht die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth
nicht etwa vor einer abgesonderten Behausung oder gar auf einem Landgut, sondern
mitten in den Straßen der Stadt. Am Ende der engen Gasse hinten ragt ein
Glockenturm auf. Rechts vorn ist die Haustür des Zacharias, in der er selbst zu-
wartend steht, während Elisabeth dem Besuch entgegengegangen ist und so mit
Maria draußen bleibt. Diese aber wird als vornehme Dame gedacht, wie bei ihrem
Tempelgang: ein kleiner Page trägt ihre Schleppe, und zwei Begleiterinnen bilden
ihr unentbehrliches Gefolge; sie haben Zeit genug miteinander Bemerkungen aus-
zutauschen, während Joseph an einer Briistung lehnt, als gehöre er kaum dazu.
Weiterhin in der Straßenflucht begegnet sich noch ein Paar von andern Bürgerinnen,
und eine Frau mit ihrem Knäblein an der Hand kommt dahergeschritten. Wir
kennen sie: sie stammt aus dem Hintergrund des ersten erhaltenen Wandgemäldes
in der Brancaccikapelle mit der Heilung des Lahmen an der Vorhalle des Tempels
und der Erweckung der Tabitha. Daran schließt sich auch der Durchblick durch die
Häuserreihen an, soweit es bei dem schmalen Hochformat tunlich ist, und floren-
tinische Truhenbilder haben ebenso das ihrige beigetragen.
Wieder ein anderes Interieur schildert das letzte Bild, das wir zu besprechen
haben, und dies ist ein Einschiebsel so eigner Art, daß man zuerst glauben möchte,
es sei eben dieser Raumdarstellung wegen überhaupt hinzugetan. Aber die Geist-
lichkeit der Kathedrale von Salamanca, oder der Oberhirt, der dies Tafelwerk für
die Chorapsis bestellte, wollte zu Ehren der Virgen de laVega doch wohl etwas an-
deres. Marias häuslich stilles Leben während der Schwangerschaft wird hier ausgemalt;
darüber kann kein Zweifel walten, wenn wir sie links unter der Pfeilerhalle sitzen
sehen, wie sie auf ihrem Stuhle liest, während junge Dienerinnen zur Seite mit
Handarbeit beschäftigt sind und eine Alte mit Sendelbinde vorn neben ihr den
Faden vom Spinnrocken dreht. Über diesem Frauenabteil mit einer Brüstung ist
wieder die flache Holzdecke mit Balustrade am Dache vorhanden. Im Garten aber
sitzt Joseph, eingeschlafen in einer Ecke, und empfängt im Traum die Lösung seiner
Sorgen durch den Zuspruch eines Engels. Dieser Himmelsbote aber schwebt mit
verschlungenen Armen schräg hernieder, so daß sein Gewand genau so kelchfórmig
herabfällt wie bei dem Retter Katharinas von der Räderung in San Clemente zu Rom.
Hinten gewährt eine quergestellte Bogenhalle im Renaissancestil noch Einblick in
157
weitere Ráume des Hauses. Die Wiedergabe der Bauformen ist nicht ganz im
Sinne des Architekten, der sie erfunden: die Rundbogen werden vom Gebilk etwas
gedrückt, die Kapitelle sind groß, die Säulen dünn, so daß die gotischen Gewohn-
heiten noch nachwirken. Diese Häuslichkeit Marias ist unter den Händen des
Malers ein Bekenntnis des Zeitgeschmacks geworden. Gegenüber den eingreifenden
Bewegungen und schwungvollen Gebärden, die als Erbe der Gotik auch bei Lorenzo
Ghiberti noch eine so wichtige Rolle spielen, beginnt immer deutlicher die Neigung
für ruhige Anschauung der irdischen Existenz obzusiegen. An die Stelle der Hand-
lung oder der Mimik tritt die Situation, das Genrebild. Wie sich Ghibertis Porta del
Paradiso in ausführlicher Vorführung des Patriarchenlebens ergeht, sei es auf dem
Landbesitz des Abraham oder im Palaste Isaaks, so merken wir auch hier die
Wandlung als erste Konsequenz des Realismus, zu der ein Maler noch eher ge-
drängt werden mußte als ein Bildhauer sonst. Diese untere Bilderreihe legt davon
Zeugnis ab, und eben daraus erklären sich die oberitalienischen Züge ihres Charakters:
in Venedig und in der Lombardei ist die breite Ausmalung der Existenz schon
seit den Tagen der Avanzi und Altichiero heimisch; ja schon Giovanni da Milano
trägt diese Auffassung in die Heiligengeschichten hinein und verpflanzt sie mitten
in die Giottoschule nach Florenz.
Damit stünden wir aufs Neue vor der Frage, was denn von diesem Nicolas
Florentino in Salamanca zu halten sei. Und überblicken wir noch einmal den Bilder-
zyklus, den wir deshalb so eingehend durchgenommen haben, so kann die Antwort
nicht zweifelhaft sein. Seine Herkunft aus der Giottoschule bleibt bei einem
Florentiner wohl bestehen, aber nur soweit, als sie selbstverständlich ist; seine
Zugehörigkeit zu ihr betonen, hieße jedoch einen ganz falschen Begriff von seiner
Kunst und seiner Sinnesart verbreiten. Er ist so vollauf Quattrocentist, wie ein
florentinischer Maler dies nach 1445 sein kein und sein muß, ohne grade ein
genialer Schöpfer des neuen Stiles zu werden wie etwa Masaccio. Nicolas Florentino
ist es so gut hier in Spanien, wie Fra Filippo es vor 1450 in Florenz gewesen ist;
nur die letzte Reife seiner Wandmalereien in Prato gibt ihm einen Vorsprung vor
dem Sendboten toskanischer Kunst in der Fremde. Aber auch dieser ist nicht
stehen geblieben bei dem, was er mitbrachte. Von dem Halbkuppelgemälde mit
dem Weltgericht bis zum Marienleben auf der untersten Reihe der Tafelbilder ist
ein eigener Weg zurückgelegt, der durch die neue Umgebung in Kastilien und die
Anforderungen seiner Besteller in Salamanca ebenso mitbestimmt ward, wie durch
die allgemeine Entwicklung des Zeitgeschmacks auf die Wiedergabe des wirklichen
Daseins dieser Welt, in die der Erdenbürger nun einmal gestellt ist und sich ein-
zurichten trachtet durch seine menschliche Kultur. RenaissancebewuBtsein be-
urkundet dieses Tafelwerk, das bei so gleichmäßiger Vollendung seiner dreiund-
fünfzig Darstellungen nur im Verlauf einer Reihe von Jahren erwachsen sein kann.
Es wurde begonnen, als Fra Angelico nach Rom kam, und mag vollendet sein, als
dieser mit dem Abschluß der Kapelle Nicolaus’ V. auch sein Leben beschloß.
Dahin gehören diese Geschichten in Salamanca. Und Spuren an den Wänden des
Chores lassen die Möglichkeit offen, daß auch hier je drei Ereignisse aus der
Heiligenlegende in mehr als zwei Reihen über den Grabmälern gemalt waren,
von denen dasjenige des Bischofs Sancho de Castilla in seiner Inschrift die Jahres-
zahl 1446 aufweist.
Über Nicoläs Florentino liegen aus Spanien noch folgende Nachrichten vor. Das Domkapitel von
Valencia schickt nach dem Brande in der Capilla Mayor, der auch die Wandmalereien derselben zer-
158
stört hatte, 1469 einen Benefiziaten nach Kastilien, um einen Freskomaler zu gewinnen. Am y. August d. J.
kehrt dieser zurück und bringt ,maestre Nicolás Florentino — in regno Hispan. degentem pictorem
egregium in pictura dicta vulgariter sobre lo fresch — und einen Gehilfen desselben mit. Es wird
nicht näher angegeben woher. Dagegen arbeitet unter dem Bischof Venier, einem Venezianer,
1464—70, Maestre Nicolás mit Lorenzo de Avila die Wandmalereien im Kreuzgang der Kathedrale zu
León, zu denen auch die Historien an der Rúckseite des Chorhauptes im Umgang der Kirche gehéren.
Nach den erhaltenen Resten des Zyklus, z. В. Sposalizio, steht der florentinische Kunstcharakter der
frühesten Teile ganz außer Zweifel. Das Domkapitel in Valencia ließ dann zur Probe durch Nicolás
Florentino 1469 erst eine Anbetung der Könige auf die Wand des alten Kapitelsaals malen. Aber
noch ehe dieses Fresko vollendet war, erteilte es den Auftrag für die Wandmalereien der Capilla
Mayor und ließ diese in Angriff nehmen (April 1470). Kurz darauf aber erkrankte Nicolás und starb,
ohne auch nur ein Bild vollendet zu haben. Die traurigen Reste der Anbetung der Könige sind in
der alten dunklen Sala capitular vorhanden; aber die Hauptgruppe der Ы. Familie erweist sich als
Zutat des später vom Kardinal Rodrigo Borja aus Italien mitgebrachten Meisters Pablo de 8. Leocadio
aus Reggio (seit 1472). — Die Urkunden veröffentlichte Dr. Chabás in в. Adiciones zu Teixidor Anti-
güedades de Valencia, der jedoch die Beschäftigung des Maestre Nicolás in León ebensowenig herbei-
zieht, wie José Sanchis y Sivera, La Catedral de Valencia 1909 р. 147ff. Bei der Tatsache, daß man
den Freskomaler aus Kastilien nach Valencia holt und nach der oben angefúbrten lateinischen Angabe
kann nur angenommen werden, дай der Nicolás Florentino in Salamanca und Valencia dieselbe Person
ist wie der in León, wo sich die Hauptwerke al fresco befinden.
Da es sich bei obiger Charakteristik der Kunstweise des Nicolas Florentino mit um die Frage
handelt, wie weit er noch zur Giottoschule zu rechnen sei oder nicht, mag hier sogleich Auskunft
darúber gegeben werden, was sonst in Spanien an Malereien aus der sogenannten Schule Giottos er-
halten ist. Bei Justi, und demgemäß im Reisebandbuch Baedekers, werden in Toledo „die Gewölbe-
malereien“ in der Capilla de San Blas mit dem Grabmal des Grinders, Kardinal Pedro Tenorio (gest.
1399), am Kreuzgang der Kathedrale als ,Giottoschen Stiles“ bezeichnet. Das Gewölbe der Kapelle
ist als blauer Himmel mit goldenen Sternen ausgemalt. Die Darstellungen befinden sich an den Bogen-
feldern und tiefherabreichenden Zwickeln. Hier sitzen in Breitbildern unten je ein Evangelist und ein
Kirchenvater einander gegenüber. Einige Bogenfelder sind in ein oberes, dem Dreieck sich näherndes
Stuck und ein rechteckiges darunter geteilt. Andre werden von einem großen Fresko eingenommen,
wie z. B. die Kreuzigung gegenüber dem Eingang, und den Tod Marias über der Tür, die Verklärung
auf Tabor links, usw. Allesamt sind durch Rauch so geschwärzt, daß erst eine gründliche Reinigung
die Möglichkeit eines genauen Urteils gewähren kann. Nach dem Wenigen, was bei bestem Reflex-
licht aus dem Kreuzgang erkennbar ist, bleibt es mir zweifelhaft, ob der Maler in Toskana zu suchen
sei. Besonders die figurenreiche Kreuzigung würde befremden. Aber die Verklärung ist sehr groß
stilisiert und wuchtig, so daß an einen letzten Vertreter toskanischer Wandmalerei vor Masolino und
Masaccio gedacht werden kann. Die sitzenden Einzelfiguren sind freilich nicht sehr charaktervoll,
sondern weisen eher auf einen etwas oberflächlichen und schnelifertigen Vertreter der ausgelebten
Tradition hin. Damit stimmt auch die Entstehungszeit, die sich auf 1380—1399 oder 1400 be-
grenzen läßt.
Merkwürdiger Weise ist jedoch die Tatsache unbeachtet geblieben, daß auch die Kathedrale von Toledo
selbst noch ein Altarwerk dieser Schule und dieser Zeit besitzt. Es wird freilich an Ort und Stelle
für Juan de Borgogna in Anspruch genommen, und auch im Baedeker lesen wir (S. 129): „Die Ca-
pilla de San Eugenio (Gr. 15) mit schöner Reja von Enrique de Egas (1500), der Statue deg Schutz-
beiligen von Diego Copin (1517) und einem Altar mit Darstellungen aus der Geschichte Christi von
Juan de Borgona (1516), enthält links das Grabmal des Bischofs Fernando de Castillo ({ 1521) mit
dessen Alabasterfigur und rechts das Grabmal des Alguacil Fernán Gudiel (+ 1278) im Mudejarstil".
Dies Datum ist zunächst falsch; die Grabinschrift, in der Fensterwand neben der Nische, gibt mit dem
Namen Fernando Qumiel die Jahreszahl 1370 ganz deutlich lesbar an. Damit sind wir unzweifelhaft bei der
Periode der ersten Ausstattung der Kapelle, während eine zweite sich wohl an das andere Grab des
1521 gestorbenen Bischofs Castillo knüpft. Der Altar ist sichtlich in Renaissancerahmen gefaßt
worden, als man die Sitzfigur des thronenden Bischofs Eugenius darin anbrachte. Die Tafeln gehören
jedoch nimmermehr dem Juan de Borgogna, der sie 1516 gemalt haben soll, sondern können von ihm
` höchstens bei Gelegenheit dieser Neufassung ausgebessert worden sein. Die Heiligenscheine sind
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 4. 12 159
frisch vergoldet, einige Köpfe zeigen Übermalung, etwa in der Art des genannten Meisters, z. Б.
Madonna und Kind bei der Anbetung der Könige und sonst hier und da, am stärksten scheint das
Mittelbild oben über der eingefügten Statue, die Taufe Christi, solche Herstellung erfahren zu haben.
‚Doch der Himmel im Bogenfeld, mit Gottvater und Engeln, gehört einer älteren Periode an, und diese
‚müßten wir nach den guterhaltenen Bestandteilen als etwa 1380—1400 datieren, und können den Maler
nirgend anders als in Toskana suchen, vielleicht etwas mehr gegen Pisa zu, als in Florenz selbst,
aber ohne Schwierigkeit auch dort in nächster Nachbarschaft, wie Prato oder Pistoja. Es ist ein Zeit-
genosse und naher Kunstgenosse des Meisters der Petrusiegende in den Ufflsien, dessen Namen man
jetzt kennt, nachdem ich Cavalcaselles Taufe auf Jacopo da Casentino als irrig erwiesen, und sie für
einen Nachahmer des Masolino und Masaccio von geringer Fähigkeit in Anspruch genommen habe
(Masaccio Studien V. 1899). Von demselben Giovanni dal Ponte (1385—1437) besitzt das Musée
Royal in Brüssel noch drei Predellenstücke (Nr. 631). Doch nicht er kann es sein, der hier in Toledo,
ohnehin wohl etwas früher, arbeitet: dazu sind die Darstellungen aus der Geschichte Christi nicht be-
wegt genug, nicht hastig in ihrer Gestikulation wie bei jenem. (Vgl. über ihn Conte Gamba, Rassegna
d’Arte 1904, p. 177ff.)
Links oben sehen wir die Flucht nach Ägypten und darunter die Anbetung der Könige, rechts unten
die Darstellung im Tempel und darüber den zwölfjährigen Jesus im Tempel, in der Mitte wie gesagt
die Taufe Christi, und entbehren die Geburt, die ursprünglich wohl kaum gefehlt haben wird. In dem
Sockel sind fünf schmale Bilder zusammengedrängt: das Gebet am Olberg, der Judaskuß, die Ver-
leugnung Petri, die Handwaschung des Pilatus und die Kreuztragung. Ob die weitere Folge der
Passion nicht dargestellt war, muß offene Frage bleiben. Die Komposition der vorhandenen Szenen
ist sehr knapp, wie etwa ein italienischer Freskomaler sich notgedrungen auf den kleinen Tafeln
spanischer Altäre behilft, und die großen Heiligenscheine beschränken die Zahl der Figuren ebenso.
Beim Judaskuß drängt sich der Ungetreue in gelbem Mantel von rechts an den Herrn heran, während
links vorn Petrus über Malchus herfállt. Bei der Verleugnung sitzt Petrus ruhig und allein in der
Ecke rechts, zwei Krieger schreiten auf ihn zu und nehmen die Magd in die Mitte, die mit ausge-
streckter Hand auf ihn hinweist. Bei der Handwaschung sitzt Pilatus im Ritterkostüm der Zeit des
Malers links, ein Diener mit Handtuch über der Schulter hält die goldene Schale und gießt aus einer
Kanne das Wasser aus, indeß Christus sich rechts bei Seite drückt. Dieser Diener hat einen Gesichts-
typus, der mit seinen schmalen zugekniffenen Augen eben auch sonst an pisanischen Altarwerken
(auch in Florenz) vorkommt. Die Kreuztragung ist wieder belanglos für die beiden Hauptpersonen
Christus und Maria, dagegen der führende Kriegsknecht von hinten gesehen in seinem rotgelben
Kittel mit Vorliebe hingestellt, obschon flüchtig durchgeführt. Die nämliche Art kennzeichnet sich in
den Hauptbildern, die sonst ihrem Zweck gemäß, sorgfältiger angeordnet) sind: Genrefiguren voran,
wo der Gegenstand dies irgend erlaubt, und volkstümliche Motive bevorzugt, gegenüber dem strengen
Stil der Giottoschule. Bei der Darbringung im Tempel ist im Vordergrund ein Halbkreis von zu-
schauenden Knaben angebracht, allesamt von rückwärts gesehen, etwas plumpe Gestalten in breit-
flächigen Kitteln. Der Hohepriester mit spitzer Mitra steht in einem polygonen Ciborium und empfängt
das Kind von der links eintretenden Mutter. Der zwölfjährige Knabe sitzt dagegen zuoberst in einer
eigenen Nische, neben der ein Rundbogenfries noch romanische Erinnerungen weckt. Vor den Stufen
erscheinen von rechts her Maria und Joseph. Den Vordergrund aber nehmen auf Marmorbänken die
Schriftgelehrten ein, in deren mannigfaltig bewegten, zum Teil dunkel gefärbten Köpfen, mit weißen
Tüchern und sonstigem Aufputz, der Maler sein Genüge gefunden hat. Jesus trägt eine hellrosa
Tunica und kehrt seinen blonden Lockenkopf gerade nach vorn; zur Seite links aber steht noch ein
junger Mann von so heroischem Aussehen, daß man ihn trotz der Kopfbinde eher für einen Kriegs-
mann denn als jüdischen Fürsten ansprechen würde. Hier ist ganz die toskanische Tradition bewahrt,
wie sie nach Angelo Gaddi in den Tagen des Starnina noch geübt werden mochte. Ich erinnere
nochmals an die Nikolausiegende in der Kreuzarmkapelle von Sta Croce. Bei der Anbetung der
Könige schaut ein Roß mit so gerührten Augen herein, daß der Anklang an die menschliche Physiog-
nomie nicht größer sein könnte; das vordere dagegen kehrt uns das Hinterteil zu, und auf seinem
Sattel hängt, lässig sich aufstützend, ein Stallknecht, mit einer Grimasse, als habe der Maler versucht,
einen burlesken Zug neben die andächtigen Könige zu setzen. Bei der Flucht nach Ägypten wird die
Eselin, die hier ein Junges neben sich laufen läßt, von einem Knecht sorgsam geleitet, der uns anschaut,
während Joseph, schräg rückwärts gesehen, hinterdrein folgt, nur durch seinen Heiligenschein hervorgehoben.
160
Eins ist ganz sicher: mit der Zuschreibung an Juan de Borgogna 1516, wird das Altarwerk ein volles
Jahrhundert zu spät datiert; es gehört an den Übergang vom Trecento ins Quattrocento und ist, in
allen dem urspriinglichen Zustand noch entsprechenden Teilen, die Arbeit eines Toskaners. Und da
nun diese Leute nicht scharenweise, sondern nur vereinzelt nach Spanien zogen, so erhebt sich die
Frage, ob der Urheber dieses Altarwerkes in der Capilla de San Eugenio der Kathedrale von Toledo
nicht derselbe sei, der die Wandmalereien der Capilla de San Blas fiir den Kardinal Pedro Tenorio
gemalt hat. Ein Freskomaler verrát sich augenecheinlich in den Tafelbildern, deren Format ihm zu
eng war; aber bei Wandgemälden in ziemlich geräumigen Bogenfeldern dürften wir nicht überrascht
sein, wenn sich stärkere Unterschiede zeigten. Darüber zu urteilen, erlaubt der gegenwärtige Zustand
der Capilla de San Blas am Kreuzgang nicht mehr. Es muß genügen, die Aufmerksamkeit der
italienischen Kunsthistoriker auf diese Werke hinzuweisen, die für den Ausgang des Trecento und
die Malerei vor Masolino und Masaccio von ebenso großer Wichtigkeit sind, wie das umfassende
Schaffen des Nicolas Florentino in Salamanca für die erste Hälfte des Quattrocento 1).
(1) Herr Prof. Schmarsow bittet bemerken zu dürfen, daß das Manuskript bereits in der zweiten Hälfte des November 1910
an dis Redaktion abgegangen ist. Es konnte jedoch im Hinblick auf das reiche, noch unpublizierte Material, das damals
vorlag, erst jetzt veröffentlicht werden. Anm. d. Red.
161
DER MEISTER DES HAUSBUCHS ALS
ZEICHNER FUR DEN HOLZSCHNITT
Fortsetzung und Schluß von Nummer 3 Von EDUARD FLECHSIG
o......0.00090900090090000090000090090000900000000000000000000000000000000000000000000 000000000000 000000 000000090 00000000 000 0 0 0 00 0
as Ergebnis aus den bisher mitgeteilten Beobachtungen und Tatsachen war, daß
, der Hausbuchmeister in den Jahren 1481—1483 als Zeichner für Peter Drach
in Speier in hervorragender Weise tátig gewesen ist. Nun vergeht eine Reihe von
Jahren, bevor wieder ein Buch mit Holzschnitten die Drachsche Druckerei verläßt.
Roth sagt: ,Den Schriften der Humanisten, der Volksliteratur und Medizin hielt
sich Drachs Verlag fern, nur wenige deutsche Drucke kommen bei ihm vor.“
1490 veröffentlicht Drach einen Nachdruck der lateinischen Ausgabe von Breiden-
bachs Reisen. Die Holzschnitte darin sind nicht etwa, wie man denken kónnte,
Kopien der Mainzer Originale von 1486, sondern von denselben Holzstócken ab-
gedruckt wie diese. Es ist, beiläufig gesagt, der vierte und letzte Abdruck von
den Originalholzstöcken.!) Drach hat sie jedenfalls nach dem Tode Reuwichs er-
worben. Später scheinen sie nicht mehr abdrucksfähig gewesen zu sein. Drach
ersetzt sie in den beiden Ausgaben, die er noch veranstaltet, einer lateinischen
(1502) und einer deutschen, die jedenfalls erst nach 1504, allerdings ohne Angabe
des Ortes, Jahres und Druckers erschienen ist, durch gleichseitige Kopien.
Im September 1901 erschien in der Zeitschrift für Bücherfreunde (5. Jahrgang,
6. Heft, S. 224 ff.) ein Aufsatz von Max Bach: „Des Petrus de Crescentiis Buch
über die Landwirtschaft und seine Illustrationen.“ Von den auf S. 225 abgebildeten
Holzschnitten, die der späten Ausgabe von 1507 entnommen waren, erkannte ich
die eine, den Holzhauer (Nr. 4) als eine Arbeit des Hausbuchmeisters. Es ließ
sich vermuten, daß dies nicht der einzige Holzschnitt von ihm in dem Werke sein
würde. Leider herrscht bei den Bibliographen in bezug auf die verschiedenen
illustrierten Ausgaben des Petrus de Crescentiis, die im XV. Jahrhundert in Deutsch-
land erschienen sind, eine große Unsicherheit, die ohne Hilfe des Kunsthistorikers
sich kaum wird beseitigen lassen. Ich habe mich bemüht, durch Vergleichung der
verschiedensten Ausgaben zu größerer Klarheit zu kommen. Danach ist von den
bekannten Ausgaben die deutsche, Hain *5834 (Choulant, Botan. und anatom. Ab-
bildungen des Mittelalters im Archiv f. d. zeichn. Künste III, 284, Nr. 4) die älteste
die deutsche Ausgabe Hain 5833 (Choulant Nr. 3) und die lateinische Hain 5826
(Choulant Nr. 2) sind später. Die in der ersten verwendeten Holzschnitte sind in
den beiden andern wieder abgedruckt und um neue vermehrt. Es ist jedoch
nicht ausgeschlossen, daß der ersten deutschen noch eine andere, vielleicht
lateinische, vorangegangen ist, die allerdings noch nachgewiesen werden müßte.
Nach der angeblich 1493 in Mainz gedruckten lateinischen Ausgabe Hain 5832
habe ich mich 1902 bei 42 großen Bibliotheken erkundigt, sie war dort nicht
vorhanden. Hain hat sie nicht selbst gesehen, ich vermute, sie ist überhaupt nicht
erschienen.
Die Ausgabe des Petrus de Crescentiis, die ich als die erste illustrierte betrachte
(1) Hier eine Übersicht über die verschiedenen Drucke mit den Originalholzschnitten Erhard Reuwichs:
ı. Ausgabe (lateinisch): Mainz, 11. Februar 1486; 2. Ausgabe (deutsch): Mainz, 21. Juni 1486; 3. Aus-
gabe (hollándisch): Mainz, 24. Mai 1488; 4. Ausgabe (lateinisch): Speier, 29. Juli 1490 (Nachdruck
von Peter Drach). |
162
(Hain *5834) hat den Titel: ,Petrus de crescentiis zu teutsch mit figuren“.
Am Schluß des 12. Buches steht: Hie endet sich Petrus der (!) cres- | cenciis zü
dutsche. Gedruckt vn | volendet noch der geburt Cristi. | Mccccxciiii, Des dinstags
noch | sant Michels rag (|).
Eine Angabe des Druckortes und Druckers fehlt. Hain setzt den Druck nach
Straßburg, wofür so gut wie nichts spricht. Es ist kein Zweifel, daß diese Ausgabe
aus derselben Druckerei hervorgegangen ist, wie die 2. Auflage des Drachschen
Heilsspiegels. Die Textschrift ist ganz dieselbe, wie bei dieser, man wird also
mit gutem Rechte den Druck für Peter Drach in Anspruch nehmen dürfen. AuBer-
dem ist noch eine sehr große (Schwabacher) Type verwendet für den Titel, die
Bezeichnung der Bücher am Kopfe der Blätter, die erste Zeile von jedem Buch
und die Überschriften der Bücher im Register.
Die Holzschnitte rühren von mehreren sehr verschiedenartig begabten Zeichnern
her und sind meist nur mittelmäßig geschnitten. Und da der Gegenstand (sie sind
ja Illustrationen eines Lehrbuchs) auch nicht gerade anziehend ist, so wirken sie
bei ihrer Menge im ganzen schließlich langweilig. Von den mehreren hundert
Holzschnitten gehören aber ein Dutzend ganz sicher dem Hausbuchmeister
an. Die Zahl läßt sich wohl noch bedeutend vergrößern, wenn man sich die Mühe
nehmen will (ich tue es noch, so bald ich Zeit dazu finde), zwischen diesen meist
recht unpersönlichen Gebilden, wie es Abbildungen von Kräutern und Bäumen im
XV. Jahrhundert noch sind, eine strenge Scheidung vorzunehmen. Aber auch, wenn
es nur bei dem einen Dutzend bliebe, müßte uns das Buch wertvoll bleiben, eben
weil der Hausbuchmeister an seinem Schmuck mit gearbeitet hat.
Noch weitere Holzschnitte von ihm in Speierer Drucken zu finden, ist mir nicht
gelungen. Ich überlasse es dem Zufall.
In Mainzer Drucken findet sich nichts, was auf eine Tätigkeit unseres Künstlers
für dortige Verleger hinwiese. Ich widerrufe hiermit alles, was ich darüber vor
14 Jahren in meinem Aufsatz über den Meister des Hausbuches als Maler (Zeitschr.
f. bild. Kunst, N. К. УШ, 72) geäußert habe. Ich glaube den Mainzer Holzschnitt
des XV. Jahrhunderts jetzt recht gut zu kennen und bestreite auf Grund meiner
Vertrautheit mit den Holzschnitten des Speirer Heilsspiegels und mit anderen
Arbeiten des Meisters auf das entschiedenste, daß die Mainzer Biicherillustration
„deutliche Anklänge“ an die Art des Meisters zeige und daß dies „ganz auffallend“
bei den Holzschnitten von Bothos „Cronecken der sassen“ (1492) sei. Ja ich ver-
mag sogar nicht einmal mehr einen auch noch so geringen Einfluß von ihm in
diesen Holzschnitten zu erkennen und fordere die jüngeren und jüngsten Fach-
genossen, die nicht aufhören, von diesem Einfluß zu sprechen, auf, greifbare Be-
weise dafür zu bringen.
In Mainz kann also unser Künstler nicht gelebt haben, denn sonst hätte man
es dort nicht unterlassen, diese hervorragende Kraft als Zeichner für den Buch-
schmuck zu beschäftigen.
Aber auch Frankfurt, an das ich früher neben Mainz gedacht hatte, kommt
als Wohnort für ihn nicht mehr in Betracht, freilich aus einem ganz andern Grunde
als Mainz. In Frankfurt haben wir aller Wahrscheinlichkeit nach den Stecher
box 8 zu suchen, einen Goldschmied, dessen Tätigkeit aufs engste mit der des
Hausbuchmeisters verknüpft ist, aber seltsamerweise so, daß die Anwesenheit des
163
einen die gleichzeitige des andern ausschließt. Auf diesen Stecher muß ich hier
etwas näher eingehen.
Der Stecher bx 8 spielt in der Forschung über den Hausbuchmeister eine
nicht unwichtige Rolle. Er ist, wie seine uns bekannten Stiche beweisen, lediglich
Kopist und zwar kein sehr hervorragender. Außer Schongauers Passion hat er nur
Arbeiten des Hausbuchmeisters kopiert. Zwar nur von sieben seiner Kopien sind
uns die Originale dieses Meisters bekannt, aber es gilt mit Recht als ausgemacht,
da8 seinen iibrigen 20 Stichen nur Arbeiten des Hausbuchmeisters, die jetzt ver-
schollen sind, zugrunde gelegen haben können. Aus der Tatsache, daß seine
7 Stiche nach noch vorhandenen Originalen des Hausbuchmeisters sämtlich im
Gegensinne kopiert sind, ließe sich wohl der Schluß ziehen, daß auch die 20 Kopien
nach verschollenen Arbeiten des Meisters, bis auf eine, von der ich noch aus-
führlich sprechen werde, die Originale im Gegensinn wiedergeben.
Über diesen Stecher sind nun seit über 50 Jahren in der kunstgeschichtlichen
Literatur Irrtümer verbreitet, die sich von Buch zu Buch, von Zeitschrift zu Zeit-
schrift immer weiter fortschleppen und deshalb so bedauerlich sind, weil sie den
Weg versperren, der zu einer richtigeren Auffassung über die Schaffenszeit des
Hausbuchmeisters führen kann. Es ist hier die beste Gelegenheit, mit diesen
Irrtümern einmal gründlich aufzuräumen.
Der erste, der im Zusammenhang über den Monogrammisten geschrieben hat, ist
C. Becker gewesen. Sein Aufsatz befindet sich im Archiv für die zeichnenden
Künste II (1856) S. 168—170. Fast allzuwillig hat die spätere Forschung Beckers
Meinungen zu den ihrigen gemacht und auf ihnen weiter gebaut.
Ich beginne mit dem Namen des Stechers. Eine alte Tradition, die bis zu
Sandrart zurückreicht, nennt ihn Barthel Schön. Und noch 1909 spricht ein
junger Kunsthistoriker ohne Bedenken von diesem Barthel Schön. Die beiden Buch-
staben, die das Monogramm bilden, sind also von jeher b s gelesen worden. Als
ich mich für weitere Studien über den Hausbuchmeister mit dem Monogrammisten
zu beschäftigen begann (1898), trat ich deshalb auch mit dem Direktor des Frank-
furter Stadtarchivs Dr. Jung in Verbindung, der mir in der liebenswürdigsten Weise
Mitteilungen über Frankfurter Maler und Goldschmiede machte. Ich suchte vor
allem nach einem Goldschmied, auf dessen Namen das Monogramm b s passen
könnte. Da schrieb mir Dr. Jung am 18. April 1898: „Muß denn das Y im Mono-
gramm ein s sein? Sollte es nicht vielmehr g heißen?“ Er sandte mir zugleich
ein Buch mit Schrifttafeln, die auf Grund von Frankfurter Archivalien zusammen-
gestellt waren. Die Sache war so klar wie die Sonne. Es fiel mir wie Schuppen
von den Augen, und ein paar Stunden nach Empfang des Briefes hatte ich schon
aus den in den Antiquariatskatalogen von Rosenthal in München, von Baer in Frank-
furt verstreuten Schriftproben von Drucken des 15. Jahrhunderts eine Menge von
diesen eigenartig geformten g zusammengebracht. Man begreift es eigentlich kaum:
dieses kleine g, das fast die Form einer 8 hat, findet sich genau so wie im Mono-
gramm des Stechers nicht hundert-, nicht tausend-, sondern hunderttausendmal, ja
man kann ruhig sagen unzählige Male in Mainzer, Speirer, Straßburger, Baseler,
Nürnberger, Lübecker und anderen Drucken des ı5. Jahrhunderts, während das s
immer anders aussieht. Und doch wurde dieser zweite Buchstabe des Mono-
gramms von den berühmten Kennern des älteren Kupferstichs, die in der 2. Hälfte
des ХУШ. und der 1. Hälfte des XIX. Jahrhunderts lebten und die auch den
164
ältesten gedruckten Büchern ihre Aufmerksamkeit zuwandten, beständig falsch ge-
lesen. So stark war die Macht der Tradition! — Ich teilte die Entdeckung Dr.
Jungs bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Max Lehrs, später Geisberg mit,
und diese beiden Forscher haben dann die richtige Lesung des Monogramms als
bg in die Fachliteratur eingeführt.
Der bekannteste und zugleich der einzige datierbare Stich des Monogrammisten
В. G., wie ich ihn von jetzt an nennen will, ist das Ehewappen des Frankfurter
Patriziers Bernhard Rorbach (nicht von Rorbach!) und der Eilgin (Adel-
gunde) von Holzhausen. Am 22. September 1466 war die Hochzeit beider.
1467 wurde ihnen der erste Sohn geboren. Zu welchem Zwecke wurde dies Ehe-
wappen gestochen? Becker meint: den Stich für ein Bücherzeichen anzusehen,
dagegen spräche das mit angebrachte Wappen der Frau, das bei derartigen Zeichen
nie vorkomme (eine Behauptung, die sich leicht widerlegen läßt). Es ließe sich
eher, fährt er fort, mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß das Blatt als ein
Erinnerungszeichen an die Hochzeit des dargestellten Paares gefertigt worden sei
(er ist nämlich der irrigen Ansicht, die beiden Schildhalter seien Bildnisse Bern-
hard Rorbachs und seiner Frau). Der Stich müßte demnach im Jahre 1466 gemacht
sein. Dies ist nun schon aus rein geschichtlich-heraldischen Gründen eine Un-
möglichkeit. Sehen wir uns den Stich genauer an: auf dem Helm sitzt eine Krone.
Als Bernhard Rorbach am 22. September 1466 heiratete, war mit seinem Familien-
wappen noch ein ganz einfacher Helm verbunden. Erst am 18. Mai (Freitag nach
Sophientag) 1470 bestätigte Kaiser Friedrich IIL, der damals in Völkermarkt in
Kärnten war, dem Vater Bernhards, dem Frankfurter Patrizier Heinrich Rorbach,
und dessen Erben ihr Wappen und Kleinod und vermehrte den Helm mit
einer goldenen Krone. Das steht im ı. Bande der Quellen zur Frankfurter
Geschichte, herausgeg. von Н. Grotefend (Frankf. 1884), S. 402. Daraus folgt, daß
vor Mitte des Jahres 1470 der Stich gar nicht gemacht sein könnte. Und der An-
nahme, er könne ein Erinnerungszeichen an die Hochzeit Bernhards oder, wie auch
vermutet worden ist, an die Geburt seines ersten Sohnes 1467 sein, ist somit auch
jeder Boden entzogen. Der Stich ist tatsächlich nichts anderes als ein Bücher-
zeichen, so gut wie das etwa 20 Jahre später von Dürer gezeichnete Ehewappen
Pirckheimers (B. app. 52), das Ehewappen des Hieronymus Ebner von 1516 (B.
app. 45), das Scheurlsche Ehewappen (В. 164) Bücherzeichen sind, auch wenn sie
nicht, wie die beiden ersten, durch die Unterschriften (Liber Bilibaldi Pirckheimer,
Liber Hieronimi Ebner) als solche beglaubigt wären. Die Kupferplatte des Stiches
befindet sich bekanntlich noch im Besitz des Freiherrn v. Holzhausen in Frankfurt.
Wie mir dessen Freund, der nunmehr verstorbene Dr. H. v. Nathusius-Neinstett,
am 14. Mai 1898 mitteilte, war es dort allerdings gänzlich unbekannt, daß sie je
zur Herstellung von Bücherzeichen gedient haben sollte, auch Bücher Bernhard
Rorbachs, die etwa den Stich als Bücherzeichen enthalten hätten, waren bisher
nicht nachgewiesen worden. Das wäre nun freilich noch kein Grund gewesen,
meine Behauptung, der Stich könne nur zu einem Bücherzeichen bestimmt gewesen
sein, zu entkräften. Da erhielt ich unvermutet am 23. Oktober 1906 aus Kassel
eine Karte von Rudolf Kautzsch: in der dortigen Landesbibliothek befinde sich
eine Legenda aurea (Ms. theol. fol. 5), in deren Vorderdeckel das bekannte Ehewappen
Rorbach-Holzhausen eingeklebt sei. Darauf stehe mit der Feder geschrieben oben
links B. Rorbach, rechts E. Holtzhausen, unten links Bernhard, rechts Eylgin, in
der Mitte 1466. Eine Pause, die mir die Direktion der Landesbibliothek gütigst
übersandte, bewies, daß die Schriftzüge einer viel späteren Zeit als der Stich, d. h.
165
keinesfalls dem XV. oder XVL Jahrhundert angehörten. Dies war auch die Ansicht
der Beamten der Landesbibliothek.
Als Bücherzeichen muß der Stich auf Bestellung Bernhard Rorbachs gemacht
worden sein. Es kommt also nur die Zeit von der Verleihung der goldenen Krone
auf dem Wappenhelm bis zum Tode des Auftraggebers in Betracht. Bernhard
Rorbach, geboren 1446, ist am 6. Dezember 1482, also erst 36 Jahre alt, in Geln-
hausen gestorben. Der Stich muß demnach in der Zeit von frühestens Mitte 1470
bis Anfang Dezember 1482 entstanden sein. Wichtige Anzeichen sprechen dafür,
daß er wahrscheinlich erst kurz vor dem Tode Bernhards, sagen wir im letzten
Viertel des Jahres 1482 entstanden ist.
Die Platte war natürlich nicht in den Händen des Stechers geblieben, sondern,
wie es bei Bücherzeichen selbstverständlich ist, mit einer Anzahl von Abzügen
dem Besteller übergeben worden. Nach dessen Tode wurde sie Eigentum der
Witwe und muß später, nach dem Aussterben der Rorbachs, in den Besitz der
v. Holzhausen übergegangen sein. Denn in deren Familienarchiv in Frankfurt
wurde sie, kurz bevor Becker 1856 seinen Aufsatz veröffentlichte, gefunden. Die
Abdrücke, die bald darauf gemacht wurden, zeigten, wie Becker berichtet, die
Platte noch in ihrer ursprünglichen Frische und Schärfe, sie kann also nur wenig
abgedruckt worden sein. Lehrs kennt nur drei alte Abdrücke, wozu als vierter
der in der Kasseler Landesbibliothek käme. Die Zahl war natlirlich ehemals viel
größer, aber doch wohl von Anfang an verhältnismäßig klein. Denn das Bücher-
zeichen setzt den Besitz von Büchern, in die es geklebt werden sollte, voraus und
zwar von Büchern größeren Formats, Folio, Quart, höchstens noch Großoktav,
während es für das übliche handliche Oktavformat entschieden zu groß ist. Aber
im Büchersammeln hatte es Bernhard Rorbach, als er 36jährig im Jahre 1482 starb,
noch kaum weit gebracht. Zwar ist in dem Testament, das er 1480 6. post omnium
sanctorum gemeinsam mit seiner Frau errichtete (Quellen zur Frankfurter Ge-
schichte I, 402), auch von seinen Büchern die Rede, indessen eine größere Biblio-
thek kann er nicht besessen haben, er war ja kein Gelehrter, wie sein Sohn lob.
Doch der wichtigste Grund, die Entstehung des Bücherzeichens in die Spätzeit des
Jahres 1482 zu setzen, ist der: Es darf als ausgemacht gelten, daß der Stich auf
ein Vorbild des Hausbuchmeisters zurückgeht, natürlich nicht der ganze Stich,
nicht seine heraldischen Bestandteile, sondern nur die beiden Wappenhalter.
Das Vorbild für sie ist noch nicht bekannt, es dürfte aber in dem Paar am Brunnen
auf dem Almanach von 1482 zu suchen sein.
Man decke auf dem Stich und auf dem Holzschnitt (Abb. 13 und 17) die unteren
Hälften der beiden Gestalten zu, und man wird eine verblüffende Übereinstimmung
zwischen beiden wahrnehmen. Die kleinen Abweichungen (wie z. B. auf dem
Kopftuch über der Stirn die parallelen Linien anstatt der gekreuzten des Holz-
schnitts) fallen da wirklich nicht ins Gewicht. Natürlich konnte der Jüngling auf
dem Stich nicht mehr seine Mütze in der Hand behalten, wie auf dem Holzschnitt,
und er und das Fräulein mußten von ihrer Rasenbank aufstehen, um ihr Amt als
Wappenhalter auszuüben. Auch mußten die Gestalten auf dem Stich erheblich
größer werden (bei einigen anderen Kopien des B. G. ist das verschollene Original
des Hausbuchmeisters wahrscheinlich ebenfalls kleiner gewesen), und wie das bei
einer Übersetzung aus dem Holzschnitt in den Kupferstich selbstverständlich ist:
alle Linien, namentlich im Gesicht, verloren ihre Derbheit, wurden zierlicher und
eleganter. Wenn nun vielleicht auch nicht jedem einleuchten wird, daß das Paar
am Brunnen auf dem Almanach das Vorbild für die beiden Wappenhalter des Bücher-
166
zeichens abgegeben hat, das wird doch keiner bestreiten kónnen: der Holzschnitt
und der Stich stimmen stilistisch derartig iiberein, daB sie derselben Zeit ange-
hóren miissen. Der spáteste fiir den Almanach in Frage kommende Termin ist
der Herbst 1482, kurz nach seiner Veróffentlichung, die schon bald nach Mitte des
Jahres erfolgt sein kann, mag der Stecher die Arbeit an dem Biicherzeichen Bern-
hard Rorbachs begonnen haben. — Hinweisen möchte ich noch auf die Möglich-
keit, daß der Stecher für seine Wappenhalter mehrere Holzschnitte des Hausbuch-
meisters benutzt und zusammengeschweißt hat. Zu dem Paar am Brunnen ließe
sich dann am ehesten der Holzschnitt Nr. 205 des Heilsspiegels, der verlorene
Sohn begibt sich auf die Reise, gesellen. Hier könnte der Stecher zunächst die
Haltung seiner beiden Figuren, das ruhige Stehen der Jungfrau, die Schreitstellung
des Jünglings hergenommen haben, während weiter für die Einzelheiten der Tracht
das Paar am Brunnen hätte Modell stehen müssen. Der Vorgang wäre nicht un-
erhört. Man denke daran, wie der junge Dürer seinen großen Stich der Eifersucht
(Herkules) aus lauter fremden Bestandteilen zusammengearbeitet hat. Verhält es
sich wirklich so, dann wäre das Bücherzeichen Bernhard Rorbachs der einzige
Stich des Monogrammisten В. G., der das Urbild des Hausbuchmeisters nachweis-
lich nicht im Gegensinne wiedergibt. Man könnte auch sagen weshalb: des
heraldischen Zwanges wegen. Der Schild des Mannes mußte eben bei einem Ehe-
wappen immer links (heraldisch rechts) stehen.
Daß Bernhard Rorbach sich, als er ein Bücherzeichen für sich bestellte, an einen
Frankfurter Goldschmied gewandt hat, ist doch so gut wie sicher. Es wäre
wenigstens kaum zu begreifen, wenn er einen Auswärtigen damit beauftragt hätte,
denn in Frankfurt lebten viele und wahrscheinlich auch hervorragende Goldschmiede.
Unter ihnen haben wir also um das Jahr 1482 den Monogrammisten B. G. zu
suchen. Vielleicht gelingt es den Frankfurter Historikern bald, das Monogramm
aufzulösen. Nach den Mitteilungen, die ich 1898 vom Archivdirektor Dr. Jung er-
hielt, wurde 1499 der Goldschmied Bartholomeus Gobel vom Rat in Untersuchung
gezogen. Er war zugleich Gastwirt im Bunten Löwen auf dem Kornmarkt. 1495
war er als Sohn eines Bürgers ins Bürgerrecht getreten. Da nun Vornamen und
Handwerk sich sehr oft vom Vater auf den Sohn vererbten, so könnte der Vater
jenes Bartholomeus Gobel ebenso geheißen haben und ebenfalls Goldschmied ge-
wesen sein, käme also gleich seinem Sohn für unsern Monogrammisten mit in
Betracht. Freilich wissen wir gar nicht, weicher Vorname sich unter dem B des
Monogramms verbirgt. Man müßte zuerst einmal sämtliche Frankfurter Gold-
schmiede um 1482, deren Vornamen mit B beginnt, zusammenstellen und erst dann
könnte man versuchen, den Familiennamen zu ermitteln.
Lebte der Monogrammist B. G. in Frankfurt, dann handelte er auch dort mit
seinen Stichen, von denen wie gesagt nahezu 30 nach Stichen oder anderen Werken
des Hausbuchmeisters kopiert waren. Er hätte das nicht tun können, wenn zu
derselben Zeit auch dieser seinen Wohnsitz in Frankfurt gehabt und seine Stiche,
die Urbilder zu jenen, auf den Markt gebracht hatte. Der Rat würde einen solchen
unlauteren Wettbewerb des Monogrammisten verboten, und die Gebräuche des Hand-
werks würden ihn nicht geduldet haben. Deswegen also ist es ausgeschlossen, daß
der Hausbuchmeister, wie ich früher angenommen habe, seine Kunst in Frankfurt
ausgeübt hat. |
Wo ег dann in Wirklichkeit gewohnt hat, wenn nicht in Mainz oder їп Frank-
furt, ist nach allem, was ich über seine Tätigkeit für den Holzschnitt festgestellt
habe, eigentlich eine iiberfliissige Frage. Ich will sie aber doch selber beantworten
167
und die Antwort recht nachdriicklich unterstreichen: їп Speier. Vielleicht nicht
immer, aber doch zu der Zeit, wo er fiir Peter Drach den Spiegel der menschlichen
Behaltnis illustrierte und die Bilder fiir Drachs Almanach und Kalender schuf, also
1482, vermutlich noch ein paar Jahre friiher, und dann noch 1493, wo Drachs
deutsche Ausgabe des Petrus de Crescentiis erschien, an deren Bildschmuck er
wenigstens bescheidenen Anteil genommen hat. Man stelle sich einmal vor: wie
hatte Peter Drach, der bei seinen Drucken ausschlieBlich an die Bediirfnisse der
gelehrten Berufe dachte und Jahr aus Jahr ein Werke in lateinischer Sprache ver-
öffentlichte, der ferner an der Ausstattung seiner Bücher mit Holzschnitten nicht
das geringste Interesse gehabt zu haben scheint (sein Fasciculus temporum von
1477, der mit wenigen dürftigen Holzschnitten, Kopien der in früheren Ausgaben
vorkommenden, illustriert ist, bestätigt diese Annahme nur), wie hätte Peter Drach
auf den Gedanken kommen können, ein Buch wie den Spiegel der menschlichen
Behaltnis, dessen Bedeutung doch vor allem in den Holzschnitten beruhte, zu
drucken, wenn er nicht einen Künstler zur Hand gehabt hätte, von dessen Fähig-
keiten er sich Ungewöhnliches versprechen konnte? Wie ja tatsächlich die Speirer
Ausgabe die am schönsten illustrierte aller Ausgaben des Spiegels der menschlichen
Behaltnis geworden ist. Die Bedeutung dieses Künstlers ist ihm aber kaum erst
damals aufgegangen, der Hausbuchmeister muß also schon einige Zeit in Speier
gelebt haben, ehe Drach ihn für seine Zwecke gebrauchte.
Speier als Kunstzentrum — ein Gedanke, an den sich die Kunsthistoriker,
die keine Historiker sind (sie bilden jetzt schon die Mehrzahl unter uns), erst ge-
wöhnen werden müssen! Wer heute durch die Straßen Speiers geht, ohne von
seiner Vergangenheit etwas zu wissen, der ahnt natürlich nicht, welche hervor-
ragende Stellung die alte Reichsstadt im Mittelalter eingenommen hat. Der furcht-
bare Brand, der im Jahre 1689 die ganze Stadt in Asche legte, hat von der einstigen
Herrlichkeit so gut wie nichts übrig gelassen. 1458 nennt Enea Silvio Piccolomini
aus eigener Anschauung Speier sehr bevölkert und schön gebaut. Im letzten Viertel
des XV. Jahrhunderts, also in der Zeit, in der sich die Haupttätigkeit des Haus-
buchmeisters abgespielt hat, gehörte Speier mit Frankfurt, Mainz und Worms zu
den wirtschaftlich bedeutendsten Städten des Mittelrheins, es hatte Worms sogar
überflügelt, und sein Ansehen wuchs immer mehr bis zu den Glanzzeiten, die ihm
im XVL Jahrhundert beschieden waren. Es muß immer wieder darauf hingewiesen
werden, daß in allererster Linie die wirtschaftliche Bedeutung einer mittelalter-
lichen Stadt ausschlaggebend ist für die Frage, ob und in welchem Umfange sich
in ihr künstlerisches Leben entfaltet haben könne. Für Speier ist dies selbstver-
ständlich. Und wenn ein Kunsthistoriker vor dem Gedanken zurückschreckt, daß
ein Künstler vom Range. des Hausbuchmeisters in dieser Stadt einen Teil, vielleicht
den größten seines Lebens zugebracht haben könnte, so wird jeder Kenner der
deutschen Wirtschaftsgeschichte, der rheinischen Städtegeschichte, vor allem natür-
lich der Geschichte der Stadt Speier nur ein mitleidiges Lächeln dafür haben.
Jede Stadt, die sich zu einem wirtschaftlichen Zentrum entwickelt hatte, wurde,
auch wenn sie politisch keine besondere Rolle spielte, damit zugleich eine Stätte
der Kunst, die Künstler aller Art an sich zog und ihnen Aussicht auf reichliche
Beschäftigung, Wohlstand und bürgerliche Ehren eröffnete. Und wenn nun eine
solche Stadt noch ein bevorzugter Platz war für Versammlungen größten Stiles,
wie es die Speierer Reichs- und Städtetage gewesen sind, und wenn man an den
Glanz und die Pracht denkt, die bei solchen Gelegenheiten entfaltet wurden, so
hat man nicht mehr nötig zu beweisen, daß hervorragende Vertreter der Kunst
168
hier ansdssig gewesen sein miissen, auch wenn ihre Namen nicht auf uns ge-
kommen sind. Daran ist eben der Zufall schuld. Aber der Zufall kann auch jeden
Tag eine Fülle von Namen ans Licht bringen. Möge er in Speier recht bald
seines Amtes walten!
Wilh. Valentiner sagt am Schlusse seines Aufsatzes iiber den Hausbuchmeister
in Heidelberg (Jahrbuch der preuB. Kunstsammlungen XXIV, 1903, S. 301): „Der.
Hausbuchmeister ist bisher der einzige groBe deutsche Maler des XV. Jahrhunderts,
von dem wir mit Bestimmtheit sagen dürfen, daß er einmal in Heidelberg tätig
gewesen ist.“ Setzen wir für Heidelberg Speier, so ist der Satz richtig, anders
nicht. Was spielte das kleine Heidelberg, trotz Universität und kurfiirstlicher
Hofhaltung, damals fiir eine Rolle im Vergleich zu der ргоВеп Reichsstadt Speier!
Daß unser Meister in Heidelberg tätig, d. h. ansässig gewesen sei, ist darum
höchst unwahrscheinlich; daß er in Heidelberg bekannt gewesen sei, von
Speier aus Verbindungen mit Heidelberg unterhalten habe, dagegen höchst
wahrscheinlich, wie ja auch die vielen lateinischen Drucke Peter Drachs in
erster Linie für die Bedürfnisse der Heidelberger Universität bestimmt gewesen zu
sein scheinen. Von den Holzschnitten, die mir aus Heidelberger Drucken des XV.
Jahrhunderts bekannt geworden sind, ist kein einziger mit dem Hausbuchmeister
in Verbindung zu bringen. Und das Titelblatt, das dieser 1480 für die Hand-
schrift des Heidelbergers Johann von Soest gezeichnet und das Valentiner entdeckt
und veröffentlicht hat (ich halte es für eine sichere Arbeit seiner Hand), beweist
auch nichts für Heidelberg, ist aber um so wichtiger für Speier, als es darauf hin-
weist, daß wir ihn schon 1480 dort zu suchen haben.
Was er in den nächsten Jahren dort geschaffen hat, die Holzschnitte für den
Spiegel der menschlichen Behaltnis und für den Kalender, läßt erkennen, daß er
ein in diesem Fach durchaus erfahrener Künstler war. Nirgends eine Unsicherheit,
ein Tasten, überall eine völlige Beherrschung des dem Holzschnitt eigenen Stiles.
Wo hatte er sich diese Meisterschaft erworben? In Speier sicherlich nicht.
Die Holzschnitte bringen uns selbst auf die rechte Spur. In der Mundart, die
sie sprechen, sind Laute, die der Rheinfranke nicht kennt. Wer weit herumge-
kommen ist, weiß wo man so spricht. Diese Laute sind Wegweisern gleich, auf
denen, freilich nicht für jeden erkennbar, die Worte stehen: Von Ulm.
Ich hatte mich kaum mit Muthers Bücherillustration näher bekannt gemacht, da schien
es mir, als wenn zwischen den Ulmer Holzschnitten, die dort im 2. Band auf
Tafel 38—41, 42—48 und 49—62 abgebildet sind, und denen des Heilsspiegels Tafel
64—66a (mochte er nun gedruckt sein, wo er wollte) irgend ein innerer Zu-
sammenhang bestehen müsse. Die Sache erschien mir einer Untersuchung wert,
und so lagen denn, als ich im Mai 1goo von der Münchener Hof- und Staats-
bibliothek zum ersten Male den Drachschen Spiegel der menschlichen Behaltnis
erhielt, der Sendung noch Boccaccios de claris mulieribus im Druck von Joh. Zainer
‘in Ulm (Muther II, 38—41) und die „Gaistliche Ußlegong des lebens Cristi“, jener
angeblich frühe Ulmer Druck (Muther II, 49—62) bei. Der Steinhöwelsche Азор
(Muther 11, 42—48) stand mir in einem (leider defekten) Exemplar der
Braunschweiger Stadtbibliothek jederzeit zur Verfügung. Bei Boccaccio und
der Gaistlichen UBlegong schien ich mich nun allerdings geirrt zu haben, in
den Äsopholzschnitten dagegen glaubte ich den Hausbuchmeister selbst,
den mir bekannten Zeichner des Drachschen Heilsspiegels, deutlich vor mir zu
sehen. Trotzdem verwarf ich damals den Gedanken als allzu kühn. Aber
er kam nie ganz zur Ruhe in mir, und nach 2 Jahren war ich, auf einem Umweg
169
allerdings, wieder ап demselben Punkte angelangt, und nun erschien mir meine
frühere Annahme so natürlich, so selbstverständlich, daß ich mich nicht scheute,
sie auch anderen gegenüber auszusprechen. So habe ich denn schon 1902 Max
Lehrs und Wilhelm Schmidt benachrichtigt, daß ich die Holzschnitte im Stem-
höwelschen Азор für Jugendarbeiten des Hausbuchmeisters halten müsse, und daß
der Zeichner des Drachschen Heilsspiegels und der Zeichner der Zainerschen
Offizin in Ulm für mich eine Person seien. Lehrs antwortete mir darauf im Juli
1902, daß ihm diese Ansicht hinsichtlich des Äsop nicht unmöglich erschiene, und
Wilhelm Schmidt später, daß viel für alle meine Ausführungen spriiche. Auch
Geisberg und andere Fachgenossen kennen seit Jahren meine Stellung zu diesen
Fragen.
Ich sprach von einem Umweg, auf dem ich wider Erwarten schließlich beim
Äsop wieder angelangt sei. Das ging so zu. Als ich mit den Holzschnitten des
Drachschen Heilsspiegels und des Kalenders von 1482 völlig vertraut geworden
war, sie gewissermassen auswendig kannte, fielen mir eines Tages im Textbande
von Muthers Biicherillustration (S. 3, 24, 56 und 71) vier große Initialen mit
biblischen Darstellungen ins Auge. Beim näheren Zusehen konnte ich mich des
Eindrucks nicht erwehren, daß auch hier der Hausbuchmeister seine Hand im
Spiele habe. Hatte ich es früher peinlich empfunden, daß Muther die Speierer
Heilsspiegel-Holzschnitte für Baseler ausgegeben hatte, so empfand ich es hier
noch peinlicher, daß er diese Initialen, wie alle Illustrationen seines Textbandes,
in das Verzeichnis überhaupt nicht mit aufgenommen hatte. Schließlich, Anfang
Februar 1902, half mir auch hier wieder die Direktion der Münchener Hof- und Staats-
bibliothek mit dem Nachweis, daß die Initialen aus der fünften deutschen
Bibel (Hain *3132) stammten.
Wo diese Bibel gedruckt ist, steht immer noch nicht fest. Die älteren Biblio-
graphen, so auch Hain, sahen in ihr einen Druck von Sensenschmid u. Frisner in
Nürnberg. Wilh. Walther (die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters, Braun-
schweig 1889—1892) versetzt sie nach der Schweiz. Beides ist nicht richtig. Mir
scheint, des Rätsels Lösung wird sich nur finden lassen, wenn der Bibliograph die
Ergebnisse der kunstgeschichtlichen Forschung annimmt und daran die ihm ge-
läufigen Typenvergleichungen anschließt.
Die fünfte Bibel, die zu den häufigsten gehört (fast jede große Bibliothek besitzt
ein Exemplar) ist ein sehr verbesserter Nachdruck der vierten, die in Augsburg,
jedenfalls im Verlag von Günther Zainer, um 1473 erschienen ist. Das Verhältnis
der fünften zur vierten deutschen Bibel ist genau so, wie das des Drachschen Heils-
spiegels zum Richelschen, wie ich es ausführlich erörtert habe. Das gilt sowohl
für die Einrichtung des Textes wie für die Holzschnitte. Wir bemerken hier
eine ebenso große Selbständigkeit des Zeichners seiner Vorlage gegenüber wie
beim Spiegel der menschlichen Behaltnis. Seine Leistung erscheint nur noch er-
staunlicher, wenn man die Beschränkungen bedenkt, die ihm durch die kleinen
Maßverhältnisse auferlegt waren. Man könnte bei diesen 57 verschiedenen (im
ganzen 73) Initialen fast von Neuschöpfungen sprechen. Sie überragen die Augs-
burger Vorbilder künstlerisch ganz bedeutend, nehmen überhaupt unter den ältesten
Bibelillustrationen die höchste Stelle ein. Daß sie von unserem Meister sind, lehrt
die große Ähnlichkeit mit den kleinsten Gestalten in den Holzschnitten des Heils-
spiegels und mit den Initialen des Almanachs von 1482, sie sind aber, das sieht
man, Erzeugnisse einer wesentlich früheren Entwicklungsstufe des Künstlers.
Wie Wilh. Walther mitteilt, trägt von den 32 von ihm nachgewiesenen Exem-
170
plaren dieser Bibel nur ein einziges, das Göttinger, eine gedruckte Jahreszahl am
Schluß: 1474. Aber diese Zahl, mit einem Stempel eingedruckt, wohl von einem
späteren Besitzer zum Zwecke der Fälschung, kann wegen ihrer Verdächtigkeit
keine Beweiskraft haben. Dagegen sind zwei andere Exemplare handschriftlich,
wahrscheinlich vom Rubrikator, mit 1478 bezeichnet. Demnach ist die Bibel
sicher 1478 schon gedruckt gewesen. Als mutmaßliches Druckjahr darf man 1477
annehmen.
Ob als Druckort Ulm und als Drucker Johannes Zainer so völlig ausgeschlossen
ist, kann ich zur Zeit nicht beurteilen, gedacht hat wohl noch niemand an diese
Möglichkeit. Ob andererseits Peter Drach in Speier schon als Drucker in Betracht
käme (die Mundart scheint allerdings etwas mehr nach dem Mittelrhein als nach
Ulm hinzuweisen), könnte nur durch eine genaue Vergleichung der Bibel mit den
frühesten Drucken Drachs entschieden werden. Sicher ist, daß der Holzschnitt-
schmuck der fünften Bibel vom Zeichner der Holzschnitte zu Steinhöwels Äsopüber-
setzung herrührt, die zwischen 1475 und 1480 (mit größerer Wahrscheinlichkeit
jedoch bald nach 1475 als kurz vor 1480) von Johannes Zainer in Ulm gedruckt
worden ist Daß wir demselben Zeichner 1477 in einem mit ein paar Holz-
schnitten ausgestatteten Druck des Konrad Fyner in Eßlingen begegnen, von
denen ich allerdings nur einen und noch dazu nur in einer Nachbildung kenne,
dürfte zur Ermittlung des Druckorts der fünften Bibel kaum verwertet werden
können.
Meine Untersuchungen über den Ulmer und Eßlinger Holzschnitt sind noch nicht
in der Weise abgeschlossen, wie es die tiber den Speierer Holzschnitt sind. Ich
habe sie vor etwa 5 Jahren abbrechen miissen und bin dann nur gelegentlich
wieder darauf zurückgekommen.!) Ich denke aber sie in kurzem wieder auf-
nehmen und zu Ende führen zu können. Aber ganz mit Stillschweigen übergehen
wollte ich sie auch nicht. Darum habe ich mich mit einigen Hinweisen und
kürzeren Ausführungen begniigt. Was von den Ulmer Holzschnitten, die ich dem
Hausbuchmeister zuschreibe, bei Muther abgebildet ist, führe ich zum Schluß
hier an:
1. Aus Boccaccio, de claris mulieribus, 1473: 6 Textholzschnitte Band II, Tafel
38—41, dazu die Randleiste mit dem Siindenfall Band I, erste Seite der Ein-
leitung.
2. Aus Steinhöwels Übersetzung von Boccaccio, de claris mulieribus, 1473:
Die Randleiste mit 4 Wappen, Band I, erste Seite des Vorworts.
3. Aus Steinhöwels Übersetzung des Азор nebst Anhang (erschienen zwischen
1475 und 1480): Band I, S. 19 und Band II, Tafel 42—48.
Auch auf die vielen Holzschnittproben aus diesen Werken möchte ich hinweisen,
die sich in den von Steinhausen herausgegebenen Monographien zur deutschen
Kulturgeschichte sowie in dem dazu gehörigen Atlas „Deutsches Leben der Ver-
gangenheit in Bildern“, Band I (Verl. von Eugen Diederichs in Jena) befinden.
Mit Hilfe dieser Abbildungen kann jeder leicht prüfen, ob ich Recht oder Un-
recht habe.
Ich bin endlich auch in der Lage, ein Gemälde unseres Meisters aus der Ulmer
Zeit zu nennen, mache mich aber, indem ich es tue, sofort auf ein allgemeines
(x) Das ist auch der Hauptgrund, weshalb ich die seit vielen Jahren fertigen Untersuchungen über
den Hausbuchmeister in Speier erst jetzt verdffentliche. Ich wollte es ejgentlich nicht eher tun, als
bis ich auch mit den Ulmer Anfängen vollständig im Reinen wäre.
171
Kopfschiitteln der Fachgenossen gefaBt. Es ist die Enthauptung Johannes des
Täufers in der Karlsruher Galerie (Nr. 35, der Ulmer Schule zugeschrieben).
Von meinen früheren Besuchen der Galerie her kann ich mich auf das Bild selbst
nicht mehr besinnen. Meine Überzeugung gründet sich auf den Bruckmannschen
Pigmentdruck, den ich spätestens im Frühjahr 1902 zum ersten Mal zu Gesicht
bekam. Damals stand mein Urteil sofort fest, seitdem ist es noch nicht ein ein-
ziges Mal ins Wanken geraten.
Es ist also meine Überzeugung, um alles noch einmal kurz zusammenzufassen,
daß der Hausbuchmeister, vielleicht ein Ulmer Kind, von 1472 bis mindestens
1475 in Ulm tätig gewesen ist, hauptsächlich als Zeichner für den Verlag von
Johannes Zainer. Dann verschwindet er aus Ulm, taucht um 1480 am Mittelrhein,
in Speier, auf und beschließt dort nach 1505 sein Leben. Es ist möglich, daß der
Weg von Ulm nach Speier über Eßlingen geführt hat, indessen soll das nichts
weiter als eine Vermutung sein.
Sind meine Beobachtungen und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen alle
richtig, ist also der Hausbuchmeister der Zeichner der Speierer Holzschnitte, und
sind die Holzschnitte zum Äsop und zu andern Drucken Johann Zainers in Ulm
Jugendwerke von ihm, so ist auch Aussicht vorhanden, daß wir seinen Namen
erfahren werden. Läßt sich in Speirer Urkunden und Akten von etwa 1480 an ein
Maler nachweisen, an dessen Namen die Herkunftsbezeichnung „von Ulm“ angehängt
ist, und findet sich im Ulmer Stadtarchiv von 1472 an bis 1475 oder sogar noch bis 1479
(aber keinesfalls mehr 1480!) ein Maler mit demselben Namen wie der in Speier,
so ist es sicher: dies ist der Hausbuchmeister. Zu dem Zwecke müßten erst die
Namen sämtlicher Maler, die in der angegebenen Zeit in Ulm und Speier gelebt
haben, ans Tageslicht gezogen werden. Einen Versuch habe ich gemacht, indem
ich im März ıgıo in diesem Sinne eine Anfrage an das Speierer Stadtarchiv rich-
tete. Leider blieb sie ohne Antwort.
Als Anhang noch ein paar Worte über das „mittelalterliche Hausbuch“,
das dem Künstler zu seinem Notnamen verholfen hat. Den Text hat wahr-
scheinlich außer mir kein Kunsthistoriker von Anfang bis zu Ende gelesen, sonst
müßte er auf eine Stelle gestoßen sein, die wenigstens einen kleinen Fingerzeig
gibt, wann ungefähr das Buch geschrieben ist. Seite 19 der Essenweinschen
Ausgabe steht ein Rezept gegen Krebsleiden: „Vor den kreps. Nym 1 kroten
vnd 2 kreps vnd pren das zu pulver in eym hafen, sewe das pul. in den presten,
wesch den presten alwegen mit syner eigen pruntzot, dar in vitriol. roman. in ge-
sotten sy. Das ist dez hertzogen von Luthringen stück, do in sust mit
nicht geholffen kunt.“ Hier wird also auf die Krankheit eines lothringischen
Herzogs angespielt, die damals vermutlich viel von sich reden machte; es muß
dabei auf Leben und Tod gegangen sein. Damit kann nur die schwere Krank-
heit gemeint sein, von der der allen bekannte Besieger Karls des Kühnen von
Burgund, Herzog Reinhard (Renatus) II. von Lothringen, im Winter 1481/82 be-
fallen wurde und aus der ihn sein Arzt Johann Bonnet errettete. Von der Krank-
heit eines anderen Herzogs ist in der lothringischen Geschichte des XV. Jahr-
hunderts nichts bekannt. Diese Stelle des Hausbuchs kann also nicht vor dem
Jahre 1482 geschrieben sein. Auch der Lautstand der Mundart des ganzen
Buches weist auf die 80 er Jahre. Die Mundart selbst trägt alle Kennzeichen
des Rheinfränkischen an sich, sie gehört nach dem Mittelrhein, wie viele lautliche
Eigentümlichkeiten beweisen, so z. B. das p im Anlaut statt pf (plaster, pan, stamp
statt pflaster, pfan. stampf), das nachschlagende i nach langem a und о (háist, háit
172
statt hast, hat, réit, löit statt rot, lot). Die alten langen Vokale sind in der Um-
bildung zu Diphtongen begriffen, aber die Umbildung ist noch nicht ganz durchge-
führt: das alte din steht noch neben dem neuen dein, win neben wein, riben
neben reiben, brun neben braun, luter neben lauter, uf neben auf, füyr neben feuyr
(Feuer), füycht neben feucht. Die neuen Diphtonge sind bekanntlich am Mittelrhein
erst am Ende des 15. Jahrhunderts völlig durchgedrungen.
Die Zeichnungen des Hausbuches sind in der letzten Zeit von den jüngsten
noch nicht flügge gewordenen Kunsthistorikern zu einem Tummelplatz der Kritik
gemacht worden. Wir haben das Schauspiel erleben müssen, daß sogar die fest-
geschlossene Folge der 7 Planetenbilder auseinandergezerrt und an zwei, sogar
drei Hände verteilt worden ist. Ich glaube im Sinne meiner älteren Fachgenossen
zu sprechen, wenn ich eine derartige Kritik als einen Unfug bezeichne. Mit der
größten Entschiedenheit muß ich ferner Einspruch erheben gegen die von einem
Herrn Bossert vorgenommene Deutung der auf BL зх а des Hausbuchs befindlichen
Inschrift. Wenn es Bossert „mit einigen Umstellungen und mit Zuhilfenahme des
Spiegels“ gelungen ist, die Buchstaben „deutlich, ungezwungen und unwiderleglich“
als HENRICH LANG F(ECIT?) zu lesen, so mag er stolz sein auf diese Interpre-
tationskunst, nur darf er nicht den Anspruch erheben, daß sie mit wissenschaft-
licher Beweisführung etwas zu tun hat. Er mag erst beweisen, daß in der zweiten
Buchstabengruppe das letzte Zeichen ein R, in der dritten Gruppe das erste
Zeichen ein G, daß vierte еіп L ist. Kann er das, so hat er noch darüber Auf-
schluB zu geben, was das F, der letzte Buchstabe, an dieser Stelle der angeb-
lichen Künstlerinschrift zu suchen hat. Jedenfalls wäre eine deutsche Künstler-
inschrift mit einem fecit am Schluß in dieser Zeit, Anfang oder Mitte der 80er
Jahre des XV. Jahrhunderts, etwas noch nicht Dagewesenes.
Nachwort. Ich habe in einer Anmerkung schon auf die Ausgabe sämtlicher Holzschnitte des
Drachschen Heilsspiegels hingewiesen, die mit einer Einleitung von Hans Naumann Anfang August
im Verlag von Heitz in Straßburg als 126. Heft der Studien zur deutschen Kunstgeschichte erschienen
ist. Da ich vorläufig der einzige bin, der den Wert der Nachbildungen genau beurteilen kann, wird
man wohl von mir erwarten, daß ich irgendwie zu dieser Ausgabe Stellung nehme. Ich tue es hier-
mit, verzichte aber von vornherein darauf, auch die Einleitung kritisch zu beleuchten.
Am 19. Oktober 1906 fragte ich bei Herrn Paul Heitz in Straßburg an, ob er vielleicht geneigt sei,
die Holzschnitte des Hausbuchmeisters im Drachschen Spiegel der menschlichen Behaltnis in getreuen
Nachbildungen zu veröffentlichen. Er antwortete zustimmend. Ein Jahr darauf trat ich der Ausführung
des Planes näher. Mit den Bedingungen des Herrn Heitz konnte ich mich jedoch nicht ganz be-
freunden, besonders gegen die eine, daß die Ausgabe in seinen „Studien zur deutschen Kunst-
geschichte“ erscheinen müsse, hatte ich Bedenken, die immer stärker wurden. Ich sagte mir, daß
eine Ausgabe der Holzschnitte des Hausbuchmeisters, so wie wir sie brauchen und wie ich sie mir
gedacht hatte, etwa als Gegenstück zur Ausgabe der Stiche, im Rahmen der andere Ziele verfolgenden |
Heitzschen Studien zur deutschen Kunstgeschichte kaum zustande kommen kónne. Deshalb setzte ich
die Verhandlungen mit Herrn Heitz nicht weiter fort und gab meinen Plan einer Neuausgabe jener
Holzschnitte in seinem Verlage endgültig auf.
Jetzt also hat Herr Heitz die Ausgabe ohne mich veranstaltet, ob auf eigene Faust oder auf Veran-
lassung jenes Herrn Hans Naumann, der die Einleitung geschrieben hat, das wird mit keinem Worte
gesagt. Die Nachbildungen beweisen, daB meine Bedenken von 1907 berechtigt waren: sie sind zum
groBen Teil derart, daB sie die Originale nicht ersetzen kónnen. Fiir wissenschaftliche Unter-
suchungen genügt die Ausgabe nicht, auf jeden Fall ist sie mit der größten Vorsicht zu gebrauchen.
Das einzige wirkliche Verdienst, das sie beanspruchen darf — ich will das gar nicht in Abrede
stellen — ist, daß sie überhaupt vorhanden ist. Besser etwas, als gar nichts. Die Forschung wird
jetzt viel schneller vorwärtsschreiten können.
173
Ich gehe nun auf einzelne Punkte näher ein. Da ist zunächst die Nummerierung der Darstellungen.
Man vergleiche hierzu mein Verzeichnis der sämtlichen Holzschnitte des Originals. Bei den letzten
27 Nummern ist vom Herausgeber (Hans Naumann?) mit einer Nachlässigkeit verfahren worden, die
nicht scharf genug gerügt werden kann. Bis 230 ist so ziemlich alles іп Ordnung, aber von da
springt die Nummerierung plötzlich auf 240 über. Der Benützer denkt natürlich, die Holzschnitte
231—239 sind ausgefallen, weil sie wahrscheinlich vorher schon einmal vorgekommen sind. Nicht
im geringsten! Denn Nr. 240 — 231, 256 — 247 des Verzeichnisses. Dann folgt auf 256, ohne daß
man weiß weshalb, 258 (— 248 des Verzeichnisses). Man muß also bei Nr. 240—256 immer д, bei
Nr. 258—266 immer то abziehen, um die richtige Nummer zu erhalten. Die letzte Nr., 267, ist 269
und 116 des Verzeichnisses. Wer, außer dem Eingeweihten, soll sich in dieser Nummerierung zurecht
finden? Und wie ist es möglich, nach einer so liederlichen Ausgabe die letzten 27 Holzschnitte zu
zitieren? — Der Gekreuzigte mit Maria und Johannes, Nr. 267, hat selbstverstindlich am Schluß nichts
zu suchen, er hätte die Nr. 116 bekommen müssen, und dem Holzschnitt, der in der Nachbildung
diese Nr. hat, gebührt die Nr. 122, die ganz ausgelassen ist. Ebenso waren Nr. 86 und 90, die im
Original aus Versehen vertauscht sind, in der Nachbildung an der richtigen Stelle einzusetzen, was
nicht geschehen ist. Ich verweise hierzu auf die Ausführungen in meiner Abhandlung.
Nun die Nachbildungen selbst. Wir sind ja mit Recht verwöhnt durch die Holzschnitt-Reproduktionen,
die z. B. die Internationale Chalkographische Gesellschaft und ihre Nachfolgerin, die Graphische Gesell-
schaft, die Reichsdruckerei in Berlin und die Hof- und Staatsdruckerei in Wien veröffentlicht haben.
Aber auch wenn man an die vorliegende Heitzsche Ausgabe nicht denselben Maßstab anlegt, wie an
jene, muß man sagen, daß sie sogar bei den viel geringeren Mitteln, die aufgewandt worden sind,
viel besser sein könnte, als sie in Wirklichkeit ist. Die Sorgfalt, die bei solchen Unternehmungen
von Anfang bis zu Ende unerläßlich ist, hat leider vielfach gemangelt. Hier die Beweise.
Es ist doch eigentlich selbstverstándlich, daß man, wenn man eine derartige Ausgabe veranstaltet, nur
das beste Exemplar als Vorlage benützt. Nun gibt es aber kein einziges Exemplar des Drachschen
Heilsspiegels, dessen Holzschnitte alle miteinander zur Nachbildung geeignet wären. Eine getreue und
tadellose Nachbildung sämtlicher Holzschnitte läßt sich nur durch eine Kombination der drei besten
Exemplare des Buches erreichen. Wo diese sich befinden, habe ich Herrn Heitz 1907 mitgeteilt.
Trotzdem hat er, wie sich nachweisen läßt, nur ein einziges Exemplar benutzt. Es wird nirgends im
Text gesagt, welches dies ist, aber da ich mir genaue Notizen über den Erhaltungszustand eines
jeden Holzschnitts in jenen 3 besten Drucken gemacht habe, kann ich nalen, daß dae Exemplar
der Münchener Hof- und Staatsbibliothek zur Vorlage gedient hat.
In diesem Exemplar hat einer der frühesten Benutzer seiner Freude an roter Tinte überall Ausdruck
verliehen. Er hat dabei auch die Holzschnitte nicht verschont und mit Vorliebe vielfach den Mund
durch einen zinnoberroten Strich hervorgehoben. In diesem Falle ist in der Heitzschen Ausgabe
natürlich nicht die (nicht mehr sichtbare) schwarze Linie des Holzschnitts, sondern der darauf gesetzte
rote Federstrich nachgebildet worden, der meistens die ursprüngliche Form des Mundes arg entstellt
hat. Dies gilt von folgenden Nummern: 21, 22, 23, 37, 38, 39, 40, 63, 67, 68, 72, 74, 76, 80, 85,
106, 113, 154, 156, 159, 163, 165, 167, 190. Auch die Blutstropfen auf Christi Körper Nr. 98 sind
erst später mit roter Tinte gemacht. Und die Zungen der Löwen auf Nr. 136, die weiß sein müssen,
sind in der Nachbildung schwarz, weil sie im Münchener Exemplar rot angemalt sind.
Mit nachgebildet sind ferner alle zufälligen Beschädigungen durch Wurmfraß, wodurch bisweilen
Einzelheiten, z. B. die Füße, in der Form ganz unverständlich geworden sind. Ich nenne hier die
Nummern 2, 3, 4, 5, 9, 12, 13, 15, 17, 27, 28, 30.
Das alles möchte noch gehen. Nicht entschuldbar aber sind Verkürzungen von Teilen der Vorlage
infolge mangelnder Sorgfalt bei der photographischen Aufnahme. Es handelt sich um Holzschnitte,
die sich im Original auf der Rückseite eines Blattes in der 2. Kolumne nahe dem inneren Rande be-
finden. Bei der Aufnahme hat der untere Teil des quergesteilten Blattes nicht senkrecht, sondern
gekrümmt dem Objektiv gegenübergestanden, so daß auf dem Negativ die rechte Hälfte der Dar-
stellung (als Teil eines Zylindermantels) mehr oder weniger zusammengezogen, verkürzt erschienen
ist. Die Nachbildungen, die auf diese Weise zustande gekommen sind, sind der Mehrzahl nach als
gröbliche Entstellungen der Originale zu bezeichnen und deshalb unbrauchbar. Es sind folgende:
48, 83, 106, 107, 149, 153, 154, 167, 170, 176, 179, 183, 187, 191, 198, 202, 225, 226, 244, 246, 258,
260, 263.
174
Zum Schluß noch ein Wort über die Güte der Zinkätzungen. Sie sind sehr ungleich ausgefallen.
Zwischen vielen schlechten Drucken findet man oft einen recht guten. Freilich eine Vergleichung
mit dem Original hält keiner aus. Die vielen Feinheiten namentlich der Innenzeichnung sind im
Zink entweder vergröbert oder ganz verloren gegangen. Das Zusammenfließen von zwei eng benach-
barten feinen Linien zu einer einzigen derben Linie ist bei diesen Nachbildungen fast die Regel.
Besonders aufgefallen ist mir, wie mangelhaft die Augen wiedergegeben sind. Unangenehm wirkt die
Druckfarbe. Es ist meistens kein tiefes Schwarz, wie es die Originale zeigen, sondern mehr ein sehr
dunkles Grau.
Die Heitzsche Ausgabe der Holzschnitte des Drachschen Spiegels der menschlichen Behaltnis weist
also eine große Zahl von Mängeln auf, die ihren Wert in den Augen der Kenner sehr stark herab-
drücken. Der Wunsch nach einer mustergültigen Ausgabe, wie es die der Stiche des Hausbuch-
meisters ist, wird sich bald regen. Vielleicht nimmt sich der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft
oder die Graphische Gesellschaft einmal der Sache an.
GEESS
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 4. 13 175
VELAZQUEZ Von AUGUST L. MAYER
Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln ccccccccccccccccccccccccccccccccccccecccececocccccccccccccsccscccececceocese
ber Velazquez heute noch etwas schreiben, etwas Neues sagen zu wollen,
erscheint ebenso gewagt, als wollte man bei der Gedenkfeier eines großen
Mannes eine bedeutungsvolle Rede halten, nachdem bereits weit ältere und an
Kenntnissen reichere Kollegen den zu Feiernden in ausgezeichneten, treffenden
Worten in seinem Wirken und Wesen gerühmt und charakterisiert haben.
Und doch — wie die Dinge nun heute einmal liegen, ist es trotz der Werke
Justis und Beruetes nicht nur erlaubt, sondern geradezu notwendig, für Velazquez
eine Lanze zu brechen, nachdem ein moderner Kunstkritiker, der im stolzen Be-
wußtsein seiner „Unzünftigkeit“ die Kunsthistoriker bei jeder Gelegenheit mit Ver-
achtung straft, Julius Meier-Gräfe, in seiner so berühmt gewordenen „Spanischen
Reise“ in maßloser Begeisterung für el Greco den armen Velazquez zu zerschmettern
versucht hat. Man könnte dies vielleicht ganz ergötzlich finden, hätte nicht der
„Entdecker Grecos“ einer großen Reihe sonst ruhig denkender Menschen den Kopf
verdreht und vor allem Velazquez Ideen und Probleme angedichtet, denen er nie
nachgegangen ist.
Es muß mit aller Entschiedenheit betont werden, daß Greco und Velazquez völlig
verschiedene Bahnen gewandelt sind.
Grecos Kunst zielt auf eine Betonung aller malerischen Werte in der Natur,
erstrebt eine Lösung des Problems „dekorative Malerei“ Zu diesem Endziel ist
aber Greco nie ganz gelangt, denn er hat Zeit seines Lebens auf naturalistische
Einzelheiten nicht verzichten können. So ist sein Stil schwankend, unausgeglichen,
ja nicht selten maniriert. Selbst Cossio, Grecos Biograph, hat den Meister „den
letzten Epigonen der Renaissance“ genannt.
Greco kümmert sich wenig um die Wirklichkeit, er ist, wenn man es so nennen
will, Mystiker, Visionär.
Velazquez sucht das Wahre, das irdisch Faßbare, ist Realist. Für ihn gibt es
keine chaotischen Unendlichkeiten, ihn beschäftigt vor allem die Luftperspektive,
die räumliche Vertiefung und der fest auf der Erde stehende, in ihr wurzeinde
Mensch. (Schon Justi meint bei der Behandlung der Frage, inwieweit Velazquez
Herreras Schüler war: Ein Beobachtender begegnete einem Visionär.)
Greco ist Kolorist, Velazquez Valeurmaler. Man könnte meinen, er habe sich
Lionardos Worte zu Herzen genommen, der vor allem das Streben nach Greif-
barkeit der Gestalten empfiehlt und vor Überschätzung der Farbe warnt, die nur
dem Ehre bringe, der sie verfertigt, den Maler aber verführe, gleich Schönrednern
Worte zu gebrauchen, die nichts sagen (Trattato 123. 236).
Greco schwelgt im Licht, gießt es in Strömen über seine Schöpfungen aus.
Velazquez sucht es zu fangen, seinen Zauber zu bannen. Bei allem Funkeln und
Gleißen der Farbe und allem Sprühen und Glitzern des Lichtes wirken die meisten
Bilder Grecos flackernd, unruhig; die des Velazquez aber machen stets einen aus-
geglichenen, gestillten Eindruck.
Grecos Kunst ist dramatisch bewegt, wirkt aufreizend, ja selbst zuweilen fast
schreiend. Des Velazquez Art ist keusch, zurückhaltend; viele Schönheiten seiner
Werke enthüllen sich erst ganz allmählich.
Bei Grecos Werken hat man oft das Gefühl, dies oder jenes könne auch anders
sein, dies oder jenes fehlen; bei Velazquez aber ist alles notwendig, seine Gemälde
besitzen „Harmonie“ im höchsten und letzten Sinn des Wortes.
176
Greco ist уоп riesiger Produktionskraft, er wiederholt sich jedoch nur zu oft,
ohne etwas Neues zu sagen. Velazquez schafft wenig, aber wiederholt sich nie.
Jedes seiner Werke bedeutet ein neues Problem, einen Fortschritt,
Greco malte freilich um Geld zu verdienen, Velazquez war in erster Linie spa-
nischer Edelmann. Greco führte wegen seiner Honorare langwierige Prozesse,
Velazquez gab dem Papst Innocenz X., als dieser ihm sein Bildnis honorieren
wollte, zur Antwort, daß er Geld nur von seinem königlichen Herrn annehme und
begnügte sich mit der Gnadenkette, die ihm der Papst schenkte.
Grecos Kunst haftet etwas Gezwungenes an, man spürt die Anstrengung des
Meisters, neu, originell zu sein. Velazquez Kunst ist natürlich, gewachsen.
Bei Greco bewundert man die Kraft des Mannes, das Ringen des Künstlers.
Velazquez aber bedeutet das geheimnisvolle Walten der Gottheit, das Wunder
des Genies.
Zu Anfang des XIX. Jahrhunderts stritt man sich in Deutschland in höchst müßiger
Weise, wer größer sei, Goethe oder Schiller. Goethe soll daraufhin das gute Wort
gesprochen haben, die Deutschen sollten diesen unnützen Streit sein lassen und
sich freuen, zwei solche Kerle zu haben.
Man wird bei der Kontroverse Velazquez-Greco lebhaft an diese Geschichte er-
innert; denn sie paßt in gewissem Sinne auch auf diese beiden Maler. Das Künstler-
paar gleicht aber überhaupt den beiden Dichtern. Erinnert der malende Hofmar-
schall Philipps IV. nicht an den dichtenden Staatsminister des Weimarischen Landes
und der lange nicht so sehr vom Glück begünstigte Greco an den stets mit des
Lebens Not kämpfenden Schiller, die beide „nur Künstler“ waren? Ja selbst die
Begriffe des „sentimentalischen“ und „naiven“, die Schiller auf sein und Goethes
Schaffen geprägt hat, lassen sich auf Grecos und Velazquez Art anwenden. Nicht
nur das Visionäre sondern auch das Pathetische verbindet Greco- mit. Schiller.
„Wenn Dein Finger durch die Saiten meistert, Laura!“ Auch für Greco gestaltete
sich das Alltäglichste dramatisch. Der Himmel ist bei ihm stets wie von Blitzen
durchzuckt, man denke nur an seine „Toledolandschaft“, (jetzt bei Frau Havemeyer-
New-York). Hier offenbart sich restlos der ganze Charakter des Künstlers.
Und damit vergleiche man nun eines der Bildchen des Velazquez aus der Villa
Medici. Mutet es nicht wie ein frisches Frühlingslied Goethes an?
Man hat wiederholt von einem Einfluß Grecos auf Velazquez gesprochen. Ich
‚möchte ihn als völlig unbedeutend, wenn nicht überhaupt als sehr fraglich bezeichnen.
Im Jahre 1622 verließ Velazquez zum erstenmal Sevilla, um Madrid und den
Eskorial, das siebente Weltwunder, kennen zu lernen. Er war mit den besten
Empfehlungsschreiben ausgestattet und hat sicher den „Mauritius“ und den „Traum
Philipps IL“ von Greco im Eskorial gesehen. (Sein Schwiegervater Pacheco hatte
ja Greco selbst gekannt und wird Velazquez zweifelsohne mehr als einmal von
Grecos Werken gesprochen haben.)
Wo zeigt sich nun in den ersten zwanziger Jahren bei Velazquez ein Einfluß
Grecos?
Nirgends.
1623 siedelte Velazquez endgültig nach Madrid über. Er wird in jenen Jahren
wohl auch einmal nach Toledo gekommen sein, zum mindesten hat er wohl irgend
ein bedeutenderes Werk Grecos damals in Madrid gesehen. In keinem Gemälde
177
der ersten Madrider Epoche des Velazquez wird man aber einen Einfluß Grecos
konstatieren kónnen.
Dann kommt die Reise nach Italien. Nach der Riickkehr malt der Meister eine
ganze Anzahl Bilder mit silbergrauen Tónen. Hier hat man nun eingesetzt und
gesagt: Dieser Ton ist nicht ganz ohne Grecos Einwirkung auf des Velazquez Pa-
lette geraten. Weit gefehit! Einmal war damals dieser Ton in ganz Europa ebenso
А la mode wie 20 Jahre vorher das scharfe Helldunkel. Wiederholt habe ich darauf
hingewiesen, daß in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des XVII. Jahrhunderts
diesem Grau neben Velazquez auch Reni, Ribera, Rubens und Van Dyck gehuldigt
haben. Dann aber ist Grecos Grau überhaupt von ganz anderer Art und Be-
deutung. Es ist etwas schwärzlicher und dient vielfach dazu, das scharfe Gelb,
das tiefe Blau, das leuchtende Rot und das saftige Grün, vor allem aber das pur-
purn funkelnde Karmin der Karnation zu dämpfen und die Farben zusammen zu
halten. Davon ist bei Velazquez gar keine Rede.
Wiederholt konnte man in der letzten Zeit lesen, Velazquez habe Greco die
„Bibel der Malerei“ genannt. Dieser Ausspruch ist durch nichts als wahr be-
glaubigt. Interessant ist es aber, daß Velazquez bei der ihm übertragenen Neu-
ordnung der reichen Gemäldeschätze des Eskorial keinem der Bilder des Meisters
einen Platz in den Haupträumen (Sacristia, Aula de Sa. Escritura) angewiesen hat,
wo die Sterne erster Größe: Raphael, Tizian, Tintoretto, funkelten. Dagegen hatte
Velazquez in seinem Bureau im Madrider Palast, dem quarto del Principe, drei
Porträts von Grecos Hand hängen: den Kopf eines Geistlichen, die Halbfigur einer
Dame und einen alten Römer oder Griechen (viejo antiguo), und ein Porträt ist es
auch, darin allein ich eine gewisse Beziehung des Velazquez zu Greco finde: das
angebliche Bildnis des Grafen Benavente, von Velazquez zwischen 1635 und 1638
gemalt. Dieses unruhig über Panzer und Feldbinde hüpfende Licht besitzt sonst
kein Werk des Velazquez; dagegen ist ja gerade das eine Eigenart Grecos. Mög-
lich bleibt es aber auch da, daß Velazquez von selbst darauf gekommen ist,
einmal auch etwas derartiges zu malen.
Der oft wiederholten Behauptung jedoch, Velazquez habe für seine „Marienkrönung“
das Bild Grecos bei D. Pablo Bosch-Madrid benutzt, stehe ich etwas skeptisch
gegenüber. Einmal wissen wir, daß außer dieser Marienkrönung Grecos noch sechs
andere Exemplare existiert haben, eines in der Capilla de S. Jose zu Toledo, ein
anderes in der Hospitalskirche zu Illescas, die sich noch heute an Ort und Stelle
befinden, und vier weitere, die Grecos Sohn unter den von seinem Vater hinter-
lassenen Werken aufzáhlt.?)
Vor allem aber sind die beiden Bilder, genau betrachtet, doch himmelweit von-
einander unterschieden. Ganz abgesehen von der verschiedenartigen Auffassung
vergleiche man nur einmal z. B. die Wahl der Farben. Will man Velazquez wirk-
lich nicht zutrauen, daß er selbst diese so selbstverständliche Komposition erdacht
hat, die man auch bei anderen Meistern des XVII. Jahrhunderts, wie 2. B. bei
Rubens findet? (Mich erinnert übrigens das Bild des Velazquez, namentlich die
Madonna mit den eigenartigen grätigen Falten des Mantels und die Engelköpfe an
spanische Skulpturen, wie sie beispielsweise Montañez geschaffen hat. Die Haltung
der Madonna gemahnt sehr stark an die der hl. Jungfrau auf der „Verkündigung“
Zurbarans im Museum zu Grenoble. Es sei bei dieser Gelegenheit noch bemerkt,
daß die „Marienkrönung“ das besterhaltenste Werk des Velazquez ist.)
(1) Vergl. A. L. Mayer: Greco in Toledo. Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXII, 77 ff.
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Mit dem Suchen nach berühmten Mustern und Vorbildern ist es eine eigene
Sache. Schon Justi bemerkt sehr richtig: „zu jeder Zeit liegen bei räumlich oder
national getrennten Schauplätzen gewisse Darstellungsformen und Tendenzen, ebenso
wie Stoffe in der Luft und werden, ohne äußere Berührung von mehr als einem
gefunden.“
Wenn man wie bei der „Marienkrönung“ auch bei anderen Werken des Velaz-
quez nach Anregungen fahnden wollte, die der Meister durch große Vorgänger er-
halten hat, so könnte man zu sehr ergötzlichen Ergebnissen gelangen. Dann hat
Velazquez das Motiv, wonach die „Übergabe von Breda“ den bekannten Namen
„las Lanzas“ erhalten hat, dem „hl. Mauritius“ Grecos im Eskorial entlehnt, jener
Partie nämlich mit der Märtyrerlegion, die man im Mittelgrund des Bildes sieht.
Ferner: die Mittelgruppe zu dem gleichen Bild entnahm Velazquez der „Begegnung
von Jakob und Esau“, dem Gemälde des Rubens in der Münchener Pinakothek’),
oder der Begegnung des Kardinalinfanten Ferdinand mit dem König Mathias von
Ungarn im Wiener Hofmuseum (Abb. 1 u. 2). Hier ist namentlich die Partie des
Pagen mit dem Pferd mit dem entsprechenden auf dem Bild des Velazquez sehr
verwandt. Jedoch ist gerade diese Gruppe ganz selbstständig von Velazquez erfunden
worden, wie wir noch näher sehen werden.
Gewiß kann man bei den größten Meistern von Dürer bis auf Manet direkte Ent-
lehnungen aus Werken anderer Künstler feststellen, aber man hüte sich davor, diese
Dinge zu verallgemeinern und bei jeder Ähnlichkeit eine Abhängigkeit konstruieren
zu wollen.
Der einzige Meister, der auf den in sich schon gefestigten Velazquez noch einen
nachhaltigen Einfluß ausgeübt hat, ist Tintoretto. Seine „Fußwaschung“ hat er
kopiert, das Original für seinen königlichen Herrn erworben und ihm bei der er-
wähnten Neuordnung der Gemälde im Eskorial den Ehrenplatz in der großen Sa-
kristei angewiesen. (Es mußte diesem Bild die berühmte „Kreuzabnahme“ des
Roger van der Weyden das Feld räumen.)
Velazquez war von Tintoretto ebenso begeistert wie ein Vierteljahrhundert vor-
her sein Sevillaner Vorläufer Ruelas es gewesen war, und er hat die Art des
großen Venezianers für seine Gemälde in ganz ähnlicher Weise sich zu Nutze ge-
macht wie Ruelas. Damit vereinigte er dann noch die Liebe für große, ruhige
Farbflächen in den Vordergrundfiguren, ähnlich wie Ribera. Dies meinte wohl
Pacheco mit seinen Worten: Ribera besitzt heute das Primat im Kolorit und mein
Schwiegersohn folgt ihm auf diesem Weg.
Die beiden auf der ersten italienischen Reise entstandenen Gemälde сана
freilich mehr an einen gewissen Einfluß der Antike, als an den Tintorettos; nament-
lich die „Schmiede des Vulkan“ besitzt etwas Reliefartiges in der Komposition.
Die verhältnismäßig zahlreichen Aktfiguren der beiden in Frage kommenden Stücke
beweisen, daß Velazquez seinen italienischen Kollegen zeigen wollte, daß er auch
auf diesem ihrem Hauptgebiet seinen Mann stand.
Die Wirkung von Tintorettos Kunst auf Velazquez offenbart vielleicht am stärksten
die „Übergabe von Breda“. Wie bei Tintoretto (und Ruelas) sind die Vordergrund-
figuren in tiefen, satten Tinten gehalten, der niedriger gelegene Mittelgrund aber
und die weite Fernsicht im Hintergrund überaus licht. In den Kostümen der
Soldaten des Mittelgrunds wiegen Rosa, Hellblau und ein lichtes Creme vor. Ferner
bedient sich hier Velazquez wie Tintoretto und Ruelas auch der Silhouettenfigur
(1) Dieses soll übrigens 1625 von Rubens an Philipp IV. verkauft worden sein.
179
m Vordergrund, jener von dem weißen Rock seines Gefährten sich abhebende
junge Begleiter des holländischen Feldherrn (Abb. 3).
Die Komposition ist so berechnet, wie kaum in einem anderen Werk des Velaz-
quez. Bei all dem ritterlichen Entgegenkommen Spinolas hat der Künstler doch
in höchst feiner Weise die Gegenbewegung des sich ergebenden Justinus bedeutend
kräftiger betont. Seine Bewegung wiederholt und verstärkt nicht nur die Diagonale
des Pferdes im Vordergrund rechts und die der Fahne etwas dahinter, sondern auch
links im Mittelgrund weht, gleich einem Echo, die große Rauchsäule in derselben
Richtung nach rechts. (Es ist dies nicht das einzige Mal, daß Velazquez diese
Rauchsäule derartig verwertet, man findet sie auch auf dem großen Reiterporträt
des Olivares im Prado, und es ist sehr bezeichnend für Mazo, daß er auf seiner
freien Replik dieses Porträts in der Münchener Alten Pinakothek diese Rauchdiago-
nale, die als Gegenlinie zur Hauptdiagonale gedacht ist, weggelassen hat.) Die
ganz leise vorgeneigte Stellung Spinolas wird nur in der Lanze des Soldaten links
ganz im Vordergrund verstärkt aufgenommen.
In dem allerersten Entwurf hielt sich Spinola noch aufrechter. Mit dem ersten
Entwurf meine ich die Kohlezeichnung in der Biblioteca national zu Madrid (Nr. 491,
26,2 >< 16,8 cm), die zu den ganz wenigen, wirklich eigenhändigen Zeichnungen des
Velazquez gehört. Meines Erachtens sind nur die Studien zu einem Frauenkopf!)
(Bibl. nat. 492, 20,0 >< 13,5 cm und Nr. 493, 15,0 < 11,7 cm), sowie die quadrierte
Kohlezeichnung in der Academia de S. Fernando — vielleicht eine Studie zu der
verlorenen Austreibung des Moriscos — außer dem genannten Blatt ganz sichere
Arbeiten des Meisters. Selbst jene angebliche Studie zu dem „Mars“bild des Prado,
die die Sammlung Jovellanos in Gijon besitzt (Nr. 409, 0,22 >< 0,09 cm Röthel), er-
scheint mir nicht ganz sicher, zumal ja auch die ganze Haltung anders ist.
Unser Blatt zeigt auf der Vorderseite die Studie zu dem Begleiter Spinolas, der
das Pferd des Feldherrn hält (also jene Partie, die der Meister, wie erwähnt, dem
Wiener Rubensbild „entlehnt“ haben könnte), sowie jenen Holländer, der — auf
dem Gemälde in weiß gekleidet — die Rechte leicht erhoben hat. (Barcia führte
diese Figur in seinem „Katalog der Zeichnungen in der Biblioteca National“ als
erste Studie zu der Gestalt Spinolas an, hat jedoch von der Richtigkeit meiner
Beobachtungen überzeugt, den Irrtum im Nachtrag verbessert). Auf der Rückseite
sieht man eine Skizze zur Figur Spinolas, der sich hier etwas aufrechter hält als
im Bild, sowie eine etwas größere Detailstudie zu seinem Kopf.
„Die ernsteste Auseinandersetzung des Velazquez mit Greco“ hat Meier-Gräfe
das wahrscheinlich zwischen den beiden Madrider Reisen 1623 zu Sevilla ent-
standene im dortigen erzbischöflichen Palais aufbewahrte, unvollendete Bild genannt,
das die „Kaselverleihung an den hl. Ildefons“ darstellt. Wenn irgend etwas un-
richtig ist, so diese Behauptung. Hier ist aber keine Spur von Greco zu entdecken,
im Gegenteil, es ist eines der letzten Werke, darin Velazquez jenem scharfen Hell-
dunkelstil gehuldigt hat, in dessen Bann er wie alle seine Genossen jahrelang ge-
standen hatte). Wie jene Kunstart, die man häufig kurz als „Sienesisch“ zu be-
zeichnen pflegt, zu Beginn des Quattrocento nicht nur in Siena, sondern auch in
Venedig, Köln und Barcelona geherrscht hat, so war dieser „Kellerlicht“stil zu
(r) Abgeb. Revista de los Archivos Mai 1899.
(2) Das Bild hat durch Übermalung gelitten. Was Meier-Gräfe an Greco denken ließ, war wohl die
Art und Weise, wie Maria die Kasel über dem Heiligen hält. |
180
Anfang des XVII. Jahrhunderts in Italien (Carravaggio) ebenso beliebt, wie in
Flandern (Honthorst) und Spanien, wo Ribalta in Valencia, Tristan in Toledo,
und in Sevilla Zurbaran und Velazquez die Hauptvertreter waren.
Der eben genannte Luis Tristan gehört auch zu denen, die man als Lehrer und
Vorbilder des Velazquez genannt hat. Schon Palomino schreibt: ,,diejenigen aber,
welche seine Augen am wahlverwandtesten beriihrten, waren die des Tristan, weil
dieser eine Richtung hatte, die zu seinem eignen Naturell stimmte. Daß die
beiden eine Zeitlang ganz ähnliche künstlerische Probleme verfolgten, ist zweifellos
richtig; mehr als zweifelhaft jedoch ist, wie bereits Justi bemerkt, daß Velazquez
in jenen Jahren überhaupt ein Werk dieses „Grecoschülers“ gesehen hat.
Tristan ist ebenso wie Velazquez ein Beispiel dafür, wie himmelweit ein Schüler
sich von seinem Lehrer entfernen kann. Wüßte man es nicht, kein Mensch würde
doch aus den 1616 entstandenen Gemälden des Hochaltars von Yepes schließen,
daß dieser Mann ein Schüler des zwei Jahre vorher verstorbenen Greco war.
Aber wollte man selbst annehmen, Velazquez habe auf seiner ersten Madrider
Reise ein Werk Tristans gesehen, so ist es doch unsinnig, von einer Beeinflussung
zu reden, denn Velazquez hatte ja, wie sein „Wasserverkäufer“ und seine „Hirten-
anbetung“ zeigen, seinen ersten Stil schon längst gefunden.
Sehr enge Verwandtschaft mit dem jungen Velazquez besitzt auch der junge
Zurbaran. Dies nimmt umso weniger Wunder, als die beiden fast gleichaltrig waren
und in derselben Stadt lebten. Den „reuigen Petrus“ der Sammlung Beruete (der
zu Ausgang des XVII. Jahrhunderts im Besitz des Conde del Aguila zu Sevilla
war), könnte man beinahe für eine Arbeit Zurbarans halten, wäre die etwas tiipfelnde
Malweise nicht so ganz von der des estremeño verschieden.
Auch die 1617 von Velazquez für den Kapitelsaal des Convento del Carmen cal-
zado gemalte „Concepcion“ ist Zurbaran sehr verwandt. (Das Gemälde ist mit
seinem Gegenstück, dem „Evangelisten Johannes auf Patmos“ der sich durch außer-
ordentliche Plastik auszeichnet, gegenwärtig im Direktorzimmer der Londoner
Nationalgalery zu sehen.) |
Velazquez hat sich ja später ganz anderen Problemen zugewandt, aber eines ist
ihm eigen geblieben, was nicht zum mindesten seinen Jugendarbeiten ihren Wert
verleiht: Die Größe der Zeichnung.
Der „Aguador“ im Apsleyhouse ist heute stark gedunkelt und die ursprüngliche
Wirkung des Gemäldes läßt sich so nicht mehr ganz beurteilen. Aber nach wie
vor macht die Monumentalität der Zeichnung einen gewaltigen Eindruck.
Vielleicht hat an diesem Teil von Velazquez Kunst Pacheco doch ein kleines Verdienst.
Bei Francisco Herrera d. Ae., dessen „Schüler“ Velazquez 1612 ein halbes Jahr lang
war, hat der damals 13jáhrige Diego kaum viel anderes geschafft, als Farben gerieben.
In dem siebenjährigen Unterricht bei Pacheco aber genoß der spätere Meister
die sorgfältigste Ausbildung. Durch unermüdliches Naturstudium und besondere
Pflege der Zeichnung wurde das Auge aufs feinste geschult. Nur dadurch wurde
es dem Künstler später möglich, die Formen so frei malerisch gestalten zu können.
Eine Hand, ein Finger von Velazquez gemalt (man betrachte nur einmal die Händ-
chen des Hoffräuleins auf den Meninas oder die des Prinzen Prosper im Wiener
Hofmuseum), lassen bei aller Abkürzung der Zeichnung doch die ganze Struktur
aufs Genaueste erkennen. |
Zum SchluB noch einige kurze Bemerkungen zu verschienen Gemálden des Velazquez.
Eine der himmlischen Jungfrauen in der Begleitung Marias auf der ,,Kaselver-
leihung des hl. Ildefons“, rechts im Profil nach links gewendet, ist unzweifelhaft
181
— — — — — TA — — — — — — — — — — — — — E r o EE e E EE
dieselbe Persönlichkeit, die einige Jahre später der Meister in dem Halbfigurenbild
Nr. 1197 des Pradomuseums wiedergegeben hat, das mit Recht als das Portriit
seiner Gattin gilt. Der Altersunterschied ist natiirlich deutlich erkennbar.
Es war mir schon vor einigen Monaten vergónnt, auf ein bisher unbekanntes
Jugendwerk des Velazquez hinweisen zu diirfen, jenes ,Portrát eines jungen Geist-
lichen“ im Besitze des Marqués de la Vega-Madrid'). Unterdessen hat sich auch
D. Aureliano des Beruete in ganz ähnlicher Weise in Burlington-Magazin über das
Bild geäußert, das ca. 1625 entstanden sein mag.
In einer kleinen Sonderschrift?) hat dann Beruete weiterhin das solange unbe-
achtet gebliebene vor einiger Zeit in den Besitz der Londoner Kunstfirma Agnew
übergegangene und jetzt nach Amerika verkaufte, aus dem Hause Parma stammende
Porträt Philipps IV. behandelt. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dieses Ge-
mälde mit jenem in Fraga von Velazquez gemalten Bildnis Philipps IV. identisch
ist, während das Exemplar in Dulwich eine Replik von Mazo ist, was Beruete ja
schon früher behauptet hat.
Über das Gemälde in der Londoner National-Galery, die „Venus mit dem Spiegel“,
die sogenannte Rokeby-Venus, las man im vergangenen Jahre allerlei sonderbare
Mitteilungen. Ein englischer Kunstkritiker wollte den Namen oder wenigstens das
Monogramm des Mazo auf dem Bild entdeckt haben. Es ist nicht nur keine der-
artige Signatur auf diesem Bild zu finden, sondern es ist auch kein Gedanke, daß
Mazo als Autor dieses Werkes in Betracht kommt. Das Bild hing einst, dem In-
ventar von 1686 zufolge, unter der Bezeichnung „Psyche und Cupido“ im Spiegel-
заа] des Madrider Schlosses. Als Bildgröße wird eine spanische Elle zu 1½½ span.
Ellen angegeben, was vollkommen den jetzigen Massen entspricht. Nach dem
großen Brand von 1734 war das Bild verschwunden, wurde aber um 1750 von
Ponz im Palais Alba gesehen. Später ging es in den Besitz des Principe Godoy
über, wurde dann 1808 von Mr. Wallis und später von Mr. Morrit gekauft, befand
sich dann bei dessen Neffen auf dem Landsitz Rokeby und gelangte schließlich
wie bekannt um einen Riesenpreis in die Nationalgallery. Bei diesem Wandern
wäre es ja ein Wunder, wenn das Bild nicht gelitten hätte, und so mutet Justis
Bemerkung über die tadellose Erhaltung und die ursprüngliche Frische und Helle
der Farbe etwas sonderbar an. In der Untersuchungskommission wollten einige
Herren festgestellt wissen, daß der Knabe und der Kopf im Spiegel Zutaten des
ХУШ. Jahrhunderts seien. Das erstere ist aber nach den Bemerkungen des In-
ventars von 1686 ja ganz unmöglich. Vielleicht hat das Gemälde durch den er-
wähnten Brand gelitten, jedenfalls ist der Akt des Cupido bedeutend schwächer,
als der der Venus und dürfte, wie wir ihn heute sehen, wirklich nicht von Velaz-
quez stammen. Auch der Kopf im Spiegel dürfte ursprünglich nicht so ausgesehen
haben. Es mag dahingestellt bleiben, ob dieser Kopf eine Zutat eines Restaurators
aus dem XVIII. Jahrhundert ist, wie Sir Charles Holroyd meint (mit dessen liebens-
würdiger Unterstützung ich das Bild eingehend untersuchen konnte). Das Blau in
der Schärpe des Cupido rührt nach Beobachtungen eines Chemikers wegen seiner
Zusammensetzung aus dem XIX. Jahrhundert her. Es zeigt dies aufs neue, daß
es um die Erhaltung des Bildes recht schlecht bestellt ist. Ich glaube jedoch,
daß an der Autorschaft des Velazquez bei diesem Kunstwerk nicht gezweifelt
werden kann. |
(x) „Der Cicerone“ II, 672.
(2) A. de Beruete: El Velazquez de Parma, Madrid 1911.
182
UBER EINIGE UNEDIERTE BILDER DES
NEAPOLITANER MALERS BERNARDO
CAVALLINO Von FEDERICO HERMANIN
Mit fünf Abbildungen auf zwei Taf 0000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000
ie ich schon in meinem Aufsatz über die neuen Erwerbungen der Galleria
nazionale d' arte antica im Palazzo Corsini in Rom!) bemerkte, ist der Name
des Malers Bernardo Cavallino (1622—1654) fast nur denen bekannt, die sich mit
dem Studium der neapolitaner Malerei beschäftigen, während es der Künstler wohl
verdiente, mit allen Ehren zu den besten italienischen Malern dés Seicento gezählt
zu werden. Zartheit der Empfindung, Geschicklichkeit im Aufbau, lebhafte Beobach-
tungsgabe und große technische Fertigkeit machen diesen Maler besonders inter-
essant. Unter den Künstlern seiner Zeit ist er einer der wenigen, die unmittelbar
zu uns sprechen, da seine Malerei fast frei ist von der Schwiilstigkeit und Auf-
geblasenheit der Formen, die uns Modernen so oft die Werke des Seicento ver-
leiden. Nach Michelangelo da Caravaggio ist er gewiß einer der konsequentesten
Naturalisten, doch weiß er den krassen Verismus durch die feine Grazie seiner
Kompositionen und Gefühlstiefe zu mäßigen. Es kommt ihm besonders darauf an,
Farbenharmonien zu erzielen und starke Gegensätze von Licht und Schatten zu
vermeiden, die so viele seiner Zeitgenossen bevorzugten, und so liebt er es, weiche
und geschickt abgestimmte Farben harmonisch zu verbinden, wie sie uns der ,,Ab-
schied des jungen Tobias“ in der National-Galerie in Rom (Abb. 1) zeigt, ein Bild,
das gewiß zu seinen vollkommensten Werken zählt. Cavallino steht, wie Aldo de
Rinaldis in seinem interessanten Aufsatz?) über den Künstler schreibt, wirklich als
ein unabhängiger, geschlossener Charakter vor uns, obgleich man in seinen Werken
deutlich Einflüsse der von ihm am meisten bewunderten Maler verfolgen kann.
Er schließt sich zwar zunächst Andrea Vaccaro und Massimo Stanzioni an, befreit
sich aber bald von deren besonderen Anschauungen und nähert sich jener Mal-
weise, die Giuseppe Ribera aufbrachte und die so lange in Neapel die herrschende
blieb. Seine Gestalten sind viel weniger akademisch komponiert als die des Stanzioni
und Vaccaro und sie sind auch eleganter als die des Spagnoletto. Hier und dort
sieht man unverkennbare Einfliisse der Kunst Anton van Dycks, der den Neapoli-
tanern so gefiel, als er im Auftrage Emanuele Filibertos von Savoyen nach Palermo
ging, und auf der Durchreise in Neapel halt machte und dort arbeitete.
Wie schon De Rinaldis*) bemerkte, sind die einzige Quelle für die Biographie
Cavallinos die so sehr angefochtenen „Vite di Bernardo de Dominici*), die dann
von Lanzi, von Ticozzi und von Minieri Riccio abgeschrieben wurden, und Carlo Tito
Dalbono erwähnte ihn mit Bewunderung, als er über einige Bilder der retrospek-
tiven neapolitaner Ausstellung (Neapel 1877) berichtete’). Das erste nützliche Werk,
(1) Federico Hermanin: Gli acquisti della galleria nazionale d'arte antica in Roma. Bollettino d'arte
del Ministero della Pubblica Istruzione. Juni тото.
(2) Aldo De Rinaldis. Bernardo Cavallino. Napoli MCMIX.
(3) op. cit. pag. 8.
(4) Bernardo De Dominici: Vite dei pittori, scultori ed architetti napoletani, Napoli. Tip. Trani 1844,
vol. III, pag. 167.
(s) C. T. Dalbono: Massimo, i suoi tempi e la sua scuola Napoli 1871. Ritorni su l'arte antica na-
poletana. Napoli 1878.
183
— чш — — — — ër, — — — — — — — — — — — — — ——
das etwas zum Verständnis des Malers beitrug, ist das schon erwähnte von De
Rinaldis. Es ist wirklich merkwürdig, daß Rolfs, der in seiner Geschichte der
Malerei Neapels nur das über Cavallino wiederholt, was die alten Schriftsteller
über ihn berichteten, vergißt, diese grundlegende Arbeit zu nennen.“)
De Dominici bezeichnet den Künstler als einen Nachahmer Agostino Carraccis
und als einen Schüler des Massimo Stanzioni und Andrea Vaccari fügt hinzu: „pro-
fittó molto studiando le pitture di Guido, alle quali uni la bella e viva maniera del
Rubens, mischiando anche a questa maniera la perfettissima di Tiziano, del quale
aveva Bernardo copiato una Venere.“
Eine genaue Untersuchung seiner Werke beweist, daB De Dominici, obgleich er
nicht buchstáblich recht hat, wenn er Cavallino mit Guido und Tizian zusammen
nennt, doch seine Haupteigentiimlichkeiten erkannt hat, indem er ihn bezeichnet als
einen Maler, der jederzeit bereit war, die verschiedenartigsten Einfliisse aufzu-
nehmen und auf seine Abstammung von der flämischen Schule hinweist. Trotzdem
darf man in Cavallino nicht einen der allerpersönlichsten und unabhängigsten Maler
jener großen seicentistischen neapolitaner Schule verkennen. Diese hat sich zwar
unter Einflüssen aus allerlei Landen aufgebaut, sich aber trotzdem eine bewunderns-
werte Eigenart geprägt. Die Samenkörner aus dem Ausland trugen in Neapel nur
gute Frucht, wenn sie den Neigungen und dem Temperament der eingeborenen
Künstler entsprachen. So erweckte die Einwanderung von Raffael- und Michel-
angelo-Nachahmungen nur blaße Meister, die wie Sabbatini und Santafede, wo-
möglich noch langweiliger und manirierter ausfielen als ihre Kollegen in anderen
italienischen Schulen.
Die neapolitaner Malerei großen Stils wurde nicht eher geboren, als bis die
Künstler, nachdem sie alle Bande der Überlieferung und alle schulmäßigen Fesseln
gebrochen hatten, der eignen Kraft gewiß, es wagten, ihrer lebhaften Phantasie
freien Lauf zu lassen und nach ihrer Eigenart zu schaffen, ohne jedoch die lehr-
reichen Einflüsse des Auslandes zu verachten. Als die Neapolitaner einmal ihren
Weg gefunden hatten, zeigten sie sich auch fernerhin fremden Beeinflussungen
geneigt, gestalteten sie jedoch immer nach ihrer Eigenart um.
Die wundervollen Malereien Massimo Stanzionis und Andrea Vaccaros genügen
allein, um zu zeigen, daß die neapolitaner Kunst einen Weg eingeschlagen hat, auf
dem sie sich sicher ohne fremde Stützen fortentwickeln konnte, in einer Richtung,
die gleichzeitig Zusammenhänge mit vielen der besten italienischen Maler her-
stellte. Der heilige Bruno unter den Mönchen in S. Martino, ein Gemälde, das
in jeder Hinsicht bewundernswert ist, zeigt uns, wie der Stanzioni es verstanden
hat, die realistische Auffassung zu mildern, durch eine Feinheit des Empfindens
und eine Würde der Darstellung, die, wie Voß?) richtig beobachtete, einem Quattro-
centisten Ehre gemacht hätte.
Diesem so formsicheren, gefühlsstarken Meister steht der kalte Naturalismus
Giuseppe Riberas gegenüber, der, obgleich in der Form Italiener, durch seinen
religiösen Fanatismus sich doch immer als Spanier zu erkennen gibt. Bernardo
Cavallino vereint mit der Vollkommenheit in Form und Empfindung eines Stanzioni
große koloristische Vorzüge, die er besonders den Venezianern und den Flamen
verdankt.“)
Unter den Bildern, die De Rinaldis in einem sorgfältigen Verzeichnis beschreibt
(1) Wilhelm Rolfs: Geschichte der Malerei Neapels. E. A. Seemann, Leipzig 1910, pag. 277.
(2) Voß: Charakterkópfe des Seicento. Monatshefte für Kunstwissenschaft. II.
184
und identifiziert, befinden sich auch die beiden Gemälde „die Vermählung des jungen
Tobias“ (Abb. 2) und der Raub der Europa (Abb. 3), beide zu der Sammlung
des Herrn Salvator Romana gehörig. Es ist mir heute möglich, von ihnen zum
ersten Male eine Photographie zu geben. De Dominici erwähnt zwei Bilder des
Cavallino mit der Hochzeit des Tobias, eins im Hause Valletta*) und eins beim
Marchese di Grazia, doch seine allgemein gehaltenen Angaben stimmen nicht ganz
überein mit dem Originalbild, das dem Herrn Romana gehört. Wie schon De Ri-
naldis bemerkte, nähert es sich durch charakteristische Einzelheiten dem „Abschied
des jungen Tobias“ der National-Galerie in Rom, doch die Grundzüge weichen
stark davon ab. Während die Frauentypen so ähnlich sind, daß man glauben
möchte, der Künstler hätte beide Male dieselben Modelle benutzt, ist der Tobias
verschieden, und ganz abweichend der alte Tobias. Verschieden ist auch die
Farbengebung des Bildes, die starke Gegensätze von Licht und Schatten aufweist
und etwas herb und hart ist. Der Malerei fehlt die Verschmelzung der Töne, der
Lichter und Schatten, jene vollkommene Farbenharmonie, die das Bild in Rom
kennzeichnen. Gerade durch diese Merkmale nähert sich das Sposalizio dem anderen
Gemälde, in der National-Galerie zu Rom, dem Petrus, der den Hauptmann Cornelius
und seine Leute tauft. Auch hier fallen scharfe Lichtkontraste auf, während aber zugleich
eine harmonischere Farbenkomposition vorherrscht. Wie farbensatt und geklärt wirkt
dagegen „der Raub der Europa“, dessen Thema, wie De Rinaldis glaubt, dem Maler
vielleicht durch eine Kopie oder einen Stich des berühmten Bildes von Veronese
übermittelt sein könnte. Der neapolitaner Maler ist sehr selten zu einer so großen
Vollkomenheit in der Darstellung des Lichtes gelangt, das die sinkende Sonne
schillernd um die Gruppe des Stieres, der Europa und ihrer Begleiterinnen webt.
Dieses Bild liefert einen überzeugenden Beweis für die Unabhängigkeit Cavallinos,
selbst wenn er sich, wie hier, an großen Meistern inspiriert. Höchstens erinnert eine
allgemeine Linie der Komposition an Veronese, übrigens belebt hier eine frischere,
neuere, intimere Stimmung die Gestalten. Es ist vielleicht schwächer in der Zeichnung,
aber sympatischer im Ausdruck. Hier hat Europa nichts von der berechnenden
Koketterie der reifen Venezianerin, die Veronese dekollettiert und mit Bändern schmückt,
sondern sie ist ein ganz junges harmloses Mädchen mit fast noch kindlichen Formen,
das sich unschuldig dem Vergnügen hingibt, den schön geschwungenen Nacken des
weißen Stieres zu ihren Füßen zu bekränzen.
Die letzten Sonnenstrahlen lassen das Meer im Hintergrunde aufleuchten und
gleiten liebkosend über die Bäume, den Stier und das junge Mädchen und fernher
aus der Tiefe glaubt man eine Stimme zu hören, die die Jungfrau aus dem heimat-
lichen Walde von den harmlosen Vergnügungen und den kindlichen Spielen wegruft
zu den Freuden der göttlichen Liebe, die sie über die Erde, durch das Meer und den
Himmel entführt. In diesem Gemälde wie in dem „Abschied des jungen Tobias“ in Rom
und im „heiligen Sebastian, den fromme Frauen pflegen“ aus der Pinakothek in Neapel,
ist alles auf graue, grünliche, blaue und bräunliche Töne abgestimmt, die uns Ber-
nardo Cavallino in seiner größten malerischen Vervollkommnung zeigen. Im „Petrus,
der Cornelius tauft“ und in der „Hochzeit des jungen Tobias“ könnte man vielleicht
ein lebhafteres Helldunkel und eine kräftigere Farbengebung hervorheben, aber
diese Vorzüge besitzen auch andere Maler des Seicento, während fast keiner von
ihnen Werke wie die von mir erwähnten geschaffen hat, Werke, die als abge-
rundete, gewählte Farbenkompositionen gedacht und ausgeführt worden sind. Noch
(2) De Rinaldis: op. cit. pag. 59, 38. B. De Dominici: op. cit. pag. 166, 168.
185
ist es nicht die Lichtmalerei die der Vorzug viel späterer Künstler werden sollte,
aber es ist wie ein natiirliches Vorgefiihl dessen was sie werden sollte: Die Ge-
stalten und alle Gegenstinde in den Bildern werden stets in dem Lichte geschen,
das alles zu einem harmonischen Ganzen zusammenschmelzen läßt. Und das Licht
ist zart, schillernd und alle Farben fein ohne schreiende Effekte, nur hier und dort
durch einen meisterhaft hingesetzten Pinselstrich in leuchtendem Gold oder leb-
haftem Hellblau belebt. Zu diesen Gemälden mit den duftigen Farben gesellen sich
die beiden hier von mir zum ersten Male publizierten?), die in der Galerie des
Schlosses Schleißheim bei München dem Domenico Feti?) zugeschrieben worden sind.
Von der Malweise dieses ausgezeichneten römischen Künstlers aus dem XVI. Jahr-
hundert ist unser Meister grundverschieden, besonders in der Art, das Licht zu be-
handeln. Feti, der unter den Malern des XVL Jahrhunderts eine Sonderstellung
und mit den ersten Rang einnimmt, ist ein gewissenhafter Zeichner, viel genauer
als Cavallino; er komponiert seine Bilder, ohne sich irgendwie um die Symmetrie
zu kümmern, während der Neapolitaner als echter Schüler Stanzionis seine Gestalten
mit großer Genauigkeit zusammenstellt und jede ihrer Bewegungen studiert. Auch
Feti ist ein Maler des Lichtes, doch statt des allgemeinen Zusammenschmelzens
der Farben zu einer etwas grauen, bläulichen Atmosphäre, die alle Kontraste ver-
wischt, bevorzugt er lebhafte, leuchtende Farben, wie in seinem wundervollen Bilde
„das Gleichnis vom ungetreuen Haushalter“ in der Dresdener Galerie. In den beiden
Gemälden des Schlosses Schleißheim finden sich die grauen, dem Cavallino eigenen
Töne wieder, sein lebhaftes Blau und Gelb, seine Halbtöne in braun und grün, die
langgestreckten Gestalten, und jene Meisterschaft, mit gleicher Sicherheit gewöhn-
liche Volkstypen und edle, verfeinerte Gestalten darzustellen. Die beiden Bilder
der Galerie Schleißheim, unter den Nummern 636 und 637 inventarisiert, sind auf
einer runden Leinwand von 50 cm Durchmesser gemalt. Sie stammen aus der
Mannheimer Galerie und stellen zwei Episoden aus dem befreiten Jerusalem von
Torquato Tasso dar: Erminia unter den Hirten (Abb. 4, Nr. 636) und Erminia, den
verwundeten Tankred pflegend (Abb. 5. Nr. 637).
Bernardo Dominici schreibt*): „In casa dei Signori Сарин che hanno la loro abita-
zione sopra lamena collinetta detta Santa Lucia del monte si veggono due quadri
di palmi quattro e tre per traverso ne'quali sono rappresentate le favole d'Europa
rapita da Giove cangiato in tauro e di Erminia armata, che giunge alla capauna
del pastore: opere condotte con la piu squisita intelligenza dell’ arte e con istudio
e con freschezza di colore maraviglioso.“ Im ersten Augenblick könnte man glauben,
daB sich diese Worte auf eines der beiden Bilder der Gallerie SchleiBheim be-
ziehen, doch ist das fast unmöglich, da die SchleiBheimer Bilder einen Durchmesser
von nur 50 cm haben, De Dominici hingegen von viel größeren und rechteckigen
Gemälden spricht. Wahrscheinlich behandelte Cavallino nicht nur in den SchleiB-
heimer Bildern Szenen aus dem befreiten Jerusalem, und man kann wohl dem Dominici
glauben, wenn er erzáhlt, daB der Maler in seiner Jugend ein begeisterter Be-
wunderer der phantastischen Schópfungen Tassos war. De Dominici berichtet
ferner*), das Massimo Stanzioni, sein Meister, ihm riet, sich mit der Lektüre guter
Geschichtswerke und alter Fabeln zu beschäftigen, die er ihm freigiebig lieh. Der
(х) Katalog der Gemäldegalerie im Kgl. Schlosse zu Schleißheim. München 1905, pag. 134, Nr. 636, 637.
(2) Herr Dr. Voß, mit dem ich zuerst über diese Bilder sprach als über Werke des Bernardo Caval-
lino, war gleichzeitig mit mir zu demselben Resultate gekommen.
(3) De Dominici: op. cit. pag. 169.
(4) Op. cit. pag. 160.
186
junge Maler las mit Vergnügen die Fabeln Ovids, die Schriften des Giuseppe Ebreo
und das befreite Jerusalem Tassos „la quale egli chiamava il suo divertimento nelle
ore che altri riposava perche gli altri libri mentovati gli servivano di studio per le
cose che voleva dipingere.* Bernardo Cavallino hat die beiden Bildchen mit der
ganzen Meisterschaft des glänzenden Koloristen gemalt, indem er, wie gewöhnlich,
das Licht auf eine Person konzentrierte, auf die Gestalt Erminias. In der grauen
Luft, die die ganze Komposition einhüllt, steht den braunen Hirten in fahlen Klei-
dern die Jungfrau gegenüber, hoch aufgerichtet, in der ganzen Kraft und Schönheit
ihrer Jugend. Blonde Locken umrahmen ihr schönes, blasses Antlitz und fallen
herab auf den silbern glänzenden Brustharnisch. Um die Hüften schlingt sich ein
leichter, lebhaft blauer Mantel mit leuchtend gelben Bändern. Das Ganze bietet
eine der schönsten Farbenharmonien dar, die der Meister je gemalt hat und findet
höchstens ein Gegenstück in dem heiligen Sebastian in Neapel.
Durch ihren schlanken Wuchs, die Bewegung der Füße und die Faltengebung
erinnert die Gestalt an die jungen Ritter im Bild des Petrus und Cornelius der
Gallerie Corsini in Rom. Zu dem alten Hirten hat der Maler vielleicht dasselbe
Modell benutzt, das ihm zu dem blinden Tobias auf dem andern Bilde der römischen
Galerie gesessen hat.
Die ganze Schönheit der Verse des befreiten Jerusalems hat der Künstler in
dieses kleine Bildchen gebannt. Erminia harrt Tankreds, den Argante bedroht,
und sie, die Tochter Cassanos von Antiochien, entkleidet sich ihrer prachtvollen
Gewänder um Wappen anzulegen.
„E in ischietto vestir leggiadra resta
E snella si ch’ogni credenza eccede
Cosi tutta di ferro intorno splende
E in atto militar sé stessa dona.“
Auf der Flucht vor Tankred, der sie erblickt und ihr nacheilt, findet sie Ruhe
in einem Walde und schläft ein. Als sie am Morgen erwacht, hört sie Gesang
und Flótenspiel
„Е vede un uomo canuto all’ombra amene
Tesser fiscille alle sue gregge accanto
E ascoltar di tre fanciulli il canto
Vedendo quivi comparir repente
Le insolite armi, sbigottir costoro,
Ma li saluta Erminia e dolcemente
Gli affida, e gli occhi scopre, i bei crin d'oro,
Seguite dice, avventurosa gente
Al ciel diletta il bel vostro lavoro
Ché non portan giá guerra quest' armi.
All’ орга vostra, ai vostri dolci carmi.“
In dem andern Bilde haben den Maler die Verse des XIX. Gesanges des befreiten
Jerusalems begeistert. Er stellt Tankred dar, der nach der Tötung Argantes durch
den groBen Blutverlust in Ohnmacht gefallen ist. Seine Knappe Vafrino stiitzt ihm
den Kopf, während Erminia sich das Haar abschneidet, um seine Wunde zu ver-
binden.
187
„Vede ch'el male dalla stanchezza nasce
E dagli umori in troppa copia sparti
Ma non ha fuor ch'un velo onde gli fasce
Le sue ferite in sí solinghe parti.
Amor le trova inusitate fasce,
E di pietá le insegna insolite arti.
Le asciugó con le chiome e rilegolle
Pur con le chiome che troncar si volle
Pero che il velo suo bastar non puote
Breve e sottile alle sí spesse piaghe.“
Das Bildchen ist in lebhafteren Farben gehalten als das andere, aber doch immer
in tiefgestimmten Tönen. Seinen besonderen Reiz zeigt es im Haupte des ohn-
mächtigen Tankred und des treuen Vafrino. Diese lebhaften, wohl nach dem
Leben getreu gemalten Köpfe erinnern an die schönsten im Bilde des Petrus und
Cornelius.
Die beiden Gemälde sind wahrscheinlich Werke aus dem reifen Alter des Künst-
lers, als es ihm gelungen war, sich von den Einflüssen Caravaggios zu befreien,
der ihn in seiner Jugend zu viel heftigeren Gegensätzen von Licht und Schatten
angeregt hatte. Übersetzt von Katharina Bombe.
188
SACHSISCHE BILDNEREI UND MALE-
REI VOM XIV. JAHRHUNDERT BIS
ZUR REFORMATION. — Herausgegeben
von Eduard Flechsig. II. Lieferung:
Freiberg. — Aus den Schriften der kgl.
sichs. Kommission fiir Geschichte. —
Klinkhardt & Biermann. 1910.
Auf 41 Lichtdrucktafeln sind 3 um 1520 ent-
standene Altarwerke publiziert, mit größter Aus-
ſübrlichkeit, mustergúltig. Zu wünschen wäre, daß
dieses Muster befolgt würde, aber nicht in Bezug
auf das Was, sondern nur auf das Wie der Ver-
öffentlichung. Der Herausgeber Eduard Flechsig
macht offenbar, daß diese 3 Altarwerke, mindestens
in ihren gemalten Teilen von einer Hand seien,
von einem zu Freiberg in Sachsen tätigen Meister
herrühren, über dessen Namen nicht einmal eine
Vermutung geäußert werden kann.
Der erste Altar steht in der Kirche von Seifers-
dorf bei Dippoldewalde und trägt das Datum 1518,
der zweite, in der Kirche zu Oberbobritzsch bei
Freiberg ist 1521 datiert, der dritte, nur in Frag-
menten erhaltene, undatierte, befindet sich in der
Nicolaikirche von Dippoldswalde. Sämtliche Teile
und außerdem verschiedene Ausschnitte aus den
Gemälden sind in scharfen und klaren Lichtdrucken
wiedergegeben. Der Stilzusammenhang zwischen
den 3 Werken ist deutlich. Alle Angaben Flechsigs
scheinen genau und korrekt zu sein. Soweit ist
gegen die Mappe nichts einzuwenden.
Manchem, der die Abbildungen betrachtet und eine
allzu intensive Vorstellung von diesem „Meister“
empfängt, mag der Zweifel kommen, ob es gut sei,
die wissenschaftlichen Prinzipien der Gleichmäßig-
keit und Vollständigkeit, nach denen historische
Urkunden veröffentlicht werden, ohne weiteres auf
Kunstwerke zu übertragen. Auswahl, Berücksich-
tigung der Qualität wäre doch sehr erwünscht.
Der Freiberger Maler erscheint nicht als Nach-
folger Cranachs, eher als ein minderbegabter Weg-
genosse. Das Unpräzise und Weichliche seiner
Formensprache ist mehr eine Eigenschaft seiner
Zeit als seiner Person. Die Luft der Freiheit, in
der die Großen größer wurden, bekam den Kleinen
schlecht, und das allgemeine Niveau der deutschen
Altäre lag vielleicht niemals
Dürers und Grünewalds Tagen.
Max J. Friedländer.
so tief wie in
WALTER CURT ZWANZIGER, Dosso
Dossi. Leipzig, Verlag von Klinkhardt
& Biermann, 1911. 121 8.
Eine gute wissenschaftliche Arbeit über den
Hauptmeister der Schule von Ferrara in der Hoch-
renaissance gibt es nicht. Die einzige Mono-
graphie über die Dossi, die man dem um die
Kunstgeschichte seiner Vaterstadt vielfach ver-
dienten Cittadella verdankt, hat mit anderen mono-
graphischen Arbeiten italienischer Lokalhistoriker
(namentlich der Vergangenheit) Vorzüge und Fehler
gemeinsam: wertvoll durch urkundliche Forschung
kann sie für die Erkenntnis der Kunst des Meisters
nicht genügen. Crowe und Cavalcaselle haben die
Brüder nicht behandelt; Gruyer hat in gewohnter
übersichtlicher Weise das Rohmaterial zusammen-
getragen. Den wertvollsten Beitrag bot Venturi
in seinem Band über die Galerie Crespi in Mai-
land; von Berenson endlich wurde in dem Bande
der North Italian painters eine wichtige Bilder-
liste veröffentlicht.
So nimmt man mit berechtigter Spannung die
erste Monographie, die in neuer Zeit den Dossi ge-
widmet wurde, zur Hand, um so mehr als der
Untertitel lautet: „mit besonderer Berücksichtigung
seines künstlerischen Verhältnisses zu seinem Bruder
Battista“. Denn diese Frage, die Abgrenzung des
einen gegen den anderen, ist vorläufig offen: man
hat sie fast immer mit ziemlicher Willkür be-
antwortet, teils auf Vasari fußend, teils indem man
alles Schwächere im Dosso-Stil dem Battista zu-
schrieb.
Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, halte ich
es für Pflicht, auf die besondere Schwierigkeit der
Aufgabe hinzuweisen. Ein ungewöhnlich dürftiges
Urkundenmaterial, der Mangel an fest beglaubigten
Arbeiten Battistas, ungenügend gesicherte biograpi-
sche Details bedeuten lauter Hemmungsmomente
für den Forscher. Ein Anfänger konnte sich kaum
ein komplizierteres Thema wählen.
Es gab — und gibt — doch nur eine Möglich-
keit, um hier zur Klarheit wissenschaftlicher Er-
kenntnis vorzudringen. Einerseits biographisch-
urkundlich klar zu stellen, was wir unangreif bar
sicher wissen, sodann an den wenigen chrono-
logisch gesicherten Bildern die Entwicklung dar-
zulegen, mit Hülfe der stilkritischen Methode nach
rück- und vorwärts auszuschreiten und dadurch zu
einer Aufteilung des Materials zu gelangen.
Der Verf. hat richtig erkannt, wie er methodisch
verfahren müßte, aber es hat ihm, ich weiß nicht,
189
ob аш {езеп Willen oder an Klarheit der Ein-
sicht gefehlt, die Aufgabe systematisch durch-
zufúhren. Da dieses Gesamturteil hart klingen
mag, wird es notwendig sein, es eingehender zu
begrúnden, als der Rahmen einer Buchanzeige es
eigentlich zuläßt.
Vasari sollte man, wenn es sich um Künstler
außerhalb von Florenz oder Arezzo handelt, immer
nur mit großer Vorsicht behandeln. Er war da
meist sehr ungenügend informiert, namentlich für
das rein Biographische. Indem Verf. dies nicht
genügend beachtet, verfällt er in die ersten Irr-
túmer. Schon das Geburtsdatum — um 1474,
weil in diesem Jahre Ariost geboren wurde — ist
fast sicher falsch. Man sollte ehrlich einräumen:
wir kennen es nicht. Der Umstand, daß der Vater
noch 1536, die Mutter noch 1539 am Leben ist,
macht es wahrscheinlich, daß der Maler später,
vielleicht erst in der Mitte der achtziger Jahre,
geboren wurde. Da er 1512 — ев ist die erste
gesicherte Nachricht, die wir überhaupt von ihm
haben — mit einem ansehnlichen Auftrag am
Mantuaner Hof erscheint, war er damals wohl
schon ein geachteter Künstler, gewiß kein Anfänger
mehr. Seinen Lehrer kennen wir nicht und könnten
ihn nur stilkritisch eruieren, was durch den
Mangel an einem sicheren Jugendwerk fast un-
möglich gemacht wird. Das Verhältnis der Brüder
zu Garofalo behauptet Vasari; es ist möglich, aber
unbeweisbar, und Vasaris Biographie dieses Ferra-
resen ein solches Gewebe falscher Nachrichten
(vgl. die deutsche Vasari-Ausgabe Bd. У, 8. 554 ff.,
bes. Anm. 12), daß man sie gänzlich bei Seite
lassen muß, nicht aber, wie es Verf. tut (S. 25),
darauf gar Konjekturen aufbauen darf.
Bei dieser Sachlage ist uns die positive Angabe
eines Zeitgenossen, der diesen Dingen viel näher
stand als Vasari, von doppeltem Wert. In seinem
erstmalig 1557 publizierten Dialogo della pittura
sagt Lodovico Dolce von den Brüdern: de’ quali
uno stette qui a Venezia alcun tempo per im-
parare a depingere con Tiziano: e l’altro in Roma
con Raffaello (in der deutschen Ausgabe von Cerri,
Quellenschriften U, 8. 17). Diese Angabe ist um
so wichtiger, als der Stil gewisser Werke, die man
alle Ursache hat, als Jugendwerke Dosso Dossis
anzusehen, wie die heil. Familie der Kapitolinischen
Galerie, ebenso starken tizianischen Charakter zeigt,
als die Landschaftsgründe einer Reihe von Arbeiten,
die sich eng an ähnliche Motive bei dem giorgio-
nesken Tizian anschließen: während andererseits
nicht nur ein Aufenthalt Battistas in Rom, sondern
auch sein persönlicher Verkehr mit Raphael für
den Anfang des Jahres 1520 urkundlich bezeugt
190
ist (Campori, Notizie inedite di Raffaello, 8. 137).
Eine gewisse Intimität des berühmteren der Brüder
mit Tizian scheint auch obgewaltet zu haben,
während Tizian wegen der Bacchanalien für Alfonso
d’Este in Ferrara sich aufhielt; man weiß von
einem gemeinsamen Ausflug nach Mantua im
November 1519, um die dortigen Kunstwerke zu
besichtigen.
Bei dem hervorgehobenen Mangel an gesicherten
Nachweisen hätte diese Möglichkeit, in verworrene
Dinge Ordnung zu bringen, ganz anders ausge-
nützt werden müssen.
Methodisch konnte man dann weitergehen und
fragen: welches sind die dokumentarisch beglau-
bigten Arbeiten Giovannis und Battistas. Liegen
für jenen die Dinge darum schwierig, weil wir
erst vom Jahr 1522 ein gesichertes Werk besitzen
(ich komme darauf zurück), so ist der Fall für
Battista nahezu verzweifelt: das einzige Werk, das
man ihm auf Grund der Aussage eines Zeit-
genossen zuschreiben muß, scheint nach unanfecht-
baren Dokumenten doch wieder dem Bruder zu
gehören.
Der Fall ist so kompliziert, daß ich mich ge-
nötigt sehe, ihn kurz darzulegen. Der modene-
sische Chronist Lancellotto erzählt unter dem
29. November 1536 von der Aufstellung einer „An-
betung des Kindes“ im Dom von Modena (nach
seiner klaren Beschreibung ist es das Bild in der
Galleria Estense) „fatta de mane de М. ro
(Lücke) fratello de Mro. Dosso ex. mo dipintore“.
Man hat stets geglaubt, jene Lücke durch den
Namen des Battista ergänzen zu sollen, um so
mehr, als das Bild stilistisch von den Werken des
Dosso Dossi verschieden ist, und so meinte man,
wenigstens eine gesicherte Arbeit zu besitzen.
Hiergegen nun macht Verf. in einer sehr ausführ-
lichen Darlegung (S. 44 ff.) Front. Stilistisch findet
er es den beglaubigten Hauptwerken Giovanni
Dossos so eng verwandt, daß man dann alle diese
auch dem Battista zuschreiben müßte (worauf später
zurückzukommen ist); aber auch historische Ein-
wände lassen sich geltend machen. In den von
Campori publizierten Zahlungen, die sich auf die
Cappella Estense im Modeneser Dom beziehen,
für die jenes Bild ursprünglich bestimmt war,.
kommt Battistas Name überhaupt nicht vor, sondern
der des Dosso Dossi allein. — Um nun jene Stelle
des Chronisten mit seiner Überzeugung, nach der
die „Anbetung des Kindes“ von Dosso Dossi ist,
in Einklang zu bringen, will Verf. die Lücke mit
Giovanni ausfüllen; mit Mro. Dosso sei dann
Battista gemeint.
Hier setzt er sich aber mit den Tatsachen in
offenbaren Widerspruch. Wer alle Dokumente,
die sich auf die Kúnstler beziehen, gelesen hat,
muss wissen, daß nur Giovanni Mro. Dosso ge-
heißen wird, der andere stets nur Battista de Dosso.
In dem schon zitierten Brief von 1520, der Battistas
Anwesenheit in Rom erweist, ist von ihm als ,,il
fratello del Dosso“ die Rede. Danach kann die
Stelle bei Lancelotto nur so verstanden werden, daß
Battista, Bruder des berühmten Malers Dosso (4. h.
des Giovanni genannt Dosso) das Bild gemalt habe.
An der Glaubwúrdigkeit des Chronisten, der sich
auch sonst hier — wie an anderen Stellen, wo er
von Werken des Malers spricht — genau unter-
richtet zeigt, zu zweifeln, liegt kein Grund vor.
Er schreibt nieder, was er als Zeitgenosse, der
sich fiir die Dinge interessierte, in Erfahrung ge-
bracht hat. Daß er den Vornamen ausläßt, also
nicht gewußt hat, gibt keinen Grund ab, seine
Zuverlässigkeit in Frage zu stellen: er hatte eben
nur erfahren, daß der Maler des Bildes Bruder
des in Modena durch schon aufgestellte Altarbilder
wohlbekannten Dosso war.
Daß Battistas Name in jenen Zahlungen fehlt,
ja von Dossos Arbtit an zwei Bildern, die zum
Transport nach außerhalb bestimmt waren (es sind
Bilder für Modena und Reggio) geradezu die Rede
ist, berechtigt uns nicht, Lancellottos Zeugnis ab-
zutun. Denn man sieht aus den von Venturi
publizierten Dokumenten, wie bald dieser, bald
jener der Brüder für gemeinsame Arbeiten Geld-
summen angewiesen, erhält.
So muß denn die stilistische Untersuchung ent-
scheiden, und diese führt dahin, daß die Modeneser
Anbetung nicht von dem durch zahlreiche Bilder
bekannten Dosso herrühren kann. Man braucht
nur die Handform einer genauen Betrachtung zu
unterziehen; sie ist auf diesem Bild, bei allen
Figuren übereinstimmend, kraftlos und schwächlich-
klein, während auf Dossos Bildern die ungewöhn-
lich kräftigen, oft fast ungeschlachten Hände auf-
fallen. Ferner: wer einmal den Typus des Kindes
auf den Werken Dossos studiert, der sich in der
Hauptsache gleich bleibt (man vgl. das Christkind
und die Engelsköpfe des Altarbildes im Dom von
Modena mit den entsprechenden Figuren auf der
Madonna mit den H. Georg und Michael und
dem Christkind der Madonna für S.
neve, beide in der Modeneser Galerie), muß zu
dem Schluß kommen, daß das Christuskind, das
auf dem Anbetungsbild am Boden liegt, unmög-
lich von demselben Meister gemalt sein kann.
Es ist vollständig andere Formauffassung, ein
ausgesprochen altertümlicher Zug darin, der etwas
an die älteren Meister von Cremona (Boccaccino,
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 4
M. della
Gal. Campi) erinnert. Man könnte die stilistischen
Unterschiede noch an vielen Stellen hervorheben;
es mag an diesen Andeutungen genug sein. Die
vom Verf. vorgebrachten Argumente genügen also
nicht, um die Zweifel an Lancellottos Aussage zu
rechtfertigen.
Als Ausgangspunkt für die Erkenntnis der Stil-
eigentümlichkeiten Battistas nun nimmt Verf.
den „Hieronymus“ in Wien, das durch Mono-
gramm beglaubigte Werk !), wo das ,,D—osso“ doch
zunächst an denjenigen der Brüder denken läßt,
der allein so geheißen hat. Seine Argumente be-
stehen in einer ungerechtfertigten Herabsetzung
der Qualität des Bildes. Was ihn aber berechtigt,
es zum Ausgangspunkt zu nehmen, ist mir
nicht klar geworden. Eine Reihe von Bildern,
die damit im Zusammenhang stehen, Gutes und
Schlechtes wild durcheinander (wie kann man die
„Ruhe auf der Flucht“ im Pal. Pitti und in der
Galerie Czernin zusammenwerfen!), wird auf
das Hieronymus-Bild hin dem Battista gegeben.
Zustimmen kann ich dem Verf. nur darin, daß
mehrere der Bilder seiner Battista-Gruppe eng zu-
sammengehören, daß namentlich das kleinere Bild
der Kirchenväter in Dresden dem Hieronymus eng
verwandt ist. Aber seine These ist völlig will-
kürlich und absolut unbewiesen. Eine Behauptung
ist kein Beweis.
Ebensowenig kann seine Rekonstruktion der
Kunst Giovannis befriedigen. Besitzen wir auch
kein sicheres Jugendwerk, so doch vier Altarbilder,
deren Datum feststeht, und die sich auf zwei
Jahrzehnte seiner Laufbahn verteilen: nämlich das
Bild im Modeneser Dom, 1522 aufgestellt, das-
jenige im Pal. Chigi, früher im Dom von Ferrara,
für 1527 gut beglaubigt, das große Bild der Kirchen-
väter in Dresden, 1532 aufgestellt, und das für die
Confraternita della Morte 1542. Von diesen aus
müßte versucht werden, die künstlerische Entwick-
lung zu zeichnen: eine Aufgabe, deren Lösung
zwar nicht leicht, aber doch möglich wäre. Verf.
aber beginnt den Abschnitt über Giovanni mit
dem ganz wilikürlichen Satz: „Das erste historisch
fixierte Bild, welches wir mit Sicherheit dem Dosso
Dossi zuschreiben können, ist die Altartafel beim
Fürsten Chigi in Rom.“ Warum diese? Warum
nicht das fünf Jahre früher datierte, durch den
Chronisten exakt beglaubigte Altarbild des Doms
zu Modena? Und er läßt sich das gar nicht zu
(1) Verf. selbst besitzt ein mit gleichem Zeichen signiertes
Bild. Da dieses bisher unbekannte Werk doch gewiß
interessant ist, hätte er es unbedingt abbilden sollen. —
Nach Gruyer zeigt ein Bild der Galerie Doria das-
selbe Zeichen. Verf. erwähnt das auch von Berenson in
seine Liste aufgenommene Bild nicht.
14 191
entbehrende Argument der Ausbildung Dossos in
Venedig ganz entgehen, während man doch gerade
mit Hülfe solch venezianischer Stilelemente Bilder
als Früharbeiten herausholen könnte, wie die heil.
Familie der kapitolinischen Galerie. Demzufolge
kann dieser Versuch der Gruppierung der zahl-
reichen Werke Dossos nur wenig befriedigen.
Hinterläßt also die stilkritische Behandlung des
Themas einen ebenso wenig günstigen Eindruck,
als die Art, wie das Historische angefaßt ist, so
verstimmt vollends die saloppe Manier in den
Einzelheiten. Ich führe ein paar Beispiele an.
Lancellotto erwähnt, wo er von der Aufstellung
der Immaculata Concezione (,, Kirchenväter“, jetzt
in Dresden) spricht, daß die beiden Hauptfiguren
des oberen Stückes unvollendet wären, mit Rück-
sicht auf die noch diskutierte dogmatische Frage.
Ein Blick auf das Dresdener Bild beweist die
Richtigkeit der Angabe: das ganze obere Stück,
mit Ausnahme vielleicht der unteren Putten, trägt
späteren Charakter und ist nicht von Dosso ge-
malt. Dieser doch wahrlich nicht ganz gleich-
gültige Umstand wird vom Verf. übergangen. In
8. Maria del Carmine in Modena ist ein Altarbild
mit dem hl. Albertus, der den Dämon niedertritt;
wiederholt dem Dosso zugeschrieben. Verf. klassi-
fiziert das Bild als Werk der bolognesischen Schule
am Ende des XVI. Jahrhunderts. Die Aufstellung
im Jahre 1530 wird aber durch Lancellotto bezeugt,
und diesen Passus liest man auf derselben Seite,
auf der von dem Bild der Conception die Rede ist.
So wird man sich nicht wundern, wenn es von
Ungenauigkeiten und Flúchtigkeiten wimmelt. Der
Preis von 100 000 Zechinen fúr eine Altartafel von
Dosso Dossi, den Verf. von August III. gezahlt
werden läßt (8. 39), würde selbst heutzutage von
keinem Bild des Meisters erreicht werden: damals
kaufte man dafür die berühmten тоо Modeneser
Bilder. Wenn S. 55 von Vanozza, der Mutter der
Lucrezia Borgia, gesagt wird, sie sei längst vor
Dossos Geburt gestorben gewesen, so scheint Verf.
nie ein Buch über diese Dinge nachgeschlagen
zu haben: jene Frau ist erst 1518 gestorben. Die
Flúchtigkeit der Zitate spottet jeder Beschreibung;
man möge nur das Literaturverzeichnis am Schluß
und ein paar der Anmerkungen daraufhin ansehen.
Und soll die mehrmals vorkommende Bezeichnung
„Anonymus des Morelli“ für den berühmten Senator
ein Witz sein, oder weiß Verf. wirklich nicht,
wen man als Anonymus bezeichnet?
So ist denn das Buch eine Enttäuschung auf
der ganzen Linie. Nicht eines der Probleme ist
durch den Verf. auch nur um einen Schritt voran-
gebracht worden. Georg Gronau.
192
LORD BALCARRES, The evolution
of Italian sculpture. London, John
Murray 1909.
e
Der Titel dieses umfangreichen vorzúglich aus-
gestatteten Buches erinnert unwillkürlich an die 7
Darstellungen, die wir von der griechischen Plastik
besitzen. Der Gang ihrer Entwicklung ist für uns
fast zum Typus einer künstlerischen Entwicklung
überhaupt geworden. Er hat etwas von dem na-
türlichen Rhythmus, von der ungestörten Gesetz-
mäßigkeit, die in allen Lebensäußerungen des
Griechentums, wo nicht wohnt, so doch von uns
gesucht wird. Aus primitivsten Kulturbedürfnissen
heraus entsteht eine Kunst, deren unbebilfliche
Formen dennoch bereits das Vorhandensein einer
ausgebildeten Kunst, der der alten orientalischen
Reiche, voraussetzt. Im Laufe von vier Jahrhun-
derten macht sie die erstaunlichste Entwicklung
durch, welche die Kunstgeschichte kennt und ge-
langt als erste zur Aufstellung und in einem Sinn
auch zur Bewältigung jener Probleme, die seither
für alle künftigen Zeiten bis zur Gegenwart die
eigentlichen Probleme der Skulptur geblieben sind.
Sie hat sie nicht nur für die Klassizisten, sondern
auch für die ,Moderni“ jeder Epoche ein für alle
mal formuliert. Kein Wunder, daß eine solche, auf
sich selbst beruhende, vollständige und lückenlose
Entwicklung seit Winckelmann immer wieder neue
Darstellungen gefunden hat, denen der Umstand
günstig war, daß die Geschichte der griechischen
Plastik bei der rudimentären Erhaltung der grie-
chischen Malerei lange für die Geschichte der
griechischen Kunst überhaupt gelten durfte.
Auch die moderne italienische Kunst bietet —
nach den komplizierten historischen Verhältnissen
der mittelalterlichen Kunst — wieder das Bild
einer einheitlichen ca. fünf Jahrhunderte umspan-
nenden Entwicklung, die noch in ihrer letzten
Phase Früchte erntet, welche schon am Anfang
gesät wurden; die ebenfalls aus einem primitiven
Stadium zu einer Art von wissenschaftlichem Na-
turalismus gelangt, den der monumentale Idealis-
mus einer klassischen Epoche überwindet. Dieser
heroischen Zeit folgt naturgemäß in den Zentren
(Rom, Florenz) eine Zwischenperiode des nach-
ahmenden Manierismus, in der sich aber bereits
an der Peripherie (Parma, Venedig, Neapel) der
illusionistische Stil vorbereitet, welcher ganz analog
der Antike die letzten zwei Jahrhunderte dieser
Evolution beherrscht. Trotzdem ist die Entwick-
lung der italienischen Kunst von der der griechi-
schen wesentlich verschieden und erinnert uns
so daran, daß es im historischen Geschehen niemals
Wiederholungen gibt; daß man den Lauf der
Geschichte besser als mit einer Kreislinie, mit
einer Spirale verglichen hat, bei der ein fort-
laufender Punkt auch wieder an dieselbe Stelle ge-
langt, jedoch nur scheinbar, indem sie den gleichen
Radius an einem anderen Punkte schneidet, der
in einer die frühere Linie umfassenden Peripherie
liegt.
Schon die Struktur der Entwicklung der italieni-
schen Kunst ist von jener der Antike ganz ver-
schieden. Sie wird von drei Hauptmomenten be-
stimmt: Das erste ist der Einfluß der nordischen
Kunst und überhaupt die Wechselbeziehungen zu
dieser. Es gibt kaum eine Epoche der italienischen
Kunst, in welcher er nicht von größter, ja aus-
schlaggebender Bedeutung gewesen wäre. Im
ı2./13. Jahrhundert kommt er von Frankreich, im
ı5. von den Niederianden, im 16. aus der deutschen
Kunst, bis er im 17. zu einem ganz allgemeinen
wird. Es sind dies ja allerdings Beziehungen, die
noch lange nicht aufgeklärt und spruchreif sind,
mit deren problematischer Existenz sich jedoch
jedes Buch auseinanderzusetzen hat, daß eine Evo-
lution der italienischen Skulptur zu schildern vor-
gibt. Das zweite ist eben die Antike. Sie bleibt
auch die historische Basis der Entwicklung dort,
wo sie nicht die künstlerische ist. In dem geschicht-
lichen Phänomen, daß von Zeit zu Zeit immer
wieder auf den antiken Formenschatz mit erneuter
Energie zurückgegriffen wird, in der Tatsache,
daß die Antike vom 13. bis zum 18. Jahrhundert
die Rüstkammer bleibt, aus der Geschlecht um
Geschlecht sich neue Waffen holt, wenn die eigenen
stumpf geworden sind, liegt der eigentliche Grund-
gedanke dieser Evolution, die auf einem Boden
stattgefunden hat, wo man mit gewissem Recht
die Antike als nationales Gut reklamieren konnte.
Das dritte Moment sind die Wechselbeziehungen
der bildenden Künste untereinander, namentlich
der Malerei und der Skulptur, die sich hier in der
Führerrolle abwechseln und miteinander enger ver-
knüpft sind, als in jeder anderen Kunst; jedenfalls
aber viel enger als sie es nach dem heutigen
Stand der Monumente fiir den Erforscher der antiken
Kunst sind. Eben diese Tatsache aber läßt überhaupt
die Berechtigung einer Darstellung fragwürdig er-
scheinen, welche diese enge Verbindung der zwei
Künste lösen will, es sei denn, daß sie die der
einen Kunst eigentümlichen Probleme allein schil-
dern will, wobei sie aber auch nicht der ständigen
Bezugnahme auf die andere Kunst, in diesem
Falle der Malerei, wird entraten können. Daß der
Verfasser dies versäumte, ist einer der Hauptfehler
des Buches. Ich glaube aber, daß es nicht über-
trieben ist, wenn ich sage, daß der Verfasser mit
seiner ganzen, wirklich überraschenden, aber an
tausend Einzelheiten verflatternden Monumenten-
kenntnis nur keinem dieser drei Momente im
geringsten gerecht wird, sondern auch den allge-
meinsten Anforderungen an die Daratellung einer
Entwicklung in keiner Weise Genũge leistet; schon
darum, weil er selbst die nächsten historischen
Zusammenhänge (ganz zu schweigen von den
weiteren) beispielsweise das Verhältnis der floren-
tinischen und oberitalienischen Plastik in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts zu Donatello oder das
der Manieristen, Giambolognas, Berninis zu
Michelangelo gar nicht berührt und überhaupt
an jeder großen entwicklungsgeschichtlichen Tat-
sache vorúbergeht wie ein Mann, der auf diese
Dinge nicht achten kann, weil er an allen Ecken
und Enden von lauter kleinen Kobolden verwirrt
und gezwackt wird, — den aus Zettelkisten ent-
sprungenen zahllosen überflüssigen Daten, Nach-
richten und beziehungslosen Tatsachen. Diese
nichtswürdige Gesellschaft sprengt sogar den eigent-
lichen Gang der Darstellung und macht sich in
manchmal geradezu absurden Anmerkungen breit,
die neben dem Haupttext wie ein zweites Buch
herlaufen und von den Abfällen aus den Zettel-
kästen, von dem, was im Text nicht unterzubringen
war, ein klägliches Dasein als unlesbares Ollapotrida
fristen. Hundert sterile Exkurse statt einer tieferen
Erkenntnis!
Wenn oben von einem Gang der Darstellung ge-
sprochen wurde, war dies euphemistisch ausgedrückt.
Der ganze Mangel des Buches an innerer Systhe-
matik offenbart sich nämlich schon darin, daß
jedes Kapitel in Absätze mit den verwegensten
und heterogensten Überschriften zerstückelt wird,
die untereinander in ganz losem Zusammenhang
stehen und in denen meist auch von etwas an-
derem gehandelt wird, als was sie anzeigen (z.B.
Michel Angelo scheme of decoration p. 263 es folgt:
„Ghiberti“). Selbst dort wo ein für das Ver-
ständnis der Entwicklung fruchtbarer Gedanke auf-
taucht (z.B. Pag.67 Entwicklung der Reiterstatue),
fehlt dem Verfasser die Konsequenz zur Durch-
führung, so daß man sich nicht wundern darf,
wenn er mit den Reiterstatuen der Scaligeri be-
ginnt, die Entwicklung auch hier ohne Rücksicht-
nahme auf die Antike (Mark Aurel, Reggisole)
ziemlich oberflächlich darstellend, beiläufig das
Reiterstandbild Ludwig XIV. in St. Petersburg er-
wähnt, was doch von einer wunderlichen Ge-
dankenlosigkeit zeugt, wenn Peter des Großen
Standbild von Falconet gemeint ist, und endlich
bei Michelangelo landet, indem er darüber räson-
193
niert, wie eine Reiterstatue bei ihm ausgesehen
hitte, und schließlich darüber, daß er nie eine
Landschaft gemalt habe. Ebenso wie er (Pag. 258)
Künstler nennt, welche keine Medaillen gemacht
haben und sich vorstellt, wie sie gewesen sein
mögen, wenn sie doch welche gemacht hätten.
„Ghiberti hätte eine sehr feine gemacht“ meint er.
Es ist überflüssig, auf die Kardinalirrtümer
und oben angedeuteten Hauptunterlassungen wei-
ter einzugehen. Ich möchte nur noch auf eine
prinzipielle Sache hinweisen, die so ganz die
Naivität des Verfassers in historischer Beziehung
zeigt. Es ist die Art der Auffassung von der
Künstlerindividualität als losgelöste Einzelerschei-
nung, eine Art, mit welcher der Verfasser durch-
aus nicht alleinsteht. Sie ist entstanden aus einer
Übertragung des modernen Künstlertypus nicht
nur auf Zeiten, wo der Künstler eben auch als
Individualität, als Unikum verstanden werden will,
wie in der Renaissance, sondern auch auf solche,
wo er kaum mehr als ein Name ist, der sich dann
oftmals einfach zu einem Begriff für die kunst-
historische Verständigung ausbildet. So wirkt es
geradezu grotesk, wenn der Verfasser von einem
Künstler wie Gruamons und seinen Absichten in
derselben Weise spricht, wie von Leonardo oder
Michelangelo. Auch dies
die Äußerung einer laienhaften Auffassung der
Evolution, welche sie in Persönlichkeiten zer-
stückeln will, statt in ihr die Probleme zu suchen.
Neben diesen elementaren Mängeln des Buches,
das — nebenbei bemerkt — in einem ziemlich
manierierten Stil geschrieben ist, sind die kleinen
Irrtümer bedeutungslos, von denen ich wahllos
einige herausgreife: In St. Peter ist die Markgräfin
und keine Kaiserin Mathilde dargestellt (pag. 124).
Von einer Statue Julius II., von Michelangelo,
welche eine rächende Gebärde macht ist (pag.
220), mir und wahrscheinlich auch anderen nichts
bekannt. Cordieris Statue der heiligen Sylvia in
S. Gregorio Magno kann nicht unter den Werken
aufgezählt werden, die Berninis Tendenzen noch
steigern (pag. 326), da Cordieri kein Nachfolger
Berninis ist, sondern der ihm vorangehenden
Generation angehört. Der Entwurf zu den Papst-
gräbern in Santa Maria Maggiore geht auf Fon-
tana zurück und nicht auf Ponzio, der nur der
Schöpfer der Architektur der borghesischen Kapelle
und der Taufkapelle ist (Pag. 219). „Das grie-
chische Sprichwort“ dydAuatos «xivoritegoy heißt:
bewegungsloser als selbst eine Statue, aber durch-
aus nicht, that a statue should be immovable
(Pag. 137); usf.
Es mag vielleicht unbillig erscheinen, an ein
194
ist nichts anderes als
Werk um seines Titels willen mit Forderungen
heranzutreten, ohne erat untersucht zu haben, mit
welchen anderen Absichten der Autor selbst an
seinen Stoff herangetreten sein mag, d. h. also
ein Werk auf Grund der Disharmonie zwischen
Titel und Inhalt nur mit Berufung auf jenen zu
verwerfen. Wer soviel Toleranz hat, dies nicht
zu tun, müßte im gegenwärtigen Fall sagen,
daß das Buch immerhin ein interessanter Bei-
trag zur Psychologie des gebildeten Dilettanten
bleibt. Wenn aber jemand in den Wald geht,
Erdbeeren sammeln, ist er deshalb noch kein Bo-
taniker, und eben auf die Prätensionen kommt es
an. Sie berechtigen uns, umso höhere Forderungen
an die Gestaltung eines Gegenstandes zu stellen,
je schwieriger dieser ist. Es gibt aber Materien,
die man eben nur von der kühnsten und sichersten
Hand geformt wissen will. Georg Sobotka.
DIE ARCHITEKTUR DER RENAIS-
SANCE IN TOSCANA. Nach den Auf-
nahmen der Gesellschaft San Giorgio in
Florenz herausgegeben, weitergefiihrt und
vollendet von Carl Stegmann und
Heinrich von Geymiiller. Miinchen,
F. Bruckmann A.-G.
Die glánzendste Architekturperiode nachchrist-
licher Zeit unserem Verstándnis nahezubringen,
durch genaue Aufnahmen und gewissenhafte und
grúndliche Darstellung ihres Entwicklungsganges
ihre wichtigsten Schöpfungen zu erläutern, war
der Plan, den im Jahre 1881 die Mitglieder der
deutschen Gesellschaft San Giorgio in Florenz mit
jugendlicher Begeisterung zu verwirklichen be-
gannen. Nach fast dreißigjähriger aufopferungs-
voller Tätigkeit aller Mitarbeiter, von denen nur
noch ein kleines Häuflein am Leben ist, konnte
im Jahre 1909 das gewaltige Werk abgeschlossen
werden. Die Bedeutung dieses Monumentalwerkes
ist so überragend, daß es unter den verwandten
Publikationen nicht seines Gleichen findet, nicht
einmal an der monumentalen Ausgabe der klassi-
schen Bauwerke Athens von Stuart und Revetts,
die vor 100 Jahren das Licht der Welt erblickte
und eine tiefe und weitgreifende Wirkung aus-
geübt hat. Toskana als Mutterland des modernen
Stiles in der Baukunst liegt unserem Verständnis
und unseren Bedürfnissen näher und die ruhm-
reiche Vergangenheit der toskanischen Architektur
als ein Vorbild und als Wegweiser für die Zu-
kunft hinzustellen, war eine Aufgabe, an deren
Verwirklichung die Gesellschaft San Giorgio mit
Recht ihre ganze Kraft gesetzt hat.
Es ist Pflicht des Rezensenten, an dieser Stelle
derer zu gedenken, die Helfer an dem großen
Werke waren. Als Mitglieder der Gesellschaft
San Giorgio wirkten seit Beginn der Arbeiten die
Architekten F. O. Schulze, A. Widmann, F. Hent-
schel, H. Gsell und als Teilnehmer R. Bennert,
P. Kurr, W. Schleicher, R. Hallmann und R. Lorenz.
Der ganze Wagemut der Jugend gehörte dazu,
ohne staatliche Unterstützung und ohne Beiträge
reicher Gönner große Ausgaben für die zweck-
mäßigsten Einrichtungen und Vorkehrungen zu
machen. An die Energie und an den Fleiß der
einzelnen Mitglieder und Teilnehmer, die ihre
Zeichnungen gemeinsam kontrollierten, durch Stu-
dium und Gedankenaustausch ihre historischen
Kenntnisse erweiterten und peinlich genau den
ihnen zugefallenen Teil der Arbeit auszuführen
trachteten, wurden die höchsten Anforderungen
gestellt. Neben den vorbereitenden Arbeiten be-
schäftigten vor allem drei Fragen die Gesellschaft.
Die Form der Veröffentlichung, die Herstellung
des wissenschaftlichen Textes und das Auffinden
eines verständnisvollen und zu Opfern bereiten
Verlegers. Das älteste Mitglied der Gesellschaft,
der Architekt F. O. Schulze, entwarf den ersten
Veröffentlichungsplan, und P. Kurr übernahm die
Bearbeitung des Textes, erkrankte aber bald und
wurde durch Heinrich von Geymúller als Chef-
redakteur ersetzt. Im Anfang des Jahres 1883
gelang es dem kurz vorher als Mitglied eingetre-
tenen Carl Stegmann, die Verlagsanstalt Bruck-
mann in Miinchen als Verleger zu gewinnen. Nun
hatte sich alles vereinigt, um das Gelingen des
großen Werkes zu ermöglichen, und nachdem
auch noch einer der tüchtigsten Architekturstecher
Deutschlands gewonnen war, ging es hoffnungs-
voll an die Ausführung. Anton Widmann, der
Gründer der Gesellschaft, leitete die Arbeiten mit
ganzer Hingabe. Es war ihm aber nicht ver-
gönnt, die Vollendung des groß gedachten Werkes
zu erleben. Er starb, noch bevor das Toskana-
werk seinen ersten Schritt in die Öffentlichkeit
getan hatte. In Granada, auf einer im Auftrage
des Fürsten Liechtenstein unternommenen Reise,
wurde er nach kaum eintägiger Krankheit von der
Cholera dahingerafft. Noch vor ihm starb einer
der tüchtigsten Mitarbeiter, der Architekt R. Bennert,
als Opfer seines Berufes, im Dienst des großen
Werkes, während der Arbeiten in Montepulciano
siner raschen Krankheit erliegend. Auch dem
verdienstvollen Carl von Stegmann, der zuerst ge-
meinsam mit Heinrich von Geymüller, und seit
1890 allein als Herausgeber wirkte, ist es nicht
beschieden gewesen, das Ziel zu erreichen. Er
starb im Jahre 1895. An seine Stelle trat dann
wieder als Herausgeber Heinrich von Geymüller,
der die Arbeiten auf breitester Basis weiterführte.
Nachdem er das große Werk in dem Geiste ab-
geschlossen hatte, den er bei Beginn der Arbeit
als Richtschnur angab, legte auch er sich hin
zum Sterben. Ein getreuer Helfer seit Anfang
der neunziger Jahre war der jetzige Florentiner
Domarchitekt Giuseppe Castellucci, der die Auf-
nahmen der Werke Raffaels, Michelangelos und
Vasaris besorgte und in Arezzo und in Florenz
auch sonst für das Toskanawerk bis zuletzt tätig war.
Nach dem seinerzeit veröffentlichten Prospekt
beabsichtigte die Gesellschaft San Giorgio in einer
des Gegenstandes würdigen Weise die Baudenk-
mäler dieser Kunstepoche zu veröffentlichen, nach
Meistern zu gruppieren, sie durch Heranziehung
bis dahin wenig bekannter oder beachteter Hilfs-
quelien wissenschaftlich zu bereichern und in ein
helleres Licht zu stellen. Ein anderes Ziel war,
solche Teile von Monumenten, die entweder dem
Untergang schon verfallen oder einer ihrer ur-
sprünglichen Charakter gefährdenden Restauration
ausgesetzt waren, für die Nachwelt durch sorg-
fältige Veröffentlichung wenigstens im Abbilde zu
erhalten. So ist von den reizenden Sgraffitodeko-
rationen, die durch die Ungunst der Verhältnisse
und infolge des Unverstandes der Besitzer meistens
dem Untergange geweiht sind, eine Anzahl, aber,
ahime, nur zu wenig, durch die Gesellschaft San
Giorgio gerettet worden.
Die Organisation des Unternehmens fußte
auf zwei Hauptpunkten, erstens einem besonderen
Verfahren bei den Aufnahmen der Kunstdenkmäler,
und zweitens in der Forderung, daß sämtliche
Zeichnungen nicht, wie bis dahin allgemein üblich
war und leider noch immer üblich ist, in der
eigenen Heimat des Zeichners, sondern an Ort
und Stelle angefertigt und vollendet werden
mußten.
Als wichtigstes Hilfsmittel diente eine 18 m
hohe, siebengeschossige, auf Rollen bewegliche
Turmleiter und die 12 m hohe schräggestellte
Portaleiter. Die Turmleiter mit ihren zahl-
reichen, niederzuklappenden Brücken ermöglichte
es, ganz nahe an die Bauten und ihre Zierformen
heranzutreten. Ihre große Stabilität gewährleistete
außerdem ein ruhiges Arbeiten und die größte
Präzision im Maßnehmen. Man muß gesehen
haben, wie sonst mit dem Opernglase und nach
oberflächlichen Abmessungen architektonische Auf-
nahmen angefertigt werden, um die Arbeiten der
195
Gesellschaft San Giorgio richtig einzuschätzen
Die leichtere Portaleiter diente fúr innere Auf-
nahmen und fir Zeichnungen der Fassaden klei-
nerer Bauwerke. Eine umwälzende Neuerung des
Verfahrens war ferner das sofortige Auftragen
sämtlicher Zeichnungen vor dem Objekt. Die
Aufnahmen wurden nicht im Atelier daheim nach
den Handskizzen zusammengezeichnet und aus
der Erinnerung verschönert, wodurch häufig das
Charakteristische der Formen verloren geht, sondern
das Aufnehmen und Auftragen durfte nicht eher
eingestellt werden, als bis alles zusammen stimmte
und überprüft worden war. Von allen Zierformen,
Gesimsgliederungen, Friesen und Kapitälen wurden
Gipsabgüsse genommen, nach denen dann die
Auftragung im Atelier erfolgen konnte. Durch
dieses Verfahren, das ebenfalls ein Novum be-
deutete, war es nach Angabe Geymüllers möglich,
an einem Tage die Fassade des Palazzo Medici-
Riccardi aufzunehmen und abzugipsen. Der Mög-
lichkeit eines Irrtums in den Maßen wurde durch
das Auftragen und Überprüfen der Messungen an
dem Bauwerk selbst auf das Wirksamste entgegen
gearbeitet. Die Abgüsse der Zierformen bildeten
außerdem im Atelier ein höchst wertvolles nie ver-
sagendes Vergleichsmaterial und ermöglichten dem
Zeichner, der sie immer vor Augen hatte, das
Charakteristische eines jedes Bauwerkes und eines
jeden Meisters mit einer Treue wiederzugeben, die
bis dahin bei ähnlichen Arbeiten unerhört war.
Neben der großzügigen Gesamtorganisation des
Unternehmens liegt in dieser „cura minimi“ ein
Hauptverdienst der Gesellschaft San Giorgio.
Was den Arbeitsplan betrifft, so war für die
Ökonomie des Werkes von höchster Bedeutung,
daß die sogenannte Protorenaissance und die
Renaissance unter gothisierendem Gewande nicht
in die Gesamtdarstellung einbegriffen wurde. In
einer besonderen Abhandlung: „Friedrich II. von
Hohenstaufen und die Anfänge der Architektur der
Renaissance in Italien“ (München 1908) hat Gey-
müller diese Fragen eingehend behandelt und auch
auf die Stellung Pisas zur Kunst Süditaliens nach-
drücklich hingewiesen. Nach dem Erscheinen
seiner Sonderabhandlung kommt er erst im zehnten
Bande des Toskanawerkes auf diese wichtigen
Probleme zu sprechen. Den klassisch gewordenen
Ausdruck Jakob Burckhardts „Die Renaissance
hatte schon lange gleichsam vor der Tür gewartet“
ergänzt Geymüller durch den nicht minder wahren
Satz: „Fortwährend war sie bemüht, hereinzu-
treten.“ Nicht minder sprechend ist Burckhardts
Axiom „Sobald . . die Barbarei aufhört, meldet
sich bei dem noch halbantiken Volk die Erkenntnis
196
seiner Vorzeit; es feiert sie und wünscht sie zu
reproduzieren.“ In der Architektur beweisen das
San Miniato und das Baptisterium; auf dem Gebiet
der Malerei finden wir in gotischer Zeit, nament-
lich auf Fresken Giottos, Tabernakel und Türen,
die mehr antik als gotisch sind, und Gebäude,
deren Bekrönung guirlandentragende antike Figuren
bilden; in der Plastik ist es Niccolo Pisano, der
ganz konsequent die Antike nachahmt. Es ist
wohl eine Konzession an die allgemeine Anschau-
ung unserer Zeit, wenn Geymüller trotz der klaren
Erkenntnis dieser Zusammenhänge die Architektur
der Renaissance mit Brunelleschi beginnen läßt.
Den Begriff der Renaissance definiert Geymüller
als eine Periode des Übergewichts der lateinischen
Kunstanschauung über die gallo-germanische, als
ein Bedürfnis der Italiener, sich wieder einmal in
ihrer Muttersprache, der Antike, auszudrücken, als
einen Protest des Südens gegen die „vom Norden
ausgehende Vernachlässigung des Begriffs des
Vollkommenen.“ Die Renaissance ist keine Wieder-
geburt der antiken Architektur in allen ihren Offen-
barungen, aber sie ist, wie Jakob Burckhardt sich
ausdrückte, die Anwendung der Antike auf die „Be-
dürfnisse des inzwischen anders gewordenen Volks-
geistes, den germanisch-longobardischen Staats-
einrichtungen, dem allgemein europäischen Ritter-
tum, den übrigen Kultureinflüssen aus dem Norden,
der Religion und der Kirche erwachsen.“ Diesen
Satz Jakob Burckhardts unterschreibt Geymüller.
Er erweist sich als getreuer Schüler des Altmeisters
auch in der Auffassung der Renaissanceprobleme
im Einzelnen. So, wenn er klar legt, daß die
Baukünstler der Renaissance, statt sich dem Ziele
einer Neuschöpfung der gesamten antiken Archi-
tektur zu nähern, nur die von ihnen selbst ge-
schaffenen Kompositionen mit den antiken Detail-
formen bekleideten. Ebenso in der Beurteilung
des Barockstils, der als eine Epoche der Ver-
wilderung angesehen wird.
Die Gesamtdisposition des Werkes läßt
deutlich genug erkennen, daß dem Bearbeiter ge-
legentlich das Material über den Kopf wuchs. So
ist der ganze erste Band mit 70 Seiten Text und
29 Tafeln Filippo Brunelleschi gewidmet. Diese
sehr eingehende, fast monographische Behandlung
des Bahnbrechers der Frührenaissance hatte zur
Folge, daß der ursprünglich geplante Umfang des
Werkes wesentlich erweitert und der Preis des
Ganzen erhöht werden mußte. Im zweiten Bande
sind Michelozzo, Donatello, Verrocchio, Quercia,
die Della Robbia und Buggiano abgehandelt, im
dritten Alberti und die beiden Rossellino, im vierten
Desiderio da Settignano, Giuliano und Benedetto
da Majano, Mino da Fiesole, Andrea Sansovino und
Cronaca. Im fiinften Bande: Leonardo da Vinci, Giu-
liano und Antonio da Sangallo. Die größte Zahl von
Künstlern vereinigt der sechste Band: Andrea
Bregno da Milano, Guidoccio die Andrea, ver-
schiedene Sieneser Meister: Antonio Federighi,
Giovanni di Stefano, Lorenzo di Mariano (Marinna),
Francesco di Duccio del Guasta, Giacomo Cozza-
relli, Giovanni di Pietro (Castelnuovo), Bartolom-
meo Neroni (Riccio), Francesco di Giorgio;
mehrere Luccheser Meister: Matteo Civitali, Nic-
colo Civitali, Francesco Marti, dann Baccio da
Montelupo und im Anhange Ventura Vitoni und
Pagno di Lapo Portigiani. Den siebenten Band
eröffnet Raffael. Es folgen Antonio da Sangallo
der Jüngere, Baccio d’Agnolo, Benedetto da Rovez-
zano, Giuliano di Baccio d’Agnolo und seine
Brüder, Baccio Bandinelli, Baldassarre Peruzzi,
Jacopo Barozzi da Vignola und Mariotto di Zanobi
Folf mit dem Beinamen l!’Ammogliato. Der ganze
achte Band ist Michelangelo gewidmet. Im neunten
Bande sind vereinigt: Giovannantonio Dosio, Gio-
vanbattista del Tasso, Battista di Cristofanello In-
fregliati, Giorgio Vasari und Bartolommeo Am-
manati. Mit dem zehnten Bande beginnt der
systematische Teil des Werkes. Er enthält
umfangreiche, glänzend illustrierte Auseinander-
setzungen über Material und Arbeit des Bauens,
Handzeichnungen und Modelle, Kirchen, Paläste,
Höfe, Loggien und Villen. Der elfte Band schließt
den darstellenden Teil des Werkes ab. Er be-
ginnt mit einer Illustration der einzelnen Gebäude-
teile, dann folgen die Artikel: Altäre, Tabernakel
und Kirchenmobiliar. Alsdann ein Abschnitt:
Türen, Fenster und Kamine. ein anderer: Mauern,
Gesimse und Balustraden, darauf Decken, Gewölbe
und Fußböden, dann Kapitäle und Konsolen, Orna-
mente und Sgraffiti, und zuletzt Gesamtúberblick
und Schlufwort, Ein handlicher Registerband,
von R. Hallmann mit großer Sorgfalt und Umsicht
zusammengestellt, ermöglicht schnelle Orientierung.
In jedem Bande zerfällt der Text in zwei Teile,
Allgemeines und Monographien. In dem allge-
meinen Teile werden Fragen besprochen und
Gegenstände behandelt, die sich nicht auf einzelne
Meister oder auf ein einziges Bauwerk beziehen,
sondern aus dem Zusammenhange einer größeren
Anzahl von Werken und aus ihrem Vergleich
untereinander sich ergeben. Fragen, wie die Ent-
wicklung der Bossen, der Kapitellformen, der
Fenster, des toskanischen Hauses usw. haben zu
einer Anzahl von Einzelaufsätzen Veranlassung ge-
geben.Diese systematische Behandlung des inhaltlich
Zusammengehörigen bringt Forschungsresultate zur
Kenntnis, welche der nach Künstlerpersönlichkeiten
geordnete biographische Teil des Werkes nicht
zu betonen vermochte. Der Text des elften Bandes
enthält eine Reihe von Exkursen verschiedenster
Art. Einige Fragen, über die Geymüller erst im
Verlauf der Arbeit zur Klarheit gelangte, fanden
hier ihre endgültige Beantwortung. Ein Meister-
werk der Synthese ist vor allem der Abschnitt, in
dem das Vorhandensein zweier gleichzeitiger Stil-
richtungen in der Renaissancearchitektur Toskanas,
analog der Entwicklung in Frankreich, nachge-
wiesen wird, einer strengen und einer freien Rich-
tung, die gleichzeitig nebeneinander fortlaufen und
abwechseind die Oberhand gewinnen. Nicht minder
beachtenswert ist ein anderer Exkurs über die
Bedeutung der Dekoration in der Architektur der
Renaissance, ein Aufsatz, in dem Geymüller zeigt,
daß von den drei Hauptgebieten und wichtigsten
Ausdrucksformen der Baugesinnung jener Zeit,
Kirchenbau, Palastbau und architektonische De-
koration, letztere die höchste Stufe erreicht hat.
Besonders reich an geistvollen Beobachtungen ist
schließlich der Exkurs über den Ideal- und Phantasie-
bau mit seinen Beigaben wenig bekannter oder un-
edierter Zeichnungen Filaretes, Sangallos und an-
derer. Hier offenbaren die Künstler der Renaissance
Baugedanken, die erst Jahrhunderte später verwirk-
licht worden sind. Einige Turm- und Pyramidendar-
stellungen Filaretes, die zwischen 1460 und 1466 ent-
standen sind, erinnern an die modernsten amerikani-
schen Wolkenkratzer und eine der Stufenpyramiden
zeigt Vorbilder für ähnliche Bauten bei Du Cerceau.
Während des Fortschreitens der Drucklegung
stellte sich die Notwendigkeit einiger Berichtigungen
und Nachträge heraus: Stegmann hatte geglaubt,
auf Grund des bekannten Holzmodells von 1489
den Palazzo Strozzi Giuliano da Sangallo zuweisen
zu müssen, während als sein Urheber Benedetto
da Majano anzusehen ist, dessen Zeichnung genau
mit dem ausgeführten Bau übereinstimmt. Dem
entsprechend hat Geymüller nachträglich eine
Anderung vorgenommen. Die Monographie über
Leon Battista Alberti ist durch Stegmann von
einem Gesichtspunkt aus behandelt worden, der
im Widerspruche steht zu Geymüllers Ansicht und
zu den Meinungen der neueren Albertiforscher.
Geymüller hat daher in einem Nachtrag das Wirken
Albertis und sein Verhältnis zu Bernardo Rossel-
lino richtig beleuchtet. Erst nach dem Tode Steg-
manns wurde die Frage der Entstehungszeit des
Tabernakels Donatellos an Or San Michele lebhaft
erörtert, eine Frage, deren Beantwortung für die
Geschichte der Ornamentik der Renaissance von
ganz hervorragender Bedeutung ist. Auch zu
197
diesem Problem hat Geymüller in einem Nach-
trage Stellung genommen.
` Zum SchluB noch einige Zahlenangaben úber
den Umfang des Werkes. Es enthilt im Ganzen
668 Blätter, von denen 298 doppelseitig auf den
Text mit 340 Abbildungen in Zeichnung und
271 Abbildungen in Lichtdruck entfallen. Die
Zahl der Tafeln beträgt 370 (darunter 29 Doppel-
tafeln), von denen 162 in Kupferstich und 208 in
Lichtdruck hergestellt sind. Auch einige ziffern-
mäßige Angaben über die Herstellungskosten
werden von Interesse sein. Es haben laut freund-
licher Mitteilung der Verlagsanstalt erfordert:
Honorare der Herausgeber М. 92 141.—
8 „ Kupferstecher „ 45 106.—
Photographische Aufnahmen . „, 30125.—
Lichtdrucke . . . . . . „, 29 9325.—
Kupferdrucke . . . . . . . „„ 7875.—
Lithographien . e e e e y 2450.—
Buchdruck und Klisches . . . „ 19 210.—
Anzeigen, Prospekte, Spesen, Reisen „ 45 000.—
M. 271 832.—
Für diese Summe hätte man ein recht stattliches
Gebäude aufführen können. Die Einnahmen aus
dem Verkauf des Werkes bleiben hinter den Aus-
gaben um ein Beträchtliches zurück, auch die
Honorare der Herausgeber sind mit M. 92000
außerordentlich niedrig angesetzt, wenn man be-
rücksichtigt, daß sie sich auf fast dreißig Jahre
verteilen und daß ein kolossales Arbeitsquantum
dafür geleistet worden ist. Es haben eben alle
Beteiligten Opfer bringen müssen, um die Durch-
führung einer Arbeit zu ermöglichen, die ein Bei-
spiel dafür bildet, daß wir Deutschen auch einmal
die materiellen Interessen hintansetzen können,
wenn es gilt, ein ideales Ziel zu erreichen. Die
Verlagsanstalt F. Bruckmann in München, die in
hochsinniger und großartiger Weise die gewaltige
Last auf sich genommen und nach Überwindung
großer Schwierigkeiten das Unternehmen siegreich
zu Ende geführt hat, darf zu diesem Erfolge auf-
richtig beglückwünscht werden. Walter Bombe.
D. PEDRO DE MADRAZO: Catálogo
de los cuadros del Museo del Prado.
X. edicion. 454 S. 100 Phototypien, 112
facs. Signaturen. — Madrid 1910. J. La-
coste — 11 Ptas.
Zum ersten Mal liegt nun in einem Band ein Ver-
zeichnis der Gemálde des Pradomuseums vor. Der
Katalog wird jedem Kunsthistoriker nicht nur deshalb
unentbehrlich sein, weil er sämtliche Gemälde der
Galerie anführt, sondern weil seit letztem Jahr
198
dank einem überaus pfiffigen Einfall des Direktors
die ganze Nummerierung geändert ist. Soweit
die Tätigkeit der Direktion bei diesem Katalog
sonst in Frage kommt, steht sie auf gleicher Höhe
wie die erwähnte Leistung. Madrazos Arbeit war
für seine Zeit (1872 erschien die erste Ausgabe
der italienischen und spanischen Gemälde) wirklich
erstaunlich und bewundernswert. Inzwischen ist
aber die Kritik weitergeschritten. Doch darauf
nimmt die jetzige Galerieleitung keinerlei Rück-
sicht. Nicht einmal die Biographien der spa-
nischen Meister sind genau. Bei Greco liest
man immer noch das unrichtige Todesjahr 1625,
wo doch schon längst der 7. April 1614 als Todes-
datum bekannt ist. Bei Ribera ist Geburts- wie
Sterbejahr falsch angegeben. Erfreulicherweise
sind wohl einige Signaturen verzeichnet; bei vielen
Bildern findet man jedoch nur den lakonischen
Bescheid Firmado (wo doch oft neben dem
Künstlernamen die Jahreszahl zu lesen ist!), bei
einer noch größeren Anzahl aber fehlt überhaupt
jeglicher Hinweis auf die Signatur!
Die wenigen Umbenennungen sind recht un-
glücklich. Nr. 288 steht sicher Giorgione äußerst
nahe, was selbst die anerkennen, die das Bild
nicht dem Meister selbst geben wollen; aber nie-
mals ist es ein Pordenone. Das (signierte!) Bild
von Leal Nr. 1161 wird angezweifelt! Dagegen
figurieren 1080 ebenso wie 1087 noch immer als
Originale von Ribera, und Nr. 1637 ,,Die eherne
Schlange“ noch immer als signiertes Werk des Ru-
bens, wo schon längst die Signatur als gefälscht und
van Dyck als Autor erwiesen ist. Nr. 2094 möchte
ich eher fiir eine Arbeit des ,,Meisters des sterben-
den Cato“ wie des Honthorst halten. Die von
Justi und auch von nambhaften spanischen Kunst-
historikern als Arbeiten Antonio del Castillo’s
erkannten Bilder Nr. 951—056 figurieren noch
immer lustig als Werke des Pedro de Moya. Er-
götzlich wirkt auch die Bemerkung, der Ildefons-
altar von Rubens befinde sich noch in der Belve-
deregalerie zu Wien. Dies eine kleine Blútenlese.
Ebensosehr nun wie diese „Tätigkeit“ der
Galerieleitung zu tadeln ist, muß man die Leistung
des Herausgebers anerkennen. Der Druck ist gut,
das Format äußerst handlich, die vielen Abbil-
dungen geschickt gewählt und klar, soweit es bei
dem Format möglich war. Bemerkt sei noch,
daß Lacoste nun beinahe sämtliche Gemälde der
Galerie aufgenommen hat, was umso mehr zu
begrüßen ist, als bisher die anderen Photographen,
selbst Anderson nur eine kleinere oder größere
Auswahl der Sammlung getroffen haben.
August L. Mayer.
JOSEF ZEMP unter Mitwirkung vón
ROBERT DURRER: Das Kloster St.
Johann zu Miinster in Graubiinden.
—Mitteilungen der Schweizer Gesellschaft
für Erhaltung historischer Kunstdenkmäler.
Neue Folge УП. Genf 1910. Verlag von
Atar, A.-G.
Diese Lieferung, die dritte des Werkes selbst,
schließt eine Arbeit ab, welche an Gründlichkeit
des Textes sowie an Reichhaltigkeit und Ge-
nauigkeit ihres Bilderschmucks schlechthin muster-
giltig ist.
Bietet auch die Geschichte des Klosters, die hier
vom Jahre 1500 bis zur Gegenwart geführt wird,
keine Höhepunkte mehr, wie sie die karolingische,
romanische und gotische Periode brachte, so geht
doch keine Zeit ganz leer aus, so daß wir die
seltene Gelegenheit haben, das lückenlose Wachsen
eines solchen Komplexes über die Jahrhunderte zu
verfolgen. Die Methode der Verfasser, die rein
historische und die kunsthistorische Entwickelung
ineinander zu wirken, erweist sich hier als beson-
ders glücklich, wo alles darauf ankommt, eben
dieses organische Werden lebendig zu veranschau-
lichen. Malerei und Plastik bleiben diesmal zurück,
aber die Innenarchitektur läßt manches gute Stück
an Türen, Decken und Möbeln sehen.
Was den Grund zu der reichen Publikation
gegeben hat: die karolingischen und auch die
gotischen Funde, das kommt in dieser Lieferung
in einem anhängenden Kapitel noch einmal zur
Sprache. Denn seit dem Erscheinen der ersten
beiden Hefte (1906 und 1908) sind diese Funde
beträchtlich vermehrt worden und haben damit die
Möglichkeit einer besseren Deutung geboten. Zu-
dem hat Zemp die karolingischen und gotischen
Fresken abgelöst und nach Zürich in das Schweizer
Landesmuseum gebracht. Damit erst haben sich
photographische Aufnahmen anfertigen lassen,
welche teilweise die früher nach Aquarellen ge-
gebenen Abbildungen glücklich ersetzen.
Noch ist der Schatz der Kirche an Fresken nicht
ganz gehoben. Aber er ruht unter der Tünche
einer 1878 vorgenommenen Renovation, und es
wird einer neuen Renovation bedürfen, um ihn
ans Licht zu fördern. Diese glänzende Publikation
ist geeignet, den Stein ins Rollen zu bringen.
Franz Lanndsberger.
SCHEGLMANN, DR. SYLVIA, Versuch
einer Entwicklungsgeschichte der
Deckenmalerei in Italien vom XV.
bis zum XIX. Jahrhdt. Straßburg, Heitz,
1910 (Zur Kunstgeschichte des Auslandes,
Heft 80), SS. УШ, 48, 6 Tafeln.
Der Titel reizt die Wißbegier — ein höchst
interessantes Thema und dabei auf 48 Seiten zu-
sammengedrängt. Es müßte ein Genuß sein, das
zu lesen! Man wird leider nur zu grausam ent-
täuscht, denn die objektiven Resultate, die die
Schrift bringt, bestehen zum größten Teile aus
den Forschungen, die die Verfasserin im Burck-
hardtschen Cicerone und — im Handbuch von
Lübke-Semrau angestellt hat. Mindestens ein
Viertel des Buches besteht aus aneinandergereihten
Zitaten aus diesen und einigen wenigen anderen
Autoren. Von neuen Resultaten bringt das Buch
weniger, als man von einer mittelmäßigen Seminar-
arbeit verlangen darf.
Danach würde es sich also erübrigen, von dieser
Arbeit überhaupt Notiz zu nehmen, wenn nicht
zwingende methodische Gründe vorhanden wären,
die Schrift schärfer ins Auge zu fassen. Es handelt
sich nämlich darum, wie die Verf. subjektiv
zu den von ihr behandelten Dingen steht. Über-
haupt scheint sie mehr Gewicht darauf gelegt zu
haben, darzustellen, wie sie die Entwicklung sieht,
als neue Forschungsergebnisse mitzuteilen. Und
in dieser Hinsicht ist es geradezu unfaßbar, wie
tief und fest noch heute der klassizistische Dog-
matismus eingewurzelt ist. Gerade in den letzten
Jahrzehnten haben sich die besten Köpfe in der
Kunstwissenschaft bemüht, mit dem dogmatischen
Wortgeklingel von der ewigen und nachahmens-
würdigen Schönheit und Harmonie der Antike und
der Renaissance und ähnlichem Unsinn aufzu-
räumen, sie haben es versucht, die Kunstwissen-
schaft aus den Fängen einer doktrinären normativen
Ästhetik zu befreien und sie auf wirklich wissen-
schaftliche, d. h. objektive Grundlagen zu stellen,
sie haben uns gelehrt, nicht nach dem zu schauen,
was etwa sein sollte oder könnte oder müßte,
sondern danach zu forschen, was war und ist;
und da kann noch heute ein Buch geschrieben
und gedruckt werden, das in klassizistischem Eigen-
dünkel und Besserwissen die Kunstschriften vom
Ende des XVII. Jahrhunderts weit hinter sich
läßt! Um in exemplo zu zeigen, wie die Verf.
sich zu dem überaus komplizierten und schwierigen
Probleme stellt, d. h. wie sie sich dazu nicht
stellt, sondern kurzerhand den gordischen Knoten
zerhaut, sei hier ein Passus aus dem Vorwort mit-
geteilt (р. УШ): „Der Deckenmalerei im allge-
meinen wird immer etwas Unnatürliches und Kunst-
widriges anhaften, trotz der Decke der Sixtina und
199
der Domkuppel zu Parma. Aber selbst die Zweck-
mäßigkeit überhaupt und den hohen Wert mancher
dieser Werke insbesondere zugegeben, möchte
ich doch wenigstens die schwer auf den Beschauer
lastenden historischen Szenen gerne missen; selbst
die idealen allegorischen Szenen wirken oft uner-
triglich. Figürliche Darstellungen gehören viel-
leicht überhaupt nicht an Decken, am wenigsten
an flache. Wenn aber dennoch solche Vorwürfe
gewählt werden, so verdient nach meinem Er-
messen die gewöhnliche Vorderansicht und die
strenge Komposition den Vorzug vor den künst-
lerisch verschobenen und illussionsmäßig ange-
ordneten Gruppen und Architekturen. Die irdischen
Ereignisse wirken in solchen Deckenbildern trotz
raffinierter Illusionsmittel doch nicht glaubhaft und
die himmlischen büßen durch die naturalistische
Wirklichmachung alle Würde und Hoheit ein.“
Daraus sieht man auch schon, in welches Pro-
krustesbett die Verf. die Entwicklung selbst ein-
spannt. Gerade die in der Deckenmalerei bahn-
brechenden und entwicklungsfördernden Werke
werden in Grund und Boden verdammt (selbst ein
Correggio muß sich den Vorwurf des „Virtuosen-
tums“, des „Strebens nach Effekt“, der „Ent-
würdigung des Heiligsten“ usw. (8. зо) gefallen
lassen, beim XVII. Jahrhdt. wird von einer „Krank-
heitsgeschichte der Kunst“ (S. 36) gesprochen!),
während die retardierenden, klassizistischen Werke
ihren höchsten Beifall finden. Dabei begeht sie
leider die Inkonsequenz, die Wurzeln des von ihr
verdammten illusionistischen Deckenstils, Mantegna
und Melozzo, überaus zu loben — wahrschein-
lich nur, weil ihre Gewährsmänner (Burckhardt,
Thode usw.), dies getan haben.
Auf das meritorische, d. h. auf die Darstellung
der Entwicklung selbst kann hier gar nicht ein-
gegangen werden, denn das hieße das ganze Buch
nochmals von vorne schreiben. Geradezu er-
heiternd wirkt der Zorn, in den Verf. bei der Be-
trachtung des ХУП. Jahrhunderts (von dem sie
übrigens die wichtigsten Deckenfresken überhaupt
nicht kennt) gerät; Worte wie „prahlerische effekt-
haschende Massenproduktion“, „Theatralische Bra-
vour*, „unglaubliche Oberflächlichkeit“, „gewissen-
lose Handfertigkeit“, „liederlichstes Extemporieren“,
„widersinnige Überladung der Gewölbe“ u. a. m.
(S. 35 fl.) schwirren nur so in der Luft herum.
Die Dekorationsmalerei „fristet zu Ausgang des
XVII. Jahrhunderts eigentlich nur ale Kulturgewohn-
heit (!) und Zeitvertreib (sic!) ihr Leben“ (S. 40).
Am lustigsten ist aber entschieden der Schluß des
Abschnittes über das XVII. Jahrhundert: „Lang-
sam überwindet Italien im Verlaufe des folgenden
200
Jahrhunderts durch einen inneren Gesundungs-
prozeß den verhängnisvollen Einfluß der großen
Künstler der Hochrenaissance“ (8. 41) (? 1)
Wabrlich, wenn noch mehrere solcher Bücher
erscheinen (die obendrein noch die „akademische
Beglaubigung“ im Doktortitel zur Schau tragen),
dann haben die exakten Naturwissenschaftler und
Historiker ein Recht, uns Kunsthistoriker lächelnd
über die Schulter anzusehen, wenn wir von einer
Kunst-Wissenschaft sprechen und uns auf eine
Stufe mit Wunderdoktoren und Zeitungsästhetikern
zu stellen. Oskar Pollak.
GEORG HABICH, Das Gebetbuch des
Matthäus Schwarz. Mit 22 Tafeln in
Lichtdruck. München, 1910.
Im Jahre 1520 betraute der wegen seiner Freude
an schönen Kleidern bekannte Augsburger Kauf-
mann Matthäus Schwarz den Schreiber Johannes
Mittner und den Minlaturisten N. R. mit der Her-
stóllung eines pergamentenen Gebetbüchleins, das
sich heute in der Bibliothek des Prämonstratenser-
Stiftes Schlägel in Oberösterreich befindet und nun-
mehr von Georg Habich in einer Auswahl der inter-
essantesten Blätter veröffentlicht wurde (Sitzungs-
berichte der kgl. bayr. Akademie der Wissen-
schaften, philos.-philolog. und hist. Klasse, Jg. 1910,
8. Abhandlung). Als Kenner der älteren Klein-
plastik gelang es Habich, mit Hülfe zweier auf
Narcissus Renner Illuminista geprägten Schau-
münzen die Initialen N.R. befriedigend zu erklären
und mit Renner einen neuen Meister in die Augs-
burgische Kunstgeschichte einzuführen. Auffallend
ist, daß die Malereien dieses Mannes, in dem schon
sein Vorname (der heil. Narciss hatte in Augs-
burg der heil. Afra die Taufe gespendet) ein Augs-
burger Kind vermuten läßt, durchaus im Donau-
stile gehalten sind und zwar nicht allein das Land-
schaftliche sondern auch das Porträt Schwarzens
Tafel V, 1. Man erinnert sich des Zusammen-
hanges, den seinerzeit Friedländer zwischen der
Miniaturmalerei und dem Stile Altdorfers ange-
nommen hatte. Dieser Meister ist denn auch unter
den Vorlagen, die nach alter Illuministengepflogen-
beit Renner in der gedruckten Kunst gesucht hatte,
neben Dürer, Weiditz und Cranach hervorragend
vertreten: dem Blatte VIII, 2, vor dem Habich
auf ein Vorbild in Burgkmairs Art geschlossen
hatte, ist der Altdorfer-Schnitt B.49, dem Blatte IX, a
B. 48 zugrundegelegt. Ansonsten unterscheidet
das Schwarzsche Gebetbuch sich insbesondere in
zwei Punkten von anderen Erzeugnissen seiner
r
Art und Zeit: einmal dadurch, da8 der weltliche
Einschlag, der sonst meist auf die Randeinfälle
beschränkt bleibt, hier sich ganzer Seiten bemichtigt,
auf denen der Besteller vier stadtbekannte Augs-
burger Narren abbilden ließ, und dann durch die von
Habich mit großer Sachkenntnis aufgezeigte starke
Benützung italienischer und deutscher Plaketten
für die Umrahmungen der Bilder und Textseiten.
„Mehr als bisher“, sagt Habich, „wird man neben
den italienischen Stichen die italienische Plakette
zu berücksichtigen haben, wenn die Frage nach
dem Woher transalpiner Motive auftaucht.“ Und
er macht von dieser Erkenntnis sofort die Nutz-
anwendung, indem er für eine ganze Reihe von
Motiven Dürerscher Stiche die Vorbilder aus dem
Gebiete der italienischen Kleinplastik namhaft macht.
Auf diese Ergebnisse, die man nicht leicht in
einer Arbeit suchen wird, die den Titel der vor-
liegenden trägt, sei mit besonderem Nachdrucke
verwiesen. H. Röttinger.
PAUL HARTMANN, Die gotische Mo-
numentalplastik in Schwaben. Ihre
Entwicklung bis zum Eindringen des
neuen Stils zu Beginn des XV. Jahr-
hunderts. München, F. Bruckmann 1910.
M. 36.—.
Es gehört ganz gewiß einige Entsagung dazu,
um ein Buch wie das von Hartmann in Angriff
zu nehmen. Entsagung gegenüber einem ein-
leuchtend dankbaren Stoff, wie es die Plastik
Schwabens im XV. Jahrhundert ist, der trotz
M. Schüttes gehaltvollem Buch immer noch seines
Bearbeiters harrt: statt dessen die dornige Aufgabe
zu übernehmen, die Anfänge der Monumental-
plastik auf schwäbischem Gebiete aufzuhellen —
ist wahrlich aus mehr als einem Grunde eine
rühmliche Tat. Erst hierdurch werden Bearbeiter
der Ulmer Bildhauer-Schulen des XV. Jahrhunderts
ein sicheres Fundament für ihren Bau gelegt finden.
Denn aus der undankbaren Aufgabe ist in der
Ausführung Hartmanns ein völlig selbständiger
Wert geworden.
Die Selbstbeschränkung des Verfassers geht aber
noch weiter, als der Titel ahnen läßt. Er be-
zeichnet zwar die Quellen der schwäbischen Gotik
genau, aber er verzichtet auf jede nähere Durch-
führung von Einflüssen und Verwandtschaften in
Frankreich und Deutschland. Obwohl er genau
informiert ist, resigniert er; und seine Absicht
geht nur auf eine einfache Beschreibung der histo-
rischen Stilentwicklung in einem Kreise der durch
die Namen: Gmünd, Augsburg, Rottweil, Ulm und
Eßlingen, vollkommen erschöpft ist. Und dennoch,
und obgleich diese Dinge mit wenigen Ausnahmen
künstlerisch unter dem Durchschnitt bleiben, muß
man gestehen, daß es wenige kunsthistorische
Werke gibt, die einen so zwingenden und einen
so eleganten Eindruck machen, und bei denen die
Geringfügigkeit des Gegenstandes kein Hinderungs-
grund für ihre Bedeutung ist. Wenn wir Hart-
manns Analysen lesen, so glauben wir an seine
„Helden“ und glauben doch auch zugleich, daß
niemand weiter davon entfernt ist, sie für Helden
ohne Anführungszeichen zu halten als er selbst.
Diese objektive Betrachtungsart, die in dem Kreis
der für sich bestehenden Kunstwerke bleibt und
sie allein gegeneinander abwägt, ist vielleicht frucht-
bringender für die ästhetische und historische Kunst-
schätzung als die eigentlich kunsthistorische De-
duktion mit dem Nachdruck auf den Beeinflussungen.
Wenigstens dann, wenn die Untersuchung so klar
und analytisch geführt wird und die Logik der
Beweisführung so durchsichtig ist wie hier. Es
ist erstaunlich, wie viel Individuelles noch bei an-
scheinend so gleichartigen Stücken von dem strengen
Stil, ja der Manier der lokalen frühgotischen Plastik
dabei zutage gefördert wird. Als Gewinn trägt
man von der Lektüre des Buches eine wesentlich
andere Einschätzung solcher Werke davon; unser
Auge ist wieder für einige Nuancen schärfer ein-
gestellt worden.
Hartmann unterscheidet drei Schulen in der
schwäbischen Plastik des XIV. Jahrhunderts. Alle
werden in gleicher Weise von außen her importiert
und stempeln damit Schwaben zu einem Kolonial-
lande in künstlerischer Beziehung. Die Rottweiler
und die Gmünder Schule kommen über Straßburg
(Westfassade) von Frankreich her, die Ensinger-
schule hingegen geht von Sluter aus. Der pro-
vinziale Charakter Schwabens zeigt sich sehr auf-
fällig darin, daß alle Schulen nach den wenigen
Arbeiten der führenden Meister aus dem Westen
rasch verwildern; und erst von der Ensingerschule
in Ulm geht ein so bedeutender Geist von neuem
hochqualifizierten Realismus aus, daß hier die Blüte-
zeit des XV. Jahrhunderts anknüpfen kann. Es
ist nicht anders, auch in dem anscheinend un-
persönlichen Betriebe der bürgerlichen Gotik gibt
erst die große Persönlichkeit den Ausschlag: wie
Ulrich von Ensingen die Ulmer zu dem größten
Bauwerke Schwabens unter seiner Führung mit-
reißt, so ist er es, der die ersten Skulpturen vom
künstlerischen Rang in Schwaben überhaupt ent-
stehen läßt, jene hochbedeutenden Archivolten-
figuren der sitzenden Apostel im Ulmer Haupt-
201
portal, die man erst jetzt, in musterhaften Licht-
drucken kennen lernt.
Zur Rottweiler Schule, die ca. 1330—1350
blúht, záhlen als fiihrende Arbeit die Propheten-
statuen am Siidportal des Rottweiler Kapellen-
kirchturms, dann die feineren Statuen ebendort,
das Nordportal des Augsburger Doms, die Madonna
und die kleinen Portale am Langhaus der Gmúnder
Kreuzkirche sowie die Ostteile der Liebfrauen-
kirche in Eßlingen (Marientympanon). Die
GmünderSchule umfaßt die ganze zweite Hälfte
des XIV. Jahrhunderts. Der Meister ist hier der
des Südportals an der Kreuzkirche zu Gmünd
(Chor), mit der originellen Schöpfungsgeschichte
(das Meiste jedoch von Gesellenhand ausgeführt);
Schulwerke sind das Nordportal dort, das Süd-
portal das Augsburger Domes und die 4 Neben-
portale des Ulmer Münsters nebst dem Tympanon
des Hauptportals. Der dramatische Erzählungs-
stil dieser Werke geht wohl direkt auf Peter Parler
zurück; der malerische Einfluß in den Reliefs
stammt aus französischen Miniaturen. Die En-
singerschule endlich hat zwischen 1395 und
1420 die sitzenden Apostel, die vorderen Pfeiler-
figuren, die Statuen an der Stirnwand der Vorhalle
sowie die an den Strebepfeilern des Chors am
Ulmer Münster gearbeitet, endlich die Tympana
am Südwest- und Westportal der Frauenkirche zu
Eßlingen.
Hohes Lob verdient die Ausstattung des Werkes,
die ihm die Verlagsanstalt Bruckmann angedeihen
ließ. Mit Unterstützung der Straßburger Uni-
versität und der Württembergischen Staatsregierung
ist aus dem stattlichen Foliobande mit seinen
28 lose beigelegten Lichtdrucktafeln das monu-
'mentale „Korpus der schwäbischen Plastik von
1330—1420“ geworden, das Hartmann vorschwebte.
Es wäre zu wünschen, daß eine derartig vornehme
Ausstattung auch anderen Zweigen deutscher Kunst
zuteil würde, die es vielleicht mehr verdienten!
Paul Ferd. Schmidt.
К. ODONOGHUE, Catalogue of En-
graved British Portraits preserved
in the department of Prints and
drawings in the British Museum.
Vol П D—K London: gr. 8%: тото.
Obwohl der Verfasser sich mittlerweile in den
Ruhestand hat versetzen lassen und sich wahr-
scheinlich nur noch der Vollendung dieser großen
Arbeit widmet, hat es doch zwei Jahre gedauert
bis er wieder einen Band, diesen zweiten, ver-
öffentlichen konnte. Angesichts der Überfülle an
Daten und Angaben, die der Band bietet, kann
dieses Tempo einen auch nicht Wunder nehmen.
Zum verwundern dagegen ist die außerordentliche
Umsicht und Genauigkeit der Arbeit. Bei allen
Stichproben die ich machte fand ich nie einen
Mangel oder gar einen Fehler vor. So kann ich
nur all das Günstige wiederholen was ich an
dieser Stelle über den ersten Band sagen konnte,
und nochmals betonen, daß das Werk verspricht
eines unsrer gediegensten und nützlichsten Hülfs-
mittel zu werden. Da die Sammlung selbst Bild-
nisse aus den bekannten illustrierten Zeitungen
(Ausschnitte), und Reproduktionen verzeichnet,
kommt eine ungewöhnlich große Iconographie zu
Stande, und bei der gewählten Anlage des Katalogs
bildet er zugleich ein verläßliches wenn auch in
den Angaben knappes biographisches Lexikon.
H. W. Singer.
JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST-
SAMMLUNGEN.
32. Bd. Heft x:
WILHELM BODE, Jan Vermeer und Pieter de
Hooch als Konkurrenten. (2 Taf.)
AXEL L. ROMDAHL, Stil und Chronologie der
Arenafresken Giottos. (15 Abb.)
FRIDA SCHOTTMULLER, Ein unbekanntes Bild-
nis des Bartolomeo Veneto. (x Taf. u. 2 Abb.)
DETLEV FRH. VON HADELN, Beitráge zur Tinto-
rettoforschung. (1x Abb.)
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Heft x2:
SCHNUTGEN, Die Sammlung Schnütgen IX. х Taf.
J. А. ENDRES, Der Nebenraum der St. Wolf-
gangskrypta zu St. Emmeram in Regensburg.
1 Abb.
WILHELM BAUMEISTER, Die Stifter des Bartho-
lomäusaltars. 2 Abb.
H. OIDTMANN, Acht Scheiben Kölner Klein-
malerei des XVI. Jahrhunderts. 7 Abb.
JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Kunst-
schätze im Sinaikloster. 6 Abb.
DIE CHRISTLICHE KUNST.
Heft 5:
ODILO WOLFF О. 8. В. Beuroner Kunst. 1 Taf.
39 Abb.
Vergleiche dazu Der Pionier, Heft 5, Kunst-
gewerbliche Arbeiten der Beuroner Schule. 9 Abb.
FRANZ WOLTER, Die Winterausstellung der
Sezession Múnchen.
KUNST UND KUNSTLER.
Heft VI:
ERICH HANCKE, Der Nachwuchs der Berliner
Sezession.
KARL SCHEFFLER, Wilhelm Triibner. Zu seinem
sechzigsten Geburtstage. (11 Abb.)
EUGENE DELACROIX, Nicolaus Poussin.(12 Abb.)
ARTHUR HOLITSCHER, Julius Pascin. (7 Abb.)
MAURICE DENIS, Edmund CroB.
GUSTAV PAULI, Die moderne Galerie.
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
Heft 6:
PAUL SCHUMANN, Max Klingers Zyklus „Уош
Tode“. (3 Abb.)
B. SAUER, Alte und neue Niobiden. (19 Abb.)
HELMUTH TH. BOSSERT, Ein Frühwerk des
Hausbuchmeisters. (6 Abb.)
KUNST UND KUNSTHANDWERK.
Heft f: l
ALFRED WALCHER voN MOLTHEIM, Nord-
böhmische Uberfanggliser der Biedermeierzeit
(2 farb. Taf. u. 51 Abb.).
HARTWIG FISCHEL, Liselund auf Möen (6 Abb.).
CLARA RUGE, Amerikanische Kunstausstellungen.
der Saison 1909—1910 (15 Abb.).
Heft 2:
EUGEN GUGLIA, Die Besuchs- und Gelegenheits-
karten der Sammlung Figdor in Wien. (125 Abb.)
A. 8. LEVETUS, Neues von der Guild of Handi-
craft. (14 Abb.)
— aee
DER CICERONE.
Heft 4:
EDMUND WILHELM BRAUN, Die Sammlung
von Portrátminlaturen des Herrn Dr. Ludwig von
Flesch-Festau in Wien (22 Abb.).
GEORG BIERMANN, Die Konkurrenz zum Bis-
marck-Nationaldenkmal.
Heft 5:
PAUL KORB, Corot, Delacroix und Courbet. Zur
Ausstellung in der Galerie Miethke in Wien.
(1 Taf. 5 Abb.)
E. STEINMANN, Aus rómischen Kirchen. (2 Abb.)
WALTER BOMBE, Florentiner Werkstätten der
Renaissance.
— ———_
Heft 6: i
ERNST ZIMMERMANN, Dresdner Fayencen.
(11 Abb. davon 7 auf 2 Taf.)
ARCHITEKT PROF. WILHELM KREIS, Nochmals
zur Bismarck-National-Denkmal-Konkurrenz.
DIE KUNST FÜR ALLE.
Heft 14:
RICHARD BRAUNGART, Alois Kolb. (ат Abb.)
L. BROSCH, Ettore Tito. (1 farb. Taf. u. 11 Abb.)
ANZEIGER FÜR SCHWEIZERISCHE
ALTERTUMSKUNDE.
Heft т. XII. Band.
DAVID VIOLLIER, Ausgrabungen des Schweizeri-
schen Landesmuseums. V. Die gallischen Gräber
in Langdorf bei Frauenfeld (Thurgau). (Taf. 1.)
W.DEONNA, Quelques monuments antiques trouvés
en Suisse.
D. VIOLLIER, Fouilles exécutés par les soins du
Musée national. IV. Le cimetière barbare de Kaiser-
Augst.
203
J. R. RAHN, Nachbildungen des Utrecht-Psalters
auf zwei karolingisch. Elfenbeintafeln. (Taf. II. u. III.)
J. R. RAHN, Die ältesten Ansichten des Schlosses
Tarasp. (Taf. IV u. V.)
DR. E. A. GESSLER, Der Zweihänder. Eine waffen-
geschichtliche Studie mit besonderer Berúck-
sichtigung Basels. (Taf. VI.)
DR. A. ZESIGER, Der bernische Goldschmied Jacob
Wysshau 1545—1603.
ALFRED KÜHN u. PROF. PAUL GANZ, Manesse-
Codex und Rosen-Roman.
Heft 2:
PH. ROLLIER, Une marque de fabrique chez
l'artisan palafitteur. (Taf. VII.)
E. TATARINOFF, Eine prähistorische Ansiedelung
im Rinthel. (Taf. УШ.)
C. FELS, DR. TH. ECKINGER, L. FRÓHLICH,
V. JAHN, Grabungen der Gesellschaft Pro Vindo-
nissa im Jahre 1909 (und eine aus dem Jahre 1907).
DR. R. DAVID, Ein spanischer Bericht úber ein
Turnier zu Schaffhausen. (Ubersetzung.)
DR. J. L. BRANDSTETTER, Die Funde im Kloster
Rathausen 1883.
E. WYMANN, Die Anfänge der Kapelle im Götsch-
wiler zu Spiringen. (Taf. IX.)
S. MEIER, Die Ehrenbecher und Ehrengeschirre
der Städte Bremgarten und Mellingen.
J. KELLER-RIS, Johann Jacob Frey der Fayenzler
1745—1817. (Taf. X.)
Beilage: Geschenke, Ankäufe und Depositen für
das Schweizerische Landesmuseum i. Jahre 1909.
3. Heft. Aus dem Inhalt:
J. R. RAHN, Funde in der Marienkapelle des
Kloster Wettingen. (Taf. XI.)
DR. ALFRED KUHN, Die Spetzschen Miniaturen.
HANS LEHMANN, Die Glasmalerfamilie Wilder-
mut zu Biel und Neuenburg und die Glasgemälde
in der Kirche zu Ligerz. (Taf. XIL)
— meena mee
ORIENTALISCHES ARCHIV.
Heft 2:
CORNELIUS GURLITT, Die Bauten Adrianopels.
II. (21 Abb.)
OSTHAUS, Spanische Fliesenkeramik. (т Taf.,
8 Abb.)
PHILIPP WALTER SCHULZ, Die islamische
MALEREI. U.
T. J. ARNE, Monumentale Menschendarstellungen
in der mohammedanischen Kunst. (1 Taf. 6 Abb.)
J. PH. VOGEL, Der Brahmanische Opferpfosten
von 1вариг.
M. v. BRANDT, Der chinesische Fächer. (2 Taf.
9 Abb.)
OSCAR MÜNSTERBERG, Leonardo da Vinci und
die chinesische Landschaftsmalerei. (13 Abb.)
204
ONZE KUNST.
März 1911:
MAX ROOSES, De Vlaamsche Kunst in de
XVIIe eeuw teutoongesteld in het Jubelpaleis te
Brússel in тото.
3. (Schluß)-Artikel: A. Brouwer, Joost van Cras-
beeck (2 Abb.), D. Teniers (2 Abb.), Abr. Teniers,
H. v. Duyn, Gonzales Coques, Frans Snijders,
Jan Fijt (x Abb.), Jan Siberechts (т Abb.).
WALTER VAN DIEDENHOVEN, Een woordje bij
eenige bijoux van Bert Nienhuis (11 Abb.).
JAC. VAN DEN BOSCH, Over twee merkwaardige
vazen naar ontwerpen van Bert Nienhuis (2 Abb.).
REZENSIONEN: R. Piper, Das Tier in der Kunst.
W. Michel, Das Teuflische und Groteske in
der Kunst (J. Greshoff).
THE BURLINGTON MAGAZINE.
February 1911.
Leitartikel,
Galleries.
Behandelt die úberall aktuelle Frage, wie Kunst-
vermächtnisse, an die sich allerlei, oft schwierige
Bedingungen knüpfen, behandelt werden sollen.
Ein Gesetz wird vorgeschlagen, das eine Zeit-
grenze festsetzt, nach deren Ablauf die Bedingung
der einheitlichen Aufstellung einer vererbten
Kollektion hinfällig werden soll. Dafür soll
jeder geschenkte resp. vermachte Gegenstand den
Namen des Donators tragen; und keiner soll ver-
käuflich sein sondern nur dann und wann zum
Zwecke Öffentlicher Ausstellung an andere óffent-
liche Institute verliehen werden.
F. SCHMIDT-DEGENER, Two Drawings by
Andrea Mantegna in the Boymans Museum
of Rotterdam (2 Abbildungen).
G. F. HILL, Classical Influence on the
Italian Medal (2 Tafeln).
Der Artikel ist aus einem in ıgıo im Ashmolean
Museum zu Oxford gehaltenen Vortrag hervor-
gegangen. ,,Die Erkenntnis, die sich aus dem
Studium des klassischen Einflusses auf die
italienischen Münzen und Medaillen ergibt, ist
die gleiche, zu der jedes Studium der Beziehungen
zwischen einer Kunstschule und einer anderen,
älteren, von der sie, die erstere, direkt oder in-
direkt ihren Ursprung genommen hat, führen
wird: Die Nachahmung älterer Vorbilder, wird
sie über die Stufe bloßer Erziehung hinaus be-
trieben, ist für die Wahrheit und Eigenliebe der
Anschauung ebenso verhängnisvoll, wie die um-
stürzlerische Verwerfung aller Lehren, die die
ältere Kunst bietet. Die Großen werfen bald
genug das Gewicht der Vorbilder ab, das auf
ihnen lastet, die Kleinen aber werden oft von
ihm erdrückt.
LIONEL CUST, On a Porträt Drawing by
Hans Holbein The Younger (2 Abbildungen).
Kurze Geschichte des Holbeinbandes von Por-
träts berühmter Zeitgenossen am Hofe Hein-
rich VIII., die sich jetzt im Schloß Windsor
befinden. Ein Duplikat des als „Sir Charles
Wingfield“ bezeichneten Blattes befindet sich
on Bequests to Public
im Besitz des Sir John Leslie und ist hier mit
dem in Windsor befindlichen abgebildet. Es
weist kleine Abweichungen von dem letzteren
auf, wiewoh es der Hand Holbeins durchaus
würdig erscheint. Es dürfte eine spätere Version
des Windsorstückes sein.
MARTIN ALDUR, Studies in Composition
{з Abbildungen).
LUTHER HOOPER, The Technique of Greek
and Roman Weaving (1 Tafel u. 8 Abbildungen).
NOTES ON VARIOUS WORKS OF ART, u. a.
Die Entdeckung eines Rembrandtportráts, den
Johan van Echten daratellend (hier abgebildet),
das kúrzlich fiir eine kleine Summe auf einer
Londoner Auktion gekauft wurde; Abbildung eines
Gemildes (Madonnen) des wenig gekannten Lio-
nardonachahmers Francesco Napoletano, und kurze
Würdigung des Kölner Museums für ostasiatische
Kunst von Laurence Binyon.
1911. Márznummer.
ROGER FRY, On a Profile Portrait by Baldovinetti
(2 Abbildungen).
Fry sucht nachzuweisen, vornehmlich auf Grund
der Maltechnik des Bildes, daß das Porträt einer
Frau (N. 758) in der National Gallery, das im
Katalog dem Piero della Francesca zugeschrieben
wird (von Morelli und Berenson dem Paolo
Uccello) von der Hand des Alesso Baldovinetti
stamme.
SIR MARTIN CONWAY, Dürer and the House-
book Master (3 Tafeln mit 18 Illustrationen).
Der Meister des Hausbuchs, den Conway in
Straßburg gefunden zu haben glaubt und zwar
in dem „alten Manne“, dessen Porträt Dürer 1493
in Straßburg gemalt habe und der nach W. Im-
hoff „sein Meister“ gewesen sei, muß, so meint
Conway, Dürer stark, namentlich in der Land-
schaft, beeinflußt haben.
F. W. HASLUCK, Genoese Lintel-Reliefs in Chios
(2 Tafeln mit 9 Illustrationen).
С. Н. READ, Platos „Atalantis““ Re-Discovered
(x Tafel mit 4 Illustrationen).
Scharfe Abwehr gegen die „Entdeckungen“ des
deutschen Forschungsreisenden Dr. Frobenius.
DUDLEY C. FALCKE, Old Marcasite Jewellery
(1 Tafel mit 2 Illustrationen).
ALICE KEMP-WELCH, The Emblem of St. Ansano
(1 Tafel mit 3 Illustrationen).
TANCRED BORENIUS, An Unpublished Picture
by Bartolomeo Montagna (1 Taf. mit 3 Illustrationen).
. Das hier erstmals beschriebene und abgebildete
Gemälde, das man bisher als einen Carpaccio
angesehen hatte, wird hier dem Montagna zu-
gewiesen. Es stellt einen St. Hieronymus dar
und gehörte bis vor kurzem den Misses Montalba.
FRIEDRICH PERZYNSKI, Towards a Grouping
of Chinese Porcelain — Ш! (a Tafeln mit x2 Illu-
strationen).
Fortsetzung der langen Abhandlung, die im
Oktoberheft 1910 des В. М. begann.
Review and Notices. Recent Art Publications
Art in France.
THE STUDIO.
February:
W. К. WEST, Some examples of recent work
by Mr. Frank Brangwyn. A. R. A. (25 Abb. u.
3 farb. Taf.)
GEORGES BENOIT-LEVY, A Swedish sculptor,
Carl J. Eldh. (12 Abb.)
T. FIELD, The interior pictures and landscapes
of F. Н. 8. Shepherd. (7 Abb. u. 1 farb. Taf.)
ADRIAN MARGAUX,A painter of Naples: Eldoardo
Dalbono. (4 Abb.)
March: `
J. В. MAUSON, The drawings and studies of
George Belcher. (то Abb.)
PROF. JIRO HARADA, Japanese art and artists of
to-day. V. Metal-work. (19 Abb.)
PROF. MAX EISLER, Modern Dutch portrait pain-
ting, with special reference to the work of Josef
Israels. (15 Abb.)
MUSEUM.
(Revista mensual de Arte Espaqñol antiguo y
moderno y de la vida artistica contemporánea.)
Num. 1:
Le rétable disparu de Saint Antoine Abb.
М. RODRIGUEZ CODOLA, La danse de Amour.
Peintures décoratives de Mr. Joseph Marie Sert.
RICARDO AGRASOT, La civilisation actuelle et
les arts.
La collection Chauchard au Louvre.
205
DORA SCHUMANN: Die Darstellungen in
der italienischen Kunst der Renaissance.
1910. В. G. Teubner. Leipzig und Berlin.
Die Verfasserin bringt ausgehend von den litera-
rischen Quellen der Verkündigungsgeschichte,
der schlichten Erzählung im Lucasevangelium
und der reicher ausgeschmückten im Prot-
evangelium des St. Jacobus, einige literarische
Darstellungen in der italienischen Renaissance-
zeit, um dann ausführlich auf die Darstellung
der Verkündigung in der bildenden Kunst Italiens
einzugehen. Die Verfasserin bevorzugt einseitig
die Lösung und Entwicklung des Darstellungs-
problemes in der toskanischen Kunst, wo sie
fast alle Meister mit ihren Verkündigungs-
darstellungen aufzählt, zum Nachteil der übrigen
Malerschulen, die sie recht summarisch behandelt.
Auch die doch sehr wichtige und reizvolle Frage
nach den formalen Problemen und ihrer Lösung
ist nur kurz von ihr berührt worden.
Die Entwicklungsgeschichte einer bestimmten
Darstellung und ein solcher Querschnitt durch
die Kunstgeschichte ist aber jedenfalls immer
für die Erkenntnis der neuen Probleme jeder
Zeit von Nutzen und verdienstlich zu heißen.
H. 8.
Н. М. SAUERMANN, Die gotische Bildnerei und
Tafelmalerei in der Dorfkirche zu Kalkreuth. (Bei-
träge zur fränkischen Kunstgeschichte. Heraus-
gegeben von Friedrich Haack, Erlangen). Heft т.
Th. Blaesings Universitätsbuchhandlung, Erlangen.
EDUARD PLIETZSCH, Die Frankenthaler Maler.
Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der nieder-
ländischen Landschaftsmalerei. (Beiträge zur Kunst-
geschichte Nr. 36) Verlag E. A. Seemann, Leipzig.
Preis br. М. 4.—.
TH. HOFMANN, Raffael in seiner Bedeutung als
Architekt. Bd.3. Palast und Wohnbauten. Leipzig,
Gilberssche Verlagsbuchhdig. Eugen Twietmeyer.
L. DELISLE, Les Heures dites de Jean Pucelle.
Manuscrit de la collection de M. le baron Maurice
de Rothschild. Paris (Rahier).
М. SALMI, Letture Vasariane: la vita di Niccolà
di Piero, scultore e architetto aretino. Arezzo
(Gli Amici dei Monumenti).
G. SÉAILLES, Eugene Carriére: essai de bio-
grapbie psychologique. Paris (Colin) 3 fr. 50.
C. HUELSEN, Die Thermen des Agrippa. Rom,
(Loescher). Preis M. 4.—.
ALBERT BROCKHAUS, Netsuke (2. Auflage).
Versuch einer Geschichte der japanischen Schnitz-
kunst. Verlag Е. A. Brockhaus, Leipzig. М. 60.—.
J. GUIFFREY, Les peintures de la collection
Chauchard. Paris (Plon) 250 fr.
DR. NICOLAUS SPIEGEL, Die Baustile. Mit be-
sonderer Berücksichtigung des deutschen Kirchen-
baues. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn.
Preis br. М. 1.80.
GEH. RAT PROF. DR. KARL WOERMANN, Ge-
‚ schichte der Kunst aller Zeiten und Völker. Bd. 3.
Bibliographisches Institut. Preis geb. М. 17.—.
CAMILLE MARTIN, Saint-Pierre. Ancienne Cathé-
drale de Geneve. (Publication de l'Association
pour la restauration de Saint-Pierre). Librairie
Kündig, Editeur, Généve.
La basilica di Santa Maria di Castello in Genova
illustrata per cura dei Р. P. Domenicani di
Castello. Turin (Cellanza).
IV. Jahrgang, Heft IV.
Herausgeber и. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, WIS, Emeerstr. 221. / In
MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 105. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE,
Wien I, Hegelgasse 21. / In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill Lodge
Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANKREICH
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon rr. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel.
Die Monatshefte fiir Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
206
Tafel 37
Ж
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| GU | SS em
SALAMANCA, Catedral Vieja, Capilla Mayor
Zu: AUGUST SCHMARSOW, NICOLAS FLORENTINO IN SALAMANCA
M. f. K. Iv. 4
Abb. 1. VELAZQUEZ: Die Ubergabe von Breda (Madrid, Prado)
— d u
Abb. 2. RUBENS: Begegnung des Kardinalinfanten О. Fernando mit dem König von
Ungarn (Wien, Hofmuseum, etwas verkürzt)
Zu: AUGUST L. MAYER, VELAZQUEZ
M. f. K. Iv, 4
= ` mmm - EES gn = =
Tafel 39
Abb. 3. VELAZQUEZ: Detail aus der „Übergabe von Breda“
Zu: AUGUST L. MAYER, VELAZQUEZ
M.f.K.IV, 4
Tafel 40
Abb. 1. BERNARDO CAVALLINO, Abschied des jungen Tobias National-Galerie alter Kunst, Rom
Abb. 2. BERNARDO CAVALLINO, Die Vermáhlung des jungen Tobias
Sammlung Salvatore Romana: Neapel
Zu: FEDERICO HERMANIN, UBER EINIGE UNEDIERTE BILDER DES NEAPOLITANER MALERS
BERNARDO CAVALLINO
M.f.K.IV, 4
Tafel 41
Abb. 3. BERNARDO CAVALLINO, Raub der Europa Sammlung Salvatore Romana
Abb. 4. BERNARDO CAVALLINO, Erminia unter den Abb. 5. BERNARDO CAVALLINO, Erminia pflegt den
Hirten Galerie SchleiBheim verwundeten Tankred Galerie Schleißheim
Zu: FEDERICO HERMANIN, UBER EINIGE UNEDIERTE BILDER DES NEAPOLITANER MALERS
BERNARDO CAVALLINO
M.f.K.IV,4
—
DES ͤ —
м. М. т М чь чы ы М Чы, Ча. т. AA Т. Та, А, Т, а, “4, а, ча. CECR eee
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*
ERLAG KLINKHARD Te-BIERMANN LEIPZIG:
— mm fm ——
Monatshefte fur Kunstwissenschaft
Abonnementspreis halbjährlich ra M. zusammen mit dem CICERONE 18 M.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT 5
ABHANDLUNGEN
STEINMANN, J. Antoine Houdon im
GroBherzogl. Museum zu Schwerin.
Mit 18 Abbildungen auf 8 Tafeln S. 207
HADELN, Uber einige Frühwerke des
Palma Vecchio. Mit 3 Abbildungen
auf 2 Tafeln S. 224
BAUM, Zur Rekonstruktion des Ulmer
Wengenaltars S. 227
KLAIBER, Die StraBburger Kopien nach
Leonardos Abendmahl..... S. 231
LITERATUR
PIERRE BAUTIER, Lancelot Biondeel (Preibiaz)
8. 235
OSKAR MUNSTERBERG, Chinesische Kunst-
geschichte. Bd. I: Vorbuddhist. Zeit. Die hohe
Kunst, Malerei u. Bildhauerei (Perzynski) 8. 236
Я. S. DREY
Kénigi. Bayer. Hoflleferant
ERNEST A.GARDNER. Six Greek Sculptors
(Köster) .................. 8. 239
JULIUS BAUM, Romanische Baukunst in Frank-
reich (Schmidtnnꝛꝛd 8. 239
EMILE BERTAUX, L'exposicion rétrospektive
de Saragosse 1908 (Mayer 8. 240
J. von PFLUGK-HARTUNG, Kunstgewerbe der
Renaissance. 1. Bd. Rahmen deutscher Buch-
titel im 16.Jahrh. (Lüthgen) ...... 8. 240
AUGUST L. MAYER, Toledo (v. Boehn) 8. 241
Н. GEISENHEIMER, Pietro da Cortona e gli
affreschi nel Palazzo Pitti (Voss) ... S. 241
P. J. MEIER, Braunschweig. Stätten der Kultur
Bd. 27 (Schmidt 8. 242
FRITZ TRAUGOTT SCHULZ, Niirnbergs Birger-
häuser und ihre Ausstattung (Zeller). S. 242
OLGA von GERSTFELDT und ERNST STEIN-
MANN, Piigerfahrten in Italien (Sauer) 8. 243
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J. ANTOINE HOUDON IM GROSSHERZOG-
LICHEN MUSEUM ZU SCHWERIN
Mit achtzehn Abbildungen auf acht Tafeln Von ERNST STEINMANN
m 23. November 1782 langten der Erbprinz Friedrich Franz von Mecklenburg-
Schwerin und seine Gemahlin Louise nach einer vom Wetter und von den
Umständen auffallend begünstigten Reise von London kommend in Paris an. Europa
hatte damals Paris, Paris hatte Europa entdeckt!), und wer nicht wie Friedrich der
Große in der Lage war, am eigenen Hofe den Glanz französischer Kultur zu ver-
breiten und zu fesseln?), der machte sich eben selbst auf den Weg, um in Frank-
reich jene Erhöhung des Lebensgefühls zu finden, die man damals in Deutschland
vergebens gesucht haben würde. Gab es doch deutsche Fürsten wie den Herzog
Christian von der Pfalz-Zweibrücken, die ihr halbes Leben am Hofe Ludwigs XV.
verbracht haben.
Allerdings war der Aufenthalt der Mecklenburgischen Herrschaften in Paris zu kurz
bemessen, um in den Geist der Dinge einzudringen. Aber man tat in einem einzigen
kurzen Monat, was man konnte, um zu sehen und zu lernen. Paris selbst und
seine Denkmäler hoffte man wenigstens einigermaßen kennen zu lernen. Von
Welt und Menschen nahm man mit, was der Augenblick bot“).
So machten Prinz und Prinzessin den Majestäten und Mesdames de France ihre
Aufwartung in Versailles, sie besuchten den Salon der Herzogin von Polignac, sie
speisten beim Marschall von Biron — dem größten Blumenziichter in Paris — bei
dem spanischen Granden Aranda, beim Grafen Diodati, und sie besuchten die
Konzerte des Grafen d’Albaret, bei dem, wie Madame Vigee-Le Brun versichert,
die beste Musik gemacht wurde, die man damals in Paris hören konnte‘).
Das eigentliche Objekt, mit dem sich die Reisenden beschäftigten, blieb aber doch
die Stadt selbst. Es ist erstaunlich. was sie in wenig Wochen leisteten! Einer
der ersten Besuche galt jenem beriihmten Institut des enfants trouvés, dem Jean Jacques
Rousseau so groBmiitig die Erziehung seiner fiinf Kinder anvertraut hatte. Man be-
suchte alle Kirchen von Bedeutung, Notre Dame, Les Carmelites, St. Louis, St.
Sulpice, und man bewunderte in Val de grace das Meisterwerk Mignarts und in
der Sorbonne das Grabmal des Kardinals Richelieu von Girardon.
Was gab es damals aber auch nicht alles in den Palästen und Landhäusern der
Französischen Großen zu sehen! Im Palais du Luxembourg, das der König dem
(1) Marquis de Ségur, Julie de Lespinasse p. 229.
(a) „Heureux sont les hommes, qui peuvent jouir de la compagnie des gens d'esprit, plus heureux
sont les Princes, qui peuvent les posséder“, schrieb Friedrich II. an den Grafen Algarotti. Vgl.
Dom. Michelessi, Memorie intorno alla vita ed agli scritti del Conte Francesco Algarotti. Venezia
1770, p. CXI.
(3) Herr Archivrat Dr. Witte hatte die Güte mich auf das im Großherzoglichen Archiv bewahrte Reise-
journal der Frau von Rantzau aufmerksam zu machen, das in französischer Sprache abgefaßt und bis
heute völlig unbekannt geblieben ist. Das Manuskript trägt den Titel: Journal, fait par une des dames
de la suite de S. A. 8. Mme la Princesse Frédéric de Mecklenbourg du voyage quelle fit, par la
Hollande, l’Angletere, la France et l’Allemagne en 1782 et 83. Diesem fesselnd geschriebenen Reise-
bericht ist die Schilderung des Aufenthaltes der mecklenburgischen Herrschaften in Paris entnommen.
(4) Souvenirs de Mme Louise-Élisabeth Vigée-Le Brun. Notes et portraits 1755—1789. ed. Pierre
de Nolbac. Paris в. a. p. 133.
Monatshefte fir Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft s. 15 207
Grafen von Artois geschenkt hatte, bewunderte man Rubens Geschichte der Katharina
de’ Medici, im Hotel des Duc de Bourbon und im Palais Royal sah man Möbel
von einer Schönheit und Pracht, wie sie nur noch im Gardemeuble du Roi zu sehen
waren. Welch ein vornehmer Geschmack, welch ein sicherer Blick fiir Form und
Farbe gab sich aber auch in der Einrichtung der kleineren Schlösser kund! La
Bagatelle und St. Cloud, Bellevue und Trianon bedeuten noch heute für uns den
Inbegriff jener bizarren und doch so reich beseelten, jener unruhigen und doch so
unendlich beglückenden Schönheit, die das Rokoko über Europa ausgegossen hat.
In der Fabrik von Sevres machte der Prinz Einkäufe; in den Gobelins sah man,
wie die Teppiche gewebt wurden, in St. Cyre besuchte man die beriihmte Er-
ziehungsanstalt der Frau von Maintenon. Und als die Prinzessin mit ihren Damen
im Hotel des Invalides erschien, wo mehr als tausend Veteranen gerade bei Tische
saßen, erhob sich einer der alten Krieger und fragte galant und verwundert sich
an die Damen wendend: „Le Paradies est-il donc ouvert aujourdhui, que tous les
anges entrent?“
Bereits am 2. Dezember besuchten die Reisenden die Bibliothek des Königs in
der Rue Richelieu, wo damals Antoine Houdon von Ludwig XVI. ein Atelier zur
Benutzung erhalten hatte. Natürlich wurde der berühmte Meister den fremden
Fürstlichkeiten vorgestellt, die von seinen Arbeiten so entziickt waren, daß sie so-
fort die Ausführung ihrer Bildnisse in Terracotta beschlossen. War doch überdies
die Prinzessin Louise eine Cousine des regierenden Herzogs Ernst II. Ludwig von
Sachsen-Gotha, der einer der ältesten und zuverlässigsten Gönner Houdons gewesen
ist und den Meister bereits vor Jahren an seinem Hofe in Gotha bei sich gesehen hatte).
So wurde von Prinz und Prinzessin schon für den nächsten Tag die erste Sitzung
verabredet. Am то. Dezember, während der Erbprinz in Versailles beim Könige
war, verbrachte seine Gemahlin wiederum den Morgen bei Houdon. Und als
Friedrich Franz zwei Tage später seinerseits eine Sitzung hatte, war das Porträt
der Prinzessin bereits in den Grundzügen vollendet. „Au moins les traits étaient
formés et n'attendaient que la main du maitre pour se perfectioner“, schreibt Frau
von Rantzau, die Hofdame der Prinzessin.
Das sind die Daten, die uns über die EH der Biisten Aufschluß geben.
Bereits am то. Dezember verließen die mecklenburgischen Fürstlichkeiten Paris.
Im Friihjahr 1783 aber begann Houdon die Liste seiner im Salon ausgestellten
Arbeiten mit dem Eintrag: Bustes en terre cuitte du Prince et de la Princesse de
Mecklenbourg-Schwerin 2. Beide Büsten befinden sich noch heute in wohlerhaltenem
Zustande im Schweriner Museum, etwas vergrößerte Kopien in Gips werden im
Großherzoglichen Schloß bewahrt.
Durch diese Büsten Houdons hat das junge deutsche Fürstenpaar seinem kurzen
Aufenthalt in Frankreich ein würdiges Denkmal gesetzt. Denn diese Arbeiten offen-
baren alle vortrefflichen Eigenschaften des besten Bildhauers, den Frankreich um
die Wende des XVIII. Jahrhunderts aufzuweisen hatte, der es so glänzend verstand
(т) Houdons Leben und Werke. Eine kunsthistorische Studie von Dr. Hermann Dierks. Gotha
1887, р. 24.
(а) Vgl. Paul Vitry, Une liste d'oeuvres de J. A. Houdon, redigée par l'artiste lui-même vers 1784.
Extrait des Archives de l'Art francais, Nouvelle periode Tom I (Paris 1908) S. А. p. 15. Ich fühle
mich Monsieur Paul Vitry, Conservateur au Musée du Louvre, dem besten Kenner Houdons, fir viele
freundliche Hinweise, die mir vor allem auch die Identifizierung der Bústen erleichterten, zu größtem
Danke verpflichtet.
208
in seinen zahllosen Porträtbüsten bei den Männern den Charakter, bei den Frauen
die Anmut und bei den Kindern die naive Unschuld zum Ausdruck zu bringen.
Der Herzog erscheint in Uniform mit Stern und Band des Diinischen Elefanten-
ordens (Abb. 1). In diese jugendliche Stirn hat die Zeit allerdings noch keine Furchen
gegraben, diesem Kopf hat das Leben noch nichts von seinen dunklen Sorgen und
Geheimnissen aufgeprigt. Aber wie fein ist die Bildung der Kopfform umrissen,
wie sicher ist die Zeichnung der scharfblickenden Augen und des leichtgeöffneten
Mundes ausgefiihrt, wie untriiglich ist in Haltung und Physiognomie die Vornehm-
heit der Geburt zum Ausdruck gebracht!
Feiner noch im Detail scheint das Porträt der Prinzessin Louise ausgeführt (Abb. 2).
Vielleicht hat sie mehr Sitzungen im Atelier über sich ergehen lassen als der Ge-
mahl, vielleicht brachte der Künstler aber auch unbewußt in diesem Porträt die
besondere Stellung der Frau in der damaligen Gesellschaft von Paris zum Aus-
druck, die eigentlich in Kunst und Leben den Ton angab, die Männer beherrschte
und erst durch die Revolution entthront wurde. Die Anordnung des Haares sowohl
wie die Drapierung des Gewandes über der einfachen Spitze überraschen durch
ihre Schlichtheit. Me Bertin, die einst allmächtige Modistin der Königin, hatte
den Zenith ihres Ruhmes bereits überschritten, und Marie Antoinette gab nicht
mehr Unsummen für eine einzige Toilette aus. Die extravaganten Coiffuren en
Hérisson und А lIphigénie waren schon damals den einfacheren Haartrachten à
Enfant und à la Captif gewichen!*). Die Freude an prächtigen Toiletten, an
glänzendem Schmuck und üppigen Haartrachten war ihrer Majestät nur allzuschnell
vergällt worden. „C'est ici le siècle de la simplicité“, schreibt die fein beobachtende
Hofdame der Prinzessin in ihr Tagebuch, „jamais les femmes ne lont été
davantage!“
Was Wunder also, wenn Houdon aus diesem Frauenbildnis jede Convention
verbannte, wenn er sich bestrebt zeigt, vor allem die natürliche Anmut und Frische
einer schönen jungen Frau zum Ausdruck zu bringen? Die äußerst lebendig aus-
geführten Haare umschließen die hohe Stirn wie ein duftiger Kranz, die Augen
blicken weitgeöffnet in die Ferne, ein Zug von Melancholie und Herzensgüte ver-
leiht dem Munde einen eigentümlichen Reiz. Man meint, die Psyche dieser Frau
sei dem Künstler in der Tat als ein höchst fesselndes Problem erschienen“).
Zum Glück begnügte sich der Thronfolger Mecklenburgs nicht damit, sich selbst
und die Prinzessin von Houdon porträtieren zu lassen. Es gelüstete ihn vielmehr
darnach auch von anderen Werken des Meisters wenigstens gute Kopien zu be-
sitzen®). Denn jedermann wußte, daß Houdon auch die Gipsabgüsse seiner Originale
(1) Henri d'Almeras, Les amoureux de la Reine Marie-Antoinette. Paris в. a. р. 100ff.
(2) Die Tonbüste der Prinzessin trägt den Stempel Houdons aus rotem Wachs: Académie royale de
peinture et sculpture. Houdon sc. Die Tonbüste des Prinzen steht auf einem Fuß von dunklem
afrikanischem Marmor. Sie trägt außer dem Stempel noch die Bezeichnung Houdon 1783. L. Gonse
(Les chefs-d’oeuvres des Musées de France, Paris 1904, р. 124) behauptet, das rote Wachssiegel sei
den Büsten Houdons erst für die Auktion in seinem Atelier i. ]. 1828 aufgedrückt worden. Dann
müßten fast sämmtliche Schweriner Büsten erst i. J. 1828 erworben sein, was wenigstens bei den
Büsten des Prinzen und der Prinzessin ausgeschlossen ist.
(3) Das Museum besitzt heute außer den Porträts des Herzogs und der Herzogin vierzehn Büsten
Houdons. Von diesen sind zwölf — so scheint ев — von den Herrschaften damals selbst bestellt und
ausgewählt worden. Zwei Büsten dagegen — die des Lavoisier und des Duc de Nivernais sind erst
später entstanden und müssen daher später von Schwerin aus noch nachbestellt worden sein. Sämmt-
liche Büsten sind vor 40 Jahren etwa mit einer häßlichen Tonfarbe überstrichen worden, die neuer-
209
eigenhändig zu überarbeiten pflegte und sie so ganz als selbständige Wiederholungen
seiner Arbeiten betrachtete, daß er sie häufig auch mit der Signatur seines Namens
versah!). So erhielten auch die überdies stets in beschränkter Anzahl ausgeführten
Kopien das Ansehen und den Wert von Originalen. Mehr als ein Dutzend solcher
terrakottafarben getönter Gipsabgüsse sind damals zum Schmuck des Schweriner
Schlosses erworben worden. Sie bilden noch heute einen auffallend wenig bekannten
Schatz des Schweriner Museums.
* S +
„Оп m'a arraché de Paris, et on m'a arraché le coeur“, schrieb der Abbé Galiani
am 3. Februar 1770 verzweifelt an Me d’Epinay, 9 Monate nachdem er aus Neapel
den Befehl sofortiger Rückkehr in die Heimat erhalten hatte). Es gab damals
eben in Europa keine Stadt, in der man leben konnte wie in Paris, und es hat
wohl überhaupt nur selten in der Geschichte der Völker eine so allgemeine Kultur,
einen solchen Reichtum geistiger Interessen in der „Gesellschaft“ gegeben, wie da-
mals in den Salons der französischen Hauptstadt. Nicht nur die Sittenlosigkeit und
die Frivolität, die Blasiertheit der Vornehmen und der Egoismus der Besitzenden
verdienen betont zu werden. Der Aufwand geistiger Kräfte in den bescheidensten
Salons, die Produktivität der Gelehrten, Künstler und Literaten, die Anmut, Klugheit
und der fast unbeschränkte Einfluß der Frauen auf alle Gebiete des Lebens — alles
das erscheint als ein viel selteneres Phänomen. Niemals wieder haben sich geistige
Kräfte und gesellige Talente so harmonisch verbunden, niemals vielleicht ist die
Aristokratie geistreicher und der Geist aristokratischer gewesen als unter den Re-
gierungen der beiden letzten Könige Frankreichs vor der Revolution. „Man vermag
sich nicht vorzustellen“, schreibt Madame Vigée-Le Brun, „was die Gesellschaft in
Frankreich damals war, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Waren die Geschäfte
des Tages beendet, dann versammelten sich zwölf oder fünfzehn angenehme Leute im
Salon einer Dame, um hier den Abend zu beschließen. Die Leichtigkeit des Ver-
kehrs, die natürliche Heiterkeit, eine besondere Art von Vertraulichkeit und Intimität
gaben diesen einfachen Mahlzeiten einen Zauber, den große Diners niemals haben
können. In solchen Soupers, aus denen die Teilnehmer als Leute von Geschmack
und Takt jegliche Gene zu verbannen wußten, zeigte sich die Gesellschaft von
Paris der ganzen übrigen Gesellschaft Europas weit überlegen“ ).
Sicherlich hat ein so einfach bürgerlicher Mann wie Jean Antoine Houdon — der
dings entfernt wurde. Die ursprüngliche Tönung fand sich überall mehr oder weniger gut erhalten
noch vor.
(x) Vgl. Herrmann Dierks, Houdons Leben und Werke. Gotha 1887, р. 25 In dieser sorgfältig ge-
arbeiteten wenn auch noch äußerst lückenhaften Studie werden die Schweriner Arbeiten Houdons nicht
erwähnt. Sie müssen dem Verfasser völlig unbekannt geblieben sein.
(a) Vgl. Wilhelm Weigand, Der Abbé Galiani р. 14. Ähnlich drückte sich Prinz Heinrich, der Bruder
Friedrichs des Großen, beim Abschied dem Duc de Nivernais gegenüber aus, nachdem er im Jahre 1784
zum erstenmal Paris erlebt und genossen hatte: „J’ai passé la moitié de ma vie a desirer voir la
France; je vais passer l'autre moitié à la regretter.“ Vgl. Paul Seidel, Die Kunstsammlungen des
Prinzen Heinrich, Bruders Friedrich des Großen im Jahrb. d. kgl. preuß. Kunstsmig. XIII (1892) p. 59.
In dieser gehaltvollen Studie (p. 63) hat Seidel auch auf die Bedeutung der bis dahin völlig
unbekannten Schweriner Houdon-Sammlung hingewiesen. Die beiden Büsten im Besitz des Kaisers,
die Seidel publiziert hat, sind inzwischen von Vitry als Duc de Nivernais und Madame de Sabran
identifiziert worden.
(3) A. a. О. р. бо.
210
Sohn eines Weinhändlers und späteren Portiers an der Ecole royale des éléves
protégés — niemals den Anspruch erhoben, in den Salons von Paris eine Rolle zu
spielen. Aber schon als Freund d'Alemberts mußte er sich in engster Berührung
fühlen mit den führenden Geistern der Zeit. Und daß er sich der hohen Aufgabe
bewußt war, der bunten Welt, die ihn umwogte, das bleibende Denkmal zu setzen,
bekennt er selbst mit Worten, die nicht oft genug wiederholt werden können: „Un
des plus beaux attributs de lart si difficile du statuaire est de conserver avec toute
la vérité des formes et de rendre presque impérissable l'image des hommes, qui
ont fait la gloire ou le bonheur de leur patrie. Cette idée m’a constamment suivi
et encouragé dans mes longs traveaux“?).
Wenige Bildhauer aller Zeiten aber haben die einmal erkannte Mission so ziel-
bewußt durchgeführt wie Houdon; wenige sind durch Schicksal und Umstände in
gleicher Weise begünstigt worden?) Weil eben Paris damals das Herz Europas
war, so boten sich dort einem tüchtigen Künstler von selbst die reichsten inter-
nationalen Beziehungen dar. In Rom hatte Houdon glückliche Jugend- und Lehr-
jahre verbracht; hier hat er sich sogar in der Statue des h. Bruno in S. Maria
degli Angeli ein Denkmal gesetzt’). An den Höfen der Kaiserin Katharina von
Rußland, Friedrichs II. von Preußen und des kunstsinnigen Herzogs Ernst Ludwig
von Sachsen-Gotha wurde er durch seine Freunde, die Enzyklopädisten, und vor
allem durch Diderots Berichte über die Pariser Salons eingeführt. Für die Aus-
führung der Statue Washingtons endlich auf dem Kapitol von Richmond, die ihn
etwa drei Monate lang in Amerika festhielt, war der Künstler durch die Amerika-
nische Gesandtschaft in Paris den Ständen Virginiens empfohlen worden.
Aber nicht nur weil die französische Kultur damals Europa beherrschte, sondern
auch weil das Schicksal ihm Zeit ließ, zu voller Reife und harmonischer Ausge-
staltung seiner Kräfte zu gelangen, ist Houdons Name unsterblich geworden. Unter
Ludwig XV. begann er seine Laufbahn, unter Ludwig XVL erreichte er, vom Hofe
verhältnismäßig wenig begünstigt, den Gipfel seines Ruhmes. Er sah die fran-
zösische Revolution, und er erlebte Napol&ons Größe und Fall‘). Als er endlich hoch-
bejahrt am 15. Juli 1828 starb, hatte er mehr gesehen und erfahren als vielleicht
je ein Künstler vor ihm und nach ihm. Und er, der bereits als Sechsunddreißig-
jähriger nicht weniger als dreißig Werke seiner Hand im Salon 4. ]. 1777 ausstellen
konnte, durfte auch behaupten mehr gearbeitet zu haben als sie alle.
Die Gesichtspunkte, welche für die mecklenburgischen Herrschaften bei der Aus-
(1) Abgedruckt sowohl bei Dierks als auch bei Seidel nach A. de Montaiglon et G. Duplessis, Houdon
sa vie et ses ouvrages in der Revue universelle des Arts I u. II 1855, p. 420.
(2) Die denkbar vollständigste Bibliographie Houdons findet sich bei Lami, Diktionnaire des sculpteurs
de L'École francaise, Paris 1910. Tom. I, р. 435 und 436.
(3) Dagegen ist die Statue Johannes des Täufers, die einst in Gips ausgeführt dem h. Bruno gegen-
über die heute leere Nische schmückte, spurlos verschwunden. Dierks scheint diese Statue noch ge-
sehen zu haben. Vgl. a. a. O. p. 17. Als einzige Reliquie dieses Jugendwerkes muß daher der Gips-
abguß vom Kopf des Täufers im Gothaer Museum gelten. Ich verdanke der Güte des Herrn Geheimrat
Purgold in Gotha die Aufnahme der Houdon-Schitze im dortigen Museum, die weniger bekannt sind,
als sie es verdienen. Bei einem flüchtigen Besuch der Bibliothek der Villa Medici in Rom sah ich
dort eine Büste, an der ich alle Eigentümlichkeiten von Houdons Stil zu erkennen glaubte.
(4) Eine Terrakottabüste Ludwigs XV. von Houdon befindet sich im Musée de 1’Ecole des Beaux-
Arts in Paris, eine Marmorbüste Ludwigs XVI. in Versailles (Vgl. L. Gonse, La sculpture francaise, p. 242 u.
р. 247). Eine besonders schöne Terrakotta Napoléons v. J. 1806 bewahrt das Museum von Dijon.
(Vgl. Gonse, Chefs d'oeuvre, р. 155.)
211
wahl der Biisten in Houdons Atelier maßgebend gewesen sind, können wir heute
noch mit einiger Sicherheit nachweisen. Sie geben uns von Geschmack und Geistes-
richtung des jungen Fürstenpaares eigentlich eine höchst schmeichelhafte Vorstellung,
wenn wir sehen, daß vor allem die Koryphäen französischen Geistes der Ehre teil-
haftig werden sollten, das Schloß der Ahnen in Schwerin zu schmücken. Mit
zwei Ausnahmen — soweit sich die Entstehungszeit überhaupt feststellen läßt —
sind alle Porträts vor dem Jahre 1782 entstanden — ein untrügliches Zeichen, daß
die Auswahl tatsächlich von den Reisenden selbst im Atelier des Meisters getroffen
worden ist. Daß Katharina II. — einst eine kleine deutsche Prinzessin, damals
längst die mächtige Herrscherin des großen russischen Reiches — in die Wahl
mit eingeschlossen wurde, versteht sich von selbst. Außer ihr aber begegnen uns
keine Mächtigen der sichtbaren Welt, wohl aber Mächtige des Geistes: Moliere
und Lafontaine, Voltaire und d’Alembert, Buffon und Lavoisier, Gluck und sogar
Jean Jacques Rousseau. Dazu gesellen sich noch zwei oder drei Kinderbildnisse
und endlich die Porträtbüsten des Duc de Nivernais und einer unbekannten vor-
nehmen Frau. Es wird gewiß die Mühe lohnen, diese einzigartige Porträtgalerie
Bild für Bild zu betrachten. Wie viel Menschengeist und Menschenschicksal spricht
zu uns aus diesen ausdrucksvollen Köpfen! |
Da die Zeitfolge der Werke Houdons bis zum Jahre 1783 durch seine eigenen
Aufzeichnungen ziemlich sicher feststeht, so diirfte gerade bei den Schweriner
Biisten, die fast alle bis zu diesem Jahr entstanden sind, die chronologische An-
ordnung jeder anderen vorzuziehen sein.
Sdmtliche Biisten — mit zwei Ausnahmen — sind entweder mit dem Stempel
Houdons versehen (Académie royale de peinture et sculpture. Houdon sc) oder sie
tragen seine Namensbezeichnung mit dem Datum.
KATHARINA IL VON RUSSLAND. 1773. (Abb. 3.)
Die Kaiserin erscheint mit dem Diadem auf dem sehr einfach coiffirten Haar.
Sie trägt die Kette des Andreasordens. Der Wurf des Mantels, der die Schultern
der Junonischen Frau bedeckt, verrát noch eine gewisse akademische Unfreiheit.
Auch im Ausdruck des Kopfes entdecken wir nichts von jener spontanen Frische,
von jener untriiglichen Wiedergabe des inneren Wesens durch die duBere Form,
die sonst Houdons Werke auszeichnen. Ein huldvoll-konventionelles Lácheln soll
die fehlende Beseelung des Porträts verbergen. Houdon hatte die Kaiserin eben
niemals gesehen.
In dem von Paul Vitry herausgegebenen handschriftlichen Katalog des Meisters
findet sich zu dieser Büste unter Nr. 37 folgender Eintrag: Un buste en marbre
de lVimpératrice de Russie pour M* le Comte de Stroganof. Diese Marmorbüste
wurde im Jahre 1773 im Salon in Paris ausgestellt und gehört — nach einer gütigen
Mitteilung des Baron E. v. Liphart — noch heute zum Majoratsbesitz der Grafen
Stroganow in St. Petersburg. Sie wurde bereits im Jahre 1781 nach einer Zeichnung
von Greuze von Gaucher gestochen. Außer dem Schweriner Gipsabguß ist keine
einzige Kopie dieser Büste bekannt. Bezeichnet mit dem Stempel Houdons. Alter
Katalog Nr. 266.
Über Houdons Beziehungen zu Katharina von Rußland vgl. Dierks a. a. O. p. 26
und p. 47. Houdons Arbeiten in Rußland, die ziemlich zahlreich sind, wurden im
Juniheft 1908 der Zeitschrift Staryje Gody von G. Verestschaginn im Zusammen-
hange behandelt. Vgl. auch Lami a. a. O. p. 415.
212
PORTRAT EINER UNBEKANNTEN DAME. (Abb. 4.)
Gerade zu Anfang seiner Laufbahn — Ende der sechziger und Anfang und Mitte
der siebziger Jahre — hat Houdon eine ganze Reihe von Porträts schöner und
vornehmer Frauen ausgeführt. Auch die hohe und kunstreiche Haartracht läßt
darauf schließen, daß dies Porträt ein Frühwerk Houdons ist.
Eine Identifizierung der Büste wird so lange unmöglich sein bis man nicht ein
zweites Exemplar gefunden hat. Bis heute ist die Schweriner Büste — früher
fälschlich als Porträt von Marie Antoinette bezeichnet — ein Unikum.
Schönheit, Jugend und jene vornehme Grazie, die der Frau der französischen
Gesellschaft des XVIII. Jahrhunderts eigentümlich war, vereinigen sich in dieser
Büste. Um die Aufmerksamkeit des Beschauers ganz auf den Kopf zu konzentrieren,
hat der Künstler die Gewandung so einfach und schmucklos wie möglich behandelt.
Gipsbüste, bezeichnet mit dem Stempel Houdons. Alter Katalog Nr. 265. Vgl.
über die Frauenporträts Houdons vor allem P. Уйгу a. a. О. p. 5—8.
GLUCK. 1775. (Abb. 5.)
„Seit vierzehn Tagen denkt man und träumt man in Paris nichts anderes als
Musik. Musik ist der Gegenstand aller unserer Dispute und Unterhaltungen, die Seele
aller unserer Soupers. Es würde lächerlich erscheinen, wollte man für irgend etwas
anderes Interesse bezeugen. Auf eine politische Frage antwortet man Euch mit
einer Harmonie, auf eine Reflektion über Moral mit einer Arienmelodie, als Antwort
auf eine Frage über Racine oder Voltaire bittet man Euch über die Wirkung des
Orchesters nachzudenken, in dem schönen Rezitativ Agamemnons. Muß ich nach
allem diesen noch hinzufügen, daß es die Iphigenie des M. le chevalier Gluck ist,
die an aller dieser Aufregung schuld ist?“ So schrieb im April 1774 Grimm in
seiner literarischen Korrespondenz, die alle Potentaten Deutschlands lasen.
Und es ist in der Tat erfrischend zu sehen, wie sich der nordische Genius kiinst-
lerisch, gesellschaftlich und menschlich damals in der Oper, in den Salons und in
der öffentlichen Meinung von Paris zu behaupten verstand. Nichts vermochte den
deutschen Meister aus der Fassung zu bringen; die alten Götter der Opéra Francais
Lulli und Rameau sahen sich ebenso durch den fremden Eindringling bedroht wie
die italienische Musik der Jumelli, der Piccini, der Zacchini. Und in den vornehmen
Salons der Herzoginnen und Marquisen erhob sich naiv und unbefangen Glucks
bildhübsches Töchterlein und sang mit frischer Stimme: „Ich bin ein teutsches
Mädchen!“
Und diese Gluck-Sensationen kehrten jahrelang in der Hauptstadt Frankreichs
periodisch wieder. „Jai répandu des larmes“ schrieb Julie de Lespinasse im
Oktober 1774 nach der Aufführung des Orpheus, „mais elles étaient sans amertune
Ah! quel art charmant! Quel art divin!“ Noch im Frühling 1779 beschäftigte die
Rivalität der Gluckisten und der Piccinisten ganz Paris.
Natürlich drängte sich alle Welt um diesen neuen Stern, und die besten Künstler
stellten sich in den Dienst seiner Unsterblichkeit. Greuze hat vielleicht niemals
wieder ein so vortreffliches Porträt gemalt wie das Bildnis Glucks, daß der Louvre
bewahrt. Und Houdon hat sich in der Darstellung dieser kraftvollen Genialität,
die ihm so ganz andere Probleme bot als die subtilen Typen einer überreifen Kultur,
selbst übertroffen. Glucks Physiognomie war mit Pockennarben über und über bedeckt.
Der Künstler konnte sie nicht unterdrücken, aber er benutzte sie geschickt zur Versinn-
lichung eines derben Charakters, und er schwächte den Eindruck äußerlich ab, in-
213
dem er den Rock, ja sogar die kräftigen Haarlocken des Meisters mit einem breiten
Strichmuster versah. Alles ist Natur und Genialitát in diesem Kopf, keine Perriicke,
keine Ordenssterne, keine schön drapierten Mäntel! Aber um den schmalen Mund
liegt ein Zug eiserner Energie, und das Auge schweift mit kühnem Adlerblick über
die Menschen hinweg.
Schon im Jahre 1775 war ein Gipsmodel der Gluckbüste im Salon ausgestellt,
und das gleiche Datum trägt die bronzierte Büste in der Bibliothek zu Weimar.
[Bez. Houdon sculpteur du Roy 1775]. Das Original in Marmor wurde zwei Jahre
später fertig und verbrannte im Jahre 1873. Eine Kopie befindet sich im Louvre.
Einen terrakottafarbenen Gipsabguß besitzt auch das Kaiser-Friedrich-Museum in
Berlin.
Das Exemplar in Schwerin (Alter Katalog Nr. 269) trägt den Stempel ohne Be-
zeichnung. Vgl. Grimm а. a. O. III, 161 und V, ı fl. Vitry a. a. O. p. 9, N. 54. Ségur,
Julie de Lespinasse p. 275. Seidel a. a. O. p. 63. Lami I, 417. In Mannlichs
Memoiren р. 253ff. finden sich weitere Literatur-Angaben über Glucks Aufenthalt
in Paris.
VOLTAIRE. 1778. (Abb. 6.)
„Fils d'Apollon, Homére de la France“, hatte Friedrich der Große den Patriarchen
von Ferney besungen. Und als solcher wurde Voltaire auch von seinem eigenen
Volke anerkannt als er im Februar 1778 in Paris erschien, um dort in erhabener
Pose angesichts jener Welt zu sterben, die ihn bereits als Unsterblichen vergötterte.
Die Auftührung seiner letzten Tragödie Irene löste beim Publikum einen Enthusiasmus
aus, wie ihn die Zeitgenossen in der Comedie francaise überhaupt noch nicht erlebt
hatten. Aber das langsam erlöschende Licht dieses Geistes ernährte sich nur müh-
sam noch von den Flammen der Begeisterung, die ihn umrauschte, und nur mit
größter Anstrengung war es Houdon gelungen, den totkranken Mann zu einigen
Sitzungen zu bewegen. Aber Voltaire war finster, gelangweilt, müde und das Feuer
des Genius schien in seinen Augen bereits für immer erloschen. Der Künstler war
verzweifelt. Da ersann der Marquis von Vieilleville eine kleine List, über die er selbst
wie folgt berichtet: „Mir kam der Gedanke“, so schreibt dieser glühende Verehrer und
Schatten des Philosophen, „zur letzten Sitzung den Kranz mitzubringen, mit welchem
Voltaire in der Comédie Francaise angesichts einer ungeheueren Volksmenge ge-
krönt worden war. Ich ließ Herrn Houdon wissen, daß ich mich auf ein gegebenes
Zeichen auf die Plattform stürzen würde, wo Voltaire zu sitzen pflegte, um ihn
mit dem Lorbeer zu schmücken. Sicherlich — so sagte ich ihm — werden sich
die Züge in diesem Augenblick beleben, und Ihr werdet diesen Blitz ergreifen und
ihn in Eurem Werk in Leben, Geist und Wahrheit verwandeln. Und es gelang
mir in der Tat, mein Plan auszuführen. Aber kaum hatte die Krone dies ehr-
würdige Haupt berührt. als mich der Meister mit jenem ehrfurchtgebietenden An-
stand von sich wies, der ihn nie verließ.
„Was tust du?“, rief er aus, „wirf den Kranz auf mein Grab, das sich schon
geöffnet hat.“ Dann erhob er sich. „Adieu Phidias“, sagte er zum Künstler. Und
weiterschreitend und auf meinen Arm sich stützend fügte er hinzu: „Gehen wir
sterben!“
Wenige Tage später war der Philosoph verschieden, und es war Houdon, der
ihm die Totenmaske abnahm.
Die Früchte dieser dramatischen Sitzung sind uns nicht nur in der berühmten
214
Statue des Théatre francais sondern auch noch in zwei Biisten erhalten, die hiufiger
vervielfältigt wurden als alle anderen Porträts des Meisters. Die Statue Voltaires,
die ursprünglich für die Akademie bestimmt war, wurde der Öffentlichkeit im Salon
i. J. 1781 vorgestellt. Die Büsten tragen beide die Jahreszahl 1778. Einmal er-
scheint Voltaire als Franzose mit Perrücke und malerisch drapiertem Mantel um
die Schultern; das andere Mal als Römer mit einem kahlen Kopf in antiker Ge-
wandung. Als Kunstwerk ist der Römer dem Franzosen vorzuziehen. Das Abbild
Voltaires aber, wie es der Mitwelt erschienen war und bei der Nachwelt lebendig
blieb, gibt die Büste mit der Perrücke mit besonderer Treue wieder. Hier finden
wir in der Charakteristik die scharfen Akzente und die Pose des berühmten Mannes,
ohne die Voltaire nicht zu denken ist.
Das Schweriner Museum besitzt die Büste mit der Perrücke im AbguB. (Stempel
Houdons ohne Bezeichnung. Alter Katalog Nr. 268.) Das Original in Marmor ver-
ehrte Friedrich der Große im Jahre 1781 der Akademie der Wissenschaften in
Berlin. Im Museum zu Gotha bewahrt man den Kopf der Statue im Théatre
francais und außerdem die Büste Voltaires in römischer Konsulartracht.
Vgl. über die letzte Sitzung Voltaires bei Houdon: Jules Guiffrey, Les Caffieri
Paris 1877 p. 279. Grimm, Correspondance littéraire Paris 1812 Tom. IV p. 220 ff.
Uber Houdons Statue und Büsten Voltaires: Oeuvres completes de Diderot. Paris
1876 Tom. XII p. 68; Dierks, Houdons Leben und Werke p. 43 u. p. 62 ff.; Seidel,
Die Kunstsammlungen des Prinzen Heinrich a. a. O. p. 64. Vitry, Une Liste
d' oeuvres de J. A. Houdon (Extrait des Archives de l'Art francais, Nouvelle période I
(1908) p. 9 n. 56 p. 11 n. 58 bis p. 13 n. 82. Besonders eingehend handelt über
die verschiedenen Kopien der Voltaire-Büsten — allerdings ohne die Exemplare in
Gotha und Schwerin zu kennen. — Lami, Dictionaire des sculpteurs Paris 1910 I, p. 419.
Hier sind auch die Bronzen in der Ermitage (Kopf und Hals ohne Körper) und die
Statuette bei M. Bulitschew їп St. Petersburg nicht erwähnt.
MOLIERE. 1778. (Abb. 7 u. 8.)
Voltaire selbst hat Moliére als den besten komischen Dichter aller Nationen ge-
priesen. Über beide Dichter sprach d'Alembert im Jahre 1779 in der Märzsitzung
der Akademie vor einem dicht gedrängten Publikum. Er führte aus, wie diese
beiden Männer der Menschheit gelehrt hätten, durch die Philosophie weiser und
glücklicher zu werden, und wie sie erfolgreich die schlimmsten Geißeln der Mensch-
heit bekämpft hätten: den Fanatismus und die Heuchelei.
Schon vorher hatte d'Alembert die Büsten der Beiden der Akademie zum Ge-
schenk gemacht. Es waren Arbeiten Houdons, und im Sitzungssaale selbst auf-
gestellt, verliehen sie den Worten des Redners die lebendige Kraft der Gegenwart.
Unter der Büste Molières las man die Worte:
Rien ne manque а sa gloire; il manquait а la nótre.
Bereits im September 1776 war eine Marmorbiiste Moliéres von der Comédie
Francaise bei Houdon bestellt worden, und dort befindet sich das Original noch
heute. Als die Biiste im Friihjahr 1778 im Salon ausgestellt wurde, rief sie all-
gemeine Bewunderung und vielfache Deutungen hervor. Die Kritiker erklärten:
„So muß der Vater der Komödie ausgesehen haben. Jeder wird sagen: Das ist
Molière!“ Houdon ließ das Lob der Ähnlichkeit und der Technik seiner Arbeit
gelten. Gegen alles, was man sonst von seinen Intentionen sprach, erhob er als
echter Künstler Einspruch.
215
Houdon bewies feinen künstlerischen Takt, als ег den Dichter, den er nie gesehen,
wie einen Jüngling darstellte. So gab er den Frühdahingegangenen in unzerstörbarer
Jugend seinem Volke zurück.
Von den zahlreichen Kopien, die auch von dieser Büste vorhanden sind, verdient
das Exemplar in Gotha besondere Erwähnung, weil es im Ausdruck nicht mit dem
Marmor übereinstimmt. Die Augen erscheinen kleiner und blicken schärfer. Das
Gesicht erscheint schmäler. Ein feiner sarkastischer Zug spielt um den Mund.
Das Schweriner Exemplar (Alter Katalog Nr. 267, gestempelt und ohne Be-
zeichnung) wurde augenscheinlich nach dem Original der Comédie Francaise ab-
gegossen.
Vgl. Guiffrey, Les Caffieri p. 282. Grimm. Correspondance litteraire IV, p. 363.
Dierks a. a. O. p. 42. Lami р. 419. Voltaire, Siécles de Louis XIV et de
Louis XV (Paris 1820) IV, р. 358. Уйгу a. a. О. р. 9 u. 55. L. Gonse, Les chefs-
d’oeuvre etc. p. 267.
JEAN JACQUES ROUSSEAU. 1778. (Abb. 9 u. то.)
Um die Mitte des XVIIL Jahrhunderts schrieb der große König von Preußen an
seinen Freund Algarotti: „Die Menschen, welche Geist besitzen, erscheinen mir
wie himmlische Wesen im Vergleich zu jener verächtlichen Heerde der Sterblichen,
welche nicht denken. Mir ist es ein Glück, mich mit solchen erlesenen Geistern
auszutauschen, die ganz Geist sein würden, wenn sie nicht eben auch einen Körper
hätten.“ Und fast zu derselben Zeit ließ sich Jean Jacques Rousseau in seinem
discours sur l'inégalité wie folgt vernehmen: „Wenn die Natur uns bestimmt hat,
gesund zu sein, so wage ich fast zu behaupten, daß der Zustand der Reflektion
ein Zustand gegen die Natur ist und daß der Mensch, welcher denkt, ein entartetes
Geschöpf ist.“
Auf solche Paradoxa baute der Mann seinen Ruhm auf, den man das Schicksal
Frankreichs am Ausgang des XVIII. Jahrhunderts nennen kann, dessen gefährliche
Weisheitssprüche von Mund zu Mund getragen die Seele des Volkes vergifteten.
Und wie man ihn haßte und liebte, wie man ihn bewunderte und lächerlich fand,
so ist er sich auch selbst ein Widerspruch gewesen. Und solch ein Widerspruch
kommt auch in dem seltsamen Bilde zum Ausdruck, das Houdon nach der Toten-
marke, Rousseaus entwarf, die er selbst im Sommer 1778 in Ermenouville ab-
genommen hatte’).
Madame d’Epinay, die ihres Liebhabers Physiognomie genau studiert haben mußte,
behauptete — allerdings zu einer Zeit als sich ihre Liebe längst in Haß verwandelt
hatte —: „Wenn er gesprochen hat und wenn man ihn betrachtet, so scheint er
sehr gut auszusehen, denkt man aber an ihn zurück so stellt man sich ihn immer
häßlich vor*).“ Und nicht weniger charakteristisch ist die Diskussion zweier anderer
Damen über die Physiognomie des berühmten Mannes. „Trotz seines Gesichtes“,
erklärte die eine — denn er ist häßlich, obwohl M™ d’Epinay behauptet, daß er
hübsch sei — trotz seines Gesichtes sagen seine Augen, daß die Liebe im Roman
seines Lebens eine große Rolle gespielt hat. „Nein“, fiel die andere ein, „seine
Nase sagt mir, daß er eitel ist.“
1) Dierks a. a. О. р. 44.
(2) Jules Lemaitre, Jean-Jacques Rousseau p. 109.
216
„Nun wohl, lassen wir das eine und das andere Selten?
La Tour hat in seinem Pastel im Musée de Saint-Quentin den Verfasser des
Contrat social tatsächlich als einen schönen und liebenswiirdigen männlichen Typus
mit weiblichem Einschlag dargestellt). Aber Houdon hat das Charakter-Problem
dieses seltsamen Mannes, der mit zynischer Offenheit bekannte, es mache ihm
Freude, denen wehe zu tun, die ihm wohlgetan hätten, augenscheinlich viel tiefer
aufgefaßt. Das Museum zu Gotha besitzt den Kopf mit schlichtem Haar ohne
Perriicke. Das Museum in Schwerin besitzt die sorgfältig ausgeführte und eigen-
händig überarbeitete und bezeichnete Büste mit jener altmodischen runden Perrücke,
über die die Zeitgenossen spöttelten seit Rousseau den tiefsinnigen Ausspruch getan
hatte: „Wir brauchen Pouder für unsere Perrücken, das ist der Grund weil die
Armen kein Brot haben.“
Houdons Büste von Rousseau ist der Popularität des Dargestellten entsprechend
häufig kopiert worden. Die Abgüsse und Terrakotten sind bald 1778 bald 1779
gezeichnet. Auch Prinz Heinrich von Preußen hat die Büste Rousseaus in Reins-
berg aufgestellt. Sie befindet sich heute im Schloß zu Potsdam.
Das Schweriner Exemplar trägt die Bezeichnung Houdon 1778 (Alter Katalog
Nr. 173) mit dem Stempel. Verglichen mit der Büste in der Ecole des Beaux-Arts
in Paris erscheint es feiner durchgearbeitet. Die Falten um die Augen, auf der
Stirn und um den Mund sind schärfer akzentuiert und geben dem Kopf ein älteres
Ansehen.
Vgl. Уйгу а. a. O. p. хо Nr. soft Lami a. а. O. I p. 421 und 22. Dierks р. 44
und 45. Seidel a. a. O. р. 65.
D'ALEMBERT. 1778. (Abb. 11.)
Auch von d’Alembert hat Latour ein Pastell gemalt, von dem sich wenigstens
noch die Skizze im Museum von Saint-Quentin erhalten hat. Hat Abbé Galiani
vielleicht das gleiche Porträt im März 1769 an den Marchese Tanucci nach Neapel
gesandt? In dem Schreiben, welches dies Gemälde begleitete?), heißt es wie folgt:
„Er ist nicht groß, er hat ein fröhliches Gesicht und äußerst angenehme Manieren.
Er gleicht keinem Franzosen, er hat vielmehr die Fehler und die Vorzüge der
Italiener. Er ist zum Beispiel niemals gut gekleidet und immer schlecht frisiert.
Er ist der Sohn von M™ de Tencin, der Schwester des Kardinals. Der Vater ist
unbekannt. Seit mehreren Jahren wohnt er zusammen mit Melle de Lespinasse,
einer vornehmen Dame mit sehr viel Geist und Talent, die ihn aber niemals
heiraten wollte. Alle Welt verehrt und bewundert diese Frau, die in ihrem Salon
die beste Gesellschaft von Paris empfängt. Man unterhält sich, man diskutiert,
man spricht von Tagesneuigkeiten und von neuen Büchern. Hier, und nur hier
und immer hier begegnet man d’Alembert. In Neapel würde man sagen, sie seien
heimlich verheiratet; hier verliert man keine unnützen Worte.
Obgleich er ziemlich menschenscheu ist, genießt doch d’Alembert als recht-
(х) Dumont-Wilden, Le portrait en France in der Bibliotheque de l'Art du XVIIe siècle. Bruxelles
1909 р. 76 u. 77.
(2) Auf Veranlassung von David Hume malte Allan Ramsay schon im Jahre 1766 ein Porträt Rousseaus
in England. Vgl. Segur a. a. O. p. 242 Anm. 2. Eine Büste Rousseaus, die Lemoyne im Jahre 1768
ausgeführt hatte, stiftete Caffiéri im Dezember 1791 in die Comédie-Francaise. Vgl. J. Quiffrey a. a. O.
p. 355 u. 356.
(3) Vgl. Marquis de Ségur, Julie de Lespinasse р. 538.
217
schaffener Mann und zuverlässiger Charakter die allgemeinste Achtung und Liebe.
In seiner Unterhaltung beobachtet man die Offenheit und den feinen Witz der
Italiener und nichts von der pedantischen Affektiertheit, mit der sich die kleinen
französischen Berühmtheiten umgeben.“
Neun Jahre früher hatte d’Alembert in einer launigen und geistreichen Skizze sein
Selbstporträt entworfen’). Acht Jahre später unternahm es Houdon, das Bild des
Freundes in Marmor auszuhaun. Was könnte fesselnder sein als eine Untersuchung,
wie sich die Psyche dieses Mannes in seinen Zügen ausprägt, als ein Vergleich der
Beschreibungen Galianis und d'Alemberts mit der Büste Houdons? D’Alembert
bekennt, daß sein Gesicht für gewöhnlich einen ironischen und boshaften Ausdruck
habe. Aber er glaubt doch, seine Toleranz rühmen zu dürfen. Er stellt weiter
das Prinzip auf, daß ein Gelehrter sehr acht geben müsse auf das, was er schreibt,
ziemlich acht geben müsse auf das, was er tut und wenig acht zu geben brauche
auf das, was er sagt. Er nennt sich in schönem Paradoxon einen Sklaven der
Freiheit und behauptet, daß es ihm nie gelungen sei, den Wert von Würden und
Titeln zu begreifen. Er nimmt für sich die Heiterkeit des sorglosen Kindes und
` die Melancholie eines Mannes in Anspruch, der tiefer Empfindungen fähig ist.
Betrachtet man Houdons Büste im Spiegel dieser Worte und jener Galianis, so
muß es uns gelingen im Bilde des Künstlers Zug für Zug die Skizze des Schrift-
stellers wiederzufinden. Aber die feine Ironie und das freundliche Lächeln scheinen
in Schmerz erstarrt zu sein, und die natürliche Heiterkeit der Jugend ist von der
Melancholie des Alters völlig überschattet worden. Als Houdons Büste entstand
war d’Alembert vereinsamt.
„Es gibt keinen unter den ‚unglücklichen Savoyardenknaben in Paris“, hatte
Grimm wenige Jahre früher berichtet, „der so viele Gänge, so mannigfache Aufträge
auszuführen hat, wie der erste Geometer Europas, das Haupt der Enzyklopädisten,
der Diktator unserer Akademien jeden Morgen für Melle de Lespinasse erledigt?).“
In jenen von Leidenschaft und Liebe tief erregten Monaten, die dem Tode der
Freundin vorausgingen, schenkte ihr D’Alembert sein Bild und schrieb dazu die
schwermütigen Verse:
De ma tendre amitié ce portrait est le gage
Qu'il soit dans tous vos maux votre plus ferme appui,
Et dites quelquefois, en voyant cette image:
De tous ceux que j'aimai, qui m'aima comme lui?
Als Julie de Lespinasse gestorben war suchte auch Friedrich der Große den
Untróstlichen zu trösten. Er schrieb zwei lange Briefe hintereinander: „Wenn es
mir gelingen würde, Euch Trost zu spenden, so würde ich so froh sein als wenn
ich eine Schlacht gewonnen hätte).“
Es gibt Menschen, denen das Schicksal alles gegeben zu haben scheint, nur um
ihnen alles nehmen zu können. Es gibt aber auch Menschen, denen das Schicksal
nur das gewährt, was anderen begehrenswert erscheinen muß, um ihnen unbarm-
herzig das zu versagen, was ihnen selbst einzig und allein das Glück bedeuten
würde. Die ersten werden auch im Verlust noch den Neid der Menschen erregen:
(х) Porträt de d'Alembert fait par lui-même en 1760. Vgl. Joseph Bertrand, D'Alembert. Paris
1889 p. 187 ff.
(2) Segur a. a. O. p. 355 und p. 506. Niemand hätte den Lebensroman von Julie de Lespinasse
fesseinder darstellen können als es der Marquis de Segur getan hat.
(3) Grimm, Correspondance littéraire III, 326.
218
Wer gab ihnen das Anrecht gliicklich zu sein? Die anderen aber werden sich vor
dem Mitleid der Menschen hiiten miissen. Ein solcher Mann mit seltsam tragischem
Geschick, der ohne jede pathetische Pose ein gebrochenes Herz und ein zerstörtes
Glück mit sich herumgetragen hat, ist d'Alembert gewesen. Und als ein solcher
erscheint er uns auch in Houdons Meisterwerk.
Die Biiste d'Alemberts ist nur in ganz wenigen Exemplaren erhalten: man nahm
bisher an, daß das Marmororiginal in der Ermitage in St. Petersburg bewahrt
werde. Nach einer giitigen Mitteilung des Barons von Liphart aber hat man bis
heute in der Ermitage die Büste Buffons fälschlich d'Alembert genannt. Eine
Kopie des also, wie es scheint, verlorenen Originals in Marmor befindet sich in
Versailles. Eine Terrakotta und ein Gipsabguß tauchten in den Jahren 1795 und
1802 auf Pariser Auktionen auf, sind aber verschollen.
Das Schweriner Exemplar (Alter Katalog Nr. 178) ist bezeichnet: Houdon 1778.
Vgl. Lami a. a. O. I, 416, der fälschlich das Entstehungsjahr 1775 angibt. Dierks
а. a. О. p. 51 weiß zu berichten, als Houdon selbst im Todesjahr d'Alemberts 1783
seine Büste in die Akademie stiftete. Vgl. auch Vitry a. a. O. p. 11 Nr. 63, wo
die Büste in Houdons handschriftlichen Notizen unter 1779 aufgeführt wird.
MADAME ROYALE, DUCHESSE D’AUGOULEME (?) 1780. (Abb. 12.)
Lami erwähnt (a. a. O. 425) in seinem Katalog eine Büste der Tochter Marie-
Antoinettes „a läge de 3 ans, en robe décolletée“. Bezeichnet: Houdon 1781.
Diese Büste war 1894 in der Galerie Sedelmeyer in der Ausstellung von Marie-
Antoinette zu sehen. Sie gehörte damals einer M™ Lelong. Die Schweriner Büste
eines kleinen Mädchens — besonders sorgfältig ausgeführt — trägt die Bezeichnung
1780 (Alter Katalog Nr. 125). Unterschiede in der Bezeichnung von einem Jahr
kommen auch sonst bei Houdon vor 2. В. bei den Biisten d’Alemberts, Buffons und
Lafontaines.
Es ist also möglich, daß die Schweriner Büste — auch das ausgeschnittene
Kleidchen läßt darauf schließen — mit der Büste von M™* Lelong identisch ist.
Daß sich die mecklenburgischen Herrschaften für dies Kind besonders interessierten,
erscheint uns sofort natürlich, wenn wir in der Reisebeschreibung der Frau von
Rantzau lesen, daß ihnen Madame Royale von Marie-Antoinette selbst vorgeführt
wurde. Ein Vergleich der Schweriner Büste mit dem drei Jahre später entstandenen
Porträt von M”* Vigée Lebrun in Versailles (Le Dauphin et Madame royale) dürfte
unsere Hypothese bestätigen. Doch gilt es vor allem noch die Schweriner Büste
mit dem Exemplar bei Mme Lelong zu vergleichen. Reizende Mädchenporträts
Houdons besitzen auch die Marquise de Ganay und die Ermitage in Petersburg.
Vgl. Les Arts 1909. VIII, p. 17.
BUS TE EINES KLEINEN MÄDCHENS. (Abb. 13.)
Diderot (Oeuvres complétes ed. Assézat XII, 69) beschreibt im Salon vom
Jahre 1781 die Büste eines Kindes von 8—g Jahren: „Diese Büste macht Freude.
Das Gesicht ist überaus weich und sehr zart modelliert. Die Haare sind sehr
leicht behandelt.“
Vielleicht darf man die Gipsbiiste des Schweriner Museums mit der von Diderot
beschriebenen identifizieren, die heute verschollen zu sein scheint und deren Original
sich einst bei M. Girardot de Marigny befand.
Der Schweriner Abguß ist ohne Stempel und Bezeichnung. Er führte aber
im alten Katalog (Nr. 254) den Namen Houdon.
219
BUSTE EINES BABYS. (Abb. 14.)
In Houdons handschriftlichem Katalog wird unter Nr.27 aufgeftihrt: Buste en tere (sic!)
d'un enfant de М. le vicomte de Noyalles. (Уйгу a. a. О. р. 6.) Ob das Kind
des Vicomte de Noailles — so wird der Name zu lesen sein — mit der Schweriner
Büste zu identifizieren ist, wagen wir natürlich nicht zu entscheiden. Auch Louis-
Claude Vassé hat ein Baby mit einem Kopftuch dargestellt wie Houdon. Die Büste
besitzt Mr Jacques Doucet in Paris. Vgl. Les Arts П (1905) September р. 18.
Die Schweriner Gipsbüste (Alter Katalog Nr. 21) trägt den Stempel Houdons.
BUFFON. 1781. (Abb. 15.)
Es ist Buffon, der das Wort geprägt hat: Le stile c'est "homme.
Friedrich Franz von Mecklenburg und seine Gemahlin besuchten auch das natur-
historische Museum des Grafen Buffon und waren entziickt von der Herrichtung.
Kein Wunder also, daß sie auch das Porträt des berühmten Naturforschers zu be-
sitzen wiinschten’).
Im Jahre 1785 besuchte Mme Vigée Lebrun den großen Gelehrten. „Ich war
anfangs erschrocken tiber die Strenge seiner Physiognomie“, schreibt sie. Aber als
er mit uns zu sprechen begann vollzog sich eine Veränderung seines Gesichtes.
Seine Ziige belebten sich so sehr, deB man in der Tat in seinen Augen die Blitze
des Genius leuchten sah (a. a. О. р. 131).“ Buffons Büste gehört zu Houdons
Meisterwerken. Der Künstler hat diesen Kopf wohl selbst deßwegen „une tete А
antique“ genannt, weil er die Büste unter dem Halse abgeschnitten hatte. Der
umgeschlagene Hemdkragen läßt den muskulösen Hals völlig frei. Aber auch in
der Physiognomie selbst glaubt man eine seltsame Verbindung von antiker Größe
mit französischem Pathos zu entdecken.
Der Schweriner Abguß der Büste Buffons (A. Katalog Nr. 177) trägt die Be-
zeichnung: Houdon 1781. Im Handschriftlichen Katalog (Уйгу a. a. О. р. 15 Nr. 101)
wird die Büste unter dem Jahre 1782 aufgeführt. Die Marmorbüste endlich, die
für die Kaiserin von Rußland bestimmt war, erschien erst im Salon von 1783.
(Lami a. a. O. p. 426.)
Der Louvre besitzt eine Wiederholung der Petersburger Marmorbüste, die nach
güitiger Mitteilung des Barons v. Liphart am 6. Juli 1781 von der Kaiserin Katharina
durch Grimm bei Houdon bestellt wurde. Eine Gipsbüste sieht man im Museum
von Dijon, wo Buffon im Jahre 1707 geboren wurde. Über die wenigen in den
Auktionen aufgetauchten Exemplare, vgl. Lami a. a. O. p. 426. Dierks a. a. O. p. 59.
Schwerin, Alter Katalog Nr. 177.
LAFONTAINE. 1782. (Abb. 16.)
In Houdons handschriftlichem Katalog ist nach der Biiste Buffons sofort die von
Lafontaine aufgefiihrt. Beide waren auch im Salon von 1783 ausgestellt, und das
Tonmodell von beiden war bereits im Jahre 1781 fertig.
Wie friiher schon Moliére so mufte Houdon nun auch Lafontaine aus dem Ge-
dächtnis bilden. Er hat beiden die gleiche Haartracht gegeben und dasselbe Tuch
um den Hals geschlungen. Aber Lafontaine ist als alter Mann dargestellt.
„Der einfachste aller Menschen“, schreibt Voltaire von Lafontaine, bewunderungs-
(1) Buffon ist einer der wenigen Sterblichen gewesen, dem schon bei Lebzeiten ein Denkmal gesetzt
wurde. Am Eingange eben jenes naturhistorischen Museums ließ Ludwig XVI. die Büste Buffons
aufstellen mit der Aufschrift: Majestati naturae par ingenium.
220
würdig in seiner Art, aber nachlässig und ungleichmäßig. Er war der einzige der
großen Männer seiner Zeit, der von Ludwig XIV. keine Wohltaten empfangen hat.“
Eine Terracotta dieser Büste besitzt das Museum in Orléans. Die Marmorbiiste
ist verschollen. Über andere Kopien, die auf Kunstauktionen veräußert wurden,
vgl. Lami а. a. O. 426. Ferner Vitry a. a. O. 15 n. 102. Die Gipsbiiste in Schwerin
(Alter Katalog Nr. 270) ist mit dem roten Wachsstempel bezeichnet.
LAVOISIER. (Undatiert.) (Abb. 17.)
Der beriihmteste Chemiker Frankreichs, der Erfinder des Oxygen, der Verfasser
des Traité élémentaire de chémie, bereits mit fünfundzwanzig Jahren — seit 1768 —
Mitglied der Akademie, wurde im Jahre 1794 als Generalpiichter der Steuern von
den Helden der Revolution der Erpressung angeklagt und — hingerichtet. Fiir
die Statue hinter der Madeleine in Paris, die im Jahre 1900 eine dankbare Nach-
welt einem Gelehrten gesetzt hat, von dessen Entdeckungen wir noch heute zehren,
scheint Houdons Biiste als Vorbild benutzt worden zu sein.
Die Entstehungszeit der Büste läßt sich nur ungefähr auf die zweite Hälfte der acht-
ziger Jahre festsetzen. Da das Werk im handschriftlichen Katalog Houdons nicht auf-
geführt wird, der bis zum Jahre 1783 reicht, wird sie später entstanden sein.
Die Terrakotta im Louvre wie der Gipsabguß in Schwerin (Alter Katalog Nr. 264
und dort bis vor kurzem als Ludwig XVI bezeichnet) sind beide mit dem Stempel
Houdons versehen. Weitere Exemplare der Büste, die sich durch Lebendigkeit
des Ausdrucks und Feinheit der Technik auszeichnet, sind bis jetzt nicht bekannt
geworden. Vgl. Lami a. a. O. p. 432.
ООС DE NIVERNAIS. 1787. (Abb. 18.)
Hat Italien im Cinquecento den Grafen Baldassare da Castiglione als Herold
feiner Art und guter Sitte besessen, so repräsentiert der Duc de Nivernais noch
heute in seiner Person die reiche und vornehme Kultur Frankreichs am Aus-
gang des XVIII. Jahrhunderts. Nivernais Studie „sur l’usage de l’esprit“ hat nie-
mals die kulturgeschichtliche Bedeutung erlangt wie der Cortigiano Castigliones,
aber es gibt doch kaum ein Buch, das uns wie dieses einführt in den Geist einer
Zeitepoche, die alle, aber auch alle Vorzüge ihrer Fehler und Gefahren besessen
hat. Und was dieser Mann selbst darstellte, das erzählt uns einer seiner Zeit-
genossen, der Graf von Segur: „Kein Buch könnte mich lehren“, schreibt er, „was
mir im Laufe eines kurzen Gespräches der duc de Nivernais an Feinheit des Taktes,
an Anmut des Geistes und Vornehmheit des Geschmackes vermittelt hat. Er ver-
band die Vornehmheit des alten Hofes mit der Grazie und dem mehr philosophischen
Geist des neuen, und stellte in seiner Person Erscheinung und Wesen von zwei
Jahrhunderten dar’).
Die Schicksale des Herzogs sind so bedeutend und eigenartig gewesen wie sein
Charakter. Die Tragik, der letzte Träger eines glänzenden Namens zu sein, über-
schattete sein Leben, nachdem sein einziger Sohn vor ihm ins Grab gesunken war.
(т) Lucien Perey, Le petit-neveu de Mazarin, Louis-Jules-Henri-Barbon Mancini-Mazarini, Duc de
Nivernais II, 141. Gerade während der Mecklenburgische Thronfolger in Paris war, am 3. De-
zember 1782, verlor der Duc de Nivernais seine zweite Gemahlin, die Frau, die er geliebt hatte, nach
einer Ehe von weniger als zwei Monaten. (L. Perey П, р. 283.) Das ist wohl der Grund, weshalb
der Name des Herzogs, der sonst sein Haus den Fremden so gastlich öffnete, in Frau von Rantzaus
Reisebericht nicht erwähnt wird.
221
Die Geschichte seines Herzens hat er nie geschrieben, aber wir ahnen ein schnierz-
liches Geheimnis. Als Botschafter Ludwigs XV. in Rom, Berlin und London und
in einem niemals herzlichen, aber stets angenehm vertraulichen Verhältnis zur
Pompadour bewährte sich der kluge, vielgewandte Hofmann; während der Revo-
lution zeigte sich dieser Diplomat und Kavalier in seiner unwandelbaren Treue
zum Königtum aber auch als starker und zuverlässiger Charakter. Selbst in die
dunklen Zellen des schrecklichsten der schrecklichen Gefängnisse von Paris brachte
die Gegenwart des im Unglück Vereinsamten einen schwachen Schimmer von
Glück und Hoffnung, und, auch dort noch grandseigneur, teilte er sein Gut mit
solchen, die noch ärmer waren als er selbst.
Am 25. Oktober 1795 dekretierte die Regierung die „fete des Vieillards“. Tugend-
hafte Greise sollten an einem bestimmten Tage des Jahres einen Preis und eine
Huldigung durch die Jugend erhalten. Ironie des Schicksals! Die Republik be-
stimmte einen der Preise dem Citoyen Nivernais. Und der einstige Botschafter
Ludwigs XV. an den ersten Höfen Europas, der Träger eines des vornehmsten
Namen des gestürzten Königtums, der Gastgeber der glänzendsten Feste, die Paris
gesehen — er spielte mit lächeindem Anstand auch noch diese seine letzte Rolle
auf der wechselnden Bühne des Lebens.
Erst wenn man diese Geschichte kennt kann man vor der Büste des Duc de
Nivernais im Künstler Houdon den Psychologen würdigen lernen. Auch wenn er
nicht den höchsten Orden Frankreichs trüge — jenen Orden de Saint-Michel et du
Saint-Esprit, den ihm der König im Jahre 1751 mit einem Handschreiben nach
Rom gesandt hatte!) — würde. man in diesem Porträt sogleich den Urtypus des
vornehmen Mannes erkennen. Welch eine harmonische Verbindung von Geist,
Kultur und Charakter leuchtet uns aus diesem Antlitz entgegen!
Die Marmorbüste Houdons fiel im Jahre 1793 der Revolution zum Opfer?). Gips-
abgüsse sind erhalten in Schwerin (Alter Katalog Nr. 174 ohne Bezeichnung mit
dem Wachsstempel), Nevers und Besancon. Die Terrakotta, die einst Prinz Heinrich
von Preußen besaß, ist heute im Stadtschloß von Potsdam aufgestellt“).
Die Büsten Nivernais und Lavoisiers wurden vielleicht beide erst auf der Auktion
von 1828 in Paris für Schwerin erworben. Sie beweisen uns, daß Friedrich Franz
und seine Gemahlin die Erinnerung an Houdon auch noch in späteren Jahren wert
gehalten haben.
7
o * *
*
„Die Politik hat alles ruiniert“, schrieb Abbé Delille nach der Revolution an
Mme Lebrun nach Rom, „man unterhält sich nicht mehr in Paris.“ Und Mme Lebrun
selbst fährt bestitigend fort: „Wir haben, wie so viele andere Dinge, auch das zu
Ende gehen sehen, was man einst die Unterhaltung nannte, und das bedeutet den
Verlust des größten Zaubers, den die französische Gesellschaft überhaupt besaß‘).
(т) L. Perey a. a. O. I, 236. Die Mäntel und Insignien dieses im Jahre 1599 von Heinrich III. ge-
stifteten Ordens werden noch heute im Musée de Cluny in Paris bewahrt.
(2) Vgl. Gonse, Les chefs d'oeuvre des Musées de France p. 124. Pedrelli hat die Büste Houdons іп
einem feinen Stich verewigt. Der Duc de Nivernais wurde auch von Allan Ramsay und St. Aubain
gemalt. Die Porträts des Herzogs und der Herzogin von Latour besitzt heute der Marquis de Mortemart.
(Vgl. L. Perey U, p. 139.
3) Vgl. Lami a. a. O. I, 429 und Seidel a. a. О. р. 65 u. 67. Die Identifizierung der Schweriner
Büste mit dem Duc de Nivernais verdanke ich М. Paul Vitry, Conservateur au Musée du Louvre.
(4) Souvenirs de Madame Vigée-Le Brun ed Nolhac p. 113.
222
Es ist ein Zufall, daB die Serie der Schweriner Werke Houdons mit dem Bilde
des Herzogs von Nivernais schließt — aber eines jener Zufälle, die man als Ab-
sicht empfindet. In diesem Bilde hat Houdon Begriffe verkörpert, die zu den
edelsten und unvergänglichsten Vorstellungen gehören, die Frankreich der Mensch-
heit überhaupt bescheert hat. In solchen Bildern, wie das des Herzogs von
Nivernais erscheint eine ganze Kulturepoche vollendet und erfüllt.
Ein neues Geschlecht entstand nach der Revolution. Neue Probleme drängten
neuen Lösungen entgegen. Der feine Geist des Rokoko wurde durch die kalte
Pracht des Empire verdrängt.
DE Se nen IA A AT AE I S EE A —— . —— ————— ͤ ——
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 5. 16 223
a a ш
2
ÜBER EINIGE FRÜHWERKE DES PALMA
VECCHIO Von DETLEV FRHR. уом HADELN
Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln э „ооооөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө
or etwa zwei Jahren wurde der Galerie in Budapest ein hübsches venezianisches
Bild geschenkt, das Brustbild eines jugendlichen Kriegers mit einem Kranz
im Lockenhaar. Der Restaurator der Pester Galerie, Professor F. K. Beer, entdeckte
auf der Rückseite der Tafel die Brandmarke „K. K.“ der Wiener Kaiserlichen Samm-
lungen, verfolgte diese Spur und fand, daß das Bildchen ehemals der Sammlung
des Erzherzogs Leopold Wilhelm angehört hat.
Frimmel hat dann in seinen „Blättern für Gemäldekunde“ (IV. S. 200 ff.) ausführ-
liche Angaben über die Provenienz der kleinen Tafel gemacht, von denen die wich-
tigsten hier mitgeteilt sein mögen.
Wie schon Beer konstatiert hatte, wird das Bild in dem von A. Berger publi-
zierten Inventar der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm vom Jahre 1659?)
mit einem Gegenstück genannt und folgendermaßen beschrieben: „Nr. 171 und 172.
Zwey kleine Conterfeit einer Grössen von Öhlfarb auff Holcz, das erste ein Jüng-
ling gewaffendter. Hatt auf der linkhen Seithen einen rothen Mantl, das andere
eine junge Dame mit hangenden Haaren, die rechte Handt auf die Brust und die
linkhe Achsel blosz, beede mit blossen Haubt, drauff ein Krantz von Wintergriin.
Die Rämel schwartz, eben und die innere Laistl verguldt, hoch 2 Span, 2 Finger
und ı Span, 8 Finger braith.
Von dem alten Palma Original.“ (Abb. ı und 2.)
Diese Beschreibung und die erwähnte Brandmarke machten die Identität schon
höchst wahrscheinlich. Zur Gewißheit wurde sie durch weitere Beobachtungen
Beers und Frimmels, die den jugendlichen Krieger und sein weibliches Gegenstück,
von dem noch zu reden sein wird, sowohl in dem gemalten Storfferschen Inventar,
wie im „Prodromus“ von Stampart und Prenner und endlich auf dem Galeriebild
des jüngeren David Teniers in der Münchener Pinakothek wiederfanden. Beer war
dann bei seinem Suchen nach dem verschollenen Gegenstück vom Glück begünstigt.
Er fand das Bild, leider stark übermalt, im Magazin der Budapester Galerie.
Es fragt sich nun, ob die beiden Bilder, die wir dank der Liebenswürdigkeit des
Herrn Professor Beer hier abbilden können, wirklich Palma zuzuschreiben sind.
Frimmel zieht das in Frage, meint, daß ebensogut an den greisen Giovanni Bellini
gedacht werden könne; in Budapest aber hat man, wie ich hörte, Lust, die Bilder
Bissolo zuzuweisen, was meines Erachtens eine starke Überschätzung dieses Malers
dritter Güte bedeuten würde. Freilich hat auch Morelli dem Bissolo recht tüchtige
Bilder zugeschrieben, wie die Madonna mit vier Heiligen der Sammlung Benson in
London, wie die „Junge Frau bei der Toilette“ im Wiener Hofmuseum und andere
mehr, die aber in Wahrheit dem sogenannten Pseudobasaiti, einem ausgezeich-
neten Ateliergenossen Bellinis gehören.
Man versuche nur die Bilder dem authentischen Oeuvre Bissolos, das man in
Thieme und Beckers Künstlerlexikon von Gronau zusammengestellt findet, einzu-
ordnen und man wird finden, daß sie dort nicht unterzubringen sind. Ganz bin ich
hier allerdings nicht einer Meinung mit Gronau, der das bekannte Stephanustriptychon
der Brera und eine diesem ganz nahestehende Madonna mit Petrus Martyr im
(1) Jahrb. der Kunsthist. Smign. des Allerh. Kaiserh. 1. р. XCVI.
224
Museo Correr in Venedig vom Werke Bissolos abspaltet und fiir Arbeiten eines
verwandten Anonymus erklärt. Die beiden Bilder sind stilistisch von der vollbe-
bezeichneten Verkündigung der Sammlung Benson doch wohl nicht zu trennen, sie
repräsentieren zusammen mit dieser eine besondere Stilphase, die augenscheinlich
am Anfang der Laufbahn Bissolos liegt, als er ganz in den Bahnen des Pseudo-
basaiti wandelte.
An Werke dieser rätselhaften Persönlichkeit hat nun wohl auch Frimmel gedacht,
als er in Budapest Bellinis Namen aussprach, dessen Signatur mehrere Bilder des
Pseudobasaiti tragen, der in so enger Gemeinschaft mit dem greisen Meister ge-
arbeitet zu haben scheint, daß eine saubere Scheidung zwischen beiden oft nicht
durchführbar ist. So ist die Hand des Schülers in Partien des großen Bachanals
in Alnwick Castle nachzuweisen!) und andererseits hat der Meister zum mindesten
den Entwurf für die Mehrzahl der heute dem Gehilfen zugewiesenen Bilder geliefert.
Nicht ganz abzuleugnen ist eine gewisse Verwandtschaft zwischen den Pester
Köpfen und Werken des Pseudobasaiti, die aber doch nicht über eine bei Künstlern
der gleichen Stadt und Zeit und möglicherweise der gleichen Erziehung sich natur-
gemäß ergebende Familienähnlichkeit hinausgeht, hinter der die Verschiedenheit der
Persönlichkeiten deutlich sichtbar bleibt. Der Künstler der Bilder in Pest ist eine
derbere Natur als der subtile, bellineske Anonymus, der mit höchst zarten Licht-
und Schattenreizen und etwas preziösen Farbenzusammenstellungen arbeitet.
Ich habe, als ich das Jiinglingsbild in der Budapester Galerie sah, wo es die
Etikette „Norditalienische Schule“ trug — das weibliche Gegenstück war damals
noch nicht ausgestellt — schon bevor mir Herr Beer von seiner Identifizierung
gesprochen hatte, an Palma gedacht. Das bemerke ich hier nur um damit zu sagen,
daß ich mich bei der Zuschreibung der Bilder durch die alte Benennung im Inventar
der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm, in,der ich andererseits eine wert-
volle Bestätigung erblicke, nicht beeinflußt fühle. Und zwar war es die für Palma
charakteristische emailleartige Behandlung der Farbe, die mich zu dieser Attribution
führte. Weiter scheinen mir die großen, namentlich in den Fleischpartien etwas
leeren, in weicher Rundung gegeneinander abgegrenzten Flächen ganz dem etwas
phlegmatischen Geiste Palmas zu entsprechen.
Wenn sich die beiden Bilder nicht sofort der üblichen Vorstellung von Palma,
die sich eben auf die reiferen Werke des Künstlers gründet, einfügen, so sollte
man daraus kein Argument gegen die Richtigkeit der alten Benennung herleiten,
denn es handelt sich augenscheinlich — darauf weist die beinahe kindliche Be-
fangenheit des Ausdrucks — um Jugendwerke, die sich höchstnatürlicherweise von
den späteren Arbeiten etwas unterscheiden. Zeigen doch andererseits die Pester
Köpfe genügend Beziehungen zu den Werken des späteren Palma, um das Unge-
wohnte an ihnen damit zu erklären, daß der Künstler sich von den Vorbildern seines
Lehrers Bellini noch nicht ganz frei gemacht, seinen Stil noch nicht völlig gefunden
hatte.
Leider fehlt es an passendem Vergleichsmaterial, denn die Zahl der in der Jugend-
zeit Palmas entstandenen Bilder ist sehr gering und diese wenigen eignen sich
wegen ihrer Kleinfigurigkeit nicht recht zur Konfrontation. So die Geburt Christi
und der büßende Hieronymus der Sammlung Borromeo in Mailand (Sala I. Nr. 6
und Nr. 14), früher dem Callisto da Lodi zugeschrieben, von Frizzoni*) aber als
(1) Gronau, Die Künstlerfamilie Bellini, S. 126.
(2) Gustavo Frizzoni in Rassegna d'Arte VI. р. 117.
225
Jugendwerke Palmas erkannt. Am ehesten móchte man den kleinen Tobias mit
dem Engel der Stuttgarter Galerie heranziehen, der ganz die Naivität der Pester
Köpfe besitzt 1).
Die beiden Bilder in Budapest bestärken mich nun in der seit längerer Zeit ge-
hegten Meinung, daß das Brustbildnis eines jungen Mannes im Museo Civico in
Verona (Abb. 3), dort friiher unglaublicherweise Fra Bartolomeo benannt, dann,
wie ich hórte, auf Biermanns Veranlassung zu den Venezianern und zwar in die
Nihe Giorgiones versetzt, ebenfalls den Friihwerken Palmas zuzuschreiben ist.
Berenson *) hat allerdings vor nicht langer Zeit diesen Kopf, wohl seines elegischen
Ausdrucks halber, Moretto zugeschrieben, aber das Bild ist viel zu stark stadt-
venezianischen Charakters, um an einen Brescianer zu denken und dann ist doch
auch das Sentiment zu wenig eigenartig, um mit ihm attributionistisch operieren zu
können. Palma gehört gewiß nicht zu den Künstlern, die uns in ihren Portraits
viel von dem inneren Menschen zeigen; tiefes psychologisches Erfassen des Indi-
viduums war nicht seine Stärke; aber sicherlich liegt der ja im Grunde sehr billige
und durch Neigung des Hauptes und Emporrichtung der Augen ja leicht erzielte
Gefühlseffekt nicht außerhalb seiner Natur und seines Könnens. Sein schönstes
Portrait, der fälschlich Ariost genannte und zu Unrecht Tizian zugeschriebene
„Dichter“ in der National Gallery besitzt sogar Stimmungsreize sehr viel feinerer Art.
Der Veroneser Kopf zeigt neben den charakteristisch palmesken großen, ein wenig
monotonen Flächen und den weich gerundeten Konturen eine bei Bildern Palmas
oft zu beobachtende Eigentümlichkeit, nämlich eine sonderbare Sprungbildung, die
nicht wie die meisten Kraqueluren in der Veränderung des Malgrundes ihren Grund
hat, sondern in der Eigenart der Farbschicht, scheinbar der Bindung der Pigmente
durch stark harzige Mittel, die merkwürdig kleine, kurze, bald krähenfüßig, bald
sternfórmig sich zusammenordnende Risse erzeugte. Von den zahlreichen Bildern
Palmas, die stellenweise eine derartige Kraquelure besitzen, seien hier nur genannt:
„Adam und Eva“ in der Braunschweiger Galerie, die „Barbara“ in S. Maria For-
mosa in Venedig und das bekannte Bildnis eines über die Schulter den Beschauer
anblickenden Jünglings in der Münchener Pinakothek, das L. Justi in seiner Gior-
gionebiographie ganz unglücklich dem Meister von Castelfranco vindiziert hat.
(1) Nach Niederschrift dieser Zeilen wurde mir ein Aufsatz von A. Foratti, L’Arte, 1911, fasc., 1. be-
kannt, der sich mit den Polyptychen Palmas in Serinalta beschäftigt, von denen das eine mit dem
Tempelgang als Mittelstück, dem Evangelisten Johannes sowie Franziskus auf den Seiten nach
Forattis Meinung vor dem Stuttgarter Tobias und vor der Madonna mit Franziskus Hieronymus und
einer Stifterin in der Galleria Borghese in Rom bereits ısoo entstanden wäre. Das besagte Altarwerk
in Serinalta ist eine ganz reife Arbeit Palmas, die schwerlich vor ı515 entstanden ist.
2) В. Berenson, The northitalian painters р. 266.
ZUR REKONSTRUKTION DES ULMER
WENGENALTARS Von JULIUS BAUM
ie Zusammensetzung des Ulmer Wengenaltares kann nicht so gewesen sein,
wie Konrad Lange in seinem im iibrigen grundlegenden Aufsatze iiber dieses
Werk Zeitbloms und seiner Werkstatt im Repertorium fiir Kunstwissenschaft 1907,
S. 514ff. angenommen hat. Lange erkannte richtig, daB es sich um einen Wandel-
altar mit Mittelbild und zwei Fliigelpaaren handele. Als Mittelbild vermutete er die
in der Tat aus der Wengenkirche stammende Beweinung Christi im Germanischen
Museum zu Nürnberg, die Flügel dachte er sich in ungewöhnlicher Weise derart
geordnet, daß die äußeren mit Scharnieren an den inneren, statt am Schreine
befestigt seien. Bei völlig geschlossenem Zustande des Altares waren darnach die
Außenflügel nach innen geklappt und völlig unsichtbar; dafür kämen die Außen-
seiten der inneren Flügel mit einer Darstellung des Ölberges zum Vorschein.
öffnete man den Altar, ließ aber die AuBenfliigel noch zugeklappt, so hatte man
auf den Außenseiten der Außenflügel die heute fragmentierten Bilder links der
Apostel Jacobus senior und Bartholomäus (Ulm), rechts der hl. Margaretha (Stutt-
gart und Karlsruhe) vor sich. Klappte man endlich auch die Außenflügel noch auf,
so boten sich auf beiden Seiten des Schreines vier Bilder, und zwar auf den beiden
vom Betrachter aus linken Flügeln oben Verkündigung (Ulm), Gesellschaft männ-
licher Heiliger (Ulm), unten Himmelfahrt Christi (Ulm) und Darstellung im Tempel
(Ulm), auf den beiden rechten Flügeln oben Versammlung weiblicher Heiliger (Ulm),
Geburt Christi (Stuttgart), unten Beschneidung Christi (Ulm), Hostienwunder
(Karlsruhe).
Gegen diese Rekonstruktion müssen zunächst folgende Einwände erhoben werden:
т. Die genannte Form des Klappaltares kommt in Schwaben am Ende des XV. Jahr-
hunderts, außerhalb Halls, nicht vor. 2. Die Nürnberger Beweinung ist 1.62 m breit,
1.76 m hoch, die Flügel sind jeweils etwa 0.65 m breit, 1.20, zusammen also 2.40 m
hoch. Die doppelt übereinander geklappten Flügel hätten demnach das Bild an Höhe
weit überragt, in der Breite aber nicht zugedeckt. 3. Große Altäre mit gemaltem
Mittelbild lassen sich in Ulm in den neunziger Jahren noch nicht nachweisen. Die
erste Arbeit dieser Art ist das kleine gemalte Apostelaltärchen, das heute in der
Blaubeurer Margaretenkapelle steht, kaum vor der Jahrhundertwende geschaffen.
4. Es kann kein Zweifel sein, daß die Nürnberger Beweinung stilistisch reifer, also
später zu datieren ist als die Flügel des Wengenaltares. Zu diesen vier Einwänden
aber kommt als fünfter und entscheidender Faktor der Befund der Rückseiten der
Ulmer Flügelbilder.
Durch Langes Forschungen ist mit Sicherheit festgestellt, daß auf der Rückseite
der Geburt Christi und des Hostienwunders die hl. Margaretha, auf der Rückseite
der Verkündigung und Himmelfahrt die Apostel Jacobus und Bartholomäus zu sehen
waren. Bezüglich des Ölberges hatte Lange schon in Erfahrung gebracht, daß sich
auf der Rückseite des Petrus früher die Darstellung im Tempel befand und daß
auf der Rückseite der Beschneidung und der beiden Heiligenversammlungen noch
jetzt Reste des Ölberges zu finden seien; leider aber hat er diese Rückseiten, wie
aus seiner Rekonstruktion hervorgeht, nicht selbst gesehen. Denn es zeigt sich,
daß auf der Rückseite der Beschneidung der Engel und ein kleiner Teil des Hauptes
Christi, auf der Rückseite der Heiligenversammlungen aber der Unterkörper des
227
REKONSTRUKTION DES ULMER WENGENALTARES NACH LANGE
Geschlossen
Rückseite Rückseite
Männl. Weibl.
Heilige Heilige
ÖL | BERG
Riickseite Rückseite
Dar- Be-
stellung | schneidg.
Offen, doch mit zugeklappten Innenflügeln
\
Stuttgart
Ulm
Beweinung Mar-
Jakobus |р pha
Nürnb
und SCH garetha
Bartholo-
máus
Karlsruhe
|
\
Offen
Ver- Männliche Weibliche Geburt
kündig. Heilige Heilige Christi
Ulm Ulm Ulm Stuttgart
Beweinung |-
Himmel- Dar- Be- Hostien-
fahrt stellung schneidg. | wunder
Núrnberg
Ulm Ulm
Ulm Karlsruhe
NEUER REKONSTRUKTIONSVERSUCH DES ULMER WENGENALTARES
Geschlossen
AuBenseiten der Auñenflúgel
: Christus
am Olberg
Ulm
Innenseite des Halb geöffnet Innenseite des
linken Außenflügels Außenseite der Innenflügel rechten Außenflügels
Ver- | Ве-
fehlt kündig. schneidg.
Ulm ar Ulm
(auf der (auf der
Rückseite Rückseite
= — — — . — —
Jacobus u. Christus am Oiberg)
Bartholom.)
stellung
im Tempel
gend р fehlt Himmel- Hostión. Weibl.
fahrt dis Heiligen
(auf der Christi Ulm
Rückseite Ulm Karlsruhe
von Petrus
Männl.
Heiligen
Ulm
Innenseite des > Innenseite des
linken Innenflügels Ganz geöffnet rechten Innenflügels
Jacobus
und
fehlt | Bartholo- Schrein
a fehlt
maus
Ulm
knienden Heilandes dargestellt war. Auf der Riickseite einer fehlenden oberen
Tafel muß das übrige Haupt Christi, und auf der Rückseite von vier weiteren
Tafeln, unter denen sich, nach Langes Ermittlungen, die Darstellung im Tempel
befand, müssen die schlafenden Jünger dargestellt gewesen sein. Daß nicht vier,
sondern in der Tat acht Tafeln in Frage kommen, geht mit Gewißheit daraus
hervor, daß das Fragment mit dem schlafenden Petrus in Ulm 0.75 m breit und
1.37 m hoch, also viel größer wie eine der Tafeln mit den Darstellungen aus der
Kindheitsgeschichte Christi usw. ist.
Aus diesem Befunde ergibt sich folgendes. Der Wengenaltar muß größer und
und einfacher konstruiert gewesen sein, als Lange annahm. Es war ein Wandel-
altar von ähnlicher Gestalt wie der Altar zu Blaubeuren. Im Schreine wahrschein-
lich stehende Heiligenfiguren. Auf den Innenseiten der Innenflügel weitere stehende
Heilige, doch nicht in Relief, wie die entsprechenden Stellen in Blaubeuren, sondern
gemalt. Hiervon sind leider nur geringe Reste erhalten; vom linken Flügel Jacobus
und Bartholomäus, vom rechten Margaretha. Über ihren Häuptern befand sich
jeweils geschnitztes Laubwerk, wie noch 1511 am Adelberger Altar. Waren die
Außenflügel geöffnet, die Innenflügel aber geschlossen, so hatte man, wie in Blau-
beuren, 16 Darstellungen vor sich. Von ihnen sind leider nur acht erhalten, und
zwar in der oberen Reihe Verkündigung (Ulm), Geburt Christi (Stuttgart), Be-
schneidung (Ulm), in der unteren Darstellung im Tempel (Ulm), Himmelfahrt
Christi (Ulm), Hostienwunder (Karlsruhe) Versammlung weiblicher Heiliger (Ulm),
Versammlung männlicher Heiliger (Ulm). Schloß man die beiden Außenflügel, so
hatte man die riesige Darstellung des Ölberges vor sich. Und zwar befanden sich
auf dem linken Flügel, in der rechten unteren Ecke Petrus, weiter nach links
Johannes und Jacobus, auf dem rechten Flügel, Petrus den Rücken kehrend, Christus,
rechts oben der Engel. Eine Kopie des Ölberges gelangte (nach Baum-Pfeiffer,
Oberamt Biberach, Esslingen 1909, S. 130) aus Hürbel angeblich in die Sammlung
des Fürsten Waldburg-Zeil.
Die neue Rekonstruktion ist war wesentlich unvollständiger als jene Langes, doch
dafür weniger hypothetisch. Es fragt sich nur, wohin die fehlenden Teile des
Altares gekommen sind, die schon 1803 nicht mehr vorhanden gewesen sein dürften.
Die Frage nach der Predella (vgl. Lange a. a. O. S. 530f., dagegen Haack,
Kunstchronik 1908, S. 251ff.) soll hier nicht berührt werden. Die alte falsche
Datierung 1478 hat schon Lange richtiggestellt, indem er den Altar zwischen 1489
und 1497 ansetzt. Koch, Zeitbloms reifer Stil, 1909, S. 24, hält dafür daß die
Wengenbilder eine Vorstufe zu einigen der laut Inschrift 1494 vollendeten Bilder
des Blaubeurer Altares bilden. Die sehr nahe Verwandtschaft der Geburt Christi
des Wengenaltares mit der gleichen Darstellung auf den Flügeln des 1497/98
datierten Heerberger Altares und die Raumbehandlung der Wengenbilder, die un-
gefähr die Mitte einhält zwischen der stärkeren Betonung des Dreidimensionalen
in den Blaubeurer und den etwa 1493 bis 1496 gemalten Bingener Tafeln!) einer-
seits, dem flächigen Charakter der 1496 datierten Eschacher Bilder anderseits,
dürften es wohl notwendig erscheinen lassen, den Wengenaltar nicht vor 1495
anzusetzen.
(1) Gegen die Annahme der Entstehung der Bingener Altarflügel um 1493 wäre aus stilistischen
Gründen kein Einwand zu erheben. Indes dürfte der Altar kaum vor 1496 abgeliefert worden sein.
Denn zwei Statuen des erst 1496 begonnenen Ochsenhäuser Altares sind so getreue Kopien der ent-
sprechenden Figuren des Bingener Altares, daß sie jedenfalls nur nach diesen, nicht etwa nach einer
gemeinsamen Vorlage gearbeitet sein können.
2 30
DIE STRASSBURGER KOPIEN NACH LEO-
NARDOS ABENDMAHL Von HANS KLAIBER
uf die in der Straßburger Gemäldegalerie befindlichen Kartons mit dem Kopf
Christi und seiner Apostel nach dem Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci
hat Hoerth') die Aufmerksamkeit der Forschung von neuem gelenkt. Er sieht in
ihnen originale Arbeiten von Leonardos Hand, die Urtypen, die ihm bei seinem
Cenacolo vorschwebten, nach denen wir das durch zahlreiche Restaurationen ent-
stellte Wandgemälde zu rekonstruieren hätten. Es sollen zugleich Kopien und Ent-
würfe sein, Kopien nach dem fertigen Werk und Entwürfe für seine angeblich ge-
plante Wiederholung des Bildes im Auftrag des französischen Königs Franz I. Ent-
scheidend wäre diese Frage für die Vorstellung, die wir uns von Leonardos
Christustypus zu machen hätten. Die zuerst bei Vasari auftauchende Behauptung,
der Künstler habe das Bild und speziell den Christuskopf unvollendet gelassen,
findet heute keinen Glauben mehr; hatte doch schon im Jahr 1720 der englische
Maler Richardson sie widerlegt durch die Beobachtung, daß gerade das Haupt
Christi vollendet in der Ausführung sei und auf derselben Stufe der technischen
Durchführung stehe, wie die Apostelkópfe, was die neuerlichen Untersuchungen be-
stätigt haben. Einen gewissen Anhalt fand sie in der gleichfalls irrtümlichen Mei-
nung, die Entstehung des Wandbildes habe sich übermäßig lang, wohl gar durch
anderthalb Jahrzehnte hingeschleppt, so daß es glaubhaft erscheinen konnte, der
Meister habe schließlich an der Möglichkeit der Vollendung überhaupt verzweifelt.
Den Hauptgrund der Entstehung dieser Legende sieht aber Hoerth darin, daß der
Christus des Wandgemäldes ursprünglich bartlos (und mit halbgeöffnetem Mund)
dargestellt war, so wie er auf dem Straßburger Karton und der bekannten Studie
in der Brera, erscheint; das bärtige Kinn und der geschlossene Mund sollen auf
Rechnung eines Restaurators zu setzen sein. Nun sind wir ja seit Cavenaghis
exakten Feststellungen über den Erhaltungszustand des Bildes und über die Tätig-
keit der Restauratoren etwas genauer unterrichtet und wissen, daß sie in der Ge-
wandung und dem Architekturgrund zwar ihre Verbesserungen reichlich angebracht,
gerade die Köpfe aber mit eigenmächtigen Korrekturen im wesentlichen verschont
haben. Und selbst in Zeiten, da man in Restaurationsfragen noch ein weiteres
Gewissen hatte, hätte man kaum zugelassen, daß ein Wiederhersteller nach eignem
Gutdünken dem Christus- sowie einem Apostelkopf (Matthäus) Bärte aufmalte, den
offnen Mund in einen geschlossenen, die Profilstellung in eine Dreiviertelansicht
verwandelte und dgl. Die Entscheidung muß allerdings von anderer Seite kommen,
nämlich von den Kopien. So stark sie in der Auffassung, der geistigen Vertiefung
und der Wiedergabe der Einzelheiten von einander abweichen, gerade darin
gehen alle Kopisten einig, daß sie das Christushaupt bärtig — nur die Stärke des
Bartes wechselt — und mit geschlossenem Mund zeigen. So auch die frühe und
wertvolle Kopie von Castellazzo und die im Detail treueste des Cesare Magno.
Wenn das Original einen schwachen Kinnbart — wie noch heute — zeigte, so ist
begreiflich, daß zumal infolge der Trübung des Bildes die Kopisten über die größere
oder geringere Stärke des Bartes verschiedener Ansicht waren. Unverständlich
wäre es dagegen, daß von sämtlichen Kopisten des тб. Jahrhunderts, worunter
einige in den ersten Jahren nach der Vollendung des Werkes, also noch vor dem
(1) О. Hoerth, Das Abendmahl des Leonardo da Vinci. Leipzig 1907.
231
Verfall und vor den Restaurationen, gemalt haben, kein einziger den angeblichen
Urtypus ohne Bart und mit halbgeófínetem Mund wiedergegeben hätte. Man müßte
dann glauben, daß die Kopisten in einmütigem Protest gegen den von Leonardo
gewählten Typus der Tradition folgend von sich aus einen Bart zugegeben und
aus ganz unersichtlichem Grund die Stellung der Lippen verändert hätten. Auch
die ersten Ideenskizzen zum Abendmahl zeigen nur den bärtigen Christus: auf den
Studienblättern in Windsor und im Louvre mit starkem Vollbart, während der
idealisierte Typus auf der Studienzeichnung in der Akademie zu Venedig einen
Kinnbart aufweist. Freilich ist die Echtheit des Blattes wegen der höchst auf-
fälligen Mängel in der Zeichnung schon verschiedenfach angezweifelt worden. Aber
auch wer die Zweifel nicht teilt und Wert darauf legt, daß es gerade in den Typen
dem Wandbild nahesteht, hat damit keinen Beweis für, sondern gegen die An-
nahme eines bartlosen Christuskopfes. Den allbekannten Christuskopf der Brera
endlich kann man für die Authentizität und Ursprünglichkeit des bartlosen Typus
nicht ins Feld führen, da ihn die neuere Kritik als allzu weichlich und kraftlos ab-
gelehnt hat!). Keinesfalls ist sie die Modellstudie, nach der der Straßburger Kopf
geschaffen wäre. Ihrem Schöpfer kam es nicht darauf an, ein Naturvorbild wieder-
zugeben, sondern einen Typus lieblicher Sanftmut und Güte zu bilden, wobei er
freilich etwas ins Sentimentale und Schwächliche geraten ist. Gerade das Gegen-
teil gilt vom Straßburger Kopf, wo der Zug der Erhabenheit bis nahe zur leblosen
Starrheit getrieben ist. Es sind zwei nach entgegengesetzter Richtung auseinander-
strebende Versuche, den Christuskopf des Wandbildes umzugestalten, dort ins
Süße und Liebliche, hier ins Kalte, Erhabene. Die Beziehungen zwischen den
beiden Studien braucht man darum nicht zu leugnen; der Verfertiger der einen
kann die andere gekannt haben, aber ihre Ziele waren grundverschieden. In der
geistigen Auffassung steht der Straßburger Kopf dem Meister natürlich näher, wäh-
rend der Einfluß der Mailänder Zeichnung sich in dem Christushaupt auf Raffael
Morghens Stich deutlich kundgibt.
Für die Beurteilung des Christuskopfes ist der Karton mit dem Andreashaupt von
Bedeutung, das nächst jenem in der ganzen Serie die stärksten Abweichungen vom
Wandgemälde zeigt. Der ganze Nachdruck ist auf den Bau des Kopfes verlegt,
der in der Profilstellung entschieden drastischer zur Wirkung kommt als in der
Dreiviertelansicht. Ferner ist auf die starke physiognomische Belebung, die auf
dem Original ein gut Teil der Wirkung zu bestreiten hat, hier ganz verzichtet.
Dort malt sich das Entsetzen, das die abwehrende Gebärde der Hände ausdrückt,
auch im Gesicht: im Blick der Augen, in den hochgezogenen Brauen und den
Stirnfalten. Für die Einbeziehung des Andreas in die allgemeine dramatische
Situation waren diese im engeren Sinn physiognomischen Merkmale ebenso wichtig
oder eher noch wichtiger als die allgemeine Anlage des Kopfes. Dem Verfertiger
des Kartons dagegen schienen sie die monumentale Wirkung zu beeinträchtigen, da
sie Bewegung und damit Unruhe mit sich führen und die reine Formwirkung
schwächen. Darum abstrahiert er von allem, was die Beschauer von dem mäch-
tigen Aufbau, dem kühnen Profil mit der hohen Stirne, der geschwungenen Nase
und dem aufgeworfenen Mund ablenken könnte. Derselbe Grund dürfte ihn be-
stimmt haben, bei Jakobus d. J. den die Form verhüllenden Bart gegenüber dem
Original stark zu reduzieren, und auf allen Köpfen die Augenbrauen wegzulassen
(x) In der Sitzung der Berliner Kunstgesch. Gesellschaft 1908 III hat Schubring sich gegen die Zu-
teilung der Straßburger Kartons und der Mailänder Zeichnung an Leonardo ausgesprochen. Denselben
Standpunkt nimmt von Seidlitz, Leonardo da Vinci I, S. 122 ein.
232
außer bei dem des Judas, wo sie infolge der Stellung formbezeichnend wirken.
Wer die physiognomischen Artikel im Trattato kennt, weiß, welche Rolle gerade
Leonardo den Brauen für den Ausdruck der Gemütsbewegungen — Lachen, Weinen,
Zorn, Verzweiflung, Staunen — zuteilt; auch in den schriftlichen Notizen, die er
sich für die Abendmahlkomposition macht, heißt es von einem Jünger, er solle sich
„mit strengen Brauen“ an seinen Gefährten wenden. Er dachte nicht daran, sich
mit Rücksicht auf eine Toilettenmode dieses Hilfsmittels in der Historienkomposition
zu begeben. Mit gewaltiger, fast eckiger Herbheit ist im Judaskopf das Profil
herausgearbeitet Petrus erscheint zweimal, auf dem einen Karton mit Judas, auf
dem andern mit Johannes zusammen, beidemal in einer vom Original abweichenden
Haltung, was später noch zu erklären ist. Bei Johannes, dessen ergebungsvoll ge-
neigtes Haupt in der Weicheit der Modellierung ganz auf Sanftmut und Sentiment
angelegt ist, war eine heroisierende Umbildung zu abstrakter Monumentalität nicht
möglich; dafür geht hier der Kopist in der malerischen Auffassung über das Original
hinaus. — Den Gedanken, daß wir in den Straßburger Köpfen die Vorstudien für
das Wandgemälde zu sehen hätten, hat bereits Dehio!) mit dem Hinweis auf die
sorgsame gleichmäßige Modellierung, die nicht den Suchenden, sondern den Nach-
schaffenden verrät, die völlige Übereinstimmung des Beiwerks in den Gewandfalten
abgelehnt; als weiteren Gegengrund fügt Hoerth die Übereinstimmung der Kartons unter
sich in Material, Maltechnik und in den Maßen hinzu, während die Köpfe des Originals
nach der Zeit ihrer Ausführung durch längeren oder kürzeren Zwischenraum getrennt
sind. Trotzdem möchte er in ihnen nicht nur Kopien sondern zugleich Entwürfe
von der Hand des Meisters sehen, die er als Dreiundsechzigjähriger im Auftrag
König Franz I. hergestellt habe, um ein dem Original ebenbürtiges Pendant des
Cenacolo in Frankreich auszuführen. Indessen weiß die Überlieferung gar nichts
von einem solchen Projekt und die Abweichungen der Kartons vom Original ver-
leihen ihnen noch nicht den Charakter von Entwürfen. Wenn z.B. in der Ge-
wandung, speziell in der Faltengebung gewisse Einzelheiten fehlen, so sind wieder
andere Details wie etwa die Musterung des Halssaumes bei Johannes, die Spange
bei Christus mit peinlicher Genauigkeit gegeben; d. h. der Urheber der Zeichnungen
hat sich, wie sämtliche Kopisten, in der Wiedergabe des Details freie Hand gelassen,
indem er bald aus stilistischen Gründen bald aus Bequemlichkeit hier wegläßt,
dort gewissenhaft bis ins Einzelne nachbildet, aber gerade das Andeutende, was
der Skizze eignet, ist nicht als Grundzug bei ihm nachzuweisen. Besonders deut-
lich ist das bei seiner Farbengebung: sie ist auf zwei Farben reduziert. Dies ist
bei einer Kopie, die dem Original gegenüber gewisse Abstraktionen durchführen
kann, wohl verständlich. Weniger bei einem Entwurf, der die Grundlage einer
dem Urbild ebenbürtigen Wiederholung abgeben soll. Welchen Sinn und Zweck
hätte da die Beschränkung auf zwei Farben, da doch das Werk sicher nicht in
Rot und Gelb gemalt werden sollte?
Dasselbe gilt von den stilistischen Änderungen, die der Schöpfer der Kartons sich
erlaubt hat. Man nehme etwa den Andreaskopf: als eine aus dem Zusammenhang
des Ganzen herausgelöste Charakterstudie für sich betrachtet, ist er gewiß groß-
artig und machtvoll, als verbesserter Entwurf für den Andreas im Bilde kann er
nicht gelten. Aus dem gemesseneren, aber auch reichhaltigeren Typus des Origi-
nals hat sich der Kopist ausgewählt, was ihm wichtig war, und damit eine ge-
steigerte, dafür auch einseitigere, abstraktere Wirkung erzielt. Eben der Umstand
(z) Zu den Kopien nach Leonardos Abendmahl, Jahrb. der Pr. K. Smign. XVII (1897).
233
aber, daß der Kopf aus dem geistigen Zusammenhang des Gemäldes herausgenom-
men und ganz auf sich selbst gestellt ist, spricht dagegen, daß er als Vorlage für
eine Wiederholung des Bildes gedacht ist, läßt ihn vielmehr als eine um ihrer
selbst willen geschaffene Studie erscheinen. Und nicht anders steht es um den
Christuskopf: in seiner hoheitsvollen aber starren Ruhe hat er den Connex mit den
Nachbarn eingebüßt, und noch entschiedener charakterisiert er sich als selbständige
Arbeit durch die beiden wichtigen Unterscheidungsmerkmale, die völlige Bartlosig-
keit und die geöffneten Lippen. Nach dem einmütigen Zeugnis aller Kopisten darf,
wie schon ausgeführt, das Original in diesen Punkten nicht nach dem Straßburger
Typus korrigiert werden. Vielmehr stellt dieser dem Wandbild einen selbständigen
Versuch entgegen. Unter den Leonardoschülern mag, wie zu Nürnberg in Dürers
Kreis, das Problem des Christustypus mit Eifer diskutiert und neue Lösungen
versucht worden sein, zumal da der Meister selbst einigermaßen von der Tradition
abgerückt war; eine solche haben wir hier vor uns. Endlich noch eins; der
Petruskopf erscheint, wie früher bemerkt, zweimal in vom Original und unter sich
abweichender Stellung. Zusammen mit Judas in stark gegen die Bildfläche geneigter
Haltung, zusammen mit Johannes umgekehrt gegen den Beschauer aus dem Bild
herausgelehnt. Wie läßt sich das erklären? Die Stellung im Original — eine im
wesentlichen gerade Profilwendung — lag dem Kopisten vor, ein Zweifel darüber
war nicht möglich. Hält man unsere Kartons für Entwürfe, so kann man nur an-
nehmen, daß sich ihr Schöpfer hier zwei Möglichkeiten einer Abänderung bezw.
Verbesserung des Originals vorfiihrte. Für den Karton mit dem Johanneskopf ist
das aber ganz undenkbar; denn danach käme der Kopf des Petrus in eine dem
Judas sehr ähnliche Haltung und Richtungsachse, die durch die Komposition der
Dreiergruppe Johannes-Petrus-Judas völlig ausgeschlossen ist. Die einzige annehm-
bare Deutung scheint uns zu sein, daß die verschiedene Lage des Petruskopfes
beidemale durch den Kontrapost bestimmt ist. Auf dem einen Blatt neigt er sich
nach hinten, weil der Judaskopf sich aus der Bildfläche herauslehnt; auf dem andern
bildet er durch seine starke Neigung nach außen ein Gegengewicht gegen die
Haltung des Johanneskopfes und gibt zugleich eine Erklärung für die auf Johannes
Schulter liegende Hand. Wenn aber der Kopist so die Köpfe innerhalb des einzel-
nen Kartons gegeneinander abwägt ohne Rücksicht auf die Gesamtkomposition, so be-
stätigt uns das, daß es sich hier nicht um Entwürfe für eine Replik, sondern um
Werke handelt, die um ihres eignen Wertes willen geschaffen sind, dem Original
in wesentlichen Stücken frei gegenüber stehen und Blatt für Blatt einzeln aufgefaßt
und betrachtet werden können. Daß Leonardo selbst derartige Studien nach seinem
eigenen Werk gemacht haben sollte, ist wenig glaublich; auch hat Hoerth selbst
triftige Einwánde aus der Formerscheinung abgeleitet, die gegen Leonardos Hand
sprechen. Mit vollem Recht erkennt er in den Arbeiten den Stil des beginnenden
Cinquecento, wozu die Richtung auf ein majestätisches, aber auch einigermaßen
kälteres und abstrakteres Ideal trefflich paßt. Unter den Schülern und Mitarbeitern
Leonardos aber hat der von Dehio namhaft gemachte Boltrafio eben darum den
Hauptanspruch auf die Urheberschaft: er ist seit den letzten Jahren des ausgehen-
den fünfzehnten Jahrhunderts bewußt auf breite, gemessene Wirkung und hoheits-
volle Würde ausgegangen; seine großzügigen Porträtskizzen in der Ambrosiana be-
stätigen, daß er Sinn für bedeutende Formgebung und ernste Auffassung hatte und
lassen ihn recht wohl geeignet erscheinen, als Kopist die Typen des Meisters dem
einseitigen Ideal des neuen Jahrhunderts anzunähern.
234
REZENSIONEN
PIERRE BAU TIER: Lancelot Blon-
deel. Bruxelles Librairie nationale d'art
et d' histoire. G. van Oest et Cie. 1910.
Das vorliegende Büchlein stellt sich eine sehr
bescheidene Aufgabe. Die Absicht des Verfassers
War darauf gerichtet, die heutigen Meinungen über
Lancelot Blondeel als Maler zusammenzufassen,
diese zu diskutieren und so „einen verschwindend
kleinen Beitrag zur Geschichte der vlämischen
Malerei zu liefern“.
Seine Absicht hat der Verfasser nur teilweise
erreicht. Mit groger Sorgfalt und nicht geringerem
Fleiß hat er alles zusammengetragen, was je
in der Literatur über Blondeel als Maler geäußert
worden ist. Auf eine kurze Einleitung, in welcher
die sonstige Tätigkeit Blondeels als Architekt und
Zeichner von Entwürfen für Teppiche, Skulpturen
usw. gestreift sowie die Frage nach einer etwaigen
Italienreise des Künstlers in negativem Sinne be-
antwortet wird, folgt ein ausführlicher Katalog des
gemalten Werks Blondeels.
Den Anfang bilden die 4 monogrammierten und
datierten Arbeiten, dann folgt eine Aufzählung der
verschollenen, nur in den Quellen erwähnten, den
Beschluß bildet ein Verzeichnis der zweifelhaften
sowie der dem Maler nahestehenden Bilder. Auch
eine Zusammenstellung der älteren, ganz willkir-
lichen Zuschreibungen, unter denen das Berliner
Triptychon mit dem jüngsten Gericht Bellegambe’s
figuriert, fehlt nicht.
Unter den zweifelhaften Werken wird über-
raschender Weise auch die interessante Tafel aus
der Cathedrale in Tournai mit Scenen aus dem
Leben Mariae angeführt. Das Bild befand sich
1902 auf der Brügger Ausstellung und wurde von
Friedländer und Hulin als die späteste Arbeit des
Malers erkannt. Trotz der verwandten Züge, die
diese Tafel mit den signierten Werken Blondeels
verbinden, entschließt sich der Verfasser im An-
schluß an Fierens Gevaert die Urheberschaft Blon-
deels anzuzweifeln.
Befremdender wirkt die Meinung des Verfassers,
die Tafel mit Szenen aus dem Leben des hl. Georg !)
(Brügge. Städt. Mus.) wäre ein Schulwerk und
„mach dem Tode Blondeels entstanden.“ Blondeel
(1) Wie mich Herr M. Losnitzer freundlich aufmerksam
macht, sind auf der Scene mit der Geißeluug des Heiligen
einige Figuren nach Dürers Großer Passion (B 8) kopiert.
Das Mittelbild dagegen zeigt eine gewisse Ähnlichkeit in
der Komposition mit dem hi. Georg, welcher im Wiener
Hofmuseum (No. 1431) Leonhardt Beck zugeschrieben wird,
ist 1561 gestorben; dem Stil nach muß aber dieses
Bild um ca. 40 Jahre früher angesetzt werden.
Die stilkritischen Ausführungen zu den Bildern
sind überhaupt der schwächste Teil des Buches.
Bei dem frühesten datierten Bild von 1513 mit
Darstellungen aus dem Leben des hl. Cosma und
Damianus (Brügge. St. Jakobskirche) wird auf die
angebliche Verwandtschaft der Landschaft mit der
auf der „Taufe Christi“ im Berliner Museum hin-
gewiesen, welche daselbst Jan Scorel zugeschrieben
wird. Der Verfasser bemerkt dann weiter, er sehe
außer den architektonischen Rahmungen überhaupt
keine scharfe Trennungslinie zwischen den wenigen
authentischen Werken Blondeels und der großen
Masse der Bilder mit Landschaften, die Scorel
zugeschrieben werden.
In der Tat besteht aber eine solche Tren-
nungslinie und zwar in sehr ausgeprägter Weise.
Außer der Farbe, welche die Bilder des Scorel
Kreises von den gleichzeitigen Landschaften der
vlämischen Schule grundsätzlich unterscheidet, ist
es noch z. B. die ganz bestimmte Art des Aufbaues
der Landschaft, die Scorel eigentümlich ist.
Ein genaueres Studium der einzigen signierten
Landschaft Blondeels (Amsterdam Rijksmus.) mit
denen, die unter Scorels Namen zusammengefaßt
werden, würde den Verfasser doch wohl schon
abgehalten haben, Bilder wie die Landschaft mit
David und Goliath (Dresd. Mus.) oder mit der
Bethsabe (Amsterdam. Rijksmus.) Scorel ohne wei-
teres abzusprechen und in die Nähe Blondeels zu
rücken.
Es wäre fruchtbarer gewesen, der vom Verfasser
gestreiften Beziehung zu Patinir weiter nachzu-
gehen; insbesondere hätte ein Vergleich der Bilder
Blondeels mit denen der Bles-Gruppe eine Erklärung
für den Ursprung des Figurenstils des Malers
geliefert.
Ebenso hätte die Heranziehung der gleichzeitigen
niederländischen Ornamentstiche manche interes-
sante Gesichtspunkte für die Beurteilung der Blon-
deel eigentümlichen Rahmungen ergeben.
Blondeel ist als Figuren- und Landschaftsmaler
gleich unbedeutend und seine Stärke liegt in seinem
feinen ornamentalen Empfinden, für welches der
berühmte Kamin im „Landhaus van der Vryen“*
in Brügge ein so charakteristisches Beispiel bietet.
L. Preibisz.
235
OSKAR MUNSTERBERG, Chinesische
Kunstgeschichte. Band I: Vorbuddhisti-
sche Zeit. Die hohe Kunst (Malerei und
Bildhauerei). Mit 15 Kunstbeilagen und
321 Abbildungen im Text. XVI u. 352 S.
Lex. 8% Esslingen, Paul Neff Verlag,
1910. Geh. М. 20.—, geb. М. 23.—.
In allen Einzelzúgen die geradezu zermalmende
Unzulänglichkeit bloßzulegen, die diese erste sich
wissenschaftlich gebahrende chinesische Kunst-
geschichte darstellt, scheint mir ein vergebliches
Unterfangen. Ich muß mich damit begnügen, an
der Hand einiger nach Möglichkeit wörtlicher Stich-
proben den Leser den Grad des Unwillens (oder
der Heiterkeit) ahnen zu lassen, den die Lektüre
dieses Werkes erregt.
„Die Richtlinie seiner kunsthistorischen Be-
tätigung bis zum heutigen Tage“ fand Múnster-
berg (Vorwort) in „seinen Studien zu seiner ersten
gedruckten Arbeit: Bayern und Asien im XVI.,
XVII. und XVIII. Jahrhundert“, d. h. in bayrischen
Archiven und Schlössern (nicht etwa, wie man
von dem Autor einer ostasiatischen Kunstgeschichte
erwarten möchte, in China und Japan, wo Münster-
berg sich ganze vierzehn Tage aufgehalten hat).
Nach ihm hat es in der Weltgeschichte nur eine
in sich zusammenhängende Kulturentwicklung ge-
geben. Nachdem er das Fehlen systematischer
Ausgrabungen in China beklagt hat, der vielen
Grabhügel, die Jahrhunderte vor unserer Zeit-
rechnung datiert (!) sind, konstruiert er (Stein-
zeit, pag. 11) einen „westlichen kaukasoiden Volks-
stamm, der die ersten Anfänge einer Kunst nach
Ostasien gebracht hat“, auch die keramische Orna-
mentik, der bei aller Mannigfaltigkeit der Formen
„doch Menschen- und Tierdarstellungen fehlten.“
Was ihn nicht hindert, schon auf der nächsten
Seite auf Tontäfelchen hinzuweisen, die mit Augen
und Nase verziert sind. Gewisse Formen ent-
sprächen so wenig „der Technik des Tonscherbens“,
daß er sie als Nachahmung älterer Bronzevor-
bilder betrachtet, obwohl er ein paar Sätze vorher
den „späteren Bronzestil alle früheren Formen
verdrängen“ läßt.
Je tiefer man in das Labyrinth (nur Conradys
dem Autor geliehenen Untersuchungen der ältesten
literarischen Erwähnungen chinesischer Bildnerei
sind eine erquickende Oase) gequälter Hypo-
thesen und haltloser Behauptungen eindringt,
desto toller werden die Konstruktionsfehler an
diesem „ersten Konstruktionsgerúst einer neu ent-
stehenden Wissenschaft“ (so betitelt Miinsterberg
236
bescheiden sein opus). Der Katalog des Kaisers
Huitsung, ein wichtiges kunsthistorisches Doku-
ment, gäbe keine Vorstellung der wirklichen Ob-
jekte, da alle unklaren Reliefs (Münsterberg nennt
Reliefs von Bronzen unklar, die er nie gesehen
hat!) in scharfen Linien ausgeführt seien. Sie
müssen aber unscharf gewesen sein, da ja auch
ausgesprochene Spiegel der T’ang Dynastie roh
seien und jeder künstlerischen Durcharbeitung ent-
behrten. Die seit der T’ang-Zeit im kaiserlich
japanischen Schatzhaus (Shosoin) zu Nara aufbe-
wahrten Spiegel, in vortrefflichen Abbildungen in
Japan reproduziert, beweisen das Gegenteil. Alle
erhaltenen alten Bronzen bis zur T’ang-Zeit hätten
verschwommene Reliefs. Es ist umgekehrt: gerade
die ehrwürdigsten Bronzen zeigen eine Präzision
des Ornamentes, die später selten oder nie wieder
erreicht wurde. Stilkritische Untersuchungen, auf
so elementaren Irrtümern aufgebaut, haben natür-
lich nicht den geringsten Wert. — Im Kapitel:
„Mykenischer Stil“ unternimmt der Autor den Be-
weis, die chinesische Bronzeornamentik von Mykene
herzuleiten. Er beginnt ihn mit dem Ochsen.
„Weder in Japan noch in Süd-China ist bis zum
heutigen Tage der Ochse als Pflugtier ein wirt-
schaftlicher Faktor.“ Bushell, (Chinese Art I.
pag. 59) für things Chinese keine schlechte Autorität,
schreibt: „Der Ochse ist in China als das wichtigste
landwirtschaftliche Tier geheiligt seit den ältesten
Zeiten“ Das „kleine Bauernreich China“ er-
hielt aus Mykene volkstümliche Massenware, und
chinesische Bronzegefäße verhalten sich darum zu
mykenischen Vorlagen wie Delfter Fayence zu
feinem Chinaporzellan. Auch hier ist das umge-
kehrte richtig: chinesische Bronzen der vorchrist-
lichen Zeit gehören zu dem Gewaltigsten und Ur-
sprünglichsten, das Menschengeist je hervorge-
bracht hat.
Ich überspringe einige der nun folgenden ver-
worrenen Kapitel (das einzig klare darin sind er-
staunlich umfangreiche Ausschreibungen aus Laufer,
Chavannes, Hirth, Morse usw.!)) und wende mich
zu dem allgemeiner interessierenden Abschnitt:
Hohe Kunst. Münsterberg leitet den Besuch zu
diesem Irrgarten ein mit der Behauptung, пш
(1) Man muß anerkennen, daß der Autor hier noch ver-
hältnismäßig großmütigen Gebrauch von Gänsefüßchen
macht. Im Kapitel „hohe Kunst“ scheint er zu der Er
kenntnis gekommen zu sein, daß ein Übermaß an Gänse-
füßchen das typographische Bild beeinträchtigt. Pag. 214
z. B. enthält einen ganzen Absatz sich sehr gelehrt geben-
der Mitteilungen über die frühesten Arhatdarstellungen, für
deren Veröffentlichung Münsterberg Dank verdiente, bätte
er sie nicht, ohne seine Quelle anzugeben, einem englisch-
japanischen Werk entnommen (Tajima, Selected relics,
Vol. XI. 15).
Kopien, Repetitionen oder Arbeiten eingewanderter
chinesischer Künstler seien in Japan erhalten. Er
selbst widerlegt sie am bündigsten damit, daß er
seine ganze Geschichte chinesischer Malerei auf
diesen Kopien und Repetitionen aufbaut. Von den
etwa 150 Abbildungen des Abschnittes veranschau-
lichen nur etwa acht Reproduktionen Gemälde, die
nicht (oder nicht mehr) in Japan aufbewahrt werden.
Diese acht Kakemono im nichtjapanischen Besitz
sind die einzigen, die Münsterberg im Original
zu prüfen Gelegenheit gehabt hat — daher spricht
er, stets bescheiden, von seinem „umfangreichen
Material, bereichert durch eigene Anschauung von
Originalen“ — alle übrigen Gemälde, und dies
sind, es sei nochmals betont, die Hauptstützen
seiner Kunstgeschichte, kennt er nur aus Repro-
duktionen und bildet sie nach solchen ab. Welches
Anathema wäre wohl scharf genug für einen Histo-
riker europäischer Kunst, der wagen würde, die
Geschichte europäischer Malerei auf Grund von
Abbildungen und zwar solchen, die er selbst als
unzureichend bezeichnet, zu verfassen! Hieraus
erklären sich bei Münsterberg Irrtümer geradezu
grotesker Art. Ein Vogelbild von Най Hei (Zeit
der fünf Dynastien, 907—960 n. Chr.) „ist so
tadellos erhalten, daß es eher als ein Bild der
Ming-Zeit erscheint“. — Münsterberg urteilt nach
der völlig ungenügenden Reproduktion der „Kokka“,
die eine Umzeichnung nach dem Original benutzt
und alle Halbtóne, alle Risse und Altersschäden
unterschlagen hat! Vor zwei Reproduktionen nach
Bildern des Kaisers Huitsung treibt Münsterbergs
Stilkritik köstliche Blüten (pag. 248). Das eine,
so phantasiert er, sei sung-artig, das andere (,,der
bunte, aber ungraziöse Vogel, die kleinliche Aus-
führung der Federn usw.“) scheine mehr dem de-
korativen Stil der Mingzeit zu entsprechen. Münster-
berg urteilt von einer bilderbuchartigen, unsäglich
albernen Reproduktion: die Zeitschrift „Kokka“
hat sie reproduzieren lassen nach einer Zeichnung,
die nach der 250 Jahre alten Tannyuschen Kopie
des Originales (beim Marquis Inouye) angefertigt
wurde! Und da dieser Reproduktion einer Kopie
einer Kopie natürlicherweise „das innere Leben
fehlt“, so kann es kein Werk der Sung-Zeit sein.
Flichtigkeiten, Widersprüche, Entgleisungen
jagen sich. Auf 8. 184 heißt es: „Li Ssusün
malte in bunten Farben (!) die hochaufgetürmten
Felsen des Nordens“ (von China), und drei Seiten
später unternimmt derselbe Autor (mit Hilfe von
Leuten, die an Ort und Stelle gewesen sind) den
Beweis, daß im Norden Chinas die flachen Steppen
sich befinden, am Yang tse aber die hohen Fels-
grate. Bei der Behandlung der Sungmeister fällt
die Bemerkung „erst Yunlin, einer der großen Maler
der Yuandynastie, führte die Aufschrift eines Ge-
dichtes usw. ein“ . Auf 9. 244 reproduziert
Münsterberg gleich zwei Bilder von Sungmeistern,
also der Yuan vorangehenden Dynastie; beide tragen
Aufschriften, und hier heißt es plötzlich im Text:
auf beiden Bildern ist der freie Raum mit Schrift
belebt; diese Sitte scheint damals (also in der Sung-
Zeit!) aufgekommen zu sein.. Münsterberg
hat vergessen, daß er sie auf Seite 210 von einem
Yuan-Meister einführen läßt! Auf 8. 211 wird der
riesige Daibutsu Kamakuras, in dessen Rücken ich
wie во viele andere Touristen herumgeklettert bin,
als „Voll guß“, erwähnt und es werden für China
daraus Schlüsse gezogen. Die Malerei der T’ang-
Periode, aus der uns kein einziges authentisches
Bild erhalten ist, charakterisiert Münsterberg ein-
mal als naturalistisch und elegant, gleich darauf
als kleinlich und bunt. Wie Ruisdael an seinen
Baumstümpfen, so ist Ma Yuan (und seine Schule)
an dem bizarr in das Bild hineinschneidenden
Kiefernast oder Zweig kenntlich. Münsterbergs
Analyse gleitet über dieses sinnfillige Charakte-
ristikum hinweg und entschädigt uns durch Medi-
tationen, auf die man das von ihn selbst ge-
prägte Wort „Pflaumenbaumphilosophie“ anwenden
möchte: Wir sehen den einzelnen Baum in knorriger
eckiger Form dem Raume angepaßt.. Alles
übrige ist ausgefüllt mit Luftperspektive t) () als
Symbol der Ewigkeit.. Nichts gibt den Ge-
danken eine bestimmte Richtung... Den Höhe-
punkt dəs Dilettantismus erreicht M. bei der „Апа-
lyse“ der Werke des großen Мо Ch'i. Da ihm selbst
die verschiedenen Stile dieses Meisters verwirren
(er urteilt námlich wieder nach Kokka-Reproduk-
tionen, ja nach den völlig ungenúgenden des
Bijitsu Gwahö), so überläßt er es dem Publikum,
durch Vergleichung seiner gräulich undeutlichen
Autotypien sich ein eigenes Urteil zu bilden,
Münsterbergs Resiimé selbst schließt sich würdig
dem Tenor des Ganzen an. Der Tiger des Daito-
kuji ist schlecht („die Ausführung, besonders der
Hintergrund, zeigt eine mittelmäßige Hand“), denn
den prachtvollen Furor, mit dem der Regen den
Bambus im Hintergrunde peitscht, hat die Kokka-
Reproduktion, von der M. abliest, unterschlagen.
M. weiß nicht, daß dieses von ihm wegen der
Unzulänglichkeit der Reproduktion angezweifelte
Bild zu dem Pentaptychon aus Yoshimasas Besitz
gehört, dessen andere Stücke er als unzweifelhaft
echt als Abbildung 182 abbildet. Die „Krähe“
(Abb. 191), eines der berühmtesten Bilder von
(1) Die Luftperspektive ist der halbtonlose Hintergrund
einer Kokka-Reproduktion!
237
Mu СЫ", spricht М. als eine japanische Arbeit der
letzten Jahrhunderte an! Der Shogun Yoshimasa
(er starb 1490), ein grofer Sammler und feiner
Kenner, war der Besitzer dieses schon damals als
klassisch geschätzten Werkes! Der artigen Ent-
gleisung folgt ein Nachsatz, férmlich vibrierend
von Snobismus: ,auch der Stempel von Muchi
auf diesem Bilde macht eine Fälschung sehr wahr-
scheinlich.“
Unwissenheit und Nachlässigkeit spielen förmlich
„Haschen“ in dieser Kunstgeschichte. Aus Garudas
Gapanisch Теп и) wurde Ganduras, aus der
Hanlin Universität wird Hanli, aus Hanshan und
Shihté wird ein berühmtes Dichterpaar (es sind
Narren), aus Eremiten werden, man spúrt die noch
warme englische Quelle, Hermiten; auf pag. 245
wird vom Sohn des Shogun Yoshimasa als dem
Besitzer eines Bildes gesprochen und die Regie-
rungszeit des Vaters in Klammern hinzugefügt
(M. war augenscheinlich zu bequem, den Namen
des Sohnes nachzuschlagen). Bilder des Dharma
werden Porträts genannt (als wenn es erlaubt wäre,
von Porträts des hl. Lorenz oder Hieronymus zu
sprechen!) und Abb. 215 wird in der Bildunter-
schrift als ein Mingpen (ein Zeitgenosse Yen
Huis, der nur die Inschrift verfaßt hat), im Text
aber als Yen Hui selbst bezeichnet und ausführ-
lich behandelt. Bald gibt Múnsterberg die chinesi-
eche, bald die japanische Lesung des Kúnstler-
namens; ja, er schreibt so kritiklos und hastig von
seinen ins Englische übersetzten Quellen ab, daß
auf S. 269, mitten im deutschen Text, und dann
noch einmal als Bildunterschrift, gewissermaßen
als Kronzeuge verdächtiger Eile, ein englischer
Passus stehen bleibt: „das Bild trägt die Inschrift
Neng shih of Lung men.“ Man könnte denken,
Neng shih sei ein in China naturalisierter Engländer
gewesen. Im Vorwort entschuldigt sich Münsterberg
wegen der ungenauen Transkription der Namen
und glaubt so, Vorwürfen damit ein für alle Mal
die Spitze abgebrochen zu haben; die beispiellos
frivole Art aber, in der dieser Historiker der
chinesischen Kunst mit den wichtigsten Namen
und den sich dahinter verbergenden Persönlich-
keiten umaspringt, läßt die stärksten Zweifel auf-
kommen, ob er überhaupt mit irgend einem der
Namen einen Vorstellungsinhalt verbindet. Denn
wis wäre es sonst möglich, daß er dreimal hinter-
einander von seinen Katalogzetteln Liu Liang statt
Lin Liang abschreibt, daß er Lü Chi Lii Chi liest,
aus Chiu Ying Chou Ching usw. usw. usw. macht?
Infolge dieser babylonischen Namensverwirrung
ereignet sich denn der groteske Lapsus,
daß man einem einzigen Künstler Chiu
238
(oder Kiu) Ying, in drei verschiedenen
Gestalten, als Kiu-ching in der Mitte des
XIV. Jahrhunderts, als Chou Ching im
XV. Jahrhundert und endlich als Chiu Ying
um 1500 begegnet. Doch Münsterberg begnügt
sich nicht mit einem Fehltritt so grandioser Art.
Chang Yüehhu, vom Maler-Experten Soami erwähnt
und bekannt als Befruchter von Shubun und Shugetsu,
macht bei Múnsterberg als „unbekannter“ Sung-
meister sein Debut (Abb. 169) und wird 40 Seiten
später (Abb. 216) noch einmal als ein Yuanmeister
behandelt. Ebenso wird Chao Chung-mu, der
Maler eines klassischen Reiherbildes (Abb. 203 bei
Münsterberg, der es „eine schöne Komposition
an Linie und Farbenflecken“ nennt) auf S. 248
unter dem Namen Chan Chungmu erst als Re-
präsentant der Sung-Periode charakterisiert und
dann noch einmal auf 3.277 als Chao Chungmuh
in das Ende der Yuan-Zeit eingeschmuggelt. Tai
Wen-chin lebt als Tai Wen-chin auf 8. 283 sein
in Armut und Ungnade verbrachtes Dasein bis
ans bittere Ende; auf der nächsten Seite beginnt
er ein neues Leben als Tai-chin und stirbt dort
drolliger Weise eines zweiten ebenfalls bitteren
Todes. Daß es sich um denselben Künstler, um
dieselben Lebensschicksale handelt, merkt Münster-
berg in seiner ungerechtfertigten Hast nicht! Diesem
Beispiel analog läßt ar den Yuanmeister Kao Janhui
einmal als Kao Janhui in der Yuan-Periode (1280-
bis 1368) auftreten und dann noch einmal als
Kao Sheng hui in der Mandschu-Zeit (im XVII. Jahr-
hundert! nach 300 Jahren!) wie einen Phönix aus-
der Asche erstehen. Münsterberg findet zwar, daß
dieser zweite Meister etwas yuanartig wirkt, fügt
aber scharfsinnig hinzu: „trotz einer fast gleich-
guten Technik sehen wir (!) deutlich (!) den Unter-
schied von etwa 400 Jahren.“
Doch es würde Bogen füllen, wolite ich diese
Schatzkammer völlig ausräumen. Zur Erhoiterung
nach so viel trockenem Tatsächlichen sei mir ge-
gestattet, ein kleines Bouquet Múnsterbergischer -
Stilblüten von singulärem Duft und wahrhaft öst-
lichem Farbenzauber darzubringen. Pag. 333. Die
Fläche ist geschmackvoll gefüllt, ein elegantes.
Kunstgewerbe. — 304. Es fehlt jene wundervolle
Luftperspektive, die den Zauber des Landaufent-
haltes andeutet. — 283. Der Zeitgeist der sach-
lichen Erzählung hat die Ausführung etwas beein-
flußt. — 281. Ein unsichtbarer Mond läßt alles.
deutlich erkennen. — 276. Dasselbe gilt für das
liebevoll durchgeführte Bildchen der fetten Ratte
mit ihren Jungen in der Melone. — 260. In ele-
ganter Linienführung, großzügig und interessant,.
ist der Kopf des berühmten (!) Priesters Dharma
gemalt. — 250. Auf einem anderen Bilde lernen
wir Mao als Kúnstler der bunten Farbe kennen.
— 246. Das Traben des Ochsen und des Treibers
ist in voller Bewegung, und im Gegensatz recken
die kablen Bäume ihre starren Aste in den Himmel.
Richtige Winterstimmung! — 231. Seine Kom-
positionen geben in vertiefter Weise die Seele der
Tiere und Menschen. —
Warum hatte der Autor dieses Deutsch es so eilig,
uns in seiner „vertieften Weise““ das „erste Kon-
struktionsgerúst einer Wissenschaft zu errichten,
deren vorliufiges Fundament nur durch unablissige
aufopferungsvolle Spezialforschungen zu legen ist?
Münsterberg hat sich an eine Titanenaufgabe ge-
wagt. Hält er sich für einen Erleuchteten, für
einen Messias der ostasiatischen Kunsthistorie?
Oder hält er es mit dem von Flaubert unsterblich
gemachten Akademiker von Rouen, dessen blüten-
weiße Seele sich in dem neckischen Verschen
verriet:
Es ist gar hübsch, wenn man zu jeder Zeit
der erste ist in seiner Örtlichkeit.
Friedrich Perzyúski.
ERNEST A. GARDNER. Six Greek
Sculptors. London. Duckworth and
Co. 1910 260 S. 81 ТЯ.
Wer sich die Aufgabe stellt, einen bestimmten
Teil der antiken Kunstgeschichte zu behandeln,
wie beispielsweise der Verfasser des vorliegenden
Buches, der den Höhepunkt der griechischen Skulp-
tur zu schildern unternimmt, kann von den Werken
selbst ausgehen, die uns überkommen sind, oder
auch er kann die einzelnen Künstler als scharf
umrissene Persönlichkeiten heraus heben und uns
mit ihrem Leben und ihren Werken bekannt
machen. Beide Wege haben ihre Vorzüge, der
letztere, den Gardner gewählt hat, vor allen Dingen
den, daß er befähigt, die Kunstwerke als aus der
Eigenart und dem individuellen Charakter ihres
Schöpfers heraus entstanden, und darin wurzelnd
zu erklären. Nicht viel ist es, was wir in der
Regel über die Lebensschicksale antiker Künstler
wissen, und was wir von der Eigenart ihrer Kunst
kennen, haben wir meist erst durch Abstraktion
aus ihren Werken gewonnen. Demnach könnte
es scheinen, als ob die Person des antiken Künst-
lers nur lose mit seinen Werken zusammen hängt.
Aber eine Darstellung der antiken Kunstgeschichte,
die von den einzelnen Künstlern ausgeht, wird
trotzdem immer, wenn auch mehr für den Lesenden
als für den Lernenden, eine große Anziehungskraft
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 5
haben, wie das vorliegende Buch beweist. Der
Verfasser, der uns die fünf größten Plastiker des
Altertums und ihre Werke kennen lehrt, hat es
verstanden, trotzdem manches Kunstwerk jener
Periode unbeachtet bleiben mußte, ein lebensvolles
und wahres Bild der griechischen Skulptur auf
ihrem Höhepunkte zu entwerfen, und wer die
Kunst jener Zeit kennen lernen will, ohne sich
durch die ganze Entwicklungsgeschichte mühsam
hindurch zu arbeiten, wird dem Verfasser für seine
Gabe dankbar sein. Aber auch dem Fachmann
wird das Buch manches bieten an feinempfundenen
und scharfsinnigen Vermutungen, die dem Buche
seinen bleibenden Wert geben. A. Köster.
JULIUS BAUM. Romanische Bau-
kunst in Frankreich. (Bauformen-
Bibliothek III. Band.) XIX Seiten Text
und 226 Tafeln. Stuttgart. J. Hoffmann
1910.
Daß ein Bedürfnis vorhanden ist, erkennt man
mitunter erst, wenn seine Befriedigung vorliegt.
Es existierte in der Tat kein einigermaßen zusam-
menfassendes Werk über die Baukunst Frankreichs
im 11. und 12. Jahrhdt.; trotz Dehio und v. Bezold
war sie in Deutschland allzusehr terra incognita
Das vorliegende Buch füllt diese Lücke in jeder Be-
ziehung gut aus. Der Hauptnachdruck wird auf die
Abbildungen gelegt, und der Text von Baum orien-
tiert in dankbarer Knappheit über die wesentlichen
Fragen aufs beste. Die annähernd 300 Abbildungen
sind mit großem Geschick aus der ungeheuren
Fülle des Materials ausgewählt, mit Geschmack
aufgenommen und mit wünschenswerter Klarheit
(in Netzätzung) reproduziert. Sie geben wirklich
die Vielseitigkeit der französischen Baukunst in
guten Repräsentanten und in den wichtigeren Fällen
mit einer Fülle von Detailaufnahmen, so daß das
Werk über ein bloßes „Bauformen“-Kompendium
weit hinausgeht und für alle Fragen in Architektur,
Ornamentik und Plastik ein fürs erste genügendes
Nachschlagewerk darstellt. Bei dem Mangel an
französischen Inventaren ist diese mühevolle Sam-
meltätigkeit nicht hoch genug zu schätzen; beides,
die berühmten Hauptwerke und die so notwendige
Ergänzung der provinzialen Bauten findet gleiche
Berücksichtigung.
Der kurze Text von Julius Baum gibt eine sehr
gut geschriebene Übersicht über die Entwicklung
des Raumgedankens und die schmückende Plastik
in den unterschiedlichen Schulen; beides mit Selb-
ständigkeit und einem sehr fein unterscheidenden
17 239
Blick für die künstlerischen Besonderheiten der
Architekturschulen. Diese Gabe ist besonders rüh-
menswert, weil sie recht selten ist; im Gegensatze
zu den meisten (namentlich von Architekten her-
rührenden) Baubeschreibungen liest man sie mit
Vergnügen. — Vortrefflich wirken Baums Synthesen
der süd- und westfranzösischen Gewölbesysteme,
welchen die „Sehnsucht nach dem Zentralbau“ die
Richtung gibt und jenen herrlichen Wohlklang des
Raumes verleiht, der in 8. Front zu Perigueux
gipfelt; im Gegensatz gegen die raumzerstörende
Tendenz der Gotik im Norden, der die Konstruktion
zum Selbstzweck wird. Eine ähnliche Antithese
beherrscht die Plastik. Die romanische ganz deko-
rativ, als Relief, im Stil oft gewollt manieristisch,
aber auch hier schon die höchststehende in ihrer
Zeit und von Einfluß auf Italien (Antelami) und
Süddeutschland (Regensburg, Basel etc.); die go-
tische als Befreierin der Freistatue, was freilich
nur relativ zu verstehen ist. Ziemlich bestimmt
wendet sich B. dabei gegen die Ansicht Vöges —
dessen fundamentales Werk dadurch nichts an Wert
verliert — von der Abhängigkeit der Chartreser
Portale von Arles. Er folgt darin der französischen
Forschung. P. F. Schmidt.
EMILE BERTAUX, L’exposicion re-
trospektive de Saragosse 1908. Paris,
Librairie centrale des Beaux-Arts. 1910.
358 S. mit 115 Tafeln. — 60 frs.
Den Glanzpunkt der großen spanisch-französischen
Ausstellung, die 1908 anläßlich der Hundertjahr-
feier der Belagerung Zaragozas in der aragonesi-
schen Hauptstadt abgehalten wurde, bildete zweifels-
ohne die retrospektive Kunstausstellung. Um ihr
Zustandekommen hatten sich die Herren D. Mariano
de Pano und D. Francisco de P. Moreno besonders
bemüht. Ihre Anstrengungen wurden durch den
Erfolg reichlich belohnt. Mit staunender Bewunde-
rung genoß man all die köstlichen Schätze altspani-
scher Malerei und Plastik, all die Goldschmiede-
arbeiten, Kunststickereien, Teppiche und Elfenbein-
schnitzereien, die neben dem reichen Zaragozaner
Domkapitel und dem königlichen Haus vor allem
eine ganze Reihe von Kirchen kleinerer ara-
gonesischer und katalanischer Städtchen wie Daroca,
Teruel, Lerida, Pamplona, Huesca zur Ausstellung
gesandt hatten.
Erfreulicherweise entschloß sich die kgl. Aus-
stellungskommission sofort dazu, die Hauptschätze
in einer großen Publikation zu veröffentlichen und
240
betraute mit dieser Aufgabe den dafür geeignetsten
Mann: den Lyoner Universititsprofessor Emil
Bertaux, der bekanntlich nicht nur einer der her-
vorragendsten französischen Kunsthistoriker und
ausgezeichneter Kenner der spanischen Primitiven
im besonderen, sondern auch ein glänzender Photo-
graph ist. Die Publikation ist nun erschienen.
Man darf den Autor aufrichtig dazu beglück-
wünschen. Die zahlreichen, großen Tafeln wirken
scharf und klar, der — spanisch und französisch
— abgefaßte Text ist, wie es ja nicht anders zu
erwarten war, mustergültig.
Unter den Gemälden verdienen vor allem die
des ehemaligen Flochaltars des Klosters von Sijena
Interesse sowie eine „Flucht nach Ägypten“ in
Zaragozaner Privatbesitz, eine aragonesische Tafel
vom Ende des XV. Jahrhunderts, die den Schon-
gauerschen Stich benutzt hat. Unter den Minia-
turen ist das Libro de horas, das um 1505 für
den Bischof Juan Rodriguez de Fonseca von Palencia
ausgeführt wurde, von größter Wichtigkeit. Es
entstammt dem Kreis des Meisters des Breviario
Grimani. Die Teppiche der Seo wie die be-
rühmten des Madrider Schlosses sind sehr gut
reproduziert; unter den Stoffen verdient vor allem
Capa und die Dalmatica maurischen Stils aus
Lerida besondere Beachtung. Die Plastiken und
Elfenbeinschnitzereien die hier reproduziert sind,
dürften den Gelehrten wie den Sammler nicht
weniger fesseln ebenso wie die Goldschmiede-
arbeiten und die Emails, vor allem das Triptychon
des Jean Penicaut I zu Huesca und die große
aragonesische Arbeit mit 24 Täfelchen, die sich
in Madrider Privatbesitz befindet.
August L. Mayer.
J. VON PFLUGK - HARTUNG: Kunst-
gewerbe der Renaissance. I. Band.
Rahmen deutscher Buchtitel im XVI. Jahrh.
Stuttgart, Fritz Lehmanns Verlag.
Auf 102 Tafeln ist die Geschichte der deutschen
Buchrahmen vom Jahre 1512 bis 1590 dargestellt.
Die úbersprudelnde Phantasie, die geistreiche Kraft
und Erfindungsgabe der deutschen Renaissance
kommt wohl nirgends in ihrer unmittelbaren Ur-
springlichkeit klarer zum Ausdruck als in der
deutschen Buchillustration. Denn der Sieg der
Reformation, der ungefáhr mit der Stilwandlung
der Gotik Hand in Hand ging, rief eine volks-
tümliche Literatur hervor mit höchstem Reichtum
der kunstlerischen Ausstattung. Daher die Viel-
seitigkeit der Buchschmuckformen, deren Entwick-
lung ebenso an bedeutendste Namen der deutschen
Renaissance, wie an einer große Zahl kleiner und
kleinster Städte im deutschen Reich geknüpft ist.
Der feine elegante Charakter, der den italienischen
und französischen Buchschmuck als eine aristo-
kratische Hofkunst auszeichnet, geht infolge des
Derben, Sinnfälligen einer oft zügellosen Phantasie
in die deutsche Renaissance nicht über.
Ähnlich wie in der germanischen Ornamentik
des frühen Mittelalters, wirken neben der Freude
an dem übergroßen Reichtum der Erscheinungen
verstandesmäßigs Faktoren mit. Das Ornament
wird durch tier- und figürliche Motive belebt und
logisch gerechtfertigt. Pflanzen, Blüten und Früchte
sind da, damit allerlei Getier in dem vegetabilen
Beiwerk umherhüpfen und seins Nahrung suchen
kann. Schilder und Cartouchen müssen von Putten
gehalten werden, die einzelnen Gegenstände werden
durch Band- und Riemenwerk verknüpft und das
geometrische und pflanzliche Ornament durch Ver-
bindung mit Tier- und Menschenformen belebt.
Die klassische Auffassung der romanischen Rasse,
das Ornament um seiner selbst willen zu gestalten,
nur aus ästhetischen Rücksichten heraus, fehlt.
Diese intellektuellen Elemente veranlassen den
Künstler nicht zu einer trocknen, logischen Ver-
mischung der Formen oder zu einfacher Aufzäh-
lung. Dis kraftvolle Ursprünglichkeit, der Sinn
fúr Humor, fúr dis Komik in Linie und Masse,
erweckt eine lebendige Natürlichkeit der Darstellung.
Das Gefühlsmäßige überwiegt in gewisser Be-
ziehung. Daher sind auch dis Gesetze der Sym-
metrie für den deutschen Zeichner der Renaissance
nicht masgebend. Der Stoff, die Fülle der Ein-
fälle, die úbersprudelnde Phantasie zwingen ihn zur
asymmetrischen Darstellung.
Mit voller Beherrschung des Materials hat Pflugk-
Hartung die für die einzelnen Entwicklungsphasen
charakteristischen Stücke ausgewählt, so daß die
Stilwandlung von der Früh- bis zur Spätrenaissance
und bis zur gelegentlichen Aufnahme von barocken
Formelementen, klar zum Ausdruck kommt. Eine
kurzgefaßte Skizze des Buchdrucks und Buch-
schmucks berührt alle wesentlichen Punkte der
Entwicklung.
Der Druck der einzelnen Tafeln ist gut. Die
chronologische Anordnung, die Bezeichnung mit
Druckjahr und Ort macht die Arbeit als Nach-
schlagewerk brauchbar. Wer sich mit Ornamentik
der Renaissance beschäftigt, hat hier ein bequemes
Hilfsmittel zur Hand. О. E. Lüthgen.
AUGUST L.MAYER. Toledo. Berühmte
Kunststátten. Band 51. Leipzig, E. A. See-
mann, 1910. 8°.
Kurzgefaßt und übersichtlich handelt der Ver-
fasser in vier großen Kapiteln Architektur, Plastik,
Malerei und Kunstgewerbe ab, so wie sie sich auf
dem Boden Toledos entwickelt haben. Er beweist
dabei eine gründliche Kenntnis der Stadt und aller
ihrer, auch der an den verstecktesten Plätzen be-
findlichen Denkmäler. Dieses innige Vertrautsein
mit dem Gegenstande, das aus jeder Zeile des
Textes spricht, kommt auch den Illustrationen zu-
gute. Dis bildliche Ausstattung ist nicht allein
sehr reich ausgefallen, 118 Bilder auf nur 164
Seiten, die Auswahl ist auch überaus glücklich
getroffen, denn jeder Stil kommt in charakteristi-
schen Denkmalen zur Anschauung, vielfach in
solchen, die bisher garnicht oder ungenügend
publiziert waren. Dabei hat der Verfasser den
größten Wert auf gute Qualität seiner Vorlagen
gelegt, die in Spanien durchaus nicht ohne wei-
teres zur Verfügung zu stehen pflegt. So hat er
in seinem Bändchen ein Werk geliefert, ohne das
Niemand, dem es darum zu tun ist Toledo gründ-
lich kennen zu lernen, in Zukunft den Besuch der
kaiserlichen Stadt wird unternehmen dürfen, es ist
ein Führer, dem man mit unbedingtem Vertrauen
folgen darf. Sehr glücklich scheint uns die Cha-
rakteristik el Grecos, der natürlich auf verhältnis-
mäßig breitem Raum abgehandelt wird. Von der
Tätigkeit desGriechen als Plastiker sind wir aller-
dings nicht ganz überzeugt. Da wo August L.
Mayer davon spricht, daß so viele Kunstwerke aus
den Kirchen auf dem Umwege über die Klausur
auf Nimmerwiedersehen verschwinden, rührt er an
eine offene Wunde; möchte doch eine energische
Regierung endlich diesem Unfug steuern und das
Land vor der Verschleuderung seiner Kunstschätze
bewahren. Max von Boehn.
H. GEISENHEIMER, Pietro da Cor-
tona e gli affreschi nel Palazzo
Pitti. Notizie documentate. Firenze,
Leo S. Olschki.
Ein Hinweis auf dies niitzliche, viel neues und
neugeordnetes Material bringende Biichlein, seit
dem hinterlassenen Werke Fabbrinis die wich-
tigste Arbeit úber Berrettini, wird den Spezial-
forschern auf dem Gebiet des rómischen Barock
willkommen sein. G. hat mit großer Sorgfalt alles
Aktenmaterial zusammengestellt, das auf die Aus-
malung der Galerie des Palazzo Pitti Bezug hat,
241
4. h. die Zahlungsanweisungen und die Briefe
des Künstlers. Der Gang der Arbeit, auf den es
dabei vor allem ankommt, geht hieraus in großen
Linien hervor, freilich immer noch mit einzelnen
UngewiSheiten, besonders mit Flinsicht auf die
Reihenfolge der Stanze di Giove und di Marte.
Den letzten, vielleicht wichtigsten Teil von
Geisenheimers Schrift bilden die aus allen den
Künstler betreffenden Notizen und Dokumenten zu-
sammengestellten Regesten, deren übersichtliche
typographische Anordnung besonders zu rühmen
ist, da sie die Orientierung über das Leben Cor-
tonas außerordentlich erleichtert. Überhaupt ver-
dient die geschinackvolle Ausstattung der Arbeit
Anerkennung.
Ein kleiner Lapsus der Einleitung — für das
Ganze belanglos — sei kurz berichtigt. Fran-
cesco Rondinelli hat nicht, wie G. auf S.6 meint,
das Programm der Argenteriafresken des Giovanni
da S. Giovanni geliefert, sondern sollte es (nach
dem Wunsch des Hofes) liefern. In der Vita
des Giov. Mannozzi, die Baldinucci geschrieben
hat, wird sehr amüsant erzählt, wie der Maler die
Einmischung des Literaten abzuwehren und statt
dieses fremden Programmes sein eigenes durch-
zudrücken verstanden hat. Н. Voss.
P. J. MEIER. Braunschweig. Stätten
der Kultur Bd. 27. Buchschmuck von
Anna Lóhr. Leipzig, Klinkhardt und Bier-
mann 1910.
Der Braunschweiger Band dar ,,Stitten der Kul-
tur“ verdient eine ganz besondere Hervorhebung,
weil er vielleicht dem Ideal dieser Bändchen unter
allen erschienenen am nächsten gekommen ist.
Wenigstens kenne ich keines, das mit dieser knap-
pen Klarheit eine solche Fülle des Wertvollen
bringt. Auf тоо Seiten die Kultur und Kunst, die
wirtschaftliche und geistige Blüte einer Stadt von
dem Range Braunschweigs zu geben, und so er-
schöpfend und allseitig befriedigend zu geben, das
will etwas bedeuten. Wie viel Wissen und Studium
hinter den kurzen und flüssigen Darstellungen von
P. J. Meier sich verbirgt, und wie stark ar zusammen-
gedrängt hat, kann freilich wohl niemand als seine
Nächsten ermessen. Man genießt die Quintessenz
eines halben Lebens und bemerkt es kaum; so
gefällig ist das Gewand, in dem wir die Gabe
empfangen.
Am interessantesten berühren, wie es nicht anders
sein kann, die architektonischen Teile, in denen
P. J. Meier seine eigensten Studien verwendet.
Wundervoll anschaulich z. B. das Zusammenwachsen
242
der Stadt aus ihren diffusen Teilen und das Werden
ihres Grundrisses; fesseind, nicht mit einem Ge-
danken abstrakt, die Erzählung vom Umbau der
Pfarrkirchen in Hallenkirchen. Das Gewandhaus
wird in feinster Weise analysiert, der Typus des
Braunschweiger Holzhauses lebendig umrissen.
Doch glaube ich, daß man nach Lauffers Unter-
suchungen über den volkstümlichen Wohnbau im
alten Frankfurt a. М. (im Arch. f. Frkf. Gesch. u.
Kst. III F. X. Bd.), annehmen muß, entgegen Meier,
daß das mittelalterliche Bürgerhaus auch in Braun-
schweig aus dem Bauernhause entstanden ist.
Mit der versöhnlichen Bewertung der hergerich-
teten Dankwarderode wird man nicht überall ein-
verstanden sein; man muß indessen hier die
Rúcksichten in Rechnung stellen, die der Verfasser
als Braunschweiger zu nehmen hat, aus welchem
Grunde er auch mehr auf die lichten Seiten im
Dasein Lessings eingeht als auf die trüben. Wir
wollen es aber, bei aller Achtung vor der Freiheit,
die man dem Wolfenbüttler Bibliothekar ließ,
mit nichten vergessen, daß in Braunschweig der
Ausdruck „arm wie Lessing“ sprichwörtlich war
und daß sein Begräbnis wegen gänzlichen Mangels
auf Staatskosten erfolgen mußte.
Es liegt aber schon in der Natur eines Büchleins
von dieser Art beschlossen, daß es lieber die freund-
lichen Seiten in allen materiellen und geistigen
Entwicklungen betont. Und wir wollen deshalb
P.J. Meier Dank sagen, daß er uns über die Höhe-
punkte der fürstlichen Kultur sowohl unter Heinrich
dem Löwen wie unter Karl Wilhelm Ferdinand
in der ausgezeichnetsten Weise unterrichtet: es
sind doch die Höhepunkte, die das Niveau für die
Nachwelt fixieren. Was dazwischen liegt, mag
mit Recht der Vergessenheit anheimfallen!
P. F. Schmidt.
FRITZ TRAUGOTT SCHULZ, Nürn-
bergs Bürgerhäuser und ihre Aus-
stattung. Gerlach und Wiedling, Buch-
und Kunsthandlung, Wien und Leipzig.
Lieferung ı u. 2.
Ein wundervolles Werk! Am 18. Oktober 1878
sprach der unvergeßliche Dr. von Essenwein zum
ersten Male den Gedanken aus, Nürnbergs Bau-
denkmäler einheitlich durchgearbeitet, herauszu-
geben. Indessen sollte es noch viele Jahre dauern bis
nach endlosen Verhandlungen und mancherlei Fähr-
lichkeiten das Unternehmen greifbare Gestalt ge-
wannn. Was lange währt, wird endlich gut, dieser
Erfahrungssatz hat sich auch hier glänzend bewährt,
das Werk hat bis jetzt meines Erachtens nicht
seines Gleichen und der Bearbeiter Dr. Fritz Trau-
gott Schulz hat es mit seltenem Geschick ver-
standen, dies Hausbuch immerfort wieder von
Neuem reizvoll und lesbar zu gestalten. Ebenso
ist das Abbildungsmaterial ganz vortrefflich, der
einzige Wunsch wire vielleicht der, plastische
Sachen wie z. B. Deckenstuck um ihres Charakters
als Handantragarbeit willen lieber in Lichtdruck
darzustellen, da Autotypien doch nur schwer die
feinen Eindrücke des Modellierholzes wiedergeben.
Besonders beachtenswert für alle sich mit In-
ventarisieren Beschäftigenden erscheint mir der
Arbeitsplan, aus dem folgendes teilweise wörtlich
entnommen sei:
Zunächst höchst dankenswert das Einteilen nach
den alten (8) Stadtvierteln nach dem Plane von
Lotter-Seutter (um 1730.) Die Häuser werden nach
Hausnummern geordnet beschrieben; bei jedem
genaueste Quellenangaben mit Nennung der
betreffenden Stelle. (Die vielfach eingerissene
Methode, nur in einem besonderen Verzeichnis
die Titel der benützten Werke anzugeben, halte
ich für vollkommen verfehlt. Der wissenschaftliche
Arbeiter ist dann gezwungen, viele Zeilen unnütz
und zeitraubend zu lesen, um eine Stelle finden
zu können). Ebenso werden alle alten bekannten
Abbildungen wiedergegeben. Eine ebenfalls höchst
dankbare Maßnahme! Im Einzeinen wird jedes
Haus, zunächst im Äußeren, vom Keller bis ins
Dach beschrieben, ebenso beim Inneren in gleicher
Weise vorgegangen, in Lageplan, Grundriß und
Schnitt das Ganze erläutert, daneben alle bemer-
kenswerten Einzelheiten abgebildet und besprochen.
Zum Schlusse der Hof. Den Nürnbergern geht
es ähnlich wie den modernen Großstädtern. Die
Enge der Festungsstadt machte ein Hausgärtchen
zu einem unerschwinglichen Objekt, daher die
meisten Patrizier ihre Gärten vor den Toren hatten.
Auch Straßen und Platzbild wird eingehend an
Hand alter, wie neuer Abbildungen beschrieben,
ein Verfahren, wodurch vielfach erst die Bedeutung
des Einzelbaues im Ganzen, als wichtiges Glied
des Straßenbildes sich ergibt und womit die Er-
kenntnis sich einstellt, daß es ohne Not nicht
fehlen (abgebrochen oder stark verändert werden)
sollte. Auf diesen wichtigen Gesichtspunkt des
Buches möchte ich ganz besonders hinweisen,
ihm wird in unseren Inventaren viel zu wenig
Bedeutung beigemessen, sie sind noch immer zu
sehr systematisch und chronologisch. Die beiden
ersten Lieferungen des Buches bringen aus dem
Milchmarktviertel: die Agnesgasse, den Albrecht-
Dürer Platz und die gleichnamige Straße. Be-
kannte Bauten dieses Bezirkes sind der Sebalder
Pfarrhof mit seinem hübschen Chörlein, das vor-
nehme Anwesen des Albrecht Dürer Platzes No. 16
aus dem Ende des XV. Jahrhunderts und das ehr-
würdige Wohnhaus Dürers selbst, dessen Bau-
und Besitzgeschichte naturgemäß weiteres Interesse
beansprucht und demgemäß ausführlicher behandelt
ist. Für die Beschreibung von 28 alten Gebäuden
einschließlich der genannten Straßen und Plätze
sind 96 Seiten zweispaltiger Text, sowie 125 Ab-
bildungen verwandt, so daß einstmal das fertige
Ganze ein stattliches Prachtwerk werden dürfte.
Man darf den weiteren Lieferungen dieses Buches
mit größtem Interesse entgegensehen und wir
wünschen der Sache, dem Hausbuche der lieben
alten Stadt Nürnberg, überall die regste Verbreitung
und Nachahmung. Adolf Zeller.
OLGA von GERSTFELDT UND ERNST
STEINMANN,Pilgerfahrten in Italien,
L. 8% (УШ, 390) mit 11 Taf. Leipzig, 1910.
Klinkhardt & Biermann. Geh. M. 6.—,
geb. M. 8.—.
Ja, es war nur eine Pilgerfahrt von kurzer Dauer,
voll heiliger Andacht und Ergriffenheit über die
reichen, großen Eindrücke des gemeinsamen Weges
und von jener Entrückung über alles Vergäng-
liche und Kleinliche, welche nur großen und tief-
angelegten Naturen eigen ist. Nun sie zu Ende,
zieht der eins der Weggenossen einsam seine
Straße weiter; in seinem schweren Leid rekapitu-
liert er noch einmal die schönsten und ertrag-
reichsten Stationen dieser gemeinsamen Pilger-
fahrt durch das Land und die Ideale der beider-
seitigen Träume und Studien. Mit schmerzlicher
Wehmut legt man dieses Erinnerungsbuch aus
der Hand. Es ist ein letzter Gruß übers Grab
hinaus: in einem Bande das Beste gesammelt, das
Mann und Frau getrennt gestaltet und vereint ge-
nossen; die letzten Blüten, die ein Unglücklicher
aus dem köstlichen Garten noch zusammenrafft,
nachdem der Schicksalssturm darüber gerast und
all die Rosen eines kurzen Sommers unwiderbring-
lich vernichtet, und sie am Fuße der Cestiuspyra-
mide niederlegt. Das Geschick, das Olga von
Gerstfeldt, die Gattin des bekannten Kunsthistorikers
mitten aus reichem Schaffen hinwegholte, ist un-
sagbar tragisch: mitten aus langersehntem, nach
schmerzlichen Jahren erlangtem Glück, nach kurzem
Glücksempfinden, wurde sie jetzt gerade vor einem
Jahr hinweggerafft; es ist tief schmerzlich für das
geistig gesellige Leben in Rom, wo sie, dank ihrer
erstaunlichen und vielseitigen Sprachgewandtheit,
ihrer hohen musikalischen und gesanglichen Be-
243
gabung, ihrem sonnigen, leicht sich erschliefenden
Temperament und den vornehmen Adel ihrer
Natur einen reichen und anregenden Mittelpunkt
geschaffen hatte, wie die Deutschen seit langem
keinen mehr besessen hatten. Ihr Hingang löst
aber auch schmerzliches Bedauern im Hinblick
auf ihre literarische Tätigkeit aus. Neben all ihren
vielseitigen geselligen Verpflichtungen, neben der
rührenden Pflege der Freundschaftspflichten hatte
sie immer noch Zeit und Muße zu literarischen
Arbeiten gefunden, früher mehr in dichterischer
Form, wovon ihre Gedichtsammlungen „Psalter
der Liebe“ und „Sturm und Stille“ hervorragende
Proben enthalten; mehr und mehr vertiefte sie
sich aber in kunst- und kulturgeschichtliche Studien,
deren Erträgnis sie in glänzende Essais umsetzte.
Fast als ob sie der dunklen Wolke, die über ihrem
Dasein stand, bewußt gewesen wäre, geizte sie
mit der kostbaren Zeit für diese Arbeiten, suchte
sie mit fieberhafter Energie auch den letzten Ver-
zweigungen eines geschichtlichen Problems nach-
zugehen. Von all dieser schweren Vorarbeit merkt
man in ihrer Darstellung nichts mehr; so sehr hat
die künstlerische Gestaltungskraft alle Ecken ab-
gerundet. Nur aus den Anmerkungen tritt uns die
erstaunliche Gelehrsamkeit der Verfasserin entgegen;
hier steckt, wie man auch am vorliegenden Buch
ersehen kann, eine Unsumme feiner anregender
Bemerkungen und interessanter Beobachtungen.
In den „Pilgerfahrten“ hat der Herausgeber, ihr
Mann, eine Anzahl ihrer besten Essais mit vier
eigenen zusammengestellt. Sie sind durchweg
Gestalten, weihevollen Orten, Problemen italieni-
scher Geschichte im weitesten Sinne des Wortes
gewidmet und hatten schon vordem in Zeitschriften
einen größeren Leserkreis ergriffen und beglückt.
Steinmann selbst hat seinen Nachruf an Emilie
Peruzzi, einen der ergreifendsten Essais und fein-
sinnigsten Charakterzeichnungen, „das Geheimnis
des Meisters“ (Michelangelo), die wertvollen Studien
über Michelangelo in Rom und das Stimmungs-
bild über Capri beigesteuert. Die Hingeschiedene
selber hat immer nur der Psyche einer Zeit und
der im Strome hochgehenden geschichtlichen
Lebens stehender Personen nachgegrúbelt. Sie
fühlte sich „in, jener brennenden Ruhmessehnsucht
den großen Männern und Frauen der italienischen
Renaissance wahlverwandt, mit denen sich ihr
Geist am liebsten beschäftigte.“ Die Tragik des
Erlebens, die Größe des Schaffens und die Tiefe
des Denkens und Empfindens suchte sie in allem
Mechanismus des geschichtlichen Werdegangs;
auch im großen Pomp und in der schäumenden
Lebenslust der Renaissance verlangte sie neben und
244
zu dem Verstand und Willen vor allem Seele und
Gemüt. Alles Kleine und Unechte war ihr zu-
wider. Leidenschaftlich strebte sie in der Ge-
schichte wie im Leben nur nach der Wahrheit
und — nach der Schönheit: hierin eine echte
Renaissancenatur, eine Schwester jener Isabella
und Beatrice d’Este, deren geistiges Bild sie vor
uns erstehen ließ. Schon gleich das erste Kultur-
gemülde der „Pilgerfahrten“, „Am Hof der Sforza“,
offenbart uns die Neigungen und Interessen der
Verfasserin in hervorragendem Grade, wie sie aus
den Sphinzaugen der Mona Lisa und aus den
Kindesaugen der Unkekannten der Ambrosiana,
wohl der Bianca Sforza, die Erlebnisse der groSen
Tage am Hofe Ludovicos il Moro herauszulesen
und damit, immer auf dem Boden geschichtlicher
Tatsachen sich haltend, ein köstliches Kulturbild
herstellt. Ähnlich meisterhaft als Seelenanalyse
ist die ikonographische Studie „Violante und Venus“,
die die Leser der ,,Monatshefte“ erstmals vor Jahres-
frist zu lesen bekamen, ein neuer Versuch, hinter
das Geheimnis der ,,Irdischen und himmlischen
Liebe“ und dadurch auch hinter das Geheimnis
des großen Meisters selber zu kommen. Ihre
Lieblingsneigung fiir Musik kam zu ihrem Recht
in den zwei musikgeschichtlichen Essays ,,Der
Meister von Сгетопа“ — ein glänzender Abriß
der Kultur- und Kunstgeschichte der Stadt — und
in , Francesco Landini degli Organi“, zu dem sie
eine Miniaturhandschrift in Florenz inspiriert hatte.
Ein Seitenstúck zu ihren ,,Hochzeitsfesten der Re-
naissance“ bildet das farbensatte Gemälde „Karneval
in Venedig‘; stimmungsvolle Landschaftsbilder in
großem Stil sind die Aufsätze, „Flora des Forum
Romanum“, „Römische Villen“ und „Caprarola“.
Mit sicheren Strichen verstand sie in allen diesen
Studien ein farbenreiches, bis in die Einzelheiten
hinein plastisch klares und zuverlässiges Bild zu
entwerfen. Zwischen die Abhandlungen hat der
Herausgeber Perlen ihrer dichterischen Gabe, die
Tränen einsamer, tieftrauriger oder unbeschreib-
lich glúcklicher Stunden gestreut und damit am
besten den ernsten Grundzug ihres Wesens gekenn-
zeichnet. Denn restlos und sorglos froh und glück-
lich ist die hochbegabte Frau nie gewesen; es klang
aus all ihren Äußerungen immer ein ernster Akkord
heraus. „Selbst in den frühen Lebenstagen“, schrieb
sie mir einmal, „da man nichts weiß und nichts
hofft, war ich nicht glücklich.“ Möchte diese
letzte Gabe über ihr Dasein hinaus noch möglichst
vielen Menschen Glück und Anregung bescheren.
Das war auch ihr letzter Wunsch, der in den er-
greifenden Versen am Schlusse des Buches aus-
gesprochen ist. J- Sauer.
BERICHTIGUNG: Herr Dr. Rudolf Olden-
bourg bittet uns, mit Bezug auf die in Heft 3
dieser Zeitschrift durch A. Bredius erfolgte Kritik
seiner Dissertation „Thomas de Keysers Tätigkeit
als Maler“ bemerken zu dürfen, daß er auf die
mannigfachen Einwände zunächst eine Erwiderung
nicht zu bringen beabsichtigt, dagegen auf die-
selben, soweit sie objektiver Natur sind, in seinem
Buch „Thomas de Keyser‘, das im Sommer
dieses Jahres bei Klinkhardt & Biermann, Leipzig,
erscheint, ausführlich zurückkommen wird.
Die Red.
JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST-
SAMMLUNGEN.
II. Heft:
PHILIPP MARIA HALM, Der Meister v. Rabenden
und die Holzplastik des Chiemgaues. (1 Taf. u.
18 Abb.)
MAX J. FRIEDLANDER, Dürers Entwurf mit den
neuen Christophgestalten. (т Taf.)
AUGUST SCHMARSOW, Entwicklungsphasen der
germanischen Tierornamentik von der Völker-
wanderung bis zur Wikingerzeit (IV.—IX. Jahr-
hundert). I. (13 Abb.)
ERNST DIEZ, Bemalte Eifenbeinkästchen und
Pyxiden der islamischen Kunst. II. (12 Abb.)
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Jahrgang 1911/12. Heft 1:
FRITZ WITTE, Ein Wort über den Einfluß der
englischen Stickkunst im Mittelalter. (1 Taf.; 1 Abb.)
HERIBERT REINERS, Eine Kölner Madonna vom
Beginn des XV. Jahrhunderts. (1 Taf.; x Abb.)
Im Besitze der Frau v. Lucius, Wiesbaden.
ANDREAS SCHMID, Das MeBbuch und sein Pult.
GEORG HUMANN, Neuzeitl. Kunstbestrebungen. I.
BÜCHERSCHAU u. a.: Lübbecke, Die gotische
Kölner Plastik, besprochen von Fritz Witte.
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
Heft 7:
ALFRED DEMIANI, Oviedo, die Hauptstadt der
Könige von Asturien. (14 Abb.)
FELIX BECKER, Ein neuaufgefundenes Porträt
von Frans Hals. (2 Abb.)
FRANZ FR. LEITSCHUH, Die Anfänge künst-
lerischer Bestrebungen in Würzburg. (5 Abb.)
PAUL SCHUMANN, Walter Zeising. (т Original-
Radierung u. 6 Abb.)
KUNST UND KÜNSTLER.
Heft УП:
KÜNSTLERBRIEFE DES XIX. JAHRHDTS.:
I. Reihe: Nazarener.
II. А Berliner Kúnstler.
ш. e Französische Künstler.
KUNST UND KUNSTHANDWERK.
Heft 3:
PHILIPP MARIA HALM, Hans Valkenauer und
die Salzburger Marmorplastik. (44 Abb.)
A. S. LEVETUS, Birmingham School of Art.
(9 Abb.)
DER CICERONE.
Heft 7:
H. ZIMMERMANN, Maria Theresia oder Margareta
Theresia? (2 Abb.) i
O. RIESEBIETER, Die Fayencefabrik zu Wrisberg-
holzen. (15 Abb.)
Heft 8:
DR. MARIE SCHUETTE, Alte Spitzen. — Zur
Spitzen-Ausstellung im Leipziger Kunstgewerbe-
Museum. (r2 Abb.)
ERNST STEINMANN, Römische Ausstellungen»
I. Arte retrospettiva in Castel St. Angelo. (2 Abb.)
MITTEILUNGEN AUS DEN SÄCHSI-
SCHEN KUNSTSAMMLUNGEN. i
Herausgegeben mit Unterstützung der General-
direktion der Königl. Sammlungen zu Dresden.
(Verlag Breitkopf & Härtel, Leipzig.)
Jahrgang I.:
G. TREU: Myronischer Athenakopf. (2 Abb.)
TH. SCHREIBER: Eine alexandrinische Konsolen-
figur. (3 Abb.)
J. DEICHMULLER: Verzierte Bronzeäxte. (3 Abb.)
O. SCHLAGINHAUFEN: Bootschnábel a. Deutsch-
Guinea. (3 Abb.)
F. SARRE: Ein syrischer Glasbecher. (1 farb. Taf.)
E. ZIMMERMANN: Porzellane der Mingdynastie.
(1 Taf. u. 4 Abb.)
E. ZIMMERMANN: Die Unterbringung der Por-
zellansammlung.
TH. SCHREIBER: Die Anbetung d. Rosenkranzes.
(т Abb.)
М. LEHRS: Vier neue Grünewald- Zeichnungen.
(x Taf. u. 4 Abb.)
R. GRAUL: Das Leipziger Kunstgewerbe-Museum.
(2 Taf.)
E. HAENEL: Bolzenkasten u. Armbrust. (4 Abb.
u. 1 Taf.)
245
J. L. SPONSEL: Die Bildnismedaillen des Tobias
Wolf. (1 Taf.)
K. BERLING: Ein
hunderts. (2 Abb.)
H. DEMIANI: Die Benutzung von Plaketten.
M. ENGELMANN: Die Uhrensammlung Pleissner.
(x farb. Taf. u. 4 Abb.)
W. v. SEIDLITZ: Landschaftszeichnung von Rem-
brandt. (z Taf.)
H. ERLWEIN: Der Skulpturenschmuck d. Zwingers.
W. v. SEIDLITZ: Die Sammlung Cichorius. (x Abb.)
G. TREU: Bacchusknabe von Anne Marie C. Nielsen.
(x Taf. u. 3 Abb.)
Muffelofen des XVI. Jahr-
MITTEILUNGEN DES KUNSTHISTO-
RISCHEN INSTITUTS IN FLORENZ.
Heft 5:
Führer durch die Bibliothek und die Abbildungs-
Sammlung des Instituts.
CHRISTIAN HÚLSEN, Die große Ansicht von
Rom in Mantua: zwei neue teilweise Repliken.
Berichte über die Sitzungen des Instituts 1909/10
(zweite Hälfte: März bis Mai тото).
MUSEUM.
Núm. 3:
RAFAEL DOMENECH, Les derniers oeuvres de
Sorolla. (1 farb. Taf. 11 Abb.)
J. TRAMOYERES BLASCO, L'Art flamand а
Valence. (ro Abb.)
М. R. С. Isidore Nonell. (1 Taf. 4 Abb.)
RASSEGNA D’ARTE.
fasc. 2:
GUSTAVO FRIZZONI, La raccolta Mond. (6 Abb.)
Besprechung des Werkes von J. P. Richter úber
die Sammlung.
MATTEO MARANGONI, Rilieri poco noti nella
seconda porta del 8. Giov. di Firenze. (2 Abb.)
Stellen 28 Löwenköpfe dar, nach М. von einem
Nachahmer Ghibertis.
ACHILLE PATRICOLO, La chiesa di 8. Francesco
d’Assisi a Mantova. (3 Abb.)
GIORGIO BERNARDINI, Poche spigolature in
alcune gallerie tedesche. (12 Abb.)
Zuweisungen venezianischer Bilder in Wien und
München an Savoldo, Caroto, Licinio und
Bomignori.
fasc. 3:
GUST. FRIZZONI, La raccolta Mond. (7 Abb.)
ART. JAHN RUSCONI, Rubens e Tantica Arte
fiamminga. (12 Abb.)
ACH. PATRICOLO, La chiesa di S. Francesco
(Forts.) (8 Abb.)
DIEGO SANT’ AMBROGIO, Nel Museo di Porta
Giovia. (Abb.)
Beschreibung der ,,Croce dei Barbarigo.“
246
L'ARTE.
1911. fasc. I:
GRAF ERBACH v. FÜRSTENAU, La miniatura
bolognese nel Trecento. (Studi su Nicolò di Gia-
camo.) (5 Abb.)
G. ZIPPEL, Paolo II. e l'Arte. (Note e Documenti.)
(5 Abb.)
Behandelt die Herstellung von S. Marco durch
Paul II.
A. VENTURI, Affreschi del pittore delle Vele di
Assisi. (5 Abb.)
Kreuzigung, Tod Mariä, Verkündigung und Mater
Ecclesia in S. Marco zu Jesi.
GUGL. PACCHIONI, Note sul Guercino. (2 Abb.)
Verloren gegangene Jugendwerke G.’s und zwei
Genreszenen der Galerie zu Cento. Zeichnungen
dazu im Louvre.
ALDO FORATTI, I Polittici Palmeschi di Dossena
e Serina. (5 Abb.)
MARIA CIARTOSO, Note su Antoniazzo Romano.
(4 Abb.)
Schreibt die Apsisfresken von 3. Croce in Geru-
salemme zu Rom dem Antoniazzo Romano zu.
A. VENTURI, L'Arte giovanile del Perugino.
(xx Abb.)
Hält die Mehrzahl der storiette della vita di
S. Bernardino in der Peruginer Pinakothek und
ebenso die Anbetung der Könige ebenda für
Jugendwerke Peruginos.
Cronaca. Bollettino bibliographico.
RIVISTA D'ARTE.
fasc. 5—6.
CHARLES LOESER, An unknown terracotta Ma-
donna by Michelozzo at Budapest. (3 Abb.)
PAOLO D'ANCONA, Un” opera ignorata di Atta-
vante degli Attavanti alla Biblioteca Corsiniana di
Roma. (3 Abb.)
С. GAMBA, Un ritratto di Cosimo 1. del Pontormo.
(2 Abb.)
Weist mit Hilfe einer Zeichnung das Jugend-
bildnis Cosimos von Pontormo (bei Vasari er-
wähnt) in den Uffizien nach.
GIACOMO RIGONI, Alfonso Lombardi a Bologna
(1519—1537). (8 Abb.)
M. CIONI, Di uno stendardo dipinto dal Dolci.
ALCUNI AMICI FIORENTINI, Cornelio de Fa-
briczy. (Mit Porträt.)
Nekrolog und Bibliographie seiner Schriften.
OD. H. GIGLIOLI, R. Galleria Palatin a Dosso
Dossi, Bambocciatu und Rid. Ghirlandajos „Orefice“.
(Erwerbsakten).
— ee mee
REVUE DE L'ART CHRÉTIEN.
LIVe année; Ire livraison; Janvier-Fevrier 1911:
ANDRÉ DE HEVESY, Les miniaturistes de
Mathias Corvin. (1 Taf., 14 Abb.)
MAX PRINET, Les insignes des dignités ecclésiasti-
ques dans le blason français du XVe siécle. (14 Abb.)
JOS. CASIER, L’Exposition de l'art belge au
XVIIe siècle. (ame article.) 2 Taf., 5 Abb.
MELANGES:
PAUL CLEMEN, Peintures murales du début
de l’époche romane à l’église abbatiale de Werden.
x Abb.
GASTON BIDEAUX, Les stalles de l'église de
Chaumont-en Vexin (Oise). 2 Abb.
BIBLIOGRAPHIE.
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Leonardo Bistolfl. (9 Abb.)
Febr.:
L. LOUKOMSKY, L' Art héraldique en Russie
(m. аз Abb.).
Kurze Übersicht über die Entwicklung der
Wap in Rußland, deren Anfänge aus
den 70er Jahren des XVII. Jahrh. datieren.
G. LOUKOMSKY, Le palais du Senat (mit 3 Abb.).
Entstehung des jetzigen Senatgebäudes in
Petersburg, erbaut von Carlo Rossi 1827—35.
A. ANISSIMOFF, La restauration des peintures
murales а léglise de St. Théodore Stratilata а
Novgorod (m. 8 Abb.).
Die 1360 erbaute Kirche gehört zu den schönsten
Baudenkmälern Nowgorods. Die Fresken, welche
das Innere der Kirche schmücken, werden jetzt
allmählich in ihrer ursprünglichen Gestalt auf-
gedeckt.
APOLLON.
Febr.:
а. LUKOMSKI, Barockbauten in Kleinrußland.
її Abb.
SERGE MAKOWSKY, Die Jahresausstellung der
Künstlervereinigung „Mir Iskusstwa“. 22 Abb.
BARON N. WRANGELL, Mstislaw Dobushinsky.
22 Abb. m. Verzeichnis seines Oeuvre.
247
MARTIN WACKERNAGEL, Die Plastik des XI.
und ХП. Jahrhunderts in Apulien. (Kunstgeschichtl.
Forschungen. Herausgegeben vom Kgl. Preuss.
hist. Institut in Rom. Bd. II.) Verlag Karl W.
Hiersemann, Leipzig. Preis M. 36.—.
FRANZ HELLENS, Gérard Terborch. (Collection
des grands artistes des Pays-Bas.) G. Van Oest
& Cie. Brússel.
LES ANCIENNES ECOLES DE PEINTURE
DANS LES PALAIS ET COLLECTIONS PRI-
VÉES RUSSES REPRESENTÉES А L'EXPO-
SITION ORGANISÉE A ST. PETERSBOURG
EN 1909 PAR LA REVUE DE L'ART ANCIEN
„STARYE GODY“.
Texte par М. М. Р. Р. Weiner, E. 4. Liphart,
James Schmidt, Baron N. Wrangell, A. A. Troubni-
koff, Alexander Benois et Serge Makowsky.
G. Van Oest & Cie. Brüssel.
GUSTAV GLÜCK, Peter Brueghels des Älteren
Gemälde im kunsthistorischen Hofmuseum zu
Wien. Ebenda.
FERNAND CROOY, Les orfevreries anciennes
conservées au Tresor de Hal. Ebenda.
FIERENS GEVAERT, La peinture en Belgique.
Les Primitifs Flamands. Tome III. Debuts du
XVI siecle: Fin de l'idéal gothique. Ebenda.
IV. Jahrgang, Heft V.
JULIUS BAUM, Ulmer Kunst (herausgegeben im
Auftrage des Ulmer Lehrervereins) Deutsche
Verlagsanstalt. Stuttgart. Preis geb. M. 2.50,
geh. M. 2.—. |
FRIDA SCHOTTMULLER, Fra Angelico. (Klassiker
der Kunst. Bd. XVIII.) Ebenda. Preis geb. М. 9.—.
OSCAR POLLAK, Jobann und Ferdinand Maxi-
milian Brokoff. (Forschungen zur Kunstgeschichte
Böhmens. Veröffentlicht von der Gesellschaft zur
Fórderung deutscher Wissenschaft, Kunst und
Literatur in Böhmen. Bd. 5.) J. d. Calve, Prag.
JAHRBUCH DER BILDER- U. KUNSTBLATTER-
PREISE. Verzeichnis der wichtigsten Auktions-
ergebnisse des deutschen Kunstmarktes. Mit einer
Einleitung von Dr. Theod. v. Frimmel. Bd. I.
1910. Verlag Franz Malota, Wien. Preis М. 10.—.
OESTERREICHISCHE KUNSTTOPOGRAPHIE.
Herausgegeben von der K. K. Zentral-Kommission
fir Kunst- und historische Denkmale. Bd. V.
Politischer Bezirk Horn. Erster Teil: Die Gerichts-
bezirke Eggenburg und Geras. Bearbeitet von
Dr. Hans Tietze mit Beitrágen von Prof. Dr. Moritz
Hoernes und Johann Krahuletz. In Kommission
bei Anton Schroll & Co. Wien. Ladenpreis 25 К.
Der Preis fiir den kompletten, aus zwei Teilen
bestehenden Band betrágt 40 К.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, WIS, Emserstr. 241. | In
MUNCHEN: Dr. M. K. ROHE, Miinchen, Clemensstr. 105. / In OSTERREICH: Dr. KURT RATHE,
Wien I, Hegelgasse 21. ] In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill Lodge
Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, de Riemerstraat 22. In FRANKREICH
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begriindeten.
248
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Tafel 45
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Schwerin, Museum Gotha, Museum
Zu: ERNST STEINMANN, J. ANTOINE HOUDON IM GROSSHERZOGLICHEN MUSEUM ZU SCHWERIN
M. f.K. IV, 5
Gotha, Museum
HOUDON: Jean Jacques Rousseau 1778
Abb. 10.
HOUDON: Jean Jacques Rousseau 1778
Schwerin, Museum
Abb. 9.
ERNST STEINMANN, J. ANTOINE HOUDON IM GROSSHERZOGLICHEN MUSEUM ZU SCHWERIN
Zu
M. f. K. IV, 5
Abb. 11. HOUDON: D'Alembert 1778 Abb. 12. HOUDON: Madame u e: gem
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Schwerin, Museum Schwerin, Museum
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Zu: ERNST STEINMANN, J. ANTOINE HOUDON IM GROSSHERZOGL MUSEUM ZU SCHWERIN
Tafel 48
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Abb. 15. HOUDON: Lafontaine 1782 Abb. 16. HOUDON: Buffon 1781
Schwerin, Museum
Zu: ERNST STEINMANN, J. ANTOINE HOUDON IM GROSSHERZOGLICHEN MUSEUM ZU SCHWERIN
M. f. Kk. IV, 5
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oS 1938.
Abb. 3. PALMA VECCHIO Verona, Museo Civico
Zu: DETLEV FRHR. VON HADELN, UBER EINIGE FRUHWERKE DES PALMA VECCHIO
M.f.K.IV,5
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MHAHRGANG -HEFT6:==JUNI1911.
LAG KLINKHARDTSBIERMANN LEIPZIG
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Monatshefte fur Kunstwissenschaft
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Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT 6
ABHANDLUNGEN HANDZEICHNUNGEN ALTER MEISTER im
E Staedelachen Kunstinstitut (Gronau) . 8. 280
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illustrierter armenischer Evangelien- gerichtes a. d. romanischen u. gotischen Kirchen-
bücher des 17. u. 18. Jahrh. in Jerusalem. portalen Frankreichs (Goldschmidt) . . 8. 280
Mit 23 Abbildungen auf 5 Tafeln S. 249 JOSEPH WÜNSCH, Blasius Höfel, Geschichte
KURT FREYER, Entwicklungslinien in seines Lebens und seiner Kunst und Verzeichnis
der sächs. Plastik des 13. Jahrh. S. 261 seiner Werke (Sobotka) )))) 8. 281
DETLEV von HADELN, Ein Jugend- W. C. BEHRENDT, Alfred Messel. Mit einer
werk des Pier Maria Pennacchi Mit einleitenden Betrachtung von Karl Scheffler
4 Abbildungen auf 2 Tafeln .. S. 276 (Schmidt) ................. 8. 283
KARL WOERMANN, Geschichte der Kunst aller
MISZELLEN Zeiten und Völker. III. Band (Biermann) 8. 283
ZU VEIT STOSS. Mit 3 Abbildungen auf 1Tafel W. SHAW SPARROW, Frank Brangwyn and
, е S. 28 his Work (Singer 8. 285
THEOBALD HOFMANN, Raffael in seiner Bo-
LITERATUR deutung als Architekt. III. Bd. (Haupt) 8. 285
FRIEDRICH WOLFF, Michael Pacher. I. Ва. Rundschau,....ooooooooo.oo 8. 288
(Hamann) S. 279 Neue Bücher 8. 291
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EINE GRUPPE ILLUSTRIERTER ARMENI-
SCHER EVANGELIENBUCHER DES ХУП.
UND ХУШ. JAHRHUNDERTS IN JERUSALEM
Mit dreiundzwanzig Abbildungen auf fünf Tafeln Von ANTON BAUMSTARK
in, wie sich immer mehr zeigen wird, hervorragend wichtiger Zweig christlich-
orientalischen Kunstschaffens ist an der armenischen Buchmalerei, speziell am
Buchschmuck armenischer Evangelienhandschriften noch verhältnismäßig sehr un-
zulänglich bekannt. Nur drei, allerdings durch ihr Alter sich auszeichnende, ein-
schlägige Monumente sind bislang der kunstwissenschaftlichen Forschung in zu-
reichender Publikation erschlossen worden, und gerade diese sind an figürlichem
Schmucke auffallend arm. Im Gegensatz zu den beigebundenen altsyrischen Minia-
turenblättern weist das durch Strzygowski!) jetzt schon vor zwei Jahrzehnten be-
kannt gemachte Evangelienbuch vom Jahre 989 zu Etschmiadzin selbst neben
reicherer Ornamentik nur die zwei bildlichen Darstellungen des Ganges der Frauen
zum Grabe und der Magieranbetung auf. Das fast genau ein Jahrhundert ältere
Evangelienbuch der Königin Mike, ein im Kloster Waran bei Wan hergestelltes
Denkmal großarmenischer Kunst, dessen Publikation wir der Bibliotheksverwaltung
der Mechitharisten von San Lazzaro bei Venedig verdanken?), enthält außer den
vier Evangelistenbildern eine Miniatur der Himmelfahrt. Sogar nur noch drei
Evangelistenbilder sind endlich neben der Fülle sie auszeichnenden ornamentalen
Stoffes in der zu Drasark in Kleinarmenien im Jahre 1113 nach einer Vorlage von
893 gefertigten armenischen Evangelienhandschrift Ma ХШ ı der Universitäts-
bibliothek in Tübingen erhalten geblieben, mit deren Bearbeitung Strzygowski?)
neuerdings zum Gebiete der armenischen Kunst zurückgekehrt ist.
Ein an Bildlichem unvergleichlich reicheres Material habe ich in der armenischen
Jakobuskathedrale zu Jerusalem und dem armenischen Kloster bei der Geburtskirche
in Bethlehem durchgearbeitet und in einem „vorläufigen Bericht“ über meine in
Palästina gemachten Studien‘) sowie bei Besprechung der Strzygowskischen Publi-
kation der Tübinger Handschrift in den Spalten der ,Monatshefte“5) kurz signalisiert.
Zugegeben muß nun freilich werden, daß dieses Material auch ein entschieden
recht viel jüngeres ist. Das älteste Stück gehört nämlich bereits der zweiten
Hälfte des ХШ. und die Masse der Handschriften sogar erst der Zeit nach Mitte
des ХУП. Jahrhunderts an. Doch verschlägt diese Altersfrage wenig. Denn nach-
weislich haben sich auf dem armenischen Boden sehr alte Formen des Evan-
gelienbuchschmucks bis in eine überraschend späte Zeit erhalten. Ich verweise
auf ein im Jahre 1691 geschriebenes Vierevangelienbuch in der Bibliothek der
(т) Byzantinische Denkmäler I. Das Etschmiadzin-Evangeliar. Beiträge zur Geschichte der armenischen,
ravennatischen und syro-ägyptischen Kunst. Wien 1891.
(2) Vgl. über dieselbe Strzygowski in der Byzantin. Zeitschrift XIV.
(3) Kleinarmenische Miniaturmalerei. Die Miniaturen des Tübinger Evangeliars MA ХШ 1 vom
Jahre 1113 bzw. 893 п. Chr. (= К. Universitätsbibliothek zu Tübingen. Veröffentlichungen I. Atlas
zum Katalog der armenischen Handschriften. Tübingen 1907. 8. 17—43.)
(4) „Palaestinensia. Ein vorläufiger Bericht“ in der Röm. Quartalschrift für christl. Altertumskunde
und für Kirchengeschichte XX (1906) S. 123—149. 157—188. Über die armenischen Handschriften
speziell S. 180—185.
(5) I (1908) S. 223—227.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jabrg. 1911, Heft 6. 18 249
Mechitharisten zu Wien, Nr. 252, das an einer reinen, allerdings nicht biblisch-
historischen, sondern nur ornamentalen Randillustration der sog. Kanones des Eusebios
einen Illustrationstypus bewahrt hat, der entwicklungsgeschichtlich noch hinter der
beriihmten syrischen Bilderhandschrift des Rabbúlá vom Jahre 586 in der Biblioteca
Laurenziana zu Florenz zurückliegt). Im folgenden möchte ich denn eine gerade
besonders junge Gruppe eng miteinander verwandter Evangelienbücher der Jakobus-
kathedrale in orientierendem Überblick vornehmen, von denen vier in dem kurzen
Zeitraum von noch nicht anderthalb Jahrzehnten in Jerusalem selbst entstanden sind.
Ich bezeichne der Kürze halber die einzelnen Glieder der Gruppe in der Reihen-
folge ihres Alters mit den sechs ersten Buchstaben des Alphabets und schicke hier
die notwendigen Angaben über Material, Format, Provenienz und Alter voran.
Was in Betracht kommt ist also folgendes.
A. Feines Pergament; 834112 mm; geschrieben in Jerusalem bei der Jakobus-
kathedrale durch einen Johannes von Isan; datiert: 1099 der armenischen Ära
(1651 п. Chr.).
В. Pergament; 136><194 mm; geschrieben in Jerusalem von ungenanntem Schreiber;
datiert: 1102 (1654 п. Chr.).
C. Pergament; gleiches Format wie B; geschrieben in Jerusalem bei der Jakobus-
kathedrale wieder durch Johannes von Isan, datiert: тто4 (1656 п. Chr.).
D. Papier; 152><212 mm; geschrieben in Jerusalem im „Erlöserkloster“ — an
der traditionellen Stätte des Kaiphashauses — von ungenanntem Schreiber; datiert:
1112 (1664 п. Chr.).
E. Papier; 150x215 mm; geschrieben zu Kapha auf der Krim bei einer Kirche
des hl. Nikolaus von ungenanntem Schreiber; datiert: 1160 (1712 n. Chr.).
F. Papier; 142410 mm; geschrieben zu Marasch in Cilicien bei einer Kirche
Johannes’ des Täufers durch einen Priester Ahtvazzadar; datiert: 1178 (1730 n, Chr.).
Es umfaßt nun der von diesen Handschriften vertretene Illustrationstyp in seiner
— hier allerdings nur in D vorliegenden — reichsten Entfaltung viererlei: einen
im nebenangesetzten Bilde des Verfassers gipfelnden Titelschmuck der einzelnen
Evangelien; eine Einleitung des Gesamtbuches durch eine Serie die neutestament-
liche Heilsgeschichte erzählender bloßer Bilderblätter; eine im Gegensatz hierzu
beinahe ausschließlich ornamentale Dekoration der Eusebianischen Kanones und
eine stark zu gleichfalls ornamentaler Ersetzung neigende Randillustration des
evangelischen Textes. Von diesen Elementen entsprechen das allen sechs Exem-
plaren gemeinsame erste und das in EF fehlende dritte?), dem Bestande gemein-
byzantinischen Evangelienbuchschmuckes. Sie mögen daher dem durchaus vor-
läufigen Charakter der gegenwärtigen Ausführungen gemäß nur in aller Kürze be-
rührt werden.
(x) Gegeben sind, wie mir der hochw. Herr Mechitharistenordenspriester P. Petrus Ferhat mit-
zuteilen die Güte hatte, Blumen und Tiere wie Vogel, Affe und Pfau. Dieser dem Pflanzen- und
Tierreich seine Motive entlehnende Schmuckstil läuft neben dem reichen figúrlichen Element seiner
Randillustration ja auch im Rabbúlákodex einher, und noch relativ stärker macht er sich auf Kosten
jenes Elementes in der zweiten noch frühchristlichen syrischen Bilderhs., dem Tetraevangelium 33
(St. Germ. 6) der Bibliotheque Nationale zu Paris, geltend.
(2) Kanones und Brief an Karpianos fehlen, wenn mich meine Aufzeichnungen an diesem Punkte
nicht täuschen, in E völlig. In F sind sie schmucklos geblieben. Dies ist lediglich Zeichen der be-
ginnenden Verarmung, nicht etwa prinzipieller Natur. Denn der reichste Kanonesschmuck findet sich
in dem auf der Krim im Jahre 1728 geschriebenen Evangelienbuch des armenischen Klosters in
Bethlehem.
250
Lediglich einige Worte allgemeiner Charakterisierung gestattet der denselben
zugemessene Raum vor allem auf die Umrahmung der Kanonestabellen zu ver-
wenden. Die altsyrische Form der Arkade, an welche noch die den Armeniern
hier geläufige Bezeichnung „Kamara“!) erinnert, ist so gut als vollständig vergessen.
Der neue wurzelhaft persische Schmuckstil, der um die Jahrtausendwende im Zu-
sammenhang mit der seldschukischen Türkeninvasion seinen Einzug in die armenische
Kunst gehalten haben dürfte“), hat den denkbar vollständigsten Sieg gefeiert. Eine
in ihren Einfällen unerschöpfliche „Lust zu fabulieren“ — um mit Goethe zu reden —
beherrscht die geradezu aufgeregt wirkenden Phantasiearchitekturen, deren luftiges
Stützenwerk ein regelmäßig im Rechteck abschließender Oberbau beschwert.
Pflanzenranken und Blumen, Vögel und Vierfüßler, menschliche Köpfe und Voll-
gestalten, an Sphingen und Harpyien erinnernde, aus Menschlichem und Tierischem
gemischte Märchenwesen überwuchern völlig die geometrischen Motive, unter denen
dasjenige des Flechtbandes eine bemerkenswerte Stellung einnimmt. Ein derber
Humor kommt vielfach zu Wort, der an die grotesken Wasserspeier gotischer
Kathedralen gemahnt. Besonders gilt dies von Zieraufsätzen, welche der Oberbau
noch zu erhalten pflegt). Die zwei ersten „Kamaren“ dieser Art umschließen
jeweils den Text des von Eusebios als Vorwort der Kanones an Karpianos ge-
richteten Briefes, und hier werden — der einzige nicht rein ornamentale Bestand-
teil des ganzen Schmuckes — in Bogen- oder Tympanonfeldern, welche an die
alte Arkadenform erinnernd innerhalb des Oberbaues ausgespart sind, die Brust-
_ bilder des Autors und des Adressaten einander gegeniibergestellt.
Was den Titelschmuck der einzelnen Evangelien anlangt, so lassen noch die
der jüngsten Handschrift F entnommenen Proben auf Tafel 52 den Zusammen-
hang einer allerdings mannigfach weiterbildenden Tradition deutlich hervortreten,
die rückwärts zu dem Tübinger Evangelienbuch des XII. Jahrhunderts hinaufweist.
Die dort rechteckigen Zierleisten über den Textanfängen haben deutlich den Charakter
teppichartiger Draperien angenommen, deren Flächenfüllung sich eng mit derjenigen
berührt, welche die Oberbauten der Kanones-,,Kamaren“ aufweisen. Die hohe
Längshasta eines Ornamentalkreuzes, das sich rechts neben dem Text der älteren
Handschrift erhob, hat in unserer Gruppe die Form einer mit Blättern, Ranken und
Blumen reich geschmückten Art von Kandelaber angenommen, die auch noch neben
der Zierleisten-Draperie weiter aufsteigt und erst ganz oben ein kleines Kreuzchen
trägt). Die ganze erste Textzeile wird abgesehen von dem Anfangsbuchstaben in
den bezeichnenden Fisch-Vogelbuchstaben geschrieben, in welchen sich die armenische
Kunst auffallend mit der Art vorkarolingischer Buchmalerei des Abendlandes be-
riihrt*) Die eigentliche Initiale wird mit Hilfe des betreffenden Evangelisten-
symbols gebildet, das in der Tübinger Handschrift noch in einer loseren Verbindung
mit der selbst aus rein ornamentalen Motiven zusammengesetzten steht. Zwei das
(x) Vgl. Strzygowski, Byzantinische Denkmäler I, 8. 78. Griechisch xaudoa bezeichnet das „Ge-
wölbe“ z. B. der Halbkalotte einer Kirchenapsis.
(2) Vgl. Strzygowski, Kleinarmenische Miniaturenmalerei 8. 24.
(3) Ich zitiere beispielsweise mit der spitzen hohen Kappe von Altardienern ausstaffierte Hunde (und
Affen ?), welche Leuchter mit brennenden Kerzen halten, und ein sehr realistisch gegebenes zanken-
des Ehepaar.
(4) Dieses Seitenornament samt einer zur Draperie umgewandelten Titelleiste auch schon aus einer im
Jahre 1375 ausgemalten Bibel, Nr. 14 der Mechitharistenbibliothek in Wien, beiStrzygowski, Byzan-
tinische Denkmäler I, 8. т.
(5) Vel. Strzygowski a. a. О. S. ga.
251
Evangelienbuch haltende Löwen kommen bei Markus, je Engel, Rind und Adler
gleichfalls mit Buch, aber nur in der Einzahl sonst zur Verwendung. In den
Evangelistenbildern ist die auch hier charakteristisch altsyrische Bogenarkade,
welche als engerer Abschluß in der Handschrift vom Jahre 1113 in den recht-
eckigen Rahmen gesetzt war, aufgegeben, der architektonische Hintergrund aber,
nach späterer byzantinischer Weise, abgesehen von F noch reicher als dort ge-
staltet. Der Evangelistentypus selbst hat dagegen keine wesentliche Änderung er-
fahren. Er ist dreimal derjenige des im Profil sitzenden Autors, welcher aus der
frühchristlich-hellenistischen Kunst vielleicht speziell des kleinasiatischen Nordkreises
stammt'). Nur bei Johannes wird die anscheinend nur sehr selten im armenischen
Evangelienbuchschmuck vermiedene Szene des Diktierens an Prochoros gegeben?).
Im Anschluß an eine bestimmte Spielart antiker Autorendarstellung, welche den
seiner Muse gegenübersitzenden Dichter vorführte?), wird regelmäßig, wie schon
in der Handschrift zu Tübingen, Prochoros links sitzend und der anscheinend ver-
zückte Johannes rechts stehend gegeben, indessen als Zeichen der Inspiration rechts
oben das Symbol der Gotteshand sichtbar wird. Nur in E sitzt infolge einer Typen-
mischung mit dem einfachen Autorenbild vielmehr auch Johannes und zwar links
unter der inspirierenden Hand und Prochoros ihm gegenüber in kleinerer Gestalt
rechts. Der auf byzantinischem Boden durch das Malerbuch vom Athos‘) für die
Diktierszene geforderte Schauplatz einer Höhle ist im Gegensatz zu anderen jungen
Denkmälern armenischer Buchmalerei%) niemals gegeben. Was die Haltung der
übrigen Evangelisten betrifft, so ist Markus niemals wirklich schreibend eingeführt,
stützt vielmehr in der Regel nachdenklich das Kinn in die linke Hand. Nur der
Miniator von E hat eine lebendigere Variation dieses bezeichnenden Zuges gewählt,
indem er den Evangelisten eben sein Schreibrohr spitzen läßt. Der Gesichtstyp
ist bei Matthäus derjenige eines Greises mit ziemlich langem und spitz zulaufendem
Bart, bei Markus derjenige der Tübinger Handschrift, bei Lukas hingegen ein weder
mit dieser noch mit dem Evangelium der Mike übereinstimmender, bei Johannes
der gemeinorientalische des alle anderen Apostel überlebenden, der fast hundert-
jährig sein Evangelium schreibt. Die Symbole, von denen hier F wenigstens den
Engel als Inspirator des Matthäus rechts oben im Brustbild einführt, kehren im
Rahmen des Evangelistenbildes sämtlich nur in E wieder, wobei dann der Engel
vielmehr die Aufgabe bekommt, seinem Evangelisten das Tintengefäß zu halten
(vgl. Taf. 56, Abb. 1)°).
Ungleich bedeutsamer als diese Evangelistendarstellungen ist die gleich dem
ornamentalen Schmucke der Kanones auf die vier aus Jerusalem stammenden
(1) Vgl. Strzygowski, Kleinarmenische Miniaturenmalerei S. 5 f.
(2) Sie fehlt beispielshalber innerhalb des Handschriftenmaterials in Jerusalem und Bethlehem nur in
dem Evangelienbuche des Königs Lewon vom Jahre 1263.
(3) Vgl. hierüber in meinem Aufsatz über „Ostsyrisches Christentum und ostsyrischer Hellenismus“
in der Röm. Quartalschrift für christl. Altertumswissenschaft u. für Kirchengeschichte XXII (1908)
8. 17—35, speziell 5. 26 f.
(4) Ш, S. 384 (ed. Konstandinides Athen 1885. S. 188): Jwcavyrg ó dsoddyos xal edayyeluoris ev
on nd, xadíuevos Bilder ёхототих@с Önıodcr Eis Іду одрауоу USW.
(5) 80 z. B. einem in Konstinopel hergestellten Evangelienbuche der Jakobuskathedrale von Jahre 1649.
In dem Exemplar des Klosters in Bethlehem vom Jahre 1728 ist wenigstens der Hintergrund einer
felsigen Gebirgslandschaft gegeben.
(6) Gleichfalls alle Symbole innerhalb der Evangelistenbilder selbst weist in Jerusalem nur noch ein
aus Ispahan in Persien stammendes Evangelistar (evangelisches Perikopenbuch) vom Jahre 17a1 auf.
252
Handschriften beschränkte Folge von prinzipiell sechzehn seitengroBen Vorsatz-
_bildern?*), in denen die einleitende bildliche Rekapitualation der neutestamentlichen
Heilsgeschichte niedergelegt ist. Daß zunächst im allgemeinen auch hier ein im
Buchschmuck des Evangeliums sehr altes Prinzip fortwirkt, liegt auf der Hand.
Die dem Etschmiadzinevangelium beigehefteten altsyrischen Miniaturen mindestens
der beiden Verkündigungen (an Zacharias und Maria), der Magieranbetung und der
Jordantaufe und die mit griechischen Beischriften versehenen Darstellungen der
Verkündigung, Geburt, Darstellung, Jordantaufe und Verklärung, die entsprechend
mit einem armenischen Evangelienbuche etwa des X. Jahrhunderts in der Bibliothek
von San Lazzaro verbunden waren?), haben offenbar bereits zu analogen Zyklen
gehört. Im ikonographischen Detail freilich weist die Behandlung der einzelnen
Sujets in unseren vier Bilderhandschriften einen sehr verschiedenen Grad von Alter-
tümlichkeit, bzw. von entschiedener Modernität auf. Ich fasse diesbezüglich das
Notwendigste hier möglichst kurz zusammen.
т. VERKÜNDIGUNG
Die mächtige Fliigelfigur des Engels naht sich, auf der Erde schreitend, von
links her. Rechts sitzt regelmäßig Maria, mit Spinnarbeit beschäftigt, vor einer
mehr oder weniger reichen Architektur und begrüßt den Himmelsboten mit einem
schreckhaftes Erstaunen ausdrückenden Redegestus. In A ist ihre Haltung dabei
noch mehr das wiirdevolle Thronen eines Kultbildes. In С ist auch der Kopf
erschrocken nach der linken Schulter zu gebeugt. Nur B gibt den älteren syrischen
Bildtypus mit stehender Jungfrau, den übereinstimmend eine Ampulle des Dom-
schatzes zu Monza (Garrucci Taf. 433, 8), der Kodex des Rabbülä, das Pariser syrische
Evangelienbuch Nr. 33 der Bibliotheque Nationale und die beigebundene Miniatur
des Etschmiadzinevangeliums aufweisen. Der andere Typ ist, soweit ich sehe,
überhaupt der in armenischer Kunst herrschende.
2. GEBURT. Vgl. Taf. 53, Abb. 6 (nach A) und Taf. 54, Abb. 1 (nach С)
Gegeben ist in zwei verschiedenen Spielarten von eigentümlichem Gepräge, was
H. Kehrer, Die heiligen drei Könige in Literatur und Kunst, Leipzig 1909, II,
S. 81— 102 als den ,,syrisch-byzantinischen \<ollektiv-Typus“ der Weihnacht be-
handelt hat. A, B zeigen die Muttergottes, von rechts nach links gewandt, als
richtige Wöchnerin liegend, die Hände lässig im Schoße und neben ihr das gött-
liche Kind in der Krippe mit Ochs und Esel. Von links nahen sich, wenigstens
einer gekrönt, die Magier als Greis, Mann und Jiingling. Unten sieht man den
hl. Joseph und einen die Flöte spielenden Hirten mit einigen Tieren, oben lob-
singende Engel. Über dem Kind steht der als Komet gefaßte Stern. Die Engel
sind von dem Hauptteil des Bildes vielleicht eher durch einen Wolkenranft als
durch die Andeutung einer Höhle getrennt. C, D geben deutlich die Höhle, darin
eine hohe gemauerte Krippe, in welche Maria, in ähnlicher Haltung wie im Kodex
des Rabbülä sitzend, soeben das Kind zu legen scheint, weiter hinten endlich Ochs
(z) Zwei derselben sind in A aus einem nicht näher ersichtlichen Grunde niemals ausgeführt worden,
da die betreffenden Seiten zweier verschiedener Blätter weiß sind. Zwei andere, die auf Recto und
Verso eines und desselben Blattes zu stehen kämen, fehlen in C. Hier könnte einfach das betreffende
Blatt verloren sein.
(2) Vgl. über dieselben Strzygowski, Byzantinische Denkmäler I, S. 76. Zwei sind abgebildet bei
Roh. de Fleury, L’Evangile I, Taf. IV, a und XI, з.
253
und Esel Von rechts tritt am Stock einhergehend ein Hirte ein, dem Tiere vor-
anspringen, Von links kommen wieder als Vertreter der Lebensalter die sämtlich
gekrönten Magier. Unten der hl. Joseph und das erste Bad des Jesuskindes, wobei
zwei Frauen, darunter eine gekrónte (?), beschäftigt sind. Oben am gestirnten
Himmel in der Mitte der riesige Sonnenstern als Medaillon mit Madonna und Kind,
links den Stern verehrende Engel, rechts ein Engel, der einem Hirten die Geburt
des Heilands verkündet. Obgleich die Königswürde der Magier in syrischer Legende
frühzeitig auftaucht, dürften ihre ganz und gar abendländischen Zackenkronen auf
westlichem Einfluß beruhen, dem die armenische Kunst im Zeitalter der Kreuzzüge
und des cilicisch-kleinarmenischen Reiches weit geöffnet war.
3. DARSTELLUNG IM TEMPEL. Vgl. Taf. 53, Abb. 2 (nach A)
Vor einer reichen, an das Innere armenischer Kirchen erinnernden Architektur
steht in der Mitte, teilweise von einem Baldachin überragt, der Altar, hinter dem-
selben der greise Simeon und noch weiter die Prophetin Anna mit geöffneter
Schriftrolle in der Linken, die in A nicht sichtbare Rechte sonst zum Redegestus
erhoben. Von links kommen die Gottesmutter und Joseph mit den beiden Tauben
auf den Altar zu. Das Jesuskind hält Simeon bald schon auf den mit einem Tuche
bedeckten Armen. Bald wird es ihm erst von der Mutter überreicht. Der gemein-
byzantinische Bildtyp findet sich aufs Haar ebenso beispielsweise an der Pala
d’oro zu Venedig.
4. JORDANTAUFE. Vgl. Taf. 53, Abb. 3 (nach A)
Christus steht, mit der Rechten den Redegestus ausführend, bis weit über die
Scham in dem nicht aufwallenden Flusse. Der Täufer links hat die eine Hand
auf sein Haupt gelegt. Rechts stehen zwei Engel, welche Tücher bereit halten.
Im Flusse Fische und der an Schilfrohr und Henkelkanne noch deutlich erkenn-
bare alte „Flußgott“ Jordan. Die Taube schießt in A innerhalb eines Lichtkegels
aus einem Himmelssegment auf den Scheitel des Herrn herab. Sonst steht sie
wohl ruhig über (ja auf?) dessen Haupt, während aus dem Himmelssegment das
Symbol der Gotteshand hervorkommt. Der Hintergrund zeigt Andeutung der Land-
schaft. Der Typus ist allmählich von der älteren syrischen Kunst erarbeitet worden
(Maximianus-Kathedra in Ravenna; Kodex des Rabbülä Vgl. Strzygowski,
Ikonographie der Taufe Christi. München 1885. S. 17) und aus ihr in die byzan-
tinische wie in die armenische übergegangen.
5. VERKLÄRUNG (fehlt in C). Vgl. Taf. 55, Abb. 3 (nach B)
Auf drei eng zusammenhängenden Felsenkuppen stehen in der Mitte Christus mit
Rolle in der Linken und Redegestus der Rechten, links der bärtige Greis Elias,
rechts Moses jugendlich bartlos mit geschlossenem Kodex. Von den Aposteln unten
deutet der erste links (Petrus) mit weißem Haar und Bart nach oben; der un-
bärtige Jüngling der Mitte (Johannes) ist mit geschlossenen Augen wie ein Schlafen-
der hingesunken; der Mann mit dunklem Bart und Haar rechts (Jakobus) deutet
wieder aufwärts. Ich werde anläßlich der Miniaturen eines syrischen Evangeliars
vom Jahre 1221/22 zu zeigen haben, daß der für die byzantinische Kunst grund-
legend gewordene Typus aus der syro-palästinensischen stammt.
254
6. AUFERWECKUNG DES LAZARUS (fehlt їп С). Von mir aus B publiziert
Röm. Quartalschrift für christl. Altertumskunde und für Kirchengeschichte XX (1906).
Taf. 1X, 3
Im allgemeinen bilden den Hintergrund zwei felsige Berghóhen. In diejenige
rechts ist die Grabeshöhle gebrochen, aus der in seine Tücher gewickelt der Auf-
erweckte soeben herauszutreten im Begriffe steht. Nebenan stehen zwei Juden,
während ein dritter am Boden den hinweggehobenen Verschlußstein hält. Gegen-
über steht Christus mit Redegestus, hinter ihm zwei Apostel, dem Typus nach
Petrus und Johannes. Zu den Füßen des Herrn als Flehende im antiken Stile
haben sich die beiden Schwestern Maria und Martha hingeworfen. Wie hier das
Haupt mit der Palla verhüllt zeigte in gleicher Haltung eine derselben schon ein
leider heute fast ganz zerstörtes Fresko einer römischen Katakombe (Wilpert
Ein Zyklus christolog. Gemälde Taf. VII, 4), während ein anderes (Wilpert,
Malereien Taf. 137, 2) bereits die beiden Begleiter Christi bietet. Beide Fresken
gehören dem IV. Jahrhundert an. Eine im wesentlichen auf größere Ausführlich-
keit hinauslaufende Variante des Typus bietet A. Das Grab scheint eine gemauerte
Aedicula sein zu sollen über die sich ein Teil der zahlreicheren jüdischen Zu-
schauer herüberbeugt. Der Herr ist von allen Aposteln gefolgt.
7. EINZUG IN JERUSALEM (in A unausgeführt geblieben)
Christus wieder mit Redegestus reitet von links nach rechts. Ihm folgen die-
selben zwei Apostel wie in der Lazarusszene. Vor ihm breitet ein Knabe einen
Leibrock aus, während ein zweiter einen Palmenzweig hält. Aus einem Stadttore
kommen vier erwachsene Männer heraus, deren vorderster gleichfalls einen Palmen-
zweig trägt. In der Krone einer Palme steht im Hintergrund ein dritter Knabe.
In mehrfacher Hinsicht besonders nahe verwandt ist die entsprechende syrische
Miniatur vom Jahre 1577 nach einer Vorlage vom Jahre 1284, die Stegensek im
Oriens Christianus I (1901) Taf. vor S. 343 publiziert hat.
8. FUSSWASCHUNG. Vgl. Taf. 55, Abb. 4 (nach B)
Vor einem architektonischen Hintergrund, dessen durch eine Draperie verbundene
Teile einen Innenraum anzudeuten bestimmt sind, nimmt Christus, von links nach
rechts gewendet, die Waschung der Füße Petri vor. Hinter diesem sind die
übrigen Apostel in Reihen angeordnet deren perspektivisch ungenügend wieder-
gegebenes Hintereinander in ein Übereinander übergeht, zu hinterst isoliert der
Verräter, dem ein nachdrücklich antipathischer Gesichtsausdruck gegeben wird.
Die sehr bezeichnende Handhaltung des Apostelfürsten ist noch genau diejenige,
welche die Darstellung des Gegenstandes in frühchristlicher Elfenbeinplastik auf-
weist. Das wenigstens in B vom Herrn getragene Oberkleid ist sichtlich ein
liturgisches. Die kultische Zeremonie der Fußwaschung des Gründonnerstages
spielt also in das Historienbild hinein. Sie selbst ist in Jerusalem heimisch.
9. KREUZIGUNG (in A unausgeführt geblieben)
Vor einem niedrigen Gemäuer ist das Kreuz aufgerichtet, an dem Christus noch
ohne Seitenwunde, also trotz der geschlossenen d. h. wohl nur niedergeschlagenen
Augen noch lebend gedacht, mit drei Nägeln angeheftet ist. Der Erdhügel, aus
welchem es aufragt, hat die Gestalt von etwas wie einer geöffneten Muschel an-
genommen: davor das Adamshaupt. Irdische Zeugen des Kreuzestodes sind nur
255
Maria und Johannes, beide mit dem Ausdruck tiefen seelischen Leidens ausgestattet,
himmlische zwei Engel, die iiber den Querarmen des Kreuzes weinend das Antlitz
mit der einen Hand verhiillen. Dazu Sonne und Mond. Gegeniiber einer Kreuzigungs-
szene, die, mit Syrischem und Byzantinischem zusammengehend, mir anderwárts їп
armenischer Kunst nachweisbar ist, bedeutet das eine entschiedene Verarmung und
wahrscheinlich auch Modernisierung. Das Symbol des seine Jungen mit dem
eigenen Blute tränkenden Pelikans, das in С oben über den Bildrahmen hinaus-
greift, entstammt abendländischer Beeinflussung wohl schon der Kreuzfahrerzeit.
то. BEGRABNIS (A, E) bzw. BEWEINUNG (В, С). Vgl Taf. 54, Abb. 2 (nach С)
Von den beiden miteinander abwechselnden Szenen zeigt die erste mit der streng
symmetrisch angeordneten Beigabe von Maria, Johannes und zwei in der Höhe
sichtbar werdenden Engeln den schon in die Grabtücher fest eingewickelten Leich-
nam des Herrn durch zwei Männer, Joseph von Arimathäa und Nikodemus getragen,
dahinter das leere Kreuz. Letzteres ragt vor einem architektonischen Hintergrunde
auch in der anderen auf. Davor liegt über einem Leinentuche auf einer ziemlich
hohen gemauerten Unterlage der diesmal völlig nackte Leichnam, um den Maria,
Johannes und der eine der beiden vorigen in schmerzvoller Liebkosung zärtlich
bemüht sind, während der andere ein Becken mit Kanne hoch erhoben hinzuträgt.
Neben der byzantinischen, mit einem Stücke der griechischen Karsamstagsliturgie
zusammenhängenden Bildkomposition der „Totenklage“ (ó &nırdypros 9оўрос̧) ist
offenbar der über den Boden emporragende „Salbungsstein“ in der Grabeskirche für
die Ausbildung dieses Typus bestimmend gewesen. Die Armenier haben an dem-
selben seit alters neben denjenigen der Griechen und Lateiner ihre brennenden Lampen.
тт. (A, D) bzw. 12 (В, С) ERHÖHUNG ADAMS. So wird man am besten die
in der byzantinischen Kunst als „Auferstehung“ (ij dvdoraoıs) bezeichnete Dar-
stellung nennen. Vgl. Taf. 53, Abb. 4 (nach A) und Taf. 54, Abb. 3 (nach C)
Das einemal ist ein wirklicher „Descensus“, das Hinabsteigen der das Kreuz als
Siegeszeichen schulternden Seele Christi in die Unterwelt, gegeben. Nach links zu
abwärts schwebend befreit sie Adam, hinter welchem Eva und noch eine zweite
Frau (letzteres wohl Mißverständnis für einen bartlosen Jüngling) sichtbar werden.
Auf der anderen Seite wird eine entsprechende Dreiergruppe durch zwei Könige
(David und Salomo) und den Täufer gebildet. Das anderemal steigt der Gott-
mensch, das Kreuz hoch aufgerichtet, im Triumphe nach oben. Von seinen Füßen
getreten liegt unter den gekreuzten Türflügeln des Höllentores der gekrönte Hades,
bezüglich dessen auf Strzygowski, Koptische Kunst, S. ХУШ zu verweisen ist.
Aus Sarkophagen erheben sich links der wieder von seinem Befreier bei der Hand
gefaßte Adam, Eva und zwei Jünglinge (Abel und Seth?), rechts die Könige und
der Täufer. Beide Typen sind auch byzantinisch. Ich werde bei Publikation der
syrischen Miniaturen vom Jahre 1221/22 nachzuweisen haben, daß der zweite schon
der frühchristlichen Kunst Palästinas entstammt, der erste durch Vermischung dieser
palästinensischen mit einer ostsyrischen Komposition entstanden ist.
12. DIE FRAUEN AM GRABE (A, D) bzw. 11. AUFERSTEHUNG (В. C). Vgl.
Taf. 53, Abb. 5 (nach A)
Der erste — und ursprüngliche — Bildtyp zeigt oberhalb der Grabeswache den
Engel der Osterbotschaft zwischen der gemauerten Grabesaedicula, in welcher die
Grabtücher sichtbar sind, und drei von links her nahenden Frauen. Er ist, wie
256
sich an der Hand des Rabbúlákodex und der Pariser syrischen Handschrift Nr. 33
dartun läßt, in Mesopotamien heimisch. Die Dreizahl der Frauen statt der älteren
Zweizahl bietet erstmals eine von Strzygowski für eine antiochenische Werkstätte
des V. Jahrhunderts angesprochene Elfenbeinplatte in München (Garrucci Taf. 459, 4).
Die zweite Darstellung ist eine starke Modernisierung der ersten unter spätem
abendländischen Einfluß. Die Szene spielt sich an einem Trog- oder Schachtgrab
ab, auf dessen quergelegtem Verschlußstein der Engel sitzt. In lichtem Gewölke
schwebt darüber der Auferstandene selbst, nur das Purpurpallium um sich ge-
schlungen, die Rechte zum Redegestus erhoben und in der Linken die charakte-
ristische Fahne der aus dem Mysterienspiel hervorgegangenen abendländischen
Fassung der Auferstehung. Außerhalb des Bildrahmens kollern unten die betäubten
Soldaten der Grabeswache.
13. HIMMELFAHRT. Vgl. Taf. 54, Abb. 4 (nach С).
Unten steht die Madonna als Orans in der Mitte der in zwei Halbchören von
je sechs angeordneten Apostel. Die in der byzantinischen Kunst zu ihren Seiten
fast unverbrüchlich gewordenen „zwei Männer“-Engel von Apostelgesch. І. Iof.
fehlen. Oben tragen zwei oder vier Engel die mandelförmige Gloriole mit dem
thronenden Christus. Es ist dieses diejenige Darstellung des Gegenstandes, welche
nach Ausweis der Ölfläschchen von Monza die frühchristliche Kunst Palästinas
ausgebildet hat.
14. PFINGSTEN. Von mir aus D publiziert a. a. О. Taf. IX, 4. Vgl Taf. 55,
Abb. ı (nach C).
Die zweigeschossige Darstellung, deren Obergeschoß stets an ein armenisches
Kircheninnere erinnert, liegt in einer doppelten Fassung vor. Die eine, von B, C
vertretene vereinigt alle Apostel sitzend im Obergeschoß und zeigt in ihrer Mitte
die Gottesmutter, über deren Haupt die Taube des heiligen Geistes schwebt. Unten
öffnet sich im Gemäuer eine Bogenarkade, in der drei Betende, die Repräsentanten
der drei Erdteile der antiken Welt, stehen. Die Fassung von A, D läßt Maria aus,
zeigt über ihrem leeren Platze die Taube senkrecht von oben nach unten schieBend
und verteilt die wiederum sitzenden Apostel zu je sechsen auf beide Geschosse, so
daß je drei zu beiden Seiten der phantastischer gestalteten Arkade erscheinen. Von den
drei Betenden in dieser hat einer (Repräsentant der 4:8vn) den Schakalkopf des
Anubis. Beide Bildtypen sind, so weit ich vorläufig sehe, spezifisch armenisch,
wobei eine syro- palästinensische, bzw. eine mesopotamische Grundlage dürften nach-
gewiesen werden können.
15. DER TRIUMPH DES KREUZ ES. Vgl. Taf. 55, Abb. 2 (nach С).
Zwischen prinzipiell zwei auf den Knien betenden Gestalten (einer männlichen
und einer weiblichen: Adam und Eva?), von denen aber wiederholt die eine aus-
gelassen ist, erhebt sich auf einem Unterbau von mehreren Stufen das reich ge-
schmückte Prachtkreuz, zwischen dessen Armen vier Posaune blasende Engel sicht-
bar werden, während das Zentrum ein kreisrundes Medaillon mit dem Brustbild des
bartlos jugendlichen Christus einnimmt. Es ist im letzten Grunde kein anderes als
das gemmenbesetzte goldene Votivkreuz, das nach abendländischen Pilgerberichten
und dem Apsismosaik von Santa Pudenziana in Rom im Rahmen der konstantinischen
Bauten am heiligen Grabe die Kreuzigungsstelle bezeichnete. Ein Medaillon mit
dem — allerdings bärtigen — Christusbrustbild sah, in Mosaik ausgeführt, wie ich
257
anderwärts zeigen werde, auf dasselbe aus dem Gewölbe eines Baldachins herab.
Zwei Blätter die inA,D den Fuß des Kreuzes flankieren, kehren genau ebenso auf nest-
orianischen Grabsteinen Indiens und in einer Miniatur der syrischen Handschrift
Sachau 220 zu Berlin wieder. Beides weist auf eine speziell ostsyrische Quelle
der armenischen Darstellung hin.
16. DAS JÜNGSTE GERICHT. Vgl. Taf. 53, Abb. 6 (nach P).
Oben haben wir den erstmals durch den hl. Sophronios für die Wende des
VI. zum VII. Jahrhundert bezeugten Typ der sog. — „kleinen — Bitte“ (ù) dena),
der den thronenden Christus-Pantokrater zwischen Maria (links) und dem Täufer
(rechts) bietet und noch in Raffaels Disputa und Michelangelos Weltgericht nach-
wirkt. Dabei ist Christus wie im serbischen Psalter (Strzygowski Taf. XLVIII, 111)
als „der Alte der Tage“, daher mit weißem Haar und Bart, gefaßt und sitzt auf
den, durch ihre Bücher auch hier als Evangelistensymbole charakterisierten, vier
apokalyptischen Lebewesen: Mensch, Löwe, Rind und Adler. Darunter findet die
Wägung der Seele statt, die als Lämmchen gebildet in A, D sich unter ihre Wag-
schale verirrt hat. Die andere Wagschale sucht der hier gleichfalls in Tiergestalt
gegebene Teufel mit seinem Stock herabzuziehen, wofür der im Brustbild eingeführte
Engel ihn mit seiner Lanze durchrammt. In B, C sind bei diesem Mogeln zwei
wirkliche Teufel dargestellt. Eine nächstverwandte Szene weist das Gerichts-
mosaik des Domes von Torcello auf. Die Vorstellung der Seelenwágung, in der
Antike gegeben (Ilias XXII, 209—213; Wvyxooraola des Aischylos; Vergil Aeneis ХП,
725ff.), wurde auf christlichem Boden durch Daniel 5, 27 („gewogen und zu leicht
befunden“) gestützt. Durch Michaël, an den bei dem Engel auch hier und in
Torcello zu denken ist, vollzogen erscheint dieselbe im Orient vor allem in koptischer
Kunst. Entsprechende Darstellungen der abendländischen zeigen mitunter gleich-
falls den humoristischen Zug des mogelnden Teufels. Ich zitiere um ihn einer un-
verdienten Nichtbeachtung zu entreißen einen barocken Schnitzaltar der Pfarrkirche
von Sasbachwalden bei Achern (Großherzogtum Baden). Die Wurzel von allem
dem rät das Totengebet dortiger christlich-griechischer Grabinschriften in Ägypten
zu suchen, dessen vorchristlicher Jenseitsglaube an Thout seine mit der Seelen-
wage ausgestattete Göttergestalt besessen hatte. Vgl. Hochland III (1906), S. 451.
Es kann natürlich nicht daran gedacht werden mit ähnlicher Ausführlichkeit wie
diese sechzehn seitengroßen Vorsatzbilder nun auch die im Gegensatz zu ihrer
ornamentalen Ersetzung!) innerhalb unserer Gruppe nur von den beiden Hand-
schriften D, E gebotene Randillustration zu besprechen. In D umfaßt dieselbe
nicht weniger als 99 Bildchen. Sogar eine bloße Aufzählung der behandelten Sujets
verbietet sich hier. Dagegen mag ein Verzeichnis der weniger zahlreichen Rand-
darstellungen von E, deren vier Taf. 56, Abb. 2—5 wiedergegeben werden, wenigstens
mit den besonders beliebten Vorwürfen dieses figiirlichen Randschmuckes bekannt
machen:
MATTHAEUSEVANGELIUM: vierzehn Illustrationen.
I. Johannes der Täufer. 2. Die Bergpredigt. 3. Heilung eines Besessenen. 4. Das
Haupt des Täufers. 5. Brotvermehrung (vgl. Taf. 56, Abb. 2). 6. Seesturm. 7. Ver-
(1) Die letztere ist sehr reich und weist noch immer genau das Bild des entsprechenden Rand-
schmuckes der Tübinger Handschrift auf.
258
klärung. 8. Heilung des mondsüchtigen Knaben. 9. Ein Schutzengel (veranlaßt
durch ı8. то: „ihre Engel im Himmel schauen das Angesicht des himmlischen
Vaters“). то. Die zwei Blinden am Wege bei Jericho. 11. Der Tempel in seiner
Pracht (anläßlich der Vorhersage der Zerstörung Jerusalems). 12. Salbung (des
Hauptes) in Bethanien. тз. Christus am Kreuze. 14. Die Frauen und der Engel
am Grabe.
MARKUSEVANGELIUM: zehn Illustrationen.
1. Heilung des Gichtbriichigen. 2. Seesturm. 3. Heilung der Biutflüssigen.
4. Tod Johannes des Täufers. 5. Wandeln auf dem Wasser. 6. Heilung des Taub-
stummen. 7. Der göttliche Kinderfreund. 8. Der Tempel in seiner Pracht. 9. Salbung
(der Füße) in Bethanien. то. Verhör vor Kaiphas.
LUKASEVANGELIUM: achtzehn Illustrationen.
ı. Verkündigung. 2. Heimsuchung. 3. Die Hirten auf dem Felde. 4. Das neu-
geborene Jesuskind. 5. Der zwölfjährige Jesusknabe unter den Gesetzeslehrern.
6. Johannes der Täufer. 7. Die Auferweckung des Jünglings von Naim. 8. See-
sturm. 9. Ein Herd mit brennendem Feuer (als Illustration von 12. 49: „Ich bin
gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen“). то. Heilung des gekrümmten Weibes.
11. Heilung des Wassersiichtigen. 12. Der reiche Prasser und der arme Lazarus.
13. Zachaeus und der Blinde von Jericho (vgl Taf. 56, Abb. 321). 14. Der Einzug
in Jerusalem. 15. Christus weist auf den Tempel hin. 16. Auferstehung. 17. Eine
Erscheinung des Auferstandenen. 18. Himmelfahrt.
JOHANNESEVANGELIUM: dreizehn Illustrationen.
ı. Hochzeit zu Kana. 2. Die Samariterin am Jakobsbrunnen. 3. Die Taube des
heiligen Geistes (veranlaßt durch 4. 24: „Gott ist ein Geist“). 4. Heilung des Gicht-
brüchigen (vgl. Taf. 56, Abb. 4). 5. Der Tempel (aus Anlaß der Reden in demselben
während des Laubhiittenfestes) 6. Heilung des Blindgeborenen. 7. Der gute
Hirte. 8. Der Tempel (anläßlich der Vorgänge in der „Halle Salomos“ am Fest
der Tempelweihe). 9. Auferweckung des Lazarus (vgl. Taf. 56, Abb. 5). то. Fuß-
waschung (von mir publiziert a. a. О. Taf. VIII, 7). 11. Christus bei den Abschieds-
reden. 12. Kreuztragung. 13. Betastung des Auferstandenen durch Thomas.
In der flotten, frischen Weise, in welcher sie — mehr farbige Zeichnungen, als
eigentliche Malereien — auf das Papier hingeworfen sind, stellen gerade diese
55 Randminiaturen unter dem Gesichtspunkte des technischen Könnens mit das
Erfreulichste dar, was unsere Handschriftengruppe bietet. Im übrigen ist jenes
Können, bei den verschiedenen Miniatoren keineswegs das gleiche, nie jedoch ein
wirklich rühmenswertes, aber auch nie ein so geringes, wie es sich beispielsweise
in einem im Jahre 1652 schon 'neugebundenen, also jedenfalls beträchtlich älteren
Evangelienbuche der Jakobuskathedrale offenbart. Durchweg handelt es sich eben
um ziemlich untergeordnete Handwerksarbeit, was besonders fühlbar wird, wenn
man unsere Gruppe mit einem noch älteren Buche vom Jahre 1415 vergleicht,
dessen Miniator ein wirklicher, wenn auch noch so bescheidener Künstler war.
Sodann bewahrheitet sich eben wieder, daß den armenischen Buchmalern das
Figürliche ungleich weniger liegt als das Ornamentale. Das Schwächste ist zweifel-
los die Zeichnung besonders der meisten Evangelisten- und der seitengroßen Vor-
satzbilder im Körperlichen, während auffallenderweise die Gesichter noch eher ver-
259
hältnismäßig befriedigen. Entschieden günstiger ist über die koloristische Seite des
von unseren Buchmalern auch hier Geleisteten zu urteilen. Sie wirkt durchgehends
sehr prächtig, aber niemals aufdringlich. Gold ist benützt, bei dieser Benützung
aber diskretes Maß gehalten. Von anderen Farben wiegt keine in störendem Grade
vor. Nicht minder ist der Eindruck einer unangenehmen Buntheit vermieden.
Abblättelung der Farben ist, was zwar bei der Jugend der Handschriften nicht
allzuviel sagen will, niemals zu beobachten. Im allgemeinen freilich wird es eben
immer das Gegenständliche und ihr entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang mit
älterer Kunst bleiben, was an Denkmälern, wie den vorgeführten interessiert.
Ich hatte wiederholt Gelegenheit, auf die von mir vorbereitete Publikation einer
syrischen Miniaturenhandschrift des beginnenden XIII. Jahrhunderts hinzuweisen!).
Dort wird auch auf diese Gruppe armenischer Evangelienbücher zurückzukommen
und es werden noch weitere ihr nahestehende Schöpfungen armenischer Buch-
malerei heranzuziehen sein, wie sie abgesehen von dem übrigen Material in Jerusalem
und Bethlehem, so weit ich heute sehe, in der Königlichen Bibliothek zu Berlin,
den Mechitharistenbibliotheken zu Wien und San Lazzaro und den Universitäts-
bibliotheken zu Bologna und Tübingen vorliegen. Der Zusammenhang mit älterer,
im letzten Grunde mit frühchristlicher, syrischer Kunst wird klar hervortreten. Er
besteht besonders bezüglich des Illustrationstyps als eines Ganzen, in dem ein in
Mesopotamien heimischer orientalischer Strom (Randillustration) mit einem aus
hellenistischer Quelle kommenden (Vorsatzbilder und Typus der Evangelistenbilder)
zusammengeflossen ist. Er besteht aber, wie bereits hervorzuheben war, zugleich
im Ikonographischen, wo allerdings auch neben spezifisch armenischer Weiter-
bildung syrischer Grundlagen ein starkes Maß im engeren Sinne byzantinischen,
sowie abendländischen Einflusses sich geltend macht.
(1) Außer für diese Bilderhandschrift des jakobitischen Markusklosters in Jerusalem habe ich das Materia,
zu Publikationen bereitgestellt für die oben 8. 252, Anm. 2, bzw. 259 berührten armenischen Tetraevangelien
des Königs Lewon, vom Jahre 1415 und ca. des XV. Jahrhunderts (neugebunden im Jahre 1652), sowie
für ein solches vom Jahre 1333 der Jakobuskathedrale und das S. 252, Anm. 6 erwähnte armenische Evange-
listar derselben vom Jahre 1721, für das S.250, Anm. 2, 252 Anm. 5 angezogene armenische Tetraevangelium
vom Jahre 1728 in Bethlehem, für den Psalter Ayiov Tdpov 51, die Tetraevangelien Ayiov Tagov 31, 49,
56 und бо, das Neue Testament Ayiov Teen 31 und das zweibändige Menaion Ayiov Ldf« 63 bzw. 208
der griechischen Patriarchatsbibliothek in Jerusalem, für das bei St. Beissel, Vatikanischo Miniaturen,
Freiburg і. В. 1893, S. 17 gestreifte koptische Tetraevangelium Vat. Copt. 9 in Rom und die beiden
syrischen Bilderhandschriften Sachau 220 (Homiliar) und 304 (Evangelistar) der Königl. Bibliothek in
Berlin. Ich muß mit Rücksicht auf die souveräne Nichtbeachtung meiner unter schweren Opfern er-
worbenen Prioritätsrechte auf die Publikation der von mir in Jerusalem aufgenommenen Dinge, mit
welcher К. Lübeck in der Wissenschaftl. Beilage zur Germania, Jahrg. 1910 (Nr. 49, vom 8. Dezember),
8. 381—385 über „Wissenschaftl. Aufgaben in Jerusalem auf altchristlichem Gebiete“ berichtet hat,
Wert darauf legen, es mit allem Nachdruck auszusprechen, daß ich von der Noblesse der Mitforscher
aufs bestimmteste erwarte, man werde nicht das in ungünstigen äußeren Arbeitsbedingungen begründete
langsame Fortschreiten meiner Veröffentlichungen mißbrauchen, um mir auf diesem hiermit scharf
umgrenzten Gebiete zuvorzukommen.
260
ENTWICKLUNGSLINIEN IN DER SÄCHSI-
SCHEN PLASTIK DES XIII. JAHRHUNDERTS
..u...0.00.0000.000000000000000000000000000000000000000000000000 000000000000 0000000000000 00 Von KURT FREYER
EINLEITUNG
it dem Begriff der Entwicklung verbindet sich in unserer Anschauung von
der Natur wie vom Geistesleben leicht die Meinung, daß der Rhythmus, in
dem die Entwicklung fortschreitet, immer der gleiche sei. Wie man aber in der
Naturwissenschaft den Gedanken aufgegeben hat, daß „die Natur keine Sprünge
macht“, so werden wir auch in der Geschichte suchen müssen, zu verstehen, wie
der Geist bald mit Riesenschritten durch die Geschichte schreitet, bald im gewohnten
Geleise des Mittelmäßigen ruhig dahinzieht, ohne daß ein Fortschritt zu Neuem
oder gar Höherem erkennbar wäre. Die Ursache dieses wechselnden Rhythmus
ist die Ungleichheit der geistigen Kraft in den einzelnen Individuen. Daher vermag
es oft ein einziger Genius, auf einmal das Rad der Entwicklung um ein gewaltiges
Stück vorwärtszudrehen.
Solch ein Genius war der Meister der Naumburger Bildwerke. Was er erschafft,
ist, verglichen mit den vorhergehenden Bildwerken des XII. Jahrhunderts, etwas
völlig Neues. Zwar ist dieses Neue in jenen Werken schon vorgeahnt, in schwachen
Andeutungen vorgebildet. Aber diese Andeutungen sind noch eingehiillt in die
Formen der entgegengesetzten Anschauungsweise. So sei zunächst der Gegensatz
zwischen diesen und den Naumburger Werken betont, bevor die Entwicklung von
jenen zu diesen dargestellt wird, und diejenigen Elemente in den früheren Werken
aufgesucht werden, die den Stil der Naumburger Werke vorbereiten.
Auf diesen Gegensatz weist schon der starke zeitliche Einschnitt hin, der zwischen
den früheren und den Naumburger Werken besteht. Um die Zeit 1220—30 war
die bildnerische Tätigkeit in Sachsen noch lebhafter, als sie schon seit dem Ende
des XII. Jahrhunderts gewesen war. Denn auf dieses Jahrzehnt konzentrieren sich
alle Hauptwerke der Gruppe, die den Naumburger Werken vorangeht: die großen
Lettnerkreuze (Kruzifixus mit Maria und Johannes) von Halberstadt (Dom), Dresden
(im Museum des Altertumsvereins, aus Freiberg stammend) und Wechselburg, die
Kanzel in Wechselburg, die goldene Pforte in Freiberg und das Grabmal Heinrichs
des Löwen und seiner Gemahlin im Dom zu Braunschweig. Diese Reihenfolge
soll zugleich die Folge in der künstlerischen Entwicklung bezeichnen, die ja mit
der Chronologie nicht durchaus übereinzustimmen braucht!). Der Fortschritt von
den ersten bis zu den späteren Werken dieser Gruppe ist nicht gering, nähert sich
immer mehr den Naumburger Werken.
Auch die weniger bedeutenden Werke dieser Gruppe gehören in die Zeit von
1220—30. Das Kruzifix in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt wäre etwa zwischen
das Dresdener und Wechselburger Kruzifix zu setzen, die Vorstufen des Braun-
schweiger Grabmals bilden die Grabmäler des Wiprecht von Groitzsch in Pegau,
des Dedo und seiner Gemahlin in Wechselburg, und einer Äbtissin in Quedlinburg.
(z) Ich kann mich hier auf eine Erörterung der Datierung nicht einlassen, über die ja bei den einzelnen
Autoren (Bode, Schmarsow, Goldschmidt und Hasak, der aber ganz unzuverlässig ist) die größte
Meinungsverschiedenheit herrscht. Hier handelt es sich nur um die Frage, welchen Platz in der
stilistischen Entwicklungsreihe die einzelnen Werke einnehmen.
261
А
Ф
г
Doch soll die Entwicklung, um sie klarer hervortreten zu lassen, hier nur an den
Hauptwerken dargestellt werden’).
Die Entwicklung der vorhergehenden Epoche, vom Ende des XII. Jahrhunderts
bis etwa 1220, die in ihrem Verlauf die Entwicklung dieser Epoche vorbereitet,
hat durch Goldschmidt eine Darstellung erhalten, die ich im wesentlichen anerkenne.
Nur möchte ich den französischen Einfluß, der nach Goldschmidts Meinung zur
Entwicklung wesentlich beigetragen haben soll, sehr gering einschätzen. Der fran-
zösische Einfluß scheint mir mehr auf inhaltlichem als auf formalem und geistigem
Gebiet zu liegen, daher gegenüber den einheimischen Elementen durchaus zurück-
zutreten. Die Hauptwerke dieser vorhergehenden Epoche, die Chorschrankenreliefs
in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt und das von Goldschmidt rekonstruierte
Nordportal am Magdeburger Dom’), gehören in das Jahrzehnt 1210—20.
Sehr stark ist dagegen der französische Einfluß an den Figuren der klugen und
thörichten Jungfrauen am Magdeburger Dom sowie an den Bamberger Figuren.
Diese Werke, die um das Jahr 1240 zu datieren sind, stehen ganz außerhalb der
einheimischen Entwicklung, sind also auch nicht, wie Goldschmidt meint?), Vor-
stufen der Naumburger Werke. Denn die Naumburger Werke, die nach dem
Jahre 1250 beginnen, haben wieder durchaus einheimischen Charakter, sie nehmen
die Entwicklung wieder auf, die mit dem Jahre 1230 unterbrochen worden war.
So besteht also in der Zeit von 1230 bis 1250 eine Unterbrechung der Entwick-
lung, ein Ruhen der geistigen Kraft, wie es zu Beginn der Einleitung erwähnt
wurde. Erst der Naumburger Meister brachte diese Entwicklung zum Abschluß und
ging weit über das hinaus, was vorher erstrebt und erreicht worden war.
I. NATURALISMUS
Die meisten Begriffe der Kunstwissenschaft sind durch die oberflächliche Kunst-
schreiberei unserer Zeit so sehr ihrer sicheren Bedeutung beraubt worden, daß es
vorläufig nötig ist, sie immer wieder, so oft sie angewendet werden, zu definieren.
So ist bei dem Begriff des Naturalismus, der ja unter jenem Mißbrauch besonders
stark gelitten hat, zunächst festzuhalten, daß auch bei dieser Anschauungsweise
der Künstler die Natur nicht abschreibt, daß er eine Veränderung des Naturvorbildes,
eine Art Stilisierung vornimmt. Nur ist doch die besondere Eigenart des Natur-
vorbildes für sein Schaffen in erster Linie maßgebend. Anders ist es bei dem
Künstler der entgegengesetzten Anschauungsweise, des Idealismus. Hier tritt der
Künstler mit einer vorher feststehenden formalen Idee an den Gegenstand heran
und unterwirft dieser Idee die Naturform*). Der Naturalismus richtet sich haupt-
sächlich auf zwei Eigenschaften des Naturgegenstandes, seine äußere Form und
(1) Gute Abbildungen der besprochenen Werke finden sich in М. Sauerlandt, Deutsche Plastik des M.-A.,
Düsseldorf-Leipzig (Langewiesche), Hasak, Geschichte der deutschen Bildhauerkunst im XIU. Jahr-
hundert, Berlin, Schmarsow, Die Bildwerke des Naumburger Domes, Magdeburg 1892, einige auch bei
Goldschmidt, Studien zur Geschichte der sächsischen Skulptur, Berlin 1902.
(2) A. a. O. 8. 35.
(з) A. a. O. 8. о.
(4) Dies sind dieselben Gegensätze, die Worringer in seinem Buche „Abstraktion und Einfühlung“
(München, 2. Aufl. 1909) mit den Worten „Naturalismus“ und „Stil“ bezeichnet. Nur halte ich es
für nötig, diese Begriffe bedeutend weiter zu fassen, als es Worringer tut. Dann aber ergibt sich
keine Schwierigkeit mehr, sie auch auf die nordische Kunst anzuwenden, die Worringer (S. 30) noch
als „ästhetisch unzugänglich“ bezeichnet.
262
seine organische Funktion. Durch beides sucht er in uns ein stärkeres Gefühl von
der inneren Belebtheit der Dinge zu erregen.
Die deutsche Plastik hat einen langen und sicherlich auch mühevollen Weg
zurücklegen müssen, bis sie sich vom Idealismus, der in diesem Fall eine starke
Gebundenheit bedeutet, zu dem Ziele eines reinen Naturalismus durchgerungen hat.
Denn die ersten plastischen Werke des XIII. Jahrhunderts sind noch durchaus
idealistisch. Die Idee, der die Formen hier unterworfen sind, kann man als lineare
Ornamentik bezeichnen, denn sie äußert sich hauptsächlich in zwei Faktoren, die
auch die Hauptmotive der altgermanischen Ornamentik bilden, in der Wiederholung
und im Endschnörkel.
Das Motiv der Wiederholung, das ja für alle primitive Kunst charakteristisch ist!),
beherrscht durchaus die Werke, die noch der vorhergehenden Gruppe angehören,
z. B. die Stuckreliefs an den Chorschranken der Liebfrauenkirche in Halberstadt.
Hier ist jeder Hauptzug des Faltenwurfs durch eine Anzahl paralleler, ganz dekorativ
gezogener Linien gebildet. Aber auch zu Beginn dieser Gruppe finden wir dieses
Motiv, z. B. an den drei Kruzifixen von Halberstadt, Dresden und Wechselburg in
den Dreiecksfalten, die die Lendentücher über dem Schoß bilden. Ähnliche Drei-
ecksfalten treten auch bei Maria und Johannes in Halberstadt auf, während sie bei
den gleichen Figuren der anderen Kreuzigungsgruppen schon fehlen. Bei der Halber-
städter Maria ist auch das Mantelstück, das quer über ihre Brust läuft, mit großen
Parallelzügen geschmückt. Besser motiviert, durch den tektonischen Charakter der
Figuren, ist die Wiederholung an den Figuren der Dresdener Gruppe, wo viele
senkrechte Parallelfalten den Untergewändern fast die Erscheinung von kannellierten
Säulen geben. Auch diese Form des Wiederholungsmotivs tritt an der Wechsel-
burger Gruppe sehr zurück, aber in Freiberg wird es wieder stärker, nun aber in
mehr organischer als dekorativ-stilisierender Form. Am Braunschweiger Grabmal
ist es dann vollständig aufgehoben. Wenn es in Naumburg wieder auftritt, z. B.
an den großen senkrechten Falten der Mäntel, so ist es in den Dienst einer monu-
mentalen Erscheinung und beseelten Ausdrucks gestellt, ohne daß dabei der Natur
des Gewandes Gewalt geschieht.
Noch früher als dieses hat das Motiv des Endschnörkels aufgehört. Es zeigt sich
noch auffällig an dem Gewandzipfel, den der Halberstädter Johannes in der linken
Hand hält. Später klingt es nur noch in den wellenförmigen Säumen der Gewänder
nach, zuletzt noch sehr lustig bei der Naumburger Regelindis.
Es ist leicht einzusehen, daß diese Gestaltungsweise, bei extremer Durchführung,
es unmöglich macht, die stoffliche Beschaffenheit und den Fall der Gewänder der
natürlichen Erscheinung entsprechend zu gestalten. Und ebenso zwingt diese starre
Linienführung, z. В. an den Halberstádter Figuren, auch die Körper zur Starrheit
und Steifheit. Es ist eben die alles beherrschende ornamentale Idee, die zwischen
dem Künstler und der Natur eine unüberwindliche Schranke aufrichtet.
Allmählich, im Laufe dieser Entwicklung, werden nun diese beiden idealistischen
Faktoren, die Wiederholung und der Endschnörkel, durch zwei neue Elemente von
anderem, naturalistischem Charakter verdrängt. An die Stelle der starren Parallel-
züge tritt eine weiche Modellierung der Stoffmassen, die ihre natürliche Struktur
stärker fühlbar macht, und der ornamentale Schnörkel wird ersetzt durch den
organischen Fall der Gewänder. Dabei scheint das Gefühl des Künstlers früher
für den natürlichen Fall, also für das Schwergewicht des Gewandes ausgebildet zu
(1) 8. Wundt, Völkerpsychologie Bd. II, 1.
263
sein, als fiir seine stoffliche Beschaffenheit. Und gleichzeitig entwickelt sich die
Fähigkeit, Form und Funktion des menschlichen Körpers der natürlichen Erscheinung
anzupassen.
Bevor wir aber diese Entwicklung im Einzelnen verfolgen, wollen wir das
Element aufsuchen, das den Übergang von jener starren Stilisierung zu einer
natürlicheren Behandlung herbeiführt. Dieses Element ist die Bewegtheit, die mehr
und mehr die Gewänder und dann auch die Körper erfaßt. Schon die ornamentalen
Schnörkel an den Halberstädter Figuren (auch schon an den Stuckreliefs der Lieb-
frauenkirche) künden eine gewisse Unruhe an, wie überhaupt schon in der vorher-
gehenden Epoche, allerdings in schwächerem Maße, die Bewegtheit immer mehr
zugenommen hatte. Dann, an den Dresdener Figuren, scheint diese Bewegtheit
wieder gegen die monumentale Ruhe der Gruppe zurückzutreten, um nachher um
so stärker hervorzubrechen. Man vergleiche z. B. das Kopftuch der Maria in den
einzelnen Kreuzigungsszenen: in Halberstadt ist es noch zu einem starren Polygon
stilisiert, in Dresden legt es sich weich, in einer einzigen Kreislinie, um den Kopf,
in Wechselburg fließt es in weichen, mehrfach gewellten Falten herab. Noch
stärker geraten dann die übrigen Teile des Gewandes in Bewegung. [An den
Figuren der Freiberger goldenen Pforte bleibt vor lauter großen und kleinen, be-
wegten Faltenzügen kaum ein Stück glatter Fläche, und am Braunschweiger Grab-
mal ist die Bewegtheit aufs höchste gesteigert, voll stürmischer Leidenschaft
rauschen die Gewänder herab. Man könnte diese Entwicklung fast mit der steigen-
den Unruhe der Gotik und des Barock vergleichen.
Wie nun die Bewegtheit stärker wird, erhalten die Gewänder auch eine mehr
naturalistische Durchbildung, und so tritt am Braunschweiger Grabmal, wo die
Bewegtheit ihren Höhepunkt erreicht, auch die naturalistische Gestaltung deutlich
hervor. Das Gewand ist weich und mit sicherer Charakteristik des Stofflichen
gebildet, es gelingt dem Künstler sogar, verschiedene Stoffe, z. B. bei der Gemahlin
Heinrichs des Löwen den Stoff des Ärmels von dem ihres Mantels zu unter-
scheiden. Das Gewand hat sich mehr vom Körper gelöst und läßt doch dessen
Formen deutlicher fühlbar werden. Wenn der Fall des Gewandes noch nicht
ganz dem natürlichen Geschehen entspricht, so liegt das hier an der schwierigen
Stellung der Figuren, die zugleich stehend und liegend aufgefaßt sind.
Ebenso wie in der Gewandbildung führt auch in der Körperauffassung die Bewegt-
heit zu naturalistischer Vertiefung. Das zeigt besonders die Entwicklung des
Kruzifixus. Der Halberstädter Kruzifixus ist noch ganz unbewegt, er hält noch fast
vollständig die Vertikale ein. Dementsprechend ist er auch, zumal da die Beine
parallel nebeneinander auf einen Untersatz gestellt sind, in seiner Haltung noch
völlig unbeholfen, er scheint weder recht zu hängen noch auf dem Untersatz zu
stehen. Der Dresdener Kruzifixus (und noch mehr der in der Liebfrauenkirche zu
Halberstadt) hängt auch noch fast unbewegt und ist wohl formal der schönste,
feierlichste, aber er zeigt im Naturalismus schon einen Fortschritt, durch das Uber-
einandersetzen der Füße ist das Herabhängen schon viel organischer dargestellt.
Erst der Wechselburger Kruzifixus ist lebhaft bewegt, er biegt sich stark im Hüft-
gelenk aus und neigt das Haupt zur Seite. Wenngleich diese Stellung der Schön-
heit und Erhabenheit des Werkes Eintrag tut, so ist doch erst hier der Vorgang
des Herabhängens und damit die organische Funktion des Körpers klar empfunden
und zur Darstellung gebracht.
Am stärksten zeigt sich die Wirkung der Bewegtheit in der Stellung und Haltung
der Figuren, die schließlich zur Ausbildung einer Art Kontrapost führt. Die Figuren
264
li a bi
stehen zunächst, in Halberstadt, steif aufgerichtet, so daß von der Funktion des
Körpers kaum etwas zu erkennen ist. Sie scheinen mehr zu schweben als fest-
zustehen. Bei den Wechselburger Figuren tritt schon eine leichte Biegung des
Knies ein, und die Figur des Abraham in Wechselburg, links vom Chor, zeigt
schon jenes Standmotiv mit gekreuzten Beinen, das dann auch an der Freiberger
goldenen Pforte zweimal auftritt. Hat auch diese tänzelnde Stellung an sich etwas
Unnatürliches, so läßt sich hier doch deutlich erkennen, wie die Bewegtheit der
Haltung eine tiefere Durcharbeitung der organischen Funktion herbeifiihrt. Auch
diese Übertreibung der Haltung erinnert wieder an ähnliche Stellungen spätgotischer
Figuren (2. В. der Blutenburger).
So wird an allen Teilen des Körpers, an Hals und Schulter, Arm und Hand, die
Bewegung lebhafter, zugleich die Form und Funktion natürlicher. Wie das Gesicht
immer mehr eine natürliche Durchbildung erhält, wird besser nachher, im Zusammen-
hang mit der Ausbildung des Gesichtsausdruckes betrachtet. Dabei sei bemerkt,
daß ja eigentlich auch dieses, die Entwicklung des Gesichtsausdruckes hierher gehört.
Denn die Naturbeobachtung des naturalistischen Künstlers ist erst zur Hälfte voll-
endet, wenn sie sich nur auf die äußere Natur und nicht auch auf die Natur der
Seele richtet. Mit dem formalen ist eng verbunden ein psychologischer Naturalismus,
und es hat nur rein praktische Gründe, wenn dieser erst in einem späteren Ab-
schnitt behandelt wird.
Wie verhalten sich nun in dieser Entwicklung die Naumburger Bildwerke?
Kommt man von den früheren Werken zu diesen, so erscheint alles, was wir bis-
her von naturalistischen Errungenschaften festgestellt haben, gering und bleibt weit
hinter dem zurück, was die Naumburger Werke erreichen. Hier ist der Naturalismus
zu reinster Durchbildung gekommen. Die Gewänder sind bis in die feinsten Unter-
schiede stofflich charakterisiert und bilden einen vollkommen organischen Falten-
wurf. Die Figuren stehen fest und sicher da, man könnte fast sagen, sie stehen
aus eigener Kraft, während die Figuren der früheren Werke von einer äußeren
Macht hingestellt erscheinen. Durch die weitesten und schwersten Gewänder hin-
durch empfinden wir die natürliche Funktion der Glieder und Gelenke, und allein
die wunderbar zarte und gefühlvolle Hand der Uta könnte beweisen, wie hoch der
Künstler in seiner naturalistischen Gestaltungskraft steht. Dagegen ist die Bewegt-
heit der Gewänder, die übertriebene Unruhe der Haltung voliständig verschwunden,
während sie noch an den Werken, die den Naumburger Werken zunächst stehen,
am stärksten war. Und ebenso ist an dem Naumburger Kruzifixus die Bewegtheit
zurückgetreten, er hängt wieder, wie der Dresdener, fast senkrecht, in monu-
mentaler Ruhe. Dafür aber erscheint uns jetzt das Herabhängen des Wechsel-
burger Kruzifixus fast elegant gegen das schwere Lasten des Naumburger. Daß
die Durchbildung des Aktes selbst bei dem Naumburger Kruzifixus noch nicht zur
Vervollkommnung gelangt, ist bei der geringen Anschauung und Übung, die dem
mittelalterlichen Künstler möglich war, erklárlich. Aber doch läßt sich erkennen,
daß das Empfinden für die Funktion des Körpers und die Oberfläche der Haut mehr
und mehr zugenommen hat.
So ergibt die Betrachtung der Entwicklung vom Idealismus zum Naturalismus
eine merkwürdige Beziehung zwischen Bewegtheit und Naturalismus. Beide treten
gleichzeitig auf, die Bewegtheit als das treibende Moment. Und die immer stärker
gewordene Bewegtheit bricht plötzlich ab, kurz bevor der Naturalismus seinen
Höhepunkt erreicht. Es ist, als ob diese Bewegtheit nur den Zweck gehabt habe,
die naturalistische Gestaltung auszulösen, und zurücktreten konnte, sobald dieser
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 6, 19 265
Zweck erreicht war. Wir werden später sehen, worin die tiefere Ursaché liegt
für die Rolle, die die Bewegtheit in diesem Entwicklungsprozeß gespielt hat.
Il. MALERISCHER STIL
Der vorige Abschnitt hatte uns gezeigt, daB wir in der bildenden Kunst, je nach
dem Verhältnis des Kunstwerkes zur Natur, zwei Hauptrichtungen unterscheiden
kónnen: Idealismus und Naturalismus. Ebenso werden wir nun, wenn wir die
Plastik nach den Gesetzen ihrer Gestaltung untersuchen, auf zwei verschiedene
Stilformen geführt: den tektonischen und den malerischen Stil. Jener nähert sich
mehr den Gesetzen der Architektur, dieser denen der Malerei, obgleich natiirlich
beide noch innerhalb des Bereiches plastischer Gesetze bleiben. Welcher von
diesen beiden Stilen die Plastik einer bestimmten Epoche beherrscht, kann man
am besten aus zwei Faktoren erkennen: aus dem Verhdltnis der Plastik zur
Architektur und aus der Gestaltung des Reliefs.
Nun ist ja die deutsche Architektur des Mittelalters niemals von der Art der
griechischen gewesen, die die Plastik einer bindenden Gesetzlichkeit unterwerfen
konnte, ohne ihr doch die notwendige Freiheit zu rauben. Selbst die romanische
Architektur bot keinen Platz, an welchem sich die Plastik mit der Architektur in
gleich organischer Notwendigkeit vereinigen konnte, wie in der griechischen Archi-
tektur an den Giebelfeldern und Friesen. Es fehlten Flächen wie das antike
Tympanon, die genügend groß, dennoch ohne architektonische Funktion und von
Architekturgliedern harmonisch umrahmt und zusammengefaßt wären. Das Tympanon
des romanischen Portals ist zu klein und zu sehr von den Archivolten eingezwängt,
als daß die Plastik hier zu harmonischer Entwicklung hätte kommen können. An
den übrigen Teilen des Portals aber ist die Figur entweder zu sehr gefesselt, indem
sie fast die architektonische Stütze ersetzt, oder die Architektur läßt der Plastik zu
große Freiheit, ja zwingt die Figur sogar zu selbständiger Bewegtheit, indem das
Portal selbst sich von der Fassadenwand nach innen zu bewegt. Jenes sehen wir
an dem ehemaligen Magdeburger Nord-Portal!), dieses an der Freiberger goldenen
Pforte.
Trotz dieser für die Plastik wenig günstigen Eigenart der deutschen Architektur
können wir auch hier feststellen, wie die Plastik sich immer mehr von der archi-
tektonischen Gebundenheit loslöst, also den tektonischen Stil aufgibt: am Magde-
burger Portal war, wie wir sahen, der tektonische Zwang noch übermäßig stark,
die Figuren entbehrten jeder Freiheit in Formbildung und Bewegung. Bei der
Freiberger goldenen Pforte hat sich die Plastik schon so sehr von der Architektur
befreit, daß sie schon ihrerseits die Festigkeit der architektonischen Gliederung
aufzulösen beginnt. In Naumburg schließlich steht die Plastik mit der Architektur
nur noch in losem Zusammenhang. Die Vertikalpfeiler, an denen die Stifterfiguren
stehen, verlieren zum Teil ihre Wirkung, und an der Kreuzigungsgruppe des
Lettners treten Maria und Johannes sogar aus den Nischen heraus, die ihnen doch
eigentlich als zusammenfassende Umrahmung dienen sollten. Die Plastik führt hier,
während die Architektur gleichsam nur noch den Hintergrund bildet, formal wie
geistig ihr eigenes Leben.
Deutlicher wird die allmähliche Entwicklung vom tektonischen zum malerischen
Stil an der Reliefbildung. Das Halberstädter Triumphkreuz ruht auf einem starken
Querbalken, der auf der Vorder- und Rückseite mit den Reliefs von Aposteln,
(т) 8. die Rekonstruktion von Goldschmidt a. a. О. S. 35.
266
Propheten und Engeln geschmiickt ist. Diese Reliefs sind ziemlich flach und sind
durch ihre Umrahmung fest an die Hintergrundsfliche gebunden. Sie {гареп durch
die starke Betonung der Vertikalen wesentlich zu dem architektonischen Eindruck
des Ganzen bei. An den Reliefs der Wechselburger Kanzel sind die Figuren schon
weniger flichenhaft gebildet, treten sogar schon etwas über den Rahmen heraus,
aber sie sind doch noch durch die sie umrahmenden Teile fest in die tektonische.
Gesamtform eingefügt. So zeigen auch die Darstellungen in den Kreuzesenden in
Halberstadt und Wechselburg den Fortgang vom Flach- zum Hochrelief und die
Durchbrechung des Rahmens. Die Auflösung schreitet dann weiter an dem Tym-
panonrelief der Freiberger goldenen Pforte. Hier hat die Grenze des Rahmens kaum
noch Bedeutung, da sie an mehreren Stellen stark überschritten wird, und indem
die kleinen Engel zur Seite der Madonna aus der Tiefe hervorkommen, ist der
tektonische Reliefstil völlig durchbrochen. Auch die Darstellungen in den Archivolten
vermögen sich kaum noch dem architektonischen Gefüge anzupassen. Die Naum-
burger Lettnerreliefs schließlich sind durchaus im malerischen Reliefstil gebildet,
sie sind nicht in der Fläche, sondern nach der Tiefe zu komponiert, sind reich an
malerischen Überschneidungen und entbehren der ideellen Oberfläche. Die Figuren
sind zum Teil rundplastisch vor die Rückfläche gesetzt und nehmen ebensowenig
wie die Naumburger Rundfiguren Rücksicht auf das tektonische Gefüge ihrer
Umgebung.
Leider ist nur noch von der Halberstädter Kreuzigungsgruppe die ursprüngliche
Anordnung erhalten. Sie zeigt uns eine strenge Komposition mit starker Betonung
der Horizontalen und Vertikalen. Die Cherubim zu beiden Seiten, bei denen der
Vertikalismus noch besonders wirksam ist, tragen auch noch durch ihre strenge
Symmetrie zu dem tektonischen Eindruck bei. Das Ganze ist harmonisch in den
Raum gefügt. Von den Köpfen der Cherubim lassen sich durch die Enden der
Querstange des Kreuzes zu dem oberen Dreiblatt Linien ziehen, die hier in rechtem
Winkel zusammentreffen. Das ergibt eine feste tektonische Zusammenfassung, die
bei der Dresdener und Wechselburger Gruppe offenbar schon schwächer gewesen
ist. Bei diesen scheint eher ein Mißverhältnis zwischen dem Kreuz, also dem
architektonischen Teil, und den Figuren zu bestehen. Der strenge Vertikalismus,
der noch in der Dresdener Gruppe alle Figuren beherrscht, tritt, wie wir schon
sahen, mehr und mehr zurück und weicht einer bewegteren Haltung.
Wie wir nun beim Relief ein allmähliches Fortschreiten zur Auflösung des
tektonischen Gefüges, besonders zur Durchbrechung der ideellen Oberfläche fest-
stellen konnten, so können wir auch in der Rundplastik eine ähnliche Entwicklung
verfolgen. Die früheren Werke sind durchaus in eine bestimmte stereometrische
Form konzentriert, daher erinnern die Halberstädter Figuren an das Brett, die
Dresdener an den Baumstamm, aus dem sie geschaffen sind. Es ist eine ähnliche
Erscheinung, wie sie einigen Werken griechischer Frühzeit (z. В. dem Weih-
geschenk der Nicandre von Naxos [Athen]) eigen ist. Und ähnlich, wie in der
Entwicklung der griechischen Plastik die Figur, je mehr malerische Weichheit sie
erhält, auch umsomehr rundplastisch, mit starker Betonung der Tiefenausdehnung
gebildet wird, so können wir auch in der sächsischen Plastik des XIII. Jahrhunderts
eine ähnliche Entwicklungslinie erkennen. Die Figuren erhalten immer mehr
Rundung und Entwicklung nach der Tiefe zu, im Ganzen wie in den einzelnen
Teilen. So sind bei den Halberstädter Figuren die einzelnen Teile des Gesichtes
noch in starren Flächen gegeneinander gesetzt, bei den folgenden Werken wird
das Gesicht rund und mit weichen Übergängen der Teile gebildet, bis wir in
267
Naumburg den schónen kugelrunden Kopf der Regelindis erhalten. Noch wichtiger
ist, daß die Bewegungen der Körperglieder allmählich nicht mehr in einer Ebene,
sondern nach der Tiefe zu entwickelt werden. So liegen bei den Figuren der
früheren Werke Oberarm, Unterarm und Hand noch fast in einer Ebene. Erst der
Künstler der Freiberger goldenen Pforte empfindet, wie viel diese Glieder dazu
beitragen können, der Figur auch eine Gestaltung nach der Tiefe hin zu geben.
Der Naumburger Meister aber versteht es erst vollkommen, den Gliedern durch
Tiefenbewegung eine stärkere formbildende Wirkung und zugleich eine größere
Mannigfaltigkeit der Bewegung zu verleihen. Die Tiefenbewegung der Beine bleibt
noch länger unausgebildet, die Kreuzstellung bei einigen Figuren in Freiberg zeigt
erst schwache Anfänge davon, und erst bei Naumburger Figuren, wie z. B. dem
Johannes, ist, indem das eine Bein von hinten her nach vorn geführt wird, eine
wirklich plastische Durchbildung und zugleich eine tiefere Wirkung erreicht.
Damit berühren wir ein wichtiges allgemeines Problem der Plastik. Bei allen,
die in Werken moderner Plastik die unkünstlerische Vermischung plastischer und
malerischer Motive schmerzlich empfanden, hat die Lehre Hildebrands von der
reliefartigen, flächenhaften Plastik Beifall und Nachfolge gefunden. Sie war ihnen
als ein Mittel zur Selbstbesinnung, als Rückkehr zur Klarheit und Einfachheit er-
schienen. Nur wenige erkannten damals, daß Hildebrand hier, mit der Einseitigkeit
des Künstlers, etwas gefordert hatte, was schließlich zu dem entgegengesetzten
Extrem führen würde. Nur wenige sahen ein, daß doch eigentlich in diesem Be-
griff der flächenhaften Plastik ein innerer Widerspruch liegt!). Gerade die körper-
liche Rundung ist doch eine wesentliche Eigenschaft der Plastik. Die Geschichte
der griechischen, ebenso wie die hier angedeutete der sächsischen Plastik zeigt uns
gerade, daß die Entwicklung immer mehr zu stärkerer Rundung und Tiefenaus-
bildung führt. Wenn wir dann sehen, daß zugleich mit dieser Entwicklung eine
solche vom tektonischen zum malerischen Stil einhergeht, so kommen wir zu dem
Ergebnis, daß malerischer Stil und plastische Rundung keine Gegensätze sind,
sondern daß gerade in ihrer Vereinigung ein wesentliches Ziel der
Plastik liegt. Man könnte das vielleicht so erklären, daß der malerische Stil eine
gewisse Auflösung, einen Verlust der tektonischen Festigkeit bedeutet, und daß
dieser Verlust wieder ausgeglichen wird durch die Festigkeit, die die Figur durch
plastische Rundung und Tiefenausbildung erhält. Ich kann das Problem, das in
diesen Zusammenhängen liegt, hier nur andeuten. Der Name Michelangelo sagt
uns, wie notwendig die Aufstellung dieses Problems, der Name Rodin, wie schwierig
seine Lösung ist.
Wir können nun, wie beim Naturalismus, so auch beim malerischen Stil ein
Element erkennen, das gleichsam von außen her den Anstoß zu dieser Entwicklung
gegeben und sie wesentlich gefördert hat. Und dieses treibende Element ist hier
das gleiche wie beim Naturalismus: die Bewegtheit. Die Bewegtheit war es vor
allem, die die Figuren aus ihrem tektonischen Gefüge löste. Denn sobald die
Gewänder unruhiger, die Körper bewegter wurden, konnten die Figuren nicht mehr
an der strengen Festigkeit ihrer Umgebung teilnehmen. Ferner ist ja die Bewegt-
heit selbst ein wesentlicher Faktor des malerischen Stils, sie ist es, die die Figuren
veranlaßt, aus ihrer stereometrischen Schranke herauszugehen, die uns die weichen
Übergänge der einzelnen Teile besonders lebhaft empfinden läßt. Hier können wir
(1) So sagt schon Justi (Michelangelo [1900], S. 403): „Flächenhafte Skulptur, das klingt fast wie
hölzernes Eisen.“ Vgl. auch Р. Clemen, über Rodin, in „Kunst für Alle“ 1903.
268
nun eine ähnliche Erscheinung beobachten, wie beim Naturalismus. Wir hatten
gesehen, daß die Bewegtheit am stärksten am Braunschweiger Grabmal wird, daß
aber erst bei den Naumburger Bildwerken der Naturalismus zu reiner Ausbildung
kommt. So ist es auch beim malerischen Stil. Erst bei den Naumburger Bild-
werken, bei denen die Bewegtheit wieder gegen die vorhergehenden Werke zuriick-
gegangen ist, hat der malerische Stil seine höchste Vollendung erreicht. Die
Bewegtheit ist hier nur noch so weit in Wirkung, als sie selbst ein Element des
malerischen Stils ist.
Auch hier sei bemerkt, daß die Bewegtheit selbst noch nicht die letzte Ursache
dieser Entwicklung zum malerischen Stil ist.
III. BESEELUNG
Es ist natürlich wenig damit erklärt, wenn wir die Bewegtheit als das treibende
Element für die Entwicklung zum Naturalismus und zum malerischen Stil erkannt
haben. Denn es bliebe die Frage, was denn gerade die Bewegtheit zu einem so
wesentlichen Entwicklungsfaktor gemacht hat. Auch sie muß ihre Begründung in
einem anderen, tieferen Element der künstlerischen Entwicklung haben, und auf
dieses tiefere Element werden wir gewiesen, wenn wir die Bewegtheit noch nach
einer anderen Richtung als bisher verfolgen. Sie war uns bis jetzt eigentlich mehr
eine äußerliche, formale Erscheinung gewesen. Aber viel wesentlicher ist ja, daß
sie zugleich Ausdruck für ein Inneres ist, sowohl in den Gewandlinien als auch in
der Körperhaltung. Und das führt uns nun auf den tieferen Grund für jene be-
deutungsvolle Entwicklungsfunktion der Bewegtheit, zugleich aber auch auf eine
weitere, wichtige Entwicklungslinie hin.
Von den beiden Mitteln, durch die der Mensch die Eigenart und die einzelnen
Regungen seiner Seele zum Ausdruck bringt, der Sprache und der Bewegung, be-
dient sich die Plastik nur des letzteren. So kann schon die Bewegung auch der
unbelebten Dinge, z. B. der Gewandlinien, für uns die Bedeutung von seelischem
Ausdruck haben, indem wir durch die Einfühlung eine Analogie zwischen dem
Rhythmus dieser Bewegung und dem unseres seelischen Lebens herstellen. Noch
mehr ist dann die Bewegung, die in Geste und Mienenspiel der Personen liegt, die
Vermittlerin des seelischen Innenlebens, sei es direkt durch die besondere Be-
deutung, die einer Bewegung eigen ist, sei es indirekt durch die Art und Weise,
wie eine Bewegung ausgeführt wird. So erscheint uns bei den antiken Statuen
der Frühzeit, denen jede Bewegung fehlt, das seelische Leben durch Totenstarre
gebannt. Die Werke des „hohen Stils“, deren Bewegung ruhig in sich geschlossen
ist, erscheinen uns wohl beseelt, aber es ist eine Beseelung, in die wir niemals
ganz einzudringen vermögen, eine Beseelung von nicht mehr menschlicher, sondern
göttlicher Art. Daher sind diese Werke auch von vielen, denen die ewige Ruhe
göttlicher Wesen unverständlich war, seelenlos genannt worden. Wo aber schließ-
lich die Figuren von lebhafter Bewegung erfüllt sind, zunächst in der Zeit des
„schönen Stils“, dann noch stärker in den Werken der pergamenischen Schule, da
enthüllt sich uns in anmutigen und kraftvollen, harmonischen und erhabenen
Bewegungen das Ideal der menschlichen Seele, die Vereinigung von Schönheit
und Größe.
Diese Entwicklung zeigt uns auch wieder, was schon im ersten Abschnitt an-
gedeutet wurde, daß mit dem Fortgang zum formalen Naturalismus auch eine Aus-
bildung des psychologischen Naturalismus eng verbunden ist. Der Künstler be-
269
obachtet nun nicht nur die äußere Erscheinung der Dinge, sondern er dringt auch
in ihr Inneres, in die Natur ihrer Seele ein. Die Beseelung, die hier in der sächsi-
schen Plastik des XIII. Jahrhunderts zur Entwicklung kommt, ist also eigentlich
nur eine besondere Form des Naturalismus. Hier zeigt sich dann am klarsten die
besondere Eigenart der deutschen Kunst, die in ihrem Naturalismus, dem formalen
wie dem psychologischen, nicht nur weit iiber das hinausgeht, was die griechische
Kunst in ihrer letzten, naturalistischen Periode geschaffen hat, sondern auch zu
einer ganz anderen Art von Naturalismus kommt. Das Ziel der deutschen Kunst
wird mehr die individualistische Erfassung der Einzeldinge, als die typisierende
Auffassung, die der griechischen Kunst selbst in ihrer naturalistischen Periode
eigen ist.
Doch wenden wir uns wieder der sächsischen Plastik des XIII. Jahrhunderts zu.
Auch hier ist die Bewegtheit ein Symptom fiir den Fortschritt zu tieferer Beseelung.
Wenn die Figuren ihre steife gebundene Haltung — die Beine parallel nebenein-
ander, der Körper starr aufgerichtet, die Arme dicht am Körper anliegend — auf-
geben, so bedeutet das, daß auch in seelischer Beziehung die Figuren aus ihrer
Gebundenheit und Leblosigkeit heraustreten. Allerdings bleibt jene formale wie
seelische Gebundenheit noch lange vorherrschend, und so kommt es, daß hier inner-
halb der Hauptentwicklung zur Beseelung, zum psychologischen Naturalismus, zwei
kleinere Entwicklungslinien entstehen, eine ältere und eine jüngere, die aber noch
einige Zeit nebeneinander hergehen. Der Unterschied dieser beiden Entwicklungs-
linien hat seine tiefere Begründung zwar in dem Inhalt der Werke, kommt aber
hauptsächlich in der Art des seelischen Ausdrucks und daher in der Geste und
Haltung der dargestellten Personen zur Erscheinung. Die ältere Entwicklungslinie
ist die der religiös-repräsentativen Darstellungen. Ihre Hauptwerke sind die drei
Kreuzigungsszenen von Halberstadt, Dresden und Wechselburg, ferner gehört hierzu
ein Teil der Freiberger goldenen Pforte und, ihrem Inhalt entsprechend, die Grab-
mäler. Bei den Werken dieser Gruppe ist die Gebundenheit des seelischen Aus-
drucks und der Bewegungen noch sehr stark, fast nur die Bewegungen der Arme
und Hände dienen der Mitteilung seelischen Lebens, und auch diese Gesten, z. B.
die des Schmerzes bei Maria und Johannes, sind zu konventionell aufgefaßt, als daß
sie eine innere Beseelung vollkommen frei und tief ausdrücken könnten. Noch
weniger Ausdruckskraft hat das Stehen und die Haltung der Personen, da die
Bewegung des Körpers und der Beine noch gering ist. Auch das Halsgelenk bleibt
noch steif, so daß die Köpfe sich nicht recht zu drehen und zu neigen vermögen.
Nur an dem Christus der Wechselburger Gruppe ist das Leiden durch die Neigung
des Kopfes ausdrucksvoll dargestellt. Neben dieser Richtung entsteht allmählich
die jüngere, die, obwohl sie zuerst weniger in den Vordergrund tritt, dennoch mehr
die Entwicklung zur Beseelung fördert, als jene ältere. Sie zeigt sich an Werken,
deren Charakter mehr erzählend, jedenfalls weniger repräsentativ ist. Es ist be-
zeichnend, daß diese Richtung zuerst an kleineren Nebenfiguren auftritt, nämlich
bei der Wechselburger Kreuzigungsgruppe an den kleinen Figuren, auf denen Maria
und Johannes stehen und die das überwundene Heidentum und Judentum darstellen,
an dem Adam, der am Fuße des Kreuzes das Blut Christi auffängt, und an den
beiden fliegenden Engeln, die in den Dreiblättern der Querstange des Kreuzes dar-
gestellt sind. Bei all diesen Figuren war schon die außergewöhnliche Stellung
oder Haltung ein Antrieb, die Glieder lebhafter zu bewegen und vom Körper zu
lösen. Dann aber verlangte auch der Inhalt dieser Darstellungen einen lebhafteren
seelischen Ausdruck, damit dem Volke dieser Inhalt überhaupt deutlich werden
270
konnte. Einen weiteren Fortschritt in dieser Richtung zeigt die Wechselburger
Kanzel. Hier ist an den Darstellungen der Seitenwände der Inhalt nicht mehr
allegorisch, und die symbolische Bedeutung dieser Szenen — daß nämlich die Auf-
richtung der ehernen Schlange und die Opferung Isaaks auf die Kreuzigung und
den Opfertod Christi hinweisen — hat ja auf die Darstellung keinen Einfluß. Die
novellistische Erzählung dieser einfachen biblischen Ereignisse aber war besonders
geeignet zu lebhafter und ausdrucksvoller Geste. Auch daß die Szenen im Relief,
und zwar im Hochrelief dargestellt wurden, begünstigte diese Entwicklung. Denn
dadurch war es auch technisch leichter, die Glieder vom Körper zu lösen und leb-
haft zu bewegen. So kommen hier zum ersten Male die Figuren zu richtigem und
ausdrucksvollem Schreiten, und die tiefinnige Beseelung, die bei den Figuren der
Vorderseite in der Neigung des Hauptes und der Bewegung der Hände liegt, ist
wohl auch später nicht übertroffen worden. Eine Vereinigung beider Richtungen
geschieht dann an der Freiberger goldenen Pforte. Von den Figuren haben die
meisten noch die steife Haltung der älteren Richtung. Die Geste, wenngleich schon
weniger starr und unbewegt als früher, besagt noch wenig über das seelische
Leben der Figuren. Nur zwei Figuren, die mit den gekreuzten Beinen, gehören
mehr der jüngeren Richtung an, ihre Bewegung ist lebhafter, wenngleich auch bei
ihnen diese Stellung nicht viel Ausdruck enthält. Am meisten Belebung zeigen
auch hier die kleineren Figuren, z. B. die der Auferstehenden in der äußersten
Archivolte. Im Tympanon schließlich sind beide Richtungen so vereinigt, daß ein
eigentümlicher Kontrast entsteht. Die heiligen drei Könige kommen lebhaft herbei-
geeilt, um dem Jesuskinde ihre Huldigung darzubringen, ihre Bewegungen lassen
andächtigen Eifer und freudige Erregung empfinden. Der Künstler hat es sogar
schon gut verstanden, den Übergang vom freudigen Herbeieilen zum anbetenden
Niederknien in drei verschiedenen Phasen darzustellen. Aber diese freiere seelische
Auffassung ist in den übrigen Personen nicht fortgesetzt. Maria mit dem Jesus-
kinde beachtet die heiligen drei Könige gar nicht, dem Beschauer zugewandt, sitzt
sie ernst und unbewegt da. Bei ihr wie bei den Personen rechts von ihr ist die
ältere, hieratische Richtung wieder zur Geltung gekommen.
Es ist verständlich, daß es dem Künstler leichter wurde, die Geste und Haltung
der Personen als die Mimik ihres Gesichtes belebt und ausdrucksvoll zu gestalten.
So werden wir in dieser Entwicklung zunächst keine große Mannigfaltigkeit in den
Mitteln des Gesichtsausdrucks erwarten. Aber doch läßt sich auch hier ein Fort-
schritt erkennen. In Halberstadt sind die Gesichter noch mehr in den allgemeinen
Hauptformen gebildet und haben mehr den Ausdruck des Erhabenen als den einer
bestimmten seelischen Empfindung, In Wechselburg wird die Mimik schon viel-
fáiltiger. Bei Maria und Johannes ist der Ausdruck des Schmerzes durch das Zu-
sammenziehen der Augenbrauen dargestellt, der Adam zieht die Stirn in Falten,
und an der Kanzel tritt auch das bekannte „äginetische“ Lächeln auf. Dieselben
Mittel kennt auch der Freiberger Meister, Aber hier noch mehr als in Wechsel-
burg empfinden wir, daß diese Mittel nur benutzt werden, nicht um bestimmte
seelische Regungen, sondern um überhaupt seelisches Leben anzudeuten, was auch
von der tänzelnden Bewegung bei einigen dieser Figuren gilt. Bei dem Braun-
schweiger Grabmal tritt dann ein eigentümlicher Wechsel ein. Während bisher
der Ausdruck hauptsächlich in den Gesichtern gelegen hat, tritt hier wieder ein
allgemeiner, idealisierender Gesichtstypus auf, nur ungleich edler und beseelter, als
er früher war. Andererseits wird das Linienspiel des Gewandes, das ja hier am
bewegtesten ist, auch hier erst wirklich ausdrucksvoll, gleich als ob seine Beseelung,
271
die vorher zugunsten des Gesichtes etwas vernachlissigt war, nun ‘erst nach-
zuholen wäre.
Mehr als bei der Ausbildung von Geste und Mimik können wir in dem all-
gemeinen Ausdruck der Figuren, besonders in der seelischen Auffassung der ganzen
Szene einen Fortschritt erkennen. Friiher als Geste und Mimik wirklich frei und
beseelt sind, empfinden wir ganz allgemein das seelische Leben, das der Kiinstler
seinen Figuren verliehen hat. Es ist dies ein Beweis dafür, daß das allgemeine
seelische Empfinden im Laufe dieser Entwicklung früher zur Ausbildung kommt,
als die technische und formale Fähigkeit, diesem Empfinden auch die äußere
Gestalt zu geben. Und andererseits werden wir sehen, daß die Künstler erst zu
freierer Beherrschung der Ausdrucksmittel kommen mußten, ehe sich die allgemeine
seelische Empfindung in einzelne, bestimmte seelische Regungen gliedern und deut-
lich ausprägen konnte. Selbst an den Kreuzigungsszenen können wir einen Fort-
schritt zu seelischer Vertiefung erkennen. Bei den Figuren von Maria und Johannes
wird der Ausdruck des Schmerzes immer tiefer und inniger, und der gekreuzigte
Christus, der noch in Halberstadt nur ein starres Symbol ist, hat in Dresden schon
den Ausdruck erhabener Ruhe, in Wechselburg den eines sanften Schmerzes er-
halten. An der Wechselburger Gruppe treten die Figuren auch schon ein wenig
in innere Beziehung zueinander, aber der repräsentative Charakter der Gruppe ver-
hindert noch ein freies Zusammenklingen der Seelen, wie es später mit so ge-
waltiger Wirkung in Naumburg geschieht. Ebenso ist auch der religiös-symbolische
Charakter dieser Gruppe die Ursache, daß der dramatische Charakter, den diese
Szene eigentlich verlangt, nicht zur Darstellung kommt. Auch das geschieht erst
in Naumburg. Besser gelingt dem Künstler schon eine Erzählung epischer Art,
wie z. B. die an den Seitenwänden der Wechselburger Kanzel. Hier treten die
Personen schon mehr in innere Beziehung zueinander und handeln mit naiver Leb-
haftigkeit. Diese innere Beziehung der Personen überwindet an der Vorderseite
der Kanzel sogar die tektonischen Umrahmungen, die die Figuren voneinander
trennen. An dem Tympanon der Freiberger goldenen Pforte tritt dann auch in
der Gesamtauffassung jener Konflikt ein, der schon vorher in den Unterschieden
der psychologischen Charakterisierung und der Geste zum Ausdruck kam. Die
Figuren treten nicht in geistige Wechselwirkung miteinander, obgleich gerade diese
Szene eine solche am meisten verlangte. Auch hier hat der psychologische Naturalismus
noch nicht seine Vollendung erreicht.
Wenn wir nun aber versuchen, diese Entwicklungslinie zu den Naumburger Bild-
werken weiter zu führen, so zeigt sich uns noch mehr als bei den Entwicklungs-
linien des Naturalismus und des malerischen Stils, daß hier nicht ein allmählicher
Übergang geschieht, sondern ein gewaltiger Sprung. Hier sind nun die Mittel des
seelischen Ausdrucks von größter Mannigfaltigkeit, und zwar geschieht die Mit-
teilung innerer Vorgänge nicht mehr nur durch Arme und Hände, sondern durch
das Stehen, die Haltung, den ganzen Körper der Personen. Hier in Naumburg
tritt auch eine besondere und für den Ausdruck sehr wirksame Art der Geste auf,
die indirekte Geste. Das heißt, die seelische Regung wird nicht mehr durch die
Geste selbst zum Ausdruck gebracht, sondern durch die Art und Weise, wie irgend
eine Bewegung ausgeführt wird, z. В. wie die Männer ihre Waffen, die Frauen
ihre Gewänder halten, je nach ihrem Charakter und ihrer augenblicklichen Emp-
findung. Auch die Gewandlinien sind hier voll tiefer Beseelung. Vor allem aber
läßt uns hier der Ausdruck der Gesichter einen Blick in die Tiefe und die
mannigfaltigen Regungen der menschlischen Seele tun, wie nie zuvor. Denn
272
hier wird nun nicht mehr пиг allgemein ein seelisches Leben, sondern werden
bestimmte seelische Regungen dargestellt, hier haben die Gefiihle nicht mehr den
religidsen Hauptton, sondern sind weltlicher geworden, alles Menschliche hat der
Kiinstler in seiner Seele empfunden und in seinen Gestalten lebendig werden lassen,
Freude und Schmerz, Zorn und Furcht, und all diese Regungen in ihren feinsten
Nüancen. Und ebenso hat er die Unterschiede des Geschlechts und des Alters,
der Temperamente und Charaktere in ihrer seelischen Eigenart erfaßt. Erst dieses
tiefste Eindringen in die Natur der menschlichen Seele können wir als die höchste Stufe
des psychologischen Naturalismus und damit des Naturalismus überhaupt bezeichnen.
Während aber dieser Unterschied gegen die früheren Werke zwar sehr groß,
aber doch nur gradweise ist, sind die Naumburger Werke in ihrem wichtigsten
Zug auch der Art nach von den früheren Werken verschieden. Denn der Haupt-
unterschied gegen die früheren Werke liegt darin, daß hier die allgemeine psycho-
logische Auffassung, die Darstellungsweise des Künstlers eine ganz andere ge-
worden ist. Wir hatten gesehen, daß die früheren Werke eine epische Erzählungs-
weise hatten und besonders an den Szenen der Wechselburger Kanzel und des
Freiberger Tympanons war uns dieser epische Charakter deutlich geworden. Er
bestand hauptsächlich in der ruhigen Mitteilung der Hauptmomente und in der
naiven Vorführung der Hauptpersonen der biblischen Ereignisse. Ganz anders ist
die Auffassung des Naumburger Meisters. Wie hier die Personen in leidenschaft-
licher Erregung handeln, wie sie in innige seelische Beziehung und Wechselwirkung
miteinander treten, das erinnert uns an die bewegte Handlung der Tragödie. Alle
Ereignisse sind im Augenblick der höchsten Spannung erfaßt. Die Figuren wollen
kaum noch ruhig an ihrem Standorte bleiben, die Energie ihres seelischen Lebens
treibt sie, fast in den Raum einzudringen, der sie umgibt, und ihn zum Schauplatz
ihrer Handlungen zu machen. Das ist dramatische Auffassung).
IV. INDIVIDUALISMUS
Es ist nun gewiß kein Zufall, daß gerade in der Auffassung des Seelischen die
Naumburger Werke sich von den früheren so sehr unterscheiden. Denn noch
näher als das Verhältnis des Künstler zum Naturgegenstand und zu den formalen
Gesetzen seiner Kunst grenzt die Auffassung des Seelischen an die tiefste Grund-
lage des menschlichen Schaffens überhaupt, an die allgemeine Welt- und Lebens-
anschauung. In dieser also müssen sich jene Gegensätze schließlich am stärksten
ausprägen, und damit kommen wir zu der letzten Entwicklungslinie, die die tiefere
Begründung der drei anderen ist und sie zugleich in sich zusammenfaßt?).
Zu jener Zeit war ja noch die Religion das einzige Gefäß der Welt- und Lebens-
anschauungen. Wie sich nun die einzelnen Künstler zur Religion verhielten, das
zeigt sich uns am besten in der Auffassung der Kreuzigungsszenen. Die Auffassung
des Halberstädter und Dresdener Meisters ist symbolistisch. Das äußert sich in
der strengen Stilisierung und Symmetrie, in dem Vertikalismus und der Frontal-
stellung, auch in der Beigabe der symbolischen Gestalten, auf denen Maria und
(x) Die Szene der Stifterfiguren stellt den Ausbruch eines Zweikampfes dar. Vgl. darüber H. Berger,
Naumburg und Merseburg, Leipzig 1909, S. 34ff. — Ich kann hier auf die psychologische Auffassung
der einzelnen Szenen nicht eingehen und behalte mir das für eine spätere Arbeit vor.
(2) Ich versuche damit, die Methoden Lamprechts und Wundts auf ein einzelnes Gebiet des Geistes-
lebens anzuwenden. Das allgemeine Eindringen dieser Methoden in die Kunstwissenschaft würde
sicherlich von großem Nutzen sein.
273
Johannes stehen, sowie (in Halberstadt) der Cherubim. Ез liegt in dieser sym-
bolistischen Auffassung noch ein Nachklang aus den Anfängen germanischen Geistes-
lebens. Fiir diese Kiinstler war die Religion noch eine strenge, allgemeingiiltige
Form, etwas Festes und Unbedingtes, gegen das keine individuelle Regung auf-
kommen konnte, Bei der Wechselburger Kreuzigungsszene ist die Auffassung
typisch- konventionell. Es ist die Darstellung des biblischen Ereignisses durch
Menschen von allgemeinem Typus und durch die traditionellen Formen in Aus-
druck und Ezählungsweise. Die Religion dieses Künstlers entsprach dem Geist
jener Zeit. Sie war nicht mehr eine herrische Forderung von oben, sondern die
Erfüllung eines allgemein-menschlichen Bediirfnisses. Diese mildere Auffassung der
Religion kommt auch an der Wechselburger Kanzel und an der Freiberger goldenen
Pforte zum Ausdruck. Selbst die dogmatische Szene an der Vorderseite der Kanzel
hat viel von ihrer hieratischen Strenge verloren. Beim Anblick der Naumburger
Kreuzigungsszene aber vergessen wir Dogma und Tradition, da erleben wir per-
sónlich das Ereignis mit, wie es der Kiinstler in seiner Phantasie erlebt hatte, ein
Ereignis von höchster Tragik. Wir fühlen mit, welche Qualen dieser sterbende
Held erleidet, und unser Mitleid wird noch stärker durch den ergreifenden, ganz
persönlich empfundenen Schmerz der Mutter und des Jüngers. Das ist individualistische
Auffassung und weist weit hinaus über die Grenzen jener Zeit. Für diesen Meister
war das biblische Ereignis kein dogmatisches Symbol und keine traditionelle Er-
zählung, sondern ein wirkliches Erlebnis, und wenn ihm die göttlichen Personen
Symbole waren, so waren sie es höchstens dafür, daß zu allen Zeiten der Mensch
leidet und andere mit ihm leiden.
Mit dieser Auffassung von der Religion ist die vom Menschen eng verbunden,
In den Werken von Halberstadt und Dresden hatte die Darstellung des Menschen
dazu gedient, Symbol des Göttlichen zu sein, in dem Wechselburger Werk war
das Göttlich-Erhabene ins Einfach-Menschliche übertragen, der Naumburger Meister
erkennt das Göttliche wie das Allgemein-Menschliche in der persönlichen Eigenart
des einzelnen Menschen, ihm ist das Höchste, was die Kunst darzustellen vermag,
nicht das Unfaßbare, Übersinnliche, auch nicht das Typische eines allgemeinen
Menschentums, sondern die lebendige Gegenwart der menschlichen Seele.
SCHLUSS
So erkennen wir im Individualismus das Ziel, dem die Entwicklung der sächsischen
Plastik seit dem Anfang des XII. Jahrhunderts zustrebt. Alles, was sich in den
früheren Werken dieser Zeit vorbereitet, es ist die Form, die dann, in den Naum-
burger Werken, den Geist des Individualismus aufnehmen sollte. Denn nun er-
kennen wir auch, daß schon die anderen Elemente dieser Entwicklung indivi-
dualistischer Art sind. Individualismus ist es, wenn — im Naturalismus — die
einzelne Form sich der verallgemeinernden Stilisierung widersetzt und gegenüber
der unterordnenden Idee ihr Recht verlangt. Individualismus ist es auch, wenn —
im malerischen Stil — die Plastik sich von den tektonischen Fesseln befreit, um
ihr eigenes Leben zu führen. Individualismus ist es schließlich, wenn in der Dar-
stellung des Menschen nicht mehr die äußere Gestalt genügt, — denn Gestalt hat
der Mensch mit allen Dingen der Natur gemeinsam —, sondern wenn der Mensch
durch innere Beseelung über die Natur hervortritt zu einem Dasein von besonderer
Art, und wenn ferner der einzelne Mensch in seinem seelischen Eigenleben sich
von der Menge der anderen unterscheidet.
274
Aber diese drei Elemente sind nicht nur drei getrennte Wege, auf denen die
Kunst jenem Ziele zustrebt, auch ineinander sind sie verwoben. Gegenüber den
Werken früherer Zeiten, besonders auch der griechischen Kunst, werden uns schon
die ersten Werke dieser Gruppe stärker beseelt erscheinen. Das Streben nach
diesem Ziel ist also von Anfang an vorhanden. Aber erst mußte der Naturalismus
die äußere Form und die Ausdrucksmittel schaffen, mußte der malerische Stil der
Plastik größere Freiheit geben, ehe jene allgemeine Beseelung wirklich zu idividueller
Durchbildung gelangen konnte.
Was ferner diese drei Elemente miteinander verbindet, ist die Bewegtheit. In
dieser unruhigen Bewegtheit, deren Steigerung den Fortschritt jener drei Entwick-
lungslinien begleitet, können wir das Suchen nach jenem Stil erkennen, dem diese
Entwicklung zustrebt. Daher hört sie auf, sobald jenes Ziel erreicht ist. Der
Vorgang, den wir hier in der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes
verfolgt haben, gleicht der Entwicklung des einzelnen Menschen, der in seiner
Jugendzeit unruhig sucht und ahnend vorbereitet, was er im Mannesalter zur Voll-
endung bringen will.
Und dennoch, obgleich wir gesehen haben, wie sich der Individualismus in den
früheren Werken seine Form schafft, bleibt uns sein plötzliches Auftreten in den
Naumburger Werken ein Rätsel. Und ein gleiches Rätsel bleibt uns überhaupt das
Entstehen eines so ausgeprägten Individualismus in einer Zeit, die noch zwei-
einhalb Jahrhunderte von dem wirklichen Erwachen des Individualismus in Deutsch-
land, von dem Auftreten Luthers entfernt ist. Die Antwort gibt uns nur etwas,
das an sich ebenfalls unerklärbar ist: die Macht des Genius. Der Naumburger
Meister war einer von denen, die über aller Zeit und besonders über den geistigen
Schranken ihrer eigenen Zeit stehen. Ihm war das Höchste der Mensch und seine
Seele. Darum werden wir ihn vielleicht erst ganz verstehen, wenn auch uns
wieder die Kunst nicht mehr bloße Form, sondern Ausdruck der Seele sein wird.
275
EIN JUGENDWERK DES PIER MARIA
PENNACCHI Von DETLEV v. HADELN
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln - . „0% eee eee eee eee cana cc... %%
M’ der Sammlung Solly ist im Jahre 182r ein venezianisches, quattrocen-
tistisches Halbfigurenbild der Madonna mit dem Kinde in die Berliner Galerie
gekommen (Nr. 49, Pappelholz, h. 0.88: br. 0.67 m). Trotzdem die Tafel, was nie-
mandem entgangen ist, eine Signatur trägt, gelang es nicht den Maler mit einer
bereits bekannten Persönlichkeit zu identifizieren und darum führte bis jetzt das
Bild die vorsichtig allgemein formulierte Benennung „Venezianische Schule um 1500“.
(Abb. т.)
Daß nicht schon längst der Maler unseres Bildes festgestellt wurde, hat einmal
in einer palaeographischen Eigentümlichkeit der Signatur seinen Grund, ferner in
dem Umstande, daß es sich um eine stilistisch ganz alleinstehende Jugendarbeit
handelt, von der sich die späteren Werke des betreffenden Künstlers so weit ent-
fernen, daß der Zusammenhang ohne weiteres gar nicht erkennbar ist. Der Zu-
sammenhang läßt sich sogar nur auf Umwegen nachweisen.
Unser Bild ist auf einem Zettel, der vorn an der Brüstung angebracht ist folgender-
maßen bezeichnet: „petrus maria / pinxit“ und zwar hat das a am Schluß des
zweiten Vornamens eine in Venedig am Ende des XV. und zu Anfang des XVI. Jahr-
hunderts nicht seltene Form, nämlich die eines o mit einem langen, horizontalen
Endstrich. Der Name lautet also nicht petrus mario, wie man gelesen hat, sondern
petrus maria. Nun ist hiermit allein gewiß noch nicht bewiesen, daß die so bezeich-
nete Madonna gerade dem einen uns bekannten Pier Maria, nämlich dem Pennacchi
gehört; ein Vergleich mit der signierten Pietá (Abb. 4), die sich ebenfalls in der
Gemäldegalerie des Kaiser - Friedrich - Museums (Nr. 1166) befindet, läßt das sogar
fürs erste als unwahrscheinlich erscheinen.
Dennoch braucht man die Hypothese nicht fallen zu lassen, denn daß Arbeiten
der Jugend ein anderes Gepräge als wenige Jahre später entstandene haben, ist
etwas oft Beobachtetes und leicht Erklärliches. Es gilt nur an Stelle des nicht deut-
lich klaren Zusammenhanges mit den Werken der reiferen Zeit, andere Argumente
für die Zuschreibung zu finden, etwa unverkennbare Beziehungen zu den Bildern
des Meisters, bei dem Pier Maria gelernt hat.
Bereits Crowe und Cavalcaselle nahmen an, daß der 1464 in Treviso geborene
Pier Maria zunächst bei einem paduanisch geschulten Künstler seiner Vaterstadt in
die Lehre gegangen ist. Der bedeutendste Maler Trevisos im letzten Viertel des
XV. Jahrhunderts war aber zweifellos der ältere Girolamo da Treviso und seitdem
wir dank den Forschungen Biscaros wissen, daß dieser Girolamo der um neun Jahre
ältere Bruder des Pier Maria Pennacchi ist, darf man getrost annehmen, daß Pier
Maria in der Werkstatt des Girolamo ausgebildet worden ist. Es ist also zu prüfen, ob
der Maler Petrus Maria der Berliner Tafel von Girolamo da Treviso abzuleiten ist.
Das Berliner Bild ist nun tatsächlich einigen Werken des Girolamo aufs nächste
verwandt, namentlich einer Halbfigur der Madonna im herzoglichen Schlosse zu
Dessau, von der uns keine Reproduktion zur Verfügung steht, auf die wir darum
nur im allgemeinen verweisen können!), und weiter eine große Altartafel, die
(1) Dessau, Schloss. Madonna mit Kind, Halbfigur; Hintergrund: Vorhang und Architektur. Bezeichnet
an der Brüstung: HIERONIMO TARVISIO P.
276
Girolamos Namen und die Jahreszahl 1494 trágt, im Besitze des Grafen Collalto
auf der Burg S. Salvatore bei Sussegana (Abb. 2). Ich glaube nur auf die Verwandt-
schaft der Madonnen oder auf die der beiden greisen Bischofsköpfe, auf Einzelheiten
wie auf Zeichnung und Modellierung der Nasen oder auf die Faltenbehandlung der
Kopftiicher hinweisen zu brauchen, Die beigegebenen Abbildungen zeigen wohl
hinreichend, daß es sich hier um Produkte des gleichen Ateliers handelt, daß der
Petrus Maria unseres Bildes ein dem Girolamo Pennacchi aufs nächste verwandter
Kiinstler ist, womit die Beweiskette, daB die Berliner Madonna eine Jugendarbeit des
Pier María Pennacchi ist, geschlossen wird.
Das Datum der Altartafel in S. Salvatore, 1494, wird wohl auch annáhernd fiir
unser Bild gelten; dafür sprechen stilistische wie äußere Gründe. Denn einmal
steht das Berliner Frühwerk des Pier Maria den am Ende der achtziger Jahre ent-
standenen Bildern Girolamos, wie der 1487 datierten Madonna mit Sebastian und
Rochus im Dom zu Treviso und der grandiosen Transfiguration-Lünette in der
Academia in Venedig (Nr. 96), die sich ursprünglich in S. Margherita zu Treviso über
einem 1488 errichteten Altar befand, sehr viel weniger nahe als der thronenden
Madonna mit Heiligen von 1494 in S. Salvatore.
Die äußeren Gründe aber sind folgende. Zwei Jahre nach Vollendung des Altar-
bildes in S. Salvatore, nämlich 1496 starb Girolamo und dieser Verlust des Bruders
und Mitarbeiters mag es gewesen sein, der Pier Maria veranlaßte nach Venedig
überzusiedeln, wo er, trotz öfters nachgewiesener Anwesenheit in Treviso, sich lange
aufgehalten haben muß, was sehr umfangreiche Arbeiten in S. Maria dei Miracoli
in Venedig und in den Angeli in Murano und andererseits der venezianisierte Stil
seiner späteren Werke beweisen. Wie weit Pier Maria sich in Venedig durch An-
schluß an Giovanni Bellini von der Weise seines Bruders entfernte, mag durch
eine Gegentiberstellung der bezeichneten Pietá Girolamos (Abb. 3) in der Brera
(Nr. 154) mit der ebenfalls signierten, schon oben genannten gleichen Darstellung
(Abb. 4) von der Hand des jüngeren Bruders illustriert werden.
277
ZU VEIT STOSS.
Mit drei Abbildungen auf einer Tafel.
Zur Ergänzung meiner Bemerkungen über Veit
Stoß und den Kruzifixus in Heroldsberg (in dieser
Zeitschrift Ш, 1910, 242 f.) sei auf eine Darstellung
der Kreuzigung in sechs Figuren im Städtischen
Museum Carolino-Augusteum zu Salzburg auf-
merksam gemacht, die an einer Fensterwand auf-
gestellt und schlecht zu sehen, den Blicken der
StoBforscher m. W. bisher entgangen ist. Die
große, ursprünglich den Schrein eines Altares
füllende Gruppe, von der Herr Museumsdirektor
E. Fugger inzwischen die Güte hatte, mir Auf-
nahmen zu senden (Abb. 1 u. a), stammt aus der
Salinenkapelle in Hallein, etwas südlich von Salz-
burg, nahe der bayerischen Grenze. Daß sie, ihrem
Stile nach, in Veit Stoß’ nächste Nähe gehört,
lassen auch die Abbildungen erkennen.
Unter den Stoß zugeschriebenen großen Holz-
kruzifiren stehen der aus dem Nürnberger Heiligen
Geist-Spital stammende, jetzt im Germanischen
Museum (W. Josephi, Die Werke plastischer Kunst
i. Germ. Nat.-Mus., Nürnberg 1910, Nr. 316) und
der von Hermann Voss in Ognisanti zu Florenz
nachgewiesene (Abb. 3) dem Salzburger Exemplar am
nächsten, „lächerlich nah“, um Vossens Wort zu
gebrauchen, in der ganzen Erfindung, der „Führung
des Gesamtkonturs“ und vielfach auch in der Be-
handlung des Einzelnen. Das Faltenwerk am
Schurz mit dem in eine Dreiecksspitze ausgehen-
den vorderen Ende ist am ähnlichsten in Nürn-
berg; der Kopf und seine Neigung zur Seite, das
über die rechte Schulter in langen Locken nach
vorn fallende, über die linke zurückgeworfene Haar,
die lange, an der Wurzel sich dreieckig erweiternde
Nase, die Augen mit den schweren, schwer nieder-
fallenden Deckeln kehren sehr ähnlich in Florenz
wieder.
Auch die fünf zu Füßen des Salzburger Kruzi-
firus stehenden Statuen sind nach Typen, Be-
wegungs- und Gewandmotiven auffallend stoBhaftig.
Für das feiste Gesicht des Hauptmanns mit den
leicht von den Lidern bedeckten Augen, der lang-
gezogenen Nase, den ausgepolsterten Backen, dem
eirund vorprellenden Kinn verweise ich auf den
Apostel ganz links auf dem Abendmanhlsrelief des
Schwabacher Hochaltars. Hier wie auf den Flügeln
dieses Altars auch sehr ähnliche Hände und ähn-
lich scharfwinklige Falten. Der charakteristische
Ellbogenschirm an der Rüstung des Longinus (mit
runden Lappen) kommt auf dem Auferstehungs-
278
relief des Schwabacher Altares vor, ebendort die
Riefelungen auf dem Unterarm (mit nach abwärts
statt nach oben gekehrten Spitzen), der Schulter-
kragen mit Bogenzacken auf einer der Tafeln mit
den 12 Geboten in München.
Man wird jedoch bei diesen sechs Statuen von
Hallein eher an einen Stoß ganz nahe Stehenden,
als an Stoß selbst zu denken haben. Als be-
sonders gute, nur um geringe Nuancen des Aus-
drucks, der Form hinter dem Meister selbst zurück-
bleibende Arbeiten eines Stoßschülers sind diese
Figuren für die Stoßforschung von kaum geringerem
Interesse, ja vielleicht von aktuellerem als die
eigenhändigen Sachen. Ist doch das Stoßische
Schulgut, der Anteil, den z. B. die Gehülfen an
Stoß’ großen Altären genommen haben noch wenig
untersucht und abgegrenzt. Es soll nicht behauptet
sein, daß nun auch der dem Salzburger Kruzifixus
so nah verwandte Florentiner als die Arbeit eines
Schülers, eben des Salzburgers, anzusehen sei.
Voss, der das Florentiner Exemplar aus der Nähe
betrachtet hat, nimmt es mit Lebhaftigkeit für
Stoß selbst in Anspruch und dabei mag es sein
Bewenden haben. Dem für Stoß beglaubigten
Kruzifixus in S. Sebald in Nürnberg ist er allem
Anschein nach in der Durchbildung zwar nicht
ganz ebenbürtig (der in Schwabach ist m. E. als
zu weichlich in der Modellierung des Kopfes, für
Stoß nicht in Frage).
Eine Bemerkung noch über den schönen von
H. Voss dem Stoßoeuvre eingereihten hl. Rochus
in Sa. Maria Annunziata in Florenz. Im Schrein
des Hochaltars der Jacobskirche zu Leutschau, der
von B. Daun, Veit Stoß und seine Schule, Leipzig
1903. 113ff. als ein Werk eines StoBschúlers, des
»Meisters Paul“, erwiesen ist, steht links der Ma-
donna ein hl. Jacobus der A., der nach Stand- und
Bewegungsmotiv wie auch in der Erfindung der
kunstvoll-komplizierten Draperie und im Typus
des Kopfes mit dem Florentiner Rochus obne alle
Frage aufs engste zusammenhingt. DaB der
Rochus in Florenz ein Werk des Meisters Paul
sei, ist darum noch nicht anzunehmen; vielmebr
wird man zu sagen haben, daß der Stoßschüler
in Leutschau den hl. Rochus zum Ausgangspunkt
für seine Konzeption genommen habe. Da der
Leutschauer Altar nach В. Daun im Jahre 1508
schon vollendet gewesen ist, gewinnen wir einen
terminus ante für die Florentinische Figur, die
also um 1506, spätestens, zu setzen ist. Das in
meiner vorigen Stoßnotiz Stoß abgestrittene Relief
des ungerechten Richters aus dem Nürnberger Rat-
hause ist jetzt von Josephi im oben zitierten Katalog
der Bildwerke des Germanischen Museums der
bayerischen Schule zugeschrieben, auf die es ja
auch in der Faltenfúbrung sehr stark bindeutet;
in einem Nachwort wird es dann Hans Leinberger
attribuiert; auch @. von Bezold ist dieser Ansicht.
Vóge.
FRIEDRICH WOLFF, Michael Pacher.
1. Band. 143 Aufnahmen auf 96 Tafeln.
Berlin 1909. Verlag Dr. Franz Stoedtner.
So sehr ein Arbeiten ausschlieBlich nach Photo-
graphien zu falschen Schlüssen führen muß, so
sehr ist andrerseits zu betonen, daß eine ver-
gleichende kunstwissenschaftliche Analyse in den
meisten Fällen erst mit Hilfe eines ausführlichen
und genauen Abbildungsmaterials möglich ist.
Dies gilt in erster Linie von Kunstwerken, die in
Verbindung mit Architektur einen unübersicht-
lichen Reichtum ornamentaler, plastischer und
bildlicher Gestalten zu einem Gesamtaufbau ver-
einigen und vielleicht für das ästhetische Bewußt-
sein einen erschöpfenden Eindruck bieten, aber
dem wissenschaftlichen Blick oft genug Dinge
verbergen, die an sich Kleinigkeiten sind, aber für
die Erkenntnis personaler, stilistischer und lokaler
Zusammenhänge oft die sichersten Merkmale ab-
geben. Dieser erste Band der großen von
Dr. Friedrich Wolff veranstalteten Pacher - Publi-
kation ist mustergültig für die Art, wie mit Hilfe
der Photographie sowohl die Zusammenfassung
und die übersichtliche Gruppierung als auch die
Analyse des Werkes dem Auge erleichtert werden,
das an den großen Hochaltären umherirrte, bald
hierhin bald dorthin gezogen, jetzt in ruhiger
Betrachtung des Einzelnen verweilen und das Ge-
trennte zum Vergleich vereinigen kann. Abgebil-
det sind im Folio-Format in vortrefflichen —
manchmal nur etwas schwer im Ton wirkenden
Lichtdrucken der Firma Frisch — der Altar in der
alten Pfarrkirche in Gries bei Bozen, der Hoch-
altar der Kirche zu St. Wolfgang in Ober-Óster-
reich, der Kirchenviteraltar in der Kgl. Álteren
Pinakothek in München und in der Kgl. Gemálde-
galerie in Augsburg, die Madonna vom Hoch-
altar der Franziskanerkirche in Salzburg und der
Kruzifixus in der Pfarrkirche zu Bruneck. Ganz
methodisch ist der Weg von der Aufnahme des
ganzen Altares zur kleineren Tafel bis hin zum ein-
zelnen Körpergliede genommen. Ein glücklicher
Gedanke ist die isolierte Wiedergabe der aus-
drucksvollen Hände. Durch die Wiedergabe der
ornamentalen, mit Figürchen belebten Umrahmung
in einzeinen Abschnitten wird für die Anschauung
das Werk des Künstlers geradezu bereichert. Die
plastischen Hauptstücke entfalten ihren Reichtum
und ihre plastische Energie durch Aufnahmen von
verschiedenen Standpunkten. Der Hauptnachdruck
ist naturgemäß auf die Publikation des großen
Altares von St. Wolfgang gelegt. Ihm gehören
allein 69 Tafeln. So mag es fast unbescheiden
aussehen, wenn man den Wunsch ausspricht, es
möchten auch dem Madonnenrelief der Brustschnalle
des bi. Wolfgang und der Konsole unter 8. Georg
noch Detailaufnahmen gewidmet sein. Ist es der
Initiative Dr. Wolffs zu danken, daß nach bisher
unzulänglichen Wiedergaben dieser große Altar
fast restios publiziert vorliegt, so darf man den
Verfasser und die Kunstwissenschaft beglückwün-
schen, daß Dr. Stoedtner die Ausführung in die
Hand genommen hat und sein reiches Inventar
von Photographien deutscher Plastik und Kunst
um bedeutendste Stücke vermehrt hat. Wer nicht
schon kunstgeschichtlich von Pachers bedeutender
Stellung in der Entwicklung der deutschen Kunst
überzeugt ist, dem wird nach Durchsicht dieses
Tafelbandes klar, daß es der Rechtfertigung einer
so monumentalen Publikation für einen einzelnen
Meister nicht mehr bedarf. Wie bei den größten
Künstlern und bei einem reichen Oeuvre — dessen
Reichtum bei nominell wenigen Stücken ja auch
erst durch die photographische Analyse klar wird —
drängen die Fragen an, nach dem Verhältnis von
Meister- und Schülerarbeit, nach Entwicklung und
Chronologie, nach dem Verhältnis von Architektur,
Plastik und Malerei und ihrer Schöpfer zueinander,
und ob sie dieselbe Stilstufe bezeichnen, oder die
eine Kunst der anderen in der Entwicklung voraus
ist, welche Stufe in der Entwicklung des Quattro-
cento überhaupt der Altar und die Kunst Pachers
einnimmt und in wie hoher Qualität, und schlieB-
lich welchen landschaftlichen Kunstkreis er reprä-
sentiert und in welchem Gebiete er historisch wirk-
sam geworden. Denn daß sich hier die drei großen
Kunstkreise des Quattrocento, Niederlande, Deutsch-
land und Italien treffen, ist schon bedeutsam ge-
nug. Aber am aktuellsten ist doch — wie später
bei Dürer — das Verhältnis zu Italien, weil hier
an einem Beispiel entschieden werden muß, wie
279
weit die oberitalienische Kunst, mit der М. Pacher
so stark Fiihlung hat, nach dem Norden hin ten-
diert, und somit anders als im Cinquecento die
nordische Kunst als der einflußreichere, gebende
Faktor sich erweisen wird. Auf alle diese Fragen
erwartet man von dem Textband eine Antwort und
ist aufs höchste gespannt, und zugleich wünscht
man, daß er ebenso abschließend sein möge, als
es dieser Tafelband genannt zu werden verdient.
Dr. Richard Hamann.
HANDZEICHNUNGEN ALTER MEI-
STER IM STAEDELSCHEN KUNST-
INSTITUT. Herausgegeben von der
Direktion. Vierte bis siebente Lieferung.
Frankfurt a. M. 1909/10.
Mit Freude begleitet man das gleichmäßige Fort-
schreiten der schönen Publikation, in der die Di-
rektion, mit Geschmack und unter Berücksichtigung
der Interessen des Fachmannes wie des Amateurs,
die wichtigsten Stücke aus der reichhaltigen Samm-
lung allgemein zugänglich macht. Einigermaßen
gleichmäßig sind alle Schulen berücksichtigt; nur
die Vlamen scheinen etwas vernachlässigt, woran
der Zufall der Repräsentation in Frankfurt Schuld
tragen mag. Aus der frühen Epoche der nor-
dischen Schulen rühren ein doppelseitig mit Madon-
nenstudien bezeichnetes Blatt (Lief. IV, Taf. 2/3),
die vielfigurige Kreuzigung (VII, T. 3), deutsch,
letztes Drittel des ı5. Jahrh., die wie die Kopie
nach einem ausgezeichneten Bilde aus der Gegend
des Mittelrheins aussieht, und die schöne Stift-
zeichnung auf Pergament her, unter dem Namen
des Dirk Bouts; drei Köpfe alter Männer (V, T. 6),
den Aposteln auf dem Mittelbild des Löwener
Altars verwandt, wenn auch etwas fortgeschrittener.
Man darf hier den signierten Dirk Vellert (VI,
T. 7) einen, wie gewöhnlich, sehr durchgeführten
Scheibenentwurf, und die seltsam komponierten
Szenen aus dem Marienleben von Jakob Cornelisz
van Oostsanen (IV, T.7) anreihen.
Das deutsche 16. Jahrhundert ist durch vier
Blätter von Dürer — darunter die grandiose Kom-
position des vom Tode überfallenen Ritters (V,
T. 2) — und Arbeiten von Altdorfer, Beham und
Hans von Kulmbach vertreten.
Am stärksten an Zahl und 2. T. von ausgezeich-
neter Qualität erscheinen die Holländer: Rembrandt
mit vier Blättern (prachtvoll der trunkene Loth,
voll signiert, von 1633; wie es scheint, dasselbe
Modell, wie in dem frühen Paulus in Nürnberg
(IV, T.9), ein schöner Metsu, Halbakt einer jungen
Frau (VI, T.9), ein ungewöhnlich skizzenhaft-freier
280
Ostade, in toniger Sepiatuschung (VI, Т. 8), Blätter
von v. d. Neer, van Goyen, Bega und endlich die
von spáterer, doch alter Hand signierte Ansicht
von Delft von Vermeer (IV, T. 10): von dem
gleichen Standpunkt aufgenommen, wie das Bild
im Haag, genau den gleichen Ausschnitt wieder-
gebend wie dieses, jedoch mit veränderter Staffage ;
trotzdem kann man Zweifel an der Autorschaft
nicht ganz unterdrúcken, so reizvoll das Blatt ist.
Von den Vlamen ist nur ein nicht erfreulicher
Kopf eines Mannes von van Dyck mitgeteilt (V,T.7).
Die Italiener, obschon nicht imposant an Zahl,
stellen lauter gute Kampen ins Feld. Die um-
brische Trias Perugino, Pinturicchio und Raphael
kann man an den woblbekannten, sehr typischen
Federzeichnungen untereinander vergleichen. Der
Madonna mit dem hl. Nikolaus von Tolentin von
Raphael (УП, Т.б) gebührt in der Diskussion über
die Jugendentwicklung des Urbinaten eine wichtige
Stelle. Aus dem späten Florentiner Quattrocento
kann man weniges sehen von so hinreißender
Anmut, wie den Jünglingskopf in Silberstiftzeich-
nung (V, T. 4) unter Filippinos Namen, obwohl die
ruhige Vortragsweise eher an Credis Gleichmaß,
als an Filippinos nervöse Art denken läßt; und
dasselbe Lob, in einer andern Epoche, gilt von dem
Blatt mit Studienköpfen von Guercino (VII, T. 5).
Daß das Städelsche Museum sich eines kost-
baren Schatzes französischer Zeichnungen rühmen
darf, tat eine Ausstellung im vergangenen Jahr
dar. Aus dieser Abteilung sind Blätter von Millet
(sehr interessant durch die Anlehnung an die
römische Schule), Boucher und Le Prince mitge-
teilt. Georg Gronau.
W. H. v. d. MÚLBE, Die Darstellung
desjiingsten Gerichtes an den roma-
nischen und gotischen Kirchenpor-
talen Frankreichs. Leipzig 1911. Klink-
hardt & Biermann.
Nimmt man das Buch als eine Sammlung der
plastischen Darstellungen des jüngsten Gerichtes
französischer Kirchen, als ihre Beschreibung und
Vergleichung, so kann man es als eine sorgfältige
und nützliche Arbeit bezeichnen. Auch die zu-
sammenfassende Schlußübersicht orientiert gut über
das gegenständliche Bildmaterial, das in diesen
Portalszenen eine Rolle spielt, und über das räum-
liche Verhältnis in dem die einzelnen Bestandteile
zueinander stehen.
Aber der Anspruch des Verfassers geht doch
weiter. Er gibt im ersten Kapitel eine Übersicht
über diejenigen Darstellungen des jüngsten Ge-
richtes, die seinem Gebiet voraufgehen, und da-
mit ordnet er gewissermaßen die Portaldarstellungen
in die Gesamtentwicklung ein. Er kommt hierbei
zu der hohen Schätzung, daß es die Aufgabe dieser
Plastik war, ein einheitliches Weltgerichtsbild zu
schaffen und daß die französische Gothik diese
Aufgabe nicht nur gelöst, sondern damit einen
Höhepunkt der Entwicklung geschaffen hat, der
nur von einem zweiten durch Michelangelo abge-
16st worden ist. Dem muß man entgegnen, daß
die gothischen Portalreliefs und das Fresko Michel-
angelos garnicht auf derselben Linie liegen, son-
dern, daß der mittelalterlichen Malerei, besonders
der Monumentalmalerei, eine ebenso große Bedeu-
tung, ja, wohl eine größere auf dem Wege zu
diesem Ziele zukommt, als der Plastik, jedenfalls
entwickelt sich das jüngste Gericht Michelangelos
aus seinen gemalten und nicht gemeißelten Vor-
läufern, wenn uns auch aus der gothischen Zeit
weniger gemalte Beispiele als plastische erhalten
sind. Man kann auch den Einspruch dagegen er-
heben, daß die Lösung in den gothischen Portalen
wohl eine für die Architektur zweckmäßige, aber
im Sinne einer geschlossenen Darstellung keine
befriedigende ist. Eine solche Streifenkomposition
verhindert selbst bei der Steigerung, die in der
krönenden Figur des Richters liegt, eine volle Zu-
sammenfassung. Die deutschen Portale haben sich
gegen diese scharfe Trennung gewehrt, wie ja
überhaupt die deutsche Gothik fast immer mehr
zu den gemalten und gezeichneten Ahnen und
Geschwistern hält als es die französische tut. In
den Portalfeidern von Bamberg, Rottweil, Ulm hat
man die strengen Horizontalteilungen zu vermeiden
gesucht, was dem Bildcharakter zum Vorteil diente.
Von Michelangelo geht die Entwicklung weiter zu
den Venezianern und zu Rubens, der Weltenrichter
rückte in die Ferne und der Raum wächst. Die
gothischen Tympane sind nur eine spezielle archi-
tektonische Ausgestaltung.
Merkwürdig ist es, daß der Verfasser sagt (S. 14),
daß „die byzantinische Kunst in der Entwicklung
der Bilder im Abendlande keine Rolle gespielt
hat“. Gerade für die gothischen Portale hat die
byzantinische Kunst Hauptbestandteile geliefert,
wenn auch erst indirekt. Die Gruppierung Christi
zwischen Maria und Johannes dem Täufer ist ein
rein byzantinischer Faktor. Die Franzosen haben
allerdings, worauf der Verfasser aufmerksam macht,
den Evangelisten vielfach an Stelle des Täufers
gesetzt, ein Beweis mehr, daß ihnen die Zusam-
menstellung fremd war, während Maria und Jo-
hannes der Evangelist neben dem Kruzifix als
eine geläufige Gegenüberstellung galt. Auch in
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 6.
der Miniaturmalerei wird gerade um die Zeit der
starken Byzantinismen um 1200 die Einführung
der Jungfrau und des Täufers gebräuchlich, zu-
weilen mit noch viel eindringlicheren Merkmalen
vereinigt wie dem Feuerstrom, der von Christi
Thron ausgeht. Auch der Höllenrachen, ein ziem-
lich fester Bestandteil der Portaldarstellungen, geht
in letzter Linie auf orientalische Quellen zurück,
auf die Repräsentation des Hades oder Inferus, wie
es zuerst als ganze Figur, dann als großer mensch-
licher Kopf vorkommt (wie z. B. im Utrechtpsalter
oder in dem frühen Elfenbeinrelief im Kens. Mus.
der Verfasser 8.17 beschreibt — es ist hier noch
immer ein Menschenkopf, wenn auch ein etwas
ungeheuerlicher, der schließlich zum tierischen
Rachen wird. Auch die Idee der Streifenkompo-
sition, die sich die gothische Architektur zunutze
macht, geht auf den Osten zurück. Daß diese
Quellen nicht gewürdigt werden, ist ein Mangel.
Dagegen zeigt der Verfasser ein ästhetisches
Feingefühl in der Beurteilung der Formen, wenn
auch das künstlerische Reinprodukt der vorge-
führten Entwicklung, das er auf S. 83 schildert,
eigentlich nur für Paris zutrifft, so daß die da-
malige Zeit sich eines ganz festen Zieles doch
wohl kaum klar bewußt gewesen zu sein scheint;
wenigstens möchte man dies daraus schließen, daß
die Variationen auch nach Paris noch stark aus-
einandergehen. Adolf Goldschmidt.
JOSEPH WÜNSCH: Blasius Höfel,
Geschichte seines Lebens und
seiner Kunst und Verzeichnis seiner
Werke Mit 14 Tafeln, Wien 1910.
Gesellschaft für vervielfältigende Kunst.
Die großen sozialen und geistigen Revolutionen
am Ende des 18. Jahrhunderts äußern sich auch
in einer Veränderung der künstlerischen Produk-
tionsbedingungen und zwar nicht am wenigsten
in der neuen Stellung, welche die graphischen
Künste im 19. Jahrhundert einnehmen. Während
einerseits der Kupferstich und die ihm verwandten
Techniken, deren Erzeugnisse vor allem Gegen-
stand des Sammelns vornehmer Liebhaber waren,
zurücktreten und zeitweise fast den Aussterbeetat
erreichen, entstehen andererseits neue, billigere
Reproduktionsverfahren wie die Lithographie oder
der aus England importierte Stahlstich oder es
werden ältere, in Vergessenheit geratene wieder
anfgegriffen und mit neuen künstlerischen Ab-
sichten versehen, wie der Holzschnitt — lauter
Techniken die dann bis zur allgemeinen Ein-
führung der photographischen Reproduktionsmetho-
20 281
den im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts das
Bedürfnis nach künstlerischer und wissenschaft-
licher Illustration zu decken hatten.
Etwas anders als im deutschen Reich vollzog
sich diese Entwicklung in dem durch das Regime
der Restaurationsperiode geistig stärker unter-
bundenen Österreich. Das Leben und die Schick-
sale Blasius Höfels spiegeln sie deutlich wieder-
Seine Studienzeit fiel noch in jene späte Blüte-
periode der Wiener Akademie, in welcher die
letzten Vertreter der alten italienisch-französischen
Barocktradition, wie der Bildhauer J. B. Hagenauer,
der Kupferstecher Joh. Jak. Schmutzer, den Wan-
del zum Klassizismus durchmachen, wo die letzten
großen Barockmeister wie der Kremser Schmidt,
(+ 1801) oder Maulpertech (T 1796) abgelöst wer-
den von dem Purismus einer christlich - romanti-
schen Richtung, die den Stil des 15. und 16. jahr-
hunderts wieder aufzuleben vermeinte. Héfels
Lehrer, dann auch Schwiegervater, war der
Schmutzer - Schüler Quirin Mark, ein technisch
solider, künstlerisch jedoch wenig bedeutender
Akademiker, der erst kürzlich von A. Czempin in
einer Wiener Dissertation behandelt worden ist.
Höfels weitere Entwicklung, wie sie der Ver-
fasser mit liebevoller Beachtung aller biographi-
schen Details darstellt, liegt in dem Kampf dieses
Mannes für die alte Tradition des Kupferstichs,
die im Begriffe stand von der künstlerisch minder-
wertigen Lithographie verdrängt zu werden. So
ist er in Österreich zum Erneuerer des seit dem
17. Jahrhundert gänzlich in Verfall geratenen Holz-
schnitts geworden, den er aber in ganz mißverständ-
licher Weise nun bloß als Surrogat des Kupfer-
stichs und in Nachahmung seiner Technik ver-
wendet. Historische Bedeutung erlangen diese Be-
mühungen erst durch Höfels Ausbildung des Farben-
holzschnitts und des Drucks mit Tonplatten, Tech-
niken die er ebenfalls als erster in Österreich aus-
übte und neben weichen das für jene Zeit sehr
charakteristische Experimentieren mit den ver-
schiedensten anderen, jetzt zum Teil bereits ver-
gessenen Techniken — Stahlstich, Schabkunst,
Elfenbeinschnitt, „Polytypie“ — keine Rolle spielt.
Neben diesem eigentlich künstlerischen Werde-
gang Höfels nehmen in der Darstellung noch seine
vom Fürsten Metternich angeregten technischen
Erfindungen eines Verfahrens zur Verkleinerung
oder Vergrößerung gestochener Platten, ferner einer
„Reliefmaschine“, sowie seine Schicksale als Buch-
drucker einen breiteren Raum ein. Beigefügt ist
der Biographie außer einigen dokumentarischen
Beilagen ein musterhaft gearbeiteter Katalog seiner
sämtlichen graphischen Werke.
282
Da Bi. Höfel nur reproduzierender Künstler war
und kein Blatt eigener Komposition von ihm be-
kannt ist, wird vielleicht eine eigentlich kunst-
historische Behandlung seines Stils nicht vermißt
werden. Dennoch glaube ich, daß in ihrem Feh-
len ein Hauptmangel der Darstellung liegt. Das
Werk des reproduzierenden Künstlers gibt ja, viel-
leicht sogar mehr als das des originell produzie-
renden Meisters, ein universales Bild der Kunst-
absichten einer Epoche. Er ist ihr Interpret. Er
prägt das Gold der großen Geister der Kunst in
die Scheidemünze des populären Kunstbesitzes
einer Zeit um. Nun geht ja der Verfasser aller-
dings auf die historischen Zusammenhänge ein,
indem er im I. Kapitel eine kurze Geschichte des
Kupferstiches in Wien bis 1820, im IV. Kapitel
eine solche der Entwicklung des Holzschnitts in
Deutschland bis 1845 gibt. Das sind jedoch Er-
örterungen, die nur der nächsten Orientierung
dienen, und von einem tieferen Erfassen des Ge-
samtproblems sehr weit entfernt sind. Man sage
nicht, daß die bescheidene monographische Be-
handlung eines Mannes wie Höfel nicht not-
wendigerweise zum Spiegel der allgemeinen kunst-
historischen Probleme gemacht werden müsse.
Es gibt keine Darstellung, die so speziell, so nur
auf das Persönliche einer Erscheinung der Kunst-
geschichte gerichtet ist, daß sie dieser Forderung
entgehen dürfte. Die geringste Zeichnung eines
Stümpers ist eben noch bedeutend genug, um in
der Hand des Kunsthistorikers zur Erkenntnis-
quelle eines Problems zu werden. Bei einer Er-
scheinung wie Höfel liegt das Problematische nun
nicht bloß darin, daß er einen historischen Typus
repräsentiert, was der Verfasser ebenfalls gar nicht
recht zur Anschauung bringt, sondern auch rein
kunsthistorisch in seinem Stil und in dem seiner
Originale. Es genügt nicht, wenn der Verfasser
die goldenen Worte schreibt, bei welchen man
das Rauschen der Binsen hört, daß sein Held „sehr
wohl wußte, daß bei der reproduzierenden Kunst
ein vortreffliches Original den halben Erfolg be-
deute.“ Wir wollen auch von den Originalen
selbst hören, wir wollen den Verfasser über den
historischen Sinn, der gerade in der Wahl dieser
Originale liegt, vernehmen, wir wollen wissen, welche
stilistische Bedeutung ein bestimmter Wandel in
der Technik einer reproduzierenden Kunst hat.
Wie hat der Künstler das Original interpretiert?
Was hat er selbst darin gesehen? Es genügt auch
nicht, wenn uns mit einiger Naivetät versichert
wird (Pag. 66) die Holzschnltte zu den „Legenden
der Heiligen“ seien „einheitlich im Stil der Blúte-
zeit des altdeutschen Holzschnittes“ entworfen.
Eine solche Auffassung erinnert an die ebenso
naive Behauptung der Reiseführer, daß ein ge-
wisses Museum im italienischen Barockstil aus-
geführt sei, obwohl es tatsächlich in gar keinem
Stil ausgeführt ist, ganz zu schweigen von dem
bekannten Cafe, welches im „Stil der englischen
Gotik“ gehalten sein soll. Das ist alles ebenso
indiskutabel, wie es im übrigen der Terminus
„Alt- Deutsch“ ist. Ein Stil kommt nur einmal,
und wenn er nachgeahmt wird, so ist es gar kein
Stil oder ein andrer. Die betreffenden Holzschnitte
sind natürlich im Stil der Romantiker vom An-
Anfang des 19. Jahrhunderts, die zwar bewußt auf
den der deutschen Kunst des 16. Jahrhunderts,
z. B. auf Holbein zurückgegriffen haben, aber
ebensowenig im Stil Holbeins schufen als Dona-
tello im Stil des Polyklet. Eine stilistische Absicht
wird damit irrtümlich für den Stil selbst genommeu.
Eben auch zur besseren stilistischen Er-
kenntnis des Meisters möchte man wünschen, außer
den vorzüglich reproduzierten Porträts, deren Zahl
dann vielleicht hätte vermindert werden können,
mehr Beispiele der illustrativen Tätigkeit Höfels
gerade nach Meistern wie Steinle, Schnorr, Führich
usw., deren Reproduzierung für Hófel so bezeich-
nend ist, unter den Tafeln zu sehen.
Das Buch ist im ganzen als Biographie und
Katalogarbeit gut, als kunsthistorische Darstellung
beschränkt. Wir nehmen an, daß es dem Ver-
fasser auf diese nur in letzter Linie angekommen ist.
Georg Sobotka.
W. C. BEHRENDT. Alfred Messel.
Mit einer einleitenden Betrachtung von
Karl Scheffler. Mit 90 Abbildungen.
Berlin, B. Cassirer. 1911.
Uber Messel schreiben, heißt den innersten Nerv
unsrer architektonischen Entwicklung kennen und
bloBlegen; heißt, dem Problem moderner Stil-
schöpfung auf den Grund gehn. Denn eine eigen-
tümliche Fügung, und fast wie Prädestination ist
es, daß Messel zu derselben Zeit den entscheiden-
den Auftrag seines Lebens, den Wertheimbau, er-
hielt, als in München ein paar Maler auszogen,
den modernen Stil im Kunstgewerbe zu finden,
der abhanden gekommen zu sein schien. Im Grunde
handelte es sich um die gleiche Aufgabe, во
himmelweit die Stellen voneinander entfernt lagen,
an denen sie angepackt wurde, und so aussichts-
los das Bemühen damals gewesen wäre, diese
beiden Stellen miteinander zu vergleichen. Heute
wissen wir ungefähr, wohin der Weg führte. Man
hat sich auf der Messelschen Linie geeinigt, und
das Unwahrscheinliche ist Ereignis geworden, daß
der korrekte Akademiker von ehemals als der
größte Führer der modernen „Naturalisten“ gelten
darf. Und darin liegt das Geheimnis seiner Be-
deutung, daß Messel nicht nur den Geist seiner
Zeit verstanden hat — den verstanden die van der
Velde und Endell noch besser —, sondern daß
er bei der Lösung der großen Aufgaben einer
demokratischen Gegenwart im FHerzensgrunde
Aristokrat blieb und den unentbehrlichen Zusam-
menhang mit der Tradition aufrecht erhielt. Weil
er nicht die alten Formen über Bord warf, sondern
anknüpfte an das Beste, was Gontard, Gilly und
Schinkel gegeben hatte, heftet sich allein an sein
Werk (wenigstens in Norddeutschland) der Erfolg
einer Schule. .
Sein Wesen, seine Entwicklung und seine Zeit
tritt uns in schöner Klarheit entgegen in diesem
Buche, das Scheffler und Behrendt in Gemeinschaft
entworfen zu haben scheinen: so sehr ist die
ruhige leidenschaftslose Objektivität der Scheffler-
schen Analyse über das Buch ausgegossen. Beh-
rendt ist aber ein Schüler von feiner und selbstän-
diger Empfindung, und man darf sich glücklich
schätzen, die hobe Aufgabe einer Würdigung
Messels in so vornehmen Händen wohlverwahrt
zu seben. Das Buch ist ein Genuß zu lesen und
anzuschauen; man kann es wohl, mit dem Vorbe-
halte, daß keine Zeit ihre eigenen Werke klar zu
übersehen vermag, als das abschließende Werk
über den großen Architekten betrachten. Fach-
leute mögen untereinander noch Kompendien über
Messel auszutauschen haben; für uns Laien bildet
das Buch die Würdigung des Künstlers Messel.
Druck (von Drugulin) und Ausstattung mit schönen
klaren Abbildungen ist aus demselben Geiste vor-
nehmer Sachlichkeit entsprungen und gereicht
Messel nicht weniger als dem Cassirerschen Ver-
lage zur Ehre. Paul Ferd. Schmidt.
KARL WOERMANN. Geschichte der
Kunst aller Zeiten und Völker.
III. Band. (Die Kunst der christ-
lichen Völker vom 16. bis zum Ende
des 19. Jahrhunderts.) Mit 328 Ab-
bildungen im Text, 12 Tafeln in Farben-
druck und 46 Tafeln in Tonätzung. Leipzig
und Wien. Bibliographisches Institut 1911.
Bei einem so monumentalen Werke wie es die
eben vollendete Woermannsche Kunstgeschichte
darstellt, muß man in der Beurteilung drei Mo-
mente grundsätzlich unterscheiden: Die Leistung
des Einzelnen als solche, die in erster Linie der
Kritik unterliegt, die Möglichkeiten, die der Ver-
283
wirklichung solcher Arbeit im fest vorgeschriebe-
nen Rahmen gegeben waren und last not least
die nicht zu unterschätzende verlegerische Seite
dieser Publikation, die, so nebensächlich sie
auch zunáchst erscheinen mag, doch den Wert
des Ganzen im Sinne des Búchermarktes und der
vorhandenen Konkurrenz bestimmt. Und um das
letzte Moment gleich vorwegzunehmen, darf man
wohl behaupten, daß diese Kunstgeschichte nach
Ausstattung und Illustration den Rekord gegen-
über allem bisher Geschaffenen aufstellt. Nur
ein Verlag wie das Bibliographische Institut,
das sich mit einer bewunderungswürdigen Freude
und Opferwilligkeit, nicht minder auch mit einem
buchtechnischen Geschmack und Raffinement der
gegebenen Aufgabe bemächtigte, war dank seiner
großen technischen Mittel imstande, dieser Kunst-
geschichte äußerlich eine Form zu schaffen, die auf
Jahrzehnte hinaus für ein solches Unternehmen als
vorbildlich angesprochen werden darf. Diese Woer-
mannsche Kunstgeschichte mit ihrem ungeheueren
Abbildungsmaterial, das in der besten Qualität
der vorhandenen Reproduktionsmöglichkeiten dem
Leser vor Augen tritt, (nicht zu reden von der
glücklichen Auswahl der Objekte, die diesmal der
Fachmann besorgt hat) übertrifft illustrativ alles, was
bisher auf ähnlichem Gebiete — leider gar zu oft mit
unzulänglichen Mitteln — versucht wurde. Das gibt
auch zunächst dieser Publikation ihre besondere Note,
die sie dem Publikum empfehlen muß, das sich
heute zwischen der Fülle von Kunstgeschichten und
Handbúchern weder zu raten noch zu helfen weiß.
Wenn ich nach dieser persönlichen Anerkennung
vor dem, was das bibliographische Institut sicher
im Sinne Woermanns, als des geistigen Urhebers,
geleistet hat, zum zweiten Moment übergehe, so
geschieht dies deshalb, weil dieser Umstand erst
die Voraussetzungen für die kunstwissenschaftliche
Leistung als solche darzubieten vermag. Man
darf nicht verkennen, daß eine Geschichte der
Kunst aller Zeiten und Völker schon an sich ein
so gewagtes Unternehmen darstellt, daß der zur
Verfügung stehende Raum (drei voluminöse Bände)
niemals ein auch nur annähernd entsprechendes
Äquivalent für den Versuch als solchen darzu-
bieten vermag. Woermann war gezwungen, sein
Thema, das an Weite des kulturgeschichtlichen
Blickes alle bisher versuchten Kunstgeschichten
übertrifft, in einen Rahmen einzuspannen, der bei
aller Breite dennoch dem Stand der modernen
kunstwissenschaftlichen Forschung nur bis zu
einer bestimmten Grenze gerecht werden konnte.
Aber Woermann hat versucht, zum ersten Male die
Kunstgeschichte der Welt zu schreiben und voraus-
284
tastend Probleme aufzugreifen, deren Lösung noch
in Jahrzehnten nicht zu erwarten steht. Nur ein
Einzelner mit weitgespanntem universalen Ver-
ständnis war dazu fähig. Der gegebene Rahmen
setzte ihm freilich natürliche Grenzen, die wir
doppelt bedauern müssen, obwohl sie bei dieser
Arbeit schlechthin einfach nicht zu überschreiten
waren. Unter der verlegerischen Voraussetzung
allein ist deshalb auch das objektive Urteil über
die wissenschaftliche Leistung als solche möglich
und hier muß die Kritik das Wollen anerkennen.
Damit komme ich zum ersten Momente, das im
Rahmen dieser Zeitschrift allein Gültigkeit haben
kann: Zu der Kritik der positiven Arbeit eines
erfahrenen Fachmannes. Ich gestehe offen, daß
mich hier und dort die gemachten Stichproben in
der Behandlung des Themas schwer enttäuscht
haben (diese Enttäuschung offenbart jede derartige
Kunstgeschichte). Aber Woermann bricht im Vor-
wort zum dritten Bande jeder Diskussion von vorn-
herein die Spitze ab, weil er über seinen persönlichen
Standpunkt keine Zweifel aufkommen läßt. So muß
ich es z.B. scharf verurteilen, daß die Kunstevolution
des 19. Jahrhunderts — und was viel wichtiger
ist — diejenige unserer Tage mehr als einmal
einem reinen Doktrinarismus verfällt, daß Verf. unter
die ganze Moderne, so apostrophal sie auch be-
handelt wird — mit dem Jahre 1goo einen dicken
Schlußstrich setzt, obwohl unsere junge Kunst
eigentlich erst mit diesem Jahre begonnen hat,
ihre Fittiche zu regen und neuen Tendenzen zum
Siege zu verhelfen. Aber diese Behandlungsweise
resumiert letzten Endes aus dem Thema selbst,
für das das Jahr der Jahrhundertwende einen natür-
lichen Abschluß setzte.
Damit ist es auch erklärt, daß die prinzipielle
Auffassung in Sachen der „Modernen“ den Stand-
punkt der vor uns lebenden Generation involviert
und daß so oft den wahrhaft prominenten Persön-
lichkeiten unserer jungen Kunst nicht die Bedeu-
tung beigemessen wird, die sie nach dem Urteil
der Kenner wohl verdienen.
Aber selbst solche Ausstellungen wollen wenig
besagen, wenn man daran denkt, wie summarisch
das Thema an sich abgetan werden mußte.
Ein ungebeurer Fleiß, ein durchdringender Scharf-
blick für die Evolution des Weltgeschehens zeich-
net diese Kunstgeschichte vor anderen aus und
der rythmische Zusammenklang aller Faktoren, die
in einer wirklichen Entwicklungsgeschichte ein-
begriffen sind, gibt trotzdem dieser Arbeit ihren
unvergänglichen Wert.
Schon bei einer gelegentlichen Buchanzeige des
ersten und zweiten Bandes der Woermannschen
Kunstgeschichte habe ich den Ми des Unter-
fangens dieses Einzelnen doppelt unterstrichen.
Auch der dritte Band drängt ähnliche Erwägungen
auf. Abstrahierte man selbst einen Augenblick
von der Qualität als solcher, das Faktum bleibt
immer bestehen, daß Woermann die erste Uni-
versalhistorie der Kunstgeschichte versucht hat.
Sie ist archivalische Forschung, Quellenliteratur und
selbst da, wo der Gegenstand zu längerem Ver-
weilen keinen Raum schafft, haben Laie und
Forscher die sicheren Wegweiser weiterer Orien-
tierung. Ich nehme nicht an, daß Woermann all
das gelesen hat, was er im Anhang zum dritten
Bande zitiert, aber daß er überhaupt zitiert und
quellengemäße Nachweise darbietet — so willkür-
lich, unkritisch und falsch sie sogar im einzelnen
mehrfach sind — gibt dieser Kunstgeschichte vor
anderen ihr besonderes Gepräge.
Der Verfasser hat ein Leben voll praktischer Er-
fahrung als langjähriger Leiter der ersten deutschen
Galerie hinter sich — er hat eine Weltreise ge-
macht mit kunsthistorischen Tendenzen, um die
wir ihn alle beneiden. Erfahrung im praktischen
Leben, Feingefühl und Verständnis im intellek-
tuellen Erfassen waren deshalb die Vorbedingungen
für seine Leistung. Die Kritik darf in solchen
Fällen bei Kleinigkeiten nicht Halt machen, zum
wenigsten Fehler verzeichnen, die auf das Konto
des Korrektors und Register-Autors gehen (die sind
freilich zahlreich). Woermanns Werk als solches
wird dadurch zwar in Mitleidenschaft gezogen, aber
nicht bestimmt. Es bleibt im ganzen als Leistung
eines Einzelnen bewundernswert und darf fortan
den sicheren Wettkampf mit den übrigen „Kunst-
geschichten‘ aufnehmen. Georg Biermann.
W. SHAW SPARROW, Frank Brang-
wyn and his Work. London: Kegan
Paul, Trench, Trübner & Со. kL 4°: тото.
(то 5. 6 4.)
Daß Brangwyn eine der markantesten Erschei-
nungen in der englischen Kunst unsrer Tage ist,
gebt schon daraus hervor, дай úber den noch
jungen Mann, — heute ist er 43 Jahre alt, — be-
reits so viel geschrieben worden ist, darunter ein
großes Prachtwerk. Es läßt sich ja auch viel von
ihm erzählen, da seine ganzen Lehr- und Wander-
jahre, in der er halb Matrose war und an alle
Enden der Welt gelangte, sich höchst romantisch
anlassen. Brangwyn ist jetzt bekanntermaßen ein
Stilist, ein dekorativer Maler und der erste an den
man denkt, wenn man in England jemanden zur
monumentalen Bearbeitung einer Wandfläche sucht.
Merkwürdigerweise hat das auch Morris, in dessen
Werkstätten Brangwyn als ganz junger Mensch ar-
beitete, vorausgesehen. Zuvor aber wurde Brangwyn
etwas von einemRealisten, ein Künstler der im Vater-
lande die Rolle eines französierten ,,Modernen“,
eines Anti-Akademikers spielte, und daher zunächst
von der Kritik als béte noire behandelt wurde.
Das gibt dem Verfasser Veranlassung zwei Kapitel
lang der Kritik einmal vorzuhalten wie sie sich
von Fall zu Fall Brangwyn gegenüber gestellt,
sich an ihm blamiert hat. Durch dieses Inter-
mezzo gewinnt das vorliegende Buch ein ganz
besonderes Interesse, auch über sein eigentliches
Thema hinaus. Die Spitze der langen Ausein-
andersetzung ist die, schon öfters gestellte Frage:
„ist es nicht sonderbar daß die Engländer, eine
Rasse von Athleten und Sportsmännern, in der
Kunst das weiblich- süßliche anbeten.“ Was
Brangwyn in England zu leiden gehabt hat, hatte
er zu leiden wegen seiner männlichen Kraft, seiner
Energie und der gewissen Derbheit, die sich bei
ihm im Kolorit, in der Zeichnung, sowie in der
Auffassung gleichmäßig offenbaren. Der Verfasser
muß sich selbst darüber verwundern, daß Brangwyns
Ruhm vom Ausland, besonders von Deutschland
und Frankreich, herstammt und daß erst die
Fremden England gezeigt haben, was es an
ihm hat. Shaw Sparrow selbst würdigt seinem
Helden völlig und weiß in fesseinder sowie ge-
schickter Weise dessen Tugenden hervorzuheben,
namentlich den Kritikern Brangwyns „Standpunkt“
klarzulegen, um daran die selbstverständliche Er-
innerung zu knüpfen, daß er auch das Recht habe
allein nach seinem Standpunkt beurteilt zu werden.
Die Staffelei- und die monumentale Wandkunst,
die Aquarelle und Graphik werden gesondert durch-
genommen. Am Schluß stehen einige Verzeich-
nisse, die jedoch keinen wissenschaftlichen Wert
haben, aber immerhin einen ungefähren Begriff
von Brangwyns Arbeitsleistung und der Verbreitung
seiner Kunst geben. Ganz zuletzt befindet sich
eine internationale Zeitschriften-Artikel Biographie.
Zwanzig recht gute Farbendrucke und 16 Licht-
drucke schmücken das empfehlenswerte Buch.
Hans W. Singer.
THEOBALD HOFMANN, Raffael in
seiner Bedeutung als Architekt. III.
Band. Palast- und Wohnbauten. Dresden,
Gilberssche Verlagsbuchhandlung.
Schon mehrfach habe ich hier über dies monu-
mentale Werk berichtet und mich seiner gefreut.
Es ist in unserer Zeit jedenfalls eine fremdartige
Erscheinung: eine Veröffentlichung von sieben
285
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großen Bänden, die ganz einem Künstler gewid-
met ist, der als Architekt etwa ein halbes Dutzend
Paläste oder Villen, sonst kaum mehr als einige
Umbauten entwarf, der an der ganz grossen bau-
lichen Unternehmung der Peterskirche ohne heute be-
merkbare Spuren teilnahm, der sonst noch sich
für die Erforschung der altrömischen Baukunst
mit Nachdruck und Erfolg bemühte — von dem
der heute überhaupt nur drei beglaubigte nicht
große Gebäude — und ein zweifelhaftes — be-
stehen. Und der in der Tat doch der Größten
einer ist, ja nach und neben Michelangelo als der
erfolg- und nachfolgereichste Architekt der eigent-
lichen römischen Renaissance gewürdigt werden
muß.
Das zu beweisen und dem bis ins allerletzte
nachzugehen hat sich Flofmann vorgesetzt, und
dazu ist dieser dritte (mit dem Vorbande vielmehr
der vierte) prächtige Band ein weiteres gewichtiges
Dokument.
Man könnte gerade bei ihm wohl meinen, ein
Teil des darin gegebenen sei schon im vorigen
Bande so ziemlich erledigt; insbesondere die Palazzi
Raffaello-Bramante und dell'Aquila.
Doch will Hofmann planmäßig nochmals alle
Palast- und Wohnhausbauten des Meisters neben-
einanderstellen und es so ermöglichen, sie als ge-
schlossene Gruppe erfassen und das ihnen allen
eigentümliche und gemeinsame als den eigent-
lichen Kernpunkt raffaelischer Architektur erkennen
zu lassen. Und darum wollen wir uns dieser außer-
ordentlichen Gründlichkeit erfreuen und den em-
barras de richesse, der doch nur so gehäuft ist,
um die Größe des Baukünstlers auf das nach-
drücklichste einzuprägen, wie den eigentümlichen
Charakter seines Wollens völlig zum Ausdruck
kommen zu sehen, gerne auf uns einwirken lassen.
In der Tat hat Raffael als der einzige in seiner
Zeit unablässig darnach gestrebt — und das tritt
in den hier behandelten Bauten aufs unverkenn-
barste hervor — seine Gebäude immer als einen
geschlossenen Organismus zu bilden und wirken
zu lassen. Was er da erreichte, ist wirklich
erstaunlich. Wer zum ersten Male den Palast Pan-
dolfini in Florenz sieht — ja nur eine Zeichnung
seiner Fassade, der erliegt dem überwältigenden
Eindruck dieser Geschlossenheit. — Der Urbau des
Pal. Vidori-Caffarelli ist noch immer gewaltig in
seiner Einheit; berauschend muß aber der ver-
schwundene dell’Aquila gewirkt haben; eine der
prächtigsten, geschlossensten und einheitlichsten
Architekturen, die je erfunden wurden.
Durchaus bezeichnend ist der Umstand, daß
diese Bauwerke alle fünfachsig sind, nur der
286
Pandolfini sogar vierachsig. Ferner, daß sie aus
strengst getrennten Unter- und Oberbau bestehen,
von denen der letztere stets so stark zurücktritt,
daß die stattlichen Balkons vor seinen Fenstern
auf dem Rúcksprung noch Platz haben. Ganz
ebenso ruht das riesige Hauptgeschoß — mit
Mezzanin — der Villa Madama auf seinem mäch-
tig weit vorspringenden Unterbau.
Raffael erzielt auf solche Weise eine Einheit in
diesen Bauwerken, die der griechischer Tempel
nahekommt, — die nur noch Michelangelo mit
seinem Peterskirchen-Entwurf erreichte.
Palladio hat hier und da — bei seinen einfachst
disponierten Gebäuden, wie der Villa Rotonda —
ähnliches gewollt. Doch nicht in so völlig aus-
geglichener Weise, mit solcher nachdrücklichen
Kraft, mit solcher malerischen Wirkung und vor
allem in so völlig selbständiger Weise.
Hofmann macht dabei mit Recht darauf aufmerk-
sam, daß der Pal. Pandolfini trotz seiner riesigen
Wirkung und seiner Unvergeßlichkeit eigentlich
nicht eine einzige richtige Nachahmung gefunden
hat. Er ist eben unnachahmlich geblieben. Ich
glaube selbst nicht, daß man, wie Hofmann, das
Palais Oppenheim in Dresden als den Versuch
einer solchen betrachten darf. Eher noch dürfte
der Pal. Albergati zu Bologna (der ja von Peruzzi
sein soll, doch kaum ist, eher von Serlio) das
Semper bestimmende Vorbild gewesen sein.
Von noch nicht besprochenen Palästen behandelt
Hofmann hier also den Pal. Vidoni-Caffarelli, Pal.
Bresclano und Pal. Pandolfini, außerdem die Villa
Farnesina und Raffaels Anteil an ihr. Zu dem
Pal. Bresclano muß ich jedoch bemerken, daß die
Autorschaft Raffaels mir auch hier noch nicht hin-
reichend sicher nachgewiesen, vielmehr Peruzzi,
den Falda als Verfasser des Entwurfes nennt, mir
doch noch sehr in Frage zu kommen scheint.
Gewiß kann Falda sich irren und hat sich schon ge-
irrt; im allgemeinen erkenntaberauch Hofmann seine
Bezeichnungen als richtig an und fußt auf ihnen.
Immerhin will ich damit nicht in Abrede stellen,
daß auch dieser Bau völlig in die Raffaelische Ein-
fluBsphire fällt,daher unbedingt hier genannt werden
mußte. Sein Aufbau unterliegt so durchaus dem Raf-
faelischen Schema und seiner energischen Zwei-
teilung, zeigt so ähnliche kraft- und ausdrucksvolle
Architektur, daß der Volksmund und die Beurteilung
der Kritiker mit innerem Rechte auf Raffael als
den Schöpfer hinwiesen.
Trotzdem scheinen mir Detaillerung und ganz
bestimmte Einzelheiten — die breiten Fensterge-
wände, die platten weichen Vorderflächen der Kon-
solen und anderes — allzu starke Anklänge an Peruzzi
zu enthalten, als йай man ohne weiteres seine
wenigstens einmal bezeugte Autorschaft ganz ne-
gieren dúrfte, wáhrend fúr Raffael ganz allein die
Nachricht spricht, daß er in Borgo Nuovo mehrere
Häuser gebaut habe.
Inwieweit hier der Kompromiß, den Hofmann
andeutet, als Lösung angenommen werden kann,
daß nämlich Raffael den Bau entworfen, Peruzzi
ihn ausgeführt habe, lasse ich dahingestellt. Mir
‚scheint von je her Peruzzi als Träger der Hoch-
renaissance unterschätzt zu werden; von einer
Wirkung seiner Kunst auf Raffael wird nie ge-
sprochen, die trotzdem unleugbar bleibt.
Man darf doch nie vergessen, daß unter den
eingebauten Palästen Pal. Massimi alle colonne den
Höhepunkt der ganzen Flochrenaissance bedeutet,
und daß, was Durcharbeitung zu wahrhaft klassi-
scher Bildung anbetrifft, selbst Raffael die hier
von Peruzzi erreichte Höhe nicht ganz gewann.
Wenn die ältere Farnesina in der Tat ihrerseits einen
etwas anderen Sinn, eine verschiedene Richtung,
mebr im Sinne Bramantes, aufweist, so spricht
doch auch sie deutlich genug von der Bedeutung
ihres Meisters.
Ich vermisse dazu am Pal. Bresciano das starke
Zurücktreten des Obergeschosses, das nun ein-
mal, nach Hofmanns Ansicht selber, ala eines der
bezeichnenden Merkmale Raffaelischer Palastbauten
anzusehen ist.
Übrigens hat dies ob oder ob nicht für das Buch
an sich nicht viel zu bedeuten; denn auch der ge-
nannte Palast gehört unbedingt hinein, sei er nun
wirklich von Raffael selber, sei er nur unter dem ge-
waltigen Einflusse seiner Architektur entstanden.
Da Hofmann ja gerade die Bedeutung Raffaels in
der Architekturentwicklung seiner Zeit darstellen
will, so gewinnt jenes Gebäude in diesem Sinne
als Zeugnis seines Einflusses vielleicht mehr an
Wert, als ев, falls es nicht Originalwerk Raffaels
wäre, in anderer Hinsicht einbüßen könnte.
Das Kapitel aber, das Hofmann der „Vereinigung
Raffaelischer Bauformen“ widmet, ist meines Er-
achtens embarras de richesse. Es ist ein deut-
liches Zeugnis der unbegrenzten Bewunderung des
Verfassers für Raffaels Architektur, und gewiß in-
teressant, daß es Hofmanns möglich war, die Ober-
Unterteile von Raffaels Architekturen auseinander
zu reissen und zu neuen harmonischen Werken
anders zu kombinieren. Mir will es aber scheinen,
als ob da mit einem Beispiel genug getan gewesen
wäre, ja an die Erwähnung dieser Möglichkeit
schon ausgereicht hätte. Denn anderseits habe ich
das Gefühl, als ob gerade sie eher gegen das
absolut Organische und streng Zusammengehörige
jeder Raffaelischen Architektur spräche — während
man bei ihr doch immer die überzeugende Ge-
schlossenheit und Einheit bewundert.
Man kann aber den Beweis wenigstens als
geführt ansehen, daß Raffaels einzelne Geschosse
wieder so eigenartig und in sich fertig sind, daß
sie, ganz wie eine Säulenordnung, zu weit aus-
einanderliegenden Aufgaben beliebige Verwendung
finden können; also als Nachweise gelten müssen da-
für, daß Raffael überall typische Architekturen prägte.
Übrigens glaube ich, daß auch die ersten Archi-
tekturschöpfungen G. Romanos in Mantua unbe-
dingt hierher gehörten. Der Palazzo del Тё, den
dieser, sozusagen eben vom Totenbette Raffaels
gekommen, dort entstehen ließ, erscheint mir so
durchaus als eine Nachwirkung Raffaelischer Archi-
tektur, daß ich selbst versucht bin zu glauben, daß
ihm eine Raffaelische Erfindung zugrunde liege.
Jedenfalls ist er das klarste Ergebnis seiner Archi-
tekturschule, die G. Romano nachher völlig verließ.
Und so gehört er sozusagen zu Raffaels Vermächt-
nissen.
Im übrigen muß gesagt werden, daß dieser neue
Band sich seinen Vorgängern in gleicher Art und
Bedeutung anreiht; daß er ein gleich reiches Material
in ebenso klarer Aufreihung wie jene enthält und
uns gestattet, wie der Verfasser es beabsichtigt,
die Entstehung des einzelnen wie des ganzen so-
zusagen neu zu erleben.
Die Zeichnungen und Photographien beleuchten
die Objekte von allen Seiten und bis zum heuti-
gen Tage. Die Rekonstruktionen, insbesondere des
Pal. Raffaello - Bramante und vor allem des Pal.
dell'Aquila, sind glänzend und für Raffaels Werk
von wirklichem Werte.
Eine Marotte des trefflichen Verfassers ist es frei-
lich, daB er wichtige Grundrisse auf dem Mappen-
umschlage bringt. Ein nochmaliger Abdruck fir
das eigentliche Werk wäre doch wohl nötig.
Auf weiteres im einzelnen will ich mich Мет
nicht einlassen. Es würde gleich ein zu dem Buche
gehöriges Kapitel daraus. Ich will nur noch das
eigentlich selbstverständliche aussprechen, daß auch
dieser Band wieder ein glänzendes Zeugnis für des
Verfassers Liebe und Verständnis für Raffaels
Architektur bildet, wie in Fülle des beigebrachten
einschlägigen Materials überreich ist. Und daß er
in der Tat beweist, welche gewaltige Rolle Raffaels
Architektur gerade zur Höchstentwicklung der
italienischen Renaissancebaukunst zu spielen be-
rufen war. Es ist kaum auszudenken, welchen
Weg diese genommen hätte, wenn die so wenig
zahlreichen und doch so mächtig wirkenden Bauten
Raffaels dabei gefehlt hätten. Albrecht Haupt.
287
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
Heft 8: .
CORRADO RICCI, Die Florentiner Porträt- Aus-
stellung. (7 Abb.)
EBERHARD FREIHERR VON BODENHAUSEN
und WILHELM R. VALENTINER, Zum Werk
Gerard Davids. (11 Abb.)
EUGEN PETERSEN, Adolf Michaelis. (2 Abb.)
KUNST UND KÜNSTLER.
Heft УШ:
MAX LIEBERMANN, Empfindung und Erfindung
in der Malerei.
HERMANN UHDE-BERNAYS, Feuerbachs Bild-
nisse. (13 Abb.)
ANTON FREIHERR VON PERFALL, Wilhelm
Leibl. (10 Abb.)
MAX. J. FRIEDLANDER, Bilderverkiufe.
JULIUS ELIAS, Straßburg. (6 Abb.)
KUNST UND KUNSTHANDWERK.
Heft 4:
KLARA RUGE, Die Ausstellung alter orientalischer
Teppiche im Metropolitan Museum of Art in New-
York. (6 Abb.)
ALFRED WALCHER VON MOLTHEIN, Öster-
reichische Volkskunst. (т farb. Tafel.)
HARTWIG FISCHEL, Koloniale Bauweise in
Amerika. (18 Abb.)
M. DREGER, Zur Ausstellung spätantik-ägyptischer
Funde im K. K. Österreichischen Museum. (13 Abb.)
DER CICERONE.
Heft то:
A. GOTTSCHEWSKI, Neuere Erwerbungen des
Hamburgischen Museums fiir Kunst und Gewerbe.
(12 Abb., davon 2 auf Taf.)
Heft 11:
LEO BALET, Zwei schwábische Glasmaler der
Barockzeit. (13 Abb.)
GEORG BIERMANN, Römische Ausstellungen U.
DIE KUNST FÜR ALLE.
Heft 17:
PAUL CLEMEN, George Grey Barnard. (21 Abb.)
DIE CHRISTLICHE KUNST.
Heft 6:
ERNST STÖCKHARDT, Niccolo Barabino (Schluß).
(5 Abb.)
HUGO STEFFEN, Das alte Heiligen-Geist-Hospital
der freien Reichsstadt Lübeck. (9 Abb.)
288
Н. E., Hemmnisse der Grabmalkunst.
FRANZ WOLTER, Altwiener Malerei im Kunst-
verein München. (5 Abb.)
KARL HARTMANN, Joseph Danhauser. (т Abb.)
O. DOERING-DACHAU, Apsidenschmuck in der
kath. Kirche zu Schweinfurt.
FELIX MADER, Emaillierter Altar von Cosmas
Leyrer.
G. E. LÜTHGEN, Ausstellung Elberfeld.
RICHARD RIEDEL, Wiener Herbstausstellungen 1.
HANS SCHMIDKUNZ, Berliner Sezession.
Heft 7:
S. STAUDHAMER, Die Plastik der Gegenwart.
(3 Taf., 35 Abb.)
HUGO STEFFEN, Die alten Innungen und die
neuen Organisationen im Baugewerbe. I.
RICHARD RIEDEL, Wiener Herbstausstellungen
HANS SCHMIDKUNZ, Dänische Ausstellung in
Berlin.
FRANZ WOLTER, Altspanische Malerei in der
Galerie Heinemann, München.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST.
Jahrgang 1911/12. Heft 2:
FRITZ WITTE, Eine figurenbestickte Purpurkasel
des XIV. Jahrhunderts in der „Sammlung Schnüt-
кеп“. (т Taf.)
LUDWIG ARNTZ und А. SCHNUTGEN, Pfarr-
kirche und Pfarrhaus in Lichtringhausen. (7 Abb.)
GEORG HUMANN, Neuzeitl. Kunstbestrebungen. IL
APOLLON.
März:
A. TRUBNIKOW. Der Dámonismus des Hietoni-
mus Bosch (22 Abb.).
Р. MURATOW. Nikolai Р. Krymow (12 Abb.)
nebst Verzeichnis seines Oeuvres.
REVUE DE L’ART CHRETIEN.
ae livraison. Mars-Avril 1911:
L. GOUGAUD, L'art celtique chrétien. (13 Abb.)
Der Aufsatz stellt das ro. Kapitel des Les Chré-
tientés celtiques betitelten, eben erschienenen
Bandes der Bibliotheque de l’enseignement de
Vhistoire ecclésiastique dar.
ANDRE DE HEVESY, Les miniaturistes de Mathias
Corvin. II. (2 Taf., y Abb.)
A. GAZIER, Francois Bucher et le bréviaire de
1736. (11 Abb.)
MELANGES:
PAUL CLEMEN, Les fouilles du palais carolingien
d’Ingelheim. (т Abb.)
HENRI DROUOT, Le nombre des „Pleurants“ aux
tombeaux des ducs de Bourgogne. (2 Abb.)
JOS. CAHIER, Marguerite d’York et les Pauvres
Claire de Gand. (7 Abb.)
PAUL VITRY, Musée du Louvre, Département de
la sculpture du moyen-áge et de la Renaissance,
Acquisitions et dons, année тото.
CHRONIQUE.
BIBLIOGRAPHIE.
THE STUDIO.
May:
COLLINS BAKER, The paintuigs of William
Orpen, A. R. A., R. H. A. (то Abb.)
E. A. TAYLOR, The American colony of artists
in Paris (17 Abb.)
M. C. SALAMAN, The Engraving School of the
Royal College of Art. (9 Abb.)
LEWIS HIND, Mrs. Sydney Bristowe’s water-
colours. (6 Abb.)
M. H. SPIELMANN, An Indian portrait painter:
S. Rahamim Samuel. (4 Abb.)
THE BURLINGTON MAGAZINE.
April 1911.
Leitartikel, Rembrandts Mill.
Macht dem Vorstand der National Gallery den
Vorwurf, die ihm auferlegte Pflicht nicht erfüllt
zu haben. Diese Pflicht bestehe einmal darin,
15 erstklassige, in britischem Privatbesitz be-
findliche Gemälde (darunter war Rembrandts
Mühle) bei sich bietender Gelegenheit für die
Nation anzukaufen, und sodann darin, von Zeit
zu Zeit Bilder zweiten Ranges zu erwerben, so-
fern sie eine Lücke im Bestande der Galerie aus-
füllen oder historisch von besonderem Interesse
seien.
ROGER FRY, The Fraga Velasquez (2 Tafeln
mit 3 Abbildungen).
Behandelt das Porträt Philips IV. von Spanien,
das aus dem Besitz eines Prinzen von Parma
in den des Mr. H. C. Frick übergegangen ist,
und gibt historische Daten dazu.
EMANUEL LOEWY, On the Anzio Statue
(1 Tafel mit 2 Abbildungen).
Der bekannte römische Archäologe bespricht die
Definition des Geschlechtes der Anzio Statue,
das seit langem einen Streitpunkt bildet. Loewy
hält die Statue für die „eines jungen Mädchens
im Übergangsalter“.
ETTORE MODIGLIANI, APicture by Gio-
vanni da Bologna in the Brera (2 Tafeln mit
3 Abbildungen).
Das Bild ist das von der Brera neuerworbene
„Madonna mit Kind und Engeln“ des Trecen-
tisten Giovanni da Bologna, von dem nur ganz
wenige Bilder sicher bestimmt sind.
F. MELIAN STAWELL, An Interpretation
of the Phaestos Disk (2 Tafeln und zahlreiche
Abbildungen im Text).
Ein neuer Versuch die Schrift auf dem Discus
aus Phaestus in Creta zu entziffern. Resultat
der Deutung ein Hymnus an Athene.
A. CLUTTON-BROCK, Tintoret.
Eine Charakterisierung Tintorettos im Anschluß
Evelyn Merch Phillips Buch „Tintoretto“.
CHARLES FLOULKES, A Craft-Picture by
Jan Brueghel (2 Tafeln mit 6 Abbildungen).
Detaillierte Besprechung der „Venus in der Werk-
stätte des Vulkan“ im Berliner Kaiser Friedrich-
Museum (Nr. 678).
MARYF.S.HERVEY & ROBERT MERTIN-
HOLLAND, A Forgotten French Painter:
Felix Chretien (2 Tafeln mit 5 Abbildungen).
Chretien war ein Kleriker des Bischofs Francois
de Dinteville von Auxerre und starb 1579.
Letters to the Editors: The Housebook Master (W.
F. Storck). Reviews and Notices: Recent Art Pub-
lications. Art in France.
Maiheft 1911:
JOSE PIJOAN, A Rediscovered School of
Romanesque Frescoes (2 farbige Tafeln).
Behandelt die Wandmalereien in den nordspani-
schen Kirchen, auf die seit einigen Jahren das
Interesse einiger Kunsthistoriker sich konzentriert
hat, und weist, trotz offenbarer Beeinflussung vom
Orient und Byzanz her, gewisse zu einer natio-
nalen Eigenart sich verdichtende Charakteristika
in diesen Wandgemälden nach. Die Abbildungen
werden von eingehenden Bemerkungen begleitet.
JOHN HUNGERFORD POLLEN (Mrs.), Early
Design in Lace (2 Tafeln mit 8 Abbildungen).
Kurzer Abriß der Entwicklung der Spitzenmanu-
faktur.
HENRJETTE MENDELSOHN: Did The Dossi
Brothers Sign Their Pictures? (r Abbildung
im Text).
Nein. Der durch ein großes D gezogene Knochen
auf dem Wiener Bilde des Heiligen Hieronymus
sei nur eine Ausnahme. Der ältere Dosso (Gio-
vanni), der sicher der Maler dieses Bildes sei,
habe sich hier ein kleines Spiel mit seinem
Namen erlaubt, da es sich dem Gegenstand des
Bildes zwanglos angepaßt habe.
A. М. HIND, Giovanni Battista Piranesi
and His Carceri (4 Tafeln mit 7 Abbildungen).
Bespricht die ersten Zustände der „Carceri“, die
das Britische Museum kürzlich erworben hat,
und weist auf den Unterschied zwischen ihnen
und den bekannteren zweiten Zuständen hin.
HENRY NEWTON VEITCH, Sheffield Plate:
The Period of Device Marks (2 Tafeln mit
zahlreichen Abbildungen).
Die Periode der „Device Marks“ auf dem be-
rühmten Sheffield Silver Plate dauerte von etwa
1810— 1842, in welch letzterem Jahre die alte,
künstlerisch hochstehende Methode durch die neue
rein mechanische ersetzt wurde.
GEORGE A. SIMONSON, A Newly Discovered
Guardi (1 Tafel).
Das Bild schildert ein Fest im Teatro San Be-
neditto zu Venedig zu Ehren der ,,Conti del
Nord“, und ist ein Pendant zu dem neuerworbenen
289
Guardi der Miinchner Pinakothek. Seltsamer-
weise nennt 8. den Eigentümer nicht. Das Bild
wird auf der Sommerausstellung des Burlington
Art Clubs zu sehen sein.
Notes on Various Works of Art (x Tafel zu
The St. Goar Triptych; УУ. F. Storck). Reviews
and Notices. Recent Art Publications.
German Periodicals. Art in France.
ONZE KUNST.
April 1911:
JAC. MESNIL, De Mysteriespelen en de plastieke
kunsten. 3. Fortsetzung (4 Abb.).
DE BOER, Jan Toorop.
und Schluß (15 Abb.).
2. Fortsetzung
S. H. De ROOS, Het Grafische werk van Georg
Rueter (15 Abb.).
STARYJE СОРУ.
Marz:
N. KONDAKOFF. La nouvelle pinacotheque du
Vatican (9 Abb.).
Behandelt die byzantinisch-italienischen Primi-
tiven des XIV. und XV. Jahrh. in den dem Pu-
blikum nicht zugänglichen Sälen der Pinakothek.
E. BONDARENKO. Les palais des alentours de
Moscou au XVIII s. (27 Abb.).
Gibt in erster Reihe die Entstehungsgeschichte
und dokumentarische Rekonstruktion des nicht
mehr existierenden Schlosses in Kolomens-
koje, sowie des Schlosses in Zaritzyno, von
dem noch grandiose Reste vorhanden sind.
KARL KYNAST, Allgemeine Ásthetik. Mit einer
werttheoretischen und psychologischen Vorunter-
suchung und einer Analyse des künstlerischen
Schaffens. Verlag Bruno Volger, Leipzig. Preis
br. М. 3.—, geb. М. 4.—.
R. BÜRKNER, Kunstpflege in Haus und Heimat.
2. Auflage (Aus Natur und Geisteswelt). Verlag
В. G. Teubner. Preis geb. М. 1.25.
FRITZ HOEBER, Die Frührenaissance in Schlett-
stadt. Verlag der Elsässischen Rundschau, Straß-
burg. Preis М. 10.—.
L. DUMONT-WILDEN, La collection Michen van
Gelder. G. уап Oest & Cie., Editeurs, Brüssel.
HENRY LEMONNIER, L'art francais au temps
de Louis XIV. (1661—1690). Libraririe Hachette
& Cie., Paris.
PAUL KRISTELLER, Kupferstich und Holzschnitt
in 4. Jahrh. 2. Aufl. Verlag Bruno Cassirer, Berlin.
Archivalische Beiträge zur Geschichte der vene-
zianischen Kunst. Aus dem Nachlaß Gustav Lud-
wigs. Herausgegeben von WILHELM BODE,
GEORG GRONAU, DETLEV Frhr. у. HADELN.
MARCEL LAURENT, L’art chrétien primitif. Vro-
mant & Co., Brüssel.
CAMPBELL DODGSON, М. A., Catalogue of early
German and Flemish woodcuts, preserved in the
department of prints and drawings in the British
Museum. Vol. I.
JULIUS KURTH, Der japanische Holzschnitt. R.
Piper & Co., Verlag, Miinchen.
H. W. SINGER, Julius Schnorr von Carolsfeld.
(Künstler - Monographien, Bd. 103.) Velhagen &
Klasing, Leipzig-Bielefeld. Preis geb. М. 4.—.
IV. Jahrgang, Heft VI.
LOUIS CADDAU, Monographie de la Cathédrale
de Farbes. H. Champion, Paris. Preis Frs. 4.50.
Dr. CARL FREY, Scritte da M. Giorgio Vasari
Bd. I. Verlag Georg Müller, München.
Tables générales des cinquante premieres années
de la Gazette des Beaux-Arts. 1859 — 1908 par
CHARLES DU BUS. Tome ler. Tables des artic-
les. Paris, 106 Boulevard Saint-Germain.
Dr. jur. J. v. BÜLOW, Künstler-Elend und Pro-
letariat. Maritima, Verlagsgesellschaft m. b. Н.
Preis M. 1.25.
MAXIMILIAN MODDE, Unser Lieben Frauen
Kloster in Magdeburg. Creutzsche Verlagsbuch-
handlung, Magdeburg. Preis geb. М. 3.60,
WILHELM PINDER, Mittelalterliche Plastik Würz-
burgs. Versuch einer lokalen Entwicklungsge-
schichte vom Ende des 13. bis zum Anfang des
15. Jahrhunderts. Mit 78 Abb. auf 56 Taf. Preis
br. М. 12.—. Verlag Curt Kabitzsch (A. Stübers
Verlag), Würzburg.
FOURNIER-SARLOVEZE, Louis-Auguste Brun,
peintre de Marie-Antoinette, 1758 — 1815. Paris,
Goupil aa Fre.
CRUTTWELL, Donatello. London, Methuen 12 8.
6d. net.
COLLIGNON, Les statues funéraires dans l'art grecs.
Paris, Leroux. Frs. 30.—.
Le scolture e gli stucchi di Giacomo Ser-
potta. Publicati per cura di R. Lentini, con la
monografia dell’ artista scritta da E. Basile, e pre-
fazione di C. Ricci. Turin (Crudo).
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. |
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, W15, Emeerstr. 221. | In
MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 105. [ In OSTERREICH: Dr. KURT RATHE,
Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill Lodge
Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANKREICH
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsbeften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begriindeten.
Diesem Hefte liegt ein Prospekt tiber die bei der DEUTSCHEN VERLAGS-ANSTALT in STUTTGART erschienene,
nunmehr 18 Bünde umfassende Sammlung „Klassiker der Kanst in Gesamtaasgaben“, sowie anderer kanstwissen-
schaftlicher Werke und ferner ein Prospekt der Firma HALM & GOLDMANN in WIEN über das soeben vollendete
„Niederländische Klinstlerlexikon'“ von Dr. Alfred von Warzbadı bei. Ferner verweisen wir auf den Prospekt der
bei GEORG MÜLLER in MÜNCHEN erscheinenden ,,Vasari-Ausgabe, die Karl Frey besorgt. Die Beilagen werden
freundlicher Beachtung angelegentlicdt empfohlen.
291
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Klinkha
handels geben. Wegen Beteiligung wende man sich an rdt & Biermann in Leipzig.
Frankfurt a. М.
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Tafel 53
1. Geburt
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6. Das jüngste Gericht
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2. Darstellung
3. Jordantaufe 4. Erhöhung Adams 5. Die Frauen am Grabe
Jerusalem: Armenische Evangelienbücher der Jakobuskathedrale vom Jahre 1651 (Abb. 1—5)
und vom Jahre 1664 (Abb. 6) (Eigene Aufnahme des Verfassers)
Zu: ANTON BAUMSTARK, EINE GRUPPE ILLUSTRIERTER ARMENISCHER EVANGELIENBÜCHER
M. f. K. IV, 6
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1. Geburt
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2. Beweinung 4. Himmelfahrt
Jerusalem: Armenisches Evangelienbuch der Jakobuskathedrale vom Jahre 1656 (Eigene Aufnahme des Verfassers)
Zu: ANTON BAUMSTARK, EINE GRUPPE ILLUSTRIERTER ARMENISCHER EVANGELIENBÜCHER
M.f.K.IV, 6
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2. Der Triumph des Kreuzes
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3. Verklárung 4. Fubwaschung
Jerusalem: Armenische Evangelienbiicher der Jakobuskathedrale vom Jahre 1656 (Abb. 1, 2)
und vom Jahre 1654 (Abb. 3, Al Eigene Aufnahme des Verfassers)
Zu: ANTON BAUMSTARK, EINE GRUPPE ILLUSTRIERTER ARMENISCHER EVANGELIENBÜCHER
M. f. K. IV, 6
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YIHINQANITIIONVAHA ЧЯНОЅІМЯИЧУ AALYAAIMLSNTI! Add ANIA ‘MUVLISNAVEA NOLNY "nz
(s19SSeJ19A sap әшцецупу әџә313) ZIZI əsyef шол әјегрәчуеҳѕпдоҳе[ зәр ҷопачәцәЗиеля SIYISIUIWIY :шәүевплә[
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88 le.
Tafel 59
2
Abb. 3. VEIT STOSS, Krucifixus Florenz, Ognisanti
b. 1. VEIT STOSS (Schule), Krucifixus
Salzburg, Städtisches Museum
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Abb. 2. VEIT STOSS (Schule), Fünf Figuren aus einer Kreuzigung Salzburg, Städtisches Museum
K. W, 6 Zu: VÓGE, VEIT STOSS.
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HAHRGANO : HEFT 7-——__ JUL1I1911
(LAG KLINKHARDTSBIERMANN LEIPZIG
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Monatshefte fur Kunstwissenschaft
Abonnementspreis halbjährlich 12 M. zusammen mit dem CICERONE 18 М.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT 7
ABHANDLUNGEN
HERMANN BURG, Über einige Porträts
des Antonius Palamedesz. Mit 6 Ab-
bildungen auf 2 Tafeln. . . . S. 293
WALTER BOMBE, Raffaels Peru-
giner Lehrjahre S. 296
ERNST GALL, Neue Beiträge zur Ge-
schichte vom „Werden der Gotik“.
Mit 9 Abbildungen auf 6 Tafeln S. 309
MISZELLEN
EIN UNBEKANNTES GEMÄLDE DES HEN-
DRICK GOLTZIUS. Mit ı Abbild. auf ı Tafel
(Jantzen 8. 324
DIE DEUTUNG VON GRECOS „IRDISCHE
LIEBE“. Mit 1 Abb. auf 1 Tafel (Kehrer) 6. 324
CONRAD FABER, der Meister der Holzhausen-
Bildnisse (Gebhardt) ........... 8. 325
LITERATUR
W. MARTIN und E. W. MOES, Altholländische
Malerei. Gemälde von holländischen und vilä-
A. S. DREY
Königl. Bayer. Hoflleferant
MÜNCHEN
MaximillanstraBe 39
PARIS, 39 Rue La Boetie
JULIUS BOHLER. MÜNCHEN
HOFANTIQUAR Ва MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR
mischen Meistern, die sich in Rathäusern, kleinen
Museen, Kirchen, Stiften, ern usw. u.
in Privatbesitz befinden (Glück) . . . 8. 327
DIE KUNST- UND ALTERTUMSDENKMALE
im Königreich Württemberg (Bergner) 8. 337
CASIMIR v.CHLEDOW SKI, Der Hof von Ferrara.
Deutsch von Rosa Schapire (Tornius) 8. 328
GUSTAV GLUCK, Peter Bruegels des Älteren
Gemälde im kunsthistorischen Hofmuseum zu
Wien (Вїегшапп)............. 8. 330
BERTHOLD LAUFER, Chinese pottery of the
Han Dynastie (Zimmermann) 8. 321
WOLFGANG SÖRRENSEN. Joh. Heinr. Wilhelm
Tischbein. W. von OETTINGEN, Goethe und
Tischbein (Landsberger). ....., o.. 8. 332
HANS VOLKMANN, Die künstl. Verwendung
des Wassers im Städtebau (Vollmer) . . S. 333
PAUL KRISTELLER, Kupferstich und Holz-
schnitt in vier Jahrhunderten (Biermann) 3. 334
ARNOLD FORTLAGE, Anton de Peters. Ein
Kölnischer Künstler d. 18.Jabrh.(Lithgen) 8. 334
Rundschau 8. 336
Neue Bücher 8. 338
Ausstellung
kostbarer Antiquitäten + Eln- und
Verkauf wertvoller Skulpturen,
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Antiquitäten jeder Art.
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ALTER MEISTER UND KOSTBARER
ANTIQUITATEN
Kunstgeschi chtliche Werke
aus dem Verlage von KLINKHARDT & BIERMANN in Leipzig
(Die Jahreszahl bedeutet das Erscheinungsjahr des Buches)
A. Italienische Kunstgeschichte
Giottino und seine Stellung in der |
gleichzeitigen Florentinischen Malerei
Von OSWALDSIREN _ 1908
Mit 36 Tafeln. Geh. М. 9.—, geb. M. 10.—
Die Einzelporträts des
Sandro Botticelli 1910
Von H TIMOTEUS KROEBER
Mit 30 Abbildungen auf 12 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet М. 5.—, gebunden М. 6.—
Bramante und Raffael 1910
Ein Beitrag zur Geschichte der Renais-
sance in Rom. Von JULIUS VOGEL
Mit 6 Tafeln. Geheftet М. 5.—, gebunden M. 6.50
Dosso Dossi. Mit besonderer Be-
rücksichtigung seines künstlerischen Ver-
hältnisses zu seinen Bruder Battista.
Von WALTER C. ZWANZIGER
Mit 20 Tafeln in Lichtdruck 1910
Geheftet M. 6.—, gebunden M. 7.50
Rosalba Carriera, die Meisterin
der Pastellmalerei 1908
Von E. v. HOERSCHELMANN
Mit 16 Tafeln. Geh. M. 6.50, geb. M. 8.—
Die Renaissance- u. Barock-
villa in Italien 1907
Von BERNHARD PATZAK
Bd. Ill. Die Villa lmperiale in Pesaro
Mit 300 Abbildg. Geb. М. 32.—, geb. M. 35.—
In Vorbereitung befindet sich:
Bd. I u. Il. Palast u. Villa in Toskana
Erscheinen im Laufe des Jahres 1911
Barock und Klassizismus
Studien zur Geschichte Roms 1910
Von KONRAD ESCHER
Mit 22 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet M. 12.—, gebunden M. 14.—
DieVillendes AndreaPalladio
Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte
der Renaissance - itektur
Von FRITZ BURGER
Mit 49 Tafeln
Geh. М. 12.—, geb. M. 14.—, in Halbfr. М. 16.—
1910
B. Niederländ. Kunstgeschichte
Pieter Lastman
Sein Leben und seine Kunst 1910
Von KURT FREI SE Mit 44 Abbil-
dungen auf Tafeln. Geh. M. 7.—, geb. M. 8.50
Martin van Heemskerck
Ein Beitrag zur Geschichte des Ro-
manismus in derniederlandischen Malerei
des XVI. Jahrhunderts
Von LEON PREIBISZ
Mit 12 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet M. 7.—, gebunden M. 8.50
Das niederländische Architek-
turbild. Von HANS JANTZEN
Mit 80 Abbildungen auf Tafeln 1910
Geh. M. 12.—, geb. M. 14.—, in Halbfr. M. 16.—
Rembrandt als Dichter
Eine Untersuchung uber das Poetische in
den biblisch. Darstellungen Rembrandts
Mit 55 Abbildungen auf 20 Tafeln 1909
eftet M. 5.—, gebunden M. 6.—
1910
In Vorbereitung befinden sich:
Die niederlandische
Marinemalerei
Von FRED C. WILLIS
Mit 61 Abbildungen auf 31 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet М. 12.—, gebunden М. 14.—
Erscheint im Herbst 1911
Thomas de Keyser
Von RUDOLF OLDENBOURG
Mit etwa 30 Abbildungen
Geheftet M. 6.—, gebunden M. 8.—
Erscheint im Herbst 1911
C. Deutsche Kunstgeschichte
Die Erztaufen Nord- 1008
deutschlands. Ein Beitrag zur
Geschichte des deutschen Erzgusses
Von ALBERT MUNDT
Mit 37 Tafeln. Geh. М. 9.—, geb. М. 10.—
Dürer und die Reformation
Voa ERNST HEIDRICH 1909
Mit 1 Titelbild. . Geh. M. 2.—, geb. M. 2.75
Die frühmittelalterliche Porträt-
plastik in Deutschland 190
Von MAX KEMMERICH
Mit 112 Abbildg. Geh. M. 11.—, geb. M. 12.50
Wilhelm Tischbein әв
Ein Kunstlerleben des 18. Jahrhunderts
Von FRANZ LANDSBERGER
Mit 18 Tafeln. Geheftet M. 5.—, gebunden M. 6.—
Kunstgeschichtliche Werke
aus dem Verlage von KLINKHARDT & BIERMANN in Leipzig
Sachsische Bildnerei und
alerei vom 14. Jahrhundert bis
zur Reformation
Im Auftrag der Königl. Sächsischen
Kommission für Geschichte bearbeitet
von EDUARD FLECHSIG
Lieferung I (1909) Leipzig. Mit 40 Tafeln in
Lichtdruck. Lieferung 2 (1910) Freiberg і. S.
Mit 41 Tafeln in Lichtdrack
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Jedes Jahr erscheint eine Lleferung. Das Gesamt-
werk umfaßt ca. 6 Lieferungen und einen ab-
schließenden Textband
In Vorbereitung befindet sich:
Die Werkstatt und Schule
desBildhauers Hans Backoffen
in Mainz. Von PAUL KAUTZSCH
ca. 20 Tafeln in Lichtdruck. Preis geh. ca. M. 10.—
D. Franzósische und spanische
Kunstgeschichte
DieDarstellungdesjungsten
Gerichtes an den romanischen u.
gotischenKirchenportalenFrankreichs
Von W.H. v. d. MOLBE 1910
Mit 20 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet М. 5.—, gebunden М. 6.—
W. BORGER-THORE:
FranzosischeK unstim neun-
zehnten Jahrhundert 110
Deutsche Bearbeitung v. A. SCHMAR-
SOW und B. KLEMM
3 Bande gebunden M. 15.—
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aus dem Verlage von KLINKHARDT € BIERMANN in Leipzig
Die sozialistische Weltanschau-
ung in der franzosisch. Malerei
Von JULES COULIN
Geheftet М. 3.—, gebunden М. 4.—
Unter der Presse befindet sich:
Die Sevillaner Malerschule
Beitrage zu ihrer Geschichte
Von AUGUST L. MAYER
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Preis geheftet ca. M. 20.—
E. Kupferstich, Holzschnitt und
€ Radierung А
Meister дег Graphik
Herausgegeben von Dr. HERM. VOSS
Ва l. Jacques Callot ` ә
Von HERMANN NASSE
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Geheftet М. 10.—, gebunden М. 12.—
вап. Die Anfänge des deutschen
Kupferstiches u. d. Meister E. S.
Von MAX GEISBERG 1910
Mit 70 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet M. 16.—, gebunden M. 18.—
ваш Albrecht Altdorfer und
Wolf Huber 1910
Von HERMANN VOSS
Mit 63 Tafeln in Lichtdruck
Geheftet М. 12.—, gebunden М. 14.—
Вау. Francisco de Goya
Von VALERIAN von LOGA 1910
Mit 72 Tafeln in Lichtdrack
Geheftet M. 16.—, gebunden M. 18.—
вау. Die Nürnberger Klein-
meister Von E. WALDMANN
Mit 62 Tafeln in Lichtdruck 1911
Geheftet М. 16.—, gebunden М. 18.—
Unter der Presse befindet sich:
Bd VI. Giov. Battista Piranesi
Von ALBERT GIESECKE 1911
Mit ca. 60 Tafeln in Lichtdruck
Preis geheftet ca. M. 16.—
F. Allgemeine Kunstgeschichte
Der Garten. Eine Geschichte
seiner künstlerischen Gestaltung 1910
Von AUGUST GRIESEBACH
Mit 88 Abbildungen auf Tafe!n
Geheftet M. 10.—, gebunden M. 12.—
Die Kunst и. Wunderkammern
der Spatrenaissance. Ein Beitrag
zur Geschichte des Sammelwesens
Von JULIUS von SCHLOSSER
Mit 102 Abbildungen 1908
Gebunden М. 5.—, in Liebhaberband М. 6.—
(Monographien des Kunstgewerbes Band 11)
Der Schmuck 1910
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(Monographien des Kunstgewerbes Band 12)
е" Bilder des
II. Jahrhunderts in der
Sammlung Holscher-Stumpf 1909
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ungeteilten Beifall finden.
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Ein Buch fürKünstler und Lernende. Von
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Für jeden, der den Problemen der Malerei nachgeht, be-
deutet dies Buch eine Fundgrube der Erkenntnis. Man darf
es jedem Menschen empfehlen, der sich mit dem Werde-
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Segantini. Geheftet М. 5.—, gebunden М. 6.50
Die rührenden Fragmente der Selbstbiographie, die Schriften
über Kunst, die das persönlichste Bekenntnis des Meisters
sind, die Briefe an Freunde, Literaten und die geliebte Die berühmte und temperamentvolle Segantini - Biographie
Gattin gewähren einen Einblick in das intime Seelenleben von Servaes gehört zu den schönsten Geschenkbüchern für
des großen Malers, das nicht nur seine Verehrer fesseln wird. den deutschen Kunstfreund.
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: DIE RENAISSANCE IN BRIEFEN =
O Von Dichtern, Künstlern, Staatsmännern, Gelehrten g
8 und Frauen bearbeitet von LOTHAR SCHMIDT Б
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= einigen. Was diese Zeit an Typen aufzuweisen, was sie im letzten erstrebt, versucht und
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Г) |
H KLINKHARDT & BIERMANN / Verlagsbuchhandlung LEIPZIG
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UBER EINIGE PORTRATS DES ANTONIUS
PALAMEDESZ Von HERMANN BURG
Mit sechs Abbildungen auf zwei Tafeln .. ...e eee eee
ürzlich ist aus russischem Privatbesitz in das Eigentum des Herrn Julius
Böhler in München ein Porträt übergegangen, das zunächst durch die Persönlich-
keit des Dargestellten ein größeres Interesse erregt, aber auch auf den Entwicklungs-
gang seines Urhebers ein bedeutsames Licht wirft.
Das 63 cm hohe, 48 cm breite auf Eichenholz gemalte Bild stellt einen ca. 25 jah-
rigen zwerghaft gewachsenen Mann in der Tracht der dreißiger Jahre des XVII. Jahrh.
dar. Er steht da zu dreiviertel dem Beschauer zugewandt mit ironisch überlegen
lächelndem Gesicht, das mit einem kleinen Anflug von Schnurrbart geziert und von
langen Locken umrahmt ist. Die rechte Hand, die eine Reitgerte hält, ist keck in die
Hüfte gestemmt, über die linke Schulter fällt ein Überwurf, der den linken Arm ver-
deckt. Er trägt ein schwarzes Barett, dunkelbraunen Rock und Hosen, einen spitzen-
besetzten Leinenkragen. Die Schäfte seiner mit Sporen versehenen Reiterstiefel sind
umgeschlagen. Neben ihm sieht man noch die Hälfte eines Tisches, bedeckt mit einer
braunroten mit Goldborte und Fransen besetzten Tuchdecke, darauf ein Degen mit
reichverziertem Griff und goldgepreßtem grüngefütterten Lederwehrgehenk. Der
Tisch ist angelehnt an einer hölzernen Säule, deren Anstrich die Adern des Mar-
mors nachahmt. Der Hintergrund ist grünlich braun. Der Boden in demselben
Ton etwas heller, das ganze Bild in diesen bräunlich grünen Ton getaucht. Das
Licht kommt von rechts, beleuchtet die (vom Beschauer) linke Seite der Gestalt
und läßt das Wehrgehenk des Degens hell erschimmern.
Das Bild gilt als ein Werk des Antonius Palamedesz, dessen Pinselfiihrung und
Farbengebung es unverkennbar trägt, auch mit manchen Figuren aus seinen Ge-
sellschaftsstücken in nahem Zusammenhange steht. Es glückte mir nun die Per-
sönlichkeit des Dargestellten festzustellen, sowie den Rest einer Signatur aufzufinden,
so daß auch durch diese beiden Merkzeichen die Urheberschaft des Antonius
Palamedesz sicher gestellt wird.
Bei genauerer Untersuchung findet man auf der Goldborte der Decke, rechts von
der Falte, die Reste einer Signatur, deren Anfangsbuchstaben Р — und zwar in
der für die Signatur des Palamedesz charakteristischen Form — noch deutlich zu lesen
ist. Sodann zeigt das Bild eine schlagende Ahnlichkeit mit dem bekannten von van
Dyck gemalten Porträt des Malers Palamedes Palamedesz, des jüngeren Bruders des
Antonius Palamedesz, das in der Münchener Pinakothek hängt (siehe Abbildung).
Die Gesichtszüge der auf beiden Bildern Dargestellten sind überaus ähnlich, wenn
man von der etwas genialisch geordneten, aber für van Dyck sehr charakteristischen
Haartracht des van Dyckschen Bildnisses absieht. Van Dyck, der sein Modell nicht
mit den Augen brüderlicher Liebe ansah, betonte auch stärker den unglücklichen
Wuchs des Buckeligen, der auf dem Bilde des Bruders zwar auch verwachsen er-
scheint, aber geschickt gemildert durch Tracht und Stellung. Das Porträt des van
Dyck, der um 1627 in Holland weilte und auf seinen Reisen manche seiner Zunft-
genossen, die ihn interessierten, porträtierte, wird aus dieser Zeit herrühren.
Aus älteren Nachrichten wissen wir,!) daß das Verhältnis der beiden Palamedesz
wahrscheinlich ein recht brüderliches war, sie wohnten bis zu ihrer Verheiratung
(1) Havard in der Gazette des beaux arts, 1878, Band ХУП. Оча Holland 1897.
Monatshefte fiir Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 7. 21 293
zusammen, heirateten fast gleichzeitig und Palamedes Palamedesz wurde Pate des
ältesten Sohnes seines Bruders.
Nach den Schilderungen, die uns über Leben und Art des jüngeren Palamedesz
erhalten sind, ist das Porträt außerordentlich treffend in der Charakteristik. Nach
der Darstellung Houbrakens, der diese Notiz aus Bleyswijcks Beschryvunge der
stad Delft (1667) — wahrscheinlich einem persönlichen Bekannten des Antonius
Palamedesz — übernimmt, war Palamedes P. von glühendem Ehrgeiz und außer-
ordentlicher Energie erfüllt. Er soll sich ganz ohne Lehrer ausgebildet haben, und
Houbraken sagte von ihm, „daß er solches Verlangen und solche Sucht gehabt
habe, sich weiter auszubilden, daß er stets das Wort im Munde geführt habe:
‚wenn ich nur einmal anfangen werde‘“ Eigenartig berührt der Hymnus, den
Cornelius de Bie in seinem Werke „Het Gulden Cabinet van edele vriye Schilder-
const“ (Anvers 1661) auf Palamedes Palamedesz, der bekanntlich fast nur Reiter-
schlachten gemalt hat, anstimmt. Ег wird dort als Sohn des Kriegsgottes ange-
redet, genáhrt von Mars, von der grausamen Bellona und den Furien. Diese
Apostrophierung bekommt einen Anflug von Komik, wenn man das Bild des krüppel-
haften Zwerges sieht, den man sich schwer als Kriegsgottähnlichen Held im Ge-
tiimmel einer Reiterschlacht vorstellen kann. Jedenfalls scheint er, wie die Bilder
seiner Hand und die alten Schilderungen seines Charakters zeigen eine starke Vor-
liebe fiir kriegerisches Draufgángertum gehabt zu haben, das sich in seinem ganzen
Wesen ausgedrückt haben muß. Sein Bruder erfaßte jedenfalls sehr glücklich
diesen Hauptzug seines Charakters, indem er ihn gestiefelt und gespornt, Haltung
und Antlitz voll kecker Tatkraft abkonterfeite.
Nun ist das Porträt des Palamedes nicht bloß merkwürdig durch die Person
des Dargestellten, sondern gibt auch Aufschluß über den künstlerischen Entwick-
lungsgang des Malers, dessen künstlerische Persönlichkeit noch ziemlich im Dunkeln
ruhte. Uber die Lehrer dieses Malers weiß man aus Nachrichten nichts, Bode!)
glaubt an Einflüsse des Franz Hals, während andere Forscher?) Abhängikeiten von
Mierevelt oder Pot erkennen wollen. Im Berliner Kaiser Friedrich-Museum befin-
det sich nun auch das Porträt eines Mädchens (siehe Abb.), das deutlich die Art
der genannten Vorgänger des Palamedesz aufweist. Es zeigt die schlichte Sach-
lichkeit, die saubere Kleinbürgerlichkeit der holländischen Porträtisten um die Wende
des XVI Jahrh. Das Bild trägt den kühlen klaren gelbgrauen Ton und den festen
Vortrag der Frühwerke des Palamedesz, mag also Ende der zwanziger Jahre des
ХУП. Jahrh. entstanden sein, worauf auch die Tracht hindeutet. Nicht lange dar-
nach muß nun Antonius Palamedesz das Bild des Bruders gemalt haben. Dieser
starb 1638, ca. 31jáhrig. Anfang der dreißiger Jahre mag das Porträt entstanden
sei, das ihn im Alter von ungefähr 25 Jahren darstellt.
Das Münchener Bild des Palamedesz zeigt nun einen auffallenden Stilwandel
im Verhältnis zu dem erwähnten Berliner Porträt. Nicht mehr eine ruhige Gegen-
ständlichkeit, nicht mehr ein Bewußtsein, das in sich selbst Genüge findet, auch
nicht die impulsive Frische eines Franz Hals, der den temperamentvollen Augen-
blick erfaßt, sondern die gewollte Pose ist in die Kunst des Malers eingedrungen.
Die Dargestellten markieren die Persönlichkeit dem Beschauer gegenüber. Man
braucht nicht weit zu suchen, wem Palamedesz diese Stiländerung verdankt. Das
Porträt des Bruders hat er ganz in der Art des van Dyck gemalt. Die Haltung
(т) Bode, Studien zu Geschichte der holländischen Malerei 1883.
(2) Woltmann-Wörmann, Geschichte der Malerei, Band III, Wurzbach, Niederlandisches Kúnstlerlexikon.
294
des Dargestellten, seine Stellung im Raum, die Komposition der Umgebung findet
man auf vielen Porträts des van Dyck überraschend ähnlich. Bei dem innigen
Zusammenleben der Briider Palamedesz ist es nicht unwahrscheinlich, daB auch
Antonius den Maler seines Brudcrs persónlich gekannt hat, sicherlich hat er aber,
wie seine Bilder zeigen, die Kunst des Vlamen gekannt und ist als Portätmaler
dessen übermächtigem Einfluß erlegen. Von diesem Einfluß hat er sich in seinen
Bildnissen nicht mehr befreien können. Das Bild eines Knaben in Berlin (siehe
Abb.), das die buntere und leichtere Farbengebung seiner mittleren Jahre zeigt,
ahmt die vornehme Delikatesse van Dyckscher Darstellungen junger Aristokraten
noch mit Geschick nach, zwei Bilder in Cöln!) (1665 datiert), die in seinen letzten
Lebensjahren entstanden sind (siehe Abb.), zeigen, wie er in einer gespreizten konven-
tionellen Manier endigte und auch schließlich die holländische Kunst der’ feinen
tonigen Farbengebung verlor, durch die sich seine Bilder sonst auszeichnen.
(1) Diese Bilder, immerhin wertvoll genug, befinden sich in ziemlich verwahrlosten Zustande auf dem
Speicher des Walraf-Richartzmuseums, dem Staube und auch der Feuchtigkeit ausgesetzt.
295
RAFFAELS PERUGINER JAHRE
o..u.....0.00000000000000060000000000000000000000000000000000000000000000000 0000000009000 Von WALTER BOMBE
ie unmittelbare Veranlassung zur Niederschrift der nachstehenden Bemerkungen
über Raffaels künstlerischen Werdegang war das Erscheinen von Georg Gronaus
Neubearbeitung der ersten drei von Rosenberg verfaßten Ausgaben des von der
Deutschen Verlagsanstalt herausgegebenen Raffael!), in der Gronau auf Grund ein-
dringender Forschungen eine vielfach neue chronologische Anordnung der Werke
des Urbinaten gibt. Wer sich jemals mit der Frage der Entwicklung des jungen
Raffael beschäftigt hat, weiß, daß dieses Problem zu den schwierigsten der gesamten
Kunstwissenschaft gehört und daß es vielfach schwer, ja fast unmöglich ist, zu einer
völlig befriedigenden Lösung zu gelangen. Um so dankbarer dürfen wir dem aus-
gezeichneten Kenner Raffaels sein, der uns hier die erste ganz einwandfreie Lösung
des vielumstrittenen Problems vorlegt. Seither hat das Problem der Lehrjahre Raf-
faels und seiner ersten künstlerischen Tätigkeit Adolfo Venturi und Lisa von Schlegel
zu Aufsätzen angeregt, die während der Drucklegung dieser Zeilen erschienen?) und
auf die im folgenden, soweit das in der Korrektur noch möglich war, näher einge-
gangen werden soll.
Die ersten festen Daten über Raffaels selbständige künstlerische Tätigkeit liefern
uns einige im Jahre 1908 durch Magherini-Graziani publizierte Urkunden, aus denen
wir entnehmen, daß der junge Raffael gemeinsam mit dem Maler Evangelista di
Piandimeleto sich am 10. November 1500 verpflichtete, für die Kirche S. Agostino
in Citta di Castello eine Krönung des heiligen Nikolaus von Tolentino zu malen,
für welches Bild beide Künstler am 13. September 1501 die letzte Zahlung empfingen“).
Wenn Raffael schon gegen Ende des Jahres 1500 als selbständiger Künstler Ver-
träge abschloß, so muß er damals bereits die eigentlichen Lehrjahre hinter sich
gehabt haben.
Der Hinweis Vasaris, daß der junge Raffael während Peruginos Abwesenheit sich
mit einigen Freunden nach Citta di Castello begab, wo er als erstes Werk in
S. Agostino ein Tafelbild in der Manier Peruginos malte‘), gewinnt im Zusam-
menhang mit den oben erwähnten Urkunden Magherini- Grazianis besonderen
Wert. Ungefähr gleichzeitig mit der Krönung des heiligen Nikolaus, die in der
Zeit der französischen Invasion aus Rom verschwand, wohin das Bild unter Papst
Pius VI. gekommen war, mag dann jenes Gonfalonebild der Brüderschaft S. Trinita
entstanden sein, das Gronau, und mit ihm die meisten der neueren Raffaelforscher,
gestützt auf Stilkritik und alte Tradition, für Raffael energisch in Anspruch nehmen.
Wir wissen, daß im Jahre 1499 die Pest das große Sterben über viele Städte
Mittelitaliens und über Cittá di Castello brachte. Wahrscheinlich kurz nach dem
Aufhören der schrecklichen Seuche ließ die Confraternita della S.S. Trinità diese
Prozessionsfahne malen, mit den beiden Pestheiligen Rochus und Sebastian und der
Dreieinigkeit auf der einen Seite und der Erschaffung der Eva auf der anderen.
(x) Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben. Erster Band. Raffael, des Meisters Gemälde in 275 Ab-
bildungen. Mit einer biographischen Einleitung von Adolf Rosenberg. Vierte Auflage, heraus-
gegeben von Georg Gronau. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt, 1909.
(2) Vortrag vom 14. Februar 1911, abgedruckt in L’Arte 1911, fasc. 2. Lisa de Schlegel: П primo maestro
di Raffaello. Notizie e Documenti inediti. Rassegna d’Arte 1911, Aprile, p. 72—75.
(3) Bollettino della R. Deputazione di Storia Patria per Umbria, Bd. XIV, 1908, fasc. 1, Nr. 37.
(4) Ed. Sansoni, Bd IV, p. 318.
296
Ilm Jahre 1706 wurde der Gonfalone vom Hochaltar fortgenommen, 1797 in grau-
samster Weise „gereinigt“, dann als wertloses Geriimpel in eine Dachkammer
geworfen, die als Taubenschlag diente, schlieBlich wieder hervorgeholt und von
dem Peruginer Maler Carattoli mit einer dicken Schmutzschicht überschmiert.
Nach allen diesen Mißhandlungen ist das Bild heute eine traurige Ruine, und nur
liebevolles Versenken in die Einzelheiten läßt noch hier und da Spuren der ehe-
maligen Schönheit erkennen. Für die Stilkritik aber ist es nahezu unbrauchbar.
Auch wenn wir die Kopie des Gonfalone zu Rate ziehen, die im Jahre 1631 ein
mittelmäßiger Provinzmaler, Francesco Ranucci angefertigt hat, gelangen wir höch-
stens dazu, uns eine Vorstellung von der Komposition des Ganzen zu machen, die
in der Darstellung der Dreieinigkeit recht deutliche Anklänge an Timoteo Vitis
gleichnamiges Bild in der Brera aufweist, während die Gestalt Gottvaters auf eine
Oxfordzeichnung Raffaels zurlickgeht!).
Als drittes Werk folgte sodann die Kreuzigung, die er im Jahre 1503 für die
Kirche S. Domenico gemalt hat. Das Bild wird uns noch später beschäftigen.
Über die Krönung des heiligen Nikolaus, deren wir Anfangs gedachten, war man
bis vor Kurzem auf Vermutungen angewiesen. Ältere Schriftsteller, und auch noch
Crowe-Cavalcaselle, nahmen den Zeitraum zwischen 1502 und 1504 für die Ent-
stehung des Werkes an. Durch die Dokumente Magherini-Grazianis erfahren wir
aber das genaue Datum des Auftrages, 10. Dezember 1500, der Vollendung des
Bildes, 13. September 1501, den vereinbarten Preis, 33 Dukaten, den Namen des
Auftraggebers, Andrea di Tommaso Baronci, und, was wichtiger ist, den Namen
eines Arbeitsgenossen, dem jedenfalls ein bedeutender Anteil an dem Werke zu-
kommt, da er als Mitkontrahent auftritt, Evangelista di Pian di Meleto.
Vasari bezeichnet die Krönung des heiligen Nikolaus als das erste der in Cittá
di Castello ausgeführten Werke Raffaels; er gibt ferner an, daß Raffael das Bild
im Stile der Krönung Mariä gemalt hat, die aus Perugia in die vatikanische Ge-
mäldegalerie gelangt ist. Luigi Lanzi war der erste, der in seiner Geschichte der
Malerei Italiens 1823 eine Beschreibung des Werkes gab, die für alle späteren
Raffael-Biographen bis auf Passavant maßgebend blieb, in Ermangelung des ver-
schollenen Originals?). Wie Raffaels Jugendwerk verkauft wurde und dann für immer
den Blicken der Forscher entschwand, berichten mehrere ältere Autoren. Im
September 1789 stürzte während eines verheerenden Erdbebens die Kirche S. Ago-
stino ein und begrub unter ihren Trümmern das kostbare Bild. Um den Mönchen
den Wiederaufbau ihrer Kirche zu ermöglichen, gaben die Brüder Domenichini-Trovi,
die Besitzer des Altars, die Erlaubnis, das Bild zu verkaufen. Jedoch sollte auf Kosten
der Augustiner eine Kopie für den wiederhergestellten Altar gemalt werden?). Ein
Käufer fand sich schließlich in der Person Papst Pius’ VI, der den oberen, schwer
beschädigten Teil in einzelne Stücke zerschneiden ließ und das Hauptstück mit
den Fragmenten in seinen Privatgemächern bewahrte. Nach Passavant verschwand
das Ganze in der Zeit der französischen Invasion. Moroni, ein Zeitgenosse, be-
richtet noch, daß der Papst kurz vor dem Einrücken der Franzosen die Kirchen-
schätze aus Loreto und kostbare Stücke aus der vatikanischen Sammlung und aus
der Engelsburg nach Terracina bringen ließ, wo sie aber keineswegs der Gier der
(1) S. Herbert Cook in der Gazette des Beaux-Arts 1900, p. 177 u. ff.
(a) Storia pittorica, Milano, 1823, Bd. II, р. 52. Siehe auch 5. Aufl. Florenz 1834, Bd. II, p. 40 und
die davon abweichende Beschreibung Pungileonis (Elogio storico p. 34 u. ff.).
(3) Die auf den Verkauf bezüglichen Urkunden im Stadtarchiv zu Cittá di Castello wurden von Adamo
Rossi im Giornale di Erudizione artistica, Perugia, Nuova Serie, 1883, р. 13—16 veröffentlicht.
297
fremden Eindringlinge entgingen. Seither hat man nichts mehr von dem Haupt-
bild und von den Fragmenten vernommen. Bei Gelegenheit der Ausstellung
altumbrischer Kunst in Perugia tauchte 1907 ein angebliches Fragment des Werkes,
die Figur eines segnenden Gottvaters, auf. Das Stiick trug alle Kennzeichen der
Schule Raffaels, miiBte aber der spátesten Epoche des Meisters, der Zeit der
Loggienmalereien zugewiesen werden. Gliicklicherweise befindet sich noch jetzt
in Citta di Castello die Kopie des unteren Teiles, die der Maler Ermenegildo
Costantini 1791 vor dem Verkauf des Bildes angefertigt hat!) und die Gronau auf
5. 199 abbildet.
Die Kopie stellt innerhalb einer Pilasterarchitektur den heiligen Nikolaus von
Tolentino im schwarzen Ordenshabit der Eremitaner dar, das Haupt leicht nach
links geneigt. In der Rechten halt der Heilige ein Kruzifix, in der Linken ein ge-
öffnetes Buch mit den Worten aus dem Evangelium Johannis Kap. XV, Vers то,
„Precepta patris mei servavi, ideo maneo in eius dilectione“, die Luther mit den
Worten übersetzt: „So ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe,
gleich wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.“ Zu
seinen Füßen liegt ein gefesselter Dämon in Menschengestalt, der sich mit den
Händen an das Ordenskleid des Heiligen klammert. Der Kopf des Dämons ist
zum Teil verdeckt durch zwei Engel, welche von rechts herzugetreten sind und
Spruchbänder halten. Links ein dritter Engel, gleichfalls mit Spruchband.
Wenn wir auch annehmen dürfen, daß die Kopie in der Hauptsache getreu ist,
so stimmt sie doch gewiß nicht in allen Einzelheiten mit dem Urbilde überein,
denn der junge Raffael hätte sicherlich die Pilaster nicht ohne Schmuck gelassen.
Und in der Tat schreibt Lanzi, daß die Handlung in einem Tempel vor sich ging,
dessen Pilaster im Stile des Mantegna verziert waren. Der Kopist mag diese
Dekorationen fortgelassen haben, um sich Mühe und Zeit zu sparen, möglich ist
aber auch, daß die Augustinermönche gern die Kosten der Kopie herabmindern
wollten und deshalb auf diese Dekorationen und auf die Wiedergabe des oberen
Teiles verzichteten, der besonders beschädigt war. Von diesem oberen Teile des
Gemäldes geben die noch vorhandenen Zeichnungen Raffaels in Oxford und in
Lille eine gewisse Vorstellung, ganz besonders eine der Liller Studien, weiche, mit
dem Quadratnetz bedeckt, wohl zur Ausführung der ersten Fassung benutzt wurde,
die später allerdings Modifikationen erfuhr?).
Verschiedene andere Skizzen des jungen Künstlers aus diesen Jahren geben
Kunde von fleiBigen Studien nach anderen Meistern. Neben dem unbedeutenden
Francesco Tifernate hat er auch den charaktervollen Luca Signorelli kopiert, und
einige Bogenschützen aus Signorellis Martyrium des heiligen Sebastian finden wir
zuerst schüchtern auf dem Blatt in Lille und dann freier und sicherer auf einer
Oxforder Zeichnung reproduziert.
Die erste Fassung des oberen Teiles in Lille zeigt die Halbfigur eines Jünglings
in einer Mandorla, zu den Seiten je einen männlichen und weiblichen Heiligen,
alle drei mit Kronen in der Hand. Aus dem die Krone überreichenden Jüngling
wurde später, vielleicht auf Wunsch des Auftraggebers, ein bärtiger Gottvater, von
einer Engelsglorie umgeben. Auf der Rückseite des genannten Liller Blattes ist
die Figur eines Greises skizziert, vielleicht die erste Studie zu dem Gottvater.
Diesen finden wir dann noch einmal, als Mantelfigur, auf einer Oxforder Zeichnung.
(1) Auf der Rückseite der Kopie ist die Inschrift zu lesen: Copia fatta da un originale di Raffaello in
oggi in Roma da Ermenegildo Costantini l’anno 1791.
(2) Abgebildet bei Morelli-Lermolieff p. 367.
298
Eine frühere, sehr zerstörte Kopie des Nikolaus-Bildes, von einem’ mittelmäßigen
Freskomaler aus dem Ende des Cinquecento herrührend, ist unweit Castello auf der
Straße nach Cortona in einer Kapelle der Familie Lucari erhalten. Nur die Gestalt
des Heiligen und Fragmente einer kassettierten Bogenarchitektur sind noch erkennbar.
Wie Magherini-Graziani zu erkennen glaubte, zeigt die Figur des heiligen Nikolaus
sowohl hier, wie auf der Kopie des Costantini Ähnlichkeit mit einem bisher Fran-
cesco Tifernate zugeschriebenen Bilde in Cittá di Castello. Ebenso sind zwei Halb-
figuren auf einer der Zeichnungen Raffaels in Lille einer S. Katharina und einem
heiligen Bischof ähnlich, die gleichfalls Francesco Tifernate zugeschrieben werden.
Dementsprechend glaubt Magherini, daß diese, wie einige andere Bilder in Cittá
di Castello, die auf den Namen Francesco Tifernate getauft sind, von Evangelista
di Pian di Meleto, dem bisher noch wenig studierten Genossen und vielleicht ersten
Lehrer Raffaels, herrühren.
Evangelista war Schüler Giovanni Santis, in dessen Werkstätte er bereits 1483
als „famulus“ erwähnt wird und am 29. Juli 1494, als das Testament Santis ver-
lesen wurde, war er als Zeuge zugegen'). Es ist daher wohl anzunehmen, daß ег
identisch ist mit jenem Gehilfen Santis, den Elisabeth Gonzaga in ihrem Briefe vom
19. August 1494 an den Marchese von Mantua erwähnt.
Daß Evangelista auch nach dem Tode seines Meisters mit dessen Hinter-
bliebenen Beziehungen unterhielt, ja, daß er, als der langjährige Mitarbeiter Gio-
vannis, vielleicht auch die künstlerische Erziehung des jungen Raffael übernahm,
erscheint ganz folgerichtig, und ebenso natürlich erscheint es, daß er bei dem
ersten großen Auftrage, den der junge zum Meister herangereifte Künstler über-
nahm, als Mitkontrahent auftritt. Den von Scatassa publizierten Dokumenten ent-
nehmen wir die interessante Tatsache, daß Evangelista und Timoteo Viti seit 1515
stets zusammen genannt werden, also wahrscheinlich das Malerhandwerk gemein-
sam betrieben. Diese Ateliergemeinschaft der beiden Künstler muß bis zum Tode
Vitis (1523) gedauert haben, denn Evangelista verpflichtet sich, die von jenem
unvollendet hinterlassenen Arbeiten auszuführen, und 1538 arbeitet er mit Pietro,
dem Sohne Vitis, wiederum in gemeinsamer Werkstätte. Auf Grund dieser Tat-
sachen hat Gronau die bezwingend verführerische These formuliert, daß eine Atelier-
gemeinschaft zwischen Evangelista und Timoteo Viti bereits seit dem Tode Giovanni
Santis bestand und daß demnach der elfjährige Raffael in der mit Viti gemeinsam
unterhaltenen Werkstätte seine erste künstlerische Ausbildung erfahren habe”).
Diese Ansicht Gronaus findet ihre Bestätigung in den ursprünglich zwar vielfach
bekämpften, heute aber wohl allgemein angenommenen Ergebnissen der Forschungen
Morellis, die den Zusammenhang zwischen den frühesten Werken Raffaels und
dem Stile des in Bologna ausgebildeten Urbinaten Timoteo Viti auf analytischen
Wege aufdeckten. Alle Unklarheit, die infolge gänzlichen Mangels an Tatsachen
über den künstlerischen Werdegang Raffaels bisher herrschte, scheint beseitigt,
wenn wir mit Gronau annehmen, daß Giovanni Santi vor seinem Tode dem in
mehr als zehnjähriger Mitarbeit erprobten Evangelista di Pian di Meleto die Sorge
für den weiteren Unterricht seines Sohnes anvertraute und daß dieser in der mit
Timoteo Viti gemeinsam betriebenen Werkstätte in die bolognesisch-ferraresische
Tradition eingeführt wurde, deren Einflüsse in den frühesten Werken Raffaels klar
zu Tage treten. Demnach hätten Timoteo Viti und Evangelista di Pian di Meleto
das Verdienst, die ersten Lehrer Raffaels gewesen zu sein.
(т) Pungileoni, Elogio storico di Giovanni Santi р. 136.
(2) Kunstchronik, 20. Jahrgang, 1908/1909, Nr. то, 25. Dezember, Sp. 145—150.
299
Leider ist die künstlerische Tätigkeit Evangelistas ganz in Dunkel gehüllt). Trotz-
dem hat es nicht an Versuchen gefehlt, dem schemenhaften Meister zu einem
Oeuvre zu verhelfen. So glaubte Ercole Scatassa das Werk eines schlichten Dorf-
malers aus der weiteren Nachfolge Giovanni Santis und Timoteo Vitis in der
Kirche San Francesco des Pian di Meleto benachbarten Örtchens Sassocorbaro bei
Urbino als eine Arbeit Evangelistas ansehen zu müssen und in einem Tondo, das
sich ehemals im Oratorium S. Andrea Apostolo zu Urbino befand und die Madonna
mit dem Kinde und dem kleinen Johannes darstellt, die Hand des Meisters zu
erkennen“). Wie man aber auf den ersten Blick sah, und wie Egidio Calzini
dann bald feststellte, handelte es sich um eine späte und schwache Arbeit eines
Nachahmers Raffaels, der die Hauptfiguren aus der „heiligen Familie Franz des
Ersten“ übernommen hatte ).
Neuerdings hat Adolfo Venturi den Versuch unternommen, auf andere Weise
ein Oeuvre Evangelistas zusammenzustellen, indem er die bisher Giovanni Santi
zugeschriebenen Bilder auf Anklänge an die in der Kopie Costantinis uns über-
lieferten Stilelemente Evangelistas untersuchte. Er fand in einem Bilde der Buda-
pester Nationalgalerie, das auf Santi getauft war, und das ihm auch sehr nahe
steht, mehr Grazie in der Formenbildung und mehr „sentimento“, als in den be-
glaubigten Werken Santis. Eine liebenswürdigere Abwandlung der Typen dieses
Meisters glaubte er ferner in einigen der aus dem herzoglichen Palast zu Urbino,
und zwar aus dem Studio Guidobaldos stammenden Musengestalten zu erkennen,
die nach seiner Meinung von Santi begonnen und von dem hypothetischen Evan-
gelista vollendet sein sollen“). Unmöglich wäre es nicht, daß auf dem von Venturi
beschrittenen Wege eine gewisse Klärung der Frage herbeigeführt werden kann.
Solange es aber nicht gelingt, ein wirklich sicheres Werk des Meisters aufzufinden,
bleiben wir auf Vermutungen angewiesen.
Wir wissen nicht, wann Raffael Urbino verlassen hat. Das bekannte Dokument
vom 13. Mai 1500, das den gerichtlichen Vergleich mit der Stiefmutter betrifft,
gibt an, daß Raffael bei dem Gerichtsakt nicht zugegen war. Aller Wahrschein-
lichkeit nach weilte er damals bereits in Perugia, wo wir ungefähr zur gleichen
Zeit auch Perugino nachweisen können, der am 23. April ein Stück Land kaufte
und am selben Tage über den Empfang von 120 Dukaten für das Altarbild in
S. Pietro bei Perugia quittierte. Einen beträchtlichen Teil des Jahres weilte Peru-
gino dann in Florenz, mit der Vollendung des großen Altarwerkes für Vallombrosa
und anderen Arbeiten beschäftigt. Inzwischen scheint Raffael in Cittá di Castello
den freilich umstrittenen Gonfalone für die Briiderschaft von S. Trinitá und den heiligen
Nikolaus fiir S. Agostino gemalt zu haben, um nach Erledigung dieser Arbeiten
wieder als Gehilfe in die Werkstätte Peruginos einzutreten. Diese Tätigkeit Raf-
(1) Lisa von Schlegel hat neuerdings in den Urbinater Archiven und zwar zunächst im Archivio del
S.S. Sacramento Nachforschungen angestellt, aus denen wir entnehmen, daB Evangelista von 1513 bis
1522 damit bescháftigt war in der Kapella del S. S. Sacramento im Dom zu Urbino Malereien auszu-
fúhren, die zugrunde gegangen sind. Ferner fand sie im Archiv der Confraternitá del Corpus Domini
die leider undatierte Notiz, daß sowohl Evangelista wie Raffael Mitglieder dieser Brüderschaft gewesen
sind. (Vgl. Rassegna d’Arte 1911, р.72— 75.)
(2) Arte e Storia, Florenz, 1910, Fasc. б, р. 167, mit Abbildungen.
(3) Rass. Bibl. dell'Arte Italiana, 1910, Fasc. 5—7, р. 48.
(4) Vortrag im Palazzo Doria in Rom, am 14. Februar 1911 vor der Societá Italiana di Archeologia
e di Storia dell'Arte, abgedruckt im Arte 1911, fasc. 2.
300
faels als Gehilfe Peruginos hat vielleicht bis zu seiner Ubersiedelung zu ständigem
Aufenthalt nach Florenz gedauert. Wann sie aber begonnen hat, darüber schweigen
die Akten. Vor 1499 kann es kaum gewesen sein, da Perugino, wie urkundlich
feststeht, in den Jahren von 1495 bis 1499 ein Wanderleben führte und, wenn er
nicht auf Reisen war, in Florenz seinen Wohnsitz hatte. Zu diesem äußeren Grunde
für die Meinung, daß Raffael erst am Schlusse des Jahrhunderts in Peruginos Werk-
stätte eintrat, kommt noch ein innerer: Wäre er bereits im zarten Knabenalter
unter Peruginos Einfluß gekommen, so hätten wir keine Erklärung für die Stil-
eigentümlichkeiten Timoteo Vitis in den ganz frühen Arbeiten des jungen Raffael.
Daß Raffael eine gediegene künstlerische Ausbildung nach Perugia mitbrachte,
erscheint gewiß, und daß er nach absolvierter Lehrzeit noch vieles von seinem
neuen Meister übernahm, und daß dieser fortan einen entscheidenden Einfluß auf
sein künstlerisches Schaffen ausübte, ist zu natürlich, als daß es überraschen könnte.
Perugino stand damals im Anfang der Fünfziger und war auf dem Höhepunkt
seines Schaffens angelangt. Noch hatte er nicht durch übertriebenes Heranziehen
von Gehilfen und durch schematische Selbstwiederholung seinen Ruf geschädigt.
Bis zum Jahre 1500 hielt er sich auf der Höhe, die er langsam und miihselig im
Laufe der neunziger Jahre erklommen hatte. Von da an ging es allmählich bergab.
Zu der Zeit aber, als Raffael bei ihm arbeitete, war Perugino noch einer von den
ganz großen Meistern.
Die neuere Stilkritik beginnt schon in den Werken Peruginos aus den letzten Jahren
des Quattrocento nach Spuren der Mithilfe Raffaels anzuschauen. Wir finden sie zum
ersten Male deutlich manifestiert in einem großen Altarwerke Peruginos, von dem
jetzt gehandelt werden soll.
Im Jahre 1500 vollendete Perugino im Auftrage des peruginer Notars Bernardino
di ser Angelo ein Tafelbild für die Kirche S. Agostino mit der Madonna in Glorie
zwischen den Heiligen Nikolaus (oder Thomas von Villanova), Bernhardin, Hiero-
nymus und Sebastian, ein Bild, dessen bis jetzt verschollen geglaubte Predelle das
Berliner Kaiser Friedrich-Museum besitzt. Diese Predelle, deren Zugehörigkeit ältere
Peruginer Autoren, wie Orsini!) und G. В. Morelli?) bestätigen, trägt die Inschrift:
HOC OPUS FECIT FIERI SER BERNARDINUS S. ANGELI ANNO SALUTIS
MD und stellt in deutlicher Anlehnung an das Abendmahl Peruginos in S. Onofrio
zu Florenz den gleichen Gegenstand dar.
Das heute in der städtischen Pinakothek zu Perugia bewahrte Hauptstück des
Altarwerkes ist vor allem deshalb für uns wichtig, weil Raffael an seiner Aus-
führung stark beteiligt ist, und weil es das früheste Werk Peruginos ist, an dem
Raffael ganz selbständig mitgearbeitet hat. Die Madonna mit dem Kinde finden
wir in Raffaels Madonna aus dem Hause Diotalevi im Kaiser Friedrich - Museum
wieder; die beiden knieenden Heiligen sind in Haltung und Stellung auf Raffaels
Kreuzigung für S. Domenico in Citta di Castello wiederholt, nur daß an die Stelle
(1) Orsini, Guida di Perugia р. 127—138. — S. Agostino. „Segue la Cappella di S. Tommaso da
Villanova. A dritta ё allogata una tavola colla Madonna e ' Bambino, 8. Tommaso da Villanova,
8. Bernardino da Siena, e 8. Sebastiano; e a piedi sul mezzo ё un piccolo portello con il Salvatore.
Nella predella un’ istorietta dell’ ultima Cena di Cristo coi dodici Apostoli. Vi & notato il tempo in
cui fu fatta l’opera. Anno Salutis MD. E opera di Pietro Perugino, fatta nel suo miglior fare; ё
composta assai semplicemente, e con facilità“.
(2) Morelli erwähnt in seinen „Brevi notizie . . di Perugia 1683, die Predelle, aber ohne die Jahres-
zahl und die Darstellung genau anzugeben; er gedenkt aber der kleinen Figuren auf der Predella und
bemerkt, daß die Kapelle den „Signori Benedetti, cognominati Capra“ gehörte.
301
des S. Sebastían eine Magdalena getreten ist. Wenn diese Indizien die Annahme
stützen, daß Raffael als Gehilfe Peruginos dessen Zeichnungen für die Komposition
seiner eigenen Gemälde benutzte, so ist andererseits hervorzuheben, daß Einzel-
heiten an dem Peruginer Altarwerk, wie die doppelten Kreise der Heiligenscheine,
die sich auf allen früheren Bildern Raffaels, bei Perugino aber fast nie finden, und
ferner, wie Knapp richtig bemerkt, die Bildung der Hand, die breiter als bei Peru-
gino ist, die weichen, rundlichen Formen des Gesichtes, besonders der Madonna
und die unbestimmte, faltenreiche Behandlung des Mantels der Madonna, an Raffael
erinnern, der freilich damals noch ganz unter dem Einfluß seines Meisters stand‘).
Am 2. März 1499 erhielt Perugino den Auftrag auf eine Auferstehung Christi,
ferner auf ein Fresko mit der Darstellung des heiligen Rochus und Dekorations-
malereien für die Kirche S. Francesco dei Conventuali in Perugia. Das Altarbild ist
nach mancherlei Schicksalen in die vatikanische Gemäldegalerie gelangt. An seiner
Ausführung hat der junge Raffael einen nicht unbedeutenden Anteil. Die schlafen-
den Wächter und die beiden anbetenden Engel sind ganz im Geiste Raffaels.
Durchaus peruginesk aber ist die Gestalt Christi und die weiträumige, sonnen-
helle Landschaft. Der Lohn von 50 Fiorini, der dem Meister für ein so großes
Altarstück, ein Fresko und Dekorationsmalereien ausgesetzt war, erscheint recht
gering und der Lieferungstermin, kaum zwei Monate, recht kurz, so daß ihn Peru-
gino bei seiner außerordentlich rührigen Tätigkeit im Jahre 1499 doch nicht hätte
einhalten können. Beide Umstände, der geringe Lohn und der kurze Lieferungs-
termin, mögen ihn bewogen haben, einen großen Teil der Ausführung seinem jungen
Gehilfen zu überlassen. Die Vollendung des Bildes aber hat sich gewiß bis in den
Anfang des neuen Jahrhunderts hingezogen.
Auch in dem Hauptwerk Peruginos, den wahrscheinlich im Jahre 1500 vollendeten
Fresken des Cambio, sucht die neuere Stilkritik nach einem Anteil Raffaels.
Unter den Schülern Peruginos, die an der Ausschmückung des Cambio mitarbei-
teten, erwähnt Vasari den Alovigi di Assisi, genannt L’Ingegno, und aus den
Zahlungsvermerken der Bücher des Cambio geht hervor, daß Giovanni Ciambella,
genannt Fantasia, und Roberto da Montevarchi während der Arbeiten im Cambio
Gehilfen Peruginos waren?). Solange aber keine sicheren Werke dieser Meister
nachgewiesen sind, läßt sich über ihre Beteiligung nichts feststellen. Lancellotti,
ein Peruginer Autor des XVII. Jahrhunderts, erzählt in seiner Scorta барга, daß
Raffael die Gewölbe und in wenigen Stunden zum größten Erstaunen des Meisters
den Kopf des Christus der Transfiguration gemalt habe).
Daß Perugino ein so großes Werk nicht ohne Gehilfen ausgeführt hat, wäre selbst-
verständlich, auch wenn man nicht wüßte, in welchem Maße er sich schon damals
der Arbeit seiner Schüler bediente, um sich der zahlreichen Aufträge zu entledigen.
Wenn der Meister auch die Wandbilder zum größten Teil eigenhändig ausgeführt
hat, so ist die Decke hingegen ganz von Schülern nach Zeichnungen des Meisters
vollendet worden. Ob aber Raffael daran beteiligt ist, bleibt eine offene Frage.
Jedenfalls ist sein Anteil nicht mehr festzustellen.
Als ein Werk Raffaels galt in früheren Zeiten das Abendmahl in S. Onofrio zu
Florenz. Schmarsow war der erste, der es mit schwerwiegenden Gründen für
(1) F. Knapp, Perugino, Künstler-Monographien, Bd. 87, Bielefeld und Leipzig, 1907, р. 98.
(2) Siehe Adamo Rossis ,,Storia artistica del Cambio di Perugia, compilata sopra nuovi documenti“
im Giornale di Erudizione artistica, Bd. 3, 1874, р. 3—32.
(3) Ms. der Comunale zu Perugia, с. 201t.
302
Perugino in Anspruch nahm!). Für die Zuschreibung an Raffael läßt sich, abge-
sehen von der während der Restauration ganz erneuerten und vielleicht sogar ge-
fälschten Inschrift auf dem Kleidersaum des Apostels Thomas RAP. VR. MDV (2)
kein Argument anführen. Für die Datierung gibt einen terminus ante quem die aus
der Werkstatt Peruginos hervorgegangene, bereits oben erwähnte Wiederholung des
Abendmahles auf der Predellentafel der Madonna zwischen vier Heiligen mit dem Datum
ı500 im Kaiser Friedrich-Museum. Vor diesem Bilde also und sicherlich nach dem
Tafelbilde der Beweinung Christi aus dem Jahre 1495 (Pitti) und nach dem Fresko der
Kreuzigung in S. Maria Maddalena dei Pazzi aus dem Jahre 1496 wird dieses schwä-
chere, aber des Meisters durchaus nicht unwürdige Werk angesetzt werden dürfen.
Wenn Raffael, wie wir gesehen haben, bis zum Jahre 1503 mehrfach für Citta
di Castello beschäftigt war, und in allen für diese Stadt geschaffenen Werken der
Stil Peruginos in die Erscheinung tritt, so müssen neue, frische Eindrücke aus
Perugia und eine Tätigkeit als Gehilfe in Meister Pietros Werkstätte ange-
nommen werden. Diese MitwirkungéRaffaels läßt sich an mehreren zwischen 1500
und 1504 entstandenen Werken Peruginos nachweisen. Es scheint zwischen
ihnen ein geistiger Austausch stattgefunden zu haben, der für den jungen, hochbe-
gabten Künstler von größter Bedeutung wurde uud zugleich den alternden Meister
zu neuem Aufschwunge mitriß. Raffael hat eine ganze Anzahl seiner Gemälde aus
der Zeit von 1500 bis 1504 unter den Augen und wahrscheinlich in der Werkstätte
Peruginos begonnen und in weitestem Umfange Kompositionen und Entwürfe des
Meisters für seine eigenen Arbeiten verwendet. Bei den im folgenden mitgeteilten
Nachweisen der Einflüsse Peruginos auf die von Raffael in der genannten Epoche
geschaffenen Werke schließen wir uns im allgemeinen Georg Gronau an.
Raffaels Madonna del Libro ist eng mit der Zeichnung des Berliner Kupferstich-
kabinetts verwandt, auf deren anderer Seite sich die Kompositionsskizze zu der
Madonna del Duca di Terranuova befindet. Wie Morelli zuerst erkannt hat?), rührt
dieses Blatt von Perugino her, doch lehnt sich Raffael in der Ausführung mehr an
Pinturicchios großes Altarwerk von 1498 in der Peruginer Pinakothek an. Bei der
Übertragung des Bildes auf Leinwand konnte festgestellt werden, daß Raffael
während der Arbeit eine Änderung vorgenommen hat. Die Madonna hielt ursprüng-
lich an Stelle des Buches einen Apfel in der rechten Hand. Dadurch wird der
Zusammenhang des Bildes mit der Berliner Skizze noch auffilliger*). In der Aus-
führung der Madonna mit den Heiligen Franciscus und Bernhardin (im Berliner
Museum) schließt sich Raffael teils an das genannte Werk Pinturicchos an, teils
folgt er, besonders in dem heiligen Franciscus, dem Vorbilde Peruginos. Für die
Madonna di Casa Diotalevi, die früher als Werk Peruginos galt, ist die Madonna
mit vier Heiligen Peruginos vorbildlich gewesen, doch ist, wie bereits dargelegt,
Raffael an dieser Schöpfung seines Lebens stark beteiligt.
Ganz peruginesk ist die Madonna Solly, deren Komposition auf eine Federzeich-
nung Peruginos im Louvre zurückgeht, während der Christusknabe dem Altarbilde
Peruginos von 1493 in den Uffizien entlehnt ist. Der heilige Sebastian in der Acca-
demia Carrara zu Bergamo, dessen direktes Vorbild sich nicht nachweisen läßt,
gehört ebenfalls in die Peruginer Periode Raffaels. Beachtenswert ist der Hinweis
Berensons‘), daß eine Wiederholung des Bildes von der Hand Spagnas in der
(1) Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen, Bd. V, Jahrg. 1884.
(2) Die Galerie zu Berlin, Leipzig, p. 262 u. f.
(3) Vgl. Lippmann im Jahrb. der Preuß. Kunstsamml. U, 1881, р. 62.
(4) Gazette des Beaux-Arts, 1896, р. 212.
303
Sammlung Roß zu New York existiert. Dieser Umstand läßt die Entstehung des
Bildes in Perugia als nahezu sicher erscheinen. Die Kreuzigung aus S. Domenico
in Citta di Castello, jetzt in der National Gallery in London, laut Inschrift vom
Jahre 1503, ist fast ganz aus dem Formenschatz Peruginos zusammengestellt. Die
Nachweise im Einzelnen gibt Gronau’).
Die jetzt verdeckte Inschrift auf dem Bilde: HOC OPUS FECIT DNICUS TOME
DE GAVARIS MDII hat Magherini-Graziani zuerst bekannt gemacht °). Demselben
Autor verdanken wir die wichtige Angabe, daß die Tafel für den Altar zu klein
ist, daß also noch eine Predelle dazugehört, von der zwei Tafeln kürzlich durch
Gronau nachgewiesen wurden, die eine in der Sammlung Frederick Cook in Rich-
mond, nach Gronaus interessanter Feststellung ein Wunder des heiligen Hieronymus
darstellend, der den Häretiker Sabinianus bestraft, die andere, in der Galerie zu
Lissabon, auf welchem ein Wunder gezeigt wird, das der Schüler des Hieronymus,
Eusebius, mit dem Mantel des Heiligen an drei in der Nacht verstorbenen Männern
vollführt, die vom Tode erweckt werden und nun durch ihre Erzählungen von Hölle,
Fegefeuer und Paradies die Irrigkeit der häretischen Lehre nachweisen. Gronaus
Hinweis auf die Zugehörigkeit der beiden Tafeln zu dem Crucifixus für Citta di
Castello scheint uns besonders verdienstlich.
Die Krönung Mariä, der erste Anlauf des jungen Meisters zu einer stark be-
wegten, figurenreichen Komposition, verrät in allen Einzelheiten den Einfluß seines
Lehrers, dessen Typen Raffaels Jugendwerk an edler Begeisterung und tiefer Inner-
lichkeit jedoch weit übertrifft. Weit mehr noch als in dem Hauptbilde erscheint
Raffael von Perugino in den Darstellungen der Predelle abhängig, die er einer
Reihe der schönsten Kompositionen seines Lehrers, den Szenen aus dem Marien-
leben auf dem Altarwerk von 1497 in S. Maria Nuova zu Fano entlehnt hat. Von
Vasari stammt die seither in die Literatur übergegangene Angabe, daß Raffael die
Krönung Mariä für Maddalena degli Oddi 'gemalt habe. Nun ergibt sich aber
aus demnächst in den vom Kunsthistorischen Institut zu Florenz herausgegebenen
Italienischen Forschungen von dem Unterzeichneten zu publizierenden Urkunden,
daß Perugino am 15. Dezember 1512 den Auftrag übernahm, für die Kirche S. Maria
zu Corciano bei Perugia ein Tafelbild mit Predelle, darstellend die Himmelfahrt
Mariä, nach dem Vorbilde der Tafel zu liefern, welche Alessandra di Simone
degli Oddi für die Kirche S. Francesco in Perugia hatte malen lassen.
Über Maddalena degli Oddi besitzen wir keinerlei Nachricht aus Chroniken und
Dokumenten. Dagegen wissen wir aus einem Totenbuch der Kirche San Francesco,
daß Alessandra degli Oddi am 15. Juli 1516 in ihrer Kapelle beigesetzt wurde und
daß sich auf ihrem Grabstein die Inschrift befindet: LEANDRAE. SUMMAE / PUDI-
CIITIAE. ЕТ PROBITATIS / SIMONIS. ODDI. CIVIS. PRIMARII / UXORI FILIAE.
PIENTISS [IMAE] POSVERE/ MDXVI. Es ist in höchstem Grade wahrscheinlich, daß
hier ein Irrtum Vasaris vorliegt, und daß Crispolti und alle Späteren diese Angabe aus
Vasari geschöpft haben. Nicht weniger bemerkenswert als dieser Hinweis auf die
Stifterin des Altarwerkes aus San Francesco, das jetzt die vatikanische Galerie bewahrt,
ist der Umstand, daß dem schon betagten Meister ein Werk seines genialen Schülers
als Vorbild hingestellt wurde. Übrigens entspricht das Gemälde Peruginos, das noch
heute auf dem Hochaltar der Pfarrkirche S. Maria zu Corciano prangt, in der Kom-
position keineswegs dem Altarwerke Raffaels für S. Francesco in Perugia, sondern
(1) Op. cit. p. 220.
(2) L'Arte a Città di Castello.
304
ist vielmehr eine schematische Replik früherer, ähnlicher Darstellungen Peruginos,
wie der Himmelfahrt Mariä von 1500 in der Accademia zu Florenz und der Himmel-
fahrt Christi in Lyon (ehemals in S. Pietro zu Perugia) und im Dom zu Sansepolcro.
Das Hauptwerk der Peruginer Periode Raffaels ist das Sposalizio, das, wie aus
Urkunden hervorgeht, die Magherini-Graziani im Bollettino della Regia Deputazione
di Storia Patria per 1 Umbria publiziert hat, von Filippo degli Albezzini für den Altar
S. Giuseppe in S. Francesco zu Castello gestiftet wurde 1). Man hat stets ange-
nommen, daf Raffael als Vorbild das Sposalizio benutzte, das Perugino fiir den Dom
zu Perugia gemalt hat, indem er die Gruppe der Mánner und der Frauen vertauschte.
Neuerdings jedoch ist, wie bekannt, von Berenson dic These aufgestellt worden, jenes
Altarbild sei ein Werk Spagnas und umgekehrt mit Benutzung von Raffaels Bild ent-
standen?). Uber das Sposalizio für den Dom zu Perugia besitzen wir jetzt aber Doku-
mente, welche erweisen, daB zuerst Pinturicchio, und dann Perugino den Auftrag er-
hielt, es auszuführen, weiter wissen wir, daß es gegen Ende des Jahres 1503 noch
nicht vollendet war. Es wird die Leser dieser Zeitschrift interessieren, iiber die
zwecks Klärung dieser Frage von Adamo Rossi in den Peruginer Archiven begon-
nenen und von dem Unterzeichneten zu Ende geführten Forschungen, die dem-
nächst veröffentlicht werden sollen, einiges zu erfahren.
Die früheste, bisher unbekannte und von Adamo Rossi entdeckte archivalische Notiz
über das Sposalizio Peruginos ist der Beschluß des Peruginer Magistrats vom 31.Mai 1486,
also etwa 13 Jahre, bevor Perugino den Auftrag erhielt, der Briiderschaft von S. Giu-
seppe für den Bau ihrer Kapelle im Dom und für das zu malende Altarbild eine
Beihilfe von 200 Fiorini zu gewähren. Am 16. September 1489 erteilte die Brüder-
schaft den Auftrag dem Bernardino Pinturicchio. Dieser versprach, die Arbeit im
nächsten April zu beginnen und sich dem Schiedsrichterspruch zweier Sachver-
ständiger zu unterwerfen, zu denen, falls eine Verständigung über den zu zahlenden
Lohn nicht zustande käme, noch ein dritter durch den Bischof von Perugia ge-
wählt werden sollte. Als erste Zahlung bei Beginn der Arbeit wurden 20 Fiorini
und 20 Soldi festgesetzt. Schon am 26. September erteilte Pinturicchio jedoch dem
Maler Bartolomeo Caporali Vollmacht, seine Interessen der Brüderschaft S. Giuseppe
gegenüber zu vertreten, wahrscheinlich, weil er beabsichtigte, nach Rom zurückzu-
kehren. Er hat dann jahrelang fern von Perugia gelebt, und seine lange Abwesen-
heit mag die Brüderschaft veranlaßt haben, den Auftrag schließlich an Perugino
weiterzugeben. Am 22. Februar 1495 erhält die Brüderschaft auf ihr Ersuchen
vom Peruginer Magistrat eine neue Beihilfe von 15 Fiorini, „pro una tabula facienda
in Capella Sancti Josephi in Ecclesia Sancti Laurentii“, und am 28. Februar ge-
langte der Magistratsbeschluß zur Ausführung. Trotz dieser Unterstützung seitens
der Stadt zögerte die Brüderschaft noch vier Jahre mit der Erteilung des Auftrages.
Erst am тт. April 1499 wurde in einer Versammlung der Vorsteher der Confrater-
nita darüber beraten, ob der Auftrag an Perugino oder an einen anderen Künstler
zu vergeben sei. Nachdem der Prior die Frage zur Diskussion gestellt hatte, ergab
sich, daß drei Mitglieder einen Aufschub wünschten, bis genügende Mittel vorhanden
seien. Bei der Abstimmung jedoch erklärten alle 14 Teilnehmer an der Versamm-
lung: „quod tabula debeat locari magistro Pietro ad pingendum“. Ob die Brüder-
schaft sofort nach der Beratung, oder erst später sich Perugino verpflichtete, bleibt
(1) Loc. cit.
(2) Gazette des Beaux-Arts, Ше période, t. XV, April 1896, р. 273u.ff. und The study and criticism
of Italian Art, Bd. II, London 1902.
305
ungewiss, weil es bisher nicht gelungen ist, das Aktenstiick über die Erteilung des
Auftrages zu finden. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß man sich bald dazu ent-
schloß, da die Arbeiten am Cambio sich ihrer Vollendung näherten und Pietro sich
vielleicht mit dem Gedanken trug, gleich nach der Fertigstellung der Cambiofresken
seine Tätigkeit in Florenz wieder aufzunehmen. In den nächsten Jahren fuhr die
Briiderschaft fort, Gelder zu sammeln. Am 3. November 1500 erhielt sie vom
Magistrat zu Perugia wiederum eine Unterstützung von 15 Fiorini „pro pictura et
ornamento tabule pingende“, und am 25. Juni 1503 faßte der Magistrat den Beschluß,
daß der Restbetrag einer gewissen Summe entweder für das Gitter der Kapelle oder
für den Altar, oder aber für das Altarbild zu verwenden sei. Einem von uns im Peru-
giner Notariatsarchiv aufgefundenen Testament des Kaufmanns Paride di Baldassarre
di Paolo Petrini vom 26. Dezember 1503 entnehmen wir die interessante Tatsache,
daß damals das Sposalizio noch nicht vollendet war, denn Paride Petrini hinterläßt
der Confraternita di S. Giuseppe 5 Fiorini, welche Perugino erst nach Vollendung
des Bildes zu zahlen sind: „pro solvendo magistro Petro pictori de Perusio pro
pictura tabule Capelle dicte Fraternitatis solvendos tunc quando ditta tabula perfecta
fuerit et non ante, videlicet dicto magistro Petro seu alteri magistro qui eam perfecerit“.
Aus dem mitgeteilten Nachrichtenmaterial ergibt sich also, daß vor dem тт. April 1499
das Bild nicht begonnen sein konnte und daß es gegen Ende des Jahres 1503 noch
nicht vollendet war. Des weiteren folgt daraus, daß Raffaels Sposalizio, das laut
Inschrift 1504 vollendet wurde, fast gleichzeitig mit dem Sposalizio seines Meisters,
und vielleicht in der Werkstätte und unter den Augen desselben entstanden ist.
Ein Vergleich der beiden Gemälde zeigt sofort, daß Peruginos Sposalizio die
ältere, altertümlichere Redaktion des Themas ist. Ähnlich wie in dem Fresko der
Schlüsselübergabe sind hier die handelnden Personen am vorderen Bildrande in
gleicher Größe aufgereiht. Raffael dagegen läßt seine Figuren schon in der zweiten
Reihe kleiner werden, stellt die beiden Hauptpersonen um und rückt sie weiter
auseinander, so daß der Vorgang deutlicher wird, läßt den Priester, der bei Perugino
als vertikale Mittelachse wirkt, durch eine leichte Bewegung seines Oberkörpers
die Bewegung Mariens begleiten, vereinigt die Zahl der Zuschauer, die er ebenfalls
umgestellt hat, so daß links die Frauen, rechts die Männer stehen, zu Gruppen,
schafft aus der Gestalt des stabbrechenden Jünglings, die bei Perugino unter den
Begleitfiguren fast verschwindet, eine höchst wirkungsvolle Kontrastfigur, welche
die Symmetrie aufhebt, und gibt schließlich in dem hübschen Zentralbau, der die
Komposition zusammenfaßt, eine Linie, welche dem halbrunden oberen Abschluß
des Bildes besser entspricht, als die durch den Rahmen abgeschnittene Halbkuppel
Peruginos.
Nach dem oben gesagten ist es eigentlich überflüssig, zu betonen, daß wir uns
Berensons Ansicht, so geistreich sie auch vorgetragen ist, durchaus nicht anschließen
können. In der Komposition, in der Formengebung, in der klaren Umrißzeichnung,
in der Behandlung des Faltenwurfes, in der Zeichnung der Köpfe und der Hände
finden wir die charakteristischen Eigentümlichkeiten der gesicherten Werke Peruginos
wieder. Es erscheint auch ganz unglaubhaft, daß der Meister ein Bild, das für die
vornehmste Kapelle der Stadt bestimmt war, einem Schüler hätte anvertrauen dürfen.
Bis zum Jahre 1798, der Zeit der französischen Invasion, prangte das Sposalizio
auf seinem Altar in S. Francesco zu Citta di Castello’), Um die Stadt vor einer
(т) Magherini-Graziani publiziert in seiner mehrfach erwähnten Abhandlung zwei interessante Briefe
aus dem Florentiner Staatsarchiv, aus denen hervorgeht, daß schon 1571 Herzog Quidobaldo von
Urbino den (vergeblichen) Versuch machte, das Sposalizio für seine Galerie zu erwerben.
306
Pliinderung durch die franzósische Armee zu bewahren, schenkte der Magistrat der
Stadt dem Kommandanten der Okkupationstruppen, General Giuseppe Lechi, das
kostbare Werk*). Der General entledigte sich bald fiir 3600 Zechinen des Bildes,
das nun in den Besitz des Sammlers Giacomo Sannazari in Mailand kam, der es
bis an sein Lebensende hoch in Ehren hielt. Vom Ospedale Maggiore, das es ge-
erbt hatte, kaufte es die italienisch-französische Regierung für den bescheidenen
Preis von 45 000 Lire. Am 5. April 1806 erwarb es die Direktion der Brera-Galerie
zugleich mit der Madonna Giovanni Bellinis von 1510 und der Assunta von Marco
d'Oggiono, auf Befehl des Vizekönigs Eugen Beauharnais. Noch einmal kam das
Sposalizio in Gefahr: Im Jahre 1859, als die Franzosen in Mailand einzogen, wollten
die hochwohlweisen Stadtväter nach dem Vorbilde derer zu Cittä di Castello es den
Siegern schenken. Es ist ein Glück, daß dieser Beschluß nicht zur Ausführung gelangte.
$ %
*
Im Jahre 1504 kehrte Raffael nach Urbino zurück. Damals war die kleine Stadt
am Ufer des Metaurus eines der bedeutendsten Centren des Humanismus in Italien.
Um die kluge und geistvolle Elisabetta Gonzaga, die Gemahlin Herzog Guidobaldos
und um die edle Maria Pia, die Braut eines natürlichen Bruders des Herzogs,
pflegte sich in den Abendstunden die Blüte der kirchlichen und weltlichen Wiirden-
träger, der Gelehrten, Dichter, Diplomaten und Musiker zu versammeln, von denen
nur der Kardinal Bernardo Dovizi da Bibbiena, der Venezianer Pietro Bembo, den
später gleichfalls der Kar dinalspurpur schmückte, und der Graf Baldessar Castiglione
genannt sei, der diesen Abenden in seinem „Cortegiano“ ein unvergängliches Denk-
mal gesetzt hat. Wir dürfen wohl annehmen, daß auch der junge Raffael an dem
eleganten und geistvollen Hofe verkehrte, wo man über die „doti del perfetto
cortegiano“ und über die „perfetta donna di palazzo“ diskutierte und mit gleichem
Scharfsinn auch ernsteren Lebensproblemen nachging. Raffael war damals ein
Künstler von Ruf und Rang, und sein Vater Giovanni Santi hatte, wie schon seine
„Cronaca rimata“ und das Festspiel bei der Vermählung Guidobaldos mit Elisabetta
beweisen, gute Beziehungen zum Hofe unterhalten. Und wenn auch der Brief als
apokryph bezeichnet werden muß, in welchem Giovanna Feltria, die Schwester des
Herzogs, den jungen Raffael an den Gonfaloniere von Florenz, Pier Soderini,
empfahl, so ist dagegen sicher authentisch jener in der vatikanischen Bibliothek
bewahrte Brief Raffaels an seinen Oheim Simone Ciarla, in welchem er sich als des
Herzogs „anticho servitore e famigliare“ bezeichnet hat —. Es ist sehr wahrscheinlich,
daß er während dieses kurzen Aufenthaltes in der herzoglichen Residenz im Auftrage
seines kunstsinnigen Landesherrn ein Bildnis eines Knaben in fürstlicher Tracht
schuf, das im Palazzo Pitti bis vor Kurzem den Namen Giacomo Francia trug und
durch Gronau zum ersten Male Raffael zugeschrieben worden ist). Aus unver-
öffentlichten Inventaren gibt Gronau den wichtigen Hinweis, daß dieses Porträt zu
den Kunstschätzen der Herzöge von Urbino gehört hat und mit ihnen 1631 nach
Florenz gekommen ist.
Schon Durand-Gréville‘) hatte die Vermutung ausgesprochen, daß wir hier das
Porträt des jungen Thronfolgers, Francesco Maria della Rovere vor uns haben, der
(1) S. Adamo Rossi in Giornale di Erudizione Artistica, Nuova Serie, 1883, Heft 1, p. 8—10.
(2) Mus. Borg. P. F.
(3) op. cit. p. 222, Abb. S. 16.
(4) Revue de (Art ancien et moderne, 1905, р. 377—386, mit Varianten, kürzer gefaßt, in Angers-
Artiste, 1906.
307
im Márz 1490 oder 1491 geboren war und dessen authentische Bildnisse auf Miinzen
und auf einer Miniatur der vatikanischen Bibliothek eine groBe Ahnlichkeit mit dem
Dargestellten zeigen. Wir werden daher annehmen dürfen, daß dieses prachtvolle
Bildnis den jungen Francesco Maria della Rovere im Alter von dreizehn oder vier-
zehn Jahren darstellt, im Jahre 1504 von Raffael in Urbino gemalt.
Durch die Übersiedelung zu ständigem Aufenthalt nach Florenz, im Herbst 1504,
kam Raffael unter den Einfluß Leonardos und Fra Bartolommeos, und als er 1505
in Perugia, im Kamaldulenser Kloster San Severo eine Darstellung der heiligen Drei-
faltigkeit malte, stand er bereits unter der Herrschaft Fra Bartolommeos. Aber noch
in dem großen Altarwerk für die Nonnen von S. Antonio zu Perugia, das wahrschein-
lich gegen Ende des Jahres 1505 vollendet worden ist, treten, wie Gronau feststellt,
Einflüsse Peruginos klar zu Tage, besonders in der Lunette und in der Gruppe der von
drei Frauen gestützten Maria, die ein Motiv der Kreuzabnahme Peruginos für die
Santissima Annunziata in Florenz (1505 begonnen und 1506 vollendet) wiederholt.
Die Komposition der Madonna del Duca di Terranuova, jetzt im Kaiser Friedrich-
Museum, läßt sich auf die bereits erwähnte Zeichnung Peruginos im Berliner
Kupferstichkabinett zurückführen, die Raffael mit einigen Änderungen für seine
Studie in Lille benutzt hat. Noch enger als in dieser Studie schloß Raffael sich
in der Ausführung des Bildes an seinen Meister an, von dessen Zeichnung er die
Hauptfiguren übernahm.
Mit der Madonna del Granduca, die bald nach der Madonna del Duca di Terra-
nuova ausgeführt wurde, beginnt die Florentiner Periode des Meisters, aber der
Einfluß Peruginos manifestiert sich noch immer deutlich in der kleinen Madonna
Cowper und in noch viel größerem Umfange in der Madonna Ansidei, deren Ent-
wurf und Mittelgruppe nach Gronaus Ansicht noch vor Raffaels Weggang von
Perugia entstanden sind, während die Vollendung in Florenz erfolgte. Umbrische
Reminiscenzen zeigt dann noch die S. Catharina der National Gallery, deren Typus
demjenigen der Magdalena des Crucifixus aus Cittá di Castello und dem S. Johannes
der Krönung Mariens verwandt ist, ferner die Madonna im Grünen in Wien und, wenn
auch in geringerem Grade, die Madonna del Cardellino in den Uffizien.
Eine letzte Erinnerung Raffaels an Peruginer Eindrücke gibt die in Rom um
ı512 vollendete Madonna di Foligno, wo der Künstler auf der Höhe seiner Schöpfer-
kraft Kompositionsmotive verwertete, die alte Peruginer Gonfalonebilder*) aufweisen.
Auf leichtem Gewölk heranschwebend, neigt sich die Gottesmutter zu dem von
Hieronymus empfohlenen Stifter. Links blickt der heilige Franz empor, der mit
einer hinausdeutenden Handbewegung gleichsam die ganze gläubige Gemeinde in
seine Fürbitte einschließt. Ein Engelknabe, der ein Cartello trägt, ist, wie auf den
Gonfaloni von S. Fiorenzo, S. Domenico und S. Lorenzo in Perugia das Bindeglied
zwischen Erde und Himmel. An Stelle des Landschaftsstreifens, den fast alle
Gonfaloni aufweisen, tritt hier eine ideale Ansicht von Foligno. Doch überbietet
Raffael seine bescheidenen umbrischen Vorgänger durch eine Vielseitigkeit und
Tiefe der geistigen Kontraste, die, abgesehen von der rein formalen, jede Vergleich-
barkeit aufhebt.
Der Zweck dieser Zeilen wäre erreicht, wenn es dem Verfasser gelungen sein
sollte, die künstlerische Tätigkeit Raffaels in Citta di Castello und in der Werkstätte
Peruginos auf Grund einiger neuer Beobachtungen und durch Verknüpfung dieser
mit den Forschungsresultaten anderer einigermaßen überzeugend darzulegen.
(т) S. Repert. f. Kunstwissenschaft, Bd. 32, 1909, р. 233.
308
NEUE BEITRÁGE ZUR GESCHICHTE VOM
„WERDEN DER GOTIK“ Von ERNST GALL
Mit neun Abbildungen auf sechs Tafeln 0000000600000000000000000000000000000000000000000000000000000000 000000000
UNTERSUCHUNGEN ZUR BAUGESCHICHTE DER NORMANDIE
eitdem Dehio zunächst im Repertorium für Kunstwissenschaft und später in
der kirchlichen Baukunst des Abendlandes!) seine Untersuchungen über das
hier zu behandelnde Thema veröffentlicht hat, sind von deutscher Seite diese
Forschungen nicht weiter fortgesetzt worden. Man kann auch nicht sagen, daß
seine so wohlbegründeten Ausführungen jenen durchschlagenden Erfolg bei den
französischen Forschern hatten, der ihnen zu wünschen gewesen wäre. Man hat
niemals im ganzen darauf geantwortet, und wenn man etwa den letzten Band des
Congrés Archéologique de France, Caen 1908, aufmerksam durchliest, kann man die
Wahrnehmung machen, daß seine Forschungsergebnisse im allgemeinen abgelehnt
worden sind, wenn man auch im einzelnen hier und da sich stillschweigend manche
seiner Ergebnisse aneignete.
Indessen hat Dehio von anderer Seite eine wesentliche Unterstützung erfahren
durch die sehr bedeutenden Artikel, die der Engländer Bilson in verschiedenen
Zeitschriften veröffentlichte, vor allem durch seine Untersuchungen über die Kathe-
drale von Durham‘).
Es ist hier mit großer historischer Sicherheit festgestellt worden, daß die Erbauer
der Rippengewölbe auf dem Hochschiffe des Chores — und eben solche deckten
die Seitenschiffe — der Ile de France in ihrer bedeutungsvollen bautechnischen
Neuerung gar nichts verdanken konnten, denn die erwähnten Bauteile sind gegen
1104 entstanden, zu einer Zeit also, wo nach allem, was wir mit Sicherheit sagen
können, in der Ile de France niemand an derartige Dinge dachte.
Die nächste Folge war, daß Robert de Lasteyrie?) trotz mancher Zweifel doch
sich gezwungen sah, wenigstens einzuräumen, in diesem Falle müsse in der nor-
männischen Schule der wahre Ursprung dieses neuen, so wichtigen Konstruktions-
prinzips der Rippengewölbe gesucht werden. Im gleichen Sinne wurden dann
auch Bilsons Ergebnisse in Enlarts Handbuch‘) aufgenommen.
Man hätte nun erwarten sollen, daß die Aufforderung Lasteyries, auf dem eigent-
lichen Mutterboden der anglo-normännischen Schule, der Normandie selbst, darauf
bezügliche Untersuchungen anzustellen, neue Resultate hätte veranlassen müssen.
Allein dem war nicht so. Im Congrés Archéologique von 1908 steht das alte non
liquet: „Die normännischen Wölbungen können so gut von 1130 wie von 1160
sein“)“, und es hat den Anschein, als stehe der Fall Durham jetzt erst recht
isoliert da.
(1) Dehio, die Anfänge des gotischen Baustiles. Rep. f. Kunstw. Band 19, 1896, p. 169. Dehio-Bezold,
Kirchliche Baukunst des Abendlandes. Band II, p. 38 ff.
(2) John Bilson, Les origines de l'architecture gothique: Les premieres croisées d'ogives en Angleterre.
Rev. de l'art chrétien 1gor—1902. Weiter die Aufsätze im Bulletin Monumental 1908, р. 128 u. p. 498.
(3) Robert de Lasteyrie, Discours sur les origines de larch. gothique, Caen 1901. Auch Rev. de l'art
chrétien 1902, p. 213.
(4) Enlart, Manuel d'archéologie francaise, 1902 1, р. 440 п. 3.
(5) 1, р. 11. Stammt von L. Regnier. Cf. Mém. de la Soc. hist. et archéol. de Pontoise, 1895, t. XVI:
Les origines de l'architecture gothique.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 7 22 309
Wenn auch die urkundlichen Quellen schweigen, so ist das doch noch lange
nicht der Dinge letzter Schluß. Die Bauten reden aus den Steinen heraus eine
Sprache für sich, der bei dem Charakter der mittelalterlichen Quellen überhaupt
schon an sich mehr Beweiskraft zukommt. Und aus diesem Gesichtspunkte, durch-
drungen von dem Werte der rein baugeschichtlichen Untersuchung, hat Verfasser
nachfolgenden Versuch angestellt, größere Klarheit in die Geschichte der frühen
normännischen Rippengewölbe zu bringen.
Da ich glaube, in Lessay und in der Trinité zu Caen sehr frühe Gewölbe nach-
weisen zu können, so folgt zunächst eine Art kurzer monographischer Bearbeitung
dieser beiden bedeutenden Bauten, woran sich weiter eine vergleichende Zusammen-
fassung anschließen soll.
ı. DIE ABTEIKIRCHE VON LESSAY (Manche)
Der Plan der Kirche!) bietet nichts sonderlich Interessantes. Er könnte als Typus
jener auf normännischem Boden sich fast stets wiederholenden Anlage dienen, die
als Charakteristikum der Schule genügend bekannt ist. Auch der Aufriß mit seiner
einfachen Dreiteilung zeigt als solcher nichts Außergewöhnliches. Unser Interesse
konzentriert sich vielmehr allein auf die Wölbung und ihre Entstehungsgeschichte.
Man hatte bei der Grundsteinlegung zunächst nicht auf eine solche gerechnet,
sondern eine flachgedeckte Basilika mit nur gewölbten Seitenschiffen aufführen
wollen. Tatsächlich sind nach diesem im Anfang aufgestellten Plan nur der Chor,
das Querhaus und die beiden letzten Joche des Schiffes bis zur Höhe des Licht-
gadens vollendet worden. Die übrigen Teile des Schiffes gehören offenbar einer
späteren Zeit mit neuen Ideen an. Wenn man auch nur wenig an der allgemeinen
Aufteilung der Hochschiffswände änderte, so wurde doch die innere Struktur auf
eine ganz neue Basis gestellt: Man nahm jetzt von Grund aus auf Gewölbe und
zwar, wie nicht bezweifelt werden kann, auf Rippengewölbe Rücksicht. Anstatt
der älteren / Säulen steigen von der Innenseite der Pfeiler Pilaster in die Höhe,
die zu beiden Seiten von !/, Säulen eingefaBt sind, so daß die nötigen Unter-
stützungen für Gurte und Rippen damit gegeben und klar voneinander geschieden
sind (Abb. ı und 5). Anders als der erste Plan es wollte, ist aber die ganze Kirche
gewölbt, und hier beginnt die bisher ganz einfache Sachlage sich gefährlich zu kom-
plizieren: Es zeigen nämlich Chor, Querhaus und das letzte Joch des Schiffes primi-
tivere Rippengewölbe als die erwähnten späteren Teile des Schiffes.
Wir haben also im Unterbau und im Oberbau ältere und jüngere Teile. Ihr
gegenseitiges Verhältnis zu bestimmen ist die Aufgabe.
In der jüngsten Arbeit über die Kirche von Lessay im Congres Archeologique
von 1908 ist diese Frage nicht beantwortet worden. Lefèvre-Pontalis schreibt
dort: „Man kann dem Ende des XI. Jahrhunderts die Apsis, das Querhaus, den
Unterbau des Vierungsturmes und die drei letzten (Versehen! Gemeint sind die
zwei letzten) Joche des Schiffes zuweisen. Die Fassade, die vier ersten Joche des
Schiffes und das obere Stockwerk des Vierungsturmes müssen dem zweiten Viertel
(1) Weder Erwähnung noch Abbildungen bei Dehio-Bezold. Grundriß und teilweiser Aufriß bei
Ruprich-Robert, L'architecture normande; ferner im Congrés Archéologique Caen 1908, р. 244ff. Der
im letztgenannten Werke gebotene Grundriß ist z. T. ungenau. Dort auch eine Abbildung der Wölbung
im nördlichen Querhaus. Cf. Die Photographien der Commission des Monuments Historiques
Nr. 1541—1545 und 12717. Davon Nr. 1545 wiedergegeben bei Baum, Romanische Baukunst in
Frankreich, p. 199. Ganz oberflächliche Äußerungen über die Kirche bei Porter, Medieval Architecture I, 296.
310
des ХП. Jahrhunderts zugeschrieben werden. Zu gleicher Zeit etwa wurden nach-
tráglich die Rippengewölbe der Kirche gebaut, ohne Scheidbogen, in zwei wohl zu
unterscheidenden Bauperioden. Man wölbte zunächst den Chor, das Querhaus und
das letzte Joch des Schiffes, darauf die anderen Joche des Hauptschiffes.“ Hier ist
nicht ganz klar unterschieden worden, ob man die älteren Wölbungen vor oder
nach den jüngeren Teilen des Schiffes ansetzen muß, es scheint aber, als neige
der Autor sich mehr der letzteren Annahme zu, daß nämlich die älteren Gewölbe
ausgeführt seien, nachdem bereits die jüngeren Unterbauten des Schiffes fertig
dastanden.
Man gewinnt aus der erwähnten Schrift auch die Meinung, daß die Vierungsbogen
gleichzeitig mit dem älteren Teil des Unterbaues errichtet seien). Hier besonders
müssen nun unsere Untersuchungen einsetzen, denn, wie man bald erkennen wird,
liegt hier der Schlüssel zur Lösung der Frage.
Gehören nämlich die Bogen der Vierung nicht der ältesten Bauperiode an, sondern
sind sie gleichzeitig mit den Gewölben, so ist sofort klar, daß dann die heutigen
Gewölbe überhaupt die erste solide, dauernde Bedachung der Chorpartien darstellen,
denn es ist beinahe unmöglich ohne Vierungsbogen eine auch nur einigermaßen
haltbare Flachdecke herzustellen. Sie können dann nur ganz kurze Zeit nach Voll-.
endung der ältesten Bauteile in nachträglicher Änderung des Planes ausgeführt sein
und sind älter als der jüngere Unterbau des Schiffes. Es würden sich dann diese
‚Gewölbe nicht allzuschwer datieren lassen.
Zunächst die Form der Vierungsbogen! Ein gewöhnlicher Vierungsbogen pflegt
im Halbkreis konstruiert zu sein, und kein Architekt wird etwas anderes machen,
‘wenn er keine Gründe dafür hat. Man kann sich nun leicht überzeugen (siehe
Abb. ı und 3), daß unsere Vierungsbogen nicht unbeträchtlich gestelzt sind: Es
handelt sich um 3—4 Steinlagen. Um es gleich zu sagen: Es entspricht ihre
Kurve genau den Gurtbogen der die Vierung begrenzenden Wölbungen von Chor,
Querhäusern und Schiff. (Siehe Abbildung 2, 3 und 4.) In diesen Wölbungen sind
die Rippen reine Halbkreise — auf die Konstruktion der Wölbungen komme ich
später noch zurück — wollte man nun für alle Bogen gleiche Scheitelhöhe er-
reichen, so war man gezwungen, die Gurtbogen zu stelzen. Das ist tatsächlich an
den genannten Gurtbogen der Fall (Abb. 2) und genau so an den Vierungsbogen;
ihre eigenartige Form kann also nicht anders erklärt werden als im Zusammen-
hang mit diesen Wölbungen entstanden.
Man sehe sich weiter an (Abb. 3), wie diese Vierungsbogen im Verhältnis zu
den Pfeilern der Vierung konstruiert sind, insbesondere achte man auf die Art ihres
Absetzens von den Deckplatten. Sie sind so aufgesetzt, daß sie nur zum Teil den
vorhandenen Raum ausfüllen; man hat möglichstviel Platz auf den Deckplatten zu
erübrigen gesucht, um später genügend Raum für die Rippen der Vierung zu finden.
Endlich bieten uns noch die Profile die interessantesten Aufschliisse. Die
Vierungsbogen zeigen ihrer großen Stärke entsprechend ein zusammengesetztes Profil,
dessen Element aber eine Platte mit Rundstab darstellt (Abb. 3). Es ist genau
das gleiche wie in den Gurtbogen des Schiffes und Chores. Ja, noch mehr! Es
finden sich so besondere Eigentümlichkeiten, daß nur ein und dieselbe Schablone
zugrunde gelegen haben kann. Es sind nämlich die Kanten der Platte hier wie
dort beiderseits abgeschrägt. Bedenkt man, wie in den Profilen im Mittelalter nie
(1) „Encadré par quatre arcs en plein cintre, dont les trois boudins sont logés dans les ressauts, le
carré du transept fut voúté apres coup d'ogives а tore unique“, р. 244.
311
wirklich kopiert wurde, wie sehr sich 2. В. hier in unserem Falle die Profile in den
älteren und jüngeren Teilen der Wölbung unterscheiden, so wird man ohne weiteres
zugeben, daB hier nur eine Entstehungszeit angenommen werden kann.
Diese Tatsachen sind vorhanden und ihre Erklärung kann nicht gut bestritten
werden. Wir sahen, wie Lefévre-Pontalis anzunehmen scheint, die Vierungsbogen
seien ohne Zusammenhang mit der Wólbung ausgefiihrt, und glauben bewiesen zu
haben, wie diese Meinung mit dem tatsächlichen Baubefund nicht in Uberein-
stimmung gebracht werden kann. Was scheinbar daraufhin deutete, die Erhöhung
der Scheidbogenlinien über den Vierungsbogen, findet in anderen Umständen seine
Erklärung, auf die erst weiter unten eingegangen werden soll. Indessen — können
nicht andere Vierungsbogen vorher und dann auch schon vor der heutigen Wölbung
eine auf Dauer berechnete Bedachung der Chorpartien vorhanden gewesen sein?
Das halte ich nicht für möglich, denn ich habe weder im Dachstuhl noch
sonst irgendwo Spuren dafür finden können, vor allem aber wird man annehmen
müssen, daß nicht nur die Vierungsbogen, sondern überhaupt der ganze obere Licht-
gaden gleichzeitig mit den Gewölben entstanden sei. Das über die Vierungsbogen
‚oben gesagte macht dies an sich schon wahrscheinlich, es läßt sich aber auch aus
der Konstruktion des Lichtgadens herleiten.
Der Aufriß der Querschiffswände ist ein ganz unzweifelhafter Beweis dafür (siehe
Abb. 2). In den beiden unteren Geschossen haben die Fensterbogen wie die
darüber liegenden Arkaden des Triforium eine bei weitem größere Distanz von-
einander als die Fenster des Lichtgadens. Hier sind sie zusammengerückt worden,
um eine Überschneidung durch die Gewölbe zu vermeiden. Der Bau des Licht-
gadens ist also durch die Gewölbe bestimmt, er ist vollkommen einheitlich, und es
finden sich hier nirgends ältere Teile darin vermauert, wie etwa in der Abteikirche
S. Etienne zu Caen.
Diese Feststellung ist von höchster Wichtigkeit; wenden wir uns darnach wieder
der Gesamtanlage zu, so wird deren vorhin so komplizierte Entwicklungsgeschichte
uns jetzt ganz anders, viel einfacher erscheinen. Man könnte sie überhaupt als
Typus dafür aufstellen, wie man im Mittelalter bei großen Bauten vorging. Hier
wie überall — wo nicht besondere örtliche Verhältnisse zu Ausnahmen zwangen —
ist mit dem Chor der Anfang gemacht, und es ist zunächst nur soweit mit dem
Bau fortgeschritten worden, als nötig war, um den Gottesdienst im Kreise der
Mönche feiern zu können. Ehe man weiter baute, deckte man natürlich den fertigen
Teil in solider Form, d. h. mit der heutigen Wölbung ein. Und wir müssen allen
Nachdruck darauf legen, daß dieses im ganz unmittelbaren Anschluß an den Unter-
bau geschah. Da vor der heutigen Wölbung eine haltbare Decke nicht bestanden
haben kann, die Mauern auch noch gar nicht soweit hochgeführt waren, wie wir
oben sahen, so ist es geradezu undenkbar, daß man sich zunächst auf dem wichtigsten
Teil der Kirche lange mit einem Notdache begnügt und das Baugeld für die Weiter-
fübrung des zunächst ziemlich unwichtigen Schiffes verwendet haben sollte. Ein
solches Verfahren würde gegen jede mittelalterliche Bauregel verstoßen, und um
es auch nur einigermaßen wahrscheinlich zu machen, hätte ein ausgedehnter Beweis
geführt werden müssen.
Die weitere Analyse des Baues kann unsere Meinung nur verstärken, denn man
muß selbst glauben, daß der Unterbau nicht an einem zufälligen Punkte und auch
nicht aus äußeren Gründen, wie etwa Geldmangel, unterbrochen sei. Denn er hört
gerade da auf, wo er aufhören mußte, wenn man den Chor und die Vierung zu-
nächst fertigstellen wollte. Man baute zwei Joche westlich der Vierung: um das
312
Gewölbe der Vierung zu stützen, brauchte man zuvörderst alle vier Gewölbe rund
um die Vierung, und um seinerseits das Gewölbe westlich der Vierung zu halten,
war es unbedingt nötig, im Unterbau als Widerlager noch ein zweites Joch aus-
zuführen, das dann natürlich zunächst nicht eingewölbt werden konnte (Abb. 5).
Es besteht eine sehr merkwürdige Konkordanz zwischen der tatsächlichen Unter-
brechung im Unterbau und den Erfordernissen, die eine Wölbung der Ostpartien
stellte. Sie muß erklärt werden, und man kann hier nicht recht an einen Zufall
glauben, wenn man sieht, wie sich so eins zum andern fügt, und wie man in wohl-
überlegter Weise die Ausführung zunächst unterbrach, als die neuen Ideen auf-
tauchten.
Es ist heute noch ganz einfach zu konstatieren, in welcher Reihenfolge die Ge-
wölbe im allgemeinen ausgeführt wurden. Man baute zunächst alle, rund um die
Vierung liegenden Gewölbe und nahm diese selbst zuletzt in Angriff, da sie ja
dann erst die geeigneten Widerlager finden konnte. Wir sahen oben, wie die Form
der Vierungsbogen sich nur aus den umliegenden Gewölben erklären läßt, und hier
liegt nun auch der Grund, warum das Gewölbe der Vierung so eingeflickt aussieht
(Abb. 3). Seine Scheidbogenlinien erheben sich unschön über die Vierungsbogen
in hohem Bogen hinaus, und ein flüchtiger Beobachter könnte hieraus schließen,
daß die Gewölbe später zugefügt seien. In Wahrheit liegt es daran, daß die Rippen
der Vierung im Halbkreise konstruiert wurden und die Gurtbogen in ihrer Kurve
bereits den kleineren umliegenden Gewölben angepaßt waren. Den reifen Gotikern
ist derartiges natürlich nicht untergelaufen, wir stehen hier sicherlich noch ganz
unerfahrenen Meistern gegenüber.
Will man sich überzeugen, wie ungeschickt'man im allgemeinen wie im einzelnen
‚verfuhr, so sehe man sich die Wölbung südlich der Vierung an: hier laufen die
Rippen nicht diagonal gerade durch, sondern stoßen ganz unregelmäßig in dem
übrigens gemauerten Schlußsteine zusammen.
Diese Teile werden kaum lange Zeit allein gestanden haben, sehr bald wird man
den Bau im Westen der Vollendung zugeführt haben. Lefevre-Pontalis nimmt —
ohne einen Grund anzugeben — eine Unterbrechung des Baues auf mindestens
зо Jahre an. Mir scheint dies selbst für das Maximum sehr hoch gegriffen —
indessen will ich darauf hier nicht bestehen: Die allgemeinen Bauformen zeigen, daß
man sich dem älteren Teil sehr nahe anschloß, aber kein Detail erlaubt es, das
Datum der Ausführung irgendwie zu präzisieren; alles ist hier Vermutung.
Aber so viel läßt sich immerhin über die Zeitstellung sagen:
Der ältere Unterbau wird von Lefevre-Pontalis zweifelsohne mit Recht dem
Ende des XI. Jahrhunderts zugewiesen. Es heißt, daß im Jahre 1098 der an
mancher Stelle als Gründer bezeichnete „Eudo cum Capello“, „medio in choro“
begraben sei!). Ob damals die Wölbung schon vorhanden war, kann natürlich
nicht behauptet werden, so gerne man sich auch an ein festes Datum klammern
möchte. Auf alle Fälle ist aber mit dem Datum, das man dem jüngeren Unter-
bau zuweist, die äußerste obere Grenze gegeben, und wir haben gesehen, daß der
wahre Zeitpunkt der unteren Grenze mit größter Wahrscheinlichkeit bei weitem
näher liegen muß, so daß ich nicht glaube, unvorsichtig zu sein, wenn ich das
Datum der älteren Wölbungen rund um 1100 ansetze.
(1) Gallia christiana, t. XI, col. 919.
313
2. DIE ABTEIKIRCHE SAINTE TRINITE IN CAEN (Calvados).
Die Baugeschichte dieser hochbedeutenden Kirche!) ist sehr kompliziert, und es
kann hier alles das, was nicht unmittelbar zur Sache gehört, nur in der aller-
knappesten Form angedeutet werden.
Es stammen aus dem XI. Jahrhundert der größte Teil des Unterbaues der ge-
samten Kirche, der noch rein vorliegt im Chor, den Vierungspfeilern und im Schiff
bis zur Höhe der Hauptarkaden, im Querhaus dagegen zum Teil von späteren Er-
gänzungen verdeckt ist. Dieser Bau bot im Grundriß das damals Übliche mit
geringen Abweichungen.
Am Ende des XI. Jahrhunderts erbaute man die heutige Apsis und erneuerte den
oberen Teil des Chores, der mit Gratgewölben gedeckt wurde. Soviel ist sicher
und allgemein anerkannt.
Indes wurden auch Querhaus und Schiff bedeutenden Umbauten unterzogen,
wobei man beide Teile mit Rippengewölben eindeckte. Über die Zeit dieser grund-
legenden Umgestaltungen befindet man sich im allgemeinen sehr im unklaren, man
hat auch nicht in eingehenderer Form den Versuch gemacht, hier zwischen
früherem und späterem zu unterscheiden. Ich glaube die allgemeine Meinung wieder-
zugeben, wenn ich das von Louis Serbat Gesagte anführe, der im Congres Archéologique
von 1908 folgendes darüber mitteilte: „Welcher Zeit gehören die oberen Teile des
Schiffes und seine Wölbungen an? Hier ist ein Problem, daß der Mangel an
Texten zu einem der dunkelsten macht. Wie L. Regnier gesagt hat, können die
Wölbungen der Normandie ebenso gut von 1130 wie 1160 sein.“ Obwohl hier nur von
Wölbungen des Schiffes gesprochen wird, so geht doch aus der ganzen Abhandlung
hervor, daß man im allgemeinen die Rippengewölbe der Kirche einer ziemlich ge-
schlossenen Bauperiode zuweist. In diesem Falle ist dann tatsächlich nichts zu
machen, und wir werden uns auch wahrscheinlich immer vergebens nach auf-
klärenden Texten umsehen.
Es fragt sich nur, ob denn in der Tat alle Wölbungen der Kirche einer Bau-
periode angehören, ob man nicht in der Lage ist, hier zu unterscheiden, um viel-
leicht auf diesem Wege zu neuen Ergebnissen fortzuschreiten.
Es muß hier bemerkt werden, daß die Wölbungen des Schiffes gänzlich modern
sind: sie stammen von den Restaurationsarbeiten unter Leitung von Ruprich-Robert.
Alt sind hingegen die Wölbungen über Querhaus, Vierung und Chor, sodaß man
nur hier hoffen kann, zu sicheren Resultaten zu gelangen. Für diese Bauteile ist
es von großem Werte, daß die seinerzeit von Ruprich-Robert vor der Restauration
gemachten zeichnerischen Aufnahmen leicht zugänglich sind). Wir sind also іп
der Lage, über diesen Punkt wenigstens volle Klarheit zu haben und erfahren dar-
aus — seine Aufzeichnungen’) und. der Baubefund bestätigen es —, daß in diesen
Partien der Kirche alle wesentlichen Neuarbeiten und Ergänzungen sich nur auf
(1) Abbildungen bei Dehio-Bezold, hierhergehörig Taf. 145 und 265. Andere bei Ruprich-Robert,
L’architecture Normande. Endlich im Congres Archéologique, Caen 1908, р. 4. — Im letztgenannten
Werke, wie überhaupt allgemein, wird als Gründungsdatum 1062 nach Ruprich-Robert angegeben. Dies
stützt sich auf keinerlei Quellen. Eine genaue Quellenuntersuchung kommt zu demselben Resultat, das
L. Delisle in seinen Rouleaux des morts, р. 177 andeutete, nämlich 1059 für die Gründung und 1066
für die Weihe des ersten Baues.
(2) Phot. der Commission des Monuments Historiques Nr. 9655 bis 9658. ‚
(3) Ruprich-Robert: L’architecture normande. Von demselben Autor: L'église Sainte-Trinité et l’église
Saint-Etienne á Caen. 1864.
314
die unteren Teile genau bis zum Beginn des oberen Chorgeschosses erstreckten,
so daß gerade die für uns so wichtigen Wölbungen und ihre nächsten Unterlagen
in ihrem historischen Werte keine Beeinträchtigung erfahren haben.
Wir erwähnten oben, daß die unteren Mauern des Chores dem Bau des тт. Jahr-
hunderts angehören, und daß man gegen Ende des Jahrhunderts die Apsis und die
oberen Chorpartien neu auffiihrte. Es lassen sich fast überall die Nähte verfolgen,
man erkennt ohne große Mühe die Fuge im Unterbau des Chores da, wo der neue
Bauteil ansetzte: sie ist im unteren Teile verwischt durch die Restaurationsarbeiten,
im oberen Teile aber noch genau sichtbar, und es scheint, als hätten wir, abge-
sehen von der sicher vorgenommenen Abkratzung, den ursprünglichen Zustand vor
uns. Wir können dann erkennen, wie die obere Partie des Chores und der Apsis
weiterhin gleichzeitig gefördert ist: indem hier die Fugen der Steinlagen horizontal
ganz gleichmäßig von einem Ende bis zum anderen, der normännischen hochent-
wickelten Bautechnik entsprechend, durchlaufen). Man beachte etwa in der Mitte
des Obergeschosses (Abb. 7) zwischen breiteren Steinlagen eine schmälere, etwa
nur halb so breite, die sich durch den ganzen Chor von Ost nach West hindurch-
zieht und sich auch in den gegliederten Pfeilarn, die den Triumphbogen der Apsis
stützen, wiederfindet. Die in gleichem Geiste gehaltene Dekoration, ebenso die
sich hier wie dort wiederholenden Profile der Basen, Kapitelle und Deckplatten
lassen keinen Zweifel an dem Gesagten aufkommen.
Es braucht nicht erst klargelegt zu werden, daß der Gurtbogen, der Chor und
Vierung trennt, auch aus dieser Periode stammt. Es ist möglich, daß seine Unter-
lagen ursprünglich nicht bis zum Boden herabgereicht, sondern, wie die Zeichnungen
angeben?), erst am oberen Chorgeschoß begonnen haben, in etwa gleicher Höhe und
in ähnlicher Art wie heute noch die entsprechenden Bauteile im Westen der Vierung.
Ich war sehr überrascht zu konstatieren, daß die horizontalen Fugen nun nicht
nur die für die Gurtbogen bestimmten Vorlagen, sondern auch noch die diagonal
gestellten Viertelsäulen, die die Rippen der Vierung tragen, ganz gleichmäßig
durchziehen, so daß auch diese Viertelsäulen noch derselben Bauperiode angehören.
Man kann das auf beiden Seiten auf das allergenaueste verfolgen und wird sich
am besten davon überzeugen, wenn man etwa die schmalen Steinlagen verfolgt
(Abb. 6), die den Deckplatten der Kapitelle in den kleinen Bogenstellungen des
Chores entsprechen: sie finden sich nicht nur durchgehend im Chor, sondern gehen
auch auf die Gurtbogenunterlagen und weiter, in gar nicht zu verkennender Form,
auf die Dienste der Vierungsrippen über.
Von Zufall kann hier keine Rede sein; vielmehr ist diese Tatsache wichtig genug,
sie lehrt in ganz unzweideutiger Weise, daß man bereits beim Chorbau daran
dachte, die Vierung in besonders solider Form mit Rippen zu überwölben. Man
darf nicht etwa annehmen, daß diese diagonalgestellten Dienste die Grate von
einem einfachen Kreuzgewölbe aufnehmen sollten; das wäre ein gänzlich unge-
bräuchliches Verfahren. Wie man sich z. B. an den zahlreichen großen Grat-
gewölben, die die verschiedenen Geschosse der Westtürme von S. Etienne in Caen
decken, überzeugen kann, war es durchaus Regel, bei einfachen Gratgewölben die
Vorlagen für die Grate rechtwinkelig und nicht diagonal zu den begrenzenden
Wänden zu stelen’).
(1) Vergleiche hierfür und die Technik überhaupt die Ausführungen bei Ruprich-Robert, L' architecture
normande, passim.
(2) Phot. M. H. 9657. ‚
(3) Bouet, Analyse architecturale de l’abbaye de Saint-Etienne de Caen, 1868.
315
Dieses Rippengewölbe möchte staunen machen, denn man kann fragen, warum
die Vierung anders eingedeckt werden sollte, als der Chor, dem nur Gratgewölbe
zugedacht waren. Wir stehen hier an jener entscheidenden Stelle der Entwicklung,
wo man sich sagte, daß man bei einem so großen Gewölbefeld, wie die Vierung
es darbot, auf außerordentliche Schwierigkeiten bei der Ausführung stoßen würde,
daß ferner diese Stelle des Baues an sich schon eine ganz besondere Sicherheit
verlangte, da die Wände des Vierungsturmes von vornherein auf eine Wölbung
nicht berechnet waren. Man wollte also einen Ausweg finden, der es gestattete,
in der denkbar einfachsten Form die Last des Gewölbes auf die Pfeiler der Vierung
zu übertragen, die ja doch der Verstärkung noch zugänglich waren.
Es ist durchaus nicht das erste Mal, daß derartige Probleme auftauchten, und
auch nicht das erste Mal, daß man ihnen eine Lösung entgegenzustellen wußte.
Es ist allzuwenig bekannt, hier aber von nicht hoch genug einzuschätzender Be-
deutung, daß man bereits seit den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts daran
dachte, bei außergewöhnlich schwierigen Fällen das einfache Gratgewölbe durch
solidere Konstruktionen zu ersetzen. Die beiden unteren Turmgeschosse der Kathe-
drale von Bayeux, die jenem Bau ‘angehören, der 1077 geweiht wurde, zeigen
interessante derartige Versuche, die sehr wohl gelungen sind. Es sind hier im
Nordturm Rippen, eher noch ganz mächtige rechteckige Gurtbogen, nicht diagonal
gestellt, sondern von der Mitte der Begrenzungswände des Gewölbefeldes her ge-
spannt, so daß in der Projektion das Gewölbe in annähernd vier Quadrate geteilt ist!).
Der Fall der Trinite von Caen ist also durchaus nicht ohne Voraussetzungen,
die Probleme lagen in der Normandie schon lange in der Luft.
Man muß hier noch näher die Einzelheiten betrachten, um sich von dem Ge-
sagten zu überzeugen, zumal wir heute noch imstande sind, uns im großen und
ganzen ein Bild von dem Fortschritt der Arbeit zu machen. Nachdem die für die
Rippen bestimmten Dienste etwa то Steinlagen hoch mit dem Obergeschoß des
Chores zugleich gefördert waren, hat man zunächst den Gurtbogen gespannt und
den Chor eingedeckt. Man mag vielleicht zuerst daran gedacht haben, die Rippen
der Vierungswölbung in gleicher Höhe mit dem Profil der Deckplatte unter dem
Gurtbogen ansetzen zu lassen — wird aber bald erkannt haben, daß man dann bei
halbkreisförmiger Führung der Rippen ein Gewölbe mit stark überhöhtem Scheitel
erhalten hatte. Aus diesem Grunde setzte man also die Kämpferpunkte der Rippen
und die Kapitelle, die sie aufnehmen sollten, entsprechend tiefer, so daß nunmehr
die Busung des Gewölbes eine geringfügige werden konnte. Man kann noch heute
an der Hand der sichtbaren Fugen verfolgen, dass die Kapitelle auf beiden Seiten
nachträglich eingesetzt wurden (Abb. 6 und 8). Es entsprach dieses Verfahren
genau der Regel, denn man kann an dem Kapitell unter dem Gurtbogen, der die
beiden Chorwölbungen trennt, genau das Gleiche konstatieren. Man bestimmte die
Kämpferpunkte erst, nachdem die Sargmauern schon höher geführt waren. Aus
diesem, wie wir gesagt haben, „nachträglichen“ Einschieben des Kapitells kann also
nicht etwa auf eine andere Bauperiode geschlossen werden. Es muß betont werden,
daß dies unmöglich ist, denn die dekorativen Formen der Kapitelle stimmen, soweit
sie überhaupt mit solchen versehen sind, genau mit den im Chor verwandten überein.
Es ist dies besonders sichtbar an dem Nordwest-Kapitell der Vierung (Abb. 8 und 9).
Auch kann es sich nicht etwa um ein später wieder verwandtes Stück handeln, denn
es ist genau für seine Stelle gearbeitet, so daß es auch nur hierfür bestimmt
(x) Siehe Plan im Congrés Archéologique von Caen 1908 und Text daselbst р. 147.
316
gewesen sein kann. Wir wollen auch nicht versáumen, darauf hinzuweisen,
daß man sich ebensowenig wie an anderen Stellen gescheut hat, UnregelmáBig-
keiten in der Schichtung der Steinlagen bei späteren Einschiebungen zuzulassen:
die früher als Beweismittel benutzte Fugenkonkordanz ist also zuversichtlich kein
Zufall.
Unsere bisher auf der Ostseite der Vierung gemachten Beobachtungen müssen
sich vollständig ergänzen lassen durch den Baubefund auf der Westseite, sollen sie
wirklich ausschlaggebend sein.
Hier kann man nun die sehr interessante Wahrnehmung machen, daß die Deck-
platten unter dem westlichen Vierungsbogen genau in einer Höhe liegen mit den
Deckplatten der Kapitelle, die die Rippen aufnehmen (Abb. 6, 8 und 9), daß beide
also gleichzeitig entstanden sind und es das Vierungsgewölbe war, das Kämpfer-
punkte und Kurve des Gurtbogens im Westen bestimmte. Und weiter wird man
erkennen, daß diese Profile im Schiff keine Fortsetzung finden, vielmehr die dort
vorhandenen hart gegen den Vierungsbogen stoßen und sich dadurch sofort als
später erweisen. Mit anderen Worten: es kann nicht bezweifelt werden, daß die
Vierungswölbung früher als die Wölbungen des Schiffes und unabhängig von
diesen entstanden ist, wodurch das vorhin Gesagte indirekt bestätigt wird. Man
betrachte noch die Einzelheiten, wie ungeschickt die Rippen des Schiffes gegen den
Vierungsbogen hin sich absetzen, wie man den vorhandenen, überflüssigen Raum
zu verkleben sich bemüht hat; trotz der Restauration kann hier der Zustand niemals
ein anderer gewesen sein.
Man wird dann auch die Bedeutung erkennen, die der Konstruktion als solcher
zukommt, daß nämlich hier in ganz unzweideutiger Weise die halbkreisförmige
Bildung der Rippen die spitzbogige Form des Gurtbogens im Westen erzeugt hat.
In Lessay verfuhr man so, daß man den Gurtbogen unterstelzte, hier ergriff man
jenen Ausweg, der für die Zukunft sich als der glücklichere erweisen sollte.
Brauche ich noch hinzuzufügen, daß das Profil der Rippen aufs deutlichste abweicht
von den sonst in der Trinité verwandten Formen aus späterer Zeit?!)
Mir scheint es wichtig, hier noch vor allem auf einen rein technischen Punkt
hinzuweisen. Man möchte sich vielleicht erstaunt fragen, wie es möglich war,
daß bei einer so verhältnismäßig frühen Wölbung die Rippen so wenig Spuren von
Ungeschick zeigen, während die Wölbungen von S. Etienne am gleichen Orte daran
so reich sind. Dies erklärt sich sehr einfach daraus, daß der Architekt hier, genau
betrachtet, einen leichten Fall vor sich hatte, da er den Kämpferpunkt der Rippen
frei bestimmen konnte. Wäre er gezwungen gewesen, den Kämpferpunkt höher an-
zusetzen, und hätte er gleichzeitig einen geraden Scheitel erreichen müssen — der
Fall von $. Etienne —, so wäre seine Wölbung vermutlich nicht so gut ausgefallen.
Es waren verhältnismäßig einfache Umstände, unter denen er ans Werk ging.
Man braucht nur die ungeschickte Ausführung in den Querhäusern zu vergleichen
— Wölbungen, die mit denen des Schiffes zwar sehr verwandt, aber etwas früher,
und in der ganzen Haltung des dekorativen Beiwerks sicher später sind als Chor
und Vierung —, um zu erkennen, daß an sich die geschicktere oder ungeschicktere
Ausführung kein Maßstab der historischen Entwicklung sein kann. Es kommt
(x) Zu meinem Bedauern muß ich hier anmerken, daß die Angaben über die Profile der Rippen in
dem sonst so ausgezeichneten Congrés Archéologique von 1908 sehr viel zu wünschen übrig lassen.
Einmal ist die Zeichnung auf p. 29 für die von S. Etienne ganz verkehrt, weiterhin ist es unrichtig,
daß die Profile der Rippen im Querhaus der Trinité die gleichen sind wie im Schiff (ebenda р. 11).
317
ж” TS Ч VERA РЫН: Р
immer vor allem darauf an, die Umstände in Betracht zu ziehen, unter denen die
einzelnen Architekten ans Werk gehen konnten.
Diese baugeschichtlichen Tatsachen gestatten es, der Vierungswölbung ihren be-
sonderen Platz im Bauwerk anzuweisen. Sie ist früher entstanden als die übrigen
Gewölbe des Querhauses und die des Schiffes und in direktem Anschluß an den
Bau der noch rippenlosen Kreuzgewölbe im Chor. In welche Zeit nun die Chor-
umbauten zu setzen sind, kann nicht zweifelhaft sein und ist oben auch schon an-
gedeutet worden. Manche Profile — besonders an den Fensterbogen — stimmen
noch auffallend überein mit denen von S. Nicolas in Caen, ja noch mit denen der
Westtürme von S. Etienne, es findet sich auch noch nirgends das Pfeifenkapitell
(chapiteau a godrons): so sind denn auch alle Forscher übereingekommen, diese
Arbeiten dem Ende des тт. Jahrhunderts zuzuweisen, so daß unsere Wölbung, wie
die von Lessay, sich rund um das Jahr rroo ansetzen läßt.
Auf die übrigen, hochinteressanten frühen Rippengewölbe der Normandie kann
ich hier natürlich aus naheliegenden Gründen im einzelnen nicht eingehen. Es
soll das an anderer Stelle einmal ausführlicher behandelt werden; nur soviel wird
man mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem oben Ausgeführten schließen können:
die Frage, ob die frühen Gewölbe der Normandie um 1130 oder um 1160 ent-
standen sind, muß entschieden dahin beantwortet werden, daß nur die Zeit um
1130 und eher eine noch frühere Periode in Betracht kommen kann. Es muß da
vor allem betont werden, daß es sonst geradezu unmöglich wäre, eine normänni-
sche Baugeschichte überhaupt zu schreiben, denn zwischen den Bauten des 11. Jahr-
hunderts und denen um 1160 Кае dann eine Lücke von mehr als einem halben
Jahrhundert, die schlechterdings mit nichts ausgefüllt werden könnte. Man müßte
es auch als eine höchst merkwürdige Tatsache bezeichnen, wenn ein in baukünst-
lerischer Hinsicht so außerordentlich veranlagtes und so selbständiges Volk wie
das normännische, Wünsche, die es um 1050 nach allgemeinster Monumentalität
äußerte (das Schiff von Jumieges stammt von 1054), und Probleme, die ihm 25 Jahre
später (1077 Bayeux) aktuell wurden, erst nach mehr als тоо Jahren in einer nur
einigermaßen brauchbaren Lösung erfüllt gesehen hätte.
Diese Gründe wollen erwogen werden, soll ein wirklich klares Bild der Entwick-
lung entstehen. Wie dies zu denken ist, kann ich nur andeuten: sollte es aus-
geführt werden, so dürften natürlich nicht nur Konstruktionsprinzipien in den
Vordergrund gerückt werden, um die es sich ja hier zunächst nur handelt.
Ferner muß ich zur Unterstützung des oben Gesagten erwähnen, daß uns aus der
ersten Frühzeit zum Glück noch ein festes Datum überliefert ist; wir wissen näm-
lich, daß die Kathedrale von Evreux’) kurz nach dem Brande von 1119 neu erbaut
wurde, und es ist äußerst wahrscheinlich, daß bei diesem Bau die Gewölbe mit
Rippen versehen wurden. Sie selbst sind uns nicht erhalten, aber der Plan der
Pfeiler aus dieser Bauzeit ist so charakteristisch darauf angelegt, daß man zu dieser
Annahme gezwungen wird. Es sind diagonal gestellte Dienste vorhanden und
solche fanden vor Erfindung der Rippen keinerlei Verwendung.
Leider können bekanntlich für die übrigen Bauten feste Daten nicht gegeben
werden, aber es läßt sich doch wenigstens feststellen, welches die Stufenfolge
(x) Abbildungen von Evreux siehe bei Fossey, Monographie de la cathedrale d’Evreux.
318
war und welches somit das relative Datum der einzelnen Gewölbe ist. Das ist
aber wertvoll genug.
Mit den Ausführungen über Lessay und die Trinité zu Caen glaube ich dem,
was wir von Durham und Evreux wissen, eine breitere Basis und eine neue Grund-
lage gegeben zu haben, wonach der Anfang der Entwicklung um das Jahr ттоо
angesetzt werden muß. Um diese Zeit erscheinen aus eigner normännischer Kraft
heraus die ersten zukunftskräftigen Beispiele eines neuen Gewölbesystems. Zu den
ersten, noch erhaltenen großen Anwendungen dieser überraschend fruchtbaren Er-
findung müssen zweifelsohne die großen daraufbezüglichen Umbauten von S. Etienne
und S. Trinité in Caen gerechnet werden, welche sich wohl bis ins dritte Jahr-
zehnt hinein ausgedehnt haben werden. Es folgen dann etwa in den nächsten
dreißig Jahren Bauten wie Bernieres s. Mer und die verwandten Anlagen in der
großen Ebene von Caen. Erst nach 1160 möchten Gewölbe anzusetzen sein, wie
die von Fontaine-Henri oder Pontorson, womit wir uns bereits der Zeit nähern, in
der der Einfluß der Ile de France sich geltend zu machen beginnt.
Von diesen Wechselbeziehungen soll hier absichtlich nicht die Rede sein, es
müßte dazu auf ganz anderen, weitreichenderen Fundamenten aufgebaut werden.
Ich möchte nur zu bedenken geben, daß man wohl von simultaner Entstehung
geistiger Strömungen und künstlerischer Anschauungen allenfalls noch wird reden
können, daß es mich aber im höchsten Grade unwahrscheinlich dünkt, ein Kon-
struktionsprinzip, also eine ganz besondere und abgegrenzte historische Erscheinung,
könne aus zweierlei ganz und gar gesonderten Quellen seinen Ursprung nehmen,
zumal nach allem, was wir wissen, ein zeitlicher und qualitativer Vorsprung der
normännischen Schule im allgemeinen angenommen werden muß!).
Für uns ist es hier wichtiger, von den normännischen Wölbungen noch nach
anderer Richtung hin im Zusammenhang zu sprechen. Der Versuch muß gemacht
werden, gewisse Grundfragen der Entwicklung an der Hand der normännischen
Gewölbe darzulegen. Erst wenn man weiß, welche Ursachen die neuen Kon-
struktionsprinzipien entstehen ließen und wie die gewonnenen Resultate sich im
Lande weiter verbreiteten, kann man mit Hoffnung auf Erfolg sich im einzelnen
umsehen.
Zunächst muß ich besonders an die Theorien von Bilson erinnern?). Er hat
versucht, die historische Aufeinanderfolge in der Entwicklung des Rippengewölbes
systematisch zu begründen. Dabei stellt er zwei klar sich unterscheidende Etap-
pen auf, bei denen das gegenseitige Verhältnis von Rippen und Gurtbogen die
Grundmerkmale abgibt. Er nimmt an, man hätte zunächst die Rippen in derselben
Weise behandelt wie die Grate in den früheren rippenlosen Gewölben, sodaß die
Rippen in ihrer Kurve von dem reinen Halbkreise der Gurtbogen bestimmt wurden.
Dann seien auf der nächsten Stufe der Entwicklung die Rippen, die jetzt im reinen
Halbkreise konstruiert wurden, der maßgebende Faktor und nach ihnen sei die
Kurve der Gurtbogen entwickelt worden.
(1) Vergleiche den Artikel von Lefevre-Pontalis im Bulletin Monumental 1906: Les influences nor-
mandes dans le nord de la France. Die Frage der sehr vereinzelten siidfranzósischen Rippengewólbe
ist noch höchst ungeklärt, doch sind sie keinesfalls früher als die nordfranzósischen. Ebenso sind die
lombardischen Rippengewólbe nicht genügend untersucht. Sicher verdanken die Franzosen dieser
Bauschule nichts Wesentliches. Auch beruht die italienische Gotik nicht auf einer Weiterbildung des
Lombardischen, sondern einer Umbildung der nordischen Gotik.
(2) Dargestellt gelegentlich der Diskussion Brutails und Lefevre-Pontalis úber Morienval im Bulletin
Monumental 1908.
319
Die mehr andeutende als ausfiihrende Art Bilsons macht es nicht ganz klar, ob
er ein fiir allemal diese Aufstellung als wirkliches Kriterium fiir die Datierung be-
nutzen will. So geistreich das System ist, wird man doch einwenden müssen, daß
es nur als reine Theorie Geltung beanspruchen kann, da nicht einmal alle Bauten
der Normandie historisch einbezogen werden können.
Wir finden z. B. in Lessay!) und in dem besprochenen Gewölbe der Trinite
in Caen den zweiten Typus, während die, auch nach Bilson, ganz sicher späteren
Gewölbe іп S. Gabriel und Creully dem Typus I angehören. Man sieht, daß be-
reits in diesen Fällen das System versagen wiirde?).
Noch bedenklicher wird die Sache, wenn man hinzuzieht, daß von Bilson über-
haupt zwei sehr wichtige Faktoren, die die Konstruktion der Gewölbe beeinflußten,
unberücksichtigt geblieben sind. Er hat nämlich angenommen, es handle sich immer
um Gewölbe mit geradem Scheitel oder solche, deren Busung nur geringfügig ist.
Zunächst ist die geringfügige Busung ein sehr dehnbarer Begriff, und dann ist es
feststehend, daß eine große Anzahl von Gewölben eine starke Busung aufweisen,
wie z. B. die Schiffsgewölbe der Trinité, und es überhaupt in der Frühzeit bunt
wechselt zwischen Gewölben mit geradem und solchen mit erhöhtem Scheitel.
Ich nenne als Beispiel die zeitlich kaum sonderlich entfernten Gewölbe von Bernieres
s. Mer und S. Gabriel, von denen ersteres einen ziemlich stark gebusten, letzteres
einen ganz geraden Scheitel hat. Ferner ist nicht bedacht worden, daß es dem
Erbauer in manchen Fällen freistand, den Kämpferpunkt der Rippen tiefer hinab-
zusetzen als den der Gurtbogen, wie wir es tatsächlich in der Trinite zu Caen
sahen, und wie es bekanntlich auch im südlichen Turmgewölbe von S. Denis vor-
kommt. Alle diese Momente müssen uns zu einer vorsichtigen Haltung gegenüber
diesem System veranlassen: sein Wert liegt mehr im Begreifen des historischen
Vorganges im großen, als in der Aufstellung eines prinzipiellen Kriteriums.
Auch in folgendem soll nur von solchen reinen Erkenntnissen gesprochen werden.
Wir wollen von der Tatsache ausgehen, daß nur ganz wenige Gratgewölbe im
Hochschiff erhalten sind und daß man mit größter Wahrscheinlichkeit — gleich-
gültig, ob man meine oben erwähnten Daten anerkennen will oder nicht — erklären
kann: es hat vor der Anwendung von Rippengewölben in Nordfrankreich überhaupt kein
allgemein aufgenommenes Wölbungssystem für das Mittelschiff gegeben. Wenn auch
sehr wichtige Bauten sich nicht erhalten haben, wie das Kloster Le Bec, über das
wir ausgezeichnet unterrichtet sind, so zählen zu den auf uns gekommenen Bauten
trotzdem solche von allerbedeutendstem Range, die keinesfalls hinter den Anforde-
rungen ihrer Zeit zurückstanden. Alle diese bestätigen nur, daß vor der Anwendung
von Rippen das eigentliche Mittelschiff nicht eingewölbt wurde, Was an Hoch-
schiffsgratgewölben da ist, erstreckt sich stets nur auf die ein oder zwei Joche des
Chores, wie es Domfront, S. Nicolas in Caen, Boscherville und die Trinité in Caen
zeigen. Obwohl nun die großen, vorbildlichen Abteikirchen des тт. Jahrhunderts —
Jumieges, S. Etienne in Caen — in allen Hochschiffsteilen nur flach gedeckt und
sicher auch nur in dieser Absicht erbaut waren’), so kann man doch aus der
(1) Bilson gibt hier an, daß die Wólbungen dem Typus I angehören. Fraglos gehört jedoch die
Vierungswölbung dem Typus П an, und ebenso die übrigen der älteren Periode.
(2) Nicht zu vergessen ist, daß nun einmal historische Erscheinungen niemals in typischer Reinheit
auftreten, sondern stets mehr oder minder ein Ausgleich eintritt, derart, daß im gleichen Gewölbefeld
sowohl die Gurtbogen etwas gestelzt wie auch die Rippen als gekürzte Halbkreise konstruiert worden sind.
(3) Cf. Die interessanten Ausführungen von Martin du Gard in seiner Monographie über Jumieges.
Anders äußerte sich noch Dehio.
320
Tatsache, daß überall da die Wölbung eingeführt wurde, wo es nur irgend die
Mittel erlaubten: in Seitenschiffen, Tribünen, Nebenchören und Türmen, mit Sicher-
heit schließen, wie sehr der baukünstlerische Wille der Zeit auf diese Probleme
in allgemeinster Weise eingestellt war, und nach deren endlicher Lösung — der
vollen Einwölbung — drängte. Die weitere Entwicklung lehrt uns gleichfalls, daß die
Erfindung der Rippengewölbe so gut wie ausschließlich im Hinblick auf die Hoch-
schiffsgewölbe erfolgte, da infolgedessen auch zuerst entwickelt und nachher auf
die Seitenschiffe übertragen wurde.
Wir sehen nämlich in zahlreichen Fällen die Rippengewölbe nur für das Hoch-
schiff angewandt und im Seitenschiff das alte Verfahren der Gratgewölbe beibe-
halten*). Ich nenne als Beispiele S. Gabriel, Creully und Lessay. Dieser Finger-
zeig, den die Geschichte uns bietet, ist wertvoll, obwohl auch andere Fälle vorkommen
wie Bernieres s. Mer und Ouistreham, wo die Seitenschiffe auch Rippen zeigen,
so gibt es doch in der Normandie keinen Fall, wo nur die Seitenschiffe mit Rippen-
gewölben versehen wurden. Darin ist noch klar gezeigt, was die eigentliche
Triebfeder für die Umgestaltung der Konstruktionsprinzipien darstellte. Im allge-
meinen ist der Glaube verbreitet, daß zunächst in den Seitenschiffen und über
kleinen Feldern Rippengewölbe gemacht und dann das hier Erprobte auf das
Mittelschiff übertragen sei. Erstens ist eine derartige Entwicklung nicht zu be-
weisen, und zweitens wäre sie geradezu unverständlich, denn es entsteht nichts
Neues, wo kein Bedürfnis vorliegt. Zu bloßen Experimenten aber — sie liegen
an sich außerhalb der Möglichkeiten des Mittelalters — wird man keine Bauten
benutzt haben, die dauernd stehen sollten °).
Eine zweite nicht minder wichtige Frage scheint mir gleichfalls dringend einer
erneuten Untersuchung zu bedürfen. Waren es die großen oder die kleinen Bauten,
die Centren der mittelalterlichen Kultur oder die kleinen ländlichen Gemeinden, die
die neue Bewegung einleiteten? Ich sagte oben, daß, ganz abgesehen von festen
Daten, doch die relative Aufeinanderfolge innerhalb der normännischen Entwicklung
feststehe: hier sind es unzweifelhaft die großen weltberühmten Abteien von Caen
und so bedeutende Gebäude wie die Klosterkirche von Lessay, die das neue Prinzip
zuerst übten, und erst nach ihnen ist es von den kleineren Kirchen wie Ouistre-
ham, Berniéres s. Mer, Creully und S. Gabriel, angewandt worden. So einfach
diese Tatsache auch scheinen mag, so ist es doch wichtig, sie zu betonen, denn
nach den bisher vorgetragenen Theorien wären die neuen konstruktiven Errungen-
schaften in kleinen Landkirchen (Auvillers, Rhuis) oder abgelegenen Klöstern
(Morienval) gemacht worden, und erst dann hätte man nach hier wohlgelungenen
Versuchen das neue Verfahren an den großen Abteikirchen und Kathedralen ange-
wandt.
Ich brauche nicht erst lange auseinanderzusetzen, daß hierfür ein strenger histo-
rischer Beweis keineswegs erbracht worden ist.
Man weiß vielmehr aus den Schriften Sugers*), daß der Bau von S. Denis von
(1) Auch im deutschen „Übergangsstil“ häufig zu finden, z.B. im Dom zu Worms, Dom zu Limburg a/L.
und Pfarrkirche zu Andernach.
(2) Was indessen im Mittelalter sehr wohl vorkommt, sind Verbesserungen eines einmal angenommenen
Bauplans, man geht selbst soweit, daß von Joch zu Joch Veränderungen gemacht werden, wie man
es am Dom zu Worms an den Hochschiffswänden der Südseite leicht konstatieren kann. Das kommt
zwar Versuchen sehr nahe, hat aber doch andere Voraussetzungen.
(3) Siehe den Artikel von Anthyme 8. Paul in dem Bulletin Archéologique von 18до über Suger
und S. Denis.
321
langer Hand vorbereitet war und das Jahr 1140 den Abschluß der Turmarbeiten
bezeichnet, die Planlegung aber und der Anfang des Werkes bedeutend früher an-
zusetzen sind. Unter diesen Umständen wird man mit vollständig beruhigender
Sicherheit kein einziges Bauwerk der Ile de France vor den erwähnten Teilen von
S. Denis ansetzen können, und in Betracht kämen allenfalls nur S. Etienne in Beau-
vais, Poissy und Morienval. Die ganze übrige Masse der primitiven Bauten des
Übergangsstiles steht erst hinter S. Denis. Von der großen Menge der Kirchen,
die Lefevre-Pontalis in seinem so hervorragenden Werke über die architecture
religieuse dans l’ancien diocése de Soissons zusammentrug, käme nur das genannte
Morienval in Betracht. (Rippengewölbe wie die von Rhuis sind in ihrer Zeitstellung
gänzlich unbestimmbar.) Und mit welcher Vorsicht man nur von Morienval sprechen
darf, geht allein schon aus der Tatsache hervor, daß Lefevre-Pontalis selbst im
Laufe seiner Schriften nach und nach sich genötigt sah, das Datum der genannten
Kirche 20 bis 30 Jahre später als zuerst anzunehmen. In der Normandie liegt die
Entwicklung als solche klar vor Augen, und wenn man diesen allein beweisbaren
Sachverhalt mit Aufmerksamkeit betrachtet, gibt er keinerlei Veranlassung, mit der
am nächsten liegenden Annahme zu brechen, daß die großen Bauten es waren, die
den neuen Weg wiesen.
Sieht man noch die weitere Entwicklung der normännischen Baugeschichte an,
so erfahren unsere Ausführungen eine wünschenswerte Ergänzung. Es gibt näm-
lich kaum eine gotische Schule diesseits der Alpen, die in so hohem Maße ihre
Originalität und nimmerruhende Erfindungsgabe, im Zusammenhang mit dem allge-
meinen von der Ile de France ausgehenden Strome, bewahrt hat, wie gerade die
normännische. Ich sagte Schule und muß gleich wieder einschränken, daß gerade
das eigentlich Schulmäßige im Sinne des allgemeinen gotischen Stiles ihr voll-
kommen fremd ist.
Niemals weisen die einzelnen Anordnungen jenen besonderen Grad der regel-
mäßigen Wiederholung zwischen Bau und Bau auf, der es gestattete, die normän-
nische Gotik mit ein paar Strichen kurz zu charakterisieren. Es würde besondere
Anstrengungen erfordern, diese Vielheit im einzelnen auf jenen starken und ganz
einheitlichen psychischen Urgrund zurückzuführen, der den Bauwerken im ganzen
eigen ist!). Es erklärt sich das daraus, daß die schon früh selbständig gelegte
künstlerische Grundanschauung stark und eigenwillig genug war, um auch noch in
späterer Zeit, trotz mancherlei fremder Einflüsse, immer neue Variationen zu
liefern. Ich erinnere nur an jenes besondere Charakteristikum der normännischen
Schule, die innere Galerie dicht unterhalb der Wölbungen, ein Motiv, das unend-
liche Umgestaltungen erfahren hat: von den einfachen Anfängen eines schmuck-
losen Laufganges, wie ihn der erste Bau von S. Etienne zu Caen bot, zu der kom-
plizierteren Erscheinung in der Trinité am gleichen Ort, weiter zu Coutances und
endlich zu einer so grandiosen Leistung, wie sie die Kathedrale von Bayeux dar-
stellt. Auch noch auf Einzeines möchte ich die Aufmerksamkeit lenken: man wird
schon in den frühen Bauten die Vorliebe für ganz ungebrochen aufsteigende Dienste
finden wie 2. В. im Querhaus der Trinité, und kann dasselbe in fast identischer
Form in der Kathedrale von Coutances wieder bemerken.
(т) Die nur allzukurze Behandlung dieses Gebietes bei Dehio-Bezold, Band II, р. 168 kann auch nicht
im entferntesten eine Ahnung geben von dem hier vorhandenen Reichtum. Wie Lefevre-Pontalis
‚wiederholt gesagt hat, wäre der Wissenschaft nichts nützlicher, als eine Abhandlung über die gotischen
Bauschulen.
322
Diese Angaben werden genügen, darauf hinzuweisen, in wie hohem Maße die
normännische Gotik in den heimischen Grundlagen der ersten Frühzeit wurzelt.
Zum Schluß möchte ich bemerken, daß meine Ausführungen nicht etwa den
Sinn haben sollten, zu beweisen, die Gotik sei in der Normandie entstanden.
Hier sind nur gewisse hochbedeutende Einzelprinzipien entwickelt worden, wie,
allerdings in weit geringerem Maße, auch von andern Provinzen Frankreichs, aber
der Пе de France blieb es doch vorbehalten endgültig den weltgeschichtlichen
Stil zu bilden.
323
EIN UNBEKANNTES GEMALDE DES
HENDRICK GOLTZIUS.
Mit einer Abbildung auf einer Tafel.
Die Gemälde des als Stecher so bewunderten
Hendrick Goltzius sind selten und wenig beliebt,
wenn sie auch fúr die in Haarlem zu Beginn des
ХУП. Jahrhunderts herrschende Kunstrichtung recht
charakteristisch bleiben. Nach van Mander begann
Goltzius erst seit dem Jahre 1600 zu malen, also
zu einer Zeit, da seine italienischen Reisen schon
weiter zuriicklagen und der Kiinstler als Stecher
„der sechs Meisterstücke“ längst berühmt war.
Die wenigen Gemälde, die er während der letzten
16 Jahre seiner Tätigkeit malte, befinden sich heute
hauptsächlich in den Museen zu Amsterdam,
Utrecht, Haarlem, Haag und Rotterdam. Der Ver-
bleib einiger Gemälde, die bei van Mander be-
schrieben werden, ist unbekannt. Das hier ab-
gebildete Werk, das den Haarlemer Meister von
seiner besten Seite zeigt, wird an entlegener Stelle,
in der Marienkirche zu Ülzen (Prov. Hannover)
als Werk des Correggio aufbewahrt. Ein dornen-
gekrönter Christus mit den Passionsgeräten, am
Fuße der Martersäule sitzend. Schon der erste
Blick zeigt, daß wir das Werk eines Niederländers
vor uns haben. Und wenn man genauer hinsieht,
findet man an der Plinthe der Säule auch die
Signatur: das bekannte Monogramm H. G. des
Hendrick Goltzius, wie es auf den meisten seiner
Gemälde erscheint, und die Jahreszahl 1616. Das
Werk ist also die späteste Arbeit des Meisters,
aus seinem letzten Lebensjahre, demselben Jahre,
ale Frans Hals sein erstes Schützenstück malte.
Goltzius erscheint in dieser Einzelfigur weniger
manieriert als wenn er mythologische Szenen
malt. Die Komposition ist außerordentlich virtuos.
Mancher Michelangelonachahmer bleibt dahinter
zurück. In einem über Eck gestellten Quadrat ein
zusammengekauerter Akt derart, daß das Quadrat
vollkommen gefüllt wird und der vorgeschobene
rechte, stark verkürzte Fuß in die unterste Ecke
zu liegen kommt. Dazu eine prachtvolle Zeichnung,
eine feine keineswegs übertriebene Modellierung
und ein warm bräunlicher Fleischton, der sich von
dem sonst üblichen unangenehmen Rot fernhält.
Kein Niederländer hat je so viel an der sixtinischen
Decke gelernt wie Hendrick Goltzius in dieser
Christusfigur. Eine ältere Behandlung des gleichen
Themas erwähnt van Mander: „Goltzius heeft oock
noch gheschildert op een coperen plaet eenen
sittenden Christus meest naeckt, met twee knielende
324
Engele, met brandede Toortsen,en eenighe reetschap
der Passie, dat oock seer uytnemende was, en is
by den Graef van der Lip, oft den Keyser.“ Ein
drittes Gemälde mit dem dornengekrönten Christus,
1607 gemalt, besitzt das Museum Kunstliefde in
Utrecht. Das Ülzener Bild, das die Kunstrichtung
der Haarlemer Akademie am besten repräsentiert,
soll sich ehemals im Besitz der Mecklenburger
Herzöge befunden haben. Hans Jantzen.
DIE DEUTUNG VON GRECOS
DISCHE LIEBE“.
Mit einer Abbildung auf einer Tafel.
Das hier abgebildete Gemälde Grecos ist bisher
ohne Grund unter dem Namen ,,irdische Liebe“
(„amor profano“) bekannt gewesen. М. В. Cossio
hat zuerst an die Möglichkeit gedacht, es könne
sich um die Illustrierung irgend einer Auferstehungs-
szene aus der Apokalypse handeln!). Allein er ist
über die Andeutung nicht hinausgekommen. Es
ist пип kein Zweifel, daß Greco die „Eröffnung
des V. Siegels“ hat darstellen wollen, ein Thema,
das Dürer zusammen mit der „Eröffnung des
VI. Siegels“, dem „Sternenfall“, in seinem Holz-
schnitt gegeben hat. Aber weil das Motiv des
V. Siegels nur mehr nebenbei erscheint, ist es
nicht recht beachtet worden. In dem obersten
Teil des Blattes liegen die entscheidenden Züge
zum Greifen bereit, die Dürer in der Offenbarung
des Johannes Kap. VI, 0—12 gefunden hat. Man
braucht nicht darauf zu schwören, daß Greco Dürers
Blatt sah und benutzte; aber mehr als wahrschein-
lich ist doch diese Annahme. Das wäre dann der
zweite Fall, daß der große Spanier bei dem großen
Deutschen eine Anleihe machte (vgl. Trinität-Prado).
Mit Zuhilfenahme des Holzschnittes und der Apo-
kalypse wird der Sinn der sog. „irdischen Liebe“
vollkommen klargestellt.
Die geistvolle, wahnsinnige Kriefigur mit den
hochstrebenden Armen, die die ganze linke Bild-
seite füllt, ist der Apokalyptiker Johannes in seiner
Vision. Im Gegensatz zu Dürer fehlt das Motiv
des Altares, aber die Vordergrundfiguren reden
eine leicht verständliche Sprache. Die beiden ein-
ander gegenüber Knienden mit hochgenommenen
Händen sind „die Seelen derer, die erwürget waren
um des Wortes Gottes willen“ (V. 9), die „schrieen
mit großer Stimme“ (V. 10), und die rechte Eck-
figur mit dem stark verkürzten Gesicht erzählt im
„IR-
(1) М. B. Cossio: „El Greco.“. Madrid 1908, pag. 355, Taf. 66.
Verein mit den zwei Engeln den 11. Vers: „und
ihnen wurde gegeben einem jeglichen ein weißes
Kleid.“ Die Putten werden im nächsten Augen-
blick den im Halbkreis stehenden nackten, männ-
lichen und weiblichen Gestalten erscheinen. Diese
sind so phantastisch gedacht, daß man zunächst
meinen könnte, Geister trieben da ihr Spiel!
So ist die Idee von der verfolgten Gemeinde
Jesu, die ihr Leben opfern mußte, durch den
Pinsel festgehalten und angedeutet, daß die Zeit
der himmlischen Erhöhung Christi zunächst nicht
Friede, Freude und Herrlichkeit bringe, sondern
Tod, Not und Leid. Die sieben Märtyrer im Bilde
sollen noch: „ruhen eine kleine Zeit, bis daß voll-
ends dazu kämen ihre Mitknechte und Brüder.“
Die Komposition ist traumhaft-visionär. In einem
Augenblick gesteigerter Empfänglichkeit hat Greco
dieses Phänomen geschaut. Rasch ward es ver-
schwunden. „Es war einmal“, und seine Seele
durchzuckte die Empfindung von etwas Unerhörtem.
Man möchte gern Greco bei seiner Arbeit gesehen
haben. Wie mag sein Pinsel leidenschaftlich er-
regt über die Leinwand hingehuscht sein! Die
ganze meisterhafte Verve seines Pinsels tritt in
die Erscheinung. Mit ein paar Licht- und Farben-
flecken umgreift er seine ganze Vorstellungswelt.
Die Helligkeiten sind aus den Dunkelheiten her-
aus entwickelt. Die letzte Grenze seines über-
treibenden Spätstiles, seiner lichtvisionären Malerei
ist erreicht. Ein darüber Hinaus scheint überhaupt
nicht erstrebt werden zu dürfen. Es ist nicht zu
vergessen, der Mystiker Greco hat eine urchrist-
liche Vision auf die Leinwand gezaubert. Zu ihrer
Darstellung hat er jener außergewöhnlichen Mittel
bedurft, die seinen Spätstil konstituieren.
Alles lebt und lärmt im Bilde. Das dreieckige
Gewandstück des Johannes kriecht einem Lebe-
wesen gleich über den kalten, kastilischen Granit-
boden dahin, die Stellung der fünf Figuren im
Halbkreis vorbereitend. Die stürmischen Wolken
— es sind die Wolken des „jüngsten Tages“ —
umbrausen die schwere Gewandung, „la inmensa
y pesada tela“, die wie von Geisterhand gehalten
den Mittelgrund vom Hintergrund absperrt.
So hat noch keiner vor und nach Greco das
Apokalyptische mit geisterhaft-zitternden Händen
gepackt. Das Bild ist ein klassisches Beispiel für
Grecos schöpferische Erfindungskraft, um die ihn
Velasquez beneidete. Es wird nach dem „Laokoon“
entstanden sein, sagen wir, um eine runde Zahl
zu nennen, um 1610, also vier Jahre vor Grecos
Tod. Hugo Kehrer.
Monatshefte für Kunstwissenschbaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 7
CONRAD FABER, der Meister der
Holzhausen-Bildnisse.
In meinem Aufsatz über Martin Heß (Repertorium
für Kunstwissenschaft XXXI, 1908, 8. 443), in
dem ich die Werke des Meisters der Holzhausen-
Bildnisse zusammenstellte, schlug ich vor, dem
Künstler, um eine (schon vorgekommene) Ver-
wechslung mit dem Meister des Holzhausen-Bild-
nisses, dem Frankfurter Dürerschüler zu vermeiden,
nach einer vermutlich so zu lesenden Signatur
den Monogrammisten C.v.C. zu nennen. Im An-
schluß daran wies Heinz Braune (Monatshefte
für Kunstwissenschaft II, 1909, 8.582) darauf hin,
daß in der von Gwinner zusammengestellten Liste
der Frankfurter Künstler ein Conrad (Faber) von
Creuznach figuriere, der vielleicht mit dem Meister
C.v.C. identisch sein könne. Karl Simon hat dann
(Monatshefte IV, 1911, S. 127 f.) zusammengestellt,
was wir aus den Urkunden über diesen Conrad
von Creuznach wissen, daß er 1538 (nicht 1537,
wie Gwinner meinte) durch Heirat das Frankfurter
Bürgerrecht erlangt habe und daß er mit Patrizier-
geschlechtern in Beziehung gestanden sein muß.
Braunes hypothetische Identifizierung hält er für
einleuchtend, aber nicht zwingend und glaubt dar-
auf als auf eine entgegenstehende Schwierigkeit
hinweisen zu müssen, daß der Name stets in der
Form Conrad Faber, nie in der zu erwartenden
Conrad von Creuznach in den Urkunden erscheint.
Ich glaube jetzt in der Lage zu sein, noch auf
andrem Wege wahrscheinlich zu machen, daß der
Meister der Holzhausen- Bildnisse, der Monogrammist
C. v. C., wirklich Conrad Faber ist.
Von Conrad Faber kannten wir bisher schon
eine sichere Arbeit: er hat 1552 die denkwúrdige
Belagerung Frankfurts im Schmalkaldischen Krieg
in einem großen gezeichneten Stadtplan festge-
halten, der nach seinem Tode 1553 von Hans Grav
in Holz geschnitten und von Christ. Egenolff ge-
druckt worden ist (vgl. Gwinner, Kunst und Kúnst-
ler in Frankfurt, Frankfurt 1862, S. 68 ff. und
Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeich-
nungen der Reformationszeit, hrg. von Dr. R. Jung,
Frankfurt 1888, Quellen zur Frankfurter Geschichte,
Band 2, 8.518). Nun befindet sich unter den
Porträts, die der Meister C. v. C. von Mitgliedern
der Familie Holzhausen gemalt hat, und die z. Z.
mit den andern Gemälden aus Holzhausenschem
Familienbesitz leihweise dem Frankfurter Städel-
schen Institut übergeben worden sind, ein Doppel-
porträt, das Justinian von Holzhausen (1502—1553)
mit seiner Gattin Anna von Fürstenberg (1510 bis
1573) darstellt. Im Hintergrunde des Bildes, in der
23 325
Landschaft, auf die der Ausblick sich öffnet, sehen
wir eine Stadt dargestellt mit hohen Türmen und
einem Festungsgürtel, von einem Strome durch-
zogen; die charakteristische Pyramide des Dom-
turmes, der die Stadt überragt, das breite Band
des Flusses, der sie durchzieht, ferner die alte
Kirche links im Vordergrunde, die in ihrer Lage
wie in ihrer Gestalt die älteste Form der Seck-
bacher Kirche wiedergibt und schließlich das Holz-
hausensche Besitztum, die Oede, die zwischen dem
Arm des Mannes und dem Fensterpfeiler sichtbar
wird, lassen uns keinen Zweifel daran, daß die
Stadt Frankfurt hier dem Maler zum Vorbild ge-
dient hat, etwa in der Ansicht, die sie von Norden,
vom Lohrberg aus bietet. Dieses Frankfurt aber, wie
der Maler es hier dargestellt hat, ist kein anderes
als das umlagerte Frankfurt des Faberschen Be-
lagerungsplanes; wir sehen die Zeite eines Kriegs-
heeres vor den Toren, die Kanonen auf den
Wällen blitzen, feindliche Heerhaufen rücken an,
alles genau wie auf jenem Plane. Auf dem Bilde
erscheint sogar die Oede in genau derselben Grup-
pierung der beiden Baugruppen, wie auf dem Plan,
obwohl auf dem Belagerungsplan die allgemeine
Orientierung von Süden her, auf dem Gemälde von
Norden her genommen ist. Wenn man das be-
lagerte Frankfurt des Planes mit dem des Gemäldes
vergleicht, kann man nicht darüber im Zweifel sein,
daß der Zeichner des Planes auch der Maler des
Bildes, daß also der MeisterC.v.C. wirklich Conrad
Faber ist. Das Merkwürdige ist nun, daß Bild und
Plan nicht, wie man zunächst anzunehmen geneigt
ist, aus der gleichen Zeit stammen. In der Fenster-
scheibe rechts auf dem Bilde findet sich Justinians
Wappen mit der Umschrift: Justinianus von Holtz-
hausen 1536. Frankfurt ist in dieser Zeit gar keiner
Belagerung ausgesetzt gewesen. Nun war aber
Justinian im Jahre 1535 der Anführer des Kontin-
gents, das die Stadt Frankfurt zur Belagerung des
Wiedertäufersitzes Münster ins Feld stellte. Der
Maler, vor die Aufgabe gestellt, die Kriegstat Ju-
stinians zu verherrlichen, und unbekannt mit dem
Aussehen der Stadt Münster, konterfeite einfach
Frankfurt ab und umgab es mit einem Belagerungs-
heer. Daraus erklären sich auch manche Abwei-
chungen vom Tatsächlichen als beabsichtigt, so
wenn er beispielsweise aus der von zwei kuppel-
bedeckten Türmen begleiteten Leonhardskirche eine
zweitürmige Anlage im Stile französischer Kathe-
326
dralen macht. Möglich, daß dieser aus der Phan-
tasie geschöpfte Belagerungsplan dann in der Zeit
der wirklichen Belagerung in Faber den Gedanken
eines großen Planes hat entstehen lassen.
Wir wissen übrigens urkundlich, daß Faber nicht
nur einmal, sondern zweimal die Belagerung Frank-
furts zeichnerisch festgehalten hat. Nach seinem
1553 erfolgten Tode wandte sich seine Witwe an
den Rat, um für die Arbeit ihres Mannes Belohnung
zu fordern und zwar beanspruchte sie für seine
erstere kleinere Zeichnung sechs Taler, für die zweite
größere до Taler (Lersner, Chronica der Stadt
Franckfurth, II, S. 500). Diese Forderung kann uns
einen ohngefähren Anhalt für das Größenverhält-
nis der kleineren Zeichnung Fabers zu dem ganzen
zehn Folioblatt umfassenden Belagerungsplan an
die Hand geben; wir dürfen uns darnach den
ersten Entwurf etwa in der Art des belagerten
Frankfurt auf dem Bildnisse Justinians denken.
Gleichwohl gibt uns dieses Bild nicht die erste Dar-
stellung, die Conrad Faber von Frankfurt entworfen
hat. Auf zwei anderen Bildern der Holzhausenschen
Familie, auf den Bildnissen des Gilbrecht von Holz-
hausen (1514 — 1550) und seiner Gemahlin Anna
Ratzenbergerin (geb. 1511), finden wir, von pittores-
ken Bergen umgeben, eine Stadt, die gleichfalls keine
andere ist als Frankfurt, und zwar auf dem Bilde
des Gibbrecht die Frankfurter, auf dem der Anna
die Sachsenhäuser Seite; die Mainbrücke geht auf
beiden Seiten über den Bildrand. Diese Porträts
sind, wie die Inschrift auf ihrer Rückseite besagt,
1535 gemalt. Auf ihnen haben wir die überhaupt
erste bildliche, und in allen Einzelheiten getreue
und deutlich zu erkennende Darstellung, die um
15 Jahre älter ist als die in der Kosmographie
Münsters, um 17 Jahre älter als die nächste Dar-
stellung Conrad Fabers selbst.
Übrigens läßt sich auch die Frage, warum
Meister Conrad in den Urkunden stets ale Conrad
Faber erscheint und warum er selbst als Conrad
von Creuznach signiert, leicht beantworten. Die
Signaturen stammen aus der Zeit, als Conrad noch
nicht Frankfurter Bürger, als er eben noch der
Сошаа von Creuznach war, die Urkunden aber
reden von dem Frankfurter Bürger, den sie nicht
nach seiner Herkunft zu bezeichnen brauchten,
sondern dem sie einfach seinen Familiennamen
Kaber geben konnten. Carl Gebhardt.
W. MARTIN UND E. W. MOES, Alt-
holländische Malerei. Gemälde von
holländischen und vlämischen Meistern,
die sich in Rathäusern, kleinen Museen,
Kirchen, Stiften, Senatszimmern usw. und
in Privatbesitz befinden. Leipzig, Klink-
hardt & Biermann, 1911. Lieferung I.
Der Kenner besonderer Kunstgebiete und der
weitblickende, nach historischen Zusammenhängen
suchende Kunstgelehrte haben beide ein gleiches
Interesse an der möglichst baldigen und vollstän-
digen Publikation bisher noch nicht oder wenig
bekannter Kunstwerke. Beide können nicht genug
‚sehen: der eine braucht zu seinen speziellen sti-
listischen Untersuchungen immer neues Vergleichs-
material, der andere vermag nicht anders als auf
-Grund umfassender Anschauuung weitgreifende
geschichtliche Untersuchungen, die ins allgemeine
gehen, anzustellen. Deshalb begrüßen wir mit Freude
das vorliegende Unternehmen. Zwei bekannte hol-
ländische Gelehrte, W. Martin im Haag und E.W.
Moes in Amsterdam, haben sich die Aufgabe ge-
stellt, Gemälde von holländischen und vlämischen
Meistern, die sich an entlegenen Stellen befinden,
wo sie leicht der Aufmerksamkeit der Forschung
entgehen könnten, auszuwählen, in guten Repro-
duktionen zu veröffentlichen und zu beschreiben.
Die Herausgeber sind in der glücklichen Lage, in
ihrem eigenen Heimatlande eine große Zahl von
verborgenen Schätzen entdecken zu können. Schon
in dem ersten Heft der neuen Veröffentlichung
machen sie uns mit einer Reihe von künstlerisch
hervorragenden und geschichtlich interessanten
Gemälden bekannt. Ein köstliches Sittenbild von
Frans Hals „Zwei lachende Knaben“ aus der
- Familien-Frauen-Stiftung der Mevrouw van Aerden
in Leerdam macht den Anfang und zeigt uns den
großen Meister in der frischen Kraft der maleri-
schen Behandlung und in der unvergleichlichen
Wiedergabe des Gesichtsausdruckes von der glück-
lichsten Seite. Es folgen ein aus demselben Be-
sitze stammendes, im Motiv höchst einfaches, in
der Färbung aber offenbar besonders vollendetes
Stilleben von Pieter Claesz, dem erst seit neuerer
Zeit bekannten und geschätzten Vater Nicolas Ber-
chems; ein in der Amsterdamer Remonstratenser-
Kirche aufbewahrtes, von Jakob Backer, der
Rembrandts Schüler in dessen früher Amsterdamer
Zeit gewesen war, ganz vorzüglich in feinem Hell-
dunkel gemaltes Bildnis des Hofpredigers Johannes
‚Uitenbogaert, den auch Rembrandt wiederholt ge-
malt und radiert bat; ein besonders hervorragendes
Bild von Johannes Lingelbach aus dem Be-
sitze des Rathauses zu Amsterdam mit der Ansicht
eines reichbelebten Platzes dieser Stadt, feiner
und in den Figuren viel weniger manieriert als
die landläufigen Bilder dieses Meisters; ein mit
der größten Sorgfalt ausgeführtes eigenartiges Still-
leben vonJan van der Heyden, der sonst mehr
als Maler von Städteansichten bekannt ist, aus
einer Amsterdamer Privatsammlung. Auch ein
Werk des XVI. Jahrhunderts finden wir in diesem
Hefte: das im Beginenhof zu Amsterdam aufbe-
wahrte Bildnis des Pastors Nicolaus Cannius, der
längere Zeit der Sekretär Erasmus’ von Rotterdam
gewesen ist. Das im Jahre 1534 gemalte Porträt
* steht, wie uns scheinen will, der Weise Jan Sco-
rels, der es von einem Kenner genähert worden
ist, recht ferne. Die Herausgeber meinen, es könnte
eher von einem Amsterdamer Zeitgenossen des
Jacob Cornelisz herrühren. Wir möchten hingegen
in diesem etwas steifen Bildnisse den altertümlichen,
gleichsam verknöcherten Stil der späten Werke
Jan Mostaerts erkennen. An ihn erinnern die
Zeichnung der Augen und der Hände und beson-
ders die Landschaft des Hintergrundes, die man
sehr ähnlich auf zwei schon von Van Mander er-
wähnten späten Werken des Meisters wiederfindet:
es sind dies die von Ernst Weiß wiedergefundene
„westindische Landschaft“ im Besitze des Herrn
J. B. van Stolk in Scheveningen und die Land-
schaft mit dem heiligen Hubertus in der Münchner
Pinakothek, die wir — unter Zustimmung Hugo
von Tschudis — Jan Mostaert glaubten zurück-
geben zu sollen. Gustav Glück.
DIE KUNST- UND ALERTUMSDENK-
MALE IM KÖNIGREICH WÜRTTEM-
BERG. Bd. I: Neckarkreis, von E. Paulus.
624 S. m. zahlr. Abb. 1889, Neudruck 1906.
Paul Neffs Verlag (Max Schreiber), EB-
lingen. — Bd. II: Schwarzwaldkreis von
dems. 552 S. Ebenda, 1897. — Bd. III:
Jagstkreis, т. Halfte, von E. Gradmann.
767 S. Ebenda, 1907. — Bd. IV: Donau-
kreis, Oberamt Biberach, von J. Baum
und B. Pfeiffer. 260 S., 227 Abb., 20
Tafeln и. Karte. Ebenda, 1909.
Das wúrttembergische Denkmälerwerk erscheint
in seiner Entwicklung als eine umgekehrte Stufen-
pyramide, welche ruckweise auf enger Grundlage
in die Breite geht. Der Anfänger E. Paulus hat
327
die beiden ersten Kreise noch in Gewaltschritten
durchmessen und auf kleinem Raum abgetan, was
nach heutigen Grundsátzen viele Bánde ergeben
würde. Man denke, daß bei ihm Stuttgart mit kaum
30, Heilbronn mit etwa 18, Reutlingen mit kaum
a0 Seiten Text erledigt sind. Auf kleinere Orte
kommen oft nur wenige Zeilen. Und diese sind
nicht immer den Denkmälern gewidmet. Hier
fesselt den Dichter eine schöne Aussicht, dort eine
Stimmung oder eine geschichtiiche Begebenheit.
Oder seine Notizen sind so kurz, trocken und
nichtssagend, daß man über den Bestand wenig
oder nichts Greifbares erfährt. Das ist nicht Un-
vermögen oder Gleichgültigkeit, sondern Grund-
satz. Denn an hohen und großen Werken flammt
seine Begeisterung lebendig empor und seine
Werturteile sind oft klassisch, auch im sprach-
lichen Ausdruck. Aber er glaubte sich berechtigt
aus dem Vollen zu schöpfen, vom Guten nur das
Beste zu geben und seine Leser vor aller Bekannt-
schaft mit geringeren Sachen, mit jeder Art von
Detail behüten zu müssen. Der Fernstehende be-
greift die Wirkung nicht, die von diesem Manne
mit seiner echt schwäbischen Einseitigkeit und
Beschränktheit doch unleugbar ausgegangen ist.
Und man versteht auch nicht, warum von dem
ersten vergriffenen Bande ein Neudruck veranstaltet
wurde, da doch das ganze Gebiet neubearbeitet
werden muß.
E. Gradmann hat den Jagstkreis noch in der
Weise seines Vorgängers begonnen, doch etwas
eingehender und ausführlicher, so daß nun wenig-
Steng die Einzelheiten für sich mit Namen und
Jahreszahlen genannt werden. Im Laufe der Arbeit
wird die Darstellung dann immer breiter und far-
biger. Die Gegenstände werden nach Form und
Inhalt beschrieben und kurz charakterisiert. Das
liest sich recht genuBreich. Denn da Gradmann
ale Kunsthistoriker über eine tiefe allgemeine Bil-
dung verfügt, wird man überall gut und aus-
reichend unterrichtet. Der alte enge Rahmen ist
dabei allerdings gesprengt worden. Trotz vielen
Kleindrucks ist der Jagstkreis schon in seiner ersten
Hälfte zu einem stattlichen Bande angewachsen.
Die Fortsetzung wird wohl noch viel mehr Raum
erfordern.
Schließlich ist man im Donaukreis zu der
anderwärts längst bewähıten Form der Inventare
übergegangen, und die beiden Bearbeiter des ersten
Heftes haben ihre Aufgabe gleich musterhaft ge-
löst. Eine kunststatistische Übersicht geht voraus,
vor jedem Ort werden die Quellen genannt. Im
Text ist die Übersicht durch Rubriken und Absätze
gewahrt. Ohne Weitschweifigkeit werden die Denk-
328
mäler jeder Gattung beleuchtet und gewürdigt.
In jedem Satz kommt ein reifes, abgeklärtes Urteil
zum Ausdruck. Kurz, hier ist der Bestand wirk-
lich sachkundig aufgearbeitet, wie es von einem
guten Inventar verlangt werden kann.
Was die Abbildungen anlangt, so sind die
ersten Bände durch Maßaufnahmen und Feder-
zeichnungen der beiden hervorragenden Zeichner
Loesti und Cades illustriert, weiche oft Bilder von
entzückender Schönheit geschaffen haben. Später
überwiegt die Autotypie und der Lichtdruck. Die
Hauptmasse der Abbildungen ist aber in dem
großen Tafelwerke (Atlas) vereinigt, welcher 12
Mappen zu je 12 М. umfaßt. Diese Trennung
bietet manche Vorteile. Es lassen sich Haupt-
werke in größerem Maßstabe darstellen, und die
Reproduktion ist unabhängig vom Format und der
Erscheinungsweise des Textes. Die Benutzung
wird freilich dadurch sehr erschwert, daß man Zu-
sammengehöriges immer an mehreren Stellen, auch
auf Ergänzungstafeln und Nachträgen zusammen-
suchen muß. Bayern hat die Trennung deshalb
aufgegeben und es geht auch so ganz vorzüglich.
Vielleicht entschließt man sich auch in Württem-
berg dazu, beim Fortgang der Arbeit den ganzen
Stoff in handliche Buchform zu bringen. Der Ein-
druck ist in jeder Beziehung, besonders auch für
den Laien, gesammelter und anschaulicher.
Dr. H. Bergner.
CASIMIR V. CHLEDOWSKI, Der Hof
von Ferrara. Deutsch von Rosa Scha-
pire. Verlag Julius Bard, Berlin.
Es ist gewiss eine verdienstliche Tat, daß Ca-
simir von Chledowski den Versuch unternahm,
die Resultate seiner langjährigen Studien zur fer-
rarischen Kulturgeschichte, in einem Buche ,,Der
Hof von Ferrara“ niederzulegen, das nunmebr
auch in einer deutschen Übersetzung von Rosa
Schapire in schmucker Ausstattung vorliegt
Der Verfasser schildert im Eingangskapitel erst
Land und Leute von Ferrara. Man lernt die ver-
schiedenen práchtigen Bauten kennen: den Dom,
den Palazzo dei Diamanti, den Palazzo Roverella,
Naseli Crispi u.a. Er charakerisiert die Estes als
ein strenges kriegerisches begabtes Geschlecht,
das in der Politik geschickt und verschlagen, im
Kriege tapfer und kúhn sich benahm, das daneben
den neuen Strómungen in Kunst und Literatur
zugängig war, fanatisch Musik und Gesang liebte
und eine ausgesprochene Leidenschaft für Luxus,
glänzende Feste und grandiose Empfänge besaß.
Die sieben Herrscher aus jener ruhmreichen Epoche
Ferraras — Nicolo III., Lionello, Borso, Ercole I.,
Alfonso I., Ercolo IL und Alfonso II — alle „ge-
schlossene Charakter, Männer aus Stahl und Eisen“
ziehen, jeder in einem besonderen Abschnitte be-
handelt, vor unseren Augen vorúber. Da zeigt
sich Nicolo als ein Herrscher, der eifrig bemüht
ist, Kunst und Wissenschaft zu fördern und be-
rühmte Gelehrte, wie Guarini Guarino und Gio-
vanni Aurispa, nach seiner Residenz zu berufen
und auf diese Weise Ferrara zu einem der be-
deutendsten Mittelpunkte humanistischer Studien
zu machen. Unter Lionello, Nicolos unehelichen
Sohn, der ihm auf dem Throne folgte, blühte der
Humanismus noch mehr empor. Lionello war
selbst ein großer Liebhaber der Antike und be-
tätigte seine Liebhaberei auch in der Bereicherung
seiner Bibliothek. Als Herrscher zeichnete er eich,
entgegengesetzt den brutalen Gelüsten der meisten
Renaissancefürsten, durch tieferes menschliches
Empfinden aus. Sein Bruder Borso besaß kein
so inniges Verhältnis zur Dichtung und Kunst;
er unterstützte die Dichter und Gelehrten nur, um
von ihnen gepriesen zu werden. Luxus und Jagd
waren seine Hauptpassionen. Außerdem war sein
einziges heißes Begehren der Herzogtitel, den
ihm Kaiser Friedrich III. bei seiner Durchreise
in Ferrara auch wirklich verlieh. Unter Ercole l.
erreichte Ferrara seine größte Entwicklung. Ercole
erwies sich als ebenso geschickter Diplomat, wie
Protektor der Kunst nnd Wissenschaften. Seine
besondere Liebhaberei galt dem Theater, für das
er keine Kosten scheute. Die Prachtliebe seines
Vorgängers suchte er in seinen Festen und Em-
pfängen noch weit zu überbieten. Ercoles Sohn
Alfanso wurde Herzog, als eine schwere Zeit für
Ferrara herangebrochen war. Vor allem mußte
er den Anmaßungen der Päpste, die habgierig nach
dem ferrarischen Thron schielten, energisch Trotz
bieten. Gleichzeitig galt es, zwischen den beiden
europäischen Potentaten, dem König von Frank-
reich und dem König von Spanien, die einander
befehdeten, geschickt zu lavieren. Kriege, Pesti-
lenz und Erdbeben suchten das Land heim. In
dieser Bedrängnis und Not stand Alfonso am
rechten Platz. Seine Tatkraft rettete den Staat
aus allen Kalamitäten, so daß sein Sohn Ercole П.,
als er den Thron bestieg, mit frohem Empfinden
in die Zukunft blicken konnte. Die auffälligste
Erscheinung unter seinem Regime war die An-
siedelung französischer Hugenotten in Ferrara,
welche durch seine Gemahlin Renata di Francia
begünstigt wurde. Ercole stand dieser Erscheinung
anfangs kühl gegenüber; erst als man in Rom un-
ruhig zu werden begann und Ercole Vorstellungen
machte, ergriff er Maßnahmen zur Abwehr der
Protestanten. In Alfonso II., Ercoles Sohn und
Nachfolger, vereinigten sich alle Tugenden und
Untugenden eines genialen Renaissancefürsten.
Eine leidenschaftliche von Kraft überschäumende
Natur lechzte er nach Taten, für die ihm diese
Welt fast zu eng schien. Wenn er seine Kriegs-
gelüste nicht stillen mochte, so suchte er sein
Temperament in Jagden, Tournieren oder Festen
auszutoben. Dann schloß er sich wieder in sein
Laboratorium ein, experimentierte und kombinierte
Gifte zu medizinischen Zwecken, oder erbeschäftigte
sich mit Mechanik und Baukunst oder protegierte
Künste und Wissenschaften. Das Geschlecht der
Este erlebte in Alfonso noch einmal einen ruhm-
vollen Vertreter in seiner Eigenart und seiner
Größe.
Ganz richtig betont Chledowski im Eingangs-
kapitel seines Buches: „Die Herrschaft der Estes
steht von Anbeginn an im Zeichen des Frauen-
kultus, der ritterlichen Tugenden von König Artus
und im Bilde des heiligen Georg, der die Jungfrau
vom Drachen befreit hat.“ Die Frauen haben an
keinem Renaissancefürstenhof eine solche hervor-
ragende Rolle gespielt, wie hier in Ferrara. Wohl
die bedeutendsten Frauen jener Zeit standen, wenn
sie nicht schon durch verwandtschaftliche Bande
mit dem Haus Este verbunden waren, in näherer
Beziehung zu dem ferrarischen Hofe. Man denke
nur an Vittorino de Feltres gelehrte Schülerin
Margherita Gonzaga, Lionellos Gemahlin, die mit
ihrem Gatten zusammen von einem neuen Griechen-
und Römertum träumte; oder an die musikalische
fein gebildete, in der Malerei wohl bewanderte Eleo~
nora von Aragon, die Ercole sich zu seiner Lebensge-
fährtin erkor; oder an die ungewöhnlich begabte
Markgräfin von Mantua, Isabella Gonzaga, die für
die damalige Mode den Ton angab, unzählige
Briefe schrieb, um in den Besitz eines neuen
Buches oder Sonettes zu gelangen und in ihrer
Bibliothek alle literarische Neuerscheinungen sam-
- melte. Man denke ferner an Lucrezia Borgia, deren
Salon das Zentrum für das geistige Leben Fer-
raras bildete, als ihr Gemahl Alfonso weder Muße
noch Interesse für die Literatur besaß; an die
kluge Renata di Francia und fromme Vittoria Co-
lonna, die beide, freilich jede in ganz anderer
Weise, eifrigen Anteil nahmen an den religids-
reformatorischen Bestrebungen ihres Jahrhunderts,
Alle diese Frauen mit ihren Wesen eigentümlich-
keiten und Neigungen führt der Verfasser dem
Leser nahe.
Und er schildert auch die bedeutenden Persön-
lichkeiten, welche sich um die Frauen scharten,
329
die Gelehrten, Dichter und Reformatoren, die sich
ihrer Gunst hauptsichlich erfreuten. So fehlen
auch nicht die drei groBen Epiker der Renaissance
deren Kunst merkwúrdiger Weise auf dem Boden
Ferraras wurzelte: Bojardo, Ariost und Tasso.
Jedem von ibnen ist ein besonderes Kapitel ge-
widmet, das nicht nur die Beziehunnen der ein-
zelnen Dichter zu dem estensischen Hofe, sondern
überhaupt ihr ganzes Leben vor uns entrollt. Am
gelungensten scheint unter diesen biographischen
Darstellungen der Abschnitt úber Tasso zu sein.
Der Verfasser gibt sich sichtlich Mühe, alle Irr-
tümer, die frühere Biographen verschuldeten, auf-
zuklären und den Dichter in ein möglichst objektives
Licht zu rücken.
Es ist natürlich, das in dem Buche, welches so
eingehend die Frauen-, Dichter- und Gelehrtenwelt
Ferraras behandelt, auch die Sitten und Gebräuche,
die Mode, vor allem das gesamte höfische und ge-
sellschaftliche Leben Erörterung finden. Ein großer
Teil des Werkes wird von diesen Schilderungen
ausgefüllt, und man muß zugestehen, daß sie mit
viel Geschmack zusammengestellt sind und daß
sie ein ausgezeichnetes Bild von der Renaissance-
geselligkeit ergeben. Der Verfasser hat selbstver-
ständlich auch der Malerei ein Kapitel zugewiesen, in
dem er die Verweltlichung der Kunst zu zeigen
versucht, im Großen und Ganzen ist jedoch sein
Buch mehr eine sorgfältig präzisierte kulturhisto-
rische, als eine fein pointierte ästhetische Arbeit.
Die Quellen, über die ein Nachweis dem Buche
angefügt ist, hat Chledowski gründlich durchge-
arbeitet — das leuchtet aus jedem Abschnitt deut-
lich hervor — und er hat die Resultate so ge-
schickt zusammengeschweißt, daß das Ganze sich
nicht wie eine schwerflüssige gelehrte Abhandlung
ausnimmt, sondern daß es selbst dem Laien durch
die glückliche Art der Darstellung eine ange-
nehme Befriedigung gewährt. —
Valerian Tornius.
GUSTAV GLÜCK, Peter Bruegels
des Alteren Gemälde im kunsthis to-
rischen Hof museum zu Wien. Brüssel
1911. G. van Oest & Cie.
Die Verehrer des alten Bauern -Bruegel werden
es als einen glücklichen Zufall begrüßen, daß diese
Publikation der kostbaren Wiener Gemälde gerade
in dem Augenblicke erfolgte, als Gustav Glück
zum Leiter der Kaiserlichen Gemälde- Galerie im
Hofmuseum ernannt wurde. Und es ist vielleicht
ein ähnlicher Glücksumstand, daß gerade in den
letzten Jahren das Interesse an den Schöpfungen
330
des alten Vlamen mächtig gewachsen ist, daß man
allmählich auch außerhalb der Fachkreise die Be-
deutung Bruegels innerhalb der Kunstgeschichte
richtig begreift. Das hat seine primären Ursachen
fraglos in der Entwicklung unserer modernen
Kunst. War es früher in der Hauptsache das
Gegenständliche an sich, das zu den humorvollen
Schilderungen des Vlamen hinzog, so hat sich im
letzten Jahrzehnt unmerklich eine Umwertung der
Bruegelschen Kunst vollzogen, die in erster Linie
die malerische Größe dieses Schaffens einschätzt
und in dem Meister einen jener großen Pfadfinder
entdeckt, der über die Jahrhunderte hinaus seine
Hand unmittelbar der Gegenwart reicht. Und da
bedauert man es beinahe, daß der Inhalt unwill-
kürlich immer wieder zur kulturphilosophischen
Reflexion ablenkt. Freilich ist dieser Inhalt ein
unerschöpfliches Kapitel allgemeiner Menschheits-
geschichte und insbesondere eine prachtvolle Ши-
stration jenes Zeitalters, das literarisch seinen Aus-
druck in Charles de Costers „Till Eulenspiegel“
(deutsch bei Eugen Diederichs) gefunden hat. Als
ich kürzlich diesen gewaltigen Zeitroman in die
Hände bekam, mußte ich immer wieder an den
alten Bauern-Bruegel denken. Wie ein Geschwister-
paar stehen der Maler und Romancier nebenein-
ander, und ich wüßte es nicht zu sagen, wer von
Beiden der größere Menschenkenner gewesen ist.
Indes um Bruegel kunstgeschichtlich zu erfassen,
vergesse man alle kulturhistorischen Reminiszenzen,
die vor jeder neuen Zeichnung, vor jedem Ge-
mälde reichlich auftauchen. Man gehe auf das
Malerische an sich, das aus den Schöpfungen, die
das Wiener Hofmuseum vereinigt hält, mit einer
unsagbar kühnen Gebärde auf das Wollen unserer
Zeit hinweist. Da mag es auf den ersten Augen-
blick unerhört anmuten, wenn ich behaupte, daß
z. В. alles, was Cézanne und die um ihn erstrebt
haben, drei Jahrhunderte früher der alte Bruegel
vorweggenommen hat. Und doch wird man diesen
Satz unschwer belegen können. Ja, ich meine
daß die französischen Ultramodernen, die Expres-
sionisten vom Schlage eines Matisse, van Dongen,
Manquin, und wie die Revolutionäre der neuesten
Malerei heißen mögen, genau da zu suchen an-
fangen, woher der Maler Bruegel seinen Aus-
gangspunkt nahm. Nur mit dem einen Unter-
schiede, daß unsere Zeitgenossen kaum so schnell
zur Vollendung kommen werden, weil sie doch
mehr oder weniger Outsider im Rahmen der
Evolution sind, während Bruegel in seinen An-
fingen durch die Tradition seiner vlämischen
Heimat geleitet, sehr bald, den engen Zusammen-
hang mit dem Geiste seines Jahrhunderts fand,
dessen úberlegener und feinsinniger Ausdruck ег
geworden ist.
Wie immer man aber úber diese Thesen denken
mag, so viel steht fest, das Thema Bruegel als
solches berúbrt sich unmittelbar wie kaum ein
zweites mit dem kinstlerischen Suchen unserer
Tage, und schon aus diesem Grunde wird man
jede Publikation, die uns den Meister náherbringt,
dankbar begrüßen, ganz besonders, wenn es sich
um die Bilder des Wiener Hofmuseums handelt,
die uns jeden Besuch dieser herrlichen Sammlung
immer wieder zu einem Erlebnis machen, und wenn
ein so feinsinniger Kenner wie Glück der kunst-
geschichtliche Interpret des alten Vlamen wird.
Denn diese eine Tatsache muß die Kritik vorweg-
nehmen: Die Einleitung, die Glück seinem Bande
unter dem Stichwort „Bruegel und der Ursprung
seiner Kunst‘ vorangestellt, ist die beste Einführung
in das Werk des Meisters. Sie bat in ihrer sum-
marischen Kürze alle Vorzüge der Diktion und
sie weiß aus dem Thema mit warmblütigen Sen-
timent das hervorzuholen, was für den Kenner und
den Laien in gleichem Maße wichtig ist: Die An-
knüpfungspunkte der Evolution, die Entwicklung
der Bruegelschen Kunst und ihre symptomatische
Bedeutung im Rahmen der Kunstgeschichte und
nicht zuletzt neben den Lebensdaten und Gescheh-
nissen das eine Etwas, das eben Bruegel der
Maler ist.
Selbst gegenüber der erschöpfenden Monographie
über den Künstler von van Bastelaer, die im gleichen
Verlage erschienen ist, wird diese deutsche Arbeit
den Rang behaupten, eben weil sie In ihrer be-
wußten Konzentration jeder weitschweifigen Be-
trachtungsweise aus dem Wege geht und auf
zwanzig Druckseiten mehr bringt als jene andere
stark ins Detail gehende voluminöse Monographie.
Noch ein Moment fällt ins Gewicht: Glück ist
vielleicht der beste Kenner der Materie. Als
solcher erweist er sich besonders in jenem Ab-
schnitt, der vergleichsweise das kleinfigurige Sitten-
bild, speziell den Braunschweiger Monogrammisten
(Jan van Amstel) und die Vielseitigkeit Bruegels,
dies merkwürdige Nebeneinander von Ernst und
Humor, umschreibt und den religiös-allegorischen
Momenten nachspürt, die in einem fein ziselierten
Vergleich selbst den Goetheschen Faust, den Jahr-
hunderten zum Trotz, in die Vorstellungswelt des
alten Vlamen (die Hexenküche) — oder umgekehrt
— einbezieht.
Man schätze diese Introduktion, die der schönen
Publikation von van Oest erst die rechte Weihe
gibt, als kunsthistorische Leistung nicht zu niedrig
ein. Hier spricht ein Mann, der souverän die
Materie mit allem Drum und Dran beherrscht und
wenn im einzelnen auch der Text, der jedes dieser
Wiener Bilder begleitet, reiche nnd neue Auf-
schlüsse bietet und dem Fachmann zum Studium
neue Tatsachen preisgibt, so wird der Wert der
Publikation im Großen doch immer in dem ein-
leitenden Essay beruhen, das in seiner Art muster-
gültig g@nannt werden darf. Auch der Verlag hat
von sich aus nicht gespart, sondern der Publikation
durch prächtige bildliche Wiedergabe der Wiener
Bilder einen illustrativen Schmuck gegeben, wie
man ihn sich besser kaum wünschen könnte.
So mag denn diese Publikation in zweifacher
Hinsicht berufen sein, der Erkenntnis vorzuarbeiten.
Einmal, indem sie das Problem Bruegel unwill-
kürlich in nahen Zusammenhang zu der kiinstle-
rischen Gegenwart an sich setzt, dann ale Fund-
grube rein kunstwissenschaftlicher Erkenntnis, die
einen der uns leider nur viel zu wenig bewußt
gewordenen Großen erneut in den Mittelpunkt un-
serer künstlerischen Interessen rückt.
Georg Biermann.
BERTHOLD LAUFER, Chinese pot-
tary ofthe Han Dynastie (Publication
of the East Asiasic Committee of the
American Museum of Natural history).
Leiden 1909.
Daß es in China auf dem Gebiet der Kunst
für uns noch manche Überraschungen gibt, das
leidet wohl kaum einen Zweifel in Anbetracht,
daß dieses ungeheure Kulturland für uns noch
immer in seinem größten Teile eine Terra in-
cognita darstellt, in die wir vielfach schwerer ein-
zudringen vermögen als in so manche Gebiete des
schwarzen Erdteils. Zu derartigen Überraschungen
haben auch jene merkwürdigen keramischen Ar-
beiten gehört, über die obiges Buch zum ersten
Male sich wissenschaftlich ergeht, Arbeiten, die
auch erst vor wenigen Jahren zum ersten Male in
ganz vereinzelten Exemplaren zu uns gekommen
sind, um dann sich erstaunlich schnell zu ver-
mehren, die aber vom Anfang in den sich mit
dem Studium der chinesischen Kunstgeschichte
beschäftigten Kreisen das größte Interesse, viel-
fach freilich anfangs auch starken Zweifel erregt
haben. Es handelt sich hier um jene aus schwach
gebranntem Ton bestehenden, mit dünner, grüner
oder gelblicher, stark zersetzter und darum oft
prächtig irrisierender Glasur, die aus der um
Christi Geburt herrschenden Handynastie, also aus
einer Zeit beträchtich vor der Erfindung des Por-
zellans stammen, und die jenes starke Interesse
331
vor allen durch ibre eigenartige formale Ge-
staltung und Ausschmúckung erregt baben, die
fast noch garnichts mit der spáteren chinesischen
Keramik zu tun hat, vielmehr auf der einen Seite
in der meist verkleinerten Nachbildung von Dingen
des täglichen Lebens einen ganz eigenartigen
Naturalismus bekundet, auf der andern Seite ganz
in einer mehr oder weniger getreuen Nachbildung
von Metallarbeiten bestand. Erstere erklärt sich
leicht dadurch, daß es sich hier um Grabbeigaben
handelte, die im richtigen Material den Toten bei-
zugeben zu kostbar waren. Wirklich überraschend
jedoch bleibt die Ornamentik, meist springende,
„gallopierende“ Tiere, die der chinesischen Kunst
bisher völlig fremd waren, um so auffallender je-
doch an den Werken der türkisch-sibirischen Kunst,
ja selbst an denen des mykenischen Kunstkreises
sich wiederfinden, und von neuem die Brücke
schlagen von der Kultur dieser fernen Länder zu
der unsrigen, für die schon durch andere un-
widerlegliche Feststellungen verwandter Art die
Grundlage gelegt worden ist.
Diese eigenartigen keramischen Erzeugnisse
haben zuerst in Amerika ihre vollverdiente Be-
achtung gefunden und gleich auch einen Gönner,
der den Verfasser dieses Werkes nach China
sandte, um weiter zu sammeln und sich auch an
Ort und Stelle genauer zu informieren. Das Resultat
dieser Reise und dieser Forschungen stellt dieses
Buch dar. Es führt zunächst тїї dieser Stücke
in guten Abbildungen vor und begleitet sie mit
ausführlichen Beschreibungen. Dann wird auch ihre
kulturelle Bedeutung im einzelnen dargetan und ein-
zelne besonders interessante, sie betreffende Fragen
in Kapiteln ausführlich behandelt, mit großer Ge-
lehrsamkeit und vóiliger auch sprachlicher Be-
herrschung des Materials. Alles dies erscheint
völlig erschöpfend. Bedauerlich dagegen bleibt,
daß das, was nun an diesen Werken das allgemein
Interessante ist, vor allem, was sie für die allgemeine
Kunst- und Völkergeschichte in so überraschender
Weise Neues gebracht haben, viel zu kurz und
viel zu wenig prägnant vorgebracht worden ist.
Hier lag aber wohl das Ziel, auf das diese ganze
Forschung hinauslief, und das diese Arbeit für
noch weitere Kreise interessant und nützlich ge-
macht haben würde. Ernst Zimmermann.
332
WOLFGANG SOERENSEN, Joh. Heinr.
Wilhelm Tischbein. Berlin und Stutt-
gart, Verlag von W. Spemann, 1910.
W. VON OETTINGEN, Goethe und
Tischbein. Schriften der Goethe-Ge-
sellschaft, 25. Bd. Weimar, Verlag der
Goethe-Gesellschaft. 1910.
Dem Buche Sörrensens liegt der Gedanke zu-
grunde, daß Tischbeins angeborenes Talent, durch
die Malkultur des Rokoko noch gefórdert, infolge
der eindringenden klassizistischen Anschauungen
allmáhlich verschiittet wurde. Diese These zu be-
weisen, legt der Verfasser den Nachdruck auf ein
paar gute rokokoartige Jugendwerke des Kiinstlers
und stellt ihnen eine Anzahl schlecher Alterswerke
entgegen, welche klassizistischen Tendenzen folgen.
Aber dieser Beweis ist ebenso lúckenhaft wie im
Resultat unzutreffend.
Es hätte zunächst einer eingehenden Analyse
des Klassizismus bedurft, um festzustellen, welche
Werke Tischbeins den Stempel dieser Anschauung
tragen, aber davon findet sich keine Spur. Man
errät nur, daß ihm das Klassizistische thematisch
in einer Vorliebe für kalt-heroisches Gebahren und
formal in einem zeichnerischen, aller malerischen
Feinheit abholden Technik erscheint, denn nur so
kann er die idyllischen Neigungen Tischbeins und
sein malerisches Können als einen Gegensatz dazu
empfinden. Wer aber den Klassizismus genauer
prüft, der erkennt, wie gerade das Idyllische ihm
gelegen bat — in der Literatur geben Goethes
Hermann und Dorothea oder Vossens Luise dafür
Belege — und wie speziell Tischbein den Klassi-
zismus nicht thematisch erfaßt hat, sondern als
eine Betrachtungsweise, gleichsam als einen
Schlüssel, mit dem man die ganze Natur aufzu-
schließen vermag. So sind denn seine graphischen
Tierstudien, deren Vorzüglichkeit auch S. anerkennt,
nicht weniger seinen klassizistischen Werken bei-
zumessen, als etwa das Goetheporträt, das übrigens
trotz mancher Schwächen, sein bedeutendstes Bild
bleibt.
Und ebenso ungenau ist es, dem Klassizismus
den Bruch mit der Malkultur des Rokoko vorzu-
werfen. Die Farbigkeit des Rokoko haterzwar auf
eine vorwiegend kühle Skala von weißen, grünen
und hellbraunen Tönen beschränkt, aber die Por-
träts eines David oder der Angelika Kauffmann
und von Tischbein das Bildnis des Christine West-
phalen (Hamburg, Kunsthalle), dessen Wert auch
Sörrensen preist, beweisen es, welche malerische
Delikatesse gerade dieser farbigen Kargheit zu ent-
locken war.
Wenn, was zugegeben wird, Tischbein auch
schlechte klassizistische Bilder, besonders größeren
Formats, gemalt hat, so liegt das nicht an seinem
Klassizismus, sondern an seinem Unvermögen.
Dieses Unvermögen aber tritt nicht erst mit oder
gar infolge der neuen Anschauungen auf — siehe
das schlechte Goetzbild in Weimar — sondern es
ist ein Charakteristikum Tischbeins, sowohl in
künstlerischer als auch in geistiger Hinsicht, blitz-
artig auf leuchtend geniale Züge neben dunklen
Strecken tiefer Banalität zu zeigen.
Erweist sich so der Verfasser in allem historischen
Verstehen schwach, во entschädigt er durch die
feinen und sorgfältigen Bilderanalysen, die auf ein-
gehender Autopsie gegründet, den eigentlichen
Wert des Buches bilden.!) Eine hübsche Idee war
es, die Kapitelanfänge mit Initialen zu schmücken,
welche dem gestochenen Homerwerke entnommen
sind.
Gleichzeitig mit dem Buche Sörrensens erschien
die Schrift v. Oettingens über Goethe und Tisch-
bein. Der Verfasser verzichtet auf eine nochmalige
Beschreibung der Beziehungen zwischen den Beiden
und bringt dafür aus den Schätzen des Weimarer
Archivs die Briefe Tischbeins von 1805/06, 1817
und 1821/22 an den verebrten Freund. Zwar tut
man Tischbein mit dieser ausführlichen Wieder-
gabe seiner ÁuBerungen keinen Gefallen, aber um
Goethes willen — dessen Geist unmerklich zwischen
den Zeilen hervorsteigt — mag es geschehen.
Das an Goethe gesandte „Zwiegespräch zweier
Hirten“ darf wegen seiner bildhaften und von
Naturkenntnis getragenen Schilderungen schon
eher einen Eigenwert beanspruchen, während die
Tischbeinschen Gedichte zu dem Hefte „Genius“
ganz dilettantisch sind. Auch hier also das Schwan-
ken wischen Leistung und Unvermögen.
Dem Hefte sind 25 Blätter mit Zeichnungen
Tischbeins aus Goethes Besitz beigegeben. Einige,
eo die Tier- und Menschenköpfe (Blatt 17) und
vor allem die Studie eines Baumes, dessen unterer
Stamm ein griesgrämiges Menschenantlitz zeigt
(Blatt 18), sind vorzüglich.
Da das Heft zur Kenntnis Goethes beitragen
soll, ist auf jegliche Analyse der Zeichnungen nach
der kiinstlerischen Seite verzichtet worden. Und
doch hátten gerade sie dazu ein dankbares Objekt
geliefert. Franz Landsberger.
(1) Hierbei eine Berichtigung. 8. erwähnt an zwei Stellen,
daß ich — in meinem Tischbeinbuche — das große Bennig-
senbild, dasim Magasin der Hamburger Kunsthalle schlum-
mert, beschrieben, aber nicht gesehen habe. Ich habe es
mir seinerzeit aufrollen lassen und genau geprüft.
Die künstlerische Verwendung des
Wassers im Städtebau. Im Auftrage
der Königl. Akademie des Bauwesens in
Berlin herausgegeben von Hans Volk-
mann, Regierungsbaumeister. C. Hey-
manns Verlag, Berlin 1911.
Ein erstes zusammenhängendes Werk über Brun-
nenkunst, wenn auch noch keine abschlieBende syste-
matische Geschiche derselben. Ja der Verfasser
verzichtet ausdriicklich auf einen wissenschaftlichen
Unterbau fiir seine Arbeit, die nur die ,,Hauptent-
wicklungslinien der Brunnengeschichte festzulegen
und aus einer Anzahl von Typen die Gesetze des
Brunnens abzuleiten versucht“. Dieses in der Ein-
leitung angekündete Programm wird an der Hand
eines umfangreichen, mit großer Sorgfalt zusammen-
getragenen Materials trefflich erfüllt. Der erste
Teil des angenehm lesbaren Buches bringt einen
historischen Abriß der Brunnenkunst unter be-
sonderen Berücksichtigung Italiens und Deutsch-
lands; der sehr interessante französische Brunnen
wird nur gelegentlich in die Betrachtung hinein-
gezogen. Ein Exkurs über die Brunnenanlagen
des Altertums leitet diesen Teil ein. In chrono-
logischer Folge wird dann die Entwicklung des
Brunnens erst jenseits, dann diesseits der Alpen
vom frühen Mitteialter bis ins 18. Jahrhundert
hinein verfolgt. Es ist ein gewaltiges Kapitel ita-
lienischer Formengeschichte, das da aufgerollt wird,
wenn man dem Verfasser auf dem Wege durch
5 Jahrhunderte begleitet, angefangen bei der trotz
dem Reichtum in der Einzelform so herben und
spröden Fonte Maggiore des Niccolo Pisano in
Perugia, an der lieblichen Fonte Gaya des Quercia
in Siena vorüber, und bis bin zu den die Form
zersprengenden Prunkanlagen der Aera Berninis
und seiner Zeitgenossen. Ein ähnliches, wenn
auch nicht ganz so glänzendes Bild bietet die Ent-
wicklung im Norden, wo die Brunnenkunst mehr
auf intime Wirkungen eingeht gegenüber ihrem
großartig repräsentativen Auftreten im Süden.
Immerhin machen sich auch hier Prachtbedürfnisse
noch soweit geltend, daß eine Geschichte der
Brunnenkunst auch für Deutschland ein vollstän-
diges, wenngleich stark reduziertes Abbild der Ge-
schichte der gesamten Plastik ergeben müßte.
Ein zweiter anhangsweise behandelter Teil führt
einige Musterbeispiele moderner Brunnenanlagen
vor und entwickelt das künstlerische Programm
der modernen Schmuckfontäne unter Vorbringung
einer Reihe recht beachtenswerter praktischer Vor-
schláge.
Kein ziinftiger Kunsthistoriker, sondern ein prak-
333
tischer Architekt hat das Buch geschrieben, und
die Absicht, aus der es entstand, war, ein Vor-
lagewerk fúr den praktischen Gebrauch zu schaffen,
dem Baukünstler und Bildhauer Anregung zu
geben. Wenn der Wissenschaftler hier und dort
vielleicht eine straffere Systematik in der Anord-
nung des Stoffes gewünscht hätte, so möge er be-
denken, ob nicht gerade dieses lockere Gefüge der
Absicht des Buches entgegenkommt. Das reiche
Abbildungsmaterial gestattet übrigens Vergleiche
und Entwicklungsreihen aufzustellen, auch wo der
Verfasser auf solche verzichtet hat.
Hans Vollmer.
PAUL KRISTELLER, Kupferstich und
Holzschnitt in vier Jahrhunderten.
Mit 259 Abbildungen. II. stark erweiterte
Auflage. Verlag Bruno Cassirer, Berlin.
Daß dieses grundlegende Werk für das Studium
graphischer Kunst in verhältnismäßig kurzer Zeit
eine nicht unbeträchtlich erweiterte Neuauflage er-
fahren hat, mag auch hier kurz als Beweis des
Wertes dieser Arbeit notiert werden. Und es hieße
Eulen nach Athen tragen, wollte man noch einmal
resümieren, warum dieses Handbuch für die histo-
rische und technische Erkenntnis des Kupferstiches
und Holzschnittes die wichtigste Grundlage zum
Studium der Materie ist, warum im besonderen
Kristeller der gegebene Mann war, eine solche
mühselige Arbeit zu vollbringen. Das darf an
dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden,
nachdem sich die besten Beurteiler beim Erscheinen
der ersten Auflage zur Genüge darüber ausge-
sprochen. Ich erinnere unter anderem an Wil-
heim Bodes damalige Besprechung in der Vossischen
Zeitung.
Hier interessiert das Tatsächliche allein, daß die
Notwendigkeit einer zweiten Auflage beweist, wie
sehr sich unsere Zeit auch mit den Problemen zu
beschäftigen beginnt, die noch vor zehn Jahren
fast völlig außerhalb des allgemeinen Kunstinter-
esses lagen. Und es ist vielleicht psychologisch
nicht uninteressant zu beobachten, wie stark der
allgemeine Zug zum Intimen in der kunstgeschicht-
lichen Evolution im Wachsen begriffen ist. Kri-
steller hat damals bahnbrechend gewirkt; denn
sein Handbuch der graphischen Kunst war ge-
wissermaßen die Voraussetzung, ohne die die all-
gemeine Freude an der Materie kaum so schnell
zum Durchbruch gekommen wäre. Und dafür darf
ihm die Wissenschaft danken. Denn inzwischen
sind ja eine Menge wertvoller Einzelstudien er-
schienen, die das Material, das K. darbot, noch
334
intensiver verarbeitet haben und andere Arbeiten
stehen in allernächster Zeit zu erwarten. Trotz-
dem wird Kristeller immer für sich das große Ver-
dienst in Ansprnch nehmen dürfen, daß er der
Erste gewesen ist, der sich an eine der wahrhaft
fundamentalen Aufgaben herangewagt hat. Die
Bearbeitung im einzelnen verdient, ohwohl ich
bier und dort in den Literaturangaben Lücken
feststellen konnte, alles Lob.
Georg Biermann.
ARNOLD FORTLAGE, Anton de
Peters. Ein Kölnischer Künstler des
18. Jahrhunderts. Mit 33 Lichtdruck-
tafeln. Straßburg. J. H. Ed. Heitz (Heitz
und Mündel) тото. Preis 6 М.
Der Untertitel „Ein Kölnisches Künstlerleben
des 18. Jahrhunderts‘ scheint darauf hinzuweisen,
daß ein Beitrag zur lokalen Kunstgeschichte ge-
bracht werden soll. Dem ist nicht so. Anton
de Peters taucht völlig in der französischen Ro-
kokokultur des 18. Jahrhunderts unter. Ein Stück
Pariser Künstlergeschichte lebt mit ihm auf. Daß
er, dessen eigene Natur schwach genug war, sich
einer wesensfremden Kultur zu akklimatisieren,
zum Gegenstand einer Monographie gemacht wer-
den konnte, hat seinen Grund darin, daß er inner-
halb der heiter-gefälligen, galanten Rokokokunst
künstlerisch reife und ausgeglichene Werke ge-
schaffen hat. Trotzdem — der französische Geist
ist ihm nicht ins Blut übergegangen. Seine ge-
wagten erotischen Darstellungen reichen nicht
völlig in die künstlerische Sphäre hinein. Oft
faßt er mit derben Händen zu; er trumpft ge-
wissermaßen auf, betont dort, wo ein leichtes
Hinweghuschen feinen Takt bedeuten würde. Das
Derb-augenfällige liegt zu sehr in seiner Kölnischen
Natur. Daher scheint mir, hätte sich an diesem
Punkte ein guter Anhaltspunkt der kunsthistorischen
Darstellung ergeben. Nämlich das Problem so zu
fassen, daß die Rasseneigentümlichkeit des Künst-
lers zum Mittelpunkt der Forschung geworden
wäre. Zu zeigen, wie trotz überwiegend franzö-
sierender Formensprache Merkmale einer deutschen
Kunstauffassung wirksam sind. Diese Merkmale
der heimischen Kunst, die in den Gemälden des
Künstlers am stärksten ausgeprägt sind, näher zu
bestimmen, sie zu lokalisieren, eine kölnische oder
rheinische Gruppe verwandter Auffassung heraus-
zuarbeiten, wäre vielleicht eine reizvolle Aufgabe
gewesen. Kölnische Künstlernamen der Zeit sind
in Fülle überliefert. Allerdings ist das, was die
rheinische Rokokokunst in der Malerei geschaffen
hat, nicht allzu erfreulich. Und Fortlage bat, da er
mit Recht die künstlerische Qualität der Arbeiten
zum Ausgangspunkt nahm, vor allem auf die
Zeichnungen des Kiinstlers, die in der Tat ihren
franzósischen Vorbildern sehr nahe kommen, hin-
gewiesen.
Uber das Milieu des kólnischen Rokoko bringt
Fortlage interessante kulturgeschichtliche Mit-
teilungen. An Hand archivaler Studien weist er
nach, wie es psychologisch notwendig war, daß
ein Künstier von der Bedeutung Anton de Peters
Köln verlassen mußte. Diese kulturhistorischen
Erwägungen geben hier, wie auch bei der Schilde-
rung des Künstlers als Mensch und Sammler in
Paris, interessante Einblicke in das Wesen des
Rokoko. Die Richtigstellung einer Anzahl Irr-
tümer, die seit den grundlegenden Forschungen
Merlos in der Literatur immer wiederkehren, ist
das besondere Verdienst Fortlages.
Die Abbildungen auf den 33 Lichtdrucktafeln
sind geeignet, von dem Stil und der Technik des
Künstlers eine genügend klare Vorstellung zu
übermitteln. Dem, dem die heiter gefällige Kunst
des Rokoko zusagt, geben sie reizvolles Material
einer raffinierten, höchstentwickelten Kulturperiode.
Dr. G. E. Lüthgen.
335
KUNST UND KUNSTLER.
Heft IX:
EMMY VOGT -HILDEBRAND, Erinnerungen an
Karl Stauffer-Bern. (3 Abb).
KARL SCHEFFLER, Berliner Sezession. Die zwei-
undzwanzigste Ausstellung. (22 Abb.).
ERICH HANCKE, Das Mesdagmuseum. (8 Abb.).
G. E. LUTHGEN, Das Museum für Ostasiatische
Kunst der Stadt Köln. (4 Abb.).
JOH. WIDMER, Barthélemy Menn (1815 — 1893).
(3 Abb.).
DIE KUNST FUR ALLE.
Heft 18:
ERNST GOLDSCHMIDT, Moderne Dánische
Malerei. (x farb. Tafel, 22 Abb.).
FRITZ HELLWAG, Die, fliegenden“ Kunsthindler.
Heft 19:
KARL M. KUZMANY, Die Frübjahrsausstellung
der Wiener Sezession und des Hagenbundes.
CARL RABL, Briefe von C. R. aus den Jahren
1844—1850 (1.).
О. S., Leipziger Jahresausstellung 1911 in Ver-
bindung mit dem Deutschen Künstlerbund.
KUNST UND KUNSTHANDWERK,
Heft 5:
H. G. STRÖHL, Die Wappen der Ordensstifte in
Oberösterreich und Salzburg. (26 Abb.).
JOSEF FOLNESICS, Ludwigsburger Porzellan-
plastik. (8 Abb.).
Neuerwerbungen für die Sammlungen des
Österreichischen Museums. (7 Abb.).
KARL M. KUZMANY, Aus dem Wiener Kunst-
leben. (13 Abb.).
ÖSTERREICHISCHE KUNSTSCHÄTZE
Herausgegeben von Wilhelm Suida. Verlag
К. u. K. Hofphotograph J. Löwy, Wien. I. Jahrg.
Das Werk behandelt bisher folgende Meister mit
begleitendem Text:
Lieferung I:
1. Steierischer Maler von 1410. Epitaph des
Landschreibers Ulrich Reicheneker.
2. Der Wiener Meister von 1469 (der Bilder-
folge im Schottenstift). Die Flucht der hl. Familie
nach Agypten. Die Rúckkehr der hl. Familie nach
Israel.
3. Osterreichischer Meister des XV. Jahr-
hunderts. Holzstatue des hl. Sebastian.
4. Steierischer Maler um 1500. Madonna mit
Kind.
5. Grabmal des Erzbischofs Klesel (+ 1630).
6. Daniel Grau (1694—1757). Allegorische Dar-
stellung.
336
7. Bernardo Strozzi (1581—1644). Schlafendes
Kind.
8. Jean Baptiste Greuze (1725—1805). Bild-
nis eines vornehmen Herrn, der Tradition nach
des Marquis de Condorcet.
Lieferung II:
9. Ambrogio Lorenzetti (1332—1348). Die hl.
Familie.
10. Pietro Lorenzetti (1309—1348). Zwei Halb-
figuren von Engeln.
Ambrogio Lorenzetti (1332—1348). Brust-
bild der hl. Agnes.
11. Benozzo Gozzoli (1420—1497). Die Dar-
stellung des Christkindes im Tempel.
12.u. 13. Bartolommeo Vivarini da Murano
(1450—1499). Thronende Madonna, das schlafende
Christkind anbetend, und die Heiligen Hierony-
mus, Agnes, Lucia, Katharina, Christina und Gau-
denzio.
14. Bernardo: Parentino. Szenen
Novelle, vermutlich des Boccacio.
15. Bernardino Licinio. Bildnis eines jungen
Gelehrten,
16. Giovanni Girolamo Savoldo von Bres-
cia. Porträt eines jungen Ritters als hi. Georg.
aus einer
Lieferung III:
17. Michael Pacher.
feier des hl. Thomas Becket.
Thomas Becket.
13. Steierischer Maler von 1490. Votivtafel
des Deutschordens-Landkomturs Konrad v. Schuch-
witz.
19. Steierischer Maler des XV. Jahrh. Die
Bestattung des hl. Oswald.
20. Österr. Meister des XV. Jahrh. Die Ы.
Dreifaltigkeit mit Maria und Johannes von Engeln
umgeben.
21. Rueland Frueauf d. J. Votivbild eines Patri -
ziers.
22. Kárntn. Schule des XVI. Jahrh. Schnitz-
altar.
23. Kärntn. Schule des XVI. Jahrh. Gemalte
Rückseite des Altars, Tafel XXIII.
Martyrium und Leichen-
Leichenfeier des hl.
APOLLON.
Nr. 4:
ALEX. BENOIS, Die Schópfungen D. Stelletzkys.
(38 Abb.).
A. F. DAMANSKY, Gustave Morean. (7 Abb., vor-
wiegend aus Privatsammlungen.)
ONZE KUNST.
Mai 1911:
JACQUES MESNIL, De Mysteriespelen en de pla-
stieke Kunsten. Schluß. (5 Abb.).
ATY BRUNT, James Ensor. Moderner belgischer
Maler und Radierer, geb. 1860. (9 Abb.).
H. ELLENS, Oud en nieuw Vlechtwerk in Neder-
land. (9 Abb.).
—
STARYJE GODY.
April:
A. TROUBNIKOFF, Les tableaux de la Collection
de Mr de Schlichting á Paris. (20 Abb.).
М. KAROLKOFF, Les architectes Trezzini. (6
Abb.).
Domenico Trezzini, aus dem Kanton Tessin
stammend, war in Kopenbagen am Hofe Fried-
richs IV. tätig, von wo er 1713 von Peter I. nach
Rußland engagiert wurde. Im Laufe von 30
Jahren spielte er bei der Erbauung St. Peters-
burgs eine hervorragende Rolle, und eine sehr
große Anzahl von Bauten wurden hier nach seinen
Entwürfen ausgefúbrt. Unter andern stammt von
ihm das bisher fast unverändert gebliebene Uni-
versitätsgebäude, sowie das imposante Einfahrts-
tor der Peter-Paulfestung. Nach dem Tode Do-
menicos (1734) blieben sein Sohn Peter, sowie
Schwiegersohn, Giuseppe Trezzini, noch eine
Reihe von Jahren in russischen Diensten.
G. LUKOMSKY, L'exposition historique d’archi-
tecture et d'art décoratif. (15 Abb.).
Beschreibung der von der ,,Gesellschaft der Kúnet-
ler-Architekten“ in der Akademie der Künste zu
St. Petersburg arrangierten Ausstellung von Plänen,
Zeichnungen und Modellen Petersburger Archi-
tekten seit Peter I.
BARON N. WRANGELL, Die Ausstellung von Wer-
ken A. Wenetzianows im Alexander 111.-Museum.
(5 Abb.)
RASSEGNA D’ARTE.
fasc. 4:
FRANC. NOVATI, Un cassone nuziale senese e le
raffigurazioni delle donne illustri nell’arte italiana
dei secoli XIV e XV. (7 Abb.).
Interpretation der Darstellungen einer senesischen
Hochzeitstruhe; Polemik mit P. Misciatelli.
GUIDO CAGNOLA, „La schiavona“. (Abb.).
Protest anläßlich des Verkaufes der „schiavona“
der Sammlung Crespi nach Paris.
ADOLFO MORINI, Alcuni lavori della bottega di
Antonio Rizzo a Cascia. (4 Abb.).
Eine Gruppe des Tobias mit dem Engel und
ein heiliger Sebastian.
LISA DE SCHLEGEL, П primo maestro die Raf-
faello. Notizie e documenti inediti. (3 Abb.).
Stellt fest, daß Evangelista di Pian di Meleto
zwischen 1513 und 1522 die Sakramentskapelle
des Doma von Urbino ausgemalt hat. Unter-
stútzt die Venturische Zuschreibung der Sa Con-
versazione in Budapest (боб) an diesen Meister.
UMBERTO GNOLI, Una tavola sconosciuta di
Ottaviano Nelli. (Abb.).
Madonna mit Engeln in der Sammlung Pio Fabbri,
Rom.
— 1.
LA BIBLIOFILIA.
fasc. 1:
ENRICO CELANI, La biblioteca Angelica. (3 Abb.).
A. D'JUGHUEM, Bibliographie chinoise et japo-
naise. (2 Abb.).
LEO 8. OLSCHKI, Quelques manuscrits fort pré-
cieux. (8 Abb.).
LUIGI ZAMBRA, Corriere d’Ungheria.
GARDNER TEALL, American notes.
A. VALGIMIGLI, English Courrier.
Vendite pubbliche. — Notizie.
MUSEUM.
REVISTA MENSUAL DE ARTE ESPANOL.
Num. 4:
PELAYO QUINTERO, Mosaique de caracttre ro-
main en Espagne. (1 farbige Tafel, 18 Abb.).
J. GESTOSO PÉREZ, Souvenirs de la Séville
romaine. (7 Abb.).
EMILE MORERA, Statuaire romaine au musée de
Tarragone. (1 Tafel, y Abb.).
L. D. M., Ruines romaines de Tarragone. (8 Abb. ).
JOSÉ RAMON DE MELIDA, Les Fouilles de
Mérida. — Le Théatre Romain. (6 Abb.).
337
Dr. BÉLA LAZAR, Paul Мегве von Sziney. Ein
Vorliufer der Pleinairmalerei. Verlag Klinkhardt
& Biermann, Leipzig. М. 24.— die gewöhnliche
Ausgabe, M. 60.— die Vorzugsausgabe. 100 sig-
nierte Exemplare.
WILHELM WORRINGER, Formprobleme der
Gotik. Verlag R. Piper & Co., Miinchen. Preis
geh. M. 5.—, geb. M. 7.—.
Dr. PH. SCHWEINFURTH, Uber den Begriff des
Malerischen in der Plastik. Verlag J. H. Ed. Heitz
(Heitz & Mündel), Straßburg. Preis М. 3.50.
PROF. Dr. W. MARTIN — E. W. MOES, Althollin-
dische Malerei. Verlag Klinkhardt & Biermann,
Leipzig. Jährlich in 12 Lieferungen im Format
26 >< 36cm. Preis pro Lieferung mit sechs Bild-
tafeln in Umschlag mit beschreibendem Text bei
Subskription auf einen Jahrgang M. 2.50. Preis für
den ]аһг апе М. 30.—.
M. 4.—.
E. PFUHL, Die griechische Malerei.
G. Teubner, Leipzig. Preis M. 1.—.
PORTRAITS POLONAIS, Band I, Lieferung 1. Ver-
lag Brockhaus & Pehrsson, Leipzig.
RUDOLF BERLINER, Zur Datierung der Minia-
turen des Cod. Par. Gr. 139. (Ale Manuskript ge-
druckt.) Weida і. Th.
THE DÚRER SOCIETY, XII Notes and Sketches
by Albrecht Dúrer selected and edited by Camp-
bell Dodgson.
— — Index to the plates and text of portfolios
І —X 1898 — 1909 by Campbell Dodgson and
8. Montaju Peartree, London.
LUDWIG VOLKMANN, Kunstgenuse auf Reisen.
2. Aufl. R. Voigtländer, Verlag in Leipzig.
Leinenmappe dazu Preis
Verlag B.
BERICHTIGUNG. In dem Maiheft dieser Zeit-
schrift legt Herr Perzynski die „zermalmende Un-
zulänglichkeit“ meiner chinesischen Kunstgeschichte
dar. Der vorurteilslose Leser dúrfte úberrascht sein,
wenn er hört, daß Prof. Chavannes von der Sor-
bonne in Paris tiber das gleiche Buch sagt (Toung-
Pao p. 304): „M. Münsterberg s'est proposé de faire
une oeuvre de plus haute portée, et,... son histoire
de l’art Chinois sera digne de ce nom“. Es liegt
mir natürlich fern, durch den Hinweis darauf, daß
Chavannes der berúbmteste lebende Sinologe ist
und Perzynski als Chinaforscher bis vor kurzem
völlig unbekannt war, den Wert seiner Kritik ent-
kráften zu wollen.
Ich betone in der Einleitung meines Buches,
daß ich „zum erstenmal in zusammenhdngender
Weise eine Entwicklung der chinesischen Kunst-
sprache‘ geben will und „nicht eine Geschichte
der Künstler und ihrer Werke“. Ich beschränke
daher meine Darstellung ausschließlich auf die „Ent-
wicklung und Charakteristik der Stile“ und sprach
die Hoffnung aus, daß „mein Buch berufeneren
Forschern die Anregung gibt, das Einzelne weiter
auszubauen und ein vollständigeres Bild zu schaffen
als mir möglich war“. In diesem Sinne schreibt
mir Dr. Laufer aus Chicago, der vielleicht beste
Kenner chinesischer Kunst: „Sie haben in großen
Zügen aus einem Guß geschaffen. An Ihren De-
tails könnte ja vielerlei ausgebessert und retou-
chiert werden, aber das ist zunächst Nebensache
und wird mit der Zeit von der Einzelforschung
nachgeholt werden. Die Hauptsache bleibt, daß
zunächst einmal der Aufbau der chinesischen Kunst-
geschichte als Ganzes dasteht und darin besteht
der Wert Ihrer Leistung, die Ihnen Niemand ab-
sprechen kann“.
338
Perzynski wählt bei seiner Beurteilung gerade
den umgekehrten Weg. Seine Kritik findet für
das Wesentliche meiner Arbeit kein Wort, dagegen
versucht er, an „Hand einiger nach Möglichkeit
wörtlicher Stichproben“ meine völlige „Unwissen-
heit“ und „Nachlässigkeit“ zu beweisen. Es sei
mir gestattet „ein kleines Bouquet“ Perzynskischer
„Stilblüten von singulärem Duft“ ... mit meiner
Berichtigung zusammenzustellen.
Einige Bemerkungen z. B. über den „Vollguß“
des Daibutsu, über Muchi, über das Krihenbild
usw. — bereits früher von anderer Seite aufge-
stellt — habe ich in der Frankfurter Zeitung vom
9. April richtiggestellt. Um mich nicht zu wieder-
holen, verweise ich auf die dortigen Ausfúhrungen.
Perzynski spricht von „China und Japan, wo
Münsterberg sich ganze ı4 Tage aufgehalten hat“.
Tatsächlich war ich mehrere Monate in Ostasien
und zwar im Jahre 1891. Seit dieser Zeit — also
seit 20 Jahren — habe ich in Europa und in Amerika,
bei einem viermaligen Besuche, zahlreiche Museen,
Privatsammlungen, Auktionen und Ausstellungen
besucht und infolgedessen mehrere tausend Original-
gemälde gesehen, und es ist daher unrichtig, wenn
Perzynski behauptet: „Diese acht Kakemonos . . .
sind die Einzigen, die Münsterberg im Original
zu prüfen Gelegenheit gehabt bat“!
Perzynski sagt: „Von den etwa 150 Abbildungen
des Abschnittes veranschaulichen nur etwa асы
Reproduktionen Gemälde, die nicht in Japan auf-
bewahrt werden“ und auf diesen „Kopien und Re-
produktionen“ baut „er seine ganze Geschichte der
Malerei“ auf. — Jeder Leser kann durch einfaches
Vergleichen der Unterschriften feststellen, daß ich
30 Abbildungen von Malereien, die nicht in Japan
sind, abdrucke und daß ich von diesen zum größten
Teil selbst Photographien anfertigen leiß. Zu wei-
teren Originalaufnahmen fehlte mir Geld und Ge-
legenheit. Um billiger, bequemer und schneller
vorwärts zu kommen, wählte ich typische Beispiele
unter den Reproduktionen, von denen ich mehr als
Tausend besitze; auch lag mir daran, die japani-
schen Angaben über bestimmte Bilder zu erörtern.
Perzynski zitiert: „Die vielen Grabhügel, die
Jahrhunderte vor unserer Zeit datiert (!) sind“. —
Das Ausrufungszeichen soll offenbar einen Zweifel
an die Datierbarkeit der Gräber ausdrücken. Per-
zynski scheinen die vielen Grabhügeln beigefügten
Stelen, Grabsäulen, Steinreliefs, die teilweise In-
schriften tragen, entgangen zu sein.
Perzynski behauptet, daß ich „einen westlichen
kaukasoiden Volksstamm konstruiere“. — Aus der
vereinzelten Rassenähnlichkeit z. B. in Sibirien, mit
den Ainos, folgere ich, wohl in Ubereinstimmung
mit den meisten Sinologen, daß eine ursprüngliche
Ansiedlung der heutigen Inselbewohner auf dem
Festlande stattgefunden hat. In diesem Zusammen-
hange spreche ich von „Tontäfelchen“ „mit Augen
und Nasen“ bei den Ainos und dem Fehlen der
„Menschen- und Tierdarstellungen“ bei den später
angesiedelten Chinesen. Perzynski dagegen über-
sieht den Rassenunterschied und sagt bei Erwäh-
nung des Fehlens von „Menschen- und Tierdar-
stellungen“: „Was ihn nicht hindert, schon auf
der nächsten Seite auf Tontäfelchen hinzuweisen,
die mit Augen und Nasen verziert sind.“
Perzynski sagt: „Münsterberg nennt Reliefs von
Bronzen unklar, die er nie gesehen hat“. — Wieder-
holt habe ich antike ausgegrabene Bronzen ge-
sehen; einzelne der in den chinesischen Katalogen
abgebildeten Stücke konnte ich sogar mit Original-
photographien von Hirth und Chavannes vergleichen.
Im Kapitel tiber Bronzen im zweiten Bande meiner
Chinesischen Kunstgeschichte werde ich hierauf
náher eingehen.
Perzynski zitiert, дай ,,ausgesprochene Spiegel
der Tang-Dynastie roh seien und jederkünstlerischen
Durcharbeitung entbehren“ . — Ich spreche aber
in diesem Zusammenhange nicht von „ausge-
sprochenen“, sondern von „ausgegrabenen“ Spie-
geln. Während ich also einige in der Erde ge-
fundene Stücke als Beispiele erwähne, bringt Per-
zinski als Gegenbeweis die im Schatzhause in
Japan sorgfältig „auf bewahrten“ Spiegel, deren
Schönbeit ich niemals bezweifelt habe.
Perzynski führt meine Worte an: „Weder in
Japan noch in Südchina ist bis zum heutigen Tage
der Ochse als Pflugtier ein wirtschaftlicher Faktor“
und stellt dem gegenüber: ,,Bushell, für Things
Chinese keine schlechte Autorität, schreibt: ‚Der
Ochse ist in China als das wichtigste landwirt-
schaftliche Tier geheiligt seit den ältesten Zeiten“.“
— Auf S. 20 sage ich wörtlich: „Schon Richthofen
(1877) hat daraufhingewiesen, daß die Einführung
des Pflugtieres im Norden Chinas, unter Zuhilfe-
nahme künstlicher Bewässerung, eine Verbindung
mit Westasien vermuten läßt. Weder in Japan ...
noch in Südchina... ist bis zum heutigen Tage
der Ochse als Pflugtier ein wirtschaftlicher Faktor“ !!
Perzynski zitiert: „Das kleine Bauernreich China
erhielt aus Mykene volkstümliche Massenware“. —
Dagegen sage ich wörtlich (S. 21): „Am eigenar-
tigsten ist ein Wolkenmuster ..., das in seiner Aus-
führung auf ein bestimmtes Vorbild hinweist, das
in Mykená gefunden worden ist“. Wenn ich von
Mykenischer Kunst spreche, so meine ich damit
die Kunstsprache einer Kulturschicht, die durch
die Funde in Mykená zuerst bekannt geworden
ist, aber über deren zeitliche und räumliche Aus-
dehnung wir noch nichts bestimmtes wissen. Es
würde daher auch jede andere Stätte dieses Stiles
unter diesen Namen eingeschlossen sein“ und (S. a8)
„Der dekorative Geist, das ornamentale Vorbild,
die Technik und die Idee der Verwendung wurde
übernommen, aber die Ausführung wurde dem
Können und dem Geist des ostasiatischen Hand-
werkers angepaßt“.
Perzynski zitiert bei Erörterung der Aufschriften
auf Bildern: „Erst Yunlin, einer der großen Maler
der Yuan-Dynastie, führte die Aufschrift eines Ge-
dichtes usw. ein“. „Auf S. 244 reproduziert Mün-
sterberg gleich zwei Bilder von Sungmeistern“,
„Münsterberg hatte vergessen, daß er sie auf S. 210
von einem Yuan-Meister einführen läßt.“ —
Auf S. 210 steht aber wörtlich folgender Satz:
„Diese Art scheint schon in der Sungzeit verein“
zelt (S. 244) vorgekommen zu sein“ !!
Perzynski sagt: „Ebenso wird Chao Chung-mu...
erst als Repräsentant der Sung-Periode charakteri-
siert und dann noch einmal 8. 277 in das Ende
der Yuan-Zeit eingeschmuggelt“ . — Die Unter-
schrift von Abb. 203 lautet: „Ende Sung- oder
Yuan-Zeit‘“ und auf S. 277 steht: „Chungmuh,
14. Jahrh.“ Die Yuanzeit war von 1280 bis 1368.
Meine Worte „oder Yuanzeit' hat P. offenbar
übersehen und das „14. Jahrhundert“ dem „Ende
der Vuanzeit“ gleichgesetzt.
Perzynski führt einige falsch geschriebene Namen
auf. Ich habe aber ausdrücklich betont, daß „die
chinesischen Worte und Namen völlig ungenau
sind“, „da in dem Zusammenhang meiner Arbeit
die orthographische Richtigkeit der Namen nur
eine sehr untergeordnete Bedeutung hat“. Die zu-
sammengestellten Beweise sind daher nur Beispiele
339
meiner eigenen Angaben. Da die Kiinstler und
ihre Werke gar nicht feststehen, so unterließ ich
prinzipiell alle Bemühungen auf diesem Spesial-
gebiet, das, wenn überhaupt, nur in Japan selbst
bearbeitet werden kann.
Ähnlich steht es mit der Autorschaft der Bilder.
William Cohn sagt (Cicerone тохто, 23) sehr
zutreffend: „Solche Zuschreibungen sollen selbst-
verständlich nur die ungefähre Stilrichtung an-
geben und haben allein in diesem Sinne Wert“.
„Unsere Kenntnis chinesischer Künstlerpersönlich-
keiten ist ja noch so außerordentlich lückenhaft,
daß wir höchstens die Umrisse dieser oder jener
Gestalt ahnen können“. Von biographisch undkünst-
lerisch fest umgrenzten Persönlichkeiten kann in
China gar keine Rede sein, da ältere Originale nur
vereinzelt vorhanden sind und die Echtheitsbeweise
nirgends erbracht werden konnten. Perzynski be-
richtigt mich durch die japanische Tradition, aber
diese widerspricht sogar z. B. bei dem angeblich
berühmtesten Maler Muchi der chinesischen Úber-
lieferung. Ich vermeide es daher, die Frage der
Echtheit zu entscheiden. Meine stilkritischen Aus-
führungen sollten nur zur Prüfung der japanischen
Angaben und zum vorurteilsfreien Sehen anregen.
Keiner ist sich der Mangelhaftigkeit und Un-
vollständigkeit seiner Arbeit mehr bewußt wie ich.
Es ist der erste Versuch zur Lösung einer Auf-
gabe, die Perzynski „eine Titanenaufgabe“ nennt.
Daher bin ich für jede sachliche Kritik und Er-
gänzung, von wem sieauch kommen mag, außer-
ordentlich dankbar. Aber „wörtliche Stichproben“,
bei denen wichtige Wörter fortgelassen sind,
„trockenes Tatsächliches“, das den Sinn mißver-
ständlich wiedergibt und unbewiesene Gegenbe-
hauptungen — kann ich nicht ale ernsthafte Kritik
anerkennen. O. Münsterberg.
IV. Jahrgang, Heft VII.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in BERLIN: Dr. JOHANNES SIEVERS, W's, Emserstr. 221. | In
MÜNCHEN: Dr. М.К. ROHE, München, Clemensstr. 105. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT THE,
Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill Lodge
Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, de Riemerstraat 22. | In FRANKREICH
OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begriindeten
340
Tafel бо
ВїЇйпїз des Malers Palamedes Palamedesz, gemalt von A. van Dyck Bildnis des Malers Palamedes Palamedesz, gemalt von
Miinchen, Alte Pinakothek Antonius Palamedesz München, Julius Böhler
A. PALAMEDESZ, Bildnis (aus der Frühzeit des
Malers) Kaiser - Friedrich - Museum
Zu: HERMANN BURG, ÜBER EINIGE PORTRÄTS DES ANTONIUS PALAMEDESZ
м. f.K. IV. 7
Tafel 61
A. PALAMEDESZ, Bildnisse eines Ehepaares (1665) Walraff-Richartz-Museum, Kóln
A. PALAMEDESZ, Bildnis (aus der mittleren Zeit des
Malers) Kaiser - Friedrich - Museum
Zu: HERMANN BURG, UBER EINIGE PORTRÁTS DES ANTONIUS PALAMEDESZ
M. f. K. IV, 7
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Tafel 62
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Abb. 2. LESSAY, Das siidliche Querhaus
LESSAY, Blick in das Schiff von Westen nach Osten
Abb. 1.
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Abb. 3. L ESSAY, Blick in die Vierung nach Nordosten
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Abb. 5 LESSAY, Obere Partien im Schiff auf der Südseite mit älteren und
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Abb. 4. LESSAY, Oberteile des südlichen Querhauses
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Tafel 67
Abb. 9. CAEN, S. Trinité. Blick auf den Vierungspfeiler im Nordwesten
Zu: ERNST GALL, NEUE BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE VOM „WERDEN DER GOTIK“
M. f. K. IV. 7
Tafel 68
HENDRICK GOLTZIUS, Christus an der Martersáule Úlzen, Marienkirche
Holz, 79><79 cm
Zu: HANS JANTZEN, EIN UNBEKANNTES GEMÁLDE DES HENDRICK GOLTZIUS
M. f. K. IV, 7
Tafel 69
GRECO: Die Eröffnung des V. Siegels Paris, D. Ignacio Zuloaga
Zu: HUGO KEHRER, DIE DEUTUNG VON GRECOS ,,IRDISCHE LIEBE“
M. f. K. IV. 7
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INHALTSVERZEICHNIS HEFT 8
ABHANDLUNGEN
FRANZ RIEFFEL, Die Freiherrlich von
Holzhausensche Gemäldesammlung in
der Stádelschen Galerie. Mit 11 Ab-
bildungen auf 6 Tafeln S. 341
P. G. HÚBNER, Der Autor des Bero-
linensis. Mit 12 Abb. auf 3Tafeln S. 353
BERTHOLD HAENDCKE, Die wirt-
schaftliche Lage der bildenden Kiinst-
ler in der Reformationszeit und die
Entwicklung der Künste . S. 368
MISZELLEN
Zu „A.VICTORYNS“, Mit 1 Abbild. auf r Tafel.
(Nasse) с . . . 8,971
LITERATUR
DR. C. HOFSTEDE DE GROOT, Beschreibendes
und kritisches Verzeichnis der Werke der her-
vorragendsten holländischen Maler des XVII.
Jahrhunderts (Moes) S. 371
H. S. DREY
Königl. Bayer. Hoflieferant
MÜNCHEN
Maximillanstraße 39
PARIS, 39 Rue La Boetle
SEB. KILLERMANN, A. Dürers Pflanzen- umd
Tierzeichnungen und ihre Bedeutung für die
Naturgeschichte (David). ) 5.376
HENRI HYMANS, Antonio Moro, son oeuvre et
son temps (Freise) S. 378
BENNO GEIGER, Maffeo Verona. Ein Beiras
zur Geschichte der venezianischen Kunst 1
Zeitalter des Barock (Voß) ....... 5. 380
RICHARD GRAUL und KURZWELLY, Alt—
thüringer Porzellan (Zimmermann) . S. 38 =
CROOY, FERNAND, Les orfevreries ancienne=
conservées au Tresor de Hal (Bassermann
Jordan} wa SA TI ets 5.з38ж
STEPHEN W.BUSHELL, Description of Chines ==
pottery and porcelain being a translation of
the T’ao Shuo with introduction, notes
bibliography (Kümmel ‚ S. 382
PETITES MONOGRAPHIES DES GRANDES
ÉGLISES DE LA FRANCE, publieés sous Le
direction de E. Lefevre-Pontalis, Directeur @
la Société francaise d'Archéologie (Grautof£ Ў
S. 383
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HOFANTIQUAR 8а MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR
BRIENNERSTRASSE 12
AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÄLDE
ALTER MEISTER UND KOSTBARER
ANTIQUITÄTEN
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4.8 WE
DIE FREIHERRLICH VON HOLZHAUSEN-
SCHE GEMÁLDESAMMLUNG IN DER
STADELSCHEN GALERIE
(ZUGLEICH EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER MITTELRHEINISCHEN
MALEREI IM XVI. JAHRHUNDERT, NAMENTLICH IN FRANKFURT)
Mit elf Abbildungen auf sechs Tafeln Von FRANZ RIEFFEL
D: Holzhausensche Sammlung, die der derzeitige Besitzer, Freiherr Adolf v. Holz-
hausen, der Städelschen Galerie leihweise überlassen hat, ist bisher, solang
sie in den Wohnräumen der Holzhausenschen Wasserburg in der Öd untergebracht
war, nur wenigen aus eigner Anschauung bekannt geworden. Abgesehen vielleicht
von dem in einigen Ausstellungen gezeigten sog. Dürerbildnis.
Von ihren 82 Bildern gehören die meisten und die besten der Ahnengalerie des
Hauses an. 32 sind seit kurzem in der Städelschen Galerie öffentlich ausgestellt.
Die Gemälde geben eine ganze Geschichte der deutschen, in specie der Frankfurter
Bildniskunst vom Beginn des, XVL bis zum XIX. Jahrhundert. Namentlich das
XVI. Jahrhundert ist durch eine Reihe künstlerisch hervorragender Stücke vertreten,
die auch den Bezirk der Wissenschaft stattlich erweitern. Im folgenden soll nicht
ein Verzeichnis der Bilder, nicht einmal aller ausgestellten, erbracht werden, viel-
mehr nur eine kurze Musterung, die bei einigen ausgezeichneteren Dingen verweilt.
Das früheste der Bilder ist eben jenes sog. Dürerbildnis. Der in den Vierzigern
stehende, blauäugige, blondhaarige, frische Mann trägt einen schwarzen Damast-
mantel mit gelbem, dunkelgeflammten Pelzkragen. In den Händen hält er ein
granatrotes Rosenkränzchen. Abgesehen von dem dunkelgrünen, stark erneuerten
Hintergrund, auf dem man Spuren einer Bezeichnung zu sehen glaubt, ist die Er-
haltung gut. Charakteristisch sind die starken Glanzlichter allenthalben, im Ge-
sicht, besonders der Nase, den Augen, auf den Haaren, den Rosenkranzperlen; der
kräftige Karminauftrag auf Lidern, Nasen und Wangen; die Zeichnung der schmalen
Lippen und des Mundes; die tiefe, nach oben hin (unter der Nase) unrichtig ver-
laufende Grubung zwischen Nase und Oberlippe; die Daumeneindrücke des Malers
an der (heraldisch) linken oberen Wange. (Solche hat, wie andre an Werken
Dürers, Friedr. Dörnhöffer nach Lausers Vorgang auch an der später zu nennenden
Beweinung der Wiener Akademie beobachtet, wie er mir gütigst mitteilt; vgl. auch
Wickhoffs Kunstgeschichtl. Anzeigen 1904, S. 66).
Das Bild, so kurz es bekannt ist, kann als ein Lieblingskind der Kunstgeschichte
gelten. Thode hat es als „Dürer“ eingeführt (Jahrb. d. K. Pr. K. S. XIV, S. 208 ff.).
Bayersdorfer (Text zum 2. Jahrg. 1896 des Werkes der Kunsthist. Ges. f. phot. Publ.)
schreibt es einem unbestimmten Dürerschüler zu. Haack (Rep. f. K. XXIV, S. 376 ff.)
äußert seine Bedenken gegen die Taufe auf Dürer und schlägt den Namen Baldung
vor. Weizsäcker (Rep. f. K. XXV, S. 82ff.) erörtert das Bild und die Gruppe, zu
der es gehört, eingehend und bezeichnet gleich Bayersdorfer als den „Meister des
Holzhausenschen Bildnisses“ einen unbestimmten Dürerschüler, wahrscheinlich einen
Frankfurter. Gebhardt endlich nennt vermutungsweise Martin Hess als diesen
Meister (Rep. f. K. XXXI, S. 437ff.). In der Zusammenstellung der stilverwandten
Bilder ist man ziemlich einig. Es sind vor allem der „Dreikönigsaltar“ der Mainzer
Galerie, die „Darstellung im Tempel“ des Historischen Museums in Frankfurt, der
»Christus in der Kelter“ in Ansbach. Hierin stimmen Bayersdorfer und Weizsäcker
Monatsbefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 8 24 341
überein. Bayersdorfer fügt noch den Berliner Apostelkopf („Baldung“) und die
„Beweinung“ der Wiener Akademie hinzu; v. Tschudi in einer Anmerkung zu
Weizsäckers Aufsatz eine mir unbekannt gebliebene „Madonna zwischen Engeln
und Stiftern“ im venezianischen Kunsthandel; Gebhardt setzt die Liste fort mit dem
„Jakobusmartyrium“ des Münchner Nationalmuseums nach Vorgang der Verfasser
des Katalogs (No. 383) und — aber nur vermutungsweise — der sehr streitigen
„Kreuzesfindung“ des Germanischen Museums. Endlich schreibt Heinz Braune im
Katalog des Germanischen Museums demselben Meister No. 197 und 198 dortselbst
„Christus“ und „Maria“ zu. Über diese zwei letzten Bilder habe ich wegen ihres
hohen Standortes keine Ansicht. Den Apostelkopf in Berlin würde ich eher dem
Baldung belassen. Bei der Nürnberger Kreuzesfindung traue ich mich noch nicht
Gebhardt zu folgen. Das Mainzer Altarbruchstück habe ich vor schier 20 Jahren
als Baldung (und Schäuffelein) in die Literatur eingeführt (Rep. f. K. XV, S. 288ff.).
Später habe ich eine Zeitlang an Wechtlin gedacht. Es sind aber zwei oder gar
drei Hände daran beteiligt. Am leichtesten unterscheidet man die Hand eines
schwächeren, energieloseren, der den Stephanusflügel gemalt, von der Arbeit dessen,
der allein oder im wesentlichen das Dreikönigsbild (sowie wohl auch die Bilder
der Rückseite: Kreuzigung und Verkündigungsengel), geschaffen hat. In dem Altar-
werk vereinigt sich Straßburger (oder ist es Mainzer?) und Dürerische Schulung.
Daß der Maler des Dreikönigsbildes für die Stadt des Hintergrundes Holzschnitte
des Erhard Reuwich aus Breidenbachs Pereginationes (Mainz 1486) verwertet hat,
ist interessant. Mindestens drei Gebäude von Jerusalem kehren nämlich ziemlich
getreu wieder, das zwiebelkupplige Templum Salomonis und zwei stumpfe Kuppel-
türme vom hl. Grab. Von der ganzen Bildergruppe kommt dem Dreikönigsbild
nichts so nah, wie die Münchner Jakobusgeschichte; darauf die Frankfurter Dar-
stellung im Tempel. Das Ansbacher Bild ist in der Farbe freudiger und lichter.
Schwierig steht es mit der „Beweinung“ in Wien. Röttinger nimmt (oder nahm)
sie für seinen Weiditz in Anspruch (Röttinger, Hans Weiditz, der Petrarkameister
1904, S. 48ff.) und setzte sie ins Jahr 1519/20. Dornhöffer (Kunstgesch. Anzeigen
1904, S. 65ff.) hat ihm widersprochen, das Bild aber ebenfalls von unserer Gruppe
abgetrennt. Er hält es für eine weit spätere Arbeit, „die vielleicht einen Dürer
bedeuten wollte“. Andrerseits hat М. J. Binder (Frimmels Blátter f. Gemäldekunde
1906, S. 61 ff.) das Ansbacher Bild gerade wegen seiner Verwandtschaft mit dem Wiener
dem Weiditz gegeben. So scheinen schwache Stege von unsrer Gruppe zu Wei-
ditz zu führen. An sich wäre ich geneigt, eine frühe Straßburger - Dürerische
Periode dieses Straßburger Künstlers anzunehmen; der dann nicht, wie Dornhöffer
möchte, erst um 1495 — 1500 (S. 56 a. a. O.), sondern spätestens „in den achtziger
Jahren des XV. Jahrhunderts geboren“ sein muß (Röttinger a. a. O.S. 23). Ich finde
auch in den Körperformen und -typen, der auffallenden Vorliebe zum Kraushaar,
den widerspruchsvollen Körperverhältnissen, der Bewegung und der Anordnung, Ver-
wandtschaft mit den Holzschnitten des Weiditz (Leben und Leiden Christi; Calixtus
und Melibia; Petrarka), aber nicht genug, um einen sicheren Schluß zu ziehen.
Selbst wenn ich bereit wäre, das BB zweier Bildnis-Zeichnungen in Berlin (No. 183
und 184 der Zeichnungen alter Meister) auf Weiditz zu deuten. (BB = W; vgl.
Dörnhöffer a. a. O., S. 55, Anm. 1). Von diesen Zeichnungen hat allerdings die
ältere von 1509 keine klare Schulphysiognomie. Die spätere von 1513 mit der auf
einem Zettel aufgesetzten Unterschrift „Jörig Lutz von“ sieht ziemlich augsburgisch
aus, stellt auch, scheint es, einen Augsburger dar, nämlich den Maler Jörg Lutz d. a,
der 1510 in Augsburg die Gerechtigkeit erhält, 1511 die Lernknaben Hans Schich-
342
~ ы ne
tinger und Sigmund Guttermann vorstellt und 1546 gestorben ist; sein Sohn Jörg
Lutz d. j. hat schon 1541 die Gerechtigkeit des Vaters erhalten (Rob. Vischer,
Studien 2. Kunstgesch. 1886, S. 514, 526, 546, 548, 567). Ein zuverlässigeres und
-charakteristischeres Blatt des Weiditz aus den zehner Jahren des XVI. Jahrh. scheint
mir das „Frauenhaus“ in Berlin zu sein, das bisher dem Baldung zugeschrieben
wird (у. Térey No. 47, Zeichnungen a. M. No. 164). Diesen flüssigen Erzählungs-
stil der gerade den Weiditz zum Meister der Novelle macht, hat Baldung nie
besessen; ebensowenig diesen etwas zitternden und zuckenden Strich, der selbst
durch das Medium des Holzschneiders hindurch in den Schnitten des Weiditz er-
kennbar ist. Von diesem Blatt aus spinnen sich eher Typenbeziehungen nach dem
‘sicheren Weiditz hin (der weiße Mohrentypus des Herzogs Christoph im „Phalaris-
mus Dialogus“ von 1517 und des jüngeren Mannes mit der Schaube vorn links im
„Frauenhaus“; derselbe Typus kommt auch in „Calixtus und Melibia“ vor), sowie
nach der Holzhausengruppe (Mohrentypus des Mainzer Dreikönigsbildes; der Typus
der stehenden Frau ziemlich in der Mitte des Frauenhauses verglichen mit der
Maria der Mainzer Kreuzigung, der Maria der Frankfurter Darstellung im Tempel,
der Maria des Ansbacher Kelterbildes. Als Weiditz spreche ich auch den hl.
Martinus in London (v. Terey No. 197) an. H. A. Schwind hielt ihn schon vor
Jahren für augsburgisch (Rep. f. K. ХХІ, S. 312). Röttinger hat ihn dem Wechtlin
‚zugewiesen (Wechtlin 1907, S. 22, 57). Ich bitte, den Bettler mit dem Kranken
im Trostspiegel, II. Kap. 129, zu vergleichen. Aber ich will es bei diesen Beobach-
tungen bewenden und den Weiditz Weiditz bleiben, die Gruppe des Holzhausen-
bildnisses bei ihrem Namen belassen; wenn auch am Ende der Name „Meister des
‚Mainzer Dreikönigsbildes“ unzweideutiger und richtiger wäre.
Denn es scheint mir gewiss, daß dieses Bild als das bedeutendste Werk, ferner
die Frankfurter Darstellung im Tempel, das Münchner Jakobusmartyrium und unser
Bildnis von einem und demselben Mann gemalt sind. Für den Dreikönigaltar habe
ich seinerzeit (S. 305 a. a. O.) das Jahr 1505 als terminus non post quem wahr-
scheinlich gemacht; für die „Darstellung im Tempel“ gibt den terminus post quem,
daß von den zwei Begleiterinnen der Jungfrau Maria die eine den Kopfputz der
Dürerischen Frau mit dem Totenkopfwappen (1503), die andere den des „Meer-
wunders“ (1503/04) trägt; das Bild ist also kaum viel später als 1504 entstanden.
Etwas weiter ab von dieser Gruppe stellt sich der Ansbacher „Christus in der
Kelter“. Der doch wohl von Dürer selbst herrührende Entwurf dazu in Berlin
(Lippmann I 28) sieht seltsamerweise viel fortgeschrittener aus als das Bild.
Dieses ist noch vertikal betont und gotisch eng, der Entwurf dagegen schon weit-
räumig und breit. Dort, im Entwurf, steht Maria ziemlich aufrecht, hier, im Bild,
geknickt; ähnlich Christus. Dort hat der Stifter die Größe der übrigen Gestalten:
hier ist er mittelalterlich verkleinert. Dort bildnismäßiger, bartloser Papst;
hier der typische Petruskopf. Dort nur je ein Schriftband über dem hl. Geist,
Christus und dem Stifter; hier deren sieben. (Die Straßburger und Mittelrheiner
haben eine besondere Vorliebe für flatternde Schriftbänder.) Den Entwurf würde
ich in die Jahre 1510/12 setzen; das Bild, wenn es nach diesem Entwurf ent-
standen ist, jedenfalls kaum später.
Das Wiener Bild mag gegen 1511 entstanden sein. Die Anordnung schließt sich
an die Kreuzabnahme der Kupferstichpassion Dürers von 1507 an (B. 14). Der
‚Johannes ist nicht ohne das Vorbild des Engels links auf Dürers Dreifaltigkeit von
1511 (В. 122) zu denken.
Sehe ich mich nach Verwandten um, so finde ich vor allem eine Federzeichnung
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der Sammlung Bürki-Wyss im Berner Museum. Sie mißt etwa 43 cm in der Höhe,
30 in der Breite und bildet den Entwurf zu einer Glasscheibe. Als Umrahmung
dienen zwei spätgotische durch einen Bogen verbundene Baumsäulen, auf deren
Kapitälen Löwen sitzen. Links und rechts in der oberen Ecke schaut aus einer
Nische je eine turbangekrönte alttestamentliche Männergestalt heraus. Innerhalb
des Rahmens die Verklärung Christi auf Tabor; Christus steht auf einer kleinen
Erderhöhung inmitten der drei Apostel; links und rechts oben Moses und Elias im
Brustbild auf Wolken. Die Zeichnung kommt in den Typen dem Stephanusflügel
des Mainzer Dreikönigaltars und der Darstellung im Tempel zu Frankfurt (Hand-
formen) am nächsten, ist jedoch wohl etwas jünger. Ein Marienblatt in Dresden
(v. Terey, No. 79) ist der Mainzer Maria zwar in vielem ähnlich, aber später; wenn-
gleich sie ebenfalls noch im Typus das Vorbild des Dürerischen Marienkopfes von
1503 in Berlin, L. 6, der der Mainzer Maria zugrunde liegt, nicht verleugnet. Ich
wage es nicht, sie demselben Meister zuzuschreiben.
Wenn man an Baldung als den Urheber des Holzhausenschen Bildnisses gedacht
hat, so ist das begreiflich. Ein Bild, wie das Londoner Bildnis von 1514, könnte
bei der Taufe etwa zu Paten gestanden haben. Aber schon Weizsäcker hat mit
Recht auf das geringere Kaliber unseres Meisters aufmerksam gemacht. Abge-
sehen von den Verschiedenheiten der Formen und der Farbe. Unser Mann ist ein
eleganterer Redner als Baldung, aber ohne dessen Wucht und Stämmigkeit. Das
Bildnis wird zwischen 1500 und 1505 entstanden sein. Die Haartracht und -be-
handlung erinnert an Dürers Selbstbildnis in der Pinakothek.
Den Namen des Martin Hess von Frankfurt hat Weizsäcker mit arger List, aber
so nebenbei und unverbindlich als möglich in die Debatte geworfen und Gebhardt
hat ihn in seinem wertvollen kleinen Aufsatz über diesen Maler (Rep. f. К. XXXI,
S. 437ff.) etwas bestimmter wiederholt. Ich trage meine Bedenken gegen die an-
mutige Hypothese vor. Vor allem bezweifle ich, daß Hess ein Schüler oder Nach-
folger Dürers gewesen ist. Ein reifer, fast 40 Jahre alter Meister von dem An-
sehen, das Dürer 1509 allerorten genoB und von Dürers Selbstgefühl beruft sich,
wie Dürer es in dem bekannten Hellerbrief tut, nicht auf das sachverständige
Urteil seines eignen, jüngeren Schülers. Ein solches Urteil würde auch bei Heller
nicht schwer gewogen haben. Daß Hess „eins burgers son“, am Ende des Malers
Hans Hesse, den Gwinner (Kunst und Künstler in Frankfurt a. M. 1862, S. 26/27
und „Zusätze und Berichtigungen dazu“, ebenda 1867, S. 105/106) in den Jahren
1471, 1483 und 1489 urkundlich belegt findet, 1508 in Frankfurt „den Burgereidt“
geleistet hat, läßt zwar den Schluß zu, daß er sich damals in Frankfurt dauernd
niedergelassen habe, vielleicht unmittelbar nach seines Vaters Tod, begründet aber
nicht ohne weiteres die Annahme, daß er erst zu dieser Zeit oder kurz vorher
selbständiger Meister geworden sei, verrät also nichts über sein Alter. Ferner
stammt ein Bild der Gruppe, bei dem die Frankfurter Herkunft sicher ist, die ehe-
mals in der Frankfurter Dominikanerkirche aufbewahrte Darstellung im Tempel,
zweifellos aus der Zeit vor 1508, etwa aus 1504. Um dieselbe Zeit, wohl etwas
früher, wird der Dreikönigsaltar gemalt worden sein, sowie das vermutlich einer
Mainzer Kirche entstammende Jakobusmartyrium; bald nachher ferner das Holz-
hausensche Bildnis.
Ich denke mir eher, daß Martin Hess, bevor er 1508 und zwar als bewährter
Maler nach Frankfurt zurückgekehrt ist (da Dürer sein Urteil anruft), anderswo sich
seine Sporen verdient hat. Am Ende in Mainz. Leo Baer (die illustrierten Historien-
bücher des XV. Jahrhunderts, Straßburg 1903) scheint mir mit der Vermutung Recht
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zu haben, daB die h bezeichneten Formschnitte der 1492 in Mainz erschienenen
Chronik der Sachsen von Martin Hess herriihren (S. 165 a. a. O.). Von demselben
Zeichner stammen die meisten anderen dieses Buches. Dem Meister der Form-
schnitte schreibe ich ferner die achttafelige überaus interessante Sebastianslegende
im Bischöflichen Hause in Mainz zu. Thode hat sie einem Nachfolger des Haus-
buchmeisters gegeben; ich habe das seinerzeit im Vertrauen auf Friedrich Schneiders
Mitteilung, das Bild stamme aus Oberbaden, angezweifelt. Später hat Schneider
seine Mitteilung mir gegenüber widerrufen und die Tafeln als alten (Kurmainzer)
Bestand erklärt. Vielleicht waren sie früher in der Mainzer Sebastianskapelle. Ich
hoffe, sie noch einmal veröffentlichen zu können. Nach meiner jetzigen Vorstellung
von der mittelrheinischen Kunst (ich rechne dabei die untermainfränkische ein), ist
der Altar ausgesprochen mittelrheinisch und kurz vor 1500 entstanden. Ein ferneres
und ungefähr gleichzeitiges Werk desselben Malers ist die in der Albertinapubli-
kation unter No. 963 mitgeteilte Zeichnung bei dem Grafen Wilczek in Wien,
Franciscus Philelphus, bezeichnet M H. Die Herausgeber haben zuerst (siehe die
Unterschrift des Blattes) M H gelesen, darauf (im Jahrgangsverzeichnis) MM und
endlich (beim Schluß der Publikation im Generalregister) wieder MH. Der Buch-
stabe H wird bisweilen als N verwandt (Aufschrift des Multscherschen Kargaltars
in Ulm), H mehrfach als M (Aufschrift auf Wolgemuts Perckmeisterbildnis im Germ.
Museum No. 135, auf dem „Tod Mariae“ der Pfarrkirche in Aßmannshausen).
Ы als Н ist meiner auf diesem Gebiet geringen Erfahrung anderswo als (möglicher-
weise) in der Philelphuszeichnung nicht begegnet. Kann sein, daß sich noch ein
älteres Werk, nicht derselben Hand, aber derselben Gruppe, in Mainz verborgen
hält. In Frankfurt glaube ich zwei Bilder derselben Hand zu kennen, das männ-
liche und das weibliche Bildnis No. 78 und 79 der Städelschen Sammlung. Weiz-
säcker hat sie als „mittelrheinisch um 1505“ erkannt und auf die enge Beziehung
zu dem der Werkstatt des Hausbuchmeisters zugeschriebenen Marienleben der
Mainzer Galerie aufmerksam gemacht. Baer (a. a. O. S. 164) bringt sie zutreffend in
Verbindung mit der Sachsenchronik. Indem ich den Grad der Verwandtschaft zum
Marienleben, das mir dem Hausbuchmeister näher zu kommen seheint, als die
Frankfurter Bildnisse, dahingestellt sein lasse, akzeptiere ich im übrigen mit Freuden
diese Beobachtungen.
In etwas entfernteren Zusammenhang mit der Gruppe möchte ich zwei andere
Stücke bringen. Nämlich zuerst das Doppelbildnis, das früher der Sammlung Lanna
angehört hat. Als „Holbein d. 4.“ wurde die Zeichnung 1910 versteigert, ist falsch
mit „Albert Dürer“ bezeichnet und obwohl frühestens gegen 1500 entstanden,
zweimal mit der in jedem Betracht unmöglichen Jahreszahl 1479 versehen (Alb.
Publ. No. 1111: „Oberdeutsch um 1479“). Sodann ein sich ziemlich eng an die
Frankfurter Bildnisse anreihendes Bild, das ich freilich nur aus dem Kataloglicht-
druck kenne; No. 174 der am 14. Oktober 1907 bei Helbing in München verstei-
gerten Sammlung „aus rheinischem Privatbesitz“. Es hieß im Katalog „Wolgemut“
und stellt einen älteren Mann nach rechts gewendet dar. Auf der Rückseite ist es
(nach dem Katalog) 1500 datiert und trägt ein Wappen. (Ein andrer sogenannter
„Wolgemut“, ein Greisenbildnis nach links, No. 718 der Fürstlich Liechtensteinischen
Sammlung in Wien, ist mittelrheinisch, steht aber dem Philelphusmeister ferner. Über
die Schwächen der Zeichnung kann die erregte und bestechende Farbe (Schwarz,
Scharlachrot, Lavendelgrau vor dem Tiefblau des Himmels), die an Lottos Koloristik
und selbst entfernt an Grünewald gemahnt, nicht ganz hinwegtäuschen. Es kommt
mir vor, als ob hier ein Werk des Meisters SD — gewöhnlich DS genannt — vorläge).
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Die Lannazeichnung gehört gewiß, der erstgenannte „Wolgemut“ vielleicht
einer andern Hand an, als der Sebastiansaltar, der Philelphus, die Sachsenchronik-
Holzschnitte und die Stádelschen Bildnisse, die alle, namentlich die zwei ersteren,
sich durch die gleiche fehlerhafte Augenlidzeichnung verraten. Allein sie schließen
sich doch zu einer mittelrheinischen Gruppe zusammen.
Deren Stil und Herkunft weisen zunächst auf eine Ortschule, etwa in Mainz
Die Anklänge an den Hausbuchmeister sind verschieden stark, spärlicher im Philel-
phus und im Sebastiansaltar. Diese Gruppe von vielleicht zwei oder drei Malern
zusammenzustellen, ist mir wichtiger, als sie zu taufen. Denn wenn ich die Ver-
mutung aussprechen wollte, daß Martin Hess der Mittelpunkt und Meister dieser
Gruppe sei, so könnte ich mich nur berufen auf die Deutung der Bezeichnungen h
und MH und auf negative Umstände: daß die geringen urkundlichen Zeugnisse über
Hess nicht widersprechen. Er könnte sehr wohl bis 1508 in Mainz gearbeitet
haben und von hier nach seines Vaters Tod in seine Heimat zurtickgewandert sein.
Wenn er urkundlich „Visierer“ genannt wird, so ist das der Annahme günstig, daß
er für den Holzschnitt gezeichnet habe. Trifft die annoch sehr luftige Vermutung
zu, so hat Thode wieder einmal die rechte Spur gehabt. War Martin Hess auch
nicht der Hausbuchmeister selbst, so erscheint er doch als ein namhafter Vertreter
seiner Richtung, vielleicht nach seinem Tode als der Erbe seines Ansehens. Auf
eines derartigen, nicht durch Schulabhängigkeit von ihm selbst befangenen Mannes
Urteil könnte Dürer sich dem Jakob Heller gegenüber mit andrem Fug berufen
haben.
Nach dieser Abschweifung kehre ich zur Sammlung Holzhausen zurück.
Zwei Bilder haben es mit Cranach zu tun. Eines stellt die Madonna in Engels-
glorie vor Goldgrund und auf dem Halbmond dar, wie sie von dem links knieen-
den Stifter verehrt wird. Das Bild ist neben dem Stifter falsch bezeichnet „Hier.
Rudellant aet. suae 74“ und falsch datiert 1499. Das beigefügte Wappen wird
näheres ermitteln lassen. Das Gemälde gehört der Cranachwerkstatt nach 1520
an. Woermann im Dresdner Cranach-Ausstellungskatalog von 1899 erwähnt es
unter No. 128; ebenso Flechsig (Cranachstudien, S. 101). Dieser nennt es neben
dem bekannteren des Geh. Hofrats Schäfer in Darmstadt, datiert es aber später als
jenes. Gleichfalls ein Werkstattbild oder eine Werkstattswiederholung ist der „Christus
mit den Kindern“. Wie die Stücke gleichen Gegenstandes in Naumburg, Dresden
und Prag (Sammlung Graf Nostitz) wird er nach 1530 entstanden sein. Am meisten
gleicht er einem mir aus dem Auktionskatalog No. 94, Math. Lempertz 1907, be-
kannten, 1541 datiertem Exemplar (No. 29), ehemals in der Sammlung Mertens-
Schaaffhausen in Köln. Ich kenne übrigens eine große Lithographie aus dem ersten
Drittel des XIX. Jahrhunderts, die die Komposition unseres Bildes getreu wieder-
gibt. Ob nach ihm selbst oder einem andern, weiß ich nicht.
In sehr schlechtem Erhaltungszustand befinden sich zwei Bildnisse, von denen
das männliche auf der Rückseite 1523 datiert ist. Es stellt den Blasius von Holz-
hausen dar (1481—1524), das Gegenstück seine Frau Katharina, geb. Breder von
Hohenstein (+ 1549). Der Mann in schwarzem Rock mit einer goldnen Kette und
Schaumünze und schwarzem, flachen, breitrandigen Hut blickt nach rechts. Er hat
die Hände übereinander gelegt und hält ein goldnes Büchschen darin. Grund
(offenbar ganz erneuert): dunkelgrün. Noch schlechter ist das weibliche Bildnis
erhalten. Frau Katharina ist gleichfalls schwarz gewandet bis auf die weißen mit
einer gestickten Goldborte verzierten und graubraunen großen manschettenartigen Pelz-
aufschläge an den Ärmeln, trägt eine seltsam geformte weiße Haube und hat die
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SE: THE EEE Ai EEE, —ñͥ—— — — A
unfeinen Hände steif übereinander gelegt, die rechte auf den Pelzaufschlag des
linken Armels. Grund: dunkelgrün; wie beim Gegenstück. Beiden gemeinsam sind
die unangenehmen, etwas gekniffenen Augen. Diese, die absonderlich holprige
Linie, die besonders bei der Frau so flache Modellierung des leeren Gesichts, die
stark hervorgehobenen Augenbrauen, deren Haare angegeben sind, das gestickte
Zierleistchen am Busen der Frau haben die Vermutung in mir erweckt, die arg
provinzial, wenn nicht bäuerlich aussehenden, unsympathischen Bilder könnten von
Jerg Ratgeb gemalt sein. Ich finde außer den angeführten Merkmalen physiogno-
mische Verwandtschaften mit der Anbetung der Könige auf Schloß Lichtenstein,
auch mit der Predella des Herrnberger Altars (vollendet 1519) in Stuttgart. Der
Schweigerner Altar von 1509 ist noch anders. Er hat die hellere Tonhaltung der
auf dem späteren Rahmen 1504 (richtig?) datierten Stalburgbildnisse (No. 75 und
76) der Städelschen Galerie. Doch fragt sich, ob bei unsern Bildnissen nicht
manches von dem dunkleren Eindruck auf Rechnung des Firnisses und der üblen
Übermalung geht. Jerg Ratgeb wird sich wohl noch bis 1523/24 in Frankfurt auf-
gehalten haben (vgl. Otto Donner-v. Richter, Jerg Ratgeb, Maler v. Schwäbisch-Gmünd,
Frankfurt 1892, S. 100).
Es folgt die Gruppe der Bildnisse, die F. v. Marcuard in seinem stattlichen Buch
„Das Bildnis des H. v. Schönitz und der Maler Melchior Feselen“ (München 1896)
in die Literatur eingeführt hat. Weitere Literatur: Weizsäcker (Rep. f. K. XIX 1896,
S. 475ff.), Gebhardt (Rep. f. К. XXXI, S. 443/444) und die dort angegebenen, sowie
Н. Braune (Monatsh. f. К. II, S. 582) und Karl Simon (ebenda IV, S. 127/128).
Das älteste ist das Bildnis des Haman von Holzhausen (1476—1536), wohl noch
aus den zwanziger Jahren, unbezeichnet. Dann kommt eine spätere Kopie des
ungefähr gleichzeitigen Briissler Bildes auf Kupfer; durch die Aufschrift auf der
Rückseite der Kopie ergibt sich nun, daß der Frankfurter Patrizier Philipp von Rein
zum Mohren (1477—1538) auf dem Brüssler Bild porträtiert ist. Dann zwei Bild-
nisse: Gilbrecht у. Holzhausen (1514 bis ungefähr 1550) und seine Frau Anna geb.
Ratzenberger (1511 bis ungefähr 1540); jedes auf der Rückseite mit Wappen und
Namensinschrift versehen und bezeichnet & 1535. Endlich ein Doppelbildnis des
Justinian у. Holzhausen (1502 — 1553) und seiner Frau Anna geb. Fürstenberg,
datiert auf einer Fensterscheibe 1536. Dieses kapitale Bild war bisher ganz unbe-
kannt, soweit ich sehe. Das Bildnis des Haman und das des Ehepaars Gilbert у.
Holzhausen hat v. Marcuard mit dem Bild des Schönitz in seinem Besitz, dem
Rein in Brüssel, dem Weiß in München und der Stralbergerin in Straßburg abge-
bildet. Außer Schönitz gehören alle Dargestellten Frankfurter Geschlechtern an.
Allen Bildern des Meisters AE eigentümlich ist die offene Wasserlandschaft, die
sich tief unter dem Standpunkt der stets im Brustbild dargestellten Figuren im
Hintergrunde ausdehnt. Auf dem Bildnis des Haman ist es eine große Wasser-
fläche mit Landkulissen links und rechts und einem Wasserlauf links, über den
eine Brücke führt; noch etwas primitiv, aber fein in der Farbe und dem Brüsseler
Bild ähnlich. Koloristisch überaus pikant sind die Bildnisse des Gilbrecht und
seiner Frau. Braungrau mit blaßgelb geränderten schwarzen Samtstreifen ist beider
Gewandung, beim Mann eine Pelerine mit volantartigen Krägen übereinander. Dazu
das Weiß der Unterkleidung und helles, fast maisfarbenes Gold; beim Mann als
Stickerei auf dem Hemdkragen, bei der Frau als goldbrokatner Brustlatz, Haube
und Goldketten. Die Goldnote verstärken viele Fingerringe mit bunten Steinen und
beim Mann das kupferrötliche Haar. Der Fleischton hell. Sie stehen vor licht-
blauem Himmel, der am Horizont durch wagerechte schmale Wolkenzüge gestreift
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ist und sich nach unten hin morgenlich aprikosenrot auflichtet. Die helle kaltfarbige
Wasserlandschaft mit Flußeinläufen auf beiden Bildern ähnelt der des Georg Weiß
von 1533 in Miinchen.
Das Doppelbild dagegen ist dunkler und warm im Ton; der Schauplatz ein hoch-
gelegenes Söllergemach in violettroter Sandsteinfarbe, das rechts ein halb geöff-
netes Butzenscheibenfenster mit Ausblick in die Tiefe hat und hinten sich auf die
Landschaft des durch eine Bergkette abgeschlossenen Flußtals öffnet. In den
Fenstern zwei runde Scheiben mit den Wappen des Justinian v. Holzhausen und
der Anna v. Fürstenberg, jenes mit der Jahreszahl 1536. Zur Linken der Mann,
zur Rechten die junge Edeldame. Nach vorn, vor den Bildnissen, eine violettrote
Marmorbriistung. Auf einem darauf gelegten dunkelgriinen Sammetkissen in der
Mitte zwischen dem Paar sitzt ein geflügelter kleiner Amor mit durchsichtiger
Augenbinde. Er reicht einen brennenden Pfeil aus einem mit Pfeilen, darunter
einem zweiten brennenden, gefüllten Köcher dem Justinian und empfängt von Anna
eine Traube, die sie aus einer neben dem Amor stehenden Fußschale genommen
hat. Der rotbärtige Justinian ist in ein blauschwarzes geschlitztes Wams mit
breitem graubraunem biberartigem Pelzaufschlag am Hals gekleidet, hat ein leder-
farbiges geschlitztes Pelzkoller an und einen kleinen schwarzen schiefgesetzten Hut
auf. Anna trägt einen dunkelgrünen Rock mit schwarzem Leibchen und leuchten-
dem (etwas schwärzlich-) warm roten Futter und eine blaßgelbe Haube. Bei
beiden ist das Weißzeug vorzüglich gemalt. Haar- und Pelzbehandlung sind (auch
auf den anderen Bildnissen) von der für AE typischen Weichheit (vgl. z. B. das
Brüsseler Bild). Dagegen wirken die Trauben hart und hölzern. In einem Spiegel,
der hinter Anna v. Fürstenberg an der Wand hängt, spiegelt sich ihre obere Rück-
seite. Das Bild ist nicht bezeichnet, aber ein Zweifel an der Urheberschaft des
Эё kommt nach den Formen (Hand), der Haarbehandlung, der Landschaft und der
Anordnung nicht auf. Das Porträt, so recht eigentlich ein Allianzbild, wird zu
Ehren der Verbindung des jungen Paares entstanden sein. Der Umstand, daß der
angezündete Pfeil für Anna noch im Köcher liegt, deutet wohl an, daß die Ver-
mählung erst bevorsteht. Die Anordnung, der novellistische Beigeschmack und die
Farbe gemahnt sofort ganz allgemein an oberitalienische Vorbilder, namentlich an
Maler des venezianischen Festlandes. Der gewundene Flußlauf mit Seitentälern,
der sich an Städten und Dörfern hinzieht und von Bergen im Hintergrund abge-
schlossen wird, ist hier und auf den Bildern von 1535 noch landkartenmäßiger, als
auf denen von 1533 (Schönitz und Weiß) und gar den älteren Phil. von Rein und
Hamann v. Holzhausen. Diese Beobachtung verdanke ich einem befreundeten
Kenner, der die Bilder mit mir betrachtet hat. Man fühlt sich unbestimmt an
Main, Rhein, Nahe, Mosel erinnert. Auch das Frankfurter Stadtbild scheint beson-
ders auf dem Doppelporträt, hereinzuspielen. Aber genauer läßt sich die Land-
schaft nicht identifizieren, Gewiß ist es nicht die Gegend von Passau, wie man
von anderen Bildern des Malers der mehreren Flußläufe wegen gemeint hat. Der
Maler hat wohl nur ihm vertraute Landschaften frei abgewandelt.
Н. Braune hat das Monogramm 3 (a, a. О. S. 582) in Conrad у. Creuznach
aufgelöst und den Maler in dem in Frankfurt wirkenden Konrad Faber aus Kreuz-
nach gesucht. Gwinner berichtet weniges über diesen Künstler (K. und K. S. 68ff.;
Zusätze S. 17), Karl Simon (a. a. O.) berichtigt und fügt hinzu: Er ist 1538 Bürger
in Frankfurt geworden, 1551 stellt er eine Rechnung für einen „Keyserlichen егеп
hymel“ auf, zu dem er offenbar die Malarbeit geliefert und die Zutaten vorgelegt
hat. 1552 hat er einen Grundriß der Stadt und ihrer nächsten Umgebung min-
348
—
destens zweimal, größer und kleiner, gezeichnet und ist nicht viel später als 1553
gestorben. Davon, daß er als Maler tätig gewesen sei, ist zwar nichts überliefert,
aber die ganze kartographische Behandlung der Landschaft auf unseren Bildern
und ihr Datum unterstützen Braunes Vermutung. Allerdings würde ich nach dem
Stil der Bildnisse sie am ehesten einem Maler zuschreiben, der im Venezianischen
und in der Donaugegend gelernt hat (was übrigens bei 3£ der Fall gewesen sein
wird) und nicht an einen Mittelrheiner denken, der in mittelrheinischen Landen
arbeitete. Aber was wissen wir überhaupt von mittelrheinischer Malerei, nament-
lich in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts? Gerade darum läßt sich die
Wichtigkeit dieser geschlossenen Gruppe von vier hervorragenden, einander ver-
wandten und doch wieder unter sich verschiedenen Werken gewisser Herkunft,
Entstehungszeit und -Stelle für unsere arme Geschichte der mittelrheinischen Kunst
kaum überschätzen.
Ein weit geringeres, schlecht erhaltenes Brustbild desselben Justinian (?) ist durch
ein drachenartiges Zeichen auf Cranach gefälscht und auf der Rückseite „Lucas
Cranach 1510“ beschrieben. Es rührt aber ungefähr aus derselben Zeit her, aus
1535—1540 und wird wohl von einem einheimischen Maler gemalt sein.
Ebensowenig hervorragend und noch schlechter erhalten sind zwei spätere Bild-
nisse des Ehepaars Gilbert v. Holzhausen vor einem ähnlichen Landschaftshinter-
grund wie der Haman. Nach den Handformen, der Haar- und Weißzeugmalerei
glaube ich, daß sie der Maler gemalt hat, von dem der sogenannte „Joh. Ernst
у. Völker 1641—1696“ stammt. Dies sehr verdorbene Bildnis ist nämlich nicht in
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sondern gleichfalls etwa 1535—1540 ent-
standen.
Vereinigen wir die aus diesen Holzhausenschen Ahnenbildern gewonnenen Er-
kenntnisse mit dem, was wir über die Malerei in Frankfurt vom Ende des XV.
Jahrhunderts an bis um die Mitte des XVL bereits wissen, so werden wir zu dem
Schluß genötigt, daß der Stand der eingebornen Frankfurter Kunst nicht gehr hoch
gewesen sein und weder dem Umfang noch der Güte der Leistung nach die beträcht-
lichen Ansprüche der reichsstädtischen Bürgerschaft und Klerisei befriedigt haben
kann. Man würde sich sonst nicht so viel an stadtfremde Maler gewandt haben.
So für die Predigerkirche 1501 an Holbein, der um diese Zeit mit seinem Bruder
Sigmund und mit Leonhard Beck einen großen Auftrag auszuführen hatte, so an
Dürer, der (mit seinem Altgesellen Wechtlin?) für dieselbe Kirche 1509 den Heller-
altar geliefert hat, an Grünewald, der die noch vorhandenen zwei Diakone eben-
dorthin malte. Dazwischen ist der Meister des Holzhausenbildnisses, ein Mann
Dürerischer Schulung mit Straßburger Einschlag in Frankfurt tätig und arbeitet ein
Maler getreu in des Hausbuchmeisters Weise, wenn nicht gar noch dessen Werk-
statt selbst (die Tafel des Frankfurter Histor. Museums; auch der Altar in St. Goar
kommt aus Frankfurt). Jerg Ratgeb übernimmt eine Folge großer Wandmalereien
bei den Karmelitern; Baldung und seine Werkstatt einen Altar bei den Dominikanern
(im Histor. Museum). Auch Niederländer oder wenigstens Maler niederländischer
Schulung malen wohl in Frankfurt selbst für die Karmeliter und für die Domini-
kaner (der „Frankfurter Meister“). Dann tritt der Bildnismaler X auf, der in den
dreißiger Jahren den Hausmaler einer Anzahl adliger Geschlechter abgegeben haben
muß. Und um dieselbe Zeit Sebald Beham usw. Von eingeborner Kunst ist
also im Verhältnis wenig zu spüren, selbst wenn man Dürers Experten, dem kunst-
verständigen Merten Heß gebührende Rechnung trägt.
Nun komme ich zu dem letzten Hauptstück der Sammlung, einem kleinen Ge-
349
mälde des Frankfurter Malers Philipp Uffenbach (etwa шп 1565—1639). Auch
dieses Bild taucht zum erstenmal ans Licht. Eichenholz; Maße innerhalb des
Rahmens: 0,42 cm breit, 0,585 hoch, bezeichnet mit dem Monogramm und 1588
datiert. Es stellt nicht, wie die Unterschrift unter der Tafel meint, weinende
Frauen bei Christi Kreuztragung vor, sondern Maria mit Frauen und Jüngern wäh-
rend der Kreuzigung. Ob dieser Vorgang sonst noch einmal gemalt worden ist,
weiß ich nicht. Aber daß der Maler sich diesen seltenen, ergreifenden und für die
Kunst so fruchtbaren Stoff ausgesucht hat, erspart eine Charakteristik seines Wesens.
In einem Talkessel sieht man im Vordergrund Maria in wildem Schmerz zu-
sammenbrechen. Johannes und ein anderer Freund des Herrn beugen sich zu ihr
und fassen sie um die Arme, um sie zu stützen und zu beruhigen. Hinter ihr
Magdalena mit verhülltem Gesicht. Links und rechts nach dem Rand der Tafel
zu je eine klagende heilige Frau. Nach dem Hintergrund links verengt sich das
felsiger werdende Tal. Rechts im Mittelgrund und Hintergrund der Hügel Gol-
gatha. Man sieht vom Rücken aus die Bewegung der Menge, während das Kreuz
Christi aufgerichtet wird. Die klagende Frau links ist in schwärzliches Blauviolett
und Strohgelb gekleidet, die rechts in Weiß und Braun. Johannes trägt einen
olivengrünen Rock und kirschroten Mantel, sein Genosse kaltes Fahlgrün und Rot,
der gelbe Mantel ist zu Boden geglitten. Maria hat einen rosaroten Rock an, ihr
zu Füßen liegt der blaue (lavendelblaue), rot gefütterte Mantel. Magdalenas Rock
ist hell lachsrot, ihre Haube weiß. Die Gesamtharmonie ist kühl und frisch; es ist
ein Gewoge von Modulationen und aufgelösten Dissonanzen; dicht nebeneinander
stehen die stärksten und gegensätzlichsten Töne: lavendelblau, kaltes Rosa und
warmes Rot, Strohgelb, giftig kaltes und warmes Grün; zwischen Rosa, Braun und
Weiß ein kaltes Grün usw. Die reich gegliederte Tallandschaft in ihrem Wechsel
von Grün und Braun ist ein unmittelbarer Vorläufer der großen holländischen
Landschaftskunst. Ein einfaches, großes Pathos erfüllt die Freunde Christi; nir-
gends bloße Gebärden, überall Ausdruck in schöner Abstufung von stiller, gehaltener
Trauer (die klagende Frau rechts) bis zu dem lauten Schmerzensschrei der Mutter
des Heilands. Wie Magdalena vor Schluchzen schießlich das Haupt verhüllt hat,
ist ordentlich zu sehen. Von diesem Bild aus erschaut man Uffenbachs Schüler
Elsheimer. Der ist freilich zwar delikater, aber dieser Tragik gegenüber doch
etwas Porzellankabinett. Unsere kleine Tafel bildet eine Etappe auf dem Weg von
Grünewald zu Rubens und Rembrandt mit der deutlichen Richtung nach dem
letzteren. Reicht sie nicht an das Maß eines dieser Großen, so ist sie doch ein
Höhepunkt der deutschen Malerei in dieser kunstarmen Zeit.
Als er sie malte, stand Uffenbach zu Anfang der Zwanziger. Er war ein Schüler
des Hans (oder Adam?) Grimmer, angeblich eines Schülers Grünewalds und seine
Bilder strafen diese Enkelschaft nicht Lügen. Ein bezeichnetes Altarbild von 1599,
Christi Himmelfahrt, im Histor. Museum in Frankfurt, erinnert in der Färbung an
unsere Tafel, auch darin, daß es nach Grünewalds Vorgang das Weiß malerisch
ausnutzt; ebendaselbst (im Prehnschen Kabinett) eine miniaturartig ausgeführte
niedliche Anbetung der Könige von 1619, deren Abbild die Kunsthist. Gesellschaft
für phot. Repr. einst gebracht hat. Noch zwei oder drei Bilder an demselben Ort
mögen von ihm stammen. Jedenfalls ist er später von dem Hochstand unseres
Bildes herabgestiegen. Er ist ziemlich genau ein Zeitgenosse des Greco und läßt
sowohl in der Wahl des Stoffes, als auch in der kühnen Riickencharakteristik des
tragischen biblischen Vorgangs und in der paradoxen Koloristik beiläufig an jenen
denken. Aber er ist kein Neurastheniker. Seine Farbe wirkt seltsam unmittelbar.
350
So trifft man zuweilen auf ein Stiick von Bach, das so modern klingt, wie neueste
Musik. |
Von hier ab läßt sich alles andre rasch erledigen. Zunächst ein graziöses Bildchen;
französischer Rasse und Nachfolge Clouets, wie es scheint, auf Eichenholz und
1565 datiert: Die elfjährige Margarete von Holzhausen (1554--1625). Dieselbe
sehen wir noch einmal 1588 gemalt als Gegenstück zu dem Bild ihres Gatten
Joh. Phil. v. Völker (1555—1605); offenbar von einem einheimischen Maler. Dann
das Bildnis des Verfassers des berühmten Frankfurter Rechtsbuchs, der sog. Frank-
furter Reformation, Joh. Fichard (1521— 1581) und seiner Frau, etwa um 1565—70
gemalt; eine nicht verdienstlose Probe der derberen, aber gesunden Kunst der Zeit.
Des Bildnis des Joh. Maximilian zum Jungen (1596—1649) auf schwerer Kupfer-
platte, bezeichnet I A W Fec. 1642 verrät vlaemische Kunstabstammung und wird,
wie Direktorial - Assistent Rudolf Schrey vermutet, ein Werk des Jeremias van
Winghen sein (1587—1658), der als Sohn des Brüsseler Jodocus van Winghen in
Frankfurt geboren war und gelebt hat. Ein Pastellbild des Joh. Matth. Merian
(1659—1716) stellt Phil Wilhelm у. Günderrode (1623—1689) dar. Joh. Georg
у. Holzhausen (1643—1721) ist von Joh. Heinr. Roos (1621—1685) gemalt, dem
Stammvater des Roosschen Künstlergeschlechts, der in Amsterdam gelernt und
sich dann etwa 1657 in Frankfurt niedergelassen hat. Von dem im übrigen
wenig bekannten Joh. Friedr. Trescher ist während seines Aufenthaltes in Frank-
furt (1660 — 1680) die zweimal verheiratete Maria Marg. v. Holzhausen (1634—1667)
im Jahr 1664 gemalt worden; das männliche Gegenstück muß einer ihrer Ehegatten
sein. Die Bilder bezeugen holländische Schulabkunft. Ferner Joh. Heinr. у. Holz-
hausen, ein Ovalbild aus 1705 von David le Clerc (geb. 1680 in Bern, gest. 1738
in Frankfurt). Wenn man in diesem Bild etwas weniges von Hyacinthe Rigaud
verspürt, so lebt noch mehr von seiner brillanten Art in den Porträts des Joh.
Georg Ziesenis. Den heut so gut wie unbekannten, seiner Zeit aber sehr und mit
Recht geschätzten Maler (geb. 1716 in Kopenhagen, gest. nach längerem Aufenthalt
in Frankfurt — vgl. Gwinner S. 284 — 1777 in Hannover) kann man in drei
Stücken kennen lernen, dem bezeichneten und 1758 datierten Bildnis des Joh.
Maximilian у. Holzhausen (1708—1768) und zwei ungefähr gleichzeitigen Kinder-
bildnissen, die nicht bezeichnet, aber, wie ich meine, ihm zuzuschreiben sind:
Justus Theod. Friedr. v. Holzhausen (1747—1765) und Marie Sophie Friederike
v. Holzhausen (1760 — 1804). Nur der Knabe ist ausgestellt. Von Heinrich Jakob
Tischbein (1760—1804) einem minder berühmten Sprossen der Familie, der in
Frankfurt lebte, „wo er wegen seiner Redlichkeit und Herzensgüte allgemein be-
liebt war“ (Gwinner S. 363), rührt u. a. das Doppelbildnis des Joh. Justus Georg
und der Henriette v. Holzhausen (1771—1846 und 1773—1834) her. Über den
„Professor Hoffmann, Hofmaler in Mannheim“, der 1781 den Karl Justus у. Holz-
hausen (1750—1793) gemalt hat, habe ich nichts sicheres ermittelt. Zum Beschluß
der Reihe seien drei kleine Bildnisse genannt. Sie stehen im Gegensatz gegen alle
anderen als Brustbild dargestellten Glieder der Familie in voller Figur in der
Landschaft und geben die trockene, etwas schauspielerische Anmut ihrer Zeit köst-
lich wieder. Es sind die jugendlichen Geschwister Joh. Justus Georg (1771—1846),
Henriette Karoline Anna Sibylle (geb. 1773) und Friedr. Adolf Karl v. Holzhausen
(1776—1811) Der Maler Georg Karl Urlaub, der 1749 in Ansbach geboren war,
längere Zeit in Frankfurt gelebt hat und 1809 in Marburg gestorben ist, hat das
erstere bezeichnet und 1789 datiert.
Man wird es selbstverständlich finden, daß Frankfurt den Besitz dieser für die
351
Frankfurter Kunst und Geschichte iiberaus wichtigen Ahnengalerie eines mit ihr so
vielfach verknüpften Geschlechts in irgend einer Form erstreben mußte. Es konnte
nicht darauf ankommen, ein und das andere Bild daraus zu erlangen. Durch Ver-
einzelung würde die Sammlung den Wert verloren haben, der gerade in ihrer Ge-
schlossenheit liegt. Das hat sich offenbar auch der Eigentümer gesagt. Noblesse
oblige. Der Freiherr Adolf у. Holzhausen hat es wahr gemacht. Immerhin be-
durfte es außer seiner schönen Liberalität auf der einen Seite und erprobter Um-
sicht und Verhandlungsgeschicks auf der anderen noch besondrer Qualitäten, um
zu dem beide Teile befriedigenden Ziele zu gelangen. Die Sammlung aufzunehmen
war kein Ort geeigneter und würdiger als das Haus, das den Urkern aller öffent-
lichen Frankfurter Kunstsammlungen bildet, das Städelsche Museum. Es erfüllt
seine Pflicht und präsentiert nunmehr in dem neuen Holzhausenkabinett diesen alt-
frankfurter adeligen Hausbesitz so gut, daß dem hochherzigen Eigentümer der Ent.
schluß nicht schwer fallen kann, aus der Leihgabe mit der Zeit eine Dauergabe zu
machen.
DER AUTOR DES BEROLINENSIS
Mit zwólf Abbildungen auf drei Tafeln Von Р. G. HUBNER
er sog. Codex Berolinensis ist von allen Skizzenbiichern mit Antikenzeichnungen
dasjenige, welches der kritischen Behandlung die größten Schwierigkeiten ent-
gegensetzt. Es schwebt völlig in der Luft; man kennt den Autor nicht, und die
wenigen Datierungsindizien, die sich aus einigen Zeichnungen herauspressen lassen,
verlieren dadurch an Wert, daß die Einheitlichkeit des Albums starken Zweifeln
unterliegt; denn nicht nur alle Arten der Technik, alle Grade von Flüchtigkeit und
Genauigkeit sind unter den Zeichnungen vorhanden, sondern auch alle Stufen künst-
lerischer Entwicklung, von den unsicheren Versuchen des Anfängers bis zu der vol-
lendeten Routine des erfahrenen Meisters, sind darin vertreten. Was soll man mit
einem solchen Konglomerat ungewisser Elemente anfangen?
Die Gelehrten, welche den Band bei ihren Arbeiten benutzten, haben sich auf
eine Untersuchung über Wert oder Unwert der Zeitangaben nie eingelassen und
sich an die bisher unbewiesene Behauptung Schreibers gehalten, der Codex sei
unter Gregor XIII. von Girolamo Ferrari angelegt worden*). Das unsichere Gefühl
indes, das man diesem Skizzenbuch gegenüber hatte, hat die Wirkung gehabt,
daß man es nie recht benutzt hat; nicht einmal ein Inhaltsverzeichnis ist bisher
publiziert worden, obgleich der Codex schon wegen der Menge seiner Zeichnungen
in eine Reihe mit Coburgensis - Pighianus und Heemskerck gehört.
Es wird daher nicht überflüssig erscheinen, wenn ich die Probleme, die der Band
bietet, hier eingehend behandle, zumal da ich hoffe, einiges zu ihrer endgültigen
Lösung beitragen zu können.
Für eine solche Arbeit liegt das Heil in der peinlichsten Detailuntersuchung;
man wird mir daher bei den folgenden Auseinandersetzungen gestatten, zunächst
eine Menge von langweiligen und anscheinend unwesentlichen Kleinigkeiten aus-
zubreiten.
DIE EINHEITLICHKEIT DES ALBUMS
Unser Codex, der sich im Berliner Kupferstichkabinett befindet (Signatur: 79,
D. т) ist ein modernes Album in Querfolioformat, in das annáhernd 200 Zeichnungen
eingeklebt sind; manchmal so, daß man Vorder- und Rückseite betrachten kann,
oft aber auch so, daß die Rückseite, obgleich sie nicht leer ist, verklebt ist. Wie
gewöhnlich stehen auf diesen unsichtbaren Versoseiten die wichtigsten Dinge, die
man in mühsamer Betrachtung gegen das Licht zu enträtseln gezwungen ist. Eben-
so modern wie diese unpraktische Montierung (die übrigens allmählich beseitigt
wird) ist auch die Numerierung der Zeichnungen. Sie ist von einer merkwürdigen
Inkonsequenz; im allgemeinen hat sie das Prinzip, jedes gezeichnete Monument zu
zählen (so 2. В. Nr. 29—32, die auf einem Papierblatt gezeichnet sind), manchmal
aber fällt sie aus der Rolle und zählt nur Vorder- und Rückseite eines Blattes
(2. В. Nr. 154 und 155 mit je drei Zeichnungen) als besondere Nummern. Es ist
jedoch besser nach dieser Zählung zu zitieren, als nach der noch moderneren
Numerierung der einzelnen Albumblätter, zu der man der Klarheit halber doch
immer noch die Nummer der Zeichnung hinzufügen müßte‘).
Blättert man den Band durch, so sondern sich auf den ersten Blick eine Anzahl
verschiedener Stilgruppen, von denen sich folgende herausheben (hier wird vor-
353
wiegend auf die Statuen exemplifiziert, mit deren Geschichte der Verfasser vertraut
ist, und bei denen sich die stilistischen Verschiedenheiten auffälliger markieren):
A
Gruppe I: Feder, ängst-
lich fest, leer, unsicher
29-32 Sarkophage
113 Sarkophag San
Lorenzo
Gruppe II: Feder, fest,
gewandt, sehr sorgfältig
ausgeführt
24 Psaiphae-Sarko-
phag
83 Sphinx
B
Gruppe III: Rötel- oder
Bleistiftvorzeichnungen,
unsorgfältig mit brauner
Tinte ausgeführt
17 a-b gue |
148 a-c) gehörig
Sammlung Valle
| Gruppe IV: Feder, mit
Sepia getuscht, flüchtig,
locker
126
171
172 Rs. der vorigen
| úbereinstimmend
114 a-C 131 Sitzende Frau, | 72 a-b Pluto 160 } áhnlich 172
121124 Ahnlich 179 а (Т) Sai 159 J (Abb. 4)
140 а-с 132/33 Niobidenpá- | 175
141 Porträtbüsten dagoge 142
154 a-b Statuen, 143Ephesisch.Arte- | 158 ?
eine aus dem Bos- mis, áhnlich zum : І
chet Teil Gruppe Ш Nicht mit Feder aus-
155a-cStatuen,Bos- (Abb. 3) geführt: `
chetto 150/51 184 - 186 nur Rotel
177a-c,Statuen,Bos- || 161 (Abb. 2) 145 nur Bleistift
chetto und Bel- || 162
vedere 167
179 a-c (Abb. т) 174
1794 ähnl. 131 (1I) | 181 Karyatide, ähn-
lich 131
Zu II gehórig, nur Material Bleistift: 135, 136,
139 b, das Detail zu: 139 a (mit Sepia getuscht).
Am schärfsten sondert sich Gruppe I ab (Abb. 1)*). Es sind Federskizzen, ziemlich
fest und bestimmt, aber mit zaghaft unsicherer Hand ausgefiihrt. Auffallend und
immer vorhanden sind die großen Augen, die sehr weit auseinanderstehen, so daß
der Nasenrücken eine unverhältnismäßige Breite bekommt (die Abbildung gibt ein
in dieser Beziehung wenig charakteristisches Blatt). Die Gesichter sind rund,
schematisch und leblos, die Extremitäten oft anfängerhaft schlecht gebildet. In
der Schattengebung finden sich nur schwache Ansätze zur Kreuzschraffierung, meist
ist eine zaghafte Parallelschraffur angewendet; selbst die Schatten der großen Falten-
linien sind nur durch kurze, dicke Querstriche gegeben. Die Zeichnungen sind sämt-
lich auf Foliobogen gleichen Formates mit einer braunschwarzen Tinte auf einer
meist sorgfältig ausradierten Bleistiftvorzeichnung ausgeführt und tragen sämtlich
ausführliche, offenbar gleichzeitige Beischriften, die wie die Zeichnungen eine akkurate,
etwas steife Hand verraten (s. die Abb.). Charakteristisch ist die verhältnismäßige
Größe der in der Zeile bleibenden Buchstaben; das a am Ende ist immer normal
gebildet.
Fast ebenso bestimmt begrenzt ist Gruppe II (Abb. 2), eine Reihe sorgfältig aus-
geführter Federzeichnungen, so sorgfältig (besonders 162), daß sie Vorlagen für den
Stich zu sein scheinen. Sie sind mit ausgiebiger Kreuzschraffur vollkommen durch-
modelliert, sicher und fest gezeichnet und verraten eine geübte Hand. Die beste
und wohl späteste dieser Zeichnungen ist 162, während 167, 131, 181 und wohl
354
auch 174 friiher und unsicherer sind. Beischrift ist nur einmal vorhanden, bei 143,
und auch da nicht mit derselben Tinte wie die Zeichnung.
Gruppe III sind Zeichnungen, die in Rötel- oder Bleistift flüchtig ausgeführt und
dann zum Teil mit einer braunen Tinte mehr oder weniger sorgfältig nachgezogen
wurden und gleichzeitig eine Beischrift erhielten (Abb. 6). Die Schrift ist charak-
teristisch; sie ist gelenkiger wie die von I, das a am Ende ist immer wie ein o
gebildet. Zwischen dieser Gruppe und II besteht eine Verbindung in der Zeich-
nung Nr. 143 (Abb. 3), deren oberer Teil offenbar dieselbe sehr sorgfältige und be-
stimmte Technik wie II zeigt, deren unterer Teil aber durchaus mit den flüchtigen
Blättern der Gruppe III zusammengeht. UI ist demnach nur als eine flüchtige
Abart der sorgfältigen Zeichnungen von II anzusehen. Übrigens ist auch die Tinte
bei verschiedenen Zeichnungen der Gruppe II (z.B. 161, 162) genau dieselbe braune,
die bei 143 und überhaupt bei Gruppe III verwandt ist.
Die Beischrift zu der Ephesischen Artemis Nr. 143 ist mit stumpferer Feder und
hellerer Tinte als die Zeichnung selbst ausgeführt. Eine vollkommen identische,
aber diesmal mit der Zeichnung gleichzeitige Unterschrift findet sich auf Nr. 126,
die zu Gruppe IV gehört; beide stimmen so genau überein, daß sie unmittelbar
hintereinander ausgeführt sein müssen. Der Zeichner erinnerte sich bei der Aus-
führung des Barbaren aus der Sammlung Farnese, daß dort auch die Ephesische
Artemis, die er gezeichnet hatte, aufbewahrt werde, und brachte nun auch bei diesem
Stück die Angabe des Aufbewahrungsortes an.
Gruppe II, III, IV schließen sich also zu einer Einheit (B) zusammen und stammen
offenbar von einem Künstler; und in der Tat, vergleicht man Repräsentanten der
verschiedenen Gruppen, wie 145, 149 b (zugehörige Rückseite der Rötelzeichnungen
148 a-c), 171, 174, 175, 185, so findet man dasjenige, was bei so weitgehenden
Differenzen in der Technik und in der Qualität konstant bleiben kann, überall gleich;
es haben z. B. alle der angeführten Figuren denselben sehr breiten Kopf, die großen
Augenhöhlen, den breiten Nasenrücken.
Wenn wir nun aus diesen Zeichnungen die Entwicklung des Künstlers heraus-
zulesen suchen, so darf dabei die Flüchtigkeit oder Sorgfältigkeit der Zeichnungen
allerdings kein unbedingtes Kriterium für die zeitliche Ansetzung abgeben, wie Nr. 143
bewiesen hat. Doch ist die größere oder geringere Flüchtigkeit unzertrennbar von
der stärkeren oder schwächeren Auflösung der Konturen und durch diese überhaupt
erst bedingt. Wir befinden uns hier im letzten Stadium der Renaissance, wo die
plastischen Prinzipien durch malerische verdrängt werden; daß ferner das Streben
nach malerischer Wirkung bei geringeren Künstlern Unsorgfältigkeit und Verschlech-
terung der Qualität zur Folge hat, ist z. B. in der Kupferstichproduktion dieser Zeit
ganz klar erkennbar. Wir haben also in den ängstlich festen, bestimmt umrissenen
Zeichnungen wie 150, 132/33 die frühere Manier des Künstlers zu erkennen,
während die meistens unsorgfältigen Blätter mit starker Auflösung der Konturen
(z. B. 72) ein späteres Entwicklungsstadium repräsentieren. Die nach dieser Unter-
scheidung frühesten Blätter 150, 132/33, 174, 167/66 (sämtlich Gruppe II) sind alle
mit einer grünlichen Tinte gezeichnet; daß der Zeichner diese wirklich eher im
Gebrauch hatte als die braune, welche er bei Gruppe III anwandte, beweist Nr. 166,
wo zu der Zeichnung mit grüner Tinte eine braune Beischrift hinzugefügt ist.
Vergleicht man nun Gruppe I (A) mit dem ganzen Komplex B, so scheint es
trotz der beträchtlichen Differenzen in Technik und Schrift nicht ausgeschlossen,
daß die verschiedenen Phasen künstlerischer Entwicklung, welche durch A und B
repräsentiert werden, einer Persönlichkeit angehörten. Denn es finden sich zwischen
355
beiden Verbindungsglieder: die verhältnismäßig sicheren und durchmodellierten Zeich-
nungen 179 a-c, die durch Schrift, Format usw. untrennbar mit Gruppe I ver-
bunden sind, náhern sich den Zeichnungen, die wir als die unentwickeltsten der
Gruppe В bezeichnen muBten: 174, 181, 167, 131. Bei diesen ist die Kreuzschraffur
noch recht zaghaft angewendet, und es finden sich auch noch die mit kurzen
Querstrichen markierten Faltenschatten. Bei 174 und 179 a ist die Übereinstimmung
des plumpen, breiten Gesichts mit der niedrigen Stirn besonders auffällig, und über-
haupt hat A dieselben Eigentümlichkeiten des Gesichtstypus, die wir oben als ge-
meinsames Charakteristikum der Zeichnungen von В hervorgehoben haben. Nur
für die Entwicklung der Schrift von A zu B fehlen die Bindeglieder; doch findet
dies möglicherweise darin seine Erklärung, daß bei allen frühen Zeichnungen von
B keine Beischrift vorhanden ist.
Man wird also den Komplex A als eine frühere Periode des Zeichners von B
ansehen können, wenn sich auch sonst nichts gegen die Priorität von A einwenden
läßt. Zu betonen ist jedoch, daß zwischen A und B immerhin ein größerer Ab-
stand liegt, als zwischen den frühen und späten Zeichnungen in Komplex B; es
müßte also ein längerer zeitlicher Zwischenraum zwischen A und B gelegen haben.
Außer diesen Zeichnungen des Anonymus AB finden sich in dem Bande eine
Reihe ganz fremder Blätter (z. B. 170 und 144 a-c; diese letzteren zusammenge-
hörig mit 168/69); ihre Zahl ist jedoch so verschwindend gering, daß sie zunächst
einmal unbeachtet bleiben können. Dem Stil nach scheinen besonders die Feder-
Skizzen Nr. 144 noch in die erste Hälfte des Cinquecento zu gehören. Wann diese
Zeichnungen unter die anderen Blätter, die das Gros des Bandes ausmachen, ge-
raten sind und in welchem Verhältnis sie zu diesen stehen, wird später festzu-
stellen sein.
DATIERUNG DER BLÄTTER
Daß die Zeichnungen der Gruppe A und B etwa um die Mitte des Cinquecento
entstanden sind, ist aus dem Stil ja ohne weiteres erkennbar. Eine bestimmtere
Datierung, die in diesem Falle sogar recht präzis ist, läßt sich aus den verwen-
deten Papiersorten gewinnen (vergl. Anm. 22). Einige Blätter nämlich haben als
Wasserzeichen eine dreiteilige Blüte (Anm. 22, Nr. 2); dieses Papier ist ausschließ-
lich in Rom 1545 — 1566 verwandt worden; auch bei dem öfters vorkommenden
Papier mit den zwei sich kreuzenden Pfeilen (Anm. 22, Nr. 3) ist das letztbekannte
Verwendungsdatum 1566; zu den Zeichnungen Nr. 15—17 (Stilgruppe В) und 29—32
(A) endlich ist ein sehr seltenes Papier verwandt worden (Anm. 22, Nr. 1); es hat
als Wasserzeichen das Wappen von Fabriano und scheint 1563 oder kurz vorher
in dieser Stadt fabriziert worden zu sein. Zu Urkunden verwendet ist es aus-
schließlich im Herstellungsort 1563, in Lucca 1564 und in Rom 1565—1566.
Doch liefern diese Hilfsmittel nur Wahrscheinlichkeitsgründe; sicher sind die
zeitlichen Bestimmungen, die sich aus den Beischriften ergeben.
Die Erwähnung des Francesco Porcari Nr. 141 und 178 beweist, daß Gruppe A
nach 1550 fällt, da Francesco erst nach dem Tode des jüngeren Giulio, der noch
bei Aldrovandi als Besitzer erscheint, das Haus übernimmt*). Die Vigna Ubaldini
Nr. 125 ist zweifellos die, welche Uberto 1555 von den Sadoleti erwarb“); ja es
sind in den Zeichnungen der Gruppe A eine Reihe weiblicher Gewandstatuen ent-
halten, die sich in dem von Pius IV. von 1560 ab angelegten Boschetto befanden
(Nr. 154 a, 155a-c, 177b-c). Das Jahr 1561, in dem drei dieser Statuen vom Papst
356
—
erworben wurden, ) gibt eine genaue Grenze für das Datum nach unten hin. Eins
dieser Stücke, die „Mnemosine“ 155 b wurde bei der Räumung des Belvedere durch
Pius V. 1569 nach Florenz verschenkt,“) woraus eine Abgrenzung nach oben resul-
tiert; und da es nicht anzunehmen ist, daß der Papst, der in der bekannten Weise
gegen die heidnischen Götzenbilder wütete, jemanden sie abzuzeichnen erlaubte, so
ist offenbar dieses Blatt und somit die ganze Gruppe A noch unter seinem Vor-
ginger, also in den Jahren 1561—1565 entstanden.
Die Gruppe B dagegen ist unter Pius V. entstanden. Nicht mehr unter Pius IV.
ist jedenfalls die mit der Ausführung in Tinte (vielleicht jedoch nicht mit der Vor-
zeichnung) gleichzeitige Beischrift zum Pariphaesarkophag Nr. 24 geschrieben:
„Questo € un pilo di marmo scolpitovi dentro la presente storia come si puo ancora
oggi vedere con le teste del detto a carte 61 e 62 detto pilo fu messo gia in bel-
vedere da Pio III e di bella maniera dicono gli antiquari essere la storia di pasife
quando fece fabricare la vacca per volersi congiugnere col toro“®) (з. Abb. 9).
Außerdem existiert ein einwandfreies Zeugnis dafür, daß der Zeichner unter Pius V.
tätig war, in der gleichzeitigen Legende zu Nr. 72: „Alla vignia di mro jaco da peru-
gia fuor di porta pertusa oggi di Pio V.“ Man wird nicht ohne Grund über die
Zeit Pius V. hinausgehen; die Grenze 1575 zu überschreiten verbietet die authen-
tische Bemerkung zu Nr. 125: ,Quest' e un coperchio di marmo d'un pilo, dove sono
intagliate di basso rilievo le amazzone oggi nella casa di fra guglielmo del piombo
in strada julia“ (mit brauner Tinte, unverkennbar von derselben Hand wie 72; vgl.
die Abbildung bei Robert, Sarkophagreliefs II, Nr. 78). Guglielmo della Porta, nach
1547 Frate del piombo, gestorben vor 1578, vermietete im Mai 1575 sein Haus in
strada Giulia an Nicolo Gaddi?).
Es ergibt sich also auch aus äußeren Indizien, daß Gruppe A der Zeichnungen
einer früheren Zeit angehört als Gruppe В, so daß kein Bedenken mehr vorliegt,
Gruppe A und B als Zeichnungen ein und desselben Künstlers zu betrachten, den
wir nunmehr als Anonymus AB bezeichnen. |
ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES BEROLINENSIS
Bei der eben erwähnten Zeichnung des Pasiphaesarkophages Nr. 24 wurde die
Klausel eingefügt, daß möglicherweise die Originalskizze nicht gleichzeitig mit der
Ausfiihrung und Beschriftung wáre; dieser Verdacht, welcher in mannigfachen Dif-
ferenzen zwischen Vorzeichnung und Ausfiihrung seinen Grund hat, liegt noch bei
anderen Zeichnungen vor, und da bedeutende Unterschiede zwischen Originalskizze
und Ausführung die Datierung modifizieren können, muß diese Frage genau geprüft
werden.
Bei Gruppe A fällt Skizze, Ausführung und Beschriftung zusammen; ebenso sind
offenbar die frühen und sorgfältigen Zeichnungen von B unmittelbar nach der Aus-
führung in Bleistift mit Tinte fertiggestellt worden. Dagegen gibt es unter den
flüchtigen Blättern eine Reihe von solchen, deren Vollendung erst geraume Zeit
nach der Skizzierung mit Rötel oder Bleistift erfolgt ist. Denn man kann manch-
mal überhaupt nicht mehr von einer Ausführung, sondern nur von einem rohen
Nachziehen reden, was darauf schließen läßt, daß der Künstler schon das Interesse
an dem Objekt verloren hatte und nur noch die Zeichnung einigermaßen sichtbar
zu erhalten bestrebt war. So erklärt es sich auch nur, daß bei einigen Blättern
ein Teil der Zeichnung nachgezogen ist, während der andere als zu langweilig oder
schon zu verwischt belassen wurde wie er war, z. B. der Melissasarkophag
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 8. 25 357
abgebildet bei Robert, III, Nr. 86, der Pasiphaesarkophag, ebenfalls bei Robert, Ш,
Nr. 35 abgebildet, und die Profilansicht des Pluto Nr. 72b. Es ist wichtig, her-
vorzuheben, daß alle diese flüchtigen Nachzeichnungen, und soweit Beischriften vor-
handen sind, auch diese mit einer unverkennbaren, lebhaft braunen Tinte ausge-
führt sind. Wegen ihrer großen Gleichartigkeit sind sie sicher ziemlich unmittelbar
hintereinander entstanden.
Welche Zeit liegt nun zwischen Originalskizze und Ausführung? — Es ist wesent-
lich, daß die Ausführung und Beschriftung der Plutozeichnung zu den Arbeiten mit
brauner Tinte gehört. Die Beischrift nennt Pius V. als lebend; sie deutet aber zu-
gleich auch an, daß die Originalrötelskizze vor Pius V. entstanden ist. Denn wie
soll man es sonst erklären, daß der Künstler sich notiert: „in der Vigna des Jacopo
di Perugia, jetzt Pius V. gehörig‘? Was sollte er sonst für ein Interesse an dem
früheren Besitzer gehabt haben, als daß dieser es war, der ihm seinerzeit die Statue
zeigte und ihm erlaubte sie abzuzeichnen? Die Originalskizze muß schon deshalb
vor Pius V. entstanden sein, weil unter seinem Regime das Zeichnen verboten
worden wäre. Noch viel weniger hätte der Künstler im Belvedere und im Boschetto
seine Studien machen dürfen, und so sind auch die Originalskizzen zum Pasiphae-
sarkophag im Belvedere, der Kybele im Kasino Pio (Nr. 134) und der Mnemosine
auf dem Treppenbau im Garten (Nr. 175), die sämtlich erst mit der braunen Tinte
ausgeführt worden sind, aller Wahrscheinlichkeit nach noch unter PiusIV. gemacht
worden.
Noch ein weiterer Beweis für die Entstehung der Originalskizzen vor 1565 ist
vorhanden; es sind die Blätter Nr. 126 und 143, welche beide die identische Bei-
schrift „Nel palazzo del cardinale S. Angniolo“ (s. Abb. 3) tragen; beide dargestell-
ten Stücke wurden schon 1550 von Aldrovandi im Palazzo Farnese beschrieben
und befinden sich noch heute in den farnesischen Sammlungen in Neapel. Kar-
dinaldiakon von S. Angelo in Pescheria waren von den Farnese nur Alessandro
1534/35 und Ranuccio vom 7. Oktober 1546 bis 7. Februar 1565!°), von denen hier
natürlich nur der zweite gemeint sein kann. Die Beischriften sind, wie oben er-
örtert, bei Gelegenheit der Tuschausführung der Barbarenzeichnung Nr. 126 aufge-
setzt worden. Man würde danach selbst Ausführung und Beschriftung in die Zeit
Pius IV. verlegen, wenn nicht glücklicherweise die Ephesische Artemis Nr. 143 mit
der braunen Tinte ausgeführt wäre, deren Verwendungszeit unwiderleglich auf die
Zeit nach 1566 bestimmt ist. Die Titulatur Ranuccios ist also offenbar eine
Reminiszenz aus den Studientagen im Palazzo Farnese und gibt einen terminus
ante quem nur für die Originalskizzen.
Wir müssen daher die oben gewonnene Datierung der Gruppe B, die ja aus-
schließlich auf Beischriften mit der braunen Tinte beruhte, dahin modifizieren, daß
die Originalskizzen vielleicht alle noch vor 1566 entstanden sind, während die end-
gültige Ausführung und Beschriftung zwischen 1566 und 1572 stattgefunden hat.
Von den Arbeiten mit der braunen Tinte finden sich auf mehr als der Hälfte
aller Blätter des Skizzenbuches Spuren; auch zu ganz fertigen älteren Zeichnungen
sind noch Zusätze über Aufbewahrungsort usw. gemacht (z. B. Nr. 166, 68); es liegt
also eine durchgreifende Überarbeitung der Zeichnungen vor, die der Künstler am Ende
seiner zeichnerischen Tätigkeit, vielleicht zum Zwecke einer Publikation vornahm.
Zugleich mit dieser endgültigen Redaktion fand eine Ordnung der Blätter statt,
deren Spuren wir noch mehrfach begegnen. Auf mehreren Blättern nämlich finden
sich (meist auf der jetzt verklebten Rückseite) noch Reste einer Numerierung mit
der bekannten braunen Tinte:
358
V » „ 125
XI „ „ 162
XVI „ „ 54 verklebte Rücks.
XXXRVII , „ 67 » »
LXIIII „ „ 24
LXXIII. — 25 э 87 „ 77
LXXIX 99 ээ 7 99 97
CH[.. „ „„ 43
CX „ 127 e
DaB diese Numerierung gleichzeitig mit der Redaktion stattfand, wird dadurch
bewiesen, daß eine der braunen Beischriften, wie Robert bemerkt hat, darauf Be-
zug nimmt. Bei der Zeichnung der Langseite des Pariphaesarkophags nämlich wird
auf die Zeichnungen der beiden Kurzseiten „a carte 61 e 62“ verwiesen. Diese
sind in unserem Skizzenbuch noch enhalten, doch sind die Nummern abgeschnitten;
dagegen trägt die Zeichnung der Langseite selbst, wie oben angegeben, die Reste
einer Ziffer, die offenbar als LXIII zu ergänzen ist.
Auch von den Umschlägen der einzelnen Abteilungen der Zeichnungssammlung
sind uns noch einige erhalten. So steht auf der Rückseite der Barbarenzeichnung
Nr. 151 (alles mit der braunen Tinte von der Hand des Anonymus AB geschrieben)
„Mia mano antich e moderne“,
auf der verklebten Veroseite des Ikariosreliefs Nr. бо
„Disegni di Capitelli e di base
e scompartimenti antichi e moderni
e simile altre cose apartenenti
alla architettura“
und auf der Rückseite von 199, der Skizze des linken Teiles der Hochzeit des
Amor und der Psyche in der Farnesina, die von einem fremden Zeichner herrührt,
„DD Moni Pili epitaffi et altre cose antiche“. 41)
Das „mia mano antich e moderne“ ist ein neuer strikter Beweis dafür, daß es der
Künstler selbst war, der die Ordnung vornahm. Die Hervorhebung des „mia mano“
läßt außerdem darauf schließen, daß auch manches von anderer Hand in der
Sammlung war, wie ja auch der Umschlag zu den Sarkophagen und Inschriften
eine fremde Zeichnung ist. Darauf deutet auch ein Verzeichnis von Zeichnungen
und anderem Atelierinventar hin, das sich auf der jetzt unsichtbaren Rückseite von
Nr. 144, auch einer fremden Zeichnung, findet. Es ist durch das Aufkleben sehr
verwischt und zum Teil unleserlich geworden; soweit man urteilen kann, rührt es
von der Hand AB her; bei gutem Licht kann man folgendes entziffern:
Pa proi
braco de ` uno di cera nera
gorgo uno disegno
A batista ischultore .., е de e la аша
Uno disegno d chaualini
Uno disegno di michelanelo
[stesso un disposto di lapis rosso
Una istampa di ros
Uno ischisto del uinci certe testa di chauagli
Diseni 3 da mia mano ritrati uno daúto colorito
[dal anticho
359
Uno disegno di mano di santi.
Una Madona di mano dadrea
[di lapis гозо
pilastri ..... er ще
... e е truei via tigoli
? agnolo di andre?
Die Zeichnung der ,,truei via tigoli“ ist im Berliner Album auf einer verklebten
Riickseite, zerschnitten vorhanden; doch bezieht sich das Verzeichnis im allgemeinen
nicht auf die Blatter unserer Sammlung; es beweist nur, daB sich der Kiinstler
mit dem Sammeln von Zeichnungen, darunter auch solchen nach der Antike, be-
schäftigte.
Das Berliner Album stellt sich also dar als Rest einer Kollektion von
Zeichnungen nach antiken (und einigen modernen) Monumenten aus dem
VIL Jahrzehnt des Cinquecento; weitaus die meisten Blätter sind Zeich-
nungen des Sammlers selbst; sie sind wohl alle noch unter Pius IV.
(1560—65) entstanden, während die endgültige Überarbeitung іп der
Zeit Pius V. (1566—72) stattgefunden hat.
DIE FERRARITRADITION
Bei diesem Resultat beruhigt sich die Antikengeschichte; ihr genügt die sichere,
präzise Datierung; die Kunstgeschichte setzt hier ein mit der Frage nach dem
Autor.
Aus den Zeichungen selbst ergibt sich, daß der Künstler ein Meister zweiten bis
dritten Ranges war, der unter Pius IV. und V. in Rom arbeitete. Daß seine Heimat
Oberitalien war, darauf deuten verschiedene Monumente aus Pisa, die er gezeichnet
hat, hin. Am wichtigsten ist der Löwe Nr. 43, der im Stil vollkommen mit dem
Sarkophag bei Fra Guglielmo Nr. 125 übereinstimmt; auch Nr. 23 und 119 sind
nach Roberts Eintragung im Skizzenbuche Sarkophagstiicke aus Pisa, was fiir 119
auch aus der Unterschrift hervorgeht: doch haben diese beiden Zeichnungen mit
den Stilgruppen AB nur geringen Zusammenhang.
Schreiber (vgl oben Anm. 1) hat Girolamo Ferrari aus Genua als Autor be-
zeichnet, auf Grund der Worte, die jemand unter den Titel einer jener Abteilungen,
námlich auf die Riickseite von Nr. 199 setzte:
„Di Mano di Girolamo Ferrari Genouese pittore“.
Der Zusatz ist mit anderer Tinte als die erste Zeile geschrieben und riihrt kaum
vom Anonymus AB her, der z. B. nicht ein einziges Mal die hier vorkommende
Ligatur zwischen e und s angewendet hat; er geht aber wohl noch ins XVI Jahr-
hundert zurück. Da ein obskurer Künstler als Autor genannt wird, so ist die Be-
schreibung sehr vertrauenerweckend.
Girolamo Ferrari ist offenbar der bei Nagler KL. IV, S. 290 genannte Maler, der
sich in der Schule des Lanino di Vercelli bildete und von dem sich einige Tafel-
bilder finden sollen. Es ist keiner der bei Soprani erwähnten Ferrari; er ist auch
nicht identisch mit dem Bildhauer Girolamo Ferrari, der bei Baruffaldi, Pittori e
scultori Ferraresi Bd. II, S. 587 und Bd. І, S. 237 nota erwähnt wird. Dagegen
existiert eine Nachricht über einen „pictor Hieronymus“, die sich allem, was wir
über den Zeichner AB wissen, vortrefflich einfügt. Es ist die Rechnung bei
Bertolotti, Artisti Lombardi in Roma I, S. 115, wo am 1. Januar 1563 einem „Hieronimus
360
рісіог“ zusammen mit Lorenzo Costa, Federigo Zuccari u. a. ein gewisser Betrag
fiir Arbeiten im Casino Pio („їп stantiis novis viridarij vaticani Belvedere appellatis“)
ausgezahlt wird. Nun hat ja unser Anonymus bekanntlich in denselben Jahren im
Belvedere und im Casino Pio gezeichnet; nichtsdestoweniger fiihrt dieser Weg in
die Irre, denn dieser „Hieronimus“ ist, wie mir Herr Dr. Friedländer gütigerweise
mitteilt, Girolamo da Fano, und ein Girolamo Ferrari kommt in den vatikanischen
Rechnungen dieser Jahre überhaupt nicht vor.
Es bleibt uns also nichts weiter als die trübe Aussicht, daß sich von jenem
Girolamo Ferrari vielleicht einmal beglaubigte Arbeiten und urkundliche Nachrichten
finden werden, aus denen wir soviel über seinen Stil und seine Lebensverhältnisse
erfahren, daß wir entscheiden können, ob er der Autor unserer Zeichnungen
sein kann.
Sehen wir uns inzwischen nach den verwandten Zeichnungen um, ob sich aus
diesen nicht einige Aufschlüsse über unseren Anonymus gewinnen lassen.
DIE FLORENTINER ZEICHNUNGEN
Unter den Zeichnungen der Uffizien befindet sich eine Mappe mit Aufnahmen
römischer Ruinen, die in einem gewissen Zusammenhang mit unseren Zeichnungen
stehen. Es ist eine Kollektion von etwa 80 Skizzen (Nr. 2503—83), die unter-
einander stilistisch vollkommen übereinstimmen und deshalb ungefähr gleichzeitig
von ein und demselben Künstler ausgeführt sein müssen. Da sie die Kennzeichen
des beginnenden Barocks tragen, sind sie nach der Mitte des Cinquecento zu
datieren; durch eine Beischrift werden sie sogar ganz präzis wie der Berliner
Anonymus auf dag Pontifikat Pius IV. fixiert. Diese Beischrift befindet sich auf
Nr. 2575 und lautet: ‚Questo è il piedistallo sotto alle colonne delarco di settimio Severo
imp.oggi tutto ricoperto al tempo fu scoperto al tempo di Papa Pio IIII nel 1563 dal quale
furono prese le misure e ricoperto nel medesimo anno che impediva la strada che
viene dal campidoglio e va al foro Romano (vgl. Abb. 11). Auch die Papiersorten,
welche die gleichen sind wie im Berolinensis, bestätigen diese Datierung (vgl.
Anm. 22). Ja die Übereinstimmungen gehen noch viel weiter; auch bei den
Florentiner Zeichnungen waren die Originalskizzen mit Bleistift oder Rötel aus-
geführt und wurden später mehr oder weniger roh mit Tinte nachgezogen oder auch
mit Sepia laviert. Die Abbildungen 4, 8 und 6, 7 werden die vollkommene Identität
der Technik und der Strichführung beweisen. Die Beischriften der Florentiner
Zeichnungen, von denen Abbildung ıo eine Probe gibt, entsprechen genau denen
des Berliner Anonymus im Stadium B (vgl. Abb. 9); man findet die oben hervor-
gehobenen Charakteristika der Schrift leicht wieder. Leider läßt sich durch Photo-
graphien nicht die frappanteste Übereinstimmung belegen, daß nämlich bei fast
allen Blättern der Uffizien die bekannte braune Tinte des Berliner Anonymus ver-
wandt ist.
Aus alledem ist der Schluß zu ziehen, daß die Florentiner und Berliner Zeich-
nungen von demselben Künstler ausgeführt sind.
.Es ist beinahe unnötig, diese Folgerung durch den Hinweis auf einige Skizzen
zu erhärten, die sich auf den (auch hier meist verklebten) Rückseiten mehrerer
Ruinenzeichnungen befinden und die völlige Pendants zu Blättern des Berliner
Bandes bilden. So ist auf der Versoseite von 2565 eine viereckige Ara mit Ähren
tragenden und Ähren schneidenden Erosen gezeichnet, auf der Rückseite von 2567
ein Cippus mit der Beischrift „alla vignia del Ra di Carpi“ (die der auf dem Ber-
361
liner Blatt, Abb. 6, gleicht), endlich auf dem Verso von 2572 (Abb. 8) ein Grabaltar
mit Matrone und 2 Kindern (Abb. 7); alles Zeichnungen, die man sofort als Be-
standteile des Berliner Bandes ansprechen wiirde. -Auch Blatter lediglich mit
Reliefs sind in die Florentiner Kollektion gelangt: so z. B. die schon angefiihrte
Zeichnung der Basisreliefs des Septimius Severus-Bogens (Abb. 11).
Dieses Blatt ist noch in anderer Beziehung interessant. Denn aus der oben
mitgeteilten Legende ist zu schließen, daß zwischen dem Vermessen und der Bei-
schrift, also auch zwischen der Aufnahme der Rötelskizze im Jahre 1563 und der
Ausführung mit Tinte eine geraume Zeit gelegen hat; ja die endgültige Ausführung
hat überhaupt nicht mehr unter Pius IV. stattgefunden, da sonst nicht „al tempo
di Papa Pio ШП.“ gesagt wäre: genau das gleiche Resultat also, wie wir es für
die Berliner Blätter aus den Zeichnungen des Pasiphaesarkophages und der Pluto-
statue gewonnen hatten.
Der Gedanke liegt nahe, daß wir eben auch hier Reste jener Zeichnungssamm-
lung vor uns haben, deren Zusammenstellung der Künstler unter Pius V. vornahm.
Dem ist in der Tat so. Denn auch bei diesen Blättern hat sich, abgesehen von
den vielfachen sonstigen Spuren der Arbeit mit der braunen Tinte, manchmal die
Numerierung erhalten, die der Zeichner ihnen bei der Ordnung gab:
LII auf... e Nr. 2567 vo
LIX Ze mee ĩ „% 2556
„ : „ 2559 (Abb. ха). *?)
Es hat sich bisher folgendes в: Die Berliner und Florentiner Zeich-
nungen bilden einen groBen Komplex; sie sind Reste ein und derselben
Sammlung, deren Entstehung unter Pius IV. fällt, während die end-
gültige Redaktion erst unter dem Pontifikat Pius V. vorgenommen wurde.
Wir stehen nun wieder an jenem Punkte, wo sich die Frage erhebt: Wer ist
der Autor dieser Zeichnungen?
DER AUTOR: GOVANANTONIO DOSIO
Ich habe schon friiher, ohne jedoch dafiir einen Beweis zu erbringen, seinen
Namen genannt!*): es ist der Florentiner Giovanantonio Dosio. Damals stützte sich
die Attribution nur auf die in der Architektur von Toskana (Bd. IX, т) und bei
Pini-Milanesi**) reproduzierten Architekturzeichnungen und Schriftproben; jetzt ist
durch die Angliederung der Florentiner Ruinenzeichnungen jeder Zweifel beseitigt,
denn diese sind lángst als Arbeiten Dosios bekannt und als solche auch so gut wie
möglich beglaubigt. Über 40 dieser Blätter sind nämlich unmittelbar nach ihrer
Ausführung, 1569, gestochen und unter folgendem Titel herausgegeben worden:
(voran geht die Widmung an Cosimo Medici) „Urbis Romae Aedificiorum illustrium
quae supersunt reliquiae summa cum diligentia a Joanne Antonio Dosio stilo ferreo
ut hodie cernuntur descriptae et a Jo. Baptista de Cavaleriis aeneis tabulis incisis
Repraesentatae M.D. LXIX. Kal. Mai.“ 15)
Aus den Angaben des Titelblattes gewinnen wir auch einen wertvollen Terminus
für unsere Zeichnungen: da die Beschriftung der Skizzen natürlich vor dem Stich
stattfand, so muß die Ordnung und letzte Redaktion vor dem т. Mai 1569 statt-
gefunden haben.
Über das Leben Dosios haben wir glücklicherweise einige literarische Notizen,
die auch seine zeichnerische Tätigkeit in Rom nicht unerwähnt lassen. Es ist die
Lebensbeschreibung, die Borghini in seinem „Riposo“ gibt; sie ist mehr als 25 Jahre
362
vor Dosios Tode verfaßt, hat also einen gewissen Anspruch auf Glaubwürdigkeit !).
Borghini erzählt folgendes: „Giovanantonio di Giovambatista Dosio nacque in Firenze
anno della salutifera incarnazione del figliuol di Dio 1533, e l’anno 1548 essendo
molti anni prima morto il padre, si trasferi a Roma, e si pose all’ arte dell'oefice;
e passato uno anno, non gli piacendo tal mestiere, si accomodó con Rafaello di
Montelupo (1549), col quale stette insieme al diciottesimo anno dell’eta sua (1551),
nel qual tempo si ritirö a lavorare sopra se stesso, e parte del tempo andava guada-
gnando, e parte disegnando le cose buone di Roma, si antiche, come
moderne. La prima opera, che egli facesse di marmo, fu una statua, figurata per
la Speranza, la quale ё in Santo Apostolo di Roma alla sepoltura di Giulio del
Vecchio (1556) 1"). Si diede poi a restaurare anticaglie, е a lavorare di stucchi, per
guadagnare il vivere, essendo poverissimo: e nel boschetto di Belvedere a
tempo di Papa Pio IV. fece molte statue di stucco, e figure di mezzo
rilievo, e istorie, e racconció molte statue di marmo. Ando poi als servizio
del Gig. Torquato Conti“ ecc. 18). Die letzte Angabe paßt ausgezeichnet zu dem,
was wir aus den Zeichnungen selbst erfahren hatten; auBer den zahlreichen Statuen
und Reliefs des Belvedere hat der Kiinstler iiberdies auch einmal eine Vedute des
ganzen Gartens gezeichnet, auf der man Arbeiter beim Transport von Baumaterialen
für das Casino Pio sieht (Abb. 12) 10. Dagegen verlegt Borghini die zeichnerische
Tätigkeit Dosios in die Zeit nach seiner Trennung von Raffaello da Montelupo und
vor seiner Beschäftigung im Belvedere, also in die 5oer Jahre, während wir aus
den Zeichnungen geschlossen hatten, daB sie sich iiber das VII. Jahrzehnt erstrecke.
Doch miissen wir їп diesem Falle den Zeichnungen mehr Glauben schenken, da
sie uns eine Reihe von vollkommen sicheren Daten aus der Zeit von 1561— 69
geben; die chronologische Ungenauigkeit Borghinis ist ja auch sehr geringfügig °’).
Die Girolamo Ferrari-Inschrift findet eine ganz harmlose Erklärung: der Schreiber
hat offenbar nicht den Inhalt des einen Umschlages oder der ganzen Kollektion als
Werk Ferraris bezeichnen wollen, sondern nur die eine Zeichnung, auf deren Riick-
seite eben die Inschrift steht; wie schon hervorgehoben, ist diese Zeichnung von
den Dosioblättern im Stil total verschieden.
Die Resultate unserer Untersuchung sind folgende: Giovanantonio Dosio hat
in der Zeit von etwa 1561—65 in einigen hundert Blättern die Monu-
mente Roms gezeichnet; mehrere Jahre später, kurz vor 1569, unternahm
er — vielleicht weil sich ihm die Möglichkeit bot, sie zu publizieren —
eine durchgreifende Revision seiner Zeichnungen, frischte sie auf, ver-
sah die Objekte mit Ortsnotizen und stellte seine Blätter samt einigen
dazu passenden von fremder Hand in einer Kollektion zusammen. An-
sehnliche Reste derselben haben sich in den Uffizien (Architektur) und
im Berliner Kupferstichkabinett (Skulpturen) erhalten; vieles ist ver-
loren, manches findet sich vielleicht noch in den großen Sammlungen.
Die für uns verlorenen Blätter haben jedoch möglicherweise eine Spur hinter-
lassen.
Es wäre an sich sonderbar, daß Cavalieri zu seinen Statuenstichen sich nie
des Vorrates an Statuenzeichnungen, die Dosio angesammelt hatte, bedient haben
Sollte, wo er doch mit dem Zeichner in enger geschäftlicher Verbindung stand.
Nun finden sich in der zweiten Serie Cavalieris, die etwa 1579 erschien, eine Anzahl
von Stichen, die stilistisch eine Sonderstellung einnehmen; es sind Nr. 15 (Abb. 5),
64, 66, 77 und 86. Sie haben nichts von der barocken Wüstheit der anderen
363
Statuen; statt der rundlich malerischen, weichlich schwammigen Gewandbehand-
lung haben diese Blätter eine straffe, bestimmte, plastische Faltengebung, die stark
an Stilgruppe II der Dosiozeichnungen erinnert (vgl. auch den Gesichtsausdruck).
Andrerseits ist es von einer dieser Statuen, der Pudicitia Nr. 15, sehr wahrschein-
lich, daß sie schon 1566 aufs Kapitol verbracht wurde 21), während sie sich bei
Cavalieri laut Beischrift noch im Belvederegarten befindet; es scheint also eine
Zeichnung zugrunde zu liegen, die noch unter Pius IV. angefertigt wurde. Sollte
es sich hier nicht um verlorene Zeichnungen Dosios handeln?
Der Ertrag dieser mühseligen Untersuchung lohnt ihre Mühe: wir haben in den
Zeichnungen Dosios eine Quelle für die Geschichte der antiken Monumente Roms
erschlossen, wie sie in gleichem Umfang und von gleicher Vielseitigkeit nur noch
in den Skizzenbüchern Martin van Heemskercks und in den Stichen des Laferischen
Speculum existiert.
VERZEICHNIS DER VON DOSIO GEZEICHNETEN ANTIKEN
STATUEN (BERLINER SKB.)
(Eine eingehende Behandlung der Reliefs ist von anderer Seite binnen kurzem
zu erwarten.)
Nr. der Abbildung od. Katalog-
Zeichnung aus ‘Sammlung Jetzt nummer)
ıza | Barbar Valle ? —
17b | Panzerstatue Valle Capranica | Florenz, P. Pitti R III 162,5
7a a b | Pluto sitzend Vigna Pio V. ? | R П 20,2
83 Agypt. Lowe Capitol Rom, Mus. Capitol. —
їїда | Muse Valle ? —
114bC | Muse sitzend Valle ? —
126 Barbar Farnese Neapel, Mus. Naz. С1-К 519,6
131 Frau sitzend ? Wilton House Cl-R 257,1
132/3 Niobidenpädagoge ? Ny Carlsberg Róm.M.XXVI, T. 15
134 Kybele Casino Pio IV. Casino Pio IV. С1-К 182,3
135 Venus von Arles] Cesi Paris, Louvre С1-К 173,8
(Replik)
136 Weibl. Gewandst. ? Vatikan ? Cl-R 565,4?
ı39ab| Imperator ? Rom, V. Albani Cl-R 274,1
140a | Hygieia Bufali Florenz, P. Pitti Cl-R 292,3
140b | Muse Bufali Florenz, Uffizi Cl-R 271,4
1400 | „Niobide“ Bufali Florenz, Uffizi | Cl-R 313,3.6
142 Athena ? | —
143 Ephes. Artemis Farnese Neapel, Mus. Naz. Cl-R 302,2
144a | Constantin Capitol Rom, Piazza del С1-К 604,5
Campidoglio
144b | Weibl. Gewandst. | Vatikan d —
144c | Weibl. Gewandst. ? ?
145 = 140a ==> — ==
148a | Togatus Valle Capranica, Florenz? —
(*) Die Abkürzungen dieser Rubrik sind folgende: Cl-R — Reinach Repertoire de la statuaire I (Clarac
de poche); R = Reinach Repertoire de la statuaire II, III; D = Dütschke Antike Bildwerke in Oberitalien.
364
— aus Sammlung ре СРУ
148b | Togatus Valle Capranica | Florenz? —
148c Panzerstatue Valle Capranica | Florenz, Uffizi ЕШ 162,7
150 Barbar Valle Capranica | Florenz, G. Boboli D II 69/70?
151 Barbar ? Paris, Louvre? C1-R 167,6?
154a | „Pudicitia“ Casino Pio IV. | Casino Pio IV. R U 687,2
154b | Panzerstatue Ubaldini ? —
ї55а Weibl. Gewandst. | Belvedere Vatikan? Cl-R 256,8?
155 Weibl. Gewandst. | Belvedere Florenz C1-R 600,6
1550 | Weibl. Gewandst. | Belvedere Vatikan? Cl-R 204,7?
158 Togatus ? ? —
159 Hecate Boccabella? London, Brit. Mus. Cl-R 295,4
160 Augustus Ruffini-Capitol | Conservatorenpal. Cl-R 560,1
161 Amazone ? Wilton House Cl-R 482,1
162 Herkules Valle Rustici | Florenz Uffizi Cl-R 474, 1
167 Weibl. Gewandst. ? ? —
170a | Isispriesterin ? ? —
170b Fortuna ? ? [Lanzi —
171 Weibl. Gewandst. Valle Capranica | Florenz, Loggia de С1-К 455,6
172 a b Weibl. Gewandst.| Valle Capranica | Florenz, Loggia de R I 655,9
Lanzi
175 Weibl. Gewandst. Belvedere Vatikan C1-R 256,1
177a | Venus Felix Belvedere Vatikan Cl-R 327, 1
177b | „Fides“ Casino Pio IV. | Casino Pio IV. R II 687,7
1770 | „Iuventas“ Casino Pio IV. | Casino Pio IV, R II 687,5
179a Demeter ? ? —
179b | Daphnisgruppe Cesi Rom, Mus. Naz. Cl-R 414,3
181ab | Karyatide ? Vatikan, Braccio Ci-R 219,4
Nuovo
184 Satyr ? ? —
185 „Нега“ ? Ince Blundell Cl-R 203,3
186 Nymphe ? | Mus. Torloni С1-К 438,1
ANMERKUNGEN
(т) Conze in der Festschrift fiir Curtius 1884, р. тот: ,Genaueres hat Herr Schreiber ermittelt und mir
in eingehender Darlegung zur Verfügung gestellt. Darnach sind jene Zeichnungen... von dem Ge-
novesen Girolamo Ferrari unter Gregor XIII. (1572—1583) in Rom angefertigt“. Robert (Sarkophag-
reliefs II, р. XI) schließt sich diesem Urteil an; ebenso Reinaah (L’Album de Pierre Jacques, р. 18).
Michaelis hielt ebenfalls an dieser Datierung fest, glaubte aber an die Ausführung von verschiedenen
Künstlern (briefliche Mitteilung).
(2) Dies Verfahren ist hier befolgt; in den Fällen, wo mehrere Monumente unter einer Nummer zu-
sammengefaßt sind, sind dieselben durch a, b, c unterschieden. Es dürfte sich empfehlen, diese
Zitierweise allgemein zu wählen, da sich nur dadurch die eindeutige Bezeichnung eines Stückes er-
zielen läßt.
(3) Die Vorlagen zu beinahe allen Abbildungen aus dem Berolinensis verdanko ich Herrn G. Dehn.
(4) Das Stemma der Familie bei Lanciani Storia degli scavi di Roma I, p. 116.
(*) Siehe Fußnote auf 9. 364.
365
(5) Lanciani Storia degli scavi di Roma III, p. 181: „Vigna del Sadoleto... era ssata donata dal car-
dinale Giacomo a suo nipote Camillo il 18. Ottobre 1547. Otto anni dopo, ai 10 di giuguo, Camillo
la vendeva a Roberto o Uberto Ubaldini banchiere e tesoriere di papa Paolo IV, al prezzo di scudi 1150“.
(6) Ich begnúge mich damit, die urkundlichen Belege fir eine dieser drei Statuen, diejenige, welche
als Stilprobe für Gruppe A wiedergegeben ist (Nr. 177c, Abb. 1), hierher zu setzen.
Die Beischrift unter dem Sessel besagt: „La venere col cupido sono in belvedere e le altre 2 Figure
(unter denen sich die unsere befindet) sono nel boschetto“. Die Inschrift an der Basis „Iuventas“ er-
möglicht die sichere Identifizierung mit Nr. 81 des Inventars der von Pius V. 1566 proskribierten bel-
vederischen Statuen: Gioventü, a sedere (bei Michaelis Jahrbuch des Archäol. Instituts 1890, p. 62).
Sie stand damals wie noch heute neben der Kybele über dem Wasserbecken des Casino Pio und ist
später auch von Cavalieri (A 14) mit der Unterschrift: ,luventas dea ё marmore in Pontificis viri-
dario Romae“ gestochen worden. Es ist ganz sicher, daß es sich um dieses Stück in einer Rechnung
vom Anfang des Jahres 1561 handelt, wo es heißt: „piu altri scudi cento a mo Nicolo scarpellino per
pagamento di tre statue antiche pel Boschetto cioè luna di Joventa che siede grande più del naturale
vestita di veli sottillss mi...‘ (Lanciani Storia degli scavi di Roma III, р. 226). Der Bildhauer übrigens
ist Nicolao Longhi da Vegiú, der bei den Arbeiten am Casino oft genannt wird; in einer Urkunde
von 1576 heißt es, er wohne „ad plateam de Cavaleriis“ (Lanciani Storia р. 219). Die älteste Zeich-
nung dieses Stückes findet sich bei Heemskerck.
(7) Da die Statue auf der Basis die Inschrift „Mnemosine“ trägt, ist sie in dem Inventar der 1566 ver-
schenkten Statuen zweifellos als solche bezeichnet. Die drei so benannten Statuen aber (Nr. 92, 107,
115 bei Michaelis, Archäol. Jahrbuch 1890, р. 62) wurden alle nach Florenz geschickt (vgl. Michaelis
a. a. O., p. 66); im September 1569 waren sie schon abgesandt.
(8) Robert, der diese Beischrift im Text zu Sarkophagreliefs III No. 35, abdruckt, liest „giu“, wodurch
der Datierungsanhalt verloren ginge; doch ist das sinnvollere „gia“ ganz deutlich erkennbar.
(9) Vgl. Baglione Vite (1649), р. 151—153 und Lanciani Storia degli scavi Ш, р. 265/66; dort auch
das von Bertolotti aufgefundene Nachlaßinventar vom 2. Oktober 1578 abgedruckt.
(10) Vgl. Cristofori, Storia dei Cardinali di Santa Romana Chiesa (Roma 1888), р. 350.
(11) Die unsicheren Buchstaben sind durch einen darunter gesetzten Punkt kenntlich gemacht. Die
Buchstaben vor „Moni“ sind fast ganz abgeschnitten, doch sind sie offenbar als „D D“ zu ergänzen,
womit die Dedikationsinschriften gemeint sind.
Von der Abteilung der architektonischen Zeichnungen, deren Umschlag vorhanden ist, haben sich
Reste in Nr. 43, 44, 86 und auf einigen verklebten Rückseiten erhalten.
(12) Auch sonst befinden sich noch Bestandteile dieser Zeichnungssammlung in den Uffizien, z. В.
Nr. 14841 und 14796 (in der Mappe mit Zeichnungen nach der Antike): auf dem ersten Blatte sind
vier Köpfe in Rötel gezeichnet, unter denen, wie öfters in Berlin, die Maße angegeben sind „8' alta“
u. A.; das andere, mit einer weiblichen Gewandfigur und einem Athenatorso auf der Vorderseite, trägt
auf dem Verso die zu einem anderen Blatte gehörige Inschrift: „Vestigie del Tempio di Bacco fuor
di Porta Sta Agnese, oggi si dice Porta Pia in alta semita“ (wodurch übrigens die Zeichnung in die
Zeit bald nach 1564 fixiert wird); es ist deshalb interessant, weil es einen starken psychologischen
Beweis für unsere Deduktionen liefert: Direktor Ferri nämlich hat, wie er mir freundlicherweise mit-
teilte, lediglich wegen der frappanten Übereinstimmung der Schriftzüge, schon längst dies Blatt dem
Zeichner der römischen Ruinen zugeschrieben.
Es muß übrigens noch einmal hervorgehoben werden, daß diese Florentiner Zeichnungen den ver-
schiedenen Formen der Stilgruppe B angehören, während sich zu den Zeichnungen der Stilgruppe A
nichts hinzugefunden hat; doch darf dieser Umstand nicht benutzt werden, um die frühen Zeichnungen
dem Anonymus abzusprechen.
(13) Revue archéol. XIII 1909, р. 82.
(14) Scrittura degli artisti italiani Nr. 239; Notariatskontrakt von 1576.
(15) Das Buch enthält so Tafeln incl. Titelblatt. Da die Vorlagen oft von den Stichen abweichen, sind
auch die gestochenen Blätter nicht wertlos; 20 derselben sind eben jetzt von Bartoli in den Cento vedute
di Roma (Alinari) in guten Lichtdrucken reproduziert worden. In Ermangelung eines entsprechenden
Registers bei Bartoli zähle ich hier die von ihm abgebildeten Nummern auf: 2502 (ау. XXVII — 2504 (ау.
LXI — 2515 tav. XXXVI — 2528 (ау. XLIII — 2531 tav. XV — 2532 (ау. LVI — 2533 tav. LXX
— 2536 tav. XC — 2537 tav. XXXIX — 2539 tav. XLV — 2547 tav. LXXVII — 2548 tav. LXXVIII
366
— 2556 tav. XIX — 2558 (ау. LXVII — 2561 tav. XIV — 2563 ‘ау. LXVI — 5565 tav. ХІІ — 2567
tav. УП — 2572 tav. VI — 2573 tav. LXXVI.
(16) Einen „gewissen“ Anspruch auf Zuverlässigkeit, da z. B. gleich als Geburtsort von anderen Quellen
nicht Florenz, sondern San Gimignano genannt wird (vgl. Pini-Milanesi).
(17) Das Grabmal wurde 1556 von Giulio del Vecchio „sibi suisque posteris“ gesetzt; vgl. Forcella
Iscrizioni delle chiese di Roma II, Nr. 724.
(18) Borghini, П riposo, Firenze 1584, р. 601. Nach Pini-Milanesi starb der Künstler nach 1609.
(19) Auf Bleistiftvorzeichnung mit der kräftig braunen Tinte ausgeführt; auch dieses Blatt ist also ein
Beleg für die spätere Ausführung der unter Pius IV. entstandenen Skizzen.
Daß die Zeichnung aus der Zeit der Bautätigkeit Pius IV. stammt, ist ja klar; der Transport der
Baumaterialien auf dem Wege zum Tore links hinaus kann nur nach dem Casino im Boschetto gehen.
Möglicherweise ist das Blatt auch für die Geschichte der anderen Bauten Pius IV., die hier erst zum
Teil vollendet erscheinen, instruktiv und läßt sich ganz präzis datieren. Von den zahlreichen antiken
Statuen, mit denen bei Pius’ Tode der Treppenbau und die Terrassen geschmückt waren, ist hier noch
keine Spur zu sehen.
(20) Ein Moment scheint allerdings für Borghini zu sprechen: In der Beischrift zu Nr. 2504 der Floren-
tiner Zeichnungen wird noch der alte Name der Kirche S. Maria del Sole — „alle carrozze“ — genannt,
obgleich die Umtaufung 1560 stattfand. Bartoli (Text zu tav. LXI) datiert deshalb dieses Blatt vor
dieses Jahr. Doch ist es sogar natürlicher, daß der Künstler die Kirche mit dem alten, ihm seit Jahren
vertrauten Namen nennt.
Sollte es übrigens glücken, einen vollgültigen Beweis für die Entstehung eines Blattes der Stil-
gruppe В vor 1561 zu erbringen, so wäre damit bewiesen, daß die Zeichnungen der Gruppe A nicht
von Dosio sind. Denn diese Blätter müssen früher sein als selbst die Originalentwürfe der Gruppe B,
sofern sie von Dosio herrühren. Da aber mit Frühjahr 1561 ein terminus post quem für Gruppe A
gegeben ist, so würde aus jenem Nachweis die Priorität von Gruppe B folgen.
(21) Das Stück bei Caval. ist ohne Zweifel identisch mit der Statue auf der Treppe des Capitolinischen
Museums (Righetti 252, Clarac-Reinach 449, 3); sie mißt то Palmen, ist also offenbar die „Pudizizia
intiera palmi то“, Nr. т des Inventars der 1566 von Pius V. an das römische Volk geschenkten Statuen
(vgl. Archäol. Jahrbuch 1890, р. 60; Michaelis Coll. capitol., р. 38, Nr. 1).
Es besteht übrigens die Möglichkeit, daß die Statue erst später aufs Kapitol geschafft wurde; doch
ist die oben gegebene Erklärung die wahrscheinlichere.
(22) Zur Feststellung der Wasserzeichen und Papiersorten diente das ausgezeichnete Werk von C.M.
Briquet: Les Filigranes. Dictionnaire historique de marques des papier. I—IV. Géneve 1907.
Ich stelle hier die Wasserzeichen zusammen, die mir bei einer flüchtigen Befrachtung der Berliner
und Florentiner Blätter aufgefallen sind:
1. Schmied, in der einen, erhobenen Hand Hammer, in der anderen, gesenkten Ambos; die ganze
Figur 5,5 cm hoch, Papierrippe ca. 2,5 cm breit.
Briquet 7558. — Verwandt in Fabriano 1563, Lucca 1564, Rom 1565 — 1566. Fabriziert höchstwahr-
scheinlich in Fabriano, dessen Wappen es trägt. — Berlin Nr. 15/17 (Stilgruppe В), 29/32 (A).
a. Blüte, dreiteilig, ohne Kreis. Höhe 64,6 cm, Breite 3,3 cm; Papierrippe ca. 2,3 cm.
Typ Briquet 6683/84. Verwand ausschließlich in Rom 1545—1566. — Berlin 127, 161 (?).
з. Zwei Pfeile, sich kreuzend, darüber Stern. Länge der Pfeile 7,8 cm, Entfernung der Pfeilspitzen
4,4 cm, Durchmesser des Sterns ca. 2,3 cm; Papierrippe ca. 2,8 cm.
Briquet 6298/99. Verwandt in Augsburg 1554, Florenz 1518—1528, Pistoia 1524—1540, Rom
1527—1566. — Berlin 18, 26, 63.
4. Armbrust im Kreis. Durchmesser des Kreises 4,4 cm; Papierrippe ca. 2,8 cm.
Briquet 748. Einzige ihm bekannte Verwendung: Rom 1505. — Berlin 154, 179 (beide Gruppe
A); Florenz 2567.
5. Leiter in oblongem Vierpaß, darauf Kreuz. Vierpaß breit 4,8cm, lang mit Kreuz 8,8cm; Papier-
rippe ca. 2,5 cm.
Briquet 5930. Verwandt in Fabriano 1548, Lucca 1560. — Berlin 40.
6. Großer Stern im Kreis, darüber kleinerer. Durchmesser des Kreises 4,5 cm; Papierrippe ca. 2,6 cm.
Bei Briquet nicht vorhanden. — Berlin 89, 116, 132 (Niobidenpädagoge) ; Florenz 2530, 2560, 2572, 2579.
7. Lilienwappen. Nicht festzustellen. — Berlin 24.
367
DIE WIRTSCHAFTLICHE LAGE DER BIL-
DENDEN KÚNSTLER IN DER REFOR-
MATIONSZEIT UND DIE ENTWICKLUNG
DER KUNSTE
EINE WIRTSCHAFTLICH - KUNSTGESCHICHTLICHE STUDIE
өоөөөөөөөөөзөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөзөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө VON BERTHOLD HAENDCKE
ie Reformatoren haben bis in die neueste Zeit stets von neuem den Vorwurf
hören müssen, daß ihre Lehre der Kunst gefährlich geworden bzw. ihr feind-
lich gesonnen gewesen wäre. Ein Körnchen Wahrheit liegt in dieser Behauptung,
wenn man Lutheranismus und Kalvinismus mit einem Blick umspannt. Sie ver-
liert aber ihr Gewicht, wenn wir die indirekten Folgen betrachten — von den
direkten Ergebnissen, die vornehmlich die protestantische Kirchenbaukunst betreffen,
sehe ich hier ab —, welche die Reformation für die Entwicklung der Künste ge-
habt hat. Die unmittelbare Veranlassung für die weitere Ausgestaltung der künst-
lerischen Aufgaben liegt allgemein im Sollen der Zeit, speziell in den wirtschaft-
lichen Veränderungen, welche die Verkündigung und Annahme der neuen Lehre
brachten. Diese letzteren sollen uns zuerst beschäftigen.
Die Kirche brachte im früheren und späteren Mittelalter unleugbar den größeren
Verdienst in die Werkstätten der Maler wie Bildhauer. Ich habe allerdings in
einem Aufsatz in der Zeitschrift für bildende Kunst, Januar 1911: „Die profane
Kunst im früheren Mittelalter, eine grundsätzliche Erörterung,“ mich sehr bestimmt
gegen die so verbreitete Annahme gewandt, die Kirche sei in dieser Zeit so ziem-
lich der einzige ernstlich in Frage kommende Maecenas gewesen, und darzulegen
mich bemüht, daß eine Beschäftigung der bildenden Künstler für Fürsten wie Bürger
in umfangreichem Maße stattgefunden hat. Die Grundlagen der künstlerischen
Arbeit, die seit dem Durchdringen der Reformationszeit einsetzt, sind trotzdem nicht
ohne weiteres aus der Beschäftigung für den Alltag in der vorreformatorischen
Zeit herzuleiten, sondern aus jenem Bruch mit der alten Kirchenlehre. Dieser
hatte, um es mit einem Wort zu sagen, die Schilderung der gesamten überlieferten
religiösen Vorstellungswelt überflüssig gemacht, den Christen allein auf den geisti-
gen Gehalt der heiligen Schrift verwiesen. Luther hat sich zwar in einem, wie
wir heute sagen würden, freikonservativen Sinne über die Bilder religiösen Inhaltes
ausgesprochen, aber der Anthropomorphismus, der die mittelalterliche Religiosität
in der Christenheit beherrscht hatte, war beseitigt, und damit der Grund für das
Malen und Meißeln der religiösen Legende im engeren und weiteren Sinne, soweit
sie der Erbauung dienen sollte. Dies tatsächliche Ergebnis der hier im Wortsinne
protestierenden Lehre brachte die Maler und Bildhauer in eine schwere finanzielle
Notlage, aus der sie nur eine Erweiterung des Stoffgebietes erretten konnte. Man
muß dabei in Erinnerung behalten, daß bis in die dreißiger Jahre des XVI. Jahr-
hunderts fast ganz Deutschland, von der Nordsee bis an die bayrischen Alpen,
„protestantisch“ war. Der große Kurfürst von Bayern, Max I. sagte noch: „Hätten
nicht unsere in Gott ruhenden Eltern mit solchem Eifer und Ernst ob der Religion
und Priesterschaft gehalten, durch die geistliche Obrigkeit wären dieselben wegen
ihrer Konvenienz und Kaltsinnigkeit nit erhalten worden“. Im Jahre 1564 sollen
sich sogar noch in Österreich nur ein Drittel Katholiken befunden haben. Erst
368
seit dem Eindringen der Jesuiten (1554) wurden zunáchst langsam, dann schnell
größere Gebietsteile für die alte Lehre zuriickgewonnen. Die Gebrüder Beham
haben in jenen oft zitierten Verhandlungen vor dem Niirnberger Rat am klarsten
fiir uns erkennbar und ganz einwandfrei die wirtschaftliche Lage der Kiinstler in
dieser Zeit gekennzeichnet. Es hieß einfach, neue Erwerbsquellen öffnen. Zuerst
suchte man aus der religiösen Bewegung im Streit und Widerstreit Gewinn zu
ziehen — nach alter Art; dann aber wandte sich alle Erfindungsgabe der Ausge-
staltung der Genre-, Portrait- und Landschaftsmalerei zu.
Das Reformationszeitalter gebar, kann man sagen, die Genremalerei. Allerdings
hat das ganze Mittelalter einen Blick auf die tägliche Umgebung geworfen, aber
verhältnismäßig selten und zerstreut. Jetzt wird ziemlich rasch und konzequent
die Genremalerei in weitem Umfange in den Kreis der Beobachtungen hineinge-
zogen. Zuerst greifen die Künstler nur einzelne Szenen heraus, um allmählich das
ganze Tun und Treiben des Werk- und Feiertages, vornehmlich in Darstellungen
aus dem „malerischen“ Volksleben, zu behandeln. An die Seite des Genre tritt die
Schilderung der Landschaft. Der Pinsel wurde allerdings seltener für derartige
Motive in Tätigkeit gesetzt, häufiger mußte der Stichel seine Dienste leisten. Der
Grund dürfte ebenfalls in erster Linie in finanziellen Erwägungen zu suchen sein.
Ein Kupferstich ist schneller und billiger herzustellen, auch weit gewinnbringender
zu verwerten. Diese Technik hat überhaupt wohl die Einkehr ins Volkstum, die
Erschließung neuer Erwerbsquellen befördert; denn sie ähnelt ja in nicht geringem
Maße der Studie, und zweifelsohne hatte das Genre wie die Landschaft früher eine
Unterkunft in der Studienmappe, als auf dem Tafelbilde gefunden. Wir wissen, daß
die Stiche wie die Schnitte in großen Mengen in Deutschland vertrieben wurden.
Durch die Erfindung der Ätzkunst wurde die Verwendung dieses Erwerbsmittels
später noch mehr erleichtert. Ähnliches gilt für die Bildhauer, insofern auch diese
in vordem unbekanntem Maße der Kleinkunst ihre Aufmerksamkeit zuwandten.
Wenn die neue Zeit dergestalt die Künstler zu neuen Stoffen drängte und Lebens-
verhältnisse wie Dinge wertvoll erscheinen ließ, die vordem wenig beachtet wurden,
so zwang sie die bildenden Künstler auch noch in anderer Hinsicht, weiter Um-
schau zu halten. Im allgemeinen waren dem Maler und Bildhauer im Mittelalter
für die Wahl seiner Stoffe die Wege gewiesen. Jetzt tritt zum ersten Male die
moderne Jagd auf Motive hervor, und damit trennt sich auch rein äußerlich das
Zeitalter der Reformation von der vorangehenden Periode. Hatten die Künstler
bis dahin vollauf Zeit gehabt sich immer von neuem in einen Stoff, eben die christ-
liche Legende, zu versenken, und konnten sie deshalb dahin gelangen, ihn schließ-
lich ganz auszuschöpfen (wie es Dürer getan), so eilte jetzt der Sinn, das Auge
von einem Vorwurfe zum andern. Zweifelsohne ist dadurch insofern eine gewisse
Schädigung gebracht, als die intime Ausgestaltung der Kunstwerke etwas zurück-
gedrängt, der Mode Tür und Tor geöffnet wird. Auch fehlt die Möglichkeit, sich
in großen Gemälden künstlerisch zu entlasten, den Formensinn in größerem Maß-
stabe zu entwickeln. Im späteren Verlaufe sucht man sich zu entschädigen, indem
man die Historienmalerei wieder in Angriff nimmt. Jetzt aber wählt man die Stoffe
aus den geschichtlichen Partien des Alten Testamentes oder illustriert einzelne
Abschnitte des Evangeliums; man geht also zu einer Art profan-religiöser Historien-
malerei über, deren letzte Wurzeln, wie man weiß, bis zu Holbein zurückreichen,
Überall finden wir das Fundament für das XVII. Jahrhundert bereitet. In Hin-
blick auf die berührten künstlerischen Themata steht das XVI. zum XVI. Jahr-
hundert wie das XV. zum XVI. Sákulum da — vorbereitend. Das Reformations-
369
zeitalter hat als die Gabe einer „protestantischen“ Kunst die Genre- und Land-
schaftsmalerei geboten; ich trenne hier wieder die Kirchenbaukunst ab. Abgesehen
von allgemeinen Zeittendenzen, die zu kiinstlerischen Vorwiirfen aus der Gegen-
wart anreizten, war der HauptanstoB aus der wirtschaftlichen Lage der durch die
neue Lehre mehr oder weniger brotlos gewordenen Maler und Bildhauer gegeben.
Die iiberschiissige Kraft dieser Leute suchte aber noch auf andern Gebieten Be-
titigung. Die Architektur und das Kunstgewerbe wurden von ihnen aufgesucht;
nicht durchgängig zum Vorteil dieser Künste, Dem Fachmann wurde dadurch
nicht selten ein Malerurteil und auch ein Laienurteil, das sich hier bestochen
fühlte, aufgezwungen. Der Baukunst mußte dies Beginnen um so verderblicher
werden, als die Zierlust der Maler geringe Geldmittel und nichts grundstürzendes
verlangte. Diese Materie, die kunstgeschichtlich jedem bekannt ist, aber noch
weiter zu verfolgen, hieße Überflüssiges sagen. Ich hatte nur die Absicht, in die
rein kunstwissenschaftliche Entwicklungstheorie ein Moment aus dem rauhen Wirk-
lichkeitsleben einzusetzen, den Kampf um die wirtschaftliche Existenz. Er dürfte
in diesem Falle sogar von ausschlaggebender Kraft gewesen sein.
370
Zu „A. VICTORYNS“.
Mit einer Abbildung auf einer Tafel.
Dr. Kurt Freise hat im Heft УШ des Jahrgangs
1910 dieser Zeitechrift ein in Kopenhagener Privat-
besitz befindliches Gemälde von A. Victoryns:
„Schule“ veröffentlicht.
Diesem sehr ähnlich ist ein in der Sammlung
des Freiherrn von Bissing, München, befindliches
Ölgemälde, das im Kunsthandel als „Adrian von
Ostade“ erworben wurde. Die, nicht sehr erheb-
lichen, Abweichungen in Einzelheiten der Kompo-
sition (z.B. in der Haltung des Schulmeisters, in
der Anzahl der Figuren, in der Anordnung des
Raumes, im Stilleben) sind aus der beigegebenen
Abbildung, die leider nicht besser zu bringen ist
(Tafel 79), ersichtlich. Auch ist unser Bild be-
tráchtlich größer: 46,0><64,2 Lichtmaß; Eichen-
holz. Der Erhaltungszustand ist ausgezeichnet. Die
Farben sind in der Hauptsache: ein verschieden
heller (hell z. B. die Balken, dunkel der Speicher-
raum) blond - brauner Grundton, der beim Boden,
bei der Zimmerwand in Grau-weiB übergeht. Von
diesem nũancierten Braun heben sich die lebhaften
Farben der Kopfbedeckungen und Bekleidungs-
stücke energisch ab; vor allem ein leuchtendes
Rot, ein helles Violett und Rosa, ein kräftiges Gelb
und Braungelb, Grún und Weiß.
Ich halte unser Bild, wenn auch keinerlei Sig-
natur vorhanden ist, fúr eine sehr gute veránderte
Replik jenes Stúckes in Kopenhagen, das, obwohl
voll signiert, doch nach Freise ziemlich schwach
sein soll. Alle stilistischen Merkmale sprechen fir
Victoryns, da „Ostade“ keinesfalls in Betracht
kommen kann. Sie stimmen auch überein mit
dem von Freise als für Victoryns charakteristisch
Angeführten: Die derben, plumpen und untersetz-
ten Figuren mit den klobigen Nasen, die nüchterne
Wand, das Fehlen jeder Lichtquelle im unbe-
stimmt entwickelten Raum, der bei Ostade stets
klar gegeben und durchgeführt wird. Von dessen
bekannten, bei Hofstede de Groot (,, Beschreibendes
und kritisches Verzeichnis der Werke der hervor-
ragendsten holländischen Maler, Band III“) ange-
führten oder beschriebenen ähnlichen Darstellungen
(Louvre, Straßer in Wien, Bunbury in London usw.)
weicht unser Gemälde überall, in allen Punkten,
(nicht nur in den Maßen) ganz beträchtlich ab.
Derartige Kompositionen Ostades mögen Victoryns
als Vorbilder gedient haben, von direkten Kopien
kann man aber, soviel ich sehe, nicht sprechen.
Übrigens macht das Kopenhagener Bild mir den
Eindruck, als sei es am oberen Rande beschnitten.
Jedenfalls fehlt ihm, wie aus einem Vergleich
beider Abbildungen hervorgeht, der ganze Speicher-
raum, der unser Bild abschließt. Ferner ist auch
die Zeichnung der Figuren und Gegenstände bei
unserem Bilde viel schärfer. Wir verstehen auf
den ersten Blick Haltung und Gestus jeder ein-
zelnen der vielen Figuren.
Zum Schluß möchte ich nicht vergessen zu be-
merken, daß mich (im Anschluß an Freises Arbeit)
die dankenswerte Anregung Dr. Cohens in Heft XI,
1910, auf die Bestimmung des von Bissingschen
Bildes gebracht hat. Hermann Nasse.
DR. С. HOFSTEDE DE GROOT, Be-
schreibendes und kritisches Verzeichnis
der Werke der hervorragendsten hollän-
dischen Maler des XVII. Jahrhunderts.
Bd, UI: unter Mitwirkung von Kurt Freise
und Dr. Kurt Erasmus, Esslingen a. N.
Paul Neff (Paris 1910).
Ich hatte die Absicht, mich bei der Besprechung
des dritten Bandes wesentlich kürzer zu fassen, als
ich es bei den früheren Bänden getan habe, denn
wo meine Bemerkungen zum Teil prinzipielle An-
sichten betreffen, hat es keinen Zweck, nun ich
meine Ansicht über verschiedene Punkte einmal
klargelegt habe, dies freilich an der Hand neuer
Belege, noch einmal zu erörtern. Aber seitdem
meine zweite Besprechung erschienen ist, hat der Ver-
fasser es für gut befunden, eine kleine Schrift „Zur
Abwehr“ einer Lieferung dieses Blattes beizulegen,
welche mich nötigt, mich dennoch wieder ein-
gehender mit der Sache zu befassen.
Der vom Verf. für seine Schrift gewählte Titel
wird, wie mich, wohl viele gewundert haben. „Zur
Abwehr“ schreibt man, wenn man angefallen ist,
und nicht nur bin ich mir nicht bewußt den hoch-
verdienten Verfasser des von mir sehr anerkannten
Werkes angefallen zu haben, sondern auch Verf.
selber zollt mir in dem Vorwort seines dritten
Bandes Dank eben für das, was ich geschrieben.
Jedem muß sofort die verschiedene Tonart auf-
fallen, in der dieses Vorwort und in der „Zur Ab-
wehr“ geschrieben ist. Aber nicht nur die ver-
schiedene Tonart ist es, welche mich gewundert
hat. Eine meiner Bemerkungen, der ich am meisten
371
Wert beilegen möchte, ist, daß Verfasser von ihm
verworfene Bilder, welche in der geliufigen Lite-
ratur genannt sind, ohne weitere Erklärung fort-
läßt. Und während er diese meine Bemerkung
recht gut verstanden hat, denn in dem Vorwort
verteidigt er sich gegen meinen Vorwurf, tut er
in „Zur Abwehr“ als ob ich alle diese verworfenen
Bilder in Schutz nähme und es deshalb mißbilligte,
daß er sie fortgelassen hat.
Gehen wir aber sonstigen prinzipiellen Bemer-
kungen in „Zur Abwehr“ nach. Daß ich die An-
ordnung in einem Nachschlagewerk als eine der
wichtigsten Angelegenheiten hervorgehoben habe,
wird mir übel gedeutet. Aber dieser meiner An-
sicht wird doch wohl ein jeder sein, der das Buch
nicht nur als eine tüchtige Leistung anerkennt,
sondern es auch täglich zu benutzen und unter
den Mängeln in der Anordnung zu leiden hat.
Nicht ist es „schlimm“ und „fatal“, daß Verfasser
eine andere Anordnung gewählt hat, als diejenige,
die ich für richtig halte, sondern daß er eine solche
ersonnen hat, die ihm selbst fortwährend böse
Streiche spielt. Ich werde dies, um nicht in Wieder-
holungen zu verfallen, durch Proben aus dem dritten
Bande belegen, in dem Frans Hals, die zwei Ostade
und Adriaen Brouwer behandelt sind.
Verfasser hat z. B. in Bd. I bei Dou die Bilder
darnach angeordnet, ob die Darstellung durchs
Fenster oder die Tür gesehen ist oder nicht. Ich
habe diese Anordnung getadelt, weil nur die An-
ordnung nach dem Gegenstand und nach nichts
anderem vor Verwirrungen schützen kann, schon
darum, weil bei unvollständigen Beschreibungen,
z. B. in älteren Katalogen, dieser Umstand nicht
immer angegeben ist. Bei Adriaen von Ostade hat
Verfasser aber dennoch dieses selbe System ver-
wendet. Bei Isaac aber nicht, wohl weil von ihm
weniger existiert. Und was ist ihm nun passiert?
Daß er bei den nicht durchs Fenster gesehenen
Darstellungen von Adriaen unter 437 „Der alte Fied-
ler“, dasselbe Bild beschreibt, wie bei Isaac unter
216 „Der alte Geiger“.
Übrigens ist die Einteilung nach Durchblicken
durch Fenster oder Türe besonders bei Ostade fatal
— Verfasser halte mir dieses Wort zugute — denn
bei ihm bildet Fenster oder Tür öfters einen Haupt-
bestandteil der Darstellung. „Der Bäcker, der frische
Backwaren ankündigt“ z. B. (29) ist keine durchs
Fenster gesehene Darstellung, weil das Fenster
selbst mit zur Darstellung gehört. Ganz ähnlich
ist die Sachlage bei 56, wo die Mutter ihr Kind
über die halbgeöffnete Tür emporhält, und wo also
die Tür mit zur Komposition gehört, nicht die
Komposition umschließt. Und daß Verfasser sich
372
sogar nicht immer an diese merkwürdige Eintei-
lung gehalten hat, macht die Sache nicht besser.
Adr. Ostade 433 (Der wandernde Musikant) ist zwar
nicht durch eine Tür, sondern durch einen Tor-
bogen gesehen, findet sich aber dennoch bei den
Darstellungen der Berufe, und nicht bei der ersten
Gruppe.
Dasselbe gilt von der Einteilung nach der Zahl
der dargestellten Personen. Bei Adr. Ostade finden
wir: I Einzelfiguren, II zwei Figuren, III drei Figuren,
IV mehr Figuren. Wäre diese Einteilung prak-
tisch, dann hätte es keinen Sinn, bei drei Halt zu
machen. Aber Verfasser hat auch hier wieder
selber dieses System verleugnet, indem er z. B. den
Maler, der mit zwei Lehrlingen in seiner Werkstatt
tätig ist (97) zu den Einzelfiguren rechnet. Eben-
falls hat er die Kartenspieler bei ihrem Spiel ge-
lassen, auch wenn es nur drei waren (841).
Die essenden Bauern sind getrennt von den
trinkenden aufgeführt. Das ist nun aber öfters
sehr schwierig zu unterscheiden, und es ist frag-
lich, ob nicht z. B. Brouwers „Zehn trinkende und
rauchende Figuren“ (53) besser bei den trinken-
den und rauchenden als bei den essenden einge-
reiht worden wären. Daß Ostades Trinker (137)
nicht soweit von dem Raucher (194) entfernt hätte
stehen sollen, geht schon daraus hervor, daß in
beiden Nummern dasselbe Bild beschrieben ist.
Gerne gebe ich aber zu, daß die Einteilung hier
Schwierigkeiten macht, was aber kaum der Fall ist
bei Ostades vielen Schweine- und Ochsenschlachten,
wo es nützlich gewesen wäre, das eigentliche
Schlachten von den Darstellungen der schon ge-
schlachteten Tiere zu trennen.
Auch die Musikanten hätten wie bei Hals auch
bei Ostade nach den Instrumenten, welche sie
spielen, getrennt werden müssen. Nicht alle Bilder _
aber, wo nur irgendwo ein Geiger vorkommt, ge-
hören in diese Gruppe. Bei Ostade 443 z.B. nimmt
der Geiger eine sehr untergeordnete Stelle in dem
Bilde ein. Da der Verfasser das Bild nur nach
Smith erwähnt, mußte er sich freilich mit dessen
Beschreibung behelfen; im Receuil Réveil ist es
aber im Jahre 1828 gestochen.
Natúrlich bleiben immer eine Anzahl Bilder úb-
rig, welche sich wegen unzureichender Beschreibung
in keiner Rubrik unterbringen lassen. Daß diese
Gruppe so klein ist, ist ein Beweis für den Spür-
sinn des Verfassers.
Bevor man zur Ordnung der Porträts schreitet,
muß man sich klar gemacht haben, was zu den
Porträts gehört und was nicht. Verfasser sagt in
seinem „Zur Abwehr“, daß es nicht immer leicht
sei, zu bestimmen, ob ein Bild mehr Porträt oder
Genrebild ist. Das ist ganz richtig. Die Grenze
ist micht immer genau zu ziehen, aber Verfasser
hat sie jedenfalls nicht richtig gezogen. Adr.
Ostade 882, das „Brustbild eines lachenden Bauern“
im Museum Boymans in Rotterdam und ähnliche
Bilder gehören >. В. jedenfalls nicht zu den Por-
tráts. Bei Hals spielt die Anordnung der Porträts
eine noch weit wichtigere Rolle. Und was sehen
wir hier? Der „Fröhliche Trinker (63), aus dem
Amsterdamer Rijksmuseum, steht bei den Genre-
bildern, aber die Wiederholung, 1881 bei Herrn
Bischoffsheim in London, bei den Porträts (284).
— Hille Bobbe rechnet er zu den Genrebildern,
was sich ja verteidigen läßt, aber dann gehörte
doch auch ihre Kollegin in der Fischweibergesell-
schaft, Marie Panvis, dahin, die sich jetzt neben
der Frau Bürgermeisterin Aeltgen Pater merkwür-
dig ausnimmt, und ebenso der sogenannte Pieter
Cornelisz. van der Morsch (205). Daß dieses Bild
den Leidener Rhetoriker nicht darstellen kann,
habe ich in meinem Buche über Fr. Hals nach-
gewiesen. Es ist einfach ein Bücklingverkäufer,
also ein Genrebild. Dagegen gehört 107 „Brustbild
eines Mannes nach rechts“ zu den Porträts. Lacht
ein Kind, so genügt das nach Verf., es nicht bei den
Porträts einzureihen, sondern ihm ganz vorn bei
den Genrebildern einen Platz zu geben.. Manch-
mal braucht es nicht einmal zu lachen, nur seine
Haare nicht gekämmt zu haben (45). Bei den
Porträts finden wir ganz ähnliche Rundbilder (z.
В. 400h).
Ganz richtig hat Verfasser bei Porträts von be-
kannten Personen jetzt die Frauen bei ihren Ehe-
männern untergebracht. Aber warum auch nicht
so bei den Unbekannten? Hier wäre es gerade
noch wichtiger gewesen, immer die Gegenstücke
beieinander aufgeführt zu sehen. Und dann hätten
von den Männerporträts diejenigen gesondert auf-
geführt werden können, welche wegen ihrer Klei-
dung einen besonderen Beruf verraten, wie Offi-
ziere, Prediger usw.
306 „Der herumziehende Maler“ — der gewählte
Titel paßt mehr zu den Genrebildern als zu den
Porträts — ist, wie ich in meinem Buche über
Fr. Hals nachgewiesen habe (S. 54), das Porträt
eines von Hals’ Söhnen. Freilich habe ich sein
Alter mit etwa 14 Jahren wohl zu jung angenommen,
was dadurch beglaubigt wird, daß Verfasser die
Jahreszahl als 1648 liest. тоз „Ein nach rechts
gewandter Jüngling“ ist derselbe Sohn.
Bei den Gruppenbildern muß es auffallen, daß
die Schützenstücke, welche als besondere Gruppe
eine so hervorragende Stelle im Werke von Hals
einnehmen, mit andern Bildern, wo mehr als eine
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 8.
Person porträtiert ist, durcheinander geworfen sind-
So steht die „Amme mit dem Kinde“ in Berlin (429)
zwischen dem Amsterdamer und einem der Haar-
lemer Schützenstücke! Warum aber, möchte man
fragen, die Amme mit dem Kinde bei den Gruppen-
bildern, und de Ruyter mit einem Pagen (220)
bei den Einzelfiguren?
Eine zweite wichtige Meinungsverschiedenheit
zwischen dem Verfasser und mir betrifft die Ver-
meldung von Reproduktionen. Verfasser gibt die-
selbe nur unvollständig an, und ich nehme Nota
von seiner Versicherung in „Zur Abwehr“ (S. 12),
daß ihm an Vollständigkeit gar nicht gelegen ist.
Seine Begründung ist aber doch äußerst mangel-
haft. Im Haag, wo Verfasser wohnt, ist freilich
kein Kupferstichkabinett, aber erstens habe ich
mehrere Reproduktionen nachgewiesen, die in be-
kannten Büchern stehen, also in der Kgl. Bibliothek
daselbst ebenfalls vorhanden sind, und zweitens ist
Amsterdam nicht so weit vom Haag entfernt, daß
die Benutzung des dortigen Kupferstichkabinetts
dem Verfasser unmöglich wäre. „Aber“ sagt Ver-
fasser, „die Kupferstichkabinette werden leider
(ich unterstreiche) mehr und mehr in einer für die
Benutzung der Stiche als Quellenmaterial ungün-
stigen Weise umgeordnet.“ Es ist wirklich sehr
verdrießlich, von berufener Seite diese Klage hören
zu müssen, während ich gerade von der Zeit an,
da ich an dem Amsterdamer Kabinett tätig bin,
weder Zeit noch Mühe gespart habe, um gerade
die Stiche für diesen Zweck zu verwerten. Wo
schließlich die Stiche in ihren Mappen liegen,
kann doch jedem Benutzer vollständig gleichgültig
sein, wenn nur Maßregeln getroffen sind, sie inner-
halb kürzester Zeit vorlegen zu können. In Amster-
dam besteht nun, für den gesamten Vorrat an
Stichen, ein Zettelkatalog, in dem jedes reprodu-
zierte Bild gesondert aufgeführt ist. Unsere Samm-
lung ist natürlich nicht vollständig, aber ich glaube
nicht zuviel zu sagen, wenn ich behaupte, daß
nirgends die Benutzung weniger umständlich ist.
Verfasser, der so nahe bei Amsterdam wohnt, be-
findet sich also in einer hervorragend günstigen
Lage. Ihm ist es am allerwenigsten zu verzeihen,
daß er Stiche nur nach Smith zitiert und sich
nicht die Mühe nimmt, den in dieser Hinsicht
öfters ungenau berichtenden Smith zu kontrollieren.
Für Hals hätte eine Durchsicht der Blätter von
J. de Groot, J. Stolker, W. Vaillant, P. Louw, A.
Schouman, T. Blackmore, J. Dixon, J. Watson, W.
Baillie u. a. ihm treff liches Material verschafft. —
Bei Hals 130 schreibt Verfasser, daB Bilder wie
das lachende Kinderpaar mit einer Katze, von der
Versteigerung L. von Lilienthal, Kóln 21. Dez. 1893,
26 373
mit mehr Wabrscheinlichkeit Jan Molenaer zuge-
schrieben werden müssen. Das mag ja bei
diesem Bilde zutreffen, aber doch verallgemeinert
er wohl zu sehr, da ein ganz ähnliches Bild
von zwei Kindern mit einer Katze von Cornelis
Danckerts, also zur Zeit des Autors, als nach
Hals gestochen ist. — Auf dem Schabkunstblatt
von G. White nach Hals 88b (Violine spielender
Knabe), steht zu lesen, daß das Bild damals bei
Nath. Oldham war. — Da Verfasser sich um die
Stiche so wenig kümmert, konnte es ihm auch
passieren, daß er bei Hals 182 (sog. Hugo de Groot)
einen Stich nennt, der gar nicht existiert. Th.
Matham hat überhaupt kein Porträt des großen
Juristen gestochen.
Die Blätter von J. de Visscher, ]. van Somer,
J. Gole, D. Koedyck, J. E. Marcus, J. Greenwood,
H. G. de Marée und vielen anderen erläutern mehr-
fach das Werk der Brüder Ostade. — Adr. Ostade
235 (Zwei Bauern im Wirtshaus) ist von keinem
Geringeren als von G. Fr. Schmidt radiert. — Bei
Adr. Ostade 421a (Schweineschlachten bei Nacht
im Freien) lehrt uns die Fabersche Radierung,
daß L. ]. Nieuwenhuys damals das Bild besaß,
bei Isaac Ostade 25 (Halt vor dem Gasthaus) die
Radierung von L. Masurier, daß das Bild aus Ant-
werpener Besitz in die Sammlung Leuchtenberg
gekommen ist. — Ein Blick auf das Schabkunst-
blatt von Jan von Somer (Adr. Ostade 776 „Die
Wirtshausstube mit acht Personen“) zeigt sofort,
daß dasselbe Bild bei 753 (aus der Versteigerung
Wurster) auch schon beschrieben ist. — Und hätte
Verfasser das Blatt von J. Gole (Adr. Ostade 306a
„Das zirtliche Zwiegespräch“, nicht nur nach
Wessely zitiert, sondern auch betrachtet, dann
hätte er dieser Kopie nach Corn. Visschers „Het
zoute scholletje“ kaum eine besondere Erwähnung
gegönnt.
Bei Brouwer sind es wiederum andere Graphiker;
ich nenne nur C. Waumans, Jan Matham, С. Bega,
J. Gronsvelt, Th. Major und J.C. Le Vasseur. Bei
151 (Zecher und Raucher) hat Verfasser den Kata-
log der Sammlung van der Willigen etwas zu
flüchtig gelesen. Es steht da nur „le sujet a été
gravé par A. Delfos“, nicht „le tableau“. Und
dies trifft auch zu, denn Delfos hat nicht versdumt,
auf seinem Stich anzugeben ,,Ad. Brouwer pinx.
hac magnit.“, und nun sind die MaBe des Stiches
34*/.0 — 9/10, und des Bildes in der Sammlung
van der Willigen 25 — 18, beides Zentimeter. Bei
Brouwer 95 ist statt L. de Widt zu lesen Fred. de
Widt, welches aber die sehr späte Adresse eines
früher von J. Pz. Berendrecht herausgegebenen
Blattes bedeutet. — Brouwer 184i (Bauer und sein
374
Weib) ist nur genannt, mit der Erwähnung, daß
W. Vaillant das Blatt gestochen hat (Wessely 163).
Wenn es Verfasser zu umständlich war, das so
schlimm nach Stechernamen geordnete Amster-
damer Kabinett zu konsultieren, so hätte er doch
nur Wesselys Beschreibung zu übernehmen
brauchen. Sonst schreibt er doch Smith ab, ohne
die Blätter gesehen zu haben. Warum hier nicht
Wessely? — Um diese Abteilung zu schließen nenne
ich noch Brouwer 31 (Armoperation). Steuerwald
hat dieses Bild auf Stein gezeichnet, als es noch
in der Sammlung van Dam zu Dordrecht war, und
diese Lithographie zeigt uns genau dasselbe Bild,
das Marinus schon gestochen hat, mit der Bemer-
kung, дай es damals dem berúbmten Kunstfreund
Jacobus Roelans in Antwerpen gehörte.
Mit diesen wenigen Beispielen hoffe ich einiger-
maßen dem kupferstichfeindlichen Verfasser die
Nützlichkeit der Stiche fiir seine Arbeit deutlich
gemacht zu haben.
Die einzelnen Bemerkungen in „Zur Abwehr“
über bestimmte mir nachgewiesene überflüssige
oder falsche Anmerkungen brauchen wohl nicht
jede für sich besprochen zu werden. Es ist wahr,
daß Verfasser in seinem Nachtrag einiges selber
schon berichtigt hatte, und gerne gebe ich zu,
daß ich versäumt habe,dem Nachtrag die gebührende
Aufmerksamkeit zu widmen. Aber ist es nicht das
Schicksal vieler Nachtrá ge, übersehen zu werden? Es
war ein Fehler meinerseits, den ich in der Folge
zu vermeiden hoffe, und den ich bedauere begangen
zu haben. Nicht bedauere ich aber die Sätze, wor-
aus Verfasser sogar schließt, daß ich seine Ehr-
lichkeit verdächtigt habe (8. 11/12), denn nichts
lag mir ferner als dies. Verfasser hat aus seinen
literarischen Quellen zu viel herauslesen wollen,
und das habe ich, vielleicht etwas unklar, ausge-
drückt. Wenn in irgendeinem alten Katalog an-
gegeben ist, daß ein Bild hübsch sei, so hat es
überhaupt keine Bedeutung, dieses zu betonen.
Ich hebe, bevor ich mir noch einige Bemer-
kungen zu Bd. Ш erlaube, nur noch folgende Punkte
aus „Zur Abwehr“ hervor.
Verfasser hat also immer noch nicht die Dar-
stellung von Jan Steens Geschichte von Arent
Pieter Ghysen erfaßt. Nein, mein Herr, nicht die
Geschichte selbst ist dargestellt, sondern ein Mann,
der das Lied von der Geschichte singt. Würde
Verfasser z. B. ein Bild, eine Höhere Töchter-
schülerin darstellend, die das Lied von der Loreley
singt, bei den Rheinsagen bringen?
Daß der im Haag seinerzeit leihweise ausge-
stellte Vermeer Herrn de Grez in Brüssel gehörte,
wußte jeder, der diesen kunstsinnigen Sammler
kannte, und der Besitzer hat niemals ein Geheim-
nis daraus gemacht, wenn es sich darum handelte,
der Wissenschaft zu dienen, In seinem Buche
hatte Verf. den Namen des Besitzers nicht nur nennen
dúrfen, sondern nennen mússen.
Nebenbei fiir Verfasser die Mitteilung, daB der
Rothschildsche Metsu Baron Edmond de Rothschild
gehört, der jedem mit wissenschaftlichen Zwecken
kommenden Fremden gerne seine Schätze zeigt.
Bei Dous Haushälterin aus der Schubartschen
Sammlung habe ich mich wirklich darin geirrt,
daß ich das Schubartsche Galeriewerk mit dem
Auktionskatalog verwechselt habe. Zu meiner Ent-
schuldigung möge dienen, daß als Einführung des
Auktionskatalogs das von Herrn Schubart selber
verfaßte Vorwort des Galeriewerks nochmals ab-
gedruckt ist, und dieses Vorwort damit schließt,
daß er dem Verfasser (— Dr. С. Hofstede de Groot)
das Wort gibt.
Zu meiner Bemerkung, daß es nicht unbekannt
hätte sein dürfen, woher und wann der Steen in
die Sammlung de Stuers gekommen ist, antwortet
Verfasser: „Wenn der Rezensent es weiß, soll er
es sagen. Ich weiß es nicht, sonst hätte ich es
gesagt“. Gerne komme ich dieser freundlichen Auf-
forderung nach. Jan Steens Pferdemarkt in Rijewijk
ist von Herrn de Stuers im Juli 1882 in Paris von
dem Händler Morhange gekauft. Und nun will
ich auch offenbaren, wie ich zu dieser Wissenschaft
gekommen bin. Ich habe Herrn de Stuers darnach
gefragt.
Nun noch einige Notizen zu dem dritten Bande,
der Reihe nach.
Frans Hals 9. Es liegt kein Grund vor, die
Vanitas, welche 1636 in einem Amsterdamer In-
ventar vorkommt, für Frans Hals den Vater in An-
spruch zu nehmen. Die Autorschaft Frans Hals
des Sohnes, der gerade Stillebenmaler war, liegt
näher. — 114. Die , Heringsverkiuferin“ war
später in der Auktion May, Paris, 14. Juni 1890.
— 139. „Junker Ramp und seine Liebste“ war
30. Mai 1786 schon in der Auktion Enschede
in Haarlem, und 14х „Lustige Gesellschaft beim
Mahle“ 3. Oktober 1770 in der Auktion A. В.
in Leiden. — 147, das sogenannte „Selbstpor-
trät“ in der Sammlung Frick in New York hat
nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Maler.
Dagegen stellt 148, das vom Verfasser mit einem
Fragezeichen Hals’ Selbstportrát genannt wird, ohne
Zweifel den Maler dar. Schon die große Anzahl
von Wiederholungen, Kopien und älteren graphi-
schen Reproduktionen, welche von diesem charak-
teristischen Kopf existieren, beweist dies. — 149
(Johannes Acronius), war schon in der Auktion
von Sypesteyn, Haarlem, 20. Okt. 1744. — 157/158.
» Herr und Frau Bodolphe“. Freilich, ein merk-
würdiger Name für ein holländisches Ehepaar!
Dier hätte ein Fragezeichen besser gepaßt. — 167
ist unter 195 noch einmal aufgeführt. — 237. Gys-
bertus Voetius ist nicht von Frans Hals gemalt.
Der von mir in meiner Iconographia Batava
(No. 8625,1) genannte Stich von Suyderhoef exi-
stiert nicht. — 310. „Halbfigur eines Offiziers“ in
der Eremitage in St. Petersburg, kommt schon vor
in der Auktion H. Gevers, Rotterdam, 26. April 1762.
— 440. „Familienbild von vier Personen“, das Bild
vormals in der Sammlung Angus in Montreal und
seitdem bei Agnew in London, bei dem ich die
Autorschaft des Frans Hals in meinem Buche úber
diesen Meister ohne triftigen Grund angezweifelt
habe, ist 16. Aug. 1797 versteigert in der Samm-
lung Jan Danser Nyman in Amsterdam.
Von den nicht erwiihnten Bildern von Frans Hals
weise ich nur auf das Portriit in der Sammlung
Gigoux, das verbrannt ist, aber wovon sich in der
Gazette des Beaux-Arts von 1868 (1,445) ein kleiner
Holzschnitt befindet. Seit 1904 nicht mehr echt
ist der Lautenspieler, der in dem vom Verfasser
übersetzten Galeriewerke „Meesterwerken der schil-
derkunst“ als im Besitz des Earl of Howe abge-
bildet ist.
Hals 152, der sogenannte Johannes Barclayus,
hält Verfasser für „unwahrscheinlich“ von Hals.
Man möchte geneigt sein zu fragen: Warum hat
er es denn aufgenommen in einem Werke, das
nur die „echten“ Werke der behandelten Meister
umfaßt? Etwa, weil es in dem Katalog des Rijks-
museum als ein wirklicher Hals aufgeführt ist?
(Conf. Cuyps Hahnengefecht).
Adr. Ostade 97 (Ein Maler in der Werkstatt) ist
von van der Pot 1796 fúr 211 Gulden in der
Auktion Jacob van der Lely in Delft gekauft. —
276 (Zwei Bauern in einem Interieur) ist dasselbe
Bild als 280 (Zwei Bauern im Wirtshaus). — 256
„Bauernfamilie“. Die fehlende Beschreibung des
Bildes ist zu finden in dem 1904 herausgegebenen
Katalog der Kgl. Galerie in Kopenhagen. — 278
(Zwei Bauern im Wirtshaus). Hier muß ein Irr-
tum eingeschlichen sein, denn No.93 der Auktion
Rhaban-Ruhl (1876) ist nicht identisch mit No. 121
der Auktion Kums (1898). Auf erstgenanntem
Bilde hat der vordere Bauer das Kohlenbecken in
der einen Hand, und auf dem anderen Bilde fühlt
der Bauer mit dieser Hand, ob ihm die Pfeife nicht
ausgegangen ist. — 448 (Der wandernde Musikant)
ist für 31400 frs. in der Auktion Lebon von Napo-
leon gekauft, und 187ї in den Tuilerien verbrannt.
— 895 (Porträt einer alten Frau) ist schon längst
375
dem Musée du Louvre geschenkt. — Von fehlen-
den Bildern will ich hier nur das im Jahre 1858
bei Lord Suffolk gestohlene nennen, das uns ja
aus einer Abbildung in der Illustrated London News
vom 20. Márz dieses Jabres bekannt ist.
Isaac Ostade 82 (Halt vor dem Gasthause im
Winter) ist dasselbe Bild wie 93, denn Baring hat
es in der Auktion de Smeth gekauft. Verfasser
gesteht selbst, дай das Bild in der Auktion Koop-
man, Utrecht 1847, andere Maße hat. — 158 (Das
Schlachten eines Schweines) war 16. April 1877
in einer Pariser Auktion, bei welcher Gelegenheit
Milius eine Radierung darnach gemacht hat.
Brouwer 20 und 21 (Geruch und Geschmack)
sollen zu einer Serie der fünf Sinne gehören.
Aber die Maße sind doch sehr verschieden. — 113
(Fünf Raucher in einem Interieur) hat Zacharias
Conrad von Uffenbach 18. März 1711 bei Sybrand
van der Schelling in Amsterdam gesehen. — Von
den fehlenden Brouwers nenne ich nur das sehr
ausführlich in dem interessanten Katalog der Samm-
lung Eimbcke (1761) beschriebene und die Bilder
aus dem publizierten Inventar der Sammlung Loys
in Rotterdam (1676), deren Benennungen nicht un-
interessant sind: „Het spougertje“, „De vechtert-
gens“, „Het barbiertgen“ usw.; unter derartigen
Namen kamen die Bilder damals in den Handel.
Verfasser ist also mit mir einverstanden, daß
ein zuverlässiges Register unentbehrlich ist. Glück-
licherweise hat er die wenig übliche Schreibweise
Buonaparte im dritten Bande aufgegeben. Für
künftige Bände empfehle ich auch Papin statt Rapin
und Dijon statt Dyon. E. W. Moes.
SEB. KILLERMANN, A. Dürers Pflan-
zen- und Tier zeichnungen und ihre
Bedeutung für die Naturgeschichte.
Straßburg, J. H. Ed. Heitz, 1910.
Der Titel des Buches läßt gleich vermuten, daß
der Verfasser nicht „vom Bau“ ist. Pflanzen- und
Tierzeichnungen nennt er alle Darstellungen,
ohne Unterschied, ob sie gezeichnet, gemalt, ge-
stochen oder in Holz geschnitten sind. Wie er
in seinem Vorworte mitteilt, will er als Natur-
kundiger dem Kunstforscher die führende Hand
bieten. Wie notwendig eine solche Führung sein
kann, zeigt 2. B. Thausing — um nur einen
bedeutenden Forscher herauszugreifen — wenn er
die Darstellung eines Steinbockes bei Dürer be-
spricht, wo es sich in Wirklichkeit um eine Ziege,
also ein seinem ganzen Wesen nach höchst ver-
schiedenes Tier, handelt. Wenn somit der Natur-
kundige dem Kunsthistoriker oft erst die Basis für
376
seine Beurteilung schaffen kann, so muß hier doch
sogleich betont werden, daß in den naturwissen-
schaftlichen Kunstbüchern der letzten Jahre, ich
nenne z. B. Schönebeck: „Das Pferd in der Kunst-
geschichte“, sich die Tendenz kundgibt, rein kunst-
historische oder kunstästhetische Fragen mit dem
Seziermesser des Naturforschers lösen zu wollen.
Was der Botaniker, der Zoologe, der Anatom in
einer bildlichen Darstellung sucht, braucht mit
dessen Kunstwert oder seiner entwicklungsgeschicht-
lichen Bedeutung nicht das mindeste zu tun zu
haben. Schönebeck z. B. gibt Dürers „Ritter, Tod
und Teufel“ wegen mangelnder Naturtreue des
Pferdes auch als Kunstwerk eine sehr schlechte
Note. Daß es mathematisch konstruiert ist, hat
hat er nicht erkannt. Beeinträchtigt aber diese
Idealisierung den Kunstwert? Das trockene Ab-
schreiben der Natur, ist im Gegenteil oft genug
das Charakteristikum primitivster Kunstauffassung.
So sieht denn auch Killermaun — von seinem
Standpunkt erklárlich genug — alles Heil im
strengsten Realismus. Wenn er seiner hohen Be-
wunderung für Dürers „großes Rasenstück“ dadurch
Ausdruck verleiht, daß er es ein „Denkmal deut-
schen Fleißes‘“ nennt, so ist das ebenso bezeichnend
für seine Kunstauffassung, als es seine Ehrfurcht
vor der Kunst des photographischen Apparates ist.
So wird nach ihm Dürers gar nicht nach der Natur
gefertigte Rhinozeros-Zeichnung („eine nennens-
werte Leistung des deutschen Genius“) doch noch
weit übertroffen von den Aufnahmen des Tier-
photographen С. G. Schillings! Mag immerhin
eine solche Einseitigkeit bei einem Naturforscher
noch verständlich erscheinen, ziemlich unverständ-
lich bleibt die ungenügende Sachkenntnis des
historischen Materials.
Begnügt man sich nicht mit der naturwissen-
schaftlichen Bestimmung, sondern betritt das Ge-
biet der vergleichenden historischen Forschung,
was der Verfasser zweifellos getan hat, so genügen
nicht Schongauer, Wolgemut und einige andere
bekannte Namen, um die Entwicklung eines
Pflanzen- oder Tierbildes zu zeigen, besonders wo
der Verfasser soviel Wert darauf legt, Dürer als
den Entdecker so manchen Naturbildes zu feiern.
Die großen Stecher des ı5. Jahrhunderts wie die
Meister desHausbuches, der Spielkarten, die Meister
E. S., М. Z., vor allem aber die Miniaturmaler
mit ihren unvergleichlichen Pflanzen- und Insekten-
darstellungen bilden da eine wichtige Vorstufe.
Kommen wir dann aber auf das eigentliche Gebiet
des Naturhistorikers, die mittelalterlichen Natur-
geschichten mit ihren so wichtigen Illustrationen,
so gibt der Verfasser in seinem Vorwort zu, daß
ihm „eigentlich“ nur Werke bekannt seien, die
erst nach Dürer das Licht der Weit erblickten.
Demnach schickt er denn auch seinem Buche ein
Verzeichnis von Werken voraus, von denen zwei aus
den Jahren 1532 und 1543, alle übrigen erst aus der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen. Was
damit für Dürer gewonnen sein soll, ist ziemlich
unerfindlich. Wenn wir von dem bedeutenden
handschriftlichen Material ganz absehen wollen, so
hätten doch die gedruckten Werke aus dem Ende
des 15. Jahrhunderts unbedingt berücksichtigt wer-
den müssen. So wird der Name Konrad von
Megenberg nur im Anschluß an sein Zitat erwähnt,
sein bereits 1475 in Augsburg gedrucktes und bis
1536 sieben Mal neu ediertes „Buch der Natur“
trotz seiner Abbildungen übergangen. Nicht er-
wähnt wird ferner Petrus de Crescenttiis, libe
muralium commodorum (Mainz 1493) mit 317 Ab-
bildungen von Pflanzen und Tieren. Von geradezu
fundamentaler Bedeutung für die naturgeschicht-
liche Illustration sind aber die Hausarzneibúcher,
geworden, deren erstes Peter Schóffer 1484 in
Mainz (,,Herbarius moguntinus“) herausgab, und
welche dann unter dem Titel „Herbarii oder Ноги
sanitatis“ in verschiedenen Sprachen über 30 Auf-
lagen erlebten. Hier hätte Verfasser denn auch schon
Beschreibung und Abbildung des Maiglöckchens
(unter Lilium convallium) gefunden und besonders
auch ein Eryngium, wie es Dürer in seinem Selbst-
portrait von 1493 in der Hand hält. Verfasser
befindet sich also durchaus im Irrtum, wenn er
glaubt, der Straßburger Arzt O. Brunnfels habe
1532 als erster die Pflanze in seinem „Kontrafayt
Kräuterbuch‘“ beschrieben und abgebildet. Daß
der Hortus gerade die amethystfarbene Manns-
treu zeigt, behaupte ich nicht. Dazu liegt umso
weniger Veranlassung vor, als Killermann am Schluß
seiner weitläufigen Abhandlung über diese Pfianze
„die Möglichkeit nicht ablehnt, daß doch nur die
gewöhnliche Feld-Mannstreu oder eine eingeführte
Gartenpflanze vorliege.“ Bei solcher Unsicherheit
erledigt sich die schöne Hypothese von dem kühnen
Abstecher nach Italien um 1493 (!) von selbst.
Überhaupt hat die liebe deutsche Gründlichkeit
den Verfasser oft genug zu weit geführt, gerade
in der Bestimmung von Pflanzen; so will er in
dem Apfel des Paradiesbildes von 1507 eine be-
stimmte italienische Apfelart (citrus aurantium
I. subsp, sinensis var. decumaner 1.) erkennen,
während ег doch andererseits wieder zugeben muß,
daß der Baum auf dem Paradiesstiche von 1504
so phantastisch ist, daß man ihn überhaupt nicht
mehr als Apfelbaum, geschweige denn als eine
Spezies desselben ansprechen kann. Und wenn
der prächtige Baum auf B. 66 (Apokalypse) ein
Granatapfelbaum sein soll, warum sollte es der
auf B. 131 nicht auch sein? Verfasser verkennt
bier stilistische Eigenschaften der Dürer'schen
Baumschlagzeichnung, welcher mit naturwissen-
schaftlicher Diagnose absolut nicht beizukommen
ist. Und gerade bei Dürer sollte man, wie wir
schon bei dem Eryngium gesehen haben, mit allen
Momenten, dle auf die verfängliche Theorie der
italienischen Reise Bezug haben, besonders vor-
sichtig sein. Aber Verfasser ist im allgemeinen
mit seinen Rúckschlissen absolut nicht prúde. So
wirft er tatsáchlich bei der so echt deutschen
(Schongauer!) Flucht nach Aegypten (B. 89) die
Frage auf, „ob nicht der ganze Holzschnitt auf
Grund eines spanischen oder portugiesi-
schen Originals geschaffen worden sei!“ „Denn
die ganze Szenerie‘ sagt er, „ist südländisch, zu
ihr paßt der Esel und die lang ausgeschweiften
Hörner der Kuh erinnern an die spanische Rinder-
rasse.“ Deshalb also!
Dem zoologischen Teil möchte man oft etwas
von der Gründlichkeit wünschen, welche im botani-
schen zu reichlich vorhanden ist. Die Pferde-
darstellung Dúrers wird ganz flüchtig behandelt,
das во interessante und wichtige Problem der
Pferdekonstruktion wird ebensowenig berührt, wie
die Abhängigkeit von der antiken Pferdedarstellung.
Bei dem Löwen hätte man gerade von dem Natur-
kundigen eine Auf klärung über die dargestellten
Lówenrassen erwartet, repräsentieren doch Diirers
Löwen mit dem kurzen Kopf und der dunkeln
zottigen Bauchmähne den nahezu ausgestorbenen
Atlaslöwen. Und wohin gehört der fast mähnen-
lose Löwe auf dem Hieronymusstich von 1514?
Die „Löwin“ (!) auf dem Florentiner Adam- und
Evabilde ist eine Kopie desselben und stammt
ebensowenig wie die anderen dort dargestellten
Tiere von der Hand Dürers. Die durchweg un-
richtige Darstellung des Gebisses wie des Fußes
des Löwen hat Verfasser nicht bemerkt, dagegen
weist er mit Recht auf die auffällige Betonung der
Schnurrhaare auf den Augenbrauenbogen hin.
Wenn er aber anstatt „neuerer Tierbilder“ das
lebende Tier eines zoologischen Gartens zu Rate
gezogen hätte, so würde er das wirkliche Vor-
handensein dieser Haare immerhin konstatiert
haben, allerdings von viel weniger kräftigem Wuchs,
als es Dürers Stilgefühl verlangte. Merkwürdig ist,
daß die Anormalität des Hirsches auf dem Paradies-
stich von 1504 übersehen werden konnte. Die
Ramsnase und der beim Hirsch kaum vorkommende
Kehlbart erinnert an den Eich. Der Gang ist
unnatürlich steif und der hart aufgeschraubte Rosen-
377
stock des Geweihes weist auf einen schlecht aus-
gestopften oder gar — hölzernen Kopf hin. Das
kann man schwerlich eine „tüchtige Naturstudie“
mennen. Und gar die tanzenden Affen von 1523
sollen nach der Natur gezeichnet sein! Wenn
Verfasser nicht den Anthromorphismus in der
Zeichnung selbst empfand, so hätte ihn der er-
haltene Brief Dúrers an den Besteller des Tanzes
belehren kónnen, дай er damals kein Naturmodell zur
Verfügung hatte; denn Diirer entschuldigt sich
hier, lange Zeit diese Tiere nicht mehr gesehen
zu haben. Die schlimmste zoologische Bemerkung
bezieht sich aber auf das Rhinozeros: ,Die Haut
des Rhinozeros weist kleine Ringelchen auf,
welche von abgefallenen Hórnern herzu-
rühren scheinen.“ Das angenehme Tier muß
also wohl zeitweise mit „Hörnern“ gespickt sein.
Für solche Zoologie wird auch noch der alte Brehm
verantwortlich gemacht. Die Ringelchen sind aber
nichts anderes als eine sehr treffende Stilisierung
der kleinen Buckelungen, welche jede Rhinozeros-
haut zeigt.
Hätte Verfasser wenigstens das gefährliche Ge-
biet der Symbolik gemieden! Wo die symbolische
Bedeutung traditionell und zweifellos ist, wie bei
dem Hunde auf Dürers Grabmalsentwurf für die
Gräfin von Hohenzollern, da sieht er in dem
„Mops“ den „Liebling der Rittersfrau‘“, wo da-
.gegen jede historische Begründung fehlt, z. B.
bei dem Hirsch des Paradiesstiches oder bei dem
Dachs auf dem ersten Holzschnitt der kleinen
Passion, da wird ersterer als „Wappentier Adams“
und letzterer als „lebendiges Beispiel des Wohl-
behagens des drallen Menschenpaares‘ gedeutet.
— Nicht symbolisch aber immerhin recht an-
sprechend erscheint dagegen die Beziehung, welche
Verfasser in den letzten Lebensjahren Dürers
zwischen dessen Krankheit und seiner häufigen
Darstellung von Heilkräutern erblickt.
Schließlich will das Buch noch eine Sammlung
von elf kleineren Tier- und Pflanzenzeichnungen
für Dürer in Anspruch nehmen, welche sich in
einem Rahmen vereinigt im Eskorial befinden.
Trotz der ungünstigen Beleuchtung an Ort und
Stelle gewann ich daselbst den Eindruck, daß es
sich hier ebensowenig um ein Werk Dürers handelt,
wie bei einem großen Teile der sonstigen Tier-
zeichnungen, welche Verfasser der Tradition folgend
Dürer zuschreibt. Aber hier zu sichten, ist schließ-
lich nicht seine Aufgabe gewesen und es ist an-
zuerkennen, daß er sich in der Frage der Echt-
heit wenigstens in vielen Fällen auf Fachleute
berufen hat. Harry David.
378
HENRI HYMANS, Antonio Moro, son
oeuvre et son temps. Brüssel, Librairie
nationale d'art et d'histoire G. уап Oest
& Cie. 1910. Geb. 30 frcs., broch. 25 frcs.
Diese prächtige Monographie über den bedeu-
tendsten niederländischen Porträtmaler des ent-
wicklungsgeschichtlich so interessanten XVI. Jahr-
hunderts ist mit großer Freude zu begrüßen. Und
das umsomehr, als sie von dem bekannten Brüs-
seler Gelehrten geboten wird, dessen Name allein
schon für ihre Gediegenheit und ihren hohen
wissenschaftlichen Wert bürgt. Außerdem weiß
jeder Leser dieser Blätter, daß Henri Hymans
einen Stil schreibt, dem nur weniges der kunst-
wissenschaftlichen Literatur an die Seite gestellt
werden kann, und daß es stets ein Genuß ist,
seine Schriften zu lesen — wie es ebenso köstlich
ist, seinem Plaudern zuzuhören. So unterscheidet
sich diese Monographie schon im Voraus von
manchem andern wissenschaftlichen Werke da-
durch, daß sie von Anfang bis zu Ende mit Ver-
gnügen zu lesen ist. Und da es die Absicht des
Verfassers gewesen zu sein scheint, seinen Künstler
nach Verdienst einem größeren Kreise von Kunst-
freunden bekannt zu machen und nicht nur dem
der engeren Fachgenossen näher zu bringen, so
ist damit schon die erste Forderung hierfür erfüllt.
Auch die vom Verfasser gewählte Form der Glie-
derung des Stoffes — die sich etwa mit der in
E. Michels Rembrandtbiographie vergleichen läßt
— ist dafür am zweckmäßigsten. Bei einer andern
Einteilung, die etwa die Lebensgeschichte, die Kunst
Moros usw., jede allein für sich genommen hätte
behandeln wollen, hätte z. B. jene erstere aus Mangel
an urkundlichem Material nur ein sehr mageres
Kapitel ergeben.
Da die dokumentarischen Quellen über Moros
Leben nur spärlich fließen, so müssen die erhal-
tenen Werke umsomehr von ihrem Schöpfer er-
zählen — und die sind in diesem Falle aller-
dings sehr beredte Zeugen sowohl von dem
Künstler als auch von jener denkwürdigen Zeit,
mit welcher der Name Moro eng verknüpft und
von der eine Darstellung seiner Kunst unmöglich
zu trennen ist. Es braucht hier nicht des näheren
darauf eingegangen zu werden: ein paar Namen
der Großen, die Moros Pinsel in künstlerisch vol-
lendeten und historisch treuen Bildnissen der Nach-
welt hinterlassen hat, genügen, um anzudeuten,
was das für eine Zeit war: Philipp U., Maria
Tudor, Alba. So drängte der vielseitige Stoff auf
eine ineinandergreifende Gestaltung, und Hymans
wußte aus diesem Material, das er wohl wie kein
Zweiter beherrscht, ein glánzendes Bild zu formen,
aus dem uns der Kúnstler, sein Werk und seine
Zeit in plastischer Klarheit und schóner Deutlich-
keit greifbar vor Augen treten.
Diesem in zwólf Kapitel gegliederten Hauptteil
folgt ein nach den Aufbewahrungsorten alphabetisch
geordnetes Verzeichnis der Werke des Meisters,
ferner eine Liste von zu verschiedenen Zeiten
erwähnten, aber bisher nicht mehr wiedergefun-
denen Bildern; ein alphabetischer Index bildet den
Schluß.
Gegen den Hauptteil des Werkes läßt sich
schlechthin nichts einwenden. Es ist nicht in
erster Linie für den Fachmann bestimmt und,
wie aus dem Gesagten schon hervorgehen kann,
alles andere als ein bloßes Nachschlagewerk.
Aber der Fachmann wird von nun an doch stets
nach dieser ersten umfassenden wissenschaftlichen
Moromonographie zu greifen haben, und deshalb
seien hier in dieser Fachzeitschrift auch einige
Bemerkungen gestattet über das, was mancher von
diesen etwa beim Gebrauche des Buches ver-
missen wird. Besonders vielleicht, wenn er von
der Lektüre der v. Logaschen Studie über Antonis
Mor als Hofmaler Karls V. und Philipps II. kommt’).
Beide Autoren stimmen erfreulicherweise ja in
den meisten und wesentlichsten Punkten überein.
Aber in manchen Fällen, wo ihre Ansichten aus-
einandergehen, hätte man von seiten des späteren
Morobiographen wohl gern ein paar Worte mehr
über die Gründe seiner abweichenden Stellung-
nahme gehört. Bisweilen vermißt man schmerz.
lich überhaupt eine Notiznahme von des Vor-
gängers anders lautender Meinung. Es mag dem
Verfasser wohl zugute gehalten werden, daß seine
Arbeit, wie er selbst sagt, schon weit vor-
geschritten war, als v. Logas Abhandlung er-
schien. Es werden nun auch gewiß nicht lange
Erörterungen über persönliche Meinungsverschie-
denheiten im Hauptteil, gar in Anmerkungen,
vermißt. Das nicht; aber im Bilderkatalog hätte
sich doch Gelegenheit finden lassen müssen, durch-
gängig kurz die abweichenden Ansichten anderer
Autoren, insbesondere derjenigen v. Logas, anzu-
führen. Eine Überbürdung war wohl nicht zu be-
fürchten, da die Literatur über Moro doch verhält-
nismäßig klein ist. Z. B. bei dem Porträt der Elisabeth
von Valois (Smig. Mrs. H. L. Bischoffsheim, Lon-
don), bei dem von v. Loga im Palazzo Pitti auf-
gefundenen Portrét der Margarete von Parma in
júngeren Jahren und úber die beiden Bilder bei
Lord Yarborough in Brocklesby, in denen v. Loga
(1) Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Aller-
böchsten Kaiserhauses, Bd. XXVII, 1908, Heft 3.
noch ein Selbstbildnis des Kúnstlers und ein Por-
trát seiner Frau sehen zu müssen glaubt. Jedenfalls
hätte man gern gesehen, daß einem der Verfasser
auch über solche Fragen sein stets wertvolles
Urteil nicht vorenthalten hätte.
Ich glaube, solche Sachen wären in dem Bilder-
katatog leicht unterzubringen gewesen. Aber
dieses Verzeichnis ist überhaupt — vielleicht mit
Absicht — etwas stiefväterlich behandelt worden.
Der Verfasser verzichtet darin z. B. auf jegliche
Material- und Maßangaben der Bilder, auf das
Zitieren der Katalognummern, was in solchen
Fällen, wo eine Galerie mehrere Gemälde Moros
besitzt, die Übersichtlichkeit nicht gerade er-
leichtert. Auch scheint mir, wäre eine Scheidung
zwischen den vom Verfasser als echt anerkannten
Gemälden und denjenigen, die er nur mit gewisser
Reserve für Werke Moros gelten läßt, die er für
unsicher oder gar mit Bestimmtheit für Arbeiten
anderer Künstler hält, vorzuziehen gewesen. Ge-
rade weil die Zahl solcher Gemälde, über die sich
die Bilderkritik noch nicht ganz klar geworden
ist, recht beträchtlich ist. In diesem Verzeichnis
der Werke Moros gibt es deren fast 50 Stück
(die vom Verfasser dem Moro abgesprochenen mit
eingerechnet) Und gerade im Interesse der Bilder-
kritik, die nach Veröffentlichung des Hymans-
schen Buches sich gewiß noch viel intensiver
mit den bei Moro oft sehr schwierigen Pro-
blemen befassen wird, wäre ein mit möglichster
Genauigkeit ausgearbeiteter Oeuvrekatalog sehr
erwünscht gewesen.
Doch ich will damit meiner Einwendungen
genug sein lassen, um mir nicht den Vorwurf
der Kleinigkeitskrämerei und Mäkelei an einer so
schönen jugendfrischen Gabe des allgemein hoch-
geschätzten Verfassers zuzuziehen. Denn die
Ernte an neuen Tatsachen und interessanten oder
zur Klärung mancher Irrtümer über Moro und sein
Werk dienenden Mitteilungen ist so reich, daß man
nur gerade dies oder jenes davon nennen kann,
um im übrigen auf das Buch selber zu verweisen.
Endlich dürfte doch nun als Geburtsjahr 1519 vor
dem selbst in so modernen Katologen wie dem
illustrierten Berliner noch anzutreffenden „angeb-
lich 1512“ der Vorzug gegeben werden. Auch
die Verwirrung und Ungewißheit über Moros an-
gebliche Reise im Jahre 1542 wird nunmehr durch
Hymans endgültig beseitigt. Er ließ das Datum
jener Zahlungsanweisung der Königin Katharina
von Portugal für ihr und ihres Gemahls nach dem
Leben gemalte Bildnisse im Original noch einmal
eigens nachprüfen: es lautet 1552, und in diese
Zeit fällt also auch der Aufenthalt Moros in Por-
379
tugal, der soviel Kopfzerbrechen verursacht hat,
und dessen Ansetzung ins Jahr 1542 gerade fiir
die erste Epoche der Kiinstlerlaufbahn Moros so
viele Widerspriiche ergab.
Kurz, nach Hymans, der auch sonst noch einige
interessante Urkunden úber Moros Schúler, in
denen von ihm selbst auch die Rede ist, erst-
malig publiziert, wird wohl schwerlich viel neues
mehr vorgebracht werden kónnen — es sei denn
daß ein Glúcklicher die im Nachlaß des Künstlers
erwähnten eigenen schriftlichen Aufzeichnungen
findet, um die van Mander nicht wußte.
An Vollständigkeit dürfte das Bilderverzeichnis
wohl nichts zu wünschen übrig lassen. Selbstver-
ständlich hat das Erscheinen einer solchen erst-
maligen katalogartigen Zusammenstellung der Werke
eines Künstlers stets eine Reihe von Neuentdeck-
ungen von bis dahin verborgen gebliebenen oder
nur Wenigen bekannten Arbeiten des betreffenden
Meisters zur Folge. So wurde auch bereits von
Lionel Cust im Burlington Magazine!) u. a. auf
einen heiligen Sebastian aufmerksam gemacht,
der möglicherweise identisch ist mit dem Se-
bastian, den Hymans unter den verschollenen
Gemälden erwähnt. Manche Werke wieder werden
dem Verfasser erst bekannt geworden sein, als
seine Arbeit sich bereits unter der Presse be-
fand, oder aber die Besitzer wiinschen eine Ver-
óffentlichung ihrer Bilder nicht, so daß sie hier
fehlen müssen. So ist mir ein schönes Porträt
eines italienischen Edelmannes in einer in Italien
befindlichen deutschen Privatsammlung aus einer
kleinen Photographie bekannt, zu dem derselbe
Sammler noch das weibliche Pendant besitzt. Die
Veröffentlichung dieser Bilder sieht er aber aus
einem, von seinem Standpunkte immerhin be-
greiflichen Grunde nicht gern und hat sie mir
daher auch abgeschlagen.
Die Ausstattung des rund 200 Quartseiten starken
Bandes ist glänzend, sowohl was Druck, Papier
und Ilustrierung — 56 Tafeln in Heliogravüre
und Lichtdruck — angeht. Kurt Freise.
BENNO GEIGER, Maffeo Verona. Ein
Beitrag zur Geschichte der venezianischen
Kunst im Zeitalter des Barock. Berlin тото.
„Unter den Künstlern des Seicento, die für ihr
Zeitalter bezeichnend sein können, haben wir einen
gewählt, Maffeo Verona, der, obschon von der moder-
nen Forschung bisher noch nicht berücksichtigt,
uns wegen seiner doppelten Beziehung zur Schule,
aus der er hervorging, und zur Umgebung, in der
(1) Nr. XCI, Bd. XVIII, Okt. 1910.
380
er wirkte, bemerkenswert erschien. Die Wahl
wurde uns durch die Aufdeckung eines Hauptwerkes
des Malers, des Kartons zum Mosaik der „Hölle“
in 8. Marco, nahegelegt. Weit entfernt davon,
eine auch nur annähernd abschließende Charakte-
ristik des besagten Zeitalters geben zu wollen,
begnügen wir uns, im uns zugemessenen Rahmen,
jene stilistischen Merkmale anzuführen, die unser
Künstler mit seinen Zeitgenossen geteilt hat, auf
diese Art über die enge Grenze seiner Person
hinauszuweisen.“
Ich glaube nicht, daß der Verfasser, wenn er
einen Beitrag zur Geschichte des Seicento in Ve-
nedig liefern wollte, in der Wahl des Maffeo Verona
gut beraten war. Das — úbrigens auch quantitativ
— allzuwenig bemerkenswerte Oeuvre des Kúnst-
lers bietet dazu kaum irgendwelche Stützpunkte.
Groß geworden in der Atmosphäre der Nachfolger
Paolos, lenkt er schon in den Mariendarstellungen
der „Zittelle“ zu Udine in das Fahrwasser des
Tintoretto ein, den er teilweise wörtlich aus-
schreibt, ohne entwicklungsgeschichtlich oder auch
nur individuell bedeutsame Züge hinzuzufügen.
Etwas persönlicher sind zwei spätere, von Geiger
ausführlich behandelte Gemälde im Dom zu Udine,
bei Gelegenheit derer m. E. die ebendort aufbe-
wahrten Orgelflügel des Pomponio Amalteo von
1555 zu berücksichtigen waren: von diesen über-
nahm M. Verona die allgemeine kompositionelle
Gliederung, vor allem die Einteilung in eine obere
und untere Zone, die einfach durch die Bestimmung
auch dieser beiden Gemälde als Orgelflügel gegeben
war. Nur die weitere Ausgestaltung der Engel-
glorie, die Bewegungsmotive in ihrer Tendenz
nach Grazie und rhythmischem Schwunge sind in
der Tat Momente der allgemeinen stilistischen Ent-
wicklung am Anfang des Seicento. Die speziellen
Hinweise, die Verfasser liefert, scheinen mir frei-
lich alles andere als überzeugend; von Einflüssen
der Carracci und ihrer Schule vermag ich nichts
wahrzunehmen, eher verrät das Streben nach
manieristischer Rhythmisierung der Figuren den
Geist eines Übergangsmeisters wie Camillo Pro-
caccini.
Eine besondere Aufmerksamkeit schenkt der Ver-
fasser den Mosaikkartons Veronas für S. Marco.
Die Auffindung des Kartons zur „Hölle“, der sich
heute im Besitz des Verfassers befindet, bot den
äußeren Anlaß zu diesem bei weitem nützlichsten
Abschnitt der Arbeit, in dem manches Brauchbare,
wenn nicht für die Charakteristik des Seicento, so
doch für ein interessantes Kapitel der veneziani-
schen Monumentgeschichte steckt. Abzulehnen ist
auch hier der im engeren Sinne kunsthistorische
Standpunkt, vor allem Alles, was Ober das Ver-
háltnis zu den Carracci gesagt wird.
Die Arbeitsweise des Verfassers ist sorgsam,
verrät aber in der Schwerfälligkeit des Ausdrucks
und der Umständlichkeit der Disponierung den An-
fänger. Eine Neigung zu häßlichen und gänzlich
entbehrlichen Fremdwörtern (z. B. ,,kollaborieren“
auf 8.40, „Plazidität“ auf S. бо, „Inklination“ auf
8. ga) wirkt störend. In der Ikonographie scheint
Verfasser noch nicht zuhause zu sein; er bezeich-
net die Kreuzigung in der Sakristei von San Staé
durchgehends als „Pieta“, obwohl er den Gegen-
stand ausführlich erläutert.
Der Geigerschen Schrift sind zwei Anhänge bei-
gegeben, deren erster die Werke Veronas in бгї-
licher Anordnung aufführt, während der zweite
das Urkundenmaterial für die Mosaiken von S. Marco
(aus den Registern der Procuratori de Supra) ent-
hält. Her mann Voss.
RICHARD GRAUL UND KURZWELLY,
Altthiiringer Porzellan. Mit 61 Tafeln,
100 Textabbildungen und 3 Farbentafeln.
Leipzig, E. A. Seemann, 1909.
Dies umfangreiche Werk, die bisher letzte der
groBen Monographien, die das in den letzten Jahr-
zehnten wieder so rege gewordene Interesse fiir
die Porzellankunst des XVIII. Jahrhunderts auf
einmal an allen Ecken und Enden zu Wege ge-
bracht hat, hat zwar — es ist bekanntlich in erster
Linie eine Publikation der im Jahre 1904 im Leip-
ziger Kunstgewerbemuseum von den beiden Ver-
fassern veranstalteten Ausstellung von altthiiringer
Porzellanen — bis zur endlichen Fertigstellung
ein wenig lange auf sich warten lassen; es ist
aber dadurch erfreulicherweise nur um so bes-
ser, um so vollständiger geworden, ja man kann
es wohl ohne Ubertreibung als die beste aller bis-
herigen Publikationen tiber dies Gebiet bezeichnen.
Dies gilt sowohl hinsichtlich der Abbildungen, wie
auch des Textes. Erstere sind nicht nur hinsichtlich
der verháltnismiBig geringen Zahl der bisher fiir
diese Fabriken nachgewiesenen Werke sehr reich-
lich — es handelt sich hier um nicht weniger
als 61 Lichtdrucktafeln mit vielen einzelnen Gegen-
standen, daneben noch um 100 Textabbildungen
— sondern auch, und zwar auch die letzteren, sehr
deutlich und klar. Auch sind sie immer sehr
typisch ausgewählt. Der Text aber, dessen Ab-
fassung nicht leicht zu nennen war, da das Thema
nicht gerade zu den interessantesten der Keramik
gehört und auch das historische Material dazu
nicht immer sehr reichlich und lebendig war,
vermeidet möglichst alle trockene Aufzählung von
Tatsachen, wie es Stieda in seinem bekannten
Werke über das gleiche Thema nur zu oft getan
hat; er scheidet verständig das Wesentliche vom
Unwesentlichen, und geht zum ersten Male auf
eine wirkliche Charakterisierung der Erzeugnisse
dieser Fabriken ein, die meist doch zu stark unter-
schätzt wurden, im allgemeinen jedoch sich nicht
mit jenen der großen Manufakturen an Qualität
messen können. Die Verhältnisse waren hier
eben immer zu beschränkte und enge, als daß
allzuviel große Taten hätten geschehen können,
dafür aber wieder so eigenartige, daß auch man-
ches recht Originelle hier zustande kam. Vor
allem war die Kunst hier volkstümlicher, nicht so
ausschließlich für den Hof und den Adel berechnet,
wie bei den großen Manufakturen, vielmehr auch
für den einfacheren Mann, und so ist es denn
auch kein Wunder gewesen, daß später gerad®
Thüringen der Hauptsitz jener reichen Massen-
und Exportindustrie auf diesem Gebiet geworden,
die heute Deutschland alljährlich viele Millionen
einbringt. Besonders zu erwähnen ist dann aber
bei diesem Werke noch die Behandlung des Ka-
pitels der Fabrikmarken. Drei große Markentafeln
sind dem Werk beigegeben, mit allen möglichen
Varianten, daneben findet sich im Text bei jeder
Fabrik stets am Ende der sich auf sie beziehenden
Abhandlung eine ausführliche Besprechung der-
selben. Das wird allen Sammlern alter Porzellane
ganz besonders willkommen sein.
Ernst Zimmermann.
CROOY, FERNAND, Les orfevreries
anciennes conservees au Tresor de
Hal. 60 Seiten mit vielen Faksimiles
von Goldschmiedemarken, 20 Tafeln Licht-
druck, 4% in Mappe. Brüssel, G. Van
Oest & Cie, 1910.
In Hal an der Senne, Provinz Brabant, Arron-
dissement Brüssel, begann man 1341 den Bau
einer Marienkirche und brachte ihn bis 1410 zu
Ende. Ein wundertätiges Madonnenbild führte
der Kirche Pilgerscharen und fromme Stifter zu,
so daß schon um die Mitte des ı5. Jahrhunderts
ein ansehnlicher und auch künstlerisch bedeutender
Schatz vorhanden gewesen sein muß. Die fünf Jahr-
hunderte, die seit Vollendung der Kirche verflossen,
brachten dem Kirchenschatze dieselben Schick-
sale, denen kaum eine andere ähnliche Sammlung
kirchlicher Kostbarkeiten entgangen ist: Minderung
weniger durch Kriegsnot als durch Stilwandlungen
und Abnützung, Schädigung erhaltener Stücke
381
durch schlechte Erneuerungen und Ergánzungen.
Der Geschichte des Schatzes entsprechend, fehlen
Gegenstände des frühen und hohen Mittelalters,
die wir in Kathedralen älterer Gründung zu finden
gewohnt sind. Inventare und Beschreibungen
gehen nicht weiter als bis zum Anfange des
XVII. Jahrhunders zurück. Was von Originalen
übrig, ist immer noch wertvoll und interessant
genug, um eine so reiche Publikation wie die
vorliegende zu rechtfertigen.
Das bedeutendste Stück ist das auch durch Aus-
stellungen und kleinere Veröffentlichungen schon
bekannte, um 1460 von Ludwig XI. von Frank-
reich als Dauphin und von seiner Gemahlin Char-
lotte von Savoyen gestiftete Reliquiar, das offen-
bar nach ganz persónlichen Angaben in Brússel
eigens angefertigt wurde, als Ludwig sich lingere
Zeit in Flandern aufhielt. Die Form erinnert
zwar an Scheibenreliquiare, ist aber doch eine
selbstindige Erfindung und ohne Parallele. Der
rein malerische freie Aufbau ist in der Gold-
schmiedekunst der Spátgotik, die gewohnt ist, mit
den struktiven Mitteln der gleichzeitigen Archi-
tektur zu spielen, völlig singular. Dargestellt ist
die Erde durch einen Reif, der nach dem Schema
der Reichsapfelteilung in drei Felder zerfällt. In
diese sind die Namen der drei damals bekannten
Erdteile auf Schriftbándern an Kettchen eingehángt.
Zu beiden Seiten knieen die Stifter mit Schrift-
rollen in den Händen. Überstrahlt wird das Ganze
durch die Kreuzessonne Christi, die zur Aufnahme
von Reliquien oder der Hostie diente. Auf den
Kreuzarmen die Evangelistensymbole, rechts und
links Maria und Johannes. Die Kürze des oberen
Kreuzarms scheint uns nicht notwendig durch eine
spätere Renovierung, sondern eher durch kompo-
sitionelle Gründe bedingt zu sein. Der Kopf des
Stifters, Ludwigs XI., „eines an Leib und Seele
hässlichen bösartigen Mannes ohne Treu und
Glauben“, ist von offenbar sprechender Bildnistreue
und scheint trotz seiner Kleinheit eines der wert-
vollsten Porträts dieses „populären Tyrannen“ zu
sein, der „ein Politiker ersten Ranges und für
Frankreichs Weg zur Größe unentbehrlich war“.
In weitem Abstand von diesem außerordentlichen
Kunstwerke steht das Ostensorium, das HeinrichVIII.
von England in den Schatz verehrte. Es ist eine
jener ganz unpersönliche kirchlichen Goldschmiede-
arbeiten der spätesten Gotik, wie sie von den großen
Goldschmieden vorrätg gehalten wurden, und der
König hat das Ostensorium wohl 1513 bei seinem Ein-
fall in Flandern erworben und der Kirche in Hal ge-
weiht. Heute stört zudem der schlecht erneuerte Fuß
des Werkes, das ebenfalls die Brüsseler Marke trägt.
382
Eine spätgotische Marienkrone ist leider durch
später aufgesetzten und angehängten Schmuck ver-
unstaltet. Durch Restauration nur wenig entstellt,
ist ein Stab mit reichem baldachinartigem Knauf und
den Figuren des hl. Martin und der Muttergottes.
Wir möchten bei diesem prunkvollen und seltenen
Stücke der Frühzeit des 16. Jahrhunderts nicht an
einen Stab des Domschweizers denken, sondern
an den Stab des Chorregenten, wie solche baculi
auch in Köln und Aachen erhalten sind. Ein von
Abbé Crooy als Zeremonienstab bezeichnetes spät-
gotisches Instrument aus Fischbein mit der Figur
Mariä an der Spitze möchten wir für einen Zeilen-
weiser halten.
Einige weniger interessante und meist späte
Goldschmiedearbeiten schließen sich an. Sie sind
ebenso genau beschrieben und ebenso gut abge-
bildet, wie die anderen, so daß man sich des Ge-
dankens nicht erwehren kann, wie viel ungleich
wertvolleres — sagen wir nur deutsches — kirch-
liches Gerät aus dem Mittelalter überhaupt noch
auch nur auf die bescheidenste Veröffentlichung
warten muß.
Dem Verfasser wird jedermann, der sich für
altes Kunstgewerbe und besonders für mittelalter-
liche Goldschmiedearbeiten interessiert, für seine
sorgfältige und gründliche Arbeit dankbar sein,
die sich der Arbeit des gleichen Verfassers und
seines Bruders über die flandrischen Goldschmiede-
merkzeichen würdig anreiht.
Ernst Bassermann-Jordan.
STEPHEN W.BUSHELL, Description
of Chinese pottery and porcelain
being a translation ofthe T’ao Shuo
with introduction, notes and biblio-
graphy. Oxford, Clarendon Press 1910.
XXI, 222 S.
Das treffliche kleine Buch ist erst nach dem
Tode des um unsere Kenntnis der chinesischen
Kunst, besonders der Keramik, hochverdienten
Autors der monumentalen ,,Walters Collection“
und der „Chinese Art“ erschienen, aber schon vor
mehr als 20 Jahren im Manuskript vollendet
worden. Mit berechtigter Pietät haben indessen die
ungenannten Herausgeber keine Veränderungen
vorgenommen, obwohl der Verfasser selbst in
seinen späteren Lebensjahren sicherlich manches
anders gefaßt hätte.
Das Buch ist im wesentlichen eine Übersetzung
des chinesischen Hauptwerkes über Chinesische
Keramik, des 1774 veröffentlichten „T’ao Shuo“
(Essai über Keramik) von Chu Yen oder Chu Li-
ting, einem höheren Beamten des Bezirks Jao-
chou, in dem Ching-té Chen, Chinas keramische
Hauptstadt, liegt. Es zerfällt in vier Abschnitte.
Eine kurze Einleitung zählt, offenbar auf Grund
der Akten, die Porzellangeräte auf, die zu Chu’s
Zeiten, also um die Mitte des 18. Jahrhunderts,
in Ching-té Chén gefertigt wurden. Ihr folgen
die Erklärung von 20 Bildern mit Darstellungen
der Porzellanbereitung, die der bekannte Direktor
der kaiserlichen Porzellanmanufaktur, T’ang Ying,
im Jahre 1743 für den Kaiser Ch’ien-lung ge-
schrieben hat, dann Auszüge aus den Schrift-
quellen zur Geschichte der chinesischen Keramik
ab ovo bis zur Mingdynastie einschließlich und
eine Beschreibung der technischen Prozesse wäh-
rend der Mingzeit, in der die Zitate ausnahms-
weise zu einer zusammenhängenden Darstellung
verarbeitet sind. Den Schluß macht endlich eine
Sammlung der Erwähnungen keramischer Arbeiten
von den Anfängen bis zum Ende der Mingzeit.
Diese kurze Inhaltsangabe läßt mit genügender
Deutlichkeit erkennen, was der treffliche Chu in
seinem Werke hat geben wollen — eine fleißige
Scherenarbeit, die ihn nicht zwang den stillen
Frieden seiner Bibliothek zu verlassen. Auch seine
meist bejammernswert philologischen Kommentare
beweisen nur, daß er trotz der Nähe von Ching-té
Chén nicht getrachtet hat, seine Bücherweisheit
durch eigene Anschauung zu ergänzen, und, was
er aus eigenem über Keramik sagt — z. В. 8. 6 —,
daß er von dem Wesen der Keramik kaum eine
Vorstellung hat.
Hierin liegt auch der Maßstab für den Wert
seiner Arbeit. Bushell selbst sagt mit Recht „a
minute’s handling is better than a page of de-
scription“. Freilich war es schon zu Chu's Zeiten
selbst für einen Chinesen schwer, einen großen
Teil der in seinem Buche beschriebenen Arbeiten
in die Hand zu bekommen, aus dem einfachen
Grunde, weil sie nicht mehr existierten. Für den
modernen Europäer vollends scheint es ein un-
mögliches Unterfangen aus Beschreibungen, wie
sie Chu zitiert, wahrscheinlich ohne sie selbst zu
verstehen, gegebene Proben chinesischer Keramik
ihrer Gattung und ibrer Zeit nach zu bestimmen,
zumal wenn er sich an eine Übersetzung „from
such a language as the Chinese“ zu halten hat, die
in diesem Falle sicherlich vortrefflich ist, aber
doch nicht durch eigene Anschauung korrigiert
wird. Immerhin ist es ein großes Verdienst der
Herausgeber, dieses wichtigste Quellenwerk zur
Geschichte der chinesischen Keramik in der Über-
setzung des kompetentesten Mannes den der
chinesischen Sprache nicht mächtigen Europäern
zugänglich gemacht zu haben. Sehr dankenswert
ist auch der Anhang, der die beiden köstlichen
und ungemein anschaulichen Briefe des Pere
d'Entrecolles S. J. über Ching-té Chen und seine
Porzellanindustrie wieder abdruckt. Die Einleitung
des Übersetzers, die durch seine eigenen späteren
Arbeiten überflüssig gemacht worden ist, hätte
dagegen weggelassen werden können. Das Fehlen
der chinesischen Charaktere für Orte, Namen und
Termini technici halte ich andererseits für einen
großen Mangel. Wenn Bushell 1891 die chinesi-
schen Charaktere nicht gegeben hat „on account
of the difficulty of printing them‘, so hat er guten
Grund dazu gehabt. Heute existiert eine solche
Schwierigkeit nicht mehr.
Dem Kenner der japanischen Sprache sei übrigens
die von K. Miura besorgte und kurz, aber trefflich
kommentierte japanische Ausgabe empfohlen. (Kyöto
1906, sechs Faszikel.) Kümmel.
Petites Monographies des grandes
églises de la France, publieés sous
la direction de E. Lefevre-Pontalis, Direc-
teur de la Société francaise d'Archéologie:
CHARLES POREE, L'Abbaye de Vézelay,
AUGUSTE ANGLES, L'Abbaye de Moissac,
GABRIEL FLEMY, La Cathédrale du Mans,
LOUIS DEMAISON, La Cathédrale de Reime,
JEAN LARAN, La Cathédrale d’Albi,
RENE MERLET, La Cathédrale de Chartres.
(Henri Laurens, Paris; jeder Band frs. 2.—,
gebd. frs. 2.50.)
Dieses neue Unternehmen des riihrigen Verlegers
Henri Laurens, das unter dem Protektorat der Ad-
ministration der schönen Künste und der Archäo-
„logischen Gesellschaft an die Öffentlichkeit tritt,
wird von allen Kunsthistorikern mit Freuden be-
grüßt werden. Sechs Bände sind innerhalb vier
Monaten erschienen und sechs weitere Bände sind
teilweise schon im Druck, so daß zu erwarten ist,
daß in absehbarer Zeit sämtliche Kirchen Frank-
reichs vorliegen werden. Jeder Band ist durch-
schnittlich mit 45 Abbildungen geschmückt, nach
Photographien der Monuments historiques, von
Neurdein, Martin - Sabon, Lefevre - Pontalis und
Abbe Puech. Die Gesamtaufnahmen haben in der
Verkleinerung natürlich nur den Wert, die Erin-
nerung aufzufrischen; bedeutungsvoller erscheint,
daß jedes Bändchen auch vorzügliche Detailauf-
nahmen, vor allem auch von den Skulpturen und
den einzelnen Kapitälen enthält. Wie ernsthaft
diese Monographien angelegt sind, beweist end-
lich, daß jedem Buch ein farbiger Plan des Grund-
383
risses beigegeben worden ist. Der Herausgeber,
der durch seine langjáhrigen Fachstudien úber die
franzósische Gothik in Deutschland ebenso bekannt
ist wie in seiner Heimat, kann auch zu der straffen
Organisation des textlichen Teiles der Bande be-
glückwünscht werden. Der Zweck dieser Publi-
kation ist, die Freude und das Verstindnis an der
Architektur und Plastik Frankreichs auf wissen-
schaftlicher Basis in weiteren Kreisen zu heben.
Dieses Ziel wird auf sehr ernste und doch elegante
Weise erreicht. Weitausholende, allgemeine ásthe-
tische Betrachtungen sind ebenso wie ein leichter
Plauderton glúcklich vermieden. Jedem Bande ist
eine knappe und klare, historische Einleitung vor-
angestellt, an die sich eine Geschichte des betref-
fenden Sakralbaues anschlieBt, in der jeder Autor
versucht, gestútzt auf die Vorstudien von Lefevre-
Pontalis, Male, Michel und Vóge, die Kirche seiner
Darstellung in die allgemeine Entwicklung der
franzósischen Baukunst einzuordnen. Es folgt dann
eine Beschreibung der Innen- und Außenarchitektur
jedes Gebäudes, die vom Grundriß ausgehend sich
bis auf die ausführliche Beschreibung der einzel-
nen Kapitäle erstreckt. In diesem Teile der Mono-
graphien, der in den Bänden über Chartres, Moissac
Se
und Albi besonders gut disponiert erscheint, ist
ein vorziiglicher Mittelweg zwischen fortlaufender,
wissenschaftlicher Darstellung und einem Cicerone
gefunden worden. In den Bánden úber Chartres
und Le Mans ist an den Schluß eine Liste der
bekannten Architekten, die an den Kirchen gebaut
haben, gestellt worden, die die anderen Bände
leider vermissen lassen. Diese und die úbrigen
Monographien schließen mit einer allgemeinen
Bibliographie. Wenn bei uns in Deutschland das
Interesse an der italienischen oder holländischen
Kunst bis jetzt noch dasjenige an der altfranzösi-
schen Kunst weit überwiegt, so ist gerade eine
solche Publikation, um deren Zustandekommen
sich u. a. auch der französische Touring-Club be-
müht hat, berufen, das Verständnis für die früh-
französische Kunst zu heben. Die Zahl der deut-
schen Kunsthistoriker, die Albi, Le Mans, Moissac,
Angouleme, Perigueux, Bordeaux, Contances,
Auxerre usw. kennen, ist nicht groß. Hier liegt
noch ein großes Arbeitsfeld brach. Aber vielleicht
ist die Zeit nicht mehr fern, wo die deutsche
Wissenschaft sich auch dieses Gebiet zu eigen
macht. Otto Grautoff.
BERICHTIGUNG. Herr Dr. Franz Landsberger bittet uns mitzuteilen, daß sich in der Besprechung
der Tischbein-Literatur in Heft 7 dieser Zeitschrift ein sinnentstellender Fehler eingeschlichen hat.
Es muß im dritten Absatz, wo von der Malkultur des Rokoko die Rede ist, heißen: anstatt „von
weißen, grünen und hellbraunen Tönen“ von weißen, grauen und hellbraunen Tönen.
Die Red.
DIE KUNST FUR ALLE.
Heft 20:
JOHANNES SIEVERS, Die XXII. Ausstellung der
Berliner Sezession. (28 Abb. und 2 farbige Taf.)
Briefe von Carl Rahl aus den Jahren 1844 bis
1850.
—
Heft ar:
GEORG JAKOB WOLF, Die internationale Kunst-
ausstellung der Münchner Sezession 1911. (т farb.
Taf., 24 Abb.)
HUGO von TSCHUDI und die Sammlung Nemes.
HANS BARTH, Die römische Kunstausstellung 1.
Der italienische Palast.
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
Heft 10:
HANS W. SINGER, Die Farbenholzschnitte von
Prof Leonhard Fanto. (2 farb. Taf. und 2 Abb.)
FRIEDRICH PERZYNSKI, Die chinesischen Por-
zellane der Sammlung Bennett. (4 Abb.)
EMANUEL LÖWY, Das Vorbild einer Dürerzeich-
nung. (2 Abb.)
BERTHOLD HAENDKE, Der „Niederländische
Einfluß“ auf die deutsche Kunst des XVI. Jahr-
hunderts.
HUGO KEHRER, Ein unbekanntes Bildnis aus
dem Germanischen National-Museum. Virgil Solis
aus der Schweiz (?). (4 Abb.)
E.A.BENKARD, Peruginos Anbetung des Kindes,
im Städelschen Institut. (3 Abb.)
E. WEIHMÜLLER, Albert Lebourg. (1 farb. Taf.,
4 Abb.)
JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST-
SAMMLUNGEN.
32. Bd., Ill. Heft:
HERMANN WINNEFELD, Zur Erinnerung an Rein-
hard Kekule von Stradonitz.
AUGUST SCHMARSOW, Entwicklungsphasen der
germanischen Tierornamentik von der Völkerwan-
derung bis zur Wikingerzeit. (IV. bis IX. Jahr-
hundert [Schlu8].) (45 Abb.)
A. WARBURG, MAX J. FRIEDLÄNDER, Zwei
Skizzen aus König Maximilians Brügger Gefangen-
schaft auf einem Skizzenblatt des sogenannten
„Hausbuchmeisters“. (a Taf. in Lichtdruck.)
JOHANNES SIEVERS, Joachim Bueckeleer (т Taf.
und 22 Abb.)
—
KUNST UND KUNSTLER.
Heft X:
KARL SCHEFFLER, Menzel in der Berliner
Nationalgalerie. (16 Abb.)
ANSELM FEUERBACH, Jugendbriefe. (т Abb.)
OTTO GRAUTOFF, Handzeichnungen des Louvre.
(14 Abb.)
HERMANN UHDE-BERNAYS, Die rómischen
Kunstausstellungen.
WALTER STENGEL, Aus G. Kerstings spiterer
Zeit. (6 Abb.)
GE VON SEIDLITZ, Rembrandts Mühle.
1 Abb.)
KUNST UND KUNSTHANDWERK.
Heft 6 und 7:
MARC ROSENBERG, Studien tiber Goldschmiede-
kunst in der Sammlung Figdor. (2 farbige Taf.,
146 Abb.)
EDMUND WILHELM BRAUN, Zur Ausstellung
der Plakettensammlung Alfred Walchers von Mol-
thein (11 Abb.)
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Heft 4:
GEORG HUMANN, Ottonische Baukunst in Essen.
(3 Abb., x Tafel.)
GEORG WEISE, Das Tympanon der Peter- und
Paulskirche zu Sigolsheim im Elsaß. (1 Abb.)
JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Kunstschätze
im Sinaikloster. (8 Abb.)
JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Beitrige
zur Kenntnis der М. Grabeskirche in Jerusalem.
(9 Abb.)
FRIED LUBBECKE, Erwiderung.
FRITZ WITTE, Replik.
—
THE BURLINGTON MAGAZINE.
Juni 1911.
Leitartikel.
Beklagt den Umstand, daß die öffentlichen Lon-
doner Galerien, selbst die neueren, in ihrem
Inneren (Größe der Säle, Beleuchtung usw.) nicht
den heutigen Ansprüchen und Anschauungen an-
gemessen sind.
LIONEL CUST, Notes on Pictures in the
Royal Collections — XXI. (3 Taf. mit 9 Abb.)
Hat um die Zeit Heinrichs VII. eine englische
Porträtkunst bestanden? Diese Frage wird an-
gesichts von sechs Porträts in Windsor Castle
die alle in dem Inventar der Bilder Heinrichs УШ.
vom Jahr 1542 verzeichnet stehen, und offenbar
von ein und derselben Hand stammen, aufge-
worfen. Es sind das die Porträts Arthurs, des
Prinzen von Wales, der Könige Heinrich V.,
Heinrich VI., Eduard IV., Richard III. und der
Königin Elisabeth York, vielleicht auch das Por-
trát der Prinzessin Mary Tudor als Maria Mag-
dalena, das der Salting - Collection angehörte und
jetzt in der National-Gallery hángt.
ROGER FRY, Richard Bennet Collection of
Chinese Porcelain. (3 Taf., 2 davon in Farben.)
Bespricht die Bennet-Collection, die von außer-
gewóhnlicher Bedeutung sei, mehr wegen der
Vorzüglichkeit der Gegenstände, als wegen deren
385
besonderer Seltenheit und Eigenart. Die Kollektion
empfahl u. a. eine kleine aber erlesene Gruppe
von Sungstücken und feine Beispiele von Ch’ien-
Lungporzellan.
G. F. HILL, Notes on Italian Medals. (a Taf.
mit то Abb.) Elfte Fortsetzung einer Artikelreihe.
Behandelt werden: eine Fälschung der Signatur
Pisanellos; ein neues Medaillon des Sperantio;
ein kürzlich in London versteigertes Medaillon
des Bernardo Nasi und das Porträtmedaillon der
Angela Brenzoni von Pomedelli.
CLAUDE PHILLIPS, An Unrecognised Car-
paccio. (2 Taf.)
Phillips bespricht das jüngst in der Abdyauktion
in London versteigerte Bild, das auf einem car-
tellino die Signatur „Andreas Mantinea F.“ trägt,
seiner Art nach aber auf Carpaccio als Maler
schließen läßt, der denn auch auf Anraten Phillips
als Urheber des Bildes im Katalog genannt war.
Phillips weist darauf hin, daß des Mantegna
Signatur nicht Mantinea, sondern, wo sie auf
authentischen Bildern vorkomme, Mantinia sei
(z.B.auf der späten Madonna und Kind auf dem
Thronsessel, Nr. 277 der National-Gallery). Die
Stilähnlichkeiten aber zwischen dem Abdybilde
und der Grablegung Christi im Kaiser-Friedrich-
Museum, das schon Crowe und Cavalcaselle dem
Carpaccio oder seiner Schule zuschreiben, ließen
auch das erstere als von derselben Hand gemalt
erkennen. Ähnlichkeiten zeigten sich auch in
Carpaccios unbezweifeltem „Christus in Geth-
semane“.
F. MELIAN STAWELL, The Letters of Vin-
cent van Gogh im Anschluß an die Cassirer-
Ausgabe der Briefe.
J. A. JOYCE, Some Features of Mexican
Architecture. (2 Taf. mit 6 Abb.)
Notes on various works of Art: U. a. wird
ein Bild Albert Cupys „Eine Jagdgeselischaft“‘,
das dem Rev. А. E. Clementi-Smith gehört, be-
sprochen und in einer Abbildung vorgeführt.
Review and Notices, darunter die Besprechung
folgender deutscher Werke: Dalmatiens Archi-
tektur und Plastik von Civillo M. Jockovic, Wien ;
Uber den Begriff des Malerischen in der Plastik,
von Dr. Ph. Schweinfurth; Die deutsche Medaille
usw., von Karl Domanig, Wien; Ausgewáhlte
römische Medaillons der Kaiserlichen Münz-
sammlung in Wien usw., von W. Kubitschek,
Wien; Das Kartenspiel der Königl. Staats- und
Altertümersammlung in Stuttgart, von Max Geis-
burg, Straßburg; Österreichische Kunstschätze,
herausgegeben von Dr. W. Suida, Wien.
Recent Art Publications.
French Periodicals.
L’ARTE.
fasc. 2:
CORRADO RICCI, Per la storia della pittusa for-
livese. (хт Abb.)
Studien über Marco Palmezzani (Malereien in
S. Biagio zu Forli), Giovanni del Sega (Penden-
tifs in S. Niccoló zu Carpi) und С. В. Rositi
(Madonna und Engel in S. М. del Trivio zu
Velletri),
386
ISABELLA ERRERA, П piviale di Santa Corona
a Vicenza. (2 Abb.)
ANTONIO MUNOZ, La decorazione e gli amboni
cosmateschi della basilica di S. Pancrazio fuori le
mura. (6 Abb.)
Publikation und Erliuterung der Zeichnungen
des Giac. de Sanctis (zweite Hälfte des 18. Jahrh.)
nach den 1798 von den Franzosen demolierten
Ambonen von 8. Pancrazia f. 1. m.
GRAF ERBACH von FURSTENAU, La miniatura
bolognese nel trecento. (9 Abb.)
Fortsetzung der Studien úber Werke des Nicoló
di Giacomo.
AUG. SCHMARSOW, Un dipinto di Antoniazzo
Romano a Madrid.
Triptychon im Archäol. Museum zu Madrid.
F. MASON PERKINS, Un dipinto di Girolamo di
Benvenuto. (Abb.)
Jüngstes Gericht in der Kirche der Osservanza
zu Siena, neuerdings von der Wand abgelöst.
MARIO SALMI, Un umile pittore dei primi del
Cinquecento. Angelo di Lorentino d'Arezzo. (3
Abb.)
ENRICO MAUCERI, Stalli corali in Sicilia. (13
Abb.)
ADOLFO VENTURI, I primo maestro di Raffa-
ello. (9 Abb.)
Zuschreibung der aus dem Herzoglichen Palast
in Urbino stammenden Musenserie, heute in der
Galerie Corsini, Florenz, an Giovanni Santi, Evan-
gelista di Piandimeleto und Timoteo della Vite.
fasc. 3:
C. J. Ff., La Collezione Mond. (7 Abb.)
Besprechung des Werkes von J. P. Richter.
GIUS. ZIPPEL, Paolo П e l'Arte. (7 Abb.)
Die Tátigkeit um 8. Pietro, dem Vatikan, dem
„giardino segreto“ und die Umformung des
Petersplatzes.
GIULIO LORENZETTI, De la giovinezza artistica
di Jacopo Bassano. (5 Abb.)
Betont besonders den Einfluß Bonifacios auf
Bassano.
MATTEO MARANGONI, La scuola bolognese alla
mostra del ritratto italiano a Firenze. (10 Abb.)
Portráts von Bart. Pussarotti, Lavinia Fontana,
den Carracci, Reni, Cignani und G. M. Crespi.
ALDO SEVERI, Esposizione internazionale di Belle
Arti. (4 Abb.)
Besprechung der Ausstellung in Rom.
APOLLON.
Mai:
BARON N. WRANGELL, Die historische Architek-
turausstellung in der Akademie der Künste zu St
Petersburg. (27 Abb.)
G. LUKOMSKI, Unsere Baukunst von Peter L bis
Nikolaus L
SERGE MAKOWSKI, N. K. Tschurlianis (gest
28. März 1911). (5 Abb.)
BARON A. WRANGELL, Alexej G. Wenetzianow
in privaten Sammlungen. (6 Abb.)
STARYJE GODY.
Mal:
8. TROINITSKY, Galerie de porcelaines à Ermi-
tage Impérial. (49 Abb., 2 farb. Tafeln.)
Detaillierte Beschreibung des Meißener Porzellans
aus der Porzellansammlung des russischen Kaiser-
hauses, welche im vorigen Jahre aus dem Peters-
burger Winterpalais in die Ermitage überführt
wurde.
P. MOURATOFF, Un tableau inédit de l'école de
Botticelli. (5 Abb.)
Tondo-Madonna mit Christkind, im Besitze der
Erben des Fürsten A. W. Mestschersky, Mos-
kau, das sich als Mittelstúck in einem Tondo
der Galerie Borghese, Rom, wiederholt vorfindet.
M. will diese beiden Werke nebst einigen andern,
verwandten Stils, einem bestimmten Schüler Botti-
cellis zuschreiben, den er „Alunno Romano di
Sandro“ benennt.
J. ZARNOWSKI, Le „Concert“ de Fr. Guardi dans
la Pinacotheque de Munich. (1 Abb.)
Die zuerst von G. D. Simonson ausgesprochene
Ansicht, daß in dem Bilde das Konzert zu Ehren
des als Duc du Nord reisenden russischen Thron-
folgers, spätern Paul I., dargestellt ist, findet in
einer stümperhaften Kopie von Gabriele Bella,
in der Sammlung Querini Stampalia, Venedig,
dokumentarische Bestätigung. Diese Kopie des
Guardischen Gemäldes trägt die Aufschrift: ,,Can-
tata Delle Putte Delli Ospitali Nella Procuratia
Fila Monici Fatta Alli Duchi del Nord“. In der
gleichen Sammlung hängt auch eine Kopie von
Bella des von Simonson im Maiheft des Bur-
lington Magazine publizierten, neuaufgefundenen
Bildes von Guardi: ,,Bal paré im Theater San
Benedetto“, welche ebenfalls mit einer auf dem
Duc du Nord hinweisenden Aufschrift versehen ist.
A. GOLOMBIEWSKY, La princesse Tarakanoff
et le portrait énigmatique de G. Serdionkoff. (2 Abb.)
Juni:
PIERRE MARCEL, Les dessins francais. 1 Le
moyen age; la tradition francaise au XVIs. (16 Abb.)
Zeichnungen von Jean Fouquet, Fr. Clouet, B.
Foulon, D. Dumonstier, Lagneau u. a. in der
Ermitage.
N. ROTHSTEIN, Fayence de la fabrique de Pos-
kotchine. (6 Abb.)
DENIS ROCHE, Gouches inédites de 1730 repré-
sentant des types russes. (18 Acb.)
Aus einem Manuskript des spanischen Gesandten
am russischen Hofe, Herzog de Liria ,,Relation
de Moscovie“, das sich in Paris, im Archiv des
Ministeriums des Auswärtigen befindet.
A. GOLOMBIEWSKY, David Lüders et trois de
ses portraits inédits. (4 Abb.)
L., geb. 1710 in Sachsen, Schüler des Francois
Lemoyne, wirkte unter Katharina П. in Rußland.
A.TROUBNIKOFF, Les dessins de Fédor Kalmouck
а Carlsruhe (Kunsthalle). (3 Abb.)
REVUE DE L’ART CHRETIEN.
зе livraison. Mai-Juin 1911:
HENRI CHABEUF, La Sainte-Chapelle de Dijon.
(10 Abb., 1 Tafel.)
ERNEST DE LIPHART, Les deux panneaux du
Maitre de Flémalle au musée de l’Ermitage. (1 Abb.,
2 Tafeln.)
ROBERT MICHEL, Le tombeau du pape Inno-
cent VI а Villeneuve-les-Avignon. (6 Abb.)
MÉLANGES:
C. MÉTAIS, La crosse et le tombeau de Regnault
de Moucon. (4 Abb.)
ALBERT MAYEUX, La cloche du beffroi de Per-
pignan. (5 Abb.)
E. DURAND-GREVILLE, Une ,,Vierge de Mem-
ling au musée de Saint Sébastien. (x Abb.)
CHRONIQUE. (3 Abb.)
BIBLIOGRAPHIE.
RASSEGNA D'ARTE.
fasc. 5:
NELLO TARCHIANI, La Mostra del Ritrallo italiano
in Palazzo Vecchio a Firenze. (47 Abb.)
fasc. 6:
LANDEDEO TESTI, Michele Giambono. (3 Abb.)
Publikation der von Giambono bemalten Ancona
des Paolo d'Amedeo zu S. Daniele del Friuli.
Vergleich zwischen dem von L. Venturi an Giam-
bono attribuierten Christus im Grabe (Museo
Civico, Padua) und dem (besseren) Bilde gleichen
Gegenstandes (nach Testi vielleicht von Giam-
bono) im Metropolitan-Museum zu New York.
GEORG GRONAU, Vincenzo Catena o Vincenzo
dalle Destre. (7 Abb.)
Attribution mehrerer Bilder an den Ludwigschen
„Pseudobasaiti“; Ausgangspunkt eine von Ber-
enson an Catena attribuierte Madonna der Galerie
Borghese. Frageweise Zuweisung einer Madonna
mit Johannes und Petrus der Sammlung Giova-
nelli an Vincenzo dalle Destre.
MATTEO MARANGONI, Un dipinto del Tinto-
retto dimenticato. (Abb.)
Verkiindigung Mariae in S. Isaia, Bologna.
GIORGIO BERNARDINI, Sette dipinti della Rac-
colta Lazzaroni. (7 Abb.)
Florentiner und venezianische Gemálde des Tre-
cento und Quattrocento.
PIETRO BAZZETTI, Arte ed artisti nel contado di
Chiavenna. (4 Abb.)
Fortsetzung des Aufsatzes aus Heft 11 im Jahr-
gang 1910.
387
PIERRE DE NOLHAC, Versailles, L'Architecture et
la Décoration. 160 Tafeln, in zwei Bánden mit
historischer Einleitung. 165 Fcs. Librairie centrale
d'Art et d'Architecture. Ch. Eggimann, Paris.
CAMILLE MARTIN, L'Art roman en France,
l’Architecture et la Décoration. Zwei Serien in fünf
Lieferungen mit je 16 Tafeln. Preis jeder Serie
115 Fes. — Daselbst.
CAMILLE MARTIN, L’Art roman en Italie. Erste
Serie in vier Lieferungen mit je 20 Tafeln. 125 Fcs.
— Daselbst.
CAMILLE MARTIN, L’Art gothique en France.
Erste Serie in vier Lieferungen mit je 20 Tafeln.
125 Fcs. — Daselbst.
CAMILLE MARTIN, La Renaissance en France.
Erste Serie in fiinf Lieferungen mit je 20 Tafeln.
115 Fcs. — Daselbst.
JEAN GUIFFREY, La Peinture francaise I Les
Primitifs. Ein Band in 60 Foliotafeln. go Fcs.
— Ebendort.
A. E. BRINCKMANN, Deutsche Stadtbaukunst in
der Vergangenheit. Verlag Heinrich Keller, Frank-
furt. Preis geh. M. 6,50, geb. M. 7,50.
RUDOLF BERLINER, Zur Datierung der Minia-
turen des Cod. Par. Gr. 139. Druck von Thomas
& Hubert, Weida i. Th,
ARTUR WEESE, München (Beriihmte Kunst-
stätten Bd. 35), II. Auflage, Verlag E. A. See-
mann, Leipzig. Preis M. 4.
IV. Jahrgang, Heft VIII.
Die Redaktion dieser Zeitschrift befindet sich unter der
Z ur fi Ti dl. В each і ung Leitung des Herausgebers ab 10. Juli in Berlin-Lankwitz,
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RICHARD STETTINER, Das Webebild in der
Manesse-Handschrift und seine angebliche Vor-
lage. Verlag W. Speemann, Stuttgart.
G. CUNY, Danzigs Kunst und Kultur. Verlag
Heinrich Keller, Frankfurt a. M.
PIERRE-PAUL PLON, Jacques Callot. Maitre-
Graveur 1593—1635. Verlag G. уап Oest & Cie.,
Brüssel.
BISMARCK NATIONAL - DENKMAL. Hundert
Wertbewerbs-Entwürfe. Herausgegeben im Auf-
trage der Denkmal-Ausschússe. 1911. Verlag der
Dússeldorfer Verlagsanstalt A.-G.
A. BOPPE, Les Peintres du Bosphore au dix-
huitieme siécle. Librairie Hachette & Cie., Paris.
KARL STAATSMANN, Das Aufnehmen von Archi-
tekturen. Konrad Grethleins Verlag, Leipzig.
HANS SEMPER, Michael und Friedrich Pacher
und ihre Nachfolger. Paul Neff Verlag (Max
Schreiber). Esslingen. Preis M. 24 geh., M. 26
geb.
PAUL KLOPFER, Von Palladio bis Schinkel.
ebenda. Preis М. 15 geh, М. 18 geb.
Dr. EMIL UTITZ, Was ist Stil? Verlag Ferdinand
Enke, Stuttgart. Preis M. 2.
Bilder aus der Kunst aller Zeiten. Heraus-
geber: F. Grusendorf. Mappe 2: Bilder aus der
antiken Plastik von Dr. W. Michaelis. Verlag
der Neuen Photographischen Gesellschaft, Berlin-
Steglitz. Preis M. 3,50.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz,
WaldmannstraBe 6. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in MUNCHEN: Dr. M. K. ROHE, Miinchen, Clemensstr. 105. In OSTER-
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FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. KURT ERASMUS, Haag, de Riemer-
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Dr. JULES COULIN, Basel.
Die Monatshefte fiir Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
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Zu: FRANZ RIEFFEL, DIE FREIHERRLICH VON HOLZHAUSENSCHE GEMÄLDESAMMLUNG
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Tafel 76
Abb. 2 Berolinensis 161 (Stilgruppe В II
bb. з. Berolinensis 143 (Stilgruppe В III. Abb. 4. Berolinensis 159 (Stilgruppe Abb. 5. Cavalieri А 15
111)) В [IV]) (nach einer Zeichnung Dosios?)
Zu: P. G. HÚBNER, DER AUTOR DES BEROLINENSIS
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Tafel 77
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Abb. 8. Florenz, Uffizi Nr. 2572 Vorders.
Zu: P. G. HUBNER, DER AUTOR DES BEROLINENSIS
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Tafel 79
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Zu: HERMANN NASSE, A. VICTORYNS.
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MONATSHEF TE
I KUNST ©
WISENSCHAFT
ABHANDLUNGEN
HANS KOEGLER, Kleine Beitráge zum
Schnittwerk Hans Holbeins d. J. — Der
Meister C.S. Mit 4 Abb. auf ı Taf. S. 389
RUD. ARTHUR PELTZER, Die Dar-
stellung von Dinanderies auf nieder-
lindischen Bildern. Mit 12 Abbild.
auf 3 Tafeln S. 409
MISZELLEN
Zur Kenntnis der Malerschule von Avig-
non um 1500. Werke eines Anonymus in
den Museen von Avignon und Brüssel. Mit
4 Abbildungen auf a Tafeln (Voss). . . 8. 414
Dürers Bildniszeichnung des Königs
Christian П. Mit э ES auf 1 Tafel.
(Singee rr 8. 415
Die einzige Zeichaune von Greco in der
Madrider National-Bibliothek. Mit ı Abbil-
dung auf х Tafel (Kehrer)........ 8. 415
Malereien in der Deutschordenskirche zu
Frankfurt-Sachsenhausen (Gebhardt) 8. 416
Schaffners Wettenhausener Altar (Baum)
8, 418
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Könlgl. Bayer. Hoflleferant
Monatshefte fur Kunstwissenschaft
Abonnementspreis halbjährlich ra M., zusammen mit dem CICERONE 18 M.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
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LITERATUR
EMIL WALDMANN, Die Núrnberger Klein-
meister (Springer S. 418
ITALIENISCHE FORSCHUNGEN. 4. Bd.:
Archivalische Beiträge zur Geschichte derVene-
zianischen Kunst (Geiger) ....... 8. 430
AUGUST RICHARD MAIER, Niclaus Gerhaert
von Leiden. Studien zur Deutschen Kunst-
geschichte (Baum) S. 421
HERMANN THIERSCH, An den Rändern des
römischen Reiches. Sechs Vorträge über antike
Kultur (Achelis) ............. 8. 422
PIERRE PAUL PLAN, Jacques Callot, Maltre-
Graveur (1593—1635) (Nasse) 8. 433
LOUIS CORINTH, Das Leben Walter Leistikows.
Ein Stück Berliner Kulturgeschichte (Biermann)
8. 423
FRIEDRICH KAMMERER, Zur Geschichte des
Landechaftsgefúbls im frühen 18. Jahrhundert
(Michea-: ooo ooo.» 8. 424
AUGUSTE RODIN, L’Art, Entretiens réunis par
Paul Gsell (Grautoff) . .......... 8. 435
Rundschau. .z ss eke „„ 8. 426
Neue Bücher ...oooooooo.o»o» 8. 429
Berichtigung einer „Berichtigung“ 8. 430
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Mit vier Abbildungen auf einer Tafel. Von HANS KOEGLER
eit der grundlegenden Veróffentlichung von Heinrich Alfred Schmid über Hol-
beins Tätigkeit fiir den Formschnitt im Jahrbuch der Kgl. Preußischen Kunst-
sammlungen 1899 und meinen Ergänzungen dazu im Beiheft des gleichen Jahr-
buches 1907 ist es mir durch mehrere unerwartete Funde möglich gewesen, das
Holbeinsche Schnittwerk zu erweitern, worüber ich in der Zeitschrift für bildende
Kunst 1908, Heft 9 und 1909, Heft 2, in den Monatsheften für Kunstwissenschaft
1910, Heft 1 und 6, im Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde 1909 (ein
Basler Kalender fürs Jahr 1533), und im Jahrbuch der Preußischen Kunstsamm-
lungen 1910 berichtet habe. Kleine Nachträge und genauere Datierungen sind in
der Zeitschrift für Biicherfreunde, XII. Jahrgang, Heft 6— 12, niedergelegt. An ein
schönes echtes Blatt, das in den Spezialarbeiten über Holbeins Schnittwerk fehlt,
das Wappen der Familie Chussen, sei hier der Übersicht wegen erinnert. Dasselbe
wurde meines Wissens zuerst 1894 von P. W. Ullrich in Zwickau als Holbeinisch
erkannt und ist durch Graf Leiningen-Westerburg mehrmals reproduziert worden,
z. B. in der Zeitschrift für Bücherzeichen (Görlitz) 1900 und 1905. Die verschie-
denen Exlibris-Freunde datierten auf 1500 und 1550 bis 1570, der Schnitt ist aber
nahezu mit Sicherheit ins Jahr 1520 einzureihen.
Trotz so mancher Bereicherung unserer Kenntnis scheint das Füllhorn leicht
erfundener Holbeinischer Dekoration noch immer nicht seinen ganzen Reichtum
ausgegossen zu haben, besonders scheint sich in Büchern des späten XVI. und
sogar des XVII. Jahrhunderts noch manches vorher unbekannte von Holbeins Werk
zu verbergen, wenn auch keine großen Überraschungen, so doch Stückchen voller
Kunst. (Siehe das Initial B, Abb. 4.)
NEUE HOLZ- UND METALLSCHNITTE.
т. Als ich im Beiheft des Jahrbuches 1907 das Holzschnittwerk des Ambrosius
Holbein neu zusammenzustellen unternahm, habe ich das ornamentale Alphabet,
das bei Schneeli und Heitz in den Holbein-Initialen als Nr. r abgebildet ist, ohne
dort einem der beiden Brüder Holbein zugetraut zu werden, sowie das Titelblatt
mit dem Tod der Lucretia unten und dem Tuch der Veronika oben, dem Ambrosius
Holbein zugeschrieben, indem ich dabei dem Vorgange von Heinrich Alfred Schmid
folgte. Ganz geheuer ist mir diese Zuweisung allerdings nicht gewesen, wie meine ein-
leitenden Worte zum Schnittwerk des Ambrosius Holbein zeigen, die lauteten:
„Während des ersten Jahres sind manche Arbeiten der Brüder Holbein im Or-
nament und in den Putten nicht restlos ganz ohne Zweifel zu scheiden, jedoch ge-
währen die figürlichen Szenen wichtigen Anhalt. Der Scävolatitel des Hans und
seine Venetianische Bordüre stehen im Ornament dem gleichzeitigen Alphabet
Schneeli Nr. ı, das als Ambrosius gilt, genau so nahe, wie dessen Lucretiatitel.
Die Putten dieses Ambrosius Titels sind wieder von dem geflügelten Paar auf dem
Scävolatitel des Hans an und für sich nicht zu unterscheiden. Und vergleicht man
die Figuren der Lucretiaszene mit dem als Werk des Hans Holbein geltenden
Schulmeisterschild, so ergibt sich eine Fülle anderer Beziehungen.“ Daraus geht
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 9 27 389
hervor, daß mich bei der Zuweisung des Alphabetes Schneeli Nr. 1 und des Lu-
cretiatitels an Ambrosius doch die groBe Verwandtschaft beider Arbeiten mit den
gleichzeitigen Werken Hans Holbeins sowohl im Ornament und Putten wie in den
Figurenszenen beunruhigte. Fiir die Entscheidung der Frage sind inzwischen etwas
andere Grundlagen gewonnen. Zunächst waren meine Angaben über das Auf-
tauchen der ersten Holzschnitte von Ambrosius Holbein nicht genau, wegen des
einen unglücklichen Irrtums in der Datierung der zweiten Frobenschen Ausgabe
des Theodorus Gaza. (Siehe unten, Beginn des Abschnittes: Berichtigungen zum
bisherigen Werk.) Ferner ist das Alphabet Schneeli Nr. ı nicht mehr fraglich,
weil es, was bisher ganz übersehen wurde, eine bezeichnete Arbeit des Hans Hol-
bein ist. Dieses seit November 1516 in Frobenschen Drucken verwendete Alphabet
ist in dem, bei Schneeli fehlenden Buchstaben O'), signiert (Abb. 1). Das Initial
zeigt unter einem Totenschädel einen großen menschlichen Röhrenknochen nebst
drei Rippen, oben links etwas Pflanzenornament, oben rechts ein viereckiges Holz-
täfelchen mit Zapfen an der oberen Kante zum Annageln. Auf diesem sattsam be-
kannten Kiinstlertifelchen ist Hans Holbeins Monogramm angebracht, bestehend
aus dem kleineren vom größeren umschlossenen lapidaren (Doppel)-H, womit auch
die Version D der Holbeinischen Kebestafel signiert ist. Trotz aller Scheu kann
ich nicht anders, als eine alte belächelte Wortspielerei aus früherem Jahrhundert
wieder aufzunehmen und zu finden, daß die hohlen Gebeine in dem gerade mit
HH versehenen Vokal O eine Anspielung auf den Namen Holbeins, Hohlbein, ent-
halten. In der bisherigen Beschreibung des Alphabets fehlte übrigens noch der
Buchstabe K mit Harnisch, Schwert und Pflanzenornament, der bei Froben in
Erasmus Adagien von 1517/18 vorkommt.
2. Die Sicherung des vorgenannten Alphabets für Hans Holbein entscheidet nun
auch weiter, daß der im April 1517 in Erasmus: de duplici copia verborum er-
schienene Quarttitel mit dem Tod der Lucretia und dem Tuch der Veronika (Wolt-
mann, Ambrosius Holbein Nr. 4, in meinem Verzeichnis Ambrosius Nr. 6) tatsäch-
lich von Hans Holbein ist. Es erscheinen somit die Holzschnitte Hans Holbeins
in den Basler Druckwerken in ununterbrochener Reihe von Oktober 1516 bis Mai
1517, ein Nachzügler im Juli 1517, die Holzschnitte Ambrosius Holbeins schließen
sich in einer längeren Reihe seit dem Mai 1517 zeitlich an, signierte Blätter sind
darunter seit Juni 1517.
3. Eine horizontale Zierleiste mit dem Tod der „Verginea“ durch die Hand ihres
Vaters „Verginius“, 0,157 m breit und 0,031 m hoch mit einfacher Linieneinfassung
und weißem Luftgrund (Abb. 2); Metallschnitt von Jacob Faber, erscheint in der
Offizin Ludwig Königs in Basel 1619 und 1636 in des Basler Stadtschreibers
Johann Rudolph Sattler „Thesaurus Notariorum“ und gehört zu einer Folge von
Leisten gleicher Breite aber zweierlei Höhen, welche Taten und Erlebnisse be-
rühmter Frauen aus der altrömischen Stadtgeschichte behandelt. Drei davon, die
mit der Gesandtschaft der römischen Frauen vor „Marcius Coriolanus“, mit der
Flucht der „Cloelia“ aus dem Lager des „Porsena“ und dem Tod der Virginia sind
von Holbein gezeichnet, eine vierte, die mit der Cloelialeiste in der Höhe überein-
stimmt und die frevelhafte Fahrt der „Tullia“ über den Körper ihres Vaters „Ser-
vius Tullius“ zum Gegenstand hat, ist geringer, ist offenbar ein eigener Entwurf
(т) Ich verweise auf die vorzüglich scharfen Abdrucke in Frobens: Historiae Augustae scriptores, Sue-
tonius etc., Basel 1518, Folio; und in Erasmus Annotationes in nov. test. bei Froben in Basel 1519,
mit den Signaturen CC I. 14 und F. G. V. 41 in der Basler Universitätsbibliothek.
390
des Formschneiders Jakob Faber. Die Cloelialeiste ist auch erst вра vom Jahr 1564
bekannt, die mit Tullia war bei Froben im Oktober 1521 in des Erasmus Apologiae
omnes verwendet worden, die Coriolanus-Leiste allein erschien friihzeitig bei Froben
im August 1519.1)
Solange ich nur die zwei anderen Leisten kannte, nahm ich fiir sie Sommer 1519
als Entstehungszeit an, die neue Virginia-Komposition riickt aber die Datierung der
vermutlich gleichzeitig gezeichneten und geschnittenen drei Holbeinschen Stiicke
nach vorn. Wenn auch bei den zwei anderen eine nicht gar ferne Verwandtschaft
zu Metallschnitten, die erst im Jahre 1520 auftauchen, etwa zu dem Titel mit
Hektor und Caesar oder zu der Seitenleiste mit dem armen und wieder verarmten
Jüngling besteht, so zeigt die Virginia-Leiste doch die größere grundsätzliche Uber-
einstimmung mit den frühesten Holzschnittiteln des Mucius Scävola und der Ent-
hauptung Johannis, die im Oktober 1516 und März 1517 erschienen und als Arbeiten
Holbeins bekanntlich vollkommen gesichert sind.?) Die zu großen Köpfe, die meist
viel zu kurzen Körper, das wenig geschmeidige Bewegen und das übertriebene
Vorrücken der Figuren, die mit ihren Sohlen auf der unteren Einfassungslinie laufen,
zeigen das deutlich. Auch ein gewisses Hinneigen zu verzettelter Anordnung, das
auch den frühen Innenmalereien des Hertensteinhauses ebenso eigen war, charak-
terisiert die große Jugendlichkeit des Zeichners, aber gegenüber den genannten
zwei Holzschnittiteln finde ich in den drei Leisten hier schon mehr Gruppierung
als bloße Reihung und die ganze Darstellung ist vielleicht temperamentvoller.
Damit scheinen sich die Leisten als Basler Arbeiten Holbeins nicht lange vor seiner
Wanderung nach Luzern zu erweisen, sind vielleicht Fragmente eines eben durch
diese Reise unterbrochenen größeren Auftrages, etwa für eine beabsichtigte Livius-
Ausgabe. Dann könnte man weiter vermuten, daß nach einem mißglückten Ver-
such des Formschneiders Faber, mit seiner „Tullia“-Leiste in die Lücke zu treten,
der ganze Plan aufgegeben worden sei und die fertigen Leisten deshalb unverwendet
liegen blieben.
Echt Holbeinisch ist die rechts in der Virginia-Komposition in die Bildtiefe ge-
richtete Gruppe nebeneinander sitzender und sich beratend zueinander kehrender
Männer, zeitlebens eine von seinen geliebtesten Bildvorstellungen; schon in der
Federzeichnung der von der Kanzel steigenden Narrheit war sie angeklungen, in
der Leaina-Gruppe der Hertensteinfassade und den frühen Basler Rathausfresken
lebt sie bald intensiver wieder auf. Schon durch dieses Leitmotiv gewänne die
kleine Zierleiste Wert über manche andere Arbeit, zugleich ist sie als früheste
Vorzeichnung Holbeins, die von Jacob Faber in Metallschnitt ausgeführt wurde,
von prinzipieller Bedeutung. Während der früheste sichere Metallschnitt Fabers
in Basel überhaupt (nicht nach Holbein) erst vom Juni 1518 bekannt war, scheint
jetzt schon eine Schnittleistung für Holbein mindestens vom Frühjahr 1517 be-
glaubigt.
4. Eine horizontale Zierleiste, worin zwei flügelarmige Männchen, die in ge-
schuppte Fischleiber übergehen, einander zugekehrt liegen, zwischen sich einen
Pokal halten und nach außen in körnergefüllte Blattkelche enden, — 0,132 m breit
und 0,012 m hoch, nur unten ein Doppelstrich als Einfassung, horizontal schraffierter
(1) Beiheft des Jahrbuches 1907 Nr. 45; Monatshefte тото, S. 220.
(2) Abb. Heitz und Bernoulli, Basler Büchermarken Nr. 30 und Butsch, Bücherornamentik Taf. 45. —
Die Basler Büchermarken zitiere ich nach den bei Heitz und Bernoulli und in meinen Beiträgen in der
Zeitschrift für Bücherfreunde (Jahrg. XU) durchlaufenden Nummern.
391
Grund. Metallschnitt von Jacob Faber, der in der Druckerei Sebastian Henricpetris
in Basel erst im Jahr 1604 in Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae mehr-
fach vorkommt, 2. В. auf Seite 2013. Die Leiste gehört zu einer Folge ähnlicher
seit Juli 1521 bekannter, von denen H. A. Schmid fiinf zuerst als Holbeins Arbeit
beschrieb (Jahrbuch 1899, S. 250), man trifft sie z. B. 1523 in Frobens Hilariusaus-
gabe an. Eine davon, mit zwei gegen eine Vase liegenden Delphinen, ist auch in
Gesellschaft dieser neuen Leiste im Theatrum 1604 wieder verwendet worden.
5. Eine Druckermarke ftir die Gebriider Melchior und Caspar Trechsel in Lyon,
bestehend in der Umrahmung einer Inschrifttafel, oben zwischen einem Delphin-
paar ein geflügelter Männerkopf, — 0.056 m breit und 0,043 m hoch, weißer Grund,
Holzschnitt von Lützelburger, der mir zuerst 1533 in der Oktavausgabe von Sym-
phorianus Campegius Periarchon begegnet ist, dann auch auf dem jeweils letzten
Blatt der französischen Originalausgaben von Holbeins Totentanz und der biblischen
Icones 1538 vorkommt und deshalb in den entsprechenden Faksimile-Neudrucken
der Hirthschen Liebhaber-Bibliothek alter Illustrationen reproduziert wurde, meines
Wissens aber noch nie ausdrücklich im Holbeinwerk mitgezählt worden ist. Der
Holzstock trug schon 1533 zwei durchlaufende feine vertikale Sprünge, die im
Lauf der Jahre zunehmenden Veränderungen zeigen deutlich, daß man es mit einem
Holzschnitt zu tun hat. Ob die Druckermarke schon vor 1533 in Büchern ge-
braucht wurde, ist mir nicht bekannt, Panzer zählt die ersten Drucke der Brüder
Trechsel seit 1532 auf. Interessant ist, daß in Basel 1534, also gleich im Jahr nach
dem mir bekannten Erstvorkommen, in der Offizin Bebels in Sebastian Münsters hebraica
Biblia (Seite 123) eine stark vergrößerte derbere aber vollständig abhängige Kopie
vorkommt, von der Hand eines Schülers oder Formschneiders, der uns auch sonst
in Holbeins Bannkreis im Anfang der 1530 er Jahre in Basel begegnet. Der Hol-
beinsche Originalentwurf ist aber jedenfalls in ziemlicher Nachbarschaft der Toten-
tanzbilder entstanden, denn die Formelemente und die Grundgestalt der Tafel, die
zwar seit Mitte 1522 schon nachweisbar sind!), finden ihre ausgesprochene Über-
einstimmung in dem ornamentalen Beiwerk der Todesbilder, besonders des Richters
und des Kardinals. Nah verwandt sind auch die beiden undatierten Dolchgriffholz-
schnitte. Hingegen läßt sich die Druckermarke in den Stil von Holbeins Schnitten
nach seinem ersten englischen Aufenthalt, wie das Basler Wappen von 1529, die
Maskaronleiste von 1531 und Münsters Instrument beider Lichter nicht mehr ein-
reihen, weil da das Ornament strichfeiner und im Detail plastischer gedacht ist.
Übrigens gibt es schon eine Lyoner Kopie, abgebildet bei Baudrier УШ, S. 44
Marke Nr. 5, die nach den Angaben der Bibliographie Lyonnaise schon 1528 von
Sebastian Gryphius verwendet worden ist.
6. Architektonische Titeleinfassung mit dem Tod der Kleopatra und dem Tempel-
raub des Dionysos, bezeichnet „C. V.“ und „1523“, einfache Einfassungslinien, teils
weißer, teils Landschaftsgrund, 0,123 m breit und 0,174 m hoch, Metallschnitt vom
Formschneider C. V. Probedruck im Basler Kupferstichkabinett (Pass. 96b). —
Das Blatt wurde schon mehrfach in Zusammenhang mit Holbeins Werk erwähnt,
aber als Kopie nach dem bekannten Holbeinischen Holzschnittitel in Folio, der im
Februar 1523 erschienen ist. Н. A. Schmid (Jahrbuch 1899, S. 244) nannte das
Blatt eine freie Compilation des C. V. nach dem Holzschnitt von Holbein, welcher
Meinung ich mich früher anschloß. Seither habe ich das Werk des C. V. wohl so
(1) Titel mit Aristoteles und Phyllis, zwei schöne Kandelaberleisten „H. H.“, ornamentale Einrahmung
um Cratanders Doppelsäulen-Signet „J. Е.“
392
ziemlich seinem ganzen Umfang nach kennen gelernt und mich überzeugt, daß er
nirgends so hohe künstlerische Fähigkeit aufweist, daß ihm der prächtige Aufbau
und die feine Zeichnung dieses Metallschnittes zugetraut werden könnten, ebenso-
wenig die freie Phantasie für die beträchtlichen Änderungen mehrerer Figuren und
Gruppen, womit ich dem Formschneider allerdings noch nicht jede zeichnerische
Fähigkeit abgesprochen haben will. In den mehrfachen wirklichen Kopien!) des
C. V. nach Holbeins Kleopatra-Entwürfen ist die Qualität allgemein viel geringer
und gleichzeitig klebt er, hier kann man sogar sagen sklavisch, an den beiden
echten Vorlagen, die er zwar manchmal beide in einem Blatt und sogar in einer
und derselben Figur miteinander verschmilzt, aber immer bis ins einzelne abhängig.
Ist es schon von vornherein unglaubhaft, daß der Mann, der einmal so großes Ge-
schick im freien Variieren gezeigt hätte, nachher so ganz ohne neue Einfälle sich
selbst und seine Vorlagen wieder abschreiben sollte, so sind noch obendrein die
Veränderungen an dem Basler Metallschnitt-Probedruck gar keine solchen, auf die
man nach dem Holzschnitt kommen würde, sondern es sind Vorstufen für diesen.
Das zeigt unter anderem der weniger statuarische Charakter der beiden Götterbilder
und die noch wenig tektonisch in den ganzen Aufbau einbezogene Lagerung der
Kleopatra, auch das Näherstehen der Götterbilder an den Menschen, die sich noch
nicht so zu ihnen hinaufstrecken müssen, wodurch die Tat des Beraubens noch
nicht so eindrucksvoll hervortritt. Bezeichnend sind da auch Kleinigkeiten, auf
dem zeitlich früheren Metallschnitt-Entwurf läßt Dionysius den naturalistisch
weichen Bart des menschlich bewegten Götterbildes Esculaps, ihn abbiegend, durch
seine Hand gleiten, während er in dem reiferen Holzschnitt den Bart des steifer
dastehenden Bildnisses mehr nur anfaßt.
Da der Metallschnitt mit 1523 bezeichnet ist, der Holzschnitt aber schon im Fe-
bruar des gleichen Jahres in Büchern verwendet worden war, so kann der Vor-
gang kaum anders gewesen sein, als daß Holbein dem Formschneider nachträglich
einen seiner früheren Entwürfe zur Schnittausführung überließ, vermutlich für dessen
eigene Unternehmerzwecke °).
7. Ein Alphabet mit spielenden Kindern, doppelte Quadrateinfassung, Lettern ein-
fach umstrichen und weiß, Grund horizontal schraffiert, Metallschnitt von С. V.,
0,029 m breit und hoch. Das Alphabet ist mir vorläufig erst im Jahr 1545 bei
Maturinus Dupuys in Paris begegnet in: Johannes Drosaeus juris universi Justine-
anea methodus 8°, muß aber in Paris schon früher bekannt gewesen sein, denn es
kommen daselbst 1538 bei Christian Wechel deutlich kenntliche aber künstlerisch
schwache Kopien davon in der Größe von 0.03 m im Quadrat vor, die der für
Paris und Lyon um 1540 vielfach tätige Metallschneider J. F.“) geschnitten und
wohl auch umgezeichnet hat. Die dem Originalalphabet zugrunde liegenden Ent-
würfe Holbeins stammen jedoch aus viel früherer Zeit, denn von einzelnen Buch-
(т) Die wichtigsten davon sind die in der Holbein-Literatur schon zitierten mit dem verschlungenen
„C. V.““ und „1524“ bei Walder in Basel, die mit dem verschlungenen „C. V.“ in Joh. Brenz Syn-
gramma clariss. viror. etc. 1526 und die unbezeichnete, mit dem Holbeinischen Scävolatitel in der
Komposition verschmolzene, die seit 1524 in Augsburg, später in Ingolstadt verwendet wurde.
(2) Der andere Probedruck des C.V. in Basel mit dem Holbeinischen Parisurteil und den Geschichten
von der Weibermacht hat beinahe ganz gleiche Maße.
(3) Von diesen auch der bekannte Schnitt Heinrich УШ. im Rat (Woltmann, Holbein Nr. 210). Auf
die naheliegende Frage der Identität desselben mit dem bekannten Holbein-Formschneider J. F. vom
Ende des з. und Anfang des 3. Dezenniums in Basel, will ich hier trotz reichlich gesammelten Materials
noch nicht eingehen.
393
staben gibt ез schon vom September 1523 und von 1524 Kopien, welche der Form-
schneider C. V. selbst umgezeichnet und geschnitten hatte.
Es gibt eine stattliche Anzahl von Kinderspielalphabeten im Metallschnitt des
C. V., zum Teil direkt nach echten Vorlagen Holbeins, zum anderen Teil von ihm
selbst aus Holbeins Werk ohne des groBen Kiinstlers Anteilnahme zusammen-
gestellte, kopierte oder leicht veránderte Motive enlhaltend. Alle diese Alphabete
haben in Zeichnung und Schnitt ein relativ gleichmäßiges Aussehen, so daß jemand,
der das Holbeinwerk nicht genau kennt, keine so falsche Diagnose stellen würde,
wenn er eines der nur aus Holbein zusammengestellten Alphabete für ein echtes
halten würde; ich verweise als Beispiel auf das bei Schneeli und Heitz in den
Holbeininitialen als Nummer 30 reproduzierte Kopienalphabet.
Was uns am sichersten die Originale von den Kopien und Kompilationen scheiden
hilft, ist das Achten auf originale Motive der Erfindung. Hauptsächlich nach diesem
Gesichtspunkt ergeben sich unter den von C. V. in Metall geschnittenen lateinischen
Kinderspielalphabeten folgende echte Holbeinarbeiten: ı. Alphabet Schneeli Nr. 17.
— 2. Schneeli Nr. 29. — 3. Das Bebelsche Kinderalphabet aus Ciceros Offizien. —
4. Das in Augsburg 1524 erscheinende Kinderalphabet (Beiheft des Jahrb. 1907, Nr. 40 a).
— 5. Diese neuen Pariser Initialen. Die fünf genannten Buchstabenfolgen sind in
der Zeichnung auch die besten.
Dagegen sind Kopien — alle mit horizontal schraffiertem Grund und dreifacher
Einfassung — folgende Zieralphabete: a) 0,03 m im Quadrat, September 1523 bei
Knoblouch in Straßburg, 1532 daselbst bei Schott, 1533 bei Johann Albrecht, 1557
bei Samuel Emmel. — b) 0,023 m im Quadrat, August 1524 bei Ruff in Verbindung
mit Grimm in Augsburg. — с) Das Alphabet Schneeli Nr. 30, seit 1524 in Basel.
— d) 0,025 m im Quadrat, seit März 1527 bei Petri in Basel — e) 0,033 breit
und 0,034 m hoch, 1528 bei Herwagen in Straßburg, 1531 daselbst bei Georg Ul-
richer Andlanus, 1535 bei Camerlander, 1538 bei Crato Mylius, 1542 bei Rihelius.
— f) 0,039 bis 0,04 m im Quadrat, 1528 ff. bei Vidoveus und dessen Genossen in
Paris. — Die Art, wie in den genannten sechs Kopienalphabeten Holbeinische
Motive kombiniert werden, ist für die Beurteilung der Echtheitsfrage ausschlag-
gebend, die Vermischung ist aber so verwickelt, daß man ohne die Abbildungen
der ganzen Buchstabenreihen keinen klaren Begriff geben kann.
Von dem neuen Pariser Alphabet sind mir bis jetzt bekannt: A zwei Kinder
tanzen; C drei Kinder klagen um einen zerbrochenen Krug; D drei Kinder schlecken
eine Pfanne aus; E vier Kinder auf Steckenpferden nach rechts; H zwei Kinder
tragen ein drittes auf einem Kissen; J Zug von lanzentragenden Kindern nach rechts;
N drei Kinder mit Schießbogen und erlegtem Hasen; P drei Kinder plündern einen
Apfelbaum; Q vier Kinder beim Ausspannen eines Vogelnetzes, das linke vorn mit
einer Art Bischofsmütze; S zwei Kinder tanzen durch einen Reifen; T vier Kinder
als Narren; V drei Kinder schlagen auf eine Katze los, die einen Vogel gefangen
hat. Dieser Buchstabe ist vielleicht etwas geringer, das Motiv kehrt bei Holbein
in dem R des kleinen Kinderalpbabetes (Woltmann 254, Schneeli Nr. 18) wieder.
Die Kinder sind überall nackt, höchstens mit Kopfbedeckungen versehen (Abb. 3).
Die Buchstaben A, C, D, E und N sind in dem A, L, D, E und N des Alphabetes
Schneeli Nr. 30 kopiert, woraus man die Motive ziemlich getreu erkennen kann.
Über die Motive der noch fehlenden Buchstaben läßt sich eine Vermutung auf-
stellen, weil sich ein schon erwähntes Kopienalphabet (Paris 1538) in allen be-
kannten Buchstaben mit unseren Initialen deckt, also wahrscheinlich auch bei den
noch unbekannten. Es würde das für das B unseres Alphabetes drei Kinder mit
394
einem großen Korb erwarten lassen, für das К drei Kinder, die sich im Handstand
üben, für das L drei musizierende, für das М drei, die im Machen rudern, für das
O zwei mit Jagdhunden an der Leine, für das R dreie, die ein viertes überlegen.
EINZELNE ERGÁNZUNGSBUCHSTABEN ZU BEKANNTEN
ALPHABETEN.
8. Zu Schneeli Nr. 43 (Februar 1520) ein Y. mit einem Reihervogel, in Calepini
Dictionarium bei Henricpetri 1627.
9. Zu der griechischen Serie, die dem vorgenannten Alphabet benachbart ist, ein
zweites Г. mit breiter Blattranke, in Erasmus Adagien bei Froben, Oktober 1520
und ein Z mit Bandwerk, in Eustathius Frobens 1559.
то. Zu Schneeli Nr. 40 (Mai 1520) ein X mit dem keuschen ,,Joseph“, in Curios
Thesaurus linguae latinae, Froben 1561.
11. Schn. Nr. 6, lateinisches Metallschnittalphabet mit Cäsarenköpfen, seit Juni
1521 bei Froben, die Lettern durch einen mittleren Teilungsstrich belebt. Von
Schneeli Nr. 6 gehóren nur Q 1 und Q 2 zu diesem Alphabet, ferner die von mir
schon friiher beschriebenen Buchstaben P (Bellingarius) und R (Germanicus);
außerdem gehören dazu ein E, М und N, wovon bei Schneeli Nr. 6 nur die ent-
sprechenden Holzschnittkopien aus Herwagens Offizin zu sehen sind. Auch Н. A.
Schmid hat im Jahrbuch 1899, S. 248 als Beleg fiir das Holbeinische Metallschnitt-
alphabet irrtiimlich nur das E in der Herwagenschen Holzschnittkopie abgebildet.
Mit diesen Herwagenkopien ist es eine seltsame Sache. Der Basler Drucker Johann
Herwagen druckte neben zahlreichen eigenen Verlagswerken auch in Gemeinschaft
mit Froben und Episcopius und zwar 1528, 1529, 1530 und 1531 in reger Gemein-
schaft, dann aber mit Ausnahme eines einzigen Falles nicht mehr bis 1538, von
welchem Jahr mir wieder sieben gemeinsame Werke bekannt sind. Seit ungefähr
1534 erscheint nun in den Werken seines eigenen Verlages fast das ganze von
Holbein einst für Froben in Metallschnitten geschaffene Initialwerk in ziemlich ge-
treuen Holzschnittkopien, fürwahr ein ansehnliches Kopistenwerk. Der Zweck
dürfte kein anderer gewesen sein, als bei den Käufern den hinlänglich bekannten
Eindruck Frobenscher Drucke zu erwecken und es wäre zu verwundern, wenn es
dabei ohne Streit sollte abgegangen sein.
12. Zu Schn. Nr. 6, griechisches Alphabet mit Cäsarenköpfen mit weißen Lettern,
Von diesem Alphabet ist nur das x bei Schneeli Nr. 6 reproduziert, während man
von A und 2 dort wieder nur die Herwagenschen Holzschnittkopien zu sehen
bekommt, deren Holbeinische Originale bei Froben seit Oktober 1520 vorkommen.
Ferner gehören die von mir schon früher beschriebenen Г, O, Ф, >, E, als Ergänzungen
dazu. — Eine besondere Reihe, von der aber nur das Г (= Schn. Nr. 6 Га) und das
Q mit „Tullius Сіс.“ bekannt sind, bei Froben seit August 1520, später bei Bebel.
13. Zu Schneeli Nr. 8 (Jänner 1521) ein K mit zwei Papageien in Gessners Lexi-
kon bei Hieronymus Curio und Henricpetri 1560.
14. Zu Schneeli Nr. 26 (Ende 1521) gibt es außer den schon früher beschriebenen
Ergänzungen A, G, M.') O. noch weitere vier schöne Buchstaben, alle in Drucken
Henricpetris: B. drei tanzende Kinder, im lateinischen Olaus Magnus 1567 (Abb. 4).
— E2 drei Flügelkinder mit einem geflochtenen Stuhl, in Calepini Dictionarium
1564. — F. drei Kinder mit Windrädchen nach links, in Reineccius Reinerus 1580.
— L. drei Reifen treibende Kinder nach links, im Hieronymus Cardanus 1554.
(1) Das М in Budaeus Dictionarium graecolatinum bei Henricpetri 1584.
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Die ganze Buchstabenfolge erfreut sich mit Recht allgemeiner Beliebtheit, Grund
dafiir ist sowohl die gliickliche Ubereinstimmung des Formates mit der breiten,
mehr andeutenden Schnittweise, als besonders das groBe Format iiberhaupt, das
die Motive recht deutlich macht, während leider bei manchem anderen Zieralphabet
die reichen Bildvorstellungen Holbeins in einen zu kleinen Rahmen gezwängt wurden,
daß trotz allen Feinschnittes der Wirkung sichtbar Abbruch geschah. Die Alpha-
bete Schneeli Nr. 26 einerseits und Nr. 21 und ı8 anderseits sind hierfür Beispiel
und Gegenspiel.
ı5. Von dem Holzschnittalphabet mit meist einzelnen Kindern, das in der Druckerei
des Ulrich Morhart seit Juni 1522 vorkommt (Jahrb. 1899, S. 253, Beiheft 1907,
Abb. 15), gibt es noch das 2 mit einem liegenden, Schilf umbiegenden Kind, 1526
bei Morhart in Tübingen im Melchior Vattlin (Steiff Nr. 114).
16. Zu Schn. Nr. тт (Ad. Petri, Dezember 1522) ein ©. mit flacher Vase und zwei
Lilien, in Melanchthon in Evang. Joh. Commentarii, September 1523. 8°.
17. Zu Schn. Nr. 23 Tieralphabet ein Y. mit drei Vögeln, in Manuel Moschopulos
bei Walder 1540.
18. Zu dem größeren Metallschnittalphabet (0,026 bis 0,027 im Quadrat), ge-
schnitten von Jacob Faber, das bei Gryphius in Lyon um 1530 auftaucht (Beiheft
1907, Nr. 26), gibt es еіп М in Jacobi Sadoleti in Psalmum ХСШ interpretatio,
'1530, 8°. Dieses Original-M ist in dem М von Schneeli Nr. 37 kopiert.
19. Zu dem 1524 in Augsburg erschienenen Kinderspielalphabet (siehe oben bei
Nr. 7 das vierte der aufgezählten Originalalphabete), gibt es auch ein B. mit zwei
Kindern, deren linkes an sich biegender Stange eine Last (Fischnetz) hebt, das
rechte greift in einen umgehängten Sack; kommt 1542 bei A. Weissenhorn in Ingol-
stadt in Joh. Ecks Apologia pro principibus catholicis vor.
20. Zu dem kleineren Metallschnittalphabet, geschnitten von C. V., das bei Gryphius
in Lyon um 1530 bekannt ist (Beiheft 1907, Nr. 33), gibt es noch das K mit einem
Kettenhund und das Z. mit Bandrollen, beide in Jacob Spiegels Lexikon juris civilis
1541. H. A. Schmid (Jahrbuch 1899, S. 262) vermutete, daß das Alphabet während
Holbeins drittem Basler Aufenthalt (1528— 1532) entstanden sei. Ich fand jedoch
in Drucken, die wohl schon ins Jahr 1525 gehören, bestimmt aber in Augsburger
Büchern vom März 1526 Kopien dieser Initialen, die Holbein demnach noch wäh-
rend des zweiten Basler Aufenthaltes gezeichnet hat.
BERICHTIGUNGEN ZUM BISHERIGEN WERK.
Die Angaben über das Auftreten der allerersten Holzschnitte Holbeins sind weder
bei Schmid noch in meinen Nachträgen vollkommen genau gewesen; die Schuld
daran trägt das etwas undeutliche Kolophon der Frobenschen Ausgabe des Gaza
von 1516 und der verfängliche Umstand, daß die zweite Frobensche Gaza-Ausgabe
vom Juni/Juli 1518 viele Bogen aus der Ausgabe von 1516 wiederverwendet, dar-
unter auch das Blatt mit dem Kolophon. So hielt ich mehrere Schmuckstücke der
zweiten Ausgabe für schon 1516 erschienen. Es kann mich trösten, daß auch der
sehr sorgfältige Zettelkatalog der Basler Universitätsbibliothek die Ausgabe von
1518 unter 1516 katalogisiert hat!). Es erschienen nun tatsächlich als erste Holz-
(т) Demnach sind auch die Angaben über das Erstvorkommen einiger Holzschnitte von Ambrosius
Holbein zu verbessern, und zwar, nach den Nummern meines Verzeichnisses im Beiheft des Jahrbuches
1907 zitiert, folgendermaßen: Nr. 1 kommt erst im August 1517 vor; Nr. 2 erst im Dezember 1517;
Nr. 4 erst im August 1517; Nr. 5 erst im Jänner 1518; Nr. 17 vielleicht schon seit November 1517
396
schnitte Hans Holbeins d. J. in Basel das Titelblatt mit Scävola, bezeichnet H. H.,
im Oktober 1516 bei Froben im Aeneas Platonicus. Darauf der Kindertitel mit der
Bezeichnung „Hans. Holb.“ (Heitz 27) und das Alphabet Schneeli Nr. 1 im November
1516 im Theodorus Gaza, sodann im Dezember das große Kinderalphabet (teilweise
bei Schneeli Nr.2) in Glareans Isagoge in Musicem. Das Breve Leos ad Erasmum,
welches den Titel „Hans Holb.“ und das Kinderalphabet auch enthält, ist nicht
ausdrücklich datiert, vielleicht ergibt sich aber noch aus Korrespondenzen oder ähn-
lichem eine genauere zeitliche Festlegung. Es folgen im März 1517 im Scipio
Carteromachus die Enthauptung Johannis (Heitz 30, eine Ausgabe des Encomium
moriae, welche das Blatt auch enthält, ist nicht bestimmter datiert), ferner im
April 1517 der Lucretiatitel, sodann die Kopie der Venetianischen Bordüre (Pass. 82)
im Mai 1517 im Galeotus usf. — Die Ergänzungen zu dem Kinderalphabet (teil-
weise bei Schneeli Nr. a), gab ich schon im Beiheft 1907, das Мт und Р 2 von
Schneeli Nr. 2 und das O von Schneeli Nr. 3 gehören aber nicht mehr, wie ich
dort noch angab, zu diesem Alphabet. Das P2 und das O sind überhaupt nicht
von Holbein, obwohl das O, welches ein Motiv einer Titeleinfassung von Ambrosius
Holbein wiederholt, ebenfalls bei Froben vorkommt und auch gleich den Buchstaben
des echten Holbeinischen Kinderalphabets von Jacob Faber in Metallschnitt kopiert
wurde (siehe Schn. Nr. 2, O 1). Hingegen bilden das N 1 von Schneeli Nr. 2 mit
dem Wi und W 2 von Schneeli Nr. 3 eine nicht weiter ausgebaute Buchstabenreihe
Holbeins, die bei Adam Petri seit September 1520 vorkommt.
Das Alphabet Schneeli Nr. 43 kommt bei Froben schon seit Februar 1520 vor.
Das Titelblatt mit Judith und Lucretia (Heitz 95) erscheint bei Cratander schon
im Februar 1521 im Lactantius, 4°.
Von den zwei Kopfleisten aus Thomas Wolffs Bibliorum opus integrum 1522, die
Н. A. Schmid im Jahrbuch 1899, S. 253 erwähnt, kommt die eine mit dem in der
Mitte aufgerollten Blattwerk schon bei Froben im Juni 1521, zusammen mit ähn-
lichen Holbeinleisten, in Erasmus Novum Testamentum 4°, vor. (Genf, öffentliche
Bibliothek.)
Der Oktavtitel mit Fortuna, Tod und Landsknecht kommt schon im März 1522
bei Froben vor in Erasmus Epist. nuncup. ad Carolum Caesarem.
in den Adagien des Erasmus, die auf dem Titel die Jahreszahl 1518 tragen, in der Druckanzeige am
Schlusse aber vom November 1517 datiert sind. — Nr. 23 kommt schon seit Oktober 1518 vor; Nr. 24
und 25 schon seit März 1518. — In meinem Verzeichnis fehlt noch die ganze Illustrationsfolge für
Gengenbachs deutschen Hortulus animae von 1519, die ich erst in den Monatsheften für Kunstwissen-
schaft тото, Heft I, dem Ambrosius Holbein zuwies. Hier füge ich dem Werk des Künstlers noch
einen kleinen unbeschriebenen Holzschnitt hinzu, das runde Wappen des Kardinals Hadrianus Chryso-
gonus, in dessen bei Froben in Basel im Juni 1518 gedruckter Schrift De lat. sermone. — Da hier von
Ambrosius Holbein die Rede ist, möchte ich die Anregung aussprechen, ob nicht jemand einmal ge-
nauer untersuchen möchte, ob das Bild des Todes der Maria, Nr. 573 der Galerie der Akademie in
Wien, nicht am Ende mit Ambrosius Holbein in Beziehung zu setzen ist. R. Stiassny dachte (laut
Katalog von 1900) an Nürnberg um 1530, Th. у. Frimmel sagt im 4. Kapitel seiner Geschichte der
Wiener Gemildesammlungen S. 146: Deutscher Meister aus der Gruppe Altdorfers. Wilhelm Suida
(Moderner Cicerone, Wien U S. 33) betont die große Verwandtschaft mit dem Porträt eines jungen
Mannes von 1524 in der gleichen Galerie, das „vom Monogrammisten H. F. (Hans Fries?) aus dem
südwestdeutschen Kreis der deutschen Renaissancemaler herrúbrt und vermutet vom Tode der Maria:
„sollte er nicht von derselben Hand herrühren?“ Allerdings erwähnt Suida bei dem Porträt, daß es
fälschlich Ambrosius Holbein genannt werde, was auch ganz meine Meinung ist, aber ich glaube hin-
gegen garnicht, daß das Porträt und der Tod der Maria eine nähere Verwandtschaft miteinander haben,
als die vermutliche Baslerische Herkunft beider.
397
Das Metallschnittalphabet mit Kinderspielen, das zuerst mit horizontal schrafher-
tem Grund, später auf weiß erscheint (Schn. Nr. 16, А,В,С, Beiheft 1907, Abb. 16
und 17), kommt schon im September 1522 bei Adam Petri in Wessels Farago rerum
theologicarum vor. Es gibt davon zwei verschiedene Ausgaben, beide in der Bas-
ler Bibliothek, aber nur eine enthált einen Buchstaben dieses Alphabetes.
Das Metallschnittalphabet Cratanders, Schneeli Nr. 13 mit weiBem Grund, kommt
schon seit Februar 1523 vor. Die Buchstaben E und V bei Schn. Nr. 13 mit dem
horizontal schraffierten Grund bilden mit Schn. Nr. 15 A, F und Р ein anderes Alpha-
bet, das auf die Druckereien Cratanders, Petris und Bebels verteilt seit September
1523 vorkommt.
Das Alphabet Schneeli Nr. 17, in Metall vom Formenschneider C. V. geschnitten,
ist erst seit März 1525 bekannt, Holbein muß es aber merklich früher gezeichnet
haben, denn in Augsburg kommen schon im August 1524 Kopien vor, die der Form-
schneider C. V. selbst abgezeichnet und geschnitten hat (z. B. in „Der Psalter des
kinigs... Davids, bei S. Ruffen in Verlegung S. Grimms, 4°).
Christi Auferstehung mit Petrus und Paulus an den Seiten, Probedruck, Wolt-
mann Nr. 238 (abgebildet in Hirths Formenschatz 1879). Zur Datierung dieses
Holzschnittes kann vielleicht dienlich sein, daß eine Kopie bei Wendelin Rihel in
Straßburg in einem Druck mit Vorrede von 1539 vorkommt: „De Ec- /clesiae au/
toritate, & de vete- /rum scriptis li-/bellus./Autore / Philip. Melanch. /...“ 8° (Zürich,
Stadtbibliothek).
Zu zwei Holzschnitten Holbeins möchte ich noch Bemerkungen über ihren Inhalt
machen. Das berühmte Blatt „Christus das wahre Licht“ scheint mir im engsten
Anschluß an Wilhelm Farells aufsehenerregende Basler Disputation entstanden zu
sein und die Darstellung sollte, wenn man sie an diesem Anhalt prüft, strenger
genommen „Das evangelische Licht“ heißen. Die Datierung von Schmid (Jahrbuch
1899, S. 255) „vor Mitte 1523“ würde so auf Frühjahr 1524 verschoben. — Der
Holzschnitt vom Domherren im Totentanz, der in der Originalausgabe unter der
vortrefflich passenden Überschrift „Ecce apropinguat hora“ steht, in den Basler
Probedrucken unter der Überschrift „Der Thumherr“, geht auf den Text des Narren-
schiffes zurück; zwar nicht auf Sebastian Brants Originaltext, aber auf die inter-
polierte Straßburger Ausgabe von 1494. Das Kapitel 44 „Gebracht in der kirchen“
beginnt in Brants Original:
„Man darfí nit fragen, wer die sygen
By den die hund jun kylchen schrygen
So man meß hat, predigt vnd singt
Oder by den der habich schwyngt
Vnd dut syn schellen so erklyngen
Das man nit betten kan noch syngen...“
Dazu schaltet der Straßburger Nachdruck wenige Zeilen später einige Verse ein,
welche dies weiter ausspinnen, die nach Zarnckes Ausgabe zitiert so lauten:
„Ich gtar von thumherren nüt sagen
Die in den chor ir vögel tragen
Als wollten si bim altar iagen
Vnd meinen es soll schaden nüt
Die will sie sint geboren lüt
So stand dem adel gar vil zu
398
Das ег billicher dan andere du
Ich wust gern was sie wolten sagen
Wan der tüffel hin weg wurdt tragen
Den edelman der inn in lyt
Wo blib der tumherr vff die zyt,
Ich vórch sin adel schirmbt in nüt.“
Auf Holbeins Holzschnitt folgt dem Domherrn beim Eintritt in die Kirche ein
Falkner mit dem Falken und in deutlicher Anspielung ein Narr mit der Schellen-
kappe. Der Tod mit der Sanduhr führt den Domherrn ein, dem ungefähr das
Schicksal wartet, wie es das Gedicht in seiner verfänglichen Frage in Aussicht
stellt. Ist hier eine Textstelle des Narrenschiffes anregend gewesen, so hat beim
Holzschnitt der Schlemmer in den Totentanzergänzungen die berühmte Narren-
schiffillustration der Völler und Prasser bei zwei Figuren ihre sichtlichen Spuren
hinterlassen, selbstredend nicht formal, sondern nur in der Auffassung.
MÖGLICHE ZUWEISUNGEN.
Unter dieser Überschrift sei zunächst eine Gruppe von dekorativen Holzschnitten
aus der Zeit vor Lützelburgers Schneidetätigkeit in Basel zusammengefaßt, die,
soweit sie überhaupt Anhalt für ihr unsprüngliches Erscheinen bieten, auf die Offizin
des Valentin Curio weisen. Die meisten Stücke dieser Gruppe wurden in der
älteren Fachliteratur schon Holbein zugewiesen, in H. A. Schmids Verzeichnis von
Holbeins Basler Schnitten sind sie aber alle weggelassen. Daß die Stücke in
Holbeins allernächste Nähe gehören, sogar im weiteren Sinne in sein Werk, scheint
mir nach genauer Prüfung nicht mehr zweifelhaft, wie weit die strenge Echtheit
aber im einzelnen geht, ist eine schwere Frage. Bedenken erregt in erster Linie,
daß in einem Stück dieser Gruppe ein eigenes Motiv Holbeins so genau kopiert vor-
kommt, wie man es bei dem Künstler sonst nicht gewohnt ist, denn es handelt
sich nicht etwa um eine der sonst häufigen Variationen. Ferner fällt an der
Gruppe die große Menge Entlehnungen aus Burgkmair auf, spricht aber an und
für sich nicht gegen Holbeins Urheberschaft. Manches, besonders die Querleiste
mit den zwei Ranken biegenden nakten Figuren, ist so gut und stimmt so schön
mit allgemein als echt anerkannten Holzschnitten überein, daß ich keinen Grund
finde, warum man z. B. dieses Stück nicht für vollkommen echt anerkennen sollte.
Daß ich mit einem definitiven Urteil über die ganze Gruppe noch zurückhalte, hat
darin seinen Grund, daß alle Stücke mit nur einer Ausnahme erst ziemlich nach
ihrer Entstehungszeit zur Verwendung kamen, einige erst Jahrzehnte später, wodurch
die äußeren Anhaltspunkte wegfallen, und daß die einzelnen Stücke augenscheinlich
Fragmente sind, von deren ursprünglichem Zustand, vielleicht als Teile einer grö-
Beren Holzschnittdekoration, ich mir einstweilen kein Bild machen kann.
Die Gruppe besteht aus folgenden Stücken:
Aı. Horizontale Zierleiste mit zwei nackten Figuren, welche Ranken mit Füll-
hornendungen unter ihren Armen durchbiegen, an der linken, rechten und oberen
Seite Reste von Einfassungsstrichen, zuerst bekannt aus Valentin Curios Strabo-
ausgabe vom März 1523, als Buchschmuck abgebildet in Paul Mantz Holbein-Werk
und in L’Art pour tous 1861 Nr. 111, daselbst auf Seite 68 als Holzschnitt aus
Holbeins Jugendjahren bestimmt.
A 2. Horizontale Leiste, Curtius stürzt sich, nach links gerichtet, in das Loch,
hinten links fünf zuschauende Herren, außen Vasen, unten Feston. An drei Seiten
399
von einfachem Strich eingerahmt, unten offen, zuerst aus Sebastian Münsters deut-
scher Basler Kosmographie von 1578 bekannt, noch unbeschrieben.
A 3. Horizontale Leiste, in Mitte leerer Schild, rechts von einem Krieger, links
von einem nackten Mann gehalten, auBen je ein Putte, der in ein Fiillhorn blast;
eingerahmt wie A 2, zuerst aus Miinsters deutscher Basler Kosmographieausgabe
von 1592 bekannt, unbeschrieben.
Die drei Leisten bilden eine Folge und haben gleiches Format, 0,142 bis 0,144 m
Breite und 0,045 bis 0,046 m Höhe. Die erste ist ausgezeichnet erfunden, der Stil
der Zeichnung stimmt aufs engste zu dem ebenfalls aus Curios Offizin seit 1521
bekannten Holzschnitt in Quartformat mit der Geschichte des Tantalus, in flotter
Bewegung übertrifft die Leiste sogar dieses Titelblatt und steht darin dem Crassus-
titel (Curio seit Februar 1522) und dem Alphabet Schneeli und Heitz Nr. 28 (Curio
seit März 1522) noch näher. — Die Curtiusleiste macht durch die fünf steifen
Hintergrundsfiguren zunächst einen primitiven Eindruck, so daß man an Arbeiten
Holbeins vor seinem Luzerner Aufenthalt erinnert wird, die Hauptfigur des mit dem
Roß zusammenbrechenden Curtius ist hingegen treff lich und die Schnittechnik läßt
darüber keinen Zweifel, daß die Holzschnittausführung in die Zeit von etwa Jänner
1521 bis Anfang 1522 gehören wird, zudem findet man in der seit September 1521
bekannten Version B der Kebestafel kleine Figuren, die kaum besser sind, als die
fünf im Hintergrund. Das Pferd ist, wie der Vergleich mit dem Roß auf dem
Holzschnitt des heiligen Martin (August 1520) zeigt, echt Holbeinisch, auch sieht
man das gleiche Spiegellicht auf dem mächtigen Hals und am Oberschenkel. Vom
September 1523 ist ein Metallschnittitel Holbeins in Oktavformat, ebenfalls mit dem
Todessprung des Curtius, bekannt, die Gruppe von Roß und Reiter ist in beiden
Fällen recht ähnlich, aber abgesehen von der im einzelnen besser ausführenden
Zeichnung des Metallschnittes ist die Hauptsache, der Sturz des Reiters, in der
Holzschnittleiste sogar energischer und richtiger gegeben, denn der Curtius des
Metalischnittes ist nach einem Reiter auf steigendem Pferd, der noch Zügelführung
hat, studiert, wie man nach entsprechender Drehung des Blattes sogleich sieht, im
Holzschnitt hat er aber den Sitz im Sattel verloren und ist nur hier ein wirklich
nach vorn stürzender Reiter, wie schon das charakteristische Ausgleiten von rechter
Hand und Schulter zeigt.
Die Leiste mit dem Schild zwischen Krieger und nacktem Mann kopiert in ihrer
mittleren Partie, die seit November 1520 bekannte untere Leiste mit Frobens
Druckerzeichen, Basler Büchermarke Nr. 41, aus einem Holbeinschen Metallschnitt-
titel in Oktavformat, und zwar genau, nur befinden sich die Gestalten der Holz-
schnittleiste etwas weniger in Schräglage, der Schild hat hier strafíere Formen
und das Pflanzenornament ist bei Gleichheit der allgemeinen Anordnung im einzelnen
überlegter und besser gezeichnet und besonders dem Stil der Ornamentik angepaßt,
wie sie überhaupt in der hier besprochenen Holzschnittgruppe herrscht, besonders
in der gleich im Folgenden auszuführenden Querleiste mit Medaillon. Unsere
Holzschnittleiste kopiert aber die Metallschnittleiste mit dem Zeichen Frobens nicht
in allen Teilen, denn die Postamente mit den kleinen Reliefbildern, die sich im
Metallschnitt außen neben dem Krieger und dem nackten Mann befinden, sind im
Holzschnitt durch ein Paar sitzender, blasender Putten ersetzt, die sich mit der
Rundung ihrer Füllhörner den Mittelfiguren vorzüglich anschließen. Diese Putten,
so echt Holbeinisch sie in ihren Formen und im Stich der Zeichnung anmuten
sind in der Stellung zweifellos Kopien aus dem reichen architektonischen Rahmen
400
von Hans Burgkmairs Holzschnitt des Planeten „Venus“.!) Bei Burgkmair sitzen
sie ohne Trompeten unter halben Rundbogen, die Art, wie schön sich der Be-
wegungseindruck dieser Bogen in den Schwung der Fiillhorntrompeten auf unserem
Holzschnitt umsetzt und damit den AnschluB an die Riicken der mittleren Figuren
findet, ist fiir die Beurteilung der Echtheitsfrage der Leiste wichtiger, als der Ein-
wand, daB iiberhaupt fremde Motive darin kopiert sind.
Allen drei besprochenen Holzschnittleisten ist die merkwiirdige Anlage eigen, daB
sie an drei Seiten mit gerader Linieneinfassung abgeschlossen sind, nach unten
aber offen mit geschwungenen Ornament- oder Festonformen enden. Die gleiche
Anordnung kommt in dem bis jetzt fiir echt anerkannten Schnittwerk Holbeins
wenigstens einmal in der Querleiste mit der Bergpredigt vor, die bei Froben seit
November 1520 bekannt und in anderer Technik und anderem Format ausgefiihrt
ist als unsere drei Holzschnittleisten. Diesen reihen sich, in Stil und Format ähn-
lich, vier in Holz geschnittene zusammengehirige Querleisten an:
В 1. Horizontale Ornamentleiste mit zwei Sirenen, welche mit Blattwerk, das
ihre Arme ersetzt, an Ringen zwischen sich ein Medaillon halten, worin ein bär-
tiger, behelmter Kopf nach rechts sieht. Die Leiste ist 0,137 m breit, die Höhe,
bei allen vier Leisten gleich, beträgt 0,032 m; die Leiste hat seitliche und untere
Linieneinrahmung und wurde von Butsch auf Tafel 49 der Bücherornamentik schon
als Holzschnitt Holbeins abgebildet. Alle vier Leisten sind zuerst aus Valentin
Curios Strabo vom März 1523 bekannt.
B 2. Horizontale Zierleiste mit zwei über Füllhörnern nach außen stehenden
Sphinxen, in der Mitte Vase mit drei Kinderköpfen, seitlich einfache Linieneinfassung,
Format wie B. ı, von Butsch gleichfalls als Holbein abgebildet.
B 3. Horizontale Leiste, die in den Ausbuchtungen des Ornaments Trophäen
gelagert hat, links mit Helm, rechts mit Harnisch, in der Mitte oben ein geflügelter
Kinderkopf, seitlich einfache Linieneinfassung, oben vielleicht Reste von solcher.
Das 0,143 m breite Zierstück wurde in P. Mantz Holbein-Werk als Buchschmuck
und in L’Art pour tous 1861 Nr. 109 abgebildet, daselbst Seite 68 auch als Holzschnitt
aus Holbeins Jugendjahren bestimmt.
(1) Dieser Rahmen Burgkmairs und sein unterer Puttenfries sind sehr häufig kopiert worden, manch-
mal mit Teilen aus Burgkmairs Umrahmung um seinen Holzschnitt „Die Sterck“ verbunden, z. B. in
einem Qarttitelblatt 1514 bei Knobloch in Straßburg sowie in dessen genauer Kopie (oder Vorlage) bei
Anshelm in Tübingen 1515. Auch die linke Seitenleiste des einen Titelblattes in Anshelms Hagenauer
Plinius von 1518 ist Kopie nach diesem Rahmen Burgkmairs. Am wichtigsten ist die Metallschnitt-
kopie in einem Pariser Oktavtitelblatt, das ich aus Baptistae Platinae vita summorum pontificum,
Paris 1530, bei Johannes Parvus und Petrus Vidoveus, kenne und im ersten Heft des Jahrganges 1910
der Monatshefte für Kunstwissenschaft als im weiteren Sinn in Holbeins Werk gehörend genannt habe;
der Metalischnitt, von der Hand des Jakob Faber ausgeführt, ist natürlich wesentlich früher als 1530
entstanden. Der Burgkmairsche Rahmen wurde hier in der Hauptsache recht abhängig kopiert, nur
mit der charakteristischen Eigenheit Holbeins, daß die gleichbreiten Seitenleisten des Originals in
eine schmale linke und erheblich breitere rechte Leiste abgeändert wurden. Der Kinderfries am Sockel
des Pariser Titels enthält in der Gruppe des Apfel haltenden Kindes umkreist vom Reigen der anderen
noch eine sichtliche Erinnerung an das gleiche Motiv auf dem Rahmen Burgkmairs, verbindet aber
damit zahlreiche andere Gruppen aus einer Basler Handzeichnung Holbeins mit 25 spielenden Kindern
(Woltmann Nr.61). Da in der Handzeichnung das Motiv des Apfel haltenden Kindes schon ganz ver-
wischt ist, so ist vielleicht der Kinderfries des Pariser Titels der von Burgkmair angeregte Übergang
zu der Basler Handzeichnung, einen zeitlichen Abstand will ich damit aber nicht behaupten, denn die
Kinder des Titelblattes sind ebensogut wie die der Handzeichnung. Auf jeden Fall ist jetzt die nahe
Zugehörigkeit des Pariser Titels zu Holbein bewiesen.
401
B 4. Horizontale Leiste, zwei bärtige Tritonen langen mit je einem in Pflanzen-
werk iibergehenden langem Arm in eine mittlere Vase; Reste von Einfassungs-
strichen an allen vier Seiten, 0,142 m breit, noch unbeschrieben.
Die Leisten Br und Ba, die mit dem Medaillon und die mit den Sphinxen,
sind deutliche Entlehnungen aus der äußeren schwarzgrundigen Umrahmung um
Burgkmairs allegorischen Holzschnitt: „Die Sterck“, nur die Mittelstücke beider
Leisten stammen nicht aus dem Vorbild. Auch hier scheint die Art der Um-
zeichnung, besonders des dünnen Burgkmairschen Rankenwerks in fleischige
Pflanzenornamente, mehr für Holbeins Künstlerhand zu sprechen, als der Gegen-
einwand, daß überhaupt kopiert wurde, bedeutet. —
Ст. C2. Butsch bildete in seiner Bücherornamentik auf Tafel 49 auch einen
intarsierten eleganten Pilaster mit Kapitell, in dem zwei Widderköpfe und ein
Engelskopf vorkommen, als Holzschnitt Holbeins ab. Man findet diesen Schnitt
ebenfalls in Curios Strabo-Ausgabe von 1523, er ist aber daselbst und in der Re-
produktion bei Butsch nur fragmentarisch, denn es gehört ein Postament dazu mit
dem Relief eines nackten Weibchens, hinter dem ein Mann steht. Außerdem gibt
es ein unbeschriebenes Gegenstück, ein intarsierter Pilaster mit Medaillon, Musik-
instrumenten und Waffen, am Postament die hübsch bewegte, echt ansprechende
Gestalt eines römischen Kriegers. Die beiden jetzt vollständigen Seitenleisten in
der beträchtlichen Höhe von 0,275 m sind wohl nur die seitlichen Teile einer einst
kompletten Titeleinfassung; ich kenne die Leisten nur aus einem Basler Disputations-
Programm, Einblattdruck von 1575 aus der Frey-Grynaeischen Büchersammlung,
jetzt in der Basler Universitätsbibliothek: „De / Vera Ecclesia, / Disputatio: / In
celeberrimo / ac inclyto Basiliensium Ar- / chigymnasio habita: ...Joannes Baptista
Meccardus, Augusta- / nus... M.D. LXXV...“, folio.
Mit der bisher behandelten Gruppe Һапрї der von Passavant als Nr. 93 Holbein
zugewiesene Holzschnittitel mit dem Tod der Lucretia unten und Valentin Curios
Zeichen oben (Basler Druckermarke 107), seit Juni 1522 bekannt, nah zusammen.
Nach Woltmann ist auch hier eine Burgkmairsche Vorlage kopiert; ohne dieselbe
gesehen zu haben, тий ich mich eines Urteils tiber Echtheit enthalten. — Der
Holzschnitt des sogenannten Molochopfers, aus der Kosmographie Sebastian Miinsters
von 1578 bekannt, von Passavant als Nr. 36 Holbein zugeschrieben, steht stilistisch
der hier besprochenen Gruppe ebenfalls nahe. Die den Aufbau bekrónende Figur
ist auch nach fremder Erfindung gezeichnet, begegnet iibrigens im Holbein-Werk
auch in dem Buchstaben O des Alphabetes Schneeli und Heitz Nr. 28; im Relief
der Opferszene, deren Motiv in vereinfachter Weise schon seit November 1520
auf der Frobenschen Druckermarke Nr. 41 bekannt ist, scheint manches fliichtig
gezeichnet und im Eindruck des Schnittes leer, aber die große Schönheit des
ganzen Aufbaues und der Zeichnung der zwei Kinder iiberwiegt das doch alles
bedeutend. Ich halte es fiir hóchst wahrscheinlich, daB Passavant richtig geur-
teilt hat.
Der friiheste Termin, an welchem ich die Entstehung der Zierleisten A bis C,
besonders nach der darin herrschenden Bewegung beurteilt, für möglich hielte,
wäre die Entstehungszeit des seit August 1520 bekannten Oktavtitels in Holzschnitt
mit dem Zeichen Cratanders (Basler Büchermarke Nr. 93), aber die Holzschnitt-
technik ist um diese Zeit, auch wenn man den günstigeren hl. Martin dem Ver-
gleich zu Grunde legt, doch noch anders. Eine in der Hauptsache gleiche Schnitt-
ausführung findet man hingegen seit dem Signet des Thomas Wolff mit dem
schweigenden Philosophen (Basler Büchermarke Nr. їз), das seit Jänner ı521 be-
402
kannt ist, und alle Eigenheiten der Zeichnung und des Schnittes, besonders das
Wirken mit einzelnen kurzen starken Strichen und Punkten in der Zeichnung des
Nackten, findet man am iibereinstimmendsten auf dem Quarttitel mit der Geschichte
des Tantalus und dem Zeichen Curios (Basler Druckerzeichen Nr. 106), der vom
Jahre 1521 bekannt ist, leider ohne genauere Monatsdatierung. Die schönen Holz-
schnitte, die bei Curio im Februar und März 1522 erschienen sind, dürften dann
schon die rückwärtige Zeitgrenze sein. Am wahrscheinlichsten halte ich eine Da-
tierung von Mitte 1521 bis Anfang 1522; Curio, der seit Anfang 1521 druckt, kann
und wird demnach auch der Besteller dieser Zierstücke gewesen sein. —
Vier Buchdruckerzeichen des Johann Hervagen in Basel von 1531 und 1532,
nämlich die Büchermarken Nr. 139, 126, 127 und 128, die schon alle Holbein zu-
und abgesprochen worden sind, möchte ich im Zusammenhang mit gleichartigen Ar-
beiten in der Fortsetzung meiner Veröffentlichung über Holbeins Holzschnitte für
Sebastian Münsters Instrument beider Lichter behandeln. Für die Beurteilung von
Nr. 127 und 128 sind eben durch diese neuen herrlichen Holzschnitte andere
Grundlagen gewonnen worden, speziell von Nr. 128 bin ich überzeugt worden und
anerkenne darin eine direkte Vorzeichnung Holbeins, die vom Formschneider V. S.
in Holz geschnitten wurde; Nr. 127, im gleichen Jahr erschienen, kann von Nr. 128
aber nicht mehr getrennt werden. —
In Pariser Drucken der ı520er Jahre, die mit Petrus Vidoveus zusammenhängen,
kommt ein Signet mit nackter auf dem Meere schwebender nach oben zeigender
Frauengestalt in reichem architektonischen Rahmen vor (0,055 breit, 0,081 hoch),
das bestimmt vom Basler Formschneider C. V., der so viel für Holbein gearbeitet
hat, geschnitten wurde. Da Petrus Vidoveus mehrfach Basler graphische Arbeiten in
Pariser Druckereien eingeführt hat, so ist wahrscheinlich, daß auch die Vorzeich-
nung für dieses Signet aus Basel stamme. Ob man dabei an Holbein denken
dürfe, will ich nur von fern andeuten und nichts weiter, weil es mehrere Varianten
gibt, deren zeitliche Verhältnisse mir noch nicht genau genug bekannt sind.
EINE UNRICHTIGE ZUWEISUNG. DER MEISTER С. 5.
Der Basler Holzschnitt seit Holbeins dauerndem Weggang nach England, also nach
1532, ist noch wenig untersucht worden, daraus erklärt sich die große Unsicherheit
bei Zuweisungen von Holzschnitten aus jenen Jahren, besonders wenn sie von
Gelehrten vorgenommen werden, die nicht Kunstforscher von Fach sind. So hat
Victor Hantzsch in seinem Leben Sebastian Münsters!) auf Seite 76 erwähnt, daß
auf der Schweizer Karte des Gilg Tschudy, welche Münster im Jahre 1538 uner-
laubterweise herausgegeben hatte, prächtige Randleisten vorkommen, welche ver-
mutlich von Holbein herrühren. Diese Vermutung ist nicht richtig. Die äußere,
die Kantonswappen enthaltende Bordüre der Tschudy Karte, die wir ja nur in der
Ausgabe von 1560 erhalten haben, ist stilistisch im Jahre 1538 nicht gut denkbar,
sie wird also eine Zutat von 1560 sein, aber die innerhalb, auf der eigentlichen
Karte, als seitliche Einfassung des Textes von Lycosthenes angebrachten zwei Zier-
leisten mit je einem Kinderkopf zwischen zwei Voluten sind ihrem Stile nach
sicher zur Zeit der ersten Ausgabe (1538) gemacht worden. Diese sind nun das
Werk eines in Basel vielfach beschäftigten aber bisher noch gar nicht erkannten
Meisters, der sehr wohl zu Holbein im Schülerverhältnis gestanden haben kann,
und diesem besonders im Anfang der 1530 er Jahre sich wieder merklich zu
(1) Abhandlungen der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, ı8. Bd. phil.-hist., 1898.
403
náhern scheint, und ich wiirde mich nicht wundern, wenn man in ihm noch eines
Tages den von mir schon mehrmals vermuteten Helfer bei einigen nicht ganz
authentischen Holzschnitten Holbeins erkennen sollte. Da einzelne seiner Holz-
schnitte auch schon früher (Passavant, Rumohr) fälschlich Holbein zugewiesen
wurden, so scheint es mir angezeigt, um ähnlichen Verwechslungen vorzubeugen,
diesen Künstler durch den Umriß seines Werkes hier einmal festzustellen, sicher be-
kannt sind wenigstens seine Initialen, es ist der Monogrammist С. S. der No-
titia dignitatum, wie man ihn zum Unterschied von den allzuvielen und noch
so wenig unterschiedenen Monogrammisten C. S.!) einstweilen nennen mag, das
heißt der mit dem verschlungenen Monogramm C.S. unterzeichnende Illustrator der
in Basel 1552 erschienenen Ausgabe der Notitia dignitatum. (Nagler, Monogrammisten
Nr. 3987.) —
Ein ziemlicher Teil des graphischen Werkes dieses Meisters C. S. besteht in
Umzeichnungen nach fremden Vorlagen, worin er seinen persönlichen Geschmack
dennoch sehr deutlich auszuprägen weiß. Gelegentlich hat er auch bei Holbein-
schen Motiven, besonders aus dessen Initialen, reichliche Anleihen gemacht, trotz-
dem ist er ein Mann von ausgeprägter Eigenart, der sich seine Hand zu einem
sicheren, sich längere Zeiten hindurch gleich bleibenden Strich erzogen hat. Der
Grundzug seiner Zeichnung ist etwas stark robust, dem Derben sich nähernd.
Eine bezeichnende Eigenheit, an der man ihn, wenn man sie einmal erfaßt hat,
(1) Einen kleinen Beitrag zur Abgrenzung des Werkes jener Monogrammisten C.S., die bald als Meister
Christoph von Straßburg, bald als Christoph Stimmer und Christoph Schweitzer gedeutet werden, kann
ich hier aus meinen Untersuchungen über den Basler Formschnitt geben. Nagler zählt bei Nr. 669 der
Monogrammisten unter dem Namen des Christoph Stimmer auch Städtebilder der Kosmographie Sebastian
Münsters auf, darunter die Ansicht von Weißenburg. Das C. S. auf diesen Städteansichten ist jedenfalls
in den meisten, wenn nicht gar in allen Fällen, nur Formschneiderzeichen des Straßburger Form-
schneiders Meister Christoph, worin ich den Untersuchungen Heinrich Alfred Schmids über den Meister
Christoph (in Hiller von Gaertringen: Die Insel Thera, Berlin 1899) nur beistimmen kann. Von der
Ansicht von Weißenburg, die mit den Buchstaben C. S. und dem Schneidemesserchen versehen ist,
bin ich gewiß, daß die Vorzeichnung von Conrad Morant herrührt. Dies ergibt sich aus der voll-
kommenen Stilgleichheit der Weißenburger Ansicht mit dem (kleineren) Holzschnitt der Straßburger
Münsterfassade, der mit der Jahreszahl 1548 und ebenfalls den Buchstaben C.S. sowie dem Schneide-
messerchen und dem Klóppel versehen doch ein gesichertes Werk des Zeichners Conrad Morant ist.
Letzteres erhellt daraus, daß eine Kopie (oder Wiederholung?) in größerem Format, die mit dem Form-
schneiderzeichen М. Н. aber mit keiner Jahreszahl versehen ist, am Ende ihres beigedruckten Textes
über die Geschichte des Münsterturmes aussagt: „Anno 1548 hats Conrat Morant von Basel, Burger
zu Straßburg dem lieben Vatterland zu lob, vnd allen werckmeisteren Deutscher Nation zu besondern
wolgefallen, abconterfät.“ Der Ausdruck „hats Conrat Morant“ und das Vorkommen der Jahreszahl
1548 nur auf dem kleineren (bei Nagler fehlenden) Holzschnitt der Münsterfassade entscheidet dem-
nach, daß diese kleinere Ansicht das gesicherte Werk Morants ist; außerdem stimmt diese Ansicht
auch im Stil mit dem großen Holzschnitt der Vogelschau auf die Stadt Straßburg aus demselben Jahr
überein, der als Werk des Malers Conrad Morant durch Beischrift gesichert ist (abgebildet in Seyboth:
Das alte Straßburg), ja sie gehörte offenbar zu dieser Vogelschau von Straßburg. Zwei sichere Vor-
zeichnungen Morants sind auch die sogenannten Ansichten von Calydon und Thessalonike (tatsächlich
eine Ansicht aus Basel) in Gerbels praefatio zu Sophianos descriptio Graeciae, in Basel bei Oporin
1545 erschienen.
Die kleinere Ansicht der Straßburger Münsterfassade sah ich im Kupferstichkabinett des Klosters
Lambach in Oberösterreich, die größere in der Albertina in Wien. Conrad Morant, der aus Basel
stammende und auch für Basel tätige Künstler, fehlt übrigens im neuen Schweizer Künstlerlexikon,
ebenso der ,,Georgius Basiliensis formularum sculptor“, der in alo 1538 titig war (Werke desselben
in der Wiener Hof bibliothek).
404
leicht erkennt, ist eine anffallende Zeichnung der Augenpartien; dort und an den
Nasenfliigeln liebt er auch dicke Striche, so daB die Gesichter manchmal um Augen
und Nasen verschwollen erscheinen, ja der Panther auf einer Ptolemäuskarte sieht
fast aus, als hätte er eine Brille auf. Im Ganzen ist seinen Gestalten ein groß-
zügiges Wesen eigen und das Zeichnen ist ihm jedenfalls flott von der Hand ge-
gangen, er gehört unter den deutschen Illustratoren seiner Zeit schon zum guten
Mittelstand. Für einen Basler Künstler, dessen Tätigkeit unmittelbar auf die Hol-
beins folgt, ist vielleicht seine Ornamentik am wenigsten befriedigend. Holbeins
Einwirkung beherrscht den Meister C. S. übrigens durchaus nicht, innerlich ist
er ihm auch nicht gerade wahlverwandt. Ich zähle im Folgenden von seinen in
Basel erschienenen Holzschnitten nur die wichtigeren, und nur, was ich für aus-
reichend gesichert halte, auf, denn es ist hier nicht meine Absicht, sein Werk aus-
führlicher zusammenzustellen, doch ich stelle diese Arbeit in Aussicht und würde
sie mir gern gesichert wissen. —
Die früheste ganz sichere Arbeit aus Basler Drucken sind zwei Inschrifttafeln in
Art ornamentaler Holzbildhauerei, die 1534 in der von Bebel und Genossen ge-
druckten Biblia hebraica Sebastian Münsters vorkommen, später mehrfach auf den
Landtafeln „Frankenland“ und „Schwabenland“ in Münsters Cosmografie-Ausgaben.
Sehr wahrscheinlich sind aber schon die beiden Basler Signete Adam Petris, später
Henricpetris, Nr. 69 und 72, vom Jahr 15271) und der damit vollkommen gleiche
Holzschnitt einer Scheibe der zwölf Monate mit Landschaft und Ruderschiff innen
im Kreise, der im gleichen Jahre 1527 in Sebastian Münsters Kalendarium hebraicum
erschien, von unserm Meister C. S.; ebenso wahrscheinlich die einfachen architek-
tonischen Einrahmungen der „Canones“ in Frobens Oktavausgabe von: Novi testa-
menti editio postrema von 1530 (Exemplar Stiftsbibliothek in Kremsmünster), später
auch in den Ausgaben von 1532 und 1535. Im Jahr 1536 erschien von ihm bei
Henricpetri die Titelillustration in Sebastian Münsters Organum Uranicum mit
vier schwebenden Putten, welche eine Planetenscheibe drehen. Dieser Holzschnitt
legt es nahe, auch bei den seitlichen und unteren Randleisten?) des bei Henric-
petri gedruckten Wandkalenders Sebastian Münsters für 1533, an den gleichen
Zeichner zu denken.
Möglicherweise fällt noch ins Jahr 1536 der Großteil der Illustrationen der „No-
titia dignitatum“, von denen zwei mit den verschlungenen Buchstaben C. S. be-
zeichnet sind. Die Ausgabe der Frobenschen Offizin ist zwar erst von 1552 be-
kannt, man sieht aber aus dem Vorwort, daß sie erheblich früher vorbereitet
wurde, denn es heißt dort, daß Beatus Rhenanus (+ 1547) Worterklärungen dazu
hätte liefern sollen, der aber, weil er zögerte, von der unvollendeten Arbeit weg-
starb. Jedenfalls ist die eine signierte und besonders gute Illustration eines sitzenden
Mannes, der Füllhorn und Standarte hält, in der Standarte datiert: „Provincia Pa-
lestina M. D. XXXVL“ Von der ganzen Fülle großer und kleiner Illustrationen der
Notitia gehören nur die auf Blatt 3, 4 und ı2 einer anderen Richtung, etwa der
des Hans Rudolf Manuel Deutsch an, alle anderen sind vom Meister C. S. ge-
zeichnet?); die letzte, nämlich das Zwiegespräch zwischen Kaiser Hadrian und dem
Philosophen Epictetus, scheint mir von etwas anderem Schnitt zu sein, darin den Illu-
(x) Die Bathseba im Bade, die ich in Zeitschrift für Bücherfreunde ХП, S. 443 mit diesen Signeten
in Zusammenhang brachte, verdient tatsächlich alle Beachtung.
(2) Teilweise abgebildet im Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde, Jahrg. 1909.
(3) Nagler, Monogr. Nr. 3987 trifft keinen Entscheid über die Illustration der Notitia im allgemeinen
und sagt bloß: „Die Notitia haben mehrere gute Holzschnitte, aber nur zwei tragen das Zeichen“.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 9 28 405
strationen der Cosmographie (siehe unten) verwandter. Im Jahre 1537 erschienen
dann bei Froben die 29 Illustrationen zur Quartausgabe des Bayfius, im gleichen
Jahre bei Westhemer und Brylinger im Maturinus Corderius (Ex. Lausanne) das
Signet des erstgenannten Druckers Nr. 15ga, und demnach ist wohl auch das seit
1536 bekannte Signet Nr. тбо vom Meister С. S.
Das Jahr 1538 brachte die große Arbeit an Gilg Tschudys Schweizerkarte, sowohl
die Karte selbst als deren vier ornamentale Inschrifttafeln und die zwei Zierleisten
mit Kinderköpfen, ferner ein von Hervagen und Froben verwendetes Alphabet
(doppelte Einfassung, Grund hor, schreft, 0,018 bis 0,019 im Quadrat) von 23 Buch-
staben mit einzelnen Kindern, Sirenen, Ornamenten, bei A ein Stein stoßendes Kind,
das C mit liegenden Hirschen, im O ein auf den Händen stehendes nacktes Kind.
Im gleichen Jahre erschien in Alciatus Parergon bei Hervagen und Froben der
große Holzschnitt einer Fahnen haltenden Dame neben einem Wappen, den ich
früher (Zeitschrift für Biicherfreunde XII, S. 445) fälschlich der Richtung des Mono-
grammisten Н. O. zuwies.
Von 1539 seien genannt der Holzschnitt eines Mannesoberkórpers, der eine
Scheibe hält, in Frobens Tertullian in Folio, 1550 wiederholt, ferner ornamentale
Leisten, mit zwei Kindern neben einem Schild bei Lasius, mit Kandelabersáulen
bei Frieß und das Signet des Wolfgang Frieß (abgebildet in der Zeitschrift für
Biicherfreunde ХП, Nr. 223), sodann die beiden Druckermarken Brylingers Nr. 168
und Nr. 175, endlich ein in verschiedenen Druckereien Basels verwendetes Alpha-
bet zahlreicher Buchstaben (doppelte Einfassung, weißer Luftgrund), vielfach mit
Kopien nach Holbein, im O sitzt ein Kind, das am Finger saugt, im P ein Knabe
mit einem Streichinstrument, im Or einer mit einer Laute, im О 2 liegt ein
Hirsch. | |
1540 erschien bei Henricpetri wieder ein großes Holzschnittwerk, an dem der
Künstler in den letzten 1530er Jahren gewiß reichlich zu tun hatte, ich meine die
gesamten Holzschnitte für Sebastian Münsters Ausgabe der Geographie des Ptole-
mäus, soweit sie in diesem Buche neu auftreten, also im einzelnen: Titelblatt mit
Fackel haltenden Kiegern hinter Säulen, einst von Rumohr und von Passavant
Nr. 125 für Holbein angesprochen und die von denselben Autoren (Pass. Nr. 126)
ebenfalls Holbein zugewiesenen zwei Seitenleisten, worin auf Säulen oben je ein
Knabe eine große Kugel rollt, ferner folgende Landkarten mitsamt ihrem ornamen-
talen und figürlichen Schmuck: Typus universalis — Typus orbis a Ptolemaeo de-
scriptus — Tabulae Europae I. bis X. — Tabulae Africae I. bis IV. — Tabulae
Asiae I. bis ХП. — Tabula nova prima, Europa — Gallia, nova tabula IV. —
Germania, nov. tab. VI. — Suevia et Bavaria n. t. XI. — Franconia n. t. ХП. —
Polonia n. t. XV. — Terra sancta n. t. XVI. — Novae insulae n. t. XVII. — Africa
n. t. XVIII. — India n. t. XIX. — Lacus Constantiensis n. t. XX. — Vom Jahr 1540
wären noch das Buchdruckerzeichen Henricpetris Nr. 76 und ein Alphabet von
20 Buchstaben bei Hervagen zu nennen (doppelte Einfassung, kar. schraff. Grund,
0,042 im Quadrat), das biblische Bilder und Herkulestaten in freier Anlehnung an
Holbeins 'Alphabet (Schneeli und Heitz Nr. 40) enthält, im C Simson und Dalila,
bei E den Herkulesknaben, bei P Alexander und Diogenes. Ganz so gewiß, wie
bei den anderen bisher genannten Zuweisungen, bin ich allerdings hier nicht. Im
Jahre 1540 und 1541 erschienen zwei Alphabete, das eine mit einigen Cäsaren-
köpfen, das andere mit nach Holbein kopierten Kinderspielen, bei Schneeli und
Heitz als Nr. 35 abgebildet (wo aber A und P fremde Zutaten sind). Beide Alpha-
406
bete wies ich friiher*) dem von mir aufgestellten Meister des Basler Minerva-
signetes zu, jetzt sehe ich sie für sichere Arbeiten des Meisters C. 5. an. Von
1541/42 stammt noch das Froben-Signet Nr. 55. |
Die zuletzt erschienene Arbeit ist, abgesehen von der Ausgabe der Notitia, eine
Illustrationsmenge in Sebastian Münsters erster Kosmographieausgabe von 1544.
Über die Entstehungszeiten der betreffenden Holzschnitte will ich noch keine all-
gemeinen Vermutungen aussprechen, weil Münster seine Kosmographie aber lange
Jahre lang vorbereitete, so wären wohl bei manchen Schnitten ziemlich frühe Daten
an und für sich möglich, Die Technik der Zeichnung und vor allem des Schnittes
erscheint nicht bei allen in Betracht kommenden Blättern der Kosmographie gleich,
im allgemeinen herrscht aber eine derbere Technik, wie sie auch einige Arbeiten
Holbeins und seines Kreises und wohl auch des Meisters C. S, selbst aus den
Jahren 1530 bis 1533 zeigen. Die Illustration der Notitia dignitatum und Hadrianus
und Epictetus nähert sich, wie bereits erwähnt, im allgemeinen Eindruck der
Technik sowohl der Art vom Anfang der 1530er Jahre, als auch den Kosmographie-
illustrationen, ich will aber damit nur die Beobachtung geben, ohne Schlüsse daraus
zu ziehen. Er seien nun zunächst einige zweifellos von unserm Meister С. S, ge-
zeichnete Illustrationen der Kosmographie von 1544 genannt: Bärtiger, unbedeckter
Kopf des Mahomet, nach rechts vorn (S. 579) und damit auch die Köpfe von
Othomannus (S.574) und einigen anderen Türken. — Der Babylonische Turm (S.25).
— Ein Leuchturm (S. 234) — Ein Wasserfall (S. 253) — Der Schiffbruch (S.459)
— Der Auerochs (S. 498) — Das ans Kreuz geschlagene Christenkind (S. 86) —
Die mit der Stirne zusammengewachsenen Zwillinge (S. 434) — Herkules mit der
Keule nach vorn links (S. 650) und demnach auch die vor dem dreiköpfigen Un-
geheuer knieende Frau (S. 56) — Ein spinnender Mann (S. 385). — Durch die ge-
nannten Beispiele wird noch eine größere Zahl von Illustrationen als Werk des
C. S. mitbestimmt, die ich hier nicht namhaft zu machen brauche. Zieht man
aber von den Illustrationen der Notitia die zahlreichen kleinen runden wenig
schraffierten zum Vergleich heran, so erkenne ich deren Art in einer weiteren
Illustrationsgruppe der Kosmographie wieder, die man durch Holzschnitte, wie der
kleine Reiter über die Holzbrücke (S. 143) oder der Kriegselefant (S. 631), kenn-
zeichnen kann. Von allen bisher genannten Beispielen scheint mir aber auch eine
Illustration wie der mit dem Elefanten pflügende Mann (S. 626) stilistisch nicht
recht trennbar und durch diese und ähnliche Brücken verbunden, scheint es mir
sehr wahrscheinlich, daß dann auch die große Illustrationsgruppe dem Meister
С. S. zuzuweisen sei, die etwa durch folgende Holzschnitte gekennzeichnet wird:
Zwei Nackte wärmen sich in einem Zimmer am Feuer (S. 159) — Bad unter einem
Holzdach (S. 253) — Zwei Fürsten, die sich um eine Krone in den Haaren liegen
(S. 134) — Ein hockender Affe nach rechts (S. 616) — Die Wölfin säugt Romulus
und Remus (S. roo) — Die nackte Lucretia ersticht sich (S. 117). Die zwei letzt-
genannten betreffend kann ich die Vermutung allerdings nicht zurückhalten, daß
sie doch deutlicher auf die Jahre 1530 bis 1533 zu weisen scheinen, wo die Be-
rührung des Meisters С. S. mit Holbein sehr eng gewesen sein dürfte.
Zusammengefaßt hat sich also ergeben, daß der Meister S. С. der Notitia für die
Kosmographie Münsters, mit dem er ja schon vielfach in Verbindung getroffen
wurde, bestimmt eine gewisse Anzahl von Illustrationen geliefert hat, und für recht
wahrscheinlich halte ich, daß er darüber hinaus als der eigentliche charakteristische
(1) Zeitschrift für Búcherfreunde, Jahrg. XII, S. 444.
407
Illustrator der Erstausgabe dieses ungemein verbreiteten Buches anzusehen ist,
neben dem natürlich noch einige andere Zeichner, gute und schlechte, zu Wort
kamen. Es kann schon sein, daß aus den folgenden Jahren noch Holzschnitte des
Meisters C. S. in Basel gefunden werden, aber nach meiner jetzigen Kenntnis des
Gebietes hört mit dem Jahr 1544 die greifbare Tätigkeit desselben in Basel
auf, abgesehen von den Illustrationen der Notitia dignitatum, die erst 1552 er-
schienen, aber offenbar früher entstanden sind.
Nicht nachweislich, aber dem Zusammenhang entsprechend höchst wahrscheinlich
auch in Basel entstanden, ist eine der größten Leistungen unseres Meisters С. S,,
nämlich die meist mit seinem verschlungenen Monogramm bezeichnete Holzschnitt-
folge von Fahnenschwingern und Bannerträgern der Schweizer Kantone, die Nagler
mit Recht unter der gleichen Nummer 3987 mit den zwei bezeichneten Illustrationen
der Notitia dignitatum anführt. Das Basler Kupferstichkabinett besitzt 16 Blätter
dieser Folge, Nagler spricht nur von zwölfen. Das weiter oben beschriebene
Signet des Wolfgang Frieß, seit dem Jahr 1539 bekannt, steht dieser Folge äußerst
nah, ich glaube an gleiche Entstehungszeit.
Es liegt mir fern, die leichfertigen Hypothesen, die über den Meister C. S. der
Bannerträger, oder was dasselbe ist, der Notitia dignitatum schon aufgestellt
wurden, vermehren zu wollen, aber man muß darauf hinweisen, daß ein Malername,
der zu den Initialen C. 5. paßt, in Basel von 1519 bis zu dem im Jahr 1541 er-
folgten Tod seines Trägers vorkommt, nämlich der des aus Konstanz stammenden
Conrat Schnitt. Von ihm, der dem neuen Schweizer Künstlerlexikon nur als Flach-
maler gilt, gibt es als beglaubigtes Werk das bekannte Wappenbuch im Basler
Staatsarchiv. Diese aus Holzschnitt, Federzeichnung und Malerei kombinierten
Wappen bieten leider nicht so breite Vergleichsmöglichkeiten, als man wünschen
möchte, aber ich muß bekennen, das was sie stilistisch zeigen, widerspricht dem
Stil des Meisters C. S. der Notitia absolut nicht. Seine Identität mit Conrat Schnitt
behaupte ich damit noch nicht endgültig, aber es wäre zaghaft, auf die stilistisch
durchaus diskytable, äußerlich sogar höchst nahe gelegte Möglichkeit nicht. hinzu-
weisen.
408
DIE DARSTELLUNG VON DINANDERIES
AUF NIEDERLÁNDISCHEN BILDERN
Mit zwölf Abbildungen auf drei Tafeln Von RUD. ARTHUR PELTZER
WI: die Bilder der altniederländischen Schule rein auf das Gegenständliche
hin durchsieht, dem wird die Fiille von Metallgegenstiinden auffallen, die sich
überall dargestellt finden. In den sauberen. Stuben, in denen sich etwa die Geburt
oder der Tod Mariens oder die Verkündigung abspielt, glänzt und gleißt allerlei
Hausrat in Wandnischen, auf Fensterbänken, Stollenschränken und Kaminen. Aus
Metall, häufig mit Kristall, Achaten, Edelsteinen und Emaille verziert, prangt der
Thron der Gottesmutter. Im Innern der Kirchen sieht man die kunstvollen Tauf-
becken, die mannigfachen Beleuchtungsgegenstände, die Weihwassergefäße, den
reichen Altarschmuck. Selbst die Kleidung der Menschen wie das Geschirr der
Pferde ist reich mit Metall verziert. Je mehr sich die Herrschaft der Renaissance-
kunst ausbreitet, um so üppiger und reicher gestaltet sich der Metallschmuck der
Bauten, der oft alle Teile wie wilder Efeu in phantastischer Weise überwuchert.
So bildet das häufige Vorkommen von allerlei Metallgegenstinden geradezu ein
charakteristisches Kennzeichen niederländischer Gemälde und wird unter Umständen
bei Zweifeln über die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Schule in Be-
tracht zu ziehen sein. Denn vergeblich schauen wir uns auf altdeutschen
Bildern nach all diesen Geräten um. Einfaches irdenes Geschirr, Holzteller und
Zinn erscheint dort an Stelle des goldig glänzenden Erzes. Nur die sogenannte
Kölnische Schule macht hier eine Ausnahme, wie sie ja auch hinsichtlich der
malerischen Auffassung und Technik in größter Abhängigkeit von den Niederlanden
steht. Bei den Italienern aber werden wir die Wiedergabe solcher Gegenstände
schon aus dem Grunde nicht suchen, weil diese Betonung des stillebenartigen
Details ihrem künstlerischen Empfinden widersprach.
Fragen wir, wie es kommt, daß gerade bei niederländischen Malern diese beson-
dere Vorliebe für blinkendes Metall entstanden ist, so ergibt sich als wichtigste
Ursache die hohe Blüte der Metallkunst, insbesondere der Gießkunst und der
Treibarbeit im früheren Herzogtum Burgund. Kein Land hatte eine so blühende
Metallindustrie wie die südlichen Niederlande. Das Absatzgebiet derselben dehnte
sich gleich dem der berühmten flandrischen Tuchfabriken fast über ganz Europa
aus. Nach dem Hauptsitz dieser Metallgewerbe, der reichen Stadt Dinant an der
Maas, wurden die Erzeugnisse — ähnlich wie die Kunstwirkereien nach der Stadt
Arras (Arrazzi) oder die Majoliken nach Majorka, die Fayencen nach Faenza —
„Dinanderies“ genannt und haben diesen Namen auch beibehalteu, obwohl Dinant
bereits im Jahre 1466 durch den Herzog von Burgund mit Feuer und Schwert fast
dem Erdboden gleichgemacht wurde, und die Batteurs!) oder Kupfermeister, wie
man die Fabrikherren nannte, sich meist nach Brügge, Brüssel, Namur, Tournai,
Antwerpen, Aachen und anderen Plätzen verzogen hatten?). Das Material, welches
diese Werkstätten verarbeiteten, war fast ausschließlich der Messing, denn die Grund-
lage dieser Industrie der Maasstädte bildeten die auch heute noch nicht aufgebrauch-
ten gewaltigen Lager von Galmeierz (Zink), das den Kupfererzen zugesetzt wurde.
(1) Von battre — schlagen, treiben.
(2) Vgl. К. A. Peltzer, Geschichte der Messingindustrie und der künstlerischen Arbeiten in Messing
(Dinanderies) usw., Aachen 1909. Dort auch die Literatur über Dinanderies.
409
Guicciardini vergleicht їп seiner bekannten Beschreibung der Niederlande (1567)
das Land um Namur mit der feuerspriihenden Schmiede Vulkans; iiberall werde
dort getrieben, geschmiedet, ‚gegossen, gehämmert und geschweißt. Auch die
Menge von Messinggegenständen in den Wohnungen und Kirchen fiel den Aus-
ländern auf. So bemerkt, um nur ein Beispiel zu nennen, ein anderer Italiener, der
in den Jahren 1517/18 die Niederlande bereiste, in seinem Tagebuch: „In allen
Kirchen Flanderns sind baumartige Standleuchter im Chor und gut gearbeitete Lese-
pulte und anderer Schmuck der Altäre und Kapellen aus Messing („de octone“), der
hier reichlich vorhanden ist. Kessel, Töpfe, Pfannen und alle Küchengeräte hat
man aus gleichem Metall.“
Die Bezeichnung „Bronze“, welche meist auf solche Arbeiten angewandt wird,
und die sich neben noch unbestimmteren Bezeichnungen, wie „Metall“ und „Erz“,
auch in den Bilderbeschreibungen moderner Galeriekataloge gewöhnlich findet, ist
also ungenau Was wir auf den Gemälden dargestellt sehen, ist gewöhnlich
Messing. Manchmal freilich muß es zweifelhaft bleiben, ob der Maler nicht etwa
Gold hat darstellen wollen, und die Ähnlichkeit mit dem Messing nur dem Unver-
mögen des Künstlers zuzuschreiben ist, die feinen Nuancen zwischen dem Glanz
des Goldes und des Messings, den man wegen dieser äußeren Ähnlichkeit ja auch
„Golderz“ nannte, herauszubringen. In der Regel aber kann die Bestimmung nicht
zweifelhaft sein, da es sich um Gegenstände handelt, wie sie damals in großer
Zahl aus Messing hergestellt wurden, und deren einstige Verbreitung auch durch
literarische Quellen genügend bezeugt ist. Erhalten haben sich freilich nur ver-
einzelte Spezimina aus ganz früher Zeit. Der Wert des Materials, die Zerstörung
des Kircheninventars in den Zeiten der Reformation und der Revolution, der Wandel
des Geschmacks, dies sind die Ursachen, weshalb so wenig auf uns gekommen ist.
Was aber noch vorhanden ist, wie jene stolzen Adlerpulte, gewaltigen Taufbecken,
deren mit Figuren geschmückte Deckel sich oft bis zur Höhe von sechs Metern
erheben, riesige Leuchtergitter, Standleuchter und Kronleuchter aller Art, gravierte
und mit Emaille verzierte Grabtafeln, ganz zu schweigen von all den Geräten des
täglichen Lebens, den Schüsseln, Kannen, Becken der mannigfaltigsten Form, das
alles zeigt eine Größe des Stils und eine Pracht der Ausführung, die einzig dasteht
und zweifellos auch auf die Phantasie der damaligen Künstler einen großen Reiz
ausgeübt hat. Gewisse Formen des Metallschmucks auf niederländischen Gemälden,
die uns als bizarre Übertreibungen erscheinen, werden erst angesichts solcher
Originalwerke verständlich. Andererseits erfährt das glänzende Bild, welches wir
uns schon auf Grund der erhaltenen Arbeiten von den Schöpfungen der Dinandiers
machen müssen, eine wertvolle Ergänzung durch diese Abbildungen auf gleichzei-
tigen Gemälden. Für die Geschichte des Kunstgewerbes ergeben sich hier
wichtige Hinweise für die Bestimmung der ältesten Formen, die Verwendung und
Verbreitung solcher Geräte. Eine Zusammenstellung der wichtigsten derartigen
Darstellungen dürfte daher nicht unwillkommen sein.
Schon bei den Begründern der nordischen Malerei, den Gebrüdern van Eyck,
finden wir diese Vorliebe für das schimmernde Metall so ausgeprägt, daß ein so
guter Kenner wie James Weale von „very Eyckian“ Messinggerät spricht!). In der
Tat besteht das stillebenartige Beiwerk, mit welchem die Eycks ihre Interieurs an-
(1) Gelegentlich der Besprechung einer einem Nachfolger des Jan van Eyck zugeschriebenen Darstel-
lung der Maria mit Kind, auf welcher verschiedene rn aus diesem Metall vorkommen. The
Burlington Magazine, VI. Bd., XI. Heft, April 1909.
410
zufüllen pfiegten, nicht zum mindesten aus Dinanderies-Geräten, wie sie in ihrer
Heimat, an der Maas, hergestellt wurden. So sehen wir auf der Verkiindigung des
Genter Altars in einer in die Wand eingebauten gotischen Nische ein dem moder-
nen Teekessel ähnliches Gefäß über einer Schüssel hängen; das daneben ange-
brachte Handtuch läßt über den Zweck dieser Geräte keinen Zweifel aufkommen
(Abb. 1). Es ist die Waschvorrichtung, ) wie sie in ähnlicher Form auch noch auf
vielen anderen Gemälden und Stichen des XV. und XVL Jahrhunderts erscheint.
So auf dem Mérode-Altar des Meisters von Flémalle, auf der Verkündigung des
Justus von Ravensburg in Genua, auf Bouts’ Abendmahl in Löwen und auf den
beiden Darstellungen des Todes Mariä von dem gleichnamigen Meister in München
und Köln. Die Form dieser messingnen Lavabo- Kessel, die noch in manchen
Kirchen Belgiens und Westdeutschlands im Gebrauch sind, ist jahrhundertelang die-
selbe geblieben. Manchmal findet sich auch statt des Kessels eine Kanne mit der
dazugehörigen Waschschüssel .aus Messing, 2. В. auf dem Bilde des Simon Mar-
mion im Kaiser-Friedrich-Museum (Abb. 2). Ein besonders schönes Exemplar mit
Henkel und langem Ausgußrohr sieht man in dem reich ausgestatteten Gemach der
hl. Barbara auf einem anderen Bilde des Meisters von Flémalle im Prado (Abb. 3);
eine einfacher gestaltete Kanne auf der dem Meister des Todes Mariä zugeschrie-
benen Verkündigung?) (Paris, Porgés), einem Bilde, das überhaupt wegen der zahl-
reichen, luxuriösen, metallenen Einrichtungsgegenstände hervorzuheben ist. Außer
diesen Waschgefäßen und Schüsseln findet man fast in jedem Gemache Kannen
zur Aufbewahrung des Trinkwassers oder des Weines (Verkündigung des Petrus
Christus im Prado, Abb. 4; neben der Kanne liegen zwei Tellerwärmer, zu denen
Kohlenbecken gehören) meist von der gleichen schlanken Gestalt, wie sie ähnlich
noch heute in verschiedenen Sammlungen aus Messing gegossen zu sehen sind;
der Deckel trägt gewöhnlich einen sitzenden Löwen, während der Griff als Drache,
das Ausgußrohr als Vogel gebildet ist“). Wenn eine solche Kanne, wie z. B. auf
den Bildern Rogers van der Weyden (Verkündigung in der Pinakothek und Maria
mit Kind und Heiligen im Städelschen Museum; Abb. 5 und 6) und Memlings
(Thronende Madonna, Kaiser-Friedrich-Museum), des Meisters von Flémalle (Heil. Bar-
bara), des Meisters des Lebens Mariä (Verkündigung in der Pinakothek) als Blumenvase
für die symbolische Lilie dient, spricht man von „Marienkrüglein“, ohne daß aber
deswegen Gold als Material angenommen werden muß, zumal ja häufig auch Majo-
likavasen zu dem gleichen Zwecke benutzt werden.
Besonders zahlreich sind Beleuchtungsgegenstände dargestellt. Namentlich
der messingne sorgfältig abgedrehte Handleuchter, der aus einem soliden Ringfuß,
einem schlanken Schaft und der Tülle für das Wachslicht besteht, fehlt selten. Er
steht in einer Wandnische in dem Gemache Mariens auf dem Genter Altar sowie
auf der Lucca-Madonna (Frankfurt a. M.; Abb. 7) und der Madonna in Incehall des
Jan van Eyck (Abb. 8) — hier ein selten vorkommendes Exemplar für drei Lichte
— beide Male neben einer mit Wasser gefüllten Messingschüssel; er fehlt auch
nicht auf dem bereits erwähnten Mérode-Altar des Meisters von Flémalle und auf
der Verkündigung Memlings bei Fürst Radziwill (Posen, Museum). Auch einarmige
Wandleuchter, die mit gotischem Maßwerk verziert sind, kommen vor, so auf den
(1) Wie oberflächlich solche Dinge oft beobachtet werden, beweist Muther, der meint: „Unter einem
Hausaltärchen hängt eine Weihrauchlampe“! Geschichte der Malerei, Leipzig 1909, Bd. II, 8. 11.
(2) Friedländer, „Meisterwerke der niederländischen Malerei‘. (Ausstellung Brügge) 1903, Tafel 70.
(3) Zwei schöne Exemplare aus dem Victoria- and Albert-Museum, abgebildet bei Tavenor-Perry
„Dinanderie“, London 1910, Tafel 36.
4її
schon erwähnten beiden Gemälden des Meisters von Flémalle (Abb. 9) und auf
dem Bilde „Christus im Hause des Pharisäers Simon“ vom Meister der Perle von
Brabant (Kaiser-Friedrich-Museum). Andere Bilder, 2. В. die Verkündigung und der
Tod Mariens (Köln) vom Meister des Todes Mariä, die Verkündigung des Herri met
de Bles (Pinakothek), geben uns Kenntnis von dem Brauch, die großen, getriebenen
Messingschüsseln als Wandschmuck und zugleich als Reflektor zu benutzen, indem
vor den Schüsseln ein Licht befestigt wurde. Den prächtigsten Schmuck des vor-
nehmen Wohnraumes in Flandern bildete aber schon zu Eycks Zeiten der große
Armkronleuchter. Wohl das schönste Beispiel dieser Art hängt im Gemache des
Arnolfini, dessen Einrichtung Jan van Eyck mit so viel hingebender Liebe für das
Detail der Nachwelt überliefert hat. Von einem turmartigen, reich profilierten und
oben sich verjüngenden Mittelschaft, der unten in einem Löwenkopf endigt, gehen
sechs mit gotischem Rankenwerk verzierte Arme aus, welche die Kerzenhalter
tragen. Weit einfacher gestaltet ist der vierarmige Kronleuchter auf der Verkün-
digung des Petrus Christus im Prado. Der ganz glatte Mittelschaft läuft nach
unten und oben spitz zu, von einem Löwen bekrönt (Abb. то). Wir dürfen in
dieser Abbildung wohl die älteste Form des später sich so reich entwickelnden
niederländischen Armkronleuchters erkennen, bei der das an romanische Motive an-
klingende Drachenornament bemerkenswert ist. Eine andere einfache Form mit
kurzem Schaft zeigt der Kronleuchter, den Bouts auf dem Abendmahl in Löwen
angebracht hat. Da nur ganz vereinzelt spätgotische Kronleuchter auf uns gekommen
sind, müssen diese Abbildungen als Ersatz dienen.
Von der mannigfachen Verwendung metallener Zierarten zur Ausschmückung des
Kostüms in der Zeit der Gotik können Bilder des Bouts, etwa die Gefangennahme
Christi in der Pinakothek, eine Vorstellung geben. Die Beschläge der Lederkoller,
der Gürtel, Taschen, Degenscheiden, die Ketten, Sporen und Steigbügel sind oft aus
Messing; auch ganze Beinschienen und Panzer aus diesem Metall kommen vor.
Wie glänzend die Aufzäumung der burgundischen Streitrosse war, sehen wir am
besten auf dem Genter Altar!).
Spärlicher als die Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens finden sich Ab-
bildungen von kirchlichen Geräten. Hier sei nur auf den schönen von Löwen ge-
tragenen messingnen Altarleuchter auf Memlings Floreins-Altar (Brügge) sowie auf
den prächtigen, ganz mit Reliefschmuck bedeckten Weihwasserkessel bei dem Meister
des Todes Mariä (Köln und München) hingewiesen.
Jan уап Eyck hat Maria dargestellt im Rosenhag neben einem Springbrunnen,
der aus einem auf Löwen ruhenden messingnen Ständer und einer Schale besteht
(Museum Antwerpen, Abb. 11; ähnliches Bild von einem Nachahmer im Kaiser-
Friedrich-Museum). Der Thron, auf welchem die Madonna sitzt, ist bei Jan van
Eyck gewöhnlich mit kleinen Löwen aus Messing geschmückt (Lucca - Madonna,
Frankfurt a. M.; Abb. 12; Maria mit Kind bei Mrs. Simpson-Carson von einem Nach-
folger) oder mit Adlern, die denen der berühmten Dinanter Lesepulte gleichen
(Dresdner Galerie). Reicher gestaltet sich der Messingschmuck des Thrones bei
den Nachfolgern der Eycks, z. B. auf den Madonnenbildern Rogers van der Weyden
und Memlings in der Wiener Galerie, bis dann Petrus Christus einen ganzen mit
(1) Ein Dinanter Batteur fertigte 1373 in Brüssel die Zierrate des Pferdegeschirres und Wagens einer
burgundischen Prinzessin an, ein anderer um 1400 „latoenen“ (= de laiton) Kandaren und Steigbüg
für die Pferde der Herzogin. Pinchart, Histoire de la Dinanterie, Bulletin de la commission d'art
et d'archéologie ХШ. Brüssel, 1874, 8. 510.
412
kristallenen Säulen und Figuren geschmiickten Thronaufbau in Messingguß konstruiert
(Frankfurt, Städel)!). Vielleicht hat auch Dalmau (Madonna mit Heiligen und Stif-
tern, Barcelona) den prachtvollen, auf vier Löwen ruhenden und mit Figuren reich-
geschmückten Thronaufbau sich in Messing vorgestellt, denn die Farbe ist gelb
im Gegensatz zu dem echten Gold der Heiligenscheine. Aus späterer Zeit ist noch
der Meister von Frankfurt zu nennen, der in der Beifügung solchen Messingschmucks
seinen niederländischen Ursprung verrät. (Thron auf den Bildern im Historischen
und im Städelschen Museum zu Frankfurt.)
Solche Bauten sind wohl nicht als reine Phantasieprodukte aufzufassen, denn die
Verwendung von schimmerndem Messingschmuck in den burgundisch - flandrischen
Palästen, Rathäusern und Kirchen hat bei der Prunkliebe jener Zeit zweifellos einen
größeren Umfang erreicht, als wir heute anzunehmen geneigt sind. Alte Inventare
führen da eine beredte Sprache. Schon ein flämischer Dichter des XIII. Jahr-
hunderts schwelgt in der Schilderung der glänzenden Fußböden, Wandbekleidungen
und Säulen aus Messing, die wohl mit glänzendem Blech belegt waren, wie man
das auch heute wieder in modernen Entrées sehen kann. Auf den gemalten Archi-
tekturen sind namentlich die Basen und Kapitelle der Säulen sehr oft in der gelben
Farbe des Messings wiedergegeben. In der Renaissancezeit verbindet sich dann
mit der dem Niederländer angeborenen Freude am blinkenden, vielgestaltigen Metall-
schmuck die Erinnerung an antike Bronzen und Werke der Donatelloschule, die
man in Italien gesehen hatte. Überall, in den Nischen, auf den Säulen, auf den
Gesimsen, selbst auf dem Dache tummeln sich Putten, die gewöhnlich Girlanden
halten, auch Einzelfiguren und Gruppen, sowie Baluster, Reliefs und Medaillons
aus Erz sind angebracht. Dabei war wohl vorwiegend die Absicht maßgebend, die
Architektur möglichst bunt und reich zu gestalten. Während aber die Früh-
renaissance in Italien die kindliche Freude an der Mannigfaltigkeit der Schmuck-
formen bald überwunden hatte und nach Einfachheit und Größe strebte, sehen wir
die niederländischen Maler, wie etwa Patinier, der übrigens ein geborener Dinanter
war, Scorel, Mabuse (vgl. namentlich das Prager Dombild), Jan van Coninxloo
(Briissler Museum) und Orley, ihre Kompositionen mit unmöglichen Bauwerken an-
füllen, die überreich mit dem eben geschilderten Schmuck beladen sind. Nament-
lich Orley und seine Nachahmer sind an dem Messingschmuck leicht erkennbar.
Weiterhin ist es dann bezeichnend, daß nach dem Vorbilde von Metallarbeiten
architektonische Zierformen, wie das Beschlag- und Rollwerk, die Kartusche, gerade
in den Niederlanden entstanden sind.
Als im XVII. Jahrhundert die Maler der nördlichen Niederlande sich aus dem
Banne der italienischen Kunst losrissen, und in gewisser Beziehung wieder die
Tradition der Eyckschen Schule aufnahmen, wurde auch das Kleingerät des täg-
lichen Lebens von neuem Gegenstand der malerischen Wiedergabe. Auf den Bildern
eines Dou, Terborch, Metsu, van Mieris findet sich daher auch Messinggerät abge-
bildet. Freilich sind die Formen der Gegenstände andere geworden, die barocken
Kronleuchter zum Beispiel, wie sie namentlich in den Kirchen hängen (vgl. die Kirchen-
interieurs des C. de Witte und des van Vliet) haben gewaltige Dimensionen ange-
nommen, auch sind zahlreiche neue Gegenstände aufgekommen, wie Wärmpfannen,
die man neben dem Bett hängen sieht, Kohlenbecken, Kaminböcke, Laternen, Vogel-
bauer, Fischeimer, Milchkannen u. a. m. Die Vorliebe des Niederländers für den
Messing aber ist dieselbe geblieben wie zu Eycks Zeiten.
(1) Der Katalog von Weizsäcker gibt das Material richtig an.
413
Zur Kenntnis der Malerschule von
Avignon um 1500. Werke eines Ano-
nymus in den Museen von Avignon und
Brüssel,
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln.
Auf der Ausstellung der primitiven Franzosen
von 1904 erregte eine Darstellung des hl. Michael,
der den Drachen bekämpft, als eines der Haupt-
werke der avignonesischen Schule kurz nach 1500
lebhafte Diskussion. Wauters dachte wegen mancher
Bezüge zu dem Altar des Nicolas Froment in der
Aixer Kathedrale an diesen Meister, eine Attribution,
die im Katalog und dem von Bouchet herausge-
gebenen Ausstellungswerk ale zu gewagt — mit
Recht — abgelehnt wurde. Weniger Beachtung
fand die auf der Rückseite des hl. Michael ge-
brachte Verkündigung, in der das italienische
Element, das in der eleganten, geschmeidigen
Michaelsgestalt nur eben andeutungsweise vorhan-
den ist, in voller Greifbarkeit hervortritt. Bereits
das Schema der Innenarchitektur atmet den Geist
der italienischen Klassik, freilich gemäßigt und
vereinfacht in der Verwendung der einzelnen Zier-
glieder; in der Farbe herrscht eine warme, stark
venezianisch berührende Tonalität, die am meisten
an die Nachfolge des Antonello da Messina erin-
nert; nur die Behandlung der Gewänder und die
Gestaltung der Typen verraten mit Sicherheit die
Nationalität des Künstlers.
Höchstwahrscheinlich haben wir es mit demFrag-
ment eines größeren Ganzen zu tun, mit einer Altar-
tafel, zu der weitere Szenen des Marienlebens gesellt
waren. Die prägnanten Eigentümlichkeiten des Stiles
ließen mich in einem Bilde des Brüsseler Museums,
das dort ganz allgemein der italienischen Schule
zugewiesen ist, die Hand des avignonesischen
Meisters wiedererkennen; dazu kam der Gegen-
stand, die Verlobung Mariae, die ähnliche Kompo-
sitionsweise, Einzelheiten wie die Form des Nim-
bus der Maria und endlich das bis auf einen Zen-
timeter in der Höhe übereinstimmende Format
(80 >< 59 cm in Avignon, 79 & 59 cm in Brüssel);
hiernach konnte kein Zweifel bleiben, дай diese
beiden ráumlich soweit voneinander geschiedenen
Teile nicht nur von der gleichen Hand herrihren,
sondern zu dem gleichen größeren Ganzen ge-
hören.
Erst das Brüsseler Bild mit seiner reicheren Kompo-
sition erlaubt uns den Stil des Künstlers näher zu
charakterisieren. Der italienische Einfluß gibt sich
dabei noch unverhüllter als in der zugehörigen
414
Verkündigung zu erkennen; freilich ist von dem
Vorwiegen einer bestimmten Lokalschule schwer-
lich die Rede; venezianische Anklänge im Kolorit
verbinden sich mit einer auffallend flächigen, groß-
zügigen Behandlung der Gewänder, die an lom-
bardische Vorbilder denken laßt, insbesondere an
die Fresken des Gaudenzio Ferrari in 8. Cristoforo
zu Vercelli, deren Stil manche Analogien bietet.
Die allgemeine Fortgeschrittenheit des Stiles in
Komposition und Perspektive gibt der Ansicht
Bouchots recht, der schon angesichts der Tafel
in Avignon die ehemalige Datierung vor 1500 ab-
lehnte und die Entstehungszeit dem Jahre 1520
näherte. Manche auffällig primitiven Züge er-
klären sich, wenn man bedenkt, daß die Provence
in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht damals
gegen Italien erheblich zurückstand; vieles, wie die
fast gesucht einfache Stilisierung der Gewänder,
ist allerdings eher bewußte Absicht des Künstlers
und entspricht damit der während des ganzen XV.
Jahrhunderts die provencalische Malerei beherr-
schenden Tendenz zu rúcksichtelos vereinfachter,
strenger Monumentalität.
Auf der Pariser Ausstellung von ı904 stand die
Verkündigung des Musée Calvet in ihrem stark
italienisierenden Charakter innerhalb der übrigens
provencalischen Produktion ziemlich isoliert. Wie
mir scheint, darf zum stilistischen Vergleiche eine
Bilderserie herangezogen werden, die in der Samm-
lung Johnson zu Philadelphia aufbewahrt wird und
aus der ich die Darstellung der Pflege des Ы. Se-
bastian nach dem Martyrium als Probe in Abbil-
dung beigegebe. Die Parallelen zwischen den
beiden europäischen Tafeln und dem Bilde in
Philadelphia in Komposition, Haltung, Typen, Ge-
wandmotiven, Zeichnung der Hände, ferner in der
Architektur und den Akzessorien sind so schlagend,
daß die Frage des Verhältnisses dieser Bilder zu-
einander wohl gestellt werden darf. Sie mit der
Sicherheit zu beantworten, mit der es möglich
war die Bilder in Brüssel und Avignon zueinander
zu fügen, kann nur nach Autopsie der amerikani-
schen Tafeln gelingen. Erwähnen möchte ich,
daß Wilhelm Valentiner, der die Sammlung John-
son eingehend studiert hat und dem ich die Photo-
graphie des Sebastianbildes verdanke, bereits den
südfranzösischen Ursprung betont hat. Auch hier
machen sich die italienischen Einschläge neben
echt französischen Zügen (im Gesichtsausdruck,
Haltung, Gebärdensprache) entscheidend bemerk-
bar; wieder darf man an oberitalienische Malereien
wie die obengenannten in Vercelli erinnern. In
der Darstellung des feinen, frommen Gegenstandes
liegt freilich etwas von der mystischen Andacht
der außeritalienischen Linder — das rührende
Madonnenstilleben auf dem Schränkchen zur Linken
hat gar einen niederlándisch anmutenden Zug, der
es fast auBerhalb des úbrigen stellt.
Erwähnenswert ist noch, daß der Künstler auf
dem Hintergrunde des ,Martyrium und Tod des
hi. Sebastian“ seine Vertrautheit mit antiken rdmi-
schen Bauten — Kolosseum und Konstantinsbogen
— zeigt. Auch hier ist die Behandlung der Zier-
glieder eine vereinfachende, der Innenarchitektur
des Verkiindigungsbildes entsprechend. In der
diagonalen Schiebung der Kulissen wieder geben
sich Ahnlichkeiten mit der Darstellung der ,,Ver-
lobung“ zu erkennen. — Alles in allem haben wir
bei den Bildern in Philadelphia wie bei jenen von
Avignon und Brüssel den Eindruck eines Schwankens
zwischen verschiedenen Stilen, von denen doch
der italienische obzusiegen scheint — ein getreues
Spiegelbild der kulturell-künstlerischen Stellung
der Provence zu Eingang des XVI. Jahrhunderts.
Hermann Voss.
DÜRERS BILDNISZEICHNUNG DES
KÖNIGS CHRISTIAN I.
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel.
Genau an dem Tag, an dem Dürer nach langem
Aufenthalt in den Niederlanden die Heimreise an-
treten wollte, hat bekanntlich König Christian II.
von Dänemark, der auf seiner Flucht durch Ant-
werpen kam, nach ihm geschickt. „An unser
Frauen Heimsuchung, do ich gleich weg von An-
torff wollt, do schicket der König von Dennen-
marck zu mir, dass ich eilend zu ihm käm und
ihn conterfeiet. Das thät ich auch mit dem Kohln.“
An diesem 2. Juli 1521 aß Dürer mit dem König,
und folgte ihm nach Brüssel wo er insgesamt
noch acht Tage und eine Nacht verweilte um
den König in Ölfarben zu konterfeien. Wie
Christian ihn bewundert haben muß, um sich
diese Bildnisse zu sichern, da er doch in den
Tagen den Kopf mit politischen Dingen von
größter Wichtigkeit genügend gefüllt gehabt haben
muß, so staunte auch Dürer den „mannlich schön
Mann“ an, schenkte ihm „die besten Stuck“ aus
seinem „ganzen Druck“ und stimmte in das all-
gemeine Urteil ein, daß den Mut des Königs pries,
der mit nur zwei Begleitern die lange Strecke
durch Feindesland geritten war.
Das Olbildnis — es wird sich wohl um ein
kleines Format handeln, da Dürer ein Futteral
dafür besorgte, — ist bislang noch nicht auf-
getaucht. Dagegen nimmt es mich wunder, daß
noch niemand die Zeichnung wieder erkannt hat,
auch Dodgson nicht, der im Burlington eine Reihe
von Neubestimmungen Dürerischer Zeichnungen
brachte. Das fragliche Blatt befindet sich in Lon-
don und ist in Lippmanns Werk, im III. Band
unter Nr. 288 abgebildet. Das beste Vergleichs-
material bietet der Holzschnitt von Hans Cranach
(Schuchardt, L. Cranach, П, 309, Nr. 177). Die
Ähnlichkeit der nicht ganz gewöhnlichen Mütze
und der sonstigen Tracht, sowie des geteilten
Bartes und дег Stellung der ungleichen Augen
springt in die Augen. Auch die Nasen sind, so-
weit man es an der leider verriebenen Zeichnung
noch. verfolgen kann, dieselben. Für die in der
Mitte in eine Spitze herabhängende Oberlippe, die
man auf der Zeichnung deutlich sieht, bietet das
andere Holzschnittbildnis Christians von Hans
Cranach (Schuchardt 178) noch besseren Beleg.
Endlich hilft noch die echte Jahreszahl 1521 das
Urteil bekräftigen, daß wir hier in der Tat den
Christian II. von Dürer gezeichnet, vor uns haben.
.Hans W. Singer.
Die einzige Zeichnung von Greco
in der Madrider National-Bibliothek.
Mit einer Abbildung auf einer Tafel.
Man hat bisher angenommen, Greco habe seine
Gemälde ohne vorhergehende Studien, selbst ohne
kompositionelle Entwürfe geschaffen, und man ist
zu dieser Annahme durch die Tatsache hingeführt
worden, daß nur eine einzige Zeichnung von seiner
Hand sich erhalten hat. Doch wie vorsichtig
man in der Erzeugung von Hypothesen sein soll,
— der Fall liegt ähnlich wie bei Velasquez, —
wird durch die urkundliche Erwähnung von
150 Zeichnungen im Nachlasse erwiesen, den
J. Roman vor kurzem veröffentlicht hat!). Ver-
mutlich gehören die 149 fehlenden Zeichnungen
mehr Anfang und Mitte seiner Entwicklung an.
Später wird Greco wohl unmittelbar auf die Lein-
wand die Linien der Komposition rasch aufgezeich-
net haben.
Es soll hier von der einzigen, erhaltenen Zeich-
nung, die zudem zum ersten Male in guter Abbil-
dung vorliegt*), die Rede sein! Sie befindet sich in
der Nationalbibliothek zu Madrid, hat Höhe 0,255
und Breite 0,155 m, ist Bleistiftzeichnung auf grob-
(1) Francisco de Borja de Jan Roman y Fernández: „El
Greco en Toledo“. Madrid 1910.
(2) Bei М. В. Cossio: , El Greco", Madrid 1908, Bd, I, p. 471
und 633, nur flüchtig behandelt, dazu die gänzlich unbrauch-
bare Abbildung Taf. 21, dazu Angel М. de Barcia: ,Catá-
logo de la Coleccion de dibujos originales de la Biblio-
teca Nacional“, in: ,Revista de Archivos, Bibliotecas y
Museos“. Madrid 1908, 19.
415
rippigem, gelbgetóntem Papier, nicht datiert, noch
signiert, sondern die einzige Aufschrift, freilich
aus spiterer Zeit, lautet: ,de mano de dominico
greco“. Die Zeichnung ist quadriert, also ist kein
Zweifel an ihrer Absicht möglich. Sie ist Vor-
studie zu dem Tafelbild im Retabel von Santo
Domingo el Antiguo zu Toledo vom Jahre 1578,
das freilich in einigen Motiven geändert ist. (Vgl.
Kopfhaltung'), Lage der rechten Hand.)
Eine Frontalfigur, stehend, in einen langen Man-
tel gehüllt, hält in der Linken ein gewaltiges,
aufgeschlagenes Buch. Die rechte Hand ruht am
Mund und deckt den langfließenden, geteilten Bart.
Kopf und Augen sind gesenkt. Es soll tiefer,
nachdenkender Ausdruck gegeben werden. Eine
seltsam geniale Zeichnung! Etwas Denkmalartiges
steckt in dieser Gestalt, und doch hat sich die
„Gelenkkunst“ nicht recht ausgesprochen. Zwar
sind die Kniee betont, aber es kostet Mühe, bis das
Auge die im Ärmelbausch versteckt liegenden
Elienbogen ermittelt hat. Nicht breit und fest
steht eine Grecofigur. Sie schwebt mehr, als daß
sie steht und scheint über die kahlen Höhen To-
ledos hinzuzittern. Aller Blick konzentriert sich
nach oben, wohin auch der Adler schaut, auf
Kopf, Hände und Buch! Daß Greco Michel-
angelo im Bewußtsein hat, — von ihm konnte er
auch lernen, wie man riesige Folianten einer Figur
in die Hände lege, — zeigt sich vor allem in der
Behandlung des rechten Armes, in der Handge-
lenkbetonung und -biegung. So kommt Linien-
fluß und Linienweiterführung zustande. Den
linken Unterarm hat Greco tiefgeschoben, dadurch
gewinnt er Platz, um das schwere Buch mit der
vergeistigten, linken Hand einzuführen. Das Haupt-
format des Bildes verlangt nach Gegenwirkung,
die sich aber nicht etwa in der Horizontale, son-
dern in Diagonalen ausspricht. Die Diagonalen
des rechten Armes und Buches bekommen erst ihre
volle Kraft in dem großen, weiten Mantel, der
schwungvoll zusammengezogen ist, und dessen
Hauptzipfel neben dem rechten Fuß aufsitzt.
Mit frischen, saftigen Bleistiftstrichen, in stiir-
mischem Tempo, in. grandioser Sicherheit, ohne
einen Augenblick des Zögerns ist diese Figur ge-
zeichnet worden. Daß sie nicht unmittelbar nach
dem Modell, sondern mehr nach dem Gefühl ent-
standen sein muß, sagt schon der erste Blick.
Nichts Kleinliches, alles ist groß gesehen und breit
behandelt; in ein paar Andeutungen steckt mehr als
die Vielheit der Einzelhe iten in der vorangegangenen
Epoche, auch wenn sie zur Einheit gebracht sind.
1) Abb. bei Cossio, Taf. 20.
416
Es muß noch gesagt werden, wer diese Figur ist.
Sie trdgt den Charakter eines griechischen Philo-
sophen. Wir denken an den Apostel Paulus und
irren. Greco hat sich hier, wie so oft, byzantinisch-
griechischer Ikonographie bedient. Der Byzantiner
stellt in der Regel Johannes den Evangelisten als
Greis mit weiBem, langwallendem Barte dar, adler-
näßig und mit kahler Stirne’). Es ist andere
Vorstellung als im Abendlande, das bis auf wenige
Ausnahmen den Lieblingsjúnger des Herrn bart-
los, jugendlich gebracht hat. Hugo Kehrer.
Malereien in der Deutschordens-
kirche zuFrankfurt-Sachsenhausen.
Die Nachricht, die vor kurzem durch die Presse
ging, daß in Frankfurt umfangreiche und bedeu-
tungsvolle Wandmalereien Dürers aus den letzten
Lebensjahren des Künstlers aufgedeckt worden
seien, ist sicherlich von keinem Kunsthistoriker
ernst genommen worden. Immerhin mag es ge-
rechtfertigt sein, ein kurzes Wort über die zu so
ephemerem Ruhm gelangten Malereien zu sagen.
Als vor einigen Monaten sich der Frankfurter
Maler Ballin der Aufgabe unterzog, die Sakristei
der Kirche mit ornamentalen Malereien auszu-
schmücken, zeigten sich unter der Tünche Spuren
ehemaliger Bemalung. Die Farbe war fast völlig
geschwunden, doch waren die Konturen noch in
eingeritzten Linien, die Modellierung zum Teil in
dem Auf- und Abschwellen der Fläche für den ge-
übten Restaurator wahrnehmbar. Die Wiederher-
stellung der Fresken bestand nun darin, daß die
dünne Schicht Tünche entfernt und die Konturen
mit brauner Farbe gefüllt und damit sichtbar ge-
macht wurden. So sind bisher zwei Kompositionen
zum Vorschein gekommen, auf der Südseite der
Sakristei eine Krönung der Maria durch Gott Vater
und Gott Sohn (die Sakristei war ursprünglich eine
Marienkapelle), auf der Nordseite eine Maria in der
Mandorla auf einer Engelwolke, darunter ein
von zwei Engeln an seinem Stamme wie schützend
gehaltenen Rosenbusch, zur Rechten ein heiliger
Georg, zur Linken der heilige Christoph. Die
Malereien sind, ihrem Erhaltungszustande ent-
sprechend, nur in ihrem kompositionellen Gesamt-
charakter zu beurteilen, und da zeigt es sich auf
den ersten Blick, daß wir es mit einem völlig un-
selbständigen Dürerkopisten etwa um 1520 zu tun
(1) Vgl. Homilie des Gregor von Nasians, Paris, Nat.-Bibl.
Nr. 510, fol. 87 — 72 v.; Vatikanische Prophetenhandschrift
Nr. 1153, fol. 4v.; vgl. Comte Alexis Ouvaroff: „Album By-
zantin“. Moscou 1890, р. 94. N. Kondakov: „Denkmäler
der christlichen Kunst auf Athos“. 8. Petersburg 1902. Joh.
Ev. Mosaik im Kloster Laura des hi. Athanasius, Taf. XXXIV,
Taf. XLVI.
haben. Die Krönung der Maria ist eine ziemlich
getreue, nur etwas mehr in die Höhe gezogene
Kopie des Mittelbildes des Hellerschen Altars (die
Engelwolke, auf der die Krönung vor sich geht,
zeigt, daß dieses Gemälde, nicht der Holzschnitt
des Marienlebens, zur Vorlage gedient), der heilige
Christoph kopiert bis in die kleinste Einzelheit
Zug um Zug den Christophorusholzschnitt Dirers
(Bartsch 104), die Madonna vergleicht sich, ohne
direkt entlehnt zu sein, in der Auffassung etwa
der gestochenen Madonna von 1508 oder 1516
(Bartech 31 und 32), und nur der heilige Georg,
der schwer auf der Erde wuchtend dem Drachen
die Lanze in den Rachen stößt, ist freier in der
Auffassung. Die Ubereinstimmungen mit Dürer-
schen Werken mögen im späteren XVI. Jahrhundert
den Glauben erweckt haben, daß hier Dürer selbst
gearbeitet habe, und man hat diesen Glauben dann
in die Tat umgesetzt. An der Stelle des Christo-
phorusfreskos, an der man nach Dürers Holzschnitt
den Eremiten mit der Laterne erwarten müßte, ist
ein Porträt Dürers zum Vorschein gekommen, der
Meister, dargestellt in einem Barett mit wallendem
Federbusch, anscheinend bartlos, in der Rechten
Pinsel und Palette, in der Linken eine Tafel mit
folgender Inschrift: Albertus Durer Noricus Facie-
bat Anno A Virginis Partu MDXXV. Auch wenn
diese Inschrift nicht von Dürers Allerheiligenbild
wörtlich abgeschrieben wäre, auch wenn man
unter dem angeblichen Selbstporträt Dürers nicht
mit aller Deutlichkeit noch die Konturen des einst
vorhandenen und dann übermalten Eremiten wahr-
nehmen könnte, wäre es selbstverständlich, daß
man es hier lediglich mit einer späteren Fälschung
zu tun hat. Die Wandmalereien haben bisher,
unselbständig wie sie sind, nur tür die lokale
Frankfurter Kunstgeschichte einiges Interesse. Falls
nicht unter der Tünche noch Dinge von größerer
Eigenart verborgen liegen, dürfte die Sakristei der
Deutschordenskirche kaum berufen sein, in der
deutschen Kunstgeschichte eine Rolle zu spielen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf einen
anderen, weit selbständigeren und bedeutenderen
Frankfurter Maler hinweisen, dessen Hauptwerk
sich gleichfalls in der Deutschordenskirche zu Sach-
senhausen befindet, den ich schon seit langen
Jahren kenne, dessen Publikation ich aber für eine
größere Arbeit über die Malerei in Frankfurt zu-
rückgestellt hatte.
Das Werk, um das es sich handelt, ist eine
Tafel, die in neuerer Zeit in die Predella eines
stilverschiednen, geringwertigen Altares, des Marien-
altares eingelassen worden ist; sie stellt Christus
als Schmerzensmann in Halbfigur dar, begleitet von
Maria und Johannes, die den Kónigsmantel der
Verspottung halten, vor einem dunkelblauen, lilien-
geschmúckten Grunde, die Gestalten durch eine
Rankenarkade geteilt. Die Tafel fesselt zunächst
durch eine warme, satte Farbigkeit, die auf den
Zweiklang eines tiefen, leuchtenden Blau und eines
intensiv glúhenden Rot gestimmt ist, dann aber
vor allem durch den Adel der Gestalten, die sanfte,
von der hergebrachten Larmoyanz ferne Schwer-
mut des Christuskopfes, die tiefe, stille Trauer der
Muttergottes, die edle Gehaltenheit des Johannes.
Ein solcher Kopf wie der des jugendlichen Apostels,
malerisch fein im Zusammenklang des klaren In-
karnats und der goldbraunen Haarfülle, vornehm
und vergeistigt im Ausdruck, gehört zum Schön-
sten, was die Frankfurter Malerei um die Wende
des XV. und XVI. Jahrhunderts hervorgebracht hat.
Dem Meister dieses Werkes, das in der Literatur
noch keine Beachtung gefunden hat, kann ich noch
zwei andere Arbeiten zuweisen. Die eine befindet
sich im Besitze des Städelschen Instituts in Frank-
furt, in den sie 1818 aus dem Besitz der Patrizier-
familie Glauburg gekommen ist. Sie stellt den
Kruzifixus zwischen Maria und Johannes dar, zu
ihren Füßen in starker Verkleinerung eine Dona-
torenfamilie, im Hintergrunde die Stadt Jerusalem
mit dem Tempelberg und in kleinen Figuren rechts.
die Kreuztragung, links die Grablegung (Phot. Bruck-
mann). Die Typen sind die gleichen wie auf der Tafel
in der Deutschordenskirche, gleich auch der weiche
lyrische, hier fast etwas schwächliche Ausdruck,
gleich schlieBlich die juwelenhaft leuchtende Farbig-
keit. Den Stifter des Bildes hat Weizsácker (Katalog
der Gemäldegalerie des Stidelschen Kunstinstituts
in Frankfurt a. M., Frankfurt, 1900, S. 220f.) in
dem Frankfurter Bürger Wigand Márckel von
Griinau nachgewiesen, seine Entstehungszeit aus
den Familienverhiltnissen des Stifters in den
Jahren 1492 bis 1502 bestimmt’). Loga hat dar-
auf aufmerksam gemacht, дай die Ansicht von
Jerusalem im Hintergrunde des Bildes die Ansicht
der heiligen Stadt wiederholt, die in Bernhard von
Breydenbachs Opusculum -sanctarum peregrinatio-
num ad sepulcrum Christi 1486 in Mainz zum ersten
Male erschienen ist. Das dritte Werk dieses Meisters.
endlich, ein zweiter Kruzifixus, dem eben bespro-
chenen in Komposition und Typenbildung auBer-
ordentlich nahestehend, findet sich, gleichfalls in
der Literatur noch nicht beachtet, in der WeiB-
frauenkirche zu Frankfurt. Das spáteste und reifste
(1) Auf dem Wappenschilde mit der Hausmarke des Dona-
tors finden sich leicht aufgetragen die Buchstaben W und
М, die wohl auch als (späterer?) Hinweis auf den Namen
Wiegand Märckel genommen werden können und keine
Künstlersignatur zu bedeuten brauchen.
417
dieser drei Werke ist ohne Frage die Tafel der
Deutschordenskirche. Die Rankenornamentik, die
dieses Bild zeigt, ist die gleiche wie die des ,,Frank-
furter Diirerschiilers“, etwa auf dessen Darstellung
im Tempel im Frankfurter Stidtischen Museum
(dessen Entstehungszeit ich nicht kenne, das ich
aber unbedenklich nach 1508 setzen wiirde) oder
auf dessen Maria und Schmerzensmann im Ger-
manischen Museum in Niirnberg (die auch, wenn
mich die Erinnerung nicht täuscht, in den Typen
Verwandtschaft zeigen). Nicht unmöglich, daß hier
der dem Stile nach jüngere Künstler wieder auf
den Vorgänger zurückgewirkt hat. Der „Meister
derFrankfurterKreuzigungen”, wie man den
Maler provisorisch nennen kann, weist sich in seinen
Farben, seinen Typen als Mittelrheiner, etwa mit
oberrheinischen Antecedentien, aus. Wenn er sich
auch an Bedeutung nicht entfernt mit dem Meister
des Hausbuchs oder auch nur mit dem Frankfurter
Dürerschüler, messen kann, so behauptet er doch
durchaus selbständig seine Stellung neben diesen
und verdient als einer der Künstler, die am Mittel-
rhein den Übergang vom Quattrocento zum Cin-
quecento vollzogen haben, unsere Beachtung.
Carl Gebhardt.
Schaffners Wettenhausener Altar.
In der Alten Pinakothek zu München wurden
die bisher auf der Nürnberger Burg aufbewahrten
Reliefs der Innenseiten der Innenflügel des Wetten-
hausener Altars mit den zugebörigen Gemälden
Schaffners wiedervereinigt. Die Entdeckung dieses
Zusammenhanges wird Herrn Dr. Braune verdankt.
Ich hebe dies hier um so lieber hervor, als in
meinem Buche über die Ulmer Plastik um 1500,
S. 108, der Sachverhalt infolge mangelhafter In-
formation leider nicht mit der wünschenswerten
Deutlichkeit zum Ausdrucke kommt.
Julius Baum.
REZENSIONEN.
WALDMANN, EMIL, Die Nürnberger
Kleinmeister (Meister der Graphik, her-
ausgegeben von Dr. Hermann Voss. Bd.
V). Leipzig, Klinkhardt & Biermann.
Das Thema ist weit hergeholt, denn das Buch
beginnt mit einem Kapitel über die Kultur Nürn-
bergs um 1500, dem ein zweites über Dürers Graphik
folgt. Dann erst kommen die Kleinmeister daran.
Das Thema ist über die zulässige Grenze fortge-
führt, wenn zum Schluß gesagt wird, ein wirk-
licher Nachfahr der Kleinmeister ist im XIX. Jahr-
hundert Ludwig Richter gewesen. Den Brüdern
Beham geschieht bitteres Unrecht, wenn als ihr
postumer Schüler der kleine sächsische Philister
bezeichnet wird, der Horns Spinnstube und Musaeus
Märchen für die Abendergötzung der Spießbürger
am runden Tisch unter der Hängelampe illustrierte.
Nur belanglose Äußerlichkeiten konnten zu der
Vergleichung irreleiten. Zwischen der Kunst der
alten Nürnberger und der des altmodischen Sach-
sen klafft ein Unterschied, der so groß ist wie ihre
zeitliche Entfernung. Das Thema ist nur um die
Nürnberger Kleinmeister gezogen, das sind die
beiden Beham, der Meister J. B. und Jörg Pencz;
da J. B. und Pencz wahrscheinlich eine Persönlich-
keit sind, werden nur drei behandelt, Diese Be-
grenzung ist möglich, aber doch mehr hequem
als nützlich. In einem Buch über die Kleinmeister
‘wird Heinrich Aldegewer zu suchen sein, mit Recht,
denn er hat vor allem den tiefsten Eindruck ge-
418
macht und am nachhaltigsten gewirkt. Auch war
er leicht beizufügen, denn die Gewählten bilden
keineswegs eine isolierte lokale Gruppe von ge-
schlossener Nürnberger Art. Das Heimatliche ist
bei ihnen sogar recht unwesentlich. Die beiden
Beham nehmen, was sie in Nürnberg gelernt
haben, in ihre neuen Heimstätten mit und er-
scheinen dann unter Frankfurtern und Münchnern
durchaus nicht nürnbergisch. Der Dritte, der in
Nürnberg geblieben ist, entwickelt sich ganz gleich
den beiden verzogenen Genossen,
Die kulturhistorische Verbreiterung des Themas
ist sehr more majorum beliebt worden. Wenn
aber die Altvordern ihre Bücher Dürer und seine
Zeit oder Holbein und seine Zeit betitelten, so
wächst daraus den kunsthistorischen Junghintern
(wenn ich diesen von einem der Romantiker witzig
erdachten Ausdruck gebrauchen darf) nicht das
Recht, Jörg Pencz in seiner Zeit zu schildern.
Denn er hat seiner Zeit wenig gegeben, er und
seine kleinmeisterlichen Freunde sehen mit den
Augen ihrer Umgebung, vermögen den Zeitge-
nossen aber nicht die Blickrichtung zu stellen.
Die Verwendbarkeit und Kopierfähigkeit ihrer Kunst
ist mehr ein geschäftlicher, denn ein künstlerischer
Erfolg.
Die Kleinmeisterkunst ist ein durchackertes Ge-
biet der deutschen Kunstgeschichte. Waldmann
konnte zumeist sichere Tatsachen und verbúrgte
Anschauungen geben, ег tut es in sehr zusa gender
Darstellung der besten literarischen Form. Nur
zu einer wissenschaftlichen Frage mußte er aus
Eigenem Stellung nehmen: über das Verhältnis
des Meisters ]. В. zu Georg Pencz. Seitdem zu-
erst die Identität der Beiden wahrscheinlich ge-
macht wurde, ist sie dann meist als leidlich sicherer
Erwerb angenommen worden. So von Paul Kri-
steller. Unser Waldmann erörtert die Frage in
sachlicher Ruhe und mit angemessener Ausführ-
lichkeit, um schließlich die Einheit der beiden
Stecher mit starken Worten abzulehnen. Nach
meiner Überzeugung hat er falsch entschieden.
Daß äußere Umstände vortrefflich stimmen (Georg
Pencz wird in Urkunden Jörg Bens genannt, die
mit J. B. bezeichneten Stiche hören etwa zu der
Zeit auf, in der die mit G. P. bezeichneten begin-
nen), gibt Waldmann zu, wie überhaupt das Ver-
lockende der Hypothese. Aber er konstruiert eine
so auseinanderlaufende Verschiedenheit des Tem-
peraments, die die Zusammenfassung des J. B. und
des Pencz zu einem Individuum unmöglich mache.
Zur Basis dieser Konstruktion dient die aus ästhe-
tischer Bewertung gewonnene Erhöhung des J.B.
und Erniedrigung des Pencz. Aus dieser Beweis-
führung ein Beispiel: Die beiden Runde des J. B.,
der Dudelsackpfeifer und der Marktbauer, werden
als Musterstücke der Komposition im Rund aufge-
stellt. Von letzterem wird gesagt: „Es handelte
sich darum, drei stehende Figuren in das Rund
zu bringen. Durch ganz feine Komposition ist es
dem Künstler gelungen. Ein wenig Neigung der
Außenkonturen gegeneinander und ein leises Ab-
schwellen von den Seiten her, eine unmerkliche
Parallele zum Bildrand auf der rechten Seite, und
eine Anordnung der Figuren in vorn offenem
Halbkreis ... Man versuche, sich die Szene in
quadratischem Rahmen übersetzt zu denken und
man begreift erst, wieviel künstlerische Weisheit
hier am Werke war“. Im Gegensatz hierzu wird
Penczens Rundform so abgeurteilt: „Georg Pencz
verrät in seiner runden Folge der sieben Barm-
herzigkeiten, daß ihm. das Wesen der Rundkompo-
sition nicht ganz klar geworden ist. Er kann die
Szene nicht richtig ausscheiden, nie hat man den
Eindruck des vollkommen Fertigen, sondern man
vermißt meistens an den Seiten der Komposition
noch etwas... Pencz hat den neuen Wert der
Vertikale für die Rundkomposition noch nicht be-
griffen... Wer einmal (der J. B.) Rundkompo-
sitionen von der Feinheit des Passionsmedaillons
und von der Vollendung des Marktbauern geschaf-
fen hat, der kann doch dieses ihm angeborene
Gefühl für Harmonie und Gleichgewicht nicht auf
einmal verleugnen und gegen die Fundamente der
Kompositionskunst so sündigen, wie Pencz es in
seinen Barmherzigkeiten getan hat“. Es war sehr
unvorsichtig, solche Urteile in einem Buch zu
veröffentlichen, das in vorzüglichen Abbildungen
die Möglichkeit zu augenblicklicher Kontrolle bietet.
Denn der Leser, der die zitierten Stellen einge-
nommen hat, wird nun die gepriesenen Runde des
J- B. auf den Tafeln 38 und 39 mit den getadelten
des Pencz auf den Tafeln 50 und 51 in Vergleichung
stellen und muß dann, sofern er harmlos und
nicht voreingenommen ist, ausrufen: Ei der Tau-
send, das stimmt ја nicht, das ist doch bei beiden
angeblich verschiedenen Künstlern eine völlig iden-
tische Art der Rundkomposition, übrigens das ge-
liufige Schema, an dem es nichts besonderes zu
bewundern gibt. Die formale Übereinstimmung
der zwei Rundgruppen ist so groß, daß daraus nur
ein Argument für die Einheit der Künstler ge-
nommen werden kann. Nicht viel besser steht es
mit den andern Argumenten Waldmanns für die
Zweiheit, die ihm den J. B. sehr fein und voll-
kommen und den Pencz sehr mittelmäßig erscheinen
lassen. Pencz sei immer merklicher Schüler Dürers,
J. B. sei das gar nicht. Nun hat aber der J. B. einen
Stich Dürers kopiert, er hat eine Zeichnung Dürers
zu einer allegorischen Darstellung benutzt. Auf
dem Marktbauern sind die Hauptfiguren die Frau
mit der Haube und der Bauer mit dem Sack so
dürerisch, daß man meinen könnte, die exakten
Vorbilder hierzu im Werk Dürers finden zu müssen.
Das ist kein vereinzeltes Beispiel. Vielmehr ist
bei genauer Prüfung festzustellen, daß der J. B. im
gleichen Grade wie Pencz von Dürer bestimmt
wird. Nun der Hauptgrund: Der ]. В. sei italieni-
scher Renaissancegedanken voll gewesen, er gebe
italienische Formen. Der Pencz aber (dessen Stiche
ja später fallen als die J. B.-Blätter) sei nur ein
äußerlicher Nachahmer des italienischen Geistes.
Dieses Nacheinander sei für ein Künstlerleben
unmögliche Annahme. Derselbe Leser, der vor-
hin ei der Tausend! gerufen hat, wird jetzt im
Buch zurückschlagen und über die letzte Phase in
der Entwicklung Hans Sebald Behams gesagt
finden: „Er vergaß sein Bestes. Die Phantasie
verließ ihn nur zu bald. Das letzte Jahrzehnt ist
ein Versinken in die ebenen Gebiete des kalten
Virtuosentums“. Hier ist also für Beham zuge-
standen, was für Pencz unmöglich erscheint.
Zwischen den frühen und den späten Arbeiten des
Beham waltet kein anderer Unterschied, als zwischen
J. В. und Pencz, Wenn der (freilich noch nie
aufgestellten) Hypothese, die frühen Stiche des
Hans Sebald und die späten seien Arbeiten ver-
schiedener Hinde, ein verteidigender Waldmann
erstünde, so könnte er diese Sache mit demselben
419
Beweis führen, der in seinem neunten Kapitel die
Trennung zwischen J. B. und Pencz begründet
hat. Bei der Durchnahme dieses Kapitels befestigte
sich die Vorstellung, daß der Eifer im Kampf
gegen die J. B.-Pencz-Vereinigung angelernt sei:
verba magistri. Der Kampfeifer ist scheinbar
größer als die Uberszeugungskraft. Noch eine
zweite Vermutung aus dem gleichen Gebiet: Die
lästige Mode, alte Kunst mit moderner zu erklären,
sind verba magistri. Richard Muthers leider viel
kopierter Vorgang, die lebenden Künstler mit alten
zu vergleichen, ist eher hinzunehmen. Denn ein
neuer Giotto oder ein Frans Hals der Dänen kann
wohl eine Vorstellung bessern. Aber umgekehrt,
Neues auf Altes zu beziehen, ist der Brauch un-
zulässig. Trotz des manchem klassisch dünkenden
Beispiels, das Theodor Mommsen gegeben hat,
der, wenn er nach dem alten Rom ging, den Ber-
liner Freisinn mitnahm und von einer Leutnants-
politik im römischen Staat ante Christum natum
sprach. Die Kleinmeisterkunst ist durchaus tot,
sie ist in der Vorstellung des Lesers durch die
Vergleichung (die Eingeschworenen, denen Schopen-
hauer selten präsent ist, sagen aber der Vergleich)
mit Leibl und Albert Lang nicht lebendiger zu ge-
stalten.
Dem Zeilenmaß nach kommt in dieser Be-
sprechung das Lob zu kurz. Das ist aber keines-
wegs die Meinung des Rezensenten. Dieses treff-
liche Buch Waldmanns gibt trotz J. B. und Lud-
wig Richter eine gute historische Erzählung und
künstlerische Bewertung der Kleinmeister. Ein
wichtiges Kapitel der deutschen Kunstgeschichte
ist damit in eine endgültige überlieferbare Form
gebracht. Jaro Springer.
Italienische Forschungen, herausge-
geben vom Kunsthistorischen Institut in
Florenz. Vierter Band: Archivalische
Beiträge zur Geschichte der Vene-
zianischen Kunst. Aus dem Nachlaß
Gustav Ludwigs herausgegeben von
Wilhelm Bode, Georg Gronau, Det-
lev Frhr. von Hadeln. Bruno Cassirer
Verlag, Berlin 1911.
Die systematische Durchforschung nach Künst-
lernachrichten einiger Hauptbestände des Notariats-
archives zu Venedig ist Gustav Ludwigs frucht-
bringendste Arbeit gewesen. Sein Enthusiasmus
für die Tatsache hat sich hier ausgelebt. Ein neues
Stück Sachlichkeit ist durch ihn in die Anschauung
venezianischer Kunst gekommen. Nun hat er selbst
den Abschluß seiner jahrelangen Bemühungen nicht
420
erlebt. Schon die „Archivalischen Beiträge“ in
den Beiheften zum Jahrbuch der Kgl. preußischen
Kunstsammlungen erschienen teilweise posthum.
Weitere Urkundenreihen haben sich in Ludwigs
Nachlaß gefunden, deren nunmehr erfolgte Ord-
nung und Publikation als eine pietätvolle Erinne-
rung an den zu früh Verstorbenen und eine wesent-
liche Bereicherung unserer Kenntnisse um Vene-
dig doppelt willkommen ist.
Die Herausgeber, deren Kompetenz in veneziani-
schen Angelegenheiten bekannt ist, haben sich
mit der Sichtung und Einrenkung des Materials
nicht begnügt, sondern diesem einen begleitenden
Text, die Interpretation der Urkunden gegeben,
Georg Gronau, der „Gustav Ludwig als Forscher“
einen Nachruf widmet, bearbeitet Testamente vene-
zianischer Bildhauer und Architekten, Dokumente
über venezianische Bildhauer und Steinmetzen, so-
wie zwei Nachlaßinventare; Freiherr von Hadelin
nimmt sich der venezianischen Maler, Mosaizisten
und Miniaturmaler an.
Es mag sein, daß von Paoletti seinerzeit zuviel
des Wichtigen vorweggenommen worden ist, oder
daß Ludwigs geringeres Interesse für das Statuarische
ihm in der Hinsicht auch keine so glückliche
Finderhand verliehen, der Bildhauer- und Archi-
tektenabschnitt vorliegender Dokumentensammlung
beleuchtet jedenfalls keines der wirklich inhalt-
lichen Probleme — obschon die Tragweite einer
selbst unwichtig vorkommenden Urkunde von vorn-
herein nie zu bestimmen ist. Auch die als „Bei-
träge zum Anonymus Morellianus‘ ausgearbeiteten
Inventare des Nachlasses des Alvise Odoni und
des Alessandro Ram scheinen mir ein mehr kultur-
ale kunsthistorisches Interesse zu besitzen, insofern
zu Michiel, der ausführlicher beschreibt und für
das Beschriebene auch Autorennamen hat, kaum
etwas hinzuzulernen ist; während sich diese In-
ventare auf Bestimmtes nicht einlassen und nur
als knappe Aufzählung eines für venezianische Ver-
hältnisse typischen Hausinnern aufzufassen sind.
Durch neue Hinweise und gelehrtes Beiwerk hat
Gronau immerhin der Sterilität des Stoffes abzu-
helfen gewußt.
Eine reichere Auslese stand Hadeln zur Verfü-
gung, dessen Bearbeitung der venezianischen Maler-
urkunden den Neuheitscharakter dieser Publikation
bestimmt. Ein erstes Mal in diesem Umfang und
Zusammenhang ist nämlich hier, über das Jahr
1550 hinaus und bis ins XVII. Jahrhundert hinein,
mit Tizian- und Tintorettoschülern, mit Genossen
des Paolo Veronese usw. auf wissenschaftlicher
Basis Ernst gemacht; wodurch die Grenze des
bisherigen Forschungsgebietes mit einmal ausge-
streckt erscheint, der Ansatz zu jener Erweiterung
gegeben ist, die, in geübten Händen, bis zur Er-
schließung des Venesianischen Barocks führen kann.
Als Ludwig, der Quattrocentoliebhaber, das Jahr
1330 zum Endpunkt seiner Forschung wählte, ge-
horchte er wohl mehr einer persönlichen Neigung
oder notwendigen Beschränkung, alseinem Kriterium
vom Werte früher oder später Cinquecentokunst.
Lebt Veronese doch bis 1588, Tintoretto bis 1594 !
Als Überfiuß gesammelt, mögen die späteren Ur-
kunden sich nebenbei in seinen Mappen einge-
funden haben. Es gereicht Hadeln zum Verdienst,
diesen vernachlässigten Geschichtsfragmenten ge-
genüber, in seinen Interpretationen einen Ton zu
treffen, der, auf Grund umsichtigster Kenntnis des
heute noch schwer übersehbaren spätcinquecentisti-
schen Bilder- wie Quellennachweises gewonnen,
der historischen Wahrheit gerecht zu werden sucht.
Besonders wertvoll ist ein neuer Tintorettodatum;
ferner was sicheres über die Autoren der Tondi
in der Libreria mitgeteilt wird: Zelotti, Veronese,
Schiavone und Salviati.
Nur dadurch, daß auch die kleineren Leute mög-
lichst als Persönlichkeit und nicht als Lücken-
büßer gekennzeichnet werden, kann Ordnung selbst
im Werke der Größeren geschaffen werden; und
wo das Auge für Unterscheidung nicht ausreicht,
sind Urkunden am Platz. So hat es Tizian nötig
von seinen Schülern befreit zu werden, Veronese
von seinen Mitarbeitern, Tintoretto von diesen und
jenen. Ganz abgesehen davon, daß uns die Ab-
grenzung des Werkes jener Minderbekannten viel-
leicht noch Überraschungen bereitet. Geiger.
AUGUST RICHARD MAIER, Niclaus
Gerhaert von Leiden. Studien zur
Deutschen Kunstgeschichte. Heft 131.
Straßburg, Heitz, 1910.
Das Problem Niclaus von Leiden gehört zu den
interessantesten der deutschen Kunstgeschichte.
An seiner Lösung wird von Robert Bruck und
Franz Staub schon seit Jahren in der Stille gear-
beitet; und eben dieser Umstand hat ernsthafte
Forscher, wie Hans Klaiber, der sich mit der
Materie im übrigen wohl am besten vertraut ge-
macht und auch zu dieser Rezension Wesentliches
beigesteuert hat, davon abgehalten, die notwen-
digen, sehr zeitraubenden Archivforschungen in
Leiden, Straßburg, Konstanz und Wien, noch ein-
mal in Angriff zu nehmen. Die Arbeit Maiers
findet einen anderen Ausweg. Sie verzichtet fast
völlig auf selbständige Urkundenforschung und
begnügt sich in der Hauptsache damit, das bereits
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 9
bekannte Material systematisch zu ordnen. Nur
zwei Werke werden dem Künstler neu zugeschrieben,
beide sicherlich mit Unrecht: eine Madonna bei
Boehler in München, über deren Herkunft die
Akten noch nicht geschlossen sind, ferner die neuer-
dings viel erörterte Bildhauerbüste aus S. Peter in
Konstanz, jetzt im Rosgartenmuseum, die für Niclaus
zu unsicher ist und vielleicht als Jugendschöpfung
des Heinrich Yselin angesehen werden darf.
Diese Arbeitsmethode erscheint nun gerade im
vorliegenden Falle recht bedenklich, weil fast alle
urkundlich überlieferten Tatsachen bisher noch
zweifelhaft sind. Über die Jugend. des Künstlers
erfahren wir garnichts; die Hypothesen des Ver-
fassers über die Herkunft des Meisters aus der
burgundischen Schule sind vage. 1464 erscheint
Niclaus in Straßburg, 1467 folgt er einem Rufe
nach Wien. In den drei Jahren sind folgende
Werke entstanden: Straßburg, Kanzleiportal, 1464
(erhalten nur die Abgüsse zweier Bústen); Straß-
burg, S. Marxstift, 4 Holzbüsten (nicht urkundlich
bezeugt, doch stilistisch mit den Kanzleiportalbüsten
nahe verwandt); Madonnenrelief von 1464 in der
Johanneskapelle des Straßburger Münsters (dieses
Werk, sowie die Zinnensäule im Museum sind be-
reits in einem Aufsatze von Robert Bruck über
Elsássische Flolzplastik im „Kunstgewerbe in EI-
sa8-Lothringen“ II, 179 erwähnt, den der Verfasser
völlig mit Stillschweigen übergeht); Hochaltar des
Konstanzer Münsters, 1464, zerstört; Kruzifix in
Baden-Baden, 1467. Schon die Zahl der genann-
ten Schöpfungen ist für eine Tätigkeit von drei
Jahren sehr groß; und nun werden dem Meister
gar noch das gesamte Konstanzer Gestühl und
die stilistisch von ihm durchaus verschiedenen
Türen des Konstanzer Münsters zugewiesen. Daß
er an beiden Arbeiten beteiligt ist, steht außer
Frage; doch wäre genauer zu untersuchen ge-
wesen, wie weit sein persönlicher Anteil geht;
denn von dem Vertrag zur Lieferung des Ge-
stühles wird er bereits 1467 entbunden; es sollen
„die verdinge des gestüles halb abesin“, heißt es
in dem neuen Vertrag vom 17. April 1467; und
auch die Türen werden laut Inschrift erst 1470
fertiggestellt, als Niclaus längst in Österreich weilt.
— Dort folgen dann noch die Grabmäler der Kai-
serin Eleonore in Wiener Neustadt und des Kaisers
Friedrich III. in 8. Stephan in Wien. Warum der
Tod des Künstlers gerade in das Jahr 1487 fallen
soll, ist nicht einzusehen. Bekannt ist lediglich
die Tatsache, daß 1487 Peter Gerhaert, Meister Nic-
laus des Bildehouwers seligen sun, in Straßburg
erwähnt wird. Wann dieser Meister Niclaus ge-
storben ist, hat Mair nicht ermittelt; selbst die
29 421
Frage, ob dem Niclaus von Leiden der Name Ger-
haert mit Recht zugeteilt wird, ist problematisch;
denn in die schwer leserliche Inschrift des dem
Vertrage über das Straßburger Kanzleiportal ange-
hingten Siegels wird der Name Gerhaert gerade
mit Hilfe des Circulus vitiosus über jenen Peter
Gerhaert hineininterpretiert.
Beschreibung und Analyse der einzelnen Bild-
werke sind gut. Hingegen fehlt eine geschlossene
Darstellung der Entwicklung des Bildhauers auf
Grund der Betrachtung der Werke. Des weiteren
mangelt eine klare Herausarbeitung der Schule des
Meisters. Eine Anzahl von Arbeiten wird mit ihm in
Verbindung gebracht. Wir erfahren gelegentlich,
daß der Kruzifixus in Baden-Baden wiederholt nach-
gebildet wird, und zwar in Maulbronn, 1473, Lauten-
bach, Colmar, Offenburg 1521, lernen als Schulwerke
die Konstanzer Münsterkanzel des Hans Hammer,
1486, die Bildwerke im nördlichen Münsterquerschiff,
den Tod Mariä von 1480 und den Ölberg des
Nixolaus Roeder von 1501 kennen, von dem sich
in Offenburg eine Nachbildung findet, ferner eine
Madonna in Lautenbach, endlich die Arbeiten
des Veit Wagner; in St. Stephan in Wien ver-
raten der Fuß der Orgelbühne, die Kanzel und
einige Epitaphien seinen Einfluß. Diese wenigen
Andeutungen des Verfassers vermógen indes noch
keine Vorstellung davon zu geben, wie sich der
herbe, kantige Stil des Meisters und seiner Schule
gegen die mannigfaltige, doch in allen Äußerungen
von der seinigen abweichende Kunstweise seiner
Umgebung am Oberrhein und in Ósterreich abgrenzt.
— Die dem Buche beigegebenen 20 Lichtdrucktafeln
lassen nichts zu wünschen übrig. Julius Baum.
HERMANN THIERSCH, An den Rán-
dern des rómischen Reiches. Sechs
Vortriige iiber antike Kultur. Miinchen
(O. Beck), 1911. Gebunden M. 3.—.
Desinunt ista non pereunt: Mit diesen Worten
schließt ein Buch, das weit und tief gewirkt hat,
wie nur ganz wenige philologische Bücher unserer
Zeit: Erwin Rohdes Psyche; es ist damit eine Wahr-
heit ausgesprochen, die keine Verschiedenheit der
Meinungen und kein Toben neuerungssüchtiger
Umstürzler uns rauben kann, die Tatsache näm-
lich, daß noch heute das Altertum lebendig und
wirkend ist. Es ist das Gesetz der historischen
Kontinuität, dessen Geltungsbereich, Wesen und
Wirkung zu erweisen, heute viele Hände tätig
sind. Unter den Archäologen hat es in energischer
und konsequenter Weise durchgeführt Hermann
Thiersch in seinem Werke Pharos, Antike, Islam
422
und Occident (Leipzig, 1909). Auch sein neues
Büchlein: „An den Rändern des römischen Reiches“
stellt sich in den Dienst dieses Gedankens. „Nur
scheinbar liegen die vielfach vergessenen und ver-
lorenen Dinge des Altertums fernab von unserer
Gegenwart. In Wirklichkeit reicht, wenn auch
nicht vielen erkennbar, eine innerlich durchgehende
Verbindung herüber vom Einst zum Jetzt“. Es
sind sechs Vorträge, gehalten in Karlsruhe in jenen
von der Großherzogin von Baden eingerichteten
Kursen, durch die der Frauenwelt geistige Anre-
gung und die Gelegenheit zur Vertiefung des all-
gemeinen Wissens geboten werden soll. Es sind
aber nicht angenehme Causerien und nicht popu-
läre Archäologie, wie sie vielfach dargeboten wird,
vor der man nur energisch warnen kann. Heute
ist die Wissenschaft des Spatens in so lebhafter
Entwicklung, daß einerseits die Ausgrabungen
selbst, andrerseits die Verarbeitung ihrer Resultate
in dem Maße die Kräfte jedes in Anspruch nehmen,
daß zur „Popularisation“ der Wissenschaft sogut
wie keine Zeit bleibt. Diese liegt daher großen-
teils in der Hand von Männer, die nicht die
nötigen Vorkenntnisse und eigene Erfahrung be-
sitzen. Mit um so größerer Freude begrüße ich
dieses Buch. Es ist von einem wirklichen Archäo-
logen, mehr noch, von einem Manne geschrieben,
der nicht gelehrter Antiquar ist, sondern eine
lebendige Beziehung zur Kunst besitzt. Den tie-
feren Zusammenhang von Antike und Moderne
aufzuzeigen, dient ihm die Zeit des Imperiun
Romanum, jene Zeit, die zugleich die Gesamtbilanz
der Antike zieht, indem sie die Kulturen aller
Mittelmeervölker in sich vereinigt, und die Grund-
lage abgegeben hat für unsere jetzige, bunte „euro-
päische“ Zivilisation. «Ihren markantesten Ausdruck
haben jene Kulturen der Mittelmeervölker gefunden
in ihren Zentren: Alexandria für Agypten (Kapitel 1),
Petra für Arabien (а), Antiochia für Syrien (3),
Ephesos und Pergamon für Kleinasien (4), Karthago
für Nordafrika (5), Trier für die Gebiete der Rhone
und des Rheins (6). Man sieht, jene zwei Zentren
fehlen, an die der Laie, wenn von antiker Kultur
die Rede ist, zunächst denkt: Athen und Rom.
Dafür sind die Randgebiete der alten Welt, die
weiteren Kreisen garnicht oder wenig bekannt zu
sein pflegen, in den Vordergrund der Betrachtung
gerückt. Das Ganze ist in leicht verständlicher,
reizvoller Form vorgetragen, die Anmerkungen am
Schluß begründen abweichende Meinungen des
Verfassers und geben Hinweise auf weitere Literatur.
Wünschen wir, daß viele sich diesem Führer an-
vertrauen — wir kennen keinen besseren!
Ths. Otto Achelis.
PIERRE PAUL PLAN, Jacques Callot,
Maitre-Graveur (1593—1635). Suivi d'un
Catalogue Raisonné et accompagné de la
Reproduction de 282 de ses Estampes et
de deux Portraits. Briissel, G. van Oest
& Cie.
In dem rúbmlichst bekannten Brússeler Verlage
beginnt soeben in Subskription ein neues Werk
über den lothringischen Malerradierer aus Nancy
von Р. Р. Plan zu erscheinen.
Es sollen fúnf Lieferungen herauskommen, von
denen jede ca. 16—24 Seiten Text und 20 Tafeln
mit rund 55 Abbildungen enthalten soll. Im
Ganzen wird uns so die Reproduktion von fast
einem Drittel des Oeuvre Callots in Aussicht gestellt.
Ein kritischer Katalog mit búndiger Angabe der
Plattenzustände in Ergänzung zu „Meaume“ soll
folgen. —
Die vorliegende erste Lieferung führt uns
in Leben und Werk Callots bis zu dem Zeitpunkt
ein, da die Blätter zu den Belagerungen von La
Rochelle und Breda entstanden. Verfasser bringt
in breiter, streng historischer Darstellung alle Er-
eignisse und Daten, polemisiert teilweise gegen
frühere Autoren und spart nirgends mit Literatur-
angaben.
Verfasser wendet sich insbesondere gegen die
angeblich zu leichtgläubige Übernahme rein legen-
därer Erzählungen älterer französischer Schrift-
steller, die er aber, zum Teil im Auszug, gewissen-
haft mitteilt, wie z. B. jene Reise mit Zigeunern
nach Italien und jene bekannte Eifersuchtsszene
in Thomassins (Callots erstem Lehrer) Schlafge-
mach u. а.
Hierauf, wie im Einzelnen auf Text und Kata.
log wird später noch näher einzugehen sein, wenn
erst das vollständig vorliegende Werk eine Kritik
im Ganzen ermöglichen wird. Leider ist aus
dem Prospekt nicht ersichtlich, ob auch eine Wie-
dergabe einiger der schönsten Zeichnungen Callots
beabsichtigt ist. Auf alle Fälle aber dürften Fach-
leute wie Sammler der Fortsetzung des glänzend
ausgestatteten Werkes mit größtem Interesse ent-
gegensehen. Hermann Nasse.
LOUIS CORINTH, Das Leben Walter
Leistikows. Ein Stiick Berliner Kultur-
geschichte. Paul Cassirer Verlag, Berlin.
Mit Walter Leistikow, dem Grunewaldmaler, starb
1908 nicht nur ein Kúnstler von Gottes Gnaden,
sondern gleichzeitig auch ein Mensch von nicht
alltäglichem Gepráge. Er war eine jener seltenen
Persönlichkeiten, die das Schicksal immer zur
rechten Stunde bereit hält, wenn die kulturelle Ent-
wicklung an einem kritischen Punkte angelangt
ist, um ihnen dann die Führerrolle anzuvertrauen.
Leistikows Mission war nicht gering und es ist
gut, daß wir durch Corinth von neuem daran er-
innert werden. Sein Leben war ein Kampf — nicht
für seine Kunst, der das seltene Glück des Erfolges
früh zuteil geworden ist — sondern um den Fort-
schritt der Zeit und die Anerkennung jenes kleinen
Kreises, aus dem die Führer unserer Moderne her-
vorgegangen sind. Es war der Kampf, den die
künstlerische Freiheit gegen die reaktionärste
Kunstpolitik geführt hat, die ihrer Macht die vitalen
künstlerischen Interessen untertan machen wollte,
und die gerade in jenen Jahren am verhängnis-
vollsten hervortrat, als überall das junge positive
Deutschiand mutig eine neue Bewegung einge-
leitet hatte, die auch heutigen Tages noch nicht
zum Abschluß gekommen ist. In Berlin bedeuteten
auf der einen Seite der Sieg des Naturalismus in
der Literatur der Neunziger Jahre, auf deranderen
die Begründung der Sezession Höhepunkte іп dem
Kampf der widerstreitenden Kunstanschauungen.
Und wenn die Sezession überhaupt unmittelbar aus
der Initiative eines Einzelnen hervorgegangen ist,
dann aus derjenigen Walter Leistikows.
Dieser prachtvolle Mensch, den ein Rafaelschick-
sal vor der Zeit hinwegnahm, hat jenes Stück
Berliner Kulturgeschichte bestimmt, das den we-
sentlichen Inhalt der Corinthschen Monographie
ausmacht, die im letzten ein Buch persönlicher
Erinnerungen an den Verstorbenen darstellt, in
dem die Pietät identisch ist mit der Bewunderung
der Tatkraft und der seltenen Geistesgaben, die
Leistikow eigneten. Corinth verwebt hier das
Einzelschicksal mit der Geschichte jener kunst-
politischen Jahre, die für Berlin die folgenreichsten
und auch fruchtbringendsten der ganzen neueren
Entwicklung gewesen sind. Und so wächst sich
seine Arbeit zu einem kulturhistorischen Dokument
aus, das für unsere Zeit doppelt reizvoll ist. Ein-
mal, weil es die erste sachliche Darstellung all
jener Vorgänge und Momente gibt, die wir selbst
im journalistischen Streit der Tagesmeinungen mit-
erlebt haben, dann aber, weiles nicht minder auch
jene Persönlichkeit zu ihrem Rechte kommen läßt,
die die eigentliche Seele der ganzen Bewegung
war. In welchem Maße dies in der Tat der Fall
war, das haben doch nur die Wenigen gewußt,
die mit Leistikow Schulter an Schulter in der vor-
dersten Reihe kämpften. Daß es aber dem
Schriftsteller Corinth gelungen ist, in diesem Sinne
eine geschlossene Arbeit zu geben, ist bei dem
423
hervorragenden literarischen Talenten des Meisters
selbstverstindlich. Corinth gehdrt ebensowenig
wit Leistikow zu den zaghaften Naturen, die ingst-
lich jedes Wort, das der Druckerschwárze úber-
liefert werden soll, auf die Wagschale legen. Er
ist temperamentvoll und derb-gesund und darum
liest man auch in seinem Buch manch kriftig
Wörtlein, mit dem er dem gemeinsamen Gegner
zu Leibe geht. Aber auch das ist reizvoll, denn
zu einer trocken-objektiven Schilderung liegt dies
Kapitel deutscher Kulturgeschichte noch garnicht
weit genug hinter uns, und wo esgilt, den Taten
des Freundes die verdiente Anerkennung zu geben,
da wird Corinth selbst zum gleichgesinnten Kämpen.
Ich sagte oben schon, daß der Verfasser es vor-
trefflich verstanden hat, den Künstler und Menschen
Leistikow im Lichte seiner Umgebung und seiner
Zeit darzustellen und wenn auch in den ersten
Kapiteln das Kulturgeschichtliche stärker überwiegt
gegenüber dem rein Künstlerischen, das erst in
den Schlußkapiteln auf das Leistikowsche Schaffen
konzentriert wird, so berühren sich doch hier wie
dort überall die Momente des Einzellebens mit
den wichtigen Momenten im Werden der Zeit.
Als solche mögen die literarischen Kämpfe, die
Weltausstellung in Paris 1889, die Vereinigung
der XI, die Affäre Munch im Verein Berliner
Künstler, die Begründung der Sezession (1889),
der Salon Paul Cassirer und endlich die Gründung
des deutschen Künstlerbundes kurz genannt werden.
Wie aber diese Dinge psychologisch geworden
sind, welches Leistikows Anteil daran gewesen,
das bringt uns überhaupt zum ersten Male Louis
Corinth zum Bewußtsein.
So danken wir dem trefflichen Maler-Schriftsteller
doppelt für sein Werk: Er gab uns das Leben
Leistikows in dem schönen Kleide edier Freund-
schaft und geistiger Gemeinsamkeit, er beschenkte
uns darüber hinaus noch mit einem kulturhistorisch
bedeutsamen Beitrag zu dem Werdegang der Mo-
derne, der vielleicht erst nach hundert Jahren
seinen hohen Wert als Quellenschrift für das Ver-
ständnis einer der wichtigsten Zeitepochen aufzu-
weisen vermag.
Das Buch ist im Verlag von Paul Cassirer er-
schienen, der auch einer von denen gewesen ist,
die an Leistikows Seite gekämpft haben. Es trifft
in seiner äußeren Erscheinung wundervoll die dem
Künstler eigene Note und ist auch unter diesem
Gesichtspunkt voll der Harmonie, die zugleich das
Kennzeichen seines literarischen Wertes ist.
Georg Biermann.
424
FRIEDRICH KAMMERER, Zur Ge-
schichte des Landschaftsgfühls im
frühen achtzehnten Jahrhundert
Berlin, S. Calvary & Co. 1909. УШ, 265
Seiten, 8°.
Von den zahlreichen Arbeiten zur Geschichte
des Naturgefühls, die in den letzten Jahren er-
schienen sind, ist Kammerers umfängliche Unter-
suchung ohne Frage eine der feinsten und sorg-
fältigsten. Schon die reichhaltigen bibliographi-
schen Beigaben und die ausführlichen Register
wecken beim ersten Durchblättern des gut ge-
druckten Buches ein günstiges Vorurteil, das sich
bei näherem Zusehen durchaus als berechtigt er-
weist. Auch die geschmackvolle Darstellung ver-
dient hervorgehoben zu werden; nur streift der
gepflegte Stil des Verfassers mitunter hart an
Manier.
Nach einigen theoretischen Auseinandersetzungen
unterrichtet ein ausgezeichnetes Einleitungskapitel
über die Beziehungen zwischen Gartenstil und
Landschaftsgefúhl im 17. und 18. Jahrhundert.
Dann wendet sich der Verfasser in der Haupt-
sache einer literarhistorischen Aufgabe zu und
analysiert mit weitem Umblick und Ausblick das
landschaftliche Empfinden Hagedorns und Hallers
gemäß den Wahrnehmungselementen, Gefühls-
komplexen und begleitenden Vorstellungen, die
wir in ihren Dichtungen finden. Kammerer zeigt,
wie in die Entwicklung der dichterischen Land-
schaft ein lebhafteres Tempo kommt, seitdem auch
die Poeten beginnen, mit den Augen der hollän-
dischen Landschaftsmaler zu sehen. Leider sind
die Hinweise auf die gleichzeitige Malerei an
dieser wie an anderen Stellen des Buches nur
sehr knapp; es will mir scheinen, als ob Kam-
merers Darlegungen noch wertvoller geworden
wären, wenn er den Anregungen, die den Dichtern
von der bildenden Kunst her kamen, mehr Be-
achtung geschenkt hätte. Der erste deutsche
Dichter, dem es gelang, die Konvention des
17. Jahrhunderts zu durchbrechen, ist der Ham-
burger Barthold Heinrich Brockes, der bereits
über ein ungemein differenziertes Wahrneh-
mungs vermögen der landschaftlichen Erschei-
nungen verfügt: bei erneuter Lektüre etlicher Par-
tien seines „Irdischen Vergnügens in Gott“ fand
ich mich geradezu an Adalbert Stifters minutiöse
Naturschilderungen erinnert. Brockes war jedoch
von keinem erheblichen Einfluß auf den am
gleichen Orte wirkenden Hagedorn, dessen land-
schaftliches Empfinden Kammerer ausführlich zer-
gliedert. Hagedorn wurzelt ganz und gar in der
herkömmlichen Landschaftsanschauung des 17. Jahr-
hunderts. Alle Farben und Formen sind bei ihm
aufgelóst in Buntheit und Bewegung. Auch
Haller, den Kammerer noch eingehender wúr-
digt, liebt Buntheit und Bewegung, aber in anderer
Art als Hagedorn. Er hat ein weit stárkeres
Farbenempfinden als dieser. Er sucht úber die
enggezogenen Grenzen der Schiferlandschaft, die
Hagedorn bevorzugt, hinauszublicken. Er gibt
der deutschen Dichtung durch das Hineinziehen
des Gebirges einen neuen Inhalt. Das höchst
eigentümliche Verhältnis der Menschen zum Ge-
birge vor Haller, erörtert Kammerer in einem sehr
lehrreichen Exkurs. Haller ruft durch seinen Vor-
gang eine eminente Steigerung der realistischen
Landschaftsschilderung hervor, die ihren ersten
Höhepunkt in Rousseau erreicht. Und doch ist
das Hochgebirge nicht ein Symbol von Hallers
Seele: wenn er die Dämmerung besingt, die des
Himmels Farben bricht, und die nächtlichen
Schatten, dann erst offenbart sich der wahre Haller,
dann vermag er, der „die lächeinde Freude nie
empfunden“, die Züge der Landschaft nach der
Form seiner Seele umzubilden. Das geschieht
noch nicht in seinem einflußreichsten Gedicht,
den „Alpen“, sondern vor allem in dem gran-
diosen Fragment „Über die Ewigkeit“. Die per-
sönlich-seelische Auffassung der Landschaft und
verinnerlichtes Gefühl finden wir dann vollkommen
ausgeprägt bei Klopstock.
Merkwürdig, daß Kammerer an den gleichzei-
tigen Strömungen in den Naturwissenschaften und
in der Philosophie nahezu achtlos vorübergegangen
ist. Bei Haller muß man doch von vornherein
voraussetzen, daß der Gelehrte mit dem Dichter
im engsten Bunde stand. Aber auch Brockes
hatte nahe Beziehungen zu den beiden Wissen-
achaftsgebieten. Gewiß waren ihm die mikrosko-
pischen Forschungen Leeuwenhoeks vertraut, der
zum erstenmal festgestellt hatte, daß es in dem
winzigsten Wassertropfen fast eine Unendlich-
keit kleiner Tiere gebe. Und vor allem: die ge-
samte Naturanschauung des frúhen 18. Jahrhunderts
ist bestimmt durch Leibniz, der die mechanisti-
schen Theorien Descartes’ und seiner Schiiler ab-
gelöst hatte durch die Einfúhrung des Organismus-
begriffs. Man bedenke, was es heißen wollte und
wie anregend es gerade auf Kúnstlerseelen wirken
mußte, wenn nunmehr die Losung lautete: ,,Toute
la nature est pleine de vie“. Hermann Michel
AUGUSTE RODIN, L’Art, Entretiens
réunis par Paul Gsell. Ouvrage du for-
mat 15><21 orné de plus de roo illustra-
tions dans le texte et hors-texte et de des-
sins inedits du maitre Bernhard Grasset,
Paris б.
Wenn große Künstler das Wort ergreifen, um
ihre Anschauungen über die Kunst, über Gott und
die Welt, den Menschen mitzuteilen, so ist das
immer wertvoll, geistreich und anregend. So kann
dieses Werk allen Kunstfreunden und insbesondere
allen Verehrern Rodins aufs Angelegentlichste emp-
fohlen werden; es kann als eine wertvolle Ein-
führung in Rodins Kunst gelten und vermag uns
das Verständnis seines Wesens vertiefen und er-
weitern. Zu den Illustrationen seiner eigenen
Werke gesellen sich Reproduktionen nach Werken
der Antike, Michelangelos, Géricaults, Watteaus,
Rembrandts, Raffaele, Velasquez’ und anderer von
Rodin geliebter Meiater, úber die er zu Paul Gsell
gesprochen hat. Mit Adolf Hildebrands Problem
der Form lassen sich Rodins zwanglosere Unter-
haltungen nicht vergleichen; sie sind leichter und
ohne jede didaktische Absicht geschrieben. Aber
vielleicht wird gerade darum dieses Buch sich ein
großes Publikum werben. Es soll auch nicht ver-
schwiegen werden, daß manche der klugen und
feinen Gedanken und Beobachtungen sich bereits
in dem älteren komprimierteren Buche von Judith
Cladel finden. Und auch vieles, wasich in meiner
Rodin-Biographie aus Gesprächen notierte, ist bier
noch einmal wiederholt worden. Paul Gsell ver-
Sffentlichte seine Gespräche mit Rodin zuerst in
den letzten beiden Jahrgängen der Pariser Zeit-
schrift „La Revue“. Otto Grautoff.
425
DER CICERONE.
Heft ra:
ERNST STEINMANN, Georg David Matthieu. Zur
Ausstellung seiner Werke im Schweriner Museum.
(7 Abb.)
G. BIERMANN, Die Leipziger Jahresausstellung in
Verbindung mit dem Deutschen Kúnstlerbunde, I.
Heft 13:
С. F. FOERSTER, Ein Meißner Tafelaufeatz für
Maria Theresia. (1 Abb.).
ERNST ZIMMERMANN, Die Porzellanschätze des
Kaiserlichen Schatzhauses und des Museums zu
Konstantinopel.
G.CHODOWIECKI, Das Bildnis der Familie Cho-
dowiecki. (1 Tafel.)
— ö᷑— e
Heft 14:
H. CARL KRÜGER, Ludwigsburger Porzellan.
(16 Abb.)
HANS Е. SECKER, Kupferstiche des XV. Jahr-
hunderts als Vorbilder für Ofenkacheln. (15 Abb.)
G. BIERMANN, Die Leipziger Jahresausstellung in
Verbindung mit dem Deutschen Kinstlerbunde
(SchluB.)
Heft 15:
HUGO HABERFELD, Die französischen Bilder der
Sammlung Kohner. (то Abb.)
Ө. B., Im Kampf um die Kunst.
Heft 16:
MAX LEHRS, Vom Meister ES und von Ofen-
kacheln,
W. MANOWSKY, Römische Ausstellungen, III.
Die Ausstellung des Lebens der Fremden in Rom.
(8 Abb.)
G. E. LÜTHGEN, Neuerwerbungen des Kölner
Kunstgewerbemuseums. (6 Abb.)
KUNST UND KUNSTLER.
Heft XI:
KARL SCHEFFLER, Leopold von Kalckreuth.
ROBERT WALSER, Grün.
EMIL BURCHARD, Jacques Bellange.
JULIUS ELIAS, Die große Berliner Kunstausstel-
lung u. a.
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
August:
A.MARGUILLIER, CHARLES HEYMANS, Pariser
StraBenbilder.
WALTER BOMBE, Der Palazzo Davanzati in
Florenz und seine Fresken. `
HEINR. BROCKHAUS, Der Genter Altar.
M. D. HENKEL, Moderne holländische Kunst.
R. BREUER, Der Städtebau als architektonisches
Problem.
426
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION.
Heft 11 (August).
KARL MAYR, Vom Porträt.
WILHELM MICHEL, Maler Hans Heider.
MAX OSBORN, Rudolf Dührkoops Bildnis-Photo-
graphien.
Vom Leipziger Vólkerschlachtdenkmal. / Das Haus
Mairowsky in Cöln.
DIE KUNST FÜR ALLE.
2. Augustheft:
KARL M. KUZMANY, Die Jubiläumsausstellung
im Wiener Kúnstlerhause.
Künstlerporträts der Brüder Goncourt.
Rodin, II. Felicien Rops.
G. J. WOLFF, Der Múnchner Glaspalast 1911.
HANS BARTH, Die Rómische Kunstausstellung, IL
1. Auguste
DIE CHRISTLICHE KUNST.
Heft 8:
HUGO KEHRER, Tizian und Tintoretto im As-
sunta-Saal der Akademie zu Venedig. (2 Abb., 1
Tafel.)
HUGO STEFFEN, Die alten Innungen und die
neuen Organisationen im Baugewerbe (Schluß).
JOS. WAIS, Georg von Hauberrisser. (3 Abb.)
JOS. WAIS, Georg Albertshofer — Wilhelm Immen-
kamp. (12 Abb. nach Werken A.'s; 15 Abb. nach
Werken 1.'в).
Heft 9:
ENR. WÜSCHER - BECCHI, Die Engel in der
christlichen Kunst.
FERD. NOCKHER, Die Autotypie.
JOS. WAIS, Architekt und Bauherr.
BONE, Gedanken zum Prinzip des Impressionis-
mus. (Anläßlich der letzten Sonderbundausstellung
in Düsseldorf тото.
RICHARD RIEDEL, Wiener Bildwerke. (4 Abb.)
Ausstellungsberichte.
Heft то:
A. FÄH, Die Spitze, eine Blüte der Renaissance;
Sammlung L. Iklé in St. Gallen. (34 Abb.)
Ausstellungsberichte.
Heft 11:
JOS. WAIS, Leo Samberger; zum 50. Geburtstag
des Kiinstlers am 14. August. 17 Abb., 3 Tafeln.)
J. A. ENDRES, Die Skulpturen an der Kirche von
Schóngrabern. (6 Abb.)
O. DOERING-DACHAU, Die Porträtausstellung zu
Florenz.
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Heft 5:
AUGUST SCHMARSOW, Eine mittelrheinische
Kreuzigung im Brússeler Museum. (1 Tafel.)
HERIBERT REINERS, Der Meister von Siersdof;
ein niederrheinischer Bildschnitzer aus der ersten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts. 1. (7 Abb.)
ALOIS WURM, Fra Angelicos Linajuolitafel und
die Krönung in den Uffizien. (3 Abb.)
ONZE KUNST.
Juli 1911:
ARNOLD GOFFIN, Karel van der Stappen (ver-
volg).
J. VAN DEN BOSCH, Onze Ambocerts- en Nijver-
heidskunst (slot).
Kunstberichten.
LES ARTS.
Aout-Nr.:
ART. J. RUSCONI, Le Palais Davanzati a Florence
(reichillustriertes Sonderheft).
ORIENTALISCHES ARCHIV.
Heft 4:
R. v. LICHTENBERG, Die antiken Baustile des
Orients vom Standpunkt des Rassencharakters.
GARRETT CH. PIER, Saracenic Glags.
Р. A. VOLPERT, Die Ehrenpforten in China.
O. MUNSTERBERG, Die Darstellung von Euro-
päern in der japanischen Kunst.
Kleine Mitteilungen.
THE STUDIO.
July:
M. WOOD, Some recent Water-colours by Edwin
Alexander.
HENRI FRANTZ, The Salon of the société des ar-
tistes francais.
E. A. TAYLOR, The American Colony of artists
in Paris.
SELWYN BRINTON, The International Art Ex-
hibition at Rome.
August: nn
A. L. BALDRY, Some recent Work by J. W.
Waterhouse.
A. S. LEVETUS, The Jubilee Exhibition of the
Künstlergenossenschaft, Vienna.
GEORG BROCHNER, Old Danish Carved Furniture.
M.C. SALAMAN, The Pictures and Prints of Ed-
ward L. Laurenson.
THE BURLINGTON MAGAZINE.
Juli 1911.
AYMER VALLANCE, Some Flemish Painted
Glass Panels. (2 kolorierte Tafeln.)
Im Jahre 1910 kaufte der Maler Grosvenor Tho-
mas in London eine Serie bedeutsamer, offen-
bar vlämischer Glasmalereien, deren eine un-
zweifelhaft den späteren Kaiser Maximilian dar-
stellt. Wie die Stiicke nach London gekommen
sind, ist nicht bekannt.
TANCRED BORENIUS, Three Paintings by
Bartolomeo Vivarini. (a Tafeln mit 3 Abb.)
Das erste besprochene Bild ist ein neuentdecktes
des Meisters. Es stellt eine Madonna, den Bam-
bino anbetend, dar und befindet sich jetzt in Sir
Hugh Lones Sammlung. Es trágt auf einem
cartellino eine Signatur, die das Geburtsjahr des
Meisters auf das Jahr 1431 oder 32 festlegt. Das
Bild kommt aus Bologna, wo es bis vor kurzem
der einst berühmten Hercolanikollektion angehört
hatte. Das zweite Bild gehörte der Charles But-
lerkollektion an; es ist ein Tod der Maria. Das
dritte Bild, eine kleine Anbetung der Könige,
kam auch erst kürzlich im Abdyverkauf auf den
Markt und ist wahrscheinlich eines einer Serie
des Lebens der Jungfrau, zu dem auch Nr. 1058
im Kaiser- Friedrich -Museum in Berlin gehört.
W. H.JAMES WEALE, A Family of Flemish
Painters. (2 Tafeln mit 5 Abb.)
Behandelt die Familie Claeissins oder Claeis aus
Brúgge, und zwar Peter und seine drei Sóbne:
Giles, Peter und Antonius; sodann den Sohn des
Antonius, ebenfalls Peter genannt, und den Sohn
Peters, genannt Johannes.
A.M. HIND, The Arrangement of Print Col-
lections. |
Bespricht an der Hand des Valerian von Loga-
schen Buches „Ordnung und Katalogisierung
eines Kupferstichkabinettes“ die Anordnung der
Kunstblätter im Britischen Museum.
ROGER FRY, Diana and her Nymphs. (1 Taf.)
Das dem Mr. W. B. Paterson gehörige, 48 -64
inches große Bild, das dieHand eines jungen
Künstlers verrät, scheint dem Vermeer von Delft
nahe zu stehen, was wohl nur als kühne Hypo-
these erklärt werden kann.
R. PETRUCCI, The Pelliot Mission to Chi-
nese Turkestan. (3 Tafeln mit ı2 Abb.)
Bespricht die Ergebnisse der Pelliotschen For-
schungsreisen in bezug auf die Frage der Ein-
wirkung der buddhistischen Kunst auf China etc.
GEORGE Н. DE LOO, Jacques Darets Nati-
vity of Оча Lord. (2 Tafeln.) |
Die Daretsche „Geburt Christi“, die jetzt Pier-
pont Morgan gehört, ist unter dem Einfluß Robert
Campins, des Lehrers Darets (den de Loo mit
dem „Meister von Flémalle“ identisch setzt)
entstanden. Sie gehörte, wie Гоо feststellt, zu
dem gleichen Altar in der Pfarrkirche St, Vaast
in Arros, von dem auch die Anbetung der Könige
und die Visitation im Berliner Kaiser-Friedrich-
Museum stammen.
A. CLUTTON - BROCK, The Primitive Ten-
dency in Modern Art.
HERBERT COOK, Baldassared’Este. (2 Tafeln
mit 4 Abb.)
Bespricht ein Männerporträt des einstigen Hof-
malers d’Este, der ein natürlicher Sohn Nic-
colo III. war. Dieses Porträt, das signiert und
datiert ist, kann als Ausgangspunkt für das Auf-
finden anderer Werke des Künstlers dienen.
PIERRE BAUTIER, On a Lost Portrait by
Justus Suttermans. (1 Tafel mit a Abb.)
Bespricht das im vorigen Jahre in Brüssel aus-
427
gestellt gewesene Bild Suttermanns, das dort
(Nr. 445 des Kataloges) als das Porträt eines
Prinzen von Savoie bezeichnet war, das aber
offenbar Ferdinand II. von Toskana darstellt.
Notes on Various Works of Art, darunter
Lionel Custs, On Two Portraits Attributed to
Gerlach Flicke mit a Abbildungen auf ı Tafel.
Review and Notices.
Recent Art Publicationa.
Italian Periodicals.
August 1911.
F. SCHMIDT-DEGENER, Notes on Some Fif-
teenth-Century Silver-Points. (2 Tafeln mit
6 Abb.)
Behandelt mit Ausnahme eines dem Holbein d.
Älteren zugeschriebenen Blattes (Kopf einer alten
Frau) mehrere vlämische Stücke, von denen ei-
nige sich in Amsterdam, andere in Rotterdam
in Boymans Museum befinden.
R. L. HOBSON, On Some Old Chinese Pot-
tery. (1 Tafel mit 8 Abb.)
Bespricht Beispiele der Tz’u-Chou - Manufaktur.
Three More Pieces of Tz'u- Chou Ware. (1
Tafel mit 4 Abb.)
BERNHARD and ELLEN M. WHISHAW, His-
pano-Arabic Art At Medina Az-Zabra. (a
Tafeln mit 9 Abb. und 2 Abb. im Text.)
Behandelt den Lustsitz Abderrahmans von Cor-
dova (begonnen in 936), das ,,arabische Pom-
peii“, das nun ausgegraben wird, und deckt Ein-
flüsse von Agypten her (koptische Künstler) auf.
LIONEL CUST, Notes on the Collections
Formed by Thomas Howard, Ear! of Arun-
del and Sorrey.
Leitet ein von MiB Mary L.Cox aufgefundenes
Inventarium der Bilder etc. ein, die sich im Be-
sitz der Gräfin von Arundel bei ihrem 1654 er-
folgtem Tode in Amsterdam befanden, und gibt
den ersten Teil dieses Inventariums.
FREDERIC LEES, A Newly Discovered Statue
of The Virgin. (2 Tafeln mit 4 Abb.)
Es handelt sich um die früher im Seminar zu
Meux befindliche Madonnenstatue, die jetzt dem
М. Emile Wanters in Paris gehört. Dr. Vöge
nennt sie zusammen mit Claus Sluters Madonnen-
statue (in der Kirche der Chartreuse de Champ-
mol bei Dijon) die besten Werke des Ausgangs
des XIV. Jahrhunderts, soweit sie erhalten sind,
HERBERT CESCINSKY, Lacquer Work in
England — 1 Oriental Lacquer. (хт Tafel mit 6
Abb.)
Bespricht als Einleitung orientalische Lack-
arbeiten.
LIONEL CUST, Notes on Pictures in tbe
Royal Collections XXU. (т Tafel.)
Ein Portrait der Louise de la Vallitre von Mig-
пага in Schloß Windsor wird als eines der Eli-
sabeth Charlotte von Bayern, Herzogin von
Orleans, erkannt.
Notes on Various Works of Art, darunter
Lionel Cust, On a Portrait of Sophia Dorothea
of Zell. (1 Tafel.)
Reviews and Notices.
Recent Prints. Recent Art Publikations.
German Periodicals.
428
CLARK D. LAMBERTON, Themes from St. Johns
Gospel in Early Roman Catacomb Painting. Pub-
lished by Princeton University Press.
SIR W. B. RICHMOND, Universities and Art-
teaching. London, Henry Frowde. Oxford, Univer-
sity Press. Price 1 sh. net.
Hans Holbeins Initialbuchstaben mit dem
Todtentanz. Manul-Neudruck der Ausgabe vom
Jahre 1849 mit einem Vorwort von Professor
Dr. O. A. Ellissen. Leipzig, Dieterichsche Ver-
lagsbuchhandlung, Theodor Weicher. Preis geb,
M. 2.—.
ANDRE GIRODIE, Martin Schongauer et l'Art du
Haut-Rhin au XVe siecle. Paris, Librairie Plon.
HENRY ROUSSEAU, La sculpture aux XVIIe et
XVIIIe siècles. (Collection des Grands Artistes des
Pays-Bas.) G. Van Oest 4 Cie., Brússel-Paris.
GEORGES EEKHOUD, Les Peintres Animaliers
Belges. (Collection de l’Art Belge au XIXe siècle.)
Ebenda.
JACQUES MESNIL, L’Art au nord et au sud des
Alpos á l'époque de la Renaissance. (Études com-
paratives.) Ebenda.
HENRY MARTIN, Le Boccace de Jean Sans Peur.
Des cas des Nobles Hommes et Femmes. Repro-
duction des cent cinquante miniatures du manus-
crit 5193 de la Bibliothéque de 1'Arsénal. Ebenda.
GEORGES H. DE LOO, Heures de Milan. Ebenda.
JULIUS BAUM, Die Ulmer Plastik um 1500. Julius
Hoffmann, Verlag, Stuttgart. Preis М. 30.—..
A. STRUCK, Griechenland: Land, Leute und Denk-
miler. I. Athen und Attika. Verlag Hartleben,
Wien-Leipzig.
F. SARRE UND E. HERZFELD, Archäologische
Reise im Euphrat- und Tigrisgebiet. Mit einem
Beitrag: Arabische Inschriften von M. von Ber-
chem. 3Bde. Verlag Georg Reimer, Berlin.
A. MANGHI, La Certosa di Pisa: storia (1366 — 1866)
e descrizione. Verlag Mariotti, Pisa.
H. NOCQ, Les Duvivier: Jean Duvivier, 1687—1751;
Benjamin Duvivier, 1730—1819. Essai d'un cata-
logue de leurs oeuvre précedé d’une notice bio-
graphique et bibliographique. Paris (Soc. de Pro-
pagation des livres d’Art). 25 Fr.
R. LEMAIRE, L'origine de la basilique latine.
Brússel (Vromant). 7.50 Fr.
E. A. JONES, The gold and silver of Windsor
Castle. Arden Press, Letchworth. 7 Guineas.
Е. Н. MARSHALL, Catalogue of the jewellery,
Greck, Etruscan and Roman in the Departments
of Antiquities, British Museum. London (Long-
mans; Quaritch).
Р. STEINER, Xanten: Sammlung des Niederrhei-
nischen Altertumsvereins. Frankfurt, Joseph Baer.
Preis M. 4.—.
429
BERICHTIGUNG EINER ,BERICH-
TIGUNG*“).
Herr Dr. Múnsterberg unternimmt es im Juliheft
der Monatshefte, meine im Mai erschienene Kritik
seiner Chinesischen Kunstgeschichte zu „berich-
tigen“. Er macht mir in dieser „Berichtigung“
(sie werden nachgerade zu einer Spezialität dieses
Herrn) den Vorwurf, ich hätte mit keinem Wort
irgendwo etwas Wesentliches berührt, sondern nur
Geringfügigkeiten beanstandet.
Als gröbsten Lapsus des Herrn Münsterberg habe
ich es bezeichnet, daß er fünfmal fünf hervor-
ragende Maler in verschiedenen Jahrhunderten,
einen sogar in drei Gestalten, auftreten läßt. Diesen
Vorfall will Herr Münsterberg bereits in der Frank-
furter Zeitung vom 9. April richtiggestellt haben.
Mit keinem Worte geht Herr Münsterberg dort
auf den ihm gemachten Vorwurf ein. Er nennt
das eine Richtigstellung. In seiner neuerlichen
„Berichtigung“ kann er indes nicht umhin, wenig-
stens an einem Beispiel zu zeigen, wie bösartig
ich ihn mißinterpretiert habe. Er habe ausdrück-
lich bei Chao Chung-mu (den, wie ich behauptete
und noch behaupte, M. einmal als Sung-Repräsen-
tanten und ein andermal als Meister der Yuan-
zeit aufführt) auf S. 247 bemerkt: Ende Sung-
oder Yuanzeit. „Perzyński“, so fügt Münsterberg
hinzu, „hat wohl dieses „und Vuanzeit“ über-
sehen“.
Man urteile selbst: Münsterberg bildet auf S. 247
ein. klassisches Reiherbild von Chao Chung - mu
(den er Chan Chung-mu nennt) ab, sagt von ihm
dort: Sohn von Chan Mangtun, geb. 1254. Ende
Sung- oder Yuanzeit. Diese „schöne Komposition
an Linien und Farbenflecken“ (ich zitiere wórtlich,
S. 248) wird als charakteristisches Bild der Sung-
zeit behandelt. Dreißig Seiten später, am Ende
des Abschnittes Yuanzeit, reproduziert Münsterberg
ein anderes Tierbild von einem Künstler, den er
„Chao Chungmuh, 14. Jahrhundert“ bezeichnet.
Mit keinem Worte weist Münsterberg darauf hin,
daß dies derselbe Chan Chung-mu (er heißt rich-
tig Chao Chung-mu) ist, den er bereits als Reprä-
sentanten der Sungzeit mit dem Geburtsdatum 1254
behandelt hat. Dieses Geburtsdatum hat Münster-
berg zudem noch falsch von seiner Quelle abge-
schrieben. Abbildung 203 ist nämlich dem japa-
nischen Reproduktionswerke Sel. Relics, Vol. II
entlehnt. Tajima schreibt dort:
(1) Die Redaktion gibt dem Rezensenten der Miinsterberg-
schen „Kunstgeschichte“ noch einmal das Wort, erklärt
damit aber die Diskussion über dieses Thema ein für alle-
mal geschlossen.
430
Zur Zeit des Sturzes der Münsterberg schreibt:
Sung - Dynastie, 1254, Chan Chungmu, Sohn
wurde ein großer Künst- von Chan Mang tun, geb.
ler, Chang Mang-teau!), 1254, Ende Sung- oder
ein Sprößling der kaiser- Yuan-Zeit.
lichen Familie, geboren.
Eine andere Probe, wie Herr Múnsterberg ,,be-
richtigt“. Er bezweifelt den Gebrauchswert des
Po ku t’u lu, des im XII. Jahrhundert herausge-
gebenen kaiserlichen Bronzenkatalogs, da alle ,,un-
klaren Reliefs... in scharfen Linien aufgeführt
seien. Töpfereien der Hanzeit und Spiegel der
T’angzeit, die aus Gräbern ausgegraben sind, zeigen
eine rohe und minderwertige Ausführung.... Alle
erhaltenen Bronzen bis zur T’angzeit sehen recht
anders aus und das Relief erscheint meist ganz
verschwommen“ . Als ich ihm vorhalte, es sei
umgekehrt, gerade frühe Bronzen hätten scharfe
Reliefs, wie ja auch die seit der T’angzeit im
kaiserlichen Schatzhaus zu Nara aufbewahrten
Metallspiegel bewiesen, will er nur von ausge-
grabenen Spiegeln gesprochen haben. Ja, soll
der Dreck, der an ausgegrabenen Stücken zu haften
pflegt (der sich durch Bürsten oder Salmiakgeist-
bäder meist entfernen läßt) irgendein Beweis da-
für sein, daß frühe Bronzen verschwommene Re-
liefs haben, wo wir doch gute und authentische
Stücke besitzen, die beweisen, daß die Reliefs
klar sind? Ich bin einer solchen Spiegelfechterei
nicht gewachsen.
Münsterberg beklagt sich, daß ich seine Rassen-
theorien nicht richtig begriffen habe. Er hat recht.
Was er auf S. 11 und 12 (oben) zusammenschreibt,
hat sicherlich nur der Autor selbst verstanden. Der
Geist des Gottes Putra schwebt darüber, den
Münsterberg so glücklich war, zu entdecken. Auf
S. 169 der Chinesischen Kunstgeschichte
des Herrn Dr. О. Münsterberg ist nämlich
zu lesen:
(1) Gemeint ist Chao Méng-fu, den der etwas spätere kaum
weniger berühmte Sammler und Maler Ni Tsan (Yun lin)
mit Huang Kung-wang, Kao K'o-kung und Wang Méng zu
den vier größten Landschaftsmalern der Yuan-Dynastie
rechnet. (Giles, Chinese Pictorial Art, р. 142). Der von
Tajima in der japanischen Ausgabe richtig geschriebene
Name Chao Méng-fu ist von dem englischen Ubersetser
verballhornt worden. Miinsterberg hat diesen Namen durch
eine falsche Abschrift noch weiter entstellt und läßt außer-
dem im Text (p. 248) den Sohn (statt des Vaters) um 1254
geboren werden. Alles dieses sind natürlich in den Augen
des Herrn Münsterberg Kleinigkeiten. Er will ja nicht
„eine Geschichte der Künstler und ihrer Werke“, sondern
„in zusammenhängender Weise eine Entwicklung der chi-
nesischen Runstsprache“ geben. Man kann sich von diesem
„Zusammenhängen“ der chinesischen Kunstentwicklung
einen Begriff machen, wenn man hört, daß Münsterberg den
Maler Chao Chung-mu als Repräsentanten der Sungzeit (960
bis 1280) und den Vater dieses Künstlers, Chao Méng-fu, als
Meister der nächsten Dynastie (1280—1368) behandelt, volle
zwanzig Seiten nach dem Sohne!
Das buddhistische Pantheon wurde ver-
gréBert, indem Götter fremder Religionen,
die Hindugótter Brahma und Putra und
ursprüngliche Lokalgottheiten aufgenom-
men wurden....
Der Name der indischen Götter Brahma und Indra
hat offenbar in Münsterbergs Gedächtnis eine Quin-
tanerreminiszenz aufsteigen lassen, und aus dem
mächtigen Strome Brahmaputra (= Sohn des
Brahma) ist das Götterpaar Brahma und Putra ge-
worden!
Yunlin, einer der großen Yuan-Meister, führt bei
Münsterberg die Aufschrift eines Gedichts auf
Bildern ein. Ich machte Münsterberg darauf auf-
merksam, daß er auf S. 244 gleich zwei Sungbilder
(also der vorhergehenden Dynastie) abbildet mit
solchen erst von Yunlin „eingeführten“ Gedicht-
aufschriften. Münsterberg „berichtigt“: er habe
S. ато gesagt: „diese Art scheint schon in der
Sungzeit vereinzelt vorgekommen zu sein“. Warum
führt er dann seine Leser irre durch die auf S. 244
bei Betrachtung der beiden mit Aufschriften ver-
sehenen Sungbilder fallende Bemerkung: „diese
Sitte scheint damals (d.i. in der Sungzeit! Ver-
fasser.) aufgekommen zu sein“. Sie ist also, um
Münsterbergisch korrekt zu reden, in der Sungzeit
aufgekommen und von Yunlin, einem Maler der
nächsten Dynastie, eingeführt.
Und woher stammt diese erhabene Weisheit?
Aus jener Quelle, die Münsterberg „eine höchst
zweifelhafte“ nennt, aus Tajima, Sel. Relics, Vol. 8.
Tajima :
Yun-lin®), der während
der Yuan-Dynastie lebte
und der einer der vier her-
vorragendsten Kúnstler
der Zeit war, war ein be-
deutender Landschafts-
maler und ein geschickter
Kalligraph ; er war es, der
die Sitte einführte, ein
Gedicht, eine Anspielung
(reference) oder doch sei-
nen eigenen Namen an ei-
ner auffallenden Stelle der
Leinwand anzubringen.
Münsterberg (ohne Gän-
sefüßchen) p. 210:
Erst Yunlin, einer der
großen Maler der Yuan-
dynastie, führte die Auf-
schrift eines Gedichts,
einer Bezeichnung (!)
oder eines Namens ein,
die, an einem geeigne-
ten Platze angebracht,
selbst ein Teil des Bildes
wurden.
Die Einwendung Münsterbergs, er hätte 30 Ab-
bildungen von nicht in Japan aufbewahrten Male-
reien im Abschnitt Malerei reproduziert, ist un-
wesentlich. Ein sorgfältiges Durchzählen der
Bilder (ich hatte die erbärmlich kleinen, undeut-
lichen und darum irreführenden Bildchen aus der
(1) Bekannter unter dem Namen Ni Tsan (geb. 1301, gest.
1374). Biographie bei Giles, р. 143.
Zeitschrift Bijitsu Gwaho vorher etwas summarisch
behandelt) ergibt folgendes Bild:
Münsterberg druckt im Abschnitt Malerei ab:
179 Gemälde aus japanischem Besitz, nachgedruckt
japanischen Reproduktionswerken, 21 Gemälde aus
europ.-amerikanischem Besitz. Von diesen aı Ab-
bildungen rühren wenigstens sechs Bilder aus ja-
panischem Besitz her, so daß also nur 15 Abbil-
dungen Malereien darstellen, die möglicherweise
direkt aus China stammen. Münsterberg kommt
zu der Ziffer dreißig, indem er eine in mehreren
Ansichten reproduzierte Malerei nicht als ein ein-
ziges Werk, sondern als verschiedene zählt. Mün-
sterberg behauptet in seiner Chinesischen Kunst-
geschichte, nur Kopien, Repetitionen oder Arbeiten
eingewanderter Künstler seien in Japan enthalten,
man könne also nach dem in Japan vorhandenen
Material nicht urteilen. „Trotzdem“, so werfe ich
ihm vor, „baut er seine Geschichte der Chinesi-
schen Malerei auf diesen „Kopien und Repetitionen“
auf“. Ist dieser Vorwurf ungerecht angesichts der
Tatsache, daß von 200 Bildern nur ı5 möglicher-
weise direkt aus China stammen und daß alle üb-
rigen in japanischem Besitz sind oder waren? Ist
die Kunstgeschichte also etwa nicht auf dem von
Münsterberg unablässig angezweifelten japanischen
Material aufgebaut?
Von den 179 aus japanischen Reproduktions-
werken entlehnten Abbildungen des Abschnittes
sind allein 75 dem Werke Tajimas, Selected Re-
lics, entnommen. Da dieser verdienstvolle Autor
in seiner Eigenschaft als Leiter der Shimbi Shoin-
Verlagsgesellschaft in Tokyo gegen die unerlaubte
und unerhörte Ausnutzung seiner Publikationen
protestiert hat, so rächt sich Münsterberg für das
verständliche weitere Benutzungsverbot durch einen
Angriff in der Zeitschrift „März“, 1911, Heft 23,
den die deutsche Wissenschaft Ursache hat, als eine
bedauerliche Entstellung von sich abzuschütteln.
Münsterberg sagt dort: , Was aber am meisten
zur Vorsicht mahnt, ist die in Japan übliche Ver-
quickung von Geschäft und Wissenschaft. Daß
zum Beispiel der Direktor einer Druckerei und
Verlagsanstalt gleichzeitig der Verfasser und Heraus-
geber fast aller Werke des Verlages ist, dürfte —
soweit mir bekannt — in Europa noch nicht vor-
gekommen sein. Sollte es wirklich möglich sein,
Geschäftsinteresse mit voller Objektivität bei Aus-
wahl und Kritik der abgebildeten Gegenstände zu
vereinen? Gerade diese höchst zweifelhafte Quelle
fließt heute am stärksten“ 1). Will Herr Münsterberg
(1) Nirgendwo wohl so stark wie bei Herrn Münsterberg,
der ihr (wie der Quelle Giles) fortwährend die Gänsefüß-
chen schuldig bleibt!
431.
allen Ernstes behaupten, nicht zu wissen, daß die
überwiegende Mehrheit der von Tajima reprodu-
zierten Kunstwerke unveräußerliche Staats- oder
Tempelschätze sind? Ist ihm, was jeder auf dem
Gebiete ostasiatischer Kunst wissenschaftlich Ar-
beitende weiß, in Wahrheit unbekannt, daß nicht
Herr Tajima allein die von der Shimbi Shoin-Ge-
sellschaft herausgegebenen Reproduktionen ausge-
sucht und den Text verfaßt hat, sondern die be-
rühmtesten Kunstgelehrten Japans, wie Okakura,
der Kurator des Bostoner Museums, Matano, der
Generaldirektor der Japanischen Museen, Baron
Kuki, sein Vorgänger, Masaki, Direktor der Kunst-
schule zu Tokyo, Imaizumi, Direktor der Kunstab-
teilung des Museums von Tokyo, T. Koun, der be-
rúbmte Bildhauer und der beste Kenner japanischer
Plastik u. v. a.? Wo Gescháft und Wissenschaft
mehr verquickt ist, bei Herrn Tajima, dessen Re-
produktionswerke Ergebnisse eines staunenswerten,
ja aufopferungsvollen Fleißes sind, oder bei Herrn
Münsterberg, der ihnen ohne Erlaubnis und Ent-
schädigung des benachteiligten japanischen Ver-
legers über ein Viertel der Abbildungen seines
ganzen Buches entnimmt und sie in dem Augen-
blick eine „höchst zweifelhafte Quelle“ nennt, wo
ihm dieser Mißbrauch untersagt wird, das überlasse
ich fairdenkenden Lesern zu entscheiden.
Mein Urteil über Münsterbergs Kunstgeschichte
wird durch belanglose Liebenswürdigkeiten wirk-
lich ernster Forscher, wie der Herren Chavannes
und Laufer, die für die ihnen andauernd von Mün-
sterberg gemachten Reverenzen eine Dankverpflich-
tung gefühlt haben mögen, nicht berührt. Beider
Herren Bücher sind von Münsterberg so ausgiebig
benutzt worden, daß eine Verurteilung gewisser-
maßen eine Desavouierung eigener Forschungen
bedeutet hätte. Oder standen Chavannes und Laufer
im Banne des von Münsterberg entdeckten Götter-
paares Brahma und, Putra, Brahma und Sohn?
Friedrich Perzynski.
IV. Jahrgang, Heft IX.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz,
WaldmannstraBe 6. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 105. / In OSTER-
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer-
straat 22. / In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon тт. | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel.
SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION:
Montags 10— 12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telefon: Amt Groß -Lichterfelde 456.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den »Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
432
CD
Є. f OS
Abb. 4
Abbildung 1. Holzschnitt-Initial von 1516 mit Holbeins Monogramm Н.Н. (Text Nr. 1)
10 2. Zierleiste von Hans Holbein, Metallschnitt um 1516/17. . (Text Nr. 3)
2 3. Metallschnitt-Initial von Holbein, entstanden etwa 1523 . (Text Nr. 7)
15 4. Holzschnitt-Initial von Holbein, entstanden 1 „ (Text Nr. 14)
Zu: HANS KOEGLER, KLEINE BEITRÁGE ZUM SCHNITTWERK HANS HOLBEINS D. J.
DER MEISTER C. S.
M. f. K. IV, 9
Tafel 80
M. f. Kk. Iv, 9
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Nr
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Abb. 1.
Zu:
VAN EYCK, Genter Altar
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Abb.2. SIMON MARMION, Legende des
hl. Bertin Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum
— М >
Abb. 3. HI. Barbara des Meisters von
Briissel, Kgl. Museum Flémalle Madrid, Prado
Abb. 4. PETR. CHRISTUS, Verkündigung
Madrid, Prado
RUD. ARTHUR PELTZER, DIE DARSTELLUNG VON DINANDERIES
AUF NIEDERLANDISCHEN BILDERN
Tafel 81
Tafel 82
siei ha А — D, aon — — —
Abb. 5. ROGER VAN DER WEYDEN, Ver- Abb. 6. ROGER VAN DER WEYDEN, Ma-
kúndigung Múnchen, Pinakothek donna mit Heiligen Frankfurt a. M., Städel
No
12.8. 8.9
> aan чайына ын
Abb.7. VAN ЕҮСК, Lucca - Madonna Abb.8. VAN EYCK, Madonna Incehall
Frankfurt a. M., Städel
Zu: RUD. ARTHUR PELTZER, DIE DARSTELLUNG VON DINANDERIES
AUF NIEDERLÁNDISCHEN BILDERN
M. f. K. IV, 9
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Tafel 83
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Abb. 9. Meister von FLÉMALLE, Abb. 11. VAN EYCK, Madonna Abb. 12. VAN EYCK, Lucca-
hl. Barbara Madrid, Prado Antwerpen, Kgl. Galerie Madonna Frankfurt a. M., Städel
Abb. 10. PETRUS CHRISTUS, Verkiindigung Madrid, Prado
Zu: RUD. ARTHUR PELTZER, DIE DARSTELLUNG VON DINANDERIES
M. f. K. IV. 9 AUF NIEDERLANDISCHEN BILDERN
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Tafel 87
GRECO, Der Evangelist Johannes. Bleistiftzeichnung in der National-Bibliothek
zu Madrid
Zu: HUGO KEHRER, DIE EINZIGE ZEICHNUNG VON GRECO IN DER MADRIDER NATIONAL-BIBLIOTHEK
M. f. K. IV, ә
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IAN. HEFT O OKTOBER1911
VERLAG KLINKHARDT г
geg gg
Monatshefte fur Kunstwissenschaft
Abonnementspreis halbjährlich 12 M., zusammen mit dem CICERONE 18 M.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT то
ABHANDLUNGEN LITERATUR
р FREYS NEUE VASARI-AUSGABE. Le vite
W. MARTIN, Ausstellung althollän- de’piu eccellenti pittori scultori e architettori.
discher Bilder in Pariser Privatbesitz. 3 du io id apa Pittore et ee
Mit то Abbild. auf 6 Tafeln S. 433 Lon PREIBISZ, Marin van Heomakorck. Eis
WALTER GRAFF, Die Wiederher- саа 55 et 5 “п
er n erlandischen 66 А -
stellung des Johannesaltars von Burgk- hunderts (Freise) ............ S. 456
mair in der alten Pinakothek. Mit AMIDA кик гои ткр, et >
11 Abbildungen auf 5 Tafeln . S. 442 Berchem). Beiträge sur Kunstgeschichte des
А Р Mittelalters von Nordmesopptamiem usw. von
V.WALLERSTEIN, Die Verkündigung Josef Strzygowski. Mit einem Beitrag von
des Konrad Witz und sein Verhältnis Gertrude L. Bell (Baumstark) ... 8.464
zur niederländischen Kunst. Mit a ANTON ECKARDT, Die Baukunst in er
: während d. XVII. Jahrh. (Weingartner) 8. 464
Abbildungen auf 1 Tafel. . S. 448 SASCHA SCHWABACHER, Die Stickereien
e Baier. nach Entwürfen des Antonio Pollajuolo in
KARL LOHMEYER, Die Pläne Nico der Opera di 8. Maria del Fiore zu Florenz
laus de Pigages zur Karisruher Re- (Schuettee77 :). 8. 464
sidenz. Mit 2 Abbild. auf 1 Tafel S 452 WILHELM ROLFS Geschichte der Malerei
й ° Neapels (Suida) ............. 8. 465
JULIUS BAUM, Ulmer Kunst (Schmidt) S. 467
MISZ ELLEN FERDINAND LABAN, Verstreut und Gesammelt
Zu H. BURG, „Über einige Porträts des A. Pala- (Sierre T 8. 467
medesz“ (Lilienfeld)........... 8.454 Rundschau 8. 468
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AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER
BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
Mit elf Abbildungen auf sechs Tafeln Von W. MARTIN
I.
ie Zeitschrift „l'Art et les Artistes“ hatte diesen Sommer, unter hohem Patronat
der Niederländischen Königin, in Paris eine Ausstellung althollindischer Bilder,
Zeichnungen und Radierungen arrangiert, deren kunstwissenschaftliche Bedeutung
im folgenden in Kürze gewürdigt werden soll!).
Die Ausstellung, für die die Salle du Jeu de Paume im Tuileriengarten einge-
richtet war, bestand aus zwei Räumen mit Bildern und einem Raum mit Rembrandt-
zeichnungen und -Radierungen nebst einigen Zeichnungen anderer holländischer
Meister des ХУП. Jahrhunderts, im ganzen mehr als zweihundert Nummern.
Trotz der Bemühungen des Ehrenkomitees, u. a. des Holländischen Gesandten in
Paris, Ritter de Stuers, der ein begabter Künstler ist, ist es nicht gelungen eine
Übersicht zu geben von alledem, was die Pariser Sammlungen an hervorragenden
Bildern der Holländischen Schule des XVII. Jahrhunderts aufzuweisen haben. Die
Hauptbilder Rembrandts aus den Rothschildschen Sammlungen, der Rothschildsche
Lautenspieler von Hals (Kopie im Amsterdamer Museum) fehlten, die ‘Sammlung
SchloB, deren Eigentiimer vor kurzem starb, hatte nichts geschickt, Harjes war ge-
rade im Begriff seine Rembrandtbilder der Bremer Kunsthalle zu schenken — kurz,
das Komitee hat in vieler Hinsicht Pech gehabt. Je höher die Bilderpreise werden,
um so dngstlicher werden die Bilderbesitzer, wenn es Ausleihen gilt. Um so dank-
barer also soll man ihnen sein, für das, was sie sandten und dem Komitee für seine
Anordnung.
Die Ausstellung brachte manchen neuen Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der
Holländischen Malerei jener Zeit und brachte obendrein die Gelegenheit, manche
alte Beiträge eingehend zu überprüfen, insoweit das nicht immer günstige Licht
solches möglich machte. Denn namentlich die Bilder Rembrandts hingen in un-
günstiger Beleuchtung und ein Hauptbild von Hals war wegen seinem erhabenen
Hängepunkt über einem Feuerlöschapparat unmöglich gründlich zu studieren. Und
da es nun in diesem Spezialfache leider immer noch Gewohnheit ist, dem Be-
trachter des Bildes selbst die Retouchen und Übermalungen herausfinden zu lassen,
anstatt daß man, wie z. B. in der Archäologie, die ergänzten Stellen öffentlich be-
kannt macht, war in manchem Falle zu keinem Schluß zu kommen. Gelbgewor-
dener Firniß, oft in großer Dicke auf einigen Bildern angebracht, erschwerte die
Überprüfung deren Bestimmung. Es war eben auf dieser Ausslellung nicht anders,
als auf allen andern dieser Art und deshalb habe ich in verschiedenen Fällen keine
Meinung.
Hier folgen — teilweise auch als Ergänzung zum Katalog, welcher sehr kurz ge-
faßt war und offenbar die Namen behalten hatte, welche die Eigentümer angegeben
hatten — kurze Bemerkungen zu den meisten Bildern in der Reihenfolge des Katalogs.
Nr. т. NICOLAES BERCHEM, Das Ausladen von Lebensmitteln. Samm-
lung Dr. Max Wassermann. Echtes Bild guter Qualität.
(т) Über die ästhetischen Eindrücke der Ausstellung schrieb ich in der Holl. Zeitschrift „Elseviers
Maandschrift“, September und Oktober 1911. — Jenen Aufsätzen sind 23 Abbildungen beigefügt, welche
die hier gegebenen teilweise ergänzen.
Monatahofte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 10 30 433
Nr. 2. DERSELBE, Tierlandschaft. Sammlung A. Mayor. Ohne Zweifel Kopie
aus dem ХУШ. oder XIX. Jahrhundert.
Nr. a G. BERKHEYDE, Stadtansicht. Aus derselben Sammlung. Echtes dunk-
les Bild aus der Spätzeit.
Nr. 4. ABR. VAN BEYEREN, Stilleben. Sammlung Ritter de Stuers. Sehr
schönes, hauptsächlich in silbergrauen Tönen gehaltenes, echtes Bild, mit dem Mono-
gramm AB bezeichnet. Wohl aus seiner Frühzeit.
Nr. 5. PIETER DE BLOOT, Nahendes Ungewitter. Sammlung Dr. Melville
Wassermann. Reizend gemaltes Bildchen in der Art van Goyens. Eine Bezeich-
nung konnte ich nicht finden.
Nr. 6. PIETER VAN DEN BOS, Interieur. Sammlung de Jonge. Charakteristi-
sches Bild, technisch ganz iibereinstimmend mit den bekannten Bildchen im Kaiser
Friedrich-Museum.
Nr. 7. FERDINAND BOL, Der Kiinstler und seine Frau. Sammlung Baron
von Schlichting. Großes, gut erhaltenes, voll bezeichnetes Bild der mittleren Zeit
des Meisters.
Nr. 8. DERSELBE, Bildnis eines Mannes. Sammlung E. Kraemer. Echt.
Nr. 8 bis. DERSELBE, Bildnis einer Dame als Diana. Sammlung Porges.
Langweilige, plumpe Gestalt in gelbem Gewand. Jedoch eigenhindig von Bol gemalt.
Nr. 9. BOURSSE, Frau, ihr Kind stillend. Sammlung Decock. Dem Bilde
fehlen alle Eigenschaften der beglaubigten Bilder Boursses. Es ist ein charakte-
ristischer Brekelenkam. |
Nr. ro BROUWER, Selbstbildnis. Sammlung Warneck. Der Dargestellte sieht
den sichern Bildnissen des Meisters nicht áhnlich. Die Zuschreibung an Brouwer
ist wohl nur als Hypothese hinzunehmen, da das Bild schwer zu bestimmen ist.
Es sieht, namentlich in der griinen Farbe des Anzugs, einigen Werken, welche
man Craesbeeck zuschreibt, ähnlich und einem dem Antonie Goubau zugeschriebenen
Bildchen in den Uffizien, sollte aber jedenfalls niemals Brouwer benannt werden,
weil es nirgends ein Detail aufweist, welches zu dessen Malweise paßt. Einst-
weilen wäre es als „Schule Brouwers“ oder „Schule Craesbeecks“ zu bezeichnen.
Nr. rr. BREKELENKAM, Der Schneider. Sammlung Porges. Das hübsche
echte Bild war schon von der Leidener Ausstellung 1906 her bekannt.
Nr. 12. DERSELBE, Die Alten. Sammlung E. Schlesinger. Ebenfalls ein für
den Meister charakteristisches Bildchen.
Nr. 13. JAN VAN DE CAPPELLE, Winterlandschaft. Sammlung Ed. Kann. Vor-
zügliches, in feinem Silberton gehaltenes Bild in der für den Meister charakteristi-
schen Art.
Nr. 14. DERSELBE, Marine. Sammlung Н. Péreire. Gleichfalls ein sehr gutes
Bild dieses Meisters.
Nr. 15 und 16. JANSEN VAN CEULEN, Bildnis eines Herrn und einer Dame.
Sammlung St. Fritz. Beide echt, mit den bekannten blaugrünen Hintergründen.
Die Familienwappen rechts oben sind offenbar später hineingemalt.
Nr. 17. PIETER CODDE, Fröhliche Gesellschaft. Sammlung Ritter de Stuers.
Gutes, echtes Bild des Meisters.
Nr. 18 bis 24. AELBERT CUYP. Der Meister war mit Werken von sehr ver-
schiedener Art in lehrreicher Weise vertreten. Davon war als Kabinettstück ge-
radezu hervorragend Nr. 18, Untergehende Sonne (Sammlung Albert Lehmann).
Ein vorzügliches, in goldenem Ton gehaltenes, gegen die Sonne gesehenes Bild
seiner besten Zeit von unzweifelhafter Echtheit. Es war schon von der Ausstellung
434
bei Fred. Muller in Amsterdam (1906) her bekannt. Nr. 20, Ansicht von Dord-
recht (Sammlung Porgés) ist links unten auf einem Brette bezeichnet: A. Cuyp.
Ein vortreffliches Bild aus der friihen Zeit, in dem er sich nicht nur koloristisch
und technisch, sondern auch gegenständlich als von van Goyen beeinflußt zeigt. Sehr
hellblaue Luft mit weiBen Wolken, gelbgriine Báume, graugelbes Wasser. Am Mast
des Schiffes in der Mitte eine rot-weiB-blaue Fahne. Ein gelber, hellblonder Ton
herrscht im ganzen vor (vgl. Tafel 88). Nr. 22, Hiihner (Sammlung A. Mayor) kann
ein echter Cuyp sein, gehórt dann aber zu den weniger erfreulichen unter seinen oft so
schönen Hiihnerbildern. Es ist steif in der Komposition und trocken in der Färbung.
Nr. 23, Männliches Bildnis (aus derselben Sammlung), ist gleichfalls etwas steif,
jedoch ein unzweifelhaft echter Aelbert Cuyp, wie am besten hervorgeht aus dem
Vergleich mit dem Bildnis im Dordrechter Museum Nr. 15, welches auch denselben
rötlichen Fleischton aufweist. Nr. 24, Große Landschaft mit Bauernhof und zwei
Kühen (Sammlung Kleinberger, vgl. Tafel 88) ist ein vorzügliches Bild von großartiger
Breite des Vortrags. Die großen Blätter links im Vordergrund und die Milchkanne
sind außerordentlich gut gemalt, der Himmel ist namentlich wegen der Luftperspektive
vortrefflich. Auch das sanfte Licht auf dem Rücken der Kühe ist dem Maler sehr
gut gelungen. Nur das Pferd rechts und die Mühlen sind weniger angenehm.
Letztere sind sogar falsch gezeichnet. Links im Hintergrunde der Turm vom Haag.
BENJAMIN CUYP war durch zwei flottgemalte Bilder vertreten; nämlich: Nr. 25,
Verkündigung an die Hirten, Sammlung Thiebault-Sisson. Gutes, charakteristi-
sches Bild. Nr. 26, Dorffest, gleichfalls echt, aber in der Komposition ganz wie
ein Jan Miense Molenaer.
Nr. 27. G. DOU, Die Mausefalle. Sammlung Porgés. Echt. Schon von der
Leidener Ausstellung (1906) her bekannt.
Nr. 28. DERSELBE, Alte Frau mit einem Topf mit Suppe. Sammlung Baron
Rodolphe d’Erlanger. Echtes, für Dou sehr tüchtig und flott gemaltes Bild mit
echter Bezeichnung. Von Smith, Martin und Hofstede de Groot beschrieben (siehe
dessen kritisches Verzeichnis unter Nr. 175).
Nr. 29. JEAN LE ООСО, Das Konzert. Sammlung Allen Lobl. Ist ein sehr
charakteristischer Jacob Duck seiner reifsten Zeit, mit sehr gelungener Wiedergabe
der Stoffe. Ich habe es früher im Kunsthandel mit einem schönen alten Firniss
gekannt, der dem Bilde jetzt leider fehlt.
Nr. зо. DERSELBE, Jagdbild. Sammlung Baron уап Asbeck. Hauptbild des
Meisters, vorzüglich erhalten, voll bezeichnet und 1656 datiert. Früher in der Samm-
lung Backer de Wildt in Amsterdam.
Nr. 31. WILLEM DUYSTER!), Der Soldat. Sammlung Porges. Echtes Bildchen.
Nr. 32. EECKHOUT, Der Engel erscheint dem Jakob. Sammlung Porgés.
Die Darstellung bedeutet das Opfer Gideons und ist nicht von Eeckhouts Hand.
Es ist, wie mir Dr. Hofstede de Groot mitteilte, eine Kopie nach einer bekannten
Radierung Ferdinand Bols (Bartsch Nr. 2). Wer diese Kopie gemalt hat, konnte
ich nicht bestimmen.
Nr. 33. GOVERT FLINCK, Männliches Bildnis. Sammlung de Jonge. Bezeich-
net F...ck f 1637 und aet. 44. Ganz vorzügliches Bild aus Flincks Frühzeit, vor-
trefflich erhalten. Es zeigt Rembrandts Einfluß wie wenige andere Bilder Flincks.
In der ganzen Malweise war Flinck ausschließlich bestrebt, Rembrandt nachzu-
ahmen und alle Rembrandtschen „trucs“ — wenn man es so nennen darf — jener
(1) Ein anderer Duyster war als Terborch ausgestellt. Siehe unten Nr. 152.
435
Zeit finden sich auf dem Bilde wieder. Bemerkenswert ist das ,Repentir des
Schlapphutes, welcher erst anders gemalt gewesen ist: rechts und links mehr in
den Hintergrund hinein. Der Künstler hat es dann selbst, der besseren Lichtver-
teilung wegen, umgeändert.
Nr. 34 DERSELBE, Der Traum Jakobs. Sammlung Max Flersheim. Bild in
braunem Ton aus den vierziger Jahren. Wohl sicher von Flinck. Etwas steif und
eckig in den Figuren.
Nr. 35. AERT DE GELDER, Die Wahrsagerin. Ist unbedingt als Vertumnus
und Pomona zu deuten. Der vortrefflich wiedergegebene schlaue Überredungseifer der
Alten und das ausgezeichnet interpretierte andächtige Zuhören des einfältigen, braven,
jungen Mädchens, sowie die sorgfältige Durcharbeitung des ganzen ziemlich großen
Bildes deuten darauf hin, daß das Bild mit großer Hingebung und vielem Fleiß ge-
malt wurde. Offenbar ist es eine Jugendarbeit eines Rembrandtschülers. Der untere
Teil des Gewandes der Alten erinnert noch am meisten an Aert de Gelder, ist aber
nicht ganz in seiner Art. Die anderen Teile des Bildes zeigen nirgends Uberein-
stimmung mit als echt belegten Bildern de Gelders. Obendrein ist das Bild offen-
bar um 1640 gemalt, jedenfalls nicht später als 1650. Folglich kommt auch des-
halb der 1645 geborene de Gelder nicht in Betracht. Der Kopfschmuck der alten
Frau erinnert in der Farbenmischung (gelbocker und braunrot) ein wenig an Jan
Victors, ist aber von so vortrefflicher und flotter Zeichnung, daß man auch diesen
Namen gleich wieder fallen läßt. Die anderen Teile des Bildes erinnern übrigens
nirgends an ihn. Nur einen Meister kenne ich, der das Bild gemalt haben kann,
nämlich Govert Flinck. Geht man aus von der Malweise des Kopfschmuckes des
jungen Mädchens und des großen Kürbisses links oben, welche ganz und gar zu
Govert Flinck stimmen, dann zweifelt man bald nicht mehr. Ich halte das Bild
bestimmt für eine Arbeit des Meisters um 1640 — 1645.
Nr. 36. DERSELBE, Das Opfer. Sammlung Porges. Vorzügliches Bild des
Meisters, von vortrefflicher Helldunkelwirkung und bestechend in der Farbe. Nächst
der bekannten großen Dresdener Komposition „Christus vor dem Volke“ gehört es zu
des Meisters besten kleinfigürigen Gruppenbildern. Voll bezeichnet und 1677 datiert.
Nr. 37 bis 44. JAN VAN GOYEN. Nach der van Goyen-Ausstellung in Rotterdam
waren nicht wieder so viele große Bilder des Meisters zusammen. Man staunte
vor der großartigen Wirkung von Bildern wie Das Ungewitter der Sammlung Baron
d’Erlanger Nr. 42), die Rast vor der Herberge der Sammlung Decock (Nr. 44), usw.
Sämtliche als van Goyen ausgestellte Bilder waren echt. Hier folgen Notizen über
einige:
Nr. 37. Der alte Eichbaum. Sammlung Porges. Blondes Bild, schön im Ton,
sehr stimmungsvoll. Bezeichnet VG. 16... Eine jener Kompositionen, welche u. a.
von Schoeff grober -und pastoser nachgeahmt wurden.
Nr. 38. Ansicht von Nymegen. Sammlung Flersheim. Voll bezeichnet:
J. V.Goyen 1641. Braungrauer Ton. Treffliche atmosphärische Wirkung. Eine volle
Fähre rechts, u. a. mit einem Wagen mit vier Pferden darauf. Auf dem Vorder-
grunde links Menschen und Vieh, deren Umrisse sich sehr malerisch gegen das
Wasser abheben.
Nr. 40. Marine. Sammlung Gordon Bennet. Großes Bild, bezeichnet J. V. Goyen
1642.
Nr. 40 bis. Schlittschuhläufer. Sammlung Eugene Max. Allerliebstes frühes
Bildchen, noch ganz in der Art seines Lehrers Esaias уап de Velde, aber in der
Gruppierung der Figürchen schon weit besser. Bunt in den Gewändern der Figuren.
436
Steht den frühen Landschaften in Bremen und Braunschweig am nächsten, ist
aber flotter gemalt und also wohl um einige Jahre später entstanden.
Nr. 42. Sturm auf dem Meere. Sammlung Baron d’Erlanger. Gewaltig wirken-
des, großes Bild, voll bezeichnet J. V. Goyen 1641.
Nr. 43. Große Landschaft am Wasser. Sammlung Kleinberger. Bezeichnet
V. Goyen 1645. Herrlicher, bewölkter Himmel. Rechts eine zum Wirtshaus „zum
Löwen“ eingerichtete Schloßruine.
Nr. 44. Rast vor dem Wirtshause. Sammlung Victor Decock. Die Datierung
scheint mir als 1654 zu deuten. In braunem Ton, mit schönem grauen, weißbe-
wölkten Himmel.
Nr. 45—61. FRANS HALS. Seine Bilder bildeten mit denen Rembrandts die
beiden Anziehungspunkte der Ausstellung.
Die meisten der ihm zugeschriebenen Bilder waren echt. Vor einigen aber, welche
offenbar Kopien oder Nachahmungen waren (Nr. 53, 54, 59), sowie vor den beiden
singenden Knaben der Sammlung Seligmann (Nr. 51), bei denen man bis zuletzt im
unklaren blieb, ob hier wohl wirklich ganz eigenhändige Arbeit des älteren Frans
Hals vorliegt, wurde der Wunsch nach einer Ausstellung von Bildern des Hals und
seiner Schule lebendig. Auf diese Weise würde unsere Kenntnis über die Malweise
des Meisters und seiner Nachahmer ohne Zweifel eine gründlichere werden. Wir
notierten uns folgendes:
Nr.45 und 46. Lachende Kinder, Rundbilder. Sammlung Porges. Das erste, ein
Profilbildnis, ist nicht bezeichnet, das zweite trägt ein zugleich mit dem Bilde in
die nasse Farbe gemaltes F.H.-Monogramm. Beide Bilder sind von größter Frische,
sehr gut erhalten und flott, auf einmal gemalt.
Nr. 47. Selbstbildnis. Sammlung Porges. Auf der Porträtausstellung im Haag
1903 wurde dieses Bild viel besprochen!). Ich hielt es schon damals, seines müh-
samen und unklaren Vortrags wegen, für eine alte Kopie, und kann meine Meinung
bis jetzt nicht ändern.
Nr. 48. Männliches Bildnis. Sammlung Porges. Ist ein charakteristischer Gerard
ter Borch. In feinem Silberton gehaltenes Bildchen, ruhig und vornehm. Der
Hintergrund rechts scheint etwas übermalt. |
Nr. 49. Der Mulatte. Sammlung Porges. In rotem Wams mit gelben Borten.
Gelbgrauer Hintergrund. Ganz ähnlich wie das Casseler Bild, aber von einer sol-
chen Frische des Vortrags, daß man nicht ohne weiteres annehmen kann, es sei
eine Kopie.
Nr. 50. Junger Maler vor der Staffelei. Sogenanntes Bildnis des jüngeren Frans
Hals. Sammlung Baron v. Schlichting. Bezeichnet F. H. (nicht als Monogramm) 1640,
also in einer für Hals senior ungewöhnlichen Weise. Jedenfalls aber ein ganz echtes
Bild, obwohl es koloristisch nicht gerade angenehm wirkt, namentlich durch die unhar-
monische Färbung der roten Lilie (welche der junge Maler in der Hand hält) im
Gegensatz zu dem matten Ton der übrigen Teile des Bildes. Der faszinierende
Blick des Jünglings und die in der Verkürzung gesehene Rechte verleihen dem
Bilde einen ganz besonderen Reiz.
Nr.51. Singende Knaben. Sammlung Arnold Seligmann. Bezeichnet mit einem
aus F. H. F. (= Frans Hals Fecit?) bestehendem Monogramm, dessen Е H aus-
sehen wie das Monogramm des alten Frans Hals, jedoch mit einem Punkte zwischen
(т) Vgl. Hofstede de Groots Bemerkung in dem von Bruckmann verlegten Prachtwerk über jene
Ausstellung.
437
F und Н, während das zweite F so angebracht ist, daß die vertikale Linie des
F zusammenfällt mit der letzten des H. Der Gegenstand sowie die Komposition
sind ganz wie Frans Hals der Ältere. Man vergleiche das Bild bei Mr. George
Gould in New York (früher Quarles van Ufford, abgebildet und von mir beschrieben
im „Burlington Magazine“ vom Oktober 1908), das Bild im Hofje zu Leerdam (ab-
gebildet bei Martin & Moes, Altholländische Malerei Nr. т); die Sänger in der Cas-
seler Galerie usw. Die Malweise ist aber nicht überzeugend: wenig fließend, teil-
weise für Hals sen. außergewöhnlich dick und undurchsichtig. Die Hände sind
nachlässig gemalt, die Haare von manirierter Technik, der Schatten an der Wand
rechts ist sicher niemals von Hals sen. gemalt. Zu einer endgültigen Meinung konnte
ich, auch weil das Bild ungünstig hing, nicht kommen. Es ist entweder eine Kopie,
oder ein übermaltes Original, oder eine Nachahmung. Wenn es eine Nachahmung aus
dem XVII. Jahrhundert ist, liegt die Frage auf der Hand, ob es die Arbeit des jungen
Frans Hals sein kann. Das Monogramm wäre dann etwa als F. Hals Filius zu
deuten. Wie dann aber das Verhältnis ist zu den Stilleben in Budapest und den
anderen dem Sohne zugeschriebenen Bildern (Hille Bobbe und der Raucher z. B.)
ist unklar.
Nr. 52. Männliches Bildnis. Sammlung Madame Andre. Gut erhaltenes, echtes
Bild aus dem Ende der vierziger Jahre. Links einige Retouchen. In der Malweise
von der bekannten fast unerklärlichen Flottheit. Ganze Stellen, z. B. am Ärmel,
sind überhaupt nicht vom Pinsel berührt. Das Ganze ist in grüngrauem Ton ge-
halten: grauer Anzug, graugrüner Hintergrund. Der Stuhl ist mit gelb- und rot-
oker gemalt.
Nr. 53. Lachender Jüngling. Sammlung Madame Andre. Etwas geänderte
Kopie nach einem Bilde von Jan Miense Molenaer in Hampton Court. Falsch be-
zeichnet F Н 1636. Große, schmutzige, breite Risse.
Nr. 54. Lachendes Kind. Sammlung Alb. Lehmann. Bezeichnet FH. Das Bild
ist schwach, z. B. in der Behandlung der Lippen; offenbar eine Kopie.
Nr. 55. Der junge Trinker. Sammlung Edm. Veil-Picard. Bezeichnet F H.
Das Bild hing über einem Feuerlöschapparat und sah dort — also immer aus ge-
wisser Entfernung — zweifelhaft aus. Der Daumen und die übrigen Teile der Hand,
welche die Laute festhält, sahen aus, als wären sie mit Tubenfarben gemalt, ebenso
auch das Weiß der Manschetten und das Blau der Ärmel. Auch die Lichter auf
der Guitarre wirkten modern. Es gibt ein zweites Exemplar dieses Bildes in der
Sammlung Vintcent in London. Ich will nicht an der Echtheit des Bildes zwei-
feln, da man sich aus der Ferne so leicht täuscht. Aber immerhin ist es wünschens-
wert das Verhältnis der beiden gleichen Bilder zueinander festzustellen, sowie deren
Stammbaum.
Nr. 56 und 57 waren Bilder von Molenaer und diesem schon im Katalog zuge-
schrieben. Siehe dort.
Nr. 58. Kind mit Seifenblase. Sammlung Henry Péreire. Links bezeichnet
Е Н. Echtes, flott gemaltes Bild, nur zu dick gefirnißt.
Nr. 59. Der Raucher. Sammlung Bonnat. Gehört zu denjenigen harten, nach-
lässig gemalten Bildern, als deren Urheber Frans Hals niemals genannt werden
sollte. Das freche Rot in der Wange und der Nase und die Rohheit des Vortrags
verraten die Falschheit.
Nr. 60. Bildnis des Screvelius. Sammlung Warneck. Das schon von mehreren
Ausstellungen her bekannte und in der Literatur mehrfach erwähnte Bildchen
von 1617.
438
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Nr. 61. Mánnliches Bildnis. Sammlung Kleinberger. Echtes Bild. Bezeichnet:
aetat suae ano 1635 F H. Griingrauer Hintergrund, schwarzer Hut und Anzug.
Nr. 62. DIRCK HALS, Fröhliche Gesellschaft. Sammlung Allen Lobl.
Schönes Bild, flott und ziemlich dick gemalt. Angenehm durch die feinen Nuan-
cierungen von Gelb, Braun, Grau und Hellgriin in der Kleidung der Herren und
Damen. Für Dirck Hals charakteristisch In der Behandlung der Fernsicht ist
Einfluß flandrischer Technik deutlich zu erkennen.
Nr. 63. W. C. HEDA, Stilleben. Sammlung Sperling. Das sehr schöne Bild
scheint mir nicht von Heda. Einen anderen Namen kann ich aber leider nicht vor-
schlagen.
Nr. 64 und 65. B. VAN DER HELST, Bildnis eines Herrn und einer Dame.
Beide echte, für den Meister charakteristische Bilder.
Nr. 66. DERSELBE, Bildnis einer Frau. Sammlung Tiebault-Sisson. Nicht echt.
Nr. 66 bis. DERSELBE, Bildnis eines Herrn mit seiner Frau. Sammlung
Jules Porges. Nicht von van der Helst, eher ein guter Abraham уап den Tempel.
Nr. 67. JAN VAN DER HEYDE, Ansicht der Jesuitenkirche in Diissel-
dorf. Kopie (vermutlich aus dem XVIII. Jahrhundert) nach dem Original im Maurits-
huis. Namentlich die oberflächliche Behandlung der Straßensteine und die Craquelure
im Himmel links oben sind überzeugend, daß hier keine eigenhändige Arbeit des
Jan уап der Heyde vorliegt. Die Figuren sind auch nicht fein genug. Man ver-
gleiche z. B. die harten Wangen der kauernden Bettlerin.
Nr. 68. DERSELBE, Holländische Stadtansicht. Sammlung Marquise d'Aoust.
Wohl echt.
Nr. 69. Ansicht des Chors einer Kirche. Sammlung Baron Edmond de Roth-
schild. Echtes, charakteristisches Werk des Meisters.
Nr. 70. M. HOBBEMA, Große Landschaft. Sammlung F. Kleinberger. Vor-
züglich erhaltenes Bild, ohne Zweifel vom Meister gemalt. Wirkte in der Aus-
stellungsbeleuchtung nicht günstig, weil es dort zu dunkel aussah. Die Luft ist
prachtvoll, der Baumschlag außerordentlich naturgetreu, die Komposition angenehm.
Nr. 71. DERSELBE, Hütte am Waldesrand, Sammlung Warneck, Allerlieb-
stes kleines Bildchen aus Hobbemas Spätzeit. Etwas pastös gemalt, mit vielem
Braun und teilweise schweren Schatten. Sehr glücklich komponiert.
Nr. 72. DERSELBE, Landschaft an einem Sumpf. Sammlung Baron Edmond
de Rothschild. Schwaches Bild, dessen Echtheit nicht ohne weiteres anzunehmen
ist. Es erinnert an gewisse Bilder des Joris van der Hagen.
Nr. 73. DERSELBE, Die Wassermühle. Sammlung Porges. Mäßige Kopie
nach dem Original im Brüsseler Museum. Das bläuliche Grün der Bäume und die
Behandlung des roten Daches sind die meist auffallenden Beweise, daß hier kein
Original des Meisters vorliegt.
Nr. 74. PIETER DE HOOCH, In der Küche. Sammlung Kleinberger. Hübsches,
in feinem Silberton gehaltenes Bild aus der mittleren Zeit des Meisters.
Nr. 74 bis. Interieur mit vier Figuren. Sammlung Kleinberger. Charakteristi-
sches Spätbild des Meisters mit den bekannten schweren Schatten.
Nr. 75. MELCHIOR D'HONDECOETER, Hühnerhof. Sammlung Roger Douine.
Nicht von Hondecoeter selbst gemalt. Genau dieselbe Komposition, von Honde-
coeters Hand, befindet sich in der Dresdener Galerie.
Nr. 75 bis. HONTHORST, Der Trinker. Sammlung Porges. Echtes, gutes Bild
des Meisters.
Nr. 76. THOMAS DE KEYSER, Frau und Kind. Sammlung Porges. Eines der
439
lehrreichsten Beispiele von Fälschungen aus der ersten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts. Das’ reizende, in schönem, sanften Ton auf feiner moderner Lein-
wand gemhlte Bild verriet sich mir zuerst durch die Malweise des Schemels zwi-
schen Frau und Kind, welche nicht die des XVII. Jahrhunderts ist. Dieser Schemel
scheint das einzige vom Maler selbst erfundene Detail des Bildes zu sein. Das
Kind ist nämlich genau kopiert nach dem Kinde auf dem Bilde von Govert Flinck
im Mauritshuis (Nr. 676). Die Frau ist offenbar gleichfalls kopiert, nur konnte ich
bis jetzt das Original nicht auffinden.
Nr. 77 und 78. DERSELBE, Bildnisse eines Herrn und einer Dame. Samm-
lung de Jonge. Diese beiden sehr guten Bildnisse sind typische Beispiele von De
Keysers etwas pastöser Malweise und zeigen ihn obendrein als tüchtigen Stilleben-
maler. Namentlich die Bücher, die Kerze und das Schreibzeug auf dem Tische an
dem der Herr sitzt, sind ganz vortrefflich auch in der Lichtwirkung. Der Herr
hält einen Brief in der Linken, ein Petschaft in der Rechten. Die Dame, reich ge-
kleidet an einem Tisch sitzend, auf dem ein Kirchenbuch liegt, blickt neugierig aus
dem Bilde. Die Wiedergabe der Stoffe ist sehr gut.
Nr. 79. DERSELBE, Bildnis einer Frau. Sammlung Max Flersheim. Echtes Bild.
Nr. 79 bis und ter. DERSELBE, Bildnisse eines Herrn und einer Dame.
Sammlung Eugéne Max. Waren schon von weitem unfehlbar als charakteristische
Arbeiten des Hendrick Pot zu bestimmen. Beide zeigen sein Lila in der Tischdecke,
zeigen auch eine dunkle Säule, wie sie bei Pot so oft vorkommt. Auch der Fuß-
boden und die Behandlung des Hintergrundes, der Gesichter und der Hände ist
überzeugend).
Nr. 80. JUDITH LEYSTER, Fröhliche Gesellschaft. Sammlung Baron von
Schlichting. Das bekannte, monogrammierte Bild, durch welches Hofstede de Groot
diese Malerin wieder entdeckt hat und nach Anlaß dessen er ihr Oeuvre zusammen-
stellte. Es war eine Freude, das wunderbar erhaltene Gemälde hier zu sehen.
Nr. 81. DIESELBE, Das Duett. Sammlung Dr. Max Wassermann. Flottes Bild-
chen, welches früher Humphry Ward gehörte.
Nr. 82. N. MAES, Badende Kinder. Sammlung Baron von Schlichting. Dieses
Bild, welches sich vor etwa zehn Jahren im Londoner Kunsthandel befand und
nachher kurze Zeit in einer Rotterdamer Privatsammlung, habe ich öfters und unter
besserem Licht studiert als auf der Ausstellung möglich war. Es ist von Bode‘)
dem Vermeer zugeschrieben, mit der Bemerkung jedoch, daß Hofstede de Groot es
für einen Maes halte. Ich kann letzterem nur beistimmen. Den besten Beweis
bringt der Vergleich mit der Kuchenbäckerin von Maes in der Sammlung Steen-
gracht im Haag (Nr. 21). Der sitzende Junge dort ist genau so gemalt, wie die
Knaben auf dem Schiff der Badenden. Die Augenlider, der Lichtfall, der Ellen-
bogen usw. stimmen sogar bis in die Kleinigkeiten überein. Auch koloristisch gibt
es manche Übereinstimmung zwischen beiden Bildern. Ferner ist der sitzende
Junge auf dem Steengrachtschen Bilde derselbe wie der auf dem Boot sitzende.
Er trägt sogar denselben Hut. Auch der Hund auf beiden Bildern ist derselbe.
Eine topographische Besonderheit, welche die Zuschreibung an Maes unterstützt,
ist der Umstand, daß links im Hintergrunde der Badenden eine bekannte Ruine
in der Umgebung von Maes’ Vaterstadt Dordrecht, das „Huis de Merwede“ (so
häufig auf v. Goyens Bildern vorkommend) abgebildet ist. Näheres zeigt unsere Ab-
(1) Ein ebenso charakteristischer Hendrick Pot ist das von Herrn Dr. Hermann Burg als „unverkenn-
barer“ A. Palamedesz in dieser Zeitschrift (S. 293) veröffentlichte Bild bei Böhler.
(2) Rembrandt und seine Zeitgenossen 1906, S. 5a.
440
„гьа
Е Ы, aus der auch der eigenartige Nachklang italienischen Einflußes (man denke
an das auf dem Rücken im Wasser liegende Mädchen auf Domgnichings Jagd der
Diana im Palazzo Borghese) hervorgeht. Zum Vergleich bilden ‘wir. auch Vas. Steen-
grachtsche Bild ab. d en +
Nr. 83. DERSELBE, Alte, welche Brei ißt. Sammlung Baron d Erlanger Ist
eine sehr mäßige, vielleicht nicht einmal alte Kopie nach einem schönen Orffiñal
von Brekelenkam in der Dulwich Gallery bei London. Ä
Nr. 84. DERSELBE, Die Spitzenklöpplerin. Sammlung Marquise лос Ist
eine ebenfalls augenscheinlich nicht sehr alte Kopie nach einem jetzt in Amerika
befindlichen Original. Einige Umänderungen sind angebracht. Der Kopf ist dem
Kopisten am schlechtesten gelungen: er wurde zu groB.
Im nächsten Heft sollen die noch nicht erwähnten Bilder in gleicher Weise be-
handelt werden.
441
DIE WIEDERHERSTELLUNG DES JOHAN-
NESALTARS VON BURGKMAIR IN DER
ALTEN PINAKOTHEK Von WALTER GRÁFF
Mit elf Abbildungen auf vier Tafeln WT
er Johannesaltar von Hans Burgkmair ist wie der Baumgartneraltar Diirers,
dessen Schicksale den seinen gleichen!), mit einer großen Reihe der bedeu-
tendsten Werke altdeutscher und altniederländischer Kunst eine Erwerbung des
großen Kurfürsten von Bayern, Maximilians І. (reg. 1597 —1651)?).
Das Burgkmairsche Altarwerk zeigte bei geschlossenen Flügeln die beiden Johannes,
links den Täufer, rechts den Evangelisten. Bei geöffneten Flügeln erschien als
Mittelbild Johannes, der Dichter der Offenbarung, auf der Insel Pathmos, auf dem
linken Flügel der heilige Erasmus, auf dem rechten der heilige Nikolaus.
Soweit bisher bekannt ist, werden Stücke des Altars zuerst erwähnt in den In-
ventaren der Kammergalerie des Kurfürsten Maximilian 1.
In dem einzigen bisher veröffentlichten Gemäldeinventar seiner Kunstkammer?)
findet sich das Mittelstück verzeichnet als „St. Joannes Euangelista, in der Innsl
Pathmo vom Burckhmair von Augspurg, a° 1518, ist 5. schuech 3½ Zoll hoch A
schuech .4?/,. Zoll brait mit No. 8“). Die Größe umgerechnet ergibt 153/127 cm;
die Tafel mißt in der Tat 152/126 cm (Lichtmaß). Die Innenfliigel werden be-
schrieben: „Ein überhöchte Taffel 5 schuech ı. Zol hoch, vnd ı. schuech 7. Zoll
braitt, darauf S. Erasmus im bischofflichen Habit, in ainer Landtschafft, von Johann
Burckhmayr zue Augspurg gemalt ist. Mit No. 45“. Umgerechnet 148/46 cm, die
richtige Größe ist 145/45 cm. „Gleicher handt vnd grösse, ein anderer Heyliger in
bischofflichem Habit, so ainem alten khrumpen Pettler das Allmuesen raicht No. 46.
mit a° 1518“,
Die Außenseiten der Flügel werden hier nicht erwähnt. Sie waren also ent-
weder noch mit den Innenbildern verbunden und deshalb unsichtbar, oder von ihnen
räumlich getrennt, an einem anderen Orte als der Kammergalerie aufgestellt“).
Während das Mittelbild aber damals schon vergrößert worden war — links
um 14 cm, rechts um 16 cm und oben um 10 cm, finden wir hier noch gleiche
Maße für beide Innenflügel. Bis jetzt hatte nur mehr der linke das alte Maß
(145 ½: 44½ cm), während der rechte durch seitliche Anstückungen um 121/, cm
verbreitert worden war. (Asil: 57 cm nach dem Schleißheimer Katalog 1905,
Nr. 93.) Die Vergrößerung ist der Malweise und dem Stil nach noch unter Maxi-
milian I. geschehen. Mit den neuen Maßen 4‘5“: 1'81/," (französ. Maß) = 144: 55*/, cm
findet sich dieser Flügel nebst dem Mittelbild in einem Bruchstück eines Residenz-
inventars vom Anfang des XVIII. Jahrhunderts verzeichnet“). Dem Nikolaus hatte
(1) Vgl. Voll in Helbings Monatsberichten II, 39ff. und Vergleichende Gemäldestudien I, agff.
(2) Über seine Gemäldeerwerbungen vgl. Reber, Kurfürst Maximilian I. als Gemildesammler, München
1892 und Dr. Josef Weiß in den Histor.-Politischen Blättern, Bd. CXLH 1908, 8. s45ff. sowie den
Katalog der Kgl. Alten Pinakothek, 11. Aufl., München 1911, passim.
(3) Im Anhang zu Rebers Kurfürst Maximilian I. als Gemäldesammler, S. 4off.
(4) Bayerisches Maß.
(5) Zu bemerken ist hier, daß Vorder- und Rückseiten, jede auf eine eigene Tafel gemalt waren, so
daß man sie nicht auseinanderzusägen brauchte.
(6) Kreisarchiv München, H. R. Fasc. 22 ad No. 61. „Dans la Residence a Munique. Au Magasin d'en
Bas sous la salle del’ Empereur“. Das Verzeichnis ist verfaßt vor dem Residenzbrand von 1729, es
442
man damals als Gegenstiick (Nr. 999) den Christophorus уоп Burgkmair gegeben
(jetzt in Niirnberg, German. Museum, Nr. 281), der, um die gleichen Mafe zu be-
kommen, ebenfalls angestiickt worden war (unten um 5, oben um 28, links um
т cm). Er hatte ursprünglich dieselben Maße wie sein Gegenstück: die Heiligen
Liborius und Eustachius (Pinakothek Nr. 221, jetzt inNürnberg). Das Bewußtsein der
Zusammengehörigkeit der beiden Bischofsflügel war also ganz verloren gegangen.
In den Schleißheimer Inventaren von 1748 und 1750 (nur letzteres numeriert) finden
sich sämtliche Teile des Altars zerstreut (Nr. 346, 436, 455, 456, 463), der Johannes
auf Pathmos (346) als Burgkmair, die andern als Dürers. Bei Errichtung der
Galerie im Hofgarten 1780 kamen sämtliche Stücke, die mit Ausnahme des Eras-
mus noch im Schleißheimer Katalog von Weizenfeld 1775 verzeichnet waren, nach
München!). Mannlich versetzte bei der Neuordnung der Galerien in München und
Schleißheim das Mittelbild nach Schleißheim zurück (Kat. 1810, Nr. 1536), während
die andern Bilder in München verblieben. Alle Teile wurden 1836 bei der Ein-
richtung der Pinakothek wieder vereinigt, ohne daß allerdings ihr Zusammen-
hang erkannt worden wäre. Sie blieben dort, bis 1881 die Innenflügel nach Schleiß-
heim und 1902 die Außenflügel nach Burghausen kamen.
Erst als so die Bilder wieder getrennt waren, setzte die Forschung ein. Kon-
servator Bever erkannte die Schleißheimer Stücke als Seitenteile des Johannes auf
Pathmos der Pinakothek (Kat. Schl. 1905, Nr. 92 und 93) und Dr. Braune fügte der
zweiten Auflage des Burghäuser Katalogs von 1908, die Bestimmung der beiden
Johannes (Nr. 19 und 20) als Außenflügel des Altars hinzu.
Als vor nunmehr zwei Jahren Herr von Tschudi mit seiner Reorganisation der
bayrischen Galerien begann und eine Reihe von wichtigsten Werken aus dem
Dunkel der Filialgalerien ans Licht zog, stellte er als zweiten Teil seines Pro-
gramms die Forderung auf, die im Laufe des XIX. Jahrhunderts an verschiedene
Orte zerstreuten Altarwerke wieder zusammenzusetzen und — jedes für sich —
in einer Galerie aufzustellen. Die Sichtung des Materials hatte Dr. Braune schon
jahrelang vorbereitet.
Es war selbstverständlich, daß unter den für die Pinakothek bestimmten Altar-
werken der Burgkmairsche Johannesaltar sein mußte, und als weitere unabweisbare
Folgerung ergab sich, nachdem die einzelnen Stücke etwa ein halbes Jahr neben-
einander in der Galerie gehängt hatten, den Altar wieder als Triptychon gerahmt
zu zeigen. Bei dieser Gelegenheit wurde er einer durchgreifenden sachgemäßen
Wiederherstellung durch den Kgl. Konservator Kinkelin unterworfen, deren Gang
und Resultate ich mitteilen werde.
Da infolge der späteren Anstückungen die Höhenmaße des Mittelbildes und der
Flügel, sowie die Breitenmaße der Flügel nicht übereinstimmten, und man diese
Anstückungen nicht kurzerhand absägen wollte, mußte ein besonderer Rahmen kon-
struiert werden, der den nötigen Ausgleich wieder herbeiführen konnte, indem er
die Anstückungen der einzelnen Teile durch den Falz deckte. Die Breite der an-
einanderstoßenden Vergrößerungen — rechts am Mittelbild und links am rechten
enthält mehrere damals verbrannte Bilder wie 981: Die Krönung Mariae von Dürer (Hellerscher Altar),
6“: 41½ = 195:134; von Raffael, zwei Madonnen, eine (1042) mit dem Jesuskinde und St. Georg,
a'r'/,“:x'ro“ (im Maximilianischen Inventar Nr. 41 als Perugino), die andere (1016) eine hl. Familie,
23“: 3a“ — 73:102 cm. Unsere Bilder sind identisch mit 998: Burgkmayer, Ste Nicolas donnant
L’aumone und 1012: Alb. Dürer (!), S. Jean Baptiste (), 47“: 310 /; = 149:125 cm.
(1) Vel. Die Bildergalerie in Múnchen. Múnchen, 1787, Nr. 172, 177, 178, 182, 204.
443
Fliigel — ergab, wenn man einen kleinen, zum Anbringen der Befestigung durch
Schrauben nótigen Zwischenraum hinzurechnete, die doppelte Breite des neuen
Rahmens. So wurde es möglich, ohne den bisherigen Bestand des Bildes zu tan-
gieren, die einzelnen Teile in der ursprünglichen Größe und Anordnung zu zeigen.
Daß die Anstückungen apokryph waren und deshalb gedeckt werden mußten, ist
eine schon längst bekannte Tatsache, über deren Berechtigung wohl kaum eine
Meinungsverschiedenheit entstehen diirfte!).
Beim Zusammenfügen der Bilder wurde die Bedeutung des Laubwerks, das bei
den Flügeln oben unter der übermalten Luft durchschimmerte, klar?). Es war die
Fortsetzung der Bäume des Mittelbildes, die in dem Augenblick, als man die Stücke
trennte, unbegründet und überflüssig scheinen mußten. Etwa in Höhe der Mitra
beim rechten Flügel, etwas höher beim linken, begannen die Übermalungen, die
sich dem Auge zeigten als schwere, schmutziggraugrüne undurchsichtige Wolken-
massen. Wenn man von der Seite her darüber schaute, waren deutlich die Blatter
zu erkennen.
Diese dreifache Farbschicht wurde sorgfältig abgenommen. Darnach erschienen
beim linken Flügel die Blätter gut erhalten und nur wenig abgeschliffen, so daß
der Restaurator sich auf die Ergänzung weniger kleiner Fehlstellen und Vereinheit-
lichung des Tones beschränken konnte.
Auf dem rechten Flügel kamen die Blätter ebenfalls gut erhalten zum Vorschein,
jedoch mit etwas häufigeren Verkittungen (vgl. Tafel 95, Abb. 7 und 8, während der
Arbeit aufgenommen, die Verkittungen sind weiß). Auch hier war im Blattwerk wenig
zu ergänzen, an manchen Stellen die Blattrippen lediglich etwas zu betonen, um den
Einklang mit dem Mittelbild herzustellen. Sehr stark dagegen war die blaue Luft
abgeschliffen und zwar auf der rechten Seite so gründlich, daß die ganze alte
Malerei bis auf die unterste Schicht des Originalgrundes entfernt worden war und
das Brett in seiner Struktur durchschimmerte. Der auf Abb. 8 sichtbare weiße
Streif zwischen Brett und blauer Farbe ist der schräg abgeschliffene obere
Originalkreidegrund, der im Gegensatz zu dem stärker saugenden neueren, groben,
gräulichen, sehr fein und elfenbeinern im Ton war. Dieser neuere Grund wurde
bis auf die auf Abb. 8 rechts sichtbaren Reste des Originalgrundes entfernt, der Luft-
ton, wie er sich aus der Umgebung ergab, tiefblau ergänzt und mit dem übrigen
in Einklang gebracht.
Bei der weiteren Untersuchung des linken Flügels fielen aus stilistischen Gründen
die Barockmuster der Mitra, der Infula und des Pluviales auf. Eine Stichprobe er-
gab, daß, soweit das Muster reichte, die alte Malerei sorgfältig ausgeschliffen worden
war, es also nichts Ursprüngliches zu retten gab. Der linke Flügel blieb deshalb
im übrigen unberührt.
Größere und den Bestand des Bildes bedeutend berührende Veränderungen zeigte
dagegen der rechte Flügel in seinem linken unteren Viertel. Daß er zu beiden
Seiten angestückt worden war, ist schon oben bemerkt worden. Den alten Zustand
zeigen die Abbildungen 5 und 9. Bei genauer Untersuchung schimmerten unter
dem Steinvorsprung, auf dem der Heilige stand und auf dem die Bezeichnung und
Datierung zu lesen war (vgl. Kat. Schl., Nr. 93), Gräser und gewachsener Boden
(т) Vgl. die Bemerkung im Schleißheimer Katalog zu Nr. 93 und in Volle Führer durch die Alte
Pinakothek S. ı00'roı, sowie oben, 6. Absatz.
(2) Vgl. die Photographien der Vereinigten Kunstanstalten (Nr. 455/56), Tafel 94, Abbildung 5 und
Schleißheimer Katalog, Bemerkung zu Nr. 92'93.
444
durch; links von dem Fuße des Heiligen ging offenbar das weiße Gewand unter
dem Stabe des Bettlers durch weiter nach links, so wie es auf dem Bilde, ehe es
photographiert wurde, durch einen Kreidestrich angedeutet worden ist (s. Abb. 9).
Die Übermalungen dieser Teile wurden abgenommen; dabei stellte sich heraus,
daß auch die Signatur apokryph war; es erschien der gewachsene Grasboden unter
dem Fuß des Heiligen und verschwand das untere Ende des Stabs.
Bei der Abnahme dieser Stellen und genauerer Untersuchung des Bettlers waren
ältere Konturen unter den bestehenden zu erkennen und das führte dazu mehrere
Proben zu machen, die in ihrem weiteren Verfolg eine gänzlich andere Figur zu-
tage förderten. Der gotisch-kleine Bettler Burgkmairs hatte dem Verderber, der
hier eine Figur nötig hatte, die den durch die linksseitige Anstückung erweiterten
Raum ausfüllen konnte, nicht gefallen und deshalb hatte er ihn nach seinem barocken
Geschmack verändert. Das Gesicht war dabei ziemlich unberührt geblieben, nur
die Stirn, die Burgkmair mit Recht in der Verkürzung flach und nieder gebildet
hatte, behagte ihm nicht, weshalb er sie nach oben hin vergrößerte (vgl. zu dem
folgenden Abbildungen 9 und то). Im übrigen wurde die ganze Figur neu gemalt.
Man sah da einen Bettler mit Holzbeinen, der sich auf zwei niedere Krücken
stützte, in der rechten Hand hielt er ein Schüsselchen aus Holz mit einem an
einem Riemen befestigten Knebel. Um die Schulter hing eine Wandertasche. Die
vor der Abnahme deutlich durchscheinenden Falten des Hemdes hatten bei der
Übermalung einer Art Kittel weichen müssen.
Ein Vergleich der Abbildungen des Zustandes vor und nach der Restaurierung
ergibt die Veränderungen sehr klar. Nach der Entfernung der Übermalungen trat
das gut erhaltene Original zutage. Die apokryphe Anstückung der Seiten wurde
durch den Rahmen verdeckt!).
Beim Mittelbild machte die Zurückführung auf das ursprüngliche Maß das Zu-
decken einzelner aus der Anstückung in das alte Bild hineinragender apokrypher
Zutaten nötig. So wurde von dem Perlhuhn unten links (s. Abb. 4) der Kopf und
ein wenig von der Brust gedeckt, etwas weiter oben der rechte Arm des Äffchens,
weiter in der oberen rechten Ecke die Brust des Papageien. Abgenommen wurde
an den Rändern nichts, wenn auch die Motive der Äste und Blätter, vor allem des
Baumes rechts, willkürlich bei der Verbreiterung verändert worden waren, um eine
Bildwirkung zu erzielen. Abgenommen wurde auch keines von den Tieren, die
nicht alle von Burgkmair sind — schon qualitativ nicht —, wie z. B. der Papagei
auf dem Aste rechts, sowie die Insekten, von denen jeder der Vögel eines vorge-
setzt bekommen hat. Solche Lächerlichkeiten hatte sich Burgkmair nicht erlaubt.
Daran allerdings, daß nicht alle Vögel apokryph sind, ist — abgesehen von der her-
vorragenden Güte mancher Tiere, wie der Blaumeise zu Füßen des Heiligen, des
Spechts, der Eidechse und des Frosches — nicht zu zweifeln, zumal wenn wir die-
selbe Darstellung Burgkmairs, die sich in der Kgl. Filialgalerie in Augsburg auf dem
linken Seitenstück der Basilika des Lateran vom Jahre 1502 findet (Nr. 87) ver-
gleichen. Dieses Bild zeigt uns dasselbe Thema wie hier, doch etwas kleinlicher
behandelt, ohne das visionär Bewegte des Evangelisten, noch stärker gotisch in
Form, Auffassung und Vortrag.
Sehr wichtig erscheint der Vergleich für die Madonna in den Wolken. Diese
(т) Bei der Überführung der Innenflügel von Schleißheim nach der Pinakothek hatte man, um die
Gegenstücke gleichgroß rahmen zu können, ein kleines Stück der Anstückung der rechten Seite ab-
nehmen müssen.
445
ist im Münchner Bilde ganz apokryph und völlig dem Geschmack des Barock ent-
sprechend verändert. Leider hat der verständige Verderber des Bildes nicht unter-
lassen, die alte Madonna mit dem Kinde auszuschleifen, ehe er sein Elaborat
darauf malte. Das Stück Himmel zwischen beiden Bäumen und hinunter bis da-
hin, wo der Strahl den rechten Baum trifft, ist ruiniert. Die alte Darstellung ent-
hielt mutmaßlich eine Madonna mit dem Kinde im Strahlenkranz, wohl renaissance-
mäßig, freier als jene frühe, aber doch noch der gotischen Auffassung näher, als
die Barockmadonna des Verfälschers.
Die fundamentalste Wiederherstellung, die das ganze Triptychon in seiner far-
bigen Wirkung aufs tiefste beeinflußt und koloristische Werte geschaffen hat, von
denen man bis dahin keine Ahnung hatte haben können, ist aber die des Johannes
auf dem Mittelbild. Unter der Lupe stellte es sich heraus, daß die gleichmäßig
schmutzig-rotbraune Bekleidung des Evangelisten nicht die ursprüngliche Farbe sein
konnte, und als daraufhin kleine Stellen abgenommen wurden, erschien beim Man-
tel ein klares Himbeerrot mit weißen Lichtern — bisher zeigten Mantel und Unter-
gewand dieselbe Farbe — beim Untergewand Zinnoberrot, in den Schatten Krapp-
rot. Beim weiteren systematischen Entfernen der oberen Farbschichten traten eine
Reihe von alten Schäden hervor, die sich als schwarze Verkittungen kundgaben.
Wahrscheinlich war das Unvermögen, sie richtig mit dem Übrigen in Einklang zu
bringen, der Grund der scheußlichen Übermalung.
Die schlimmsten Verkittungen erstreckten sich vom rechten Ellenbogen bis zum
Handgelenk und nach unten bis zum starken Mantelsaum, diesem nach rechts ent-
lang nach dem aufrechten Bein hin und rechts vom Bein in der großen Falte weiter
bis zum rechten Ende des Kleids. Vier größere waren rechts bei der Hüfte, auf
Arm und Brust. Die ganze rechte Seite sowie die Umgebung sämtlicher verkitteter
Stellen war bis in die alte Krakelüre hinein so mit dem schwarzen Kitt verspach-
telt und dann mit sehr dunkler Farbe übermalt, daß besonders am linken Arm die
Gewandmotive völlig unkenntlich geworden und sinnlos neu aufgepinselt waren.
Den Zustand des Bildes während der Abnahme giebt unsere Abbildung 11,
auf der die Kittstellen als graue, glatte Flächen ohne Krakelüre erscheinen und
wo unten zwei Vertikalstreifen alter Farbe in gleichmäßig dunklem Ton die frühere
braune Sauce im Gegensatz zur neuen Farbenpracht zur Erscheinung bringen. Die
wenigen Fehlstellen wurden mit Kitt gedeckt und — ebenso wie die alten schwar-
zen Verkittungen — in dem Tone der Originalfarben ergänzt.
Bei dieser Arbeit zeigte es sich auch, daß die rechte Hand des Heiligen durch
Übermalung der begrenzenden Konturen, besonders am oberen und unteren Rande
der Handfläche, zierlicher und charakterloser gemacht worden war; die einzelnen
Finger waren in derselben Weise durch beengende Konturen verschmälert worden.
Hier wurde die alte Form bei der Abnahme des übermalten Gewandes wiederher-
gestellt.
Die vielen weiteren Veränderungen aus alter Zeit wurden nicht entfernt, da sie
das Bild in seiner Gesamterscheinung nicht beeinträchtigten.
Auch die Außenflügel (Abb. ı und 2) blieben vorderhand unberührt, da sie nur
wenig verändert worden sind. Sie sind zur Seite des Triptychons nebeneinander
aufgehängt und zeigen die Wirkung des geschlossenen Altars.
So kann man, nachdem die entstellendsten Übermalungen abgenommen, die un-
berechtigten Anstückungen verdeckt und der Altar wieder als Triptychon gefaßt ist,
wohl behaupten, daß wir jetzt der alten ursprünglichen Burgkmairschen Idee so
nahe gekommen sind, als es unter sotanen Umständen nur möglich war. Bedauer-
446
lich bleibt nur, daß man bei den zur Zeit herrschenden Anschauungen über alte
Kunst es nicht wagen konnte, die Anstückungen, die sachgemäß und handwerk-
lich ausgezeichnet angebracht waren, kurzerhand zu beseitigen (natürlich wären
sie aufgehoben worden, vor allem der von Burgkmair kopierte Dürerhase aus der
Albertina!), denn dann wäre es möglich gewesen, dem Altar einen Rahmen von
der Originalbreite zu geben. Leider aber ist der jetzige Rahmen viel zu breit, da
er ja die Anstückungen decken muß, und deshalb kommen die Flügel nicht nahe
genug an das Mittelbild heran, was besonders aus dem Grunde nachteilig ist, weil
deshalb die Bäume nicht richtig auf die Flügel hinübergreifen, sondern die Äste
zu weit nach außen zu stehen kommen; besonders auffällig ist dieser Fehler bei
dem linken Flügel.
Trotz dieses unvermeidlichen Mangels ist aber durch die Wiederherstellung des
Altars ein bedeutendes Werk eines unserer größten deutschen Renaissancemeister
wieder auferstanden und für die Kunstgeschichte und den empfänglichen Laien von
neuem erworben worden, ein Werk, das in seiner jetzigen Erscheinung, mit seiner
fabelhaft schönen koloristischen Wirkung und seiner fein abgewogenen Komposition
zu den prächtigsten Stücken der erneuerten Alten Pinakothek gehört.
Keiner der Beschauer aber, der den früheren Zustand der Bilder kannte, wird
Konservator Kinkelin, dem pietätvollen Restaurator des Altarwerks, der mit unend-
licher Geduld und „liebevoll suchendem Auge“ den Spuren des Originals nachge-
gangen ist, dem die Wiederherstellung zum innersten Erlebnis geworden ist, und
der uns wieder den Genuß dieses Meisterwerkes deutscher Kunst verschafft hat,
das höchste Lob versagen können.
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DIE VERKUNDIGUNG DES KONRAD WITZ
UND SEIN VERHALTNIS ZUR NIEDER-
LANDISCHEN KUNST Von V. WALLERSTEIN
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel eee eee eee eee e eee
u allen Zeiten hat man unbedeutenden Werken im Kunsthandel Namen großer
Meister gegeben. Daß aber auch heute noch das Gegenteil möglich ist und
etwas Großes, Echtes unerkannt und namenlos dem Handel zu entschlüpfen ver-
mag, beweist die neue und zufällige Erwerbung eines Werkes von Konrad Witz
durch das Germanische Museum in Nürnberg.
Ich nenne als Meister des Werkes von vornherein Konrad Witz, weil dessen
Autorschaft jedem, der sich nur einigermaßen mit diesem Künstler beschäftigt hat,
auf den ersten Blick einleuchtet und wir keinen zweiten von dieser stark ausge-
prägten Eigenart bisher kennen. Sollten trotzdem jemand Zweifel an der Zu-
schreibung aufkommen, so wird er mit Vorteil den Aufsatz von W. Josephi im
letzten Anzeiger des Germanischen Museums zur Hand nehmen und darin Schritt
für Schritt der mir selbstverstándlichen Annahme näher geführt werden.
Das Bild stellt eine Verkündigung dar. Maria sitzt betend mitten in einem
balkengedeckten leeren Gemach. Der Engel ist eben hereingetreten und verkündet,
mit Flügel und Gewand noch in der Tür, die Linke erhoben, der Jungfrau das
Wunder.
In den Abmessungen stimmt das Bild mit der Basler „Begegnung an der goldnen
Pforte“ ungefähr überein. Es dürfte der Außenseite desselben Altars angehört haben,
falls man dies aus der Zurückhaltung in der Farbengebung schließen darf. Obgleich
sich diese durch auserlesenen Geschmack und eine zu jener Zeit kaum wieder-
kehrende Harmonie auszeichnet, so ist doch farbig im eigentlichen Sinn nur der
Mantel des Engels, das Gewand der Jungfrau, das Gebetbuch und ein Stück Himmel,
das durch die Fensteröffnung sichtbar wird; alles übrige ist mehr wie eine Grisaille
behandelt. Ja, man wundert sich, daß von ausgesprochenen Lokalfarben nur so
wenig aufgezählt werden kann, da uns die Tafel doch als ein Bild, das von Werten
der Farbe getragen wird, im Gedächtnis bleibt.
Der Erhaltungszustand ist, soweit ich dies vom gewöhnlichen Standort des Be-
schauers erkennen konnte, keineswegs gut zu nennen. Der Mantel der J au
scheint mit Beibehaltung der für Witz bezeichnenden „Sternfalte“ vollständig neu,
ebenso ist ihr Gesicht übermalt, und zwar nach süßlichen, der Witzschen Kunst
fremden Formen. Auch das Pluviale des Engels, dessen „lichtsaugende Kraft“ von
Josephi hervorgehoben wird, scheint mir neu. Ein so lockerer und gleichsam
fließender Farbenauf trag ist jedenfalls einer viel späteren Zeit zuzuschreiben. So
sehr auch die Basler Bilder durch die Eignersche Restaurierung gelitten haben
mögen, so geben sie uns doch eine genügende Zahl verläßlicher Proben zum Ver-
gleich und zeigen, daß die Farbe im XV. Jahrhundert selbst unter der meisterhaften
Behandlung eines Witz nicht den körnigen und blumigen Charakter besitzt, wie er
später 2. B. für Venedig bezeichnend ist, und wie er dem Restaurator bei Uber-
malung des roten Pluviales vorgeschwebt haben mag. Neu und in schwerem Gold
aufgetragen ist ferner der Nymbus um das Haupt der Jungfrau, und nach Josephi
auch der Fensterausschnitt. Das Gesicht des Engels ist intakt und zeigt die be-
kannten Formen, die wir bei Witz überall antreffen.
448
Die Basler „Begegnung“ ist zeitlich nach dem großen Altar derselben Sammlung,
also nach 1440 angesetzt worden, und die jetzt aufgefundene Tafel bestätigt diese
Datierung. Vergleichen wir den im Basler Privatbesitz aber zum Altaraufsatz der
Kunstsammlung gehörigen Verkiindigungsengel mit derselben Gestalt in unserem
Bild, so läßt sich unschwer die Entwicklung erkennen. Alle Momente, die wir im
Nürnberger Bild beobachten, sind in der Basler Tafel schon in nuce vorhanden.
Auf dem Basler Bilde kommt die Lebendigkeit nur auf Kosten einer flackernden
Unruhe der Formen und der Komposition zur Geltung. Der Kopf, von wirren fast
wilden Locken umgeben, ist in den Nacken heftig zurückgeworfen, der Oberkörper
vorgebeugt, bildet mit den sehr hochgezogenen Knieen einen scharfen Winkel; der
linke Arm ist weit ausladend und der Daumen nach der entgegengesetzten Rich-
tung energisch zurückgebogen. Da wohl der transitorische Moment des Nieder-
knieens dargestellt werden sollte, faßt die rechte Hand in die Falten des Gewandes
und versucht es hochzuziehen. Das Gewand selbst ist ein dicker unbeweglicher
Stoff, der den Körper kaum vortreten läßt und nur kurze, harte Falten ergibt. Um
die Hüften scheint es durch eine Schnur zusammengehalten zu sein, welcher Um-
stand von vornherein einen ruhigen Fluß der Linien beeinträchtigt, wenn nicht ver-
hindert. Die Schriftrolle ist nur als Dekoration über den Rand des Bildes wie zu-
fällig hingeworfen.
Der Engel in Nürnberg scheint bereits in die Knie gesunken zu sein, und daher
eine völlig ruhige und man kann sagen feierliche Stellung einzunehmen. Das Haar
umgibt den Kopf nicht mehr in wirren Locken, es legt sich vielmehr geteilt und
wohlgeordnet um den Scheitel und fällt in ruhigen welligen Strähnen auf die Schul-
tern herab. Das Gesicht, von starkem Licht getroffen, hat in seiner völligen Ruhe
jenen Grad von Geistigkeit, der mit der Würde und dem Ernst des dargestellten
Augenblickes gut im Einklang steht. Über dem weißen Untergewand trägt der
Engel hier einen weiten Mantel, der in fortlaufenden Faltenzügen zu Boden fällt
{wobei ich voraussetze, daß der Restaurator die Hauptlinien ebenso pietätvoll be-
handelte, wie das Gewand der Jungfrau). Man hat das Gefühl, daß für die ganze
Gestalt eine einzige Axe besteht und alle anders laufenden Linien die festge-
haltene Richtung nur mildern. Gerade durch diese äußere Ruhe aber haben die
Gestalten hier den Hauch des Lebens bekommen; das Gewaltsame, Eingesperrte
ist beweglich und frei geworden. Das hängt nun auch zum großen Teil von dem
Raum ab, den Witz in den beiden Bildern zur Darstellung bringt. In der Basler
Tafel ist die Gestalt gleich einer Nischenfigur behandelt, ihre äußersten Punkte
stoßen an die Begrenzungsebenen des Raumes, und die an sich schon zu sehr be-
'wegten Umrißlinien wirken durch den knappen Rahmen noch unruhiger. Der Raum
ist tatsächlich nicht viel mehr als der Rahmen; in Nürnberg ist es gerade der Raum,
der zuerst und schlagend auf uns wirkt, und doch hat sich das spätere Bild nur
folgerichtig aus dem früheren ergeben. Stück für Stück des Gemaches entwickelt sich
frei und klar vor uns und schließt sich zum Ganzen mächtig zusammen. Auch die
Figuren sind nur ein Teil davon. Sie unterstützen den Organismus des Raumganzen
und erhalten ihrerseits von diesem wieder die Möglichkeit, sich voll und körperhaft
zu bewegen. Dadurch wird die Darstellung in den Kreis einer objektiven Möglich-
keit gerückt und ein Raumeindruck erreicht, wie wir ihn sonst um diese Zeit nicht
wiederfinden.
Die Niederländer haben zu derselben Zeit den Raum, wenn auch nicht nach
unseren wissenschaftlichen Gesetzen, so doch nach festen Systemen konstruiert.
Sie haben den Augenpunkt für die einzelne Ebene und wenige Jahre später für das
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 10 31 449
ganze Bild festzuhalten gewußt. Sie haben das Distanzverfahren wenigstens an-
náhernd richtig angewendet und verstanden mit dem Helldunkel umzugehen. Witz
ging in all diesen Disziplinen von ihnen unabhängig, rein gefühlsmäßig vor, und
obgleich alle jene Fehler da sind, die bei einer solchen mehr vom Zufall abhingigen
Übung auftreten mußten, ist doch die Raumwirkung, die er erreicht, bei weitem
stärker und auch großartiger.
Das Suchen nach Einflüssen ist gerade in der Geschichte der deutschen Kunst
sehr beliebt, und, wenn selbst die klarsten Resultate solcher Bemühungen nur von
sekundärer Bedeutung für die einzelne Erscheinung sein können, so verändern sie,
auf einen so bedeutenden Künstler wie Witz angewendet, doch das Bild, das vir
uns von der Produktion des ganzen Kunstkreises machen. Will man Witz immer
noch als einen „von der niederländischen Kunst aufs stärkste beeinflußten Künstler“
hinstellen, und dies nicht etwa auf Grund von stilistischen Momenten, sondern
diesen gerade entgegengesetzt, nur gestützt auf Hypothesen seine Herkunft und sein
Leben betreffend, so mag man damit vielleicht irgendeiner Methode gerecht werden,
den Beweis hierfür müßte man erst bringen. Witz blieb die niederländische Kunst
sicher nicht unbekannt. AuBerlichkeiten aber hat er von ihr nicht übernommen und
tiefer liegende Anregungen in völlig anderer Richtung seiner eigenwilligen Persön-
lichkeit entsprechend umgebildet und weiterentwickelt.
Ziehen wir zum Vergleiche bei, was an Verkiindigungen der großen niederländi-
schen Meister, mit denen Witz in Verbindung gebracht wird, vorhanden war, so
kommen in Betracht: Van Eycks Verkündigung des Genter Altars, die Seitenflügel
des Münchner Dreikönigsaltars von Rogier v. d. Weyden und das Mittelstück des
Méroder Altars vom Meister von Flémalle. In allen diesen der Niederländischen
Schule angehörenden Darstellungen sehen wir ein mehr oder minder vornehm aus-
gestattetes Gemach immer als wohnlich gekennzeichnet durch allerhand Hausrat,
wie das Bett mit den aufgezogenen Vorhängen, Tisch und Bank mit Kissen und
verschiedenen Gebrauchsgegenständen, zumindest aber ein Betpult, darauf oder
darin einige Bücher, Schreibzeug, Kerze usw. Die Lilie fehlt fast nie und ebenso-
wenig der heilige Geist im Bilde einer Taube. Durch das Fenster sieht man in
zwei Fällen das Treiben der Straße. Witz gibt von all dem nichts; weder Pult,
Bett, Schemel, Bank oder Kissen, auch kein Waschbecken mit den überhängenden
Tüchern. Nicht einmal die Taube zieht Witz in die Darstellung ein. Eine leere
Stube mit kahlem Boden und kahlen Mauern und mitten darin sitzt betend die
Jungfrau. Witz bringt in seine Darstellungen aber auch gar nichts von jenem Bei-
werk, das später und allenthalben als tägliches Rüstzeug von den Meistern über-
nommen wird, die offenbar von der niederländischen Kunst in Abhängigkeit standen.
Nicht nur alle Äußerlichkeiten der niederländischen Kunst hat Witz aufzunehmen
verschmäht, es ist auch ein ganz anderer Rhythmus der Zeichnung, eine andere
Vorstellung vom menschlichen Gesicht und Körper und eine völlig andere Raum-
behandlung. Ich habe schon früher erwähnt, daß wir den Raumeindruck als erste
und stärkste Wirkung vor dem Bilde empfangen, obgleich Witz die Perspektive
nur gefühlsmäßig zu handhaben versteht. Wenn wir den Fluchtpunkt zu kon-
struieren versuchen, so wird er ungefähr mit der rechten Ecke des Fensters zu-
sammenfallen. In welchem Grade das optische Sehen (in unserem Sinne) bei Witz
instinktmäßig vorhanden war, zeigen uns die geringen Abweichungen von der ge-
setzmäßigen Perspektive. Das weist uns aber darauf hin, wie stark überhaupt sein
Gefühl für Raum und Körperhaftigkeit war. Man kann sagen, daß diese Richtung
seiner Begabung für ihn stilbildend wurde. Er erkannte, daß zum Vermitteln dieser
450
Vorstellung vor allem die Beobachtung und Wiedergabe des einfallenden Lichtes
nötig sei, und so komponiert er sein Bild ganz von dieser Einsicht ausgehend. Er
nimmt eine groBe gemeinsame Lichtquelle auBerhalb des Bildes an und eine. kleine
im Hintergrund, und verfolgt die Wirkungen folgerichtig bis zum kleinsten Ding,
das Schatten zu werfen vermag. Die große menschliche Gestalt, wie ein Nagel-
kopf, alles wird als Körperhaftes vom Lichte getroffen und auf die Schattenwirkung
hin beobachtet. Und so ergibt sich die beinahe stereoskopische Wirkung, das
Empfinden, daß wir alles seinem Volumen nach abzutasten vermögen. Witz wäre
nicht der Mann seiner Zeit und seines Landes, wenn er auf die vexierbild-
artigen Kunststücke, die sich durch sein Verfahren fast von selbst ergeben, ver-
zichtet hätte. Da ist es ein quergestellter Balken mit allen seinen Maserungen und
Sprüngen, dort die wechselvolle Wiedergabe eines Schattens irgendwelcher sonst
nicht sichtbaren baulichen Konstruktion, dann wieder fesselt uns eine drastisch ge-
faßte Einzelheit, eine Balkenverkröpfung, ein eiserner Türgriff usw. Und doch
drängt sich weder etwas vor, noch gibt es eigentlich eine tote Stelle im Bilde.
Das unmittelbare Empfinden für die Wirklichkeit mit ihren Akzidenzien bringt immer
Leben in die Darstellung, aber was das wichtigste ist: eine künstlerische Kraft faßt
Alles wieder zusammen. Die Figuren, die Dinge sind mit dem Raum als ein ganzes
gesehen und bildmäßig in ein Abhängigkeitsverhältnis gesetzt.
Diese Art der Raumbehandlung findet sich bei keinem Meister der niederländi-
schen Frührenaissance. Der Meister von Flémalle, der von allen das stärkste Ge-
fühl für Raumgestaltung besaß, erreicht seine Wirkungen dadurch, daß er die
Körper aus dem Dunkel auftauchen läßt; aber auch er besaß nicht die Kraft in
dem Maße, wie Witz, eine Raumeinheit zu schaffen, daher nicht die Macht einen
so starken Raumeindruck hervorzurufen.
Kommt noch hinzu, daß Herbheit und Großartigkeit bei Witz der intimen Feier-
lichkeit und Feinheit der Niederländer gegenübersteht, so fehlt jede Ähnlichkeit
in der allgemeinen Grundstimmung, die schließlich die Vorbedingung der künst-
lerischen Produktion ist. Witz hat jedes Problem selbständig zu lösen versucht
und sich auch nicht an Kunstwerke seines eigenen Kunstkreises gehalten. In einer
Zeit, da eine freie Erfindung selten war, da Inhalt und Form durch Konventionen
geradezu bedingt waren, malt Witz etwas noch nicht dagewesenes. Es reizt, sich
die Wirkung vorzustellen, die sein Werk bei den Zeitgenossen ausgelöst haben mag
und man denkt an ein ähnliches Ereignis unserer Zeit, etwa an die erste Ausstellung
von Hodlers „Auszug der Studenten in den Befreiungskrieg“. Wer hätte das Bild
so kühn, so einfach und neu zu denken gewagt!
In Witz vollzieht sich jene Wandlung in der deutschen Kunst, die den Schritt
vom Notwendigen zum Beliebigen, vom Allgemeinen zum Individuellen bedeutet.
Das ist nicht etwa eine Erkenntnis, die uns dieses neue Werk erschließt, wie
es uns überhaupt keine neuen Seiten der Witzschen Kunst zu zeigen hatte. Das
Bild konnte uns höchstens den erneuten Beweis erbringen, wie frei sich der Meister
von allem Fremden zu halten vermochte und wie stark er seine eigenen Wege
ging. In diesem Sinne finde ich eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis
des Konrad Witz zu den Niederländern.
451
DIE PLÁNE NICOLAUS DE PIGAGES
ZUR KARLSRUHER RESIDENZ
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel Von KARL LOHMEYER
1715 hatte der Markgraf Karl Wilhelm von Baden, als er seiner Residenz Dur-
lach im Zorne den Rücken kehrte, mitten im Hardtwalde sich ein neues Schloß
errichtet, um das sich strahlenförmig die Straßen seiner neuen Residenzstadt zu
legen hatten und das so als Mittelpunkt gewissermaßen auch architektonisch den
absolutistischen Glanz des Herrschers zu versinnbildlichen und ins Land hinauszu-
strahlen hatte. — Um die Mitte des Jahrhunderts genügte dieser nur leichte Bau
in keiner Weise mehr den Anforderungen, wie ihn ein glänzender Hof dieser Zeit
zu stellen gewohnt war und so wurde die Frage nach einem Umbau immer bren-
nender und der Entschluß des Markgrafen Karl Friedrich im Jahre 1749, einen
Neubau zu errichten, gab dann einer Reihe von bedeutenden in- und ausländischen
Architekten die erwünschte Gelegenheit, ihr Können im Lösen großzügiger Probleme
zu zeigen. Die Namen der Italiener Retti und Pedetti, der Franzosen De la Gue-
piere und Massol und der Deutschen Neumann und von Keßlau treten uns so in
der Baugeschichte entgegen’).
Völlig unbeachtet blieb aber bisher die Tatsache, daß auch der geniale, damals
in Kurpfälzischen Diensten stehende (seit 1748) Nicolaus de Pigage gleichfalls Pläne
für die Karlsruher Residenz geliefert hat.
Sie kamen mir bei einer systematischen Durchsicht der vorhandenen barocken
Bauakten, wie ich sie für diese Gegenden vorzunehmen im Begriffe bin, im General-
landesarchiv in Karlsruhe in die Hände und sind von späterer Schreiberhand außen
irrtümlich als Risse zum Mannheimer Schlosse, an dem ja Pigage gleichfalls tätig
war, bezeichnet. Wenn sie auch sonst keine nähere Signatur tragen, so wird ihre
Bestimmung für die badische Residenz sofort durch den Grundriß des Erdgeschosses
klar, der die Radialstrahlen aufweist und wenn etwa noch ein Zweifel möglich
wäre, so wird er durch den Plan des ersten Stockwerks benommen, der am rechten
Pavillon die Bezeichnung trägt: „Appartements pour S. S. Me le Margrave“.
Diese Pläne — ein Fassadenentwurf und drei Grundrisse — bilden eine wichtige
Quelle, um die künstlerischen Bestrebungen Pigages kennen zu lernen, der das Unglück
hatte, daß verhältnismäßig weniges von seinen großartigen Plänen zur Ausführung kam.
Die Karlsruher Risse zeigen den nächsten Bezug zu gleichfalls nicht verwirk-
lichten Plänen des Meisters für ein neues Schwetzinger Schloß, wie sie Sillib bei-
brachte?), die auch ihrerseits als Mittelstück des Baues den etwas plumpen, mäch-
tigen Rundpavillon aufweisen, dessen Wirkung allerdings bei der Karlsruher Resi-
denz als hoch hinanragender Mittelpunkt des Straßensternes nicht zu unterschätzen
gewesen wäre.
Die von den Baukünstlern des ХУШ. Jahrhunderts mit so großer Vorliebe auf-
genommene Gruppierung von Schloßbauten um einen zentralen Mittelrund- oder
Ovalsaal, der den Hauptfestraum bildete, war an sie durch Andrea Palladios Bau
der Villa rotonda vermittelt worden, wie es denn überhaupt der so lange geschmähte
Barockstil und vor allem seine edelste Unterphase, das Rokoko, gewesen ist, dem
(х) Vgl. J. у. Durm: Zur Baugeschichte des Großh. Residenzschlosses in, Karlsruhe. Festgabe der
Technischen Hochschule Karlsruhe 1892.
(2) К. Sillib: Schloß und Garten in Schwetzingen. Heidelberg 1907.
452
es erst gelang, die von dem Vicentiner Meister angeregten Ideen und Probleme zu
einer auch zu dieser Zeit ungeahnten Vollkommenheit und GroBziigigkeit zu gestalten.
In Frankreich war es vor allem etwa Boffrand, der in dieser Hinsicht sich ver-
suchte und in diesen rheinfränkischen Gegenden hatte Maximilian von Welsch mit
dem Biebricher Schlosse (begonnen 1699) das erste Beispiel dieser Art gegeben.
Kleinere Lustschlósser in herrlicher Verbindung mit Terassen- und Gartenanlagen
hatte dann, von demselben Gedanken ausgehend, sein feinsinniger Schüler Friedrich
Joachim Stengel in den gleichfalls fiir das Haus Nassau errichteten, durch die Revo-
lution hinweggefegten Lustschlössern Jägersberg bei Neunkirchen (begonnen 1752)
und Ludwigsberg bei Saarbrücken (begonnen 1769) geschaffen, und geistreiche
Franzosen wie De la Guepiere hatten das entwickelste in dieser Art der Grundriß-
lösung für diese Gegenden vielleicht in den Schlößchen Monrepos (1760—1767) und
Solitude (zusammen mit Weyhing 1763—1767) aufgeführt.
Auch bei Pigage zeigt sich dies Bestreben in einer ganz auffallenden Weise und
ist als durchgehend bei seinen Schloßplanungen zu bezeichnen, von denen ja leider
nur Benrath uns heute ganz und gar seine Kunst am deutlichsten noch vor Augen
führen kann.
In der Grundrißgestaltung zeigt sein vorliegender Karlsruher Plan (vgl. die Tafel)
mit Bauten dieser Gegend besonders nahen Bezug allein zu Biebrich — auch hier
der zentrale Mittelbau, auch hier die schmalen Galerien, die die weit vorspringenden
Eckpavillons mit ihm verbinden, Mittelbau und Galerien der Repräsentation, Eck-
pavillons den Wohnzwecken dienend.
Aber der Plan Pigages zeigt eine ungleich feinere Durcharbeit wie dieser früheste
Bau dieser Art in rheinfränkischen Landen und wäre ausgeführt an feinen Nuancen
und malerischen Durchblicken überreich geworden.
Besonders wirksam und abwechslungsreich hatte der Künstler noch die Eck-
pavillons dadurch gestaltet, daß er in der Mitte einen offenen, tief gelegenen Hof
anordnete, zu dem vor den ovalen Vestibülen Treppenanlagen hinabstiegen und in
dem eine mächtige Fontäne ihr Wasser aufschleudern sollte. Er liebte diese Ver-
bindung seiner Bauten mit Wasserkiinsten, die ganz dazu angetan war, uner-
wartete Wirkungen dem Besucher vorzuzaubern; ich brauche nur an das Badehaus
in Schwetzingen mit seinem herrlichen Durchblick auf die wasserspeienden Vögel
und an das Benrather Schlößchen mit seinem inneren Grottenbad zu erinnern.
Im Fassadenaufriß (vgl. die Tafel) macht sich in voller Reinheit der Geschmack der
Pariser Akademie geltend. Am reichsten ist die Architektur naturgemäß am Mittelrund-
bau, an dem reichlicher Pilasterschmuck eingetreten ist, der die drei sich verjüngenden
Stockwerke umzieht, die wieder Balkone mit zierlichem Schmiedewerk umgürten,
man kann aber nicht umhin, diesen Rundpavillon in seiner massigen, schwerfälligen
Bauart als etwas zu unorganisch isoliert inmitten der ganzen Baugruppe zu emp-
finden, ein Fehler, der sich ebenso bei den Schwetzinger Bauplänen des Meisters
nicht wegleugnen läßt.
Der Hauptgrund dafür, daß man die Pläne Pigages für Karlsruhe nicht näher in
Betracht gezogen zu haben scheint, war wohl der, daß sie durchaus nicht zweck-
dienlich sich den einmal bestehenden Verhältnissen und vorhandenen Bauten an-
paßten; das gelang erst von allen Meistern einem jungen, damals am Anfange der
30er Jahre stehenden Architekten, Albrecht Friedrich von KeBlau, auf dessen Bildungs-
gang ich in meiner Stengelmonographie!) an Hand von aufgefundenen Archivalien näher
eingegangen bin und über den eine Spezialuntersuchung sehr erwünscht wäre.
(т) Lohmeyer: Friedrich Joachim Stengel. Düsseldorf 1911, S. Got,
453
Zu H. BURG, „Über einige Porträts
des A. Palamedesz“.
In Heft 7 der „Monatsbefte“ wurde ein im Be-
sitz von J. Böhler in München befindliches Bild-
nis als ein Werk des Anthonie Palamedesz von
H. Burg publiziert. Ich möchte kurz darauf aufmerk-
sam machen, daß dieses Bild eine typische Arbeit
des H. G. Pot ist. Um weitere Diskussionen zu
vermeiden, genügt es wohl, wennich nur auf ein
recht charakteristisches Werk Н. Pots, wie etwa
das „Porträt Karls L von England“ im Louvre hin-
weise!). Wir sehen hier, wie auf dem von H. Burg
besprochenen Gemälde und wie auch auf den
meisten andern Porträts des recht schematisch
arbeitenden Pot dasselbe Arrangement. Fast regel-
mäßig steht oder sitzt die Figur vor einer kahlen
Wand neben einem Tisch; dieser steht vor einer
(1) Ähnliche Porträts von H. G. Pot waren kürzlich auf der
„Ausstellung Holländischer Meister“ in Paris. Sie waren
als Th. de Keyser unter Nr. 79 bis und 79 ter katalogisiert.
Ahnlich auch das „Porträt eines Herrn in Gansfigur“ in der
Dresdner Galerie, Nr. 1368.
Säule, die in ihrer Länge vom seitlichen Bildrand
überschnitten wird. Stets finden wir dieselbe Säule
auf dem plumpen Postament, das wie ein schwar-
zer Kasten aussieht. Selbst die Tischdecke mit
den am Boden auf liegenden Fransen fehlt fast nie.
Ebenso steht es mit der Haltung der von H. Pot
porträtierten Personen. Gewöhnlich stemmen sie
eine Hand in die Hüfte, während sie in der andern
entweder eine Reitgerte, einen Degen oder einen
Handschuh halten.
Weiterhin will es mir scheinen, als ob die
„krüppelhafte‘ Gestalt des Dargestellten nicht auf
einen mangelhaften Körperbau, sondern auf eine
Stileigentümlichkeit H. G. Pots zurückzuführen ist,
dessen Figuren öfters sehr plump, wenn nicht gar
wie Zwerge aussehen?). Die Annahme, daß wir
in dem Dargestellten den „krũüppelhaften“ Pala-
medes Palamedesz vor uns haben, verliert daher
auch an Wahrscheinlichkeit. K. Lilienfeld.
(2) Man beachte daraufhin das „Männliche Porträt H. G.
Pots in der Dresdner Galerie, Nr. 1368.
FREYS NEUE VASARI-AUS-
GABE.
Le vite de' piu eccellenti pittori scul-
tori e architettori. Scritta da Gior-
gio Vasari, Pittore et Architetto Are-
tino. Herausgegeben nach den Original-
ausgaben von 1550 und 1568 und mit
kritischem Apparate von Dr. Karl Frey.
Miinchen, Georg Miiller.
Es ist kein Zufall, daß der erste Band dieser
monumentalen Vasari-Ausgabe in dem Jahre er-
schienen ist, wo die kunsthistorische Welt den
400. Geburtstag des Aretiners begehen konnte.
Das Bediirfnis nach einer derartigen Edition machte
sich schon in dem Moment bemerkbar, als unsere
noch junge Wissenschaft anfing, philologisch-
kritisch den Dokumentenschatz der Vergangen-
heit zu bearbeiten, um damit der kunsthistorischen
Forschung die primären Quellen der Geschichte
so zu offenbaren, daß sie zur Grundlage wissen-
schaftlichen Studiums werden konnten. Für Va-
sari im besonderen, den ersten modernen Künstler-
biographen, dessen Werk das Evangelium der
italienischen Kunstgeschichte darstellt, machte
sich die Notwendigkeit einer Neuausgabe doppelt
454
fühlbar, weil bisher keine Edition vorhanden war
(selbst die von Milanesi in 9 Bänden in den
Jahren von 1878 — 1885 besorgte nicht), die einen
nur halbwegs exakten Urtext gab, ungeachtet des
mangelhaften kritischen Apparates, der den Er-
gebnissen der modernen Forschung längst nicht
mehr entsprach. Daß die Milanesische Ausgabe
überdies seit langem vergriffen ist, mag in Paren-
these angemerkt werden.
Es war deshalb ein ebenso ungeheueres wie
kühnes Unternehmen, das Karl Frey, der vielleicht
beste Kenner der Dokumente zur italienischen
Kunstgeschichte, in die Wege geleitet hat, der
Kunstwissenschaft jene längst erhoffte Ausgabe
der Vasarischen Schriften zu geben, die forten
die Grundlage kunstgeschichtlicher Forschung
auf diesem Gebiete sein wird. Ungeheuer des-
halb, weil nur ein Mensch, der sein ganzes Leben
dem Studium der Archive Italiens gewidmet, in
der Lage war, eine solche Aufgabe in die Hand
zu nehmen. Kühn, weil bei der täglich vorwärts
schreitenden wissenschaftlichen Erkenntnis sich
der Arbeit immer neue Schwierigkeiten in den
Weg stellen, die die gewaltige Last des kritischen
Apparates eher vermehren als vermindern konnten.
Und doch ist es diesem vortrefflichen Forscher
geglückt, in verhältnismäßig kurzer Zeit sogar,
den ersten wichtigsten — weil fiir das Ganze
grundiegenden — Band in einfach mustergúltiger
Form herauszubringen. An diesem Bande, der
nur einen kleinen Teil der ganzen Ausgabe be-
deutet, wird die Methode offenbar, nach der Frey
seine Arbeit angefaBt, und ich glaube, nicht zu
viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß hier das
kunsthistorisch-philologische Gewissen eine ebenso
zielbewuBte wie peinlich sorgfältige Leistung aufzu-
zeichnen hat, die nach jeder Seite hin vorbildlich zu
nennenist. Mag der Spezialist an diesem oder jenem
Punkte die Diskussion anschneiden kénnen, der
kritische, dokumentarisch gestützte Apparat, den
Frey gibt, bedeutet fúr sich eine wissenschaftliche
Fundgrube, die den alten Vasari von 1550 und
1568 ohne weiteres zu jenem grundlegenden
Buche der Erkenntnis stempelt, das auch die
Grenzen kommender Ergebnisse auf Jahrzehnte
hinaus festzulegen vermag.
Damit aber ist zugleich auch der ungeheuere
Wert umschrieben, der diese Lebensarbeit eines
Forschers, dessen Schúler neben mir so viele an-
dere Kunstgelehrte gewesen sind, die die Freysche
Methode praktisch erfahren haben, zu der vielleicht
wichtigsten literarischen Erscheinung auf kunst-
geschichtlichem Gebiete der Neuzeit stempelt. Und
ich fürchte nicht, mich dem Odium der Uber-
treibung auszusetzen, wenn ich behaupte, дай die
hier vereinigten Ergebnisse, die in der Mehrzahl
neu sind und zum ersten Male vor das Forum
der Wissenschaft treten, von direkt einschneiden-
der Bedeutung auf dem Gebiete der italienischen
Kunsthistorie sein werden. Diesen Satz im Detail
an Hand der Dokumente zu belegen, hieße an
dieser Stelle, die Arbeit Freys neuschreiben und
im Rahmen dieses Referates Unmögliches fordern.
Solches kann auch nur in jahrelangem Studium
nachgeprüft oder in den Seminarien der Universi-
täten praktisch festgestellt werden.
Der vorliegende erste, 914 Seiten umfassende
Band bringt zunächst ein Vorwort des Heraus-
gebers, das die Richtlinien für die Arbeit kenn-
zeichnet. Darnach gliedert sich das Werk in den
Text, in Beilagen und die kritischen Apparate. Dem
Text von 1568 sind die sachlich bedeutungsvollen
Varianten der Editio princeps von 1550 beigege-
ben, die von kúnstlerischem Standpunkt vielleicht
die am meisten einheitliche und am besten redi-
gierte Ausgabe der Biographien ist, wenn sie auch
in materieller Beziehung als Fundgrube mehr oder
weniger positiver Nachrichten von der zweiten
Ausgabe überholt ist. Aber der Wandel in Vasaris
künstlerischen und kunsthistorischen Anschauungen,
die Genesis der einzelnen Vite und ihrer Zusitze
wird dadurch besonders klar. Die Behandlung
dieser italienischen Texte ist ebensowohl nach
wissenschaftlichen wie praktischen Zwecken er-
folgt. Überhaupt ist das ganze Gefüge dieses un-
geheueren Materials und zwar für alle Bände klar
und durchsichtig gegliedert. Frey kommentiert nun
alles, was in Betracht kommen könnte. Sprachliches,
philologische Detailarbeit wechseln ab mit minuti-
ösen Quellenuntersuchungen. Und gerade hier ist
der Verfasser besonders zuhause, hat er doch erst
die Probleme nach den Quellen Vasaris formuliert
und durch Ausgabe aller in Betracht kommenden
Vorläufer und Zeitgenossen Vasaris den Boden
für die quellenkritische Behandlung der Vite geeb-
net. Zahlreiche Noten sachlichen Inhaltes be-
gleiten die Texte. In einer Reihe von Beilagen
(mit durchlaufender Zählung) treten besonders
die stilistischen und ästhetischen Probleme in den
Vordergrund. Frey behandelt die alten Streit-
fragen aufs neue; und die Art, wie er das tut,
wie er sich mit seinen Fachgenossen auseinander-
setzt, führt oft zu neuen Resultaten und abge-
rundeten Lebensbildern. Ich erinnere in der Be-
ziehung an die Abschnitte über den schiefen
Turm in Pisa, an die Schilderung staufischer
Kunst, an die Charakteristiken Nicolas und Gio-
vannis Pisani und die Analyse ihres Oeuvre.
Der Band beginnt mit den Widmungen der
verschiedenen von Vasari besorgten Ausgaben
und was dokumentarisch damit zusammenhängt.
Darunter befindet sich der Entwurf einer Wid-
mung aus dem Jahre 1564, der für die Chrono-
logie der Biographien und die Zeit ihrer Ab-
fassung wichtig ist. Danach das „Proemio di
tutta l’opera“. Es folgt die umfangreiche tech-
nische Introduktion Vasaris über die dreierlei
Künste, Architektur, Malerei und Bildhauerei, die
von einer Fülle überaus wichtiger Fußnoten be-
gleitet ist. Daran schließt sich das ,,Proemio delle
Vite“, das der Bearbeiter in der gleichen Weise
kritisch begleitet, mit dem großen Abriß über
die alte Kunstgeschichte, dem als nächster Ab-
schnitt der Brief des Giovanni Batista Adriani
folgt, der das Kompendium über Kunst und
Künstler des Altertums, auf Plinius fußend, umfaßt,
das für den Stand der damaligen archäologischen
Kenntnisse vielsagend und daher auch historisch in-
teressant ist. Diesem schließt sich als Beilage ein
erster ungeheuerer Dokumentenschatz aus den Sta-
tuten, Rechnungsbúchern und Protokollen der Arte
dei Mercanti an,den Frey unter Benutzung der Spogli
Strozziani im Florentiner Staatsarchive in ange-
messener Anordnung unter Zugrundelegung friherer
Abdrucke, ergánzt und fúr die Vite selbst brauch-
455
bar gemacht hat. In Regestenform gekleidet, lie-
fern sie das Belegmaterial nicht nur fúr die Aus-
fihrungen des Verfassers im gegenwártigen Bande,
sondern auch fiir die spiiteren Vite, auf die der
Herausgeber dann zurúckgreifen kann. Erst mit
8. 389 beginnen die eigentlichen Vite, von denen der
erste Band die des Cimabue — des Arnolfo di Lapo
— der Nicola und Giovanni Pisani enthált, die jede
mit einer oder mehreren unglaublich reichen Bei-
lagen von kritischen Ergánzungen, Dokumenten und
Ubersichtstafeln versehen sind, die ja erst die
Brauchbarkeit dieser neuen Vasari-Ausgabe für
die kunstgeschichtliche Forschung garantieren
und zugleich auch der Arbeit seinen hervor-
ragenden wissenschaftlichen Wert verleihen. In
diesen Ergänzungen erweist sich Frey nicht nur
als ein archivalisch geschulter Historiker von
überraschender Prägnanz, sondern mehr noch als
ein Kulturhistoriker im besten Sinne des Wortes,
der alle wirkenden Einzelteile zu einem wunder-
voll geschlossenen Gesamtbilde der Vergangen-
-heit zusammenzufügen weiß. Aber er bringt in
diesen Teilen auch die ganze bisher nachweisbare
Literatur zu dem Thema unter die kritische Lupe
und muß sich naturgemäß nach rechts und links
vielemale mit anderen Forschern auseinander-
setzen. Daß er auch hier mit einer muster-
gültigen, peinlichen Gewissenhaftigkeit verfährt,
müssen ihm selbst seine Gegner lassen. Im ein-
zelnen wäre auf eine Unsumme wichtiger Er-
gebnisse hinzuweisen, z. B. auf die Vita Arnolfos, an
die sich der große Kreis gleichzeitiger Meister
schließt, dieselbe Vita, bei deren kritischer Er-
gänzung die volle Scheidung zwischen dem
Architekten Arnolfo (di Cambio) aus Colle di Val
d'Elsa und Arnolfo Fiorentino, dem Bildhauer
und Werkstattsgehilfen N. Pisanos, vollzogen wird.
Und ähnlich hätte der Referent noch auf viele
andere für die Kunstgeschichte belangreiche Ein-
zelfragen einzugehen, für deren Behandlung wir
Grund haben, Frey besonders dankbar zu sein.
Die Diskussion wird sich dieselben nicht ent-
gehen lassen, weshalb an dieser Stelle die The-
mata nicht angeschnitten zu werden brauchen.
Für uns ist der Eindruck des Ganzen maßgebend
und die Methode als solche, nach der Frey ge-
arbeitet hat, und beides ist turmhoch über jede
Kritik erhaben. Eine Lebensarbeit wie sie hier
bereits im ersten Bande vereinigt ist, wirkt unge-
heuer und ernúchternd auf die, die ein Leben hin-
durch vom eng umrissenen Spezialgebiet nicht
los kommen. Frey wird uns — er hat es zum
Teil schon getan — in mannigfacher Hinsicht
durch seine Vasari-Ausgabe zugleich eine neue
456
italienische Kunstgeschichte geben, von der wir
alles erwarten dúrfen. Das ist das Beste, was
man seiner schweren und verdienstvollen Arbeit
an Lob nachsagen kann.
An dieser Stelle aber verdient nicht minder auch
die Opferfreudigkeit des Verlegers Anerkennung,
der ohne jede finanzielle Unterstútzung, allein in
Erkenntnis der hohen Aufgaben, mit geradezu vor-
bildlichem Geschmack das große Unternehmen zu
verwirklichen begonnen hat. Hoffentlich wird auch
ihm die Kunstwissenschaft Dank zollen.
Es ist bekannt, daß es Frey während der Aus-
arbeitung des ersten Bandes gelungen ist, dank
einer Spende des Kaisers und anderer Mäzene,
das ausschließliche Recht auf Veröffentlichung des
literarischen Nachlasses von Vasari aus dem
Hausarchive des Grafen Rasponi-Spinelli zu er-
werben, der ebenso für die Persönlichkeit und
literarische Tätigkeit des Aretiners wie für das
Milieu der Kultur von fundamentaler Bedeutung
ist. Was ist nicht Frey von der gesamten Presse
in Italien, die auch in Deutschland ihr Echo fand,
angegriffen worden! Wie beeilten sich nicht die
deutschfeindlichen Preßorgane des Auslandes auf
diesen angeblichen „Raub“ hinzuweisen und selbst
die Allerhöchste Person in dieses unerquick-
liche Tagesgeschrei hineinzuzerren! Wie zeigte
sich nicht der Chauvinismus in Italien in bester
Blüte, und wie mehrten sich nicht die Ver-
suche, das Erscheinen nicht nur der neuen Vasari-
ausgabe, sondern auch der Carte Vasariane mit
allen Mitteln zu verhindern. Aber Frey hat un-
beirrt um dieses Geschrei, still und ruhig arbeitend,
nur sein Ziel im Auge, glücklich den Hafen er-
reicht, und wird einen Dokumentenschatz ver-
öffentlichen, gleichzeitig in deutscher und italieni-
scher Sprache, der ein würdiges Denkmal für
Vasari und für die Zeit, in der er gelebt hat,
ist. Diese Carte Vasariane, deren Ausgabe in
Bälde zu erwarten steht, sind schon beim ersten
Bande des hier angezeigten Unternehmens mit
großem Vorteil benutzt worden. Sie für die
deutsche Wissenschaft erworben zu haben, war ein
Verdienst dieses Forschers, dem wir somit zwie-
fachen Dank schuldig sind. Georg Biermann.
LEON PREIBISZ, Martin van Heems-
kerck. Ein Beitrag zur Geschichte des
Romanismus in der niederländischen Male-
rei des XVI. Jahrhunderts. Leipzig 1911.
Verlag von Klinkhardt & Biermann.
Preibisz kennzeichnet den Zweck seiner ausfúbr-
lichen Monographie úber Maerten van Heemakerck
als einen bescheidenen Beitrag zur Geschichte der
Stilentwicklung der niederländischen Malerei des
XVI. Jahrhunderts. Eine zusammenfassende
Darstellung dieser eigenartigen Bewegung, die
wir unter dem niederländischen Romanismus ver-
stehen und Manierismus zu nennen pflegen, welche
die Brücke schlägt über den Spalt, der in der heu-
tigen Kunstforschung zwischen dem XV. Jahr-
hundert und der Rubenszeit noch klafft, wird, wie
der Verfasser richtig sagt, erst möglich sein, wenn
bei allen Trägern des niederländischen Italianis-
mus jene analytische Detailarbeit geleistet worden
ist. Deshalb sind die Vorwürfe, die von manchen
Seiten der Monographienliteratur gemacht werden,
auch nicht berechtigt. Es ist nun zu verstehen,
wenn die Forschung, will sagen ihre Vertreter, nur
zögernd an die múhevolle und scheinbar wenig
aussichtsreiche Bearbeitung der Kunstentwicklung
jener Manieristen herangegangen ist. Aber die
kunsthistorische Forschung hat sich nicht nach
persönlichem und ästhetischem Geschmack diesen
Meister oder jenes im Augenblick gerade anziehende
Problem zur Beschäftigung auszusuchen; sie muß
auch ästhetisch oder persönlich weniger befriedi-
gende Perioden der Kunstgeschichte wie diese in
das Bereich ihrer exakten Studien ziehen. Steht
man dann erst einmal darin, so wundert man sich
gar, wie interessant und anregend die Beschäfti-
gung selbst mit einem alsManierist so verschrieenen
Meister wie Heemskerck werden kann!
Preibisz hat es allerdings auch verstanden, sei-
ner Aufgabe (und seinem Künstler) in einer Weise
gerecht zu werden, die für den Leser außerordent-
lich fesselnd und lehrreich ist. Er behandelt den
Bildungsgang des Maerten уап Heemskerck als
typischen Fall und gibt an Hand des so reichhal-
tigen noch vorhandenen Materials einen besonders
guten Einblick in das Werden dieser Kunst und
die Art des Schaffens eines solchen holländischen
Romanisten.
So betrachtet Preibisz nach einer kurzen Dar-
stellung der Lebensumstände des Künstlers zu-
nächst die noch erhaltenen Frühwerke aus Heems-
kercks vorrömischer Zeit und ihr enges Verhältnis
zur Kunst seines Lehrers van Scorel. Es sind
aus dieser Frühzeit im ganzen vier Werke er-
halten, alle signiert und 1632 datiert.
Ein besonders anziehendes Problem, das sich
hierbei dem Verfasser wie dem Leser von vorn-
herein aufdrängt, ist der Versuch, ob sich unter
den zahlreichen Scorelartigen Bildern einige aus-
sondern und aus stilistischen Gründen für Heems-
kerck in Anspruch nehmen lassen. Leider blieb
dieser Versuch erfolglos. Dabei ist die Zurück-
haltung des Verfassers anzuerkennen. Denn ge-
wißlich wird er vor mancher verführerischen Zu-
schreibung gestanden haben, um sie schließlich
doch abzulehnen. (Vielleicht wäre es angebracht
gewesen, wenn der Verfasser alle jenen Scorel-
artigen Bilder, die von ihm geprüft wurden, kurz
zusammengestellt hätte.) Man erkennt seine strenge
und vorsichtige Methode aus der Behandlung des
„Adam und Eva‘“-Bildes im Haarlemer städtischen
Museum, das dort dem Scorel gegeben wird.
Preibisz macht es nach einer Untersuchung aller
für und wider sprechenden Momente höchst wahr-
scheinlich, daß wir es hier nicht mit einem Bild
von Scorel, sondern mit einer Arbeit von Heems-
kerck zu tunhaben. Ob es nun gerade überhaupt
die früheste von ihm ist, möchte ich nicht als
ebenso wahrscheinlich annehmen, zumal wenn das
Bild vielleicht identisch sein könnte mit dem im
Hause des Pieter Jan Fopsen in Haarlem gemalten
„Adam und Eva“ Bildes, von dem van Mander
erzählt. Denn in das Haus dieses Fopsen siedelte
Heemskerck erst nach der nicht zu kurz zu be-
messenden Lehrzeit bei Scorel über. Wohl aber
kann es das früheste der erhaltenen Gemälde
sein, wenn es — wie ich auf Grund der Preibisz-
schen Ausführungen wohl anzunehmen bereit bin
— nicht von Scorel, sondern von Heemskerck ge-
malt ist.
Im folgenden Abschnitt dieses U. Teiles wird
Heemskercks Tätigkeit bis 1540 behandelt, d.h. in
der Hauptsache die Jahre seines Aufenthaltes in
Rom (von 1532—1537), wo sich eine völlige Stil-
änderung vollzieht. Diese Stilwandlung besteht
allerdings mehr dem Grade nach (im Gegensatz
zu anderen Romanisten, wie z. B. Scorel), insofern
als Heemskerck bereits als Romanist nach Italien
kam; nur kannte er die südländische Formenwelt
allein durch Vermittlung seines Lehrers. Jetzt
aber gelangt er durch die unmittelbare Berührung
mit der Antike und den italienischen Klassikern
(Michelangelo und Raffael) mehr und mehr in den
Bann dieser echten italienischen Formensprache,
und es ist höchst interessant zu verfolgen, wie
er und mit welchem Erfolge (oder Mißerfolge) er
sich diese Ausdrucksweise zu eigen zu machen
sucht. Die Zahl der aus der römischen Zeit selbst
erhaltenen Gemälde ist nur sehr gering. Be-
zeichnet und datiert (1636) ist nur eines, „Venus
in der Schmiede des Vulkan“, in der Galerie Nostitz
in Prag und es müssen einige nur noch in Stichen
erhaltene Kompositionen zuhilfe genommen werden.
Jenes Bild mutet so fremdartig an, daß man be-
züglich der Komposition mit Sicherheit eine
direkte Anlehnung an einen Italiener aus dem
457
Raffaelkreise annehmen muß. Hoffentlich gelingt
es dem Verfasser, der so manche andere direkte
Übernahme nachzuweisen vermag, auch noch hier-
für das italienische Vorbild festzustellen. Das ist
gerade ein so interessantes und ergiebiges Moment
bei der Untersuchung über die Kunst Heemskercks,
daß sich häufig die Früchte aus dem in noch
erhaltenen Zeichnungen niedergelegten Studium
der Antike in den ausgeführten Werken nach-
weisen lassen.
Die Nachwirkung der in Rom gemachten Stu-
dien setzt sich noch lange fort in den großfiguri-
gen Arbeiten — angefangen mit dem Altarwerk
in Linköping bis zu den zwei Flügeln des Tuch-
bereiteraltars von 1547 in Mauritshuis im Haag,
Danach werden aber die großen Bilder seltener
und die wenigen noch erhaltenen bieten für die
weitere Entwicklung seines Stils fast gar keine
neuen Momente mehr.
Erst gegen Ende der fünfziger Jahre läßt sich
noch eine entschiedene Wandlung seiner Formen-
welt wahrnehmen, insofern als die aufgeregte und
eckige Formensprache einer Abrundung und Glät-
tung Platz macht, die Farbe weicher und satter
wird und die Gegensätze zwischen Licht und
Schatten weniger stark betont werden.
In den kleinfigurigen Bildern tritt die Landschaft
mehr in den Vordergrund. Die wenigen erhalte-
nen gehören meist seiner Spätzeit an, sind aber
keineswegs erfreulich. Ihre Zahl hat Preibisz noch
um zwei vermehrt, die im Haarlemer Museum
unter den Bildern von unbekannten Meistern
hingen (Nr. 348 und 367 des Kataloges von 1909).
Den eingehenden Untersuchungen über die ein-
zelnen Werke Heemskercks und die Entwicklung
seiner Kunst läßt Preibisz noch einen sehr gehalt-
reichen Abschnitt folgen, in dem er die kunst-
historische Stellung seines Meisters darlegt. Auch
hier schreibt Preibisz mit einer klaren Sachlich-
keit und auf Grund seiner ernsten und eingehen-
den Beschäftigung mit dem von ihm gesammelten
reichen Material so, daß man seinen Ausführungen
allenthalben mit voller Zustimmung folgen kann.
Die streng logisch aufgebaute zusammenfassende
Darlegung des Wesens der Kunst Heemskercks
und ihrer Stellung zu den anderen Meistern der
Zeit, seine Erörterungen über Heemskercks — nur
geringen — Einfluß auf die zeitgenössischen Maler
und die Erklärung dieser Tatsache aus seiner Stel-
lung innerhalb des holländischen Romanismus im
XVI. Jahrhundert, über die Wertschätzung Heems-
kercks im XVI. und XVII. Jahrhundert, alles das
ließe sich hier auf dem beschränkten Raume nur
unzureichend andeuten und würde dann dem von
458
Preibisz Ausgeführten nur schwer gerecht werden
können. Deshalb sei besonders auf dies Kapitel
noch empfehlend hingewiesen.
Ausführliche Verzeichnisse über die echten Ge-
mälde, die Heemskerck fälschlich zugeschriebenen,
über die echten und ihm fälschlich gegebenen
Handzeichnungen, die Holzschnitte, sowie ein chro-
nologisches Verzeichnis der datierten Gemälde
bilden den Schlußteil der Arbeit. Aus ihnen kann
man so recht deutlich sehen, mit welcher Sorgfalt
und Emsigkeit der Verfasser das überaus reich-
haltige und in alle Welt verstreute Material ge-
sammelt, gesichtet und geordnet hat. Die Zahl
der von Preibisz als echt anerkannten Gemälde
beträgt 49. Die der Handzeichnungen, mit wenigen
Ausnahmen Vorzeichnungen für Stiche, nicht weni-
ger als 189. Dazu kommen noch die in den
beiden Berliner , Skizzenbiichern“ enthaltenen. Diese
hat er neuerlich kritisch geprüft und nur zum Teil
als Arbeiten Heemskercks anerkennen können.
Während sich seine Resultate für den ersten Klebe-
band mit denen von J. Springer und Michaelis
decken, sind sie bei dem zweiten stark negativ. 40
Seiten darin, die zu einem Skizzenbuch gehört
zu haben scheinen, mit durchweg architektonischen
und ornamentalen Skizzen, sind nach Preibisz
nicht von Heemskerck, sondern, wie er vermutet,
von einem niederländischen Künstler, der sich in
der zweiten Hälfte der vierziger Jahre in Rom
aufgehalten und hauptsächlich Architektur und
Ornamente studiert hat. Hier bietet sich also Ge-
legenheit zu weiterem Forschen nach der Person
dieses Zeichners. Eine ganze Reihe anderer Blätter
in diesem zweiten Klebeband ist von verschiede-
nen anderen Händen und nicht von Heemskerck.
Diesem gehören nur verhältnismäßig wenige: 27
Blätter, zu denen noch 0 kommen, die Preibisz
seinem Maler nur mit Vorbehalt gibt.
Die Frage, ob derartige Oeuvrekataloge, wie es
meistens ja geschieht, besser in der äußerlichen
alphabetischen Reihenfolge der Aufbewahrungsorte
zu geben sind oder in systematischer Anordnung
nach den Gegenständen, hat ihr Für und Wider.
Meinem Empfinden nach ist letztere vorzuziehen,
denn meist handelt es sich beim praktischen Ge-
brauche darum, irgendein Blatt oder Bild, dessen
Aufenthaltsort nicht gerade bekannt ist oder ge-
wechselt hat,in dem großen Verzeichnisaufzusuchen.
Unter den Heemskerck fälschlich zugeschriebenen
Bildern befindet sich auch die Kopie nach Raffaels
„Madonna von Loretto“ im Städtischen Museum
in Haarlem, die Preibisz wegen der Farbe einem
vlämischen Maler zuschreibt. Wie verhält es sich
denn mit dem Monogramm und der Jahreszahl
darauf, von der der Verfasser in seinem Buche
keine Notiz nimmt?
Eine kleine Bemerkung Ober des Verfassers
Schreibweise der hollándischen Abkúrzung von zoon
möchte ich mir noch erlauben; er schreibt z. В.
Willemszoon (Sohn des Willem) nicht, wie es
sein müßte, Willemsz., sondern Willemß, was m.
A. nach etwas stört.
Die Ausstattung des 112 Seiten umfassenden
Bandes ist vornehm (wenn mir auch die Wahl
des Papieres nicht ganz glücklich erscheint). Die
auf zwölf Tafeln gegebenen 29 Lichtdruckabbil-
dungen können befriedigen.
Nach der Lektüre dieser eingehenden Monographie
hat man den Eindruck, daß der niederländische
Romanismus in der Tat nicht so sehr eine Ver-
fallszeit, insbesondere der nationalen Kunst be-
deutet, als vielmehr eine entwicklungsgeschicht-
lich notwendige und hochinteressante Durchgangs-
periode. Das hat Preibisz an dem Beispiel Heems-
kerck in mustergültiger Weise klar gemacht, und
eine Bearbeitung der anderen Meister dieser Zeit
dürfte nunmehr etwas verlockender geworden sein,
ebenso wie die Lektüre einer solchen Arbeit —
wenn sie auf der Höhe des Preibiszchen Heems-
kerckbuches stehen wird. Kurt Freise.
AMIDA. (Materiaux pour lépigraphie et
histoire musulmanes du Dijar-Bekr par
Max vanBerchem.) Beiträge zur Kunst-
geschichte des Mittelalters von Nord-
mesopotamien, Hellas und dem Abend-
lande von Josef Strzygowski. Mit
einem Beitrage: „The churches and mo-
nasteries of the Tur Abdin“ von Gertrude
L. Bell. (XXIII Tafeln in Lichtdruck und
330 Textabbildungen.) тото. Heidelberg.
Carl Winters Universitätsbuchhandlung.
Paris, Ernest Leroux. (390 S. in Gr.-4°.)
»Kleinasien, ein Neuland der Kunstgeschichte“
betitelte J. Strzygowski im Jahre 1903 seine von
dem frihchristlichen Ruinenfelde von Bin-bir-kilisse
ausgehenden Untersuchungen mit einer fir seine
gesamte rastlose Forschertitigkeit in höchstem
Grade bezeichnenden Ausdrucksweise. Kunsthisto-
risches Neuland zu erschließen, nach neuen Hori-
zonten den Ausblick zu eröffnen, völlig neue Pro-
bleme herauszuarbeiten und überraschend neue
Wege einzuschlagen zur Lösung der alten — darin
besteht die Eigenart jener Tätigkeit, die fast jede
weitere Frucht derselben zu einer weiteren Offen-
barung werden läßt. Echtes Neuland ist es denn
auch wieder, was in dem zweiten kunstwissen-
schaftlichen Teile des monumentalen Doppelwerkes
seinen Anbau findet, dessen erste wesenhaft epi-
graphische Hälfte M. van Berchem zum Schöpfer
hat. Strzygowski kehrt hier zunächst auch zum
Gegenstand seines ,,Kleinasien“ zurück: der früh-
christlichen Architektur des hinter der hellenisti-
schen Küstenzone gelegenen orientalischen Konti-
nentalgebietes. Var es dort das innere Kleinasien,
so ist es hier das nördliche Mesopotamien, an
dessen alten christlichen Sakralbauten eine neue
Weit sich dem Blicke des Kunsthistorikers auftut.
An die hierhergehörigen Abschnitte (8. 134—276)
seines Anteiles an dem glänzend ausgestatteten
Bande schließen sich unmittelbar solche über die
Mauern (8. 277—285) und die Tore (8. 286—297)
von Amida-Dijarbekr an. Ausgehend von der
großen Moschee dieser Stadt, nehmen weiterhin
Untersuchungen zur Geschichte des islamischen
Moscheen- und Minaretbaues (8. 298—334) nament-
lich kritisch-polemische Stellung zu Н. Thierschs
„Pharos“-Werk. Das Islamische steht im Vorder-
grunde endlich auch für die dem Ornament
gewidmeten Schlußkapitel (S. 335—376), in denen
der geniale Interpret der Mschatta-Fassade zum
Worte kommt. Ein Anhang Leop. v. Schröders
über „Mesopotamien und Turkestan“ (8. 377—380)
sucht auf ethnographischem und religionsgeschicht-
lichem Gebiete einen Schlüssel für die da überall
zutage tretende Tatsache einer ganz hervorragen-
den kunstgeschichtlichen Bedeutung Nordmesopo-
tamiens.
Auch in einem äußeren Umstande, der entschieden
als ein Vorzug nicht gebucht werden kann, be-
rührt sich „Amida“ wieder mit „Kleinasien“. Hier
sind es wie dort fremde Aufnahmen, welche die
wesentliche Unterlage für die Ausführungen Strzy-
gowskis bilden. Das ungemein reiche von dem
französischen General de Beylié in Dijarbekr ge-
sammelte Material hat, wie es die durch М. van
Berchem bearbeitete epigraphische Ausbeute um-
faßte, so auch den Grundstock der für die Unter-
suchungen Strzygowskis maßgeblichen Aufnahmen
geliefert. Ale eine ebenbürtige Ergänzung treten
soweit das Frühchristliche in Betracht kommt zu
denselben, diejenigen welche MiB G. Lowthian
Bell von Kirchen und Klöstern des Tur Abdin ge-
macht und, von einem englischen Text (S. 224—262)
begleitet dem Wiener Meister zur Verfügung ge-
stellt hat. Unter Zuhilfenahme des schon „Klein-
asien“ S. 69 f. publizierten Oktogons von Wiransehr-
Konstantinia, der von Sarre und Musil auf der
Ruinenstátte des alten Resapha-Sergipolis und
einiger durch 8. Guyer, V. Chapot und Baron
459
M. von Oppenheim im Bereiche von Urfa-Edessa ge-
machten Aufnahmen ergibt sich fir eine erstmalige
Behandlung des nordmesopotamischen Kirchen-
baues eine immerhin sehr erfreulich breite Grund-
lage. Strzygowski geht aus von der Westfassade
der „großen““ Moschee von Dijarbekr, zu deren
sich als vorislamisch erweisenden Teilen er ein er-
läuterndes Parallelenmaterial nichtin sassanidischen
Bauwerken, sondern nur am Goldenen Tore Kon-
stantinopels, zu Spalato, an Meisterwerken alt-
christlicher Plastik wie dem Innins Bassus — und
dem lateranischen Sarkophag der traditio legis
sowie auf ägyptischem Boden im Apollokloster von
Bawit zu finden vermag. Die Parallelen sind in
der Tat, jede in ihrer Art, schlagend. Was im
Rahmen des heutigen mohammedanischen Kult-
raumes fortlebt, ist der Nachhall einer Schópfung
frühchristlichen Sakralbaues, die letzten Grundes
gleich den Sarkophagen vom Sidamaratypus auf die
hellenistische Theaterfassade zuriickgegangen zu
sein scheint, einen wesenhaft orientalischen Ein-
schlag aber in einer Uberziehung der Siulen-
scháfte mit Netzornamenten aufwies. Mit der
Entstehung des ehemaligen christlichen Baues
soll man bis „etwa noch in konstantinische
Zeit““ hinaufgehen dürfen und unsere Fassade
„in ihrem ursprünglichen Aufbau vielleicht als
Bilderwand“ einer wahren Riesenkirche „gedient
haben“. Freilich wird demgegenüber auch der
Gedanke an „die nach außen gekehrte Schauseite“
eines möglicherweise nicht direkt Kultzwecken
dienenden „christlichen Baues“ offen gehalten, wie
ich sie an der Prachtfassade eines Johannesklosters
eben für Amida Strzygowski auf Grund einer Er-
zählung des syrischen Geschichtsschreibers Jo-
hannán von Ephesos nachgewiesen habe. In die
der Westfassade der „großen Moschee gewidmeten
Untersuchungen (8. 134 bzw. 138—163; 207—218)
eingebettet ist ein nicht minder bedeutsamer Ab-
schnitt über die drei noch heute in Amida be-
stebenden wurzelhaft altchristlichen Kirchenbauten:
die melkitische Kosmaskirche, die Kirche des nesto-
rianischen Klosters und die Gottesmutterkirche der
Jakobiten (8. 163—197), ein Abschnitt, zu dem ich
in endgültiger Redaktion einen Überblick des über
die kirchliche Baugeschichte Amidas in syrischer
Literatur Bezeugten (S. 163— 167) beigesteuert habe.
Ein an denselben sich anschließender über den
„dekorativen Reichtum der christlichen Architektur
in Amida, Syrien und Ägypten“ (S. 197—207)
würde meines Erachtens mit besonderem Nutzen
im Zusammenhalt mit den wichtigen Bemerkungen
gelesen, die einer der weitaus hervorragendsten,
wenn auch einer der bescheidensten lebenden
460
Liturgiehistoriker, E. Bishop, bei Dom К.Н.
Connolly, The liturgical homilien of Narsaí. Cam-
bridge 1909, S. 88—gı über ,,ritua/ splendour im
Gottesdienste des Gebietes um Amida, Edessa und
Nisibis gemacht hat. Auch das, was nunmehr aus
der Feder bzw. an Aufnahmen der Miß Bell sich
bezüglich der Denkmäler frühchristlicher Baukunst
im Tur Abdin anschließt, bestätigt und vertieft den
Eindruck einer überwältigenden Großartigkeit der
altchristlichen Architektur Nordmesopotamiens, die
in gewissem Sinne ein Gegenstück zu der wesen-
haft hellenistischen Pracht der von K. M. Kauf-
mann wieder aufgedeckten Heiligtümer der liby-
schen Menasstadt darstellt, darin aber mit derselben
übereinstimmt, an innerer Bedeutung, alles weit
hinter sich zu lassen, was Rom an frühchristlichen
Baudenkmälern aufweist.
Folgen wir der von Strzygowski gebotenen ab-
schließenden „Zusammenfassung“ (S. 262—273),
во ergibt sich eine ganze Reihe teilweise höchst
markanter Eigentúmlichkeiten dieses nordmesopo-
tamischen Kirchenbaues. Eine klassissche Stätte
hat in ihm vor allem die Trompenkuppel deren
persischer Ursprung sich damit glänzend bestätigt.
Tonnengewölbe überdecken Räume von recht belang-
reicher Spannweite. In den großen Stadtkirchen
scheinen der reine Zentralbau oder von diesem
ausgehende kompliziertere Formen der Grundrib-
bildung geherrscht zu haben; im klösterlichen oder
doch von der Klosterkunst her bestimmten Kirchen-
bau des Gebirgslandes tut es der einschiffige bald
lángs, bald mit einer sehr charakteristischen Nuance
auch quergestellte einschifige Saal, dessen teils
einfaches, teils dreigliedriges Bema auch bei innen
halbrunder Apsisbildung mindestens nach außen
im Viereck abzuschließen liebt, während der Narthex
nur bei den breitgerichteten Saalkirchen seine
normale Lage im Westen hat, bei den längs-
gerichteten dagegen an die Südseite zu liegen
kommt. Neben einem häufigen Auftreten des Huf-
eisenbogens steht die Herrschaft einer noch durch-
aus hellenistischen Kapitellbildung in korinthischem
Stile, für welche an den oberen Ecken durch-
gezogene Girlanden ein typisches Spezialmotiv
bilden. Ornamentprofile von reichster Prachtent-
faltung scheinen namentlich die Triumphbogen
umzogen zu haben, und ein regelmäßig in
Flachrelief, nur einmal — in der Hauptkirche von
Mär(j) Gabriel —, von Weinranken umgeben, in
goldgrundigem Mosaik ausgeführtes großes Kreuz
mit den charakteristischen seitlich ausladenden
Schlingen des Golgothaprachtkreuzes, wie ich es
gelegentlich als ein bezeichnendes Element auch
syro- armenischen Vierevangelienbuchschmuckes
nachweisen werde, sieht ständig von deren Gewölbe
in die Apsis herab. Nicht um die Zeugnisse einer
isoliert dastehenden Lokal- oder Regionalkunst
handelt es sich dann bei allem dem. Der eigen-
tümliche nordmesopotamische Kirchenbau scheint
vielmehr in ebenso mannigfachen, als weitragen-
den Ausstrahlungen einen höchst bedeutsamen Ein-
fluB nach dem Westen zu ausgeübt zu haben.
Die zwischen ihm und der Klosterkunst Ägyptens
zu beobachtenden merkwürdig engen Beziehungen
dürften sich füglich nur durch eine Anleihe des
Nillandes beim Zweistromlande erklären lassen.
Die kreuzdurchsetzte Trompenkuppel, welche der
Ostteil der nestorianischen Kirche in Dijarbekr
aufweist, kehrt in dem byzantinischen Bauschema
wieder, das an den Klosterkirchen von Hosios
Lukas und Daphni seine wichtigsten erhaltenen
Vertreter hat. Mit dem Ausgangspunkte seiner
Untersuchungen, der Westfassade in der „großen“
Moschee des alten Amida, bringt Strzygowski
(S. 217.) „die mittelalterlichen Kirchen von Pisa,
Lucca und Pistoja“ in eine Verbindung, die für
mich um so einleuchtender ist, als ich mich des
sehr bestimmten Gefühles einer entscheidenden
orientalischen Bestimmtheit vor allem beim Dome
von Pisa nie zu erwehren wußte. Namentlich aber
findet er in einem über „Mesopotamien und das
Abendland“ handelnden Schlußabschnitt der dies-
mal dem christlichen Sakralbau gewidmeten Aus-
führungen (S. 274 ff.) durch die nordmesopotami-
schen Denkmäler seine auf Grund der klein-
asiatischen erstmals ausgesprochenen Anschauungen
über den orientalischen Ursprung der „romanischen“
Baukunst vollauf bestätigt, und beispielsweise dem
Eindruck seiner Zusammenstellung westgotischer
Bauten Spaniens mit maßgeblichen Typen der
Tur Abdin-Kirchen entziehe sich, wer es vermag!
Nach dem wesentlich rein deskriptiven Kapitel
über die Mauern gibt in demjenigen über die
Tore von Dijarbekr besonders das stark mit der
Porta aurea des Diokletianspalastes in Spalato ver-
gleichbare Dagh Кари oder Kharputtor erneuten
Anlaß zu Erörterungen prinzipieller Natur, bei
denen es sich um die Widerlegung der Annahme
einer von Konstantinopel her kommenden Bedingt-
heit der vielmehr aus persischer Beeinflussung zu
erklärenden syrischen und kleinasiatischen Ziegel-
bauten handelt. Wenn ich durchaus geneigt bin,
auch hier Strzygowski zuzustimmen, so darf ich
doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß
wenn es gilt, die wesenhafte Nichtbeeinflussung
Nordmesopotamiens durch Byzanz zu erweisen,
der monumentale Befund nicht nur die literarischen
Nachrichten des Griechen Prokopios über die
Justinianische Bautätigkeit in Dara, Zenobia und
Amida selbst zu entkräften hat. Schon unter Kaiser
Anastasios (491—518) sollen nach einem aller-
dings stark legendarisch gefärbten Berichte in der
Berliner Handschrift Sachau 221 fol. 7910 - 81го
Künstler und Handwerker, die der Erzähler vom
Kaiserhofe in Konstantinopel kommend denkt, den
Bau der (nunmehr durch MiS Bell S. 232 bekannt
gemachten?) Hauptkirche von Маг(ј), Gabriel im
Tur Abdin ausgeführt haben. Vgl. Sachau,
Verzeichnis der syrischen Handschriften (der Kgl.
Bibliothek). Berlin 1899, S. 585f. Aber gerade
in diesem Falle ist es, wenn anders der heutige
Bau auch nur noch irgend etwas mit demjenigen
des beginnenden VI. Jahrhunderts gemein hat, mit
Händen zu greifen, wie unbyzantinisch die an-
geblich vom Bosporus nach Nordmesopotamien
gesandten Werkleute hier bauten.
Die dem Kultbaue des Islam gewidmeten Unter-
suchungen, für die neben Kairensischem Vergleichs-
material einige wertvolle Aufnahmen M. v. Oppen-
heims aus Baalbek und Harran zur Verfügung
standen, gehen von den jüngeren Elementen der
„großen“ Moschee zu Dijarbekr aus: namentlich
der seit 1155/56 durch Hibatalläh al-Gurgani, viel-
leicht einen nestorianischen Syrer, aufgeführten
Ostfassade des Hofes und dem eigentlichen Moschee-
gebäude (8. 298—323). In der zwischen Strzygowski
und Thiersch schwebenden Streitfrage über die
Entstehung der Moschee und die zu treffende
Scheidung ihrer maßgeblichen Bautypen werden,
meine ich, mindestens die Orientalisten sehr ent-
schieden auf die Seite des ersteren treten müssen,
der in Übereinstimmung mit der literarischen Über-
lieferung das Wesen des islamischen Gotteshauses
unabhängig von maßgeblichen byzantinisch-helle-
nistischen Einflüssen aus den Verhältnissen der
Urgemeinde zu Medina ableitet. Der an das dortige
Haus des Propheten sich anschließende Wohnhof
und das von den Gefährten desselben zur Ab-
haltung der sengenden Sonnenstrahlen verlangte
Schutzdach sind ihm die höchst natürlichen Ur-
elemente der Moschee. In einem ,,syro-igyptischen“
Säulentypus, der auch „auf Nordafrika und Spanien
übergreift‘“ und einem „mesopotamischen“ Pfeiler-
typus, der „durch die persisch-türkischen Statt-
halter auch in Kairo eingeführt wird“, (S. 323)
erblickt er die beiden hauptsächlichen Grundformen
ihrer späteren Entwicklung. Mit dem Hauptgebäude
der „großen“ Moschee von Dijarbekr schließen
sich dasjenige der Omajjadenmoschee in Damaskus,
die — eine „freie Weiterbildung“ des betreffenden
Sondertyps darstellende — im Jahre 1375 erbaute
große Moschee von Ephesos und anscheinend auch
461
die gewaltige Moscheeruine уоп Harran zu einer
ihre eigenen Wege gehenden Bautengruppe zu-
sammen, die treffend durch den leisen Vorwurf
charakterisiert wird, welchen der Erbauer der
Omajjadenmoschee, Welid I (705—715), in Medina
zu hören kekam: daß er nämlich „nach Art der
Kirchen gebaut“ habe. Die S. 316 bzw. 3209.
angedeutete Vermutung einer Entstehung dieses
Typs aus christlichen Doppelkirchen will mir
namentlich im Zusammenhalt mit den Kaufmann-
schen Funden an der Menasgruft als ein sehr
fruchtbarer Gedanke erscheinen, obgleich ich den
in Frage kommenden Zusammenhang vielleicht
wesentlich anders fassen würde, als es Strzygowski
zu tun versucht. Auch geht Strzygowski meines
Erachtens mit dem denn doch hoch verdienstvollen
„Pharos‘“-Werke viel zu schroff ins Gericht, wenn
er (8.324) eigentlich nur seiner reichen Illustration
einen bleibenden Wert beilegen zu wollen scheint.
Der Gedanke einer wahrhaften kunstgeschicht-
lichen GroBmachtstellung Nordmesopotamiens,
welcher das verknúpfende Leitmotiv aller seiner
Teile bildet, drángt sich am unwiderstehlichsten
bei der Lektúre der beiden dem Ornament ge-
widmeten Schlußkapitel des „Amida“-Werkes auf.
Es sind zunächst (S. 335—344) die verschiedenen
Profilierungsweisen, sodann (8. 344—364) die Tier-
motive der Denkmäler von Dijarbekr, was hier
vorgenommen wird. Zum letzteren Gegenstande
bieten dabei die Ortokidenschüssel des Ferdinan-
deums in Innsbruck sowie aus Dijarbekr stammende
Dinge (Stuckreliefs und ein Steinaufsatz) im Kais.
ottoman. Museum zu Konstantinopel eine wertvolle
Ergänzung des Materials. Auch auf die reiche
Ornamentik armenischer Handschriften fällt der
Blick. Scharf zu scheiden ist nach Strzygowski
zwischen der Masse der aus dem sassanidischen
Kunstkreise stammenden und im persischen Orna-
ment der ersten nachsassanidischen Zeit zunächst
geflissentlich vermiedenen „hellenistisch-dekora-
tiven“ Motive schreitender, in Wappenstellung ge-
gebener und kämpfender Tiere einer- und den
„innerasiatischen“ Wappentieren andererseits, die
erst „von den Türken nach Amida“ gebracht wurden.
Das erstere Element hat „sich vom IV. Jahrhundert
an und von Mesopotamien und Syrien aus derart“
schon in frühchristlicher Kunst verbreitet, daß ihm
die „der antiken Tradition“ angehörende bildliche
Darstellung hier beinahe erlegen wäre. Der da
berührte Kampf zwischen Bild und Ornament, der
sehr instruktiv zum Beispiel im Rabbüläevangeliar
sich spiegelt und in seinem weiteren Verlaufe viel-
leicht am besten wieder an der Hand des armeni-
schen Tetraevangelienbuchschmucks verfolgt würde,
462
verdiente eine monographische Behandlung. Weiter-
hin sind namentlich Erscheinungen bemerkenswert,
welche ein eigenartiges Zusammenhangsverhältnis
zwischen „Hellas und Mesopotamien“ beleuchten
(S.365— 376). Ein Nebeneinanderhergehen von orna-
mentalen Tierdarstellungen und schriftartigen oder
wirklichen Buchstabenornamenten, denen teils das
einfache, teils auch schon das geblumte Kufisch
arabischer Inschriften zugrunde liegt, läßt schon
seit dem IX. Jahrhundert die — namentlich klöster-
liche — mittelalterliche Kunst des eigentlichen
Griechenlands im Gegensatz zu Syrien und Ägypten,
denen die eine, wie zu Konstantinopel und dem
Athos, denen die andere Erscheinung fremd ist,
in engster Fühlung mit dem mesopotamischen
Osten erscheinen. Irgend ein die byzantinische
Reichshauptstadt umgehender direkter Zusammen-
hang zwischen beiden Gebieten muß als Erklärung
für diesen Sachverhalt angenommen werden. Strry-
gowski denkt — nicht ohne die notwendige Reserve
— vermutungsweise an eine Vermittlerrolle der von
ihm nach Jireček und Gelzer als ,,turanisches Reiter-
volk“ definierten Bulgaren und ihrer Einfälle in
Hellas. Meinerseits will ich betreffs der als Um-
rahmung von Tierornamenten übereinstimmend
im mesopotamischen Osten und hellenischen
Westen zur Verwendung gelangenden Flechtband-
kreise noch auf die hervorragende Rolle hinweisen,
welche dieses Motiv als Einfassung von Inhalts-
übersichten im Buchschmuck aus Mesopotamien
stammender syrischer Handschriften des hohen
Mittelalters spielt.
Ganz allgemein aber möchte ich neben das
»Amida“-Werk eine epochemachendene Entdeckung
christlich-archäologischer Forschung stellen. Fr.
J. Dölger hat in dem fast gleichzeitig mit demselben
erschienenen ersten Bande einer umfassenden
Untersuchung über das altchristliche Fischsymbol
den für mich stringenten Nachweis dafür erbracht,
daß die Wurzeln des vor allem in der bildenden
Kunst so bedeutsam hervortretenden im nord-
mesopotamischen Hinterlande Syriens zu suchen
sind. Geht man von einer derartigen Erkenntnis
aus und überdenkt anschließend alle von Strzy-
gowski diesmal ans Licht gestellten ostwestlichen
Beziehungen, so wird es nicht mehr als ein zu
kühner Ausdruck berühren, wenn er für die christ-
liche Kunst in Nordmesopotamien geradezu „einen
ihrer Ausgangspunkte“ findet (S. 133).
Daß einer so impulsiven wissenschaftlichen Er-
oberernatur wie der seinigen bei der Bemeisterung
eines so weitschichtigen Stoffes im einzelnen wobl
auch einmal ein Fehlgriff begegnen, daß er beim
Einschlagen so vieler und verschiedenartiger Ge-
denkenbahnen vereinzelt auch auf einen Irrweg
geraten konnte, ist zu selbstverständlich, als daß
es das gewaltige Verdienst der großartigen Arbeit zu
beeinträchtigen vermöchte. Ich muß beispielsweise
die Deutung der Westfassade der „großen“ Moschee
von Dijarbekr auf etwas wie eine Ikonostase als
ausgeschlossen betrachten, da, wie E. Bishop a. a. O.
nachgewiesen hat, eine solche wie überhaupt eine
Verhüllung der Altarvorgánge vor den Augen der
Gemeinde der mesopotamischen Liturgie derjenigen
Zeit, in welche man mit der Urgestalt jenes Monu-
mentes scheint hinaufgehen zu müssen, noch durch-
aus unbekannt war. Oder man nehme einen Satz
wie diesen (S. 326): „Für Christus war bezeichnend,
daß er nicht den jüdischen Tempel, sondern die
Synagoge aufsuchte; ebenso die Jünger.“ Er läuft
entschieden Gefahr, eine kunsthistorische Theorie,
der er als Stütze dienen soll, weit eher stark zu
kompromitteren. Denn es ist schwer abzusehen,
wie er selbst — ich sage nicht dem Johannes-
evangelium gegeniiber, sondern auch nur — gegen-
über von Stellen wie Matth. 21.23, 24.1, Mark. 11.27,
13.1, Luk. 20.1, 21.1—s, 37, Apg. 3.14.3 und einem
sich ganz in synoptischer Sphäre haltenden Papyrus-
bruchstúck eines außerkanonischen Evangeliums
sich ernsthaft sollte verteidigen lassen. Auch in
den von L. v. Schroeder betretenen Gedankengängen
des Anhangs wird man kunstwissenschaftliche An-
schauungen nur mit der allergrößten Vorsicht ver-
ankern dürfen. Dieselben bedürfen noch sehr einer
klärenden Nachprüfung.
Noch weniger als von einer absoluten Fehler-
losigkeit der den Tatsachen gegebenen Deutung,
bzw. der dieser Deutung gewidmeten Begründung
kann natürlich davon die Rede sein, daß das
„Amida“-Werk keine überhaupt noch ungelösten
Rätsel zurücklasse. Das von Strzygowski (S. 329)
bezüglich des Bautyps der „großen“ Moschee von
Dijarbekr ausgesprochene Wort, daß vorerst „über
ein unsicheres Raten nicht herauszukommen sein“
werde, gilt noch von manchem der berührten Gegen-
stände. Ich nenne hier nur das Problem einer
Einordnung der drei bis heute erhaltenen alten
christlichen Kirchen der Stadt in den Rahmen des
literarisch bezeugten Entwicklungsbildes ihrer kirch-
lichen Baugeschichte. Ich vermag zwar auf Grund
der nach Pognons — teilweise ungenauer —
Lesung (S. 194 f.) mitgeteilten syrischen Inschriften
heute mit geradezu mathematischer Gewißheit
Strzygowskis Vermutung als richtig zu erweisen,
daß der gewaltige Zentralbau, aus dessen Bema
die heutige jakobitische Marienkirche hervorge-
gangen ist mit dem identisch sei, was in den
jakobitischen Quellen für das XI. bis XVI. Jahr-
hundert als die „große“ Kirche d. h. als die jako-
bitische Kathedrale bezeugt wird. War aber dieses
Heiligtum der Gottesmutter wieder mit einem auf
628/29 datierten Baue des Kaisers Herakleios
identisch? War der letztere selbst eine völlige
Neuschöpfung oder nur die Restauration einer
älteren Anlage, und wie viel von dieser wurde,
falls er eben nur das war, in ihn herübergenommen ?
Welches Verhältnis besteht überhaupt zwischen
der jakobitischen „großen“ Kirche des zweiten
Jahrtausends und der erstmals 463/64 bezeugten
„großen“ Kirche der frühchristlichen Zeit? Alle
diese hochwichtigen Fragen bezeichnen ebensoviele
für den Augenblick schlechthin unlösbare Rätsel.
Weiterführen könnte hier nur, wer mit einer
selbständigen und gründlichen Beherrschung der
literarischen Quellen eine unmittelbare Kenntnis
der Denkmäler verbände.
Ich komme damit zu der praktischen Forderung,
welche das „Amida“-Werk in ihrer ganzen Dring-
lichkeit grell beleuchtet. Schon einleitend habe
ich angedeutet, wie bedauerlich es eben doch ist,
daß Strzygowski nur auf Grund fremder Aufnahmen
arbeiten konnte, Was er gleichwohl erarbeitet
hat, ist so überwältigend, daß in weitesten inter-
essierten Kreisen der Wunsch erwachsen sollte,
doch endlich einmal der hier mit genialem Griff
angeschnitten Welt von Denkmälern und Problemen
gegenüber ganze Arbeit getan zu sehen. Dieser
Wunsch müßte ein um so lebhafterer sein, je mehr
im Zusammenhange mit dem Bau der Bagdadbahn
Nordmesopotamien einem bequemeren und sichere-
ren Verkehre erschlossen, damit aber auch die Gefahr
nahe gerückt wird, daß der alles nivellierende
Dämon westeuropäischer Modernität heute einer
Aufnahme noch sich darbietende Dinge morgen
schon zerstört. Ganze Arbeit tun, das hieße hier
aber vor allem direkte Aufnahme der Monumente
durch den zu ihrer nachherigen wissenschaftlichen
Bearbeitung Berufenen. Und auch die Aufnahme
durch einen bloßen Archäologen oder Kunsthistoriker
von Fach würde nach dem soeben andeutungs-
weise Berührten nicht genügen. Es müßte ent-
weder die ganze Sache in der Hand eines kunst-
archäologisch gebildeten und speziell mit dem
christlichen Orient, seinen Literaturen, seiner Ge-
schichte, seinem Kirchentum und seiner Liturgie
vertrauten Orientalisten liegen, oder sowohl in
die Aufnahme, als auch in die Bearbeitung müßten
sich ein Kunstwissenschaftler und ein sprachen-
kundiger Spezialist auf dem Gebiete des christ-
lichen Orients teilen. Ich habe, als das Reise-
stipendium der Socin-Stiftung zum ersten Male zur
Vergebung stand, durch Bewerbung um dasselbe
463
fúr mich die Mittel zu einer wenn auch nur vor-
läufigen Tastung in Edessa und Umgebung flüssig
zu machen gesucht, nachdem ich meine eigenen
Mittel für eine Studienkampagne in Palästina und
den anliegenden Landstrichen völlig erschöpft
hatte, habe aber — trotz der denkbar wärmsten
Empfehlung meiner Sache durch Strzygowski selbst
und J. Guidi in Rom — erfahren müssen, wie völlig,
bei den für die Verleihung des Stipendiums maß-
gebenden Stellen ein Verständnis dessen zu fehlen
scheint, was hier so bitter Not tut. Seither habe
ich, was eine Expedition nach dem Orient betrifft,
für meine Person so ziemlich aufgehört etwas zu
hoffen — und damit als verständiger Mensch auch:
etwas zu wünschen. Ich rede also nicht pro
domo wenn ich folgendes mit allem Nachdruck
sage. Man müßte feststellen, daß zu Anfang des
XX. Jahrhunderts die dringendsten Aufgaben kunst-
wissenschaftlicher Forschung auf dem spätantik-
frühchristlichen Gebiete so gut als allgemein un-
verstanden geblieben seien, falls auch die Offen-
barungen von Strzygowskis „Amida“ nicht genügen
sollten, dem bei Kaufmanns Menasexpedition durch
die Stadt Frankfurt so glänzend gegebenen Vor-
bild dabin Nachahmung zu sichern, daß von irgend
einer Seite die Geldmittel zu einer — allererst ein-
mal den christlichen Denkmälern des Landes
gewidmeten — nordmesopotamischen Expedition
des soeben umschriebenen Charakters bereit ge-
stellt werden. A. Baumstark.
ANTON ECKARDT, Die Baukunst in
Salzburg während des XVII. Jahr-
hunderts. Studien z. d. Kunstgeschichte,
Heft 127. Straßburg 1910, Heitz. 152 S.,
20 Lichtdrucktafeln. M. 8.—.
Wohl keine zweite deutsche Residenzstadt ver-
dankt ihren baulichen Charakter so sehr dem XVII.
Jahrhundert wie Salzburg, wo eine lange Reihe
baulustiger Erzbischöfe früher und intensiver als
die meisten ihrer fürstlichen Zeitgenossen die
großzügigen Tendenzen des neuen Stiles aufgriffen
und auch ihrerseits zu verwirklichen suchten.
Zwischen Wolf Dietrich (1587 — 1611), der den
Sebastiansfriedhof baute, den Dom und die beiden
Residenzen begann und Johann Ernst (1687—1709),
unter dem Fischer von Erlach die Kollegienkirche
entwarf, ist die schöne Salzachstadt zu dem ge-
worden, was sie im wesentlichen auch heute noch ist.
Der Verfasser hat sich also eine dankbare Auf-
gabe gestellt, wenn er diese Blütezeit der Salz-
burger Baukunst und ihre kunstgeschichtliche
Würdigung zum Gegenstand seiner Forschungen
464
machte. Freilich ist ihm die Lösung des Problems
nicht nach allen Richtungen vollstindig gelungen.
Der Hauptwert seines Buches besteht in der chro-
nologisch geordneten Zusammenstellung aller im
XVII. Jahrhundert entstandenen größeren Bauten.
Auch die den wichtigeren Werken gewidmete Be-
schreibung und Charakterisierung verdient alles
Lob, wenn sie auch da und dort aus dem Rahmen
einer streng wissenschaftlichen Untersuchung her-
ausfällt und sich dem Stile ästhetisierender Reise-
schilderungen nähert. (Vgl. S.54 die Würdigung
von Hohensalzburg.) Dagegen will es dem Verfasser
trotz einzelner Ansätze nicht recht gelingen, die
entwicklungsgeschichtliche Linie klar herauszu-
arbeiten und auch das Verhältnis der Salzburger
Architektur zu Italien oder Frankreich wird mit
wenigen Ausnahmen nur in allgemeinen Wendungen
erörtert. Speziell hat Eckardt über dem „italieni-
schen‘ Gesamteindruck vergessen, die trotzdem be-
stehenden charakteristischen Unterschiede, das Salz-
burger Lokalkolorit, zur gebührenden Geltung zu
bringen. Josef Weingartner.
SASCHA SCHWABACHER, Die Sticke-
reien nach Entwürfen des Antonio Pol-
laiuolo in der Opera di S. Maria del Fiore
zu Florenz. Mit 37 Lichtdrucktafeln. StraB-
burg, J. Н. Ed. Heitz (Heitz & Miindel).
1911.
Die Stickereien nach Entwúrfen des Antonio
Pollaiuolo und der burgundischen Meßornate im
Wiener Hofmuseum dürfen ohne Übertreibung
oder Einseitigkeit als die absoluten Höhepunkte
in der Geschichte der Figurenstickerei des Abend-
landes betrachtet werden. Jene entstanden in der
künstlerisch regsamsten Stadt Italiens; diese in
den Niederlanden, ohne daß wir bestimmt wüßten
wo; aber beides Werke der Frührenaissance,
deren Charakterzüge gerade bei der Verschieden-
heit der Stammesorte deutlich hervortreten. —
Der lineare Stil der Zeichnung, das dekorative Ge-
fúbl in der Figurenkomposition sind die Be-
dingungen,denen diese Arbeiten ihrebewunderungs-
würdige künstlerische Eigenart verdanken. Die
burgundischen Meßgewänder reihen sich als die
ehrwürdigen Zeugnisse der Kunst Huberts und
Jans van Eyck neben Frühwerke der modernen
Malerei von weltgeschichtlicher Bedeutung. Die
Florentiner Arbeiten gehören zum Bedeutendsten,
die reiche Florentiner Kunst der Früh-
renaissance in der Eroberung und Darstellung des
bewegten menschlichen Körpers geschaffen hat
und ihre Bedeutung in Pollaiuolos Lebenswerk
was
wird noch beträchtlicher durch die verhältnismäßig
geringe Anzahl der erhaltenen Werke und durch
das Fehlen der Originalentwürfe.
Vor den italienischen Stickereien haben die
niederländischen den großen Reiz, daß sie an den
Gewändern sitzen, für die sie gedacht und ge-
arbeitet wurden — mögen diese immerhin im
Laufe der Zeit Änderungen erfahren haben —
daß sie mit ihnen als ein dekoratives Ganzes
wirken. jene sind schon 1730 ihrer eigentlichen
Bestimmung entfremdet und von den Gewändern
abgetrennt worden. Unter Glas und Rahmen, und
wie Sascha Schwabacher mitteilt, leider auf Holz
aufgeklebt, führen diese 27 gestickten Bilder aus
dem Leben Johannis des Täufers ihr eignes Da-
sein, das zu mancherlei Fragen drängt. —
Diese Stickereien hat Sascha Schwabacher sehr
glücklich als Dissertationsthema gewählt, das
bestimmt, knapp, für einen Doktoranden nicht
ungebührliche Spezialkenntnisse voraussetzend,
eine ganze Reihe von Fragen bietet, um metho-
dische Schulung und wissenschaftliche Forschung
zu erproben. Die Verfasserin hat mit Umsicht
und mit wohltuender Sachlichkeit diese Fragen
untersucht und mit Hilfe der kundigsten Kenner
zu einem einleuchtenden Ergebnis gefördert. Daß
dabei ein angenehm zu lesendes Buch entstanden
ist, gilt als besonderes Lob. Vielleicht hätte die
Arbeit ein noch selbständigeres Gepräge erhalten
können durch eine engere Verarbeitung der
Stickereien mit dem gesamten Oeuvre Pollaiuolos,
doch ginge das wohl über den Rahmen einer
Dissertation hinaus. —
Nach den Forschungen S. Schwabachers sind
die Stickereien in den Jahren 1466/79 nach den
Entwürfen Antonio Pollaiuolos von 9 Stickern ge-
arbeitet worden, deren tüchtigster Coppino di Gio-
vanni, mit seiner Herkunft aus Mecheln, in die
Niederlande als dem Lande der höchstentwickelten
Textilkúnste jener Zeit weist. Neben ihm er-
scheint noch ein Belgier, ein Antwerpener und an
weiteren Ausländern ein Franzose und ein Spanier.
Die Hauptsticker nach Coppino stammen aus Ober-
italien, aus Verona und Venedig, und merk-
würdigerweise ist nur ein Florentiner, und dieser
erst an vierter Stelle, bei der Arbeit beschäftigt.
Der Gesamtpreis für die 4 Gewänder — 1 Ca-
sula, 2 Dalmatien und 1 Pluviale — betrug
43.598,78 M., und davon entfielen auf Pollaiuolo,
der nach heutigen Begriffen geringe Prozentsatz
von 1710 M. für Entwürfe.
Auftraggeber war die Florentiner Genossenschaft
der Mercatores, die diese prächtigen Gewänder
dem Domschatze stiftete.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1922, Heft zo.
Die Technik ist die gleiche hier wie bei dem
burgundischen Meßornat: das „or nué“ mit dem
unter den dichten bunten seidenen Überfangfäden
zauberhaft schimmernden Goldfäden; nur Haar
und Fleischteile sind in Köper- und Modellier-
stich in naturalistischen Farben ausgeführt.
Für den „Kunsthistoriker“ wird immer die
Frage nach der Entwicklungsreihe der Entwürfe
zu den in einem Zeitraum von annähernd
13 Jahren entstandenen Stickereien das größte In-
teresse bieten. Verf. gibt mit Recht Pollaiuolo
sämtliche Entwürfe und teilt sie mit Kern nach
der perspektivischen Behandlung von architek-
tonischem und landechaftlichem Hintergrund in
eine frühere, vor 1466 oder 1467 entstandene
Gruppe von Stickereien und eine spätere bis 1473
reichende. Die Vermittlung bietet die Befragung
Johannis durch die Kriegsknechte.
Um 1467 beherrscht P. bereits die Prinzipien
der Perspektive, denn vor diesem Jahr ist das
perspektivisch entwickelte Bild Herkules’ Kampf
mit der Hydra schon entstanden. Der Endtermin
beruht auf ungefährer Schätzung, es ist das mitt-
lere Jahr der 13 Jahre währenden Arbeitsdauer,
und so lange mag die Ausführung der ersten und
primitiveren ı2 Entwürfe gedauert haben.
Ohne die perspektivische Begründung nach-
prüfen zu wollen, wird man der Hauptgruppierung
beistimmen, unmittelbar aus der Anschauung
heraus. Denn in dieser späten Gruppe finden wir
die bewegte, eindrucksvolle Grabtragung; die mit
dem Kranz der ausdrucksvolisten Frauenfiguren
in einer unlöslichen Raumeinheit empfundenen
Wochenstube; die freskengleich großartigen Szenen
der Taufe des Volkes und des Abstiegs Christi in
die Hölle, und als Höhepunkt wohl die architek-
tonisch nnd psychisch kunstvoliste und einfachste
Darstellung: die drei Hauptfiguren der Johannes-
tragódie. In einem säulengetragenen, feierlichen
'Kuppelraum, vorn ап der Rampe, Herodes, nach-
denklich dreinschauend, neben ihm sein Weib,
prächtig gekleidet, die mit vornehmer Gebärde
sanft die Angriffe des ihr mit gesenkten Augen
gegenüber stehenden kraftvollen jugendlichen As-
keten zurückweist. M. Schuette.
WILHELM ROLFS, Geschichte der
Malerei Neapels. Leipzig, E. A. See-
mann, 1910.
Eine Geschichte der Malerei Neapels würde eine
Lücke unserer kunstgeschichtlichen Forschung
ausfüllen und mit größter Freude zu begrüßen
sein. Seitdem man zur Erkenntnis gekommen
ist, welch geringe Glaubwürdigkeit Bernardo de
sa 465
Dominici verdient, hingt in Neapel alles in der
Luft. Genauestes Aktenstudium müssen wir also
erwarten, damit der Grund gefestigt werde fir
weiteren Aufbau. Denn die neapolitanische Kunst
wird immermehr in den Vordergrund des In-
teresses treten, je mehr sich die Forschung dem
Seicento zuwendet. Es ist sehr zu bedauern, daß
Rolfs unter Hinweis darauf, daß sein Buch ur-
sprünglich für die „berühmten Kunststätten“ be-
stimmt gewesen sei, sowohl von jeglicher Archiv-
arbeit abgesehen hat, als auch sogar alle speziellen
Literaturangaben sowie jeglichen wissenschaft-
lichen Apparat weggelassen hat. Es ist dies
Versäumnis geradezu unbegreiflich bei dem be-
trächtlichen Umfang, den das Buch angenommen
hat, und bei der sehr breitspurigen Art, wie manche
Detailfragen behandelt werden, teilweise völlig in
Anschlußan Forschungsergebnisse anderer, teilweise
auch unter Vorbringung abweichender Ansichten.
Bevor von den Forschungsergebnissen gesprochen
werden soll, mag noch ein Wort über die Form
von Rolfs Buche am Platze sein. Die Darstellung
zieht in s6 Abschnitten an uns vorüber, keine
systematische Einteilung, keine Überschriften
orientieren den Leser. Ein Register ist zwar vor-
handen. Dasselbe ist jedoch sehr schwerfällig ge-
worden, was bei Teilung von 1. Ortsregister,
2. Namen- und Sachregister hätte vermieden
werden können. Daß übrigens das Register auch
stellenweise versagt, fiel mir beispielsweise bei
Francesco di Mura auf, den man an den vom Re-
gister genannten Stellen nur flüchtig erwähnt
findet, wogegen an ganz anderen Stellen (S. 382 ff.
und 388) wirklich ein wenig von ihm im Zu-
sammenhange die Rede ist. Andere neapoli-
tanische Maler, wie Scipione Compagno, habe ich
in dem Buche überhaupt nicht gefunden.
Die Verdeutschung der italienischen Eigennamen
und deren abenteuerliche Schreibweise zeugen von
wenig Geschmack und können nur zu Mißverständ-
nissen führen.
Sehr breit ist die Frübzeit behandelt. Die
Fresken von S. Maria Donna Regina werden im
Anschluß an Venturi dem Pietro Cavallini gegeben,
die der Incoronata dem Roberto Oderisio. Die spa-
nisch-flandrische Richtung des XV. Jahrhunderts
wird im Anschluß an Bertaux und Frizzoni be-
trachtet, des Lionardo di Bisuccio Fresken nach
Brockhaus. Daß von Michelino kein Werk erhalten
sei, ist ein Irrtum; der Unterzeichnete hat vor
Jahren auf das „Michelinus‘“ signierte Werk der
Galerie von Siena aufmerksam gemacht, das dann
allgemein zum Ausgangspunkte weiterer For-
schüngen genommen worden ist.
Von Antonio Solario lo Zingaro ist ausführ-
lich die Rede — wesentlich im Anschluß an Mo-
diglianis Arbeit. Seite 130 wird der Antonio So-
lario bezeichnete Johanneskopf erwähnt, der nicht
in England, sondern als Geschenk von Luca Bel-
trami in der Ambrosiana sich befindet. Des Fran-
cesco Napoletano bezeichnete Madonna mit Heili-
gen war allerdings einmal in der längst auf-
gelösten Sammlung Bonomi - Сегеда in Mailand,
ist jetzt aber seit langem schon in Zürich (Galerie des
Kiinstlergiitli). Und von demselben Francesco
befindet sich eine zweite Madonna in der Brera.
Über den Künstler hat einmal Guido Cagnola in
der „Rassegna d'Arte“ geschrieben. —
je mehr wir im vorgeschrittenen XVL und
im ХУП. Jahrhundert zur eigentlichen neapoli-
tanischen Malerei kommen, desto flüchtiger wird
Rolfs. Es ist begreiflich, denn hier gibt es ja
nur wenige Vorarbeiten. Um so genauer hätte aber
eben die eigene Arbeit einzusetzen gehabt. Und
da hätte eine kurze Abhandlung bei Würdigung
der „Kunststätte“ sich vielleicht auf den Denk-
mälerbestand Neapels beschränken dürfen, eine
„Geschichte der Malerei Neapels“ durfte dies nicht
tun. Schweigen wir ganz von dem Urkunden-
material; schon eine Berücksichtigung der Galerien
der europäischen Hauptstädte hätte die wichtigsten
Ergänzungen geboten. Von der in Neapel zu An-
fang des ХУШ. Jahrhunderts vom Vizekönig Fer-
dinand Bonaventura Grafen Harrach gesammelten
Galerie, deren alte Inventare die großenteils be-
glaubigten Künstlernamen angeben, ist außer dem
kurzen Hinweis (S. 358) überbaupt nicht die Rede.
Unddochwären dieGemäldederHarrachschen Samm-
lung in Wien von ganz besonderer Wichtigkeit ge-
wesen. Da hätte Rolfs beispielsweise für Correnzio
und Desiderio nicht nur die Angaben des viel-
geschmähten de Dominici inkonsequenterweise
zu wiederholen gebraucht, sondern er hätte eine
ganze Reihe von gemeinsamen Gemälden dieser
beiden Maler (Architekturen mit Staffage) lebendig
vorgefunden (auch Fürst Leon Urussoff, ehemaliger
kiaserl. russischer Botschafter in Wien, und die
Budapester Galerie in Wien besitzen salche Bilder,
ersteres ist 1620 datiert), was doch für eine „Ge-
schichte der Malerei Neapels“ nicht ganz belanglos
gewesen wäre. Zu bedauern ist, daß so weitberühmte
Neapolitaner wie Luca Giordano und Solimena
nicht aus ihren Schaffensgrundlagen heraus zu
verstehen und zu würdigen gesucht werden, son-
dern eine Abfertigung vom Podium der ästhe-
tischen Gefühle des Verfassers aus erfahren.
Ich möchte indeß die kritischen Bemerkungen,
welche mir zur Klärung der Situation notwendig
erschienen, nicht schließen, ohne zu betonen, daß
die Arbeit von Rolfs manche sehr dankenswerte
und gründliche Zusammenstellungen, namentlich
für das Trecento und Quattrocento enthält, und
daß die Mängel sich teilweise aus dem allzu-
großen Gebiete, das darzustellen versucht wurde,
erklären. Wilhelm Suida.
JULIUS BAUM, Ulmer Kunst. Im Auf-
trage des Ulmer Lehrervereins. Stuttgart,
Deutsche Verlagsanstalt 1911. Mit 96 Taf.
M. 2.—.
Ein hübsch ausgestatteter Tafelband, der vor-
nehmlich Gemälde der Ulmer Schule, der Mult-
scher, Schuchlin, Zeitblom, Schaffner, dann einige
Skulpturen von Multscher und Syrlin d. Ä. neben
wenigem Unbekannteren bringt. Wie man sieht,
ein sehr beschränktes Programm, das die Archi-
tektur wunderlicherweise (als Mittelpunkt des gan-
zen Kunstbetriebs!) ausschaltet und ein recht un-
vollständiges Bild von „Ulmer Kunst“ bietet. Man
kann bedauern, daß der Verfasser sich diesen
recht schwäbischen Gedanken zu eigen machen
mußte; Baum hat sein Möglichstes getan, um eine
Geschichte der spezifisch Ulmer Malerei und Plastik
für Laien schmackhaft zu machen, und man muß
ihm darin alles Lob lassen. Im übrigen wird er
wohl selber nicht viel Gewicht auf den wissen-
schaftlichen Wert dieses Bändchens legen. Seine
längst erwartete „Ulmer Plastik“, die Fortsetzung
des (hier besprochenen) Monumentalwerkes von
Hartmann, ist inzwischen erschienen und gewährt
einen anderen Maßstab für seine Beurteiler.
P. F. Schmidt.
FERDINAND LABAN, Verstreut und
Gesammelt. Aufsätze über Leben, Kunst
und Dichtung. Berlin 1911. G. Grotersche
Verlagsbuchhandlung. Mit 2ı Tafeln,
Als Ferdinand Laban am 29. Dezember vorigen
Jahres starb, war die Arbeit an diesem Buch, das
seine Aufsätze und Essays vereinigt, noch kaum
beendet. Nach seinem Tode erst ist es erschienen.
bereichert durch ein herzliches Geleitwort Max J.
Friedländers. — In den langen Jahren, in denen
Laban als Bibliothekar der Kgl. Museen sowie als
Redakteur der Jahrbücher der Kgl. Preußischen
Kunstsammlungen in Berlin wirkte, hat er dem
künstlerischen und literarischen Leben der Haupt-
stadt als kluger, scharfer Beobachter gegenüberge-
standen und sich ein stets klares, durchaus per-
sönliches Urteil gebildet, gegründet auf seine
nicht gewöhnlichen literarischen Kenntnisse. Lang-
sam aber mit großer Sicherheit arbeitete er sich,
vor allem an Hand des reichen Materiales, das
ihm die Berliner Museen boten, in kunstgeschicht-
liche Fragen ein: sein bedeutendes Wissen, die
durch keine traditionelle Auffassung eingeschränkte,
frische Art seiner Anschauung, die Prägnanz seiner
Schreibweise, verliehen seinen Aufsätzen einen
Wert, den die vorliegende Buchausgsbe verdienter-
maßen zur Geltung bringt. Seine Arbeiten über
Schadow und Füger, über die Gemälde und Zeich-
nungen der „Deutschen Jahrhundertausstellung“
oder sein ausgezeichnetes Essai „Zwanzig Jahre
nach Manets Tode“, wird man, um nur einige
Beispiele zu nennen, nicht vergessen. Labans
starkes, durch keine Zeitströmung beirrtes Emp-
finden für wahre Qualität, ermöglichte ihm die
Werke der alten wie der neuen Kunst mit einer
gleichbleibenden Sicherheit des Urteils zu be-
trachten, wenn er auch nicht ganz frei davon
war, den Schöpfungen der neuesten Zeit gegen-
über einen gewissen Antagonismus zu behaupten.
Erstaunlich ist es wie Laban aus tiefgehender, ihn
innerlich bewegender Beschäftigung heraus histo-
rische Themen, wie etwa das Leben des Prinzen
Eugen von Savoyen in ein wirklich plastisches
Licht zu rücken wußte und das Bild des Helden,
den er mit Recht der halben Vergessenheit ent-
reißen wollte, in klaren Zügen zu zeichnen ver-
stand. Aber nicht die umfassende Kenntnis, nicht
die mühelose Beherrschung aller historischen Hilfs-
quellen, gibt Labans Schriften ihren Reiz, sondern
das von philologischer Akribie niemals einge-
dämmte Temperament, eben jenes „Feuer des Vor-
trages“, das der früh Dahingegangene selbst als
den innersten Kern jeder künstlerischen Schöpfung
über alles schätzte: „Zu aller Kunstübung gehört
nun einmal Zigeunerblut, wer das nicht unmittel-
bar zugibt, zu dem haben weder Praxiteles noch
Rembrandt, Shakespeare oder Beethoven ge-
sprochen.“
Die vorliegenden Aufsätze verdienen einen Leser-
kreis, der über diejenigen hinausgeht, die dem
Autor in Leben und Beruf nahe gestanden haben.
Sie werden jedem, der den Reiz einer inhaltlich
wie formal gleichmäßig ausgereiften und abge-
rundeten Arbeit zu schätzen weiß, Überraschung
und Freude bereiten. IJ. Sievers.
467
DER CICERONE.
Heft 17:
WILLY COHN, Landolin Ohmacht. (14 Abb.)
GEORG BIERMANN, Althollindische Bilder bei
Frederik Muller & Co. in Amsterdam. (2 Abb. und
ı Tafel.)
Heft 18:
JULIUS BAUM, Die Holzplastik in der Ausstellung
kirchlicher Kunst Schwabens. (12 Abb.)
LEO BALET, Die Heiligkreuztaler Wappenscheiben
des Meisters von MeBkirch. (6 Abb.)
F. MARCUS, Ein vlämischer Bildhauer des XVII.
Jahrhunderts. (3 Abb.)
KUNST UND KÜNSTLER.
Heft XII:
ANDREAS AUBERT, Patriotische Bilder Kaspar
Friedrichs.
THEODORE DURET, Gustave Courbet.
PAUL FECHTER, Gotthard Kuehl.
WILHELM BODE, Gian Bologna.
WALTER COHEN, Die Ausstellung des „Sonder-
bundes“.
JULIUS ELIAS, Das Pariser Jahr.
EMIL SCHAFFER, Die Florentiner Bildnisaus-
stellung.
KUNST UND KUNSTHANDWERK.
Heft 8/9:
Н. E. v. BERLEPSCH -VALENDES, Lineburg.
(76 Abb.) 2 |
РН. М. HALM, Sebald Bocksdorffer. Zur Grab-
steinplastik der Frihrenaissance in Innsbruck. (19
Abb.)
Grabplatten in Neustift, Brixen, Stift Witten,
Landeck, Sterzing, Innsbruck (Ferdinandeum).
K. M. KUZMANY, Aus dem Wiener Kunstleben.
Kleine Nachrichten. Mitteilungen. Lite-
ratur.
DIE KUNST.
Heft 1 (Oktober):
CAMILLE MAUCLAIR, Ignacio Zuloags.
J. S. ALLOTRIA,
KONRAD LANGE, Die drei Gaben des Künstlers I.
EUGEN KALKSCHMIDT, Ornament und Form.
ERNST SCHUR, Joseph Wackerle.
ALBERT MUNDT, Hugo Steiner-Prag.
— aee
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION.
XIV. Jahrg., Heft 12:
v. GROLMANN, Die Ausstellung Leibl und sein
Freundeskreis.
FRANZ SERVAES, Richard Teschner-Wien.
E. W. BREDT, Glasgemälde von Robert Engels.
М. Johann Vierthaler-Miinchen.
468
XV. Jahrg., Heft =:
WILHELM MICHEL, Münchner Sommersezession.
FRANZ SERVAES, Maler, Dichter, Kritiker.
PAUL WESTHEIM, Schweizer Bilder.
RICHARD BRAUNGART, Angelo Jank.
HANS THOMA, Von der Gelassenheit beim Be-
trachten der Kunstwerke.
E. A. BRINCKMANN, Raumbildung in der Bau-
kunst.
Se
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
Heft 12: |
OSKAR POLLAK, Die internationale Kunstaus-
stellung in Rom 1911.
FRITZ HELLWAG, Die Großherzogliche Kunst-
gowerbeschule in Weimar.
DIE CHRISTLICHE KUNST.
Heft 12:
WILLIAM RITTER, Maximillan Dasio. (т Tafel,
31 Abb. nach Gemälden und Medaillenmodellen.)
FRANZ WOLTER, Die Münchener Jahresausstel-
lung 1911 und die II. Deutsche juryfreie Aus-
stellung.
LONGEJAN, Ein Malerbrief. (1 Tafel, 2 Abb.)
er die Komposition in Raffaels Parnaß.
E.WÜNSCHER-BECCHI, Ein altchristliches Monu-
ment in Umbrien; die Grabkapelle des Ы. Juvenalis
im Dom von Narni, IV. Jahrhundert. (3 Abb.)
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Heft 6:
HEINRICH OIDTMANN, Die frühgotische Balken-
decke im romanischen Saale der „Sammlung
Schnütgen“. (1 Tafel, 7 Abb.)
Verwandtschaft der Kölner Decke mit der gleich-
zeitigen Glasmalerei.
HERIBERT REINERS, Der Meister von Siersdorf;
ein niederrheinischer Bildschnitzer aus der ersten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts II. (Schluß). (7 Abb.)
ANDREAS SCHMID, Osterkerze und Osterleuch-
ter. (2 Abb.)
Bücherschau: Fr. J.J. Berthier, О.Р. L'église
de sainte Sabine & Rome (Witte).
L'ARTE.
fasc. 4:
GIULIO LORENZETTI, Della giovinezza artistica
di Jacopo Bassano. (то Abb.)
Fortsetzung des Aufsatzes in Heft 3. Einfluß
Tizians, Savoldos, Hans Sebalds, Behams, Por-
denones.
MARIA CIARTOSO, Nuovi attribuzioni ad un dis-
cepolo di Giovanni Santi. (2 Abb.)
Zuweisung eines ,,toten Christus mit zwei kla-
genden Engeln“ in der Galerie von Urbino an
einen Schüler des Giovanni Santi (Evangelista
di Pian di Meleto?).
LODOVICO FRATI, Una famiglia di pittori bolog-
nesi. (Abb.)
Urkunden úber Jacopo di Paolo und seine Des-
zendenz.
W. VON SEIDLITZ, I disegni di Leonardo da Vinci
a Windsor.
Catalogue raisonné der Windsorzeichnungen.
ADOLFO VENTURI, Luca Signorelli, il Perugino
e Pier d'Antonio Dei a Loreto. (18 Abb.)
Scheidung der Hinde in der Sakristei della Cura
der Kirche der Santa Casa von Loreto.
Cronaca. Bollettino bibliografico.
RASSEGNA D'ARTE.
fasc. 7:
JOSEPH BRECK, Dipinti italiani nella raccolto
del signor Teodoro Davis. (7 Abb.)
Madonna mit Kind von Masolino, mánnliches
Porträt von Seb. del Piombo, Porträts von G.
Campi, Moroni u. a.
‚LORENZO FIOCCA, Monumento al Cardinale G.
de Bray nella Chiesa di S. Domenico in Orvieto.
(11 Abb.)
Versuch einer Rekonstruktion, die von der des
Ing. Passiconi in mehreren Punkten abweicht.
ANTONIO MUÑOZ, Monumenti artistici della
Provincia di Rona. — La Chiesa di S. Maria a
Fiume in Ceccano e le sue pitture. (11 Abb.)
FERDIN. MEAZZA, Un dipinto inedito di Jean
Scoorel. (4 Abb.)
Madonna der Sammlung Meazza zu Mailand.
(Attribution offenbar irrtümlich.)
fasc. 8: ЕЭШ
ALESSANDRO DEL VITA, L'Altar maggiore del
Duomo d'Arezzo. (25 Abb.)
Zuweisung des vieldiskutierten Altars an ver-
schiedene Hände verschiedener Epochen.
ALESS. COLOMBO, Di alcuni dipinti gaudenzeschi
nella sala maggiore del Palazzo Civico in Vige-
vano. (8 Abb.)
EMIL SCHAEFFER, Un disegno del Luini nel'
Albertina di Vienna. (Abb.)
Sch. weist Ippolita Sforza Bentivoglio als die
Dargestellte nach.
APOLLON.
Heft 6:
MAXIMILIAN WOLOSCHIN, Die Bildhauerin A,
8. Golubkina. (т Tafel, 12 Abb.)
BARON N. N. WRANGELL, Die franzósischen
Bilder in der Kuschelew-Galerie. (1 farbige Tafel,
14 Abb.)
Die Galerie des Grafen N. A. Kuschelew - Bes-
borodko bildet jetzt einen Teil des Museums
der Petersburger Akademie der Künste. W. be-
spricht die Franzosen des XIX. Jahrhunderts in
derselben, also Delacroix, Diaz, Courbet, Агу
Scheffer, A. Decamps, Fromentin, Isabey, Millet,
Corot, Rousseau, Dupré, Troyon, Daubigny, Jacque
und Ziem.
N. KISELEW, Zeichnung und Malerei.
MUSEUM.
Heft 6:
G. CANDEL, Sociedad de Aristas Franceses, Arte
decorativo. (17 Abb.)
Los esmaltes de Andreu. (1 farbige Tafel,
6 Abb.)
Behandelt moderne Emailarbeiten von Mariano
Andreu.
A. BASSEGODA, Nota arqueológica. (то Abb.)
Behandelt eine reich verzierte, vom Florentiner
Stil des XVI. Jahrhunderts beeinflußte Fassade
in Barcelona, die kúrzlich auf Anordnung des
Magistrats transferiert wurde, und gibt einige
alte Dokumente über das Gebäude bekannt.
ECOS ARTISTICOS. (Taf., 6 Abb.)
BIBLIOGRAFIA.
REVUE DE L’ART CHRETIEN.
4° livraison. Juillet-Aoüt:
E. CHARTRAIRE, Les tissus anciens du tresor
de la cathedrale de Sens I. (20 Abb.)
RAYMOND KOECHLIN, Quelques ivoires gothi-
ques francais connus antérieurement au XIX e siecle
I. (z2 Abb.)
Aus Sammlungen in Frankreich und England.
CARL R. AF UGGEAS, L'Exposition d'art religieux
ancien de Strängnäs (Suede) I. (14 Abb.)
Holzskulpturen.
CHRONIQUE. (15 Abb.)
BIBLIOGRAPHIE.
THE STUDIO.
September-Heft :
A. L. BALDRY, Some recent Portraits by Philip
A. Lázló. (9 Abb.)
JIRO HARADA, Japanese Art and Artists of to
— day. (26 Abb.)
A. MELAMI, Some Notes of the Turin international
Exhibition. (11 Abb.)
— aeaaaee
THE BURLINGTON MAGAZINE.
September 1911:
KIMPEI TAKEUCHI, AncientChineseBronze
Mirrors. (3 Tafein mit 12 Abb.)
Von dem kúrzlich vom Britischen Museum er-
worbenen vortrefflichen chinesischen Bronze-
spiegel, einem sogenannten „Weinspiegel“, aus-
gehend, behandelt der Verfasser die chinesischen
Bronzespiegel, deren schon seit sehr alter Zeit
Erwähnung getan wird, während das älteste
authentische Exemplar der Han-Periode (206 vor
bis 264 nach Chr.) angehört. In dieser Periode
erreichte der Bronzespiegel in China auch seine
künstlerisch höchste Entwicklung.
TANKRED BORENIUS, S. Jerome by Cima da
Conegliano. (1 Tafel mit 2 Abb.)
Ein im Besitz des Major L. E. Kennard of Market
Harborough befindlicher heiliger Hieronymus, der
1883 in der Altmeister- Ausstellung der Royal-
Academy zu sehen war, sonst aber wenig be-
469
kannt sein dúrfte, war damals als von Marco
Basaitis Hand stammend bezeichnet. Es wird
nun nachgewiesen, daß das Bild in seiner Ge-
samtauffassung wie auch in vielen Einzelheiten
die Hand Cimas verrät und in solchen an andere
Bilder Cimas anklingt. Eine wohl alte Kopie
des Bildes ist offenbar das auch unter dem Namen
Basaiti gehende Gemilde gleichen Inhaltes im
Budapester Museum, das die Signatur Marcus
Baxaiti F 8. trägt. Diese dürfte aber in verhält-
nismäßig später Zeit erst hinzugefügt worden
sein, als venezlanische Bilder des heiligen Hie-
ronymus aus der Zeit um 1500 allgemein unter
dem Namen Basaitis gingen.
MARY L. COX, Inventory of the Arundel
Collection. |
Fortsetzung des im Augustheft begonnenen Ab-
druckes des Inventariums der großen Griflich
Arundelschen Kunstsammlung aus dem XVII.
Jahrhundert.
CAMPBELL DODGSON, Etchings by Sey-
mour Haden (Undescribed States).
P. M. TURNER, The Painter of a Galiot in
a Gale. (2 Tafeln mit 4 Abb.)
Weist ein Seestiick (Nr. 1458) in der National
Gallery, das dem Mitglied der Norwichschule,
John Sell Cotman zugeschrieben wird, auf Grund
vergleichenden Studiums namentlich eines See-
stúckes in der Hamburger Kunsthalle, das von
Copley Fielding herriihrt, diesem zu.
HERBERT CESCINSKY, Lacquer Work in
England, II. English Lacquer. (a Tafeln mit
10 Abb.)
Bespricht niederlindische und englische Lackier-
móbel.
Sir MARTIN CONVAY, Some Approximations.
(2 Tafeln mit 5 Abb. und einige Textillustrationen.)
Der Verfasser weist ап der Hand einiger Bei-
spiele nach, von welchem großen Wert es sei,
sich eine gut geordnete und handliche Samm-
lung von Abbildungen anzulegen, stammten
diese nun aus Katalogen, Zeitschriften oder sonst-
wo her. Solche zu zerschneiden und die Abbil-
dungen einzeln in richtiger Weise einzuordnen
sei von allergrößter Bedeutung und führe zu
mancherlei Funden.
A. VAN DE PUT, Some Fifteenth — Century
Spanish Carpets. (x kolorierte Tafel und mehrere
Textillustrationen.)
Geht von dem in der mohammedanischen Kunst-
ausstellung in Miinchen zu sehen gewesenen
spanischen Teppich mit dem Wappen der Enri-
quez aus (Nr. 187 des Katalogs) und behandelt
zwei ähnliche spanische Teppiche, für die das
XV. Jahrhundert als Entstehungszeit nachge-
wiesen wird, während Dr. Sarre den Teppich in
München für das Ende des XVL Jahrhunderts
in Anspruch nimmt.
Notes on Various Works of Art.
Reviews and Notices.
Italian Periodicals.
IV. Jahrgang, Heft X.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz,
WaldmannstraBe 6. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. М. К. ROHE, München, Clemensstr. 105. | In ÖSTER-
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer-
straat 22. / In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon тт. | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel.
SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION:
Montags 10—12 und Donnerstags von 3—5 Uhr.
— Telefon: Amt Groß-Lichterfelde 456.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftliches
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
470
Tafel 88
A. CUYP (Nr. 20 des Katalogs), Ansicht von Dordrecht Sammlung Porgés
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A. CUYP (Nr. 24 des Katalogs), GroBe Landechaft Sammlung Kleinberger
Zu: W. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV, 10
Tafel 89
GOVERT FLINCK (Nr. 33 des Katalogs), Mánnliches Bildnis Sammlung De Jonge
Zu: УУ. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M.f.K.1V, то
Tafel do
GOVERT FLINCK (Nr. 35 des Katalogs), Vertumnus und Pomona Sammlung Graf Potocki
FRANS HALS der Áltere (Nr. 45 und 46 des Katalogs), Lachende Kinder Sammlung Porges
Zu: W. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLÁNDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV, то
Tafel or
FRANS HALS der Júngere? (Nr. 51 des Katalogs), Singende Knaben Sammlung Arnold Seligmann
Zu: W. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLÁNDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV, 10
Tafel 92
М. HOBBEMA (Nr. 70 des Katalogs), Große Landschaft Sammlung Kleinberger
PIETER DE HOOCH (Nr. 74 des Katalogs), In der Kiiche
Sammlung Kleinberger
Zu: W. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV, 10
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Tafel 94
Abb. 1 u. 2. Der Altar bei geschlossenen Abb. 3, 4 und 5. Der Altar bei geöffneten Flügeln (bisheriger Zustand)
Flúgeln
Abb. 6. Der Altar bei geöffneten Flügeln (heutiger Zustand)
Zu: WALTER GRÁFF, DIE WIEDERHERSTELLUNG DES JOHANNESALTARS VON BURGKMAIR IN DER
ALTEN PINAKOTHEK
M. f. K. IV, 10
Tafel 95
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Tafel 97
Abb. 11. Das Mittelbild wáhrend der Restaurierung (Ausschnitt)
Zu: WALTER GRAFF, DIE WIEDERHERSTELLUNG DES JOHANNESALTARS VON BURGKMAIR IN DER
ALTEN PINAKOTHEK
M.f.K.IV, 10
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Tafel 98
К. WITZ, Engel der Verkúndigung К. WITZ, Die Verkiindigung Mariae
Basel, Privatbesitz Niirnberg, Germ. National - Museum
Zu: V. WALLERSTEIN
DIE VERKÚNDIGUNG DES KONRAD WITZ UND SEIN VERHALTNIS ZUR NIEDERLÄNDISCHEN KUNST
M. f. K. IV. 10
Tafel 99
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MONATSHEF TE.
FÜR
V-IAHRGANG ‘HEF T11=NOVEMBER1911
/ERLAG KLINKHARDTEBIERMANN: БЕЛО
~ Ps МИРА SEAS +
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Monatshefte fur Kunstwissenschaft
Abonnementspreis halbjährlich 12 M., zusammen mit dem CICERONE 18 M.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS HEFT и
ABHANDLUNGEN
MORITZ STUBEL, Der jtingere Cana-
letto und seine Radierungen. Mit
то Abbildungen auf 8 Tafeln S. 471
W. MARTIN, Ausstellung althollän-
discher Bilder in Pariser Privatbesitz.
Mit 11 Abbild. auf 5 Tafeln . S. 502
MISZELLEN
Kunstschätze in Schweden. Mit 5 Abbild.
auf 2 Tafeln (Lilienfeld) ........ 8. 509
Multschers Kargaltar und das Grabstein-
modell ftir Herzog Ludwig den Ge-
barteten. Mit 3 Abbildungen auf 1 Tafel
(Leonhardt) ...............- 8. 513
Georges H. de Loo, Heures de Milan, Troisieme
Partie des Trés-Belles Heures de Notre-Dame
enluminées par les peintres de Jean de France,
Duc de Berry ry (Vitsthum) ТЕР 8. 516
Anton Mayer: Das Leben und die Werke der
Brüder Matthäus u. Paul Brill (Plietzsch) 8. 518
Allgem. Lexikon der Bildenden Künstler,
V. Band. Brewer—Carlingen (Singer) 8. 520
Baron Heinrich von Geymüller, Archi-
tektur und Religion, Gedanken fiber
Wirkung der Architektur (Reichel). . 8. 588
Georg Pfeilschifter, Die Germanen im
römischen Reiche. Theodorich der Große
) a e e e e e e e ө э ө * ee... ө в 8. $22
Maximilian Modde, Unser Lieben Frauen
Kloster in Magdeburg (Schmidt) . . 8. 524
LITERATUR Bernhard Kellermann, Ein Spaziergang in
Wilhelm Pinder, Mittelalterliche Plastik Würz- Japan (Sievers).............. 8. 525
burgs. Versuch einer lokalen Entwicklungs-
geechichte vom Ende des 13. bis sum Anfang Вапдасһап................. 8. 526
des 15. Jahrhunderts (Swarzenski) . .. 8. 515 Neue Bücher 8. 528
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ALTER MEISTER UND KOSTBARER
ANTIQUITATEN
DER JUNGERE CANALETTO UND SEINE
RADIERUNGEN Von MORITZ STUBEL
Mit zehn Abbildungen auf acht Tafeln ccccoccceccccccccccccccccccccccccccccccccccccecceccceccocccecccccccccccoeces
1.
D: dichterische Erfindung galt den Kunstrichtern des XVIII. Jahrh. als der wich-
tigste Teil des künstlerischen Schaffens. Ohne sie war ihnen ein wirkliches Kunst-
werk undenkbar. „Nur die Schönheit der Erfindung erhöhet die Werke der Kunst.
Durch sie schildert der Maler für die Seele und redet für den Verstand. Der me-
chanische Teil der Kunst bereitet dem dichterischen einen Körper oder diejenige
Einhüllung, die das Auge reizet. Das Herz will ergriffen, der Verstand geschmei-
chelt, aber das Auge will getäuschet seyn.“ So erscheint die Tätigkeit des Künst-
lers einem der bedeutendsten deutschen Kunstgelehrten des XVIIL Jahrh., Christian
Ludwig von Hagedorn, dem Bruder des Dichters, dem ersten „Generaldirektor derer
Künste, Kunstakademien und dahingehörigen Galerien und Cabinets in Sachsen“,
einem Manne, dem wir noch wiederholt begegnen werden.!)
Es ist nicht zu verwundern, daß bei solcher, damals allgemein geteilter Auffassung
die sogenannten Prospektenmaler künstlerisch sehr niedrig eingeschätzt wurden.
Wer die Natur nur so wiedergab, wie er sie sah, sie nicht verschönerte oder ihr
durch bedeutungsvolle Staffage geistigen Gehalt verlieh, gehörte überhaupt nicht zu
den Künstlern.) Mochten sie und ihre dekorativen Werke von den Höfen noch
so hoch geschätzt werden, für die Wissenschaft waren sie nichts anderes als Supra-
Portenmaler, im damaligen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit flüchtigen und
minderwertigen Landschaftsmalern.
Daraus erklärt es sich, daß sich die zeitgenössische Literatur wenig oder gar
nicht mit diesen Künstlern beschäftigt. Sie mußten sich mit der Gunst der Großen
und mit dem Beifall des großen Publikums ihrer Zeit begnügen, die Kunstrichter .
hatten keine Veranlassung ihr Andenken der Nachwelt zu überliefern. Mit dem
Glanz der Höfe des Barock und Rokoko verschwanden auch die Namen derer, die
ihn durch ihre Werke mit hatten schaffen helfen. Dieses Schicksal hat Bernardo
Belotto*), der jüngere Canaletto, in reichem Maße erfahren. Vom Münchener Hofe,
(х) Die Stelle findet sich in seinen 1762 erschienenen „Betrachtungen über die Mahlerey“, Bd. I, 8. 154.
Seine erste kunstwissenschaftliche Arbeit war die 1755 erschienene ,,lettre A un Amateur de la Pein-
ture . ., eine Beschreibung seiner eigenen Gemäldesammlung. Außerdem hat er viele Beiträge zur
Bibliothek der schönen Wissenschaften und freien Künste geliefert. Er war am 14. Februar 1712 in
Hamburg geboren und starb in Dresden am 26. Januar 1780.
(2) Höchst sonderbar dachte in dieser Beziehung Algarotti, der sich ein nuovo genere di Pittura zu-
rechtgelegt hatte, il quale consiste a pigliare un sito dal vero, e ornarlo di poi con belli edificij o tolti
di qua e di lá ovveramente ideali. In tal modo ci viene a riunire la natura е l'arte, e si può fare un
raro innesto di quanto l’ha una di più studiato su quello che l'altra presenta di рій semplice. In diesem
Sinne ließ er sich vom ältern Canaletto eine Ansicht vom Ponte Rialto in Venedig malen, wo die wirkliche
Brúcke, die nur durch ihre Geschichte interessant sei, durch den Entwurf Palladios ersetzt ist, il quale
e bene il piú bello ed ornato edificio che vedersi possa usw. Le so dire, schließt Algarotti seinen Brief,
che parecchi Veneziani han domandato qual sito fosse quello dalla cità ch'essi non aveano per ancora
veduto. Brief v. 28. Sept. 1759, в. ges. Werke Livorno 1764, Bd. VI, 8.74 ff. A Canale hat übrigens
noch mehrere derartige Bilder gemalt.
(3) Welche Schreibweise richtig ist, läßt sich nicht feststellen, da er es selbst nicht gewußt und sich
auf die verschiedenste Weise geschrieben hat. Daß er sich conte Belotti genannt habe, habe ich
außer bei Heineken nirgends gefunden.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 11 33 471
von August Ш. уоп Sachsen, von Maria ТҺегевїа und zuletzt уоп Stanislaus August
von Polen mit Aufträgen und Ehren überhäuft und glänzend belohnt, schafft er
weit über ıoo prächtige große Ansichten ihrer Residenzen und Schlösser, mit nie
versiegender Frische wiederholt er die Bilder seiner italienischen Heimat, eigene
Radierungen bringen diese Werke ins Publikum, und trotzdem nirgends eine Er-
wähnung dieses Malers, eine Würdigung seiner Werke. Vergeblich habe ich Cana-
lettos Namen in den zahlreichen Zeitschriften und Künstlerhistorien des XVII. Jahrh.
gesucht, nur Füssly erwähnt ihn kurz und flüchtig. Dieselbe Gleichgültigkeit gegen
Canaletto und seine Werke hat noch bis in das letzte Drittel des XIX. Jahrh. ge-
herrscht. Zwar sind einmal, Anfang der 1830er Jahre, in Dresden seine im Vorrat
der Galerie begrabenen Gemälde zusammen mit denen des ebenfalls in völlige Ver-
gessenheit geratenen Alexander Thiele!) dem Publikum in einer besonderen Samm-
lung vaterländischer Prospekte zugänglich gemacht worden. Das galt aber in erster
Linie dem Gegenständlichen dieser Bilder, nicht ihrer Schätzung als Kunstwerke.
Der Galeriedirektor Matthäy sagt selbst im Katalog der Sammlung, daß die Ge-
mälde „hauptsächlich als Wahrzeichen des früheren Zustands unseres Vaterlandes,
in topographischer Hinsicht, die Aufmerksamkeit der Mitwelt verdienen“.
Erst 1877 erschien eine Arbeit, die sich ausführlich mit Canaletto beschäftigt:
Die beiden Caneletto. Monographie von Rudolph Meyer. Der Hauptwert dieses
Buches besteht in dem sehr ausführlichen Verzeichnis des radierten Werks beider
Meister. Ihm folgte im Jahre 1885 die Biographie des jüngeren Canaletto, die Julius
Meyer im III. und letzten Band seiner Neubearbeitung des Naglerschen Künstler-
lexikons veröffentlicht hat (S. 437—444). Sie faßt in übersichtlicher Weise und
unter Benutzung handschriftlicher Notizen Naglers die zerstreuten Nachrichten zu-
sammen, die sich damals in der Literatur vorfanden, und gibt eine kurze ästhetische
Würdigung des Meisters. In deutscher Sprache ist seitdem nur die prächtige
Canaletto-Mappe des Dresdner Geschichtsvereins erschienen, mit Einleitung und Er-
läuterung von Otto Richter. Ihr Schwergewicht liegt naturgemäß auf den ausge-
zeichneten großen Abbildungen.
Die englische Literatur hat sich überhaupt nicht ausführlicher mit Canaletto be-
faßt und auch die französische hat nur zwei kleinere Werke gebracht, die mehr
durch die Eleganz ihres Vortrags erfreuen, als daß sie neues über den Meister
brächten. Octave Uzannes „Les deux Canaletto“ beruht fast ausschließlich auf den
Werken der beiden Meyer und will auch selbst nur: „reunir en une gerbe synthé-
tique les documents et les references authorisees“. Adrien Moureaus Antonio Canal
beschäftigt sich nur anhangsweise mit unserm Meister. In Italien hat der Turiner
Galeriedirektor A. de Vesme in seinem Peintre Graveur Italien Canaletto einen
Artikel gewidmet. Abgesehen von einigen biographischen Notizen und der Fest-
stellung einiger neuen etats gibt auch Vesme nichts neues. Er lehnt sich im cata-
logue raisonné eng an Meyer an: Pour la rédaction de notre catalogue nous avons
mis largement á contribution la monographie de Mr. Rodolphe Meyer.
Unter diesen Umständen werden die folgenden Ausführungen vielleicht nicht un-
willkommen sein, zumal da sie in der Hauptsache auf Material beruhen, das bisher
noch nicht oder an unzugänglichen Stellen veröffentlicht worden ist.
(т) Geboren am 26. Márz 1685 in Erfurt, gestorben am 22. Mai 1752 in Dresden. Seine bedeutendsten
Werke sind die etwa тоо großen sächsischen Ansichten, die sich fast alle in den Kgl. Schlössern in
Dresden und Pillnitz befinden. Er war einer der bekanntesten Landschaftsmaler seiner Zeit und hat
auch fúr den Schwarzburger und Schweriner Hof gemalt. Canaletto hat ihn auf dem Bilde 603 der
Dresdner Galerie zusammen mit sich selbst und Dietrich im Vordergrund gemalt,
472
Ich werde zunächst auf Canalettos äußere Schicksale und kurz auf seine Tätig-
keit als Maler eingehen, um mich dann ausschlieBlich seinen Radierungen zuwenden
zu kinnen. |
II.
Canaletto ist, wie sein Lehrer Antonio Canale und sein Mitschüler Francesco
Guardi, in Venedig geboren und zwar, wie urkundlich nachgewiesen ist, am 30. Ja-
nuar 1720. Wie so viele seiner Landsleute in damaliger Zeit, verließ er in jungen
Jahren seine Heimat, um in Deutschland sein Glück zu versuchen. In allen großen
und kleinen deutschen Residenzen bestanden im XVIII. Jahrh. italienische Kolonien,
namentlich da, wo Oper und Theater gepflegt wurden. Sie hielten ihre Beziehungen
zur Heimat aufrecht und jeder Neuankömmling wurde mit größtem esprit de corps
aufgenommen, für sein Fortkommen gesorgt. Zunächst wandte sich Canaletto nach
München, wo er sich etwa von 1745 bis 1747 aufgehalten haben muß. Verschie-
dene große Münchner und Nymphenburger Ansichten sind Denkmale seiner dortigen
Tätigkeit. Schon damals war er verheiratet mit Maria Elisabeth Pizzona und hatte
einen Sohn namens Lorenzo. Von München ging er im Jahre 1747 nach Dresden,
das namentlich seit August III. vielfache Beziehungen zu Venedig hatte. Das be-
rühmte Ehepaar Hasse, il divino Sassone und Faustina Bordoni, die hochbezahlten
Zierden der Dresdner Oper, verbrachten ziemlich regelmäßig einige Monate im Jahre
in Venedig, die theatralischen Sänger, Tänzer, Dichter, Maler waren zum großen
Teil Venezianer und so wird es Canaletto an Beziehungen in Dresden nicht ge-
fehlt haben. Vielleicht hat ihn auch die bayersche Prinzessin Maria Antonia Wal-
purgis, die im Juni 1747 den sächsischen Kurprinzen heiratete, veranlaßt nach
Dresden zu gehen. Sie hatte Sinn und Begabung für die Kunst, malte selbst und
hat Canaletto persönlich gekannt.
Meist wird vermutet, daß der Minister Graf Brühl ihn für seine privaten Zwecke
nach Dresden berufen und dann bei Hofe angebracht habe. Diese Vermutung hat
viel für sich, denn sie entspricht der auch sonst vielfach von Brühl geübten Praxis,
Leute, die er selbst gebrauchen konnte, nach Dresden kommen zu lassen und ihnen
dann, um sie nicht selbst bezahlen zu müssen, vom König eine Besoldung zu ver-
schaffen.
Tatsache ist es jedenfalls, daß Canaletto bei Brühl und sehr bald auch beim König
zu hoher Gunst gelangte. Schon 1748, spätestens aber 1749 wurde er Hofmaler
(peintre Royal) und erhielt eine Pension von 1650 Taler nebst 100 Taler Hauszins.
Dieser Gehalt ist der höchste, der mir in den vielen Hofmalerdekreten, die ich
durchgesehen habe, vorgekommen ist. Selbst der berühmte Oberhofmaler und
Directeur de l' Académie, Louis de Silvestre, bald vier Jahrzehnte lang der Stolz der
Dresdner Malerei, brachte es nur auf 1450 Taler nebst 240 Taler für den Unter-
halt von zwei Equipagepferden. Den besoldeten Hofmalern wurde damals ganz
allgemein die Verpflichtung auferlegt Bilder für die Galerie zu malen: die Land-
schaftsmaler, wie z. B. Alexander Thiele, hatten gewöhlich im Jahr vier Bilder, die
Historienmaler nur eins zu liefern. Auch Canaletto, dessen Dekret leider unauf-
findbar ist, wird dieselbe Verpflichtung gehabt haben. Nach einer Aktennotiz !) hat
er im Jahre 1751 „3 Stück zur Galerie geliefert“, nämlich N 4239 Prospekt vom
alten Markt zu Dresden, anzusehen, wenn man von der Schloßgasse herauskommt,
N 4240 Kompagnon, anzusehen, wenn man von der Seegasse herauskommt, N 4241
(1) loc. 18238 Cap. УПа N 1a im Hauptstaatsarchiv zu Dresden. Im Folgenden beziehen sich alle
Quellennachweise, die mit loc beginnen, auf Akten dieses Archivs.
473
Prospekt von dem neuen Markt nebst der Frauenkirche und Hauptwache, siimtlich
jetzt noch in der Dresdner Galerie.
Auch persönlich erfreute sich Canaletto bei der Königlichen Familie, wie bei
Brühl, der besten Beziehungen. Bei der ersten im September 1748 geborenen
Tochter wurden „Graf Heinrich von Brühl und seine Gemahlin Maria Anna“, bei
der zweiten im August 1750 „die Königlichen Majestäten“ als Paten eingetragen;
die dritte im August 1751 geborene Tochter hatte als Paten den Prinzen Xaver
und die Prinzessin Christine und nur die jüngste Tochter Theresia Franziska Flo-
rentina (getauft 2. November 1757) mußte sich mit weniger erlauchten Paten be-
gnügen, der berühmten Altistin Theresia Albuzzi- Tedeschini, die als Freundin
Brühls galt und mit 3000 Taler Gehalt an der Italienischen Oper angestellt war,
und einem unbekannten Franciscus Sarte (UL Und ein alter Diener Canalettos
erinnert sich noch im Anfang des XIX. Jahrh., daß Canaletto einstmals vom König
eine goldene mit Brillanten besetzte Tabaksdose zum Geschenk erhielt, in der sich
300 Louis d’or befanden.?)
Auch die Ausübung seiner Kunst wurde Canaletto möglichst erleichtert. Am
26. April 1753 wird ihm folgendes Dekret ausgehändigt: „Auf allerdurchlauchtigste
hiermit ergehende Verordnung hat der Amtmann Crusius in Pirna, auch sämtliche
Vasallen und Gerichtsobrigkeiten, dem Königl. Hofmahler Bernardo Belotto Cana-
letto, welchem die Fertigung derer Zeichnungen über die situations derer Ge-
genden um Pirna und sonst aufgetragen worden, auf dessen besonderes Anmelden,
mit allem Verlangenden ohnweigerlich zu assistieren, und ihme auf keinerlei Weise
noch Wege etwa hinderlich zu sein, vielmehr mit allem erforderlichen, sonder die
mindeste Widerrede oder Aufenthalt an Hand zu gehen.“)
Diesen Pirnaer Ansichten und denen von Dresden widmete Canaletto in den
ersten zehn Jahren seines Dresdner Aufenthalts seine Haupttitigkeit. Sie befinden
sich jetzt sämtlich in der Dresdner Galerie. Niemand wird diese charakteristischen
Denkmale des XVII. Jahrh. ohne Interesse betrachten; zusammen mit den benach-
barten Pastellen der Rosalba Carriera, Raphael Mengs, Latour, Liotard und anderen
verkörpern sie in unvergleichlicher Weise jene Glanzzeit Dresdens. Aber auch
als Kunstwerke fesseln sie den Beschauer, der nicht mehr nur nach der poetischen
Erfindung fragt, sondern auch Sinn und Auge für die Gestaltungskraft und den
Schönheitssinn eines Malers hat. Durch Hübner“) ist die Sage aufgekommen,
diese Canalettoschen Galeriebilder seien für den Grafen Brühl gemalt worden;
„Dieser habe sie aber nicht bezahlt, und nach des Grafen Tode habe der arme
Maler die rückständige Bezahlung verlangt. Als die gräflichen Erben nicht dazu
geneigt gewesen seien, seien die Bilder vom Sächsischen Hofe im Interesse Cana-
lettos das Stück zu 200 Taler angekauft worden.“ Diese Erzählung Hübners besteht aus
Wahrheit und Dichtung. Richtig ist, daß Canaletto gegen die Brühlschen Erben
Klage auf Bezahlung von 21 Bildern zu je 200 Talern erhoben hat, und daß die
Erben die Zahlung verweigert haben. Die Klage hat sich noch im Hauptstaats-
archiv zu Dresden erhalten.) Falsch dagegen ist die Behauptung, der Hof habe
(т) Aus den Kirchenbüchern der katholischen Hofkirche zu Dresden.
(2) Brief des Professors Luigi Capelli an Seb. Ciampi vom 14. August 1819; abgedruckt in des letz-
teren Bibliographia Critica, Bd. II, 8. 265.
(3) loc. 8575. Briefe, Erlasse und sonstige Schreiben an Künstler betr., fol. 97ff.
(4) Verzeichnis der Kgl. Gemäldegalerie zu Dresden, 1. Aufl. 1856, S. 73.
(5) loc. 380. Klagsache des Hofmalers Bernardo Belotto.
474
die Bilder angekauft. Hierfür findet sich kein Beleg in diesen Akten, die offenbar
auch die einzige Quelle Hübners gewesen sind. Sie ist auch sehr unwahrscheinlich,
da der Hof unter Prinz Xaver auf äußerste Sparsamkeit bedacht war und .nicht
die geringste Veranlassung hatte, eine so große Summe für die Brühlschen Erben
auszulegen. Hielt man die Forderung Canalettos für begründet, so hätte man si-
cherlich die Erben des Mannes, der ein Reinvermögen von über einer Million Taler
hinterlassen, veranlaßt, selbst diese Schuld zu tilgen. Die Unrichtigkeit läßt sich aber
noch viel schlagender beweisen: Die ganze Brühlsche Gemäldegalerie mit allen
Canalettos ist im Jahre 1768 von den Brühlschen Erben für 80000 Taler an Katha-
rina IL verkauft worden. Diese hat sie der Kaiserlichen Gemäldegalerie in der
Eremitage einverleibt, in deren Katalog sie alle namentlich aufgeführt sind.“) Ich
vermute, daß Hübner dadurch zu seinem Irrtum gekommen ist, daß allerdings nach
dem der Klage beigefügten Verzeichnis der Brühlschen Bilder diese dieselben
Gegenstände dargestellt haben, wie die Galeriebilder: Dal’anno 1747 fin Tanno 1752
N 13 Pezzi di Quadri Vedute di Dresda accordata con sua Ecc. a Taler 200 l'una;
Гаппо 1753 N 3 Vedute di Pirna à 200 Taler; Гаппо 1754 N 3 Vedute diffe-
renti di detta cità a 200 Taler; Гаппо 1755 N 2 Vedute di detta cità (von der
Stadt Pirna selbsten). Diese Übereinstimmung ist umso auffallender, als auch die
Entstehungszeiten der Galeriebilder in dieselbe Zeit fallen. Sie erklärt sich aber
sehr einfach dadurch, daß Canaletto alle jene Ansichten von vornherein in zwei
Exemplaren gemalt hat, von denen eins für Brühl, das andere für den König be-
stimmt war. Diese Tatsache, die ich zu beweisen haben werde, ist überaus cha-
rakteristisch für das Verhältnis Brühls zum König: Dieser gewährt dem Maler einen
hohen Gehalt und bekommt dafür Bilder geliefert. Dieselben Bilder läßt sein Mi-
nister für sich malen, ohne etwas dafür bezahlen zu brauchen. Ich nehme nicht
einmal an, daß Brühl die Sache heimlich betrieben hat. Wenn der König sie in
Brühls Galerie gesehen hat, so wird er nichts dawider gehabt haben. Er gönnte
seinem Schützling alles Gute und war nicht im Geringsten eifersüchtig auf dessen
Sammlungen. Zudem schätzte er offenbar Canalettos Gemälde weniger als die
Person des Künstlers: Die Canalettos kamen weder in seine Privatgemächer, die
beste Zensur, die der fürstliche Kenner erteilte, noch auch in die Galerie, sondern
wanderten sofort zusammen mit den Bildern so mancher anderer Hofmaler in den
Vorrat.
Die Identität der Brühlschen und der Königlichen Bilder kann ich nicht direkt
beweisen, da ich die ersteren nicht gesehen habe. Ich glaube aber einen hin-
reichenden Indizienbeweis führen zu können. Verzeichnisse der Brühlschen Cana-
lettos finden sich in dem oben erwähnten Katalog der Eremitage und im Brühlschen
Nachlaßverzeichnis?). Die Bezeichnungen der Gemälde in diesen Verzeichnissen
sind zwar sehr kurz, aber überaus treffend, so daß sich aus ihnen sehr wohl meine
Behauptung begründen läßt. Ich setze einige der bezeichnendsten Nummern in einer
kleinen Tabelle nebeneinander:
(т) Joh. Bernoulli, Reisen durch Brandenburg, Pommern usw., Bd. 4. Dort befindet sich ein Auszug
des Katalogs der Eremitage aus den 1780er Jahren. Die Canalettos hat auch ein deutscher Gelehrter
im Jahre 1780 in der Eremitage gesehen. Bellermann, Anmerkungen über Rußland, Erfurt, 1788 I,
S. 229. Wo die Bilder jetzt sind, habe ich nicht feststellen können. In der Eremitage scheinen sie
nicht mehr zu sein.
(a) loc. 30488. Brühlsches Nachlaßverzeichnis. Der Wert des Nachlasses betrug 2830644 Taler, von
denen 1291297 Taler Passiva abgingen. Die Bildergalerie war auf 105329 Taler geschätzt worden,
die Canalettos das Stück zu 8o Taler.
475
EE ae SE EE en ee . EE a A ae
|
Мт. Dresdner Galerie | Nr. | Brühlsches Nachlaßverz. Nr. | Eremitage - Katalog
—ů—— avñ¶— —-—-—-—¼ę p —-—-—tÜ . —-— . — — . — — — — — a — —ͤ—ũ— —
Brühlsche Terrasse Brihlscher Garten
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4
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Ansicht von Dresden von
Ansicht der Festungswerke Prospekt vom Wilsdruffer
611 vor dem Wilsdruffer Tor Tor Seite des Wilsdruffer Tors
Altmarkt von der SchloB- i з
614 rabi aus 4693 | Prospekt vom alten Markt Altmarkt in Dresden
Altmarkt von der SeestraBe
615 aus mit Jahrmarktsbuden E |
616 Kreuzkirche Kreuzkirche Kreuzkirche in Dresden
er | Eesen AA E et
623 Marktplatz in Pirna
Markt in Pirna к Marktplatz in Рїгпа
629 | Innere Ansicht vom Zwinger 1747 Inneres des Zwingers
|
VC ĩᷣ c CT: SE Reeder?
609 Zwinger von außen gesehen || 4692 Prospekt vom Zwinger |
Immerhin ist es ja möglich, daß die Darstellung dennoch abweicht und meine
Vermutung, wenn die Brühlschen Bilder bekannt werden, widerlegt wird.
III.
Der Siebenjährige Krieg bereitete dieser schönsten und glücklichsten Zeit Cana-
lettos ein rasches Ende. Noch im Frühjahr 1756 war an den Amtmann Crusius
eine gleiche Verordnung, wie die oben erwähnte, „wegen derer Gegenden um die
Berg- Vestung Königstein“ ergangen, und schon im Oktober mußte die ganze säch-
sische Armee angesichts des Königsteins kapitulieren. Der König und Brühl gingen
nach Polen, um erst nach dem Friedensschluß zurückzukehren. „Der Krieg ver-
scheuchte die Künstler“. Namentlich die Ausländer unter ihnen suchten ihre Heimat
auf oder andere Höfe. Torelli, Gandini gingen nach Petersburg, wohin sich Rotari
schon vorher begeben hatte. Bacciarelli und Internari begleiteten den König nach
Warschau, der jüngere Silvestre ging nach Paris, wo der ältere schon seit einigen
Jahren als Direktor der Akademie lebte, die meisten der theatralischen Künstler
gingen nach Italien zurück. Der Sächsische Resident de Rusca in Augsburg, dem
Durchgangspunkt nach Italien, berichtet an Brühl, daß die Albuzzi mit ihrer Mutter
angekommen sei „comme aussi Mad. Amorevoli avec les enfants et freres, ils ont
pris des quartiers pour attendre la bonne saison afin de pouvoir continuer leur
voyage pour Milan. Mr. Bertholdi est arrivé А Bareuth.... Mr. Bavena a été arreté
a Bareuth par le Marggrave et la Duchesse de Wirtenberg lesquelles le font tra-
vailler á leur Portrait. Mr. Canaletto doit étre en chemin pour passer á Venise?).
Letzteres kann nicht richtig sein, oder es hat sich nur um einen ganz kurzen
Besuch Canalettos in seiner Vaterstadt gehandelt. Denn er gehört zu den wenigen
Künstlern, die in dem veródeten Dresden, wenn auch mit Unterbrechungen, während
des ganzen Krieges ausgehalten haben. Zunächst scheint ihm wenigstens sein Ge-
halt weiter ausgezahlt worden zu sein. Es hat sich eine Quittung Canalettos del
(1) loc. 3285. Vermischte auf auswärtige Angelegenheiten und den Krieg bez. Papiere, 1759.
476
Quarto del’ anno 1758 di Gennaro Febrajo е Marzo per talleri 412—ro ngr. erhalten’).
Lange wird aber die Zahlung kaum fortgesetzt worden sein, und es war ein großes
Glück für Canaletto, daß ihn im Jahre 1758 die Kaiserin Maria Theresia nach Wien
berief; dort. hat er, wie in Dresden, die Residenzstadt und Schlösser der Kaiserin
in großartigen Ansichten verewigt. Bis Ende 1760 nahm ihn diese Arbeit in An-
spruch. 13 sehr große Ölgemälde, die sich jetzt noch in den Sammlungen des
Allerh. Kaiserhauses befinden, zeugen von seiner Arbeitskraft. Darunter ist die
großartige Hofansicht von Schönbrunn, 2,37 m breit und 1,36 m hoch, mit über 400
Staffagefiguren. Dargestellt ist die Ankunft der Trompeter, mit dem Oberstleutnant
Graf Kinsky an der Spitze, die die Nachricht von der siegreichen Schlacht bei
Cunnersdorf (12. Aug. 1759) überbringen. Auch die anderen Gemälde haben statt-
lichen Umfang (meist 1,56 m breit und 1,16 m Höhe) und reiche Staffage. Außer-
dem schuf Canaletto noch zahlreiche Gemälde für den Österreichischen Adel, die
Liechtenstein, Harrach, Kaunitz, die in verschiedenen Galerien zerstreut sind. Eines
davon, eine prächtige Ansicht Wiens vom Palais Kaunitz aus, hat Frimmel ver-
öffentlicht?). Die Kaiserin ist sehr zufrieden mit Canaletto gewesen. Als er im
Januar 1761 nach Dresden zurückkehrt, schreibt sie ihrer Cousine Maria Antonia:
Canaletto c’est conduit ici tres bien et nous a fourni plusieurs pieces de ses ouvrages
tres belle. Je lui porte envie de vous voir peut etre 8 mois plus tôt que moi’).
Seine Rückkehr nach Dresden war durch die kriegerischen Ereignisse veranlaßt
worden. Im Juli 1760 hatte das furchtbare preußische Bombardement einen großen
Teil Dresdens in Trümmer gelegt. „Dresden war eine Wüstenei, wo man die
Stellen, da Häuser gestanden, bloß an dem Schutt, und die Örter, wo Palais ge-
wesen, an den Aschehaufen erkennen konnte. Unsere herrlichsten Paläste, unsere
prächtigsten Gotteshäuser, unsere schönsten Straßen waren in Steinhaufen verwan-
delt und die Vorstädte ein öder Platz voll Grauen. Dresdens Verteidiger wurden
ihre Verderber, Räuber nahmen, was das verschlingende Feuer noch lieB.... Der
eidlich angegebene Verlust, ohne Kirchen, Königliche und geistliche Gebäude, be-
trug 1176405 Taler“). Ungeheure Schätze der Kunst sind damals vernichtet
worden. Nur ein paar zufällige weniger bekannte Beispiele: Dem Kapellmeister
Hasse verbrannten alle Manuskripte seiner Kompositionen, die er eben zum Druck
in Ordnung gebracht hatte’), das beinahe vollständige „Brühlsche Rembrandtexemplar,
so besonders schön“, verbrannte im Kuffenhause®), die Platte, die der Hofkupfer-
stecher Boetius von Corregios heiliger Nacht soeben vollendet hatte, wurde ver-
nichtet ”), und Rabener schreibt an Gellert, daß „die wizigen Manuskripte, die nach
meinem Tode sollten gedruckt werden, zum kräftigen Troste der Narren künftiger
Zeit, alle, alle mitverbrannt seien. Nun verlohnt es beynahe die Mühe nicht, dass
ich sterbe“ ). |
Einer der am härtesten Betroffenen war Canaletto. Das Haus, in dem seine
Familie wohnte, wurde vollständig zerstört. Er selbst schätzt seinen Verlust an
Einrichtung und Kunstgegenständen auf 50000 Taler. Daß ihn auch ein Verlust
(1) loc. 11236. Geneal. Canaletto.
(2) Blätter für Gemäldekunde, IV 202ff.
(3) W. Lippert, Maria Theresia und Maria Antonia, S. 98.
(4) Hasche, Diplomatische Geschichte Dresdens, IV S. 289.
(5) Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden, II 8. збо.
(6) loc. 18216 Kap. УШ, N. 2, die Kupferstich-Gal.... betr.
(7) Heineken, Dict. des artistes, III S. gs.
(8) Rabeners freundschaftl. Briefe, herausgegeben von WeiBe.
477
betraf, der ihm als Radierer besonders schmerzlich sein mußte, werde ich später
noch näher mitteilen.
Die Annahme, Canaletto sei 1762 in Warschau gewesen, ist irrig. Sie gründet
sich darauf, daß eines von zwei „sinnbildchen Zierstücken, die als Supra Porten im
Warschauer Schloß gedient haben sollen“, und im XIX. Jahrhundert in die Dresd-
ner Galerie gelangt sind, auf einem Postament die Zahl MDCCLXII trägt. Das
beweist aber nicht, daß das Bild in diesem Jahr gemalt ist, steht vielmehr offen-
bar mit dem allegorischen Gegenstand des Bildes in Zusammenhang. Es kann
ebensogut, wie die drei folgenden Warschauer Schloßansichten während des spä-
teren Aufenthaltes Canalettos in Warschau entstanden sein. Gegen einen Aufent-
halt Canalettos in Warschau im Jahre 1762 spricht auch ein Brief, den Brühl von
Warschau aus an Mr. Kanaletto а Dresde am 13. Januar 1762 geschrieben hat.
Aus diesem geht überdies hervor, daß Canaletto in dieser Zeit der Gräfin Haddik
bei ihren Malstudien behilflich gewesen ist. Diese war ihrem Mann, dem öster-
reichischen General, ins Feld gefolgt und befand sich damals in Freiberg. Conti-
nuez ainsi, schreibt Brühl, а menager sa protection par l’application que vous аррог-
terez à mettre en oeuvre des talents aussi singulièrement heureux comme cette
dame a pour le dessein!).
Im Februar 1763 wurde endlich der Friede zu Hubertusburg geschlossen. Am
5. Oktober desselben Jahres starb August III, am 25. Oktober Brühl. Eine voll-
ständige Neuordnung der Staatsverwaltung wurde unter der leider nur nach Monaten
zählenden Regierung Friedrich Christians und der Regentschaft des Prinzen Xaver
durchgeführt. An die Stelle der Kabinettsjustiz trat wieder eine geregelte, unpartei-
ische Rechtspflege. Für Canaletto hatte das die unangenehme Folge, daß sich
nunmehr seine Gläubiger, die den verarmten und beschäftigungslosen Künstler
während des Krieges in Ruhe gelassen hatten, energisch rührten. „Er befindet
sich“, schreibt Hagedorn?), „in solcher Bedrängung seiner Gläubiger, daß er bey-
nahe die Tramontane verliert“, und Canaletto klagt selbst in einer Eingabe an den
Prinzen Xaver vom Mai 1764, „er sey in seinen Privatumständen nach und nach
dergestalt derangiert worden, daß er ein Kapital von 2000 Talern an verschiedene
hiesige Privatos schuldig werden müssen, die mich gerade anietzo um ihre Bezah-
lung interpellirt und ich befürchten muß, wider meinen Willen in rechtlichen An-
spruch genommen und turbirt zu werden“ ). Auch für die Schulden seines Sohnes
Lorenzo wurde er in Anspruch genommen‘), „da dieser als Beygehülffe seinem
Vater in der Hoff-Mahlerey assistiert und letzterer die Schuld in subsidium vor sel-
bigen ipso jure zu leisten schuldig“. Es handelte sich nämlich um ein Alimenten-
urteil.
Auch auf dem Gebiet der Kunstpflege schlug die neue Regierung neue Bahnen
ein. Man legte keinen Wert mehr auf hochbesoldete Hofmaler, sondern ließ sich
„die Beförderung der schönen Künste angelegen sein, damit durch selbige nicht nur
unmittelbar ein wesentlicher Vorteil verschafft, mehr Geld zur Zirkulation gebracht,
Fremde herbeigezogen und das Ansehen des Staates vermehret, sondern auch ferner
die Produkte derer inländischen Fabriken und Manufakturen durch Verbesserung
des Geschmacks angenehmer gemacht und ein größerer Debit derselben zuwege
(1) loc. 3270. An die Cabin. Ministere von verschiedenen Pers.... vol. XXI, N. тт.
(2) loc. 894. Die Kunstakademie betr. vol. I, fol. 245 ff.
(3) loc. 380. Klagsache des Bernardo Belotto.
(4) loc. 11236. Geneal. Canaletto.
478
gebracht werde“). In Ausführung dieses Planes wurde die Umwandlung der bis-
herigen Zeichenschule in Dresden in eine allgemeine Kunstakademie beschlossen.
Ihre Errichtung sowie überhaupt die Aufsicht über alle Kunstanstalten, Sammlungen
usw. wurde Hagedorn, als einem Manne übertragen, „der die erforderliche Kenntniß
und Einsicht, nicht minder dann eine gänzliche Ohnpartheylichkeit und Ohneigen-
nützigkeit besitze und wegen seiner Einsicht und Redlichkeit bestens bekannt sey“.
Mit großer Sorgfalt prüfte Hagedorn besonders die Frage der Anstellung geeigneter
Lehrkräfte. Daß er dazu Canaletto nicht zählte, kann nach seinen Anschauungen,
die ich in der Einleitung erwähnt habe, nicht wunder nehmen. „Er scheint mit
vielen Mahlereyen und Vorstellungen derer Prospecte, die in der Galerie überflüssig
sind, jedoch füglich die Landschlösser zieren können, der Absicht seines Hierseyns
ein völliges Genüge geleistet zu haben“). Trotzdem schlägt aber der gutmütige
Hagedorn vor, ihn als Mitglied der Akademie mit einer Jahrespension von 600
Talern, aber nur auf drei Jahre, anzustellen. Die Mitglieder bildeten nach dem
Statut der Akademie eine besondere Klasse von Lehrern, die im wesentlichen die
gleichen Obliegenheiten hatten, wie die Professoren, ihnen aber an Rang und Ge-
halt nachstanden. Nur die äußerste Not kann Canaletto bewogen haben, diese Stelle,
die ihm wenig mehr als ein Drittel seines früheren Gehalts einbrachte, und ihn
seinen bisherigen Kollegen, wie Dietrich, Hutin, Camerata, Zuchi und Canale unter-
ordnete. Hagedorn hat selbst nicht geglaubt, daß Canaletto annehmen würde“).
„Gegen aller Vermuthen begnügte er sich einige Jahre mit 600 Taler jährlichen
Gehalt; der Akademie machte er Ehre und das Gemälde, welches er wegen Auf-
nahme bei derselben hinterlassen (eine Ansicht von Dresden, Dresdner Galerie
Nr. 637) sticht, um nur wenig zu sagen, unter allen hervor“. Canaletto fügte sich
also mit Würde in sein Schicksal und erfüllte gewissenhaft seine Obliegenheiten
als Lehrer unter Beihilfe seines Sohnes. „Dieser läßt sich wohl an und überträgt
dem der deutschen Sprache unbesorgt unkundigen Vater gegenwärtig in dem Unter-
richt der Scholaren und verdient künftig etwan als Unterlehrer oder sonstwan bey-
behalten zu werden“. .
Kiinstlerisch scheint die Periode des Siebenjährigen Kriegs für Canaletto nicht
ergiebig gewesen zu sein. Außer dem Rezeptionsbild sind nur noch die beiden
Ruinenbilder der Kreuzkirche und der Pirnaischen Vorstadt, sowie zwei Ansichten
von Königstein bekannt. Die äußeren Verhältnisse waren zu ungünstig. „Bey allen
Gelegenheiten“, schreibt Hagedorn, „führt er seine langsame Kunst und seine zahl-
reiche Familie an“*).
е IV.
Es ist erklärlich, daß Canaletto bestrebt war, aus diesen mißlichen Verhältnissen
herauszukommen. Die beste Möglichkeit dazu bot eine Anstellung an einem fremden
Hofe. Da lag ihm das ferne Rußland am nächsten. Dort regierte Katharina II., eine
Fürstin, die die Künste liebte und westeuropäische Künstler, Gewerbtreibende, Hand-
werker mit offenen Armen aufnahm. 1762 hatte sie ein Manifest verbreiten lassen, wo-
durch Ausländer unter den günstigsten Bedingungen aufgefordert wurden, sich in
ihren Staaten niederzulassen: Steuerfreiheit, halbjährige freie Wohnung, freie Reise
(т) Dekret vom 24. Dez. 1763, abgedruckt in М. Wießner, Die Akademie der bildenden Künste in
Dresden. Dresden 1864, S. 27 ff.
(2) Wießner a. a. O. S. 30.
(3) loc. 894. Akta, die neuerrichtete Kunstakademie betr., vol. Ш, fol. 126 ff.
(4) 1. с. vol. Il, fol. 27.
479
von der Grenze an, ungehinderte Religionsiibung, hohe Gehälter wurden denjenigen
zugesichert, die dem Rufe folgten. Eine besondere Kanzlei der Beschützung der
Ausländer wurde 1763 errichtet, mit reichen Fonds ausgestattet, niemand als der
Kaiserin selbst verantwortlich. Eine ganze Reihe von Künstlern waren daraufhin
nach Rußland gegangen, und auch Canaletto entschloß sich Ende 1766 am Russi-
schen Hofe sein Glück zu versuchen. Am 20. Dezember 1766 berichtet Hagedorn‘):
„Es hat Canaletto sich gestern Abends um beschleunigte Erbittung Urlaubs nach
Rußland zu reisen bey mir angemeldet, mit dem Beyfügen, er wolle Frau und
Töchter hier lassen und nur seinen Sohn nebst dem Scholaren Klopsch mit sich
nehmen.“ Der Urlaub wurde unter Beibehaltung der Pension auf neun Monate be-
willigt. Er wurde zur endgültigen Verabschiedung, Canaletto ist nie wieder nach
Dresden zurückgekehrt. Er ist aber auch nicht nach Petersburg gekommen, auf
halbem Wege hat er Halt gemacht, „am Warschauer Hof hat er freyes Unter-
kommen und Beschäftigung gefunden“.
König von Polen war damals Stanislaus August Poniatowski, ein schwacher
Regent, vollständig abhängig von Rußland, aber ein sehr gebildeter Mensch mit
vielem Sinn und Verständnis für die Kunst. Er hatte eine große Gemäldegalerie
zusammengebracht, die nach seiner Entthronung zerstreut wurde. An seinem Hofe
lebte ein großer Kreis von Künstlern, unter denen die erste Rolle der Römer
Marcello Bacciarelli spielte, früher in Dresden und Wien tätig und mit Cana-
letto gut bekannt. Er hat sich um die Kunst Polens sehr verdient gemacht und
war bis in den Anfang des XIX. Jahrh. der gefeiertste Portrátist. Von Stanislaus
August mit Ehren überhäuft, hatte er in allen künstlerischen Angelegenheiten maß-
gebenden Einfluß. Dieser stellte seinen Freund Canaletto bei dessen Durchreise
dem König vor, der ihn sehr gnädig empfing und aufforderte, ganz in Warschau zu
bleiben. Canaletto entschloß sich dazu und erhielt zunächst den Auftrag, das Schloß
Ujasdon auszumalen und zwar in Fresko. Es ist das, soviel ich weiß, die erste und
einzige Arbeit in dieser Technik, die Canaletto ausgeführt hat und die ihm bei seiner
breiten flächigen Art zu malen, gut gelegen haben wird. Die neun Monate Urlaub
genügten nicht für diese umfangreiche Aufgabe. Canaletto selbst und der Sächsische
Resident v. Essen bitten um Verlängerung. Canaletto wendet sich in einem Briefe
vom 29. August 1767 an Hagedorn: „Avicinandosi il termine della permissione che
per Gratia da miei clementissimi Padroni, m'é stato accordato, е vedendo d’impossi-
bilita di poter terminare nel tempo prescrittomi li lavori che da me ricercha Sua
Maestà il Ré di Polonia, li quali non posso trasferire a Dresda, consistendo in
Pittura al fresco, sopra la muraglia, supplico dunque V. S. Ime d'un buon officio
verso li miei Padroni affine che mi prolungino il termine“ usw.?). Darauf wird der
Urlaub bis Ende 1767 verlängert, „mais apres la fin de cette année Canaletto n'étant plus
engagé au service de la Cour de Saxe il dépendra uniquement alors de la bonne
volonté de S. M. Polonaise de l’employer selon que bon lui semblera“ ). Da Cana-
letto auch diesen Termin verstreichen läßt, wird von da an sein sächsisches
Dienstverhältnis als erloschen betrachtet. Er läßt seine Familie nachkommen und
wird Königlich Polnischer Hofmaler.
Die Bedingungen, unter denen er angestellt wurde, waren weit glänzender als
die früheren Dresdner. Er erhielt eine Pension von тоо ungarischen Dukaten mo-
(x) loc. 894. Die neuerrichtete Kunstakademie betr., vol.I, fol. 339.
(2) loc. 895. Briefe von Mitgliedern der Akademie, 1764—1777, fol. 76.
(3) loc. 3562. Relations du charge d'affaires Essen, vol.IVb, fol. 312. Beschluß des departement domes-
tique du Cabinet vom 16. Sept. 1767.
480
natlich, соп abitazione commoda, legni ed altri vantaggi. Auch hier entwickelte ег
seinen gewohnten Fleiß und schuf für den. Fürsten eine große Anzahl Ansichten
von Warschau, Krakau und königlichen Schlössern. Die seconde antichambre des
apartements de S. M. la Reine pres la petite chapelle war mit 22 Gemälden
Canalettos ausgeschmückt. Unter ihnen befand sich auch das große Bild der Wahl
von Stanislaus in Vola, auf dem sich Canaletto selbst mit dem Architekten Merlini
abgebildet hat, der zusammen mit dem Dresdner Kammsetzer, einem Schüler von
Krubsacius, die oben erwähnten Räume gestaltet hatte. Canaletto hat diese Wahl,
wie ich im gemäldegeschichtlichen Interesse einschalten möchte, wiederholt gemalt.
Als der Berliner Astronom Johann Bernoulli 1778 Warschau besuchte, war er ge-
rade mit diesen Bildern beschäftigt. Ich gebe Bernoullis Erzählung wörtlich: „Den
12. Oktober. Diesen Morgen führte mich der königliche Hofmaler, Herr Bacciarelli,
auf das königliche Schloß, um mir die Gemälde dort zu zeigen.... In einem dem
Marmorsaal benachbarten Saale ist ein schönes großes Gemälde mit vielen Figuren,
welches die Wahl des Königs auf dem großen Wahlfelde bey Wola darstellt und
welches mit der Zeit wegen des Kostums und der Ähnlichkeit der vornehmsten
Personen ein merkwürdiges Denkmal unserer Tage seyn wird; es ist von Canaletto
gemalt.... Weiterhin ist ein schöner Saal mit vielen großen italiänischen Gemälden;
in eben diesem Saale arbeitete der geschickte Hofmaler Canaletto an 2 andern sehr
großen sich auf die Wahl des Königs beziehenden Gemälden. Es waren auch hier
viele schon fertige Aussichten von diesem geschickten Prospectmaler. Ingleichen
schöne Handzeichnungen und Kupferstiche.... Im Zurückgehen kamen wir durch
ein noch mit schönen Aussichten von Canaletto behangenes Zimmer.“ Das eine
dieser drei Wahlbilder ist das jetzt im Kaiser-Friedrich-Museum in Posen befindliche.
Es war 1776 gemalt und vom König dem Krongroßmarschall Grafen Leinski ge-
schenkt worden, aus dessen Nachlaß es der Graf Karzinski 1831 erstanden hatte.
Ein zweites, im Warschauer Schloß verbliebenes, ließ Napoleon zusammen mit
einer Ansicht des Bernhardinerplatzes, auf dem er die Parade seiner Truppen ab-
genommen hatte, nach Paris schaffen. Wo dieses und das dritte Bild sich jetzt
befinden, ist mir unbekannt. Vielleicht ist eins von diesen die Darstellung der
Krönung des polnischen Königs auf dem Feld von Vola, die der Reisende J. G. Kohl
in den dreißiger Jahren des XIX. Jahrhunderts im Alexanderpalast des Kreml in
Moskau gesehen hat!).
Ein von Ciampi mitgeteiltes Verzeichnis der von Canaletto für Stanislaus August
gemalten Bilder weist nicht weniger als 58 auf. Es sind aber nicht lediglich Pro-
spekte, sondern auch Historien- und Genrebilder, ja sogar ein biblisches Sujet,
Jesus, die Händler aus dem Tempel weisend, findet sich darunter. Unter andern
führt Ciampi auch einige Bilder an, auf denen sich Canaletto selbst abgebildet hat.
Ich teile hier ihre Beschreibung wörtlich mit. Vielleicht läßt sich dadurch das eine
oder andre und damit ein Porträt des Meisters feststellen: N. 13. Veduta da Varsovia
presa da Praga; il pittore vi si e dipinto con suo figlio. Altezza 65, larg. 98 pollici.
N. 36. architettura di Fontana, ove l'artista si e dipinto con l’abito di Nobile Vene-
ziano 57, 42; N. 43. Veduta da rovine. Si vede un uomo chi le disegna, si vedono
ancora un vechio e due donne 31, 40.2) Hieraus ergibt sich zur Genüge, daß Cana-
(1) loc. 18238. Cap. Vlla N. 16; Johann Bernoullis Reisen durch Brandenburg usw. in den Jahren
1777, 1778. Leipzig 1780, Band VI, S. 258ff.; v. Donop, Verzeichnis der Gräfl. Karzinskischen Samm-
lungen, S. 5; J. G. Kohl, Reisen ins Innere von Rußland und Polen. Dresden und Leipzig 1841.
(2) Bibliographia Critica delle antiche corrispondenze — dell’Italia colla Russia, colla Polonia ed altre
parti settentrionali. Da Sebastiano Ciampi, Firenze 1834. 3 Bde. Bd. II S. 236ff. Auf diesem Buche
beruhen in der Hauptsache die Angaben über Canalettos Warschauer Zeit.
481
letto imstande gewesen ist, auch Figuren zu malen. Die Angabe Hiibners, er habe
sich die Staffage teilweise von Torelli malen lassen, ist mir immer unwahrschein-
lich gewesen; sie wird wohl ebenso problematisch sein wie die angebliche Mit-
arbeiterschaft Tiepolos auf den Gemälden Antonio Canales. Beide Canaletto waren
vortreffliche Figurenmaler, bei denen zudem Staffage und Architektur so vonein-
ander abhängig, aufeinander berechnet ist, daß es ausgeschlossen erscheint, daß die
Figuren erst nachträglich von fremder Hand hineingemalt worden seien.
Canaletto ist im Go Jahre an einem Schlaganfall gestorben, im Oktober 1780.
Der König bewilligte seiner Witwe 50 Zechinen Monatspension. Er hinterließ drei
Töchter, von denen zwei nacheinander den „Geographen Perthées“ heirateten,
Lorenzo scheint schon vor dem Vater gestorben zu sein. Nach einer Bemerkung des
Dresdner Hofbuchhändlers Walther hat er „seinem Vater, aber in einer kleineren
Manier nachgeahmt. Der ehemalige Herzog von Zweybrücken besitzt 12 Stück von
ihm. Er hat sich in Polen, Böhmen, Österreich usw. aufgehalten!) “.
V.
Das erste Verzeichnis der Radierungen Canalettos gibt Karl Heinrich von Hei-
neken in seinem 1778—1790 erschienenen Dictionnaire des Artistes, Bd. П, S. 434.
Heineken (geboren 1706 in Lübeck, gestorben 1791 auf seinem Rittergut Altdöbern)
war Privatsekretär Brühls, zugleich aber auch Geheimer Kammerrat und seit 1746
vom König „unter Brühls fortwährender Oberaufsicht mit der Aufsicht über sämt-
liche Cabinette insbesondere auch der Einrichtung des Cabinets der Kupferstiche
und Handzeichnungen beauftragt“. Diesem widmete er seine Haupttätigkeit; seine
Wohnung war durch eine Tür mit dem Kabinett verbunden, damit er jede freie
Stunde zur Arbeit bei den Kupferstichen verwenden konnte. Er unterhielt einen
sehr umfangreichen Briefwechsel, um des Königs, Brühls und seine eigene Samm-
lung zu fördern und erwarb sich große, aber ziemlich kritiklose Kenntnisse. Wäh-
rend seiner Verwaltung stieg die Königliche Sammlung von einigen 60000 Blatt
auf über 130000; die Brühlsche, in die auf ausdrücklichen Befehl des Königs „alle
und jede vorhandenen Kupferstichdoubletten abzugeben waren“, betrug nach dem
Krieg, in dem sie viel Schaden erlitten, noch ungefähr 30 ооо Stück, und Heinekens
eigene Sammlung war, namentlich in Künstlerporträts, eine der größten Privatsamm-
lungen der Zeit. Während dieser Tätigkeit hat er auch die Materialien zu seinem
Dictionnaire zusammengebracht, von dem aber nur vier Bände gedruckt worden
sind. 22 Folianten werden noch im Manuskript im Dresdner Kupferstichkabinett
aufbewahrt.
Heinekens Verzeichnis enthält bereits sämtliche uns bekannten Blätter bis auf
den Altmarkt mit der Schloßstraße (М 18), den er offenbar versehentlich wegge-
lassen hat. Außer ihnen führt er noch zwei Folgen von italienischen Land-
schaften mit Architektur und Ruinen zu je sechs Blatt an, die wir nicht kennen
und die wahrscheinlich Werke des älteren Canaletto sind. Eine Beschreibung der
Blätter gibt Heineken nicht. Ebensowenig Huber und Rost in ihrem Handbuch,
die sich darauf beschränken, in veränderter Reihenfolge das Heinekensche Ver-
zeichnis abzudrucken. Erst Rudolph Meyers Monographie bringt einen sehr aus-
führlichen catalogue raisonne mit Zustandsverschiedenheiten und historischer Er-
klärung des Gegenständlichen. Nach diesem mit großem Fleiß gearbeiteten und auf
emsiger Nachforschung beruhenden Verzeichnis werden in Wissenschaft und Handel
(1) G. F. Walther) Beschreibung einer kleinen Kunst- und Gemäldesammlung, Dresden 1812.
482
auch heute noch die Canalettoschen Blätter bestimmt. Julius Meyer begnügt sich
damit, dieses Verzeichnis im Auszug seiner Biographie beizugeben, und auch Vesme
hilt an Meyers Numerierung und Bestimmung mit geringen Abweichungen und
Ergänzungen fest.
Auch ich werde aus praktischen Griinden die Meyersche Einteilung beibehalten.
Seinen Zustandsbestimmungen kann ich mich aber, namentlich bei den Dresdner
Blättern, nicht anschließen. Von diesen werde ich am Schluß ein besonderes Ver-
zeichnis beifügen. |
Canalettos Radierungen lassen sich in drei Gruppen einteilen, von denen die
Sächsische die bei weitem bedeutendste ist. Die erste bilden die italienischen Ra-
dierungen, Jugendwerke, vor 1745 entstanden, von geringer Größe, in reiner, nicht
sehr ausführlicher Strichtechnik. Es sind kleine Landschaften, mit Ruinen, Kirchen
und nebensächlicher Staffage, teils frei erfunden, teils nach gegebenen Örtlichkeiten.
Sie sind nicht nach Gemälden gearbeitet und haben große Ähnlichkeit mit den
Blättern seines Lehrers Canale (з. Abb.). Von der zweiten, sächsischen, Gruppe werde
ich noch besonders sprechen. Als letzte Gruppe kann man die drei Warschauer An-
sichten zusammenfassen. Sie sind Canalettos Alterswerke, in den 70er Jahren ent-
standen, technisch und zeichnerisch mit den reifen Dresdner Werken nicht zu ver-
gleichen. Diese gequälten, schwer gearbeiteten und tberausführlich behandelten
Blätter mit Kreuzschraffierung und ausfüllender Kaltnadelarbeit erscheinen wie von
der Hand eines ganz anderen Künstlers. Nur die Unterschrift beweist Canalettos
Urheberschaft. Ich bin aber trotzdem der Meinung, daß in der Hauptsache Schiiler-
hände daran gearbeitet haben. Sie sind außerordentlich selten. Das beruht viel-
leicht darauf, daß sie Canaletto selbst nicht genügten und er deshalb die Platten
vernichtete oder nur wenig Abdrucke machen ließ (s. Abb.).
Der Voliständigkeit halber muß ich noch zwei einzelne Blätter erwähnen, bevor
ich mich zur Besprechung der Sächsischen Gruppe wende. Sie lassen sich keiner
dieser Gruppen einreihen. Das eine ist die Kopie einer van der Heydenschen
Landschaft aus der Brühlschen Galerie. Sie sollte in den zweiten Band des
Brühlschen Galeriewerks aufgenommen werden. Es ist aber nur der erste Band
im Jahre 1754 erschienen. Die Entstehung dieses prächtigen nur in 200 Exemplaren
gedruckten Katalogs ist nicht oninteressant, Heineken hatte damals das große
Dresdner Galeriewerk unternommen, das nach außen auf seinen Namen ging, für
dessen Risiko aber der König einstand. Wegen der Zeichnungen und Stiche hatte
er eine große Zahl auswärtiger Künstler, z. B. Bacciarelli, nach Dresden berufen.
Diese mußten nun ihre Kunst zunächst an den Werken der Galerie des Grafen
Brühl ausweisen, der auf diese Weise ohne Kosten ein prächtiges Galeriewerk er-
hielt, das höchste Ziel eines jeden größeren Sammlers jener Zeit. Heineken sagt
selbst: „Cet ouvrage servit pour ainsi dire, de pierre de touche а l’Editeur de la
Galerie Royale de Dresde, pour éprouver les talents de quelques graveurs, avant
que de les employer à cette grande entreprise!).“
Diese Radierung steht in der Technik den Dresdner Radierungen nahe, wirkt
aber bei weitem nicht so lebhaft und unmittelbar. Kopieren war nicht Canalettos
Sache. Weshalb Meyer sie als unvollendet bezeichnet, vermag ich nicht einzu-
sehen. Das zweite Blatt gehórt der Wiener Episode an. Es ist eine Darstellung
aus der Ballett-Pantomime: le turc généreux, exécuté á Vienne sur le théátre pres
-de la Cour le 26 avril 1758. Es ist im Jahre 1759 entstanden und dem Grafen
(1) (Heineken) Idée générale d'une collection complete d'Estampes Leipzig und Wien 1771, 8. 85.
483
Durazzo ,conseiller intime actuel et Surintendant général des Plaisirs et Spectacles“
gewidmet. Ein ziemlich großes Blatt (46:61) von prächtiger Wirkung, ein weiterer
Beweis, daß Canaletto auch das Figürliche voll beherrschte. Den Vordergrund
bildet das Orchester mit zahlreichen Musikern, rechts und links Logen mit reicher
Figurenstaffage. Im Mittelgrunde sieht man die Darsteller auf der Bühne vor einem
Laubengang mit Aussicht aufs Meer (s. Abb.).
VI.
Die Sächsischen Radierungen, zu denen ich mich jetzt ausschließlich wende,
stehen in engem Zusammenhang mit Canalettos Tätigkeit als Maler. Sie geben
dieselben Ansichten wie die Gemälde, die er für den König, für Brühl geschaffen,
und sind gleichzeitig mit ihnen entstanden. Alle die Dresdner Straßen, Plätze und
Kirchen, die Pirnaer und Königsteiner Prospekte kehren in den Radierungen wieder.
Sie sind aber nicht bloße Reproduktionen, dazu bestimmt, die Gemälde dem großen
Publikum bekannt zu machen. Sie sind vielmehr neue selbständige Kunstwerke,
feiere Übersetzungen der Gemälde in Schwarz-Weiß, unter verständnisvoller Ver-
wendung der anderen Ausdrucksmittel, die die andere Technik bot. In allen Einzel-
heiten der lebendig und reich wirkenden Blätter erkennt man die kluge Berechnung
und das künstlerische Verständnis des Meisters, der ohne Vermittlung von Zeich-
nungen nach seinen Gemälden mit derselben Frische wie nach der Natur arbeitete.
Mit Bedacht vor allem ist auch das außerordentlich große Format der Blätter ge-
wählt, die durchschnittlich 80 cm breit und 50 cm hoch sind. Er brauchte Platz
für seine großen geräumigen Architekturbilder, bei denen die Einzelheiten weder ver-
schwinden noch kleinlich wirken durften, und die Staffage groß genug sein mußte,
um ihre fein berechnete Wirkung ausüben zu können. In einem kleineren Maßstab
verlieren sie einen guten Teil ihrer Wirkung. Man vergleiche z. B. die Radierung
Antonio Canales S. Justina in Pra della Vale (M 8), die etwa 30 cm hoch und 43 cm
breit ist und die Carassischen Kopien nach unserm Canaletto, die etwa 37 cm hoch
und 52 cm breit sind. So meisterhaft im übrigen die Canalesche Radierung ist, so
empfindet man doch sofort die Staffage als zu klein, und die langweilige Wirkung
der Architektur auf Carassis Blättern ist nicht nur dem mangelhaften Können Caras-
sis zuzuschreiben. Das große Format verlangte auch eine besondere Behandlung, vor
allem eine einfache und einheitliche Technik, die die Aufmerksamkeit von Einzelheiten
ablenkt. Das ist Canaletto vollständig klar gewesen und er hielt sich durchgängig
an die einfache Strichradierung, die sich auf allen Teilen der Platte gleich blieb. Der-
selbe schöne, verstandene Strich findet sich im Vordergrunde, in der Architektur, in
den Luftpartien. Nicht mehr als zwei oder drei Nadeln scheint er verwendet zu haben,
um die verschiedene Stärke der Striche zu erreichen. Stets die Gesamtwirkung
der Blätter im Auge vermeidet er allzustarke Kontraste zwischen Licht und Schatten,
ohne dabei die kräftige Lichtwirkung zu verlieren. Es ist erstaunlich, wie er mit 80
einfachen Mitteln helle sonnige Beleuchtung, tiefe, aber durchsichtige Schatten er-
zielt. Was Adrien Moureau vom älteren Canaletto sagt, gilt auch vom jüngeren:
„Il a su ménager son fond pour les parties éclairées, mais il le laisse transparaitre
jusque dans les ombres, obtenant ainsi une gamme de gris argentés dont le cha-
toiement enchante Гоей (S. 78).
Eigenartig ist, um einige Einzelheiten hervorzuheben, die Behandlung des Himmels.
Der wolkenlose Himmel wird nicht weiß gelassen, sondern einfach horizontal
schraffiert, wie dies schon Canale tat, bald enger, bald weiter, je nachdem er
484
heller oder dunkler wirken sollte. Nicht mit dem Lineal gezogen, sondern mit
freier etwas nervöser Hand, mit Absätzen und Ansätzen der Linien untereinander,
wirken sie eigentümlich zittrig, luftähnlich, interessant. Nie findet man aber einen
völlig freien Himmel wie bisweilen auf den Gemälden. Canaletto vermeidet diese
auf Radierungen langweilig wirkenden gleichmäßigen Flächen, indem er sie mit
zahlreichen ‘Wolken bevölkert. Man hat diese oft als sonderbar und unnatürlich
getadelt. In der Tat kann man z. B. bei den Höhenblättern der Kreuz- und Frauen-
kirche (s. Abb.) zweifelhaft sein, ob man Wolken oder Schneegebirge vor sich hat,
und die dunkeln Wolken wirken namentlich auf späteren Werken manchmal
wie herabhängende Tücher. Das sind aber doch nur Ausnahmen gegenüber den
vielen anderen Blättern, die einen durchaus glaubhaften Wolkenaufbau zeigen und
zart und naturwahr wirken. Glänzend ist die Perspektive, fast noch zwingender als
bei den Gemälden, bei denen bisweilen der Mangel der Luftperspektive störend
wirkt. Es liegt ein eigentümlicher Reiz in dem Zwang, mit dem man ihre Rich-
tigkeit verfolgen und anerkennen muß. Erhöht wird ihre Wirkung durch die Per-
sonenstaffage, die hier noch mehr als bei den Gemälden hervortritt und durch ihre
Größenabmessungen und sichere Zeichnung bewußt zur Verstärkung der perspek-
tivischen Wirkung angebracht ist. Ihre Zeichnung ist einfach und charakteristisch.
In rein radiertechnischer Hinsicht ist hervorzuheben, daß Canaletto Kreuzschraf-
fierung gänzlich vermeidet, überhaupt viele Strichlagen nicht liebt und meist mit
zwei auskommt. Vom Abdecken hat er nur sehr mäßigen Gebrauch gemacht, ob-
wohl dies manchmal namentlich in den Fernen vielleicht nicht unangebracht ge-
wesen wäre. Die Kaltnadel ist so gut wie gar nicht verwendet. Nur bei Nach-
arbeiten, die aber sehr selten sind, entdeckt man bisweilen einige feine Striche mit
der kalten Nadel. Überhaupt hat man den Eindruck, als ob Canaletto seine Platten
in einem Zuge fertiggestellt hat, ohne nachträgliche Änderungen. Mit spielender
leichter Nadel — ich muß diese abgegriffenen Ausdrücke hier gebrauchen, weil sie
Canalettos Arbeit wirklich bezeichnen — hat er das Bild auf die Platte gebracht,
und mit staunenswerter Sicherheit, mit der Gewissenhaftigkeit, mit der der echte
Künster auch das Handwerkliche seiner Kunst betreibt, hat er den Ätzprozeß vor-
genommen. Stets hat das Wasser so gewirkt, wie es sollte, und nur äußerst
selten findet sich in den dunkelsten Vordergrundpartien einmal ein kleines Nest
oder ein „Placker“, wie man es damals nannte und die Meyer gewöhnlich als
Rostfleckstellen bezeichnet. Mit prachtvoller Klarheit kommen die Striche auch bei
engster Lage. Ich vermute, daß Canaletto durch wiederholtes Übergießen der
schräggestellten Platte mit einem kräftigen Ätzwasser geätzt hat, wie es damals
sehr verbreitet war. Man hatte auf diese Weise eine vorzügliche Kontrolle des
Ätzprozesses und war auch in der Lage, bestimmte Teile der Platte stärker oder
schwächer zu ätzen. Das Atzwasser wird wohl das gewöhnliche Scheidewasser
gewesen sein, „von Vitriol, Salpeter und manchmal auch Alaun, nach der Kunst
zusammen destilliert, welches die Schmelzer brauchen, das Gold vom Silber und
Kupfer zu scheiden!).“
Die frühesten dieser Sächsischen Radierungen sind die 12 Breitansichten von
Dresden und die beiden Höhenblätter der Kreuz- und Frauenkirche, die in den
(1) Über die Ätztechnik um die Mitte des XVII. Jahrhunderts kann man sich aus folgendem Buch
sehr gut orientieren: Die Kunst in Kupfer zu stechen sowohl vermittels des Ätzwassers als mit dem
Grabstichel usw. Ehemals durch Abr. Bosse etwas davon herausgegeben, jetzo aber aufs neue durch-
gesehen. Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, Dresden 1765. Der Verfasser ist Carl Gott-
lieb Nitzsche. Die Böcklersche Übersetzung von Bosse ist schlecht.
485
Jahren 1747—1757 entstanden sind. Es scheint, als ob die erstgenannten eine
Folge gebildet hätten, im Handel zusammengefaßt wurden. Wenigstens wird in
der Zeit vor 1760 gelegentlich „ein Exemplar von 12 Blatt“ erwähnt. Sie kommen
auch regelmäßig mit einem Bruch in der Mitte der Breitseite vor, der es wahr-
scheinlich macht, daß sie gewöhnlich in einen Hochfolioband gebunden wurden.
Über die Entstehungszeit der Pirnaer Blätter bin ich mir nicht klar. Eines von
ihnen, der Sonnenstein von Posta aus (M 29), ist zweifellos nach 1764 entstanden,
da es die Unterschrift: „Membre de Гасайётіе Electorale“ trägt. Von den übrigen
möchte ich annehmen, daß sie gleichzeitig mit den Gemälden, also in den Jahren
1753—1755 entstanden sind. Nur die Sonnensteinansicht mit Dresden im Hinter-
grund (M17) kann erst 1766 entstanden sein, da sie im Januar 1767 als neuerlich
erhalten erwähnt wird 1). Merkwürdigerweise trägt sie aber wie die übrigen die
Bezeichnung Peintre Royal und das Königliche Wappen. Die beiden Ruinenblätter
(М 32, 33) sind von 1765 und 1766 datiert. Daß die Königsteiner Ansichten nach
1764 entstanden sind, geht daraus hervor, daß sich Canaletto auf ihnen als Peintre
Electoral und Membre de l’Académie bezeichnet (s. Abb.).
Die Originalgemälde, die den Radierungen zugrunde gelegt sind, befinden sich
in der Dresdner Galerie. Nur die Ruinen der Pirnaischen Vorstadt, die sich im
Besitz des Prinzen Xaver befunden hatten, sind verschollen, und die beiden An-
sichten vom Königstein hatte Canaletto mit nach Warschau genommen, wo sie in
den Besitz des Königs Stanislaus übergingen. Eine von ihnen hängt jetzt im
Kaiser-Franz-Joseph-Museum zu Troppau.
VII.
Technisch und künstlerisch machen alle diese in Sachsen entstandenen Radie-
rungen Canalettos einen durchaus einheitlichen Eindruck. Dagegen unterscheiden
sie sich sehr in bezug auf die Häufigkeit ihres Vorkommens, die Anzahl der Platten-
und Abdrucksverschiedenheiten, Güte und Erhaltung der Abdrucke, kurz alle jene
von Bartsch sogenannten Nebeneigenschaften der Kupferstiche, die für ihre Bewer-
tung von so großer Bedeutung sind. R. Meyer führt fast alle diese Verschieden-
heiten gewissenhaft auf. Er hat sich aber nicht den Kopf darüber zerbrochen, wie
sie entstanden und von welcher Bedeutung sie für die Bestimmung der Qualität
der Exemplare sind. Er überläßt dies dem Leser, der auf die paar bekannten Haupt-
regeln angewiesen ist, mit denen man schon im allgemeinen, besonders aber bei
den Canalettoschen Blättern nicht weit kommt. Nur eine genaue Einzeluntersuchung
unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse ihrer Entstehung gewährleistet
sichere Ergebnisse.
Eine ständige Rubrik im R. Meyerschen Verzeichnis bildet „der neue Abdruck
der gereinigten Platte“. Uber die Entstehung dieser neuen Abdrucke berichtet er
folgendes (S. 31): Das Dresdner Kupferstichkabinett habe sämtliche Canalettoschen
Platten besessen, aber schlecht gehalten. Sie seien mit Grünspan überzogen ge-
wesen und schienen als altes Kupfer verkauft worden zu sein. Sie hätten sich aber
erhalten, da eine bekannte Berliner Kunsthandlung spätere Abdrucke mit Retuschen
verputzter Stellen verbreitet habe. An einer anderen Stelle (S. 71) spricht er da-
von, daß die Platten im Grünen Gewölbe aufbewahrt gewesen seien. Vesme
wiederholt dies mit dem Hinzufügen, daß der Verkauf an den Editeur de Berlin
gegen 1850 stattgefunden habe. Gegen diese Mitteilungen bin ich von Anfang an
(x) loc. 18216. Cap. VIII N. 1, fol. 26ff.
486
miBtrauisch gewesen, weil ich niemals einen solchen modernen Neudruck geschen
habe und weil es mir unwahrscheinlich erschien, daß das Kupferstichkabinett die
Platten veräußert haben sollte, ohne sie vorher undruckbar gemacht zu haben.
Auch war mir auffállig, daB Meyer seine Quelle nicht nannte. Das hatte aber
seinen guten Grund, denn Meyers Nachricht ist falsch.
Aus den alten Akten des Kupferstichkabinetts, die im Dresdner Hauptstaatsarchiv
aufbewahrt werden’), ergibt sich allerdings, daß es im Besitz von zahlreichen
Platten gewesen ist. So besaß es die Platten zum Heinekenschen Galeriewerk,
zum Leplatschen Katalog der Antiken (1733), zum Pöppelmannschen Zwingerwerk
und mehreren anderen ähnlichen Unternehmungen. Über diesen Plattenbestand
wurden von Zeit zu Zeit Inventare aufgenommen, die sie genau bezeichneten. Cana-
lettosche Platten haben sich niemals darunter befunden. Auch über den Verkauf
dieser Platten haben sich Protokolle erhalten. Sie sind 1818 und 1826 als altes
Kupfer, der Zentner zu 32 Taler, verkauft worden. Ausdrücklich wird aber dazu
bemerkt, daß der Verkauf „erst nach geschehener gehöriger Vernichtung“ erfolgte).
Im XIX. Jahrhundert hat das Kabinett, wie ich auf Erkundigung erfuhr, ebenfalls
niemals Canalettosche Platten besessen. Aus dem Kupferstichkabinett kann also
die bekannte Berliner Kunsthandlung die Canalettoschen Platten nicht erworben
haben. Sie kann sie aber, wenigstens was die vor 1760 entstandenen Platten an-
langt, auch von anderswoher nicht erworben haben. Denn sie sind sämtlich
im Jahre 1760 vernichtet worden. Ein Zufall hat mir die Kenntnis dieser
Tatsache vermittelt. In einem an sich hier nicht interessierenden Vortrag Hage-
dorns an den Prinzen Xaver vom 7. Mai 1764) fiel mein Auge zufällig auf
folgende Stelle: „Der Architektur- und Prospektmahler Canaletto ist gesonnen,
nachdem ihm seine Platten nach denen in dem Churfürstlichen Bildervorrath
befindlichen Prospekten im letzten Bombardement verbrannt, deren andere
zu stechen, wenn ihm die Gemählde dazu gnädigst erlaubt würden. Es scheint,
daß dieses unter gehöriger Vorsichtigkeit, wenn auf die unbeschädigte Zurückliefe-
rung jegliches bey dem Empfang bescheinigten Stückes gesehen wird, einem durch
Brand verunglückten Manne zu seinem bessern Fortkommen wohl zu gönnen sey“.
Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Platten damals untergegangen
sind, und die Frage nach Neudrucken der vor 1760 entstandenen Platten, das sind
alle Dresdner Ansichten mit Ausnahme der Ruinenblätter, ist damit endgültig er-
ledigt. Es kann keine geben, und wenn Meyer welche gesehen haben will, so hat
er sich getäuscht.
Auf der andern Seite erwuchs mir durch diese Entdeckung die Aufgabe, zu
untersuchen, ob Canaletto seine Absicht, neue Platten nach den alten Bildern zu
radieren, ausgeführt hat, ob die angeblichen Neudrucke nicht vielleicht von solchen
neuen Platten herrührten. Diese Aufgabe war nicht ganz einfach. Denn ich mußte
damit rechnen, daß Canaletto die neuen Platten den alten möglichst ähnlich ge-
macht haben würde, damit man sie nicht als Kopien erkennen könnte, die ja,
selbst wenn sie vom Meister selbst herrühren, stets als minderwertig angesehen
werden. Und bei seiner meisterhaften Beherrschung der Technik konnte ihm unter
Zuhilfenahme alter Abdrucke die Herstellung täuschender Ähnlichkeit nicht schwer
fallen.
(1) Vgl. у. Seidlitz im Neuen Archiv f. Sachs. Geschichte, Bd. 24 S. 335, wo eine Übersicht über die
im Hauptstaatsarchiv verwahrten Akten der Generaldirektion der Königl. Sammlungen gegeben wird.
(2) loc. 18216. Cap. УШ N. 1, N. 11.
(3) loc. 894. Die neuerrichtete Kunstakademie betr., vol. I, fol. 135.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 11 34 487
Ich ging also mit größter Aufmerksamkeit an eine Prüfung der sämtlichen Zu-
stände. Ich muß gestehen, daß ich bei einer ganzen Anzahl von Abdrucken lange
Zeit geglaubt habe, daß sie von einer solchen neuen Platte herrührten. Der viel-
fache, oft willkürlich und zwecklos erscheinende Unterschied in den Unterschriften,
den Jahreszahlen, die Überarbeitungen im Bilde selbst waren sehr geeignet den
einmal erwachten Argwohn zu bestärken. Immer wieder aber entdeckte ich doch
schließlich Übereinstimmungen der Abdrucke untereinander, kleine übereinstimmende
Ritzchen, Nester, Kratzer, die einen Zweifel daran ausschlossen, daß alle von der-
selben Platte stammten. Am längsten bin ich mir im unklaren geblieben bei der
Ansicht der Elbbriicke von Neustadt aus (М. 12, s. Abb.). Vor allem war hier die
vollständige Änderung der Schrift im höchsten Grad auffällig. Auf den Zuständen
I, II, III (nach Meyer) lautet sie:
Perspective du Pont de Dresde sur l'Elbe, tirée de la vue du Palais de SM dit
d'Hollande avec la part Laterale de 1 Eglise catolique et bâtiments contigus.
ce tableau fait par ordre de S Mle Roy de Pol et Elect de Saxe peintdessiné et gravé par Bern. Bel. dit Canal. 1748.
Auf den Zustinden IV, V dagegen:
Vue du Pont de Dresde sur l’Elbe avec la Part Laterale de l'Eglise Catolique
et bátiments contigus, tirée du Palais nommé d'Hollande.
Se trouvent chez l'auteur á Dresde et chez Pierre Fouquet а Amsterdam.
Peint et gravé par Bernard Belotto de Canaletto Peintre R! Le tableau est dans la Galerie Royale de Dresde.
Also dieselbe Beschreibung mit andern Worten. Vue statt Perspective, tirée du
Palais statt tirée de la vue du Palais, S M weggelassen, statt ce tableau fait par
ordre: le tableau se trouve dans la Galerie, statt peint, dessiné et gravé: peint et
gravé unter Weglassung der Jahreszahl. Neu hinzugekommen die Adresse von
Fouquet. Diese Änderungen sind alle so geringfügig, so unnötig, die Adresse hätte
auch unter Beibehaltung der alten Schrift leicht hinzugesetzt werden können, daß
es unerklärlich schien, weshalb man sich die Mühe gemacht haben sollte, die ganze
alte Schrift abzuschleifen und neu zu stechen. Zudem fehlten Spuren des Ab-
schleifens, auch das Bild selbst wies viele Abweichungen auf, die zum Teil Meyer
schon festgestellt hat, kurz, ich glaubte sicher, hier Abdrucke einer von Canaletto
neuangefertigten Platte vor mir zu haben. Bestärkt wurde ich noch durch den
viel härteren und langweiligeren Eindruck dieses Abdruckes. Und trotzdem ergab
schließlich die peinlichste Untersuchung und Messung, daß doch dieselbe, allerdings
stark überarbeitete Platte vorlag. Es fanden sich Schrammen, kleine Hilfslinien an
Stellen und in einer Form, die eine beabsichtigte Nachahmung ausschlossen. Es
war kein Zweifel mehr möglich, daß die Abdrucke IV, V von derselben Platte her-
rührten, wie I, II, III. Ich erkläre mir die Sache damit, daß diese Platte beim
Bombardement nicht völlig zerstört, sondern nur teilweise beschädigt worden war
und zwar an den Stellen, wo die Schrift stand und die Überarbeitungen sichtbar
sind. Diese Stellen wurden abgeschliffen und neu gestochen. Die Beschädigungen
im Bild selbst wurden überarbeitet. Die Abänderung (Modernisierung) der Schrift
ist vielleicht vom neuen Verleger veranlaßt worden. S M und die Jahreszahl
wurden als nicht mehr zutreffend weggelassen, der neue Standort des Bildes und
die Adresse hinzugefügt.
Im Grunde also ein befriedigendes Ergebnis: Canaletto ist nicht sein eigener
Kopist geworden. Er hat keine neuen Platten nach den alten Bildern hergestellt,
es vielmehr, wie wir sehen werden, vorgezogen, neue Radierungen nach neuen
Bildern zu schaffen.
488
УШ.
Die Kupferdruckerkunst hat in Deutschland nie in besonderer Bliite gestanden.
Auch im XVIII. Jahrhundert herrschte allgemeine Klage darüber. „Unsere deut-
schen Kupferstecher von erstem Range“, heißt es in Sulzers Allgemeiner Theorie
der Schönen Künste, „haben Ursache darüber verdrießlich zu sein, daß der Mangel
an guten Kupferdruckern ihnen einen Teil ihrer Kunst vernichtet oder doch be-
schwerlich macht.“ Noch Bause hatte viel Not mit den Kupferdruckern, unter deren
ungeschickten Händen, wie sein Biograph Keil schreibt, seine besten Platten oft
nur schlechte Abdrucke gaben. Öfter klagte er seinem Freund Wille, dem es auch
in Paris nicht viel besser ging, seine Not und schließlich ließ er sich eine Presse
bauen und unter seinen Augen drucken.
Auch in Dresden war es nicht gut mit der Kupferdruckerei bestellt. Zu Cana-
lettos Zeiten gab es nach Hagedorn nur einen leidlichen Kupferdrucker, „den kunst-
erfahrenen Johann Gabriel Protze, der diese Profession allein dermahlen hier be-
treibt“.!) Es war daher Hagedorns eifrigstes Bestreben, seiner neuen Akademie
einen guten Kupferdrucker zu verschaffen?): „Es würde in Ansehung der Kosten
als wegen des äußerlichen Rufs nachteilig sein, wenn Platten wie die Canalsche
nach Rotari, um die besten Abdrücke zu haben, erst nach Paris geschickt werden
müßten“. Im Jahre 1767 hat er endlich Erfolg: Es gelingt ihm, den Kupferdrucker
Pohland, einen geborenen Dresdner, der beim Kupferdrucker Riquet in Paris, in der
Rue St. Jacques in Arbeit stand, nach Dresden zu ziehen. Er wurde, nachdem er
vor den Professoren Canale, Boetius, Zucchi und Zingg Proben seiner Kunst abge-
legt hatte, mit 200 Talern Jahresgehalt und gegen freies Quartier bei der Akademie
angestellt; er hatte die Verpflichtung, nach Pariser Preis zu arbeiten, allen Akademie-
mitgliedern sechs Gratisabdrucke ihrer Platten zu liefern und einige Landeskinder
in seiner Kunst zu unterweisen. *)
Canaletto kam diese Besserung der Verhältnisse nicht zugute, da er ja schon
1766 Dresden verlassen hatte. Bei wem er seine Platten drucken ließ, hat sich
nicht feststellen lassen. Es ist kaum anzunehmen, daß er sie ins Ausland zum
Drucken versendet habe. Das wäre zu teuer geworden und hätte ihm eine
Kontrolle des Druckers unmöglich gemacht. Er wird daher wohl in Dresden, oder
vielleicht in Leipzig, doch einen Drucker ausfindig gemacht haben. Und zwar einen
guten Drucker, der seinen Beruf verstand. Denn die an sich schon wegen ihrer
Größe schwer zu druckenden Platten sind meist vorzüglich gedruckt, harmonisch,
gut abgestimmt, nicht zu mager, nicht zu fett; nur selten einmal findet sich ein un-
gleichmäßig gedrucktes Blatt. Nur scheint der Drucker kein allzugroßes Gewicht
auf Sauberkeit und Nettigkeit gelegt zu haben. Es kommen ziemlich viel Abdrucke
mit ungereinigtem Plattenrand, mit Kratzern, Quetschfalten und ähnlichem vor,
die offenbar auf unpflegliche Behandlung beim Drucker zurückzuführen sind. Auch
die doppelten, ja dreifachen Plattenrandeindrücke, die bei einer sehr großen Anzahl
von Blättern vorkommen, sind wohl auf Nachlässigkeit des Druckers zurückzuführen.
К. Meyer meint, daß sie dadurch entstanden seien, daß man bei der damals oft
üblichen Manipulation, die Druckpresse zugleich als Glättpresse für früher gedruckte
wellig aufgetrocknete Blätter benutzte, wodurch natürlich neue Eindrücke der nicht
immer gleichgroßen und gleichmäßig aufgelegten Platten entstanden. Es seien dies
(1) loc. 894. Acta, die neuerrichtete Kunstakademie betr., vol. 1, fol. 166.
(a) 1. c. vol. II, fol. 82.
(3) 1. c. fol. 86 ff.
489
daher keine besonderen Abdrucksgattungen, wohl aber immer als ältere Drucke da-
durch gekennzeichnet, da man spáter diese Art der Glittpresse nicht mehr anwen-
dete. Ich möchte sie lieber darauf zurückführen, daß der Drucker Unterlagetafeln
genommen hat, die nicht die gleiche Größe mit der Kupferdruckplatte hatten.
Deren Ränder mußten sich dann beim Durchziehen durch die Presse ebenfalls in
das feuchte Papier eindrücken. In der zeitgenössischen Literatur über Kupferstich
und -Druck finden sich keine Vorschriften oder Hinweise, die diese mehrfachen
Plattenrandeindrücke erklärten. Sie kommen übrigens auch bei Blättern vor, die noch
in der Mitte der 60er Jahre entstanden sind und lassen m. E. keinen Schluß auf
früheren oder späteren Abdruck zu. Neben sehr guten Drucken, die die Regel bilden,
findet man auch ganz schwache und flaue. Es sind das Abdrucke von Platten,
die viel gedruckt und dadurch abgenutzt wurden. Man rechnete damals auf nur
etwa 600 Abdrucke von gut radierten Platten, „von denen die besten unter den
ersten 100 oder 200 ausgesucht wurden. In den folgenden тоо fängt die Platte
nach und nach an schlechter zu werden“. Der Übelstand so kleiner Auflagen wurde
natürlich sehr unliebsam empfunden, und Sulzer, aus dessen Enzyklopädie ich diese
Angaben entnehme, rät, zu versuchen, ob nicht stählerne oder feine eiserne Platten
zu gebrauchen wären. Von galvanischer Verstählung der Platte und ihrer Verviel-
fältigung auf galvanoplastischem Wege ahnte er natürlich noch nichts.
Besondere Not aber hat Canaletto mit dem Schriftstecher gehabt, oder der Schrift-
stecher mit ihm, dem nicht nur der deutschen, sondern auch der französischen
Sprache unbesorgt unkundigen Meister. Die meisten Zustandsverschiedenheiten be-
ruhen auf Änderungen der in französischer Sprache gegebenen Unterschriften der
Blätter. Manchmal ist der Grund der vorgenommenen Änderungen nicht recht er-
sichtlich, manchmal ist es klar, daß sie Fehlerverbesserungen bedeuten; in letzte-
rem Falle sind sie wichtig für die Bestimmung der Priorität des Abdrucks: die
fehlerhafte Schrift bezeichnet den früheren Zustand. Ein gutes Beispiel hierfür ist
das Wilsdruffer Tor (М. 16). Auf diesem hatte Canaletto das Tor ursprünglich
Porte d’Italie genannt. Er hatte das „Wilsche Tor“, wie es damals kurz genannt
wurde, für Wälsches Tor genommen und auf seine Art übersetzt. Nach Entdeckung
des Irrtums ließ er d’Italie entfernen und die Wilsche Thor dafür setzen. Ähnlich
verhält es sich mit dem Neumarkt mit der Hauptwache (М. 15), wo „Merenstraße“
in Moritzstraße verbessert worden ist. Es gibt aber auch zahlreiche Änderungen
in der Schrift, namentlich den Jahreszahlen, die sich nicht ohne weiteres als Ver-
besserungen erklären lassen. Auf alle diese Einzelheiten komme ich im letzten
Abschnitt zu sprechen. Hier möchte ich nur noch einen Umstand erwähnen, der
bei mehreren Blättern vorkommt. Sämtliche Sächsischen Blatter Canalettos sind
mit dem von ihm selbst radierten, sehr schönen Sächsisch-Polnischen Wappen ge-
schmückt. Manchmal ist dieses auf die Platte selbst radiert, manchmal ist es von
einer besonderen kleinen Platte gedruckt. Solche kleine Platten hat Canaletto zweibe-
nutzt, von denen eine zwei Kanonen, die andere nur eine auf der linken Seite hat.
Von manchen Blättern finden sich Abdrucke mit Wappen von der Hauptplatte und
mit Wappen von besonderer Platte. Vermutlich hat Canaletto die Wirkung des
Wappens zur Schrift erst ausprobieren wollen und deshalb das Wappen zunächst
noch nicht auf die Hauptplatte radiert, sondern von der kleinen Platte abgedruckt.
Sehr wahrscheinlich erscheint mir das selbst nicht, doch habe ich keine andere Er-
klärung. Jedenfalls sind aber die Abdrucke, bei denen das Wappen von besonderer
Platte gedruckt ist, wie keiner näheren Darlegung bedarf, die früheren.
Alle diese vielfachen, zum Teil sonderbaren Verschiedenheiten in den Unter-
490
schriften kommen nur auf Dresdner Ansichten vor. Das ist kein Zufall, denn diese
Blätter sind diejenigen, die vor 1760, nämlich in den Jahren 1747 bis 1757 ent-
standen sind. Bei den iibrigen, nach dem siebenjáhrigen Krieg entstandenen, findet
man sie nicht mehr. Canaletto ist also durch sein MiBgeschick mit den Unter-
schriften gewitzigt worden und hat mehr Sorgfalt auf ihre Herstellung verwendet.
Oder, wenn die Schuld am Stecher gelegen hat, so hat er nach dem Kriege einen
besseren Stecher genommen.
Seine Blätter hat Canaletto ursprünglich offenbar selbst verlegt. Das taten da-
mals fast alle deutschen Kiinstlerradierer. Nur zwei spätere Blätter tragen eine
Adresse: die oben erwähnte Ansicht der Dresdner Elbbrücke (М. 12 IV, V) und der
Königstein gegen Abend (М. зо). Sie lautet: Pierre Fouquet А Amsterdam. Mir ist
über diesen Verleger nichts näheres bekannt. Ich habe ihn nur einmal erwähnt
gefunden und zwar in dem für die Kunstgeschichte des ХУШ. Jahrhunderts sehr
wertvollen Tagebuch Willes!) Dieser berichtet unter dem 3. April 1767: M. Fou-
quet Marchand d'Estampes et de tableaux, d’Amsterdam, m'a apporté plusieurs
dessins que Mr. Gall, fameux curieux de la meme ville m’envoye; mais ce n’est
pas grand chose, quoique par de bons maitres.
IX.
Nach Brühls Tode wurde sofort gegen Heineken eine kriminelle Untersuchung ein-
geleitet, da man annahm, daß er in alle Angelegenheiten seines Gönners eingeweiht
und verwickelt war. Eine genaue Darstellung dieses Prozesses hat A. Lehmann
im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte, Bd. 25 S. 264 ff. gegeben. Im Zusammen-
hang hiermit mußte er auch das Kupferstichkabinett abgeben und zwar an seinen
langjährigen Rivalen Hagedorn. Hierüber hat sich ein sehr interessantes Akten-
stück erhalten: Akta, die Kupferstich-Galerie und die Übergabe derselben von Hei-
neken betr. 1764 - 1766, loc. 18216, Kap. УШ N. 2. Es beginnt mit einer vom Kur-
fürsten Friedrich Christian am 24. Dezember 1763, also vier Tage vor seinem Tode,
gezeichneten Order, in der Hagedorn und dem Bergrat Eilenburger Verordnung ge-
schieht: „sich in die Galerie d’Estampes conjunctim zu verfügen, den Geheimen
Cammerrath v. Heineken dorthin erfordern zu lassen, und von ihm, welcher bei
seiner fürdauernden Haft, jedesmal in Begleitung des die Wache bei ihm habenden
offiziers erscheint, die vorhandenen Estampes nach denen Verzeichnissen zu über-
nehmen, demselben zwar bey dieser Gelegenheit den Durchgang durch die aus
seinem Hause in die Galerie gehende Thür zu gestatten, jedoch solche, wenn die
Expedition jedesmahl zu Ende, und der von Heineken sich wieder in sein Zimmer
verfüget, wohl zu obsigniren, von dem ganzen Erfolg und Befund seinerzeit Anzeige
zu thun, auch dabey den Hofmahler Dietrich zuzuziehen“. Diese Übergabe erfolgte
in der Zeit bis zum Juni 1764. Wertvoll ist dies Aktenstück vor allem durch die
ausführlichen Bestandsverzeichnisse, die es enthält. Dadurch ersehen wir auch,
was das Kabinett damals von Canaletto besaß. Zunächst finden wir unter den
Italienern „huit paysages de Venise de Canaletto sur une feuille“, einen Abdruck
dieser Radierungen auf einem Bogen, der jetzt noch vorhanden ist. Sodann finden
sich dieselben Landschaften noch einmal auf besonderen Bogen gedruckt und eine
Ansicht von Pirna. Von anderen Canalettoschen Blättern war nichts zu finden.
Eifriges Suchen ergab aber schließlich unter der Rubrik: Miscellanea „739 von den
(1) Mémoires et journal de J. G. Wille... par G. Duplessis avec une préface par Edmond et Jules
de Goncourt. Paris 1857, Band I, S. 348.
491
Dressdnischen Prospecten von Canale“ und unter den Piéces dont le Salon est orné:
„4 Prospekte von Dresden von Canal gestochen, unter Glass und Rahmen“. Letz-
teres ist Tradition geblieben. Noch heute sind vier Dresdner Canalettos unter Glas
und Rahmen ausgestellt.
Dieses Ergebnis war sehr auffällig. Wie kam das Kabinett zu dieser großen
Zahl Canalettoscher Blätter? Besondere Wertschätzung derselben war es augen-
scheinlich nicht. Ich erkläre es mir damit, daß Brühl sie für das Kabinett gekauft
hat, um Canaletto, auf königliche Kosten, damit eine Unterstützung zu gewähren.
Schließlich ist aber die Ursache, warum sie ins Kabinett gekommen sind, weniger
wichtig als die Tatsache, daß sich über 700 Abdrucke von den im Bombar-
dement zerstörten Platten damals im Kabinett befunden haben. Denn diese
Exemplare sind, wie ich annehme, in der Hauptsache diejenigen Canalettoblätter,
die sich jetzt noch erhalten haben. Von den Exemplaren, die Canaletto vorher
abgesetzt hat, sind sicherlich nicht viele auf uns gekommen. Der siebenjährige
Krieg wird wohl die meisten vernichtet haben. Sie wanderten ja nicht in die
Mappen der Sammler, sondern wurden an die Wand gehängt, in Bände gebunden
und waren so allen Gefahren des Krieges und der Witterung usw. ausgesetzt.
Daß aber tatsächlich die Bestände des Kupferstichkabinetts, bis auf die Blätter, die
es jetzt noch besitzt, ins Publikum gelangt sind, ergibt sich aus den Akten!).
Schon im Jahre 1765 begann man damit, die Canalettoschen Blätter zu ver-
schenken. Weder Hagedorn noch Graf Bose, der als Oberkammerherr nach Briihls
Tod die oberste Direktion über die Königlichen Sammlungen erhalten hatte, legten
Wert darauf, daß diese vielen Blätter im Kabinett aufbewahrt wurden. So erhielten
im Jahre 1765 Hofrat Ferber, Kammerrat у. Heynitz, General von Block und
Assistenzrat v. Gutschmidt, der spätere Kabinettsminister, je ro Blatt von Dresden
und 4 Blatt vom Königstein „so in die annoch ungebundenen Exemplaria kommen
sollen“. Geheimer Kriegsrat v. Vieth und der Oberklichenmeister Baron v. Kessel
erhielten ein Exemplar von 11 Stück, „12 Blatt oder ein Exemplar“ Se. Kgl. Hoheit
Prinz Clemens und Kammerrat Zamoisky. Ferner kamen drei Blatt vom Königstein
und drei Blatt von Pirna „zu denen noch ungebundenen Exemplarien für die Herr-
schaft“. Auch 1766 werden die Schenkungen fortgesetzt. Ein Exemplar von 12
Stück ging nach Paris, то vues des debris de la tour St.Croix wurden zur komplet-
tierung an verschiedene Rezipienten nachgeliefert. Unter den Beschenkten findet
man den Oberkammerherrn und Hagedorn selbst, den Grafen Bünau auf Seuslitz
und den Baron am Ende. Den Beschluß macht im Januar 1767 der Kassenschreiber
Francke, der ein Exemplar oder 14 Blatt erhielt. Im ganzen wurden damals über
200 Exemplare verschenkt.
Seitdem stieß man die Blätter bis zum Ende des XIX. Jahrhunderts allmählich
durch Versteigerung, Vertauschung und Verkauf ab. 1776 erwarb der Dresdner
Kunsthändler Rößler auf der Schloßstraße eine ganze Anzahl, um sie nach Peters-
burg und Paris zu schicken. 1804 kaufte der Kunsthiindler Lambert für je 10 Taler
4 gr. im April 1805 tauscht der Kupferstecher Schumann 6 Stück, im Juni 1805
werden 12 Stück zu je 1 Taler 8 gr. verkauft; derselbe Preis wird 1808 bezahlt,
1822 werden 15 Prospekte versteigert.
Da die Canalettoschen Blatter nie Sammelobjekt gewesen sind, sondern es sich
gefallen lassen mußten, mit allen andern Ansichtsblättern zusammengeworfen zu
werden, finden wir sie nur selten in Katalogen oder sonst erwähnt. Die großen
(x) Bes. loc. 18216. Kap. VIII N. 1, fol. 26 ff.
492
Sammlungen des XVIII. Jahrhunderts hatten sie gar nicht oder nur ein paar Blätter
davon. Eine Ausnahme macht, wie gewöhnlich, die Wincklersche in Leipzig, die
unter ihren über 100000 Blättern auch das vollständige radierte Werk Canalettos,
mit Ausnahme der Italienischen und Warschauer Blätter besaß: Collection de 25
feuilles de vues des divers palais Eglises et autres endroits de la ville de Dresde
etc. de different format. Außerdem und mit dem Vermerk tres rare die Ruine der
Kreuzkirche*). Brandes in Hannover?) besaß keine Canalettos, Huber?) nur zwei
italienische Landschaften. Adelung dagegen wieder besaß in seiner Kartensamm-
lung alle sächsischen Ansichten Canalettos, die sich jetzt teilweise im Besitz der
Königl, Öffentlichen Bibliothek in Dresden befinden. In ihrer 1796 erschienenen
Beschreibung bemerkt er, daß Canalettos ı8 große Blätter von Dresden, Pirna und
Königstein sehr selten seien, weil wenig Abdrucke gemacht worden seien. Die
beiden Ruinenblätter seien unter allen Canalettos die seltensten, die von Liebhabern
mit 12 bis 15 Talern bezahlt würden. jetzt gelten gerade diese Blätter für die
wenigst seltenen und werden auch in guten Exemplaren nicht teurer als damals
bezahlt. Auch in den Auktions- und Verkaufsverzeichnissen des XIX. Jahrhunderts
kommen die Canalettos nur selten vor. Weigel bietet nur 1840 die Kreuzturm-
ruine mit 1 Taler, 1857 die Ruinen der Pirnaischen Vorstadt und eine Ansicht
vom Königstein ebenfalls mit je 1 Taler an. Öfter kamen sie im StraBenhandel und
bei Trödlern vor und noch in den 1870 er Jahren konnte man in einer Hausflur der
Schloßstraße in Dresden ganze Kollektionen für wenige Taler erstehen.
Jetzt haben auch die Canalettos ihren Preisstand bedeutend erhöht. 1908 wurden
in einer Versteigerung bei Börner für М. 12 52 М., für М. 15 66 М. bezahlt. In
einem Katalog von Zahn und Jänsch in Dresden von 1908 schwanken die Preise
zwischen 80 und 250 M., in einem rgro erschienenen Katalog von Franz Meyer in
Dresden werden 65 bis 200 M. verlangt.
X.
In Abschnitt VIII habe ich ein beschreibendes Verzeichnis der Radierungen Cana-
lettos in Aussicht gestellt. Ursprünglich gedachte ich sämtliche Radierungen zu
beschreiben. Da dies den vorliegenden Aufsatz zu umfangreich gemacht hätte,
habe ich mich auf die Dresdner Radierungen beschränkt. Bei den übrigen kommen
kaum Zustandsverschiedenheiten vor und ich befinde mich bei ihnen in der Haupt-
sache mit Meyer und Vesme in Übereinstimmung. Zudem sind sie, namentlich die
Italienischen, die Warschauer und die beiden Einzelblätter so selten, daß praktische
Gründe für ihre neue Beschreibung nicht vorliegen. Und auch die etwas häufigeren
Pirnaer und Königsteiner Ansichten können nach Meyer und Vesme leicht bestimmt
werden.
Die Dresdner Ansichten dagegen bedürfen zum großen Teil einer völlig neuen
Bestimmung, da die Meyerschen nicht haltbar sind. Ich habe sie sämtlich be-
schrieben, auch soweit ich mit Meyer übereinstimme oder Zustandsverschieden-
heiten nicht bestehen, und zwar aus praktischen Gründen: Jeder, der ein Dresdner
Blatt zu bestimmen wiinscht, soll sich darauf verlassen können, es in meinem Auf-
(1) Catalogue raisonné du Cabinet d'Estampes de feu Mr. Winckler par Michel Huber tome II Leipsic
(erschienen 1803) Abt. 1 S. 164, П S. 1247.
(a) Catalogue raisonné du Cabinet d'Estampes de feu M. Brandes par M. Huber, Leipzig 1793.
(3) Notices générales des Graveurs etc. suivies d'un Catalogue raisonné par M. Huber, Leipzig 1787.
8.367.
493
satz zu finden. Aus praktischen Griinden habe ich auch die Meyersche Мипипегп-
folge beibehalten, obwohl sie nicht streng chronologisch ist. 2. В. gehört Nr. ro
unbedingt vor Nr. 9, da Bild und Radierung 1747 entstanden sind: Der Garten und
das Palais seines Gönners Brühl war bezeichnenderweise die erste Arbeit Cana-
lettos in Dresden. Zwei Rubriken Meyers fiihre ich nicht mit auf: den Probedruck
und den Neudruck. Probedrucke hat Canaletto nicht gemacht oder wenigstens
nicht їп Verkehr gebracht. Die drei einzigen Exemplare von Abdrucken ohne Schrift
(Ansicht vom Sonnenstein M. 27, die Landschaft nach v. d. Heyden im Dresdner
Kupferstichkabinett und Neumarkt mit Hauptwache, Vesme 15 I im British-Museum)
rechtfertigen es nicht, bei allen übrigen Blättern festzustellen, daß es keine Probe-
drucke gibt. Daß es Neudrucke von den vor 1760 entstandenen Platten nicht geben
kann, habe ich bereits ausführlich nachgewiesen. Von den übrigen könnten an sich
neue Abdrucke gemacht worden sein, da es nicht ausgeschlossen ist, daß sich die
Platten erhalten haben. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, weil die unruhigen
Verhältnisse in Polen, wohin Canaletto die Platten mitgenommen hatte’), Jahrzehnte
nach Canalettos Tod noch fortgedauert und eine Erhaltung der Platten nicht be-
günstigt haben. Zudem sind Abdrucke dieser Platten selten und ich habe keinen
unzweifelhaften Neudruck von ihnen gesehen.
Endlich stelle ich auch die Verschiedenheit der Wappen bei den verschiedenen
Blättern nicht fest, worauf Meyer eine große Sorgfalt verwendet hat. Denn ich
vermag nicht einzusehen, welchen Nutzen das haben soll. Canaletto hat die Wappen
frei radiert und es ist natürlich, daß kleine Abweichungen vorkommen. Es lag keine
Veranlassung für ihn vor, die Wappen auf allen Blättern möglichst gleichmäßig zu
gestalten und es lassen sich aus diesen Abweichungen keinerlei Schlüsse ziehen.
Anders liegt natürlich der Fall, wenn sich bei demselben Blatte Verschiedenheiten
der Wappen auf den verschiedenen Abdrucken finden. Das habe ich selbstver-
ständlich stets festgestellt.
Im allgemeinen schicke ich noch folgende Bemerkungen voraus: Von gegenständ-
licher Beschreibung der Blätter habe ich abgesehen. Man findet sie vorzüglich
und ausführlich bei Meyer und in der Richterschen Canalettomappe. Da es sich
für mich bloß um Feststellung der Zustände handelt, so genügt die Überschrift und
die von Canaletto selbst gemachte und von mir genau wiedergegebene Unter-
schrift. Nach ihnen kann jeder die Übereinstimmung seines Blattes mit dem
beschriebenen feststellen. Als besondere Zustände habe ich nur Abdrucke aufge-
nommen, die gemacht worden sind, nachdem Canaletto im Bild oder in der Schrift
absichtlich Änderungen an der Platte vorgenommen hatte. Kleine Unreinigkeiten,
Verschiedenheiten in der Stärke des Druckes, Mehrheit der Platteneindrücke, Rei-
nigung oder Nichtreinigung des Plattenrandes sind bei Canalettoschen Radierungen
nicht von wesentlicher Bedeutung. Sie sind meist auf den Drucker zurückzuführen
und für die Prioritätsbestimmung nur von problematischem Wert. Für das Ab-
polieren oder Abschleifen von Stellen gebrauche ich den allgemeinen Ausdruck „ent-
fernen“, da mir die damalige Art und Weise dieser Prozedur nicht bekannt ist.
Die Größen sind von Bildrand zu Bildrand und von Plattenrand zu Plattenrand ge-
messen. Als Bildrand habe ich die nie fehlende äußere Umfassungslinie genommen,
die bis auf М. 11 stets die Schrift mit umschließt. |
Der Strich in der Mitte der Unterschriften vertritt die Stelle des Wappens.
(1) Vgl. Adelung, Kritisches Verzeichnis der Landkarten usw., Meißen 1796, S.75.
494
Auf Vollständigkeit macht mein Verzeichnis keinen Anspruch, da ich eine syste-
matische Durchforschung sämtlicher in Frage kommenden öffentlichen und privaten
Kabinette nicht vornehmen konnte.
Die Abkürzungen bedeuten:
Н = Höhe. Pl == Platte(nrand).
Br = Breite. В = Bild(rand).
Die Abbildungen sind sämtlich nach Exemplaren des Dresdner Kupferstich-
kabinetts.
| 9.
NEUSTADT MIT JAPANISCHEM PALAIS.
Radiert nach dem 1748 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 607. Das Geriist
der Kirche ist auf der Radierung weggelassen.
Pl: Н 532, Br842mm. B: H 511, Br 826 mm.
Peint dessiné et gravé par Ber: Bellotto dit Canaletto 1148
Perspective de La ville neuve, et du Palais de 8. M. dit d'Hollande et des Environs de
La campagne de Loschuwitz, avec une partie de La | Roiale Eglise catolique, et des Bastions de la ville de
Dresde, prise de la Prairie Joignante, aux Ecuries | ce tableau fait par ordre de Sa Majeste le Roy de
Rolales et a l’Orangerie Pologne et Elec: de Sax &&&
I: mit der wiedergegebenen Unterschrift. Das vorderste rechte Pferd des Reisewagens
hat nur einen Zúgel. Der Steinquader in der linken unteren Ecke hat glatte Oberfláche.
Das Wappen ist von besonderer Platte gedruckt.
II: wie I mit folgenden Änderungen: Die Jahreszahl ist entfernt und an ihrer Stelle Pein Rte
gesetzt. Unter letzteres die Jahreszahl 1747 gestochen.
III: wie II. Der Steinquader ist wie ein Warenballen umschnürt und überarbeitet. Das vor-
derste rechte Pferd hat zwei Zügel. Die Schraffierungen im Himmel unbedeutend ver-
engert.
IV: wie III. Die Fenster im Palais d'Hollande, das Dach des Hauses links davon über-
arbeitet. Das Wappen ist auf die Platte selbst radiert.
Da das Originalgemälde 1748 gemalt ist, so wäre an sich anzunehmen, daß die
Abdrucke mit dieser Jahreszahl, als Verbesserung der falschen Jahreszahl 1747, die
späteren seien. Das ist aber ausgeschlossen, weil 1748 nicht nachträglich auf ab-
polierter Stelle gestochen ist. Man sieht vielmehr ganz deutlich, daß Pein Rle und
die Jahreszahl 1747 auf abpolierter Stelle stehen. Auch die Abdrucke mit den Über-
arbeitungen im Bild haben Pein Rle und 1747.
Der Sachverhalt wird folgender sein: Canaletto ist 1748 oder 49 Hofmaler ge-
worden und wollte diesen Titel nachträglich auf die Platten stechen lassen, die
diese Bezeichnung noch nicht trugen. Der Stecher hat hierbei irrtümlich die falsche
Jahreszahl 1747 angebracht, vielleicht dadurch verführt, daß ihm gleichzeitig die
Platte М. то übergeben wurde, die die Jahreszahl 1747 trägt.
Die Meyersche Erklärung trägt den Stempel der Unwahrscheinlichkeit an sich.
Meyer Ibhabe ich nie gesehen. Auch das Dresdner Kupferstichkabinett hat diesen
Zustand nicht.
то.
DIE BRUHLSCHE TERRASSE.
Radiert nach dem 1747 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 602.
Pl: H 542, Br 843 mm. B: H 527, Br 824 mm.
495
Peint dessiné et gravé par Ber. Belotte dit Canaletto
1747.
Perspective de la galerie, et du Jardin de son Excellence Mgr.
Le comte de Brühl Premier Ministre, et des batimens contigus a la prairie d'Oster,
prise de la maison du sieur conseiller Hoffman á | ce Tableau fait par ordre de la Majesté le Roy de
La Ville neuve Pologne et Elec de Sax & & &
1: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wappen ist von besonderer Platte gedruckt.
II: wie I, aber vor der Jahreszahl 1747 ist Pein Rie gestochen.
III: wie II, aber das Wappen ist auf die Platte selbst radiert.
Wegen des Zusatzes Pein Rie vergleiche die Bemerkung zu Nr. 9.
II.
DIE KATHOLISCHE KIRCHE.
Radiert nach dem 1748 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 608.
Das Gerüst der Kirche ist auf der Radierung weggelassen.
P1: Н 533, Br 822mm. B: Н 482, Br 808 mm.
Perspective de la Facade de la Roiale Eglise Catolique, avec une part du Palais
de SM, et des Environs de Neudorff sur 1'Elbe, tirée | du Jardin de 8. Есе Mgr. Le Comte de Brühl Le Pre r
Ministre.
ce Tableau fait par ordre de S M. le Roy de Pologne | Peint, dessiné, et gravé par Bernard Belloto dit
et Elec de Sax & & & Canaletto 1748.
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Wappen (mit einer Kanone links) von besonderer
Platte. Der Schatten unter allen sechs Pferden des Hofwagens ist durch einen Licht-
streif unterbrochen. Rechts und links vom Kirchenportal ist der Boden nahezu weiß.
II: Ce tableau fait und 1748 entfernt. Die Stelle von ce tableau fait ist leer geblieben, an
Stelle von 1748 ist gestochen: Pein Rle. Die Jahreszahl 1748 ist darunter gestochen.
Das Wappen ist ebenfalls von besonderer Platte, aber mit noch einer Kanone rechts.
Im Bilde keine Anderungen.
III: Die Unterschrift wie II, das Wappen ist aber auf die Platte selbst radiert. Unter den
vordersten Pferden ist der Lichtstreifen zugedeckt. Der Platz vor dem Kirchenportal
und rechts davon leicht bearbeitet. Im Wasser und Himmel Uberarbeitungen.
12.
DIE AUGUSTUSBRUCKE (s. Abb.).
Radiert nach dem 1748 gemalten Bilde der Dresdner Galerie Nr. 606.
Das Gerüst der Kirche ist auf der Radierung weggelassen.
Pl: H 542, Вг 83a mm. B: Н 530, Br 819 mm.
Perspective du Pont de Dresde sur l' Elbe tirée de la veue du Palais de 8. M. dit,
d'Hollande avec la part Laterale de l'Eglise Catolique et batimens contigus.
Ce tableau fait par ordre de S M le Roy de Pol et Elec de
Sax & & & Peint dessiné et gravé par Bernard Bellotto dit Canaletto 1749-
I: mit der oben wiedergegebenen Unterschrift. Wappen von besonderer Platte.
U: Die Jahreszahl in 1748 geändert. Wappen von besonderer Platte.
III: Die Jahreszahl entfernt. Dafür Pein Rie, die Jahreszahl 1748 darunter. Das Wappen
von besonderer Platte.
IV: Die Unterschrift wie folgt geändert:
496
Vue du Pont de Dresde sur ГЕЈЬе avec la part Laterale de l’Eglise
Catolique, et Batimens contigus, tirée du Palais nommé d’Hollande
se trouvent chez l’auteur à Dresde | et chez Pierre Fouquet à Amsterdam.
Peint et gravé, par Bernard Belotto de Canaletto
Peintre R! Le Tableau, est dans la Galerie Royale de Dresde
Außer der völligen Änderung der Schrift finden sich noch zahlreiche Uberarbei-
tungen im Himmel und im Wasser. Die Bretterdecke des Schuppens links ist
stark überarbeitet, ebenso der bündeltragende Mann. Vgl. die Bemerkungen in Ab-
schnitt УП. Das Wappen ist auf die Platte selbst radiert und ganz anders als
der Zustände I—III.
13.
NEUMARKT MIT ALTEM GALERIEGEBÄUDE.
Radiert nach dem 1749 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 610.
Pl: H 545, Br 840 mm. B: Н 524, Br 814 mm.
Perspective de la Facade de la Gallerie Roiale avec une
partie de l’Eglise Nôtre Dame Vue de la grande | et de la Pirnaische Gasse, aiant de l'autre côté le
Garde Gewandthaus
La vue a été prise du Jüden-Hoff. Depeint dessiné et gravé par Ber. Beloto dit Cana-
letto Pein-Rle 1749
1: mit der Unterschrift, wie sie oben wiedergegeben ist. Der Schatten des Bettlers, der
im Vordergrund links an der Еске der Galerie steht, reicht nur etwa bis in seine
Schulterhöhe.
U: Die Unterschrift ist in der Weise geändert, daß avec une entfernt und statt dessen de
Dresde gesetzt ist, vor partie auf der zweiten Zeile ist et gestochen, das de vor peint
ist entfernt. Hinter Gewandthaus ist ein Schnörkel angehängt. Vielfache Überarbeitungen
im Himmel und an den Wolken. Der Schatten des Bettlers reicht beinahe bis zur
Laterne.
Das Wappen ist bei beiden Zuständen auf die Platte selbst radiert. Die von
Meyer beschriebenen Zustände habe ich bis auf den IV, der gleich meinem П ist,
nicht gesehen. Das Dresdner Kupferstichkabinett hat nur meine beiden Zustände.
14.
DER NEUSTÄDTER MARKT (з. Abb.).
Radiert nach dem 1750 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 612.
Pl: H 543, Br 837 mm. В: H 526, Br817 mm.
Vué dela Place dela Ville- neuve de Dres den, de la grande Allée qui aboutit a la
Porte noire et des deux grandes Rués dites Rähnitz | voit aussi la statué Equestre du Roi Auguste П de
Gasse et Breite Gasse ой l'on Glorieuse mémoire et l’ancien Hötel de ville
prise du nouveau corps de Garde vers l'entrée du | Peint et gravé par Bernard Bellotto dit Canaletto
pont 1750 Peintre Roial
1: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wappen ist auf die Platte selbst radiert. Auf
dem unteren Plattenrand Nadelproben links und unter dem Wappen.
II: wie I. Die auf diesem Blatt überhaupt ziemlich neue Parallelschraffierung des Himmels
ist teilweise durch dazwischengelegte Kaltnadelstriche verengert.
497
Auf allen Exemplaren beider Zustände sind Nester im Vordergrund, am unteren
Bildrand, namentlich rechts, die Canaletto teilweise durch Gegenschraffierung zu ver-
decken gesucht hat. Offenbar sind das die von Meyer sog. Rostflecken. Die von
ihm erwähnten Schrammen in den Bäumen der Allee habe ich nicht gefunden.
15.
NEUMARKT MIT HAUPTWACHE.
Radiert nach dem 1750 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 613
Pl: H 548, Br 840 mm. B: Н 525, Br 806 mm.
Perspective de la Place de la Grande Garde, alant d'un
côté le Gewandt-Haus, d'un autre l'Eglise Nótre Dame, vers les Ecuries de S. M.
la vué a été tirée de la Merenstrasse depeint dessiné et gravé par Berd Bellotto dit Cana-
letto Penre Rie 1750.
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wapppen auf die Platte selbst radiert.
II: wie I, aber Merenstrasse in Moritzstraße, depeint in peint geändert.
Im Bilde keine Unterschiede. |
Nach Vesme besitzt das British Museum einen Probedruck ohne Schrift.
16.
DAS WILSDRUFFER TOR.
Radiert nach dem 1750 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. бїт.
Pl: Н 531, Br838 mm. B: Н 522, Br 820 mm.
Vue exterieure de la Porte d'Italie des Rempars de la ville de Dresden et de
partie des magnifiques Pavillons où sont actulle- | ment la Bibliotheque Roiale et le Theatre de l'Opéra
Peint et gravé par Ber: Bellotto, dit Canaletto,
Peintre du Roi 1750.
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Über die ganze untere Hälfte des Bildes gehen in
der Richtung von links oben (Dach des Eingangspavillons des Zwingers) nach der
Mitte und rechts unten zu (z. B. durch die Postsäule) zahlreiche Bündel ganz feiner
Striche, die von irgendeiner äußeren Beschädigung der Platten herrühren und bis in
die Schrift und das Wappen reichen.
П: In der Schrift sind folgende Änderungen vorgenommen worden: d’Italie des ist entfernt
und statt dessen dte Wilsche Thor gestochen. Dasrragt bis in die Lanze des Wappens.
Die Strichbündel sind schwächer geworden und sind in den letzten Abdrucken in der
Luft nicht mehr sichtbar. Nacharbeiten im Himmel.
Das Wappen ist bei beiden Zuständen auf die Platte selbst radiert.
Dieses Blatt ist eines der wenigen, die ganz deutlich Kaltnadelnacharbeit im
Himmel zeigen. Die weiße Stelle am Horizont links war Canaletto zu ausgedehnt
und er verkleinerte sie durch mit dem Lineal gezogene Horizontallinien.
Vgl die Bemerkung in Abschnitt VIII, S. 490.
17.
ALTMARKT MIT KREUZKIRCHE.
Radiert nach dem 1751 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 614.
Pl: Н 538, Вг 839 mm. B: Н 518, Br 813 mm.
498
Vué de la Grande Place du Vieux Marché du Coté
de l'Eglise de la S. te. Croix et la Rui dela Porte neuve
Peint dessinné et gravé par Ber. Belloto dit Cana-
letto Peintre du Roy 1752
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wappen auf die Platte selbst radiert.
Im Schatten des Vordergrundes am Bildrand verschiedene Stellen, wo die Farbe nicht
gehalten hat. Rechts vom Chaisenhaus finden sich auf manchen Exemplaren dunkle
rundliche Flecke, deren Ursache nicht ersichtlich ist.
Меуег und Vesme kennen Abdrucke, wo das Wappen von besonderer Platte ge-
druckt ist; ich habe solche nicht gesehen, das Dresdner Kupferstichkabinett hat
keine solchen Abdrucke. |
18.
ALTMARKT MIT SCHLOSS-STRASSE.
Radiert nach dem 1751 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 615.
Pi: Н 534, Br Bomm. B: H 519, Br 815 mm.
Vuë de la Grande Place du vieux Marché, du Cote
de la Rue du Chateau Royal
Peint dessinné et gravé par Ber. Belloto dit Cana-
letto Peintre du Roy 1752.
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wappen ist auf die Platte selbst radiert.
Auch Meyer und Vesme kennen, abgesehen vom sog. Neudruck, keine verschie-
denen Zustinde.
19.
DIE FRAUENKIRCHE (Hóhenblatt, s. Abb.).
Radiert nach dem Gemälde Nr. 617 der Dresdner Galerie.
Pl: H 770, Br612 mm. B: H 739, Br 610 mm.
Dame, et de la Rúe, díte:
Palais de Mons gr Le Chevalier de Saxe
Vue de l'Eglise de Nótre
La Rammische Gasse; aboutissante au
— ——
Prise du Grand Corps de Garde. Peint et gravé par Ber d Bellotto dit Canaletto Pein R
1757.
І: mit der beschriebenen Unterschrift. Wappen auf die Platte selbst radiert. Zustands-
verschiedenheiten nicht bekannt.
20.
DIE KREUZKIRCHE (Hthenblatt).
Radiert nach dem Gemälde Nr. 616 der Dresdner Galerie.
Pl: Н 760, Br 620mm. В: H 740, Br 616 mm.
Vuë, de l’Eglise et dela Rue de Ste. Croix
ainsi que d'une partie de l’Hötel de S. E. Mons r le Comte Rutowski, Feld Marechal General
Peint et gravé par Ber d Bellotto dit Canaletto Pein R
1757.
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Wappen auf die Platte selbst radiert. Zustands-
verschiedenheiten nicht bekannt.
499
21.
AUSSENANSICHT DES ZWINGERS.
Radiert nach dem Gemälde Nr. 609 der Dresdner Galerie.
Pl: Н 553, Br 836 mm. B: H 525, Br 894 mm.
Vüe laterale des Galleries du Zwinger, avec le Pont, qiu degage vers 1'Allée
d’Ostra et vers la Porte de Wilsdruff; prise d'une des serres de l’orangerie Roiale.
Peint et gravé раг Ber d Belloto dit Canaletto Pein
R~ 1758.
I: mit der beschriebenen Schrift. Das Wappen auf die Platte selbst radiert.
Meyer und Vesme kennen noch Abdrucke von der namentlich in der Umzáunung
im Wasser überarbeiteten Platte.
22.
INNENANSICHT DES ZWINGERS.
Radiert nach dem Gemälde Nr. 629 der Dresdner Galerie.
Pi: Н 542, Br 828 mm. B: H520, Br 798 mm.
Vué interieure des Pavillons et des Galleries du Zwinger ou se conservent, la Bibliotheque
Roíale, et les Cabinets d'Estampes, des Mathema- | Curiosités de la Nature et de l'Art; prise du Pavil-
tiques, et des lon principal
1. Partie du Chateau Roial. 2. le Jeu de Paume. | S.A.R.Mgr le Prince Electoral. 4. le Theatre de
3. le Palais de Opera.
peint et gravé par Ber d Belloto dit Canaletto Pein~
R~ 1758.
I: mit der beschriebenen Schrift. Das Wappen auf die Platte selbst radiert. Es sind keine
anderen Zustánde bekannt.
32.
DIE RUINEN DER KREUZKIRCHE.
Radiert nach dem 1765 gemalten Bild der Dresdner Galerie Nr. 638.
Pi: Н 535, Br 643 mm. B: H 524, Br 635 mm.
Vue des débris, de la Tour de Ste Croix, qui | de Juin 1765, dans le tems qu'on commencoit á
s’ecroulä le aa me relever ГЕ-
glise, laquelle avoit péri par le Bombardement de | - 10 aumes de Dresde, selon le pan de
la Ville de Dresde, en 1760 Mur qui demeurá sur pied, haut de 120 aunes
Dedié, a Son Altesse Royale, Madame l’Electrice Douairiere de Saxe
La vue a été prise, du Cabinet de Mr. le Surinten- | par Son tres soumi Serviteur Bern: Belotto de Cana-
dant Ecclesiastique Docteur am Ende | letto Membre de 1'Acca: mie Elec: le des Arts 1765.
1: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wappen auf die Platte selbst radiert.
П: mit derselben, jedoch ist soumi in soumis verbessert.
Vesme kennt noch einen Zustand, der in der Unterschrift Veriinderungen auf-
weist: Nach 1760 heißt es da: On voit aussi les maisons qui bornent la place de
l’Eglise et d'un coté au fond une partie de la Place du vieux marché, sur le devant
des fondem:* de la nouve!® Eglise — 5. ro. au”** de Dresde, le pan de Mur
usw. wie oben. La vue a été prise....... Anstatt der Widmung steht: Peint et
gravé par Ber: Belotto de Canaletto, Membre de Academie Electorale des Arts.
500
33.
DIE RUINEN DER PIRNAISCHEN VORSTADT.
Radiert nach einem im Besitz des Prinzen Xaver gewesenen, jetzt unbekanntem
Bilde.
Pl: Н 530, Br 648 mm. В: H 521, Br 638 mm.
Vué des ruines des Fauxbourgs de la Ville de Dresde
attenant au fauxbourg de Pirna. On déqouvre dans
le lointain le
Dédié a Son Altesse Royale Monseigneur le
D'aprés le Tableau Haut 2 Pieds 10*/, p: Large 3
Pieds 11 p: que Son Altesse Royale possede. peint
et gravé
entre aútres, de la maison de Fiirstenhof, pres du fossé
Rempart de la Ville neuve, la Vigne de Naumann,
et les collines des environs
Prince Xavier Administrateur de Saxe & & &
par son très soumis Serviteur Bern: Belotto de
Canaletto Mem:bre de 1'Acca:mie Elec:le des Arts
1766.
I: mit der beschriebenen Unterschrift. Das Wappen auf die Platte selbst radiert. Zu-
standsverschiedenheiten nicht bekannt.
501
AUSSTELLUNG ALTHOLLÁNDISCHER
BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
Mit elf Abbildungen auf fünf Tafeln Von W. MARTIN
П.
eider war mein Aufenthalt in Paris zu kurz, um außer den Bildern auch noch
die ausgestellten Zeichnungen alter Holländischer Meister und die Radierungen
Rembrandts eingehend kritisch zu betrachten. Genußreich war die Betrachtung
allerdings. Namentlich unter den Rembrandtzeichnungen, von denen die meisten
alte Bekannte waren von der Leidener Rembrandtausstellung (1906), befanden sich
vorzügliche Stücke, unter denen diejenigen der Sammlungen Léon Bonnat und
Walter Gay besonders hervorragten.
Von der kritischen Betrachtung der Gemälde werden im folgenden die Resultate
kurzgefaßt publiziert als Fortsetzung und Schluß meiner Bemerkungen im Oktober-
heft dieser Zeitschrift.
Ein merkwürdiges Bild war Nr. 85, CORNELIS DE MAN, Der junge Gelehrte.
Sammlung Porges. Ein farbenfrohes Bild, sorgfältig gemalt, der Komposition nach
beeinflußt von den Geographenbildern des Delfter Vermeer. Namentlich das Lachsrot
des Anzugs des Jiinglings ist von großer Leuchtkraft. Das Bild steht allerdings
keinem Maler näher als Cornelis de Man: der Kamin rechts erinnert stark an den
gleichen Gegenstand auf den bekannten Bildern bei Six und in der Ermitage. Das
Bild wurde — wie von Plietzsch dieser Tage wieder hervorgehoben wurde!) —
von Thoré und Havard für ein Werk Vermeers gehalten.
Nr. 85 bis. МЕТО, Die Kuchenbäckerin. Sammlung des Fürsten A. de Broglie.
Echtes, charakteristisches Bild des Meisters, in der Komposition ganz von der-
gleichen Darstellungen des Gerrit Dou beeinflußt. Die Gegenstände (Äpfel, Wieg-
schale usw.) sind vorzüglich gemalt.
Nr. 86. HENDRICK DE MEYER, Belagerung der Stadt Hulst. Sammlung
Roger Douine. Eines der besten Bilder des Meisters in dieser Art.
Nr. 87. MIEREVELT, Männliches Bildnis. Sammlung Emile Wauters. Nicht
von Mierevelt. Einen anderen Namen kann ich nicht vorschlagen.
Nr. 88. FRANS VAN MIERIS der Ältere, Bildnis des Malers. Sammlung
A. Mayor. Stellt nicht den Maler dar, sondern einen Gelehrten, wie deutlich hervor-
geht aus dem trefflichen Bücherstilleben auf dem Tisch neben ihm. Vielleicht ist
der Dargestellte unter den damaligen Leidener Universitätsprofessoren zu suchen.
Nr. 89. J. М. MOLENAER, Im Wirtshause, Sammlung Flersheim. Echtes Bild.
Nr. 90. DERSELBE, Trinker. Sammlung Porges. Hübsches Bildchen aus der
Frühzeit des Meisters; früher in der Sammlung Roelofs Heyermans in Rotterdam.
Steht technisch zwischen Hals und Judith Leyster.
Nr. 56. DERSELBE, Das Trio. Sammlung des Grafen Potocki. Charakteristisches
Frühbild, genau so gemalt wie das Bild der Sammlung des Freiherrn Heyl in Worms,
das Bild in der Großh. Galerie zu Oldenburg usw.
Nr. 57. DERSELBE, Das Konzert. Sammlung des Grafen Potocki. Aus der-
selben Zeit wie Nr. 56, jedoch technisch mehr zu den bekannten Bildern der Samm-
(1) Vermeer van Delft, von Eduard Plietzsch. Leipzig, Hiersemann, 1911, 8. 137.
502
lung van Loon in Amsterdam stimmend. (Diese Bilder sind abgebildet in нше
de Groots Prachtwerk iiber die Portriitausstellung im Haag, 1903).
Nr. 91. NICOLAES MOLENAER, Landschaft mit Schlittschuhläufern.
Sammlung Boas. Echt.
Nr. 92. Р. MOLYN, Sammlung Ritter de Stuers. Hübsches echtes Bildchen.
Nr. 94 MOREELSE, Damenbildnis. Sammlung Porges. Nicht von Moreelse.
Sonderbares Bild.
Nr. 95 und 96. DERSELBE, Männliches und weibliches Bildnis. *
lung Arnold Seligmann. Wohl echt.
Nr. 97. MORO, Dam enbildnis. Sammlung Sperling. Schönes Bild, jedoch nicht
von Moro. Es ist technisch der Brügger Malweise jener Zeit verwandt.
Nr. 98. DERSELBE, Bildnis eines Herren. Sammlung Thébauld-Sisson. Von
einer ganz anderen Hand wie die vorige Nummer. Ebenfalls nicht von Moro, aber
wohl aus derselben Zeit. Gutes Bild.
Nr. 99 — 101. AERT VAN DER NEER. Alle drei echte Bilder. Das erste, eine
Morgendämmerung, war von Herrn Ed. Kann ausgestellt. Sehr schön ist der
Mondschein der Sammlung Flersheim (Nr. тоо), welches Bild bekannt geworden
ist, als es sich in der Sammlung Schubart befand. Vorzüglich in seiner Art ist
auch das Bild der Sammlung Princesse Murat (Nr. тот), eine Winterlandschaft
von außerordentlicher Qualität. Wir bilden dieselbe hierbei ab.
Nr. 102. EGLON V. D. NEER, Lautenspielerin. Sammlung Porgés. Echtes,
aber nicht besonders anziehendes Bild.
Nr. 103 — 105. ADRIAEN VAN OSTADE. Der Meister war nicht sehr gut ver-
treten; wirklich hervorragende Bilder des Meisters fehlten. Das Bild der Samm-
lung Baron d Erlanger (Nr. 103), eine Wirtshausszene, schien mir echt. Auch
war ein echtes, frühes Bild die Wirtshausszene der Sammlung Sperling (Nr. 104),
jedoch Nr. 104 bis, der Maler in seiner Werkstatt (Sammlung Porgés) ist eine
schlechte Kopie nach dem bekannten Stich Ostades (B. 32), während das Friihbild,
welches die Marquise d'Aoust sandte (Nr. 105, Interieur de Cabaret) einen Vic-
torinusartigen Eindruck machte. Es hing jedoch zu hoch, um richtig beurteilt
werden zu können.
Nr. 106. ISAAC VAN OSTADE, Strandbild. Sammlung Sperling. Vortreff liches
Bild in feinem Silberton. Charakteristisch für den Meister. Wir bilden es hierbei ab.
Nr. 106 bis. DERSELBE, Schlittschuhläufer. Sammlung Princesse Murat. Be-
stimmt nicht von Ostade, sondern von einem gleichzeitigen Nachahmer. Gutes Bild.
Nr. 107. ANT. PALAMEDESZ, Dame am Spinett. Sammlung Porgès. Nicht
von Palamedesz.
Nr. 108. DERSELBE, Musikalische Gesellschaft. Sammlung Porgés. Echtes
Spätbild, gut erhalten.
Nr. 109. PAULUS POTTER, Vieh in der Weide. Sammlung Porgés. Schlech-
tes Bild, nicht aus dem XVII. Jahrhundert.
Nr. 110. RAVESTEYN, Damenbildnis. Sammlung Noël Bardac. Dem Rave-
steyn nahestehendes, aber nicht eigenhändiges Bild.
Nr. rro bis. DERSELBE, Damenbildnis. Sammlung Stanislas Lami. Unzweifel-
barer Paulus Moreelse, gemalt in derselben Technik wie das bekannte Selbstbild-
Nr. 111 — 131. REMBRANDT. Sämtliche Bilder hingen in nicht gerade günstiger
Beleuchtung und manches war kaum kritisch zu betrachten. Ferner wurde die
Notwendigkeit einer Rembrandtnachahmer-Ausstellung deutlich, sowie die einer Pu-
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911. Heft 11. 35 503
blikation von möglichst vielen Abbildungen nach Arbeiten dieser Nachahmer, von denen
so viele entweder nur dem Namen nach oder nur durch ihre Werke bekannt sind.
Man wünschte sich auch eine Repliken- und alte - Kopienausstellung, damit endlich
einmal näheres festgestellt werden kann über die zahlreichen offenen Fragen,
welche noch in der Rembrandtforschung existieren. Es könnte dabei vielleicht
vieles herauskommen bezüglich Hilfe und Kopierarbeit seiner Schüler in seiner
Werkstatt, Hilfe Rembrandts selbst bei der Ausführung von Werken seiner
Schüler, und endlich würde dann auch die Rembrandtnachahmung im XVIIL Jahr-
hundert (in Holland, England und Deutschland) sowie im XIX. Jahrhundert (in
Belgien und vor allem in Frankreich in den Tagen Delacroix’) deutlicher hervortreten.
Einundzwanzig Gemälde waren in Paris als von Rembrandt gemalt ausgestellt.
Darunter waren herrliche Bilder von „unbescholtener“ Echtheit, z. B. das Bildnis
des Arnold Tholinx von 1656 (Nr. 120, Sammlung Mme André, Bode Nr. 449), das
Bildnis der Saskia von 1632 (Nr. 121, Bode Nr. 149) aus derselben Sammlung; die
Diana im Bade der Sammlung Warneck (Nr. 117, um 1630— 31, Bode Nr. 47) usw.
Ferner waren folgende echte Bilder von Bedeutung ausgestellt: der schöne, breit
gemalte Greis der Sammlung Kleinberger (Nr. 123, s. Abb.), Christus in Emmaus,
das bekannte, um 1629 gemalte Bild der Sammlung Mme André (Nr. 124, Bode Nr. 9),
die Susanna der Sammlung Bonnat (Nr. 129, Bode Nr. 323), der 1632 gemalte
Joris de Caullery (Nr. 127, Bode Nr. 84), aus der Sammlung Yerkes nach Europa
zuriickgekehrt und jetzt Eigentum des Herrn Jacques Seligmann; der Christuskopf
der Sammlung Maurice Kaun, jetzt Eigentum Kleinbergers (Nr. 125, Bode Nr. 414)
und einige andere Bilder, wie das Selbstbildnis auf Kupfer der Sammlung der
Griifin Delaborde (Nr. 122, Bode Nr. 549) usw.
Ein anfangs Zweifel erregendes, aber doch nach meiner Uberzeugung echtes Bild
ist der Barmherzige Samariter der Sammlung Porgés (Nr. 111, Bode Nr. 330).
Sobald man sich an die eckige Zeichnung und die an einigen Stellen etwas harmonie-
lose Färbung gewöhnt hat, sieht man überall die überzeugend Rembrandtschen
Pinselstriche und Farben. Namentlich das Weiß des Kranken ist für Rembrandt
charakteristisch: man vergleiche es nur mit dem Weiß auf Bredius’ Negerbild im
Mauritshuis,
Nr. 112, die Alte mit der Bibel (Sammlung Porges, Bode Nr. 392), ist minde-
stens zweifelhaft. An der Oberfläche des Bildes sieht man erstens eine dicke
Masse glänzenden Firnisses, unter dem eine Malerei sichtbar ist, welche, wie mir
scheint, ganz in einem sogenannten „Galerieton“ gemalt worden ist. Verdächtig ist
ferner, daß die Sprungbildung, welche durch diese Malerei hindurchgeht, nicht die
des XVII. Jahrhunderts scheint. Die oberflächliche Schraffierung mit dicker Farbe,
mit parallelen kurzen Pinselstrichen über flach bemalte Teile, ist nicht Rembrandtisch.
Ferner paßt die sorgfältige Malweise des Gesichts nicht zu der oberflächlichen Be-
handlung der Hände, des Stuhles, des Gewandes usw. Man kann sich daher keine
Periode denken, in welcher Rembrandt dieses bis jetzt um 1650 datierte Bild hätte
malen können. Die rechte Hand der Frau mit einem Teil des Ärmels ist einer
Hand Rembrandts entlehnt, z.B. der des Titus aus der sogen. Judenbraut im Amster-
damer Reichsmuseum. Auch der Kragen, die Leibbinde usw. sehen aus, als wären
sie Teilen der Judenbraut nachgemalt. Einen Pelzbesatz und ganz ähnlichen Fal-
tenwurf im Schoße findet man auf dem Kasseler sogen. Apostel Bartolomäus. Das
auf allen Abbildungen ungemein stimmungsvoll wirkende Bild war mir, als ich es
im Original sah, eine große Enttäuschung. Es bleibt sogar von dem auf den Ab-
bildungen so sympathischen frommen Blick wenig übrig, zumal da der Mangel an
504
plastischer Durchbildung des Ganzen so unschón wirkt. Die Frau hat keinen hol-
ländischen Typus. Das Bild sieht mir aus wie eine vielleicht englische Fälschung
aus dem XVIII. Jahrhundert. Aber definitiv läßt sich deshalb nichts sagen, weil es
nicht ausgeschlossen ist, daß das Gemälde bei eingehender Untersuchung in gutem
Licht zahlreiche Übermalungen aufweist und sich sodann z. B. als ein von
Rembrandt angefangenes, später von unbefugter Hand vollendetes Bild entpuppen
könnte. Valentiner, welcher es als „unvollendet“ charakterisiert“), würde dann in
gewissem Sinne recht haben.
Nr. 113 und 114. Sogenannte Bildnisse des Adriaen van Rijn und dessen
Frau (Bode Nr. 358 und 359). Sammlung Porges. Im Gegensatz zum vorigen Bilde
ist der Anblick dieser beiden Gemälde ein Genuß. Die Behandlung der Farben ist
flott, die Färbung angenehm. Die Zuschreibung an Rembrandt kann aber doch
nach meiner Meinung nicht ohne weiteres beibehalten werden, es sei denn, daß
sich herausstellen würde, daß die fraglichen Stellen (die dicken Schatten der Figur
der Frau, die fleckigen, pastosen Teile der Wangen bei beiden, das unrembrandt-
sche lackartige Schwarz in der Kleidung des Mannes) Übermalungen sind. Das
ließ sich auch bei diesen Bildern nicht genügend feststellen. Der Eindruck auf der
Ausstellung war: nicht Rembrandt. Ich möchte die Bilder zusammenbringen mit
den großen, irrtümlich Nicolaes Maes genannten Kartenspielern der National Gallery
in London, welche dasselbe Rot aufweisen wie die Frau. An Bernard Fabritius —
dessen Namen die Porgésschen Bilder einen Moment hervorrufen — läßt sich des-
halb nicht denken.
Nr. 126. Studienkopf eines Mannes. Sammlung Sperling. Das Verhältnis zu
dem Kasseler Exemplar dieses Bildes, mit dem es übereinstimmt, wäre näher fest-
zustellen.
Nr. 128. Bildnis eines Greises. Sammlung Francois Flameng. Ich vermag in
diesem Bilde Rembrandts Hand nicht zu erkennen.
Nr. 130. Bürgermeister Six am Fenster. Sammlung Bonnat (Bode Nr. 319).
Abgesehen von der schlecht verstandenen Haltung (der rechte Fuß ist viel zu
niedrig angesetzt und der rechte Arm ist etwa um ein Drittel zu kurz) ist die Fär-
bung nicht überzeugend Rembrandtisch. Nirgends bei Rembrandt kommt das, wie
mir scheint mit Chromgelb gemischte Grün vor, welches die Bäume vor dem
Fenster zeigen und auch die sonderbare Farbenkomposition von Schwarz (Kleidung),
Rotbraun (Haare), Gelb (Fensterrahmen) und Hellgrün (Bäume) mutet für Rembrandt
wunderlich an. Am meisten habe ich gegen die Malweise, welche überall kleinlich
ist. Die Bäume sind ängstlich mit kleinen, quer gegeneinander gestellten Pinsel-
strichen in flüssiger Farbe gemalt. Die Lichter auf der Fensterbank und im Fenster-
rahmen sind ebenfalls nicht überzeugend. Das Ganze sieht aus als sei es ein im
XIX. Jahrhundert mit Tubenfarben auf Kreidegrund gemaltes Bild, welches einige
Male gut gefirnißt und nachher wieder gereinigt und etwas geglättet wurde. Es
scheint mir nach der Rembrandtschen Radierung angefertigt.
Nr. 131. Christus am Kreuz. Sammlung Bonnat (Bode Nr. 318). Sieht eher
als eine van Dyck-Nachahmung aus, scheint aber eine Kopie zu sein nach einem
echten Rembrandt in der Sammlung Johnson in Philadelphia, den ich aber nicht
kenne.
Nr. 132. ISAAC RUYSDAEL, Landschaft mit Vieh. Sammlung A. Mayor. War
ein typischer Jacob Salomonsz. Ruisdael.
(т) Klassiker der Kunst, Rembrandtband.
505
Nr. 133 — 137. JACOB RUISDAEL. Ein schúnes Bild ist die Ruine Brederode,
mit feiner silbergrauer Luft (Nr. 133), welche von Mme André ausgestellt war.
Auch der Wasserfall der Sammlung Porgés (Nr. 134) ist ein vorziiglich erhaltenes,
echtes Bild aus der mittleren Zeit des Meisters, in dem u. a. das Wasser des Vor-
dergrundes und die Felsen rechts hinten mit der Schafheerde ganz vortrefflich
wirken. Herr de Jonge stellte ein dick gemaltes, kleines Bild von wunderbarer
Qualität aus (Nr. 135), aus dem Anfang der fünfziger Jahre, eine Furth am Waldes-
rande, mit Dünen im Hintergrunde (siehe die Abbildung). Aus derselben Samm-
lung war noch ein zweiter Ruisdael zu bewundern (Nr. 136), eine etwas später
gemalte Waldlandschaft mit einer Holzbrücke (s. Abb.). Nicht von Ruisdael
gemalt, sondern eine alte, etwa aus dem Anfang des XVIII. Jahrhunderts stammende
Kopie, scheint die Ansicht von Haarlem (Nr. 137, Sammlung Kleinberger), in der
namentlich die lieblos behandelten roten Dächer und die Luft störend wirken.
Nr. 138. SALOMON RUISDAEL, Rückkehr vom Fischfang. Sammlung Ed.
Kann, Echtes Bild.
Nr. 139. DERSELBE, Kanallandschaft. Sammlung Sperling. Echt, die Stadt
Schoonhoven (?) im Hintergrunde. Herrlich gemalte Weidenbäume im Vordergrunde.
Nr. 140. DERSELBE, Landschaft mit Brücke. Sammlung Baron Edmond de
Rothschild. Ist ohne Zweifel gemalt von dem уап Goyen-Nachahmer Anthonie уап
der Croos.
Nr. 141. PIETER VAN SLINGELAND, Junge Dienstmagd. Sammlung A. Mayor.
Ist, wenn ich nicht irre, eine Kopie nach einem verschollenen Bilde von Gerard
Dou (Martin Nr. 282).
Nr. 142 — 149. JAN STEEN. Es waren unter den Bildern einige recht gute
Exemplare, unter denen mit Recht die in den Figuren großartige Unmäßigkeits-
szene der Sammlung Porges (Nr. 142, vgl. die Abb.) den Ehrenplatz behauptete.
Das Bild, welches das gleiche Thema behandelt wie die bekannten Bilder der Samm-
lungen des Herrn Schloß +, des Herzogs von Wellington und des Hofmuseums in
Wien, ist leerer in der Komposition als jene und beweist in seinem nicht gerade ange-
nehmen Hintergrunde wie nachlässig Jan Steen oft sein konnte in denjenigen Teilen
der Komposition, welche ihn weniger interessierten. Großartig gemalt und emp-
funden ist aber die junge sitzende Frau, welche die Bibel mit Füßen tritt, und
prächtig koloristisch komponiert das Stilleben auf dem Tisch. Der Schinken rechts
auf dem Fußboden ist ebenso vorzüglich gemalt wie der auf dem Bilde des Her-
zogs von Wellington.
Aus des Meisters Spätzeit war ein charakteristisches, in bunten, ziemlich hellen
Farben gehaltenes Bild eingesandt von Herrn Ed. Kann (Nr. 143): die Siesta;
technisch am besten zu vergleichen mit dem bekannten Leiermann der Sammlung
Wantage in London. Dr. Melville Wassermann stellte ein Interieur von Jan Steen
aus (Nr. 144), während die Sammlung de Jonge, welche sich durch treffliche Bilder
auszeichnet, das seit der Leidener Rembrandtfeier-Ausstellung (1906) bekannte Bild
mit dem Taubenschlag (Nr. 145, vgl. die Abb.) hergegeben hatte. Das Bild ist, wie
ich früher schon in dieser Zeitschrift!) betonte, meiner Meinung nach charakteristisch
für Jan Steens Frühzeit. Der Hintergrund erinnert an Jan van Goyen, sowohl in
der Malweise als in der Komposition.
Gut komponiert, in der Wiedergabe der Stoffe und im Helldunkel vortrefflich, ist
das rechts unten bezeichnete Bild mit Kartenspielern der Sammlung Allen Lobl
(1) Ш. Jahrgang, 1910, S. 181.
506
(Nr. 147). In der Mitte Jan Steen selbst, welcher in einen Spiegel schaut, den eine
Alte hinter einen der Spieler hält, damit die anderen sehen können, welche Karten
er in der Hand hält. Steens Frau zeigt uns triumphierend eine Attout. Die
orientalische Tischdecke ist koloristisch hervorragend. Leider harmoniert die Farbe
der Kleidung von Steens Frau nicht gut zum Übrigen. Man scheint nach Reinigung
des Bildes einen zu blassen Firniß angewandt zu haben. Koloristisch und im allgemeinen
durch die vorzügliche Qualität sehr anziehend wirkte der Besuch des Arztes,
aus der Sammlung der Prinzessin Murat (Nr. 149). Das rechts unten bezeichnete, an-
bei abgebildete Gemälde schließt sich technisch ganz einer ähnlichen, dem Earl of
Northbrook gehörenden Komposition!) an und wäre zeitlich um 1655 anzusetzen.
Fälschlich Jan Steen zugeschrieben waren Nr. 146 und 148. Letzteres Bild, von
der Prinzessin Murat eingesandt, ist eine schlechte Kopie nach dem bekannten
reizenden Gemälde in der Sammlung Liechtenstein in Wien. Ersteres, eine Galante
Szene aus der Sammlung der Marquise d’Aoust, ist offenbar eine Nachahmung, welche
aber jedenfalls auf eine Komposition Jan Steens zurückgeht. Der rötliche Ton und
die Sprungbildung. stimmen nicht zu Jan Steen.
Nr. 150 — 156. GERARD TERBORCH. Der Meister war gut vertreten. Als Hals
war das kleine Bildnis Nr. 48 ausgestellt, welches wir schon in unserem ersten
Aufsatz besprachen.
Nr. 150. Dame bei der Toilette. Sammlung Alb. Lehmann. Bild der mittleren
Zeit. Schöne Rückenfigur, wenn auch nicht so hervorragend wie die Cellospielerin
auf dem Berliner Bild (vgl. die Abb.).
Nr. 151. Die Näherin. Sammlung Alb. Lehmann. Das bekannte Bild der Samm-
lung Sellar (Auktion in Paris, 6. Juni 1889), welches 1898 bei Sedelmeyer war. Die
Frau sitzt bei einer Wiege, welche vor einem Kamin steht. Einfache, ruhige Kom-
position, feiner silbergrauer Ton vorwiegend, neben mattem Graugriin.
Nr. 152. Die Gefangene (s. die Abb.). Sammlung Max Flersheim. Es sind zwei
Gefangene darauf: die Frau sowohl wie der Mann, dem die Hände mit einem Hals-
tuch auf den Rücken gebunden sind. Ist ein unzweifelbarer Willem Duyster. Schon
früher, als es sich in der Sammlung Dahl in Düsseldorf befand, dann als es 1904
von Herrn Dahl auf der Düsseldorfer Ausstellung gezeigt wurde, und endlich auf
der Dahlschen Auktion in Amsterdam 1905 wurde es von fachmännischer Seite
allgemein als Duyster anerkannt. Typisch für Duyster ist die emailartige Fleisch-
farbe des Antlitzes und der Hände der gefangenen Frau, das Grau und Lila ihres Man-
tels, die Behandlung der Trommel, des daraufliegenden Teppichs usw. Ein früher
Terborch sieht ganz anders aus: weniger mühsam, nicht so glatt und dünn gemalt,
und trotz des silbernen Gesamttones immerhin abwechselnder und froher in der Färbung.
Nr. 153 und 154. Bildnisse eines Herrn und einer Dame. Sammlung Baron
d’Erlanger. Für den Meister typische Bilder.
Nr. 155. Bildnis des Grafen de Peneranda. Sammlung Warneck. Die bekannte,
herrlich gemalte und vorzüglich erhaltene Miniatur, welche u. a. abgebildet ist
in Hofstede de Groots Prachtwerk über die Haager Porträtausstellung, verlegt von
Bruckmann in "München.
Nr. 156. Der Trommler. Sammlung Marquise d’Aoust. Kann wohl ein echter
Terborch sein, war aber auf der Ausstellung nicht gut zu untersuchen.
Nr. 157. DOMINICUS VAN TOL, Der Schuster. Sammlung Porgés. Echtes Bild.
Nr. 158. DERSELBE, Die Suppe. Sammlung Dr. Melville Wassermann. Echtes,
voll bezeichnetes Bild in der Art seines Lehrers Gerard Dou.
x Abgebildet bei meinem Aufsatz in „Onze Kunst“, November 1909, S. 161.
507
Nr. 159. ADRIAEN VAN DE VELDE, Landschaft mit Viehherde. Samm-
lung de Jonge. Schönes, echtes Bild.
Nr. 160. DERSELBE, Tierlandschaft. Sammlung Thiébault-Sisson. Bestimmt
nicht von van de Velde.
Nr. 161. WILLEM VAN DE VELDE der Jiingere, Marine. Sammlung Albert
Lehmann. Echtes, gutes Bild.
Nr. 162 bis. DERSELBE, Marine. Sammlung Porgés. Nicht von van de Velde.
Dr. Hofstede de Groot teilt mir mit, daß es eine charakteristische Arbeit des eng-
lischen van de Velde-Nachahmers Ch. Brooking ist.
Nr. 163. VERSPRONCK, Damenbildnis. Sammlung Baron von Schlichtig. Ein
schönes Bild von unzweifelhafter Echtheit.
Nr. 164. JAN WEENIX, Männliches Bildnis. Sammlung Porgés. Ist ein typi-
scher und obendrein voll bezeichneter Jan Baptist Weenix. Man vergleiche z. B. das
kürzlich vom Reichsmuseum in Amsterdam erworbene, bezeichnete Bildnis.
Nr. 165. PH. WOUWERMANN, Die Holzsammler. Sammlung Dr. Melville
Wassermann. Echtes Bild aus der Friihzeit.
Nr. 166. DERSELBE, Die Jager. Sammlung de Jonge. Hiibsches, echtes Bild-
chen, fein im Ton.
Nr. 167. DERSELBE, Reitertreffen. Sammlung Baron Edmond Rothschild.
Sieht eher aus wie ein Huchtenburg, war jedoch nicht gut genug zu sehen, um
ein endgiiltiges Urteil zu erlauben.
Nr. 168. DERSELBE, Jager vor einem Wirtshause. Sammlung Kleinberger.
Echtes, gutes Bild.
Nr. 169. DERSELBE, Einschiffung von Kaufwaren. Sammlung Dr. Max
Wassermann. Scheint mir ein echtes, friihes Bild zu sein.
Nr. 170. JAN WYNANTS, Landschaft. Sammlung Porges. Der Katalog er-
wähnt mit Recht, daß die Figuren von Wouwermann gemalt sind. So oft wird
dies nur als herkömmliche Formel behauptet bei mit Figuren staffierten Bildern
des Wynants. Selten aber ist die Hand Wouwermanns deutlicher zu erkennen,
als in diesem hübschen Bilde,
Hiermit schließen wir unsere Betrachtungen, denen wir die Hoffnung hinzufügen
möchten, daß die Veranstalter der Ausstellung bald wieder einmal eine Ausstellung
alter Bilder aus Pariser Privatbesitz arrangieren mögen. Es werden auch dann
gewiß wieder — so wie es jetzt der Fall war — manche Meisterwerke, bekannte
sowie unbekannte, den Kennern wie dem Publikum Freude machen. In kunst-
wissenschaftlichen Kreisen wird man dann den Veranstaltern ebenso dankbar sein,
wie für diese Ausstellung.
508
KUNSTSCHATZE IN SCHWEDEN.
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln.
„inventaire Général des Trésors d'Art en Suede‘:
ist der Titel der prächtigen, kürzlich erschienenen
Publikation Olaf Granbergs. Vor 25 Jahren ver-
öffentlichte Granberg den Catalogue raisonné des
tableaux anciens etc., ein Buch, das der Kunst-
geschichte eine Fülle neuen Materials brachte, und
das wir regelmäßig zur Hand nehmen, wenn wir
über Gemälde oder Sammlungen in Schweden Aus-
kunft brauchen. War das Buch von 1886 äußer-
lich noch ziemlich unscheinbar, so hat uns der
Verfasser dieses Jahr einen stattlichen Band mit
91 vorzüglichen Phototypien geschenkt. Diese,
wie auch die Beschreibungen von vielen bisher
noch nie besprochenen Kunstwerken bilden wieder,
wie seinerzeit der Catalogue raisonné, eine Fund-
grube interessanter Beiträge zur Kunstgeschichte,
besonders zu der niederländischen. Die Publi-
kation hat ungefähr den wissenschaftlichen Wert
einer gut organisierten Ausstellung von Kunst-
werken aus Privatbesitz, und wenn ich mir im
folgenden an der Hand der Abbildungen einige
Bemerkungen erlaube, möge man sie etwa einem
Ausstellungsbericht gleichstellen. Ich werde ver-
suchen, in alphabetischer Folge der Künstler-
namen auf das Anregende des neuen Materials
aufmerksam zu machen. —
Hendrik Aerts „Bankett in einem Palais“;
voll bezeichnet und 1602 datiert. Sammlung Р.
E. Wessberg, Stockholm (Abb. 1). Das Bild, das
inzwischen ins Ryksmuseum in Amsterdam ge-
kommen ist, beweist, daß H. Jantzen ), dem 1909 noch
kein signiertes Bild dieses Meisters bekannt war, die
von J. Londerseel gestochene „Phantasiekirche“
(Abb. 2) richtig datierte, wenn er ihre Entstehung
in die ersten Jahre des XVII. Jahrhunderts verlegte.
Es ist interessant, zu beobachten, wie die Kom-
position des von Londerseel gestochenen Interieurs
genau der bei Granberg abgebildeten Außenarchi-
tektur entspricht: Vorn rechts die im Schatten
liegende Säule (resp. Pfeiler). Links daneben ein
freier Platz, der bei dem Interieur mit dem Tauf-
becken, bei dem Extrieuer mit einem Springbrunnen
geschmückt ist. Dem Lettner, unter dem man auf
das Längsschiff der Kirche schaut, entspricht der
linke Teil der Palastarchitektur, unter deren weitem
Bogen man in einen langen, gewölbten Gang?)
(з) Jantzen, Das Niederländische Architekturbild; Leipzig
1930, 8. 53.
(2) Hier zeigt sich die „Tunnelperspektive“, von der
Jantzen im Kapitel ,Hans Vredman de Vries“ S. 22 spricht.
blickt. Rechts im Mittelgrund auf beiden Dar-
stellungen phantastische Architekturteile und viele
scheinbar zufällige Überschneidungen. Diesen bei-
den Kompositionen gegenüber erscheint das zweite
von Granberg beschriebene, voll bezeichnete Ge-
málde von Hendr. Aerts, das sich seit kurzem im
Besitz von Dr. Hofstede de Groot im Haag befindet
und auch eine Außenarchitektur mit einer Be-
gräbnisprozession und im Vordergrund den Tod
mit einem Invaliden in einer Halle darstellt, recht
fortschrittlich. Und doch ist es, wie das vorige
Bild 1602 datiert. Der moderne Eindruck be-
ruht darauf, daß die Architektur weniges phan-
tastisch, sondern mehr portraitmäßig als auf den
beiden andern Stücken gegeben ist. — Govert
Dircksz. Camphuysen ging bekanntlich 1652
nach Schweden und war dort 1x Jahre lang
tätig. Daher hatte Granberg eine reiche Aus-
beute: ı2 voll bezeichnete Werke dieses so
originellen Meisters sind beschrieben. Von den
abgebildeten ist wohl „La laitière“ (Sammlung
H. Ramel, Övedskloster) das wichtigste. In der
Zeichnung der Personen und des Viehs, ferner
im Verhältnis der Figuren und der Tiere zur
Landschaft ist das Bild dem großen Camphuysen
zugeschriebenen Stück in Cassel!) ganz nah ver-
wandt. Es allein würde genügen, das Casseler
Bild, das man immer wieder dem Potter geben
wollte, als Werk des Camphuysen zu beweisen.
Auch die großen Dimensionen kommen dem
Casseler Bild so nahe, das man es fast als Pen-
dant dazu auffassen möchte?). Was uns an dem
Werk am meisten interessiert, ist die echt rusti-
kane Stimmung, der „ländliche Geruch“, den die
Darstellung ausstrémt. Camphuysen erinnert
hierin stark an den Flamen Siberechts. Die
beiden andern Reproduktionen nach G. Camp-
huysen, die „wilden Gänse“ (Sig. Schlesinger,
Stockholm), deren Komposition etwa dem Stil
eines J. Spruyt entspricht, und die „Szene in
einem Wirtshaus“ (Sig. v. Düben, Södra Lindved),
bei der die für Camphuysen typische Vorliebe für die
Da eine Tätigkeit dieses Meisters in Holland nachgewiesen
ist, so lassen sich künstlerische Beziehungen zu Hendr.
Aerts leicht erklären. Daß solche Beziehungen bestehen,
beweist ein Vergleich des hier abgebildeten „Palais“ Hendr.
Aerts mit dem „Schloßhof‘ des Н. Vredemann de Vries
(im Wiener Hofmuseum, Abb. 5 bei Jantzen).
(1) Katalog 1888, Nr. 343.
(2) Es liegt nicht fern, anzunehmen, daß diese groß-
figurigen Stiicke durch den ,,Jungen Stier“ Potters (Haag,
Mauritshuis) angeregt worden sind. Auch fiir die Ent-
stehung von Berchems „Hirtenfamilie“ (Mauritshuis), die
ein Jahr nach dem „Jungen Stier“ gemalt wurde, könnte
Potters großfiguriges Bild von Einfluss gewesen sein.
509
Holzplanken der Stubendecke bis auf die Spitze
getrieben ist, seien nur kurz erwähnt. — Von
dem selteneren Raphael Camphuysen gibt
Granberg eine „Winterlandschaft“ (Universität
Stockholm). Wir lernen hierdurch den Künstler,
der sich sonst am meisten dem A. v. d. Neer
nähert, von einer neuen Seite kennen: In der
Komposition, in der Zeichnung der Staffage, in
den Bewegungen seiner Figuren und in der Be-
handlung der. Luftperspektive zeigt er sich als
täuschenden I. von Ostade-Nachahmer. Vielleicht,
daß bei I. v. Ostade im allgemeinen die Staffage
etwas mehr betont ist. — Die Abbildung der
„Zeichenstunde“ (Sig. E. Wachtmeister, Vanas)
J. В. 8. Chardins beweist wieder einmal deutlich,
daß der Künstler die Holländer des XVII. Jahr-
hunderts studiert hat. Wir werden ganz speziell
an entsprechende Werke des М. Sweerts er-
innert. — Auch wenn die „Landschaft mit Nym-
phen“!) (Sig. A. Gosling, Taxinge-Näsby) von
A. v. d. Croos nicht datiert wäre, würde man sie
leicht als Frühwerk erkennen: In der Komposition
— rechts sumpfiges Gewässer und links ein baum-
reiches Ufer —, ferner im Baumschlag und in
den kleinen nackten Figuren schließt sich der
Künstler noch ganz an М. van Uytenbroeck?) an,
der ja auch — wie A. v. d. Croos höchstwahrschein-
lich — im a. Viertel des XVII. Jahrhunderts Im
Haag lebte. — Noch deutlicher als A.v. d. Croos
zeigt sich Dirck Dalens d. Ä. als Uytenbroeck-
Schüler oder Nachfolger auf der reproduzierten
Darstellung der ,,Calisto und Diana“ (Sig. J.
Atmer, Stockholm). Sowohl die hohen Bäume
mit den relativ dünnen Stämmen und vollen
Kronen, ferner die freie Gruppierung und die nicht
humorlosen Gesten der Figuren zeigen eine Ver-
wanätschaft mit Uytenbroeck. — Das Oeuvre des
polnischen Hofmalers Pieter Danckers de
Rij, von dem man bisher nur zwei Porträts in
Brüssel und eins in Amsterdam kannte, wird um
das voll bezeichnete und 1643 datierte „Bildnis
der Maria Anna von Bayern“ (Gripsholm) be-
reichert. Für die Kenntnis der Entwicklung des
Künstlers ist es von großer Wichtigkeit: Sehen
wir ihn auf den Brüsseler Bildern noch echt
hollindisch individuell arbeiten, so gibt er auf
dem bei Granberg abgebildeten Porträt schon ein
ganz konventionelles, man kann sagen internatio-
nales Arrangement: Die Figur steht neben einem
Tisch; hinter diesem eine Säule mit Vorhang;
Eine recht langweilige Zeichnung — man beachte
(х) Beseichnet: A у Croos Р 1636. i
(2) Von dem Einfluß Uytenbroecks auf A. v. d. Croos
spricht auch Granberg in der biographischen Notiz, 8. 12.
510
z. B, die Hände — fällt gegenüber den Brüsseler
Porträts unangenehm auf. Es liegt nahe, anzu-
nehmen, daß der Künstler zur Zeit der Ent-
stehung dieses Werkes (1643) nicht mehr in
Holland lebte. — Der „Geflügelhändler“ (Sig
A. Gosling, Taxinge-Näsby) des höchst seltenen
G. Donck, den man auch mit einem Antwerpener
Meister gleichen Namens zu identifizieren versucht
hat, scheint zu beweisen, daß der Maler in Haariem
gelebt hat. Insbesondere weist die Art, wie die
Figuren im Raume stehen, auf Haarlem. Das
Bild läßt sich annähernd datieren durch seine
außerordentliche Ähnlichkeit mit einem andern
Werke Doncks, der „Rückkehr von der Jagd“ in
Rotterdam"), dessen Hintergrundslandschaft auf
eine Entstehung um die Mitte der dreißiger
Jahre des XVII. Jahrhunderts schliessen lässt.
„Der Geflügelhändler‘ zeigt erstens dasselbe Kom-
positionsprinzip wie das Rotterdamer Stück: Links
die Figuren vor einer grauen Wand, rechts ein
Ausblick ins Freie. Auf beiden Stücken kann man
Doncks Vorliebe für einen recht leeren Redegestus
beobachten: Die ausgestreckten Hände mit den
nach unten gekehrten Handrúcken sind charak-
teristisch für ihn. Das umpgestülpte Faß, über
dessen Rand die Hälse zweier Vögel hängen,
ferner ein dunkler, weißgefleckter Hund und auch
der Typ eines spitzbärtigen Mannes kommen auf
beiden Bildern ganz ähnlich vor. Sogar die drei
oder vier ziemlich unmotiviert am Boden liegenden
Muscheln finden wir hier wie dort. — Als Werk
des H. Dorne, eines „bisher ganz unbekannten
Meisters“, beschreibt Granberg ein sehr ausdrucks-
volles Porträt (Sig. H. Ramel), das dem Stil der
späten vierziger Jahre entspricht (Abb. 2). Ich
möchte die Vermutung aussprechen, ob nicht eine
undeutliche Signatur des L.Doomer Anlaß zu der
Benennung gegeben hat. Diese Vermutung liegt
insofern nah, als erstens das Bild dem Stil des
einzigen bekannten männlichen Porträts Doomers‘)
im Devonshire House in London einigermassen
entspricht und als zweitens schon einmal in der
Literatur der Name Doomer verunstaltet worden
ist. So beschreibt Immerzeel?) die Werke Doomers
unter dem Namen „Doorner“. — Zu С. Dusarts
„Betrunkene Gesellschaft“ (Sig. F. Rappe, Stock-
holm) sagt F. Granberg, daß es an ein Bild des
Jan Steen im Rijksmuseum erinnert. Gemeint
(1) Katalog des Museum Boymáns 1907, Nr. 74.
(2) Abgebildet in W. Martins Aufsatz im Bulletin van den
Neederlandschen Oudheidkundigen, Bond 1909, 3. 126. Man
könnte auch an eine undeutliche Signatur des J. v. Dorste
denken.
(3) С. Immerseel, De Levens en werken der hollandsche
en viaamsche Kunstschilders II, 189.
ist aicher „Nach dem Gelage“ (Nr. 2234 des Kata-
logs), dessen Komposition und Stimmung Dusart
wohl absichtlich nachgeahmt hat. Überhaupt ist die
innere Verwandtschaft Dusarts mit Jan Steen öfters
enger, als die gewöhnlich erwähnte mit Ostade. —
„Daniel van Geel 1635“ ist die Signatur eines
Bildes, das eine „Vornehme Gesellschaft (Upsala,
Universität) darstellt. Der Wohnplatz dieses höchst
seltenen Meisters ist absolut unbekannt; doch zeigt
dieses Stück eine so große Verwandtschaft mit den
Haarlemer Gesellschaftsstücken des dritten Jahr-
sehnts, daß man einen Aufenthalt des Künstlers in
Haarlem annehmen kann. — J.B. Greuzes ,,Wi-
scherin“ (Sig. E. Wachtmeister, Vanas) ist ein
selten gutes Werk. In der Behandlung des Bei-
werks zeigt sich der Einfluß Chardins. — Ein
mánnliches und ein weibliches Portrát des Frans
Hals (Kónigl. Slg. Stockholm) sind práchtig re-
produziert. Der Ausdruck des Mannes entbebrt
nicht einer gewissen Blasiertheit. Die Frau sieht
bei weitem búrgerlicher aus; ihr Bildnis zeigt den
Typ, den Verspronck übernommen und durch
Jahrzehnte hindurch beibehalten hat. — Das ,,Por-
trit der Jeanne Parmentier‘ (Sig. C. de Geer,
Leufsta) von B. van der Helst reprisentiert vor-
züglich die vorletzte Stufe der Entwicklung des
Künstlers. Ist hier schon die höchste Eleganz im
Kostüm und in der Haltung erreicht, spielt der
Blick schon ziemlich stark mit dem Beschauer,
so unterscheidet sich das Bild doch ziemlich vor-
teilhaft von den letzten zu aufdringlichen Werken
des Meisters (aus den sechziger Jahren), bei denen
das leere Pathos unnatürlicher Bewegungen oft
stört. — N. v. Helt Stocades „Joseph erzählt
seine Träume“ (Sig. H. Hamilton) glaube ich, ab-
solut sicher mit einem Bild identifizieren zu
können, das 1762 auf der Versteigerung Wierman
in Amsterdam (Terwesten 8. 253) war. Dort war
das Bild folgendermaßen beschrieben: „Jacob, be-
straffende туп Zoon Joseph in het by zyn zyner
Vrouw en Josephs Broeders over zyne Dromen“,
Die MaBe entsprechen genau den Maßen unseres
Bildes. Schon damals, auf derselben Versteigerung,
befand sich als Pendant dazu ein Bild des Salo-
mon de Bray, das auch heute noch in der ge-
nannten Sammlung als Pendant zu dem Gemälde
des Нен Stocade hängt. Sollten die beiden 1655
datierten Bilder nicht in Beziehung stehen zu den
Dekorationen für das Stadhuis in Amsterdam, wo
sich noch heute eine Darstellung aus der Josephs-
geschichte von Helt Stocade'), ebenfalls 1655 da-
tiert, befindet. — In dem „Geburtstag des Groß-
(1) Helt Stocade erhielt dafür 600 A. (Bredius, Amster-
dam in de zeventiende Eeuw, Ill, 8. 78.)
vaters (Sig. Р. de la Gardie, Malmö) zeigt sich
G. v. Herp ganz deutlich als Nachahmer des
J. Jordaens. Die Komposition entspricht. etwa
einem ,,Z00 de ouden Zongen zoo piepen de
jongen“ des letzteren. Auch in den Typen und
in dem Inventar seines Interieurs — ich weise
auf den Dudelsackbliser, den Korbstuhl und den
Hund vorn — nimmt sich v. Herp hier Jordaens
zum Muster. — In dem voll bezeichneten, wohl
recht frühen „Heiligen Petrus“ (Sig. F. Rappe)
lehnt sich G. van Honthorst, der sonst als
Caravaggio-Nachahmer genannt wird, auffallender-
weise an Ribera an. — Alex. Keirincx: „Land-
schaft“ (Sig. C. Wachtmeister, Kulla-Gunnarstorp).
Die niedrige Lage des Horizonts und der ent-
wickelte Stil des Baumschlags weisen auf die
spätere Zeit (um 1640) des Meisters. — Isaac
Koene gilt als Schüler Jacob Ruisdaels. Dagegen
zeigt er sich auf der bei Granberg abgebildeten
Landschaft (Sig. F. Rappe) als absichtlichen Nach-
ahmer Hobbemas. — Das „Porträt des Grafen
Sparre und seiner Familie“ (Sig. Н. Ваше!) von
Lafrensen (Abb. 3), ein Werkchen aus dem Ende
des ХУШ. Jahrhunderts, ist von einer äußerst feinen
Intimität. Solch freie Verteilung der Dargestellten
im Raum ist vor dem XVIIL Jahrhundert nicht
möglich. Amöüsant ist es, daß an der Hinterwand
des Interieurs eine Gemälde von Jordaens (im
umgekehrten Sinn dargestellt) hängt, das die vier
Jahreszeiten darstellt, und das Granberg zufällig
auch auf Tafel 74 (Sig. H, Ramel) abbildet. Es
ist bekannt, daß sich dieser Jordaens, der zuletzt
auf der Ausstellung in Stockholm 1893!) zu sehen
war, einst in der Sammlung des Grafen G. A.
Sparre befunden hat. — Nach den Reproduktionen
zu urteilen, glaube ich, daß Granberg dem Lie-
vens zwei Bilder mit Unrecht zuschreibt. Das
eine, „Josepf empfängt seinen Vater und seine
Brüder“ (Sig. Brahe, Skoklöster), ist eher ein
Werk des Jan Victors oder des G. v. Eeck-
hout. Für das andere, das allerdings auch Dr.
Hofstede de Groot dem Lievens zugeschrieben
hat, wüßte ich keinen Namen anzugeben. Dagegen
ist das dritte als Lievens reproduzierte Bild —
St. Paul (Sammlung E. Wachtmeister) — ebenso
typisch, wie das L seiner Signatur. Sowohl der
Stil des Gemäldes als auch der Typ des Darge-
stellten stehen den Greisen-Bildnissen des Lievens
im Haag und in Dresden ganz nahe. — Bei
dem Versuch, das Gemälde N. Moeyaerts, „Re-
becca und Eleazar“ (Sig. H. Hamilton, Boo), zu
datieren, wollen wir uns über den Entwicklungs-
gang dieses Meisters etwas klar werden. Zu den
(1) М. Rooses, Jordaens Leven en Werken, 8. 181.
511
frühen, um 1620 entstandenen Stücken ), die noch
manche Elemente der um 1600 tätigen Manieristen
und einen engen Zusammenhang mit der Kunst
Elsheimers, hingegen noch keine so práchtigen Tier-
portrits aufweisen, kónnen wir es nicht rechnen.
Mit dem ,, Triumph des Bachus“ (Haag, Mauritshuis),
das 1634 bezeichnet sein soll, möchte ich es nicht
vergleichen. Denn meines Erachtens liegt hier ein
Fehler des Katalogs des Mauritshuis vor: Dieses Bild
steht auf derselben Stufe der Entwicklung, wie der
„Merkur und Herse“ (Mauritshuis; datiert 1624), zu
dem eg das Pendant bildet, und ich lese die Jahreszahl
recht deutlich auf beiden Stücken als 1624. Ein
Druckfehler des Katalogs wird indessen nicht vor-
liegen, da das Faksimile der Ausgabe von 1895
eine 1634 zeigt. — Da bei den um 1640 datierten
Werken?) schon ein gewisses Helldunkel einsetzt,
und die Figuren schon viel mehr in der Land-
schaft stehen, die auf dem Bild der Sammlung
Hamilton noch zu sehr von den Figuren getrennt
als Hintergrund gemalt ist, so muß letzteres vor
dieser Zeit entstanden sein. Wir kämen also auf
die zwischen 1620 und 1640 liegende Periode:
um 1630. Um diese kurze Darstellung der Ent-
wicklung Moeyaerts zu vervollständigen, weise ich
noch auf seine Spätwerke, in denen die Raum-
auffassung mit dem starken Helldunkel deutlich
den Einfluß Rembrandts erkennen läßt. Es sind
die Werke, die auf Sal. Koninck, der wohl schon
vor ihrer Entstehung Schüler bei Moeyaert war,
ganz besonders gewirkt haben. Das von Granberg
reproduzierte Gemälde Moeyaerts ist noch insofern
von besonderem Interesse, als es in direkter An-
lehnung an ein Werk des P. Lastman, „Laban
und Rahel“ (Boulogne sur Мег) ) entstanden ist.
Schon die Hauptlinien der Moeyaertschen Kom-
position entsprechen dem genannten Werke Last-
mans: Auf beiden Bildern links vorn die im Profil
nach rechts gewandte männliche Figur, die einer
Gruppe (rechts auf einem kleinen Hügel) gegen-
über gestellt ist, Ganz links auf beiden Gemälden
der durch den Bildrand übarschnittene Kopf einer
Kuh. Wie bei Lastman der Hund vorn links,
so hebt sich bei Moeyaert das Schaf hell von dem
Dunkel der Hintergrundlandschaft ab. Von den
Kriegern Im Mittelgrund des Lastmanschen Bildes
ist bei Moeyaert noch eine Lanze übrig geblieben,
die durch den Gegenstand des Gemäldes kaum
motiviert ist. Die Figur des Eleazar selbst ent-
(1) Z. B. „Mercur und Herse“ Haag, Mauritshuis, Nr. 304.
Datiert 1624.
(2) Z. B. „König Antiochus bei dem Augur“.
Nr. 115. Datiert 1636.
(3) Abgebildet in K. Freise, Pieter Lastman. Leipzig 1913,
Abb. 23.
Mauritshuis,
512
spricht bis in die Einzelheiten der Figur des Laban.
Jedenfalls geben die hier nachgewiesenen Ähnlich-
keiten eine genauere Auskunft über das Verhältnis
Moeyaerts zu Lastman. Wenn Freise in der vor-
züglichen, kurzen Besprechung!) der Nachfolger
Lastmans den Moeyaert nur der Gruppe einordnet,
auf die Lastman „einen gewissen Einfluß‘ aus-
übte, so lehrt, glaube ich, dieser Fall, daß die
Abhängigkeit des jüngeren Künstlers vom älteren
so stark gewesen ist, daß sie einem Schulverhält-
nis fast gleichzusetzen ist. — In der „PDE
МҮМ 1625“ bezeichneten „Schlacht“ (Sig. F. Rappe)
vermutet Granberg ein Werk des Meister, der
sonst — nach Granberg in einer späteren Pe-
riode — nur PN aigniert und allgemein mit dem
Stecher Pieter Nolpe identifiziert wird. Die Hypo-
these Granbergs hat viel für sich. Denn die
Werke des Meisters P. N. stehen dieser „Schlacht“
näher als den graphischen Arbeiten des wohl nur
als Stecher bekannten Pieter Nolpe. In der knor-
rigen Zeichnung der Pferde auf dem genannten
Gemälde kann man Analogieen zu dem Baum-
schlag der frühen Bilder des Meisters Р. N. finden.
Es sei auch darauf hingewiesen, daß P. de Nyn,
ebenso wie der Meister P. N., eine außerordent-
liche Verwandtschaft mil P. Molyn hat. Man ver-
gleiche daraufhin unser Bild mit der „Schlacht“
des P. Molyn in Hermannstadt (abgebildet in der
bekannten Publikation von Csaki). — Die Pieter
Pietersz versuchsweise zugeschriebene „Gas-
hausszene“ (Sig. A. Gosling) scheint eine Dar-
stellung des „verlornen Sohnes“ zu sein. Sie
steht dem Pieter Aertsen selbst noch nahe und
wird wohl von Granberg etwas zu spät (um 1625!)
datiert. — „Der Maler im Atelier“ (Sig. A. Ex-
man, Mogard) von dem ziemlich seltenen J. van
Spreeuwen, ist ein typisches Werk der Dou-
schule. Nicht nur Raumauffassung und Licht-
behandlung entprechen dem Stil Dous; sogar jeden
in dem Interieur befindlichen Gegenstand kennen
wir von Gemälden Dous her. Die Motive des
Stillebens, das der Dargestellte malt — Mandoline,
Schwert und Küraß — sind typisch für Leiden.
— Die „Rückkehr des verlornen Sohnes“ (Sig. E.
Wachtmeister) von Jan Steen (Abb. 4) erinnert
an entsprechende Kompositionen des Jac. Jordaens,
wie etwa den „verlornen Sohn“ in Dresden oder
den ,Besuch Marias bei Elisabeth“ in Lyon. Be-
sonders das letztere Stück entspricht in der Grup-
pierung genau unserm Bild (nur im umgekebrten
Sinn). Auch die Frau mit dem Korb auf dem
Kopf, die ähnlich auf Steens „Bauer, der waren
und kalt bläst“ (Sig. Bredius, Haag) vorkommt,
(1) K. Freise, Pieter Lastman, 9. 233.
ist der Kunst Jordaens’ entnommen. Jedenfalls
möchte ich betonen, daß die Ähnlichkeit nicht
nur auf einer Verwandtschaft des Temperaments
beider — wie das gewöhnlich angenommen wird —
beruht, sondern daß sich J. Steen hie und da bewußt
an Jordaens anlehnt. — Die Entstehung der „Winter-
landschaft (Sig. М. Brahe) Jan Steens ist auf
Grund eines Dokuments vor 1651 anzusetzen. Dazu
paßt, daß sie dem Stil der letzten Werke des
I. v. Ostade entspricht, der bekanntlich 1649 starb.
Um diese Zeit muß die Landschaft entstanden
sein. Sie steht sehr nahe der „Dorfkirmeß“ (Haag,
Mauritshuis Nr. 664; im Besitz von Dr. Bredius)
und bestätigt die Hypothese Prof. Martins, der
das letztgenannte Bild ebenfalls „um 1649“ da-
Чепе!). — Die ,,FluBlandschaft (Sig. A. von
Essen, Upsala) von Swinderswyk ist ein Uni-
kum. Der Meister, von dem wir hier zum erstenmal
ein Bild sehen, ist in Haarlem nachgewiesen, und
so läßt sich ein gewisser Zusammenhang unseres
Bildes mit Werken Sal. Ruysdaels leicht erklären.
Hiermit ist noch längst nicht der anregende In-
halt der Publikation erschöpft. Kurz seien wenig-
stens noch die Namen der Künstler, von denen
Granberg wenig bekannte Werke beschreibt, auf-
gezählt: David Beck, Henr. Bramer, Jan Coelem-
bier, H. Coster, Herm. Doncker, W. v. Drillen-
burg, Jer. Francken, P. v. Hilligaert, J. v. d. Hoecke,
J. С. Holblock, Th. de Keyser (mythologische Dar-
stellung), W. Knyff, Fr. Leux, B. Maton, J. v. d.
Merck, Mattheus Merian (über 40 Bilder), Jur.
Ovens (17 Bilder), Alex. Roslin, Hendr. de Tieer,
8. Р. Tilman, Abr. Wuchters.
Zum Schluß sprechen wir den Wunsch aus,
daß es dem verdienstvollen Verfasser dieser Publi-
kation möglich sei, recht bald einen zweiten Band
erscheinen zu lassen. Ein Wunsch, dessen Er-
füllung, wie der Verfasser im Vorwort sagt, nicht
von ihm allein abhängt. Karl Lilienfeld.
Multschers Kargaltar und das Grab-
steinmodell für Herzog Ludwig den
Gebarteten.
Mit drei Abbildungen auf einer Tafel.
Im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst
(Jahrg. 1910, Bd. 2) suchte ich vor einem halben
Jahre den Nachweis zu erbringen, daß das be-
rühmte Modell zu einem Grabstein für Herzog Lud-
wig den Gebarteten von Bayern-Ingolstadt (} 1447),
das jetzt im Bayrischen Nationalmuseum bewahrt
wird, von einem Ulmer Künstler und höchstwahr-
scheinlich von Hans Multscher selbst geschaffen
1) Siehe „Monatsh. f. Kunstwissenschaft“ 1910, Н. 5, 8. 181.
sei. Damals nicht in der Lage die Engel des
Modells und die des Kargaltars, auf deren nahe
Verwandtschaft ich hinwies, auch in Abbildungen
einander gegenüberzustellen, möchte ich das heute
nachholen und glaube damit auch diejenigen, denen
die Trümmer des Kargaltars nicht in genauer Er-
innerung stehen, von der Richtigkeit meiner Zu-
schreibung zu überzeugen. Die stilistischen Über-
einstimmungen, die sich bis in die kleinste Haar-
locke und die letzte Flügelfeder erstrecken ), sind
so augenfällig, daß sich jedes weitere Wort darüber
erübrigen dürfte.
Noch ein anderes beweist die engste Zusammen-
gehörigkeit von Grabsteinmodell und Kargaltar, das
ist der Wortlaut der Inschriften. Das Schriftband
des Modells ist bisher nie vollständig entziffert oder
gar erklärt worden und auch ich hatte seinerzeit
von einer Deutung Abstand genommen, da mir
eine Ergänzung der fehlenden Stücke nicht ohne
eine gewisse Willkürlichkeit möglich erschien.
Nachdem mir inzwischen die Direktion des National-
museums in dankenswertem Entgegenkommen die
Abnahme genauer Abdrücke gestattet hat, und mir
dadurch auch die Lesung anscheinend unentziffer-
barer Stellen gelungen ist, scheint mir nun doch
eine Ergänzung der fehlenden Stellen mit großer
Sicherheit möglich und zwar aus einem Vergleich
mit der Unterschrift des Kargaltars.
Diese lautet in den ersten beiden Zeilen: Iſte. labor.
qui. adinftacia 3 . pfidt . ac. circojpecti. viri . соптабі.
dicti . karg. 3 ciŭe 3 (1) . viméf?. cofectos . e. eft. finitos .
ipa . die. fti . tobanis . baptifte . ano. abincarnacdé. dni .
millefio . qvadrigẽteſid . tricefio . cercio (!) und es folgt
darauf als ein offenbarer Nachtrag in anderen und
kleineren Buchstaben die berühmte Zeile: t PER МЕ.
IOhAHHEM.MVLTSChEREH.HACIOHIS.DERI-
ChEHhOFEH . CIVEM . VLME . ЕТ . МАНУ.
MEA . PROPRIA . COHSTRVCTVS.
Vergleichen wir damit die Umschrift des Modells,
Sie beginnt auf den ersten fünf Bögen: /+ Ano but)
millefio / .quadr(i) / gecefio / tricefio / Es folgt auf
dem sechsten Bogen die Silbe боо, das у durch
einen Punkt oben seitlich als Ziffer gekennzeich-
net), also „quinto“, und ein ipa, das, wie die Unter-
schrift des Kargaltars lehrt, zu einer Tagesbezeich-
nung gehört haben muß, die nur auf den Bogen
y und 8 gestanden haben kann. Auf 9 möchte ich
nach obigem Beispiele ergänzen / confectus /, denn
es geht auf то und 11 weiter /. F. labor / ifte. ad / und
(1) Bei dem Modell sind die Ármel der Engel notdiirftig er-
ae vermag wenigstens keine andere Deutung fiir den
Punkt zu finden, das v ist gans deutlich und mit anderen
Buchstaben nicht zu verwechseln. Abkürsungsseichen fin-
den sich sonst mit der einen Ausnahme .?. auffälliger-
weise nicht.
513
nachdem wir ebenso auf 12 | inftantiam | ergänzt
haben, auf 13—18 ganz sicher / Ша /. pricipi(s) /
ac dni / ludwi / ci coits | palatnt |, worauf 19 — 22
(darauf noch die für mich unentrifferbaren Bruch-
stücke) weitere dem Herzog zukommende Titel,
so insbesondere das „ducis bavarie utriusque“ und
vielleicht auch einem in den Urkunden des Herzogs
nie fehlenden Flinweis auf seine Verschwägerung
mit dem französischen Königshause oder seine von
den Engländern okkupierte französische Grafschaft
Mortaigne enthalten haben werden. Für den Namen
des Künstlers scheint mir in der Umschrift kein
Raum mehr. War er einst auf dem Modell vor-
handen, so könnte er sehr wohl auf einem der ver-
schollenen, mit Wappendarstellungen geschmück-
ten Seitenteile, deren Ansatzspuren auf der Unter-
seite noch deutlich zu erkennen sind, gestanden
haben. Wir vermissen ihn jetzt kaum mehr,
nachdem wir zu all den offenbaren stilistischen
Übereinstimmungen mit urkundlich sicheren oder
mit guten Gründen zugeschriebenen Werken Hans
Multschers und seiner Werkstatt nun auch noch
eine in ihren wesentlichen Eigentümlichkeiten mit
der nur ein wenig breiter abgefaßten Unterschrift
des Kargaltars übereinstimmende Inschrift gefun-
den haben ). Ist an sich schon die Tatsache, daß
ein dem Gegenstand nach verhältnismäßig unbedeu-
tendes Werk nicht nur das Anfertigungsjahr (1435)
sondern auch das Vollendungsdatum nannte, be-
merkenswert, so überrascht hier, daß es auf genau
dieselbe Weise wie am Kargaltar geschieht, näm-
lich mit dem „ipsa die“. Könnte das immer
noch ein zufälliges Zusammentreffen sein, во er-
scheint mir ein solches doch völlig ausgeschlossen
bei der beiderseitigen Bezeichnung des Werkes als
„iste labor“, statt etwa des gebräuchlichen „hoc
opus“, die so ungewöhnlich ist, daß es überhaupt
fraglich erscheint, ob sie ein drittesmal auf deut-
schem Boden vorkommt.
Charakteristisch scheint mir die Umschrift auch
für die Art des Meisters selbst, der seine Werke,
ob groß oder klein an Umfang, mit derselben Be-
zeichnung belegt und auch das kleinste Stück von
seiner Hand für so wertvoll hält, daß ihm die An-
gabe des Vollendungsdatums geboten erscheint.
Das zeugt von einer ganz ungewöhnlich hoben
Selbsteinscbätzung des Künstlers, der er am Karg-
altar noch einen besonders prägnanten Ausdruck
durch die oben wiedergegebene Nachtragszeile ver-
liehen hat, wahrscheinlich erst lange nach Vollen-
dung des Werkes und zu einer Zeit, als es nicht
(2) Ob wir statt confectus etwa finitus, für instantiam et-
wa iussum ergänzen wollen, bleibt für die Sache belang-
los.
514
mehr selbstverständlich war, daß er eine ihm über-
tragene Aufgabe auch eigenhändig zu Ende führte.
Dafür scheint mir wenigstens die bisher anschei-
nend nicht beachtete Tatsache zu sprechen, daß
die Nachtragszeile zwischen den Worten MANV
und MEA einem Sprung der Steinplatte ausweicht,
auf den die oberen Zeilen, da er mitten durch die
Buchstaben hindurchgeht, noch keine Rücksicht
nehmen. Wie dem nun sei, erklärlich wird das
große Selbstbewußtsein bei der infolge der stilisti-
schen Verwandtschaft von Multschers Frühwerken
mit den Hochgrábern in Dijon nabeliegende An-
nahme, daß der Meister seine künstlerische Aus-
bildung in der dortigen, auch der Ulmer weit
überlegenen Bildhauerschule gewonnen habe !), eine
Annahme, die andrerseits auch erklärt, warum der
für alles Französische schwärmende alte Bayern-
herzog sich gerade an ihn wandte, nachdem ihm
infolge der politischen Verbältnisse ein direkter
Verkehr mit dem französischen Hofe, bei der er-
bitterten Feindschaft gegen Herzog Philipp vom
burgundischen gar nicht zu reden, unmöglich ge-
worden war.
Es mag im Anschluß hieran noch ein Wort
über die Ulmer Rathausfiguren, soweit sie für Mult-
scher oder seine Werkstatt in Betracht kommen,
gesagt sein. Die Tatsache, daß der Träger des ungari-
schen Schildes die bis ins Detail gleiche Rüstung
trägt, wie der Herzog auf dem Modell, läßt darauf
schließen, daß beide Werke gleichzeitig entstanden
sind, die Rüstungsmoden wechseln gerade in jenen
Jahren sehr rasch. Diese Vermutung wird bestä-
tigt durch die Zusammenstellung der Wappen in
der fraglichen Figurengruppe, die doch einen Sinn
haben muß. Die Wappen Karls des Großen, Un-
garns*) und Böhmens kamen Kaiser Sigismund und
nur ihm zu, da er der einzige bis auf Kaiser Maxi-
milian gewesen ist, der die drei Kronen in
seiner Hand vereinigte. Schon als Knabe mit der
Erbin der ungarischen Königskrone vermählt,
wurde er mit dem Tode seines Bruders Wenzel
1419 de jure König von Böhmen, am 31. Mai 1433
empfing er in Rom die Kaiserkrone, mit seinem
Tode am 9. Dezember 1437 fielen die drei Reiche
wieder auseinander. So scheint mir das Denkmal,
als welches sich das Prunkfenster, das die Sta-
tuetten vereinigt, darstellt, kaum vor 1433 und
kaum nach 1437 entstanden sein zu können; in
diese kurze Zeit fällt der Reichstag, den Sigismund
1434 in Ulm abhielt, und ich gehe wohl nicht
(1) Ob nicht auch die eigentilmliche Schreibweise „santta“
statt „sancta“ in der Umschrift des Kargaltars (vgl. die
Abb.) auf französische Bildung des Künstiers zurückzu-
führen ist, muß ich dem Urteil Sprachkundiger tiberiassen.
(2) Nicht Polens!
fehl, wenn ich das Fenster als eine Huldigung ап
Sigismund oder eine Erinnerung an das fúr Ulm
immerhin denkwúrdige Ereignis ansehe, die um
so selbstverstindlicher erscheint, als unter den
älteren wappenhaltenden Kurfürsten der Súdfront
der böhmische, wohl in Zusammenhang mit der
Absetzung König Wenzels, fehlt. Es galt hier
eine Unterlassung, die auf Sigismund peinlich
wirken mußte, gut zu machen. Dieser Reichstag
ist derselbe, auf dem der mit der Sorge um das
Grabmal betraute Sohn Ludwigs vor dem Kaiser
erschien, bei welcher Gelegenheit er in Hans Mult-
scher „den besten Werkmann, und Visierer“, nach
dem er zu suchen hatte, gefunden haben wird.
Die Tatsachen greifen sämtlich dermaßen prompt
ineinander, daß mir, wenn nicht ganz gewichtige
Gegengründe geltend gemacht werden sollten, nur
der eine Schluß erlaubt scheint: Hans Multscher
in Ulm hat 1435 das Modell zu einem Grabstein
für Herzog Ludwig den Gebarteten geschaffen, das
heute eine Perie des Bayrischen Nationalmuseums
bedeutet. K. Fr. Leonhardt.
WILHELM PINDER, Mittelalterliche
Plastik Würzburgs. Versuch einer lo-
kalen Entwicklungsgeschichte vom Ende
des XIII. bis zum Anfang des XV. Jahr-
hunderts. Würzburg, Curt Kabitzsch (A.
Stubers Verlag), 1911.
Die deutsche Plastik des XIV. Jahrhunderts ge-
hórt nicht zu den lockendsten Gebieten kunstge-
schichtlicher Forschung. Sie erscheint als Uber-
gangskunst zwischen dem Monumentalstil des ХШ.
und dem Realismus des XV. Jahrhunderts. Dennoch
läßt sie eine zielstrebige Entwicklung so schwer
nur erkennen, daß Arbeiten aus dem Anfang und
dem Ende des Jahrhunderts oft miteinander ver-
wechselt werden. Sie ist gebrandmarkt mit dem
Schlagwort des Manierismus, hinter dem eine
summarische Betrachtung — wie auch in anderen
Übergangsepochen, z. B. der niederländischen
Malerei des hohen und späten XVI. Jahrhunderts
— das Neue eines künstlerischen Wollens gern
verkennt. Und sucht man den „Fortschritt“, so
denkt man zumeist nur an die bereitwillig zuge-
standene Verfeinerung und Berichtigung der Wirk-
lichkeitsschilderung, die aber gerade unserer Zeit
mit dem anspruchsvollen Streben nach dem großen
Stil und der beginnenden Reaktion gegen die von
der Sammlermode getragene Vorliebe für die rea-
listische Plastik der Spätgotik noch keine Liebe
zu wecken vermag! — Überdies hat tatsächlich
die Verbreiterung der plastischen Produktion, die
das XIV. Jahrhundert in Deutschland bringt, zu
einem qualitätalosen Handwerk geführt, und neben
dem oft selbstgefälligen Manierismus gilt die de-
korative Flüchtigkeit als das bekannteste Charak-
teristikum dieser Kunst.
Trotzdem haben die letzten Jahre eine besonders
stattliche Reihe von Untersuchungen über die deut-
sche Plastik des XIV. Jahrhunderts gebracht, die
eine Korrektur des ungünstigen Gesamturteils über
diese Kunst bedeuten. Fast alle diese Unter-
suchungen haben die Bearbeitung eines lokal oder
landschaftlich begrenzten Bezirkes zum Inhalt.
Für eine entsprechende Bearbeitung der Würz-
burger Plastik der Zeit, wie wir sie nun dem Buche
Pinders verdanken, liegen die Verhältnisse nicht
besonders günstig. Vor allem fehlt hier eine, über
den ganzen Zeitraum sich erstreckende, durch-
laufende Produktion, wie sie an anderen Orten im
Gefolge großer baulicher Unternehmungen sich
entwickelte und verfolgen läßt. Der plastische
Schmuck an der Deutschhauskirche und dem
Augustinerkloster, der zum ersten Male hier eine
eingehende Würdigung erfährt, reicht gerade
aus, um die historische Situation für den
Anfang der behandelten Epoche zu bestimmen,
und dann bietet sich erst wieder am Ausgang der
Epoche in der Bauhütte der Marienkapelle ein ge-
schlossener und ergiebiger Denkmälerkreis. Für
die Zwischenzeit, also fast für das ganze hier zur
Untersuchung stehende Jahrhundert, liegen aus-
schließlich Einzeldenkmäler vor, besonders Grab-
mäler und Madonnenstatuen, die überdies ja nur
einen Bruchteil der Produktion darstellen. Diesem
lückenhaften Material gegenüber war es geboten,
nach Vollständigkeit zu streben, da nur so (auch
die Siegel sind eingehend berücksichtigt) eine ge-
schlossene Entwicklungslinie zu finden und die
entscheidenden Strömungen zu erkennen waren.
So wird neben einzelnen ganz hervorragenden
Kunstwerken auch manches behandelt, das weniger
um seiner selbst willen, als seiner Perspektiven
wegen wichtig wird. Daß gerade bei einer so
ausgreifenden Behandlung einer deutschen Lokal-
schule das Fehlen einer grundlegenden Unter-
suchung über die führenden französischen Schulen
gerade des XIV. Jahrhunderts und den Verlauf
ihrer Filiationen immer wieder vermißt wird, ist
nur selbstverständlich.
Neben dieser Einordnung der Werke in den
515
großen formgeschichtlichen Zusammenhang geht
einher die Feststellung der inneren Beziehungen,
durch die sie unter sich verknüpft sind und die
erst die Berechtigung gsben, von einer Würz-
burger Plastik im Sinne einer Schule zu sprechen.
Die hierauf zielenden Beobachtungen verraten die
intimste Vertrautheit des Verfassers mit den Denk-
mälern und sind gerade für die wichtigsten Stücke
überzeugend. Bei dem gegebenen Material liegt
im Charakter des Themas eine gewisse Gefahr zu
teleologischer Betrachtung, und in dem Streben,
aus dem Stoff das letzte herauszuziehen, mag Verf.
gelegentlich etwas viel in die Dinge bereingesehen
haben, weniger in der qualitativen Beurteilung,
als in der Art und dem Grad ihrer Verknüpfung
untereinander. So ist das Relief der „Mariae Schie-
dung“ mit den übrigen Arbeiten kaum hinreichend
verankert und seine Bedeutung für die Entwicklung
des neuen, „weichen“ Stils gewiß überschätzt. (Für
diesen selbst und seine Verbreitung in Deutsch-
iand scheint mir schließlich doch das alte Köln
und nicht der „Mittelrhein“ die entscheidende Quelle
darzustellen.) Im übrigen liegt der Wert des Buches
nicht nur in der Feststellung einzelner Resultate
— z.B. der Ausschaltung Freiburger Einflüsse für
die Dreikönigsfiguren; die richtige Ansetzung des
s. Z. von Börger umdatierten Mangoldmonuments
(vgl. auch Knapp, Wanderungen durch die Werk-
stätten fränkischer Bildhauer, S.23) —, sondern in
der eindringlichen Haltung der ganzen Betrach-
tungsweise: Es ist dem Verf. darauf angekommen,
den künstlerischen Gehalt dieser Denkmäler, die
besondere Bedeutung und Schönheit dieses Stils
zu erfassen und zur Darstellung zu bringen.
Das Buch ist mit 56 autotypischen Tafeln ergiebig
illustriert; vieles ist zum ersten Male und nach
neuen Aufnahmen hier abgebildet. Leider gibt
der Text keine Hinweise auf die Abbildungen.
Swarzenski.
GEORGES H. DE LOO, Heures de
Milan, Troisieme Partie des Tres-Belles
Heures de Notre - Dame enluminées par
les peintres de Jean de France, Duc de
Berry. Briissel u. Paris, G. van Oest & Cie.
28 Tafeln in Photogravure, 80 Seiten Text.
Es ist, wie wenn man eine seltene Frucht, von
der man viel gehórt und die man wohl von ferne
einmal gesehen, nun plötzlich in Händen hält,
aufbrechen und kosten darf. Das also sind die
Blätter der Bibliothek Trivulzi! Wie viele von
den speziell Interessierten haben, seit man über-
haupt durch Marquet de Vasselots glückliche Ent-
516
deckung von dem streng gehüteten Schatze weiß,
betrübt gestehen müssen, daß sie sie nicht kennen.
Nun darf sie jeder sehen — wenn auch nur durch
einen Schleier. Die Publikation ist eine neue
Glanzleistung des Hauses G. van Oest A Cie., die
Photograviren sind den Lichtdrucken, in denen die
„Heures de Turin“ uns nun fast einzig noch er-
halten sind, weit úberiegen. Und doch: was sind
Reproduktionen hier, wo es sich um die subtilsten
Fragen der Qualität handelt, wo alles darauf ge-
stellt ist, das Persönlichste der künstlerischen Lei-
stung zu erfassen? Sie reden zu laut, wo es gilt,
den Atem anzuhalten, um das zarteste Sichregen
künstlerischer Indivudalitäten zu erlauschen. Wer,
wie der Referent, nur auf diese Tafeln angewiesen
ist, kann nicht wagen, ein entscheidendes Wort
in der auf der Messer Schneide gestellten De-
batte um die kunstgeschichtliche Bedeutung dieser
Miniaturen mitzureden. Ermuß im wesentlichen dem
Herausgeber das Wort lassen und darf nur mit allem
Vorbehalte hie und da ein Fragezeichen anmerken.
Georges Hulin, dessen erste temperamentvolle
und feinsinnige Enthüllung der trivulzianischen
Geheimnisse auf dem internationalen Historiker-
kongreß zu Berlin 1908 noch in vieler Erinnerung
sein wird, hat zu den Tafeln einen ausführlichen
Text geschrieben. Oder eigentlich er und Paul
Durrieu. Denn nachdem Hulin zunächst die
Untersuchungen Durrieus über die „Heures de
Turin“ weitergesponnen und eine kritische Analyse
der Mailänder Bilderfolge vorgenommen hat, sind
ihm erst nachträglich Durrieus abschließende Un-
tersuchungen über die „Tres Belles Heures“ in der
Revue archéologique 1910 bekannt geworden. Er
setzt sich mit ihnen in den „Addenda et Corri-
genda“ auseinander, und so wird der gesamte Text
gleichsam zu einem Dialog zwischen diesen beiden
ausgezeichneten Kennern der französischen und
altniederländischen Malerei, die ihre Arbeit in jener
reizvollen Mischung von Liebhaberei und Gelehr-
samkeit ausüben, in der wir es unseren westlichen
Nachbarn niemals werden gleichtun können.
Es ist Hulin gelungen, die aus Durrieus Arti-
keln in der Gaz, d. B.-A. 1903 im wesentlichen
bekannte Geschichte der Handschrift und ihrer Illu-
strierung noch weiter aufzuhellen. Schärfere Inter-
pretation der Inventarnotizen, festere Datierung
der frühesten Malereien auf Grund der Bildnisse
Herzog Johanns haben folgendes ergeben: Der Duc
de Berry hat das Gebetbuch schon in den acht-
ziger Jahren des XIV. Jahrhunderts in Auftrag ge-
geben; ca. 1380 bis оо ist eifrig daran gearbeitet
worden. Als es 1405 seinen kostbaren Einband
erhielt und in den Schatz aufgenommen wurde,
war es noch nicht annähernd vollendet; са. 1410
bis 12 hat der Herzog wieder einige Seiten darin
malen lassen und es dann zwischen dem 31. Ja-
nuar 1412 und 31. Januar 1413 an seinen Schatz-
meister Robinet d’Estampes abgegeben. Dieser
hat bald darauf die Handschrift zerstückt: den ersten
Teil behielt er für sich und ließ die wenigen darin
noch fehlenden Bilder nachtragen; dies Fragment
befindet sich heute im Besitz des Barons Maurice
Rotschild in Paris. Den zweiten, noch wesent-
lich unfertigen Teil gab er ca. 1414 bis 15 an
Wilhelm IV. von Baiern, Grafen von Hennegau
und Holland weiter. Nach dessen Tode 1417 ver-
blieb er noch längere Zeit im Besitz der Familie;
sein Bildschmuck ist in mehreren Absätzen bis
um die Mitte des XV. Jahrhunderts vollendet
worden. Er war lange verschollen, tauchte Ende
des ХУШ. Jahrhunderts in Italien auf, ward aber-
mals in zwei Teile zerlegt, von denen der erste,
die „Heures de Turin“ vor einigen Jahren einem
Brand in der Turiner Bibliothek zum Opfer fielen,
der zweite, hier publizierte, in der Bibliothek Tri-
vulzi zu Mailand verwahrt wird.
Der allmählichen Entstehung entsprechen die
starken Stilunterschiede der Miniaturen. Es war
ein glücklicher Gedanke Hulins, die Tafeln seiner
Publikation chronologisch zu ordnen. Im beglei-
tenden Text nimmt er eine kritische Sonderung
aller Illustrationen der drei Fragmente vor. Er
geht darin beträchtlich über Durrieu binaus. Wäh-
rend dieser sich begnügt hat, drei „Gruppen“ auf-
zustellen, scheidet Hulin nicht weniger als zehn
„Hände“, und während Durrieu nur seine mittlere
Gruppe zeitlich festlegt und mit bekannten Künst-
lerpersönlichkeiten in Zusammenhang bringt, sucht
Hulin für alle Hände feste Zeitgrenzen und mög-
lichst bestimmte Namen zu gewinnen. Es ist
fraglich, ob er darin nicht zu weit geht. So schon,
wenn er „A“, d. h. die beste Hand aus der Zeit
des Duc de Berry, ohne weiteres mit dem Meister
des Parement de Narbonne identifiziert. So eng
auch die Verwandtschaft zwischen beiden ist, so
scheinen mir die spezifischen Qualitäten des Pare-
ment den Miniaturen grad zu fehlen. Köpfe, Hände,
allgemeine Gewandanlage decken sich. Aber die
Ausführung ist — das Urteil gründet sich immer
nur auf die Reproduktionen! — stark verschieden;
die unendliche Zartheit des Parement in der Zeich-
nung der Gewänder, der straffen und dabei schmieg-
samen Lagerung der Falten ist in den Miniaturen
nicht erreicht. Ist das nur Folge der anderen
Technik? Oder ist's doch eine derbere Hand?
Wie dem auch sei: das vor 1379 entstandene
Parement als nächst verwandtes Stück erkannt zu
haben, ist ein Verdienst. Die Gruppe wird da-
durch ebenso bestimmt wie durch das Porträt des
Herzogs in das volle XIV. Jahrhundert versetzt.
Auf die Zusammensetzung und Datierung der
folgenden minder bedeutenden Gruppen B—E soll
hier nicht eingegangen werden. Das Schwerge-
wicht liegt natürlich auch bei Hulin auf jenen
Bildern, die schon durch Durrieu in den Mittel-
punkt des Interesses gerückt worden sind: den er-
staunlichen Manifestationen eines spezifisch male-
rischen Sinnes, einer bildhaften Anschauungskraft,
die ihresgleichen in jener Zeit nicht hat und die
man darum nur einem außerordentlichen Künstler zu-
trauen mag. Die „Heures de Milan“ enthalten ein
paar prachtvolle Gegenstücke zu den bekannten
Turiner Bildern. Aber auf Grund dieser neuen
Stücke muß man vielleicht zu einer neuen Be-
trachtung der Dinge gelangen. Ich möchte mit
voller Bestimmtheit nur die folgenden vier Bilder
einer und derselben Hand vindizieren: Turin ı5
(Judaskuß) und 20 (Julian und Martha), Mailand 20
(Geburt des Johannes) und 21 (Totenamt). Die
Jungfrauen Turin 36 sind schon von Haseloff
(Kunstgesch. Ges. Berlin, Januar 1903) etwas ab-
gerückt worden und trotz Hulins Einspruch möchte
ich mich dem anschließen. Sie besitzen das Beste
jener vier Bilder nicht: die instinktive Sicherheit
in der Ordnung der räumlichen Eindrücke. Das
gleiche gilt von der Kreuzfindung Mailand 22.
Und das Herzogsbild? Wer das Original nicht
gesehen hat, darf grade hier wohl kaum mitreden;
die großen Unterschiede in der Wirkung zwischen
dem Lichtdruck in Durrieus Publikation und der
Gravure in der Gazette mahnen zu äußerster Vor-
sicht. Und doch: es scheint auch ihm etwas von
dem eigentümlichsten jener vier Bilder zu fehlen,
das Improvisierte der so kühn gegen den Rahmen
verschobenen Komposition, das Grazile der einzelnen
Bewegung, das Fluktuierende der ganzen Bilder-
scheinung. Es sind Härten im Nebeneinander der
Figuren und Lücken zwischen den einzelnen Grup-
pen. Das Bild ist nicht wie jene improvisiert,
sondern feierlich aufgebaut, es wirkt monumental
wie ein Tafelbild oder eine Tapisserie. Die Land-
schaft freilich ist gewiß vom Maler des „See-
sturms“. Aber, das ist die Frage, kann er sie
nicht hinzugefügt haben, als er das Figürliche
kopierte, nach einem älteren, noch vom Herzog
seibst gestifteten Erinnerungsbild, auf Wunsch der
Familie, in deren Besitz die Handschrift ja noch
lange verblieb? Die Möglichkeit solcher Fragestel-
lung allein muß wohl skeptisch stimmen. Denn
ist das Herzogsbild nicht durchweg Original, so
verliert es die Beweiskraft für die — erstaunlich
517
— frühe Datierung der ganzen Gruppe vor 1417!
Das ist, um es gleich zu sagen, überhaupt der
gewichtigste Einwand gegen Hulins Aufstellungen,
daß er alle Miniaturen, die zwischen den für den
Duc de Berry gemalten und den ca. 1450 hinzu-
gefügten Bildern entstanden sind, in die kurze
Zeit zwischen 1415 und 17 einspannen will. So
auch die Bilder seiner Hand „Н“, die er Jan van
Eyck benennt. Das ist nun aber gewiß nicht an-
gängig. Ich persönlich glaube, daß Gethsemane
(М. 23) und Pieta (Т. 29) Werke des Jan уап
Eyck sind. Aber einzig und allein wegen ihrer
engen Verwandtschaft mit den uns bekannten
Werken des Jan von 1432 an! Die eminente Stilkraft
dieser Linienzüge, dieser langen, gesittigten Kon-
turen, der unersättliche Realismus der Gesichter
weist auf den reifen Jan, nicht auf den Anfänger;
Johannes und Petrus in Gethsemane stehen dicht
neben der Pala-Tafel und der Frankfurter Madonna.
Diese beiden Bilder also, denen sich Kreuzigung
und Gottvater im Zelt wohl nur als Trabanten an-
reihen, beweisen alleine schon, daß man mit einer
Tätigkeit an der Handschrift in den dreißiger
Jahren des XV. Jahrhunderts zu rechnen hat; die
Hände „F“ und „I“ desgleichen. Da darf wohl
auch jene rätselvolle Gruppe „G“ aus den engen
Schranken, in die Durrieu und Hulin sie eingefaßt,
heraustreten und in das dritte bis vierte Jahrzehnt
versetzt werden. In jener Zeit rapidester Stilent-
wicklung müssen auch für die entscheidendsten
Fortschritte die kürzesten Zeitmaße angenommen
werden; und man muß damit rechnen, daß ganz
neue Erscheinungen zeitlich hart neben dem Alten
stehen. Aber wir haben doch Vergleichsstücke
von gleicher Qualität zur Hand. Die 1416 eben
vollendeten Kalenderbilder der „Heures de Chan-
tilly“ sind gewiß als das Vollkommenste anzusehen,
was um diese Zeit in der französisch-flandrischen
Kunst überhaupt zu leisten war: der Duc de Berry
hatte die besten Renner in seinem Stall. Wie weit
aber stehen diese Bilder vom entwicklungsgeschicht-
lichen Standpunkt aus betrachtet, hinter jenen
Darstellungen der ,,Tres belles Heures“ zurück.
Dort ganz neue malerische Reize daraus gewonnen,
daß der Ferneindruck an Stelle der mittelalter-
lichen Nahsicht getreten war, aber dafür auch
alles wie im Fernbild gemalt und schließlich
doch in ein dekoratives Liniennetz eingespannt —
hier zum ersten Male ein malerisches Continuum,
eine den ganzen Bildkomplex umspannende, ein-
heitliche, in ungebrochenem Zuge von der Nah-
sicht zur Fernsicht vordringende Anschauung, die
das Einzelne dem Ganzen opfert, den linearen Zu-
sammenhang zugunsten des räumlichen preisgibt,
518
Massenbewegung und atmosphirisches Leben an
die Stelle ruhender Nah- oder Fernbilder setzt.
Darf man solcherlei entgegengesetzte Erschei-
nungen (gleicher Qualität!) wirklich so dicht in
Jahresspanne aneinanderrücken? Die einzige Au-
torisation für solches Wagnis liegt gewiß in der
vollzogenen Taufe jener Bilder auf Hubert van
Eyck. „Pictor, quo [major nemo repertus“, wenn
dies in einem kritischen Traktat und nicht in einer
ihrem Wesen nach konventionellen Altarinschrift
stände, würde man bei solcher Taufe gern Pate
stehen. Denn der größte Maler jener Tage und
noch für lange Zeit (es ist ganz ernst zu nehmen,
wenn Hulin vor diesen Bildern an die Holländer
des XVII. Jahrhundert erinnert), war der Schöpfer
dieser Miniaturen. Aber sind wir heute wirklich
schon so weit, den Namen Huberta als etwas
mehr, denn eine verlockende Hypothese, vor diesen
Bildern nennen zu können? Wir wissen von Hu-
bert nur, daß er am Genter Altar beteiligt war.
Grade die Stücke aber, die dort von Jans bekannter
Art abstechen, sind schwer, ungefüge, unmalerisch,
haben mit jenen Pbänomenen nichts zu tun. Bleibt
eine Reihe Eyckischer Gemälde, die man ver-
suchsweise dem Hubert zugewiesen. Und diese
berühren sich tatsächlich mit den Miniaturen in
vielem. Aber zwei Hypothesen vermögen einander
nicht zur These zu ergänzen, alao bleibt „Hubert“
hier wie dort ein schöner Traum. Grade um jener
Tafelbilder willen aber sei nochmals mit aller Ent-
schiedenheit vor einer zu frühen Datierung der
Miniaturen gewarnt; sie dürfen keinesfalls auf
Grund der schwanken Aussagen einer durch Jahr-
zehnte hindurch laufenden Illustrationsgeschichte
einer Handschrift in so frühe Zeit verwiesen werden.
Hulin verspricht eine eingehende kritische Be-
handlung dieser Fragen. Wir sehen ihr mit
Spannung entgegen und danken ihm für das wert-
volle Geschenk, das er uns in den ,,Heures de
Milan“ beschert hat. Vitzthum.
ANTON MAYER, Das Leben und die
Werke der Brüder Matthäus und
Paul Brill Leipzig 1910. Verlag von Karl
W. Hiersemann. Kunstgeschichtliche Mo-
nographien, XIV.
Das Thema gehört einem Gebiete der nieder-
ländischen Kunstgeschichte an, das der Forschung
manche Hemmnisse in den Weg legt. Ein Teil
des fast unabsehbaren Bildermaterials aus dieser
Periode der vlämisch-holländischen Landschafts-
malerei befindet sich in den Depets der Galerien
und in den verstecktesten Privatsammlungen. Die
vielen noch unerkannten Landschaftsmaler dritten
und vierten Ranges, die als künstlerische Schöpfer
zumeist geringe Bedeutung besitzen, insgesamt
aber als Vermittler zwischen dem Stil Pieter
Brueghels d. Ä. und dem der Landschaften Ruis-
daels, Rembrandts und Rubens’ wichtig genug sind,
erschweren durch ihre unpersönliche Art eine deut-
liche Übersicht. Dazu kommt noch, daß die Namen
der wenigen Landschafter, die sich als markantere
Künstlerindividualitäten aus der Menge heraus-
heben, in vielen Fällen nur zur Verwirrung statt
zur Klärung beitragen. Denn ihre Namen — David
Vinckbons, Matthäus und Paul Brill, Jan Brueg-
hel d. A. usw. — sind im Laufe der Zeiten beinahe
Gattungsbegriffe für bestimmte Richtungen inner-
halb der niederländischen Landschaftsmalerei des
XVI. und XVII. Jahrhunderts geworden, so daß
für den Betrachter allmählich ihre Eigenart und
der Wert ihrer echten Leistungen von der Fülle
der falschen Zuschreibungen verwischt und beein-
trächtigt worden ist.
Anton Mayer, der dem für sorglose Zuschrei-
bungen sehr beliebten Begriff „Brill“ zu Leibe
rückt, batte für seine Untersuchungen in den rö-
mischen Fresken des Matthäus und des Paul Brill
einen sicheren Ausgangspunkt für alle weiteren
Werke. Als erhaltenes Originalwerk des Mattbäus
läßt er nur die um 1580 entstandenen Fresken
der Loggia Geographica des Vatikans gelten, die
eine Prozession unter Gregor ХШ. darstellen. Von
diesen zehn Bildern interessiert vor allem das
letzte, das die Prozession auf der Piazza di S. Pietro
zeigt. Denn dieses Fresko, das auch Mayer als
das bedeutendste des ganzen Zyklus besonders
hervorhebt, läßt an zwei ähnliche Bilder denken,
die ebenfalls eine Prozession vor der Peterskirche
vor Augen führen, und die von Rembrandts erstem
Lehrer Swanenburgh stammen. Diesen beiden
befangenen Gemälden in Augsburg und in Kopen-
hagen gegenüber erweist sich das um ein halbes
Jahrhundert früher entstandene Werk des Matthäus
Brill als eine ganz respektable Leistung. In der
Behandlung der von zwei entgegengesetzten Seiten
heranströmenden Menschenmassen, die locker und
übersichtlich gruppiert sind, die mit der Archi-
tektur gut zusammengehen und deren Darstellung
sich nicht allzusehr in Einzelheiten verliert, ist
Brill dem später geborenen Künstler sogar über-
legen. Die übrigen Bilder dieser Freskenreihe
sind im allgemeinen einförmiger ausgeführt, über-
ragen aber ähnliche Darstellungen vlämischer
Künstler aus dieser Zeit — man denke nur an
die langweiligen Umzüge, die Denis van Alsloot
am Beginne des XVI. Jahrhunderts malte! —
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft ıı
immerhin um ein beträchtliches. Stärker als in
diesen Fresken tritt der Zusammenhang der Kunst
des Matthäus Brill mit der Malerei seines Heimat-
landes in jenen Werken hervor, die uns nur noch
durch Nachstiche überliefert sind. Besonders die
Blätter, die Symon Frisius nach ihm stach (der
Name dieses Stechers scheint dem Verfasser merk-
würdigerweise entgangen zu sein), weichen im
Kompositionsschema und in den Einzelformen von
den üblichen vlämischen Dorfansichten und Phan-
tasielandschaften vom Ende des XVI. Jahrhunderts
nicht ab und zeichnen sich kaum durch einen
originelleren, persönlichen Zug aus.
Der Darstellung, die der Verfasser in knapper,
klarer Weise von der künstlerischen Entwicklung
des Paul Brill entwirft, dem er den weitaus größ-
ten Teil des Buches widmet, kann man im großen
und ganzen zustimmen.
Die Landschaftsfresken aus den Jahren 1587/88
im Vorzimmer der Vatikanischen Bibliothek, deren
Vordergrundsfiguren die Herstellung von Büchern
vor Augen führen, spricht Mayer dem Paul Brill
ab, ohne einen anderen vlämischen Künstler an
dessen Stelle setzen zu können. Vergleicht man
diese Gemälde mit den in den Jahren 1589 und go
entstandenen sechs Landschaftsfresken Paul Brills im
‚ Lateranspalast, so muß man dem Verfasser bei-
pflichten, der diesen letzteren Fresken gegenüber
in denen des Vatikans eine unruhigere Kompo-
sition sieht und bemerkt, daß „die einzelnen Be-
standteile der Landschaft, Bäume, Berge usw.,
ohne jede Tiefenwirkung kulissenartig hinter-
einander geschoben werden, ganz anders als bei
den aus derselben Zeit stammenden Laterans-
fresken.“ Da diese Fehler und diese eigentüm-
lichen Formen der Berge, der phantastischen
Felsentore und der Wasserburgen, der Bäume mit
ihren wenig kompakten Kronen und des Pflanzen-
wuchses bis auf die geringsten Details mit denen
der vlámischen Landschaften jener Jahrzehnte úber-
einstimmen, so mússen diese Fresken im Vatikan
unbedingt von der Hand eines vlámischen Kúnst-
lers herrühren, der von dem Landschaftsstil seiner
Heimat noch sehr abhángig ist. Unter den Vla-
men dieser Zeit káme aus stilistischen Grúnden
neben Brill nur noch einer, Coninxloo, in Betracht.
Da dieser aber seit 1587 in Deutschland weilte,
so kommt man immer wieder auf Paul Brill zu-
rúck, der auch von dem meist gut unterrichteten
Agostino Taja in seiner Beschreibung des Vati-
kans als Schópfer dieser Fresken genannt wird.
In den sechs Gemälden des Laterans, die ein
Jahr spáter entstanden, ist dann Brills Freskenstil
schon origineller und freier. Immerhin zeigen auch
36 519
diese Bilder noch einen recht engen Zusammen-
hang mit dem typischen vlämischen Landschafts-
stil jener Zeit und offenbaren eine genauere Kenntnis
der heimischen Kunst, als wie sie ihm durch
seinen älteren Bruder Matthäus allein übermittelt
werden konnte. Schon ehe Paul Brill nach Rom
kam, muS er sich in Antwerpen die wesentlichsten
Elemente des vlämischen Landschaftsstiles zu
eigen gemacht haben.
In seinen Tafelbildern aus den neunziger Jahren
des XVI. Jahrhunderts und in denen der Zeit von
etwa 1613 bis 1620 macht sich ein starkes Nach-
lassen der künstlerischen Kraft bemerkbar; beide
Male gelingt es ihm aber, die ursprüngliche Frische
wiederzuerlangen. Für uns ist es ja heute meistens
unmöglich, die Ursachen solcher Wandlungen im
Schaffensprozeß der alten Meister zu erklären —
man denke nur an die rätselhaften Schwankungen,
denen das Schaffen Jan Steens zeitlebens unter-
worfen war! Immerhin haben die Erklärungen,
die der Verfasser für Paul Brill gibt, viel Wahr-
scheinlichkeit für sich. Vor allem die Erklärung,
daß ihn die rege Nachfrage nach seinen Tafel-
bildern zu einer beinahe fabriksmäßigen Tätigkeit
verführte. Die Beliebtheit, deren sich seine Bilder
diesseits und jenseits der Alpen erfreuten, wird
außer durch literarische Überlieferungen auch durch
die große Zahi der Nachstiche, die nach seinen
Werken existieren, und durch die zeitgenössischen
Kopien seiner Gemälde bezeugt. Von der Fluß-
landschaft in Wien aus dem Jahre 1601 gibt es
beispielsweise außer der vom Verfasser erwähnten
Wiederholung im Amsterdamer Rijksmuseum
(dieses Bild trägt übrigens auch das Datum 1601)
noch solche im Museum von Cambridge und in
der Galerie Doria in Rom.
Über die auf Tafel 41 abgebildete „Landschaft
mit einem Liebespaar (Graz, Privatbesitz) sind
im Texte keine näheren Angaben zu finden. So-
weit man nach der Reproduktion urteilen kann,
rührt dieses Bild nicht von Paul Brill, sondern
von Alexander Keirincx her. Besonders mit den
Werken aus Keirincx’ mittlerer Schaffensperiode
geht diese Landschaft gut zusammen. —
Die 87 Reproduktionen, die das Buch enthält,
illustrieren nicht nur diese Abhandlung über das
Brüderpaar Brill in vorzüglicher Weise, sie bilden
auch für künftige Untersuchungen auf dem noch
sehr zu durchforschenden Gebiete der vlämisch-
holländischen Landschaftmalerei vom Ende des
XVI. Jahrhunderts ein brauchbares und wertvolles
Abbildungsmaterial. E. Plietzsch.
520
Allgemeines Lexikon derBildenden
Künstler, V. Band. Brewer Carlingen.
Herausgegeben von Ulrich Thieme. Leip-
zig, E. A. Seemann. 1911.
Das große Werk ist eins an dem man immer
steigende Freude erlebt da sich bislang jeder Band
als ein Fortschritt gegenüber seinem Vorgänger
erwiesen hat. In diesem fünften Bande spürt man
wieder daß die Hauptleitung eine wachsende Auf-
sicht ausübt, um die Beiträge möglichst gleich-
artig zu gestalten, und vor allem um sie in ein
richtiges Längenverhältnis untereinander, sowie
zum Zweck des Werkes zu bringen.
Der fünfte Band enthält unter anderen bedeu-
tenden Namen Brock (2), Bronzino (5), Brouwer (31%).
F. W. Brown (5'/,), P. Brueghel d. А. (5), B.
Bruyn (7), Bryaxis (5), Buffalmacco (6), Burne-
Jones (4), W. Busch (3), Butinone (3'/,), Cabanel (2'/,),
Calame (3), O. Caldara (6!/,), Callot (4), Cambiaso
(5), D. Campagnola (4), A. Canale (3), A. Cano
(3'/,), Cariani (3'/,), von denen keiner mehr Platz
als 7 Spalten einnimmt (die genaue Zahl ist in
Klammern angegeben). Künstler von entsprechen-
der Bedeutung sind in den früheren Bänden viel
weitläufiger behandelt worden, ohne daß die Ar-
tikel für den lexikalischen Gebrauch wertvoller
wären. Über dieses Maß von 7 Spalten gehen
dieses Mal nur Brunelleschi (13), Burgkmair (12),
Caliari (11), Canova (12 J), Caravaggio-Merisi (9 '/,)
hinaus; bei allen diesen Fallen mag man sich da-
mit einverstanden erklären. Im übrigen, glaube
ich, daß die Zentralredaktion gerade das richtige
getroffen hat, wenn sie ihr Augenmerk besonders
auf das Abwägen des Umfangs der Artikel richtet.
Es ist selbstverständlich, daß der äußere Umfang
nicht lediglich von der künstlerischen Bedeutung
abhängt. Aber selbst die obige Liste scheint an-
zudeuten, daß sich noch manches anders einrichten
läßt. Wenn Brouwer in 3!/, Brueghel d. А. in
5 Spalten zu erledigen war, so hätten für B. Bruyn
wohl auch weniger als 7 genügt. Gegen eine vor-
herige Angabe des Raums seitens der Redaktion,
oder auch gegen die Bitte einen Beitrag nochmals
umzuarbeiten und nach Bedarf zu kürzen, werden
die Mitarbeiter auch keinen Einspruch erheben:
ist man ja das Gleiche von jeder Zeitschriften-
Redaktion, sogar von vielen Buchverlegern ge-
wöhnt.
Dadurch kommt aber nicht nur größere Einheit-
lichkeit in das große Werk; es wird auch erst
dann wahrscheinlich daß es mit der ursprünglich
gedachten Bändezahl zum Abschluß kommt. Diese
Wabrscheinlichkeit ist bereits mit dem vorliegen-
den Band näher gerückt worden. Die verhiltnis-
mässige Buchstabenstellung von Nagler, Mariette,
Múller-Singer ist zwar noch nicht ganz erreicht,
mit einem der alten italienischen Kiinstlerlexika,
— ich glaube mit Gori oder Lanzi — hilt der
vorliegende fiinfte Band aber bereits gleichen Schritt,
und dieses beläuft sich auch auf 20 Bände.
Mit Genugtuung bemerkt man, daß in dem neuen
Band solche Künstler wie Caldara, Caliari, Canale
unter ihren richtigen Namen eingeordnet sind,
nicht unter Caravaggio, Veronese Canaletto. Hoffen
wir, daß die Zentralredaktion auch auf diesem Weg
weiter schreitet, und den Fehlgriff der in den
ersten Bänden obwaltet, so weit es sich noch tun
läst, verbessert. Für das schnelle Auffinden ist
es unerläßlich, daß man die Künstler unter ihren
richtigen Namen einordnet, weil es von den Spitz-
namen oder Sobriquets meist mehrere gibt, der
eine Benutzer 2. В. nach Claude, der andere nach
Lorraine sucht und einer von beiden natürlich ent-
täuscht wird. Weiß man, daß ein für allemal
der Künstler unter seinen eigentlichen Namen
steht, so verliert man keine Zeit mit herumtappen.
Für die schnelle Benutzung ist auch eine weitere
Gleichförmigkeit m. E. von größter Bedeutung.
In neun Fällen aus zehn wird man das Lexikon
nachschlagen nur um ein Lebensdatum festzustellen.
Daher müßte die Redaktion es jedem Mitarbeiter
zur Bedingung stellen, die Artikel gleichmäßig anzu-
fangen mit: Name, Beruf, Geburtstag und Ort, Todes-
tag und Ort (oder solche feste Daten, die an Stelle
dieser treten). Ein abschreckendes Beispiel dafür,
wie es nicht gehandhabt werden muß, bietet das
vielleicht unzulänglichste aller Lexika, die Allge-
meine Deutsche Biographie. Dort kommt es vor,
daß man zwanzig Seiten lange Artikel buchstäb-
lich Wort für Wort durchlesen muß, ehe man
diese paar Daten findet. An einer Stelle, und zwar
nicht anfangs, steht der Geburtstag. Anderswo
findet man, in den Text eingeflochten, ‚seine
letzten Lebensjahre verbrachte er wieder in seinem
Geburtsorte Halle“, und noch wo anders findet
man verborgen die Angabe des Todestags. Im
vorliegenden Band muß man bei „Brunelleschi“ eben-
falls ail, Spalte lesen bis endlich die Geburtsan-
gabe kommt. Der Todestag steht dann zwar am
Schluss aber ohne Ortsangabe, und der Unkundige
— für den doch das Lexikon bestimmt ist —
muß nun wieder im Text herumsuchen, bis er
findet, in welchem Dom Brunelleschi beigesetzt
wird. Das sind Dinge die den Benutzer der gerade
Eile hat, stark irritieren, und solche Übelstände
kann die Zentralleitung im Handumdrehen ab-
stellen.
Während ich bei früheren Bänden bemerkt habe,
daß mancher Titel m. E. hätte fortbleiben können,
weil die Nachricht die er brachte, den Aufwand
an Platz und Mühe nicht verlohnte, — das trifft
übrigens auch noch auf den fünften Band zu —
so finde ich diesmal, daß einige Künstler fehlen,
die man, des Prinzips halber, ungern vermißt.
Es ist natürlich schwer einen Grundsatz für die
Aufnahme in ein solches Werk festzustellen; aber
ich meine, da nun einmal eine weitgehende Voll-
ständigkeit angestrebt wird, müßte das neue Lexi-
kon alle die Künstler behandeln, von denen frühere
Lexika positive Daten bringen. Es tut mir zwar
die Ehre an, sich des öfteren auf mich zu berufen;
aber es bringt nicht alle die Künstler, die ich in
meinem Werke brachte: z. В. J. Н. Campbell und
Jacques, A. E. van der Borch. Wenn man nun auch
über den eben vorgebrachten Gesichtspunktzweierlei
Meinung sein kann, so glaube ich doch, daß man
mir zugeben wird, daß Borch und Campbell nicht
fehlen durften, weil von beiden Werke in öffent-
liche Museen gelangten. Sobald aber ein Künstler
es dahin gebracht hat, daß sein Werk sich in
öffentlichem Besitz befindet, gehört er unbedingt
in dieses Lexikon.
Gegenüber diesen geringfügigen Ausstellungen
muß ich aber sofort wieder die zahlreichen vor-
züglichen Beiträge dieses fünften Bandes hervor-
heben. Ein solcher Artikel, wie der über Burgkmair,
erscheint mir geradezu eine Musterleistung zu sein,
in der ein Spezialist den Stand unserer Kenntnisse
in vielverwickelten Fragen vorträgt und in ebenso
trefflicher wie selbstloser Weise seine Arbeit als
Lexikonbeitrag preisgibt, die er zu einem umfang-
reichen Buch hätte verwenden können. Derartige
Artikel gibt es in diesem Band noch viele, und
geradezu einzig in seinem Benutzungswert steht
dieses Lexikon da, durch die Art und Gewissen-
haftigkeit seiner Literaturangaben am Schluß eines
jeden Titels.
Bekanntlich sind wesentliche äußere Verände-
rungen mit diesem fünften Bande in Erscheinung
getreten. Der Verlag ist an einen eigentlichen
Kunstspezialisten übergegangen, E. A. Seemann;
die Veränderung kann dem Buch höchstens zum
Vorteil gereichen. Professor Becker ist aus Gesund-
heitsrücksichten zurückgetreten, und die Weiter-
führung ruht somit auf den Schultern Professor
Thiemes, des ursprünglichen Urhebers des Plans.
Im Bureau sind neue Kräfte angestellt worden,
die ganz bestimmt die Vollendung innerhalb
20 Bänden und innerhalb der nächsten acht Jahre
verbürgen sollen. Wenn das Werk auch noch
ein oder zwei Bände über die 20 hinaus erreicht
521
und ein oder zwei Jahre lánger in Anspruch nimmt,
so wäre das Unglück nicht so groß.
Höchstwahrscheinlich wird zum Schluß doch
noch ein Ergänzungs- und Berichtigungsband er-
scheinen müssen, wie das bei Werken von einer
mehr als zehnjährigen Erscheinungsdauer nicht
zu umgehen ist. Hierfür erlaube ich mir zum
Schluß, einige kleine Beiträge zu steuern. Büchel
E.; Müller-Steinla hat nicht eine Sistina unvoll-
endet hinterlassen: seine Platte erschien bereits
1847, wurde später von Felsing, dann (1877, nicht
1878) nochmals von Büchel retouchiert. Büchels
letzte Arbeit ist nicht das Brustbild eines Mäd-
chens, sondern eine Sistina, nur Halbfigur mit
dem Kind in einem Oval. Es ist seine Haupt-
arbeit. Bürkner; zu monieren wäre die Schreib-
weise Schäuffelin, Behaim. B’s. Hauptarbeit die
Aufzeichnung der Rethelschen Totentanzbilder und
des Hannibalszugs auf Holz, wird nicht genannt;
auch wird nicht erwähnt, daß er jahrelang Leiter
der Kupferstichsammlung S. М. Friedr. Augusts II.
war. Büsinck L. Seine Farbenholzschnitte sind
nie mit Zuhilfenahme von Kupferplatten gedruckt
worden. Bijlaert J.J. Sein Buch erschien nicht
„im selben Jahr auch in französischer“ Sprache, son-
dern es weist auf den linken Seiten den Text in
holländischer, auf den rechten Seiten in franzö-
sischer Sprache auf. Cameron D.Y. Sein zweiter
Vorname lautet nicht Young. An diesem Blute
bin ich wohl selbst, dank einer kühnen Hypothese,
Schuld. Schon seit vielen Jahren verweigert Cameron
selbst den besten Freunden jedwede Auskunft über
keinen zweiten Vornamen. Früher muß er aber
einmal eine schwache Stunde gehabt haben. Im
Katalog der Galerie Knorr in München, die ein
Bild von ihm besitzt, steht David Yea mes Ca-
meron. Auf Yeames kann niemand von ohngefähr
kommen: es ist zweifellos richtig. H. W.Singer.
BARON D’HEINRICH von GEYMÜLLER,
Architektur und Religion. Gedanken
über religiöse Wirkung der Architektur.
Heft I der Nachgelassenen Schriften; her-
ausgegeben von E. LaRoche u. Josef Durm.
Verlag von Kober, C. F. Spittlers Nachf.,
Basel. 1911.
Nicht leicht ist es den richtigen Standpunkt zu
finden, von dem aus man dem vorliegenden Buche
gerecht werden kann; schon die Person des als
namhaften Forscher bekannten Verfassers gebietet
mit dem Urteil vorsichtig zurückzuhalten, auch
dann, wenn man seinen Ausführungen auch mit
dem besten Willen nicht zuzustimmen vermag.
522
Dazu kommt, daß das Buch eine Materie behan-
delt, die an sich schon so schwer klar in Begriffe
gefaßt werden kann, daß selbst philosophisch Ge-
schulte die zahlreichen Klippen nicht ungefährdet
werden umschiffen können; um so mehr muß es
deshalb als ein Wagnis bezeichnet werden, wenn
ein auch noch so fein ästhetisch empfindender
aber philosophisch Ungeschulter diese Materie zu
ergründen versucht: der Versuch mußte mißglücken.
Trotzdem müssen aber alle jene, die in der Bau-
kunst mehr sehen als lediglich auf mathematische
Konstruktionen beruhende Zweckbauten, den Her-
ausgebern wohlverdienten Dank zollen, denn sie
vermittelten den Einblick in das Geistesleben eines
Künstlergelehrten, der über das Wesen seiner Kunst
nachgedacht hat und im Künstler einen Funken
göttlicher Schöpferkraft wirken sieht. Ein glaubens-
starker Idealismus spricht aus dem Buche, der
stark genug ist, um über die festgegründetsten
Wahrheiten moderner Forschung hinweg seinen
Phantasien treu zu bleiben. Ant. Reichel.
GEORG PFEILSCHIFTER, Die Ger-
manen im römischen Reiche. Theo-
dorich der Große. (Weltgeschichte in
Charakterbildern.) Mainz, Kirchheim & Co.
Mit einem Titelbild und тоо Abbildungen.
Ein Historiker entwirft in diesem mit voller Be-
herrschung des Stoffes geschriebenen Buche ein
farbenprächtiges Bild der Epoche Theodorich des
Großen, dessen 30jährige Regierung für Italien in
den Stürmen der Völkerwanderung eine Zeit des
Friedens und Aufschwungs bedeutete. Konstanti-
nopel, Rom und Ravenna, die Kulturzentren der
damaligen Welt und die Schauplätze des Lebens
Theodorichs, werden uns geschildert und ihre Kunst
in Wort und Bild vorgeführt, wobei der Verfasser,
als Nichtfachmann, sich an Venturi, Rivoira und
Haupt anschließt.
Der Gesichtspunkt, der für Theodorichs Politik
maßgebend war, die Beschützung und Konservie-
rung des Imperium, an das er mit den Besten
seiner Zeit glaubte, scheint auch für sein Kunst-
wollen Geltung zu haben. Die ostgotisch-ravenna-
lische Hofkunst charakterisiert das Festhalten an
der antik-römischen Tradition. Das Palatium —
dessen Mosaikbild in S. Apollinare nach Aquarell-
kopie als Fünffarbendruck dem Buche voransteht —
scheint nach dem Muster der Kaiserpaläste in
Spalato und Edessa erbaut gewesen zu sein. Die
Dekoration der Hofkirche, der Martinsbasilika,
später S. Apollinare Nuovo genannt, möchte der
Verfasser auf römische Vorbilder zurückführen.
Dagegen hat jetzt A. Baumstark!) auf Grund litur-
gischer und ikonographischer Zusammenhänge ge-
zeigt, daß der biblische Zyklus der Langhauswände
direkt von dem Bilderschmuck der justinianischen
Prachtkirchen in Jerusalem abzuleiten ist. In byzan-
tinischer Zeit kamen die Prozessionsszenen hinzu,
während die Bildnisse Theodorichs und seiner
Großen zerstört wurden. Man ist leicht geneigt,
aus dem Arianertum der Ostgoten einen Gegen-
stand zur römischen Kirche herzuleiten, während
in Wirklichkeit das beste Einvernehmen zwischen
König und Papst bestand, deren gemeinsamer
Gegner der oströmische Monophysitismus war.
Wir kennen zwei arianische Kirchen in Rom, 8.
Agata in Suburra und die spätere Kirche S. Seve-
rino in der Nähe des Laterans. In Rom residierte
Theodorich auf dem Palatin, und indem er Zirkus-
spiele veranstaltete und für die Herstellung der
Bauten sorgte, fühlte er sich als Nachfolger der
Zäsaren. Von seinen Palastbauten in Verona,
seiner bevorzugten Residenz, Monza und Neapel
wissen wir nichts; höchstens trägt der Colle diS.
Pietro in Verona die kümmerlichen Reste seines
Kastells. In der nahe gelegenen Kirche S. Stefano
sieht der Verfasser die einstige Hofkirche, deren
Chor und Krypta er für ostgotisch bált. — Auch
an der Kunst des Volkes ist das Umbiegen zur
antik-rómischen Tradition bemerkbar. Der Ver-
fasser weist das sehr húbsch an den Schmuck-
und Waffenfunden von Nocera und Castel Trosino
nach (jetzt im Thermenmuseum zu Rom), von
denen er Abbildungen bringt. Ihnen steht etwa
der Goldfund von Nagy-Szent-Miklos (in Budapest)
gegenüber. Das Fazit zieht der Verfasser in dem
Satze: „Was sie (die Goten) überhaupt an höherer
Kultur batten, das hatten sie von der griechisch-
römischen Welt.“ (S. 74.)
Wie mächtig die antikisierenden Tendenzen
waren, beweist das Beispiel Cassiodors, dessen
Plan einer römischen „Universität‘ freilich schei-
terte und der sich mit seiner „Akademie“ im Kloster
Vivarium (bei Squillace in Calabrien) begnügen
mußte. Auch nach dem Tode Theodorichs, dessen
innerlich unhaltbare Situation den Keim zur her-
einbrechenden Katastrophe in sich trug, wandelte
man in den alten Bahnen fort. In Ravenna ent-
standen die Kirchen S. Vitale und 8. Apollinare in
Classe (526—534), S. Maria Maggiore, S. Giovanni
e Paolo und S. Michele in Affriscisco (Apsismosaik
im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum). ‚‚Stadtrö-
mische, byzantinische, syrische und ägyptische
(1) Frühchristlich-palästinensische Bildkomposition in abend-
ländischer Spiegelung. Byzantinische Zeitschrift XX, 1911,
8. 177 ff. und bes. S. 188 ff.
Formen fließen hier zusammen“ (S. 109). In Rom
erbaute Theodorichs Tochter Amalaswintha die
Kirche 8. Cosma е Damiano am Forum, „die erste in
öffentlichen Monumenten Roms errichtete Kirche“.
Damals entstand auch das „größte und schönste“
KatakombengemäldeRoms (inderCommodilla-Kata-
kombe). Es waren die letzten Zeiten des ostgotischen
Reiches. In fünfjährigen Kämpfen wurden Rom
und Ravenna erobert und Italien zu einer byzan-
tinischen Provinz degradiert. Ravenna, das seit
ca. 540 katholisch war, wurde das abendländische
Einfallstor der orientalisch - byzantinischen Kunst
(Agnellus und Maximian). Theodorichs Andenken,
dessen Gebeine aus dem Grabe gerissen wurden,
lebte als das eines Ketzers fort. Nach einer Quelle
des XIII. Jahrhunderts soll er später in S. Michele
zu Pavia, zur Seite des hl. Eleucadius beigesetzt
worden sein (?). — Man gestatte uns noch eine
Andeutung über den ferneren Gang der Entwick-
lung. Das Abbrechen der antik-römischen Tradi-
tion (Cassiodor - Boethius) wird bezeichnet durch
die Namen Gregors des Großen und des hl. Bene-
dikt. Dieser verpflanzte das orientalische Mönch-
tum nach dem Abendlande; von Subiaco — Monte
Cassino führte der Weg nach dem fränkischen
Gallien (St. Benoit-sur-Loire [!]). Das größte Er-
eignis im Leben Gregors war die Christianisierung
Englands. Irische Mönche brachten die angelsäch-
sische Buchmalerei nach Italien und in Bobbio
kratzte man die griechischen Handschriften ab und
füllte sie mit den Werken der Kirchenväter. In
den Kiöstern Oberitaliens erwuchs das unerklärte
Phänomen der Langobardischen Kunst. Und
schließlich: im Todesjahre Theodorichs gelangte
im Osten der Mann auf den Thron, dessen Name
mit der höchsten Blüte der byzantinischen Kunst
verbunden ist — Justinian.
Von den Illustrationen des schönen und nütz-
lichen Buches erwähnen wir noch unter zahl-
reichen Münzen eine Goldmünze mit dem Bildnis
Theodorichs, in mailändischem Privatbesitz (ver-
größert!), die Reliefs am Hauptportal уоп 8. Zeno
zu Verona (XII. Jahrh.), in denen der Verfasser den
mit Odowakar kämpfenden Theodorich zu Pferde
sehen möchte, Miniaturen einer vatikanischen Hand-
schrift des XII. Jahrhunderts und endlich eine
merkwürdige krause Darstellung des Klosters Vi-
varium mit seinem Fischweiher, aus einer Cassiodor-
Handschrift in Bamberg.
Bernd Curt Kreplin.
523
MAXIMILIAN MODDE, Unser Lieben
Frauen Kloster in Magdeburg. Eine
Monographie mit eigenen Zeichnungen.
Magdeburg, Creutzsche BuchhandL, 1911.
Eines der von Architekten verfaßten Bücher über
ein altes Bauwerk, das, ohne viel durch Stilver-
gleichungen belastet zu sein, alles zugängliche
Material fleißig zusammenträgt. Die Hinweise auf
verwandte Bauten sind unbestimmt, und die Bau-
beschreibung recht ausführlich; das beeinträchtigt
etwas die Brauchbarkeit des Buches. Auch hätten
gute Lichtdrucke wohl eine genauere Vorstellung
von dem Liebfrauenkloster in Magdeburg gegeben,
als die Zeichnungen. Der Kreuzgang mit der
Tonsur und die andern romanischen Bauten wer-
den in ihrer besonderen Schönheit gewürdigt. Nur
der besonderen Aufgabe, die komplizierte und doch
klare Baugeschichte der Kirche fesselnd darzustellen,
ist der Autor nicht ganz gewachsen. Der Wert
seines Buches liegt vornehmlich auf dem Gebiet
des reichen Tatsachenmaterials, das sich über die
umfangreiche Geschichte des 1015 gegründeten
Klosters und seiner Anlage innerhalb der Stadt
ebenso verbreitet, wie über die vielen noch erhal-
tenen Baulichkeiten. Der Kern der Kirche entstand
zwischen то7о und der Mitte des XII. Jahrhunderts,
die eigentümliche Turmgruppe mit dem hohen
Giebelhaus zwischen sich (eine wohl vom Rhein
her beeinflußte Abart des sächsisch-romanischen
Fassadenblockes) in der zweiten Hälfte des ХП.
Jahrhunderts, in welcher auch — mehr um die
Mitte — der Kreuzgang gebaut wurde. Ausbau
und Überwölbung der Kirche fällt ins XIU. Jahr-
hundert; Modde läßt diesen Einbau von strengem
Übergangsstil etwa 1215 beginnen und als „ältestes
frühgotisches Werk Norddeutschlands“ vor dem
Magdeburger Dom rangieren; aber hier möchte ich
ihm durchaus widersprechen und seine Bauge-
schichte ergänzen.
Der Kern einer frühromanischen Basilika mit
Stützenwechsel, den Modde gut beschreibt, wird im
Innern von einem Gerüst schlanker Bauglieder um-
faßt, welches die alte romanische Schwerfällig-
keit in aufstrebende Schlankheit verwandelt. Ganz
in nachromanischem Geiste schließt ein sechstei-
liges Gewölbe das Hauptschiff; die Wanddienste
entsprechen konsequent seiner Gliederung, Rippen
und Spitzbogen, auch das Motiv des hinter den
Gewölbeträgern durchgeführten Umgangs auf halber
Höhe (wie in S. Trinité zu Caen) deuten auf Ein-
flüsse aus der Normandie. Vierung und Chor sind
bei völlig gleichen Formen, bereits vierteilig über-
wölbt und verzichten auch gänzlich auf die sonst
524
durchgeführte Markierung zweier Geschosse. Ab-
weichend erscheinen nur die beiden Querschiffs-
flügel: strikt getrennte Stockwerke, schwerfälligere
Formen, ornamentierte Kapitelle und siebenteiliges,
mangelhaft beherrschtes Gewölbe mit sehr starkem
Stich. Offenbar sind diese Flúgel samt den Neben-
schiffen in einer frúheren, weil ungeschickteren
Redaktion entstanden. Da der Formengeist im
Hauptschiff der gleiche bleibt, nur verfeinert und
elegant wird und alles Ornament abstößt, so sehen
wir einen stetigen Fortschritt von den Querschiffen
úber das Langhaus bis zur Vierung und Chor vor-
warts schreiten. Und diese, recht augenscheinlich
sich langsam abrollende Entwicklung soll dem 1209
begonnenen Dombau vorangegangen sein? Das
kleine Kloster soll mit einer bloßen Ummantelung
den Ruhm der „ältesten Frühgotik“ Deutschlands
davontragen? Es müßte sehr seltsam zugegangen
sein, wenn der Dombau in Magdeburg, auf dem
die Augen ganz Sachsens ruhten, nicht die Stelle
des führenden Baues eingenommen hätte. An andrer
Stelle habe ich gezeigt, daß er dies im weitesten
Umfang war!). Die Liebfrauenkirche gehört zu
seinen Tochterbauten.
Am stärksten sind die Querschiffe vom Domchor
beeinflußt. Mit ihnen muß, so seltsam das an-
mutet, der Umbau begonnen sein: die Einfügung
eines inneren Strebesystems ist noch ungeschickt,
durch den Rundbogenfries in zwei getrennte Ge-
schosse geschnitten und der alten Gliederung durch
Nischen etc. schlecht angepaßt, mit verschieden-
artigen Bogen, Säulen und Spannweiten; ebenso
steht ihr siebenteiliges Rippengewölbe mit starker
Busung nicht auf der Höhe der übrigen Gewölbe.
Die steilen attischen Säulenbasen entsprechen so-
gar noch der ersten Periode des Dombaus, während
die übrigen Formen allerdings schon auf einen
Schüler des sog. „Naumburger Meisters“ weisen,
der im Dom u.a. Chorumgang und Kapellen über-
wölbte?). Der Architekt der Querschiffe scheint
ebenso aus dessen Bauhütte hervorgegangen zu
sein wie jener, welcher den Bischofsgsng und das
Chorhaupt am Dom vollendete (., Hochchormeister*).
Er ist ihm am nächsten verwandt, obne jedoch
mit ihm identisch zu sein: Die Wölbungsart mit
starkem Kappenstich, die Rippenprofile, die in Form
von Kugeln etc. herabhängenden SchluBsteine und
die Art des Rundbogenfrieses, dessen einzelne
Bogen auf kleinen Konsolen stehen; dazu noch —
nur an der Ost- und Nordwand — Kapitellorna-
mente, die vom „Französischen“ und dem „Meister
(1) Р. F. Schmidt, Der Dom su Magdeburg.
Karl Peters, 1911.
(2) Vgl. ebenda, S. 3f.
Magdeburg,
der Stengelkapitelle“ herrühren!): die gleiche
Schulung und die Beschäftigung gleicher Stein-
metzen kaun nicht deutlicher hervortreten.
Der zweifelhafte Erfolg, welchen diekonstruierende
und schmückende Tätigkeit dieses Architekten hatte,
bewog die Kirchenfabrik, bei der Einmantelung des
Hauptschiffes ihn durch einen moderneren zu er-
setzen. Es ist unmöglich, eine Entwicklung der
gleichen Persönlichkeit hier anzunehmen: so ver-
schieden ist der Geist des Hochschiffes von dem
der Querflügel. Zwar behielt man, wohl um die
Felder zwischen den Gewölbestützen nicht allzu-
schmal erscheinen zu lassen, den Rundbogenfries
bei, allein die Dienste durchbrechen ihn und steigen
schlank bis zu den Gewölben empor. Erst hier-
durch und durch den gleichen Abstand der Stützen
und die gleichmäßigen Reihen von Spitzbogen tritt
die Absicht des Umbaus klar hervor: den Raum
höher erscheinen zu lassen, ihn zu gotisieren.
Dieser modernen Tendenz wird der Mangel an
allem Ornament (die Kapitelle sind nackte Kelche)
und die Schlankheit aller Glieder, einschließlich
der Rippen gerecht; der Eleganz dieses Raumein-
druckes kommt in nachromanischer Zeit durchaus
nichts gleich, und erst hochgotische Kirchen er-
reichen seine magere Rassigkeit. Daß die Ge-
wölbe normannisch - sechsteilig bleiben, stört die
gotisierende Tendenz nicht, da aller Nachdruck
wie stets auf den Stützen ruht, gibt aber einen
Fingerzeig, mit der Entstehung dieses Teils nicht
zu weit hinaufzurücken. Mag man die Querschiffe
nicht vor 1220 begonnen haben, so wird das Lang-
haus nicht viel über 1230 hinauszusetzen sein.
Vollkommene Einheitlichkeit aber wird erst in
Vierung und Chor erreicht. Sie sind vierteilig über-
wölbt und die sämtlichen Gewölbedienste im Chor
steigen ohne irgendeine dekorative Unterbrechung
empor; dieses eingeschossige System besitzt nichts
mehr vom Romanischen, erinnert kaum noch an
den Übergangsstil. Nur die Kuppen haben noch
Stich. Die Profilierung der Wanddienste entfaltet
hier ihre volle Grazilität und der Parallelismus
zwischen der Zahl ihrer Glieder und der des Ge-
wölbes wirkt streng und einheitlich. Die Enthalt-
samkeit von Schmuck und die Folgerichtigkeit der
Konstruktion erinnern an Zisterzienserkirchen des
Übergangsstiles, wie Ebrach und das (mit dem
(1) Vgl. Hamann-Rosenfeld, Der Magdeburger Dom: Abbil-
dungen 28a, 30, 58, 66 mit Modde, Abbildung 36.
Magdeburger Dom zusammenhängende) Riddags-
hausen. (Das Liebfrauenkloster gehörte den Prä-
monstratensern, die sich mitunter an die Zister-
zienser-Bauweise anschließen.)
Dieser Hauptmeister des Langhauses steht dem
„Naumburger Meister“, der außer in Magdeburg in
Naumburg, Halberstadt, Riddagshausen und andern
Orten baute, nach Geist und Bedeutung näher als
der der Querschiffe, aber er ist unabhängiger von
ihm, wenn auch vielleicht ebenfalls durch seine
Schule gegangen. Er mag den Chor schon um
1240 beendet haben. P. F. Schmidt.
BERNHARD KELLERMANN, Ein Spa-
ziergang in Japan. Berlin 1911. Ver-
lag von Paul Cassirer.
Uber Japan ist schon soviel geschrieben worden,
daB jedes neue Buch úber das gleiche Thema einen
schweren Stand haben dúrfte. Aber der Verfasser
dieses „Spazierganges“ hat einen anderen Weg
eingeschlagen, wie seine Vorgánger. Er verzich-
tete auf die breite, vielbegangene Straße dozierender
Reisebeschreibung und folgte noch weniger den
Spuren Lafcadio Hearns in ein Land, in dem es
nur unvergleichliche Schónheiten und einzige Vor-
zúge geben soll. Nein, Kellermann hat sich sein
Urteil vor den Dingen selbst geschaffen, an die er
mit feinem künstlerischen Gefühl, warmem Humor
und einem guten Teil Skepsis herangegangen ist.
Es fiel ihm gar nicht ein, die allbekannte unkriti-
sche Begeisterung mitzumachen, dafür entdeckte
er aber auch zahllose Reize dieses Landes, die
anderen verborgen blieben und hielt sie in farben-
frohen Bildern fest. Er dringt nicht unter die
Oberfläche der Dinge, versucht es nicht tiefgrün-
dige Erklärungen in sie hineinzudichten, weil er
die unüberbrückbare Kluft genau kennt, die euro-
päisches Empfinden und Denken vom japanischem
scheidet; er paraphrasiert vielmehr mit bewunderns-
werter Grazie und sprudelndem Temperament über
die Erscheinungen, die sich ihm aufdrängen. Das
Buch ist amüsant von den Anfangsworten bis zu
den Schlußzeilen, in denen er seine Eindrücke so
unvergleichlich gut zusammenfaßt: „Und während
mich Sehnsucht nach jenem merkwürdigen Lande
ergriff, wurde es mir klarer und klarer, daß ich es
nicht im geringsten verstanden hatte.“
Das wird jeder läcbelnd unterschreiben, der selbst
auf japanischem Boden gestanden hat. J. Sievers.
525
ОЕК CICERONE.
Heft 19:
GEORG BIERMANN, Die Neuerwerbungen fúr
die Kónigl. Nationalgalerie | Zur Ausstellung in
der Akademie der Kúnste in Berlin. (12 Abb., da-
von 2 auf 1 Tafel.)
HERMANN VOSS, Ein Konzertbild der Florentiner
Porträtausstellung und sein Meister. (3 Abb.)
Heft 20:
ALBERT MUNDT, Neuerwerbungen des Städti-
schen Kunstgewerbemuseums zu Leipzig. (16 Abb.)
WALTER BOMBE, Der neuentdeckte Trionfo della
Morte in Santa Croce. (3 Abb. und ı Tafel.)
KUNST UND KÜNSTLER.
Heft I, Jahrgang X:
KARL SCHEFFLER, Alfred Lichtwark und die
Hamburger Kunsthalle. (23 Abb.)
WILHELM BODE..........
A. BREDIUS
CORN. HOFSTEDE DE GROOT . | Rembrandts
W. VON SEIDLITZ......... Mühle.
JAN VETH ..............
HANS MACKOWSKY, Rahels Haus. (7 Abb.)
EMIL WALDMANN, Künstlerische Probleme in
der vorklassischen Plastik. (14 Abb.)
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
47. Jahrgang, Heft 1:
CURT BAUER, Die Bedeutung des Japanischen
Farbenholzschnittes. (4 Abb.)
ERNST A. BENKARD, Ferdinand Hodler. Zur
Hodler - Ausstellung im "Frankfurter Kunstverein.
(5 Abb.)
ALBRECHT HAUPT, Der Altar der Königin D.
Leonor von Portugal im Kloster Madre de Deus
zu Lissabon. (9 Abb.)
MaxKlingersAbbe-Denkmalin Jena. (5 Abb.)
DIE KUNSTWELT.
1. Jahrgang, Heft 1:
A. AMERSDORFFER, Ludwig Knaus.
Hermann Feuerhahn. (то Abb.)
FRIEDRICH SEESSELBERG, Die Ausbildung des
Bauktinstlers.
H. E. WALLSEE, Die Hamburger Kunsthalle.
(23 Abb.)
ONZE KUNST.
August 1911:
ARNOLD GOFFIN, Karel van der Stappen. SchluB.
(9 Abb.)
Dr. A. BREDIUS, Een vroege Wouwermans in
het Museum te Brussel. (1 Abb.)
526
Bredius schreibt hier die bisher als Dirck Stoop
katalogisierte „Italienische Landschaft mit rasten-
den Figuren“ im Brússeler Museum (Kat. Nr. 451)
dem Philips Wouwermans zu, von dem es ein
Frühwerk sei. Gleichzeitig begründet er seine
Schreibweise des Namens Wouwermans mit
einem s am Ende mit dem Hinweis auf die
Testamente der drei Brüder dieses Namens, die
alle dort ihren Namen so — mit s am Ende —
schreiben.
Prof. Dr. УУ. VOGELSANG, Impressionisme. (4
Abb.)
Besprechung des ersten Teiles des Weisbach-
schen Werkes „Impressionismus“-
JAN BROM, Het Koorhek in de nieuwe Kathedral
te Haarlem. (6 Abb.)
Kunstberichte.
Bücher und Zeitschriften.
September 1911:
PAUL LAFOND, Het Altaarstuk van Santibañez
Zarzaguda. (1 Abb.)
Holzgeschnitzter Flúgelaltar von der Hand eines
vlámischen Meisters des XV. Jahrhunderts.
PIERRE BAUTIER, Naar aanleiding van een
aan Scorel toegeschreven schilderij. (2 Abb.)
Kurze Besprechung und Reproduktion zweier
frageweise dem Scorel zugeschriebenen Gemälde
im Besitze von Frhr. v. Riemsdijk in Amsterdam
(leihweise ausgestellt im Rijksmuseum) und in
der Dresdener Galerie (Nr. 844). Das erstere
stellt die Berufung des Petrus, das andere David,
den Goliath tötend, dar.
ATY BRUNT, Ant. Derkzen van Angeren. (8 Abb.)
J. E. JASPER, Tets over Deensch porcelein. (8 Abb.)
Kunstberichte.
THE STUDIO.
Oktoberheft:
HENRI FRANTZ, Jean Charles Cazin. (15 Abb.)
A. STODART WALKER, Sir James Guthrie, Р.
R.S.A. (8 Abb.)
T. FIELD, A Note on some dry-points by William
Lee Hankey. (6 Abb.)
W.K. WEST, Some recent monumental sculpture
by Sir George Frampton, R.A.
LES ARTS.
Septembre:
PAUL VITRY, Les accroissements des Musées
(Musée du Louvre). Quelques bustes du ХУШе
siecle récemment entrés au Musée. (4 Abb.)
GASTON MIGEON, La collection Bucquet-Bournet
de Verron. (28 Abb.)
AUGUSTE MARGUILLIER, UnVelasquez retrouve.
(2 Abb.)
R. R. — М. SEE, Une exposition des pastelles
anglais du XVIIIe siecle. (13 Abb.)
THE BURLINGTON MAGAZINE.
Oktoberheft 1911:
CHARLES H. READ, Max Rosenheim.
Nachruf fiir den verstorbenen Sammler deutscher
Kunst, namentlich von Exlibris.
W.R. LETHABY, English Primitives. (1 kolo-
lorierte Tafel: Jungfrau mit Kind in der Bishop’s
Chapel zu Chichester.)
LIONEL CUST, A Newly-Discovered Minia-
ture of Thomas Cromwell. (1 Tafel mit 4 Ab-
bildungen.)
Bespricht ein Miniaturportrát, das jüngst in Pier-
pont Morgans Besitz übergegangen ist und offen-
bar ein Portrát Thomas Cromwells, Grafen von
Essex, von der Hand Hans Holbeins darstellt.
Es steckt in einer ähnlichen Elfenbeinkapsel,
wie das von Holbein stammende Porträt der
Anna von Cleve, das nunmehr dem Viktoria-
und Albertmuseum gehört.
EDITH E. COULSON JAMES, St. John The
Baptist by Francesco Francia. (1 Tafel mit
2 Abbildungen.)
Die Verfasserin hat in dem Rathaus der kleinen
Stadt St. Giovanni in Persiceto (in der Náhe
von Bologna) im Gabinetto del Sindaco, den
Heiligen Johannes den Táufer von F. Francia
gefunden, der in den Cenni storici des Gaetano
Giordani beschrieben wird.
FREDERICK W. COBURN, Chinese Stone
Sculpture at Boston. (2 Tafeln mit 7 Abbil-
dungen.)
Bespricht die chinesischen Steinskulpturen, meist
aus dem VI. und VII. Jahrhundert, die sich im
chinesischen Saal des Bostoner Museums of Fine
Arts befinden. ,,Wenigstens drei dieser Skulp-
turen besitzen einen solchen Liebreiz und eine
so hohe technische Vollkommenheit, daß sie zu
den Meisterwerken der ganzen Welt gezählt
werden müssen“. ,,... Diese Kunst der Stein-
bildhauerei entfaltete sich in China im II. und I.
Jahrhundert v. Chr., blühte fast ein Jahrtausend
lang und verschwand dann so vollständig, daß
sie heute mit Erstaunen neu entdeckt wird“.
G. F. HILL, The Italian Medals in the Sal-
ting Collection. (2 Tafeln mit 18 Abbildungen.)
Die von dem verstorbenen Mr. Salting dem Vik-
toria und Albertmuseum hinterlassenen italieni-
schen Medaillen werden als von außerordent-
licher Qualität beschrieben. Die eine, das Porträt
einer Dame, nach Alois Heiß das der Marguerite
d’Anjou, Tochter des Königs Rene, von der
Hand Pietro da Milanos, ungefähr zwischen
1461— 63 geschlagen, ist das einzig bekannte
Exemplar dieser Medaille.
RICHARD W. GOULDING, Nicholas Dixon,
The Limner.
E. ALFRED JONES, Old Chinese Porcelain
Made from English Silver Models. (2 Tafeln
mit 14 Abbildungen.)
Im ХУШ. Jahrhundert wurden vielfach englische
Silbergegenstände als Muster nach China ge-
schickt, um nach ihnen Porzellangefäße herzu-
stellen. Im Viktoria und Albertmuseum findet
sich aber auch schon ein solches Stück aus dem
XVII. Jahrbundert, wahrscheinlich aus der Zeit
zwischen 1686—go.
PAUL GANZ, Two unpublished Portraits
by Hans Holbein. (1 Tafel mit 2 Abbildungen.)
Das eine Portrát ist das in Bulstrode Park, Bucking-
hamshire, einen Musiker darstellend, 17 ½ >< 17 /
inches groß. Es ist dem Jean de Dinteville, einem
der Gesandten auf dem Holbeinschen Bilde der
zwei Gesandten in der Londoner National Gallery,
sehr ähnlich. Die technische Ausführung aber
verrät eine spätere Entstehungszeit. Das andere
Porträt befindet sich in Petworth, in Lord Le-
confields Besitz. Wiewohl es in allen Büchern
über Holbein erwähnt wird, ist es bisher doch
noch nicht zur Abbildung gelangt. Es stellt
den Kaufherrn Derick Berck aus Cöln dar, der
im Londoner Stahlhof Handel trieb. Das 21*/,X
163/, inches große Bild ist nicht gut erhalten,
ist aber doch eines der eindrucksvollsten Bild-
nisse Holbeins. „Das gleiche Bild in der Múncb-
ner Alten Pinakothek ist eine unvollendete Kopie,
die mit dem unzweifelhaft echten Werk zu Pet-
worth keinen Vergleich aushält“.
ALLAN MARQUAND, A Memorial of the
Entry of Leo X into Florence. (ı Tafel.)
In der Sammlung des Mr. Henry Walters in
Baltimore befindet sich ein Altarstück, eine „Ver-
suchung des Adam“, aus der Lelongkollektion
in Paris, die einst einen Teil des Schmuckes
zum Einzuge des Papstes Leo in Florenz ge-
bildet hat. Rahmen und Predella scheinen dem
Oeuvre des Giovanni della Robbia nahe ver-
wandt. Das Ganze aber ist offenbar das Werk
mehrerer Hände. Das Mittelstück scheint floren-
tinisch zu sein und weist vollentwickelte Renais-
sanceformen auf.
RACHAEL POOLE, Gilbert Jackson, Por-
trait-Painter. (2 Tafeln mit 5 Abbildungen.)
G.Jackson war ein englischer Porträtist des XVII.
Jahrhunderts, dem nach Auffindung einer Signatur
auf einem in der Londoner National - Portrait-
Gallery befindlichen Porträt nun eine Reihe
anderer Bilder zugewiesen werden können.
C.H. COLLINS BAKER, Lely’s Financial Re-
lations with Charles П.
Letters to the Editors. Reviews and No-
tices. Pamphlets. Recent Art Publications.
French Periodicals. Art in France.
MUSEUM.
Nr. 7:
JUAN MARAGALL, Impresión de la Exposición
Sunyer. (Farbtaf., 10 Abb.)
J. GESTOSO Y PEREZ, Más esculturas vidriadas
italianas y andaluzas. (6 Abb.)
Behandelt Robbia-Arbeiten, die in der Nähe von
Sevilla gefunden wurden und die Vermutung
nahe legen, daß dort eine ähnliche Werkstatt
bestand.
J. AMEN, El arte decorativo en Francia. (д Abb.)
N. N., Estatua de Augusto. (2 Abb.)
Behandelt die im Juni 1910 in der Vía Labicana
bei den Trajansthermen in Rom gefundene Statue.
N. N., Juan Delville. (Abb.)
N. N., La casa de Miranda. (3 Abb.)
Protestiert gegen den geplanten Verkauf des Hofes
dieses Renaissancebaues in Burgos.
527
NEUE BUCHER ————
HENRY van de VELDE, Essays. Inselverlag, Leip-
zig. Preis br. M. 3.50, Halbpergament M. 5.—.
ALBERT van de PUT, Hispano-Moresque Ware.
The Art Workers Quaterly, Publishers. London W.
Preis 7 8. 6 d. net.
HANS KLAIBER, Der Ulmer Münsterbaumeister
Mathäus Böblinger. (Zeitschrift für Geschichte
der Architektur. Herausgegeben von Dr. phil. Fritz
Hirsch. Beiheft 4.) Carl Winters Universitätsbuch-
handlung, Heidelberg.
W. de GRÜNEISEN, Sainte Marie - Antique. Le
caractere et le style des peintures du VIe au XIVe
siecle. Max Bretschneider, Editeur, Rom.
AUGUST SCHMARSO W., Federigo Baroccis Zeich-
nungen. Eine kritische Studie. III. Die Zeich-
nungen außerhalb Italiens. Westliche Hälfte Euro-
pas. Mit 7 Tafeln in Lichtdruck. Preis M. 2.80.
Verlag B. G. Teubner, Leipzig.
J. A. HERBERT, Illuminated Manuscripts. Verlag
Methuen & Co. Ltd., London. Preis 25 s. net.
M. DIEZ, Kunstkritik und Kunstgesetze.
W. Kohlhammer, Stuttgart.
ADOLPH DONATH, Psychologie des Kunstsam-
melns. Verlag Richard Carl Schmidt & Co., Berlin.
Preis M. 6.—.
E. BENEZIT, Dictionnaire des peintres, sculpteurs,
dessinateurs et graveurs. Tome premier A — C.
R. Roger 4 F. Chernowitz, Editeurs, Paris.
FRED. С. WILLIS, Die niederländische Marine-
malerei. Mit 32 Tafeln in Lichtdruck. Preis geh.
M. 12.—, geb. М. 14.—. Klinkhardt & Biermann,
Leipzig.
E. STEINMANN und HANS WITTE, Georg Da-
vid Mathieu (1737 — 1778). Ein deutscher Maler
des Rokoko. Preis M. 30.—. Ebenda.
RUDOLF OLDENBOURG, Thomas de Keysers
Tätigkeit als Maler. Ein Beitrag zur Geschichte
des holländischen Porträts, Preis geh. М. 5.—,
geb. M.6.—. Ebenda.
PAUL KAUTZSCH, Der Mainzer Bildhauer Hans
Backoffen und seine Schule. Mit 75 Abbildungen
auf 20 Tafeln. Preis geh. М. 9.—. Ebenda.
FRITZ GOLDSCHMIDT, Pontormo, Rosso und
Bronzino. Ein Versuch zur Geschichte der Raum-
darstellung. Preis geb. M.7.—. Ebenda.
IV. Jahrgang, Heft XI.
Verlag
EUGEN GRADMANN, Dorfkirchen in Württem-
berg. (Schriften zur „Dorfkirche“. Herausgegeben
von Pfarrer Hans von Lüpke. Heft 4.) Deutsche
Landbuchhandlung, G. m. b. H., Berlin SW ır.
Mit 17 Abbildungen und einer Tafel.
L. und G. v. KUNOWSKI, Unsere Kunstschule.
Ein Handbuch des Lehrens und Lernens. 94 große
Lichtdrucke. Preis M. 40.—. Verlag der National-
stenographie, Liegnitz.
CURT H. WEIGELT, Duccio di Buoninsegna.
(Kunstgeschichtliche Monographien, Bd. XV.) Mit
79 Abbildungen auf 67 Lichtdrucktafeln. In ele-
gantem Ganzleinenband Preis M. 36.—. Verlag
Karl W. Hiersemann, Leipzig.
E. PLIETZSCH, Jan Vermeer van Delft. Mit 35
Tafeln. Preis M. 9.—. Ebenda.
KARL LOHMEYER, Die Briefe Baltasar Neumanns
von seiner Pariser Studienreise 1723. Verlag von
L. Schwann, Düsseldorf.
EMIL MICHAEL S. J., Geschichte des deutschen
Volkes vom dreizehnten Jahrhundert bis zum Aus-
gang des Mittelalters. V. Bd. Die bildenden Künste
in Deutschland während des dreizehnten Jahr-
hunderts. Herdersche Verlagsbuchhandlung, Frei-
burg i. Br.
FRIEDRICH KOEPP, Archäologie, I., II. und III.
(Sammlung Göschen.) Preis jeder Nummer 80 Pf.
О. J. Göschensche Verlagsbuchhandlung, Leipzig.
CARL ALDENHOVEN, Gesammelte Aufsitze.
Herausgegeben von Arthur Lindner. Preis geh.
M. 4.—, geb. М. 5.—. Verlag Klinkhardt & Bier-
mann, Leipzig.
ALBERT GIESECKE, Giovanni Battista Piranesi.
(Meister der Graphik, Bd. VI.) Mit x Titelbild und
63 Tafeln. Preis geh. М. 16.—, geb. М. 18.—.
Ebenda.
EMIL MAJOR, Basel. (Stätten der Kultur, Band
XXVIII.) Preis karton. М. 3.—, geb. М. 4.—, in
Leder М. 5.—. Ebenda.
JUL. VOGEL, In der Stadt der Lagunen. Skizzen
zu Goethes Aufenthalt in Venedig. Mit 16 Tafeln.
Preis geh. M. 4.—, geb. M. 5.50. Ebenda.
AUG. L. MAYER, Die Sevillaner Malerschule. Bei-
träge zu ihrer Geschichte. Preis geh. М. 20.—,
geb. M. 22.50. Ebenda.
Herausgeber u. verantwortl Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz,
WaldmannstraBe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. М. К. ROHE, München, Clemensstr. 105. / In О$ТЕК-
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer-
straat 22. / In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.
SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION:
Montags 10— 12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telefon: Amt Groß-Lichterfelde 456.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begriindeten.
528
Lb
EA
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Tafel 115
Engel vom Grabsteinmodell fúr Ludwig den Gebarteten Engel links unten aus der Um-
Bayr. Nationalmuseum, München rahmung des Kargaltars
Múnster, Ulm
Schriftband des Grabsteinmodells; mit teilweiser Ergánzung zerstórter Stellen
Zu: К. FR. LEONHARDT, MULTSCHERS KARGALTAR UND DAS GRABSTEINMODELL
FUR HERZOG LUDWIG DEN GEBARTETEN
M.f.K.IV, 11
— — — —— анаа аа
|
Tafel 114
Abb. 3. Mánnliches Bildnis, bezeichnet Н. DORNE Abb.4. NIC. LAFRENSEN, Porträt des Grafen Sparre
Sammlung H. Ramel, Ovedskloster und seiner Familie Sammlung Н. Ramel, Övedskloster
Sammlung E. Wachtmeister, Vanas
Abb. 5. JAN STEEN, Rúckkehr des verlorenen Sohnes |
|
Zu: KARL LILIENFELD, KUNSTSCHÄTZE IN SCHWEDEN |
M.f.K.1V, 11
Tafel 113
a
— AA -
A DIANA A
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Amsterdam, Rijksmuseum
HENDRIK AERTS, Bankett in einem Palais
Abb. 1.
——
Zr.»
— — E a
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Nach einem Stich des J. Londerseel
Abb. 2. HENDRIK AERTS, Phantasiekirche
KARL LILIENFELD, KUNSTSCHÁTZE IN SCHWEDEN
Zu:
M.f.K.IV, 11
Tafel 112
JAN STEEN (Nr 149 des Katalogs), Der Besuch des G. TER BORCH (Nr. 150 des Katalogs), Die Toilette
Arztes Sammlung Prinzessin Murat Sammlung Alb. Lehmann
DUYSTER (Nr. 152 des Katalogs), Die Gefangenen Sammlung Max Flersheim
Zu: УУ. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV. 11
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ZLISAGLVAIYd UASINVd NI AA d IId NAHISIANYTTOHLTIV ODNATIALSSAV 'NILAVW Mn 2
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Tafel 110
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J. RUISDAEL (Nr. 135 des Katalogs), Furth am Waldesrande Sammlung De Jonge
J. RUISDAEL (Nr. 136 des Katalogs), Waldlandschaft Sammlung De Jonge
Zu: W. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV, 11
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Tafel 109
ISAAC УОМ OSTADE (Nr. 106 des Katalogs), Strandbild Sammlung Sperling
REMBRANDT (Nr. 123 des Katalogs), Alter Mann Sammlung Kleinberger
Zu: W. MARTIN, AUSSTELLUNG ALTHOLLANDISCHER BILDER IN PARISER PRIVATBESITZ
M. f. K. IV, 11
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Abb. 7. Neustädter Markt in Dresden; s. Verzeichnis X, unter 141. — Meyer 141 Text: Kap. VI, gegen Ende
3
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Abb. 8. Die Dresdner Frauenkirche; s. Verzeichnis X, unter 19 1 —
Meyer 191 Text: Кар. УІ, gegen Ende
Zu: MORITZ STÚBEL, DER JUNGERE CANALETTO UND SEINE-RADIERUNGEN
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Tafel 101
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Abb. 3
Italienische Landschaften, vor 1745 entstanden. Bildgröße von Abb. 2: H 140, Br 210 mm; von Abb. 3:
H 138, Br 203 mm. — Meyer 1,2 Text: Kap. V, in der Mitte
Zu: MORITZ STÜBEL, DER JÜNGERE CANALETTO UND SEINE RADIERUNGEN
M. f. K. IV, 11
Tafel 100
Abb. 1. CANALETTO, Ausschnitt aus der Wahl des Stanislaus Poniatowski im Kaiser-Friedrich-Museum zu Posen.
Nach einer dem Grafen Karzinski von dem Dichter Niemcewitz 1835 gemachten Mitteilung ist Canaletto die sitzende,
mit der rechten Hand ins Bild weisende Figur. Damit stimmt auch gut das Selbstportrát auf der ersten radierten
Warschauer Ansicht M. 36. Merlini wáre dann wohl der stehende Mann in polnischer Tracht.
Zu: MORITZ STUBEL, DER JUNGERE CANALETTO UND SEINE RADIERUNGEN
M.f.K.IV, 11
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EMIL MÓLLER, Leonardo da Vincis
Brustbild eines Engels und seine Kom-
positionen des S. Johannes-Baptista.
Mit 5 Abbildungen auf 3 Tafeln S. 529
HANS FRIEDRICH SECKER, Bruch-
stiicke verloren geglaubter Bildwerke
des Straßburger Münsters. Mit 11 Ab-
bildungen auf 4 Tafeln S. 546
K. FR. LEONHARDT, Nikolaus von
Leyden und seine Nachfolge in Bayern.
Mit 5 Abbildungen auf 3 Tafeln S 550
LITERATUR
W. v. Seidlitz, Geschichte des japan. Farben-
holzschnittes (Kúmmel) S. 558
Jaro Springer, Die Radierungen des Herkules
Seghers. I. Teil (Plietzach)........ 8. 559
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ihr Kreis und ihre Nachfolger. Zur Geschichte
der Malerei und Skulptur des XV. und XVI.
Jahrhunderts in Tirol (Reichel) 8. 550
Paul Klopfer, Von Palladio bis Schinkel. Eine
Charakteristik der Baukunst des Klassizismus
(Brinckmannn ) 8. 561
Wilhelm Worringer, Formprobleme der Gotik
(Freyer 8. 561
The Dürer- Society. XI Index to the Plates
and Text of Portfolios I—X by Campbell Dodg-
son and Montague Peartree: und, XII Notes
and Sketches by Albrecht Dürer, Selected and
edited by Campbell Dodgson (Singer) . 8. 562
Artur Weese, Die Cäsar-Teppiche im Histor.
Museum zu Bern (Grautoff) ...... 8. 563
P. Toesca: Masolino.
G.Bernardini, Sebastiano del Piombo ) 8. 564
(Bernatchauhu hh
P. Notker Curti, Karolingische Kirchen in Grau-
búnden. Studien und Mitteilungen aus dem
Benedektinerorden 32 (Kreplin )). 8. 564
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LEONARDO DA VINCIS BRUSTBILD EINES
ENGELS UND SEINE KOMPOSITIONEN DES
S. JOHANNES-BAPTISTA Von EMIL MÓLLER
Mit fúnf Abbildungen auf drei Tafeln .. .o. eee eee eee
áhrend die Schriftsteller vom XVII. bis zum beginnenden XIX. Jahrhundert
bei ihren Zuschreibungen an Leonardo nur ausnahmsweise eine sorgsame
Untersuchung lohnen, haben wir die Pflicht, die Notierungen des Giorgio Vasari,
der mit besonderer Liebe Leonardos Lebensbeschreibung verfaßt hat und der Zeit
desselben noch nahestand, genau zu prüfen, eine Aufgabe, die leider mehrfach durch
die Unbestimmtheit der Angaben erschwert wird. Letzteres ist nicht der Fall bei
einer der zweiten Auflage der Vite eingefügten Beschreibung einer „testa d' uno
angelo“, die Vasari zwischen 1550 und 1568 im Palaste des glänzenden Herzogs
Cosimo de Medici zugleich mit der verschollenen Medusa kennen lernte). Der Passus
lautet in wörtlicher Ubersetzung:
„Diese (Medusa) befindet sich unter den ausgezeichneten Werken im Palaste des
Herzogs Cosimo zusammen mit dem Kopf eines Engels, der einen Arm emporhebt,
welcher, nach vorn gehend, sich von der Schulter bis zum Ellenbogen verkürzt,
während der andere Arm mit der Hand sich auf die Brust legt. Es ist ein wunder-
bares Ding, daß jener Genius, in dem Bestreben, den Sachen, die er machte, die
stärkste Rundung zu geben, mit so tiefen Schatten arbeitete, um die dunkelsten
Hintergründe herauszubekommen, daß er schwarze Farben suchte, die schattieren
möchten und dunkler wären als das übrige Schwarz, um so zu bewirken, daß die
Helligkeiten infolge jener schwarzen Farben mehr leuchteten; und schließlich kam
diese (d. i. die uns hier begegnende) dunkle Manier heraus, infolge deren, da keine
Helligkeit mehr übrig blieb, die Dinge eher das Aussehen eines Nachtstückes be-
kamen, als Feinheiten des Tageslichtes: aber alles dies geschah, um der Malerei
stärkeres Relief zu verleihen und um den Gipfel und die Vollendung der Kunst zu
erreichen“.
Obwohl diese öfters herangezogenen Ausführungen Vasaris für Leonardos male-
risches Streben überaus bezeichnend sind, hat die Leonardoforschung doch bislang
noch nicht Veranlassung genommen, jenem Bild genauer nachzuforschen, das dem
Vasari zu so eindringlicher Charakteristik Ursache war. Nur Gaetano Milanesi
fiigte seiner letzten Ausgabe der Vite, Bd. IV, 26, als Anmerkung (2) eine Erinne-
rung aus lángst verflossener Zeit hinzu: Ein Florentiner Restaurator und Bilder-
händler habe diesen Engel in sehr desolatem Zustand bei einem Trödler entdeckt,
geschickt restauriert und fiir ein gutes Stiick Geld an einen Russen verkauft.
Die größeren Leonardobiographien beschränkten sich darauf, den von Vasari be-
schriebenen Engel als verschollen zu melden und die unbestimmte Notiz Milanesis
(x) „Questa (la testa d'una Medusa) & fra le cose eccellenti nel palazzo del Duca Cosimo, insieme con
una testa d'uno angelo, che alza un braccio in aria, che scorta dalla spalla al gomito venendo innanzi,
e l’altro ne va al petto con una mano. E cosa mirabile che quello ingegno, che, avendo desiderio di
dar sommo rilievo alle cose che egli faceva, andava tanto con l’ombre scure a trovare i fondi de’piü
scuri, che cercava neri che ombrassino e fossino piú scuri degli altri neri, per fare che il chiaro,
mediante quegli fosse piú lucido; ed infine riusciva questo modo tanto tinto, che non vi rimanendo
chiaro, avevan piú forma di cose fatte per contraffare una notte, che una finezza del lume del di: ma
tutto era per cercare di dare maggiore rilievo, di trovare il fine e la perfezione dell’arte“. Vasari-Mila-
nesi, IV. 26. Ediz. Sansoni.
Monatshefte fiir Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 12 37 529
anzufügen. So Müntz, L. d. V., 508, während v. Seidlitz, II. 34, noch hinzusetzt, daß
„еїп solches Verkiirzungskunststiick, das an die Halbfigur des Johannes im Louvre
erinnere, auf die letzte Mailänder Zeit zu deuten scheine“ und II. 383, daß das Bild
in Cosimos Guardaroba von 1553 nicht aufgefiihrt sei Auch Озу. Sirén, L. d. V.,
Stockholm 1911, schreibt S. 19 nur, daß man den Engel nicht mit Sicherheit identifi-
zieren kónne, die Beschreibung aber vollstándig (!) auf den Johannes B. des Louvre
passe. So weit also der Stand der heutigen Forschung.
Mit geringer Mühe hätte man über das im rg. Jahrhundert mysteriós auftauchende
und wieder verschwundene angebliche Original des Engels Genaueres erfahren
kónnen. Bei Rigollot, Catalogue de l’oeuvre de L. d. V. 1849 S. 5 schrieb Passa-
vant: Der Großherzog von Toskana habe das Bild von dem russischen Käufer
wieder erwerben wollen, sein Vorhaben sei aber an der maßlosen Forderung des
neuen Besitzers gescheitert. Sehr viel mehr aber erzählt uns J. W. Brown, Life
of L. d. V., London 1828, den Rigollot S. XXXI gesteht nicht benutzt zu haben.
Wenn B. auch offenbar das Bild nicht selbst gesehen hat, bietet er doch als um-
sichtiger Schriftsteller wertvolle Details, (S. 19—21 und 249.) Ein Trödler habe
das Bild in Florenz fiir 21 quattrini (ca. 25 Pf.) gekauft und an den Zeichenlehrer
Fineschi fiir 3 paoli (ca. 1,50 М.) weiter gegeben. Es bestehe kein Zweifel an der
Echtheit des Werkes, das auf der Riickseite zum Schutz gegen Holzwiirmer mit
einer Art stucco iiberzogen sei. Die Beschreibung Vasaris, sowohl der Komposi-
tion als auch der starken Helldunkelwirkungen passe genau. Das Bild stehe zum
Verkauf. Die Maler möchten untersuchen, wie großen Schaden es gelitten habe.
Es sei verständlich, daß die Leiter der großherzoglichen Galerie den Wert eines
Bildes herabzusetzen suchten, das vor mehr als тоо Jahren mit altem Gerümpel
aus der Sammlung entfernt sei.
Es galt zunächst die Komposition des Engels genau festzustellen und dann das
Bild des Fineschi wieder aufzufinden.
Zunächst versuchte ich nach Vasaris Beschreibung den Engel zu rekonstruieren.
Immer kam eine Variante des Johannesbildes des Louvre heraus, nämlich die im
Jahrb. der Pr. Kunstsammlungen XIX., Heft 4 von Müller-Walde zuerst publizierte
Kopie bei Mr. W. G. Waters!). Nicht das Louvrebild, weil die von Vasari so be-
stimmt beschriebene Verkürzung des Oberarmes sich bei diesem Bilde nicht vor-
findet, wogegen sie bei dem Gemälde bei Waters genau in der angegebenen Form
zu sehen ist.
Sollte nun vielleicht Vasari diese von Müller-Walde als „erste Redaktion des
Johannesbildes“ benannte Komposition Leonardos für einen „Engel“ angesehen
haben? Für diese Ansicht spräche nicht allein die engelgleiche Bildung des lockigen,
zum Himmel weisenden Jünglings, der in dem Bilde bei Waters nur durch das
Tierfell zum Johannes gestempelt wird?), sondern noch ein anderer wichtiger Um-
stand. Vasari erwähnt nämlich die Komposition eines Johannesbildes bei Leonardo
überhaupt nicht, obwohl sie in seinen Vorlagen, dem Libro d’Antonio Billi und bei
dem Annonimo Gaddiano aufgeführt wird, die ihrerseits beide wieder keinen „An-
gelo“ kennen. (Carl Frey, Il Libro d'Antonio Billi, 1892 S. 51, Fecie... uno Santo
Giouanni; von demselben П Codice Magliabecchiano, S. ІІІ, Dipinse anchora un
San Giouannj.) Daß der Ausschreiber Vasaris, Raff. Borghini, 1584 in seinem
(1) Siehe Abbildung т.
(2) О. Siren, S. 330, macht sogar über den Johannes В. des Louvre die hübsche Bemerkung: wenn
er ohne Rohrkreuz und Tierfell aufträte, würde man ihn sicher „Fede“ oder „Speranza“ nennen.
530
„Riposo“ einen Kopf des Johannes Bapt. erwähnt!), nachdem er unmittelbar vorher
den „Engel“, und zwar mit Vasaris Worten, beschrieben hat, wäre keine Wider-
legung, weil der Autor letzteres Bild offenbar nicht gesehen hat, also die Identität
beider Darstellungen nicht erkennen brauchte.
Dennoch ist es falsch, anzunehmen, der S. Giovanni des Billi wie des Anonimo
und der Engel des Vasari seien zwei verschiedene Namen für dasselbe Bild, und
Vasari habe einen S. Giovanni als Angelo in der Erinnerung behalten, etwa irre-
geführt durch die engelhafte Auffassung des Täufers und nach Künstlerart so sehr
gefesselt durch die malerische Ausführung des Bildes, daß er dabei vergaß, sich
über den Gegenstand der Darstellung klar zu werden. Nicht als ob ein solcher
Irrtum durch die Ausführlichkeit der Beschreibung absolut ausgeschlossen seil Aber
zwei von Müller-Walde schon 1898 veröffentlichte Handzeichnungen beweisen, daß
Leonardo tatsächlich den von Vasari geschilderten Engel entworfen hat’).
Auf einem Studienblatt in Windsor (Berenson, Drawings Nr. 1227; das ganze Blatt
aus Rouveyre, L. d. V., Anatomie du Cheval II f. 50r, nachgebildet in Abb. 3), erblicken
wir zwischen Studien zur Anghiarischlacht und zum Denkmal des Trivulzio die fast
kindlich - ungeschickte Kreidezeichnung nach einem geflügelten Engel, genau in
der Haltung der Johanneskopie bei Mr. Waters. Nur verdeckt das gazeartige Kleid
die Brust erheblich mehr, als es bei jenem das Tierfell tut, und außerdem ragt
noch über der linken Schulter ein Flügel bis zur Höhe der Stirn empor. Müller-
Walde hat sich bei der Datierung dieses Blattes einseitig auf die Figürchen zur
Anghiarischlacht (Reiter, Pferde und Kämpfer) gestützt. Er meint dazu, Leonardo
könne nach dem Jahre 1505 keine „nachträglichen“ Skizzen mehr zu dem Schlachten-
bild entworfen haben, und daher müsse die Schülerzeichnung des Engels, die der
Meister auffälligerweise bei seinen Entwürfen geschont habe, indem er die letzteren
ringsum plazierte, kurz vorher, etwa 1504, entstanden sein. Somit sei eine Kom-
position Leonardos, die mit dem Johannesbilde bei Mr. Waters übereinstimme,
durch diese Nachzeichnung eines Schülers mindestens um 1504 als vorhanden be-
zeugt (Jahrb. XVIII, 233, 246). |
Nun stand aber der Künstler im Jahre 1506 und im Anfang des Jahres 1507
noch im Dienste der Signoria, wie aus den wiederholten Urlaubsgesuchen und den
Antworten des Gonfaloniere hervorgeht. Aus dem Briefe Soderinis vom 9. Oktober
1506 liest man unzweideutig heraus, daß man noch auf die Beendigung des
Schlachtenbildes rechnete, zu dem der Maler nur „einen kleinen Anfang gemacht
habe“. Erst nachdem Leonardo am 12. Mai 1507 den Rest seines Guthabens bei
S. M. Nuova, 150 Goldgulden, d.h. die am 30. Mai 1506 für die Überschreitung des
Urlaubes und das Verlassen der Arbeit festgesetzte BuBsumme, auf das Konto der
Stadt hatte übertragen lassen (Seidlitz II. 106), und er dann bald darauf in den
Dienst des franzósischen Kónigs getreten war, der ihn schon am 26. Juli 1507 als
seinen Hofmaler und Ingenieur bezeichnet, dürfen wir die Herstellung von Skizzen
für die Anghiarischlacht als abgeschlossen ansehen.
Hindern uns nun die Studien für das Schlachtenbild nicht, das Skizzenblatt in
den Anfang des Jahres 1507 zu verlegen, so nötigen uns die von Miiller-Walde
bei der Datierung außer acht gelassenen Skizzen zum Trivulziodenkmal dazu,
Ende Mai des Jahres 1507 als früheste Entstehungszeit der letztgenannten Zeich-
(1) , Un quadretto bellissimo, in cui & la testa die San Giovambatista, ha Cammillo degli Albizi, gen-
tiluomo del Gran Duca, il quale come cosa rara il tiene carissimo“ lautet die noch der neueren Lite-
ratur über den Johannes В. einzufügende Stelle (S. 302 der besten Ausgabe von 1730).
(2) Jahrb. der Pr. Kunstsammlungen XVIII, Beitr. II. |
531
nungen anzusehen. Es handelt sich zwar nur um das dreimal skizzierte Figtirchen
eines kauernden Jiinglings mit einem aufgestemmten und einem herabhángenden
Bein, worunter die Bemerkung: „Mach einen kleinen von einem Finger Länge“
(d. h. ein Wachsmodell’)). Aber die Beziehung auf das Denkmal des Trivulzio, die
Miiller-Walde nachgewiesen hat (Jahrb. der Pr. Kunstsammlungen XVIII) erscheint
mir gesichert. Dieses Denkmal kann jedoch frühestens Ende Mai 1507 (Lud-
wig XII. war am 24. Mai in Mailand eingezogen) in Auftrag gegeben sein, wobei
der König jedenfalls von dem Wunsche geleitet war, das immer mehr zerfallende
Pferdemodell des Sforzadenkmals zu retten. Mit dem „gewissen Werke“, das Chau-
mont während eines dreimonatlichen Aufenthaltes des Künstlers in Mailand im
Jahre 1506 hatte anfangen lassen und wofür am 18. August eine Urlaubsverlänge-
rung mindestens bis Ende September erbeten wird, kann wegen der Kürze der
Frist und der Bedeutung des Auftrags das Reiterdenkmal nicht gemeint sein, was
Sirén S. 180 vermutet hat. So führt eine Erwägung aller Momente dazu, die Zeich-
nungen Leonardos auf dem genannten Skizzenblatte in die erste Hälfte des
Jahres 1507 zu verlegen, sodaß die um ein weniges früher fallende Schüler-
zeichnung nach dem Engel Leonardos noch in den Anfang des Jahres
1507 gesetzt werden kann.
Das von dem Schüler nachgezeichnete Vorbild befand sich jedoch nicht, wie
Müller-Walde annimmt, in Florenz, sondern in Mailand, weil dort die Skizze zum
Trivulziodenkmal gemacht sein muß. Leonardo hielt sich schon seit Anfang Juni
1506 in dieser Stadt auf. Auch die Erklärung, die der um die Leonardoforschung
so hochverdiente Gelehrte für die Respektierung des schwachen Schülerwerkes
durch den Meister angibt („offenbar hatte die Zeichnung für ihn damals noch
aktuellen Wert“, XIX. 233), ist abzulehnen, denn jede Kopie, geschweige denn eine
so geringe, ist wertlos für den Schöpfer des noch vorhandenen Originals. Ich
wage die Vermutung, daß ein junger Mailänder Schüler, der dem Meister besonders
lieb war — vielleicht war es gar der vierzehnjährige Melzi, von dem wir aus dem
Jahre 1510 einen treff lich nach einer Büste Leonardos gezeichneten Männerkopf
(in der Ambrosiana) besitzen — hier einen seiner ersten Zeichenversuche gemacht
hatte?).
Auffällig erscheint, daß ein so tief schürfender und gelehrter Forscher, wie unser
Müller-Walde es ist, sich 1898 nicht der Notiz des Vasari über den Engel er-
innerte, als er obige Schülerzeichnung publizierte. Andernfalls hätte er sicherlich
damals schon den richtigen Tatbestand aufgedeckt und auch der zweiten von ihm
damals veröffentlichten Zeichnung — dem linken Vorderarm eines Jüng-
lings in der Akademie zu Venedig — einen weiteren Grund entnommen, die von
ihm als erste Redaktion des Johannesbildes bezeichnete Komposition als „Engel“ zu
benennen (s. Abb. 4).
Wenn wir diese Zeichnung“) betrachten, die ebenfalls nur einem Schüler ange-
(1) Fanne - vnpicholo di cera lungho vndito. 8. Abb. 3.
(2) Die „vielen“ Briefe, die der Meister nach eigener Aussage vom September 1507 bis April 1508
aus Florenz an Francesco Melzi gerichtet hat (vgl. Seidlitz, П. 118) offenbaren, wie wert ihm der Knabe
in Mailand schon geworden war.
(3) Müller-Walde, Jahrb. XIX. 239 und v. Seidlitz, II. 127 nahmen an, daß Leonardo hier eine Schüler-
zeichnung im Umriß nachgezogen habe. Nach genauer Prüfung des Originals muß ich sagen, daß
gerade die Umrisse so plump und unsicher sind, daß sie dem Meister nicht angehören können. Wir
besitzen hier nur eine der so oft vorkommenden Nachzeichnungen einer Originalstudie durch Schüler-
hände, wofür auch die mitkopierte Strichlage der Schraffierung zeugt. i
532
hören kann (s. Abb. 4), so sehen wir, daß sich hinter dem Ellbogen ein aus dünnem
Stoff bestehender Ärmel zu einem kreisförmigen Faltenwulst zusammenschiebt und
auf den zwei eingebogenen Fingern Falten eines deutlich als Musselin charakteri-
-sierten Gewandes liegen. Wäre das Urbild dieser Zeichnung für einen Johannes
entworfen, so würden wir nicht dieses für den Bußprediger so unpassende Kleid,
sondern das traditionelle Tierfell, das uns ja tatsächlich auf der bekannten Kopie
bei Mr. Waters begegnet, angedeutet finden.
Noch ein weiterer Umstand scheint mir darauf hinzuweisen, daß nicht ein Jo-
hannesbild, sondern ein Engel der ursprüngliche Gegenstand der Komposition
war. Die linke Seite hat in dem Bilde bei Mr. Waters durch den leicht geneigten
Kopf und die emporragende Hand ein so starkes Übergewicht bekommen, daß wir
auf der rechten Seite, auf der das Kreuz fehlt, etwas vermissen. An dieser Stelle
erblicken wir auf der Skizze des Schülers einen stattlichen Flügel, durch den das
Gleichgewicht der Komposition wieder hergestellt wird und der als Zutat des Ko-
pisten nicht gelten kann.
So darf denn als bisheriges Resultat der Untersuchung wohl gelten, daß im
Anfang des Jahres 1507 von Leonardo die Komposition eines Engels, wie
ihn Vasari schildert, in Mailand vorhanden war. Es scheint jedoch damals nur
ein Karton vorgelegen zu haben. Zu dieser Überzeugung drängt ein Blick auf
das vielseitige Schaffen des Meisters in den vorhergehenden Jahren und die durch
den Karmeliter Pietro da Nuvolaria im April 1501 bezeugte Abneigung Leonardos
vor der zeitraubenden Malarbeit. Deshalb konnten auch die liebenswiirdigsten
Bitten der Markgräfin von Mantua um ein gemaltes Bildchen vom 27. März 1501 bis
zum 12. Mai 1506 nichts anderes vom Meister erlangen, als freundliche Versprechungen.
Da aber für den Juli 1509 schon die Skizze zu der über die Brust hinweggestreck-
ten rechten Hand des Täufers im Louvre von Müller-Walde (Jahrb. der Pr. Kunst-
sammlungen, XIX. 225 ff.) nachgewiesen ist!), so wäre dies der äußerste Termin
für die Beendigung des Engels als Gemälde.
Wo aber war der um ı825 in Florenz aufgefundene und nach Rußland
verkaufte Engel — angeblich das von Vasari beschriebene Original Leonardos —
geblieben? Am nächsten lag die Vermutung, das Bild befinde sich noch in einer
privaten oder öffentlichen Sammlung Rußlands. Als ich mir für verschiedene Fest-
stellungen den von A. Somof herausgegebenen Katalog der Kaiserl Gemälde-
galerie der Eremitage schicken ließ, fand ich in dem Band der italienischen
und spanischen Bilder (S. 143 der französischen Ausgabe, Petersburg 1909) unter
Nr. 1637 den leibhaftigen Engel des Fineschi. Die Flügel werden Zutat eines
Restaurators genannt und das Bild „eine alte Kopie nach Leonardos Johannes-
bild im Louvre“ ()). Fürst A. Galitzine war jener geheimnisvolle signor russo,
der von dem Zeichenlehrer Luigi Fineschi in Florenz bald nach 1831 das Bild
kaufte. Es wurde dann als Original Leonardos im Museum Galitzine zu Moskau
aufbewahrt, bis 1886 Kaiser Alexander III. die ganze Sammlung erwarb und das
Bild der Eremitage überwies. 1888 wurde es von Holz auf Leinwand übertragen.
Es ist 066.5 >< 47.5 cm groß (das Louvrebild 69 >< 57 cm).
Der Giite des Herrn Baron Ernst v. Liphart, 1. Konservators der Galerie, ver-
danke ich auBer wertvollen Bemerkungen zwei Photographien des Bildes, die aber
(1) Ich sehe diese in Kreide leicht hingeworfene und durch Qualitát nicht hervorragende Zeichnung
des Cod. Atl, 179, die ich durch die Güte des Mons. Dr. Ratti im Original nachprüfen konnte, als
von Leonardo herriihrend an. Ebenso die direkt mit der Feder aufgerissene linke Hand des Engels,
С. A. fol. 146 v, die bei ihrer Fliichtigkeit doch manche Feinheiten aufweist.
533
beid einfolge des starken Reflexlichtes die Krakeliiren und Ubermalungen genauer
erkennen lassen als manche zeichnerische Details!). Baron v. Liphart nennt das
Gemälde eine Kopie aus dem akademischen Empire, aus Davids Schule. Die regel-
mäßigen großen Risse der Farbschicht, die auf den Gebrauch von Asphalt und ge-
kochtem Leinöl zurückzuführen seien, bildeten dafür einen unwiderleglichen Be-
weis. Diese Technik komme nicht einmal im 17. geschweige denn im 16. Jahr-
hundert vor. Das Bild sei aus einem Guß und nichts hinzugetan, auch die Flügel
nicht. Der noch lebende Restaurator, der 1886 das Bild auf Leinwand übertrug,
erkläre, es sei auf ein neues Brett gemalt gewesen. Das Exemplar der Eremitage
beweise aber jedenfalls die Existenz eines älteren Werkes im Anfang des 19. Jahr-
hunderts.
Ein giinstiger Zufall fiigte es, daB die von mir hochverehrte Leonardoforscherin,
Fräulein Marie Herzfeld, vor kurzem auf meine Bitte das Gemälde untersuchen
konnte, wofür ich ihr herzlichst danke. Nach ihrem Urteil ist das Bild zwar nicht
aus der Zeit Leonardos, aber es scheint ihr doch eher eine Arbeit des 17. Jahr-
hunderts als der Davidschule zu sein. Unter der Nase sei vielleicht eine Retusche.
Das weiße, halbdurchsichtige Tuch sei ursprünglich und nicht etwa Übermalung
eines Tierfelles. Der Grundton des Bildes sei goldbraun; braun in allen Nuancen
bilde die Farbe des Bildes: das weiße Gewand nachgebräunt, braun (lionato) die
Augen, zigeunerbraun der Körper, heller das Gesicht mit gelbbraunen Lichtern.
Die Flügel seien so dunkel, daß von Farbe an ihnen nichts mehr wahrzunehmen
sei Das Bild entspreche — wie ich schon vermutet hatte — genau der bekann-
ten Schülerzeichnung in Windsor.
Obwohl sich mir noch nicht Gelegenheit bot, das Bild zu sehen, möchte ich
doch auf Grund der von Herrn Baron v. Liphart so liebenswürdig gelieferten Photo-
graphien im folgenden ein Urteil über das Werk abgeben. Herr v. L. möge ver-
zeihen, daß ich, nur auf Photographien fußend, wenn auch auf Grund mehrjährigen
Studiums der Werke Leonardos und seiner Umgebung, es wage, einem anerkann-
ten technischen Sachverständigen und Leonardokenner entgegenzutreten.
Die Datierung des Bildes auf Grund des craquelé halte ich nicht für genügend
zuverlässig. In Deutschland hat vor zwei Jahren gerade dies Kriterium vollstän-
dig Schiffbruch gelitten bei der Beurteilung der Madonna mit der Erbsenblüte
im Wallraf-Richartz-Museum zu Köln (Nr. 8). Auch hier sollte die von einem er-
fahrenen Restaurator untersuchte Sprungbildung der Farbenschicht das sichere
Kennzeichen der Verwendung von Asphalt sein, und daraufhin erklärte man mit
absoluter Bestimmtheit das Bild als eine Arbeit der zwanziger Jahre des 19. Jahr-
hunderts. Schließlich hat man sich wohl allgemein dahin geeinigt, daß die Tafel
in dieser Zeit nur eine Ausbesserung und teilweise Übermalung erlitten habe, vor-
nehmlich in den Schattenpartien. Bei dem Engel in Petersburg findet man die
großblättrigen Risse der Farbschicht ebenfalls in den dunkleren Teilen: beim Hinter-
grund, im Gewand, auf der linken Hand, auf den Flügeln und im unteren Drittel
des Gesichts. Daraus schließe ich aber nur, daß diese Stellen unter Verwendung
von Asphalt und schlechtem Leinöl übermalt sind*). Die Kopie ist m. E. nämlich
(1) Siehe Abbildung 2.
(2) Es wäre ganz irrig, zu glauben, der Asphalt sei erst im 19. Jahrhundert als Farbstoff in der Malerei
verwendet. H. Otto Vermehren, Restaurator an der Galerie der Ufflzien, sagte mir, Asphalt begegne
uns sicher schon in Bildern des 17. Jahrhunderts. Wir besitzen aber bereits ein Zeugnis, das auf
Leonardos Zeit und dessen Werkstatt zurückgeht. Paolo Lomazzo schreibt im Trattato della Pittura
S. 184 (gedruckt in Mailand 1584; verfaßt bereits um 1560): ,Sono ancora altri colori trasparenti, i
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nicht aus einem бий: die linke Hand ist, wie im folgenden gezeigt wird, übermalt
und starke Retouchen sind auch im unteren Drittel des Gesichts und bei den Augen.
AuBerdem wiedersprechen die Formen des Kopfes und des rechten Armes der
selbstgefälligen, schwungvollen Zeichnung und der lichten Modellierung und Färbung
des Klassizismus.
Von größter Bedeutung wäre allerdings das Zeugnis des noch lebenden Restau-
rators, der 1888 das Bild entoilierte. Aber wie hätte Herrn Somof, dem da-
maligen ı. Konservator der Galerie, verborgen bleiben können, daß das Bild auf
ein „neues“ Brett gemalt war? Er hat das Stück doch als „alte Kopie“ bezeich-
net! Daraus darf man wohl schließen, daß der Befund nicht so klar sprach, wie
heute gesagt wird.
Wire das Bild wirklich eine moderne Kopie, so würde sie direkt zu Betrugs-
zwecken angefertigt und präpariert sein. Man muß aber bedenken, daß längere
Jahre vor dem Ankauf durch Fürst Galitzine das Bild weithin bekannt geworden
und von vielen gesehen war, so daß die Unterschiebung einer Kopie sehr gewagt
war. Man hätte doch auch wohl noch Kunde davon, wo das sog. Original ge-
blieben ist. Daß der Großherzog von Toskana sich stark bemüht hätte, um von
dem russischen Käufer eine moderne Kopie zurückzuerwerben, ist doch auch ein
undenkbarer Fall.
Das Bild macht mir den Eindruck einer ehemals ganz annehmbaren, sehr nach-
gedunkelten und teilweise durch Restaurierung stark beeinträchtigten Kopie. Es
ist m. E. die abseits von aller Routine liegende, sorgsame Arbeit eines Leonardos
Zeit noch ziemlich nahestehenden Kopisten, der sein ziemlich geringes Können
einsetzt, um ein ihm liebes Bild genau wiederzugeben. Ich glaube, das 17. Jahr-
hundert kopierte einen Leonardo nicht mehr so rein und mit solchem Verständnis
für seine Formensprache und Empfindung, als es hier geschehen ist. Der Kopf
in seiner länglichen edlen Form, von reichen Locken eingerahmt, das Dreieck der
Stirn, die schmale, feine Nase, die durch Retouchen in ihrer Form entstellten, doch
ausdrucksvollen Augen und die magische Beleuchtung des Gesichtes lassen trotz
offenbarer Mängel noch Leonardos Schöpfung ahnen. Schon der untere Teil der
Nase ist unklar durch Restaurierung, der Mund ungeschickt und hart, das Kinn
verzeichnet, überhaupt ist das unterste Drittel des Gesichts erheblich ausgebessert
worden. Eine schön entworfene, wenn auch schwer gemalte Locke, fällt auf die
rechte Schulter, ganz ähnlich wie auf dem Johannesbild der Ambrosiana. Die Ver-
kiirzung des rechten Oberarmes wirkt zwar nicht gerade bestechend, entspricht
übrigens genau dem Bilde bei Mr. Waters. Der Unterarm ist von knabenhafter
Magerkeit mit deutlich betontem Knochengerüst des Handgelenkes und der Knöchel
und zeigt lange, schmale Finger; der emporweisende ist sogar zu lang). Der Unter-
quali si adoprano sopra le abbozzature a dar il lustro а quelle cose, che lo ricercano: per il che si
adopera l’asphalto per dar il lucido ai capelli biondi e castanei e parimente il falzalo (?) finissimo
mischiato con la lacca. Le quali cose tutte soleva usar molto Leonardo“. Ich entnehme
die Stelle der sebr dankenswerten Zusammenstellung auf Leonardo bezúglicher Texte, welche Edm.
Solmi im Arch. stor. Lomb. 1907 aus Lomazzos Schriften darbot (8. 307). Die Angabe Solmis, daß
unter Leonardos Notizen bei Richter, Lit. Works of L. d. V., auch der Asphalt genannt werde, trifft
jedoch nicht zu. Frl. Marie Herzfeld, an die ich mich wegen augenblicklicher Ermangelung des
Werkes wandte, teilt mir freundlichst mit, daß weder dort noch im Trattato Leonardos der Asphalt
erwähnt sei. Damit ist natürlich die Behauptung des Lomazzo durchaus noch nicht als unzutreffend
erwiesen.
(1) Für die bei Leonardo beliebte schlanke Bildung jugendlicher Hände vergleiche man die herrliche
535
arm kommt, wie schon Miiller-Walde S. 247 von der Kopie Waters zeigte, fast
genau bei der Bronzefigur des Johannesbildes vor, die dem Fr. Rustici, Leonardos
Freund, im Dezember 1506 aufgetragen und 1511 im Guß vollendet wurde. Die
linke Hand, die auf dem in vielen Längsfalten herabfließenden Gewande leicht auf-
liegt, finde ich von so sehr abweichender Bildung mit fleischig gerundeten, vorn
spitz zulaufenden Fingern, daß ich sie als vom Restaurator ganz übermalt ansehen
muß. Den Daumen hat er mit schwerer Farbe zugedeckt, nur die Spitze scheint
noch durchzuschimmern. Der linke Arm, fast ganz im Dunkel verschwindend, ist
unbekleidet, auch der untere Teil des Oberarmes. Die Flügel sind auf dem dunk-
len Hintergrunde kaum zu erkennen (was nach Herrn v. Liphart auch vom Original
gilt), sie reichen fast bis zur Höhe des Scheitels, der linke zieht sich schräg nach
unten, um schon oberhalb der linken Hand nahe dem Bildrand parallel zu laufen.
Das Licht fällt ganz hoch von links und beleuchtet das schmale Dreieck der Stirn,
ruht in feinem Streifen auf dem Nasenrücken, modelliert die Wangenknochen und
in schummerigem Halbdunkel die untere Gesichtshälfte, trifft kräftig auf Schulter-
und Oberarmmuskel und in Halbtönen den unbedeckten Teil der Brust und die
obere Seite des emporgestreckten Armes. Dazu tritt die reiche Skala der Schatten-
töne weich bis zu dunkelsten Tiefen. Man erinnert sich der oben angeführten
Schilderung Vasaris. Der Maler hat sich sichtlich erschöpft, immer dunklere Tinten
zu finden, um auf dem schwarzen Hintergrund die Gestalt im Halbdunkel weich
und doch plastisch abzutönen, so daß schließlich fast kein Licht mehr übrig ge-
blieben ist und das Bild das Aussehen eines Nachtstückes bekommen hat. Wir
empfangen eine Vorahnung von Rembrandts reifster Kunst, die der große Entdecker
Leonardo also schon vorweggenommen hat.
Diese malerische Auffassung entspricht ja auch den Vorschriften, die Leonardo
in seinem Traktat von der Malerei gibt. „In welcher Umgebung man ein Ant-
litz abbilden soll, um ihm Anmut von Schatten und Lichtern zu verleihen. — Sehr
große Anmut von Schatten und Lichtern legt sich auf die Gesichter derer, die
unter den Türen dunkler Behausungen sitzen. Dann sieht das Auge des Be-
schauers die Schattenseiten des Gesichts durch die Schattendunkelheiten des er-
wähnten Hausraums verstärkt, und der Lichtseite des Gesichtes sieht es die Hellig-
keiten hinzugefügt, die ihr der Glanz der Luft verleiht. Vermöge dieser Steige-
rung von Schatten und Lichtern bekommt das Gesicht großes Relief. Dazu auf
der Lichtseite (oder -Hälfte) fast unmerkliche Schatten und auf der Schattenseite
ebenso unmerkliche Lichter. Durch solche Darstellung und Steigerung von Schatten
und Lichtern gewinnt das Antlitz sehr an Schönheit. Nimmt man das Licht für
Gesichter, die zwischen dunkle Seitenwände postiert sind, gerade von vorn, so ver-
ursacht dies, daß die.Gesichter großes Relief bekommen, sonderlich, wenn das Licht
von hoch herkommt“. . . ).
Im Ms. 2038 Bibl. Nat. Fol. 20 v gibt Leonardo Anweisung für eine Beleuchtung,
die den Gesichtern Anmut verleiht. Der Maler soll als Atelier einen Hofraum mit
schwarzgetiinchten Mauern benutzen, der то Ellen breit, 20 lang und 10 hoch ist
und gegen das Tageslicht durch ein Zeltdach abgeschlossen werden kann. Ohne
dieses Zelt soll der Maler nur bei trübem Wetter oder beim Herannahen des
Abends malen, indem er das Modell gegen die schwarze Rückwand stellt. Dazu
Silberstiftzeichnung in Windsor — Berenson Nr. 1124, Abb. bei v. Seidlitz, II. 100 — (den herrlichen Akt
eines Júnglings als Johannes B. aus frühmailändischer Zeit) und die rechte Hand des Engels auf der
Madonna in der Felsengrotte.
(1) Nr. 123 und 124 der Ausgabe von Heinr. Ludwig, neu herausgegeben von Marie Herzfeld, Jena 1909.
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erteilt Leonardo den Rat: ,Beobachte auf den StraBen beim Anbrechen des Abends
die Gesichter der Männer und Frauen, wenn es schlechtes Wetter ist, wie groBe
Anmut und Süße man da gewahrt“ !). Erinnern wir uns schließlich noch des öfters
aus dem Traktat angeführten Wortes: „Das Helldunkel mit der Verkürzung
ist der Glanzpunkt der wissenschaftlich betriebenen Malerei“. (Il chiaro
е lo scuro insieme co’ li scorti ё la eccellenzia della scienza della pittura.)
Ist der Engel nun nicht gleichsam ein Paradigma zu solchen Lehren?
Mit Sicherheit können wir aus dem obigen Malregeln wie aus der Beschreibung
des Vasari auch den Schluß ziehen, daß der Hintergrund des Bildes voliständig
dunkel war, wie ihn diese Kopie und der Johannes B. bei Waters zeigen, und ihn ja
auch alle bekannten Exemplare des davon abgeleiteten Johannesbildes in der
Louvrekomposition mit zwei Ausnahmen aufweisen. Damit erledigt sich m. E. so-
gar die oft diskutierte Frage (z. B. von Frizzoni L’Arte 1906, 409) nach dem
Hintergrund des Johannesbildes im Louvre, denn den Maler leitete hier wie
dort dasselbe Bestreben, eine möglichst plastische Wirkung der Gestalt zu erzielen.
Zwar besitzt die Kopie der Ambrosiana, die m. W. erst seit Lanzi dem Salai
ohne Grund zugeschrieben wird, einen landschaftlichen Hintergrund; dieser kann
aber m. E. nur als Entlehnung aus dem Annabilde des Louvre angesehen werden?).
Im übrigen ist diese Kopie mit ihren tiefen warmbräunlichen Fleischtönen trotz
mangelhafter Zeichnung des Mundes und der Augen ein anmutiges, überaus sorg-
fältig gemaltes Werk, das sicher von einem Schüler Leonardos herrührt. Das
Rohrkreuz fehlt ihr jedoch nicht, wie v. Seidlitz II. 297 irrtümlich behauptet. Nach
freundlicher Mitteilung von Herrn Dr. v. Meyenburg befindet sich im Städtischen
Museum in Winterthur noch eine weitere Kopie des Johannesbildes mit der
Landschaft des Ambrosianabildes als Hintergrund. Dieses an Qualität geringe
Werk müsse wegen des „Mondscheincharakters“ der Landschaft einer späteren
Zeit angehören.
Außer bei Vasari gibt es wohl nur eine einzige Notiz über einen Engel Leonar-
dos, nämlich in den Memorie storiche des Amoretti S. 158/0. Dieser sagt, daß
damals (1804) sich im Hause Anguissola (in Mailand) ein „Verkündigungsengel“
Leonardos befand (angelo in atto d'annunziare М. V.). Einige sähen darin aber
nur das Werk eines Schülers. Ohne Zweifel war es ein weiteres Exemplar der
Petersburger Darstellung. Die Notierung von Müntz, S. 508, über einen „Engel“ bei
Lord Ashburton ist unzutreffend, denn Waagen, Treasures II. 98, spricht nur von
einer luinesken Madonna mit einem Engel und dem Johannes B.
Da sonstige Kopien des Engels bisher nicht bekannt und das Original verschollen
ist, kommt den zu einem Johannesbilde umgestalteten Nachbildungen eine größere
Bedeutung zu. Das von Miiller-Walde publizierte Gemälde bei Mr. Waters in
London ist mir nur aus der Photographie bekannt (s. Abb. 1). Es stammt offen-
sichtlich von demselben Maler, dem die Nachbildung des Ambrosianaexemplars in
der Sammlung Haveburn gehört. Die Malerei ist so licht gehalten, daß Vasaris Schil-
derung des Nachtstückes gar nicht mehr paßt und wir hier eine Abänderung des Vor-
bildes entsprechend einer veränderten Geschmacksbildung annehmen müssen. Der
süßlich-kokette Puppenkopf mit den mühsam und kleinlich gezeichneten Locken
(1) ... poni - mente perle strade sulfare della sera i volti domini edonne quando echattivo tempo +
quanta: gratia edolcieza - siuede Шого... Веі Ravaisson - Mollien, VI., fol. 34V dieses Ms., findet man
das Datum des 10. Juli 1492, ein Zeichen, wie früh der Meister schon seine Maltheorie ausgebildet hatte.
(a) Sirén (331) halt fir wohl denkbar, daB der Meister dem Schúler den Hintergrund angab.
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und die zu kleine linke Hand nötigen m. E. dazu, beide Bilder einer Leonardo schon
erheblich fern liegenden Zeit zuzuschreiben.
Durch das liebenswürdige Entgegenkommen des Herrn Dr. Ernst v. Meyen-
burg am Museum zu Basel bin ich in der angenehmen Lage, ein bisher in der
Literatur unbekanntes, wertvolles Exemplar des Johannesbildes in der Haltung des
von Vasari beschriebenen Engels zu veröffentlichen!). Das Bild kam in der Zeit
der großen französischen Revolution nach Basel und wurde 1809 in einer großen
Sammlung des Basler Kaufmanns Nic. Reber versteigert?). Kein geringerer als
Jakob Burckhardt kaufte es am 27. November 1850 von Herrn Merian - Forcart
für 500 Fcs. und bot es dem Basler Museum und darauf dem Städelschen Institut
(Passavant) vergeblich an. Am 28. Januar 1851 ging es bereits in den Besitz des
Basler Bürgermeisters Sarasin-Brunnen über, dessen Sohn Herrn Dr. Fritz Sarasin
in Basel es seit 1908 angehört.
Das Gemälde ist in Öl auf Holz?) etwa 63,5 < 50 cm groß ausgeführt und in
einen meisterlich entworfenen, prachtvollen Goldrahmen im Stile Ludwigs XVL ge-
faßt. Das königliche Wappen von Frankreich mit den drei Lilien, von der franzö-
sischen Königskrone überragt, schmückt pomphaft das obere Rahmenstück; auf dem
unteren lesen wir auf einer stattlichen Schrifttafel „LEONARD DE VINCI“ Auf
der Rückseite ist ein Stempel mit einer Lilie dreimal eingeschlagen und daneben
die Worte Leonardu(s) Vincius. Dazu sieht man noch einen eingeprägten Stempel
mit einem bisher nicht deutbaren Wappen, dessen von rechts oben nach links
unten geteiltes, aber weiter nicht erkennbares, ovales Mittelfeld von einer Ordens-
kette mit Malteserkreuz umschlossen und von einer fünfzackigen Krone überragt
wird; oben und unten kommen die Enden von zwei gekreuzten Kommandostäben
zum Vorschein. Außerdem findet man noch einen verletzten Siegelabdruck mit
zwei verschlungenen, kursiven Initialen, die ich als M. J. lese, und in Tinte Nr. 68.
Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß das Bild zur Zeit Ludwigs XVL sich in
der Galerie der französischen Könige befand, wenn auch eine diesbezügliche
Anfrage beim Museum des Louvre ohne Erfolg geblieben ist. Das Inventar des
Nic. Bailly (1710) kennt das Bild nicht. In den stürmischen Jahren der Revolution
und Napoleons I. ist, wie ich nachweisen werde, auch anderes aus der Galerie
des Louvre verschwunden. Ob das Gemälde mit dem Johannesbild, das um 1666
im Besitz des Prinzen von Condé war, identisch ist und das Wappen sich auf ihn
bezieht und gar das Siegel dem Sammler Jabach angehört, vermochte ich nicht
festzustellen.
Das Gemälde hat schwarzen Hintergruud. Die Karnation wirkt recht angenehm,
die Lichter weisen ein sanftes Neapelgelb auf, die Schatten sind bräunlich mit
etwas Grau gemischt, das lockige Haar ist kastanienbraun. Die Erhaltung ist noch
vortrefflich, obwohl zahlreiche kleine Stellen ausgebessert und nachträglich noch
einige geringe Beschädigungen eingetreten sind. Der Ausdruck des Kopfes ist süß
und angenehm, die Zeichnung (vgl. die linke Hand und den an der Wurzel unge-
(1) Für freundliche Überlassung von Photographien, für Auskünfte und Zugänglichmachung des Gemäldes
sage ich auch an dieser Stelle Herrn Dr. v. Meyenburg verbindlichsten Dank.
(2) Catalogue d’une riche collection de tableaux, dessins, estampes... qui composoient le Cabinet de
Mr. Nicolas Reber, négociant á Basle. A Basle 1809. — N. 925 Leonardo da Vinci, St. Jean ado-
lescent considérant un crucifix. Sur bois. Hauteur 26 pouces, largeur 20'/, pouces. Das Bild wurde
zuerst auf 250 Ld’or, dann auf 50 Ld’or geschätzt und schließlich als Kopie für 20 Ld’or an Herm
S. de S. Merian verkauft.
(3) Der Besitzer erkennt darin eine Koniferenart.
538
wöhnlich breiten Nasenrücken) wie die Modellierung sind nicht ohne Tadel und
etwas hart. Die länglich-schmalen Augen mit den annähernd in gerader Linie ver-
laufenden unteren Lidern erinnern an das geheimnisvolle, versonnene Lächeln der
Mona Lisa und an jenen Leonardoschüler, für den der von Morelli vorgeschlagene
Name Giampietrino allgemein üblich geworden ist. Obwohl die Bildung der
Hände nicht die Eigenart und die Mängel aufweist, die wir bei diesem Maler zu
treffen gewohnt sind, auch der Fleischton nicht der ihm gewöhnlich eigene kühle
ist (von welchem sich aber verschiedene Ausnahmen finden), dürfte es doch nicht
zu gewagt erscheinen, diesem fruchtbarsten Schüler Leonardos das Bild zuzuteilen.
Daß die eigene Art eines Malers beim Kopieren oft fast verschwindet, ist eine
natürliche Erscheinung. Das Bild müßte zu den frühesten Arbeiten des sog.
Giampietrino gerechnet werden und vielleicht noch vor ı510 fallen. Andere uns
bis heute als Schüler des Leonardo nachweisbare und in ihrer Eigenart bekannte
Maler sind als Verfertiger dieser Kopie ausgeschlossen. Das Bild ist der oben be-
sprochenen Kopie bei Mr. Waters an Geschmack erheblich überlegen, obschon
diese eine viel regelmäßigere, sehr saubere Durchführung hat. Man beachte die
künstlerisch viel feinere Anordnung des Tierfells, die den Ansatz der Hüfte und
die graziösere Haltung des linken Armes geschickter zur Geltung kommen läßt
und die Figur besser gliedert.
Wir erkannten in der gewiß nicht hervorragenden und zudem durch Restaurie-
rung entstellten Petersburger Kopie des Engels ein wertvolles Abbild des von
Vasari beschriebenen Leonardobildes, das in Mailand im Anfang des Jahres 1507
wenigstens als Karton vorlag. Das Original — zur Annahme eines solchen nötigt
uns der Text bei Vasari — wird zu Grunde gegangen sein. Hier oder dort mag
aber noch eine alte Kopie existieren. Wir erhalten in dem Bilde nicht nur die
denkbar getreueste Illustration zu einem der für Leonardos Bestrebungen bezeich-
nendsten Kapitel des Traktates von der Malerei, sondern auch ein neues Thema
seiner und m. W. sogar der bisherigen Kunst. Schon in der nicht genug zu schätzen-
den, über die Maßen genialen Untermalung des Epiphaniasbildes aus dem Jahre
1482 befindet sich rechts neben dem Laubbaume des Mittelgrundes ein Engel,
dessen rechte Hand zum Himmel deutet, während das Gesicht sich freundlich zu
einem staunenden Jüngling herabneigt. In dem Werke, das uns Vasari beschrieben,
erkennen wir die Einzelgestalt eines Engels, aufgefaßt als ein himmlischer Schutz-
geist, als der einer besseren Welt entstiegene Führer der Menschen zur Gottheit,
in das Reich des Friedens und der ewigen Liebe. Die Annahme des Amoretti, es
sei ein „Verkündigungsengel“ dargestellt, ist unhaltbar. Schwerlich hätte Leonardo
aus einem Verkündigungsbilde — diese Komposition beschäftigte ihn angelegent-
lichst im Beginne seines künstlerischen Schaffens — eine vereinzelte Figur gemalt.
Aber man kann sich auch leicht klar darüber werden, daß mit dem vorliegenden Engel
die Figur der S. Annunziata kompositionell gar nicht zusammengefügt werden kann,
denn die vom Engel angeredete heilige Jungfrau müßte ja die Stelle des Beschauers
einnehmen. Andererseits war die auf mehrfache Stellen der Bibel zurück-
gehende christliche Lehre von den „Schutzengeln“, wie siez.B. S. Bernard v. Clairvaux
so anschaulich ausführt, Gemeingut aller Gläubigen auch zu Leonardos Zeit. Fragen
wir uns aber, was — abgesehen von einem nicht nachweisbaren Auftrag — den
Meister zu einer solchen Darstellung bewogen haben könnte, so scheint es wohl
Leonardos Wesen und den Zeitverhältnissen entsprechend, daß der Künstler den
Mitlebenden, die sich in erbitterten Kämpfen zerfleischten und nur der Stimme
ihrer Leidenschaften folgten, einen Himmelsboten vorführen wollte, der ihnen
539
freundlich-eindringlich das Evangelium der Liebe und des Friedens verkiinde. So
wäre Leonardo doch nicht, wie man bisher angenommen hat, gefiihllos und ledig-
lich auf die Erforschung und Ausgestaltung seiner wissenschaftlichen Probleme be-
dacht durch seine blutige Zeit geschritten! Dieser freundlich-ernste, von reiner
Anmut erfüllte himmlische Knabe, aus dessen Antlitz ein unschuldiger Wiederschein
des süßen Lächelns der Gioconda uns entgegenleuchtet, erweckt unstreitig mehr
und ungetrübteres Wohlgefallen beim Beschauer, als das daraus entwickelte Johan-
nesbild des Louvre (Nr. 1597), jene zu einem Bußprediger gar nicht mehr passende,
weichlich-üppige, ja feminine Gestalt mit dem verwirrenden, aufdringlichen Lächeln.
Im übrigen muß Leonardo selbst der Urheber dieser Umgestaltung des Engels
zu einem Johannesbild gewesen sein. Sie war zunächst leicht auszufiihren: das
Rohrkreuz ersetzte kompositionell den linken Flügel des Engels. Alles andere
blieb zunächst unverändert, wie wir es in den Kopien bei Dr. Sarasin und bei Mr.
Waters sahen. Nun mußte aber die Gebärde der emporweisenden Rechten bei
dem hl. Täufer weniger passend erscheinen, zumal bei ihm der auf die Bibel zu-
rückgehende Hinweis auf das Lamm Gottes durch tausende von Darstellungen all-
gemeinüblich geworden war. Da bot sich dem Meister der Gedanke, die Rechte
die Brust überschneidend auf das Kreuz hinweisen zu lassen, das ja ebensogut wie
das Lamm ein Sinnbild des Opfertodes Christi war. Kompositionell bezeichnet diese
Abänderung zudem noch die für Leonardo charakteristischen Bestrebungen nach
gegensätzlicher Bewegung der Figur. Die stark abfallende, lange Schulter erklärt
sich aus dem fast gleichzeitig entstandenen Karton der stehenden Leda. Eine
solche Komposition wäre schon 1509 in Mailand entworfen.
Weil infolge obiger Feststellungen die Halbfigur des Täufers im Louvre
als eine Art Réplique des Engels erscheint, sollen hier noch einige Beiträge
zu dem vielumstrittenen Louvrebilde und außerdem zu einer weiteren Johannes-
komposition Leonardos dargeboten werden, welch letztere uns seit langem unter
dem Namen eines Bacchus (Nr. 1602 des Louvre) geläufig ist.
Wegen der so starken Abhängigkeit der Halbfigur des Täufers von dem Engel
und der auffälligen Übereinstimmung mit der Komposition der stehenden Leda muß
das Bild Nr. 1597 des Louvre um so schärfer auf seine malerischen Qualitäten ge-
prüft werden, wenn es den Titel einer Arbeit des Meisters behalten will. Nam-
hafte Kenner, ich nenne Morelli, Berenson, This, S. Reinach und L. Bonnat sehen
das Bild nur als Werkstattarbeit oder Kopie an, während andere, wie Müntz, Mc. Curdy,
v. Seidlitz und neuestens O. Siren noch ein Originalwerk darin erblicken. Trotz
verschiedener Mängel — der gequälten und nicht tadellosen Modellierung des Ge-
sichts, der Plumpheit im Umriß von Schulter- und Rückenlinie, der zaghaft und
schwer gemalten Haarlocken, endlich der (mit Ausnahme der Hand, die feine graue
Töne aufweist) unangenehm roten Fleischfarbe — übertrifft das Exemplar des
Louvre doch die übrigen bekannten Darstellungen bei weitem durch die Größe und
Freiheit der Auffassung!). Die Bewegung des rechten Armes ist eine Fortentwick-
(т) Das Exemplar der Ambrosiana ist nur als Nachbildung des 1500 entstandenen Kartons zu er-
klären und steht dem Engel noch nahe. Man vergleiche die mehr knabenhafte Gestalt, die Schulter-
locke, die Finger der rechten und der linken Hand (im Louvre an letzteren Übermalungen!) und die viel
mehr zeichnende Durchführung. — Im Museo Nazionale in Neapel hängt unter Nr. 160 eine Kopie
nach dem Exemplar der Ambrosiana (vgl. die rechte Hand und die Locke auf der rechten Schulter)
von ziemlich dirnenhaftem Ausdruck und nicht mehr aus Leonardos Schule, sondern unter Correggios
Einfluß. — Über der Tür daneben hängt eine Kopie nach dem Louvrebild, aber viel weniger fleischig,
vielmehr mager, von harter Zeichnung und schlechter Anatomie; anscheinend von einem Dilettanten.
540
lung des Engelbildes im Sinne eines echt leonardischen Kontrapost, auch die im
Vergleich zum Engel augenscheinlich hellere Stimmung des Chiaroscuro muß als
Fortschritt gelten.
In dem unschätzbaren Berichte des Ant. de Beatis lesen wir, daß der greise
Meister am то. Oktober 1517 einen San Giovanni Baptista jovane, der ebenso wie
das Porträt einer Florentinerin und die hl. Anna Selbdritt das Prädikat perfectissimo
erhält, dem Kardinal von Aragonien vorführte — natürlich als seine eigene Schöpfung.
Wir sind m.E. genötigt, anzunehmen, daß das Bild des Louvre mit jenem Werk, das
Ende 1517 noch im Besitz Leonardos war, identisch ist und beim Tode des Meisters,
wenn nicht schon früher, in die Sammlung Franz I. überging. Die Prüfung des
Bildes aber, das bei der heute noch emailartig festen Farbenschicht nur durch teil-
weise Abwaschung von Lasuren und kleine Ausbesserungen gelitten haben kann,
(1788 bezeichnet es Du Rameau als bien conservé) ergibt, daß der alt und gebrech-
lich gewordene Meister, dessen Rechte durch Schlagfluß gelähmt war, sich der
Beihilfe eines Schülers reichlich bedient haben muß, was bei ihm auch in früheren
Jahren schon mehrfach üblich war!). Als Amanuensis kommt hier, da es sich um
eine Arbeit der letzten Jahre handelt, kein anderer in Betracht, als der noch sehr
verkannte Francesco Melzi, der Maler der Pomona in Berlin, der sog. Colombine
in der Eremitage, der sog. entkleideten Gioconda und der „Floren“?). Wenn nun
auch die Kreidezeichnung zur rechten Hand des Johannes im Louvrebilde (C. A. 179 r)
schon in das Jahr 1509 fällt, wie Müller-W. scharfsinnig nachgewiesen hat, so
widerstreitet das nicht dieser späten Entstehung, denn daß die Ausführung eines
Bildes sich durch lange Jahre hinzieht, entspricht nur zu sehr, ja fast ausnahmlos,
der Gewohnheit Leonardos.
Über die Geschichte des Johannesbildes im Louvre wäre zunächst der Irrtum
des Н. у. Seidlitz (II, 126) zu berichtigen, daß das Bild schon von Cassiano del
Pozzo (1625) und von Рёге Dan (1642) in Fontainebleau erwähnt sei. Ich gebe
aus dem Codex-Ms. der Vaticana, Barb. Lat. 5688 den vollständigen Text über das
von Pozzo als S. Giovanni beschriebene Bild. In der Camera delle Pitture sieht
der Verfasser unter fünf echten bzw. angeblichen Leonardobildern: Secondariamente
un S. Giovanni nel deserto. La figura minor un terzo del vero; ё opera delicatis-
sima ma non piace molto, perché non rende punto di devotione, né ha decoro ov-
vero similitudine; & assiso a sedere, vi si vede sasso e verdura di paese con aria
(fol. 1927 und 193) ). P. Dan schreibt 1642 (Le trésor des merveilles de Fon-
tainebleau, S. 132): St. Jean dans le désert. Daraus ist offenbar, daB es sich um
jenes Bild handelt, das wir unter dem Namen „Bacchus“ (Nr. 1602 des Louvre)
kennen.
Beide Kopien auf Holz. — In Genua findet man im Palazzo Rosso eine Kopie des Louvreexemplars
von weichlich gedunsenen Formen aus der Zeit des Puders und der Perúcke, worauf auch die ovale
Bildform hindeutet (Reinach, Кёр. C. 592). — Die Kopie der ehemaligen Sammlung Chéramy (Abb.
Les Arts 1907, Nr. 64) ist eine schwache Kopie des Louvrebildes ohne das Kreuz. — Das Exemplar im
Palazzo Rospigliosi in Rom, Nr. 6 der Galerie — nach Angabe in Bädekers Mittelitalien aus Leo-
nardos Schule — war im verflossenen Sommer nicht zugánglich. — Uber das Bild bei Mr. Haveburn
8. O., 537.
(х) Es ist mir eine angenehme Genugtuung, nach dem Abschluß meines Ms. darauf zu stoßen, daß
ein so gründlicher Forscher, wie Georg Gronau es ist, in diesem Bilde auch den Einfluß der Alters-
schwäche Leonardos und die Beihilfe eines Schülers erkennt (L. d. V. 176). v. Seidlitz II, 124 meint, das:
Bild könne vielleicht noch in Florenz entstanden sein, da es der Anon. Gaddiano erwähne.
(2) Über die drei ersten Bilder siehe jetzt MiB Ffoulkes in Rassegna d'Arte 1911, Nr. 2.
(3) Der treffliche Mc. Curdy hatte bereits 1904 die Stelle mit Ausnahme des Titels abgedruckt (L. d. V. 127).
541
Die Untersuchung dieses Gemäldes (dessen Maler Melzi sein möchte; siehe Pflan-
zen, unfeine Umrisse und weich-sinnlichen Charakter), ja schon einer guten Photo-
graphie, läßt die Ubermalungen: Pantherfell, Efeukranz, Weintraube, Beseitigung des
Querholzes beim Rohrkreuz, erkennen, wie das auch Passavant, Waagen und Villot
längst festgestellt haben!). Die zeigende Hand, die so typisch fiir den hl. Täufer ist,
hätte, auf einen Bacchus angewandt, anstößig erscheinen müssen. Aber wir können
dank den Forschungen von Fernand Engerand (Nicolas Bailly, Inventaire des
Tableaux du Roy publ. р. F. E., S. 5) sogar den Zeitpunkt der Umwandlung
des Johannesbildes in einen Bacchus ziemlich genau festlegen. Der Konservator
Le Brun nennt 1683 das Bild noch St. Jean; Paillet schreibt 1695 zunächst „St. Jean
au desert“. Dieser Titel ist dann ausgestrichen und darüber gesetzt: „Baccus dans
un paysage“. Am Rande liest man: „est appelé St. Jean dans les anciens inven-
taires“. In dem Verzeichnis des Nic. Bailly (1709—10) führt das Bild schon einfach
den Titel „Baccus“. Also fällt die Umgestaltung, für welche die Veranlassung in
der schon von Cassiano del Pozzo bemängelten wenig religiösen Auffassung gelegen
haben mag, zwischen 1695 und 1709.
Hat nun Leonardo, wie heute noch allgemein angenommen wird, überhaupt
ein Bild des Bacchus entworfen oder gar gemalt?
Das wirksamste, für weitere Kreise entscheidende Argument für diese Annahme
— nämlich das Exemplar des Louvre — ist, wie wir oben gesehen, nichts anderes
als eine Maske gewesen, die man um 1700 dem Bilde des hl. Johannes В. aufge-
malt hat. (Solmi, L. d. V. 183 nahm umgekehrt an, die Schüler Leonardos hätten
die heidnische Komposition des Meisters christlich umgestaltet!) Aber auch die
beiden anderen Beweismittel, die wir Campori (Nuovi documenti 1865, S. 10— 117)
verdanken, erweisen sich bei näherem Zusehen — das eine als ein Nichts, das
andere als zu schwach in seiner Vereinsamung. Der Mailänder Ant. Maria Palla-
vicino besaß im April 1505 „einen Bacchus“, den er dem Kardinal d’Amboise ver-
sprochen hatte; schon das Fehlen des Namens des Künstlers spricht gegen Leo-
nardos Autorschaft, der dies Werk auch bereits in Mailand vor 1500 geschaffen
haben müßte. M. E. besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, daß es sich um eine
antike Statue gehandelt hat. Die sehr unkritische Verwendung dieser Notiz durch
Milanesi-Vasari IV, 60 für ein derartiges Gemälde Leonardos hatte Uzielli, Ricerche
intorno a L. d. V. I,?, 544% schon scharf verwiesen. Da bleibt noch das in einem
Manuskriptbande der Bibliothek in Ferrara enthaltene elegante Distichon des
ferraresischen Schriftstellers Flav. Ant. Giraldi (v. Seidlitz, II, 127, schreibt Flor.
Ant. Grimaldi, und Sirén, 304, nennt ihn den florentinischen Dichter Grimaldi!).
Bacchus Leonardi Vincii:
Tergeminum posthac mortales credite Bacchum,
Me peperit docta Vincius Ше?) manu.
Der Verfasser wird allgemein (bei Miintz, v. Seidlitz, Herzfeld) als ,,Zeitgenosse“
Leonardos bezeichnet, doch hatte der Finder des Distichons, Gius. Campori (Gaz.
(x) Auch das Baumgestrüpp auf dem Felsen muß wegen des routinierten „Baumschlages‘ späte Über-
malung sein und die flaue Landschaft mit dem schlanken Baum, der den Vordergrund abschließt,
kann nicht von derselben Hand herrühren, die die Akeleistaude so gediegen, wenn auch etwas hart
nach der Natur ausführte. v.Seidlitz П. 128 spricht nicht von diesen Ubermalungen und hält das Bild
für eine „mailändische Umgestaltung in einen heidnischen Gott“; ähnlich Sirén, 8,236. — G. Gronau
(L. 4. V. 146) gibt richtig die Abänderung an, verlegt sie aber schon in Leonardos Zeit.
(2) Nicht „ессе“, wie öfters gedruckt wird.
542
В. A. 1866, 47) selbst geschrieben, daß Giraldi um die Mitte des 16. Jahrhunderts
lebte und nur betont, daß das Zeugnis „noch dem Jahrhundert Leonardos“ angehöre.
Auch Uzielli, I“, 543, heißt den Giraldi einen ferraresischen Schriftsteller aus der Mitte
des 16. Jahrhunderts. Somit besitzt dieses ganz für sich allein stehende Zeugnis
durchaus keine ausreichende Beweiskraft. Sicherlich würde ein Bacchus des gött-
lichen Vinci im Zeitalter des Humanismus noch manche anderen Feder in Bewe-
gung gesetzt haben. Will man auch dem „argumentum ex silentio“ keine durch-
sehlagende Bedeutung beimessen, obwohl es Personen wie Billi, den Anon. Gaddiano,
Vasari und Lomazzo betrifft, so fällt dazu sehr schwer in die Wagschale, daß sich
keine Handzeichnung des Meisters und keine Kopie einer solchen oder des Bacchus-
bildes von einem Schüler erhalten hat’).
Jedenfalls liegt denen, die künftig noch von einem Bacchus des Leonardo sprechen
wollen, die Pflicht ob, bessere Zeugnisse als man bisher kennt, beizubringen. Zu-
nächst ist der Bacchus aus den Kompositionen Leonardos zu streichen.
Damit fällt auch eine bedauerliche Anklage, die Wolynski u. a. wegen der Ver-
mischung von Heidnischem und Christlichem gerade aus diesem Bacchus konstru-
ierten, in sich zusammen.
Dagegen ist ein St. Johannes B. in der Wüste wenigstens als Entwurf des
Meisters anzunehmen, da dies Bild bezeugt ist durch das leonardeske, von Über-
malungen entstellte Werk des Louvre und durch die Kopien in der versteigerten
Sammlung Penther?) in Wien, in der Sakristei von S. Eustorgio in Mailand?) und die
feinste, etwas skizzenhafte beim Earl of Crawford (Reinach, Кёр. des Peint., C. 594 1,
Lichtdruck im Cat. des Burl. F. A. Club, Milanese Exhibition 1898, pl. 16), das G.
Frizzoni (L'Arte 1906, 410) ein charakteristisches Werk des Bern. Lanino nennt.
Es wäre sogar recht wohl möglich, daß die Notizen des Antonio Billi und des Ano-
nimo Gaddiano sich auf diese Komposition beziehen, ohne daß wir dadurch genötigt
würden, hier ein eigenhändig ausgeführtes Gemälde Leonardos anzunehmen.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zu der Halbfigur des Johannesbildes im
Louvre zurück. Pere Dan konnte 1642 das Bild schon deshalb nicht beschreiben,
weil es sich damals sicher in der Sammlung Karls I. befand. Aber auch als
del Pozzo 1625 in Fontainebleau weilte, hatte es die Galerie des Königs schon
verlassen und zwar kurz vorher, wie man aus dem Text des Autors schließen
kann‘). Der glänzende Herzog von Buckingham, der 1625 den Auftrag hatte, die
französische Prinzessin Henriette als Braut seines königlichen Freundes Karls I. nach
England zu geleiten, bemühte sich damals sehr, Leonardos Gioconda für die Samm-
(1) Der weichliche Knabenkopf en face in Venedig (Corn. 47, 263 Abb. bei Rosenberg, L. d. V. 8. 112)
ist eine schwache Nachzeichnung des feinen frühen Christusknaben des Beltraffio in der Sammlung
Morelli in Bergamo. Der rätselhafte Portrátkopf mit bekleideter Büste nach einem bartlosen jüngeren
Manne mit gequältem Blick, einem Weinlaubkranz auf dem Kopf und darunter, fast verdeckt, eine
Dornenkrone (!) (Turin 15587) ist jedenfalls kein Bacchus. Der Zeichner diirfte Sesto sein. |
(2) Durch Th. у. Frimmel als „niederländische Kopie nach dem Johannes В. des Louvre“ benannt.
Damit ist aber der sog. Bacchus gemeint! Rep. f. Kw. 1891, S. 67.
(3) Das ca. 8ocm hohe Bild ist auf Leinwand gemalt, in der Landschaft stark eebe und be-
sitzt gelblich-warme Fleischtóne. Es wird wohl von einem Venezianer sein.
(4) U Duca di Bucchingä mandato d'Ingha per condur la sposa al nuovo Re hebbe qualche intention
d’haver до (questo) ritratto (la Gioconda) ma essendone stato distolto il Re dall'istanze fatteli da di-
versi, che missero in considne che S. M. mandava fuor del Regno il piú bel quadro che havesse do
Duca senti con disgusto q0 intorbidamto e tra quelli con chi si dolse fu il Rubens d'Anversa Pittor
del Arciducha, Ms. Bibl. Ap. Barb. Lat. 5688, fol. 194" und v.
543
lung seines Herrn mitzubringen — allerdings ein kostbares Heiratsgut. Mit Miihe
hielten kunstverständige Berater den jungen Ludwig XIII. von der Verschenkung
seines herrlichsten Bildes zurück, so daß der Herzog im letzten Augenblick seinen
Plan vereitelt sah. Es liegt sehr nahe, anzunehmen, daß man die arg getrübte
Stimmung des herzoglichen Brautfiihrers und das Wohlgefallen des königlichen
Schwagers durch Hergabe eines „ähnlichen Stückes“ aus der Galerie des Königs
wieder herzustellen suchte, und da konnte man kaum ein so passendes Werk
finden als desselben Künstlers Halbfigur des Johannes Bapt. Nachdem Jabach
den Johannes bei der Versteigerung der Galerie Karls I. 1651 zuriickgekauft hatte,
überließ er ihn bald dem Kardinal Mazarin und nach dem Tode desselben (1661)
traten ihn die Erben an die Galerie des Königs ab’).
Felibien, Entretiens (1685 I, 195) nennt nur im Kabinett des Prinzen Condé in
Paris „une teste de S. Jean“ und identifiziert dieses Stück (jedenfalls nur vermu-
tungsweise) mit dem Bilde bei Cam. Albizi (з. Borghini). Aber der erste Direktor
der Gemäldegalerie des Louvre, Le Brun, verzeichnet den Joh. B. 1683 als Nr. 58. Die
Vermutung von M. Fern. Engerand, das heute als Bacchus benannte Bild (Nr. 1602)
könne Gegenstand des mehrfachen Besitzwechsels gewesen sein, wird durch den
zuverlässigen Pierre Mariette widerlegt. Dieser schrieb 1730 in seiner berühmten
Abhandlung über Leonardo (weitverbreitet durch Bottaris Raccolta di lettere, II, 243
der Ausgabe von Ticozzi) gelegentlich des Stiches, den Jean Boulanger nach der
Halbfigur des Johannes anfertigte, daß dieses Bild damals im Besitze des Jabach
gewesen sei.
Nach Angabe von Кт. Villot, die schon 1849 von Rigollot, Catalogue S.6, wieder-
gegeben wird, und seitdem von den Katalogen des Louvre und von den Leonardo-
biographen Müntz und v. Seidlitz übernommen wurde, hätte König Karl I. den Jo-
hannes B. für das bekannte Porträt des Erasmus von Holbein und eine hl. Familie
Tizians eingetauscht. Das kann jedoch so nicht stimmen, denn wie F. Engerand
S. 223 1. с. schreibt, trägt das Holbeinporträt auf der Rückseite die Signatur des
Jabach, stammt daher aus der 1671 in den Besitz Ludwigs XIV. übergegangenen
Galerie des kunstliebenden Bankiers. Engerand vermutet, daß dieses Porträt des
Erasmus identisch sei mit jenem Exemplar, das in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts sich in der Sammlung Brienne befand und ebenso wie die zwei Land-
schaften von Claude Lorrain desselben Besitzers schon ehedem in der Galerie Lud-
wigs XIII. gewesen sei. (Nach gütiger Mitteilung von М. A. Girodie aus dem mir
für den Augenblick nicht zur Verfügung stehenden Werke des F. Engerand.)
Zum Schluß versuchen wir die Frage Vasari zu beantworten, weshalb dessen
Vita di Leonardo trotz mancher Mängel von grundlegender Bedeutung stets bleiben
wird, das Bild eines hl. Johannes B. des Leonardo nicht erwähnt, obwohl
ihm die Notiz darüber in dem Libro Billi und dem Codice Magliabecchiano vorlag.
Das Halbfigurenbild Nr. 1597 des Louvre, d. i. das von Antonio de Beatis am
то. Oktober 1517 in St. Cloud gesehene „Original“, ist mit höchster Wahrschein-
lichkeit, wenn nicht schon bei Lebzeiten des Meisters, so doch bald nach seinem
Tode direkt in den Besitz Franz’ I. übergegangen. Somit hat Vasari dies Werk
der letzten Lebensjahre Leonardos nicht sehen können. Kopien von Schülerhand,
(т) F. Engerand 1.с. 8.8. Felibien, Entretiens sur les vies des Peintres, dessen erste Auflage, wie
mir Mr. André Girodie freundlichst mitteilt, 1666 — 68 erschien, führt das Bild in der Sammlung des
Königs allerdings nicht auf und ebensowenig begegnet es uns in desselben Autors Tableaux du Cabinet
du Roi 1679 (nach Angabe von M. Girodie nicht 1677, wie gewöhnlich angeführt wird).
544
die ihm vielleicht unter die Augen kamen, fiihrten ihn aber nicht zu dem Schlusse,
daß ein Original des Meisters vorhanden sei, weil die Komposition ja mit mit dem
so bewunderten Engel bis auf die Bewegung des rechten Armes iibereinstimmte!).
Ein hl. Johannes in der Wüste ist m. E. von Leonardo nur gezeichnet worden,
wie auch von der Leda nur ein Karton von der Hand des Meisters existiert
haben wird.
* *
*
err Dr. E. у. Meyenburg hatte die Freundlichkeit, mich bei meinem Aufenthalte in Basel auf
die Bedeutung eines Artikels von Emil Jacobsen aufmerksam zu machen, den ich daselbst
in Eile exzerpieren konnte und der Korrektur meines Aufsatzes anfúge. Bei einer Besprechung der
italienischen Bilder des Louvre im Rep. f. Kw. 1902 kam der diinische Forscher $. 284f. und 288 zu
Resultaten, die meinen eigenen in mehr als einem Punkte entsprechen. Die von Múller-Walde als
erste Redaktion des Johannesbildes benannte Komposition sei laut dem Zeugnis der Schülerzeichnung
wirklich ein Engel gewesen. Das Bild bei Waters entspreche genau der Beschreibung, welche Vasari
von einem Engel des L. gebe, so daß höchstwahrscheinlich der Meister einen Verkündigungsengel (!)
gemalt habe, den Schüler unpassenderweise zu einem Johannesbild umgestalteten. Das Bild des Louvre
möchte J. mit dem von Beatis gesehenen identifizieren, obwohl es sich um ein von Leonardo nur
überarbeitetes Werk des Melzi handle. Die Notiz des Anon. Gaddiano über einen Johannes В. des
Leonardo beziehe sich wahrscheinlich auf den Bacchus des Louvre, der zwar nicht von L. gemalt,
aber von ihm selbst (!) einem (fingierten!) geistlichen Besteller zuliebe, wegen der Nacktheit zu dem
heidnischen Gotte, umgestaltet sei, den schon der Zeitgenosse (!) Giraldi als Werk Leonardos besinge.
— Mein Arbeiten fern von einer größeren Bibliothek und die dem Aufsatz des scharfblickenden
Forschers leider nicht gerecht werdende Notiz bei v. Seidlitz, II. 297, mögen entschuldigen, daß
ich diese inhaltreichen Ausführungen nicht von vornherein beachtet habe.
(х) Daß Vasari hingegen die gleichfalls’ nur in Kopien von ihm gesehene Mona Lisa ausführlich als
Werk des L. beschreibt, erklärt sich aus dem großen Rufe, den dieses Werk in Florenz, wo es ge-
schaffen war, naturgemäß besaß.
pS
Ä — лети E ы теси асч у, ONEAN сс NE EE
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 12 38 545
BRUCHSTUCKE VERLORENGEGLAUBTER
BILDWERKE DES STRASSBURGER MÜN-
STE RS Von HANS FRIEDRICH SECKER
Mit elf Abbildungen auf vier Tafeln «оооөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө
as südliche Querhausportal des Straßburger Münsters hat vor der übrigen Fassade
den Vorzug, noch heute über einen relativ großen Teil seines alten plastischen
Schmucks zu verfügen, der glücklich den Vandalismus des Jahres 1793 überstanden
hat. Wir verdanken diesen kostbaren Besitz einer List des Naturforschers Jean
Hermann, der in den schlimmsten Tagen der Revolution mit eigner Lebensgefahr
durch einige ihm ergebene Arbeiter 67 Statuen bei Nacht in den ihm unterstehen-
den botanischen Garten schaffen ließ!); von diesen Bildwerken gehörten dem Süd-
portal zwar nur die berühmten Frauengestalten der Ekklesia und Synagoge, aber
auch die großen Halbkreistympana mit dem Tod und mit der Krönung Mariae
blieben erhalten, nachdem sie Hermann in derselben Nacht mit Brettern hatte ver-
kleiden lassen, auf denen man in großen Buchstaben die Worte „Liberte, Egalite,
Fraternité“ las).
Zerstört wurden damals an diesem Doppelportal, wie wir aus dem Isaac Brunn-
schen Kupferstich vom Jahre 1617) (Ausschnitt: Abb. 5) ersehen, die zwölf Apostel-
statuen in den Gewänden, sowie zwei rechteckige Türsturzreliefs mit der Grab-
tragung und Himmelfahrt Mariae. Und von allen diesen Skulpturen glaubte man
bislang, sie seien vollständig verschollen. Da gelang es mir jüngst, ein paar ver-
streut zu Straßburg befindliche Köpfe als Bruchstücke dieser frühesten Miinster-
plastik wiederzuerkennen; zunächst nur zwei: barhäuptige, bärtige Männerköpfe aus
rotem Sandstein, mit Vollbart und Kopfhaar, 28 cm hoch (Abb. ı, 2 und Abb. 3),
die sich jetzt im Elsässischen Altertumsmuseum befinden.
Sie haben ein merkwürdiges Schicksal gehabt, worüber sich eine komplette Lite-
ratur zusammenstellen läßt. Schon in einem Brief an den Bürger Gregoire, Volks-
repräsentanten zu Paris, geschrieben im dritten Jahre der fränkischen Republik —
1795 —, entrüstet sich der Straßburger Bürger G. Wedekind in einer Fußnote:
„Die modernen Vandalen haben sich sogar eine Angelegenheit daraus gemacht,
mit zerschlagenen Statuen eine Straße ausbessern zu lassen“.
Dieser Bemerkung entspricht die Notiz bei Hermann: „Pres de la chapelle de
S. Laurent il y avoit une vieille chaire, peu haute: elle fut abattue et avec ses
debris et ceux de plusieurs statues on exhaussa la rue de la Poule et celle des
Planches au quartier de la Krautenau“.
Zu diesen zum Pflastern der Krutenaustraßen verwendeten Statuen gehörten eine
Anzahl Köpfe, von denen Hermann an anderer Stelle erzählt, daß sie sein Bruder
nebst der antiken Statuette des sogenannten Krutzmann auf die Stadtbibliothek ge-
rettet habe.
Der „Congres Archéologique de France“ vom Jahre 1859 (22. August) führt noch
gelegentlich einer Besichtigung der alten Stadtbibliothek unter $ ıı an: un grand
(х) Jean Hermann, Notes historiques et archéologiques sur Strasbourg avant et pendant la révolution,
publiées par Rodolphe Reuß, Strasbourg 1905.
(2) Rod. Reuß, La cathédrale de Strasbourg pendant la revolution, Paris 1888.
(3) Als Illustration Nr.6 bei Oseas Schadaeus, Summum Argentoratensium Templum, Straßburg 1617.
546
nombre de belles tétes en pierre, provenant des statues jetées en bas de la cathé-
drale de Strasbourg lors de la Terreur.
Von diesen Köpfen befindet sich heute ein Teil im alten Schloß, ein Teil im
Frauenhaus, und ein Brief von Rudolf Reuß, den 1906 der damalige Kustos der
Elsássischen Altertumssammlung auf Befragen erhielt, gibt uns genauen Aufschluß,
wie die Fragmente dahin gelangt sind. Es heißt da:
„ .. Die von Ihnen auf der Stadtbibliothek gesehenen Skulpturreste sind authen-
tische Triimmer der Miinsterfassade, welche 1793 vandalisiert worden. Sie werden
darüber das Nötige in meiner Cathédrale de Strasbourg, S. 462 —466 finden, wo
auch die Hinweise auf Hermann, Notices I, S. 382—384 zu lesen. Die ersten
Bilder, die groBen des Portals, wurden behutsam von dem Municipal Gerold
losgetrennt und glücklich beiseite geschafft, denn die Mehrzahl im jakobinischen
Gemeinderat war gegen die Zerstörung. Prof. Joh. Hermann, der berühmte Natur-
forscher, dessen Aufzeichnungen über die Revolutionsepoche ich voriges Jahr her-
ausgegeben, richtete an denselben ein Gesuch, diese Denkmäler dem Beschluß des
Konvents gemäß als Zeugen der Vergangenheit aufbewahren zu lassen, und als
dann auf das Drängen Monets die höher angebrachten Statuen, soweit erreichbar,
heruntergerissen wurden und dabei zerbrachen, hat der besagte Professor
diese Trümmer, wenigstens die Köpfe, gesammelt und mit lateinischen Epigram-
men auf die Bilderstürmer versehen (die sein Bruder, der Jurist, in den Notices
teilweise abgedruckt hat) und dieselben später in die von J. J. Oberlin zusammen-
gestellte Bibliothèque de l’École centrale niedergelegt, von wo sie an die Stadt-
bibliothek übergingen, woselbst sie über ein halbes Jahrhundert im Erdgeschoß
des Chors der Neuen Kirche bei den andern steinernen Kuriosa der Straßburger
Vergangenheit zu sehen waren“.
Diese Kirche — Dominikanerkirche, Temple neuf — wurde bekanntlich im Kriegs-
jahr 1870 in Brand geschossen. Es ist heute erwiesen, daß dies infolge eines Irr-
tums geschah, weil auf den dem deutschen Militär zur Verfügung stehenden fran-
zösischen Generalstabskarten das Gebäude fälschlich als „mairie“ bezeichnet war,
daß man deshalb mit Unrecht den Belagerern oft den Vorwurf der Barbarei ge-
macht hat!
„Beim Brande der Bibliothek unter dem ungeheuren Trümmerhaufen verschüttet,
kamen diese Überreste merkwürdigerweise zum Teil wenigstens noch verhältnis-
mäßig erhalten zum Vorschein, und was nicht vom Feuer zu sehr verbrannt oder
von den Steinen der Wände zu sehr verletzt war, wurde vorerst beiseite gestellt
und dann von mir 1872 als Eigentum der alten Bibliothek mit den anderen Reli-
quien derselben... für die neue Stadtbibliothek in Besitz genommen
An diesem Ort aber scheint man sich damals des Kunstwertes dieser Trümmer
nicht bewußt gewesen zu sein. Zufällig erkannte Professor Ficker eines Tages in
einem Stein, mit dem Kinder im Hofe der Stadtbibliothek Kegel spielten, einen der
mittelalterlichen Köpfe, über die ihm dann Reuß die Auskunft gab in dem Briefe,
aus dem ich oben einige Sätze wiedergab. So wurde daraufhin die Überführung
der Köpfe ins Elsássische Altertumsmuseum veranlaßt und ein Teil von ihnen in
einer Mappe veröffentlicht, die 1907 im Auftrag der Gesellschaft für Erhaltung der
geschichtlichen Denkmäler im Elsaß herausgegeben wurde. (Daselbst, Tafeln 6 und 7.)
In dieser Publikation aber sind die bereits eingangs von uns erwähnten und hier
abgebildeten Köpfe übergangen. Diese zeigen Spuren der Demolierungen des
Schreckensjahres 1793 sowohl, wie auch des Brandschadens von 1870 (Schlacken-
reste). Dennoch hat der eine wenigstens kaum etwas von seiner alten Form ver-
547
loren (Abb. 1 und 2), wenn auch ein kleiner Teil der Nase fehlt, der leicht nach
vorhandenen Analogien zu ergänzen wire.
Die Köpfe haben am Scheitel eine schematische Abflachung, dann aber quellen
nach allen Seiten Locken hervor in lebendiger Bewegung, mit unleugbar romani-
schen Erinnerungen. Am Bart rollen sie sich bei dem einen Kopf in lauter ein-
zelne Spiralen, bei dem andern, besser erhaltenen, korkzieherartig auf— eine Tracht,
die beiliufig im XIV. Jahrhundert erst eigentlich Konvention wurde. Die Falte
zwischen Oberlippe und Nase ist frei, dann setzt rechts und links, über jedem
Mundwinkel unmerklich weich eine kleine Schnurrbartlocke ein, die sich in einer
kühnen Sförmigen Volute nach unten wendet.
Das sind Formen, wie sie uns in der ganzen Plastik des Münsters nur einmal
begegnen, nämlich an den beiden Tympana des nördlichen Querhausportals. Diese
Bogenfelder sind ihrem Stil nach sowie auch baugeschichtlich ums Jahr 1250 zu
datieren.
Und betrachten wir die Köpfe näher, so lassen die übereinstimmenden vorge-
triebenen Stirnen mit den ernsten Falten, die mandelförmigen, ein wenig geschlitzten
Augen, die feinmodellierten Wangen mit den vortretenden Backenknochen, sowie
die gepreßten schmalen, etwas heraustretenden Lippen (mit dem Grübchen dar-
unter) keinen Zweifel, daß sie den Skulpturen der Tympana außerordentlich nahe
stehen, daß sie möglicherweise demselben Meister zuzuschreiben sind.
Unsere Abbildungen 4 (zwei Apostel) und 6 (Kopf des Petrus) sind nach einem
Gipsabguß vom Relief des Todes Mariae im Straßburger Frauenhaus aufgenommen.
Abbildung 3 mit Abbildung 6 verglichen zeigt so recht auch die übereinstimmende
Lockenfrisur und die Abflachung des Schädels. Die Abbildungen 1 und 2 haben
in der Haarbehandlung mehr Verwandtes mit Abbildung 4. So zeigen sich auch
bei den Fragmenten zwei verschiedene Hände oder Stilphasen, die beide gemein-
sam im Tympanon zu erkennen sind, — eine Unterscheidung, die Franck-Oberas-
pach unterlassen hat!).
Wenn wir nun auf Grund der stilistischen Übereinstimmungen mit den Tympana
unsere beiden Köpfe mit den zwölf Apostelstatuen der Portalgewände zusammen-
bringen, wie der Brunnsche Stich sie noch zeigt, so wird unsere Annahme auch
durch die örtlich vorgenommenen Messungen bestätigt. — Die jetzige Entfernung
von der Basis bis zum Kapitell ist die alte geblieben, und im übrigen bilden die
etwas über ein Meter hohen Schäfte, die ehedem den Aposteln als Sockel dienten,
noch heute einen Teil der Säulen: sie sind nach oben versetzt und an ihrer ver-
witterten Außenfläche leicht zu erkennen. Wenn wir diese Stücke nach der An-
leitung des Kupferstiches von der ganzen Höhe in Abzug bringen, ergibt sich
(Abb. 8) für die Statuen eine Größe von fast 1,60 Meter. Das stimmt sehr gut zu
dem Maß der Köpfe, die, genau den Figuren im Bogenfeld entsprechend, durch-
schnittlich noch nicht ein Sechstel der Körperhöhe betragen würden. Also noch
sehr gedrungene, im Grunde romanische Proportionen, während beispielsweise bei
der linksstehenden Ekklesia, die etwas später und von einem durchaus gotischen
Meister vorgesetzt wurde — ihr Sockel ist mit der Mauer nicht im Verband —
der Kopf nur ein Zehntel ihrer Körperhöhe beträgt). So kommt ез, daß neben
(т) Karl Franck-Oberaspach, Der Meister der Ekklesia und Synagoge am Straßburger Münster, Düssel-
dorf 1903.
(2) Eine ferner noch nicht beachtete Merkwürdigkeit ergab sich beim Messen: Die Figur der Synagoge
ist, obwohl ihr Haupt geneigt ist und keine Krone trägt, dennoch um ca. so cm höher als die der
Ekklesia.
548
dieser wundervollen, eleganten Frauengestalt mit ihrer ins Anormale gesteigerten
Höhendimension (1,83 m bis zur Krone, zu 0,17 m Kopfeshöhe ohne Krone) die
nur wenig älteren Apostel größere Köpfe hatten trotz ihrer geringeren Körperhöhe.
Die Nimben waren nicht an den Köpfen, sondern wie der Stich und zwei heute
noch sichtbare Bruchstellen zeigen, am Portalgewände selber fest und aus Stein.
Während bei den beiden besprochenen Köpfen kaum ein Zweifel sein kann, daß
sie so wie geschehen in die Plastik des Münsters einzuordnen sind, fand sich bei
ihnen im Altertumsmuseum unter anderen zweifellos späteren Bruchstücken noch
der abgeschlagene Kopf eines Königs (Abb. 7), dessen Herkunft weniger bestimmt
erscheint. Er wurde im Hause Hackenschmidt (Krämergasse, ganz nahe beim
Münster) gefunden und hat viel Ähnliches mit den Skulpturen des Südportals. Allein
die mehr handwerkliche Technik und die auffallend vereinfachte Frisur geben zu
denken. Es ist unwahrscheinlich, daß der zu ebener Erde am Südportal sitzende
König (Salomo?) weniger sorgfältig oder von geringerer Hand gemeißelt wurde,
als die übrige Plastik. Andrerseits schließt der Fassadenstil des frühen XIV. Jahr-
hunderts, ich denke an eine Reihe Skulpturen der Westportale, zum Teil sehr eng
und geradezu archaisierend an jene Querhauskunst an.
Ganz gewiß aber gehören noch zum Portal der Ekklesia und Synagoge, und
zwar wieder zu den Gewändeaposteln, drei andere Männerköpfe: ein bartloser,
vielleicht Johannes (Abb. 9), aus dem Besitze des Herrn Dombaumeisters Knauth,
und zwei bärtige (Abb. то und тт), die sich im Frauenhaus befinden. Damit sind
nicht weniger als fünf dieser Apostelköpfe bekannt.
Von den Gewandteilen werden jedenfalls niemals Bruchstücke zu finden sein.
Die Revolutionäre waren in nichts gewissenhafter als in der Zerstörung, und es ist
seltsam genug, daß durch den stürmischen Wandel der Schreckensjahre und ein
ganzes ereignisreiches Jahrhundert hindurch so viel von jener frühesten Münster-
plastik relativ wohlerhalten auf uns gekommen ist. Vielleicht ein Glück, daß die
Stücke solange unerkannt blieben und nicht das restaurationsfrohe XIX. Jahrhundert
die Lücken mit so kläglichen Skulpturen füllte, wie zum Beispiel der ersetzte
„König Salomo“ von Vallastre ist. (In der Tat wurden einmal einige moderne
Apostel im „Stil der Engelspfeilerfiguren“ gemeißelt, gelangten aber Gott sei Dank
nicht zur Aufstellung. Sie stehen heute im Treppenhaus des Priesterseminars.)
So sehr wir den großen Verlust jener frühen Apostel bedauern müssen, wir können
es nicht genug begrüßen, daß nicht entwürdigende Surrogate an ihre Stelle kamen.
Ja, ästhetisch hat die Gesamtanlage des Portals — es klingt vielleicht paradox —
sogar gewonnen. Das Zusammendrängen lebensgroßer Figuren in den Portalge-
wänden, zumal wo sie die Funktion gebälktragender Säulen unorganisch unter-
brechen, war von jeher eine ungerechtfertigte Unschönheit, die die Deutschen von
den Franzosen rezipierten. Wie heute die glatten, schlanken Säulenschäfte sich
über den Kapitellen zu ganz ebenso profilierten Archivolten fortsetzen und die Zahl
der Freiplastiken maßvoll auf drei vor die trennenden Lisenen gestellte Bildwerke
reduziert ist, das ist im Sinne der Gesamtkomposition entschieden edler.
Ein teuer erkauftes Beispiel unbeabsichtigter künstlerischer Wirkung!
549
NIKOLAUS VON LEYDEN UND SEINE
NACHFOLGE IN BAYERN von k. FR. LEONHARDT
Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln ... „oe eee eee eee eee eee eee eee eee eee
ine der eigenartigsten Erscheinungen in der süddeutschen Kunstgeschichte ist
der unter dem Namen Nikolaus Lerch bekannte Schöpfer des Grabmals für
Kaiser Friedrich III., anscheinend ein geborener Niederländer, — er schreibt sich
von Leyden — der von 1462—1467 in Straßburg nachweisbar ist, — sein Grab-
stein nennt ihn Werkmeister am großen Bau daselbst — zwischendurch für Baden
und Konstanz arbeitet und schon 1463 vom Kaiser fiir die Ausführung seiner Denk-
malspläne zu gewinnen gesucht wird. Erst 1467 nimmt ihm auf erneutes Drängen
des Kaisers der Rat von Straßburg das feierliche Versprechen ab, diesem Rufe
Folge zu leisten, und seitdem finden wir ihn bis zu seinem 1487 erfolgten Tode
im Dienste Friedrichs III.
August R. Maier hat kürzlich diesem früher zu Unrecht arg unterschätzten Meister
eine Monographie!) gewidmet, deren Hauptwert wohl in der sorgfältigen Zusammen-
stellung seines Werkes beruht. Wir gewinnen daraus das Bild eines Mannes, der
über alles Raffinement burgundischer Bildhauerkunst, wie sie uns namentlich in
Dijon entgegentritt, verfügt und es in seinem für uns bis jetzt frühesten Werken
in Straßburg mit ungeziigelter Freude und geistreichem Humor zur Geltung bringt,
der dann merklich ruhiger wird und schließlich zu einer wohlgemessenen stillen
Feierlichkeit der Auffassung gelangt, die wohl nur zum Teil im Gegenstande seiner
auf uns gekommenen Spätwerke, Grabdenkmäler gegenüber vorwiegend dekorativen
Schöpfungen, die der künstlerischen Fantasie und Gestaltungsfreude keinerlei Zwang
auferlegen, begründet ist.
Das Problem dieser offenbaren Stilwandlung ist von Maier nicht zu lösen ver-
sucht worden, und auch die folgenden Ausführungen wollen den noch schwebenden
Untersuchungen von anderer Seite, die daran gewiß nicht vorübergehen werden,
nicht vorgreifen. Dagegen wollen sie zur Klärung einer anderen Frage beitragen,
die von früheren Bearbeitern des Nikolaus von Leyden- Themas wohl geprüft, nie
aber weiter erörtert worden ist.
Gegenüber der großen Fruchtbarkeit, die Meister Nikolaus in seiner Straßburger
Zeit entwickelt, ist die Zahl der uns für seine letzten 20 Lebensjahre überlieferten
Werke äußerst gering. Das Denkmal für die Kaiserin Eleonore?) muß schon 1469
ganz oder doch nahezu vollendet gewesen sein; denn in diesem Jahre beauftragt
der Kaiser seinen Kanzler Ulrich von Nußdorf, Bischof von Passau, den Meister
Nikolaus aus rückständigen Kanzleigeldern zu entlohnen. Für die ganze übrige Zeit
haben wir lediglich das Kaiserdenkmal, ein gewiß recht umfangreiches Werk, von dem
aber doch nur der wenn auch wichtigste, so doch geringste Teil vom Meister selbst
ausgeführt wurde, die Deckplatte und der unter ihr laufende Wappenfries; alles
andere geht bestenfalls auf seine Vorzeichnung und erste rohe Anlage zurück,
wurde zum Teil erst lange nach seinem Tode fertiggestellt. Nun wird aber erst
im Sommer 1479 nach einer erhaltenen Kammeramtsrechnung der „Grabstein“
von Wien nach Wiener - Neustadt dem Bestimmungsort, wo auch der Meister ein
(1) A. К. Maier, Nicolaus Gerhaert von Leyden. Ein Niederländer Plastiker des XV. Jahrhunderts.
Seine Werke am Oberrhein und in Österreich. Straßburg 1910. Rezensiert von J. Baum in Heft 9
dieser Zeitschrift.
(2) Abb. bei Maier, a. a. O., Tafel 15.
550
Anwesen besitzt, transportiert!) und es ist durchaus nicht sicher, zunächst nicht
einmal wahrscheinlich, daß es sich damals um etwas anderes als das Rohmaterial
handelt. Unter diesen Umständen bedarf die Frage, ob Meister Nikolaus nicht in
der Zeit von 1469 — 1479 durch andere Arbeiten in Anspruch genommen worden
ist, einer genaueren Untersuchung.
Einen Fingerzeig scheint da die erwähnte Zahlungsanweisung von 1469 an den
Bischof von Passau zu geben. Sie ist denn auch bisher stets dahin interpretiert
worden, daß Meister Nikolaus damals im Dienste des Passauers gestanden habe.
Zwingend ist meines Erachtens diese Folgerung nicht. Die Anweisung könnte auch
dem Bischof lediglich in seiner Eigenschaft als Kaiserlicher Beamter, der häufig in
der Residenz Neustadt selbst zu tun hat, angehen. Möglich ist aber ein Aufenthalt
Meister Lerchs in Passau durchaus; absurd wäre allerdings die Annahme, daß er
dort lediglich deswegen ein Atelier unterhalten habe, um dort mit Unterbrechung
des bequemen Transportes zu Wasser von Hallein nach Wien die für Neustadt
bestimmten Stücke zu bearbeiten. Man könnte aber einen Grund für seine Beru-
fung nach Passau in der Tatsache erblicken, daß Mitte der sechziger Jahre Jörg
Windisch, der „obriste Werkmeister am Passauer Dom (am 16. September 1462
ist er noch am Leben, am 16. Mai 1467 ist seine Witwe bereits wieder verheiratet)
gestorben ist?). Der Kanzler und Bischof könnte sich Meister Nikolaus, dessen
Tätigkeit als Werkmeister am Straßburger Münster durch seinen Grabstein ver-
bürgt ist), als Ersatz vom Kaiser erbeten haben.
Der dekorative Schmuck des damaligen Dombaues ist bis auf geringe Reste zer-
stört, ein Suchen nach Spuren einer etwaigen Tätigkeit Lerchs erscheint hier aus-
sichtslos, dagegen ist eine große Zahl von Grabdenkmälern erhalten. Aus der Masse
gleichgültiger, durchweg unter dem Durchschnitt etwa der Kunst der bayerischen Inn-
städte bleibender Denksteine ragt einer hervor, der bis jetzt wenig beachtet worden
ist. Es ist der eines 1493 gestorbenen Weihbischofs Albrecht‘). Unter aus seit-
(x) Cf. Maier, a. a. O., S. 77.
(2) Urkunden des Passauer Domkapitels im Allgemeinen Reichsarchiv zu München.
(3) Es geht doch nicht an, die klare Aussage des Grabsteins einfach beiseite zu schieben, weil uns
dieser nicht im Original, sondern nur in einer späten Beschreibung (1733) überliefert ist. Werkmeister
heißt durchaus nicht immer Architekt und technischer Bauleiter. In Passau haben wir z. B. neben
dem „Baumeister“ (bis 1478 Hans Mitterberger, der Steinmetz) einen obristen und mehrere gewöhn-
liche Werkmeister, der erste doch wohl der Architekt, die andern die Bearbeiter des Baumaterials und
vor allem Schöpfer des dekorativen Beiwerks. So ist z. B. auch Hans Multscher als geschworener Werkmann
am Ulmer Münster urkundlich überliefert, ohne daß man ihm eine Stelle als Bauleiter zuweisen könnte und
möchte, während wir seine Hand in dem einzig erhaltenen Stück des figúrlichen Schmuckes am Haupt-
portal des Münsters aus seiner Zeit, dem köstlichen Schmerzensmann, mit Sicherheit wiedererkennen. Eine
ähnliche Stellung Lerchs in Straßburg ist nach seiner sonstigen Tätigkeit dort durchaus wahıschein-
lich. Ich glaube auch nicht, daß man sich an dem durch den Grabstein überlieferten Namen Lerch
stoßen darf. Solche Rufnamen haften einem damals doch noch nicht von Geburt auf an, sie werden
oft erst im Alter aus irgendeinem unkontrollierbaren Anlaß erworben. Noch heute ist es vielerorts ein
großer Unterschied, wie sich einer schreibt und wie er gerufen wird. Warum Nikolaus Gerhaert von
Leyden in Österreich gerade Lerch genannt wurde, wissen wir nich es ist aber nicht einzusehen,
warum er nicht so genannt worden sein könnte. Es scheint mir danach recht unnötig, die Zuver-
lässigkeit der Inschrift seines Grabsteines anzuzweifeln und ich lasse ihm gern den Namen Nikolaus
Lerch.
(4) Die Umschrift lautet: Bir eft fepulfus Reuerendus / In dhriffo pater ef dus Dominus Alberfug
Epifropus | Salonenſis Suffraganeus / Erclie pat(er) Min obyte Anno dni m cree іхххх nt In
milibaldi.
557
lichen Sáulchen hervorgehendem Astwerk steht der Bischof im Pontifikalornat, die
Rechte halb zum Segen erhoben vor der Brust, in der Linken das Pedum, den rech-
ten Fuß leicht vorgesetzt; zu Füßen kauert ein Löwe, zwei Figuren mit Spruch-
bändern (Psalmist und Prophet?) schweben, den Raum aufs äußerste ausniitzend,
zu Seiten des mitragekrónten Hauptes. In seiner strengen Frontalität wirkt das Denk-
mal zunáchst etwas altertiimlich; seit Mitte des XV. Jahrhunderts hatte die fortge-
schrittenere bayerische Grabplastik diese Stellung durchweg aufgegeben; an Stelle
der feierlichen Aufbahrung war die sanfte Ruhe in ungezwungener Haltung getreten
oder aber der Verstorbene wurde geschildert, als ob er noch unter den Lebenden
wandle: leicht ausschreitend und zwar, der leichteren Darstellungsmöglichkeit halber,
stets im Halbprofil. Sehen wir genauer zu, so finden wir jedoch hier in der fron-
talen Stellung nicht ein Haften am Alten, sie bedeutet vielmehr einen Schritt tiber
die genannte Auffassung hinaus. Auch hier ist der Bischof als lebend gedacht,
feierlich tritt er aus der Kapellenwand, fiir die der Stein wohl von Anfang an be-
stimmt war, hervor, aber der Kiinstler hat den Notbehelf der Profilstellung nicht
mehr nötig.
Das auch technisch ganz hervorragende Denkmal scheint zunáchst schwer datier-
bar. Wenn wir erwägen, daß Albrecht, Suffraganbischof von Salona (Spalato in
Dalmatien), schon Ulrich von NuBdorf, der 1479 starb, als Weihbischof zur Seite
stand!), damals also schon den Höhepunkt, der ihm als einen Mann von offenbar
geringer Herkunft (sein Geschlechtsname läßt sich nicht ermitteln, kein Wappen-
schild deutet ihn uns an) offenstehenden Laufbahn erreicht hatte, und in solchen
Fällen die Sorge um einen würdigen Grabstein allgemein das erste zu sein pflegte,
so ist es nicht unwahrscheinlich, zumal auch stilistische Gründe nicht dagegen
sprechen, daß das Denkmal noch in den siebziger Jahren entstanden ist, zu einer
Zeit also, zu der Nikolaus von Leyden noch im Dienste des Passauer Bischofs ge-
standen haben kann. In der Tat zeigt sich bei einem näheren Vergleich eine über-
raschende Verwandtschaft mit der keinesfalls viel später entstandenen Grabplatte für
Kaiser Friedrich. Die Haltung beider Figuren ist nahezu genau dieselbe; man be-
achte, wie das rechte Bein unter dem schweren Ornat hervortritt oder wie die
Schulterlinie verläuft. Gehen wir ins Einzelne so finden wir, daß den Köpfen, ob-
gleich sie ganz individuell durchgebildet sind, das gleiche Idealschema zugrunde
liegt, dasselbe Schema, das wir bei Meister Nikolaus zum ersten Male in dem an-
geblichen Selbstporträt in Konstanz?) erkennen: die Augenbrauen sind stark betont
und so gegeneinander gestellt, daß sie fast in einer Kurve verlaufen, die Wangen
werden unter dem Jochbein eingezogen, die von der Nasenwurzel zu den Mund-
winkeln herabziehende Falte ist tief ausgeprägt, der Mund mit vorgeschobener
Unterlippe fest geschlossen, das breite Kinn kräftig hervortretend. Mit der Kon-
stanzer Büste verbindet das Passauer Denkmal noch die leichte Schrägstellung der
Augen und der gleiche Abschluß der Kopfbedeckung gegen die Stirn, mit dem
(т) Hansiz, Germania sacra, tom. 1. р. 574, überliefert als unrichtig eine Notiz, nach der Albrechts
Vorgänger Wolfgang, ein Minorit, im Jahre 1475 zum Weihbischof erhoben wurde, während er doch
schon 1468 dieses Amt bekleidete. Diese Nachricht kann sich auch nicht auf Albrecht selbst, der dem
Minoritenorden angehörte, beziehen, da er schon 1473 die Leprosenkapelle des Stiftes Ranshofen
weihte (nach K. Schiffmann, die Baugeschichte des Augustiner-Chorherrnstiftes R., im Archiv für die
Geschichte der Diözese Linz, V. Jahrg., Heft 1, Linz 1908, S. 24).
(2) Abb. bei Maier, a. a. O., Tafel 12, und bei Franz Ottmann, das Grabdenkmal Kaiser Friedrichs III.
in der Wiener Stephanskirche. M.d.Z.K., 3. Folge V, S. 77, auch bei letzterem schon, nicht erst bei
Maier, als Lerchs Selbstporträt.
552
Kaiserdenkmal manches kleine Detail, so insbesondere das eigentiimlich nervóse
Rankenwerk, das in Bayern sonst nirgends nachzuweisen, im Besatz des Kaiser-
lichen Ornates und unter dem vorspringenden Postament wiederkehrt, so der wohl-
frisierte Löwe zu Füßen des Bischofs, der den Löwen am Kaiserdenkmal völlig
gleicht. Haben wir es in dem Passauer Denkmal nicht mit einer eigenhändigen
Arbeit Meister Nikolaus zu tun, so doch ganz gewiß mit der eines ihm ungewöhn-
lich nahestehenden Schülers. Ich möchte mich für die Meisterhand selbst ent-
scheiden, da die sich an dieses Werk anschließenden Denkmäler merklich dagegen
zurückstehen und eine schulmäßige Befangenheit erkennen lassen, die ich in seinem
Verhältnis zum Kaiserdenkmal nicht zu konstatieren vermag.
Es ist schon früher einmal der Gedanke ausgesprochen worden, der prächtige
Grabstein für den Passauer Bischof Friedrich Mauerkircher in Braunau möchte auf
Lerchs Tätigkeit in Passau zurückzuführen sein!). Nachgepriift.ist diese Andeutung
nie worden. A. R. Maier erwähnt sie lediglich, Ph. M. Halm, der den Stein im Zu-
sammenhange mit dem Salzburger Valkenauer?) ausführlich behandelt, übergeht sie
mit Stillschweigen. Der Bischof im reichgestickten Pluviale steht unter einem aus
Ast- und Maßwerk kombinierten dreiteiligen Baldachin und hält ein Buch aufge-
schlagen in beiden Händen. Engel tragen Pedum und Mitra, Bistums- und Ge-
schlechtswappen. Die Feierlichkeit der Auffassung ist die gleiche wie bei dem
eben besprochenen Denkmal, in erstaunlicher Weise wiederholt sich im Kopf
trotz der individuellen Gesichtszüge Meister Lerchs Idealschema. Auch eine andere
Äußerlichkeit, die Halm die Hand Valkenauers, der uns sicher bisher nur in Wer-
ken aus dem XVI. Jahrhundert faßbar war, erkennen läßt, weist rückwärts auf ihn:
das dreiteilige Vorkragen von Baldachin und Postament findet sich so schon am
Kaiserdenkmal (dort auch schon der noch am Keutschach-Monument 1515 vorkom-
mende Ersatz der Hängekonsolen durch ein Wappenschildchen). Dennoch scheue
ich vor der Zuteilung an Meister Nikolaus selbst zurück. Zu der absoluten Ruhe
der Gewandbehandlung, wie wir sie am Kaiserdenkmal und in Passau finden, paßt
der kühne Schwung des Mantels (der übrigens ganz ähnlich am Grabdenkmal für
Kaiser Ludwig den Bayern in München vorkommt) und das wie vom Winde bewegte
Sudarium nicht recht, in den Einzelheiten ist manches schwächer, so die Durch-
bildung der Hände, oder oberflächlich behandelt; wie langweilig schiebt sich z. B.
in den Fransen des Pluviale ein Faden neben den andern, wie liebevoll ist da-
gegen bei Bischof Albrecht auch dieses kleine Detail variiert. Rechnen wir noch
dazu, daß das Denkmal, ob zu Lebzeiten des Bischofs oder erst (wie Halm an-
nimmt) nach seinem Tode errichtet’), nur zu einer Zeit entstanden sein kann, in der
wir Nikolaus Lerch in eifrigster Beschäftigung mit dem Kaiserdenkmal vermuten
müssen, nehmen wir auch das gespannte Verhältnis zwischen Kaiser und Bischof
dazu, so haben wir es doch wohl nur mit einer allerdings ausgezeichneten Schul-
leistung zu tun. Die Valkenauer-Hypothese führt auf das Richtige. Auch ich sehe
einen Weg aus dem Kreise dieses Denkmals über den Rupertusstein (auf der Salz-
burger Festung) zum Keutschachmonument daselbst, nur möchte ich nicht wie Halm
(1) Ottmann, a. a. O., 8. 89.
(1) Ph. M. Halm, Hans Valkenauer und die Salzburger Marmorplastik, in Kunst und Kunsthandwerk,
14 Jahrg. 1911, Heft 3.
(3) Die anscheinende völlige Einheitlichkeit der Umschrift kann nicht ausschlaggebend sein. Ist der
Stein schon bei Lebzeiten des Bischofs begonnen, so kann sich die Vollendung doch leicht bis úber
seinen unerwartet frúhen Tod (ziemlich genau dreiJahre nach seinem Regierungsantritt) hinausgezogen
haben.
553
den Reichersberger Stiftergrabstein, sondern das Denkmal fiir Bischof Albrecht als
letzten Ausgangspunkt nehmen. Ob das Denkmal fiir Mauerkircher direkt auf diesem
Wege liegt oder dem gemeinsamen Ursprung noch sehr nahe auf einer anderen
Entwicklungslinie, wage ich mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Es ist das aber
auch, solange wir uns noch um die elementaren Grundlagen einer Geschichte der
bayerischen Plastik bemiihen, eine Frage von untergeordneter Bedeutung.
Ein anderes Werk, das Halm gleichfalls dem Valkenauer zuweist'), scheint mir
ebenso auf Nikolaus Lerch zurückzugehen. Es ist das köstliche Epitaph für den
1478 gestorbenen Marx von Nußdorff und seine Gattin Spornella von Seeben. Über
deren verwandtschaftliche Beziehungen zu Bischof Ulrich von Nußdorff wissen
wir nichts Genaueres, da wir dessen Herkunft nicht kennen, aber wir wissen,
daß Marx bei der Entgegennahme des Huldigungseides der Passauer Bürgerschaft
im Gefolge Ulrichs weilte, daß dieser ferner den Bruder der Spornella Oswald von
Seeben zu Reiffenstein, dessen Grabstein den Glanzpunkt im Neustifter Kreuzgang
bildet, in einem Briefe seinen Schwager nennt. Die beiden NuBdorffer werden
danach Brüder gewesen sein, jedenfalls standen sie in nahen persönlichen Be-
ziehungen zueinander, und der eine könnte sich recht gut seinen Grabstein bei
einem in den Diensten des anderen stehenden Meister haben fertigen lassen.
Das Epitaph zeigt das Stifterehepaar vor ihren Wappen zu beiden Seiten der
Madonna mit dem Christkind knieend. Die Mutter Gottes ergreift liebevoll die
gefalteten Hände des Ritters, dem ein Spruchband die Worte „Maria hilf uns“
in den Mund legt; die Frau mit dem Spruchband „Jesus mein Gott“ liebkost
den göttlichen Knaben. Eine solch innige Verbindung von Stifterfiguren mit dem
Gegenstand ihrer Anbetung steht in der bayerischen Kunst völlig einzig da, wenn
ich mich nicht sehr täusche, ist zudem dieses Denkmal das erste Marienepitaph
auf bayerischem Boden. Die schlanken Proportionen der Madonna lassen es denn
auch zweifelhaft erscheinen, ob das Stück überhaupt bayerischen Ursprungs ist.
Daß es zu dem Salzburger Kunstkreis, in den man es nach Material und Standort
zunächst weisen möchte, gehört, ist bei der notorischen Verknöcherung der dortigen
figürlichen Plastik gänzlich ausgeschlossen. Auch aus der Stilisierung der Wappen
geht dies mit Sicherheit hervor. So sehr die figürliche Plastik in Salzburg damals
im Argen liegt, so hoch ist die heraldisch - ornamentale Grabmalskunst dort
entwickelt. Zahlreiche vorzügliche Wappengrabsteine geben davon Zeugnis. Seit
Mitte des Jahrhunderts nun nehmen die Wappenhelme in Salzburg eine ganz
bestimmte charakteristische Form an, die ausschließlich dort, dort aber auch aus-
nahmslos verwendet wird. Der Brustlatz wird bogenförmig begrenzt, während
er andererorts einen mehr oder weniger spitzen Winkel bildet, die Spangen
gehen vom Augenschlitz wie Raubtierzähne steil in die Höhe und biegen erst
über dem oberen Rande hakenförmig zu diesem herum, überall sonst verläuft die
Biegung mit nahezu wagrechter Achse ganz gleichmäßig halbkreisférmig oder
elliptisch von einem Rand zum andern. In den Salzburger Helmdecken tritt weiter
ein Streben nach straffer deutlicher Linienführung zutage, das mit dem lustigen
Geflatter der Helmdecken auf dem Nußdorffer Stein im stärksten Widerspruch steht‘).
(1) Halm, a. a. O., S. 172ff.
(2) Ein ganz charakteristisches Beispiel, das alle der Salzburger Wappenkunst der siebziger Jahre eigen-
tiimlichen Züge deutlich erkennen läßt, ist der häufig (z. В. in der Kunsttopographie des Herzogtums
Kárnten, Tafel zu S. 49) abgebildete Grabstein des Erhart Uberacker in Friesach in Kärnten, Eingehend
komme ich auf diese Fragen in einem demnächst in „Kunst und Kunsthandwerk“ erscheinenden Auf-
satz über den Meister dieses Denkmals zu sprechen.
554
Ein kleines leicht tibersehbares Detail weist uns auf den richtigen Weg, das Ver-
zieren des Einhornes mit Hermelinschwänzen; das ist eine Eigentümlichkeit franzö-
sisch beeinflußter Wappenkunst.
Mir scheint die Verwandtschaft der Auffassung dieses aus der bayerischen
Kunstentwicklung nicht zu erklärenden Stückes mit der jenes Epitaphs, das
Nikolaus von Leyden im Straßburger Münster für Konrad von Busang schuf, auf-
fallend. Dieselbe hoheitsvolle, dabei zierliche Erscheinung der Madonna, dieselbe
innige Verbindung von Gottheit und Stifter, im einzelnen dieselbe Gesichtsbildung
und Kopfhaltung der Madonna, die gleiche Art das Kind zu halten, das dort dem
Stifter das Spruchband aus der Hand nimmt. Der zunächst verschiedene Gesamt-
eindruck liegt in dem verschiedenen Material und der dadurch bedingten verschie-
denen Technik begründet. Die Übersetzung des Christkindes aus dem Dreidimen-
sionalen in die Fläche erklärt auch die verunglückte Haltung des Christkindes auf
dem Nußdorffer Stein. Es verhält sich zu dem des Straßburger Epitaphs wie eine
Pflanze im Herbarium zur lebenden. Einzelheiten, wie das rundliche Lockenköpf-
chen mit dem Doppelkinn, das hochgezogene Beinchen, weisen direkt auf den
gleichen Urheber. Auch die Gesichtsbildung des Ritters entspricht dem oben
mehrfach geschilderten Idealtypus des Straßburger Meisters, der nur im Halb-
profil nicht so stark zur Geltung kommt wie bei den vorbehandelten Stücken.
Die Zurückführung auf die sicher Valkenauersche Madonna in Regensburg scheint
mir weniger befriedigend. Das Laufener Stück ist doch wesentlich zierlicher,
die Proportionen der Madonna sind gänzlich andere. Auf die Vergröberung der
Haarbehandlung weist Halm selbst hin; auch die Augenbildung vermag ich nicht
als die gleiche zu erkennen; während die Augen der Laufener Madonna noch
flach mandelförmig unter den Brauen liegen, wird, schon ganz auf den späteren
Valkenauer hinweisend, der Augapfel kugelig-rund herausgearbeitet. Noch in der
doch um zwei, wenn nicht drei Jahrzehnte jüngeren Madonna des Keutschach-
monumentes in Maria-Saal kehrt der Typus der Regensburger so gänzlich unver-
ändert wieder, daß mir zwischen den beiden kein Raum für die Laufener zu sein
scheint. Letztere ist das Vorbild beider; Valkenauer hat sich auch hier an Niko-
laus von Leyden angeschlossen und charakteristischerweise den schlanken Typus
des westdeutschen Künstlers ins Bayerisch-rundliche umgesetzt.
Auch auf andere Steinmetzen ist die Kunst des Straßburger Meisters nicht ohne
Einfluß geblieben. Aus der großen Zahl von Marienepitaphien zwischen Salzburg
und Passau, die in mehr oder minder großer Abhängigkeit von den besprochenen
stehen, greife ich nur das zweifellos beste heraus, das trotz großer Selbständigkeit
im einzelnen den Schulzusammenhang deutlich erkennen läßt. Es steht in der
Klosterkirche Ranshofen bei Braunau. Unter einem aus merkwürdigem Rankenwerk
geflochtenen dreiteiligen Baldachin schwebt die Madonna auf der Mondsichel; musi-
zierende Engel begleiten sie. Zwei durch ihre Wappen bezeichnete Kanoniker knien,
von der hl. Elisabeth und Magdalena in Schutz genommen, zu ihren Füßen, Spruch-
bánder mit den Worten: ,Salva omnes qui te glorificant“ und ,Agnosce omnes te
diligentes“ nennen ihr Gebet. Es sind die Pröpste Blasius Rosenstingel, welcher
1498 die Marienkapelle, deren ehemalige Stelle der Stein noch bezeichnet, stiftete,
und Caspar Tiirndl, der seinem Freund und Vorgänger das schöne Denkmal er-
richtete; die Umschrift!) nannte nur den letzteren. Auf die oben hervorgehobene
(x) Sie lautet aufgelöst: „Anno domini MeCCCCCO quarto 14°.... July Obyt Reverendus in Christo
pater et dominus .. (vermauert) . . . praelatus pauperumque amator qui in capella beate virginis quiescit
quam et a novo construxit Cuius anima des vivat“.
555
enge Verbindung zwischen Mensch und Gottheit ist hier verzichtet, eine Erscheinung,
die wir auch sonst in der bayerischen Kunst regelmäßig wiederfinden und die wohl
in einer von der westdeutschen etwas verschiedenen religiösen Auffassung begrün-
det liegt!). Das wohl nur kurze Zeit nach Rosenstingels Tod entstandene Stück
steht gewiß nicht ganz auf der Höhe des Laufener Epitaphs, die Typen sind aber
noch dieselben, ja das Christkind erscheint direkt von dort herübergenommen. Die
heilige Elisabeth erinnert trotz ihres etwas unbeteiligten Gesichtsausdrucks noch
stark an die Straßburger Sibylle, die beiden Geistlichen dagegen an ähnliche Ge-
stalten in den Geschichtsdarstellungen des Kaiserdenkmals (bemerkenswert scheint
mir an ihnen die sorgfältige Durchbildung der Hände, auf die andere gleichzeitige
Meister der Braunauer Gegend sonst gern verzichten, so auch beim Mauerkircher-
stein. Der Anschluß an die Art Meister Lerchs scheint mir offenbar, aber noch
etwas anderes tritt in diesem Denkmal deutlich zutage.
Halm weist mit Recht auf die enge Verwandtschaft der Laufener und Regens-
burger Madonna mit solchen des Meisters E. S. hin. An diesem Denkmal ist der
Zusammenhang fast noch deutlicher, die Strahlenmadonna L. 71, scheint hier die An-
regung gegeben zu haben; die zart empfundenen Engel stehen der Art des Meisters
E. S. noch um ein beträchtliches Stück näher, als die des Regensburger Epitaphs.
So könnte man einwenden, die Verwandtschaft der drei Stücke in Laufen, Regens-
burg und Ranshofen beruhe lediglich in dem gemeinsamen Zurückgehen auf Stiche
des Meisters E. S. Aber aus ähnlichen Fällen, unter denen mir das ebenfalls von
Halm erwähnte schöne Beispiel aus Gars?) besonders bemerkenswert erscheint,
sehen wir, daß meist nur die Äußerlichkeiten übernommen werden. Hier finden
wir auch die ganze zarte Stimmung des Meisters in so feiner und vor allem so
gleichartiger Weise nachempfunden, daß sich nur ein und dieselbe Persönlichkeit
als ihr Vermittler annehmen läßt. Diese bietet sich nun in Meister Lerch, der
doch direkt vom Oberrhein nach Passau kommt, in denkbar glücklichster Weise.
Es kann kaum einem Zweifel mehr unterliegen, daß er der Schöpfer des Laufener
Epitaphs, der gemeinsame Lehrer Valkenauers und des dem Namen nach noch un-
bekannten Meisters des Ranshofener Stiftergrabsteines ist. Trotzdem will ich nicht
unterlassen auf ein kleines Detail hinzuweisen, das die drei Werke unter sich und
mit dem Kaiserdenkmal zusammenschließt. Auch darauf hat Halm bereits aufmerk-
sam gemacht, daß die Kronen der Laufener und Regensburger Madonna in ganz
derselben von der gewöhnlichen abweichenden Weise aus ineinandergreifenden
Ranken gebildet sind. Dasselbe findet sich, wenn auch etwas vereinfacht, in der
Krone der Ranshofener Madonna und Elisabeth und ebenso auf dem Helm des
österreichischen Schildträgers und über dem Georgswappen auf der Tumbaplatte
für Kaiser Friedrich. Das Motiv erscheint so selten (ich kann mich trotz lang-
jähriger Beschäftigung mit heraldischen Dingen keiner weiteren Fälle entsinnen),
daß das gemeinsame Vorkommen auf den schon auf andere Weise als zusammen-
gehörig gefundenen Stücken kein Zufall sein kann; es bestätigt lediglich unser Resultat.
Von den übrigen Stücken, die sich mit Lerchs Tätigkeit in Passau in Verbindung
bringen lassen, will ich lediglich im Vorübergehen noch eines erwähnen, bei dem
(1) Eine Ausnahme bildet der von Halm erwähnte Fall, in dem ein Salzburger Steinmetz (doch wohl
kaum der alte Valkenauer!) eine rheinische Vorlage für einen Grabstein benutzt. Sie erklärt sich aus
der sklavischen Abhängigkeit (fast möchte man von einem Plagiat sprechen) von dem Vorbild. Der
ganze Reiz des Stückes, den Halm hervorhebt, liegt doch lediglich in der Idee, an der der technisch
recht unbeholfene Steinmetz keinen Anteil hat.
(2) A. a. O., S. 186, Anm. 1.
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über die stilistische Verwandtschaft hinaus die Schriftzeichen und das Motiv der
gefiederten Männer als Kissenhalter auf westliche Einflüsse hinweisen. Der Grab-
stein des Dr. Johannes Bürgermeister von Deicisau!) in der Pfarrkirche St. Jakob
in Straubing ist kein sehr bedeutendes Stück (für bayerische Verhältnisse), zeigt
aber doch, wie auch an Orten, die eine relativ hochstehende und selbständige Bild-
hauerkunst entwickelt haben, die Auffassung Lerchs zur Geltung kommt. Ent-
wickelt hat sich diese Art an der Donau anscheinend nicht weiter, insbesondere
kann ich keinen Übergang zu der ganz anders gearteten auf gröbere Effekte hin-
zielenden Kunst Gartners, die die drei ersten Jahrzehnte des XVL Jahrhunderts in
Passau beherrscht, finden. Der eigentliche Erbe Lerchs in Bayern ist Hans Val-
kenauer. Der Hinweis auf diese Tatsache schien mir um so wichtiger, als wir
sonst greifbare Schulzusammenhänge in der bayerischen Plastik des XV. Jahr-
hunderts noch nicht haben finden können.
(1) Die Umschrift lautet: Anno MOCCCCOLXXXXV obiit vernerabilis pater dominus Johannes Burger-
maister de Deycisaw cononicus Augustensis et Aystetensis Ecclesiarum Plebanus in Straubing doctor.
557
REZENSIONEN eones
W. v. SEIDLITZ, Geschichte des japa-
nischenFarbenholzschnittes. Zweite
wesentlich vermehrte und verbesserte Auf-
lage. Dresden, 1910. X, 228 S. mit 116,
zum Teil farbigen Abbildungen.
Das Werk des um unsere Kenntnis der ostasia-
tischen Kunst hochverdienten Verfassers verzichtet
auch in der zweiten Auflage auf die selbstindige
Benutzung japanischer Quellen, stellt sich also als
eine Kombination eigener Beobachtungen an den
Originalen mit den Angaben europiischer Publi-
kationen dar, von denen wiederum nur ein kleiner
Teil unmittelbar aus den Quellen schópft. Es will
aber auch nicht mehr sein und entwaffnet von
vornherein durch den ehrlichen Verzicht auf sichere
Resultate und die sorgfältige Angabe der — sekun-
dären — Quellen, denen auch die Verantwortung
für die zahlreichen Irrtümer und Fehler zum guten
Teile zufällt. Dem Verfasser hat offenbar durch-
aus nicht an philologischer Akribie, sondern an
der Darstellung der künstlerischen Entwicklung des
japanischen Farbenholzschnittes gelegen — und
diesem Ziele ist er mindestens sehr nabe gekommen.
Im wesentlichen hat er seine Geschichte aus den
Monumenten selbst geschrieben, und wenn er sie
gelegentlich falsch interpretiert oder sich in
Namen und Daten geirrt hat, so ist das vergleichs-
weise gering anzuschlagen. Ubrigens sind nicht
alle mit großer Sicherheit vorgetragenen Ein-
wände gegen die Angaben des Verfassers be-
gründet. Aus der Aufschrift des Blattes Abb. 17
scheint mir z. B. durchaus nicht hervorzugehen,
daß Okumura Masanobu der Erfinder des Zwei-
farbendruckes sei, wie behauptet worden ist. Stoff
zu wirklichen Berichtigungen fände sich allerdings
in reicher Fülle. Da aber die Fehler im Detail
für das Urteil über den Wert des Werkes im
Ganzen ziemlich belanglos sind, so scheint ihre
trockene Aufzählung an dieser Öffentlichen Stelle
überflüssig.
Dagegen können einige allgemeine Bemerkungen
des Verfassers von wesentlichen Dingen eine falsche
Vorstellung geben und daher nicht unwidersprochen
bleiben. Die alte Legende von der Unbeweglich-
keit der japanischen Gesichter in Kunst und Leben
(S. 2) sollte endlich einmal aus unseren Büchern
und Ideen verschwinden. Ein Blick in die popu-
lärste Stätte der Unterhaltung, das Theater, genügt,
sie zu zerstören. Der japanische Schauspieler lebt
ja zum guten Teile vom Fratzenschneiden. Daß
ferner „die Körper meist in dem Zustande einer
558
an Erstarrung grenzenden Ruhe erscheinen“, gilt
nur von einer Gattung der japanischen Malerei,
der hieratischen, wo es sich so gehört. Im übrigen
sind die japanischen Maler unübertroffene Meister
in der Darstellung der raschesten Bewegung. End-
lich haben nicht erst „seit dem Ende des 18. Jahr-
hunderts einige Künstler versucht. . der Land-
schaft mehr Tiefe und Zusammenhang zu geben,
den Ausdruck der Gestalten zu steigern“. Das
mag für den japanischen Holzschnitt gelten, aber
durchaus nicht für die Malerei, in der die Epigonen
des 18. Jahrhunderts gar nichts bedeuten.
Die Behandlung der großen Malerei, besonders
im zweiten Kapitel, das einen Abriß ihrer Ge-
schichte gibt, gehört überhaupt zu den schwäche-
ren Seiten des Werkes. Der Verfasser hat sich
leider in der Wahl seiner Gewährsmänner ver-
griffen und gerade den wertvollen Teil der in
europäischer Sprache erschienenen Literatur kaum
benutzt!). Es ist kein Wunder, daß eine Dar-
stellung wenig gelungen ist, die sich auf das ganz
unmögliche Kapitel in Gonses l'art japonais, Fe-
nollosas glánzend geschriebene, aber antiquierte
Review dieses Kapitels, eine Kompilation aus zweiter
Hand, wie Binyons Buch úber die Malerei des
fernen Ostens, oder gar den wertlosen Gierkeschen
Katalog stútzt. So werden die sichersten Tatsachen
der japanischen Kunstgeschichte, úber die gar
keine Diskussion möglich ist, von Kunstschrift-
stellern umstritten, die in dieser Sache úberhaupt
keine Stimme haben sollten. Über die erhaltenen
Werke Kanaokas wird z. B. Gonse und Fenollosa
das Wort gegeben, während absolut feststeht,
daß bisher nirgends ein sicheres oder wahrschein-
liches oder mögliches Werk des Meisters aufge-
funden worden ist. Bei der Würdigung Koetsus,
die S. 48 nach Fenollosa gegeben wird, zweifelt
man fast, ob es sich wirklich um den großen
Maler, Kalligraphen, Lackmeister, Töpfer und
was nicht alles handelt, über den in den bekannten
Publikationen so viel Materlal vorliegt. Die Be-
merkungen von Bing, Le Blanc du Vernet usw.
über die chinesische Malerei sind vielleicht noch
unglücklicher.
Diese Gelegenheit sei übrigens benutzt, um ein-
mal die Legende von dem Maler Wei-ch’ih J-seng
zu beleuchten, der auch bei Seidlitz als der Großvater
der buddhistischen Malerei Japans auftritt (S. 30).
(1) Auch das Hauptwerk über das eigentliche Thema des
Buches, die prächtigen Masterpieces selected from the Uki-
yoyeschool (Tokio, Shimbi Shoin), ist nur im Literaturver-
zeichnis genannt, sonst aber anscheinend nicht verwertet
worden.
Hirth wuBte von der japanischen Kunst nichts und
hat seine Hypothese, die jetzt durch die Tatsache
ihrer Existenz selbst Tatsache geworden zu sein
scheint, nur aufgestellt, weil Gonse, der von der
älteren japanischen Kunst fast ebensowenig wußte,
als von der älteren chinesischen, in den frühesten
Werken der buddhistischen Kunst Japans mehr
indischen als chinesischen Charakter fand. Da
aber die japanische Kunst dieser Zeit genau so-
viel indischen oder nichtindischen Charakter trägt,
wie die chinesische, so sollte Wei-ch’ih J-séng als
Träger indischer Einflüsse nach Korea und über
Korea nach Japan, aus der Kunstgeschichte ge-
strichen werden.
Dem Werte des Buches, dessen Hauptteil ja
ganz andere Themata behandelt, tun indessen
diese Mängel der einleitenden Kapitel nur geringen
Eintrag. Wo der Verfasser seinen Stoff wirklich
kennt, zeigt er ein sicheres Urteil, und das feine
Verständnis für die künstlerischen Werte, das sich
auch in der angenehmen Ruhe der Diktion äußert,
wäre manchem Fanatiker der Korrektheit herzlich
zu gönnen. Von einer abschließenden Darstellung
der Geschichte des japanischen Farbenholzschnittes
wäre allerdings das Seidlitzsche Werk auch dann
noch sehr weit entfernt, wenn es — was dringend
zu wünschen wäre — von einem geeigneten Japaner
ander Hand der japanischen Quellen gründlich durch-
gesehen würde. Eine solche Geschichte ist unmög-
lich ohne eine Durchforschung des riesigen Ma-
terials, das in Europa und Amerika aufgehäuft ist,
und ohne die Durcharbeitung der japanischen
Literatur und Archive, die nur in Japan selbst
geschehen kann. Vorláufig allerdings hat die ja-
panische Kunstwissenschaft besseres zu tun.
Kümmel.
JARO SPRINGER, Die Radierungen
des Herkules Seghers. I. Teil, Tafel
I—XXIV. (XIII. Veröffentl. der Graphi-
schen Gesellschaft.) Berlin 1910, Bruno
Cassierer.
Der oft geäußerte Wunsch, die seltenen Ra-
dierungen des Herkules Seghers in guten Repro-
duktionen vereinigt zu sehen, geht mit dieser Pu-
blikation aufs beste in Erfiillung. Die vorziigliche
Wiedergabe der Originalblátter verdient um so
mehr Anerkennung, als gerade Seghers’ farbige
Radierungen infolge der verschiedenartigen tech-
nischen Wirkungsmittel, deren sich der Künstler
bedient, einer genauen Nachbildung erhebliche
Schwierigkeiten entgegensetzen. Nicht geringere
Anerkennung als diese Lichtdrucktafeln, deren Her-
stellung Paul Kristeller leitete, verdient auch die
Arbeit des Herausgebers Jaro Springer. Hinter
seinen kurzen Anmerkungen, die er zu den ein-
zelnen Blättern gibt — eine Einleitung und ein
ausführliches systematisches Verzeichnis der Ra-
dierungen wird erst in der zweiten Lieferung ent-
halten sein — verbirgt sich eine sehr gründliche
Kenntnis des weithin verstreuten Materials, das
der Herausgeber in jahrelangen eingehenden Stu-
dien sorgfältig durchforscht hat.
Die Radierungen, die auf den vorliegenden 24
Tafeln reproduziert sind, geben bereits einen guten
Überblick über das graphische Schaffen des Meisters.
Neben den Hochgebirgsszenerien, in denen der
Zusammenhang seiner Kunst mit der ihr voran-
gegangenen Periode der niederländischen Land-
schaftsmalerei hervortritt, finden sich einige jener
schlichten Flachlandschaften, die ganz im Sinne
des XVII. Jahrhunderts aufgefaßt sind. Die nach
Hans Baldung Griens Holzschnitt der „Beweinung
Christi“ im Gegensinne radierte Kopie, drei Marinen
— darunter das von einer bedrückenden, schauer-
lichen Stimmung durchwehte Blatt „der Seesturm“
— die Blätter „das Pferd“, der „Totenkopf“ und
das Stilleben „Die drei Bücher“ legen von der Viel-
seitigkeit des großen holländischen Meisters Zeug-
nis ab. Bei den schönen Blättern „Kleine Ansicht
von Rhenen“ und „Das FluBufer“ weist Springer
darauf hin, daß Uberarbeitungen von der Hand
Anton Waterloos existieren (Bartsch 90 und 91).
Auf seiner Uberarbeitung des ersten Blattes er-
weiterte Waterloo die Partie des Himmels betrácht-
lich, auf seiner Überarbeitung des ,,FluBufers“
brachte er noch einen vorderen Uferrand mit vier
Stafíagefiguren an. E. Plietzsch.
HANS SEMPER, Michael und Fried-
rich Pacher, ihr Kreis und ihre Nach-
folger. Zur Geschichte der Malerei und
Skulptur des XV. und XVI. Jahrhunderts
in Tirol. Mit 186 Abbildungen im Text.
Paul Neff Verlag (Max Schreiber), ЕВ-
lingen a. N. 1911.
Der um die Erforschung der Alttiroler Kunst
rühmlich bekannte Innsbrucker Gelehrte hat im
vorliegenden hübsch ausgestatteten Bande alle jene
seiner Arbeiten gesammelt, die er im Verlauf einer
Reihe von Jahren der Pacherforschung gewidmet
hat. Dem mit dem Forschungsgebiete Vertrauten
sind die meisten der gesammelten Aufsätze daher
alte Bekannte; er begrüßt die Zusammenstellung
der vielfach zerstreuten Beiträge in einen Band
aber um so mehr, als Semper nicht nur manche
559
neue Gabe seiner Forschertitigkeit hinzugefúgt,
sondern auch alle älteren Arbeiten in ausführlichen
Anmerkungen mit dem Stande unsrer heutigen
Kenntnis in Einklang gebracht hat. Dazu kommen
ausführliche Register, so daß das Buch einem
jeden, der sich mit der Kunst des Pacherschen
Kreises beschäftigt, zum unentbehrlichen Handbuch
werden dürfte.
Der Frage, ob ein Bedürfnis vorgelegen habe
nach der Neuherausgabe jener verstreuten Aufsätze,
die ja gelegentlich aufgeworfen werden könnte,
wird also wohl durch das Buch selbst die Berech-
tigung genommen. Der Verfasser wurde aber noch
von einem anderen Gesichtspunkt geleitet, als er
daran ging, das Buch der Öffentlichkeit vorzulegen.
Angesichts der erhöhten Aufmerksamkeit, die
der Pacherforschyng in letzter Zeit gewidmet wird,
glaubte er nämlich, wie er im Vorworte seines
Buches hervorhebt, daß es sein gutes Recht sei,
„die mannigfachen und größtenteils sicheren Er-
gebnisse seiner langjährigen Forschung auf diesem
Gebiete jetzt wieder selbständig geltend zu machen,
und nicht bloß als herrenloses Gut den Nachfolgern
zu überlassen.“
Der Referent kann diese etwas stärkere Betonung
des geistigen Eigentums nur gutheißen; sie ist
erstens jedenfalls zeitgemäß und zweitens ist es
nur billig, wenn sich der Verfasser, der zur Zeit,
da die Autoren der neueren großen Arbeiten über
Pacher wohl noch kaum sich mit Tiroler Kunst
werden beschäftigt haben, eine Reihe grundlegen-
der Ergebnisse der Pacherforschung bereits ver-
öffentlicht hatte, diese seine Priorität auch über
den engbegrenzten Kreis der Fachgenossen hinaus
anerkannt wissen will; ein Wunsch, der durch
das vorliegende Buch verwirklicht wird.
Ant. Reichel.
PAUL KLOPFER, Von Palladio bis
Schinkel. Eine Charakteristik der Bau-
kunst des Klassizismus. Verlag Paul Neff,
Eßlingen 1911. 264 S., 261 Abb. М. 15.—.
Ein gutes Buch, dessen Inhalt reich und durch-
arbeitet ist. Es schließt sich den Arbeiten Gurlitts
und Schuberts über den Barock an, und wird für
die weitere Forschung dauernden Wert behalten.
Eine Fülle Materials wird zusammengetragen, nach
der und jener Seite gewandt, manchmal etwas
sprunghaft, unproblematisch, die charakteirstische
Seite der Dinge in solchen raschen Griffen aber
oft erfaßt. Vollständigkeit konnte auf diesem kunst-
historischen Neuland nicht erstrebt werden, doch
hätten u. a. die Kathedrale von Arras, das Hotel
560
de Ville von Nantes und die Arbeiten Crucys, das
Pompejanum bei Aschaffenburg als ganz besonders
charakteristisch genannt werden kónnen. Der Stoff
gliedert sich, nachdem ein knapper geschichtlicher
UmriB der Beteiligung der einzelnen Lander Europas
und ihrer großen Architekten vorangeschickt ist,
in Kirchenbau, Theaterbau, Öffentliche Bauten und
den Wohnhausbau, der einen besonders gelungenen
Teil abgibt. Ein letztes Kapitel úber Stadtbau usw.
ist ein wenig diirftig, trotzdem gerade darin, worauf
Unterzeichneter verschiedentlich hingewiesen, eine
Haupttat jener Zeit geleistet ist. Der Anhang
eines Kinstlerverzeichnisses ist ale erste Orien-
tierung gedacht und erlaubte die Herauslósung des
Persónlichen aus dem Text. Es fragt sich aber,
ob es in dieser teilweise recht fitichtigen Form —
namentlich die franzósischen Architekten kommen
schlecht weg und das sorgsame Lexikon von
Lance scheint kaum benutzt zu sein; dazu kommen
Schreibfehler, wie z. В. statt Couven stets Ceuven
— einem wissenschaftlichen Buch angehingt werden
durfte. Zumindest legt man das Buch mit einiger
Abkühlung aus der Hand.
Während trotz dieser unangenehmen Entglei-
sung sonst das gleichsam Materielle gut ge-
bracht ist, ist die weitere Absicht des Buches, die
Kunst aus der Kultur heraus zu erklären, nicht
gleich glücklich gelungen. In der Einleitung wird,
um einen philosophischen Obersatz zu gewinnen
— und solche Einleitungen, nach Abschluß der
Arbeit geschrieben und doch wie Formulierungen
a priori wirkend, sind nie überzeugend —, Name
und Begriff des Klassizismus untersucht. Klassische
Kunst ist das Vorbild des Klassizismus, der schließ-
lich „einerseits durch den Reichtum des über-
kommenen Erbes, andrerseits durch den Druck der
Kultur, der Zeit, der Geschichte, gar zum Selbst-
schöpfer, gar zum Klassiker gemacht wird, wofern
nur Aufgaben da sind, die die ererbten Formen
zu neuen Schöpfungen umzuprägen zwingen“.
Solche Sätze stimmen unbehaglich, und man darf
wohl den Mangel einer gewonnenen Einheit von
Wissen und Erkennen anmerken, da der Verfasser
sich gerade um sie bemüht, den Leser sogar zu
solchen Fragestellungen drängt, indem er den
allergrößten Teil seines Buches überschreibt: „Der
Klassizismus in seinem Verhalten zu den Kultur-
aufgaben“. Auch soll auf diesen Mangel mehr
aus prinzipiellen Gründen, wie um einer wert-
vollen Leistung Abbruch zu tun, hingewiesen sein.
Man erfährt 2. В. nichts von der Moralitát des
Klassizismus, vom Verhältnis der Phantasieanregung
zum darstellenden Bewußtwerden. Die Kultur der
Reflexion in Frankreich, die sich so klar in den
Schriften Laugiers zeigt, welche Männer wie Percier
und Fontaine Aussprüche tun läßt, die unsere mo-
dernen Sachlichkeits- und Zweckmäßigkeitsrufer
wiederholen kénnten, wihrend ihre Formlust
gleichsam in dem Eiskristall der Antike einge-
schlossen blieb und sie das Unsachlichste schufen
— ein Beweis der Echtheit klassizistischer Form-
energie —, diese Kultur der Reflexion ist nicht
scharf genug jener tiefen Moralität gegenüberge-
stellt, die das philosophische und künstlerische
Deutschland beherrscht, die auch wieder und
wieder in den Gedankengängen eines Schinkels
erscheint. Das wäre aber zumindest von einer
architektonischen Untersuchung zu verlangen, die
den Begriff Kultur in ihre Kreise zieht. Eine
solche Gegenüberstellung würde ganz tiefe Blicke
in die Gesinnung des Klassizismus tun lassen.
Und Schinkel sagt ja: „Alles beim Kunstwerk
liegt darin, daß die Natur mit einer bestimmten
Gesinnung gesehen werde“, worin wir die weit
frühere deutsche Färbung des oft zitierten Zola-
schen Ausspruches hätten, der Temperament an
Stelle von Gesinnung setzt. Gegen Schluß gelingt
es allerdings dem Verfasser — und hier möchte
seine Eigenschaft als praktisch erzogener Archi-
tekt ihm die gedankliche Analyse erleichtern —,
eine andere fundamentale Beobachtung rein zu
entwickeln: die Trennung zwischen Bautechnik
und Bauästhetik, wie sie sich in jener Zeit voll-
zieht, die aber doch auch wieder jene Zeit in
ersten Anläufen überwindet.
Der Verfasser nimmt zu Schützern seines Buches
das architektonische Doppelgestirn Palladio und
Schinkel. Ein guter Titel, und es soll ihm nicht
allzuscharf angerechnet werden, dap Palladio nicht
einmal persónlich auftritt, sondern nur die um
Palladio, während dagegen die um Schinkel kaum
genannt sind. Es mag das aber für uns die Zi-
tierung eines Schinkelschen Ausspruches recht-
fertigen, der ein künstlerisches Glaubensbekennt-
nie des Klassizismus genannt werden kann: „Das
Kunstwerk soll für die, welche in feinem Gefühl
erzogen sind, tiefe und solche Empfindungen oder
vielmehr Stimmungen erzeugen, welche Grund-
lagen sind zu höheren moralischen Tendenzen,
die auf moralische Standpunkte führen, von denen
aus eigene moralische Äußerungen möglich werden.
Zugleich liegt aber auch im Kunstwerk der rechten
Art die Kraft, in uns zu bewirken, daß wir uns
jener Stimmungen bewußt werden können und
dann um so höheren Genuß haben“.
A. E. Brinckmann.
Monatshefte fiir Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 12
WILHELM WORRINGER, Formpro-
bleme der Gotik. München (Piper) 1911.
Die Grundidee, auf der Worringers Theorie be-
ruht, nämlich die Idee von dem inneren Zusammen-
hang zwischen den einzelnen Kulturerscheinungen:
Kunst, Wissenschaft und Weltanschauung, erhält
durch Worringers Buch selbst eine Stütze. Wie
die Weltanschauung unserer Zeit von einem ober-
flächlichen Materialismus hinweg in die Tiefe
dringt, wie sie einer Kultur der Seele zustrebt, so
geht auch die Kunstwissenschaft immer weiter
hinaus über das trockene Registrieren historischer
Tatsachen, über die materialistische Erklärung der
Kunsterscheinungen durch das Milieu oder durch
Material und Technik, so strebt auch sie darnach,
hinter den äußeren Formen der Kunst die leben-
dige Seele zu erkennen. Dafür ist dieses Buch
ein charakteristisches und schönes Beispiel.
Der Verfasser gibt hier eine Erweiterung und
Vertiefung jener Ideen, die er vor einigen Jahren
in seinem Buche „Abstraktion und Einfühlung“
dargelegt hat!). Er geht von der wichtigsten Er-
kenntnis der neueren Kunstwissenschaft aus, daß
die Unterschiede in den Stilen der einzelnen Zeiten
und Völker nicht in einem größeren oder geringeren
Können begründet sind, sondern in einem anders
gearteten Wollen, und daß das Ziel dieses Wollens
nicht zu allen Zeiten die Wiedergabe der Natur
gewesen ist. Der tiefere Grund für diese Unter-
schiede im Kunstwollen liegt aber nicht in den
äußeren Zufallserscheinungen des Milieus oder des
Materials, sondern in der geistigen und seelischen
Beschaffenheit der Menschen, in ihrem Verhältnis
zur Umwelt und zum Uberweltlichen. So faßt
Worringer die Kunstwissenschaft als „Menschheits-
psychologie“ auf, also als eine Wissenschaft, die
in gleicher Weise der Erkenntnis der Kunst wie
der der Seele dient.
Die Beziehungen zwischen Kunst und Weltan-
schauung stellt W. zunächst an drei Haupttypen
dar, dem primitiven, dem klassischen und dem
orientalischen Menschen. Das Verhältnis des primi-
tiven Menschen zur Umwelt ist dualistisch, Mensch
und Welt stehen einander fremd, ja feindlich
gegenüber. So sucht der Mensch sich aus dem
Chaos, das die Welt für ihn bedeutet, in ein Reich
absoluter Werte zu retten, und das bietet ihm die
Religion in der Vorstellung von jenseitigen höheren
Gewalten und die Kunst in Gebilden, die, einer
geometrischen Notwendigkeit folgend, allem Leben-
digen, Natürlichen enthoben sind. Dem klassischen
(1) Das Buch erscheint soeben In dritter Auflage, vermehrt
um einen sehr schönen Nachtrag, der die Grundideen von
Worringers Theorie klar zusammenfaßt.
39 561
Menschen ist dieses unverstindliche Chaos der
Welt zu einem klaren Kosmos geworden, die Natur
ist ihm vertraut, sich einzufühlen in das Organisch-
Lebendige ist ihm ein glúckvolles Erlebnis. So
setzt er auch das Göttliche nicht über die Natur,
sondern in die Natur, so sucht er auch in seiner
Kunst nicht ein Jenseits der Natur, sondern die
Natur selbst, das blühende organische Leben. Der
orientalische Mensch nihert sich wieder dem pri-
mitiven Menschen, auch seine Anschauungsweise
ist dualistisch und transszendent. Aber dennoch
steht er weit úber dem Standpunkt des primitiven
Menschen: er ist nicht voll Furcht aus Mangel an
Erkenntnis, sondern voll Unterwerfung aus Ein-
sicht in die Nichtigkeit aller Erkenntnis. So gleicht
auch die Kunst des orientalischen der des primi-
tiven Menschen in ihrem Streben nach Abstraktion,
úbertrifft sie aber weit an Reife der Formbildung
und Erhabenheit des Ausdrucks.
Wie ist nun, unter solchen Gesichtspunkten be-
trachtet, die Gotik aufzufassen, und welcher Art
ist die Weltanschauung, die in der gotischen Kunst
zum Ausdruck kommt? Hier ist von Bedeutung,
daß W.den Begriff der Gotik viel weiter faßt, als
es bisher geschehen ist. Schon lange vor dem
Auftreten der eigentlichen Gotik enthält die nor-
dische Kunst Elemente, die einen gotischen Form-
willen verraten. Eine „geheime Gotik“ zeigt sich
schon in der altgermanischen Ornamentik. Diese
ist, wie jede primitive Ornamentik, geometrischer
Art, aber eine gewaltige seelische Unruhe treibt
sie zu einer über alle organische Harmonie hinaus-
gehenden Bewegtheit. So läßt schon die altger-
manische Ornamentik den seelischen Zustand des
gotischen Menschen erkennen: er ist, wie der
primitive Mensch, voll Sehnsucht nach Erlösung,
nach Abstraktion, aber hier kommt diese Sehn-
sucht mit einer ungeheuren, rauschartigen Leiden-
schaft zum Ausdruck. Noch deutlicher offenbart
sich dieser Geisteszustand in der reinen Gotik,
besonders in ihrer Architektur. Der ganze Gegen-
satz zur Klassik zeigt sich hier in der Behandlung
des Materials: die griechische Architektur schafft
ihre Formen durch Bejahung der im Stein wir-
kenden natürlichen Kräfte, die gotische Architektur
verneint diese Kräfte, weil sie darnach strebt, das
Organische zu überwinden, die Materie zu ent-
materialisieren. Mit dieser Entmaterialisierung des
Steins und mit einem gewaltigen Aufwand an kon-
struktiver Energie sucht die Gotik das Bedürfnis
nach Erlösung, nach unbegrenzter Gefühlssteigerung
zu befriedigen.
Wir sehen, wieviel tiefer diese psychologische
Erklärung in das Wesen der einzelnen Stilformen
562
und der Kunst eindringt als jene älteren materia-
listischen Erklärungen. Ich kann hier nicht auf
die feine Analyse eingehen, die W. nach dieser
Methode von der Gotik im Einzelnen und von
ihrer Entwicklung gibt. Er zeigt, wie diese Ent-
wicklung zunächst in einer Auseinandersetzung
mit der Klassik bestand und wie die Gotik auch
wieder — in der Renaissance — von der Klassik
überwunden wurde. Besonders wertvoll ist der
Nachweis, wie das Übermaß der gotischen Kon-
struktion und das Übermaß der gotischen Bewegt-
heit ihre Parallelerscheinungen in der Scholastik
und Mystik finden.
Es sei mir gestattet, noch einige allgemeine
Einwände zu machen. Da diese Methode von
den allgemeinsten Grundlagen des menschlichen
Geistes, von dem Verhältnis zur Umwelt und zum
Überweltlichen ausgeht, wird sie auch zunächst
nur die allgemeinsten Unterschiede der einzelnen
Kunstepochen erklären können. Es bleibt die
Frage, wieweit es mit Hilfe dieser Methode mög-
lich wäre, auch einzelne Erscheinungen der Kunst,
z.B. die Gotik des norddeutschen Backsteinbaues,
vor allem aber die verschiedenen Werke in Plastik
und Malerei zu erklären. Die allgemeinen Ge-
sichtspunkte dieses Buches dürfen uns nicht hin-
dern, immer mehr die Erkenntnis zu begründen,
daß auch im Mittelalter jeder Künstler, ja jedes
einzelne Kunstwerk eine individuelle Erscheinung
ist und schließlich als solche erfaßt werden muß.
Das führt auf den zweiten Einwand: auch diese
Methode bleibt immer noch in einer gewissen
Entfernung von dem einzelnen Kunstwerk. Sie
müßte ihre Ergänzung erhalten durch eine Me-
thode, die nicht deduktiv von den allgemeinen An-
schauungen der Menschheit, sondern induktiv von
den positiven Tatsachen des einzelnen Werkes
ausgehend der Erkenntnis der Werke wie der
Kunst näher kommt. Erst so könnte die Kunst-
wissenschaft auch den Werken moderner Kunst,
zumal neuartigen Erscheinungen, mit einiger
Sicherheit gegenübertreten.
Der große Wert dieses Buches wird aber durch
diese Einwände nicht berührt. Kurt Freyer.
THE DÜRER-SOCIETY, XI Index to the
Plates and Text of Portfolios I— X by
CampbellDodgson and Montague Peartree:
und, XII Notes and Sketches by Albrecht
Dürer, Selected and edited by Campbell
Dodgson. London, 8°, 1911.
Mit diesen zwei Bänden schließen aller Voraus-
sicht nach die Veröffentlichungen der Dürer-Society.
Zunächst ist sehr zu bedauern, daß man zwei Oktav-
bándchen herausgegeben hat, statt eines einzelnen
Bandes im Original-Folioformat der ersten zehn
Mappen. Es gibt nichts so störendes bei einer
Serienpublikation wie ein Wechseln im Format.
Beide Bändchen hätten recht gut zu einem, wenn
auch schmalen Schlußband hingereicht, und wollte
man nicht bei dem Prinzip der Mappe, die man
zubinden ший, bleiben, weil es sich u. a. um ein
Nachschlagebuch (einen Index) handelt, so hitte
man ja ruhig diesen Schlußband fest binden können.
Unter allen Umständen aber hätte man am Original-
format festhalten sollen.
The Dürer-Society, die ganz zu Anfang nur mit
Ablegern aus der Reichsdruckerei arbeitete, und
erst nur Rücksichten auf ein englisches Publikum,
dem die guten festländischen Veröffentlichungen
nicht zugänglich waren, nahm, ist bekanntlich mit
der Zeit zu internationaler Bedeutung gelangt. In
den späteren Jahresveröffentlichungen sind zahl-
reiche Dinge zum ersten Male hier an das Licht
des Tages getreten, und dank besonders der Tätig-
keit von Dodgson und Peartree, haben die Dürer-
Societymappen auch eine anerkennenswerte Rolle
in der gesamten Dürerforschung gespielt. Es ist
schade, daß nun die Gesellschaft, gerade da sie sich
sozusagen eine bedeutsame Stellung errungen hat,
eingehen muß. Aber es scheint, wie anderswo
auch, nicht nur an Interessenten für die ernste
wissenschaftliche Arbeit zu fehlen, sondern auch
an Kräften, die sich gern einer solchen Tätigkeit
hingeben. Das Feld jedenfalls ist noch lange nicht
bestellt; man hat eigentlich kaum damit begonnen.
Schon längst wenden sich die Texte in den Dürer-
Societymappen ebensosehr dem Studium der Pseudo-
Dürerholzschnitte — den Bartsch - Appendix- und
Passavantnummern — zu, als den wirklich eigen-
händigen Werken. Auf diesem Gebiet brachten
die Dürer-Societybeiträge manche Aufklärung: Ins-
gesamt sind aber noch sehr viele Fragen zu lösen.
Das neue Inhaltsverzeichnis ist ausgezeichnet,
wie nicht anders von englischen Arbeitern zu er-
warten war, die ja von jeher in der Abfassung von
Indices für die übrige Welt vorbildlich gewesen
sind. Es enthält überdies noch eine große Anzahl
von Notizen und Berichtigungen, die für den Be-
nutzer der ersten zehn Bände unerläßlich sind.
Denn leider zeigt es sich wieder einmal, daß das
Wissen der Fachwelt auf schwankenden Füßen
steht, und gar manche in den früheren Bänden
steif und fest behauptete Zuschreibungen müssen
heute, nach verhältnismäßig kurzer Zeit, widerrufen
werden.
Der letzte Band enthält beiläufig 25 meist unver-
öffentlichte Zeichnungen, von denen aber eigent-
lich nur eine, eine hl. Katharina in der National-
galerie zu Dublin, important ist. Freilich scheint
mir die Zuschreibung auch in diesem Falle eine
sehr zweifelbafte zu sein. Nicht nur die Hände
(und zwar beide, nicht nur eine wie der Text meint)
sind unglaublich schlecht, auch Kopf und Büste
verraten m. E. nicht so viel vom Knochengerüst
wie das bei Dürer der Fall ist, und der zarte, wenn
nicht gar süßliche Ausdruck, sowie die unbe-
stimmte, flaue Haltung der Figur können einem
Bedenken einflößen.
Die Mehrzahl der übrigen Skizzen und Texte
entstammen den Manuskriptbänden des British-
Museums. Im Text selbst wird hervorgehoben,
daß sich diese Bände nicht mit dem Dresdener
entfernt messen können, was die Bedeutung der
eingestreuten Zeichnungen anlangt. Immerhin sind
die Londoner Skizzen nicht recht zugänglich und
somit so gut wie unbekannt. Daher können wir
dem Herausgeber nur aufrichtig danken, daß er
alle diejenigen, die mehr als ein rein wissenschaft-
liches Interesse beanspruchen, uns hier vereint hat
reproduzieren lassen. Hans W. Singer.
ARTUR WEESE, Die Cäsar-Teppiche
im Historischen Museum zu Bern.
Herausgegeben vom Verein zur Förderung
des Museums. Mit vier farbigen Tafeln.
A. Francke, Bern 20—.
Nachdem in allen Ländern die berühmtesten
Werke der Teppichkunst durch kunsthistorische
Studien und vorzüglicheReproduktionen der Wissen-
schaft zugänglich gemacht worden sind, war es
notwendig, daß auch die berühmten Cäsarteppiche
des Berner Museums in die internationale Forschung
eingeführt wurden. Es verdient hohe Anerkennung,
daß der Berner Verein zur Förderung des Museums
den Berner Professor der Kunstgeschichte, Artur
Weese, mit dieser Aufgabe betraute. Das poly-
graphische Institut in Zürich hat die erstaunlich
gut erhaltenen Teppiche in vollendetem Vierfarben-
druck reproduziert. Früher wurden die Cäsarteppiche
verschiedentlich Roger van der Weyden zuge-
sprochen. Weese weist die Unhaltbarkeit dieser
Theorie nach, indem er darlegt, daß der Stil der
Tafelmalerei in seinen Absichten und Bedingungen
anders geartet ist als die Teppichweberei, so daß
schon dem Zeichner der Teppiche eine eigene
Schulung, die er in den Ateliers der Altarmalerei
nicht finden konnte, zuteil werden mußte. Aus
dem bis jetzt vorliegenden Material konnte Weese
den Meister der Cäsarteppiche nicht feststellen.
563
Jedoch nimmt er als Zeichner fir die Kartons fir
diese Teppiche einen Künstler aus dem Kreise
von Vrelant und Lediet in Anspruch, nachdem er
die enge Verwandtschaft der Miniaturen in der
Histoire des Nobles de Haynan (Brüssel, Bibl. nat.)
und Cäsarteppichkartons erkannt hat.
Otto Grautoff.
P. TOESCA: Masolino.
G. BERNARDINI: Sebastiano del
Piombo. (Bergamo, Istituto d’Arti Gra-
fiche.)
Der Band „Masolino“ von Pietro Toesca in der
bekannten Serie von Künstlermonographien bietet
eine handliche Übersicht der Masolino-Masaccio-
Frage. Der Verfasser hat es, ohne dabei wesentlich
Neues zu bringen, verstanden, kurz und klar die
Tätigkeit und Bedeutung des Meisters auseinander
zu setzen. Besonders ausführlich bespricht er die
Fresken von Castiglione d’Olona, wobei er be-
rechtigterweise die Verkündigungen der Collegiata
aus dem Oeuvre des Masolino ausscheidet. Mit
Recht weist er auch die Behauptung, Masolino
sei Schüler des Don Lorenzo Monaco gewesen,
zurück. Interessant sind die meines Wissens
hier zum ersten Male wiedergegebenen Frag-
mente von weltlichen Malereien, mit denen
Masolino für seinen Patron, den Kardinal Branda,
den Palazzo Castiglioni in Castiglione d’Olona ge-
schmückt hat. Nach Toesca ist Masolino zweimal
in Castiglione gewesen und die Fresken des Bat-
tistrio bedeuten den Abschluß seiner Tätigkeit.
Die Bilder in Neapel, — Assunta und Gründung
von 8. Maria Maggiore, — und die Fresken von
San Clemente in Rom, sind nach ihm auch von
Masolino. Von den Brancacci-Fresken gibt er die
Heilung der Tabita und des Krüppels, sowie den
Sündenfall und die Predigt Petri dem Masolino.
Giorgio Bernardinis Sebastiano del Piombo, in
564
derselben Serie (1908) erschienen, ist ebenso brauch-
bar wie das vorhergehende Buch. Vielleicht noch
kompakter geschrieben, gibt der Text doch alles
Wissenswerte über diesen fruchtbaren und manch-
mal wohl etwas ungleichmäßigen Maler. Auch
die Handzeichnungen und die in den englischen
Privatsammilungen befindlichen Bilder hat der Ver-
fasser berücksichtigt.
Beide Bände zeichnen sich durch die vom Isti-
tuto gewohnte tadellose typographische Ausstattung
und die Vorzüglichkeit der Abbildungen aus. Der
mäßige Preis sollte denselben eine große Ver-
breitung sichern. M. H. Bernath.
P. NOTKER CURTI, Karolingische
Kirchen in Graubünden. Studien und
Mitteilungen aus dem Benediktinerorden
32 (1911), S. 110—131.
Es handelt sich um die Kirchen St. Johann in
Münster, St. Peter in Mústail im Rheintal, St. Mar-
tin in Disentis und die Kirche von Pleif (— plebem,
it. pieve) im Lugnetzertal. Von diesen ist Minster
durch die groBe Publikation Zemps bekannt, Di-
sentis durch wichtige Ausgrabungen Gegenstand
der Diskussion geworden. Die gemeinsamen Merk-
male sind: drei hufeisenférmige Apsiden, geringe
Abmessungen des Grundrisses, flache Decke und
Blendbogen im oberen Teil der Schiffwände. Zum
Teil sind die Kirchen später gotisiert worden. Der
Verfasser stellt das Material zusammen, gibt Pläne
und Abbildungen und eine Übersicht der Literatur.
ж
* *
An derselben Stelle (S. 1556 fl.) findet man Be-
richtigungen und Ergänzungen eines Ano-
nymus zu dem Buche von Buberl, Die romani-
echen Wandmalereien im Kloster Nonn-
berg in Salzburg (в.о. 8. 8aff.).
B. C. Kreplin.
DER CICERONE.
Heft 21:
ROBERT SCHMIDT, Die gerissenen und punk-
tierten hollindischen Glaser und verwandte deutsche
Arbeiten, (14 Abb.)
GEORG BIERMANN, Neue Blätter von Joseph
Pennell. (4 Abb.)
DEUTSCHE MONATSHEFTE.
Oktober:
S., Julius Bretz. (1 farb. Tafel und 9 Abb.)
W. GISCHLER, Fragen der Bildhauerkunst.
DIE KUNST.
Heft 2 (November):
DIMITRYE MITRINOVI(, Serbische Kunst auf der
internationalen Kunstausstellung in Rom. (26 Abb.)
H. E. WALLSEE, Der Neubau der Hamburger
Kunsthalle.
KURT RATHE, Österreich auf der internationalen
Kunstausstellung in Rom. (24 Abb. und 1 farb. Tafel.)
DIE KUNSTWELT.
Heft 2:
HANS ROSENHAGEN, Die Neuerwerbungen der
Königl. Nationalgalerie. (то Abb.)
FELIX LORENZ, Friedrich Kallmorgen. (1 farb.
Tafel, 16 Abb.)
MAX OSBORN, Moderne Glaskunst.
KUNST UND KÜNSTLER.
Heft II:
KARL SCHEFFLER, Der Ausbau der National-
galerie. (т Gravure und тт Abb.)
A MEIER-GRAFE, Das Barock Grecos. (18
Abb.
MAX EISLER, Die persönlichen Erinnerungen
N. B. Mendes da Costas an seinen Lateinschüler
Vincent van Gogh. (7 Abb.)
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION.
Heft a:
Dr.F.WICHERT, DieMannheimer Kunstbewegung.
(12 Abb.)
WILH. NIEMEYER, Bildhauer Richard Luksch-
Hamburg. (тї Abb.)
—
KUNSTGESCHICH TL. JAHRBUCH DER
К.К. ZENTRALKOM MISSION FÜR ER-
FORSCHUNG UND ERHALTUNG DER
KUNST- UND HISTOR. DENKMALE.
Herausgegeben von Professor Dr. Max Dvofäk.
Heft I—IV, 1910. In Kommission bei A. Schroll
& Co., Wien.
E. HEINRICH ZIMMERMANN, Die Fuldaer Buch-
malerei in karolingischer und ottonischer Zeit.
(42 Abb.)
JULIUS VON SCHLOSSER, Lorenzo Ghibertis
Denkwúrdigkeiten. Prolegomena zu einer künftigen
Ausgabe. (д Tafeln.)
GUSTAV GLÚCK, Ein neugefundenes Jugendwerk
Lorenzo Lottos. (16 Abb.)
E. TIETZE-CONRAT, Johann Georg Dorfmeister.
Ein Kapitel zur Geschichte der österreichischen
Barockskulptur. (14 Abb.)
Beiblatt zu Band IV, тото.
MAX DVORAK, Denkmalkultus und Kunstentwick-
lung. (13 Abb.).
HANS TIETZE, Der Kampf um Alt- Wien. Ш.
Wiener Neubauten. (19 Abb.)
E. TIETZE - CONRAT, Johann Martin Fischers
Brunnen am Graben und Am Hof in Wien.
PAUL BERGNER, Nachrichten úber Kúnstler aus
den Krankenprotokollen des Konvents der Barm-
herzigen Brúder in Prag.
CORNELIO BUDINICH, Die St. Jakobskirche in
Ilyrisch-Castelnuovo u. verwandte Bauten. (30 Abb.)
LADISLAUS PODLACHA, Das Ы. Abendmahl in
den Wandgemälden der griechisch - orientalischen
Kirchen in der Bukowina.
Notizen.
—
ANZEIGER PUR SCHWEIZERISCHE
ALTERTUMSKUNDE.
XIII. Band. Heft 1, 1911.
THEOPHIL ISCHER, Die Erforschungsgeschichte
der Pfahlbauten des Bielersees. (3 Abb.)
PROF. Dr. FRÖHLICH, Einige noch unveröffent-
lichte Marsbilder in der Schweiz. (9 Abb.)
DAVID VIOLLIER, Fouilles éxécutées par les soins
du Musée national. VI. Le cimetiere barbare de
Beringen (Ct. de Schaffhouse). (2 Tafeln.)
Dr. CARL ROTH, Uber einige mittelalterliche Grenz-
steine auf dem Bruderholz bei Basel. (1 Abb.)
RUDOLF F. BURCKHARDT, Medaille auf Wil-
helm Schewez, Erzbischof von St. Andrew in
Schottland, dat. 1491. (3 Abb.)
F. A. ZETTER-COLLIN, Gregorius Sickinger,
Maler, Zeichner, Kupferstecher und Formschneider
von Solothurn.
A. FLURI, Der Berner Bär auf Züricher Spiel-
marken.
ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST.
Heft 7:
FRITZ WITTE, Ein Bischofsstab des ausgehenden
XV. Jahrhunderts. (x Tafel, a Abb.) |
Neuerwerbung der Sammlung Schnútgen.
LADISLAUS PODLACHA, Abendlándische Ein-
flüsse in den Wandmalereien der griechisch-orien-
talischen Kirchen in der Bukowina. 1. (4 Abb.)
MAX CREUTZ, Neue Arbeiten aus der Köiner
Pantaleonswerkstatt des Fredericus. (2 Abb.) | Ein
565,
Stúck im Bonner Provinzialmuseum, das andere
Neuerwerbung des Kölner Kunstgewerbemuseums.
ALFRED ТЕРЕ, Städtische Symbolik; eine Zwie-
sprache.
DIE CHRISTLICHE KUNST.
УШ. Jahrgang, Heft 1:
S. STAUDHAMER, Jozef Janssens. (1 Taf., 18 Abb.)
О. DOERING, Die Ausstellung kirchlicher Kunet
in Stuttgart.
EM. MEEUS, Ernst Wante. (1 Tafel, 10 Abb.)
HUGO STEFFEN, Uber Wiederherstellung, An-
bauten u. Freilegung alter Kirchengebäude. I. (a Abb.)
JOS. WAIS, Der Weg zur Verschönerung des
Friedhof bildes.
ART ЕТ DECORATION.
XV., Heft 10.
E. GRASSET, La Décoration de la Céramique.
LÉONCE BÉNÉDITE, E. Janin.
PAUL ALFASSA, Le Pavillon de l’Art décoratif
а l’exposition de Turin.
— ea
L'ART DECORA TIF.
Nr. 157 — 159.
E. DE DANILOWICZ, L'art dans les Flandres
francaises.
ELIE FAURE, Paul Cézanne.
RAYMOND KOECHLIN, L'art décoratif А l’expo-
sition de Turin.
MAURICE PEZARD, La decoration chez les Perses
achéménides.
FERNAND ROCHES, Gustave Jaulmes,
LOUIS VAUXCELLES, Le Salon d'Automne 1911.
FRANCOIS GOS, L'art Montagnard.
L'ART ET LES ARTISTES.
VIL, Nr. 79.
L. MAETERLINCK, La Peinture Flamande.
ANDRÉ SUARES, Félix Voulot.
BELA LAZAR, Courbet et son influence à l'étranger.
LÉANDRE VAILLAT, Joseph Bernard.
PIERRE HEPP, José Maria Sert.
—
REVUE BLEUE.
2 sem., Nr. 15 — 17, 18.
Lettres inédites А 1'Archéologue Didron.
R. GASTON CHARLES, Le Sourire de la Joconde.
LA REVUE DU TEMPS PRESENT.
V., Tome ll, Nr. s.
JEAN LOEW, Henri de Groux.
LA RENAISSANCE CONTEMPORAINE.
V., Tome V, Nr. 20—21.
J. C. HOLL, La jeune peinture contemporaine.
566
LES ARTS.
Octobre:
LÉANDRE VAILLAT, J. E. Liotard.
Sonderheft mit 33 Abb.
APOLLON.
Heft 7:
J. TUGENDHOLD, Die Landschaft in der franzö-
sischen Malerei. (1 farb. Tafel, 30 Abb.)
First A. SCHERWASCHIDSE, Georges Seurat,
1859—1891. (1 Tafel, 12 Abb.)
Heft 8:
SERGE MAKOWSKI, S. J. Sudejkin. (24 Abb.,
1 farb. Tafel und Oeuvreverzeichnis.)
Die Jubiliumsausstellung in ZarskojeSelo.
(16 Abb.)
STARYJE GODY.
Juli - September:
Les artistes étrangers en Russie au XVII me
siecle.
BARON М. WRANGELL, Les peintures étrangers
en Russie. (81 Abb.)
BARON A. DE FOELKERSAM, Les orfévres étran-
gers en Russie. (11 Abb.)
W. KURBATOFF, Les perspectivistes et peintres-
décorateurs. (18 Abb.)
S. JAREMITCH, La mise - en - scène au ХУШ me
siècle. (6 Abb.)
IGOR GRABAR, Les architectes sous Pierre le
Grand. (17 Abb.)
W. KOURBATOFF, Les débuts et le développe-
ment du style néoclassique. (26 Abb.)
TH. BAERENSTAMM, Quelques notes d'un manu-
scrit de Lagrenée-l'ainé. (3 Abb.)
Bibliographie ausländischer Publikationen des
ХУШ. Jahrhunderts, in denen die Kunst und Kunst-
denkmäler Rußlands Erwähnung findan.
Oktober:
8. TROINITSKY, Galerie de Бөтен a l’Er-
mitage Imperial. (40 Abb. und 2 farb. Tafeln.)
Wiener Porzellan, Sèvres, Kaiserl. Porzellanfabrik
in St. Petersburg, Gardner, Miklaschewski, Ber-
liner Porzellan.
N. ROMANOPFF, Une esquisse inédite de Fédotoff.
(x Abb.)
Neu aufgefundener Entwurf des russischen Gen-
risten Р. A. Fédotow zum Bilde „Die Kindtaufe“.
N. MAKARENKO, Quelques objets de la collection
du comte G. Stroganoff donnés par la Princesse
Schterbatoff à l'Ermitage Impérial. (5 Abb.)
In Rußland gefundene silberne Schüsseln und
Krüge orientalischer und spätrömischer Herkunft,
ein orientalischer Krug aus Bergkristall und ein
aus byzantinischen Emaillen zusammengesetztes
Heiligenbild.
A. ANISSIMOFF, L'exposition du XVe congres
archéologique а Novgorod. (3 Abb.)
A.T., Apropos d'une esquisse de Rembrandt. (1 Abb.)
Federzeichnung R.s im Bremer Museum zu dem
Bilde in der Ermitage , Alte Frau mit Bibel‘
(Nr. 804), das 1772 aus der Sammlung Crauzat
von Katharina II. erworben wurde.
THE STUDIO.
November:
E. Ө. HALTON, Josef Israels: The leader of the
modern Dutch School. (15 Abb.)
MALCOLM С. SALAMAN, Pictures and etchings
of The Hon. Walter James, A. R. E.
Prof. JIRO HARADA, Old Japanese folding screens.
(19 Abb.)
THE BURLINGTON MAGAZINE.
Novemberheft 1911:
Editorial- Article: Our Patrimonio Artistico.
Macht im Anschluß an die Frage, wie die be-
deutendsten alten Gemälde, die sich noch in
englischem Besitz befinden, der Nation erhalten
bleiben kónnten, den Vorschlag, diese Werke
ein fiir allemal festzustellen und einen Preis fir
sie anzusetzen, um den die Regierung sie jetzt
oder später kaufen könnte, sobald die Eigen-
tümer wünschten, sich ihrer Schätze zu entäußern.
Als Ersatz für die höhere Einnahme, die diese
Gemälde in der Zukunft im offenen Markt gegen-
über einem jetzt durch ein Übereinkommen beider
Teile festzusetzenden Preise bringen würden,
schlägt der Artikel vor, sie von den Abgaben
zu befreien, denen sie bisher in der Form von
Erbschaftssteuern usw. unterworfen seien.
ROGER FRY, Exhibition of Old Masters at
the Grafton Galleries, I. (4 Tafeln mit 5 Ab-
bildungen.)
Die Tafeln enthalten Reproduktionen von Bildern,
die bisher noch nicht veröffentlicht worden sind
und zwar: Salvator Mundi, Giotto zugeschrieben,
aus der Lady Ickyll-Kollektion; Madonna mit
Kind auf dem Thron, mit Engeln von Masaccio,
dem Rev. A. F. Sutton gehörig; zwei Fragmente
von einer ,Taufe Christi“ von Luca Signorelli
aus der Sammlung Sir Frederik Cooks; und
„Madonna und Kind“ von Bramantino aus der
Gräflich Victor Goloubewschen Kollektion in Paris.
Н. Р. MICHELL, The Limoges Enamels in
the Salting Collection. (3 Tafeln.)
Der verstorbene Salting sammelte als Liebhaber,
nicht als Kunsthistoriker. Darum fehlen in der
etwa 90 Stück umfassenden Sammlung Limoges
Emaillen, die er dem Viktoria und Albertmuseum
als Erbe hinterließ, Beispiele der primitiven,
pre-Pénicaudschen Schule.
HENRI HYMANS, Raphaels young Cardinal
at Madrid. (1 Tafel mit 2 Abbildungen.)
Auf Grund eines Porträtmedaillons von Caradosso
wird Raphaels „Junger Kardinal“ in Madrid als
der spätere Bischof von Como, Scaramuccia Tri-
vulzio, erkannt.
CAMPBELL DODGSON, Some Notes on Dürer.
(2 Tafeln mit 5 Abbildungen und 2 Textillustr.)
Eine Handzeichnung der hl. Katharina in der
National Gallery of Irland wird als verbesserte
Zeichnung aus der Zeit von 1512 — 13 für die
Einzelfigur der Katharina auf dem Tucher-Tri-
ptychon in der St. Sebaldskirche in Nürnberg be-
zeichnet; ein Holzschnitt aus dem Jahre 1510,
„Christus am Kreuz“, enthält einen hl. Johannes,
der offenbar einem viel früheren Werke Dürers
selber nachgezeichnet ist, nämlich dem Ы. Jo-
hannes aus dem Jahre 1493 im Missale Speciale,
das ]. Grüninger zu Straßburg gedruckt hat;
eine Madonna auf der Rasenbank, datiert 1501,
die sich im Britischen Museum befindet und
angezweifelt worden ist, wird als ein echter
Dürer erkannt, wiewohl das Monogramm selber
eine spätere Hinzufügung sei; der Kopf eines
alten Mannes, in Öl auf Vellum gemalt, der aus
der Sloane-Kollektion stammt und sich jetzt eben-
falle im Britischen Museum befindet, wird mit
den Apostelkópfen in den Uffizien und dem
alten Männerkopf rechts in „Christus unter den
Schriftgelehrten“ in Rom verglichen und Dürer
selber zugeschrieben. Dieses kleine, sorgfältigst
ausgeführte Ölgemälde ist weder bei Ephrussi
noch anderswo erwähnt und noch niemals re-
produziert worden. Hier wird es mit dem einen
der Apostelköpfe aus den Uffizien zusammen ab-
gebildet.
LIONEL CUST, Notes on the Collections
Formed by Thomas Howard, Earl of Arun-
del & Surrey, К. G. II.
Druckt das leider nur von einem Schreiber an-
gefertigte Inventarium der Kunstschitze des
Arundelschen Hauses ,,Tart Hall“ ab.
G. MC. М. RUSHFORTH, Two Pictures by
Giambono. (2 Tafeln.)
Der Mönch auf dem Polyptich des Giambono
in der Accademia zu Venedig wird als einer der
sieben Griinder des Servitenordens, Philippus
Benizi erkannt. Der sogenannte „Heilige Michael“
Giambonos, der sich im Besitz Mr. Berensons
befindet, stellt sich nicht als Michael, sondern
als einer der auf Thronen sitzenden und rich-
tenden Engel aus der höchsten der neun Ord-
nungen der Engel heraus.
SIR CECIL H. SMITH, Porphyry Statue of
Athena in the Collection of H.R. H. The
Duchess of Connaught. (2 Tafeln mit 4 Abb.)
Beschreibt eine jugendliche Athenastatue der
Gruppe der „friedlichen Athena“ aus Porphyr,
die die Herzogin von Connaught vor ein paar
Jahren aus einem Garten in Potsdam (!) nach
England bringen und im Garten ihres Bagshot
House aufstellen ließ. Die Statue dürfte aus dem
ersten christlichen Jahrhundert stammen und
ahmt den Typus aus dem frühen vierten Jahr-
hundert vor Chr. nach.
D.S.MAC COLL, The Stevens Memorialand
Exhibition at the Tate Gallery. (2 Tafeln
mit 5 Abbildungen).
Einführung in die in Bälde bevorstehende Aus-
stellung von Werken des größten englischen
Bildhauers Alfred Stevens, die in der Tate Gallery
stattfinden wird.
Lettertothe Editors. Review and Notices.
Recent Art Publications. German Periodi-
cals.
567
JOHN CONSTABLE, Eine Selbstbiographie aus
Briefen, Tagebuchblättern, Aphorismen und Vor-
trägen. Verlag Paul Cassirer, Berlin. Preis kart.
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deburg. Ein kurzer Führer durch seine Architektur,
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miler griechischer und römischer Skulptur. Hand-
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F. Bruckmann, A.-G., München.
GRAF GOBINEAU, Die Renaissance. Insel- Verlag,
Leipzig. Preis kart M. 12.—, Halbleder М. 16.—,
Luxus М. 50.—.
GREGOROVIUS, Die Grabdenkmäler der Päpste
(3. Aufl.). Herausgegeben von Fritz Schillmann.
Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig.
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selm Feuerbachs Briefe an seine Mutter. Verlag
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kunst in der Sammlung Figdor. (Separatabdruck
aus Kunst und Kunsthandwerk, Jahrg. XIV.) Ver-
lag von Artaria & Co., Wien. Preis К. 15.—.
CORRADO RICCI, Baukunst und dekorative Skulp-
tur der Barockzeit in Italien. Verlag Julius Hoff-
mann, Stuttgart. Preis М. 25.—. Mit 315 Abb.
ANTON GENEWEIN, Vom Romanischen bis zum
Empire. In zwei Teilen mit 947 Abb. I. Teil:
Die Stile des Mittelalters, II. Teil: Die Stile der
Neuzeit. Verlag Ferdinand Hirth & Sohn, Leip-
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Kunststätten, Bd. 54.) E. A. Seemann, Verlag, Leip-
zig. Preis М. 4.—.
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study in christian iconography. Bernard Quaritch,
Londen. Preis 5 sh. net.
HANS W. SINGER, Опіка und Seltenheiten im
Kgl. Kupferstichkabinett zu Dresden. Verlag GlaS
& Tuscher, Leipzig. Preis М. 12.—.
HERIBERT REINERS, Köiner Kirchen. J. P. Ba-
chem, Verlag, Köln. Preis geh. M.4.—, geb. M. 5.—.
EMILE FAGUET, L'art de lire. Hachette & Cie.,
Paris. Preis Frs. 2.—.
Exhibition of Venetian Painting of the
Eighteenth Century in the Burlington Fine
Arts Club. Printed for the Burlington Fine Arts
Club, London 1911.
W. HAUSENSTEIN, Der nackte Mensch in der
Kunst aller Zeiten. R. Piper & Co., Verlag, München.
Preis geb. М. 3.—. Mit 150 Abb.
С. J. HOLMES, М. A., Notes on the Art of Rem-
brandt. Chattus & Windus, London.
R. GRAUL, Deutsche Kunst in Wort und Farbe.
E. A. Seemann, Verlag, Leipzig. Preis M. 18.—.
LUDWIG JUSTI, Zeichnungen aus dem Besitz der
Nationalgalerie. 1. Lieferung. Subskriptionspreis
M. 30.—. Verlag von Julius Bard, Berlin.
MAX LIEBERMANN, Holländisches Skizsenbuch.
(Text von Oskar Bie.) Preis М. 30.—. Verlag
ebenda.
JULIUS MEIER-GRÁFE, August Renoir. Verlag
Piper & Co., München, Mit тоо Abb. Preis M. 5.—.
W. WAETZOLDT, Einführung in die bildenden
Kúnste. Verlag F. Hirt & Sohn, Leipzig. 2 Bd.
geb. М. то.—.
IV. Jahrgang, Heft ХП.
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz,
WaldmannstraBe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. М. К. ROHE, München, Clemensstr. 105. / In OSTER-
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer-
straat 22. / In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.
SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION:
Montags хо — 12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telefon: Amt Groß-Lichterfelde 456.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftliches
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS gründeten.
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Tafel 117
Abb. 4. Kopie einer Leonardozeichnung zum linken Arm des Engels
Venedig, Akademie
Zu: EMIL MÓLLER, LEONARDO DA VINCIS BRUSTBILD EINES ENGELS UND SEINE KOMPOSITIONEN
DES JOHANNES BAPTISTA
M. f. K. IV. 12 Digitized by Google
Tafel 118
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Dr. Fritz Sarasin in Basel
Bes.:
Abb. 5. S. Johannes B., Schule Leonardos (Giampietrino?)
Zu: EMIL MÖLLER, LEONARDO DA VINCIS BRUSTBILD EINES ENGELS UND SEINE KOMPOSITIONEN
DES JOHANNES BAPTISTA
M.f.K.IV, ı2
Tafel 119
Abb. т. Sandsteinkopf Straßburg, Elsiissische Altertumssammlung
Abb. 2. Seitenansicht zu Abb. 1 Abb. 3. Sandsteinkopf wie Abb. 1
Zu: HANS FRIEDRICH SECKER, BRUCHSTUCKE VERLORENGEGLAUBTER BILDWERKE DES STRASS-
BURGER MUNSTERS
M. f. K. IV, 12
Tafel 120
Abb. 6. Gipsabguß des Kopfes Peiri aus dem Tympanon Abb. 7. Kopf eines Königs, Bes.: Familie Hacken-
vom Tode Mariae am Miinster Straßburg, Frauenhaus sSchmidt-Straßburg Eisässische Altertumssammlung
Abb. 4. Gipsabguß zweier Apostelköpfe aus dem Tympanon vom
Tode Mariae Straßburg, Frauenhaus
Zu: HANS FRIEDRICH SECKER, BRUCHSTÜCKE VERLORENGEGLAUBTER BILDWERKE DES STRASS-
BURGER MÜNSTERS
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Abb. 5. Ausschnitt aus dem Kupferstich von Isaac Brunn (1617): Südportal des Straßburger Münsters
Zu: HANS FRIEDRICH SECKER, BRUCHSTÚCKE VERLORENGEGLAUBTER BILD WERKE
DES STRASSBURGER MÚNSTERS
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Tafel 122
Abb. 10
Abb. ro und 11. Sandstein
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HANS FRIEDRICH SECKER, BRUCHSTUCKE VERLORENGEGLAUBTER
BILDWERKE DES STRASSBURGER MUNSTERS
Abb. 9. Kopf eines Apostels (Johannes?) ; Besitzer: Dom-
baumeister Knauth- Straßburg
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Abb. 8. Skizze mit Maßangaben
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Abb. 1. Grabstein des Weihbischofs Albrecht (t 1493) in der Andreaskapelle
am Passauer Dom
Zu: K. FR. LEONHARDT, NIKOLAUS VON LEYDEN UND SEINE NACHFOLGE IN BAYERN
M.f K. IV, 12
Digitized by Google
Tafel 124
Abb. 3. Epitaph des Lukas Lamprechtshauer in der Domini-
kanerkirche zu Regensburg
Zu: К. FR. LEONHARDT, NIKOLAUS VON LEYDEN UND SEINE NACHFOLGE IN BAYERN
M.f.K.IV, 12 Digitized by Google
Tafel 125
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Abb. 5. Grabstein des Dr. Johannes Bürgermeister in der Pfarr-
kirche zu Straubing
Abb. 4. Epitaph in der Klosterkirche zu Ranshofen
K. FR. LEONHARD T, NIKOLAUS VON LEYDEN UND SEINE NACHFOLGE IN BAYERN
Zu
f. K. IV, 12
Firmentafel der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Uberblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben.
Wegen Beteiligung wende man sich an die Inseratenabteilung der „Monatshefte für Kunst wissenschaft“ in Berlin- Lankwitz.
Aachen. Ant. Creutzer
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de und Handzeichnungen, alte und
moderne Graphik, alle Arten v. Re-
produktionen, Photographien а. d.
Gemäldegalerien. Gegründet 1770.
Wien. Albert Kende, Kunst-
handlung u. Kupferstich - Anti-
quariat, I., Spiegelgasse Nr. 8,
Ölgemälde, Aquarelle, Hand-
zeichnung., Miniaturen, Kupfer-
stiche, Kunstauktionen.
Modorno Kunst
Dresden. Galerie Ernst
Arnold. Inhaber L. Gutbier.
Permanente Ausstellung in
ıı Sälen: Gemälde, Skulp-
turen, Radier. neuer Meister.
— Emil Richter, Hof kunst-
händler H. HOLST,
moderne Radierungen.
Frankfurt a. Man.
— Frankfurter Kunstverein.
Gemaldeerster moderner Meister
und der Frankfurter Schule.
Permanente Ausstellung.
Leipzig. Р.Н. Beyer & Sohn.
Moderne Gemälde, Kleinplastik,
Handzeichnungen. Speziell neue
Graphik (Max Klinger, O. Grei-
ner, Menzel, Boehle, Zorn etc.)
— Pietro Del Vecchio. Hofkunst-
handlung. Ausstellung von Wer-
ken erster Meister. Kunstsorti-
ment. Moderne Graphik.
Manehen. Moderne Galerie
Theatinerstraße 7 (Arco-Palais)
Gremälde u. Zeichnungen
moderner Meister.
Stuttgart. I. Schaller,
Kgl. Hofkunsthandlung u. Buchhand-
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nahmen von Kunstdenkmilern durch
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jest. Don Walter Kornick x Der Schotte Muirhead Bone.
Don Georg Biermann x Das moderne Kunftgewerbe als
Gradmefler unferer Kultur. Don C.Ze {the Das Werk P. S.
Krogers x Berliner Seaeſſion (Schwarz=Weiß-Ausftellung)
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EIN NEUES GOETHEBUCH
aus dem Verlag von Klinkhardt & Biermann, Leipzig
In der
Stadt der Lagunen
Skizzen zu Goethes Aufenthalt
in Venedig von Julius Vogel
Mit 16 Taf. Geh. М. 4.50, geb. M. 5.20, in Leder М. 7.—
ee Italienische Reise ist eine unerschópfliche Fund-
grube eschichtlicher Erkenntnis. Denn eine prominente
Persönlichkeit im Rahmen eines fremden Milieus, im Anblick der
Denkmäler Apr een Geistes, im engen Beieinander zeilgenössi-
schen gehort zu dem Reizvollsten, was uns
die Geschichte d darzubieten hat
und Venedig ! Nichi die klassische Welt Roms, sondern
dese sie widerspiegell, jenes dm das den ganzen Reiz seines
en Daseins er verklingenden Rokokokultur
— In diesem Sinne N de bekannte Goetheforscher sein
Thema verstanden und er hat damit einen Beitrag zur Kultur-
geschichte geliefert, der ebenso neu wie dichterisch anspricht.
Literaten,Kunsthistoriker, alle Freunde
Venedigs werden für diese Gabe dankbar sein
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menden Reproduktionen sind zum Teil durch uns gefertigt.
Die neuere Kunstliteratur des Jahres 1911
PAUL MERSE.
VON SZINYEI
Ein V orlaufer der Pleinairmalerei
von Dr. BELA LAZAR
Mit vierzig zum Teil farbigen Tafeln und
kunstlerische Ausstattung von E. FALUS
A. Ausgabe in 500 Exemplaren . . . а М. 24.—
B. Vom Kunstler signierte Vorzugsausgabe auf echt
Japan u. grünem Leinenbd. (Expl.!-75) a M. 60. —
Dr. E. DELPY schreibt im Literaturblatt der
„L. N. N.“: „Vor zwei Jahren erst lernten wir den
merkwurdigen Ungarn kennen. Auf der grofen unga-
rischen Ausstellung in Berlin hatte er seinen Sonder-
raum fur sich. Kein Junger, Aufstrebender, nein, ein
Fertiger, ein Meister, dessen großartigste künstlerische
Offenbarungen bereits um 30 Jahre zurückliegen, und
der so lange hat im Dunkel stehen müssen, bis der Tag
seines Ruhms endlich sieghaft anbrach. Mit Entzucken
sah man die wundervolle musikalisch tiefe Landschafts-
kunst dieses Malers, ın dessen Bildern die Sonne Ungarns
strahlend lachte, sah dieses unvergleichlich schöne Mai-
fest’ auf sonnenuberstromtem, bluhendem Wiesenhang,
sah den herrlichen Frauenakt am Ahrenfeld mit der
Lerche‘ hoch oben im Himmelsblau, sah diese unnach-
ahmlich der Wirklichkeit abgelauschte ‚Schneeschmelze‘,
das Feld mit dem roten Mohn, die Baumstudien und
vieles andere mehr. Dazwischen Bilder von unverkenn-
bar Bocklinscher Rasse, Nymphen und Faune in wildem
Spiel im Waldesdunkel oder in freier Landschaft. Da
gab es eine Fülle von Fragen vor diesen Dingen, die
sich aufdrangten und nach Beantwortung riefen
Es war ein ausgezeichneter Gedanke des Leipziger
Verlags von Klinkhardt & Biermann, in einem deutsch
geschriebenen stattlichen Bande prompt die Antwort
auf alle diese Fragen in bundiger und erschopfender
Weise von dem bekannten Budapester Kunstgelehrten
Prof. Lazar erteilen zu lassen. Das Leben des aus alt-
adlıgem Geschlechte Stammenden rollt sich auf, in dem
eine leidenschaftliche Liebe zur Natur schon in den
Gymnasiastenjahren den Drang zum Zeichnen und
Malen auslöst.
Ein romantisches Kunstlerschicksal, in dem die
ganze Geschichte des Kampfes um eine neue Kunst
lebendig wird, ist hier von liebevoller Kennerhand nach-
gezeichnet. Der Verlag seinerseits hat in einer glänzenden
Ausstattung des mit wundervollem Bildermaterial ge-
schmuckten Bandes alles getan, um dies späte Ehren-
denkmal eines Großen mustergultig zu gestalten.“
Verlag Klinkhardt & Biermann
LEIPZIG / Liebigstraße 2
Neuerscheinungen
des Verlags von
JULIUS BARD, BERLIN wi:
Die Anfange der Majolikakunst in Toskana
Von Wilhelm Bode. Mit 37 zum Teil farbigen Tafeln
in Lichtdruck u. 43 Textabbildungen in Lichtdruck,
Ton- und Strichatzung. 45 * 36 cm. In Leinenband
M. 150.—, handgebundene Vorzugsausgabe in Per-
gament M. 350.—.
Michelagniolo Buonarroti, Handzeichnungen.
Herausgegeben von Karl Frey. 361 Blatt auf 300
Tafeln mit beschreibendem Katalog. 36 * 29 cm.
2 Bände. In Halbfranzbanden M. 300.—, in Ganz-
maroquinbdn. М. 375.—. Luxusausg. (50 >< 40 cm)
in handgearbeiteten Pergamentbanden M. 700.—
(Soeben vollstandig geworden).
Hans Holbein der Jüngere, sämtliche Zeich-
nungen. Herausgegeben von Paul Ganz. 50 Liefe-
rungen mit etwa 650 Blattern auf 500 Tafeln mit be-
schreibendem Katalog. Imperial-Folio (53 >< 40 cm).
Je M. 24.— (Heft 1 soeben erschienen).
Zeichnungen aus dem Besitz der Konig-
lichen Nationalgalerie in Berlin. Amt-
liche Publikation. 10 Lieferungen mit 100 Tafeln in
Faksimile - Lichtdruck und beschreibendem Katalog.
46 * 35 cm. Је M. 30.— (Нек 1 soeben erschienen).
Max Liebermann, Holländisches Skizzenbuch.
Mit Text von Oscar Bie. 83 Zeichnungen und eine
Onginallithographie. Quer-Quart. Als Skizzenbuch
gebunden М. 30.—, handgebundene Vorzugsaus-
gabe in Pergament М. 80.—, dieselbe vom Kunstler
signiert M. 100.—.
Emil Nolde, Das graphische Werk bis 1910. Von
Gustav Schiefer. Mit 29 Originalgraphiken Noldes.
Klein-Quart. In Pappband М. 20.—, handgebundene
Vorzugsausgabe in Maroquin M. 40.—, in Perga-
ment M. 50.—.
Das malerische Berlin. Bilder und Blicke, her-
ausgegeben vom Markischen Museum. Zwolf Blatt
in Gravure. In Groß-Quart (36 >< 29 cm). In steifem
Umschlag M. 3.—.
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Weihnachtskatalog des Verlags Julius Bard
KunstinVergangenheit und
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BRUNO CASSIRER - VERLAG IN BERLIN
KARL BLECHEN
SEIN LEBEN UND SEINE WERKE.
von С. J. KERN
MIT 120 ABBILDUNGEN + PREIS M. 12.—, СЕВ. M. 15.—
D“ Werk von Dr. G. J. Kern über den Berliner Maler Karl Blechen bedeutet nichts
weniger als die Entdeckung eines der bedeutendsten norddeutschen Maler; es gibt
auch diesem unglücklichen Künstler nun endlich die Bedeutung, die ihm gebührt. Außer-
ordentlich erhoht wird der Wert dieses Buches aber noch, weil nahezu alle bekannten
Werke Blechens in klaren Reproduktionen beigegeben worden sind und weil damit lucken-
lose Anschaulichkeit erzielt werden konnte.
„In G. J. Kern hat Blechen einen trefflichen Biographen gefunden. Mit gewissenhaftem
historischen Sinn und feinem asthetischen Verstandnis ist Kern den fast а Ѕршеп дез
Künstlers nachgegangen. Wir danken ihm ein anschauliches, nach vielen Richtungen ab-
schliessendes Bild der menschlichen und künstlerischen Entwicklung Blechens, über dessen
Werke ein sorgfältiger Katalog im einzelnen Aufschluß gibt. Treffend hebt Kern die eigen-
artige Mischung von scharfem Wirklichkeitsgefuhl und romantischer Phantastik in Blechen
hervor. Schuler von Rang sind Blechen nicht beschieden gewesen. Erst in Menzel fand
er einen ebenbürtigen Nachfolger. Dieser führte aber nur die malerische Seite seiner Kunst
weiter. Die andere, die romantische, hat Bocklin fortgesetzt. Mit Ausnahme von Caspar
David Friedrich, so bemerkt Kern, gibt es in der 3 Kunst vom Anfange des
vorigen Jahrhunderts Wohl keinen Maler, in dessen Schaffen so viele Möglichkeiten einer
ы Entwicklung liegen, wie sie im Werke Blechens enthalten sind. Er nimmt die
Errungenschaften der deutschen Landschaftsmalerei auf Jahrzehnte voraus: nach der Seite
des Ne und der Fahigkeit, die Natur malerisch zu deuten, ebensowohl
wie nach der Seite der dichterisch-schöpferischen Gestaltungsgabe. Der Verlag hat dem
schönen Buch eine mustergultige Gestalt gegeben. Die in großer Zahl beigegebenen Ab-
bildungen sind mit künstlerischer Sorgfalt ausgeführt.“ (Reichs- und Staats - Anzeiger)
„Ein Buch, das Karl Blechen, seine Persönlichkeit und seine Kunst, der unverdientenV er-
essenheit entreißt und diesem Maler, dem bedeutendsten des vormarzlichen Berlin, endlich
Че Platz gibt, der ihm gebührt, war langst eine Notwendigkeit. Vor der Jahrhundertausstellung
wußten nur wenige etwas von Karl Blechen und auch jetzt noch ist der Name den meisten
mehr ein Klang als eine von Anschauungen erfüllte lebendige Vorstellung. Es muß darum will-
kommen sein, daß Kern es unternommen hat, Blechens Gen nachzugehen. Gestützt auf
gründliche Quellenforschungen hat der Verfasser biographisch Lückenloses geben können.
wobei interessantes Material zutage gefördert worden ist.“
(Breslauer Morgenzeitung)
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BIEDERMEIER
DEUTSCHLAND VON 1815 BIS 1847
EINE ILLUSTRIERTE KULTURGESCHICHTE
Mit etwa 250 Abbildungen, farbigen Tafeln, handkolorierten Modebildern
von MAX VON BOEHN
Ein Band in Lexikonformat von etwa 600 Seiten. Buchausstattung,
Deckel, Titelblatt und farbige Kapitelblátter von KARL WALSER
Preis Mark 25.—, gebunden Mark 27.50
Kë schon ist die Biedermeierzeit die Mode des Tages. Dieses Buch nun unternimmt
es, die Biedermeierzeit so zu schildern, wie sie wirklich war, d.h. so wie die Lebenden
sich, ihre Umgebung und ihre Zeit selbst sahen und empfanden. Wir haben uns an die
Zeugen jener entschwundenen Epoche gewandt und in der Literatur, der Publizistik wie
in Briefen und Tagebüchern nach den Anschauungen gesucht, welche die Zeitgenossen
von sich selbst hatten. Wir glauben das Bild jener Jahrzehnte wahrheitsgetreu zu ent-
werfen, wenn wir die Menschen von damals befragen und sie selbst über alles hören,
was ihnen aın Herzen lag. So haben wir jene zu Rate gezogen, welche schon die Höhe
des Lebens überschritten hatten und als Greise auf ihre Umgebung blickten, wie Arndt,
Goethe, Perthes, Schadow, Varnhagen und auch jene, deren Mannesalter sie mit ihrer
Tätigkeit mitten ins Leben stellte, wie Sulpiz Boisserée, Gustav Freytag, Gervinus, Gubitz,
Gutzkow, Hoffmann von Fallersleben, Holtei, Immermann, Laube, Heinrich Lev, Levin
Schiicking, Adolf Stahr, Georg Weber und viele, viele andere. Neben ihnen kommt die
Jugend zu Wort, die damals heranwudis. Willibald Alexis, Ludwig Bamberger, Rudolf
Delbrück, Felix Eberty, Theodor Fontane, Geibel, Sebastian Henssl, Paul Heyse, Fritz
Reuter, Eduard Simson, als jüngster August Bebel. Neben den Philosophen Hegel, Michelet,
Rosenkranz, Schelling stehen die Theologen Schleiermacher, Büchssl, Karl Hase, die Medi-
ziner Carus, Kölliker, Ringeis, die Juristen Puchtal und Uditritz. Wie es Männer aller
Kreise und aller Altersstufen sind, so vertreten sie auch die verschiedensten Richtungen,
Leopold und Ernst Ludwig von Gerlach gehören politisdi der äußersten Rechten an, während
Karl Biedermann und Karl Hegel das Justemilieu, der sympathische Arnold Ruge, der feurige
Georg Herwegh die äußerste Linke vertreten, den Frommen Heinrich Ranke und Karl
von Raumer stehen Börne und Heinrich Heine gegenüber. Einen Platz für sidı beanspruchen
die glänzenden Gestalten der deutschen Gelehrten von damals, im besten Sinne Repräsen-
tanten ihres Volkes Alexander von Humboldt, Friedrich von Raumer, Karl von Rotteck,
die Brüder Welcer, Friedrich Thiersch, Ludwig Uhland und so manche andere.
Nicht nur das Wort, auch das Bild haben wir zu Hilfe rufen wollen, um die Biedermeier-
zeit anschaulich zu machen und wir haben neben den Künstlern, die ihre eigene Zeit fast
überschwenglich feierten: Cornelius, Kaulbach, Lessing, Overbeck, Stieler, jene vorgeführt,
die in bescheidener Stille arbeitend, erst von einem späteren Geschlecht nach ihrem ganzen
Werte gewürdigt wurden: Hosemann, Franz Krüger, Adolf Menzel, Schwind, Bledıen u. a.
Verfasser und Verleger sind bei der bildlichen Ausstattung von der Absicht geleitet worden,
möglichst Wertvolles und Unbekanntes zu bieten; Wort und Bild sollen sich nach ihrem
Wunsche ergänzen, aber nidit eins das andere überflüssig machen. Die künstlerische Aus-
stattung der Bücher stammt von Karl Walser.
Gin WNeiffer
des
deut/chen
Rokoko
Georg David Matthieu
(1737 — 1778)
Von Prof. бтлу? Steinmann und Archivrat N Witte
Nit einführendem Text, ausführlichem beſchrei- :
benden Katalog und 40 Tafeln in Lichtdruck
Preis gebunden N. 30.— :
CN bisher völlig unbekannten Maler des deutfchen Rokoko hat Groff Steinmann E
zum erflen Male durch feinen Auffak in Heft 12 des ,,Cicerone“ weiteren Kreifen :
bekannt gemacht. Während eine umfaſſende Ausflellung im Schweriner Wufeum das
Werk — Јо weit es erreichbar iff — zu/ammenflellte, will die hier angezeigte Publikation
den Maler dauernd dem Befig der Kunfigefchichte einverleiben.
Die Publikation iff in einer einmaligen numerierten Ausgabe von
350 Gxemplaren erfchienen und zum größten Teil durch Subfkription bereits vergriffen.
Nan beftelle daher unverzüglich bei einer Buchhandlung oder der unterzeichneten
Verlagsfirma
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In zweiter verbeſſerter und vermehrter Auflage erſchien:
Kunstanalysen
aus neunzehn Jahrhunderten
Ein Handbuch für die Betrachtung von Kunftwerken
von Profeffor Dr. BERTHOLD HAENDCKE
Mit mehr als 200 Abbildungen. Ein Band von 284 Seiten kl. Quart. Geb. 10 Mark
Die Kunft zu fehen ift nur wenigen von vornherein gegeben. Namentlich
die Gabe, Kunftwerke richtig zu betrachten und dadurch zu rechtem, voll-
kommenem Genuſſe zu gelangen, fehlt gar vielen, auch von denen, welche
fich für Kunft und Kunftwerke intereſſieren und fich damit, fei es zum Studium
oder nur zur Freude und Erbauung, befchéftigen. Obiges Werk will nun all
denen ein Ratgeber und Führer fein, die lernen möchten ein Kunfterzeugnis
zu bewerten und [ih ein künftlerifh und hiſtoriſdi begründetes [elbftändiges
Urteil zu bilden. Mit einer großen Zahl von Abbildungen, darunter vielen
ganzseitigen Bildern gefhmückt, bietet das verdienftvolle Werk des bekannten
Kunft[chriftftellers und Dozenten an der Königsberger Univerſität zugleich
eine anſchaulidie Uberſidit über die Kunftentwicklung in chriftlihher Zeit und
erhält dadurch den Charakter einer illuftrierten Kunſtgeſchichte, welche
in diefer Form vielen Kunftfreunden ficherlih [ehr willkommen [еіп wird.
Überaus günftige Beurteilungen des Werkes liegen vor:
„Eines der klügften und den Geift aufsbefteordnendenKunftbücder“
nennt es die „Öfterreichifdie Rundfchau“.
„Ein wundervoll ausgeftattetes Werk“ fagen von ihm die „Hamburger
Nachrichten“.
„Immer ift es eine Freude, diefem Führer zur Kunft zu folgen, und man kann nur
wünfchen, daß das kunfterzieheri[ch hodibedeutſame Werk die Verbreitung findet, die
es verdient, daß Lernende, Lehrende und kunftliebende Laien zu ihm greifen in der
Überzeugung, daß alle Kunft, die ihren beftimmenden Urfachen nach erkannt ift,
doppelt unverlierbar im Herzen bewahrt wird“, [о äußert [ich die „Königsberger
Allgemeine Zeitung“. — Auch ernft urteilende Fachblätter haben [idı anerkennend
über Haendckes Kunftanalyfen ausge[prochen:
„Endlich ein Werk, das man freudigen Herzens loben kann!“ [chreibt
die „Zeit[chrift für Aſthetik und allgemeine Kunftwiffenfchaft“ und Prof. Zarnckes
„Literarifches Zentralblatt“ bezeichnet Haendckes Buch als
„Ein populäres Werk im beften Sinne des Wortes“.
Verlag von George Weftermann in Braunſchweig
Prachtwerk in vornehmster Ausstattung
ein Entzücken für jeden Kunstfreund
Kürzlich ist erschienen:
Meisterminiaturen
aus fünf Jahrhunderten
Herausgegeben von Ernst Lemberger
Mit einem Abriß der Geschichte der Bildnisminiatur in Europa, 75 far-
bigen Faksimiletafeln und einem Künstlerlexikon der Miniaturmalerei
Vornehm und reich gebunden M. 30.—
Wer sich über diese graziöse Kunst unterrichten will, dem wird
diesesWerk willkommen sein. DieVorlagen für die nachgebildeten
Meisterwerke entstammen den bedeutendsten Sammlungen, es be-
finden sich darunter zahlreiche Stücke aus dem Besitz des Königs
von Württemberg, des Großherzogs von Hessen, des
Großherzogs von Sachsen-Weimar usw.; auch die berühmten
Wiener Sammlungen sind entsprechend berücksichtigt. Die Aus-
stattung ist die denkbar vornehmste — die Tafeln stellen unzweifel-
haft das Vollkommenste dar, was bezüglich der Originaltreue
in der Nadibildung von Bildnisminiaturen bisher erreicht wurde.
Der größte Teil der Auflage befindet sich
in festen Händen. Der Vorrat ist nur noch
gering. Ein Neudruck findet nicht statt
Stuttgart Deutsche Verlags -Anstalt
KLASSIKER DER KUNST
IN GESAMTAUSGABEN
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3. Tizian. Von Oskar Fischel.
284 Abbildungen M. 8
4. Dürer. Von Val. Scherer.
473 Abbildungen.. . M. 10
5. Rubens. Von A. Rosenberg.
551 Abbildungen M. 12
6. Velazqu
7. Michelangelo. Von Friiz Varia
6
8. RembrandtsRadierungen
on H. W. Singer.
408 Abbildungen
9. Schwind. Von О. Weigmann.
M.!
1265 Abbildungen
oe о о ө
10. Correggio. Von С. Gronau.
196 Abbildungen M. 7
11. Donatello. Von Paul Schubring.
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12. Uhde. Von Н. Rosenhagen.
285 Abbildungen М. 10.—
13. van Dy ck. Von E. Schaeffer.
537 Abbildungen. . . M.15—
14. Memling. Von K. Voll.
197 Abbildungen M. 7.—
15. Thoma. Von H. Thode.
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17. Rethel. Von Jos. Ponten.
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18. Fra Angelico.
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19. Liebermann. Von С. Pauli.
304 Abbildungen ..... M. 10.—
20. Holbein der Jüngere.
Von Paul Ganz.
252 Abbildungen
In Vorbereitung: Den — Hals — Murillo — Botticelli — Jan
Steen — Leonardo daVinci —W atteau u.a.
„DieKlassiker der Kunst gehören zu den wenigen unter zahllosen ahnlichen Veranstaltungen,
welche einem wirklichen Bedurfnis entsprechen.“ (Prof. Dr. Ernst Steinmann i. d. Deutsch. Literaturzeit.)
Seitenstück zu den Gesamtausgaben der Literatur-Klassiker
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT IN STUTTGART
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MÜNCHEN SR" GISELASTR. 25
EL GRECO von AUGUST L. MAYER
Eine Einführung in das Leben und Wirken des Domenico Theotocopuli genannt
„EL GRECO“
50 Abbildungen. Preis kart. M. 4.—
Über diese erste deutsche Greco-Monographie urteilt Dr. Georg Biermann im Berliner Tageblatt:
„Mayer, der als einer der besten Kenner der Kunst dieses Landes wie kein Zweiter berufen war, die Greco-Mono-
graphie zu schreiben, hat sich seiner Aufgabe im ganzen mit Geschmack erledigt und ein kunstwissenschaft-
lich ganz vorzugliches Buch geschrieben, dem ein reicher Abbildungsschmuck zur Seite steht.“
FRANCISCO DE GOYA !TAUROMACHIE
Faksimile-Ausgabe in 43 Heliogravuren 400 numerierte Exemplare. Herausgegeben
von Dr. Н. PALLMANN, Direktor der Königl. graph. Sammlung, Munchen
Ausgabe auf Bütten M. 75.— Luxusausgabe auf Japan М. 120.—
Prof. Valerian von Loga schreibt: „Diese Publikation der Tauromachie wird jeder Verehrer von Goyas Kunst
— doch wozu die Einschränkung — jeder Kunstfreund mit Freuden begrüßen. Die vorzüglichen Reproduktionen
nach einem selten schönen Exemplar geben den vollkommensten Ersatz für das Original.”
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242 et’
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AV AY AY AY AY AY PY PY PA PY АЛУ PA d PA PY ION PAY PAY ДР AY PA PAY PO hor PAY АЙЫЎ PY AY PO (БУ O PY PY PY PA PO PA O AA AI АУ
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
ALTHOLLANDISCHE MALEREI
Gemälde von holländischen und viamischen Meistern, die sich in Rathäusern, kleinen Museen,
Kirchen, Stiften, Waisenhäusern, Senatszimmern etc. und in Privathäusern befinden. Ausge-
wählt und beschrieben von Professor Dr. W. Martin, Haag und E. W.Moes, Amsterdam.
Jährl. 12 Lieferungen im Format 26x36 cm. Preis pro Lieferung mit6 Tafeln u. beschreib. Text
bei Subskription auf einen Jahrg. M.2.50, Preisf.d.Jahrg.M.30.—, Leinwandmappe dazuM.4.—
Die Publikation bedeutet eine Fundgrube kunstgeschichtlicher Erkenntnis und ist als solche in ihrer Art einzig
Sie ist unentbehrlich für Sammler, Kunstgelehrte, Kunsthändler, Museen, Bibliotheken, kunstwissenschaftliche
Institute. Bisher erschienen:
Lleferung 1: FRANZ HALS, Zwei lachende Knaben
(Leerdam) / PIETER CLAESZ, Stilleben (Leerdam)
JAKOB BACKER, Bildnis а. Johannes Wtenbogaert
(Amsterdam) / JOHANNES LINGELBACH, Der Dam
zu Amsterdam (Rathaus 2. A.) / JAN VAN SCOREL,
Bildnis des N. Cannius (Amsterdam) / JAN VAN
DER HEIJDEN, Stilleben (Privatbesitz Amsterdam)
Lieferung 2: SUDHOLLANDISCHER MEISTER um
1525, Die Legende der heiligen Anna (Schloß Rosendael)
FERDINAND BOL, Die Vorsteher des Lepra-Hauses
(Amsterdam) / HENDRIK CORNELISZ VAN VLIET,
Bildnisse (Privatbesitz Leerdam) / PETRUS STA-
VERENUS, Singendes Ehepaar (Privatbesitz Zwolle)
MATTHEUS MOLANUS, Landschaft mit Mühle (Privat-
besitz Leerdam) е
Lieferung 8: SAMUEL VAN HOGSTRATEN, Die Vor-
steher der „Münze von Holland'' im Jahre 1657 (Dor-
trecht) / FRANZ FLORIS (zugeschrieben) Heilige Familie
(Zwolle) / NICOLAES MAES, Bildnis von Jacob de
Witt (Dortrecht) / NIEDERLANDISCHER MEISTER UM
1636, Bildnis von Anna von Harest (Zwolle) / JAN
VAN GOYEN, Blick auf Dordrecht (Schloß „Het Гоо“) /
MELCHIOR DHONDECOETER, Hahn, Hennen und
Küchlein (Haag) D
Lieferung 4: HENDRIK TEN OEVER, Die Prediger von
Zwolle im Jahre 1691 (,,Groote Kerk“ in Zwolle) / JAN
VAN SCOREL, Porträts von Pieter Bicker und Anna
Codde (Baronin Schimmel-Penninck van der Oye) /
UNBEKANNTER MEISTER AUS DEM ENDE DES
18. JAHRHUNDERTS, Porträt von Prinz Wilhelm
George Frederik von Oranien (Schloß „Het Loo“) /
JAN VICTORS, Die Prophetin Anna (Dordrecht)
ADAM WILLAERTS, Das Einlaufen der holländischen
Fiotte in Dover (Privatbesitz Amsterdam) D
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Salon der Frau von Schleinitz (Titelblatt) / 2. Menzel vor ſeinem Krönungsbild
3. Jugendbild nach dem Porträt von Eduard Meyerheim (Königl. Nationalgalerie)
4. Porträt von Caroline Meyerheim, geb. Drake. Aquarelle (Beſ.: P. Meyerheim)
5. Porträtſkizze von Richard Meyerheim (Zeichnung. Beſ.: P. M.) / 6. Ritterhandſchuh
mit Putten (Federzeichnung. Bef.: P. M.) / 7. Menzels Hand (Gouache. Bef.: Frau
Pächter) | 8. Haustür in Kiſſingen (Bleiſtiftzeichnung, Bef.: P. M.) / 9. Reftaurant
auf der Pariſer Weltausſtellung 1867 (Olbild, Hochzeitsgeſchenk an P. M.) / 10.
Bei Meiſſonier (Olbild. Bef.: Levi Strauß in San Franzisko; hierzu erklärender
Brief. Fakſimile) / 11. Mädchenſtudie (Zeichnung. Bef.: P. M.) ! 12. Jungbrunnen.
Dekoration einer Tonne Kaviar (Geſchenk zum 70. Geburtstage an Ed. Meyerheim)
9 Von Dr. Ernſt Conſentius.
J (£-Berli Zweite, vermehrte und ver-
beſſerte Auflage. 4° Mit
10 Abbild. auf Tafeln und 2 Plänen. Geh. M. 5.—, geb. M. 6.—
Friedrich der Große
Ein Bild ſeines Lebens und ſeiner Zeit. Von Dr. Herman von
Petersdorff, Königl. Archivrat. Dritte, verbeſſerte Auflage. Mit
280 zeitgenöſſiſchen Bildern, 26 fakſimilierten Schriftſtücken, Bei-
lagen und Plänen. 4°. In Originaleinband gebunden .. M. 10.—
Verlag von Gebrüder Paetel (Ог. Georg Paetel)
in Berlin W.
ЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕНЕН
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Meilter der Graphik
Herausgegeben von De. Hermann Doss
Bisher erſchienen:
Bd. 1: Jacques Callot= von ferm ann Naffex
Mit 46 Tafeln in Lichtdeuck. Geheftet H. 10. -, gebunden M. 12.
ва. 2. Die Anfänge des deutſèhen Kupfer=
ſtiehes und der Nleiſter E. S. von Max Geis berg
Mit 70 Tafeln in Lichtdeuck. Geheftet M.16.—, gebunden M. 18.—
Sd. 3. Albrecht Altdorfer und Wolf Huber
Don Hermann Doss
Mit 63 Tafeln in Lichtdeuck. Geheftet М. 12.-, gebunden M. 14.—
sd. 4. Francisco de Qoya von Valerian von toga
Mit 72 Tafeln in Lichtdeuck. Geheftet М. 16.~, gebunden M. 18.~
sd.5: Die Nürnberger Kleinmeiſter x
Don Emil Waldmann
Mit 60 Tafeln in Lichtdeuck. Geheftet М. 16.—, gebunden М. 18.—
Soeben erf{chienen:
ва. e, Giov. Ва а Piranefi von Albert Giefecke
Mit 63 Tafeln in tichtdeuck. Geheftet М. 16.—, gebunden М. 18.~
Es folgen Bände über Rembrandt, Wenzel Hollar,
die hollandifehen Sittenbildradierer und anderes_
za RV „Меер der Graphik“ find als eines der wertvollen Unternehmen auf
ес kiinftlerifthem und kunftgef£hichtlichem Gebiete anerkannt. Sie find Hand=
bücher des Kupferſtiehes, die muftergiiltige Reproduktionen mit einem geiftvoll ge=
ichriebenen und woiſſenſchaftlich fundierten Text verbindera
os von Klinkhardt & Biermann in Leipzig |
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VEREINIGTER VERLEGER
DAS BUCH
DES JAHRES
191
C.H.BECK'scHe VERLAGSBUCHHANDLUNG (OSCARBECK)
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EUGEN DIEDERICHS / S.FISCHER VERLAG
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DER TEMPEL - VERLAG / JULIUS ZEITLER
HYPERION-VERLAG HANS VON WEBER
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DER TEMPEL -VERLAG LEIPZIG -SEEBURGSTER. 57
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Neuerscheinungen aus dem Verlag Klinkhardt & Biermann, Leipzig
dr dr AY AY AY AY AY AY ДУ dr d dr {ДУ YAA dr dr (ДУУ dr АУ АУ АУ ДУ ДУДУ ДЫ ДУ ДУ АУ АУ ДУДУ PAY ДУДУ АУ ДУДУ ДУ ДУДУ ДУУ ДЇ ДУ ДУДУ АУ ДУ ДЫ ДУ АУ АУ ДУ ДУ PI ДУ PY PO ДУ АУ ДУ АУ ДЫ,
Die niederlandische
Marinemalerei
Von FRED C. WILLIS
Mit 62 Abbildungen auf 32 Tafeln in Licht-
druck. Geheftet M.12.—, gebunden M.14.—
ies Buch behandelt einen Zweig der Malerei der dem
Charakter keines Volkes näher stand als dem der
Niederlander. Zum erstenmal wird hier das Gebiet der
Marine als Ganzes in seiner Gesamtentwicklung vom Jahre
1400 — 1700 dargestellt und aus dem übrigen Rahmen
der holländischen Kunst herausgenommen, ähnlich wie es
Jantzen in seinem Buch über das niederländische Archi-
tekturbild auf einem verwandten Gebiet getan hat. Dabei
ergab sich die Gelegenheit, neben den bekannten See-
malern auch manchem vergessenen Namen wieder zum
Leben zu verhelfen und die Auswahl des Abbildungs-
materiales hat in erster Linie noch nicht publizierte Ge-
malde berücksichtigt, die den Kreis des Bekannten viel-
sagend erweitern. Forschern wie Sammlern wird mit dieser
‚ Publikation eine Gabe geboten, die nicht zuletzt ihres inter-
essanten malerischen Stoffes wegen willkommen sein wird.
Thomas de Keysers
Tätigkeit als Maler
Ein Beitrag zur Geschichte des
holländischen Portráts von
RUDOLF OLDENBOURG
Mit 29Abb. auf 25 Tafeln. Geh. 5 M., geb.6M.
AS Vorlaufer Rembrandts hat Thomas de Keyser ein
besonderes Interesse. Seine Bedeutung liegt in dem
Anteil an der Ausbildung des Portrats, das in Rembrandt
seinen hochsten Ausdruck fand. De Keyser gelingt es,
das Wesen der Bildnismalerei bedeutsam zu erweitern und
selbst wahrend der Tatigkeit des größeren Zeitgenossen ringt
er um die gleiche Bewaltigung aller luministischen Probleme.
Für die kunstgeschichtliche Forschung bedeutet daher
die Arbeit Oldenbourgs eine notwendige und nützliche
Erganzung. Sie schließt sich mittelbar einer зо verdienst-
vollen Untersuchung an, wie sie Kurt Freise uber Pieter
Lastman veröffentlicht hat. Auch in der Monographie
über de Keyser ist illustrativ der Hauptnachdruck auf un-
bekannte und wichtige Arbeiten gelegt worden und das Buch
bedeutet im Ganzen eine der wertvollsten Erganzungen
fur die Erkenntnis hollandischer Kunst im 17. Jahrhundert.
rere
D le Sevillaner Malerschule. Beiträge zu ihrer Geschichte
Von AUGUSTL.MAYER
Mit 71 Abbildungen auf 60 Tafeln. Geheftet М. 20.—, gebunden М. 22.50
Kapitelübersicht: Vorwort. 1 Die Sevillaner Malerzunft. 2. Anfänge. 3. Die Romanisten. 4. Ruelas
und seine Schule. 5. Pablo Legote. 6. Herrera der Altere und sein Kreis. 7. Zurbaran. 8. Velazquez.
9. Murillo. 10.Valdes Leal und seine Schule. Anhang. Dokumente. Namensverzeichnis. Ortsverzeichnis
pacien war bis vor kurzer Zeit das Stiefkind der Kunstgeschichte. Außer Justi und einigen wenigen anderen Forschern
hat niemand grundlegend auf diesem Gebiete gearbeitet. Und doch steckt hier eine Zukunft der Wissenschaft, die
mit reichen Ergebnissen aufwartet und dem Forscherfleiße doppelt lohnen wird. Indes so reich auch die Vorarbeiten
sind, so augenfallig ist der Mangel an fundamentalen Handbuchern. Und ein solches — das erste in dieser geschlossenen
abgerundeten Form — ist Mayers umfangreiche Arbeit uber die Sevillaner Malerschule. Hier wird ein Kunstzentrum
entwicklungsgeschichtlich umschrieben, das in der Geschichte Spaniens eine ahnliche Rolle gespielt hat wie Venedig im
Rahmen der italienischen Kunst. Hier erlebt die Kunst in spanischen Velazquez und Murillo eine ahnliche Ноһе wie
die italienische in Tizian, und Michelangelo. Manche Einzeluntersuchung dieses umfangreichen Werkes ist früher erst-
malig in den ..Monatsheften fur Kunstwissenschaft” publiziert worden und gerade diese Beitrage haben den Verfasser
als einen der besten Kenner spanischer Kunstgeschichte ausgewiesen. Die Sevillaner Malerschule ist ein grund-
legendes Handbuch, das auf die Dauer jedem Kunsthistoriker und Sammler unentbehrlich sein wird. Es ist die
erste Vorstufe einer großen Geschichte der spanischen Malerei, die uns der V erfasser fur die nächsten Jahre versprochen hat.
: Spezialprospekte durch die Verlagsbuchhandlung Е
ОЧЧОГО INN
hos
VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG
D G t Eine Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung
er Garten. vo AUGUST GRISEBACH
Mit 88 Abbildungen auf 65 Tafenn . . . . geheftet М. 10.—, gebunden M. 12.—
INHALT: Erées Kapitel: Der geometrische Garten. I. Der Lua- und Wurzgarten im Mittelalter. II. Der
Lustgarten der Renaissance in der Ebene. — Zweites Kapitel. Der architektonische Stil im Lustgarten des
Barock. I. Architektonische Mittel. II. Repräsentanten des Stils. — Drittes Kapitel. Besondere Typen.
1. Klostergarten. 2. Botanische und Nutzgarten. 3. Der Blumengarten im 17. Jahrhundert. 4. Die Orangerie.
5.11 Giardino secreto. 6. Der Hausgarten. 7. Öffentliche Gärten im Mittelalter. — ViertesKapitel. Entwicklung
einzelner Gartenteile seit der Renaissance. 1.Das Parterre-Ornament. 2. Laubgang und Allee. 3. Boskettraum,
Hecke, Baumfiguren. 4. Die Insel. 5. Das Labyrinth. 6. Das Wasser. Anhang. I. Сапепй in der Archi-
tektur. 1. Grotten. 2. Gartenfassaden. 3. Loggiendekoration. Gartensale. Il. Gartenskulpturen. 1. Statuen.
2. Vasen. — Fünftes Kapitel. Der Gartenrevolution im 18. Jahrhundert. — Literaturverzeichnis. — Register.
Literarisches Zentralblatt: Grisebach liefert eine durch grenge Systematik umfassende Kenntnis des Stoffes,
sichere Erfassung des Typischen ausgezeichnete Arbeit. Jedem Gebildeten unserer Tage hat das Buch viel zu
sagen, denn es ig sachlich und fesselnd, bringt den Stoff nicht a's sachgelehrten Wust, sondern in taktvoller Wahl
und Kraffer Gliederung, begleitet den Text mit wertvollem Anschauungsmaterial. Ein ftarker an Adolf Hildebrandt
geschulter Sinn für das kunstmäßig Gewollte, organisch Gegliederte hat sich dies oft behandelte, aber schwer zu
beherrschende Gebiet leicht und sicher unterworfen.
Dekorative Kunst: In der geistreichen, ftreng sachlichen Darftellung dieser Entwicklung im Zusammenhang mit
dem gesellschaftlichen Leben und dem Empfinden der Generationen, die diese wechselnden Gartenformen auf architekto-
nischer Grundlage schufen, liegt ein Hauptreiz des wertvollen Werkes, das auch in der wohldurchdachten Erörterung aller
gartenkungtlerischen Einzelfragen mancherlei Anregungen gibt und vieles mit anderen Augen sehen lehrt.
Der Mainzer Bildhauer Hans
Backoffen und seine Schule
Von PAUL KAUTZSCH
Mit 20 Tafeln in Lichtdruck. Geh. 8 M., geb. то М.
ei dem allgemeinen Stande der Forschung auf dem Gebiete der deutschen Plastik, die sich heute
B in der Hauptsache darum bemüht, die Stileigentümlichkeiten von Lokalschulen festzustellen, war
es die Absicht des Verfassers, auch am Mittelrhein eine Anzahl stilistisch verwandter Werke
zu einer Gruppe zu vereinigen. Er ging dabei — gleichzeitig mit G. Dehio — von den großen
Grabdenkmälern im Mainzer Dom aus, und es gelang ihm an der Hand glücklicher Urkunden-
funde und aufGrund des einzigen beglaubigten Werkes, der Kreuzigungsgruppe auf
dem ehemaligen St. Peterskirchhof in Frankfurt, in Hans Backoffen, dem Hofbild-
hauer der Erzbischöfe von Mainz, das Haupt einer bedeutenden Schule festzustellen,
dem als solchem die gleiche Bedeutung wie seinem Lehrer Riemenschneider in
Würzburg oder VeitStoß in Nürnberg zusteht. Das Werk Backoflens weist, chronologisch auf
dem Wege eingehender Stilvergleichung aufgezeichnet, deutlich die Entwicklung des Meisters, der all-
mählich unter dem Einfluß der Renaissance-Stimmung zu einem eigenen, neuen Stil sich hindurchringt.
Dieser Stil steht zum erstenmal im Grabmal des Uriel v. Gemmingen fertig vor uns. Die große Anzahl
von Schularbeiten ließ sich teils um den Meister der Halleschen Domskulpturen, teils um einen in Oppen-
beim ansässigen Schüler gruppieren. Im ganzen bietet das Buch dic erstmalige Zusammen-
stellung des Materials fur die Geschichte der Mainzer Plastik von 1500 — 1530.
KLINKHARDT & BIERMANN / VERLAGSBUCHHANDLUNG LEIPZIG
Mit 100 Abbildungen.
INHALT: 1.
11. Dahls Schule.
Danemarks.
D
zu neuen Formen zusammen.
haben.
norwegischen Nationalwerkes,
as Buch ist für alle die-
jenigen bestimmt, die Italien
kennen und der alten Kunst und
Kultur des Landes nahestehen.
Diese Auswahl von Beitragen
zweier Menschen, die sich inner-
lich in ihrer Liebe zu Italien be-
gegnen, ist ebenso reizvoll durch
ihren wissenschaftlichen Wert
wie durch die hohe künstlerische
Form, in der sie zum Leser spre-
chen. Der äußeren Ausstattung
des Buches wurde die grote
Sorgfalt zugewandt.
к Malerei
im neunzehnten Jahrhundert
Von ANDREAS AUBERT
Geh. M. 5.—, geb. M. 6.50
Dahl als Begründer der norwegischen Malerei.
Thomas Fearnley. Ill. Die Dusseldorfer Schule.
Tidemand als Urheber der Volkslebensbilder.
der Romantik bis zu Cappelens Tod.
gestalt in der norwegischen Malkunst. V. Das heimische Kunst-
leben bis zu Eckersbergs Tod. VI. Intermezzo. VII. Die Jungen
de Munchen in den 70er Jahren.
eim.
X. Die Kunst der 80er Jahre.
IX. Die Kunst der 80 er Jahre.
80 er Jahre. Die Neuen. XII. Die Kunst der 90 er Jahre. Der Einfluß
dekoratives Eiselen,
erschien.
IV. Gude, eine Zentral-
VIN. Uber Paris und wieder
Krohg und \Verenskiold.
Die Älteren. XI. Die Kunst der
Die Neuromantık, Snorre und Gerhard Munthes
Schlußwort.
en Freunden der modernen Kunst erschließt das Aubertsche
Werk ein bedeutsames Kapitel neuerer Kunstgeschichte. Denn
es ist nicht wenig, was gerade Norwegen auf dem Gebiete der
Malerei geleistet hat. Seine künstlerische Entwicklung geht lange
Zeit der deutschen parallel und Manner wie Dahl und Gude
gehören fast unmittelbar zur Düsseldorfer Schule.
die siebziger Jahre auch hier oben im Norden die Revolution
einsetzt, da findet sich das spezihsch Norwegische ın der Kunst
Manner wie Thaulow. Werenskiold
und Krohg waren die großen Entdecker dieser Jahre. Ihnen sind
die Jungen gefolgt, unter denen sich markante Erscheinungen wie
Edward Munch so schnell auch im ubrigen Europa durchgesetzt
Auberts Buch bildete ursprünglich einen Teil des grohen
das um die Jahrhundertwende
Es hat seitdem bereits einige Auflagen erlebt.
KLINKHARDT & BIERMANN
Verlagsbuchhandlung LEIPZIG
Verlag von Klinkhardt & Biermann in Leipzig
Pilgerfahrten in Italien
Von O. von Gerstfeldt und Ernst Steinmann
Mit 12 Tafeln. Geh. М. 6.—, geb. М. 7.50, in Leder М. 10.—
Aus dem INHALT: Mailand. Am Hofe der Sforza / Cade-
nabbia. / Venedig. Der Karneval von Venedig. / Cremona.
Cremona und sein Meister. / Florenz. Emilia Peruzzi. San
Marco. Francesco Landini degli Organi. Das Geheimnis des
Meisters. / Foligno. Rom. Die Flora des Forum Romanum.
Michelangelo-Erinnerungen in Rom. Venus und Violante.
Papstdenkmaler in den vatikanischen Grotten. Romische Villen.
Römische Gesänge. Caprarola, das Lustschloß des Alessandro
Farnese. / Pastum. / Capri.
Unentbehrlich für Sammler
französischer Kunst
W.BÜRGER-THORE
Franz ösische
Kunst
im 19. Jahrhundert
Deutsche Bearbeitung von
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Preis: In Geschenkkarton (drei Bande)
zusammen Mark 15.—
Der 3. Band enthalt ein ausfuhrliches
Namensregister mit Hinweisen usw.
er Hochsommer
Als aber um
KLINKHARDT & BIERMANN
VERLAG + LEIPZIG
A AO
|
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VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG
DIE DARSTELLUNG DES
JÚNGSTEN GERICHTES
an den romanischen und gotischen Kirchenportalen Frankreichs. Von
W. H. v. d. MULBE, Privatdozent an der Königl. techn. Hochschule
in Hannover. Mit 15 Tafeln in Lichtdruck. Geh. 5 M., geb. 6 M.
р“ Darstellung des jüngsten Gerichts in der bildenden Kunst ist wiederholt der Gegenstand kunstgeschicht-
licher Betrachtungen gewesen. Doch ist all diesen Arbeiten eine Lücke gemeinsam. Nirgends sind die
Darstellungen des Weltgerichtes, die uns die romanische und gotische Skulptur Frankreichs bietet, genügend ge-
würdigt worden, obwohl sich gerade auf diesem Gebiete eine der bedeutungsvollsten Entwicklungen vollzogen
hat. Die Weltgenchtsbilder an französischen Kirchen sind nach zwei Seiten hin interessant: Einmal durch die
Art wie sie die Darstellung anderer Länder beeinflußt haben, dann aber auch an sich durch die logische Ent-
wicklung des Themas, die zu einer feststehenden Darstellungsweise führte, zu einem unzertrennlichen Glied der
französischen Gotik überhaupt. Erst auf Grund dieser Dokumente französischer Kunstgeschichte wird auch
das Weltgerichtsbild außerhalb Frankreichs verständlich. Das Thema selbst ist bei aller Spezialisierung im
Zusammenhang mit den allgemeinen kunstgeschichtlichen Fragen behandelt. Aus der Vorgeschichte heraus
erschließt sich die Gesamtentwicklung des Bildes. Der Absicht der Untersuchung gema liegt daher deren
Schwerpunkt nicht in den Fragen der Datierung und der Stilkritik, sondern in der harmonischen Gestaltung
eines Themas, das von der kunstgeschichtlichen Forschung in dieser Form noch nicht berührt worden ist.
A
* Verlag von
Klinkhardt & Biermann, Leipzig
Barock und Klassizismus
Studien zur Geschichte
der Architektur Roms
von
KONRAD ESCHER
Mit einem Titelbild und 42 Abbildungen
auf 21 Lichtdrucktafeln
Geheftet M. 12.—, gebunden М. 14.—-
Der Verfasser gibt in diesem Werke einen ge-
nauen Uberblick über die Baugeschichte Roms
im Zeitalter des Barockstils und über das Wesen
und die Entwicklung der Architektur im 17.
und 18. Jahrhundert. Allen Kunsthistorikern,
Architekten und Verehrern römischer Baukunst
sei dieses Buch wärmstens empfohlen.
Kunstwissenschaftliche Studien
Herausgegeben in Verbindung mit den
Мопаіѕће[еп für Kuns wissenschaft!
Bisher erschienen
1. Glotline und seine Stellung in der gleich-
zelligen Florentinischen Malerel. Von
Prof. Dr. Oswald Sirén.
Mit 35 Abb. auf 26 Tafeln. Geh. M. 9.—, geb. M. 10. —.
2. Niederländische Gemälde der Sammlung
Hölscher-Stumpf. Von Prof. Dr. Max
Gg. Zimmermann.
Mit 5Abbildungen im Text und 27 Bu Abbil-
dungen auf Tafeln. Geh. M. 14.—, geb. M. 15.—.
3. Die Frztaufen Norddeutschlands. Von
Dr Albert Mundt.
Mit 69 Abb. auf 37 Tafeln. Geh. M. 9.—, geb. M.10.—
4, ошаш und Raffael. Von Prof. Dr. Julius
Vogel. Geh. М. 5.—, geb. М. 6.50.
5. Pieter Jastman. Sein [Leben und seine
Kunst. Von Dr. Kurt Freise.
Mit 44 Abb. auf 12 Tafeln. Geh. M. 7.—, geb. M. 8.50.
6. Die Darstellung des jüngsten Gerlchtes
an den roman. und got. Kirchenporlalen.
Von Dr. W. H. v. d. Mülbe.
Mit 30 Abo. auf 15 Tafeln. Geh. M 4.50, geb. M. 6.—.
Klinkhardt A Biermann :: Leipzig
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9
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KLINKHARDT & BIERMANN, Verlagsbuchhandlung, LEIPZIG
STATTEN DER KULTUR
HERAUSGEGEBEN VON Dr. GEORG BIERMANN
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Jeder Band geh. 3 M. wünschen, als es die üblichen
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geb.4M., in Leder 5 M. Den Kungfreund im besonde-
A ren sollten sie ftets begleiten.
Die Bande dieser reich illu-
strierten und künstlerisch
ausgestatteten Sammlung von
Stãdte- Monographien gehören
seit ihrem Erscheinen zu den
beliebteſten Geschenk-
buchern, die der Freund
alter Geschichte und Kunst
gebildeten und reisefreudigen
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von Oettingen.
Frankfurt a.M. Von
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Bd. 7. Luzern, der Vierwald-
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Bd. 12. Granada. Von Erna
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Kühn.
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Bd. 7. UmbrischeStadte
(Orvieto, Narni u. Spoleto)
Von O. von Gerſtfeldt.
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Kühnel.
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allem das Programm dieser
Sammlung galt, sind Italien und
Spanien bisher würdig vertreten
und daruber hinaus auch der
Orient. Die Grundlich-
keit und Gediegenheit
des Inhalts, die geschmack-
volle und fesselnde Form der
Darstellung, die anmutige Aus-
ftattung und Illu@rierung haben
diesen Bänden vor anderen
sehr schnell die Sympathie
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Bd. 19. Sizilien.
Lorenz.
Bd.20. Augsburg. Von
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diese Ausgabe zur Anschaffung besonders empfohlen.
Einzelne Bande werden in dieser Ausfattung nicht abgegeben.
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Giovanni Battista Pra | nes
Von Albert Giesecke Meister der Graphik JE and VE
Mit 1 Titelbild und 63 Tafeln in Lichtdruck. Geh. M. 16.—, gob. M ie 42; x
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Piranesi durfte in den „Meistern der Graphik“ nicht fehlen. we
Werk, in dem er die Denkmäler Roms in der Goetheschen Zeit y Sech
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vel ыйа ай un Rei der bch pco Fam ч TS A
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* 1 er A Ж H
Gesammelte Auf | 5; | ät | ч ze |
Herausgegeben von Dr. А. ZE,
Mit 2 Heliograviiren nach Porträts des Verfassers. Geh. М. 1 qe. | ee 5. — j
Das Buch ist cin Lebensbid des Verfassers in acinen eigen Werken un
eine späte literarische Ehrung, die Freunde dem verdienten irten
und ehemaligen Kölner Museumsdirektor zuteil werden ließen. Es stellt еше a bl
des Besten dar, was Aldenhoven in einem reichen Leben in erster Linie über aki u
neuere Kunst geschrieben und gerade unter diesen Essays findet sich v
durch die Fülle der Gedanken ebenso wie durch die Schönheit der F
d m Я E
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is BASEL ee
18 Ма) Li;
In reicher illustrativer Ausstattung. Geh. М. 3,—, geb. M. 4.—, in „еде dee, т
Majors Arbeit verwebt Geschichte und Kunst in eins und weiß die e von an Gs 1 £
Basels im Geiste ihrer künstlerischen Denkmäler zu erklären. Das Buch istar ge
Kulturgeschichte der Stadt, die über die reine Kunstgeschichte weit É
Grapbisches Institut Julius Klinkhardt, Leipzig
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